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FERDINAND LASSALLE

DIE SCHRIFTEN DES NACHLASSES

UND DER BRIEFWECHSEL MIT

KARL RODBERTUS

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FERDINAND LASSALLE

NACHGELASSENE BRIEFE UND SCHRIFTEN

HERAUSGEGEBEN VON

GUSTAV MAYER

SECHSTER BAND

l-9'2.5 DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT STUTTG.ART-BERLIN VERLAGSBUCHHANDLUNG JULIUS SPRINGER, BERLIN

FERDINAND LASSALLE

DIE SCHRIFTEN DES NACHLASSES

UND DER BRIEFWECHSEL MIT

KARL RODBERTUS

HERAUSGEGEBEN VON

GUSTAV MAYER

DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT, STUTTGART-BERLIN VERLAGSBUCHHANDLUNG JULIUS SPRINGER, BERLIN

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Alle Rechte vorbehalten

Copyright 1925 by Deutsche Verlags- Anstalt, Stuttgart

Druck der Deutschen Verlags^Anstalt in Stuttgart

Vorwort

Viereinhalbes Jahr nach dem ersten Bande ist es mir vergönnt, den sechsten und letzten Band von Lassalles Nachlaß zu veröffentlichen und damit eine Arbeit zu vollenden, die zu übernehmen ich mich viel- leicht nicht entschlossen haben würde, wenn ich im voraus völlig über- sehen hätte, ein wie gewaltiges Mai3 von Zeit, Mühe und Hingabe ihre Fertigstellung erforderte.

Was über den vorliegenden Band, der namentlich die vielfach nur in fragmentarischem Zustand vorliegenden, im Nachlaß aufgefundenen Reste von Lassalles geistiger Produktion mitteilt, an dieser Stelle sonst vorzumerken gewesen wäre, darf hier übergangen werden, weil es in den Einführungen zu den einzelnen Abschnitten hinreichend zur Sprache kommt. Dort wurden auch gewisse Fortlassungen, die nicht ohne reif- liche Überlegung erfolgten und das Gewissen des Herausgebers keines- wegs belasten, gerechtfertigt. Ohnehin könnte der Inhalt dieses Bandes manchem Leser ein wenig bunt erscheinen ; doch es lag nicht in meiner Macht, der ich von dem mir vorliegenden Stoffe abhängig blieb, ihm zu noch größerer Einheit zu verhelfen. Ich baue auf die Geschlossenheit von LassaUes Persönlichkeit, die selbst aus den einander fremdesten Äußerungen seines Genius hervorleuchtet.

Daß bei einem so umfangreichen und weitschichtigen Unternehmen, wie solche Nachlaßausgabe es darstellt, vereinzelte Irrtümer, auch bei sorgfältigstem Bemühen, sie zu vermeiden, unterlaufen können, wird jeder begreifen. Beinahe verwundert es den Herausgeber, daß er bisher entweder von sich aus oder durch andere nur auf so wenige Verseheu aufmerksam wurde. Besonders bin ich einem hochbetagten Landsmann Lassalles, Herrn Dr. Julius Kastan in Berlin, für einige Hinweise ver- bunden. Er ließ mich wissen, daß David Honigmann, der über Lassalles Studienjahre einige Aufzeichnungen machte, Generalsekretär der Ober- schlesischen Eisenbahngesellschaft in Breslau und nicht Publizist war, daß der Fichteaner Braniß, dessen Vorlesungen auch er noch in Breslau besuchte, nicht als Reaktionär bezeichnet werden könne und daß Lassalle ,, Einleitung in das Alte Testament" in Berlin nicht bei dem klassischen Philologen Agathon Benary, sondern bei seinem Bruder, der außerordentlicher Professor der Theologie war, hörte.

=^ VI -=-

lyassalles letzter Wille hatte bestimmt, daß aus seiner reichhaltigen Bibliothek Lothar Bucher sich zweihundert, Johann Baptist von Schweitzer, Gustav vSchönberg und der Kandidat Alexi sich je hundert Bände aussuchen dürften. Über die Persönlichkeit dieses Kandidaten Alexi tastete die Forschung bisher im Dunkeln. Noch im fünften Bande dieser Ausgabe, der einen Brief von ihm mitteilt, mußte ich gestehen, daß ich von diesem Freunde lyassalles nicht einmal den Vornamen wüßte. Erst während der Drucklegung des sechsten Bandes lüftete sich auch dieser Schleier. Herr Dr. H. Falkenheim in München machte mich darauf aufmerksam, daß der in Oberammergau lebende Bildhauer Professor R. König ein Stiefsohn Alexis sei und sich noch im Besitze der Briefe lyassalles an seinen Vater und der Bücher, die jener aus der Bibliothek des Freundes erhielt, befände. Ivcider konnte Herr Professor König sich nicht entschließen, die Briefe, denen er wissenschaftliches Inter- esse nicht zugesteht, der Öffentlichkeit zu überlassen oder wenigstens der Forschung zugänglich zu machen. Doch hatte er die Freundlich- keit, mir einige Aufklärungen über die Persönlichkeit seines Stiefvaters zu geben. Wir erfahren jetzt, daß Karl Alexi am 13. Januar 1840 in Reichenbach in Schlesien geboren wurde und am 8. Januar 1888 in St. Urban in der vSchweiz starb. Er war Altphilologe und Historiker; seine wissenschaftliche Produktion soll sich in Programmen und Zeit- schriften verzettelt haben. Zuletzt ist er als Gymnasialdirektor im Elsaß tätig gewesen. Wie sein Stiefsohn, der ihn hoch verehrte, femer berichtet, verlief sein Entwicklungsgang später in einer Lassalles Ideen durchaus entgegengesetzten Richtung, ,,bei aller persönlichen Ver- ehrung und Bewunderung" für den Freund.

Daß es möglich wurde, diese Nachlaßausgabe zum hundertsten Ge- burtstage Lassalles rechtzeitig zum Abschluß zu bringen, verdanke ich nicht zuletzt der klugen und eifrigen Unterstützung, die mir bei der F'ertigstellung des letzten Bandes I'rau Dr. Britschgi-Schiemer leistete. Auch meinem alten .Freunde, Herrn Dr. Max Lustig in Leipzig, fühle ich mich verpflichtet, da er sich der mühseligen Aufgabe unterzog, die Benutzung des Werkes durch die Herstellung eines Registers zu er- leichtern. Den Dank, den ich meiner Frau für ihre unablässige ^lit- arbeit an allen sechs Bänden schulde, darf ich auch an dieser Stelle nicht verschweigen.

Berlin-Lankwitz, 18. März 1925.

Gustav Mayer.

Inhaltsverzeichnis

Seite

Schulaufsätze i

Zur Einführung i

1. Reisebeschreibung von meinem I^ebüngswinkel bis zur Stubentür . . 6

2. Wie konnten die Alten bei ihrem ausgebildeten Rechtsgefühl die Sklaverei dulden? lo

3. Kann die Realbildimg die klassische Eildung ersetzen? - 12

4. Stoiker und Epikureer 17

5. Ansprache an Lessings Geburtstag 20

6. Der Vielwisser 23

Um Börne und Heine 28

Zur Einführung 28

Über die Erklärung der Herren Kolloff, Schuster und Hamberg . . 31

In der schlesischen Opposition 34

Zur Einführung 34

1. Gegen Professor Regenbrecht 39

2. Entwiirf zu einer Eingabe der Stadtverordneten Breslaus an Friedrich Wilhelm IV 44

Philosophisches 48

1. Grundzüge zu einer Charakteristik der Gegenwart mit besonderer Be- rücksichtigung der Hegeischen Philosophie 4S

Zur Einführung 48

2. Philosophie des Geistes 75

Zur Einführung 75

Geschichte der sozialen Entwicklung 80

Reiseberichte aus dem Orient 156

Die Amnestie, die Berliner demokratische Presse, Herr Zabel

und das geistige Eigentum 235

Nationalökonomische Vorträge 247

Entwürfe und Fragmente von Reden 264

Zur Einführung 264

1. Notizen zur xlrbeiterfrage 26S

2. Rede in der Leipziger Gemeinde des Allgemeinen Deutschen Arbeiter- vereins 9. Mai 1864 274

3. Entwurf zur Ronsdorfer Rede vom 22. Mai 1864 2S2

Lassalles Briefwechsel mit Karl Rodbertus- Jagetzow 285

Zur Einführung 285

I. Lassalle an Rodbertus. 23. Dezember 1862 297

^:=-- VIII -— --=

Seite

2. Rodbertiis an Lassalle. S./g. Februar 1863 298

3. Lassalle an Rodbertus. 17. Februar 1863 307

4. Rodbertus an Lassalle. 30. März 1863 315

5. Lassalle an Rodbertus. 10. April 1863 321

6. Rodbertus an Lassalle. 13. April 1863 322

7. Lassalle an Rodbertus. 22. April 1863 323

8. Rodbertus an Lassalle. Ende April 1863 326

9. Lassalle an Rodbertus. 28. April 1863 329

10. LassaUe an Rodbertus. 30. April 1863 331

Ji. Rodbertus an Lassalle. i.Mai 1863 332

12. Lassalle an Rodbertus. 2. Mai 1863 334

13. Rodbertus an LassaUe. 4. Mai 1863 336

14. Rodbertus an Lassalle. 6. Mai 1863 338

15. Lassalle an Rodbertus. 8. Mai 1863 338

16. Lassalle an Rodbertus. 7. oder 8. Mai 1863 341

17. Rodbertus an Lassalle. 9. Mai 1863 342

18. Rodbertus an Lassalle. 9. Mai 1863 346

19. LassaUe an Rodbertus. 11. Mai 1863 346

20. Rodbertus an Lassalle. 13. Mai 1863 350

21. Rodbertus an Lassalle. 15. Mai 1863 352

22. Lassalle an Rodbertus. 18. Mai 1863 353

23. Rodbertus an Lassalle. Zweite Maihälfte 1863 354

24. LassaUe an Rodbertus. 26. Mai 1863 355

25. Rodbertus an Lassalle. 29. Mai 1863 358

26. Rodbertus an LassaUe. i. Juni 1863 360

27. LassaUe an Rodbertus. Anfang Juni 1863 360

28. Rodbertus an Lassalle. Juni 1863 363

29. LassaUe an Rodbertus. 24. Juni 1863 365

30. Rodbertus an Lassalle. 27. Juni 1863 367

31. Rodbertus an LassaUe. 1 3 . September 1863 368

32. Lassalle an Rodbertus. 15. Oktober 1863 370

33. Rodbertus an LassaUe. 19. Oktober 1863 372

34. Lassalle an Rodbertus. 30. Dezember 1863 374

35. Rodbertus an Lassalle. 2. Januar 1864 375

36. Rodbertus an Lassalle. Januar 1864 375

$7. Lassalle an Rodbertus. 4. Januar 1864 377

38. Lassalle an Rodbertus. Februar 1864 377

39. Rodbertus an LassaUe. 20. Febvirar 1S64 378

40. LassaUe an Rodbertus. 23. Februar 1864 37^

41. Rodbertus an LassaUe. 30. Mai 1864 379

42. Rodbertus an Lassalle. 14. Juni 1864 381

Eingaben 382

Zur Einführung 382

1. Gesuch LassaUes um Rückgabe seiner anläßlich des Kommunisten- prozesses konfiszierten Papiere 382

2. Eingabe LassaUes an den Anklageseuat des Staatsgerichtshofs . . . 384

- =- IX -^

Seite Statuten für eine Produktivassoziation der Berliner Buch- drucker 392

Gelegenheitsgedichte 399

Anhang 405

Zur Biographie Lassalles 405

Zur Einführung 407

Lassalle von Lothar Bucher 409

1. Notizen zu einer biographischen Skizze 409

2. Lassalles Ende 416

Lassalle von Moses Heß 419

Über die Motive, die Lassalle zum Duell trieben . Von Gräfin Sophie von

Hatzfeldt 428

Namenregister 433

Schulaufsätze

Zur Einführune:

Im Frühling 1840 war Lassalle von seinem Vater auf die Handels- schule nach Leipzig gebracht worden, und weü er erst so kurze Zeit dort weüte. erhielt er zu den großen Ferien nicht die Erlaubnis, nach Breslau ins Elternhaus zu kommen. Darüber traurig, schrieb er am 18. Juli in sein Tagebuch i^) „Die Ferien sind angefangen. Alle Handelsschüler smd verreist: die zu ihren Eltern, die ins Gebirge, die in die große Stadt. Nur ich, ich allein bin dazu verdammt, hierbleiben zu müssen. Vier ganze Wochen! Zwar hat mir mein Vater das Schwimmen erlaubt. Will ich mich aber vier ganze W^ochen mit Schwimmen amüsieren, werde ich zu- letzt eine Ente werden." Nun war der Klasse offenbar über die Ferien das noch heute bei den Lehrern beliebte Aufsatzthema gesteht worden, ihre Reiseerlebnisse zu beschreiben. Der in Leipzig zurückbleibende Lassalle aber hatte, wie sein Tagebuch am 17. August 2) vermerkt, eine Reisebeschreibung von einem Winkel seiner Stube bis zur Stubentür anzufertigen. Diese Arbeit hat er aufbewahrt; sie fand sich im Nachlaß, und ihr Abdruck rechtfertigt sich vieUeicht nicht allein, weü sie von der ungewöhnlichen sprachlichen Gewandtheit des Fünfzehn- jährigen Zeugnis ablegt, sondern auch, weil sie einen Anflug von Humor bekundet, der uns bei dem späteren LassaUe nur noch selten begegnet. Fünf andere Schulaufsätze entstammen einem deckeUosen Hefte, das sich ebenfaUs im Nachlaß vorfand. Es fehlt an äußeren Indizien, die einen sicheren Schluß gestatteten, bei welchem Lehrer in welchem Zeit- punkt sie verfaßt wurden. Im Sommer 1841 verheß Lassalle die Leipziger Handelsschule, und Ostern 1842 stellte er sich zum ersten Male zum Abiturientenexamen, bestand es aber erst Ostern 1843 bei emem zweiten Versuche. 3) Die Themata, die er in diesem Heft bearbeitet, stehen zu dem den Realien zugewandten Geist, der auf Handelsschulen herrscht, in völligem Widerspruch. Wir dürfen als gewiß annehmen, daß diese Auf sätze zwischenHerbst 1841 und Frühling 1843 entstanden sind, also etwa

1) Ferdinand LassaUes Tagebuch, herausgegeben von Paul I^indau, Breslau 1891, S. 179.

2) Ib. S. 187.

3) Vgl. hierzu Bd. I, Einführung S. igff.

Mayer, Lassalle-NachUss. VI

in I/assalles 17. Lebensjahre. Die Gegenstände, die er zu behandeln hatte, kamen seinen damaligen geistigen Interessen auf eine auffällige Weise entgegen : das bestärkt die Vermutung, daß sie von einem Lehrer gestellt wurden, der ihn privatim für das Reifeexamen vorbereitete und daß dieser eine Persönlichkeit war, die ihn und die Richtung seines Geistes genauer kannte. Die Randbemerkungen des Korrigierenden wurden bei dem Abdruck fortgelassen, weü sie heute kein Interesse mehr haben, nur von dem Endurteil des Lehrers gibt eine Anmerkung jedesmal Kunde.

Für die Psychologie des jungen Lassalle haben diese Aufsätze die Bedeutung, daß sie eine Brücke schlagen helfen von dem Tagebuch des Schülers zu den Briefen und Hterarischen Kundgebungen des Studenten, die der erste Band der Nachlaßausgabe sammelte und die der vorliegende Band vervollständigt. Wohl in jedem dieser Aufsätze werden dem Leser Stellen begegnen, die in die Gedanken- oder in die Gefühlswelt des Heran- wachsenden hineinleuchten und Keimpunkte künftiger Überzeugungen oder Leistungen freilegen.

Der erste Aufsatz behandelt das Thema: ,,W"ie konnten die Alten bei ihrem ausgebildeten Rechtsgefühl die Sklaverei dulden?" Wir beobachten hier, wie frei bereits damals der Jüngling der Religion seiner Väter gegenüberstand, so hoch er das Verdienst derer einschätzte, die den Kampf gegen die Vorurteüe aufnahmen, unter denen das Volk, dem er entstammte, zu leiden hatte. Wir bemerken schon hier, stärker freilich noch in dem nächsten Aufsatz, jene feste und freudige Ver- wurzelung seines Idealismus in dem Erdreich des klassischen Altertums, die in der Folge sein geistiges Wesen auf bedeutungsvolle Weise gestalten half. ]\Iit starken Akzenten betont er die Menschenunwürdigkeit der Sklaverei; dennoch bäumt er sich gegen diese soziale Institution nicht so elementar auf, wie wir es von dem künftigen Kämpfer für die Eman- zipation des Proletariats vielleicht erwartet hätten. Er sieht vorläufig nur die Gefahr, die der antiken Kultur gedroht haben würde, wenn die an Zahl den Freien weit überlegenen Sklaven plötzlich ihre Ketten ge- brochen hätten. Zu schroffe Übergänge das Wort ,, große" im Text ist ein lapsus calami bezeichnet er hier sogar als gefährlich, und so hätte er es damals nicht für erwünscht gehalten, daß der russische Mu- schik plötzlich und ohne Vorbereitung freigelassen worden wäre: ,,Wer bis heut Sklave gewesen ist, kann nicht auf einmal das göttliche Ge- schenk der Freiheit verstehen und würdigen."

Der zweite Aufsatz stellte die Frage: „Kann die Realbildung die klassische Bildung ersetzen?" Wie LassaUe sie beantworten wird, kann nach dem, was schon bekannt ist, nicht zweifelhaft sein. Wenn er auch als Kind des liberalen Geistes, der seine Generation erfüllte, den Bildungswert des ,, rohen Mittelalters" verkannte, so bekämpfte er doch

aucli den platten Utilitarismus des technischen Zeitalters, das sich da- mals vorzubereiten begann. Die Auffassung, ,,die Bildung bestehe nur in Kenntnissen, welche dem Menschen ein bestimmtes Auskommen sichern" will der begeisterte Verehrer des ihm unantastbaren Bildungs- ideals, das wir dem Griechentum verdanken, in keiner Weise gelten lassen. Es ist der ursprüngliche IdeaHsmus des JüngHngs, der alle dunkleren triebartigen Regungen siegreich durchbricht, dessen Stimme hier die Frage auf wirft, ob es wirklich des Menschen erste Pflicht sei, einen Krä- mer, Tischler oder ]\Iechanikus aus sich zu bilden, ob wirklich Essen und Trinken und all der Kot, der am lyeben drum und dran klebt, seine aller- erste Bestimmung ausmachen, oder ob es noch etwas Höheres gäbe, das ihn erst zum Menschen im wahren Sinne des Wortes werden lasse? Das begeisterte Bekenntnis , das der Handelsschüler seinem Vater ablegte, als ihm klar wurde, daß im Bereiche des Geistes sein eigentliches Wirkungsfeld liege, verbürgte uns bereits, daß er sich auch hier zu der Pflicht bekennen wird, ,, jenem Höheren, zu dem uns Gott bestimmt hat, nachzustreben". Er leugnet lücht die Bedeutung der Realien für die Ausbildung des Verstandes, er bestreitet nicht ihren praktischen Wert, aber er empfindet, daß sie Geist und Herz leer lassen. Er ist nicht ge- willt, die Geschichte und Philosophie der eigenen Zeit und die neueren Dichter, denen er zugetan ist, zugunsten der Antike herabzusetzen. Den- noch muß er gestehen, daß die ,, beschränkten Verhältnisse und Re- gierungsformen" seiner Tage vor der ktdturf ordernden Bedeutung ,,der bürgerlichen Verhältnisse und der Staatsfreiheit" Griechenlands weit zurückstehen müssen und daß die republikanische Staatsauffassung der antiken Polis größere Taten und größere Charaktere zu erzeugen ver- mochte als die Gegenwart. Wer sich nur etwas über das Gewöhnliche er- heben wolle zu dem Ergebnis gelangt Lassalle der könne klassische Bildung nicht entbehren. Selbst die antike Philosophie ist er geneigt, der modernen überzuordnen. Noch spricht er weder von Heraklit noch von Hegel. Doch Schelling und Fichte treten ihm zurück vor Sokrates und Piaton. Mit Recht weist er endend darauf hin, daß der große Aufstieg von Technik, Handel und Industrie, der seine Gegenwart charakteri- sierte, Männern zu danken sei, unter deren Bildungselementen das klassische nicht gefehlt habe, und auf eine Weise, die noch heute be- herzigenswert erscheint, warnt er davor, das Bildungsideal niederen Nützlichkeitserwägungen knechtbar zu machen.

In dem dritten Aufsatz stimmt Lassalle zum erstenmal das Lob des- jenigen unserer deutschen Klassiker an, der seiner streitbaren Natur am nächsten stand, und zu dessen Ehren er auch als reifer Mann wiederholt das Wort ergriffen hat. Er spricht hier bereits auf jünglinghafte Weise ähnliche Gedanken aus, wie hernach bei der Anzeige von Adolf Stahrs be-

kanntem biographischem Versuch. L e s s i n g steht für ihn in erster Reihe als der große und fruchtbare Kämpfer da, der Beschränktheit, Unduld- samkeit und Glaubenshaß nicht duldete, als der Dichter des ,, Nathan", der in Deutschland das Judentum aus der Verachtimg hervorzog und der es lehrte, den eigenen Wert besser zu kennen. Goethe, meint er, habe sein Genüge daran gefunden, für seine Person aufgeklärt zu sein, während es Lessing trieb, Aufklärung zu verbreiten, Freiheit des Geistes, des Denkens, des Redens zu erkämpfen. Wen verwundert es danach, daß der künftige Politiker, der begeisterte Liberale dem Verfasser desAntigötze den Vorzug gibt vor dem ,, Egoisten" Goethe, der sich ,,nur auf Literatur beschränkte". Doch auch die heraklitische Verachtung der Masse, die Lassalle bei Lessing feststellt, und dessen ,,tmgebundene Lebensweise" begeistern ihn, weil er in sich selbst verwandte Züge bemerken mochte, für diesen freien Mann, der weder der Masse schmeicheln, noch Fürsten- diener sein konnte. Erst künftige Geschlechter, ,,die eine Freiheit ge- nießen, die wir jetzt im Begriff sind zu erkämpfen", würden.fso verkündet er. Lessing nach seinem vollen Wert verehren.

Das Thema des vierten Aufsatzes: „Stoiker und Epikureer" führt unmittelbar an die Welt heran, aus der Lassalle sich hernach den Stoff für sein erstes großes Werk schöpfte, das ihn unter den Menschen berühmt machen sollte. Wofür entschied sich der Siebzehnjährige jetzt: für die Lebensregeln Zenos oder Epikurs? Diese Frage wird jeden spannen, der sich psychologisch für Lassalle interessiert. Die Forderung der Stoi- ker: ,, Ertragen und Dulden" erschien einer auf Handeln und Genießen gerichteten Natur wie der seinen wenig gemäß ; zum mindesten war sie ihm zu eng gefaßt. Wohl gestand er der stoischen Lehre größere Er- habenheit zu und die epikureische Metaphysik stieß ihn ab, weil sie ihm zu materialistisch war, aber der Ethik Epikurs gab er unbedenklich den Vorzug, unter der Bedingung freilich, daß man sie richtig auslegte und nicht so mißdeutete, wie es die spätere Zeit oft getan habe. Unemp- fänglich zu sein für Glück und Unglück der Mitmenschen, zu Stein zu erstarren statt aus vollem Herzen mitzufühlen, das widersprach dem Wesenskern des künftigen Anwalts gepeinigter Menschen und Vor- kämpfers unterdrückter Klassen. Der frühe wie der späte Lassalle war mit der Stoa darin einverstanden, daß das Glück nur zu finden wäre in der Übereinstimmung des Menschen mit sich selbst. Doch legte Gott nicht auch ein Herz in uns hinein, das gewohnt ist, Freude und Leid zu emp- finden, und kann man dieses Gefühl unterdrücken ohne Kampf? ,,Wo aber Kampf ist, da kann nicht von Ruhe und Übereinstimmung die Rede sein." Das Gefühl ist heilig, die kalte Pflicht wird es erst, wenn das Ge- fühl hinzutritt. Im Stoiker sieht der junge LassaUe den Verstandes- menschen, im Epikureer den Gefühlsmenschen. Mußte er sich für einen

von beiden entscheiden? Er will zwischen ihnen die Glitte halten; er wünscht in seinem öffentlichen Leben Stoiker, in seinem Privatleben Epikureer zu sein. Er ist weit entfernt, dem Epikureer darin Recht zu geben, daß er die Tugend nur als ein Mittel zum Zweck gelten lassen will, aber der lebenshungrige Siebzehnjährige erblickt doch ,,im weisen Genuß die größte Weisheit".

In dem fünften und letzten Aufsatz, den das Heft enthält, der das Thema ,,D er Vielwisser" behandelt, fesselt am stärksten das echte, beinahe stürmische Bekenntnis, mit dem es beginnt, zur Wissenschaft, die dem geistigen Menschen, der sie erfaßt habe, alles sei: ,, Zierde im Glück, Trost, Zuflucht im Unglück, Begleiter auf allen seinen Wegen, in allen seinen Verhältnissen."

Reisebeschreibung von meinem Lieblingswinkel bis zur Stubentür

(Original)

(Leipzig, August 1840.^)

Es war der erste Sonntag nach Ende der Schule. Ich saß in meinem Lieblingswinkel auf einem Stuhl und überlegte, wie ich die vier Wochen zubringen sollte, ohne eine Reise zu unternehmen. Aber obgleich ich nichts ausklügeln konnte, verließ mich meine fromme Zuversicht nicht, und ich dachte, der, der die Sperlinge auf dem Dache ihr Futter finden läßt, wird auch dich nicht vor Langweüe umkommen lassen. Langweile ! Das Wort schreckte mich von meinem Stuhl empor. Es gibt für mich nichts Gräßlicheres als die Langweile. Ich habe mich auf die Probe gesetzt und gefunden, daß ich alles, alles eher ertragen kann, als Langweile. Lieber Zorn, Schmerz, nur nicht Langweile und Ärger. Ärger ist eigent- lich weiter nichts als ein zurückgetretener Zorn, aber wie der zurück- getretene Schnupfen bei weitem der gefährlichste ist, so ist es auch mit dem Ärger. Er schleicht im stillen und unterminiert jede Freude. Der Zorn verschwindet wie der Dampf einer Lokomotive, doch der Ärger dauert fort. Und doch, wenn ich wählen müßte, ich ärgerte mich lieber fünf Stunden, als daß ich mich eine langweilte, und weit eher werde ich einem Menschen vergeben, der mich prügelte, als einem, der mir Langweile veriirsachte. Dies brachte in mir den festen Entschluß zu- stande, mich durchaus nicht zu langweilen, und wenn ich auch während der ganzen Ferienzeit nicht über die Weichbilde Leipzigs kommen soUte. Überdies fiel mir ein, daß Saphir 2) einmal gesagt oder geschrieben habe, seitdem die Eisenbahnen im Gang wären, sei die Reise keine ordentliche Reise mehr, sondern bloß die Reise von seiner Wohnung bis an den Bahnhof sei eine Reise. Das brachte mich auf die glorreiche Idee, daß

1) Ferdinand Lassalles Tagebuch, Breslau 1891, S. 187. 17. August: „Ich habe, weil ich keine Reise gemacht, eine Reisebeschreibung von einem Winkel meiner Stube bis zur Stubentür aufbekommen."

2) Moritz Gottlieb Saphir (1795 1858), der bekannte humoristische Schrift- steller.

ich ja eine Reise durch meine Stube machen könne; sofort beschloß ich auch, es in Ausführung zu bringen und von meinem Winkel, in dem ich mich eben befand, nach der Stubentür zu reisen. Und wieviel Vorzüge hat nicht eine solche Reise vor einer mit der Post. Man hängt nicht ab von der Willkür eines habsüchtigen Kondukteurs, man hat seine Glied- maßen nicht in die Hände eines betrunkenen Postillons gegeben, der jeden Augenblick umzuwerfen droht, es geht einem nicht, wie so man- chem Postreisenden, der in einem Wirtshaus angekommen ein Mittag- essen bestellt, bezahlt und eben, wenn er den ersten Löffel Suppe an den Mund bringt, von dem Signal abgerufen wird. Man braucht nicht alle halbe Quadratmeilen, wenn man das Gebiet eines deutschen Duodez- fürsten überschritten hat, seine Pässe visitieren zu lassen, und was der- gleichen Unannehmlichkeiten mehr sind. Während ich mich diesen Be- trachtungen hingab, war die Tür etwas aufgegangen, und der Wind, der hereinkam, unterhielt sich mit dem, der durch das offene Fenster in die Stube drang, sehr freundschaftlich. Bald fingen sie auch ein artiges Spielchen an und klappten abwechselnd Tür und Fenster mit einer solchen Heftigkeit zu, daß ich für meine teuern Scheiben zitterte. Ich sprang also schnell hinzu, um das Fenster zu schließen und den Winden ihr Vergnügen zu verderben, stieß dabei an den Tisch, dieser wankt, das Tintenfaß, das auf ihm steht, fällt, zerbricht, und der schwarze Strom ergießt sich über eine mathematische Arbeit, die ich abends zuvor verfertigt und aus Nachlässigkeit liegen gelassen hatte. Wem noch nie etwas Ähnliches passiert ist, der kann sich keinen Begriff machen von dem Ärger, den ich empfand. Ein dunkles Vorgefühl ließ mich ahnen, was ich noch alles heute würde erdulden müssen. Es wurde mir plötzlich klar, daß heute ein Unglückstag für mich wäre. Es gibt im Menschen- leben ganze Tage, wo einem alles, was man tut, mißlingt, wo man nur Ärger und Verdruß hat. Solche Tage geben schon früh ihre diabolische Beschaffenheit zu erkennen. Wenn man aus dem Bett springt, kann man den einen Pantoffel nicht finden, sodann fährt man mit dem rechten Arm in den linken Ärmel des Schlafrocks und dergleichen mehr ; an einem solchen Tage hüte man sich wohl, etwas Bedeutendes zu unternehmen. Man gehe nicht zu einem Gönner, um ein Gesuch anzubringen, denn man wird entweder den Mops treten oder eine Lieblingsvase zerbrechen.

Einen solchen Tag hatte ich neulich. Ich zog mich an und wollte auf die Polizei gehen, meine Aufenthaltskarte verlängern zu lassen. Als ich vor die Tür kam, bemerkte ich, daß ich bloß einen Handsclmh in der Hand habe. Ich ging hinauf und holte den zweiten. Ich war noch nicht weit gegangen, so fiel mir ein, daß ich meine Aufenthaltskarte vergessen habe. Mit lammesmäßiger Geduld begab ich mich auf den Rückweg und holte meine Karte. Kaum war ich die Treppe hinuntergekommen, so begegnete

mir mein Hausknecht und fragte mich, warum ich denn statt der ge- putzten die ungeputzten Stiefel angezogen hätte? So könne ich unmög- lich ausgehen, fügte er hinzu. Das war zuviel sogar für die Geduld eines Deutschen! Ich ging in meine Stube und beschloß zu Hause zu bleiben. Nachdem ich mich einige Stunden weidlich geärgert hatte, nahm ich eine arithmetische Arbeit, aber ich irrte mich ein über das andere Mal, und konnte zu keinem Resultat gelangen. Unwillig legte ich die Arbeit weg und woUte einen Brief nach Hause schreiben. Allein nachdem ich zwei Stunden dagesessen hatte, war außer der Anrede ,, Geliebter Vater" und einem großen Elecks nichts auf das Papier gekommen. Ich erkannte bald, daß ich für jede Arbeit untauglich war, und beschloß zu schlafen, aber sogar schlafen konnte ich nicht, und es blieb mir nichts übrig, als mich zu langweilen. In diesen Rückerinnerungen verloren, hatte ich vergessen, der schwarzen Flut, die sich indes auf dem ganzen Tisch ver- breitet, einen Damm entgegenzusetzen, und so tropfte es denn hinunter auf einige Weißwäsche, die ich mir tags zuvor zurechtgelegt hatte. Wie ich dies bemerke, mache ich, meine Wäsche der drohenden Gefahr zu entreißen, eine Gewaltanstrengung und lange mit den Armen über den Tisch hinüber. In diesem Augenblick ertönt es ,,ritz", ich halte ein, und siehe da, mein nagelneuer Rock, solcher Strapazen noch ungewohnt, ist geplatzt. Da hatte ich denn Stoff genug zu Betrachtungen. Innerhalb einiger Minuten war ohne alle Magie und auf die natürlichste Art von der Welt das Schwarze Meer in mein Zimmer versetzt, eine mathema- tische Arbeit total ruiniert, mein neuer Rock hatte einen Riß bekommen, und auch die Wäsche war von der fatalen Flüssigkeit ergriffen worden. Aber am meisten schmerzte mich mein Rock. Zwar rief ich mir zu, ein Rock sei doch nur ein Rock, und wenn Menschen sterben, so könne man nicht verlangen, daß ein Rock unvergänglich sei.

,,Trojas Mauern sind gefallen,

Sparta liegt in Asch und Staub,

In ein Nichts ist Babylon zerfallen,

Roma ward der Flammen Raub.

Es schwindet jede irdsche Macht und Größe,

Sobald sie erst das Herrlichste erreicht;

Was Wunder nun, daß sich auch eine kleine Blöße

In meines Rockes linkem Ärmel zeigt."

Aber ich konnte mich dennoch nicht so leicht zufrieden geben. Ich habe das mit vielen Menschen gemeinschaftlich, daß ich, solange mir nichts abgeht, mich zwar nicht im geringsten um Philosophie beküm- mere, wie mir aber irgend etwas mehr oder weniger Unangenehmes be- gegnet, mich ihr in die Arme werfe. Ich tröste mich dann gewöhnlich

über einen erlittenen Unfall mit allerlei Zitaten wie z. B. „Alles ist eitel" ,. Rosen auf den Weg gestreut und des Harms vergessen" und zwinge mich dadurch, wenn auch nicht zur Fröhlichkeit, doch zu einer Art von Gleichgültigkeit. Aber heut wollte es mir durchaus nicht gelingen. Ich suchte mich zu beschwichtigen, indem ich mir zurief, einmal wäre er doch zerrissen worden, der Unterschied bestände also bloß in der Zeit. Aber das eben schmerzte mich, daß mein Rock in seiner Blüte dahinge- schwunden, er hätte ja einen sanftseligen Tod aus Altersschwäche sterben können, wie das die Bestimmung der Röcke ist. Und mein Rock schien meinen Schmerz zu verstehen, er schien mir die Worte des jungen ster- benden dänischen Helden zuzurufen:

,,0 Vater, daß mich in der Jugendkraft Die Norne rafft!"

Und wenn ich nun die Augen erhob und auf die Wäsche sah! Wenn ich bedachte, was sie vorher gewesen, und was sie jetzt sei! Wie sie dalag ein Bild der gefallenen Unschuld. Vorher, so lieblich, so schnee- weiß, der Wäscherin Stolz!

„Doch mit des Geschickes Mächten, Ist kein ew'ger Bimd zu flechten. Und das Unglück schreitet schnell."

Und jetzt! Bedeckt mit schwarzen Flecken, ich mußte mich abwenden von dem traurigen Anblick. Ich wollte ausgehen, tun meinen Unmut in freier Luft verrauchen zu lassen. Ach! ich ahnte nicht, daß das Maß meines Unglücks noch nicht voll war. ^

Jetzt aber tut mir leid, daß ich nicht eine Topographie meiner Stube vorausgeschickt habe, weü dem Leser dadurch das Verständnis des Jetztkommenden erleichtert worden wäre, doch will ich es, soviel ich kann, gut machen. Um von meinem Standpunkt zur Tür zu gelangen, muß ich bei meiner Kommode vorbeikommen. Diese Kommode steht auf drei gesunden Beinen, das vierte aber ist abgebrochen und bloß leise imtergeschoben. Dieses Bein nun stieß ich im Vorbeigehen um, die Kommode, dadurch eines mächtigen Stützpunktes beraubt, wankt und fällt auf mich Unseligen, der ich sie nur durch das Aufbieten aller meiner Kräfte erhalten konnte. Soviel weiß ich gewiß, wenn der Himmel dem Riesen Atlas in einem Monat auch nur halb so viel braune und blaue Flecke gedrückt hätte, als mir die Kommode in der Minute, er würde sich hingeworfen und sich nach Opodeldok^) umgesehen haben. Auch ich bin egoistisch genug, mich meiner Kommode vorzuziehen, aber ich konnte

^) Lassalle schreibt: Apodeldoc. Gemeint ist natürüch das beliebte Volksheil- mittel zum Einreiben schmerzender Körperstelleu.

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mich nicht retten, denn wenn ich nachgelassen hätte, sie zu halten, so wäre sie auf meinen Fuß gefallen. Ich konnte also weiter nichts tun als Hilfe Schrein. Bald erschien auch ein rettender Engel in Gestalt meines Stubenmädchens, sie befreite mich von der süßen L,ast, wischte die Tinte weg, nahm die Wäsche mit und trug auch den Rock zum Schneider. Sie war schon lange weggegangen, ich aber stand noch immer gedankenvoll da, und dachte darüber nach, was mir alles auf meiner kurzen Reise passiert war. Mein Tintenfaß zerbrochen, eine Arbeit ruiniert, mein Rock zerrissen, meine Wäsche zugrunde gerichtet und zuletzt, um allem die Krone aufzusetzen, war an meinem ganzen Körper kein Fleck, der mich nicht schmerzte. Ich glaube, ich wäre um alles in der Welt nicht aus der Stube gegangen, denn ich war fest überzeugt, daß ich, wenn ich die Füße auch noch so vorsichtig setzte, dennoch die Treppe hinunterfallen würde. Vor dem Reisen aber hatte ich einen solchen Abscheu bekommen, daß ich, der ich früher so bedauert hatte, keine Reise unternehmen zu können, um keinen Preis der Welt auch nur nach Dresden gefahren wäre.

2.

Wie konnten die Alten bei ihrem ausgebildeten Rechts- gefühl die Sklaverei dulden?

(Original)

Unter die einseitigen Ansichten und Vorurteile, die die Völker des Altertums und sogar die gebildetsten unter ihnen hatten, gehört auch die aus ihrem Egoismus hervorgehende Vorstellung, die sich bei vielen von ihnen, wenn auch in anderer Beziehung findet, gerade das bevor- zugteste Geschlecht zu sein. So glaubten die Hebräer ein Monopol darauf zu haben, allein einst selig zu werden; sie nannten sich das von Gott auserlesene Volk ; sich allein bestimmten sie die Freuden des Paradieses, anderen gönnten sie den Platz in der Hölle, eine Idee, welche von der katholischen Kirche wie so vieles andere Törichte usurpiert, sich bis ins i6. Jahrhundert erhielt. Anders dachten sich den Gegensatz die Römer und Griechen. Sie hielten sich ebenfalls für das begünstigte Volk, aber in anderer Beziehung. Sie verachteten gleichsam alle übrigen Völker, sich hielten sie für die Herren, die Barbaren, wie z. B. die Hellenen alle Nichtgriechen nannten, für Leute aus weit schlechterem Stoff gemacht, für ihre Sklaven. Daher läßt es sich teilweise erklären, wie die Griechen und Römer, so gebildete Völker, einen so schimpflichen, die menschliche Würde so erniedrigenden Zustand, wie den der Sklaverei, dulden konn- ten: sah man doch noch in unserer Zeit, wie Völker, die durch die Christ-

^ II =

liehe Religion erleuchtet waren, durch die Verachtung einer anderen Menschenklasse und durch schändlichen Eigennutz bewogen, den nied- rigsten Sklavenhandel betrieben. Die Alten gingen in ihrer Gering- schätzung der übrigen Völker so weit, daß sie glaubten, jene fühlten die Schmach und das Entehrende der Sklaverei nicht so, als sie es würden. Und allerdings hatten sie darin nicht ganz Unrecht. Diejenigen, die sie im Kriege gefangen und dann zu ihren Sklaven gemacht hatten, die mochten freiHch den ganzen Unterschied so gut wie die Römer oder Griechen selbst fühlen, aber ihre Abkömmlinge, die in der Sklaverei er- zogen waren, für die konnte das Wort ,, Freiheit" nur ein leerer Begriff sein, ja sie wünschten sich dieselbe nicht einmal, und das war natürlich. Von ihren Herren bekamen sie Kleidung und Speise in hinreichender Menge; wären sie freigelassen worden, so wäre ihnen die Sorge ihrer Er- haltung selbst anheimgefallen, es war also nicht zu verlangen, daß sie so große materielle Vorteile einer Idee, die sie nicht begreifen koimten, opfern sollten, zumal da sich die meisten einer guten Behandlung er- freuten. Das sah man am deutlichsten bei den Hebräern. Bei ihnen be- stand das Gesetz, es jedem Sklaven nach sieben Jahren freistellen zu müssen, ob er frei werden oder noch sieben Jahre bei seinem Herrn bleiben woUe; in den meisten Fällen zogen sie es vor, ihrem Gebieter weiter zu dienen.

Aber hätten auch die Alten das Ungerechte der Sklaverei eingesehen und diesem Zustand durch Freilassung ihrer Sklaven ein Ende machen wollen, so wäre dies, wenn nicht fast unmögHch, so doch mit sehr großen Schwierigkeiten und Gefahr verbimden gewesen. Die Anzahl der Sklaven war weit bedeutender als die der Griechen oder Römer selbst, und, plötz- lich frei, hätten sie einen sehr schlimmen Gebrauch von einer mißver- standenen Freiheit machen können. Der Mensch muß zur Freiheit ge- boren und erzogen werden, sonst bleibt er entweder stumpfsinnig und unempfindlich für sie, oder er überschreitet gleich dem reißenden Tier, das seinen Käfig durchbrochen, jedes Maß und Ziel. Zu große Übergänge sind immer gefährlich. Wer bis heute Sklave gewesen ist, kann nicht auf einmal das göttliche Geschenk der Freiheit verstehen und würdigen. Wir sahen es an den unglücklichen Negersklaven, wir sehen es noch heute an den geknechteten russischen Leibeigenen. Sag ihm, du bist frei, frei wie ich selber, und er wird dich dumm anstieren, und dann übermütig werden und dir ins Gesicht schlagen. Aber schlag ihn, aber tritt ihn, und er wird sich an dich schmiegen und sagen ,,Herr"! Das wußten die Griechen und deswegen drangen auch diejenigen, die die Sklaverei viel- leicht aus dem richtigen Gesichtspunkt betrachteten, nie auf Abschaffung derselben. Der Hauptgrund aber, der es erklärt, wie sie, die selbst die Freiheit so überaus hochachteten, Sklaven halten konnten, mag in ihrer

12 ^zi:

beschränkten Meinung von Religion liegen. Daß sie damit der Gottheit selbst zu nahe träten, wenn sie eins seiner [sie!] Geschöpf [e], einen Men- schen, aus der Sphäre reißen, die er ihm angewiesen, und ihn mit Gewalt in eine andere drücken, das begriffen sie nicht, höchstens sahen sie, daß dem Menschen selbst damit ein Unrecht geschehe, aber die Sünde, die sie damit begingen, das Unmoralische in ihrer Handlungsweise, konnten sie nicht einsehen.

Um so mehr aber ist es anzuerkennen, daß, obgleich ihre Begriffe in dieser Beziehung beschränkt waren und die Gesetze dem Herrn völlige Macht über seine Sklaven gaben, dennoch bei Griechen und Römern es jene unglückliche Menschenklasse selten schlecht hatte, ihre Behandlung in den meisten Fällen leutselig war, und sich wenigstens nie Beispiele von jener Grausamkeit fanden, zu der sich in neuerer und neuester Zeit christliche Völker durch ihre Habsucht verleiten ließen, i)

Kann die Realbildung die klassische Bildung ersetzen?

(Original)

In der Mitte des 14. Jahrhunderts fing man zuerst bei uns an, die Schriften der Alten zu lesen. Der eigentümliche Geist, der sich in diesen Schriften aussprach, das Ausgezeichnete, das sie in jeder Beziehung ent- hielten, bewirkten, daß man sich eifrig mit ihnen beschäftigte, und bald bestand jede Büdung darin, sich mit den IDassikem der Griechen und Römer bekannt zu machen. Eine eigene I^iteratur hatten wir nicht, eben- sowenig eigene Historiker, es waren also die Geschichtschreiber der Alten und vorzüglich ihre Dichter und Redner, die man studierte. So erhielt sich das Studium der Griechen und Römer ganz ausschheßlich bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts. Da zuerst begann man, auf neuere, zu gleicher Zeit lebende Dichter aufmerksam zu werden. Man las die französischen Dichter, Moliere, Corneille, Racine, und auf der deutschen Bühne fing sogar der steife Ton des französischen Dramas an herrschend zu werden. Von noch größerer Wichtigkeit war die Bekannt- schaft mit den Engländern, und neben Euripides, Sophokles und Homer las man eifrig den Shakespeare. Als nun die neue I^iteratur sich immer mehr und mehr in jeder Beziehung ausbildete, und unter jedem Volk große Männer aufstanden, welche die Sprache auf eine zuvor nie geahnte Höhe brachten und Dichterwerke schufen, die mit den ausgezeichnetsten

^) Das Urteil des Lehrers lautete: Im ganzen zu loben; doch ist der letzte Teil (beschränkte, rehgiöse Ansichten) zu wenig ausgeführt.

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Sachen der Alten wetteifern konnten, da fing man an zu behaupten, daß man auch ohne Kenntnis der Alten bestehen könne, indem die Neueren sie vöUig ersetzten. Die Griechen und Römer nannte man Klassiker; im Gegensatz zu ihnen büdete sich eine Schule, die man die romantische nannte, und die es zum Zweck hatte, alte Bildung entbehrlich zu machen. Sie besang nicht die erhabenen Taten der Römer, nicht die heitern Hellaskinder, sondern das rohe Mittelalter mit seinen abenteuerlichen Institutionen, sie nahm ihren Stoff nicht mehr aus der heitern imd fröh- lichen Götterlehre der Griechen und Römer, sondern beschwor das schau- rige Gespenst des Katholizismus wieder herauf mit seiner Lehre von Qual und Entsagung.

„Und der eitle, der üppige Reiz entwich.

Der die frohe Jugendwelt zierte,

Der Mönch und die Nonne zergeißelten sich

Und der eiserne Ritter turnierte.

Doch war das Leben auch finster und wild,

So blieb doch die Liebe lieblich imd müd."

Aber die romantische Schule bildete nur eine Übergangsperiode. IVIit der Erfindung der Eisenbahnen und dem ungeheuren Fortschritte, welche die Welt im Technischen machte, kam die Idee auf, die Büdung bestehe nur in den Kenntnissen, welche dem Menschen ein bestimmtes Aus- kommen sichern. Neuere Schriftsteller zu lesen, wenn es auch nicht gar so arg sei, als Klassiker zu studieren, sei mindestens unnütz. Eine solche Bildung aber, wie sie nach ihren Begriffen erforderlich ist, nennen sie, weil sie nur Reales bezweckt, Realbildung. Wenn man nun entscheiden will, ob diese Realbildung jene alte klassische auch ersetzen könne, so stellt sich zuerst die Frage auf, ob es wirklich des Menschen erste Pflicht ist, einen Krämer, Tischler oder Mechanikus aus sich zu bilden, ob wirk- lich Essen und Trinken und all der Kot, der am Leben drum und dran klebt, seine allererste Bestimmung ausmacht, oder ob es noch etwas Höheres gibt, das ihn erst zum INIenschen im wahren Sinn des Wortes macht.

Wenn wir überzeugt sind, daß dies letztere der Fall ist, so wird jeder leicht einsehen, daß es Pflicht ist, jenem Höheren, zu dem uns Gott be- stimmt hat, nachzustreben, aber nicht, daß wir um kleinlicher, wenn auch notwendiger Sorgen willen jene größere für unsere Ausbildung vernach- lässigen. Durch kein Studium aber bilden wir Herz und Geist in höherem Grade aus, als durch das der Alten. Es ist wahr, Mathematik, Natxir- wissenschaft, Mechanik, Chemie, sie sind uns nützlich fürs praktische Leben, sie schärfen auch den Verstand, aber sie lassen Geist und Herz leer. Es ist wahr, die neueren Dichter sind ebenfalls herrlich, die neuere

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Gescliichte berührt uns weit mehr und stehen beide uns noch viel näher, sind uns leichter verständlich, und erfordern nicht wie jene ein Sprach- studium von vielen Jahren, aber wenn die Mühe geringer ist, so ist auch der Erfolg nicht derselbe. Schon die Institutionen des Altertums, das öffentliche und Privatleben, die bürgerlichen Verhältnisse und die Staats- freiheit begünstigten Dichter, Geschichtschreiber, Philosophen und Red- ner, so daß sich alle Talente ganz anders entwickeln konnten, als es bei unsern beschränkten Verhältnissen und Regierungsformen der Fall sein kann.

Wenn wir das Altertum näher kennen lernen, so finden wir nicht nur in den Werken seiner Dichter, nein, selbst in seinem gewöhnlichen Deben eine Poesie, die uns so entzückt, wenn wir sie mit dem Prosaischen unse- rer Tage vergleichen. Diese Poesie war teils, wie schon erwähnt wurde, eine Folge ihrer Einrichtungen, teils ihrer Götterlehre, die jedem toten Gegenstand höheres Leben verlieh.

Schön schüdert Schiller den dichterischen Geist, der die ganze Natur im Altertum durchwehte:

,, Jener Lorbeer wand sich einst um Hilfe, Tantals Tochter schweigt in diesem Stein, Syrinx' Klage tönt' aus jenem Schilfe, Phüomelas Schmerz aus diesem Hain. Jener Bach empfing Demeters Zähre, Die sie um Persephonen geweint, Und von diesem Hügel rief Cythere Ach, umsonst! den schönen Freund I"^)

Ebenso bekannt ist es, daß republikanische Staatsverfassungen Gelegen- heit zu großen Taten geben und große Männer bilden. In keiner neueren Geschichte finden sich weder größere Taten, noch größere Charaktere,, als in der alten. Und abgerechnet davon, daß die Alten größer waren, als wir, so waren sie auch besser, edler. Sie kannten viele Tugenden nicht ihrer in einigen Beziehungen beschränkten Ansichten wegen, aber was sie für gut und schön anerkannten, daran hielten sie auch fest, fester als wir heutzutage an unseren Überzeugungen halten.

Derselbe Dichter sagt von ihnen in einem Gedicht an seine Freunde :

^) Lassalle, der zu allen Zeiten ungenau zitierte, tat es auch schon in diesem Schulautsatz. In diesem Vers aus den , .Göttern Griechenlands" hat der Herausgeber kleine Ungenauigkeiten stillschweigend verbessert und die Schillersche Interpimktion hergestellt. Das erwies sich als unmöghch in dem folgenden Vers aus „An die Freunde", weil der Verfasser dort ganze Worte änderte und eine Zeile fortließ.

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„lyieben Freunde, es gab bessre^) Zeiten Als die unsern das ist nicht zu streiten! Und ein edler Volk hat einst gelebt. Würde 2) die Geschichte davon schweigen, Tausend Steine würden davon ^) redend zeugen, Die man aus dem Schoß der Erde gräbt. Doch es ist dahin, es ist verschwunden Dieses hochbegünstigte Geschlecht. Unser, unser sind die Stunden Und der Labende hat Recht."

Aber wenn wir auch zugeben, daß klassische Bildung einem entbehrlich sei, der nie, weder in der Tat, noch in der Idee heraustritt aus den unter- sten Kreisen des Lebens, so steht doch fest, daß sie jedem notwendig ist, der sich nur etwas über das Gewöhnliche erheben will.

Wer die Gegenwart richtig auffassen will, der kann dies nur, wenn ihm die Geschichte der Vergangenheit klar ist. Wer die Bestrebungen der Jetztzeit richtig beurteilen will, muß die Leistungen einer früheren Zeit kennen. Überdies ist für die Jugend keine Bildung vorteilhafter als die klassische. Sie macht ihn [sie!] besser, edler. Wenn er die Taten der Helden des Altertums, von seinen unsterblichen Dichtern besungen, liest, so rötet sich seine Wange, seine Pulse schlagen ungestümer, er gelobt sich in seinem Innern, jenen Heroen nachzueifern. Der Tod der Dreihundert bei Thermopylae lehrt ihn begreifen, was das heißt: Vaterland. Und liest er die einfachen, erhabenen Worte, dann lernt er, daß wahres Ver- dienst stets mit Bescheidenheit sich eint, dann lernt er, besser als jede Moralpredigt es bewirken könnte, selbst bescheiden sein. Er hört die Tat des Virginius ; Staunen ergreift ihn, aber mit fevu-igen Buchstaben gräbt sich die Lehre seinem Innern ein: Der Tod ist besser als die Schande.

Aber die Prozentrechnung und die Feldmeßkunst und die Lehre vom Maschinenbau, abgerechnet davon, daß man mit ihnen Handel treiben kann, bilden sie das Herz, den Geist des Jünglings aus? bilden sie ihn selbst zum Mensch, der fühlen kann? Höchstens bilden sie seinen Ver- stand, schärfen sie seine Berechnungsgabe, aber durch und durch nur Materielles bezweckend wirken sie nicht ein auf Gemüt und Empfin- dung. Sogar das Studium unserer Geschichte mit ihren großen Männern und großen Taten macht nicht den Eindruck atif ihn, als das jener längst verflossenen Zeit. Mit jedem Jahrhundert, das sich zwischen

^) Bei Schiller: schönre. 2) Bei Schiller: konnte.

') Dieses Wort hat Lassalle eingeschoben, ohne zu merken, wie gründlich er Schillers Rhythmus dadurch verdirbt!

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ihm und jenen Helden des Altertums legt, wird der Nimbus vermehrt, der sie umgibt, in desto höherem Lichte erscheinen sie ihm. Welch anderen Begriff macht er sich von Sokrates und Plato, als von Fichte und Schel- ling, wie anders stellt er sich Homer vor als einen Dichter der Jetztzeit. Der beste Beweis aber, von welchem Nutzen eine klassische Bildung ist, mag in der Erfahrung liegen. Man braucht hier keine Vermutungen aufzustehen, man kann Tatsachen reden lassen. Bis jetzt wurde die Jugend, oder wenigstens der größte Teil derselben, mit dem Altertum vertraut gemacht, und man sah die Folgen davon. Die Welt hat die un- geheuersten Fortschritte in jeder Beziehung gemacht. Wir hatten die größten Philosophen, Staatsmänner, Dichter, und dabei wurde jenes andere keineswegs vernachlässigt. Der Handel und die Industrie ent- wickelten sich blühender als je, Mechanik, Chemie, alle Fabrikationen erreichten eine Höhe, von der man früher keine Ahnung hatte. Reiche Kaufleute selbst beförderten Künste und Wissenschaften; der Fort- schritt äußerte sich in jeder Beziehimg. Wenn man aber dem Menschen schon bei der Erziehung jedes Element nimmt, das ihm eine höhere, geistige Idee erwecken, das ihm einen Begriff von der Poesie des I/Cbens geben könnte, wenn man schon dem Jüngling, dessen schönste Tugend edle Uneigennützigkeit ist, [den eigenen Vorteü] ^) zum Gott aufstellt, wenn man ihm lehrt, nichts zu tun, selbst nichts zu lernen, woraus er nicht einst Nutzen zu ziehen hofft, so würden wir bald eine Welt, zwar voll von feinberechnenden Kaufleuten, aber auch voll des schändhchsten Egoismus, der unerträglichsten Gemeinheit sehen, eine Welt, der jedes geistige Prinzip fehlte, und vor der sogar der prosaischste, eigen- nützigste und kaufmännischste Mann der Wirklichkeit unserer Tage zurückschaudern dürfte.^)

^) Einschiebung des Lehrers, aber offenbar von Lassalle ähnHch beabsich- tigt und aus Flüchtigkeit fortgelassen.

2) Das Urteil des Lehrers lautete: Recht gut; doch war bei den Empfehlungen der klassischen Bildung vor den Abwegen, auf die eine falsche Methode in dem Jugendunterricht leicht führt (auf der einen Seite Oberflächlichkeit; ästhetisches Geschwätz, unreife politische Ansichten, Freiheitsschwindel, auf der anderen Pedanterie, Wortklauberei, grammatische Spitzfindigkeiten), zu warnen. Zuletzt sollte gezeigt werden, wie eine Versölmimg beider Richtungen mögUch sei. Die Sprache ist im ganzen lebhaft, fließend und gewandt, doch nicht frei von kleinen Nachlässigkeiten.

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4-

Stoiker oder Epikureer

(Original.)

Perfer et obdura.

Stoid.

Carpe momentum et linque severa. Horaz, Üb. II.

Wenn wir bei der Entwicklungsgeschichte der meisten Völker sehen, wie sich die verschiedenen Richtungen, von Verschiedenen ausgegangen, bei ihrer Ausbildung einander immer mehr und mehr nähern und sich endHch gänzlich vereinigen, so nehmen wir bei den Griechen beinahe die umgekehrte Erscheinung wahr. Wie aus dem Kroniden das ganze zahl- lose Göttergeschlecht entsprang, so führen alle Richtungen griechischer Philosophie ihren Ursprung auf Sokrates zurück.^) Von ihm gingen aus die Akademiker und Peripatetiker, von ihm die Platoniker imd Aristoteli- ker, jene beiden Schulen, die den Inbegriff griechischer Kunst und grie- chischen Wissens ausmachen. Wenn diese Philosophen sich nui verschie- denen Meinungen über die ersten Ursachen und Anfänge der Dinge hingaben, so entstanden damals zwei Schulen, die, indem sie aus der Theorie die Praxis ableiteten, ihre Philosophie zu einer I^ebensweisheit machten, und daher einen bei weitem schrofferen Gegensatz gegenein- ander bildeten, ich meine die Stoiker und Epikureer.

Die Stoiker von Zeno 230 v. Chr. Geburt gestiftet, traten dem damals immer mehr um sich greifenden Skeptizismus entgegen. Ihre Lehre, die größtenteils aus Ethik bestand, beruhte avd streng sittlichen Grund- sätzen und erkannte die Tugend für das einzige Gut an; ebenso war das Laster ihnen das einzig Schlimme, alles andere aber gleichgültig, oder nur relativ annehmlich oder unannehmlich; die Tugend aber, er- klärten sie, sei die vollkommenste über die Affekte der Lust und Unlust erhabene Übereinstimmung des Menschen mit sich selbst, sie gebe dem Weisen eine Herrschaft über seinen Körper, die ihm sogar den Selbst- mord erlaube, sie müsse völlig unabhängig von Lohn und Strafe nur um ihrer selbst willen geübt werden; erlangt aber werde sie nur durch eine vollkommene Herrschaft über moralische wie physische Empfindimgen. Die Tugend erschien ihnen also vorherrschend unter dem Charakter der Entbehrung und Aufopferung; sinnliche Genüsse mußten ihnen fern bleiben, ja sogar die erlaubten versagten sie sich streng, bis dann endlich aus dem Stoiker der Zyniker wurde, der es sich zur Aufgabe machte. alle menschliche Sitte und Anstand in einen fast tierischen Zustand zu

^) Hierzu machte der Lehrer kritische Anmerkxingen.

Mayer, Lassa!U-NV,chl.iss. VI

=:. l8 =.

verkehren.^) Nur der Tugendhafte war nach ihrer Ansicht glücklich und nur der Weise tugendhaft. Ihre Grundsätze sprachen sie in mehreren oft paradox klingenden Sentenzen aus, wie z. B.: öu juövoz 6 oorpög iÄsvdi'Qoc; Kai Trag äq)QCüOv öovAOg, öti juövov äyadöv uaköv, öri avrdgyjig ?} dgen) JiQog evdaijuoviav, ort jnävog 6 oocfdg TiÄovOiog etc. 2J~

Fast Entgegengesetztes lehrten und bezweckten die Epikureer, welche fast um dieselbe Zeit wie die Stoiker von Epiktu, in Athen gestiftet wurden. Auch von seiner Philosophie machten, wie von der stoischen, IvOgik und Physik einen kleineren Teil aus als die Ethik. Er lehrte, das Wohlsein sei das höchste Gut, aber nicht etwa ein sinnliches, auch auf dem Wege des Lasters flüchtig zu erlangendes, sondern ein geistiges, das in der Freiheit der Seele von Schmerz und Unruhe bestehe. Auch er stellte die Tugend am höchsten, aber nicht wie die Stoiker ihrer selbst wegen, sondern weil er behauptete, daß Laster mit dem Wohlbefinden unvereinbar und ohne Tugend kein Glück denkbar sei. Er empfahl daher Weisheit, Mäßigung, Entfernung von Staatsgeschäften, Friedfertigkeit, Nachsicht mit den Schwächen der Menschen, Festigkeit der Seele; aber auch Genuß erlaubter Vergnügungen, Frohsinn und vor allem Schmerz- losigkeit, wie überhaupt das Glück, seiner Vorstellung nach, mehr in einem Fernsein von jedem störenden Eindruck, von jedem Schmerz, jeder Unbequemlichkeit bestand, und also mehr ein negatives war. Wie wir nun sahen, daß aus den Stoikern die Zyniker hervorgingen, so ver- fielen auch manche Anhänger des Epikur, indem sie seine Lehre miß- deuteten, in einen unsittlichen wollüstigen Lebenswandel, und dies war so oft der Fall, daß endlich die Bedeutung des Wortes „Epikureer" ihren ursprünglichen Sinn verlor und zuletzt Menschen bezeichnete, die einer verfeinerten Wollust ergeben sind.

Vergleicht man aber die reine Lehre des Epikurs mit der Zenos, so ist es in der Tat schwer zu entscheiden, welche höher als die andere zu stellen sei. Beide Lehren haben wechselweis voreinander Vorzüge. Die stoische ist reiner, erhabener, auch ihre Idee von Gott, der Seele usw. ist richtiger und nähert sich schon weit mehr dem Geiste des Christentums, woher auch die ungegründete Vermutung stammt, daß die Ideen der späteren Stoiker, Seneca, Epiktet, Marc Aurel die Frucht eines gehei- men Verkehrs mit den Christen gewesen seien. Auch in ihrem Sitten- gesetz, in welchem sie den Menschen verpflichten, nach göttlicher Voll- kommenheit zu streben, spricht sich ein Geist aus, der der Idee eines

1) Der Lehrer merkte hier an: Die Z^miker sind älter als die Stoiker.

2) Zu deutsch: daß allein der Weise frei und jeder Unvernünftige ein Sklave, daß niu: das Gute schön sei, daß die Tugend zum Glück ausreiche, daß allein der Weise reich sei usw.

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einzigen Gottes näher ist, ebenso darin, daß sie die Tugend für das Höchste und ihren eigenen letzten Zweck erklären; wogegen die Epiku- reer sie nur für das Mittel zum Glück betrachten. Überhaupt ist die ganze I^ehre des Epikurs materialistischer, auch wird ihre Idee von der Ent- stehung der Welt diuch zwei Atome, die durch eine zufällige Abweichung von ihrer Bahn sich verbanden, mit Recht des Materialismus und Atheis- mus beschuldigt. Was aber seine Ethik betrifft, so scheint mir diese die richtigere zu sein. Der Stoiker wurde dadiurch, daß er die Gefühle der lyust wie der Unlust unterdrücken zu müssen glaubte, zuletzt völlig ge- fühllos, anfangs nur gegen Körperschmerzen oder gegen Gefühle der Seele, die der Pflicht zuwiderhefen (und hieraus entstanden wirklich herrliche Taten, wie die des Scaevola und des M. J. Brutus, der seine Pflicht nicht verletzen wollte, sogar nicht um seine Söhne zu erretten, i) dann aber auch gegen alles, was die Seele affiziert, so daß sie, unempfäng- lich für Glück und Unglück ihrer Nebenmenschen, zu Stein wurden, an- statt das Herz, das uns Gott gegeben, fühlend zu erhalten. Richtiger, sagte ich, scheint mir die Lebensweisheit der Epikureer zu sein. Denn warum sich nicht freuen, da die Nattu, da alles zur Freude aiif fordert? Warum nicht, wie Horaz sagt, den Augenblick genießen und das Trau- rige lassen? Wozu das ewige ,,perferre und obdurare", das wohl im Un- glück ein guter Ausspruch ist, das aber wegfallen muß und soll, sobald man seine Pflicht erfüllen und dennoch glücklich sein und sich freuen kann. Wohl! im Unglück, das uns Gott und die Verhältnisse schicken, da sagen wir uns: durate, daiure aus, aber es unterstützt uns dabei der Gedanke: „et vosmet rebus servate secundis.^) Warum uns aber dann auch die gehofften Tage des Glücks diurch eigenen Vorsatz verbittern, durch falsche Begriffe, die wir uns aufstellen, von der Würde und Be- stinxmung des Menschen? Allerdings hatten die Stoiker recht, wenn sie das Glück nur in der Übereinstimmung des Menschen mit sich selbst finden, aber diese Übereinstimmung wird nimmer auf dem Wege erlangt, auf dem sie die Stoiker suchen. Denn was heißt Übereinstimmung mit sich selbst? Innere Zufriedenheit, jener glückliche Seelenzustand, in dem der Mensch sich sagt, er habe so und nicht anders handeln können. Gott legte aber ein Herz in uns hinein, das gewohnt ist, Freude und Leid zu empfinden, zu weinen xmd zu lachen. Dieses Gefühl nun kann nicht ohne Kampf unterdrückt werden, wo aber Kampf ist, da kann nicht von Ruhe und ü"bereinstimmung die Rede sein. Und ferner sollen wir fühlen, das ist unsere Bestimmung. Das Gefühl ist heüig und geht sogar oft über die Pflicht, weit über die kalte Pflicht ; denn ehe wir noch Bürger eines Staates oder Beamte oder sonst irgend etwas waren, waren wir Menschen,

1) Der Lehrer bemerkte hierzu: Stoiker vor Zeno?

2) Hier wie oftmals läßt Lassalle das zweite Anführungszeichen fort.

und daher sollen wir vor allem menschlich sein und fühlen. Ganz heilig werden unsere Pflichten erst dann, wenn das Gefühl hinzutritt, wie das mit der Pflicht gegen unsere Eltern der Fall ist. Wiederum kann aber mit Recht eingewendet werden, daß der Mensch, der nur den augenblick- lichen Eindrücken seines Gefühles folgt, in die bedauernswürdigsten Irrtümer verfallen würde. Darum müssen wir uns bestreben, Gefühl und Verstand zu vereinigen. Aristoteles hat einmal die Tugend definiert, sie sei der Mittelpunkt zwischen zwei entgegengesetzten Fehlern, und er kann mit dieser negativen Erklärung mehr Recht haben, als es für den ersten Augenblick scheinen mag. Auf gleiche Weise möchte ich die Mitte zu halten suchen zwischen Verstands- und Gefühlsmenschen, und, wenn wir diesen Begriff ausdehnen und erweitern, zwischen Stoiker und Epi- kureer. Daher dürfte mir die Ethik Epikurs, wenn ich sie durch einige richtigere Grundsätze und Ansichten der Stoiker, wie z. B. die, daß die Tugend nicht Mittel sondern Zweck sei, veredelt hätte, am wünschens- wertesten erscheinen, daher möchte ich in meinem öffentlichen Leben Stoiker, in meinem Privatleben Epikureer sein, im Unglück ausharren und dulden, im Glücke aber, weil ich weiß, wie nah stets das Unglück ist und wie der Unglückliche nur aufrecht gehalten wird dvurch das Glück, das er schon genossen und durch das, welches er noch von der Zukunft hofft, und, weil ich glaube, daß in weisem Genuß die größte Weisheit besteht, den Augenblick genießen und mit Anacreon singen:

To arjjuegov ueXel juor

d' avgiov, rig olöev;

ög ow ^x EvbC EOnv,

uai JtiVE Kai nüßsvE

Kai OTTEVÖE Äuako}) -)

5-

Ansprache an Lessings Geburtstag

Liebe Freunde! Es ist ein schöner, erhabener Tag, den wir heut ^) feiern ; denn welcher Tag könnte schöner sein, als jener, der einen Mann gebar, dessen Strahlen

^) Zu deutsch: ,,Um das Heute kümmere ich mich, das Morgen wer kennt es? Solange alles gut geht, trinke, würfle und bringe dem Lyaios Trankopfer dar." Der Vers ist übrigens nicht von Anakreon, sondern eine Imitation aus der römischen Kaiserzeit.

~) Der Lehrer urteilte: Bis auf die Einleitung und manche Anachronismen entstanden aus Unkenntnis der Geschichte der griechischen Philosophie, zu loben.

^) Das Thema war Lassalle vermutlich zum 22. Januar 1842 (oder auch 1843) aufgegeben.

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eine Welt erleuchteten? Und wenn er auch nicht mehr unter uns weilt, wenn er auch lange schon dahin geschieden ist, so umschwebt sein Geist uns doch immerdar, und ewig wird sein Name leben. Ja Freunde, wenn ein Name sich erhalten wird in dem Wechsel der Zeiten, wenn ein Name leben wird in dem Munde späterer Jahrhunderte, so ist es der Name ,,Ivessing". In dem Namen I^essings verkörpert sich die Idee alles Großen, aUes Erhabenen; in dem Namen Lessings malt sich der Kampf für aUes Edle und Zeitgemäße, für die Freiheit in jeder Beziehung. Der Name I^essing bedeutet uns: Menschenbildung, Menschenliebe, Auf- klärung, Gewissensfreiheit, Kampf gegen Unduldsamkeit, Religions- haß, Geistesdruck. Wenn ein Mann sich ein Denkmal gesetzt hat für ewige Zeiten, wenn ein Mann sich ein Recht erworben hat auf die Dank- barkeit aller kommenden Geschlechter, so ist es I,essing! Dem Vorurteil, der Böswilligkeit der Toren hat er Trotz geboten, uneigennützig hat er nur das Gute bezweckt und es ausgeführt. Und hatte er auch einen harten Kampf gegen die Finsternis und die Torheit, gegen die Macht der Vor- urteile, so ermüdete er doch nie, und seine Stimme, die Stimme der Wahrheit drang durch. In jeder Beziehung steht uns unübertroffen groß ]>ssing da.

Er zuerst führte mit gewaltigem Arm das haarscharfe, gewaltige Schwert der Kritik, er zuerst griff mit seiner beißenden Satyre das Un- wesen an, das deutsche Kunst und Wissenschaft damals gefesselt hielt, er zuerst geißelte erbarmungslos, aber gerecht die Mißbräuche, die sich in die deutsche lyiteratur eingeschlichen, er zuerst trat auf gegen die Sucht, die sich damals unserer bemächtigt hatte, die Franzosen, die doch wieder nur eine schlechte Kopie der Griechen waren, nachzuahmen und führte uns zu der Quelle selbst, den Alten.

Aber er eiferte nicht nur gegen das Schlechte, er riß nicht nur nieder, er baute auch auf, er schuf auch selbst Herrliches. Sein Genie war nicht nur ein negatives, es war auch positiv. Statt der Abgeschmacktheiten, die er verwarf und durch die Macht seines Wortes vernichtete, stellte er uns in seinen eigenen Werken herrliche Muster auf zur Nachbildung. Lessing ist der Schöpfer der neuen deutschen Bühne. In ,, Nathan dem Weisen" und „Emilia Galotti" zeigt er die Bahn, die das deutsche Drama betreten solle, durch seine „Minna von Barnhelm" schuf er ein deutsches OriginaUustspiel. In seinen dramaturgischen Blättern legte er einen Schatz von Theaterkenntnissen nieder, die uns um so mehr in Erstaunen setzen müssen, wenn v/ir die damalige Zeit und den niederen Standpunkt, auf dem sich deutsches Bühnenwesen befand, in Anschlag bringen. Durch das Studium seiner W>rke gelang es späteren Schau- spielern, die Kunst auf eine Höhe zu bringen, von der man früher keinen Begriff hatte. Für die Kunst gab Lessing seinen Laokoon heraus.

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Was ihn aber auf gleiche Weise ziert, wie seine übrigen Verdienste zusammengenommen, das ist sein unermüdliches eifriges Streben und Kämpfen für Aufklärung und lyicht. Er schrieb seinen Nathan! Die Welt, in den Banden der Finsternis eng gehalten, wurde mit Staunen er- füllt über die Tat des Giganten, und fiel dann mit Wut über ihn, der größer war, als sie. Doch er wandelte ruhig, trotz der unzähligen An- feindungen, unaufgehalten seinen Riesenschritt fort. Er war der Erste, der zu einer Zeit, wo Glaubenshaß, Unduldsamkeit, Verfolgung die Lehre der Priester, das Gesetz der Könige war, es laut auszusprechen wagte: ,, Gleich vor Gott sind alle Religionen und ihre Bekenner: Christ, Jude oder Heide. Unsere Taten bestimmen unseren Wert, nicht unser Glaube." Das Gleichnis in seinem herrlichsten Meisterstück „Nathan dem Weisen" bereicherte die Welt um eine neue Idee. Und drang sie auch nicht sogleich durch, ist sie auch heut noch nicht völlig anerkannt, so breitet sie sich doch von Tag zu Tag mehr aus, und trägt zuletzt den Sieg davon wie jedes wahrhaft Gute. Tief schuldet ihm dafür Deutschland, tief jenes Volk, das er aus der Verachtung emporzog, dem er im Verein mit treff- lichen Freunden seinen eigenen Wert erst kennen lehrte.

Folgen wir dem großen ]Mann aus seinem öffentlichen Wirkungskreis in sein Privatleben, so erkennen wir ihn wieder, Zug für Zug. Liebens- würdig, heiter, jovial, war er, ein zweiter Anacreon, ein Verehrer der Liebe und des Weins. Auch in seinem Privatleben finden Vv-ir wieder seine Geringschätzung der Menge und ihrer philisterhaften Ansichten, auch hier erhob er sich durch die Ungebundenheit seiner Lebensweise über den Haufen. Vor allem liebte er Unabhängigkeit, nie konnte er den Großen schmeicheln, nie Fürstendiener sein. War er ermüdet von den Kämpfen des Tages, so ruhte er dann in den Armen seines Mendelssohn aus, mit dem die innigste Freundschaft [ihn] vereinte; aber nie hielt diese Ermüdung ihn ab, von neuem für den Fortschritt zu kämpfen. So war dieser große Mann, dessen segensvolles Wirken einer W^elt zum Nutzen gereichte. Keinen Größeren als ihn hat Deutschland geboren. Wh haben große Genien seitdem gehabt, Schiller und Goethe, die Fürsten der neueren Dichter, sind erstanden, doch unübertroffen ist uns Lessing geblieben. Denn war auch Goethe größer als Dichter, so war er doch, durch und durch Egoist, nicht von jenem Willen, der Lessing beseelte. Er beschränkte sich nur auf Literatur, er beherrschte nur unseren Ge- schmack, aber er wirkte nicht auf unsere Verhältnisse ein. Er kämpfte nicht wie Lessing und andere Neuere für das, was er für edel, gut und gerecht erkannte. Ihm genügte selbst aufgeklärt zu sein, er trachtete nicht danach, die Aufklärung zu verbreiten, allgemein zu machen. Er setzte nicht wie Lessing und andere Gut und Blut daran, Freiheit des Geistes, des Denkens, des Redens zu erkämpfen. Der vornehme Goethe

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machte es ja einem neueren Dichter zum Vorwurf, daß er sich so eifrig mit den Interessen des Volkes befasse. Schiller, wenn auch so edel wie ILessing, von demselben Willen und vielleicht von denselben Ansichten, nahm die Welt zu ideal und konnte daher weniger wirken als der prak- tische Lessing.

Wie dem aber auch sei, Lessing wird stets unter die ersten Männer Deutschlands gezählt, wird stets als derjenige genannt werden, der zuerst wagte, dem Vorurteil des großen Haufens Trotz zu bieten; und wenn einst spätere Jahrhunderte eine Freiheit genießen, die wir jetzt im Begrüt sind zu erkämpfen, und sich dann dankbarer derer erinnern, die ihr Alles daran gesetzt haben, die Sklavenfesseln ihrer Vorfahren zu zerbrechen, dann wird auch der Name Lessing mit Ehrfurcht und Dankbarkeit genannt werden, dann wird auch der Name ,, Lessing" ein Avifruf zur Tugend, ein Beweis für die höhere Bestimmung des Menschen sein.^)

6.

Der Vielwisser

Motto: ol8a ort oix olSa.

Sokrates.

. . . Zwar weiß ich viel Goethe.

Wissenschaft ! Du nie gänzlich erlangte, nie mühlos errungene Göttin ! Du, die Du den Menschen zum Menschen machst, das köstlichste Ge- schenk, das ihm Gott gegeben, den Geist, ausbildest und veredelst! Du, die Du dem geistigen Menschen, der Dich erkannt, erfaßt hat, alles bist, Zierde im Glück, Trost, Zuflucht im Unglück, Begleiter auf allen seinen Wegen, in allen seinen Verhältnissen, Du, von dem jener Philosoph mit Recht sagt:

litterae adolescentiam alunt, senectutem oblectant.

Du, Erhabene, wie verkrüppelt Dich der eitle, kleine Mensch! Dich, die wir, wie die Weisesten eingestanden, nur ahnen können, Dich, von der wir stets, je tiefer wir in Dich eindringen, um so deutlicher einsehen, daß wir Dich nie ganz erreichen können, Dich glaubt der Tor zu besitzen.

*) Der I,ehrer urteilte : Im ganzen befriedigend ; doch vermißt man eine strenge Disposition, vieles ist zu oberflächUch behandelt, z. B. Lessings Verdienste um die bildende Kunst; manches ganz übergangen, z. B. Lessings Verdienst um die deutsche Prosa, um die genauere Bekanntschaft mit der spanischen und enghschen Iviteratur, besonders mit Shakespeare. Dem Ausdruck wäre mehr Sorgfalt und Feile zu wünschen.

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wenn er sein kleines Gehirn mit unnützem Wust vollgestopft hat, wenn er, um einen Vergleich vom Körper zu nehmen, er sich den Magen überfüllt hat mit schwerer Speise, die zu verdauen er sich nicht Zeit nimmt, die ihm wie harte Klöße im Leibe liegen und notwendig geistige Kolik oder Ivcibschmerzen ihm zuziehen müssen ! Erträglicher wäre es noch, wenn diese Krankheit nur den belästigen würde, der sie sich durch eigene Schuld erregt, das Schlimmste aber ist, daß sich oft Dämpfe entwickeln, die nach dem Kopf steigen, sich daselbst zu unleidlichem Dünkel verhärten und Unheü bringen über arme unschuldige Neben- menschen. Und von dieser bösartigen Beschaffenheit ist sehr oft die Krankheit der Vielwisser. Systematisch eingeteilt zerfällt diese in zwei Arten, in die der lächerlichen und in die der lächerlich-bösartigen Viel- wisser. Die ersteren sind Subjekte, die man fast überall trifft, harmlose Leute, deren Streben dahin geht zu amüsieren, wenn nicht ihr Dünkel die Oberhand gewinnt und sie dann jenen anderen näher und näher bringt. Nichts Unbekanntes gibt es für einen Vielwisser dieser ersten Art und darein setzen sie ihren Stolz. Du sprichst von einem netten Lied, er komponiert es. Du sprichst von einer schönen Melodie, er macht den Text dazu. Du begibst Dich auf das Feld der Politik. Begierig faßt er den Faden auf und erklärt, aber mit einer solchen Miene von Sicherheit, daß jeder Widerspruch unmöglich scheinen sollte, die po- litischen Verhältnisse Frankreichs, Englands, Deutschlands usw., und geht zuletzt über auf Statistik, Topographie usw. Durch eine geschickte Wendung [bringst Du] ^) das Gespräch auf Chemie. Aber auch hierin stellt er seinen Mann ! Er widerspricht zwar, wie auch in den früheren Fächern, Deinen Behauptungen nicht, was er schon aus Höflichkeit, denn er ist ein feingebildeter Mann, unterläßt, aber er spricht sehr bestimmt über die Erfindungen der neuesten Zeit, über die Anwendbarkeit des Kohlen- Wasser-Sauerstoffs für die Praxis, über die Zubereitung des Wassers durch gepreßte Luft, über die Zersetzbar keit des Feuers, des kohlen- sauren Natrons usw.

Erstaunt über die Vielseitigkeit dieses IVIannes gehst Du über auf philosophische Diskussionen. Ohne im geringsten aus der Fassung ge- bracht zu sein, disputiert er über Naturphilosophie und Empirik, helle- nische und römische Altertümer usw. Zwar, wenn Du auf den Grund gehst, wirst Du sehen, daß der Inhalt seiner Kenntnisse nicht sonderlich groß sei, sondern nur ihr Umfang, aber es kommt ihm auch nicht darauf an, was er weiß gut zu wissen, sondern viel zu wissen, er will nur Dilet- tant sein, aber das in allem, und deshalb nennt er sich Kosmopolit, viel- seitig gebildet usw. Jene gründliche Gelehrten, die ihr Wissen auf ein oder zwei Fächer konzentrieren, belächelt er mitleidig, oder bespöttelt

1) Einschaltung des Lehrers.

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ihre Einseitigkeit, sein Stolz besteht darin, daß es durchaus kein ihm unbekanntes Fach gibt, er ist ein integrierender Teil aller Salons und Gesellschaften, von Charakter ist er gutmütig, wenn nicht, wie wir schon erwähnten, sein Dünkel allzusehr überhand nimmt, seine guten natür- lichen Eigenschaften absorbiert und ihn jener bösartigen Rasse nahe bringt. Ein solcher bösartiger Vielwisser ist in der Tat ein Fluch des Menschengeschlechts oder wenigstens seiner nächsten Umgebung. Sei auf dem Gipfel der Freude und des Glückes, ein solcher Mensch wird Dir Deine Freude verbittern, Deine Laune verderben. Dein Glück verleiden. Gleich eine[r] Klette hängt er sich an Dich und läßt Dich nicht los, bis er Dir allen Saft, alle Lebenslust ausgesogen, Dich auf tagelang unbrauch- bar gemacht hat, und wohl Dir, wenn Du endlich mit Horaz ausrufen kannst :

„Sic me servavit Apollo."

Wenn jener Vielwisser fein, höflich, gebildet ist, so ist dieser grob, plump, arrogant, wenn Du dturch Schweigen der Beredsamkeit jenes entgehen kannst und er ntu" dann spricht, sobald Du ein Thema an- gegeben, so dient bei diesem Dein Schweigen nur dazu, ihn desto behag- licher, weil unvmterbrochen, sprechen zu lassen, wenn jener nur spricht um Dich zu amüsieren (freut er sich auch dabei seiner großen Geschick- lichkeit es zu können), so spricht dieser, der verkörperte Egoismus, nur seiner selbst wegen ; verschmachte, komme um, er bemerkt es in seinem Eifer nicht, stirb auf dem Fleck er spricht in Dich hinein bis zu Deinem letzten Atemzug, und geht dann, glaub' ich mißmutig fort, seine Rede nicht haben vollenden zu können. Wenn jener sich mehr dem Schöngeist nähert, so spielt dieser vorzüglich den alten klassi- schen Philosophen, wenn jener von allem ein wenig wissen wiU, so be- hauptet dieser in allem alles erschöpft zu haben, und wehe Dir, wenn Du dieser Behauptung zu widersprechen, wenn Du dabei nur eine IVIiene zum Lächeln zu verziehen wagst! Du würdest Dir einen Todfeind er- worben haben. Nicht zurückzuhalten ist ein solcher Vielwisser! An alles weiß er seine Dissertationen zu knüpfen, der unschuldigste Gegenstand gibt ihm Veranlassimg zu stundenlangen, und wenn Du dem nicht durch irgendein gewaltsames Mittel entgehst, vielleicht (denn nichts ist weniger zu berechnen als die Narrheit eines Narren) tagelangen Erörterungen, denn unähnlich jenem vorherbesprochenen Vielwisser kommt er stets vom Hunderten ins Tausendste. Du sitzest mit ihm zu Tisch; es erscheint eine Schüssel Kartoffel, von denen Du, ohne an irgend etwas zu denken, bemerkst, daß sie Dir gut schmecken. „Ja," sagt er, ,, die Erdäpfel sind eine wohltätige, schmackhafte Frucht. Übrigens ist es ein nur zu weit verbreiteter Irrtum, daß sie erst von Drake aus Amerika nach Evuropa

z^ 26

gebracht worden." Und nun beweist er weitläufig, daß die Kartoffel bereits in dem und dem Jahrhundert in dem und dem Winkel dieses und dieses Landes bekannt waren. ,,]a," schließt er, ,,es kann auch nicht vorausgesetzt werden, daß die Natur die Natur. Das bringt ihn auf neue Betrachtungen. Übrigens unterbricht er sich da wir von der Natur sprechen, so läßt es sich nicht leugnen, daß der Begriff der Natiir lange Zeit verkannt wurde und es noch wird. Es ist ein arger Irrtum zu behaupten, daß die Natur ein geschaffenes Lebloses oder gleichsam nur der Inbegriff alles Vorhandenen sei. Die Natur ist der Urquell alles Seins, sie ist eine ewige alles durchströmende Kraft, sie ist der Gott selbst, .wenn wir anders dies Wort wollen gelten lassen. Es ist falsch, es zeigt von unklaren Begriffen, wenn Ovid sagt

„est deus in nobis agitante calescimus illo".

Dieser deus ist die Natur, die sich in uns ihren eigenen, unveränder- lichen Gesetzen nach bewegt; sie ist sich selbst Ursache und Wirkung. Ich stimme der Meinung des Demokritos bei, die Welt ist aus Atomen entstanden. Doch was ist ein Atom? Darin liegt die Ursache aller Irr- tümer. Ein Atom ist eigentlich, wenn wir die Definition aus der Physik herleiten usw. Und auf diese Weise kommt er von den Kartoffeln auf Gott, von Gott auf Ovid, von Ovid auf die Natur, von der Natur auf Demokritos und von Demokritos auf die Natur.

In allem, was nicht mit seinem Egoismus in Berührung kommt, ist er fast vöUig unbrauchbar. Seine Sucht zu glänzen, für den ausgezeich- netsten Gelehrten zu gelten, macht ihn in allen Beziehungen stets lächer- lich. Hast Du etwas von Wichtigkeit mit ihm zu besprechen, so scheint er angelegentlich in einem Buch zu lesen, doch hört er im Grunde jedes Wort, das Du sprichst. Verlangst Du nun seine Meinung zu hören, so antwortet er Dir verkehrtes Zeug, welches mit Deiner Frage in keiner Verbindung steht. Er affektiert, durchaus nur für Gelehrsamkeit Sinn zu haben. Ein Affe aller Schriften, die er liest, aller Philosophen, die ihm imponieren (nur müssen sie keine Zeitgenossen von ihm sein, denn diese verachtet er aUe, weü er glaubt, ihr Streben gehe dahin, seinen Ruhm zu schmälern) ist er heute für Zölibat, morgen für Polygamie, heute lobt er die Epikureer, morgen die Zyniker, schon hat er sich die Laterne zurecht gemacht, um, ein zweiter Diogenes, Menschen zu suchen, da fällt es ihm übermorgen ein, die vernünftigste Vernunft wäre, die Menschen zu fliehen und Einsiedler [zu] ^) werden. Wahrhaft zu bedauern sind seine Umgebungen. Vater, Mutter, Brüder, Freunde, wenn er welche haben kann, alle verachtet er, wenn sie ihm nicht huldigen, dagegen kann der elendeste Tropf mit einigen Schmeicheleien, und wären sie auch noch

1) Einschaltimg des Lehrers.

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so plump, seine ganze Neigung, sein ganzes Zutrauen gewinnen. Ent- weder muß man beständig sich seiner Narrheit fügen, oder mit ihm gleich- sam in offenen Kriegszustand treten, was bei einem Menschen von so bösartiger Natur gewiß unangenehm und gefährlich ist. In der Tat, bliebe mir nur die traurige Wahl, entweder selbst ein solcher Vielwisser zu sein, oder mit ihm umgehen zu müssen, ich wollte mich lieber für das erstere entscheiden, denn er selbst wie jeder Narr sieht nicht seine eigene I^ächer- lichkeit ein, und lebt glücklich in seiner Verblendung, während jene das doppelte Gewicht seiner Unausstehlichkeit tragen müssen. Doch Gott behüte uns vor beidem! ^)

*) Das Urteil des Lehrers lautet: Der Charakter des Vielwissers ist im ganzen gut geschildert; doch sind die beiden Klassen der Vielwisserei, die der Verfasser statuiert, nur verschiedene Seiten eines und desselben Fehlers, sie fließen daher so ineinander, daß keine bestimmte Grenze zwischen beiden zu ziehen ist. Jede Narrheit hat ihre doppelte Seite: die lächerhche iind verächthche. Besser wäre die Unterscheidung in geseUige Vielwisser, die der Verfasser Kosmopoliten nennt, lebende Tutti frutti, und in imgeseUige Pedanten; jene könnten mit modernen Konversationslexicis, diese mit gelehrten Enzyklopädien des 17. und 18. Jahr- hunderts verglichen werden; jene Narren in Duodez und Oktav, diese in Quart und Foho; jene ergötzen, diese langweilen usw.

Um Börne und Heine

Zur Einführung

Als Lassalle zum erstenmal seine Stimme in der Öffentlichkeit ver- nehmen ließ, hatte er vor kurzem das siebzehnte Jahr erreicht. Der Ver- such, sich in Leipzig auf der Handelsschule zum Kaufmann auszubilden, war gescheitert, und nun bereitete er sich im Elternhause gegen den Willen des Vaters, der ihm zürnte, zum Abiturientenexamen vor. Der folgende Artikel, den man als den Anfang seiner schriftstellerischen Wirksamkeit betrachten darf, erschien am 21. September 1841 in der „Breslauer Zeitung". Als ungedruckt kann er also nicht gelten, das Manuskript befand sich auch nicht im Nachlaß, nur ein darauf bezüg- Hches Schreiben an ihn, von dem noch die Rede sein wird. Dennoch er- schien es angezeigt, diesen Aufsatz der Vergessenheit zu entreißen und ihn hier mit den anderen frühesten Kundgebungen des LassaUeschen Genius durch einen Wiederabdruck einer breiteren Öffentlichkeit zu- gänglich zu machen.

Sonderbar genug war der Anlaß, der die Schriftzüge des künftigen Volkstribunen zum ersten Male in die Hand des Setzers brachte. Börnes tmd Heines Namen verkörperten, wie man weiß, der deutschen Jugend der dreißiger Jahre zw^ei wesensverschiedene Richtungen des freiheit- lichen Geistes. Wer sich zu Börne bekannte, der forderte vor allem Überzeugung, der sagte Zusammenschluß, der schwur zur politischen Partei, der stellte die eigene Persönlichkeit zurück, um für Deutschlands Demokratisierung zu kämpfen. Heine war zu eigenwillig, zu differenziert angelegt, um so ausschließlich, wie Börne von ihm forderte, die Politik zu betonen. So weltlich die Lebensführung des Mannes, das eigenste Reich des Dichters war trotzdem nicht von dieser Welt. Seines Seelenlebens Wurzeln hatten in der Romantik gekeimt, aber noch bevor er mit Saint-Simon bekannt wurde, begriff er schon die elementare Bedeutung der sozialen Gegensätze und die Bedingtheit aller isoliert politischen Be- strebungen. In Lassalles Herzen war von Anfang an für beide ihm stamm- verwandten glänzenden Geister Platz gewesen; mit jedem von ihnen fühlte er sich auf andere Weise verwandt. Als aber nach dem Tode des großen Journalisten der andere seinen funkelnden, doch lieblosen Pas- quill über Börne schrieb tind die ganze IMeute der gesinnungstüchtigen

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Philister hierauf über den frivolen Dichter herfiel, da fühlte I^assalle sich gedrungen, für den Verfemten in die Schranken zu treten. Dazu kam es unter folgenden Umständen. ^)

In der ersten Auflage seiner Schrift hatte Heine sich verleiten lassen, des so eigen zarten Verhältnisses Börnes zu Frau Wohl-Strauß, der Emp- fängerin der ,, Pariser Briefe", und ihrem Gatten auf eine Weise zu ge- denken, von der die unmittelbar Beteiligten sich peinlich berührt fühlen mußten. In seinem Ehrgefühl empfindlich gekränkt, ließ sich Herr Strauß nicht daran genügen, die liberalen Zeitungen in erklecklicher Zahl auf den Dichter loszulassen, dem seine ungebändigte Zunge viele Feinde imter den JournaHsten erworben hatte; er eilte auch persönlich nach Paris, um sich von dem Beleidiger Genugtuung zu verschaffen. Dieser war eben im Begriff, eine längere Erholtmgsreise in die Pyrenäen anzu- treten; der Gegner konnte ihm gerade noch auf offener Straße ein paar verletzende Worte zurufen. Diese Worte verstärkten sich in der Phantasie des als ,, gehörnter Siegfried" Verspotteten zu einer Ohrfeige, und merk- würdig: daß diese Ohrfeige tatsächlich verabreicht sei, konnte die ,, Mainzer Zeitung", die Straiiß nahe stand, bereits zwei Tage früher vermelden, als der Zusammenstoß erfolgt war. Noch mehr verwunderte es, daß drei in Paris lebende deutsche Verehrer Börnes, die Heine töt- lich haßten, der mecklenburgische Kunstschriftsteller Eduard Kolloff, der Arzt Doktor Schuster und ein gewisser Anton Hamberg, obgleich sie bei dem Vorgang nicht zugegen gewesen waren, deutschen Blättern sofort die Erklärung zugehen ließen, Heine habe nicht bloß die Ohrfeigen ein- gesteckt, sondern bei dem ganzen Anlaß Feigheit bewiesen. Doch der Dichter wehrte sich seiner Haut. Die ,, Augsburger Allgemeine Zeitung" stellte sich ihrem berühmten Mitarbeiter gern zur Verfügung und wies am 28. August jenen dreien unwiderleglich nach, daß sie ,,auf Ehre" et- was bezeugt, was sie nicht gesehen hätten. Doch jene woUten sich mit der Abfuhr, die ihnen zuteil geworden war, nicht zufrieden geben und setzten die Polemik fort, statt, wielvassalle erwartet hatte, ,, durch Still- schweigen ihre Schande vergessen zu machen". Dieser, der von den Vor- gängen nur aus der Zeitung erfuhr, hielt den Handel für erledigt, seitdem Heine am 7. Juli die angebliche Insultierung seiner Person öffentlich für ,,eine reine oder vielmehr schmutzige Lüge" erklärt und namenthch seitdem am 7. September ein Duell zwischen dem Beleidiger und dem Beleidigten stattgefunden hatte, bei dem der Dichter leicht verAAiindet wurde. Als aber Kolloff und Genossen die leidige Angelegenheit in der Presse auch jetzt noch fortspannen, riß Lassalle die Geduld, und er

^) Det Herausgeber benutzte hier den von ihm in der ,, Breslauer Zeitung" vom II. April veröffentlichten Aufsatz: , .Lassalles erster Schritt in die Öffent- lichkeit."

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warf sich in dem Zwist, den er mit leidenschaftlicher Anteilnahme ver- folgt hatte, zum Verteidiger Heines auf.

Daß er mit seinen Beschuldigungen die Gegner, auf die er gezielt, auch getroffen hatte, bezeugt der folgende Brief, der sich in seinem Nachlaß fand, und von dem wir wohl vermuten dürfen, daß er über die ,, Breslauer Zeitung" in seine Hände gelangte : Anden Ungenannten, F. unterzeich- neten Verfasser des Artikels über „Die Erklärung der Herren Kollofif, Schuster und Hamberg" in der ,, Breslauer Zeitung" vom 25. September des Jahres.

Paris, 23. Oktober 1841.

„Den tmgenannten Verfasser eines in der ,, Breslauer Zeitung" vom 25. September d. J. über die „Erklärung der Herren Kolloff, Schuster und Hamberg" erschienenen und F. unterzeichneten Artikel erkläre ich Endesunterzeichneter hiermit für einen feigen, ehrlosen Wicht, nach Studentenausdruck, für einen infamen Hundsfott. Sollte der Anonymus sich dieses Kompliment privatim zu Herzen ziehen wollen, so wäre ich gern erbötig, alle und jede Genugtuung dafür zu geben und zu dem Ende jederzeit in der Buchhandlung der Herren Brockhaus und Avenarius in Paris, Rue Richilieu 60 zu erfragen. E. Kolloff."

Dieser Kolloff, der einst amFrankfurter Aufstand von 1836 teilge- nommen und sich dann nach Frankreich in Sicherheit gebracht hatte, war, wie Zeitgenossen berichteten, ,, Zyniker im höchsten Grade", ^) ,, durch- aus Egoist", ein Mensch, der „keine Aufopferung" kannte. Auf einem höheren Niveau als er stand der ehemahge Göttinger Privatdozent Dr. Theodor Schuster, der bekannte Verfasser der ,, Gedanken eines Re- publikaners" und Mitarbeiter des ,, Geächteten", einer der frühesten und talentvollsten Vertreter sozialistischer Gedanken unter den deutschen politischen Flüchtlingen, dessen Vorschläge sich sogar in manchem mit denen des späteren lyassalle berührten. Wie hätten diese Männer sich gewundert, würden sie erfahren haben, daß ihr Angreifer ein siebzehn- jähriger junger Mensch war, der sich erst für das Abiturium vorbereitete!

Für LassaUes Beziehungen zu Heinrich Heine sei auf das verwiesen, was darüber in der Einführung zum ersten Bande 2) bemerkt wurde. Berichtigt werde hier nochmals die Angabe, die sich dort findet, daß Lassalle 1846 Heine nicht mehr wiedergesehen habe. Er hat, wie aus seinem Brief an Marx vom Juli 1855 hervorgeht, den Dichter noch ein Jahr vor dessen Tode an seiner Matratzengruft aufgesucht. ^)

1) Literarische Geheimberichte aus dem „Vormärz", Wien 191 2 (Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft, 22. Jahrgang), S. 89, 99 f.

2) Nachgelassene Briefe imd Schriften, Bd. I, S. 36 ff.

3) Ib. Bd. III, S. 100.

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Über die Erklärung der Herren KoUofF, Schuster und Hamberg

(Abdruck)

Breslau, 24. September 1841.

Die Herren Kolloff , Schuster und Hamberg, die sich in der Heineschen Angelegenheit eine traurige Berühmtheit erworben haben, versuchen in der ,, Leipziger Allgemeinen Zeitung" vom 17. September, indem sie eine längst abgemachte und vor dem Richterstuhl des Publikums längst entschiedene Sache aufs neue auf das Tapet bringen, in einer auf ihre Weise abgefalBten Erklärung dem öffentlichen Urteil wiederum eine andere Wendung zu geben. Es gehört in der Tat ein ziemlich großer Grad von Dreistheit dazu, jetzt, nachdem das lächerliche Komplott gegen Heinrich Heine längst enthüllt (,,AugsbuTger Allgemeine Zeitung" 28. August) und die Teilnehmer desselben in ihrer ganzen Niedrigkeit vor die Augen aller hingestellt sind, nachdem sich bereits die öffentliche Meinung in allen Blättern aiif das entschiedenste über das perfide Be- nehmen der genannten Herren ausgesprochen hat, nach allem dem statt durch Stillschweigen ihre Schande vergessen machen zu wollen, von neuem diese Sache mit einer Frechheit, die nie zu ermüden und keine Grenzen zu kennen scheint, anzuregen, in der vergeblichen Hoffnung, durch wiederholte Unwahrheiten und wiederholte Zweideutigkeiten sich rein- waschen zu können. Die ganze Heinesche Geschichte ist ziemlich spaßhaft und dürfte vielleicht einen Beitrag ziur Charakteristik des Tages liefern. Sokrates soll, als ihm einer seiner Freunde einmal erzählte, daß die Sophisten, wenn er nicht dabei wäre. Böses von ihm redeten, geant- wortet haben : ,,Wenn ich nicht dabei bin, mögen sie mich auch schlagen." Hiervon vielleicht ausgehend, kam Herr Strauß mit seinen Verbündeten auf die eklatante Idee, Heine hinter seinem Rücken Ohrfeigen zu verab- reichen, indem sie sorgfältig den Tag wählten, wo Heine nach Cauterets abgereist war. Wozu aber Sokrates damals ruhig lächeln konnte, das konnte Heinrich Heine in unserem Jahrhundert, wo die !ileinung alles gilt, nicht mit Stillschweigen hingehen lassen. Herr Strauß mochte viel- leicht darauf gerechnet haben, daß Heine, das Gerücht belächelnd, nicht eher Schritte tun würde, dasselbe zu vernichten, als bis es sich bereits in die öffentliche Meinung eingenistet haben tmd es dann zu spät sein würde. Aber Heine, der mit seinem richtigen Blick sogleich erkannt hatte, von woher der Schlag käme und welche I^Iaßregeln man dagegen er- greifen müsse, kehrte sofort nach Paris zurück, schrieb seine vorläufige Erklärung, 1) indem er dabei auf seine gewohnte energische Weise ver- fuhr. Man hatte ausgebreitet, Heine sei, um einem Duell auszuweichen,

') Vgl. Heines Werke, herausgegeben von Elster, Bd. VII, S. 11.

32 =

nach Cauterets gereist. Um dem zu begegnen, schickte er Herrn Strauß sofort seine Herausforderung zu. Die Folgen dieses energischen Ver- fahrens zeigten sich auch sogleich. Herr Strauß, der gern auf Heine den Verdacht der Feigheit hatte werfen wollen, zeigte durch sein Zögern, wie wenig physischer Mut unter seine Eigenschaften gehöre; das Publi- kum wurde enttäuscht, und inzwischen wurde bewiesen, daß jene Ehren- männer, welche sich nicht entblödet hatten, jenes Gerücht als Tatsache öffentlich zu bekräftigen, der vorgeblichen Szene nicht beigewohnt haben konnten. Jetzt ward auch die Sache zwischen Heine und Herrn Strauß beigelegt ; rein ging Heine hervor, trotz aller Verleumdungen, mit denen man ihn überschüttet hatte, und alle Schande fiel auf die genannten Herren zurück. Das fühlten sie wohl auch, und daher kam der letzte Versuch, in der ,, Leipziger Allgemeinen Zeitung" sich zu rechtfertigen. Diese Rechtfertigung nun, die mit der gewöhnlichen nichtssagenden Polemik dieser Herren abgefaßt, nur den zu täuschen imstande wäre, der sie nicht kennt, wollen wir etwas näher beleuchten.

Nachdem sie sich im Anfang wegen ihres Stillschweigens entschuldigt haben, eine Entschuldigung, die wir um so lieber gelten lassen, als uns dieses Stillschweigen in jeder Beziehung äußerst erfreulich war und wir den Wunsch von ihm nicht unterdrücken können, daß es die Herren KoUoflf, Schuster und Hamberg auch fernerhin beibehalten möchten, gehen sie unmittelbar zu ihrer höchst sinnreichen Verteidigung über, die jedoch in nichts anderem als in einer Invektive gegen Heine besteht. Das merkwürdigste aber ist, daß sie selbst eingestehen, der Szene nicht beigewohnt zu haben, ohne zu fühlen, wie ihnen dies jedes Recht nimmt, als Zeugen aufzutreten. Denn wie kann man die Nichtachtung vor dem Publikum soweit treiben, daß man öffentlich einen Vorfall zu behaupten wagt, den man nicht selbst mitangesehen hat, den man nur vom Hören- sagen kennt? Das öffentliche Urteil soll durch dieses Zeugnis bestimmt werden, und dies Zeugnis selbst ist auch erst auf die Aussage eines anderen begründet ! Höchstens könnten die Herren Kolloff usw. dann beschei- nigen, daß ihnen Herr Strauß das und das aufgebunden habe, mit dem Faktum selbst hat ihre Aussage dann nichts mehr zu tun. Wahrlich, nicht genug zu bewundern ist die Naivetät des Herrn Kolloff und seiner Freunde, welche soweit geht, daß sie nicht einsehen, wie in einem solchen Falle nur ein Zeugnis de visa zulässig ist ! Aber Herr Kolloff will auch nicht, daß sein Zeugnis seiner Wahrhaftigkeit wegen geglaubt werde. Er spricht es ja deutlich genug aus, nur durch seinen Namen will er im- ponieren ! Freilich, der Name des Herrn Kolloff, bekannt genug durch die preußische Gesandtschaftsgeschichte, würde allein schon hinreichen, jeden Zweifel daniederzuschlagen, sein Name allein hinreichen, dem eines Heinrich Heine gegenüber jede Lüge in Wahrheit zu verkehren!

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Aber das alles genügt den Herren noch nicht. Hier, wo es sich ganz ein- fach nur darum handelt, eine Tatsache zu bekräftigen oder als Unwahr- heit zu erklären, hier fangen diese Herren an, Heine und sein Wirken zu kritisieren, oder, um einen richtigeren und der Verfahrungsweise dieser Herren angemesseneren Ausdruck zu wählen, zu bekritteln. In- dem sie ihm zur Last legen, ein Persönlichkeitssystem erfunden zu haben, erschöpfen sie sich, in denselben Fehler verfallend, in niedrigen Persön- lichkeiten gegen ihn. Mit derselben Naivität, die wir schon oben erwähnt haben, wundern sich die Herren, daß jetzt nach Heines Verteidigung alle Schmach sie und Herrn Strauß trifft. Unbekannt scheinen ihnen Goethes Worte zu sein:

,,Die Ivüge trifft, ein abgedrückter Pfeil, Versagend und von einem Gott gewendet. Den Schützen selbst."^)

Wenn es ferner in dem Schluß heißt, daß keiner der Unterzeichneten mit Heine je in nähere Berührung getreten ist, so ist das allerdings wahr, aber die Folgerung, die sie daraus ziehen wollen, daß ihr Urteil nicht der Parteilichkeit verdächtig sein könne, diese ist falsch. Nur deshalb sind sie nie mit Heine persönlich in Berührung gekommen, weil Heine, der überhaupt etwas diffizil in seinem Umgang ist, stets derlei Leute von sich fernzuhalten wußte. Daß sie ihn aber mit ihrer kleinHchen Rache schon längst verfolgen, daß Heine selbst längst bekannt ist, wie niedrige Menschen aus niedrigem Neid ihn zu verleumden bemüht sind, darüber gibt ein Brief, der in der ,, Breslauer Zeitung" vom 31. August von einem Freund Heines veröffentlicht und schon vom August 1838 datiert ist, inter- essante und beweisende Aufschlüsse. 2)

Doch genug davon. Umsonst wollen uns die Herren Kolloff, Schuster und Hamberg mit ihren Kunstgriffen glauben machen, die öffentliche Meinung habe sich noch nicht entschieden. Die öffentliche Meinung hat längst entschieden, und vor ihrem Richterstuhl ist keine Appel- lation mehr möglich.

F.

1) Lassalle zitiert hier die bekannte Stelle aus dem ersten Auftritt des vierten Aufzuges von Goethes „Iphigenie", wie es seine Art war, gänzlich willkürhch und ungenau.

^) Der Artikel steht in der ,, Breslauer Zeitung" vom i. September. Wahr- scheinlich war der , .Freund Heines, der sich gegenwärtig hier befindet", und der ihn schrieb, Lassalles Schwager Ferdinand Friedland. Dieser zitiert dort Stellen aus Briefen Heines an ihn. So z. B. „Paris, 18. Juli 1838: Die Deutschen weiß ich mir jetzt noch besser vom Halse zu halten. Ich entgehe ja doch nicht der Ver- leumdimg der deutschen Vaterlandsretter, der Kolloff, Schuster usw." Und: ,,Granville, 18. August 1840. Diesmal wird mir mehr das Schimpfen der Feinde als der Lobgesang der Freunde als Annonce dienen."

Mayer, Lassalle-Nachlass. VI ^ ^

In der schlesischen Opposition

Zur Einführung

Dem jungen Lassalle galt es von früh an als selbstverständlich, daß er bei Anlässen, die seine Leidenschaft in Wallung brachten, nach jedem Mittel griff, um seine Gesinnungen und Gefühle anderen mitzuteilen, um, was als Kritik, Entrüstung, Empörung in ihm wogte, auch in Hand- lung ausströmen zu lassen. Ein willkommener Weg, um in öffentHchen Fragen seine Stimme erheben und womöglich Wirkungen erzielen zu können, bot sich ihm darin, daß sein Vater 1841 Breslauer Stadtver- ordneter wurde und, was bei einem Manne seines religiösen Bekennt- nisses damals unvermeidlich war, in dieser Körperschaft der liberalen Richtung angehörte. Solange Preußen keine allgemeine Landesvertre- tung besaß und die Provinziallandtage hinter verschlossenen Türen tagten, fanden die spärlichen politischen Kundgebungen, zu denen Stadt- verordnetenkollegien sich aus besonderen Anlässen entschlossen, die größte Beachtung bei der Öffentlichkeit nicht nur der eigenen Stadt, sondern der Provinz, oftmals der ganzen Monarchie.

Nun hatte sich Heymann Lassal zeitig daran gewöhnt, die Ansichten, die der frühgereifte Sohn zu ihm äußerte, ernst zu nehmen und seine Ratschläge stets zu beachten, häufig zu befolgen. In Ferdinands Nach- laß fanden sich zwei eigenhändige Schriftstücke aus dem Jahre 1845. die anschaulich zeigen, wie wenig in dieser Epoche seiner stürmischen geistigen Entwicklung die esoterischen \'orgänge seines Inneren, von denen die gleichzeitigen Briefe an die Freunde und den Baron Stücker Zeugnis ablegen, ihn davon zurückhielten, sich leidenschaftlich zu be- teiligen, wo immer Aussicht erschien, die Sache der Opposition in Preußen an irgendeinem Punkte vorwärts zu treiben. Mochte auch er selbst bereits auf einem wesentlich radikaleren Boden stehen, es kostete ihn keine Mühe, sich auch in die Anschauungswelt der Kreise zu versetzen, auf die zu wirken er sich Hoffnung machen durfte. Die Drangsalierungen, mit denen der Polizeistaat fortgesetzt alle selbständigen Regungen des Bürgertums bedachte, duldeten vorläufig noch nicht, daß in den Reihen der kaum organisierten Bewegungspartei die Gegensätze, die vorhanden waren, in die äußere Erscheinung traten.

Im Mai 1845 waren die von aUen liberalen Lippen mit Hochachtung genannten Führer der badischen Kammeropposition Adam von Itzstein und Friedrich Hecker nach Berlin gekommen, angeblich auf einer Er- holungsreise, wahrscheinlicher um sich von der politischen Lage in PreuiBen und dem Stand der liberalen Bewegung dieses Landes eine deut- liche Vorstellung zu verschaffen. Da sie hier nach deutschem Bundesrecht als Ausländer galten, so verfügte der Minister des Inneren und der Polizei, Graf Arnim-Boitzenburg, ihre Ausweisung. Da erfaßte ein Sturm der Entrüstung die weitesten Kreise des Bürgertums. Wie stark er ge- wesen sein muß, ersieht man schon daraus, daß der freilich ohnehin amts- müde uckermärkische Grande im Juli seinem König vorschlug, ihn. selbst der öffentlichen Meinung zu opfern und die Ausweisung nachträg- lich zu mißbiUigen. Aber obgleich Arnim wirklich aus seinem Amte schied, bekam die Öffentlichkeit nicht zu hören, daß Friedrich Wilhelm IV. über jene Maßregelung, die soviel böses Blut erregte, ein verurteilendes Wort gesprochen hätte, i)

Die Stadtverordnetenversammlungen der großen Städte gehörten in Preußen damals zu den Hochburgen des liberalen Geistes. Breslaus Stadtväter hatten schon vier Jahre früher beim schlesischen Provinzial- landtag die Berufung von Reichsständen befürwortet und den König dadurch so gekränkt, daß er sie anfangs schnöde, hernach schulmeister- lich behandelte. 2) Doch diese Erfahrung hielt sie nicht ab, jetzt aufs neue einen Schritt zu unternehmen, der ihnen den Zorn des Monarchen zu- ziehen konnte. In ihrer Sitzung vom 22. Juli faßten sie den Beschluß, durch eine Immediatvorstellung den König um die Veröffentlichung der Gründe zu bitten, die für jene Ausweisung maßgebend gewesen seien, damit die Befürchtungen, die der Vorfall geweckt habe, dadurch nieder- geschlagen würden. Schon in der Sitzung des folgenden Tages wurde der Entwurf eines solchen Schriftstückes verlesen; daran knüpfte sich eine längere Debatte, endlich wurde die Adresse „zur weiteren Bearbeitung und zum Vortrage in der nächsten Sitzung dem Vorstand übergeben" und dazu der Wunsch geäußert, der Wortlaut der Eingabe möge er- kennen lassen, „wie wir uns vorzugsweise als Vertreter der Breslauer Kommune hierzu berechtigt fühlten. "»)

1) Treitschke, Deutsche Geschichte, Bd. V S 275

2) Ib. S. 168.

^) Breslauer Stadtarchiv Hs. H. 120, 31. Protokollbuch der Stadtverordneten- versammlung El. 139. Die hierauf bezüglichen Nacliforschungen verdankt der Herausgeber dem verdienten Leiter des Breslauer Stadtarchivs Herrn Professor Dr. Heinrich Wendt, der mit unermüdhcher Bereitwilligkeit im Interesse dieser Ausgabe alle Spuren verfolgte, die der Nachlaß für I^assalles lieben und Wirken in seiner Heimatstadt eröffnete.

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In dem Protokollbuch der Stadtverordnetenversammlung findet sich keinerlei Angabe über den ,, Vortrag" der Adresse, auch fehlt die Ant- wort des Magistrats auf den ihm übermittelten Entwurf der Stadtver- ordnetenversammlung. Darin war nachdrücklichst hervorgehoben wor- den, daß die Motive für jene Maßregel noch immer unbekannt wären, daß noch nichts geschehen sei, „was zur Rechtfertigung des Verfahrens oder zur Beruhigung der bestürzten Gemüter dienen könnte" und daß es den preußischen Namen in Mißachtung bringe, auch weitere schlimme Folgen zeitigen müsse, wenn nicht eine öffentliche Erklärung der Re- gierung womöglich die allgemeine Aufregung und Spannung beseitigte. Nun war aber der Beschluß der Stadtverordneten vom 23. Juli gegen die Stimmen einer zwar nicht durch ihre Zahl, aber durch ihren Einfluß bedeutenden Minderheit gefaßt worden. Und diese bot in den folgenden Tagen alles auf, um recht vielen Kollegen vor der eigenen Courage bange zu machen und den Abgang der Adresse zu verhindern, obgleich die Beschlußfassung vorlag. Bei diesen Bemühungen die treibende Kraft war der Professor des Kirchenrechts an der Breslauer Universität Michael Eduard Regenbrecht (1791— 1849), einer der Mitbegründer und Vorstandsmitglieder der christkatholischen Gemeinde, der hernach in der Revolution als Vorsteher der Stadtverordneten und der Bürgerwehr mit der radikalen Demokratie in scharfe Konflikte geriet. Regenbrechts Betreiben glückte es wirklich, das Kollegium zu bestimmen, in seiner Sitzung vom 28. Juli den fünf Tage zuvor gefaßten Beschluß aufzuheben. Von der Absendung der Adresse wurde also Abstand genommen.

Darauf erschien nun am 2. August von emer offenbar gut unter- richteten Seite in Nr. 178 der „Breslauer Zeitung" eine Darstellung des Hergangs, die den Verlauf, den die Sache genommen hatte, einer scharfen Kritik unterzog und von den Stadtverordneten sowohl diejenigen nam- haft machte, die für, wie jene, die gegen die Aktion das Wort ergriffen hatten. Dem Professor Regenbrecht wurde untergelegt, er hätte viel- leicht gemeint, „daß man, wenn man dafür stimmte, der Sache des Christ- katholizismus schade und sie der Verdächtigung des Kommunismus aussetze". Der also Beschuldigte ergriff gegen diese „unverhohlene Ab- sicht, ihn vor seinen Mitbürgern zu verdächtigen", am 6. August in Nr. 181 der Zeitung das Wort zu seiner Verteidigung. Darin hob er her- vor, daß er „über die durch ganz Deutschland verbreitete Mißstimmung" mit der Mehrheit einer Meinung gewesen wäre, nicht jedoch über den Erfolg, den man sich von einer solchen Kundgebung versprechen dürfe. Seiner Ansicht nach würde man entweder gar keine Antwort erhalten haben, oder eine scharfe Zurechtweisung. Dem Gegner suchte er nach- zuweisen, daß er aus trüber Quelle geschöpft haben müsse; Stadtver- ordneter könne er nicht sein, er treibe ein frivoles und gewissenloses

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Spiel mit Wahrheit und Ehre. Der christliche Katholizismus brauche sich gegen den Vorwurf des Kommunismus aus dem einfachen Grtmde nicht zu verteidigen, weil noch niemand ihn dessen beschuldigt habe, der wisse, was Kommunismus bedeute. Wenn der Professor zum Schluß seinen Mitbürgern den Rat erteilte, ,,das ganze traurige Ereigm's" zu vergessen, so war nicht genau ersichtlich, ob er damit die Ausweisung von Hecker und Itzstein oder die Vorgänge in der Breslauer Stadtver- ordnetenversammlung meinte. Diese scharfe Ervviderung rief nun aber den ersten Berichterstatter des Blattes von neuem auf den Plan. Am 8. August ergriff dieser noch einmal das Wort in der ,, Breslauer Zeitung". Jetzt unterschrieb er sich: ,,Ein Bürger," gestand zu, daß er kein Stadt- verordneter sei, betonte aber, daß er das, was er berichtet, von glaub- würdigen Mitgliedern der Versammlimg erfahren habe. Indem er ihn als einen Philister kennzeichnete, rief er seinem Gegner zu: ,,Wer es mit dem Vaterland wohl meint, soU jenes traurige Ereignis vergessen, so schnell als möglich vergessen, der Herr Professor will es. Ja, vergessen wir alles, vergessen wir unsere ganze Geschichte, nehmen wir einen großen Pinsel und fahren damit über die Blätter, welche uns unseres Vaterlandes Not imd Bedrängnis erzählen : das sind unangenehme Gesinnungen, und der Mensch liebt die Gemächlichkeit in Schlafrock und Pantoffeln und mit einer Pfeife guten Tobaks."

Wer der Verfasser dieses Artikels gewesen sein kann, wissen wir nicht. Wohl aber wird ims jetzt bekannt, daß der junge Ferdinand Lassalle unmittelbar nachdem Regenbrechts Erwiderung erschienen war und bevor noch die Erwiderung des ,, Bürgers" ihm vor Augen gekommen sein konnte, also am 6. oder 7. August, seinen Vater zu bestimmen ge- sucht hat, daß er sich mit anderen Kollegen zu einer Gegenerklänmg gegen die Regenbrechtsche zusammentun möge. Das Konzept, das hier abgedruckt wird, läßt dies als sicher erscheinen. Unbekannt ist uns, ob der Vorschlag des Sohnes beim Vater diesmal keine Gegenliebe fand oder ob die Stadtverordneten, die He>-mann Lassal sonst politisch nahe standen, sich ihm versagten. Wir besitzen jedenfalls keinen Anhalt dafür, daß diese Kundgebung in die ÖffentHchkeit hinausgegangen ist. Mög- lich ist ja auch, daß der junge Lassalle seine Niederschrift zurückzog, weil er sie für überflüssig hielt, als er die schneidige Ero-iderung des ,, Bürgers" kennen gelernt hatte. Beachtenswert erscheint, daß er, der sich damals schon als einen Kommunisten ansah, das Schlagwort des Kommunismus, das gegen Regenbrecht vorgebracht worden war, nicht aufgriff und der Versuchung entging, dieses bei einer Gelegenheit, die sich dafür nicht eignete, in die Debatte zu werfen.

Es vergingen nicht viele Wochen und der tatenhungrige junge Las- salle fand einen zweiten Anlaß, bei dem ihm die Stadtverordnetenwürde

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des Vaters herhalten sollte, um den eigenen hitzigen Drang nach öffent- lichem Wirken zu befriedigen. Daß er sich dabei für einen Mann einsetzte, der ihn selbst in einem wichtigen Moment seines jungen lyebens zu Fall gebracht hatte, ist charakteristisch für die Stärke des Zugs zum Ob- jektiven, der in seiner Natur lebte. Seit Anfang 1845 war die Bewegung der Lichtfreunde, dieses protestantischen Gegenstücks zum Deutsch- katholizismus, aus dem benachbarten Königreich Sachsen nach Schlesien vorgedrungen. Und sie fand damals hier, wie in vielen anderen Gegenden Preußens, ein günstiges Erdreich besonders deswegen, weil die offen- sichtliche Förderung, die der Kultusminister Eichhorn auf allen Gebieten seines Wirkens der Orthodoxie zuteil werden ließ, in kirchlich liberalen Kreisen die größten Befürchtungen geweckt hatte. Am 21. Juni erfolgte in der Breslauer Börse eine zahlreich besuchte Kundgebung für eine freiere Verfassung der evangelischen Kirche; man protestierte gegen die Bevorzugung der orthodox-pietistischen Partei und entschloß sich, mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit zu treten. Deren Abfassung nun übertrug man dem Prediger Doktor Rohde, dem Stadtgerichts- rat Heinrich Simon und dem Theologieprofessor und Konsistorialrat David Schulz, dem Manne also, der drei Jahre zuvor als Schulrat gegen die Ansicht des gesamten Lehrerkollegimns durchgesetzt hatte, daß Ferdinand Lassalle beim Abiturientenexamen durchfiel.^) Als diese Er- klärung sich in Breslau wie in der ganzen Provinz Schlesien in Kürze mit Tausenden von Unterschriften bedeckte, beunruhigte das die Regierung in Berlin und sie scheute sich nicht, die Maßregelung von Beamten zu be- schließen,die sich an diesem Unternehmen beteiligt hatten. Namentlich war es der Kultusminister Eichhorn, der sich hierbei hervortat. Schon Ende Juli wurde in Breslau bekannt, daß er eine Untersuchung gegen alle Geistlichen und Lehrer einleiten wolle, die die Erklärung unterzeichnet hätten. Am 5. August wußte die ,, Breslauer Zeitung" zu melden, daß man David Schulz darüber vernommen habe, wer mit , .jener Partei" ge- meint wäre, die sich die bezeichneten Übergriffe habe zuschulden kommen lassen. TatsächHch wiurde dann Schulz das erste Opfer der Unter- suchung. Am 26. September erging eine Kabinettsorder, die ihm für die Zukunft die Teilnahme an den Sitzungen und Geschäften des königlichen Konsistoriums untersagte, doch seine akademische Stellung nicht anzu- tasten wagte. Kaum wurde diese Maßregel bekannt, so ergriff die Bres- lauer Bevölkerung eine große Erregung, und die Stadtverordnetenver- sammlung faßte am 22. Oktober den Beschluß, Schuk zu seinem Geburts- tag das Ehrenbürgerrecht zu verleihen. Doch beim Magistrat stellten sich Bedenken dagegen ein, eine solche Ehrung zu einer politischen Kund- gebung zu benutzen. Aufs neue mußten die Stadtverordneten einen Be- 1) Vgl. Bd. I, Einführung S. 21 f.

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Schluß zurücknehmen. Dafür entschieden sie sich für eine Adresse an den Gemaßregelten, und es bildete sich eine freie Vereinigung von Bürgern, die ihm eine silberne Säule überreichte. Zu einem Protest des Magistrats und der Stadtverordneten an den König kam es also bei diesem Anlaß nicht. Die Adresse, die Treitschke in seiner Deutschen Geschichte (Band 5, Seite 355) erwähnt, erging erst am 10. Januar; sie klagte über die ,, Beschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit" und ,,die Gefährdung der auf dieselbe gegründeten Union". Dafür, daß der Ent- wurf des jungen Lassalle, der hier abgedruckt wird, der Stadtverordneten- versammlung oder dem Magistrat zugegangen sein könnte, fehlt in den städtischen Akten jeder Anhaltspunkt.Wäre er von diesen Kollegien aber selbst erörtert und angenommen worden, so hätte er vom König sicher- lich dieselbe schnöde Behandlung erfahren, wie deren Adresse vom IG. Januar, die sich ebenfalls gegen das System Eichhorn richtete.^)

I.

Gegen Professor Regenbrecht

(Original)

In Nr. 178 der ,, Breslauer Zeitung" war ein kurzer Bericht erschienen über den vom hiesigen Stadtverordnetenkollegium gestellten, ange- nommenen und dann wieder rückgenommenen Antrag, an Seine Maje- stät den König eine Immediateingabe betreffs der Ausweisung von Itz- stein und Hecker zu richten. Als Entgegnung auf diesen Bericht bringt die Nr. 181 dieser Zeitung einen Artikel des Herrn Professor Regen- brecht, in welchem dieser Herr, nachdem er mit wahrhaft bewunderungs- wertem Scharfsinn herausdemonstriert hat, daß der Verfasser jenes Be- richts durchaus kein Stadtverordneter sein könne, ihm auch noch ,, fri- voles gewissenloses Spiel mit Wahrheit und Ehre" an den Hals beweist. Wir würden es dem uns gänzlich unbekannten anonymen Verfasser jenes Artikels überlassen, sich selbst was ihm unmöglich schwer fallen könnte zu verteidigen gegen die so interessante Beweisführung des Herrn Professor der Jurisprudenz, wenn dieser nicht so oft und so ge- waltig auf seinen ,, Stadtverordneten" pochte und diesen seinen Charakter dem anonymen Berichterstatter so sehr unter die Nase riebe, daß wir fast fürchten, es möchten in den Augen vieler die mannigfachen Ab- geschmacktheiten in der Regenbrechtschen Entgegnung eben auf dem Charakter „Stadtverordneten" sitzen bleiben. Unterzeichnete, die eben-

*) Vgl. auch Stein, Geschichte Breslaus im neunzehnten Jahrhundert, S. 218 ff. und 221 ff.

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falls Stadtverordnete sind, unterziehen sich daher der Mühe, die Regen- brechtsche Entgegnung so kurz als es die vielen in dieser zu rügenden Punkte gestatten, zu würdigen.

Ad I. Wenn der Herr Professor mit so volltönender Stimme ver- kündet, daß seine gegen die Immediateingabe gerichteten Argumente ,,noch von niemand widerlegt, ja nicht einmal von irgend jemand ernst- lich angegriffen worden sind", wenn er kurz vorher sagt, daß er ab- weichender Überzeugung gewesen, nicht sowohl ,,über das Faktum, die allgemeine Mißstimmung", sondern „über den Erfolg des beabsichtigten Schritts" und diese Meinung bald darauf näher expliziert, indem er sagt, daß auf jene Eingabe ,, voraussichtlich entweder keine Antwort oder nur eine scharfe Zurechtweisung zu erwarten gewesen sei" so zeigt der Herr Professor nur, daß er samt seinen ,, Argumenten" nicht einmal den Gesichtspunkt zu erfassen wußte, von dem aus der fragliche Schritt zu betrachten war. Es kam durchaus nicht auf den Erfolg des Schrittes, es kam vielmehr einzig und allein auf den Schritt selbst an. Der An- trag lautete dahin: Es möchte Seine Majestät geruhen zu befehlen, daß die Gründe der Ausweisung jener Deputierten veröffentlicht oder in Ermangelung solcher die Staatsbeamten, die jene Ausweisung verfügt, bestraft würden. So schön und beruhigend es nun auch gewesen wäre, wenn z. B. die Veröffentlichung der Gründe erfolgt wäre, so kam es doch durchaus nicht sowohl auf diese augenblicklich praktische Folge oder etwa auf die Bestrafung der Beamten, sondern hauptsächlich darauf an, daß unser Monarch auf authentische Weise unterrichtet würde, welche Wirkung jenes Faktum auf die Gemüter des Volks hervorgebracht, es kam somit auf das Aussprechen, den Schritt selbst an. Wir sagen, es kam darauf an, unsern Monarchen auf authentische Weise davon zu unterrichten, denn so dürfte doch wohl eine von den städtischen Kollegien ausgehende Adresse genannt werden: Darum haben solche von und aus dem Volke gewählten Kollegien die Pflicht, besonders bei solchen be- drohlichen und, wie Herr Professor zugibt, allgemeine Mißstimmung erregenden Fällen der Mund zu sein, der aus dem Herzen des Volkes in das Ohr des Monarchen spricht. Welcher sichere [re] Weg wäre ge- geben, die öffentliche Meinung unverfälscht vor den Monarchen gelangen zu lassen? Darum wer diese Pflicht leugnet, aufhebt, der hebt auf den in Preußen bestehenden innigen Zusammenhang zwischen König und Volk, der isoliert und trennt Thron und Land. Nicht ihrer eigenen, etwaigen inneren Unzufriedenheit wollten die Votanten der Adresse Luft machen, sie wollten dieser Pflicht gegen ihren Monarchen nachkommen. Wenn nun Herr Professor meint, daß eine in diesem Sinne abgefaßte, aus diesem Pflichtgefühl geflossene Adresse an unseren erhabenen König voraussichtlich eine scharfe Zurechtweisung nach sich gezogen haben

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würde, so mag er zusehen, wie er sich rechtfertigte über diese Zumutung, die er der Weisheit unseres Monarchen macht. Wir bedauern, daß wir dies erst dem Herrn Professor haben sagen müssen und gehen über ad 2. Der Herr Professor spricht von der außerordentlichen Sitzung, in welcher der frühere bereits durch die Majorität beschlossene Antrag zurückgenommen wurde und sagt: ,,Noch einige mißlungene und eben nicht parlamentarische Anstrengungen der Minorität will ich aus kol- legialischer Freundschaft mit dem Mantel der christlichen Liebe be- decken." Wir wollen nun aber nicht mit Herrn Professor Regenbrecht unter dem Mantel kollegialischer Freundschaft wandeln, sondern bei weitem lieber nackt und nur in unsere Tugend gehüllt gehen. Darum reißen wir den Fetzen kollegialischer Freundschaft und christlicher Liebe, mit denen der Herr Professor unser unparlamentarisches Benehmen so bemäntelt, daß man unter diesen Fetzen Wunder was hervorzusehen glaubt, ab , und wollen sagen, was es mit diesen unparlamentarischen An- strengungen für eine Bewandtnis habe. In der ersten Sitzung war die Immediateingabe fest und in aller Form beschlossen worden. Der Vor- stand hatte den Auftrag erhalten, in nächster Sitzung die Adresse dem Kollegium vorzulesen. In dieser zweiten Sitzung, in welcher nur noch das wie? der vorgelegten Adresse beraten werden, die Frage aber, ob dieselbe überhaupt stattfinden soUe, gar nicht einmal diskutiert werden dürfte, weil dies ja durch Beschluß der Majorität einmal festgesetzt war, kämpfte Herr Professor Regenbrecht allen parlamentarischen Regeln zum Trotz noch einmal an und hatte diesmal wir wollen uns auf die Erklärung dieses Wunders gar nicht einlassen die Majori- tät auf seiner Seite. Wo blieb denn da Ihre ,, parlamentarische Resi- gnation," Herr Professor, von der Sie sprechen? Müssen wir dem Herrn Professor der Jurisprudenz es ins Gedächtnis rufen, wie höchst unpar- lamentarisch es ist, gegen den Beschluß der Majorität nachträglich noch anzukämpfen? Sie sagen sich, Herr Professor: ,,Was mich betrifft, so bin ich bisher so glücklich gewesen, meine Meinung von Heute auch noch für Morgen gültig gefunden zu haben." So? Aber den Stadtverordneten trauten Sie eine solche den Tag überdauernde Meinung doch notwendig nicht zu, als Sie in der zweiten Sitzung gegen den Beschluß der ersten zu sprechen anfingen. Und allerdings der Erfolg hat Ihnen recht ge- geben. Aber, daß Sie diesmal die Majorität auf Ihrer Seite hatten, ändert die Sache durchaus nicht. Kein Parlament, kein Kollegium hat das Recht, das, was es gestern durch sich selbst beschloß, heute wieder aufzuheben. Nach Ihrem Beispiel könnten wir es morgen wieder beschließen und über- morgen wieder zurücknehmen und so fort.

Darum legten vierundzwanzig Stadtverordnete Protest ein gegen dieses höchst ,, unparlamentarische" \'orgehen der Versammlung und gaben

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diesen ihren Protest zu Protokoll. Das sind die „unparlamentarischen" Anstrengungen der Minorität, von denen Sie sprechen. Gleichviel ob die Unterzeichneten den Antrag der Immediateingabe selbst billigten oder nicht, sie hätten in jedem Falle Protest eingelegt gegen ein Verfahren, das alle bestimmten Formen jeder parlamentarischen Ordnung aufhebt, das sich vergeht gegen die wesentlichste Grundfrage,^) auf der jede beschließende Versammlung, sie habe Namen, wie sie wolle, beruht gegen die Gültigkeit der Beschlüsse der Majorität. Dieser Protest, Herr Pro- fessor, als Protest gegen ein jede parlamentarische Ordnung vernich- tendes Verfahren war ein durchaus parlamentarischer Akt.

Doch wir provozieren darüber auf das öffentliche Urteil.

Ad 3. Wollen wir endlich die auffallend merkwürdige Weise der Polemik des Herrn Professor gegen den ungenannten Verfasser ins Licht stellen. Wir wollen uns nicht dabei aufhalten, alle die kleinlichen, ein gemischtes Gefühl von Lachlust und Unwillen erregenden Wendungen des Herrn Professor zu verfolgen, wie z. B. die ,,Es waren nicht wenige dissentierenden Stimmen, die solchen (des Professors) Erwägungen ihren Beifall nicht schenkten, es waren achtbare Männer, die jedenfalls in wesentlicherer Beziehung zu dem Wohle der Stadt stehen, als etwa der Verfasser des Artikels". Der Herr Professor wird nun einmal seinen Stadtverordneten nicht los wir wollen \nelmehr sehen, was durch den Artikel im ganzen bewirkt ist. Der Herr Professor beschuldigt im Eingang seines Artikels den anonymen Verfasser der ,, Entstellungen", ,, Unwahrheiten" und wiederum ,,oSenbaren Entstellungen der Wahr- heit". Er will darauf zur „Steuer 2) der Wahrheit" den Vorgang selbst erzählen, und siehe da, er erzählt ihn haarklein ganz so, wie es eben der Berichterstatter getan hatte; er konnte auch nicht gut anders, weil es sich einmal wörtlich so verhalten. Man nehme sich die Mühe, den Be- richt in Nr. 178 und die Entgegnung in Nr. 181 zu vergleichen, und sehe, ob der Herr Professor die geringste Unwahrheit im angegebenen Tatbestande nachweist. Der Herr Professor sagt, gleich der erste Satz des Berichts enthalte eine offenbare Entstellung der Wahrheit. Als solche wird näher bezeichnet, daß der Anonyme gesagt, nur wenige dissen- tierende Stimmen wären gegen die Immediateingabe in der ersten Ver« Sammlung gewesen. Dagegen nun läßt sich der Herr Professor vernehmen wie folgt: „Es waren nicht .wenige dissentierende Stimmen', die solchen (nämlich seinen) Erwägungen Beifall schenkten, es waren achtbare Männer, die jedenfalls in wesentlicherer Beziehung zu dem Wohl der

1) Lassalle hatte zuerst hier das Wort „Wurzel" gesetzt und es zu streichen

vergessen.

äj Das Wort war nicht deutlich zu lesen.

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Stadt stehen als etwa der Verfasser des Artikels." Aber ist denn das ein Gegensatz „wenige dissentierende Stimmen" tmd „achtbare Männer", schließt sich das denn aus? Können denn diese wenigen dissentierenden Stimmen nicht immerhin achtbare Männer sein und umgekehrt? Der Anonymus sprach ja gar nicht von ihrer Achtbarkeit, sondern nur von ihrer geringen Zahl. Was will also der Herr Professor mit seinem Gegen- satz „nicht wenige dissentierende Stimmen sondern achtbare Männer". Der Verfasser kann sie immer „wenige" nennen, denn wenige ist ein relativer Ausdruck und da sie in der Minorität blieben, waren es immer relativ wenige. Der Herr Professor behauptet auch gar nicht, daß ihrer viele gewesen, ebensowenig kann er das ,, Dissentieren" in Abrede stellen, wo bleibt also die offenbare Entstellung der Wahrheit, die Herr Pro- fessor nachzuweisen versprach? Bis hierher ist die lyOgik des Herrn Pro- fessor mehr heiterer Art. Bedenklicher aber wird sie in folgendem: ,,Der Hauptgrund endlich, daß der Verfasser nicht zu den ehrenwerten Stadt- verordneten gehören könne, liegt in dem frivolen gewissenlosen Spiel mit Wahrheit und Ehre." Nun erwartet jeder Mensch natür- lich einen Beweis für diese so starken Beschuldigungen. Der Herr Pro- fessor fährt aber unmittelbar so fort: ,,Im Anfang des Artikels sagt der Verfasser: ,Hier sind sie' (nämlich der Beschluß und Kontrebeschluß). Einige Zeilen weiter spricht er von einem bloßen Gerücht ,soll diese Sache abermals zur Sprache gekommen sein' und hier, darin, daß der Verfasser einmal sich des tatsächlichen Ausdrucks: ,Hier sind sie', das andere Mal des unbestimmten ,soll' [bedient], ruht nach Herrn Professor der Beweis für die Gewissen- und Ehrlosigkeit des Verfassers. Man lese nur die Regenbrechtsche Entgegnung, das ist in der Tat der ganze Be- weis dafür. Also weil der Verfasser, der selbst nicht Stadtverordneter, jene Vorfälle nur vom Hörensagen kannte, seine erst bestimmtere Rede- weise bald mäßigt, um eben anzuzeigen, daß er den Inhalt seiner Mit- teilung nicht ganz verbürgen könne, während nichtsdestoweniger dieser durch jenes ,soll' eingeführte Inhalt vollkommen wahr ist, aus dieser ganz löbhchen Vorsicht folgert der Herr Professor, daß der Verfasser ein frivoles gewissenloses Spiel mit Wahrheit und Ehre trieb." Eine solche Schlußfolgerung, Herr Professor, ist unbegreiflich, sie hört auf. eine Schlußfolgerung zu sein, sie ist nur noch die Ausgeburt einer er- hitzten Phantasie, eines leidenschaftlich erregten Zornes.

Aber noch mehr, Herr Professor, solche Beschuldigung auf solche Beweise zu stützen, ist mindestens unwürdig.

Der Herr Professor scheint nach dem oben angeführten Satz der An- sicht zu sein, daß der Titel eines Stadtverordneten ein Vademekum sei gegen ein frivoles gewissenloses Spiel mit Wahrheit und Ehre. Wir sind ihm für diese Meinung sehr dankbar. Daß aber dieser Titel kein

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Schutzmittel gegen gewisse andere Dinge sei, haben wir diesmal zu unserem Bedauern erfahren.

Wir hätten es sicher dem Anonymus überlassen, sich selbst gegen das aufgeregte, unwürdige und unredhche Verfahren des Herrn Professor, sowie gegen seine Ungeheuer von Schlußfolgerungen zu verteidigen, wenn nicht Herr Professor in seiner Entgegnung so oft und so vertrauensvoll auf das Urteil der Stadtverordneten provozierte, daß sich bei weiterem Schweigen von selten dieser notwendig beim PubHkum die Meinung bilden müßte, als billigten wir in pleno das charakteristische Regen- brechtsche Verfahren in dieser Sache.

Daher die unangenehme Pflicht der Entgegnung.

2.

Entwurf zu einer Eingabe der Stadtverordneten Breslaus an Friedrich Wilhelm IV.

(Konzept von Lassalles Hand)

Seiner Majestät!

Wenn die Stadtverordneten und der Magistrat der Stadt Breslau es wagen in tiefster Ehrfurcht hinzutreten vor den Thron Eurer Majestät und auszusprechen vor ihrem erhabenen Monarchen das, was in weiten Kreisen und mächtigen Schwingungen die Brust des Volkes durchzieht, so können nur die teuersten und heiligsten Interessen des I^andes die einen solchen Schritt rechtfertigende Veranlassung sein.

Es ist zu keiner Zeit allgemeiner und klarer erkannt worden, daß die Gewissensfreiheit das wesentliche und substantielle Gut eines I/andes, daß sie das heiligste Palladium aller Freiheit und zugleich das unver- äußerlichste Recht eines Volkes sei.

In keiner Zeit auch ist die Gewissensfreiheit sicherer und ernster vom Throne herab verbürgt worden, und diese Verbürgungen haben freudige Zuversicht angefacht im Herzen des Volkes.

Die Gewissens- und Denkfreiheit aber kann nicht gefaßt werden als die Freiheit des innerlichen Gedankens der Gedanke solang er ein innerer bleibt, ist keiner weltlichen Sphäre und Macht unterworfen, die Gewissensfreiheit, sofern ein Staat sie verbürgt, kann nur be- stehen in der freien wirklichen Äußerung des Gewissens in Kultus, Schrift und Rede.

Diese Äußerungen sind wie die jeder anderen Freiheit dem Mißbrauch ausgesetzt. Eure königliche Majestät haben durch weise Gesetze dafür gesorgt, den Mißbrauch unmöglich zu machen. Die Zensurgesetzgebung

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ist es, die den ^lißbrauch der Gewissens- und Denkfreiheit, soweit sie sich in der Schrift äußert, verhindert.

Jede in der Schrift vor sich gehende Äußerung der Gewissensfreiheit, soweit sie nicht gegen die betreffenden Gesetze verstößt, ist somit er- laubt, ja vom Standpunkt des protestantischen Gewissens herab ist un- antastbar und heilig.

Ein jeder Angriff auf eine solche durch die Gesetze erlaubte Äuße- rung der Gewissensfreiheit muß betrachtet werden als ein Angriff auf das Palladium des Volkes, als ein Angriff gerichtet zugleich auf das Fundament des allgemeinen Wohl und den Herd jedes Einzelnen. Solche Angriffe, mit tiefer Trauer sprechen wir es vor Eurer Majestät aus, haben stattgefunden in der neuesten Zeit. Bedenkliche Bestre- bungen einer Partei, deren Zweck es ist, die geschichtlichen Errungen- schaften des Protestantismus, denen der preußische Staat seine Macht und Höhe, das preußische Volk seinen freien geistigen Aufschwung ver- dankt, zu verkümmern, haben es zuwege gebracht, daß eine Anzahl Männer der Stadt Breslau im Drange ihres protestantischen Gewissens sich erhob, um in den Organen der Öffentlichkeit Protest einzulegen gegen das ungeschichtHche und unprotestantische Prinzip und sein dem Bewußtsein des heutigen Geistes feindliches Treiben. Wie ein Mann ist die ganze Provinz nachgestürzt, um sich anzuschließen diesem Schrei des protestantischen Bewußtseins, Geistliche und Laien, Männer jedes Standes, jedes Rangs, jeder Tätigkeit.

Es ist hierin der Beweis vorhanden, wenn es dessen noch bedürfen sollte, daß es zum Glück für Preußen nicht eine Partei ist, welche die zu immer neuen Schößlingen und Entwicklungen treibende Wurzel des protestantischen Geistes gewahrt wissen will, sondern daß die kompakte Mehrheit der Bevölkerung in allen Klassen der Gesellschaft dies als ihr wesentlichstes und heiligstes Interesse begriffen hat.

Diese in den öffentlichen Blättern erlassene Kundgebung war eine gegen die bestehenden Gesetze in keiner Weise verstoßende Handlung. Die, welche die Zensurgesetze Eurer Majestät handhaben, haben sie somit ungehindert in den öffentlichen Blättern passieren lassen. Diese Handlung als gesetzlich erlaubte war das unverkürzte Recht jedes Einzelnen, war aber auch mehr als Recht, sie war bei Laien zumal bei Geistlichen, heilige Pflicht gegen die Stimme des protestantischen Ge- wissens, das diese Erklärung diktierte.

Diese Handlung war eine innerhalb der gesetzlich erlaubten Grenzen stattfindende Äußerung der Gewissensfreiheit, die der Thron ver- bürgt und das Volk als eine Substanz seines Geistes, als den Quell seines Glücks, als das Teuerste und Eigenste seiner Besitztümer erkannt hat. Nichtdestoweniger hat ein Reskript aus dem ^Ministerium des Unterrichts

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lyehrern und Geistlichen die Teilnahme an diesem protestantischen Akt wehren und sie somit des wesentlichen Rechtes, die Ausübung der Ge- wissensfreiheit in den gesetzlichen Grenzen, entreißen wollen; nichts- destoweniger ist ein hier in den weitesten Kreisen vmserer Stadt hoch- geachteter geistlicher Beamte, wegen seiner Beteiligung an diesem Akt, an dem sich hundert andere Geistliche mitbeteiligt, aus seiner Stellung entfernt worden. Das ist es, was den Blick trübt, den ein jedes Auge in die Gegenwart und Zukunft wirft, was eine Nacht voll banger Besorg- nisse verbreitet über die Gemüter des Volks. Nach solchen Tatsachen muß das dreihundertjährige Prinzip Preußens, das Palladium des preu- ßischen Volkes, die Gewissensfreiheit, in Frage gestellt erscheinen.

Die durch kein Gesetz begründete ministerielle Meinung findet jenen gewissenhaften Akt unverträgHch mit der Stellung eines Beamten. Kann und soll so fragt man sich die Eigenschaft eines preußischen Be- amten, des Beamten eines protestantischen Staates unverträglich sein mit dem protestantischen Gewissen, kann und darf sie den Verlust des Unverlierbarsten nach sich ziehen, die Ausübung der Gewissensfreiheit in den gesetzlichen Grenzen? Verliert ein Preuße seinen Anteil an diesem heiligsten und unveräußerlichsten Besitztum des preußischen Volkes, wenn er in die Stellung eines Beamten eintritt?

Die Regierung Eurer Majestät ist wenig konsequent in einem Punkt oder sie ist es nur zu sehr. Man hat die Presse nicht authentisch wollen gelten lassen als den Ausdruck der öffentlichen Meinung und die Be- hauptung aufgestellt, daß sie nur das widerhallende Echo der Stimmen einzelner Schreier sei. Jetzt, wo Männer, deren amtlicher Charakter Bürge ist, daß sie auch das Zutrauen des Staates [gemäß] ^) beitragen, in der Presse die wahrhafte öffentliche Meinung zum Ausdruck und Darstellung zu bringen, hält man das ministerielle Machtwort solchem Beginnen entgegen, um dann wieder desto ungestörter sagen zu können, in der Presse gebe sich nur die Stimme charakterloser Schreier kund.

Solange das Ministerium Eurer Majestät eine gewisse Partei nur be- günstigt und bevorzugt, und solange das Land keine gesetzlichen Ge- walten besitzt, die über solches Tun zu wachen haben solange würden die Vertreter der Stadt Breslau es nicht für angemessen halten, mit Klagen vor den Thron Eurer Majestät zu treten. Wenn aber diese Bevor- zugung sich nicht begnügt, Bevorzugung zu bleiben, wenn sie sich ver- wandelt in einen Angriff auf das teuerste unveräußerbarste Recht, auf den Schild und die Devise des preußischen Volkes, auf die Gewissens- freiheit, ist es Pflicht, in schuldiger Ehrfurcht Eurer Majestät zu nahen

1) Dies Wort ließ sich nicht deutlich entziffern.

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und es auszusprechen, daß sich ein tiefer Trauerflor gezogen hat um die freudige Zuversicht des allgemeinen Geistes.

Unter allem Unglück, das den Vertretern der Stadt Breslau begegnen könnte, wäre es sicher das schwerste und schmerzlichste, wenn die ^lo- tive dieses unseres Schrittes verkannt würden. Was uns zu diesem Schritt getrieben, ist allein echte und wohlverstandene Untertanenpflicht, die Pflicht, der Mund zu sein, der die Regungen und Bedürfnisse des Volkes und seine stumme Angst schlagen läßt an das königliche Ohr.

Philosophisches

Grundzüge zu einer Charakteristik der Gegenwart mit besonderer Berücksichtigung der Hegeischen Philosophie

ZurEinführung I^assalle wurde mit der Philosophie Hegels bekannt, noch während er sich im Winter 1841 auf 1842 zum Abiturientenexamen vorbereitete. Wie er selbst später erzählte, waren ihm damals einige Hefte der „Halle- schen Jahrbücher" in die Hände gefallen. Bis dahin hatte sich der Sech- zehnjährige hauptsächhch in Literatur und Geschichte umgetan. Aus dieser philosophischen Tageszeitung wo anders als im damaligen Deutschland war so eine möglich? erfuhr er zum erstenmal und, wie es scheint, zu seinem nicht geringen Erstaunen, ,,daß es ein Wissen gebe, von dem er bisher noch nichts wisse". Sogleich stürzte er sich, wie es so seine Art war, mit Feuereifer auf den Denker, der ihn alsbald merk- würdig anzog. Er begann sofort mit der ,, Phänomenologie des Geistes" und ruhte nicht eher, als bis er die Gedankenwelt des großen Syste- matikers sich vöUig zu eigen gemacht hatte. LassaUe mochte instinktiv fühlen, daß den überstarken Lockungen seines ungebändigten Trieb- lebens sich hier das heilsame Gegengewicht anbot, dessen seine Persön- lichkeit bedurfte, wollte sie sich für die ungewöhnlichen Aufgaben zügeln, die seiner harrten. Weil es seine Innerlichkeit trieb, den Ausgleich her- zustellen zwischen der Idee, die noch unklar auf dem Grunde seines Wesens ruhte, und den Ansprüchen seiner egozentrischen Natur, und weil er sofort erfaßte, daß er hier diesen Ausgleich finden konnte, wurde ihm die Hegeische Philosophie zum entscheidenden geistigen Erlebnis. Sie hat ihm fortan die Tiefen der eigenen verschlungenen Wesenheit er- leuchtet, sie wies ihm die Wege, die er einzuschlagen hatte, sie setzte ihn in das ihm gemäße Verhältnis zu seiner Umwelt und zu seiner Zeit. Wie er selbst diese Einwirkung der Hegeischen Philosophie erlebte, verrät der Brief des Studenten an seinen Vater, der im Mai 1844 von BerHn aus die ,, Häutung" beschrieb, die sich zwei und ein halbes Jahr zuvor an ihm vollzogen hatte. Dort sagte er: i) ,,Die Philosophie trat an mich

1) Nachgelassene Briefe und Schriften, Bd. I, S. 90.

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heran und gebar mich wieder und von neuem im Geiste. Diese geistige Wiedergeburt gab mir alles, gab mir Klarheit, Selbstbewußtsein, gab mir zum Inhalt die absoluten Mächte des menschlichen Geistes, die ob- jektive Substanz der Sittlichkeit, der Vernunft usw. Kurz, sie machte mich zu der sich selbst erfassenden Vernunft, d. h. zum selbstbewußten Gott, d. h. zu dem sich als Erscheinungsform und Verwirklichung des Göttlichen begreifenden Geist." In den manuskriptartigen Briefen, die er von Berlin aus an die Eltern richtete, bediente Lassalle sich bereits ständig der Hegeischen Terminologie, imbekümmert darum, daß er nicht bloß dem beschränkten Horizont der Mutter, sondern auch dem viel weiteren, aber nicht philosophisch umsäumten des Vaters damit zuviel zumutete.

Wenn ein so brausender und von keinem angeborenen oder ange- züchteten Geschmack beratener Geist anfangs bisweilen einen zu erden- haften Gebrauch von dem neuen Göttlichkeitsgefühl machte, mit dem der Identitätsgedanke ihn erfüllte, so dürfen wir darum nicht verkennen, wie das Bewußtsein, sich als Priester der Idee, als Ritter des Geistes fühlen zu dürfen, auf seine schlackenreiche Natur läuternd und klärend einge- wirkt hat. Aber auch seiner geistigen Betätigungsart kam die Philoso- phie Hegels auf seltene Weise entgegen ; sie paßte sich erstaunlich gut den Mitteln an, mit denen seine Verstandeskräfte und sein Vernunftbedürf- nis Dinge und Geschehen zu fassen suchten. Dies zeigt sich mit beson- derer Klarheit , wenn man die früheste selbständige philosophische Ab- handlung des jungen Lassalle betrachtet, die, lange verloren geglaubt, hier zum erstenmal ans Tageslicht tritt und die, wie man annehmen muß, seinem ersten studentischen Semester, dem Sommer 1S43, entstammt.

Ein Achtzehnjähriger hat sie geschrieben. Als Mitglied des philo- sophischen Kränzchens seiner Burschenschaft steuerte er sie für die erste Nummer einer ,, Zeitschrift für moderne Philosophie" bei, die hand- schriftlich hergestellt wurde. Das Original, ein Quartheft, trägt als Motto das Wort Shelleys: ,,Denn ein Rebell von Haus aus ist der Geist," ein Ausspruch, der den junghegelschen Radikalismus dieses Kreises treffend charakterisiert. Als verantwortlicher Redakteur zeichnete Cid; das war der Kneipname ]Max von Wittenburgs, des geistigen Mittelpunkts dieser Gruppe, der schon zu Beginn des Wintersemesters, wie der Leser an anderer Stelle erfuhr, relegiert wurde. ^) Der Titel der Arbeit \A-urde be- reits genannt, der Verfasser F. Lassal wird mit Namen erwähnt. Die Reinschrift haben verschiedene Hände hergestellt, der Autor selbst ist am stärksten beteiligt. Numeriert sind nur die ersten acht Spalten, nicht die folgenden 36^ 4. Daß auf den Spalten ^2 und 33 die obere Hälfte weiß bHeb, deutet wohl kaum auf ei ne Auslassung, es beginnt mit dem neuen

^) Vgl. Nachgelassene Sclirifteii, Bd. I, S. 70.

Mayer, Usialle-Nachlass. VI ,

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Bogen eine neue Handschrift. Die erste Nummer, die einzige, die dem Herausgeber vorlag, enthält allein den Aufsatz lyassalles, der hierin nicht zu Ende kommt. Daß noch weitere Nummern folgten, bezeugt Rudolf von Gottschall, der an dem ,, Journal" mitarbeitete, und der sich auch erinnert, daß Lassalle ,, philosophische x\rtikel" beisteuerte, i) Daß Gott- schall sich darin nicht irrte, schließen wir aus dem Hinweise Lassalles auf seinen Beitrag: ,,Zur Religionsphilosophie des Christentums". Diese und möglicherweise noch andere Niederschriften Lassalles müssen heute als verloren gelten. Doch dürfen wir annehmen, daß der vorliegende Bei- trag in den Augen des Verfassers selbst der bedeutendste war, den er zu der philosophischen Zeitschrift der Burschenschaft beisteuerte. Jeden- falls ist er der einzige, der ihm selbst ,,als historische Erinnerung" später ,,wert und teuer" blieb. Es unterliegt keinem Zweifel, daß er diese Ab- handlung meinte, als er am 24. April 1844 von Berlin aus nach Hause schrieb: 2) ,,Ich bitte Dich, lieber Vater, recht sehr, mir das von uns redigierte, in Deinem Gewahrsam sich befindende , Journal für Philosophie' zu schicken . . . Ich möchte mir diese Arbeit nicht gern verloren gehen lassen. Es gibt philosophische Entwicklungen darin, die ich, wer weiß wo einmal brauchen kann. Und man hat nicht immer die dialektische Kraft und das kategorische Darstellungstalent bei der Hand, das man einmal gehabt hat."

Die , .geistige Wiedergeburt", die der junge LassaUe der Hegeischen Philosophie zu verdanken glaubte, bestand das sagten wir uns schon und die vorliegende Abhandlung bestätigt es besonders darin, daß die glühende Subjektivität seines bisherigen Fühlens und Denkens hier in eine Zucht kam, die er selbst als wohltätig empfand, weil sie nicht von außer ihm stehenden Gewalten angestrebt und ausgeübt wurde, sondern das zumal überwältigte ihn von Gewalten, an denen seine eigene Wesenheit teilnehmen konnte. Wer Hegels Jünger wurde, schwankte nicht mehr als haltlose Subjektivität im geistigen Weltenraum, er fühlte sich erlöst von dem ,, ewigen Besserwissen" und der , .Eitelkeit des Sub- jektes". In der immanenten Notwendigkeit des dialektischen Pro- zesses erwuchs ihm eine Geisteshaltung, die die scharfen Verstandeskräfte des Adepten einsammelte, einordnete und auf Ziele ausrichtete, die seine instinktiven Neigungen mit den objektiven Bewegungsgesetzen des Geistes und der Geschichte in Harmonie zu setzen versprach. Diese ,, philosophische Methode" verdrängte bei Lassalle ein für allemal die pure Reflexion des ,, eitlen Räsonnement", dessen willkürliche Natur er nun durchschaute. Die Geschichte gilt ihm fortan als die einzige ob- jektive Kritik, denn sie, das Leben und die Tat der Gattung, ist ,,die

^) Rudolf von Gottschall, Aus meiner Jugend, Berlin 1898, S. 135.

2) I^assalle, Intime Briefe an Eltern und Schwester, Berlin 1905, S. 27 f.

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Kritik des absoluten Geistes selber". Doch ,,die Bewegungen der Ge- schichte mitmachen" bedeutete für ihn wie für die ganze junge Generation der Hegelianer, die die Julirevolution erlebt hatte, nicht mehr dasselbe wie für den Meister selbst, der der Restaurationszeit verhaftet ge- blieben war und bis an sein Ende mit Vorliebe die Vernunft des Be- stehenden betont hatte. Sie hielten jene Gewalten, die in Deutschland zufällig noch äußerlich die Macht behaupteten, bereits für von der Ver- nunft verlassen, also für überlebt und von der Geschichte abgetan. Das Ohr eines geborenen Revolutionärs, wie Lassalle es war, vernahm nun bereits ,, Trompetengeschmetter", welches anzeigte, daß ,,der Geist und die spröde Wirklichkeit" demnächst Brautnacht abhalten würden. Er fühlte sich als Glied eines Geschlechts des „historischen Zorns und Durch- bruchs", das entschlossen war, den inneren Begriff, den es aus sich her- ausgearbeitet hatte, in die Praxis zu überführen. Er zweifelte nicht, daß dieser Prozeß mit der gleichen Notwendigkeit sich durchsetzen werde, wie der Embryo, dieses ,,An-sich eines Menschen", dieser ,,nur innerliche nicht wirkliche Mensch" in das verwirklichte für sich seiende Subjekt übergeht.

In der Ausgestaltung der Theorie, die der Praxis voraufgehen müsse, erblickte die revolutionär gestimmte Schar unter den Jüngern Hegels nicht bloß das mit Notwendigkeit Frühere, sondern ,,wohl auch das Schwierigere von dem, was eine Übergangsperiode zu vollbringen habe". Wohlgefällig läßt Lassalle in seiner Abhandlung den Blick ruhen auf dem chaotischen Gären und Ringen des selbstbewußten neuen Geistes, und mit freudiger Genugtuung stellt er fest, daß dieser Geist, dessen Momente sich nun zu einem gegliederten System vereint hätten, nur noch seiner Fleischwerdung harre, „um die Erlösung der Welt zu vollbringen" und den gesellschaftlichen Organismus, der krank sei, ohne daß man sein pathologisches Prinzip bisher gefunden habe, zu heilen. Hegels Lehre, daß alle Substanz an sich selber Subjekt sei, und die Erkenntnis der dialek- tischen Einheit von Theorie und Praxis geben Lassalle die Gewähr, daß der gründliche Umsturz der ganzen alten und vermoderten Weltan- schauung im Gange sei. Ist es da verwunderlich, daß auch er selbst zu dem Werkzeug greift, das der Meister ihn zu handhaben gelehrt hat? Mit dem Mittel der Dialektik will er aufzeigen, wie Zeiten des ,, glück- lichen Bewußtseins", solche, in denen der Einzelne von dem Allgemeinen nicht abgesprengt ist, in Zeiten des ,, unglücklichen Bewußtseins" um- schlagen, in denen die Sichselbst gleichheit des Seins sich aufgelöst hat, in denen der Geist sich nicht mehr in der Wirklichkeit erkennt und nun das Sollen der Idee einem Zustand entgegenhält, der sich ihm als ein Sein ohne absolute Wesenheit darstellt. Ein solcher Zustand rufe das Selbstbewußtsein aus seiner untätigen Zerrissenheit heraus an die ..reelle

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Arbeit der Geschichte", an die Aufgabe, die Verwirklichung der Idee zu vollbringen. Das welthistorische Bewußtsein erweist sich lyassaUe als die höhere Einheit des glücklichen und unglücklichen Bewußtseins, als die ,, Inkarnation der Idee in die Existenz, als die wahrhafte Mensch- werdung Gottes". AUe Praxis ist ihm also die Verwirklichung einer Theorie, ebenso wie es ihm als eine Bestimmung der Theorie gilt, in Praxis umzuschlagen. Jede neue geschichtliche Stufe folgt mit unbe- dingter Konsequenz aus der hervorgehenden; eine jede hat die Bestim- mung der absoluten Notwendigkeit, eine jede ist eine Stufe in der Selbst- verwirklichung des Geistes, wie denn die Geschichte überhaupt dem Jünger Hegels die Entwicklung des absoluten Geistes bedeutet. Aber er setzt diesen bereits identisch mit der Gattung. Wer die ,, mystische Ausdrucksweise" der spektdativen Philosophie vor der Ludwig Feuer- bachs bevorzuge, möge, so bemerkt er, die Geschichte das Dasein des sich offenbarenden Gottes nennen. Doch auch dieser erinnere sich, daß man Gott nicht als etwas Fertiges, sondern als Prozeß begreifen müsse, als den immer neuem Fortschritt zueilenden, immer höhere Stufen er- klimmenden Geist der Gattung.

Nun bleibt aber der Einfluß Feuerbachs auf den jungen LassaUe ein ziemlich äußerlicher; er dringt bei ihm nicht in die Tiefe wie bei Fried- rich Engels und namentlich bei Marx. Er treibt ihn nicht dazu, Grund- positionen der Hegeischen Philosophie in Zweifel zu ziehen, er er- schüttert bei ihm nicht die Autonomie der Kategorien, er macht bei ihm nicht die Idee der Materie tributpflichtig. Tief durchdrungen von der Identität zwischen Denken und Sein findet lyassaUe gerade seine tiefste Befriedigung in dem Bewußtsein, daß die Kategorien des Begriffs und die Epochen der Geschichte zusammenfallen. Gerade darauf richtet sich das Bemühen seines Jugendaufsatzes, die Weltgeschichte als den gleichzei- tigen Prozeß von Gattung und Selbstbewußtsein aufzuzeigen.

Die eigene Epoche galt ihm, wie man sich erinnert, als die des un- glücklichen Bewußtseins. Sie war unglücklich, weil sich die Opposition, in der sich für alle diese zu theoretischen Revolutionären gewordenen jungen Hegelianer die höchste Stufe des Zeitbewußtseins verkörperte, zu dem Bestehenden kritisch verhalten mußte. Sein ungemein starkes Gegenwartsgefühl wendet sich noch einmal diesem ,, unglücklichen Be- wußtsein" zu, um es noch vollkommener zu durchleuchten. Auch hier liegt es ihm am Herzen, die Identität der begrifflichen und der ge- schichtlichen Entvvdcklung aufzuweisen. Er unterscheidet zwischen der Epoche und Kategorie der ungestörten Wohligkeit des Selbstbewußt- seins, denen des frivolen oder leeren und denen des unglücklichen Be- wußtseins. In der ersten Kategorie resp. Epoche hat das Selbstbewußt- sein die Altäre der Autorität gebrochen und inmitten des Wankens und

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Fallens aller anderen Gestaltungen sich selbst als die alleinige flacht und Wesenheit erkannt. Aber die Aufhebung aller realen Bestimmtheiten machte es selbst inhaltsleer; keine objektive Substanz gibt ihm mehr Wesenheit, aller Idealismus versank, das wesenlose Ich wurde frivol und fiel dem Kot des Alltags anheim. Auf der dritten Stufe erkennt das Bewußtsein seine Gemeinheit und Gesinnungslosigkeit und verlangt nach neuer Erfüllung mit Wirklichkeit. Aber die vorhandene Wirklichkeit ist noch die alte der verblichenen Substanz. Geistig ist diese längst ge- storben, doch ihr Leichnam hat sich erhalten, weil die Revolution bisher nur eine innerliche gewesen war, die sich noch nicht ihre äußere gegen- ständliche Wirklichkeit gegeben hat. Denn nur vor dem positiven neuen Inhalt weicht die alte Wirklichkeit. Lassalle vergleicht die Epochen des wohügen und des leeren Selbstbewußtsein dem Kreisen der Möwen, die verkünden, daß der Sturm des neuen Geistes herankomme und der Bau der Erde innerlich bereits unterminiert sei.

Nachdem er so das Katego riale aufgewiesen hat, wendet er sich dessen zeitUchem Ausdruck zu, überzeugt, wie er ist, daß, was eine Epoche der Geschichte bildet, auch eine Kategorie des Begriffs sein müsse. Er zeigt auf, wie der Deismus, der neben dem gläubigen Bewußtsein und dem französischen Atheismus im Deutschland des i8. Jahrhunderts Boden faßte, zum Indifferentismus hingeführt habe. Der Deismus, meint er, konnte nur auftreten, wo der Mensch, weil er in Religion und Staat sein Wesen nicht mehr fand, sich selbst bloß noch als ein Atom erfaßte, das seinen bewußten Zusammenhang mit der Geschichte atif- gegeben hatte und allein die Zwecke seiner animalischen Einzelheit ver- folgte. Die Romantik unternahm den Versuch, die Atmosphäre des Le- bens wieder mit dem verloren gegangenen Sauerstoff der Idee zu schwän- gern. Aber der Idealismus, den sie erstrebte, war der schwindsüchtige der Transzendenz, der Geist, der sie erfüllte, war die L'nbefriedigung in der Wirklichkeit, das kraftlose Sehnen aus dem Diesseits und seinem wirk- lichen Inhalt heraus in die vagen Regionen der Phantasie. Die Romantik verkannte, daß in den langen Kämpfen, in denen das ^littelalter hin- starb, der moderne Geist das Diesseits der Wirklichkeit als die alleinige Sphäre, die ihm zukomme, begriffen hatte. Im Indifferentismus zeigte sich dem modernen Geiste die Wirklichkeit geistlos; begeistert mußte sie ihm werden, aber nicht aus dem Born schwindsüchtiger, mittel- alterlicher Transzendenz. So trat der Romantik das Bewußtsein der Wirklichkeit als der alleinigen Wahrheit siegreich gegenüber. Als der Vertreter dieses Bewußtseins, des noch leeren oder frivolen Bewußt- seins, erscheint dem Hegelianer gewordenen Lassalle jetzt der Dichter, dem die schwärmerische V^erehrung seiner Schüler jähre gegolten hatte. Er glaubt zu erkennen, daß in Heine ebenso wie in seinem Antipoden

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Börne das Fichtesche Ich fortlebe. Börnes Negationswut habe sich auf die Freimachung des Ich von aller Heteronomie in der Praxis gerichtet, Heine sei symptomisch für die innerliche Freimachung des Ich von allen Substanzen, die ein An-sich-sein beanspruchten und dem Ich Gewalt antun wollten. Sein Fehler war, daß er sich in seinem Bemühen nicht allein gegen die Überschwenglichkeit der Romantik wandte, sondern gegen alles Ideelle, das über die nüchterne Seinerselbstgewißheit des Subjektes hinausging. So trat bei ihm das leer gewordene Ich der realen sittlichen vSubstanz gegenüber, von der es sich selbst frei wußte, es schalt sie Lüge, statt sich ihr hinzugeben. An dem falschen Ideahsmus der Romantik gemessen war dieses Bewußtsein der Nüchternheit und sinnlichen Wirk- lichkeit im Recht, gemessen an einem gesunden Idealismus war es das Frivole, das Unsittliche. Wie auf die Kategorie so folgt auch auf die Epoche des frivolen Bewußtseins die des unglücklichen oder zerrissenen Bewußtseins; sie findet die Wirklichkeit wesenlos und ohne Geist, die Welt verdorben, das Ideale unver wirklicht. Es ist das Zeitalter des Welt- schmerzes, der seine Zerrissenheit zur vSchau trägt, während er das öffent- liche lyeben ermatten und versumpfen läßt.

In I^assalle spiegelt sich seine eigene Entwicklung, indem er nun her- vorhebt, daß die ,, Wiedergeburt der Welt" aus einer Richtung gekommen sei, aus der man sie am wenigsten erwartet hätte. Nachdem die Juli- revolution vorausgegangen war, sei die Hegeische Philosophie es ge- wesen, die den gründlichen Sturz der alten Weltanschauung verwirklichte und den positiven Inhalt des neuen Geistes aus seinem An-sich-sein zvur Klarheit herausarbeitete. Mit ihrem ,, Paradoxon von der Identität des reinen Seins und des Nichtseins und der damit zusammenhängenden Identität des Denkens und Seins" überbrückte sie endlich den Gegensatz, der solange zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen geklafft hatte, brachte sie zur Erkenntnis, daß in jedem Ding bereits die Einheit des Einzelnen und des Allgemeinen stecke: ,,Die Eigenschaft ist das All- gemeine, aber als Allgemeines findet sie sich nirgends, sie existiert viel- mehr nur am Einzelnen. Die Idee der Pflanzengattung existiert nur an den einzelnen Pflanzenindividuen."

Auf die früheste geistige Entwicklung ihres Verfassers wirft diese endlich aus der Verborgenheit auftauchende Abhandlung EassaUes neues helles Eicht. Sie läßt erkennen, wie die Weltanschauung des Mannes bereits bei dem Achtzehnjährigen festliegt und daß alles, was er später in substanzieller Hinsicht geformt und entwickelt hat, nur Gedanken entfaltete, die hier bereits ihre Keime haben. Auch bei dem reifen Eassalle behält, wie seine Kritik der Rosenkranzschen Eogik am klarsten zeigt, die Idee ihre selbständige Existenz, er kommt niemals dazu, den empi- risch-historischen Ursprung der Kategorien zu behaupten und damit

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die Wege zu betreten, auf denen Marx und Engels ihrer ökonomischen Geschichtsauffassung Bahn zu brechen suchten. Doch ebensowenig ließ er umgekehrt mit Bruno Bauer und Max Stirner die Objektivität des historischen Prozesses einer Dialektik anheimfallen, deren entleerter Subjektivismus im Effekt zur Aufklärung zurückführte. Vor dem einen wie vor dem anderen behütete ihn, daß er, wohl der letzte bedeutende Schüler Hegels, der Identitätslehre getreu den Sinn zu bewahren suchte, den der Meister selbst ihr gegeben hatte.

Grundzüge zu einer Charakteristik der Gegenwart mit besonderer Berücksichtigung der Hegeischen Philosophie

(Original)

Eine historische Periode kann auf keine andere Weise treffend und entscheidend charakterisiert w^erden, als wenn der Geschichtschreiber jenes vergangene Leben des Geistes noch einmal beseelt, es noch einmal selbst handelnd auf die Bühne treten läßt. Unsere meisten Geschichts- werke, fast unsere ganze bisherige Geschichtschreibung, laboriert eben an dem Fehler, daß das Subjekt von dem Standpunkt der Reflexion herunter über den geschichtlichen Inhalt räsoniert. Dieses leere, räso- nierende Verhalten, dieses willkürlich bewegende Prinzip des Inhalts, dieses ewige Besserwissen des Subjekts und diese Reflexion aus dem In- halt heraus in das leere Ich ist nichts als die Eitelkeit des Subjekts und seines Wissens über den Inhalt; sie ist das gänzliche Verkennen dessen, daß das Prinzip der Geschichte die Notwendigkeit, sie selber aber das prozessierende Leben, die ewige und stete Entwicklung des absoluten Geistes, Gottes d. h. der Gattung ist.

Durch dies reflektierende Verfahren wird es erklärlich, daß die Re- sultate dieser Geschichtschreibung stets nur dem jedesmaligen Stand- punkt entsprechen, auf welchem sich der Verfasser, das zufällige Sub- jekt befindet. Die diesem zuwiderlaufenden Richtungen werden mit viel Bequemlichkeit durch ein assertorisches \'erfahren auf die Seite gebracht.

Von dem entgegengesetzten Standpunkt als diese Geschichtschrei- bung der Reflexion geht die philosophische Methode aus. Sie hat es zu ihrer alleinigen Aufgabe, die geschichtlichen, dialektischen Prozesse noch einmal in Flüssigkeit zu setzen, die damaligen Gegensätze noch einmal ins Leben, und somit in Reibung und Kampf zu bringen. Weit entfernt, eine historische Epoche als Folie und Objekt eines subjektiven und eitlen Räsonnements zu betrachten, weiß sie sich vielmehr in den Inhalt zu versenken, weiß sie jene Zeit als Subjekt zu fassen, sie noch einmal in Aktivität zu setzen; und indem sie alle Richtungen und Mo- mente einer Zeit frei sich entfalten und austoben läßt, indem sie sich

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alles eigenen Einfallens in den immanenten Rhythmus dieser Momente, alles Eingreifens in sie durch Willkür und eigene Weisheit enthält, scheint sie zwar selbst die Geschichte in völliger Untätigkeit nur zu be- gleiten; indem sie aber so die Historie in ungestörter Kontinuität ge- währen läßt, ergibt sich ihr vielmehr das positive Resultat, zu dem es die Geschichte, der objektive Geist, in seinem Weiterringen selbst ge- bracht hat. Sie ist die alleinige, die objektive Kritik. Die Geschichte kritisiert jeden in ihr auftauchenden Inhalt, jedes Moment selbst in seiner Entwicklung. In der Verwirklichung, die sie ihm gibt, zeigt sie seine positive Berechtigung, in seiner Ausbildung und Konsequenz seine Wahrheit, in der Negation, in der Auflösung, in dem Hinausgehen über dies Moment sein Anderes das ihm Fehlende auf. Diese Kjitik, die die Geschichte vollzieht, ist denn die Geschichte ist das Leben und die Tat der Gattung die objektive Kritik, die Kritik des absoluten Geistes selber. Das Geheimnis der philosophischen Methode besteht mit einem Worte darin: die Bewegung der Geschichte mitzumachen.

Damit scheint nun aber auch eine alte und von Tacitus an gültige A'orschrift, daß man sine ira et studio Geschichte schreiben müsse, antiquiert zu sein. Einen Zorn soUen wir allerdings empfinden, den historischen Zorn, jenen Zorn, dessen Nordlichtschein wir so oft auf der Geschichte Antlitz leuchten sehen, und dem sie nur lyuft macht in ver- nichtenden, aber schaffenden Explosionen.^) Der historische Zorn ist der Hahnenschrei, der uns das Kommen des jungen Tages verkündet, oder er ist vielmehr das Trompetengeschmetter, das uns an- zeigt, die beiden langentzweiten Liebenden, der Geist und die spröde Wirklichkeit haben sich ausgesöhnt und der Wollust atmende stürmische Bräutigam, der Geist, eile die verlan- gende Braut in zeugender Umarmung zu befruchten.

Es ist nun heutzutage auch naiven Leuten klar, daß wir in einer solchen Periode des historischen Zorns und Durchbruchs, d. h. also der geschichtlichen Ehren stehen. Wieder einmal ist die Welt im Begriff, die schwierige schmerzliche aber verjüngende Operation einer Häutung vorzunehmen. Sie hat mit der bisherigen Substanz ihres Daseins und Glaubens gebrochen, sie ist daran, den in ihrem Schoß keimenden Em- bryo frei an das Tageslicht, das erst An-sich-seiende zur f ür-sich-seienden Wirklichkeit, in das Element des gegenständlichen Seins zu entlassen. Hat aber erst eine Zeit ihren inneren Begriff aus sich herausgearbeitet und so klar zum bewußten Für-sich-sein erhoben, wie die unsrige. so

^) Als Lassalle dies niederschrieb, kannte er vermutlich den Aufsatz: ,,Die Reaktion in Deutschland", den Bakunin nicht lange vorher unter dem Pseudonym Jules Elj'sard in den Deutschen Jahrbüchern veröffentlicht hatte. Dort heißt es am 21. Oktober 1842: ,,Die Lust der Zerstörung ist zugleich eine schaffende Lust."

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folgt mit derselben Notwendigkeit der Übergang dieses inneren Begriffs in die Praxis, mit welcher der Embr^-o, dieser nur innerliche, nicht wirk- liche Mensch (der erst das An-sich, der Begriff eines Menschen) übergeht in das verwirklichte für-sich-seiende Subjekt.

Die Arbeit aber, den inneren Begriff zur bewußten Klarheit heraus- zuringen ist das Frühere und wohl auch das Schwierigere von dem, was eine Übergangsperiode vollbringen muß. Blicken wir auf die unserer Zeit kurz vorhergehende Periode zurück, so sehen wir alle die Elemente, die sich seitdem zu einem harmonischen Ganzen verbunden und zu ihrer höheren Einheit zusammengefunden haben in einem chaotischen Gären und Ringen begriffen, überall streitende, sich geltend machende Mo- mente, nirgends aber wie jetzt diese Momente zu einem gegliederten System vereint, zum klaren, selbstbewußten Geist gereift, der nur noch seiner Fleischwerdung harrt, um die Erlösung der Welt zu vollbringen; wir treffen überall, dunkler oder klarer das unheimliche Gefühl, daß der gesellschaftliche Organismus ein krankheitlicher sei, noch aber hatte die Welt das pathologische Prinzip dieses Krankheitszustandes nicht gefunden.

Wir gehen auf jene Zeit zurück, in welcher das politische Bewußt- sein Deutschlands einen so glänzenden Auferstehungsakt gefeiert hatte, die Vertreibung der P'remdherrschaft durch die Erhebung des nationalen Bewußtseins. Es liegt aber dem Nationalstolz und einer jeden Demon- stration eines Volkes wie seine äußere Unabhängigkeit an sich der Ge- danke der inneren, politischen Freiheit zugrunde. Jedes Volk, sogar das seinem inneren Staatswesen nach unfreie, verabscheut es, solange irgend das Bewußtsein politischer Würde in ihm liegt, von einer fremden Macht Gesetze anzunehmen, weil sie eben von jener als etwas Fremdes, wobei es nicht um Rat gefragt wird, ihm entgegengebracht werden. In seinem eigenen Gemeinwesen dagegen erscheint es sich als nach seinem eigenen Willen regiert, von seinen heimischen Gesetzen hat es den Anschein, als habe es sie nach eigener Überzeugung zur Rechtsgültigkeit erhoben, es fühlt sich in ihnen autonom und selbstherrschend. Diese Autono- mie, diese freie Selbstbestimmung wird verloren, sobald das Unsittliche geschieht, daß Gewalt von innen oder außen es unternimmt, den Staat zu hindern seinem Begriffe nachzukommen: die Verwirklichung des wahrhaften sittlichen Willens, die Selbstrealisierung des allgemeinen Geistes zu sein.

Das ist der innere Gedanke der Nationalität im klassischen Altertum und in den Freiheitskriegen, das der Grund, warum dieses Wort, so oft es angeregt wurde, eine so eklatante Macht über die Gemüter erprobt hat.

Dieses An-sich des politischen Bewußtseins mußte, nachdem der französische Krieg durchgekämpft war, zu seiner Konsequenz, d. h. zu seiner Wahrheit gelangen. Es liegt in dem Bcgiifif der Sache, daß ein

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Volk so oft es auf solche Weise seine Autonomie behauptet hat, auch an seine inneren Gesetze und Institutionen geht und zusieht, ob es in ihnen den Ausdruck seines Wesens, die Realisation des allgemein sittlichen Geistes findet. Und wenn es dies verneinen muß, wenn es seine selbst- bestimmte Tätigkeit hier unterdrückt sieht, muß und wird es dieselbe Polemik gegen die ihm nicht mehr entsprechenden Gesetze seines Herdes richten, wie gegen die willkürlichen Machtworte einer fremden Nation.

Diesen Verlauf nahm denn auch die Bewegung, aus der die Freiheits- kriege hervorgegangen. Man weiß, wie darauf geantwortet wurde. In Deutschland begann die Mainzer Zentraluntersuchungskommission gegen die von Fichte gestiftete Burschenschaft ihre Tätigkeit. Der freiheits- liebende, aber religiös beschränkte Geist des Zopfgermanentums, der in dieser Verbindung lebte, ist allgemein bekannt und braucht mit seinem reinen ideellen Streben und seiner deutschtümelnden Ivächerlichkeit nicht erst geschildert zu werden. Ebenso bekannt ist der Untergang, den die Burschenschaft in den Kerkern Preußens gefunden. Das Fichtesche Ich aber lebt weiter fort und kommt später in Börne zu seiner Konsequenz, in welcher es das Recht des Selbstbewußtseins geltend macht, keine Objektivität, selbst die vernünftigste nicht anzuerkennen, wenn sie nicht von dem Ich gesetzt und in seine selbsteigene Form gegossen wird.

Fichte aber, der den Lehrstuhl zu Berlin innegehabt, war sehr zur gelegenen Zeit gestorben. Man ging damit um, einen Professor auf diesen Lehrstuhl zu berufen, der der deutschen Jugend den bösen Teufel des Hochmuts und der politischen Mündigkeit, der ihr in den Leib gefahren, ausbannen sollte, und merkwürdigerweise fiel die Wahl des Ministeriums Altenstein 1) auf einen Philosophen, dessen System sich, wie wir gleich sehen werden, als der gründlichste Umsturz der ganzen alten und ver- moderten Weltanschauung später bewähren sollte. Es war der Satz: ,,Was da ist, ist vernünftig", der die Wahl des Ministeriums Altenstein auf Hegel, damals Professor in Zürich, 2) leitete. Hegel sollte die ver- derblichen Einflüsse des Fichteschen Subjektivismus paralysieren; er

^) Karl Freiherr von Stein zum Altenstein (1770 1840) der bekannte lang- jährige Unterrichtsminister. Fichte war 18 14 gestorben.

2) Hier liegt ein Irrtum L,assalles vor. Hegel war Professor in Heidelberg, als der neue preußische Kultusminister Altenstein ihn 18 18 nach Berlin auf den noch verwaisten I^ehrstuhl Fichtes berief. Altenstein wandte sich an ihn, weil er für diesen Lehrstuhl einen Philosophen suchte, der imstande wäre, ,,den Entwicklungsgang der Welt, insbesondere der sittlichen und politischen Welt, methodisch zu er- leuchten und zu lehren." Vgl. Kuno Fischer, Hegels Leben, Werke und Lehre, Heidelberg 1901, Bd. I, S. 126. Den so oft mißverstandenen Satz, auf den Lassalle die Ende 18 17 erfolgende Berufung Hegels zurückführt, ließ dieser unseres Wissens erst 182 1 in der Vorrede zur Rechtsphilosophie zum erstenmal drucken. Vgl. auch seine Erläuterung dieses Ausspruchs in der Einleitung zur Enzyklopädie (Werke, Bd. VI, S. 10).

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sollte der Jugend Deutschlands Respekt einflößen vor der Objektivität. Das Sollen der Idee, das unabweisbare Recht des Fichteschen Selbst- bewußtseins, der kategorische Imperativ der Vernunft soUte unberech- tigt erscheinen gegenüber der Vernunft im Vorhandenen. Hegel drückt diesen seinen Satz von der Sich-selbst-gleichheit des Seins so aus, daß alle Substanz an sich selber Subjekt sei. Die Idee hat näm- lich das Sich-anders-werden an sich selber, die Idee negiert sich als reine, als bloße Idee, ihre Bewegung ist dies, in ihr Gegenteil überzuschlagen, in das Element des gegenständlichen Seins; in dieser Bewegung, in welcher die Idee zu ihrem Anderen, ihrem absoluten Gegensatz geworden ist, hat sie sich aber ihre Verwirklichung als Substanz auf dem harten Boden des Seins gegeben. Und jetzt ist jener schöne, ungetrübte Glücks- zustand eingetreten, den Hegel eben die Sich-selbst-gleichheit des Seins nennt. Wir wollen diese Periode bezeichnen als

A. Die Periode des glücklichen Bewußtseins.

Die Idee, das Für-sich-sein der Subjekte^) ist zur allgemei- nen an-sich-seienden Substanz des Bestehenden geworden; oder umgekehrt, das innere An-sich des Gedankens hat sich für-sich-seiende Wirklichkeit gegeben; in beiden Bestimmungen ist das Glück der Identität des Denkens und Seins ausgesprochen, die Sich-selbst-gleichheit des Inhalts der für-sich-seienden Individuen und der gegenständlichen Substanz des Seins. Die Wirklichkeit ist auf diese Weise belebt vom allgemeinen Geiste. Das einzelne Bewußtsein findet sich in ihr, die Gesetze drücken nur [in] der Form der allgemeinen gegen- ständlichen Dingheit^) das aus, was jedes Individuum ist und tut.

Wir sind hiermit in das Reich der realen Sittlichkeit eingetreten; die Sitte ist nichts als die geistige Einheit der Individuen bei ihrer abso- luten Getrenntheit. Das individuelle Bewußtsein schaut hier sein Für- sich-sein als gleiches in allem und jedem Individuum an; es schaut es als Substanz, als gegenständliche Dingheit im allgemeinen \'olksgeist. in der vorhandenen Wirklichkeit. Das einzelne Bewußtsein hat keinen anderen Inhalt, als den allgemeinen, substantiellen Volksgeist; dieser aber gelangt nur dadurch zur Wirklichkeit, daß ihn das einzelne Be- wußtsein in sich befaßt, und in seinem Tun zum Für-sich-sein erhebt; die sittliche Substanz hat ihre Existenz nur in den einzelnen Individuen; diese aber finden ihr Bestehen überhaupt im realen sittlichen Volksgeist. Das Allgemeine und das Einzelne, die Substanz als die an-sich-seiende

J) In Hegels I^ogik ist bekanntlich die Idee nicht das Für-sich-sein, sondern die höchste Stufe des Begriffs, das An-und-für-sich-sein.

•) Ursprünglich hieß esiraText: „nur die allgemeine Dingheit dessen aus". Das ,,in" hat der Herausgeber eingeschoben.

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Wirklichkeit und das Für-sich-sein als der denkende Geist der Subjekte, leben also hier in der innigsten Harmonie und in einem gediegenen, un- gelösten Vertrauen zueinander; das Glück dieses Bewußtseins besteht eben darin, daß die Sphären des allgemeinen und des für-sich-seienden Bewußtseins konzentrische Kreise sind, so daß das Individuum, wenn es das Gesetz des allgemeinen An-sich vollzieht, die Ivust empfindet, dem eigenen Gedanken nachgekommen zu sein, und im Vollbringen seines für- sich-seienden Selbstbewußtseins, sich der sittlichen Substanz des All- gemeinen hingegeben sieht.

B. Das unglückliche Bewußtsein.

Aber der denkende Geist muß als die reine Abstraktion und Nega- tivität aus diesem Glücke heraustreten. Das der Substanz hingegebene und in sie versenkte Bewußtsein reflektiert sich aus ihr in sich zurück. Die Wirklichkeit ist auf diese Weise vom Geist verlassen, der Geist erkennt sich nicht mehr in ihr; die Wirklichkeit ist schal geworden. Die Sich-selbst-gleichheit des Seins ist aufgelöst und die I^ngleichheit des denkenden Selbst und der vorhandenen Wirklich- keit eingetreten ; dem Geist ist aber durch diesen Zurückgang aus seiner Substanz in sein reines Für-sich-sein ein Höheres geworden; denn er hat das unmittelbare konkrete Vertrauen zur Substanz vertauscht mit dem Bewußtsein der Kritik über sie. Aus dem Vertrauen zu ihr in sich re- flektiert weiß er vielmehr überall ihre Mängel und Schäden aufzuzeigen. Die Wirklichkeit ist ihm ein Sein ohne absolute Wesenheit, diese aber ist ihm in sein Selbstbewußtsein zurückgegangen; und weit entfernt sich durch das Sein der Wirklichkeit imponieren zu lassen, hält er ihr das Sollen der Idee entgegen. Zugleich ist aber auch mit der Negation des Vorhandenen die Position eines neuen Inhalts gegeben. Wenn nämlich früher gesagt wurde, daß das Gesetz in der Form gegen- ständlicher Dingheit das ausspräche, was das Individuum ist und tut, imd das Individuum also das Gesetz an-sich ist, so hat es jetzt da- gegen das Bewußtsein, die Kritik, die Erkenntnis über seine bisherige Substanz gewonnen ; und dieser Regreß (Kritik) aufs Vorhandene ist zugleich der wahre und positive Progreß, die neue Stufe des Geistes. Es ist leicht zu zeigen, worin der wirkliche Fortschritt bei diesem In-sich-reflektiert-sein und Zurückgang des Subjekts aus der vSubstanz in sich zu suchen sei[n]. Eine jede bestimmte sittliche Substanz hat als bestimmte und in der Bestimmtheit auch die Beschränkt- heit an sich: sie ist der Geist in der Gestalt des Seins ; die einzige aber dem Geist adäquate Form ist die der Bewegung, und diese Beschränktheit zieht der Geist darin aus, daß er aus der Unmittelbarkeit und Unbeweg-

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lichkeit, mit welcher er in die Substanz versenkt ist, heraustritt und das Höhere, die Erkenntnis über ihr Wesen gewinnt. Das Bewußtsein, die Kritik über die Substanz, welche diese Innerlichwerdung des Geistes heraufbefördert hat, bildet so zugleich den neuen Inhalt, welchen der Geist aus seiner bloßen Innerlichkeit entlassen, und in das Element des gegenständlichen Seins hineinarbeiten, in das allgemeine Sonnenlicht aasstellen muß.

Ist die erste Periode als die des kämpf- und mühelosen in sich einigen paradiesischen Glückzustandes geschildert worden, glich sie dem sanften Austönen eines präludierenden Akkordes, in welchem kein Ton in seiner scharfen Besonderheit hervorgehört wird, sondern alle in die gesang- reiche Harmonie des Ganzen hinsterben, so ist die zweite Periode, in der das Selbst sich aus der wesentlichen Substanz seines Wissens und Glau- bens in sich zurückgezogen und mit ihr gebrochen hat, die des unglück- lichen Bewiißtseins. Es ist jenes zerrissene Bewußtsein, das des Kon- trastes inne wird zwischen Idee und Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist ihm der Wesenheit beraubt zum toten verknöcherten Sein geworden, seine Idee aber findet es ein Unwirkliches zu sein. So zwischen zwei Ab- straktionen hin und hergetrieben ist es die Dissonanz, welche sich in die göttliche Musik jenes Akkordes mischt; der schrille Ton einer geplatzten Saite, der die Harmonie der Klänge gell unterbricht. Diese Stufe ist aber eine solche, welche das Verschwinden, und das Umstürzen in ihr ab- solntes Gegenteil an sich selber hat.

C. Das welthistorische Bewußtsein.

Das Selbstbewußtsein sammelt sich und geht aus seinerj untätigen Zerrissenheit an die reelle Arbeit der Geschichte, die Verwirklichung der Idee zu vollbringen. Die Inkarnation der Idee in die Existenz ist die wahrhafte Menschwerdung Gottes. So ist durch die Arbeit des Geistes der frühere Zustand der Sich-selbst-gleichheit, aber nüt einem höheren Inhalt wiederhergestellt worden: ein Inhalt, der wiederum das- selbe Schicksal erleidet und so fort. ^)

^) Anmerkung Lassalles: Das welthistorische Bewußtsein erweist sich zugleich als die höhere Einheit des glücklichen und iinglückhchen Bewußtseins. Das glück- hche Bewußtsein war in .seiner vöUigen Hingabe an die sittliche Substanz als das An-sich-seiende aufgezeigt worden, das unglückliche in dem Zerstören derSiibstanz und dem Zurückgehen aus ihr in sein Selbst als das Für-sich-seiende. Das welt- historische Bewußtsein vereint beide, es ist das An-sich-und-f ür-sich-seiende, denn es ist es, hingegeben dem An-sich seiner neuen errungenen Substanz, und als das Für-sich-seiende hat es sich sowohl in dem Vernichtungskampf gegen die alte Substanz als in der Verwirklichung des neuen Inhalts durch sein Ich und Tun erwiesen.

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Diese Bewegung ist der dialektische Prozeß des geschichtlichen Thebens, das uns zu einer stetigen Kette der Entwicklung geworden ist.

Es muß also, wie hiernach einleuchtend ist, eingestanden werden, daß eine jede historische Substanz das eigene Tun des Selbst sei. Das Selbstbewußtsein ist jener alte Chronos, der seine eigenen Ge- burten wieder verschlingt, es erzeugt aus sich die geschichtlichen Stufen und nimmt sie wieder in seine einfache Unendlichkeit zurück. Zugleich ist die Idee hiermit als die bewegende Macht der Geschichte anerkannt worden; sie ist jene Saat von Drachenzähnen, der die geharnischten Männer, die Tat, entsprießen, und die Bewegung der Idee ist diese : von sich durch ihr gesetztes Anderssein in sich zurück,^) sie gleicht einem Schwimmer, welcher sich in die Wogen stürzt und aus ihnen herauf- taucht, um sich von neuem in sie zu versenken. Alle Praxis wird hiermit als die Verwirklichung einer Theorie erkannt, wie es die Bestimmung der Theorie ist zur Praxis umzuschlagen. Auch kann hiernach kein ge- schichtlicher Zeitinhalt mehr unvernünftig, unsinnig gescholten werden. Es ist eine jede historische Substanz vielmehr nur eine realisierte histo- rische Idee, die ihrer Zeit das Höchste war, wozu der denkende Geist es bringen konnte. Es kann auch kein geschichtlicher Zustand mehr durch die Gewalt tyrannischer Könige noch durch den Betrug listiger Pfaffen oder die Dummheit der Masse im Verbände mit der Tat einzelner ge- schaffen oder hervorgebracht erscheinen, sondern er ist vielmehr als der Ausdruck und die Sich-selbst-verwirklichung des allgemeinen Geistes der bestimmten Zeit anerkannt worden. Überdies hat eine jede geschicht- liche Stufe auf diese Weise die Bestimmung der absoluten Notwendig- keit erhalten, da sie mit unbedingter Konsequenz aus ihrer vorher- gehenden folgt, und nur dadurch, daß sie gesetzt und in das Selbst zurückgenommen, d. h. aufgelöst, negiert, überwunden wird, die folgende Stufe und alle Entwicklung des Geistes möglich gemacht und begründet wird.

Die Geschichte selber aber ist uns die Entwicklung des absoluten Geistes, der Gattung, oder wenn man die mystischen und verdeckenden Ausdrücke der spekulativen Philosophie mehr liebt als die der pneu- matischen Wasserheilkunde,-) das Dasein des sich offenbarenden Gottes.

1) Sic! Ursprünglich stand: , .durch ihr Gesetz des Anderssein zu sich zurück." Offenbar hat Lassalle hier einem Kameraden diktiert. Die Stelle ist nicht von seiner Hand geschrieben, aber auch die Verbesserung mit anderer Tinte zeigt nicht mit Gewißheit seine Handschrift.

^) So nennt Feuerbach seine Methode. Wesen des Christentums. Vorrede (An- merkung von Lassalles Hand vielleicht aus späterer. Zeit) . Feuerbach will dort (I. Auflage, S. VIII) den Gebrauch des ,, kalten Wassers der natürlichen Ver- nunft" lehren und auf dem Gebiet der spekulativen Philosophie die ,,alte einfache ionische Hydrologie" wiederherstellen.

Hierbei ist nur das eine zu erinnern, daß Gott nicht als Fertiges, sondern wesentlich als Prozeß zu fassen sei; als der Prozeß, den das göttliche Leben der Gattung in der Geschichte dvirchläuft, mit einem Worte, als der immer neuem Fortschritt zueilende und immer höhere Stufen er- reichende Geist der Gattung; der geschichtliche Prozeß aber ist der Prozeß des Selbstbewußtseins. Die Kategorien des Be- griffes sind die Epochen der Geschichte. Es erhellt aus dieser Exposition der Hegeischen Konstruktion der Geschichte, wie scheinbar richtig, aber wie ungeheuer der Irrtum derer war, die sich von seinem System die beste Stütze des Konservativismus versprachen. Wir kehren zu unserer Schüderung des damaligen deutschen Geistes zurück. Das religiöse Bewußtsein war fast gänzlich verblaßt, die Konfessionsunter- schiede hatten sich abgestumpft, ihre innere Bedeutung verloren; ge- lang doch sogar in der unmittelbar folgenden Zeit erst das, was so viel Jahrhunderte, in denen allerdings der religiöse Glaube noch in seiner Wärme gelebt hatte, umsonst erstrebt hatten: die Union der evange- lischen und reformierten Kirche^:) immer der sicherste Beweis, daß der Glaubenseifer erkaltet und seinem Absterben nahe ist ; doch fanden sich allerdings noch zwei Gegensätze, die sich schroff und diametral gegen- überstanden: das religiöse Bewußtsein überhaupt und der von Voltaire und den Enzyklopädisten des 18. Jahrhunderts ausgegangene fran- zösische Atheismus oder die sogenannte Atifklärung. W^enn der Glaube sein Wesen, den Gott, den er sich im reinen Äther seines Bewußtseins webt, als ein an sich seiendes objektives außerhalb des Selbstbewußtsein existierendes, setzt und sein eigenes Tun, sein Für-sich-sein in diesem An-sich verleugnet, so sehen wir das Entgegengesetzte in der Aufklärung vor sich gehen. Die Aufklärung behauptet, das Wesen des Glaubens, alle Göttergestalt, als Geburt (also als reines Tun und Für-sich-sein) des Selbst; indem sie aber das An-sich-seiende darin nicht zu erkennen weiß, behauptet sie dies Wesen als entstanden durch die Dummheit der Masse und den Betrug taschenspielerischer Priester. So verkehrt sich ihr die Weltgeschichte in eine Geschichte der Narrheit, sie ist aber vielmehr selbst die Narrheit, zu glauben, daß ein Volk sein Bewußtsein an ein Ding setzen, sein Wesen darin finden und (wie dies alles im Glauben ge- schieht) die Gewißheit seiner selbst in einem Wesen haben könne, das in der Tat nicht die Wesenheiten seines eigenen Geistes und deren Be- jahung enthielte, sondern nur ein unterschobener Wechselbalg sei; sie weiß jenes Wesen nicht als Geburt und als Ausdruck des allgemeinen Selbstbewußtseins, sondern nur als Ausgeburt des individuellen Selbst zu fassen. Aber sie hat dem Glauben gegenüber deshalb Recht und er- weist sich darum gebildeter als er zu sein, weil sie die gegenständliche *) Sie kam 18 17 zu.stancle.

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Dingheit,^) die der Glaube setzt, als das Für-sich-sein des Geistes begreift. An sich ist hiermit schon der Begriff entstanden, welcher das Selbst- bewußtsein des Geistes ist, sich im Gegenständlichen oder sein Anders-sein, die Dingheit als sich das Für-sich-sein zu wissen.

Zum Selbstbewußtsein gelangt dieser Begriff erst in der Hegeischen Philosophie. Dieser Begriff ist nichts anderes, als die noch zu erörternde Identität des Denken und Sein, oder die schon erörterte Erkenntnis, daß alle Substanz an sich selber Subjekt sei. Beide Gegensätze, der Glau- ben und die Aufklärung finden, um dies gleich hierher zu ziehen, ihre Versöhnung und absolute Beruhigung in der Hegeischen Philosophie. Hegel läßt der Aufklärung ihr Recht widerfahren, er faßt die Götter- gestalten der Religion nicht in positive Äußerlichkeit, sondern als die Geburten des Selbstbewußtseins. Es ist aber die Werkstätte dieser Götter, die schöpferische Nacht ihrer Geburt nicht das einzelne, sondern das allgemeine gattungliche Selbstbewußtsein, und der Inhalt der Götter- gestalten in den verschiedenen Religionen ist in der Tat stets der sub- stantielle Volksgeist, das eigene Wesen des Volkes, das es aus sich heraus verlegt als ein Anderes außer ihm (dem Volksgeist) seiendes setzt und es in dieser fixen Äußerlichkeit als Gott anschaut. Der Fortschritt in der auf- steigenden Ivinie der Religion besteht darin, daß das Subjekt seiner selbst als der Wesenheit aller dieser Götter bewußt wird, sie aus ihrer Ent- äußerung innerlich macht, in die schöpferische Nacht ihrer Geburt das Selbstbewußtsein zurücknimmt ; und nun wieder die reichere und höhere Substantialität, zu der es gelangt, objektiviert und ganz in der vorigen Weise als Gott anschaut. (Vergleiche Artikel 8, Beitrag zur Rehgions- philosophie des Christentums.) ^) Die Aufklärung bezeichnet uns für die christliche Religion jene Periode, in welcher sich das Selbstbewußt- sein aus der Substanz seines Glaubens und Wissens in sich reflektiert, eine Periode, welche jeder Religion als ihr lauerndes Schicksal im Hinter- grunde steht. In der nordischen Mythologie wird sie bezeichnet durch die Götterdämmerung und den Sieg Lokis (des sinnlichen Subjekts) über die Äsen (objektiven Mächte des germanischen Geistes); in der griechischen durch die Euhemeristische Periode und Aristophanische Komödie. Die Götter des Mittelalters werden durch die Aufklärung gestürzt.

Wir haben oben solche Epochen des In-sich-reflektiert-seins über- haupt als die Kategorie des unglücklichen Bewußtseins charakterisiert; dieses unglückliche Bewußtsein selbst muß jedoch noch genauer unter-

1) Es fällt aber alles in die Kategorie der gegenständlichen Dingheit, was wirk- liches und nicht bloß gedachtes Sein ist (Anmerkung Lassalles). '-) Siehe hierzu oben S. 50.

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sacht werden, und es wird sich dabei ergeben, daß es selbst nicht als ungeteiltes Eins besteht, sondern in drei Kategorien (dem Begriff nach gefaßt) oder Epochen (nach ihrem geschichtlichen Erscheinen genom- men) zerfällt.

a) Die Epoche der ungestörten Wohligkeit des Selbstbewußt- seins.

Das Ich ist reflektiert aus der Substanz, es hat die Altäre der Götter gebrochen und diese substantiellen Gestalten, deren Nichtigkeit es ihm gegenüber durchschaut hat, in sein einzelnes Selbst zurückgenommen; sein Selbst hat es als die Macht des Negativen bewährt, in der die Sub- stanz ihren Untergang gefunden. Und in dem Wanken und Fallen aller andern Gestalten ist es allein unerschüttert stehen geblieben. Indem es alles Feste in seiner freien Idealität aufgelöst und sich selbst als Anfang und Ende der Substanz erkannt hat, ist das Selbstbewußtsein zu der absoluten Gewißheit seiner selbst gelangt, zu der höchsten Wohlig- keit und Sich-wohl-sein-lassen[s] des Selbstbewußtsein in sich, in der es sich als die alleinige Macht und Wesenheit gilt.

ß) Das Bewußtsein der Leerheit, oder das frivole Bewußtsein.

Das Selbstbewußtsein kann sich aber in dieser seiner Wohligkeit nicht erhalten, es hat die Bestimmtheit des realen, sittlichen, inhaltserfüllten Volksgeistes aufgehoben und die Wesenheit der Substanz in die ab- strakte inhaltsleere Allgemeinheit der Person zurückge- nommen. Dieses Formale weiß es jetzt als das allgemein Geltende und Anerkannte. Damit hat aber das Bewußtsein seinen Inhalt verloren. Es ist in die absolute Leerheit verfallen und wird sich dieser Leere bewußt, indem ihm die Nichtigkeit seiner Substanz wurde, ist es zugleich das Niederträchtige und Frivole geworden, dem keine objektive Substanz mehr Wesenheit hat, dem alles als nichtig gilt, was über die sinnliche Gewißheit der Person hinausgeht. Es ist in den Kot des Alltagslebens verfallen, dem nur das Gemein-wirkliche, materialistische Wahrheit und Wesenheit hat. Es ist die völlige Idee- und Substanzlosigkeit, das sein Ich hochhält über dem Strudel, in den es alle die Substanzen der Sitt- lichkeit, Liebe usw. allen Idealismus mit Lust untergehen läßt.

;') Das unglückliche Bewußtsein.

Das Bewußtsein wird sich dieser seiner Blasiertheit bewußt; es er- kennt sich als das Gemeine und Gesinnungslose, es geht daran, seine Leerheit zu erfüllen. Wir haben schon oben gezeigt, wie der neue In-

.Miyer, I.assallc-NachUss. VI ^

halt unmittelbar aus dem Bewußtsein und der Erkenntnis über das Wesen der bisherigen Substanz erwächst, diese Arbeit wird jetzt von dem Bewußtsein innerlich vollbracht : damit hat es aber den Bann seines Un- glücks noch nicht gebrochen. Die Wirklichkeit ist noch die alte der bereits verblichenen Substanz. Wenn diese geistig schon längst gestorben, so hat sich ihr Kadaver noch erhalten. Es versteht sich von selbst, daß die Revolution des wohligen und dann des leeren Selbstbewußtsein nur innerlich waren. Die alte Wirklichkeit weicht erst dem positiven neuen Inhalt. Der Inhalt des wohligen und leeren Selbstbewußtseins war ein rein negativer; erst der jetzt, indem das Selbst diese Instanzen durch- laufen hat, errungene, substanzielle Inhalt ist die positive Negation, die sich auch äußere gegenständliche Wirklichkeit geben und der der Leichnam des Alten weichen muß. So sind die Epochen des wohligen und leeren Selbstbewußtsein noch nicht das Dasein des Neuen, sondern nur die kreisenden Möwen, welche verkünden, daß der Sturm des neuen Geistes im Anzüge sei, die häufigen Erdstöße, die es ahnen lassen, daß der Bau der Erde yjnerlich unterminiert und sie im Begriffe sei, ihre Physio- gnomie zu verändern. Das Bewußtsein findet also die Wirklichkeit seiner Idee dem neuen positiven Inhalt nicht entsprechend, seine Idee aber ein Unwirkliches zu sein. Es ist darum das unglückliche zerrissene Be- wußtsein. Wir haben es oben bereits als solches charakterisiert und es als einfaches Ganzes gesetzt, ^) hier aber es in seine drei einzelnen Momente (die sich in der Geschichte zeitlichen Ausdruck geben) aufgelöst.

Es wird sich gleich zeigen, warum wir diese Momente so ausführlich geschildert haben; wir treffen nämlich in der von uns zu charakterisieren- den Zeit auf Richtungen und Phänomene, die ganz in die angegebenen Kategorien hineinfallen; was aber eine Epoche der Geschichte bildet, muß auch, wie schon oben gesagt, eine Kategorie des Begriffes sein. Die Epochen der von uns zu charakterisierenden Zeit als solche ^) reine Kate- gorien des Begriffes nachzuweisen, ist die Aufgabe, die wir uns gestellt haben. Neben den schroffen Gegensätzen des französischen Atheismus und des gläubigen Bewußtseins hatte ein leerer Deismus sich einen großen Teil der Köpfe Deutschlands erobert. Dieser Deismus, der zu seinem Gott nicht den Gott irgend einer positiven Religion, sondern einen rationalisierten Gott erhob, die Hohlheit dieses Deismus ist die sicherste Kunde, daß das alte Bewußtsein in seinen letzten Zügen liegt; der Glaube an den alten lebensvollen, markierten Gott hat sich verloren; die Vernunft macht ihr Recht geltend, zugleich ist sie aber noch nicht

1) Das unglückliche Bewußtsein konnte aber auch statt dieser drei einzelnen Momente gesetzt werden, denn es ist, wie sich gezeigt hat, deren Vollendung und Wahrheit. (Anmerkung I^assalles.)

-) Der Abschreiber setzte irrig : ,, solcher".

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zu der Kühnheit gekommen, ihn ganz zu negieren. vSie akkommodiert sich also etwas und stutzt sich den Gott nach ihren Begriffen so gut es gehen will zu: so entsteht der rationalisierte Gott, so die Halbheit des Deismus. Der Deismus führte zu seiner Konsequenz den Indifferentismus nach sich.^) Das indifferente Bewußtsein ist das Gedankenlose, das theoretisch zwar Gott nicht leugnet, praktisch aber sich um ihn nicht im gering- sten kümmert. Es verfolgt seine kleinlichen, endlichen Zwecke, es ist aller Idee und Religion abgestorben, seine eigene Existenz und das so- genannte Reelle, wie etwa reich sein usw. ist ihm das Einzige der Be- achtung werte. Alles, was mit diesem Ärmlichen nicht zusammenhängt, ist ihm kein Objekt der Betrachtung.

Auch dieses Phänomen kann nur dann auftreten, wenn der Mensch in den höchsten Formen seines Daseins^) sein Wesen nicht mehr findet, hiermit sein Interesse daran verliert und sich für ein Atom faßt, das seinen bewußten Zusammenhang mit der Geschichte aufgegeben und keine anderen Zwecke hat als die seines rein einzelnen, fast nur animalischen Lebens.

Dieser krasse Materialismus (und auch in bezug auf den Staat war der Indifferentismus herrschend geworden, seitdem sich das Feuer der Freiheitskriege verdampft hatte) hatte sich des größeren Teiles Deutsch- lands bemächtigt.

Eine Richtung trat auf, um die Atmosphäre des Lebens wieder mit dem verloren gegangenen Sauerstoff der Idee zu schwängern. Aber diese Richtung war selbst eine durch und durch verkehrte.

Die Romantik (denn diese meinen wir) woUte die Restauration des Christentums und des Mittelalters in den Gemütern. Sie wollte den Idealismus, aber den Idealismus des Mittelalters, den schwind- süchtigen Idealismus der Transzendenz. Die Romantik war Somnambulismus.

Es wirbelte nun wieder vor innerer überschwenglicher Gemütssehn- sucht aus dem Diesseits hinaus in ein phantastisches Jenseits hinüber, von Wundern, Geistern und Hexen und all dem transzendenten Spuk.

Der Geist der Romantik ist die Unbefriedigung in der Wirklichkeit. und das kraftlose sieche Sehnen aus dem Diesseits imd seinem wirklichen Inhalt hinaus in die vagen Regionen der Phantasie sollte für Poesie, für Idealismus genommen werden.

Aber der moderne Geist hatte in den langen und blutigen Kämpfen, in welchen das Mittelalter verschieden war, etwas als ein unveräußer- bares Eigentum errungen: er hatte das Diesseits, die Wirklichkeit als seine alleinige Sphäre und Stätte erkannt. Er hatte (im In-

*) Ursprünglich stand: „zu seiner Konsequenz, dem Indifferentisuius". 2) Religion, Staat. (Anmerkung Lassalles.)

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diß'erentismus) die Wirklichkeit noch geistlos genommen. Sie mußte ihm begeistet werden, allein nimmermehr konnte er in die Schwindsucht der Transzendenz zurückfallen. Darum tritt der Romantik das Bewußtsein der WirkUchkeit und ihrer als der alleinigen Wahrheit gegenüber vmd erzeugt sich in der Poesie eine Richtung, welche den SomnambuHsmus der Romantik vollkommen besiegt. Heine, denn er ist der Dichter dieses Bewußtseins, fällt ganz in die Kategorie hinein, die wir als die des leeren oder frivolen Bewußtseins charakterisiert haben.

Heine ^) beschwört erst alle die zauberischen Gebilde der Romantik herauf, er berauscht uns zuvor in dem süßen und schwärmerischen Ge- fühlsleben der Einbildung, um dann mit einem Male das kalte Bewußt- sein der nüchternen WirkHchkeit hervorbrechen zu lassen, und mit einem Striche das Luftige und die nichtige Erlogenheit aller jener Gestalten nachzuweisen. In Heine lebt wie in Börne das Fichtesche Ich fort; wenn sich aber die Börnesche Negationswut auf die Praxis und auf die Frei- machung von aller Heteronomie auf die Wirklichkeit erstreckt, so be- zeichnet uns Heine die innerliche Freimachung des Ichs von allen Sub- stanzen, die an sich sein und dem Ich Gewalt antun wollen. Heine ist der Dichter der Ironie und diese Ironie wendet er gegen die Romantik; aber er wendet sie auch gegen alles Ideelle, was über die nüchterne Seiner- selbstgewißheit des Subjekts hinausgeht. Die Waffe, mit der Heine kämpft, ist das geeignete hierzu; die Ironie, der Witz. Der Witz zeigt die Nichtigkeit und Lächerlichkeit der Substanz auf, das, was er auf den Thron erhebt, ist die witzelnde Person, die sich in ihm das Bewußtsein ihrer Überlegenheit über die Substanz gibt. Der Witz ist die eigentliche Waffe des wohhgen und frivolen Bewußtseins, und er wird in allen Epo- chen angewendet, in denen er auftritt; so bei Aristophanes, so bei Heine. Aber hören wir ihn selber:

Er liegt am Rande des Schiffes (Buch der Lieder, S. 324) und schaut träumend hinab in das spiegelklare Wasser und schaut tiefer und tiefer, bis tief in dem Meeresgrunde anfangs wie schimmernde Nebel, dann farbenbestimmter Gestalten heraufsteigen, seltsame, längst verschwun- dene Gestalten, und an sein Ohr dringt rauschender Orgelton und Glocken- geläute. Ihn selbst

,, Ergreift des fernen Klangs

Geheimnisvoller Schauer!

Unendliches Sehnen, tiefe Wehmut

Beschleicht sein 2) kaum geheiltes Herz; ihm 2) ist

1) Hier beginnt der neue Bogen, auf dem die kleinere erste Hälfte freiblieb und worauf oben S. 49 hingewiesen wurde. ') Im Original: ,,mein", ,,mir".

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Als würden seine ^) Wunden von lieben Lippen aufgeküßt

Und täten wieder bluten,

Heiße, rote Tropfen,

Die lang und langsam niederfall 'n

Auf ein altes Haus da^) unten

In der tiefen Meerstadt,

Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus,

Das melancholisch, menschenleer ist;

Nur daß am unter'n Fenster

Ein Mädchen sitzt,

Den Kopf auf die Hand gestützt

Wie ein armes vergessenes Kind

Und ich kenne Dich, armes vergessenes Kind!"

Und er redet sie an:

,,So tief, so 2) tief also

Verstecktest Du Dich vor mir.

Aus kindischer Laune

Und konntest nicht mehr herauf

Und saßest fremd unter fremden Leuten,

Jahrhundertelang,

Derweilen ich, die Seele voll Gram,

Auf der ganzen Erde Dich suchte.

Und immer Dich suchte.

Du Inniggeliebte, 2)

Du Längstverlorene, ^)

Ich hab' Dich gefunden und schaue wieder

Dein süßes Gesicht,

Die klugen'*) Augen,

Das liebe Lächeln

Und nimmer will ich Dich wieder verlassen.

Und ich komme hinab zu Dir,

Und mit ausgebreiteten Armen

Stürz ich hinab an Dein Herz "

Jetzt aber kommt die Ironie hinten nach:

„Aber zur rechten Zeit noch Ergriff mich beim Fuß der Kapitän,

^) Im Original: ,, meine", „dort". -) Bei Heine: ,, meertief", ,,Du Immergeliebte". *) Hier läßt Lassalle aus: ,.Du Endlichgefundene". ••) Hier läßt Lassalle fort: „treuen".

70 ^

Und zog mich vom Schiffsrand, Und rief, ärgerlich lachend: Doktor, sind Sie des Teufels?"

Da haben wir 's. So zeigt Heine, wie das vorhin alles nur Lüge gewesen; die Stadt und der Orgelton und das lyiebchen und sogar die lyiebe zu ihr, mit der er sie stets gesucht und nie gefunden ; alles nur ein Traum und nichts weiter, und die nüchterne Wirklichkeit tritt auf in der Gestalt des Kapitäns und trägt den Sieg davon.

Oder er beschreibt (Buch der Lieder, S. 306) das gärende Meer und die einsame Fischerhütte. Darin sitzt am Herde die wunderschöne Fischertochter und horcht auf des Wasserkessels ahnungssüßes heim- liches Summen, und zu ihr tritt der nächtige Fremdling mit einem Herzen, das wüder noch als Wind und Wellen, und wo er hintritt, sprühen die Funken und knistern die Muscheln und er spricht zu ihr:

,, Siehst Du, mein Kind, ich halte Wort,

Und ich komme, und mit mir kommt

Die alte Zeit, wo die Götter des Himmels

Niederstiegen zu den^) Töchtern der Menschen

Und die Töchter der Menschen umarmten

Und mit ihnen zeugten

Szepter tragende Königsgeschlechter

Und Helden, Wunder der Welt.

Doch staune, mein Kind, nicht länger

Ob meiner Göttlichkeit

Und ich bitte Dich, koche mir Tee mit Rum,

Denn draußen war es^) kalt.

Und bei solcher Nachtluft

Frieren auch wir, wir ewigen Götter

Und kriegen wir leicht den göttlichen^) Schnupfen

Und einen unsterblichen Husten."

So erhält bei Heine stets die Nüchternheit der Prosa Recht gegen die Poesie. Die süße Gefühlssehnsucht und alles Überschwengliche der Ro- mantik muß der Besinnung weichen; und hierin besteht die geschicht- liche Macht und Bedeutung Heines.

Der düstere Jünglingsmann fragt die Wogen

,,0 löst mir das Rätsel des Lebens, Das qualvoll, uralte Rätsel

1) Bei Heine fehlt „den".

2) Bei Heine: ,, war's", ,, göttlichsten'

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Sagt mir, was bedeutet der Mensch ?

Woher ist er kommen, wo geht er hin?

Wer wohnt dort oben auf den^) goldnen Sternen?"

Und die Antwort! Oho, die bleibt nicht aus!

„Es murmeki die Wogen ihr ew'ges Gemurmel, Es weht der Wind, es fliehen die Wolken, Es blinken die Sterne gleichgültig und kalt, Und ein Narr wartet auf Antwort."

Aber Heine bleibt, wie schon gesagt, nicht stehen bei seiner Polemik gegen die Romantik. Er ist das leere Ich, das sich gegenüberstellt jeder realen, sittlichen Substanz, sich frei von ihr weiß, statt sich ihr hinzugeben und sie Lüge schilt. Das hohe Pathos, das sich in sie ver- senkt und sein Selbst an sie hingibt, gilt ihm für Narrheit oder ist ihm er- logen.

,,In der Jungfrau Schamerröten Sehe ich geheime Lust begehrhch zittern Und auf begeistert, stolzem Jünglingshaupt, Seh' ich die bunte Schellenkappe lachen."

Die Liebe wird, da überhaupt ja nichts Ideelles Bestand haben kann vor diesem in dem gemeinsten Realismus befangenem Subjekt zum sinn- lichen Genuß, auf ihr inneres Wesen wird kein Wert gelegt, sondern nur auf den Kontakt des Fleisches.

Du liebst mich nicht. Du liebst mich nicht.

Das kümmert mich gar wenig

Du hassest, hassest mich sogar, So spricht Dein rotes Mündchen; Reich mir es nur zum Kusse 2) dar, So tröst' ich mich, mein Kindchen!

O schwöre nicht und küsse nur.

Ich glaube keinem Weiberschwur.

Dein Wort ist süß, doch süßer ist

Der Kuß, den ich Dir abgeküßt!

Den hab' ich, und dran glaub' ich auch,

Das Wort ist eitel Wind 3) und Hauch.

^) Das ,,den" fehlt bei Heine. -) Bei Heine: ,,zum Küssen". •') Bei Heine: ,, Dunst".

= 72 =

Das Fleisch ist das einzige Wahre für das seine[r] selbst gewisse Sub- jekt, es ist selbst das sinnlich Gewisse, das Greif- und Fühlbare, was nicht bezweifelt werden kann, alles darüber Hinausgehende aber eitel Traum. Er sagt von seiner Liebsten:

,, Schön ist ihre Seele. FreiHch Sicherer bin ich von der Schönheit Ihrer äußeren Erscheinung."

So ist die Heinesche Poesie die Poesie der Hurerei. Auf diese Weise kämpft Heine gegen alles das, was das Wesen der Poesie selbst ausmacht, gegen die substantiellen Wesenheiten. Wenn die Poesie aber das Pathos ist, mit welchem sich das Subjekt hinaufschwingt zu den objektiven sittlichen Mächten und sich von ihnen begeisten und Inhalt geben läßt, so besteht die Wohligkeit des Heineschen Selbstbewußtseins darin, sich von ihnen frei zu wissen und wenn sie sich dennoch ihm aufdrängen, sie zu bekämpfen und sie zu leugnen. Darum ist Heine der Dichter der Un- poesie, der Frivolität, des Frevels. Sein Prinzip ist das ästhetisch Häßliche. Er hat keinen Inhalt, und diese inhaltslose, nüchterne Seiner- selbst-gewißheit des Subjekts ist das Element, in dem er sich wohlfühlt.

Dem falschen Idealismus der Romantik gegenüber, der nur Som- nambulismus war, mußte dies Bewußtsein der sinnlichen Wirkhchkeit und Nüchternheit Recht behalten, dem gesunden Idealismus gegenüber ist es das Unsittliche, Frivole. Beide Gegensätze, die Romantik und Heine, finden ihre höhere Einheit in der poHtischen Lyrik. Wir wollen uns jetzt zurückbeziehen auf das, was wir in der Einleitung gesagt haben: daß die Geschichte die Wahrheit jedes in ihr auftauchenden Momentes selbst aufzeigt in der Verwirklichung und Ausbildung, die sie ihm gibt, und sein Anderes das ihm Fehlende in dem Hinausgehen über es in seiner Negation. Das Andere, die fehlende Seite des Indifferentismus zeigt sie auf in der Romantik, das Andere dieser in der Heineschen Poesie; die wahren Momente beider Richtungen zeigt sie in der politischen Lyrik auf, von der später. ^) So gibt sie den deutHchsten und sichersten Schlüssel zui Auffassung und Kritik der einzelnen Richtungen.

Wir haben erschöpfend nachgewiesen, wie Heine ganz in die Kate- gorie des leeren oder frivolen Bewußtseins hineinfällt und ebenso wie dieses aufgefaßt werden muß. Es finden sich aber auch in den Heineschen

1) über die politische Lyrik seiner Tage verbreitet sich Lassalle hier nirgends. Man könnte daraus folgern, daß eine spätere Nummer eine Fortsetzung dieser Ab- handlung enthielt. Vielleicht war es aber auch nur eine Absicht, die nicht zur Aus- führung kam. Auch manches andere deutet auf den fragmentarischen Charakter des Aufsatzes hin. Doch liegen keinerlei dokumentarische Hinweise dafür ror, daß damals weiteres wirklich ausgeführt wurde.

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Gedichten und späteren Werken Spuren davon, daß er diese Leerheit des Ichs empfindet und sich nach einer Erfüllung sehnt.

Es tritt im Leben und in der Literatur die Periode des unglück- lichen oder zerrissenen Bewußtseins auf, in der man die Wirklichkeit geist- und wesenlos, den Zustand der Welt verdorben (daher der Name : Weltschmerzler), das Ideale aber un verwirklicht findet und deshalb in eine krankhafte Schlaffheit und Überdruß verfällt. Wir meinen die Periode des Weltschmerzes. Der geniale, freiheitsliebende Lord Byron hatte in dem düsteren Unmute über das Unbefriedigende der Wirk- lichkeit, das sich in seinen Dichtungen ausspricht, zuerst in der Poesie dazu Veranlassung gegeben. Und bald entwickelte sich diese Richtung zur widerwärtigsten Verzerrung und Karikatur. Die Weltschmerzler fingen an, mit dem inneren Schmerz, dem Heiligtum der Seele zu ko- kettieren, ihre Zerrissenheit zur Schau zu tragen, und so weit war es ge- kommen (aber man hatte allerdings auch Grund, unzufrieden mit dieser Wirklichkeit zu sein), daß in den Salons wie in der Belletristik keiner mehr darauf Anspruch machen konnte, ,, interessant" zu sein, der nicht „zerrissen" ,,welt-" oder doch ,, europamüde" war. So war das öffent- liche Leben in eine allgemeine Ermattung versumpft. Es war nicht ab- zusehen, woher der neue Messias kommen sollte, der die Wiedergeburt der Welt vollbrächte.

Er sollte aber von einer Seite kommen, von der man es am wenigsten erwartet hätte, von der Philosophie. Die Julirevolution trat auf und verkündete es laut und deutlich, daß in der Menschheit das Gefühl für ihre realsten Interessen noch nicht erloschen sei, tmd die Hegeische Philosophie denn erst jetzt fängt sie an, Gegenstand größer[er] Teil- nahme zu werden sollte den gründlichen Sturz der alten Weltanschau- img vollbringen, indem sie den positiven Inhalt des neuen Geistes aus seinem An-sich-sein zur Klarheit herausarbeitete. Der lange unver- standene Kardinalpunkt des Hegeischen Systems findet sich in dem Paradoxon von der Identität des reinen Seins und des Nichtseins und der damit genau zusammenhängenden Identität des Denkens und Seins. In der Analyse der verschiedenen Auffassungsvermögen, durch welche dies Bewußtsein die Dinge der Außenwelt empfängt, ist ein jedes konkrete Ding Gegenstand einmal der sinnlichen Gewißheit, v^ermöge welcher wir seine bloße Existenz einsehen, nur einsehen, daß es ist, und weiter nichts; und zweitens der Wahrnehmung, vermöge welcher wir die \nelen Eigen- schaften, Qualitäten, Attribute, die vielen Wies eines Dinges emp- fangen. Abstrahieren wir nun von den vielen einzelnen Eigenschaften eines Dinges, so erhalten wir sein reines Sein, d. h. sein bloßes Sein ohne Prädikate, Qualitäten usw. die bloße positive Gewißheit, daß es ist; denn diese muß übrig bleiben, auch wenn von den Eigenschaften abstrahiert

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wird. Dieses reine Sein ist aber gleich Nichtsein. Ein Ding, das keine Eigenschaften hätte, ist in der Tat nicht. Es folgt daraus, daß ein Seien- des erst wirklich ist durch seine Qualität. Die Qualität, Eigenschaft ist das an einem Dinge, wodurch es erst lebensvoll ist, andere Dinge von sich ausschließt, sich von ihnen unterscheidet, sie negiert. Die Qualität ist die Negation am Dinge. Ein Ding ist also nur durch die Inkarnation der Qualität ins Sein. Die Eigenschaften sind aber als Qualität und Ne- gationen reine Begriffe, reine Gedankendinge. Ein Ding ist also nur die Einheit der allgemeinen Eigenschaften, dieser reinen Abstraktionen, Allgemeinheiten, Gedanken und des Seins. Jedes Ding ist also konkreter Begriff. Dieser Satz muß aber noch von einer anderen Seite betrachtet werden.

Das Wirkliche, Seiende ist das Einzelne. Allgemein ist nur die Idee, die Abstraktion, oder was dasselbe ist, die Eigenschaft, die aber nicht ein zufälliges, unwesentliches Prädikat, sondern die wesentliche, die Seele eines Dinges ist. Ein jedes Ding ist die Einheit des Einzelnen denn als Einzelnes ist es und des Allgemeinen, der Eigenschaft. Wiederum die Identität von Denken und Sein. Die Eigenschaft ist das Allgemeine, aber als Allgemeines findet sie sich nirgends, sie existiert vielmehr nur am Einzelnen, als Eigenschaft eines einzelnen Dinges. Die allgemeine Idee der Farbe findet sich nirgends als allgemein, sondern nur verwirklicht an den einzelnen farbigen Dingen. Das Einzelne exi- stiert also nicht ohne die Allgemeinheit, die Idee an sich zu tragen. Die Allgemeinheit existiert aber nur am Einzelnen und bildet die Seele dieses Einzelnen. Das Einzelne aber ist die Verwirklichung des Allgemeinen. Die Idee der Pflanzengattung existiert nur in den einzelnen Pflanzenindividuen. Alle einzelnen Pflanzen bilden die Gattung und eine jede einzelne Pflanze ist nicht nur ein Ding von vielen konkreten, unwesentlichen Besonderheiten, sondern sie trägt die allgemeine Idee der Pflanze in sich. Jedes Subjekt ist also an sich selber ausseiner Akzidenti alität in seine Substantialität reflektiert.

Philosophie des Geistes

Zur E inf ühr ung

In dem Brief, mit dem Lassalle im Jahre 1860 seinem damaligen Freunde Franz Duncker, dem Verleger des ,,Heraklit", das „System der erworbenen Rechte" anbot, erwähnte er auch ein ,, System der Philo- sophie des Geistes", dessen Plan seit 1844 in seinem Schreibtisch ruhe und das er nach anderen zehn Jahren einmal herauszugeben hoffe, ,,wenn er sich hinreichend würdig vorbereitet haben werde für diese große Ar- beit", von der alles einzelne, was er bisher je geleistet habe, nur die antizipando gezogenen Konsequenzen seien, deren Verbindung mit ihrer großen Grundlage erst erhellen könne, wenn später dieses Werk er- schiene. Näher verbreitete er sich dann über die Absicht, die er mit dem philosophischen System, das er schreiben wollte, verfolgte, in dem im März 1861 abgefaßten Vorwort seines rechtsphilosophischen Werks, dem, wie er sich bewußt war, die Grundlagen seines künftigen Systems ,, innerlich einwohnten": ,,Das Hegeische System in der Form, die ihm Hegel selbst gegeben hat," sagte er dort, , .steht in bezug auf die Geistes- philosophie überhaupt überall in absoluter Inkongruenz zu den eigenen Prinzipien und der Methode der Hegeischen Philosophie. Dies in seiner Allgemeinheit zum wahrhaften Nachweis zu bringen, würde die Sache eines neuen Systems der Philosophie des Geistes sein, welches wir eines Tages, falls die Zeit theoretischer Muße man kann sie heut nicht mehr mit Tacitus eine rara temporum felicitas nennen für die Deut- schen niemals aufhören sollte, vielleicht zur Darstellung bringen werden."

Ein so wenig zuverlässiger Gewährsmann wie der Literat Adolf Ko- hut hat behaupten wollen, daß Lassalle diese ,, Philosophie des Geistes", als er starb, zum Teil fertig gestellt hatte. ^) Aber solange diese ganz ver- einzelt stehende Nachricht nicht zuverlässiger beglaubigt wird, neigen wir durchaus der Ansicht zu, daß sich dies nicht so verhielt, sondern daß Lassalle niemals viel mehr davon ausgearbeitet hatte, als den Plan,

*) Adolf Kohut, Ferdinand Lassalle. Sein Leben und Wirken. Leipzig 1889, vS. 193.

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dessen er 1860 in jenem Brief an Duncker Erwähnung tut, den wir in seinem Nachlaß fanden und der nun hier zum Abdruck gelangt. Es ist ganz unwahrscheinlich, daß ein so streng philosophischer Stoff dem zum Testamentsvollstrecker von Lassalle eingesetzten lyothar Bucher, der ein anderes Manuskript Lassalles willkürlich beseitigte, zu einem post- humen Zensorspielen Anlaß gegeben haben könnte.

Das erhaltene Manuskript besteht aus zwei ineinander gelegten Foliobogen, deren erster nur auf einer Seite, der andere auf allen vier Seiten beschrieben ist. Die Überschrift lautet: ,,Philos. d. Gsts.", und auf ähnliche Weise hat der Verfasser durchweg abgekürzt. Seiner Handschrift glaubt man hier überall anziimerken, wie seine Feder in einer Stunde der Inspiration mit fliegender Hast über das Papier sauste, einzig darum besorgt, die Zusammenhänge tmd Übergänge so, wie sie sich eben dem Geiste darboten, schleunigst aufs Blatt zu bannen, bevor sie sich wieder verflüchtigen würden. So begreift man, weshalb die Herstellung des Textes dieses Fragments eine besonders schwierige und, wie der Herausgeber sich stets bewußt blieb, verantwortimgsvolle Auf- gabe darstellte. Erleichtert wmde sie ihm dadurch, daß er sich bei der Entzifferung der zahllosen Abkürzungen, Siegel, Einschaltungen, Ver- schiebungen und Flüchtigkeiten des fachkundigen Rates Bernhard Groet- huysens, des Herausgebers von Wilhelm Diltheys Nachlaß, erfreuen durfte, dem er, wenn er ihn begehrte, hier warmen Dank abstatten müßte. Das entzifferte Konzept hat später noch Herrn Professor Jonas Cohn in Freiburg im Breisgau vorgelegen, und auch ihm gebührt Dank für wertvolle Winke, die der Herausgeber von ihm erhielt.

Lassalles eigene Angabe, daß er diese Skizze 1844 entworfen habe, erfährt eine ungefähre Bestätigung durch einen undatierten Brief an den Vater, ^) den Hermann Oncken in den Anfang April des Jahres 1845 verlegen möchte: ,, Meine Tätigkeit ist jetzt eine begrenzte und auf die Produktion meines Systems gerichtete, mit deren Anfang ich wohl erst in zwei Jahren anfangen kann. Denn zwei bis drei Jahre werde ich mindestens zu Vorarbeiten und Vorstudien brauchen, ehe ich dazu komme, die Feder einzutauchen." Als er so schrieb, lag der Plan, der hier veröffentlicht wird, ihm bereits vor. Auch die Handschrift verweist in die zweite Hälfte der Berliner Studienzeit. Im Herbst 1845 hat er dann seinen damals nächsten Freund, den Doktor Arnold Mendelssohn, in seine Philosophie näher eingeweiht: ,,Du hast mich während deiner hiesigen Anwesenheit gefragt," schreibt dieser am 4. November, ,, wohin die IvOgik in Deinem System zu stehen komme; leider habe ich den Bau desselben nicht so im Gedächtnis, wie ich soUte, um es genau zu wissen ; ich denke aber, auch sie steht, wie alles bei Dir, begrifflich und historisch

1) Nachgelassene Briefe und Schriften, Bd. I, S. 83.

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auf derselben Stelle, also am Ende von Stufe C oder am Anfang von Stufe D. Es ist die begriffene Auflösung, der Schlüssel der vorhergehenden Welten und das ewige Naturgesetz der dann folgenden ungehemmten Verwirklichung des Subjekts . . . die zum Wissen von sich herausge- arbeitete Stufe B und C."^)

Als Ausgangspunkt diente für Lassalles Systemsskizze, wie nicht be- zweifelt werden kann, Hegels Philosophie des Geistes, die den dritten Teü seiner Enzyklopädie büdet. Der Jünger hält sich hinsichtlich des Aufbaus, der Terminologie und auch der Ausdeutung der verschiedenen Kulturen in vielen Punkten eng an den Meister; in anderen weicht er beträchthch von ihm ab. Weshalb dies jedesmal geschieht, lockte unter biographischem wie unter zeitgeschichtlichem Gesichtspunkt zu Unter- suchungen; unsere kurze einführende Bemerktmg konnte sich nur auf Andeutungen beschränken.

Während bei Hegel die Entwicklung des Geistes in drei Hauptstufen erfolgt, sieht Lassalle eine vierstufige Gliederung vor. Hegels Bezeich- nungen: subjektiver, objektiver, absoluter Geist, deren Lassalle sich in seinen gleichzeitigen Briefen regelmäßig bedient, läßt er hier beiseite, da es ihm darauf ankommt, das Wesen des Prozesses mit möglichst knappen Worten unmittelbar zu durchleuchten.

Bei Hegel figuriert unter B der objektive Geist (Recht, MoraHtät, Sittlichkeit), bei Lassalle die Geschichte als Innerhchkeit des Geistes. Die praktisch-staatliche Sphäre setzt der politische Genius über die Kunst, diese über die ReHgion, während bei Hegel die staatliche Sphäre bloß dem objektiven Geiste, Rehgion und Kunst dem absoluten Geiste zugehören. Von Hegels absolutem Geist bleibt also, nachdem er die von der Romantik jenem hinterlassene Überordnung von ReUgion imd Kunst über Recht und Staat beseitigt hat, bei ihm allein das stolze Selbstbewußtsein der Philosophie erhalten als höchstes Bewußtsein die Philosophie des Geistes.

In der Enzyklopädie, so wie sie in die ,, Werke" aufgenommen \^Tirde, und ebenso in der Philosophie des Rechts finden wir bei Hegel die Ein- teilung :

A. Das Recht.

B. Die Moralität.

C. Die SittUchkeit. AA. Die Familie.

BB. Die bürgerliche Gesellschaft. CC. Der Staat.

1) Bd. I. S. 242.

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lyassalle behielt davon nur die Einteilung : i. Das Recht. 2. Die bürger- liche Gesellschaft. 3. Der Staat.

Moralität und Familie also die ganze Privatsphäre fallen bei ihm fort, Gesellschaft und Staat jedoch bleiben, weil nur sie seinen auf das Öffentliche gerichteten Geist interessieren.

Vergleicht man, sich noch mehr dem einzelnen zuwendend, Lassalles Schema mit der Einteilung, die Hegel seiner Enzyklopädie gibt, so wird es noch offensichtlicher, daß er diese im Auge hatte. Man erkennt das gleich bei der ersten Stufe. Hegel schreibt: ,,Der subjektive Geist ist A. An sich oder unmittelbar ; so ist er Seele oder Naturgeist Gegenstand der Anthropologie. B. Für sich oder vermittelt, noch als identische Re- flexion in sich und in anderes ; der Geist im Verhältnis oder Besonderung ; Bewußtsein, - der Gegenstand der Phänomenologie des Geistes. C. Der sich in sich bestimmende Geist, als Subjekt für sich, der Gegenstand der Psychologie." (Werke, Berlin 1845, Bd. VII, 2 S. 40.) Bei Lassalle heißt es nun, vielleicht noch kondensierter: ,,A. Das An-sich-sein oder Sein des Geistes, der Geist als Naturgeist (Anthropologie, Psychologie, in das terrestrische Sein versenkter Geist). Seine ewige Stetigkeit als das unveränderliche logische An-sich des Geistes (Phänomenologie), die sich entwickelt zur Vernunft." Die Phänomenologie rückt er, darin allein von Hegel abweichend, hinter die Psychologie; der Relativsatz, den er hinzu- fügte, sollte den Fortgang andeuten. Nun sind aber ,,die eigentlich terrestrischen Verhältnisse", wie Hegel und er ihm zustimmend dachte, ,,zwar nicht ohne Einfluß auf den Menschen, für den Geist als solchen aber unbedeutend" (Hegels Enzyklopädie, Werke Bd. VII, 2 S. 60). Dem Geist liegt allein an seinem ,, innerlichen Werden", an seiner ,, im- manenten Entwicklung". Für Natur und Natürliches fehlte L,assalle das Organ; mit gutem Fug hat ihn Margarete Sußmann als den ,, letzten Ritter vom Geist" charakterisiert. So wendet er sich denn auch von Stufe A alsbald der nächsthöheren Stufe B zu, die er als den ,,sich zum Gegen- stand habenden Geist" bezeichnet. Würde er sich streng an Hegel an- lehnen, so müßte er von hier aus direkt zum objektiven Geist, zu Recht, MoraHtät, Sittlichkeit gelangen und von da zum absoluten Geist, zur Kunst, zur geoffenbarten Religion, zur Philosophie. Doch die aktivistische Seite seines Wesens sympathisierte, wie wir uns nur in die Erinnerung zu rufen brauchen, damals bereits aufs stärkste mit dem Aktivismus der junghegelschen Schule, die gegen die Autorität in Religion und Pohtik Sturm lief und die ,, ewige Revolutionärin, die Geschichte" als ihr Ein und ihr Alles verherrlichte. Mochte lyassalle selbst auch viel zu fest in Hegels Identitätsphilosophie wurzeln, als daß er in Versuchung gekom- men wäre, mit den Männern der ,, Deutsch-Französischen Jahrbücher", die ihm damals wohl nicht in die Hände kamen, die Idee von der Ma-

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terie in Abhängigkeit zu setzen, darin stimmte er doch mit den Jung- hegelianern überein, daß auch ihm die Geschichte nicht das Bestehende rechtfertigen, sondern das werdende Neue legitimieren sollte. Solche Einstellung aber bedingte, daß er in seinem System der Geschichte einen Platz einräumen mußte, der ebenso wie sein weltanschauliches auch sein politisches Bedürfnis befriedigte, also der ,, Praxis der Idee" zu ihrem Rechte verhalf.

Wie in Hegels Philosophie der Geschichte erfaßt auch bei Lassalle der historische Geist nacheinander alle Momente seines absoluten Be- griffs, und wie Hegel begreift er die Geschichte noch vornehmlich als Geschichte der Religionen. So verläßt bei ihm der Geist die untersten Stufen seines elementarischen Wesens und erhebt seine Substanz, die er als das kontinuierliche allgemeine Sein weiß, auf den Thron des Absoluten. In den asiatischen Religionsformen begreift er sein Wesen in dem Kultus der Erde, der Gestirne und elementaren Potenzen. Auf dieser ersten Stufe des weltgeschichtlichen Geistes vermag sich das Abso- lute noch nicht, weder in der Form der Kunst noch des Staates, zu reali- sieren, denn sein Inhalt ist hier allein das Sein, es bedarf bloß erst der Verehrung, nicht der VenNirklichung. Die zweite Stufe des weltgeschicht- lichen Geistes nimmt bei Lassalle die jüdische Religion ein, ihr gilt das Sein nicht mehr als Substanz, sondern schlechthin als Nichtigkeit; das Absolute erblickt sie im Nichtsein, in der Unwirklichkeit, in der Ab- straktion. Die historische Synthese der Naturreligion und des Juden- tums vollzieht sich dann in der griechischen Religion, die die Einheit und Aussöhnung der Allgemeinheit und der Einzelheit darstellt. Die römische Welt zerreißt das Leben des geeinten Geistes in die Extreme des persön- lichen Für-sich-seins und des abstrakten allgemeinen Geistes. Hier be- ginnt die gioße historische Funktion des Staates.

Doch in der römischen Welt besteht der Staat nur erst ,,als harte, tote Allgemeinheit", die vom Subjekt noch nicht erfüllt ist; die wirkliche Existenz der Person hält sich noch trotzig entfernt vom Allgemeinen. Über diesen Gegensatz hinaus führt erst die Welt des christlichen ^Mittel- alters, ,,die germanische Welt". So nennt Lassalle sie im Anschluß an Hegel, so sehr er in ihrer Ausdeutung von ihm abweicht und namentlich aUes unterdrückt, was dort an christliche Gnosis erinnert. Nicht als ob dieses Zeitalter bereits die Kluft überbrückte! Im Gegenteil, hier will sich das Subjekt in der Welt der Wirklichkeit durcliführen ; die Subjek- tivität wird zu einer realen Wirklichkeit und Allgemeinheit, dem Him- melreich, ausgebaut, während im staatlichen Leben Willkür und Be- .sonderheit triumphieren. Dann schwindet der Schein der Religiosität, ohne daß das Prinzip der Epoche, die Unendlichkeit des Subjekts, seine wirkende Kraft damit einbüßt. Das Prinzip verweltlicht sich bloß,

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es bildet sich um und wandelt sich in einen Materialismus, für den allein die sinnliche Gewißheit gut, das Subjekt versumpft in seinPrivatinter- esse, der Egoismus triumphiert. ,,Die bürgerliche Gesellschaft ist das eigentliche Produkt dieser Zeit, deren Ausbildung sich vollendet in der Industrie und ihrer Organisation, der freien Konkurrenz, des losgegebe- nen Für-sich-seins des atomistischen Kampfes aller mit allen."

Das sind ungefähr dieselben Gedanken, die Lassalle in seinem manu- skriptartigen Brief an den Baron Hubert von Stücker im Juli 1845, dort noch ausführlicher, auseinanderlegte. ^) Erst dieser und andere Briefe der gleichen Zeit geben näheren Aufschluß darüber, wie er sich endlich das Emportauchen der neuen, sein Weltbild verwirklichenden Epoche aus dieser den ursprünglichen christlichen Gedanken säkularisierenden und materialisierenden liberalen Ära vorstellte. In dem Monstrebrief an den Vater über die Bedeutung der Industrie für die neue Zeit, den ihm die erste Gewerbeausstellung des Zollvereins eingab, legte er im September 1844 dar, wie nach der langen Zeit des Individualismus und Atomismus nun endlich der Kommunismus, wenn auch noch dunkel und unklar, den Gedanken des Staats oder der Gesellschaft als eines orga- nischen Ganzen wieder zu erfassen beginne.'-) In dem Schema seines Systems drückt er den gleichen Gedanken, wie im Wesen der Sache liegt, abstrakter aus. Nachdem er dargetan hat, wie das Subjekt im Materialis- mus dahin gelangt war, sein persönliches Interesse als das allein Existie- rende und Geltende, als das Allgemeine anzusehen, folgert er, daß ent- sprechend nun auch der Geist, wenn er sich als das Allgemeine wisse, das Allgemeine als sich wissen müsse. Damit kehre der Geist sich aus seiner Vertiefung in sich in die Praxis der Idee heraus und erreiche seine höchste Stufe. Die Dialektik der Geschichte sei jetzt ihrer selbst bewußt geworden, und der Prozeß, der sich als aUe Realität und die Realität als die seine wisse, verwirkliche sich fortan als ,, bewußtes Tun". p Ein ,, Kriegsmanifest an die Welt", das Lassalle im September 1845 dem Freundestriumvirat in Berlin, das zu ihm aufblickte, von Breslau aus überschickte, stellte fest, daß nach seinem System nunmehr „der Weltabschluß" bevorstehe. Der Weltgeist könne sich jetzt beruhigen, weil sich die spekulative Einheit des Allerobjektivsten und Allerinner- lichsten im Wissen vollziehe, das sein reines Gegenteil, den Begriff des Sein erfaßt habe.^) Nachdem der Geist den ganzen reichen Weg der Ge- schichte durchgemacht habe, gelange er nun zur vollkommenen, ewigen Versöhnung.

1) Nachgelassene Briefe und Schriften, Bd. I, besonders S. 174 und 177. Dort führt er auch näher aus, daß und weshalb das Prinzip des Erwerbs ,, Zeitidee" sei. 2) Ib. S. 134 ff- '■") Ib.. S. 220.

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Dieser ganz im Sinne Hegelscher lyOgik gehaltenen abstrakten Um- schreibung des Weltzustandes, an dessen Schwelle er die „Mission der Propaganda" empfand,^) geben Lassalles Briefe aus der gleichen Zeit eine konkretere Auslegung. Doch überall hält er dabei streng fest an dem zentralen Bewegungsgesetz der Hegeischen Philosophie, das auch den Kerngedanken seines eigenen S^^stem bildet. Er drückt ihn in dem vorliegenden Entwurf so aus, daß ,,die Dialektik der historischen Ideen und Völker" übereinstimme mit der Dialektik des absoluten Begriff der Formen, in denen die historischen Ideen sich auslegen. Die beiden dialek- tischen Pole Objektivität und Innerlichkeit erleben ihre Synthese im bewußten Tun, und der Weltgeist komme damit zu seiner Beruhigung.

Der Aufgabe, zu beweisen, weshalb dieser Endzustand, den er heran- nahen sieht, der Kommunismus sei, unterzieht sich Lassalle namentHch in seinem Brief an den Vater vom 6. September 1844. Der Kommunismus erlöse das freie Subjekt aus den Banden der toten Objektivität, so heißt es dort, er erkenne seine absolute Berechtigung, seine an und für sich seiende W^ahrheit an, aber er erkenne zugleich auch die Wahrheit und Berechtigung der objektiven Sphäre: ,, Dadurch, daß der Kommunismus die Idee der Organisation, der einheitlichen Totalität aufstellt, hat er an sich, aber auch nur an sich, den Begriff des Staates der objektiven Sitt- lichkeit, die eine Konsequenz unserer Philosophie ist." Er müsse vermöge seiner eigenen Natur in diese absolute Idee, von der er sich für jetzt noch prinzipiell unterscheide, übergehen. ^)

Vergleicht man die Sprache des vorliegenden Entwtufs zu einer Philosophie des Geistes und Lassalles erläuternde Briefe, die diesem Schema Leben geben, mit den gleichartigen Schriften derselben Epoche von Marx und Engels, die, aus denselben dünnen Luftschichten der Speku- lation herkommend, sich nun schon anschickten, auf dem festen Boden der ökonomischen Tatsachen zu landen, so ergibt sich bei aller Ver- schiedenheit zwischen der Denkart jener gereif teren Geister und dieses genialen Anfängers, auf die hier nicht erst hingewiesen zu werden braucht, doch in dem weltanschaulich wesentlichsten Punkte eine bedeutsame Übereinstimmung. Lassalle, wie die Freunde im Ziel imd Gegner auf dem Wege, begreift den Kommunismus als ,, Weltabschluß und als den t 'Übergang der Menschheit aus ihrer bewußtlosen in ihre bewußte Epoche".

In Lassalles Nachlaß fanden sich noch einige Quartblätter philo- sophischen Inhalts, die der Herausgeber Herrn Professor Jonas Cohn zur Begutachtung unterbreitet hat, um nicht nur auf Grund des eigenen, bei dieser philosophischen Materie nicht ausreichenden Urteils zu ent- scheiden, ob der Abdruck einem wissenschaftlichen Bedürfnisse eiit-

') Ib. S. 231. -) Ib. S. 134.

Mayer, Lass.ille-Nachlass. VI 6

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spräche. Zwei dieser kleinen Manuskripte hat I,assalle selbst, ein drittes sein Freund Mendelssohn geschrieben. Äußere Indizien weisen alle drei in die gleiche Zeit, in der auch die Philosophie des Geistes konzipiert wurde. Von den beiden eigenhändigen Manuskripten ist das erste ein Auszug aus dem Abschnitt ,, beobachtende Vernunft" der Hegeischen ,, Phänomenologie", das zweite bietet einen Auszug aus Hegels Logik, dritte Abteilung, Lehre vom Begriff. B. Das Objekt. Dieses umfaßt also gerade jenen Teil der Logik, den ausgeschaltet zu haben, LassaUe später Rosenkranz vorwarf. Die von Arnold Mendelssohn geschriebenen Blätter stellen einen freien, mehr die großen Zusammenhänge wieder- gebenden Auszug aus dem Abschnitt ,, Vernunft" der Hegeischen ,, Phä- nomenologie des Geistes" dar. Es wird sich heute kaum noch entscheiden lassen, ob Lassalle ihn dem Freunde diktiert oder ob dieser selbst ihn angefertigt hat. Alle drei Manuskripte boten nicht genug Selbständiges, um ihren Abdruck zu rechtfertigen.

Dagegen hat der Herausgeber lange geschwankt, bis er sich entschloß, auch von der Veröffentlichung des eigenhändigen Konzepts Lassalles zu seinem Vortrag: ,,Die Hegeische und die Rosenkranzsche Logik und die Grundlage der Hegeischen Geschichtsphilosophie im Hegeischen System Abstand zu nehmen." Diese Arbeit ist dem Historiker der Philo- sophie bekannt und sie hat längst ihren Platz in der Geschichte der Hegeischen Schule. Das Konzept weicht an nicht wenig Stellen von dem Abdruck in der Zeitschrift ,, Der Gedanke" ab. Dennoch erschienen diese Abweichungen nicht erheblich genug, um die Aufnahme des umfangreichen Manuskripts in diese Sammlung zu rechtfertigen. Dem Forscher wird das Original in LassaUes schriftlichem Nachlaß künftig zugänghch sein.

Philosophie des Geistes

(Konzept von Lassalles Hand)

A. Das An-sich-sein oder Sein des Geistes, der Geist als Naturgeist. (Anthropologie, Psychologie, in das terrestrische Sein ver- senkter Geist.) Seine ewige Stetigkeit als das unveränderlich logische An-sich des Geistes (Phänomenologie), die sich entwickelt zur Vernunft.

B. Die Innerlichkeit des Geistes, sein Für-sich-sein, enthoben jener seiner ewigen geistigen und physischen Naturnotwendigkeit, sein Vertiefen und Bewegen in sich und seine Freiheit, sein innerliches Wer- den in sich und aus sich die immanente Entwicklung.

Diese Stufe ist also der Geist nicht in seinem Sein und An-sich-sein, sondern der sich zum Gegenstand habende Geist. Der Geist aber kann

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sich nur als das zum Gegenstand haben, was er wirklich ist, sein Wesen, seinen absoluten Begriff und dessen Momente, die hier von A bis D ent- wickelt werden. Der Geist erfaßt alle Momente seines absoluten Begriffs als nacheinander in der Zeit, von ihrer ersten und ärmsten Bestimmung an bis zur Totalität. Der Geist, der also nacheinander jedes der Mo- mente seines absoluten Begriffs als seine Totalität anschaut, ist der historische Geist. Der historische Geist ist nichts als die Entwicklung des Geistes, immer eines seiner ^lomente als seine ganze Wahrheit, als Absolute[s] anzuschauen die^) historische Bestimmtheit des Volks- geistes, welche eben das einzelne Moment seines absoluten Begriffs ist, das aber als seine Totalität und Wesen gewußt wird. Die Dia- lektik dieser in ihm nur abstrakten Momente seines absoluten Be- griffs, treibt ihn aber fort und ist die Dialektik der Geschichte ; denn es ist das Unzureichende vorhanden, eine einzelne seiner Bestimmungen als sich selbst, seine Ganzheit zu wissen. Die absolute Identifikation ist erreicht, wenn er sich als die Totalität seiner ^^lomente, sich nach [?] seiner ganzen erschöpften Wahrheit weiß. Der absolute Begriff des Geistes und der historische Begriff des Geistes verhalten sich also nun so zueinander, daß letzterer das Gesetztsein der einzelnen Momente des ersteren ist. C. Diese seine Innerhchkeit und Für-sich-sein als Sein zu setzen (die Einheit der beiden vorigen Bestimmungen), der Begriff der Geschichte. Diese seine Verwirklichung geht in sich in

a) Religion die reine Verwirklichung des Absoluten in dem ge- schmeidigen Äther seines Selbst, eine Form, die noch innerhalb der Be- stimmung der Innerlichkeit oder des An-sich-seins eingeschlossen bleibt und im Kultus als der Einbildung des Absoluten in das Material äußeren unmittelbaren Seins in Wirklichkeit übertritt in das Gebiet

b) der Kunst. Die Sphäre der Relativität, der Stoff als das unmittel- bare Sein der Idee, die Beziehung beider Faktoren oder Momente bringt es nur zum Verhältnis, zur Beziehung, zur Relation, zum Schein der Idee in ihrem Anderssein. Sphäre des Wesens und erst noch der Harmonie (relative Identität), Schönheit. Die Kunst hat das Moment vor der Re- ligion, daß hier das Absolute, die Idee, sich ihren absoluten Gegensatz, die Äußerlichkeit unterwirft, während die Verwirklichung als Religion innerhalb der Innerlichkeit selbst gehalten ist. Aber eben damit kommt das Absolute in der Kunst nie zu seinem wahrhaften adäquaten Sein, sondern verhält sich ebenso als zurückreflektiert aus dem Kunstwerk.

c) Die Einheit beider Bestimmungen, wo das Absolute (immer nur der historischen Idee) 2) sich ebenso in das ihr absolut Entgegengesetzte,

^) Dieses Wort, das nur als Abkürzung dasteht, könnte allenfalls auch anders gelesen werden.

-) Könnte auch ,,die historische Idee" gelesen werden.

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das äußere Sein, das aber ganz und ungeteilt als das ihre und seine Wirklichkeit setzt, das Sein als schlechthin von der Idealität durch- drungen — , die Sphäre der heutigen Wirklichkeit und Welt, der Staat, Einheit des An-und-für-sich-seins, der sich einteilt in:

1. das Recht abstraktes An-sich-sein,

2. die bürgerliche Gesellschaft das abstrakte Für-sich-sein,

3. die Sittlichkeit oder der eigene[?] ^) Staat, der an-und-für-sich- seiende Geist, der sich weder als die abstrakte Allgemeinheit an sich noch als abstrakte Einzelheit, Privatperson, sondern als die an-und-für- sich-seiende Identität sich als Allgemeinheit, die Allgemeinheit als sich weiß.

D. Der sich als dieser Prozeß bewußte Geist, die selbstbewußte Dialektik der Geschichte, die sich begreifende Geschichte. Dies absolute Wissen, die neue Philosophie des Geistes, der sich bewußt ist seiner als des sich zur Wirklichkeit entlassenden und diese zu sich aufhebenden Tuns. 2)

Von der Stufe B., dem Sich-erfassen des Geistes in seiner Innerlich- keit aus ergeben sich aber zuvörderst die Bestimmungen, wie und als was er sich erfaßt, was er für sich ist, was für ihn sein An-sich-sein, Wesen ist, Bestimmungen, die er dann in C. verwirklicht.

Indem der Geist für sich selbst sein An-sich-sein, Wesen erfassen wiU, erfaßt er sich, sein Wesen

cc) als das iVn-sich-sein oder Sein, als Stufe

A. ; das ist die Stufe der ursprünglichen Identität, eben erwachend aus dem Naturschlaf und Natursein, wo er in der Freiheit geistigen Für-sich-seins, geistiger Selbstbestimmung sein Wesen selbst setzend erst finden will, setzt und findet er sein Wesen, als die [Stufe, die er] ^) eben verlassen hat und die auch so wahrhaft überwunden bleibt, indem, wie wenn sie früher als sein unmittelbares Natursein vorhanden war, jetzt aber durch das Für-sich-sein gesetzt wird. Wenn diese Stufe überhaupt so bestimmt ist, daß die Substanz als das kontinuierliche allgemeine Sein gewußt wird, so fallen in sie hinein eine unendliche Masse Unterab- stufungen, in denen der Geist die untersten Stufen seines elementarischen Wesens (das in dieser ganzen Sphäre überhaupt seine Substanz ist und

1) Vielleicht auch Abkürzimg für ,, eigentliche".

2) Bis hierher reicht der nur auf einer Seite beschriebene Bogen. Das Folgende, dessen Inhalt die etwas detailliertere Ausführung oder Kommentierung des Vorauf- gehenden büden soll, füllt dann die vier Seiten des anderen Bogens. Vgl. hierzu oben die einführende Bemerkung S. 76.

3) Diese Worte stehen nicht im Original. Sie wurden zum besseren Verständ- nis vom Herausgeber eingeschoben.

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als solche gewußt wird) auf den Thron des Absoluten erhebt, die asia- tischen Religionsformen, in denen er sein Wesen als das terrestrische, siderische, in elementare Potenzen Versenken, als Magismus begreift.

Am reinsten und gebildetsten tritt die Bestimmung dieser Stufe in der indischen Religion auf, wo das kontinuierliche allgemeine Sein, als Materie, als Substanz und das Abtrennen imd Losgerissensein von ihr die Einzelnheit als unberechtigt gewußt wird. ^)

Die Realität des Absoluten, wie es auf dieser Stufe des weltgeschicht- lichen Geistes bestimmt ist, kann deshalb nur in der Form der Rehgion, noch nicht so in der Realisierungsform der Kunst und des Staates ge- sucht tmd gefunden werden, weil der Inhalt dieser Kategorie, dieses Gottesbewußtseins noch nichts hat, was es verw'irklichen könnte. Der Inhalt dieser Idee ist nämlich der ärmste, er ist das Sein, die Materie usw. Dieser Inhalt, das Sein, kann aber nicht erst realisiert und die Wirklich- keit zu ihm aufgehoben werden, weil das Sein schon an und für sich ist und das, was zu ihm aufgehoben w^erden könnte, doch nur das Sein eben der Inhalt der Idee selbst ist. Das Sein braucht und kann nicht erst realisiert, gemacht werden, sondern ist schon. Es kann daher dieser In- halt das Sein nur in der Form innerer Verehrung befaßt werden und es kann daher auf dieser Stufe des Geistes noch zu keiner Realisation ihrer in Kunst und Staat kommen.

ß) Im extremen Gegensatz steht die zw^eite Stufe des Absoluten. Wurde vorhin dies Sein als Substanz gewußt, so wird jetzt \'ielmehr das Sein als schlechthinnige Nichtigkeit gewußt, als das Absolute aber wird bestimmt geradezu das Nicht-sein, die Un Wirklichkeit, die Ab- straktion. Schaut der Geist vorhin sein An-sich-sein an als seinAn-sich, so setzt er jetzt als sein An-sich das abstrakte Für-sich-sein . Der jüdische Gott, die unendliche Subjektivität des absoluten Für-sich-seins in diese Stufe fällt daher der harte Schmerz gleichsam über das Ge- storbensein Gottes, die Unwesentlichkeit, die die WirkHchkeit erhalten hat. 2) Wenn der Geist, wie er zu B. gekommen (mit dem wir es hier über- haupt zu tun haben) und nun sein Wesen für sich setzen will, zuerst sich auf die verlassene Stufe A. wendet und sie als sein Wesen setzt, so setzt

^) Ausführlicher, aber in demselben Geiste äußert sich Lassalle über seine Stellung zur indischen Welt in dem Brief an die Mutter vom 30. Juli 1S44 in Nach- gelassene Briefe und Schriften, Bd. I, S. 109.

-) Hier ist durchgestrichen: ,,und die Unwirklichkeit dieses Für-sich-seins". Über die jüdische Religion, mit der sich auseinanderzusetzen für ihn besonders nahe lag, äußerte sich Lassalle mehrfach in seiuen Briefen aus dieser Zeit. Am aufschlußreichsten ist auch hierfür der an die Mutter adressierte, aber wohl mehr für den Vater bestimmte und der eigenen Klärung dienen sollende Brief vom 30. Juli 1844. Vgl. a. a. O. S. 109 ff. Die Abhängigkeit von Hegels Charakterisie- rung und Bewertung liegt hier klar zutage.

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er die Stufe B., das ist der innerliche denkende für sich seiende Geist jetzt sich selbst, die Stufe B., das abstrakte Denken als Absolutes oder, was dasselbe ist, die erste konkrete Wirklichkeit dieser Stufe, also Stufe C. a. nämlich die Religion. Die jüdische Religion hat nämlich zu ihrem Inhalt nichts als den eigenen reinen Begriff der Religion selbst (Stufe a), die Verwirklichung und Aufnahme des Absoluten in der Innerlichkeit des Subjekts.

/) Die Einheit und Aussöhnung beider Momente der Allgemeinheit Seins und der Einzelheit, Für-sich-sein Individualität. Beide Faktoren werden zwar nicht als schlechthin identisch, sondern im Gegenteil als sich Andere gewußt, aber als sich gegenseitig belebend als in Harmonie. Das Allgemeine als das Substantielle Erfüllende, das Für-sich-sein als das Belebende, beide so nicht als dieselbigen, sondern ineinander schei- nende. Diese Idee des Absoluten hat somit zu ihrem Inhalt die Sphäre der Relativität, des Scheins selbst, Stufe C. b. die Kunst, diesen Schein des Allgemeinen in seinem Anderssein, das dadurch schöne Individualität ist, den Begriff der Schönheit und Kunst selbst die griechische Re- ligion darum Kunstreligion.

ö) Die Unterscheidung und Zerreißung dieses schönen sittlichen Lebens des geeinten Geistes in das Extrem persönlichen Für-sich-seins und abstrakter Allgemeinheit, das Vertiefen des Für-sich-seins in sich die römische Welt. Die eigentümlichen Realitäten der römischen Welt sind darum der abstrakte allgemeine Geist, den sie geschaffen ^) das abstrakte An-sich-sein der Wirklichkeit des Geistes das Recht in der formelle [n] 2) Gleichheit des Für-sich-seins, der Staat aber nur als harte, tote Allgemeinheit und Objekt, das von dem Subjekt noch nichterfüllt ist, außerhalb dessen noch die wirkliche Existenz der Person fäUt, somit der Staat nur als absolutes An-sich-sein, als Recht. Inhalt dieser Stufe ist darum die eigene Form des Staats selbst, aber die abstrakte. Denn [er] zerfällt in die abstrakte objektive Allgemeinheit und das abstrakte Für-sich-sein der Person, ist somit Stufe C. c. i., das Für-sich-sein aus der Relativität in Ungleichheit, in Differenz gekommen mit dem All- gemeinen, opfert sich oder erhält sich trotzig stets einander negativ.

1) Hier liegt die am schwersten entzifferbare Stelle des Textes vor; ganz besonders ließ sich der Platz, den Lassalle gewissen Einschiebungen zugedacht hatte, nicht ein- wandfrei festlegen. Es seien hier deshalb einige Lesarten gegeben. Nach ,, geschaffen" könnte es heißen: ,, der Staat und das private Für-sich-sein das Recht". Frei- lich ist „und das" durchgestrichen und bei ,,der Staat" und bei ,, Recht" sieht man nicht genau, ob die Worte unterstrichen oder durchstrichen sein sollen. Das letztere ist wahrscheinhcher. An Stehe von ,,das Recht" könnte stehen: Erste Version: „als absolutes Ansich, als Recht". Zweite Version: ,,die abstrakte an sich seiende Wirklichkeit des Geistes das Recht in der formellen Gleichheit des Für-sich-seins" .

^) Man könnte auch lesen: ,,vmd die formelle".

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Die germanische Welt, wo das Für-sich-sein aus seiner inneren Un- endlichkeit dazu kommt, sich die unendliche Tiefe der Subjektivität als die alleinige Objektivität, als alle Realität und Allgemeinheit zu wissen.

In der Welt der Wirklichkeit will sich das Subjekt durchführen und erhalten, die Schöpfungen der Willkür und Besonderheit auf staatlichem Boden; ebenso die Subjektivität zu einer realen Wirklichkeit und All- gemeinheit ausbaut das Himmelreich, deren Inhalt eben die unendliche Subjektivität, die Bedürftigkeit und Besonderheit des Subjekts, also die rohe Vorstellung und Gemütswillkür ist.^) Indem der Schein der Religiosität schwindet, das Prinzip dieser ganzen Stufe 2) aber, welches die Unendlichkeit des Subjekts ist, das Subjekt, das sich die Subjek- tivität als die alleinige Objektivität, Wirklichkeit und Wahrheit weiß, sich immer weiter ausbildet, kommt es endlich zu der Gestalt des Geistes, in der das Subjekt sich allein das Wesentliche, alles nicht in ihm Liegende, auf seine bloße Subjekti\dtät Beziehende aber nichtig und unwahr ist der Indifferentismus, der Materialismus, die alleinige Gültigkeit der sinn- lichen Gewißheit, die Versumpfung des Subjekts in sein Privatinteresse, die Spitze des Egoismus, welche Gestalten alle somit als Formen des christlichen oder germanischen Prinzips zu begreifen sind. In dieser historischen Stufe faßt der Geist als sein Wesen das Moment seines ab- soluten Begriffs, welches dort, wo sein absoluter Begriff abgehandelt wird, als Stufe C. c. 2. auftritt, das unendliche Für-sich-sein, aber als wirkliche Subjektivität, Person und deren unendliche Berechtigung. 3) In dem geistigen Äther ihrer Verwirklichung schafft sie darum die Privat- seligkeit des Subjekts, wo sie sich aber auf die Wirklichkeit als solche einläßt, schafft sie eben die Gebiete des für-sich-seienden Subjektsund ihre eigene Schöpfung ist dann C. c. 2 die bürgerliche Gesellschaft in Ständen, Korporationen usw. Die bürgerliche Gesellschaft ist das eigent- liche Produkt dieser Zeit, deren Ausbildung sich vollendet in der In- dustrie und ihrer Organisation der freien Konkurrenz, des losgegebenen Für-sich-seins, des atomistischen Kampfes aller mit allen.

Indem aber das Subjekt im Materialismus usw. dazu kam, alles über seine unmittelbare Wirklichkeit hinausliegende als nichtig zu wissen, sein Interesse nur in ihr hat, hat es somit an sich das Sein und die Wirk- lichkeit, die an sich allgemein sind, als seine Wahrheit erfaßt. Es ist für

^) Der Herausgeber hat sich nicht für berechtigt angesehen, von sich aus Interpunktionen zu setzen an Stellen, wo der Sinn auch nur im entferntesten zu Zweifeln Anlaß bot oder Glättungen vorzunehmen, wo auch bei sorgfältigster Entzifferung des Textes Dunkelheiten sich ergaben.

-) Erst stand ,, Sphäre".

^) Vgl.hierzu Lassalles großen Brief an Mendelssohn. Oppenheim und Lehfeldt von Mitte September 1845 in Nachgelassene Briefe uud Schriften, Bd.I. besonders S.;.i3 ß.

es jegliche Zeit nur es selbst, insofern es das Moment des Seins und Gel- tens der Realität an ihm hat, und die Realität ist ihm nur als seine eigene von ihm durchdrungen. War dieser germanische Geist das sich als All- gemeines wissende Subjekt, so hat er sich jetzt bestimmt zu dem wie sich als das Allgemeine, so das Allgemeine als sich wissendem Geist, der sich aus seiner Vertiefung in die Praxis der Idee herauskehrt. Dieser Geist, obwohl historisch, ist selbst Totalität der Momente des absoluten Be- griffs des Geistes, ist daher der in seiner Wirklichkeit zu seiner ganzen Wahrheit entwickelte und erschöpfte Geist, ist Stufe D., nämlich die ihrer selbst bewußte Dialektik, der sich als das Sein, das Sein als sich wissende Geist. Zu seinem Inhalt hat er nur sich selbst und sich in seinem ganzen Umfang. Indem für ihn das Allgemeine als Sein und die sub- jektive Einzelheit zu ihrer absoluten Identität gediehen sind, für ihn aber alles, wie in der Form der Innerlichkeit, ebenso in der Form des Seins vor- handen sein muß, so hat er zu seinem Inhalt das Moment des absoluten Begriffs des Geistes, welches an sich schon die Totalität ihrer aller ist, nämlich Stufe C.c.3., die Bestimmung dieser Identität selbst oder der Staat. Die Dialektik der historischen Ideen und Völker stimmt überein mit der Dialektik des absoluten Begriffs der Formen, in denen diese histo- rischen Ideen sich auslegen. Dieser zum Selbstbewußtsein gekommene Prozeß, der sich als alle Realität und die Realität als die seine weiß und setzt, ist der neue, meinetwegen der neugermanische Geist. Er verwirk- licht sich im Unterschied von den früheren als bewußtes Tun.

Geschichte der sozialen Entwicklung

Zur Einführung

Als es im Jahre 1860 zu jener großen Generalaussprache zwischen lyassalle und Karl Marx kam, die eine vorübergehende Besserung ihres Verhältnisses herbeiführte, da fühlte Lassalle sich gedrungen, dem im Exil Lebenden anschaulich zu machen, was er, ,,der letzte der Mohi- kaner", der im Rheinland zurückgeblieben war, in den Jahren der Re- aktion für die rheinischen, namentUch für die Düsseldorfer Arbeiter bedeutet hatte, von denen Marx jetzt auf Grund falscher Informationen behauptete, daß sie ihm nicht mehr trauten. Aus dem langen Brief, den er damals schrieb, darf uns hier nur eine Stelle interessieren: ,, Lange Zeit hindurch," berichtet er, ,, hatte ich ihnen . . . trotz der wütendsten Dro- hungen der Polizei, die auch immer bei diesen Vorlesungen so und so viel Mann hoch meinem Hause gegenüber in den Büschen lag, in meinem Hause Vorträge über die soziale Entwicklung seit 1789 trotz aller Wut und aller Drohungen der Polizei gehalten, bis gegen meinen Willen die Arbeiter erklärten, sie könnten und würden mich nicht länger dieser Gefahr aussetzen, und hartnäckig wegblieben."^) Nun hat sich das eigen- händige Manuskript, auf Grund dessen Lassalle diese Vorträge, man möchte nach seiner Angabe annehmen, wiederholt hielt, unter den Pa- pieren des Nachlasses aufgefunden. Noch weniger als bei anderen Kon- zepten zu Reden oder Vorträgen, die sich erhielten, darf überraschen, daß der Verfasser für so intime und zugleich populäre Vorlesungen, wie diese es sein mußten, sich keines völlig ausgearbeiteten Textes bediente. Eher könnten wir uns wundern, mit wie ungeheurer Sorgfalt, unter Auf- gebot einer wie ausgebreiteten Gelehrsamkeit, mit welcher minuziösen Gründlichkeit und vorbildlichen Gewissenhaftigkeit der künftige Ar- beiterführer diese ersten und einzigen wissenschaftlichen Kurse, die er vor deutschen Arbeitern hielt, vorbereitete.

Wie es auch sonst seine Art war, hat Lassalle sich seinen Gedanken- gang in Stichworten und halb oder auch ganz formulierten Sätzen auf- gezeichnet, wobei er die allgemeinen Gesichtspunkte, die ihm geläufig waren, nur ganz kurz skizzierte, während er bei Zusammenhängen, welche

^) Nachgelassene Briefe und Schriften, Bd. III, S. 266.

=- = 90

die Beibringung eines ausführlichen, aus Quellenwerken oder Darstel- lungen herangeholten Materials erforderten, seinem Gedächtnis weniger vertraute. Da lyassalle die Worte meist abkürzte und in großer Eile schrieb, so bot die Entzifferung des ziemlich umfangreichen Manuskript rechte Schwierigkeiten. Der Abdruck erfolgt, wie kaum bemerkt zu werden braucht, genau nach dem Original, ohne daß Worte hinzugefügt oder fortgelassen wurden. Vollste Treue in dieser Hinsicht, philologische Akribie war der einzige Gesichtspunkt, der den ersten Herausgeber eines solchen Manuskripts leiten durfte. Diese Vorträge, die vor etwa siebzig Jahren für deutsche Arbeiter abgefaßt wurden, dem deutschen Arbeiter von heute dadurch zugänglich zu machen, daß er lyassalles Abkürzungen zu einem lesbaren Text ausweitete, eine solche Aufgabe durfte er sich nicht stellen.

Die französische Revolution lieferte von ihren großen Zusammen- hängen bis zu ihren kleinsten Einzelheiten Lassalle ähnlich wie Marx und später Lenin einen unvergleichhch reichen Anschauungsstoff für die Erkenntnis und Nutzbarmachung revolutionärer Situationen und Mög- lichkeiten. Alles was die Welt seither an Revolution erlebt hatte, bot ihnen kein gleich breites, geschlossenes, problemreiches Studiengebiet dar. Mochte den Vorgängen, die sich in Frankreich vom Februar 1848 über die Junischlacht bis zu dem Staatsstreich Louis Napoleons ab- spielten, weil sie ihnen zeitlich näher lagen und bereits entwickeltere ökonomische und soziale Zustände antrafen, ein noch aktuelleres Inter- esse innewohnen, sie konnten doch nicht die universale Bedeutung be- anspruchen, die der ersten Revolution zukam, sie bedeuteten doch kein gleich tief die Kruste des sozialen Bodens sprengendes Erdbeben, kein gleich erfolgreich ihre Aufgabe erfüllendes Phänomen in der Geschichte der Klassenkämpfe und der Rechtsgestaltung. In seiner Verteidigungs- rede: ,,Die indirekten Steuern und die Lage der arbeitenden Klassen" fragt Lassalle einmal seine Richter: ,, Kennen Sie den inneren Zusammen- hang der französischen Revolutionsgeschichte, meine Herren?" Und ruft ihnen zu: ,,Ich kenne ihn bis in seine inwendigste Fiber." Wenn wir zu dem, was er sonst, etwa in der Assisenrede, in der Schrift über den italienischen Krieg, in dem System der erworbenen Rechte an Kenntnis der Revolutionsgeschichte verrät, das hinzunehmen, was jetzt aus diesen Aufzeichnungen zu Vorträgen uns bekannt wird, so dürfen wir ihm zu- gestehen, daß er mit seiner Behauptung nicht sehr übertrieb. Schon allein ein Blick auf die die große Revolution betreffende Literatur, die seine Bibliothek barg, legt dafür Zeugnis ab, wie sehr er sich bemühte, auf Grund eines möglichst reichhaltigen gedruckten Materials sich eine klare und anschauliche Vorstellung, ein selbständiges und persönliches Urteil über Ursachen, Verlauf und Folge der Revolution in politischer, öko»

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nomischer, sozialer und rechts- und geschichtsphilosophischer Hinsicht zu bilden. Die Darstellungen, auf die Lassalle im wesentlichen seine Kenntnisse stützt und seine Urteile aufbaut, nennt er selbst. Er be- schränkt sich fast ganz auf französische Autoren, von deutschen bezieht er sich einmal auf Lorenz von Stein, dessen frühere Schriften er seit langem genau kannte, erwähnt aber noch nicht Heinrich von Sybels Geschichte der Revolutionszeit. \'on Douis Blancs „Histoire de la re- volution" benutzt er nur erst den ersten und zweiten Band, die 1847 erschienen waren und noch nicht Bd. III und Bd. IV, die 1852 herauskamen. Auch von Bartholds Geschichte der deutschen Städte erwähnt er bloß erst den ersten Band, der 1850 erschien. Da wir nun über das Jahr, in dem Lassalle seine Vorträge ausarbeitete und zuerst hielt, positive Angaben bisher nicht besaßen, so ließen sich beinahe schon hieraus Schlüsse auf ihre Entstehungszeit ziehen. In der Tat ist von allen Büchern, auf die er sich beruft, keines später als 1850 er- schienen. Zwar tragen von Vehses Geschichte der Höfe und von Carette, Lois annotees die ersten Bände, die allein er anführt, die Jahreszahl 1851; aber ein bekannter buchhändlerischer Brauch datiert Neuerscheinungen aus dem letzten Jahresdrittel fast immer voraus. Nun gewährt uns jedoch eine Stelle dieses ^Manuskripts noch einen genaueren Anhaltspunkt für die Zeitbestimmung. Auf Seite 33 erwähnt Lassalle, daß ,, voriges Jahr" die Zünfte in Preußen einigermaßen wiederhergestellt wurden. Damit kann er wohl kaum etwas anderes meinen, als das Gesetz vom 9. Februar 1849, ^^ i^ etwa siebzig Gewerben die Ausübebefugnis vom Eintritt in eine Innung oder der Lieferung des Befähigungsnachweises abhängig machte, der gleich- zeitigen Ausübung mehrerer Handwerke durch dieselbe Person Be- schränkungen auferlegte und noch zahlreiche andere Bestimmungen traf, die sich zusammenfassend durchaus so charakterisieren lassen, wie es hier durch Lassalle geschieht. ^) Wir möchten also mit Sicherheit an- nehmen, daß die Geschichte der sozialen Entwicklung, so wie sie uns hier vorHegt, von Lassalle bereits 1850 ausgearbeitet worden ist.

Unter biographischem Gesichtspunkt ist ein solches Ergebnis be- achtenswert. Lassalle würde danach diese Blätter ziemlich kurz nach der einzigen Zeit seines Lebens geschrieben haben, in der er mit Marx in stän- digem persönlichen Verkehr gestanden hatte. Wenn irgendwo, so mußte an einem Stoff, wie diesem, der in jenes Interessenkreis so unmittelbar hineinfiel, dessen Einfluß auf ihn hier deutlich in die Erscheinung treten. Und in der Tat, man glaubt Marx zu spüren, wenn man liest: ,,Die herrschende Klasse in der Gesellschaft bedient sich stets und immer der

^) Vgl. Stieda, Handwerk in Handwörterbuch der Staatswissenschaften. 3. Aufl., Bd. V.

92 ^ =

Staatsgewalt, Staatsform, um in der Staatsverfassung ihre Herrschaft über die anderen Klassen zu sichern," oder wenn es heiiSt: ,, Staats- gewalt und Verfassung stets nur der Ausdruck der in der Gesellschaft herrschenden Klassen" und: ,,Was wirklich und allemal im Recht verwirklicht ist, ist das Wesen der herrschenden Klasse in der Gesell- schaft." Doch dicht daneben stoßen wir an noch zahlreicheren anderen Stellen auf Äußerungen des Verfassers, die aufs deuthchste erkennen lassen, daß er die Marxsche Umstülpung der Hegeischen Dialektiksich keineswegs angeeignet, sich wahrscheinlich nicht einmal klar mit ihr auseinandergesetzt hat und daß ihm damals ebensowenig wie später Zweifel an der Grundposition der Hegeischen Identitätsphilosophie ge- kommen waren. Indem er z. B. feststellt: ,, Beides geht immer zu- sammen: die Entwicklung des Gedankens und der tatsächlichen Ein- richtungen," zeigt er, wie völlig fern es ihm liegt, den ,, Gedanken" in ein- seitige Abhängigkeit von den ,, Einrichtungen" zu setzen. Die Anklänge an lyouis Blanc und andere zeitgenössische französische Sozialisten, die hernach in lyassalles Agitationsschriften so stark hervortraten, finden sich bereits in diesen \"orträgen, nirgends sichtbarer als wo er dem Prinzip der freien Konkurrenz, das er bekämpft, das Prinzip der Organi- sation der Arbeit durch die Gesellschaft entgegenstellt, das er, darin sich von den Franzosen unterscheidend, als Arbeiterkommunismus be- zeichnet. Ohne daß wir an dieser vStelle noch näher darauf einzugehen brauchen, wird der Eingevv eihte leicht erkennen, wie bedeutsam das hier wieder auftauchende Manuskript die Wege frei legen hilft, auf denen lyassalles sozialistische Gedankenwelt sich entfaltete.

Geschichte der sozialen Entwicklung

(Original)

Vorwort. Nicht befassen mit dem äußern Apparat, wir haben es nur zu tun mit den Gedanken und Charakter der Zeitperiode, dem bedeuten- den Material, in das die Seele [?] sich ghedert usw. Die Kritik, die einzige einer gesellschaftlichen Institution usw. ist ihre Geschichte und vice versa usw. Doch ohne Vorrede usw.

Doch Zustand der verschiedenen Klassen der Gesellschaft schildern. Es gab im Mittelalter, in Frankreich wie Deutschland und anderwärts nur zwei berechtigte Stände, Adel und Geistlichkeit. Die Macht des Adels beruhte auf dem Grundbesitz. Abstammend von den Kriegern der ger- manischen Stämme, welche das I^and erobert und unter sich verteilt hatten. Im Lehenssystem organisierten sie den Grundbesitz als die Grundlage ihrer Macht.

Nicht selbst das Feld kultivieren. Arbeiten und von seinem Erwerb

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leben, galt wie im Altertum, so im ]Mittelalter, ja bis an die vSchwelle der modernen Zeit für unehrlich.

Sie gaben daher ihre Grundstücke an unbemitteltere ^Männer zur Benutzung ab, die Getreiderente entrichten und Lehnspflicht über- nehmen. Lehnsmänner, Vasallen, Kolonen, Hintersassen, Leudes (Leute) usw. Lehnspflicht bestand darin, auf seinen Aufruf Kriegsdienst zu leisten. Aus den Söhnen dieser Kolonen ging die Stadtbürgerschaft, das Volk der Gewerke hervor ; HüUmann, Geschichte des Städtewesens. ^)

Zunächst Sklaven, ^) Franken im 5. Jahrhundert in Frankreich usw.; gezwungene Arbeit unter Peitsche, römische Sklaven und besiegte Männer 3) überhaupt, selbst unter sich. Sklaverei nicht vom Christen- tum abgeschafft. Sa^', p. 107, not. i. ^) Aber Sklavenbevölkerung aus- sterbend; überall, kann nicht ergänzt werden. Nun Leibeigene, nämlich traten ihnen ein Stück Feld ab, das sie für eigene Rechnung bebauen konnten, dafür corveen, Frondienste. Servage ä la glebe; konnten nicht weggehen noch verkaufen.

Aber auch so die Exploitation der Erde sehr unergiebig; erfordert [e] große Kapitalien um so mehr, als ihr Grundbesitz so groß war, die diesen Seigneurs fehlten. Extensive und intensive Wirtschaft; Abtreten von Grundstücken gegen Grundrente, Pacht in Natur oder Geld und ge- wissen Pflichten, Hintersassen, Vasallen, Erbpächter (Sklaven, Leibeigene, Hörige). Alle diese nicht Kriegsdienste verrichtend, also an freie Männer.

In einem ähnlichen Verhältnis stand nun wneder der Adel zu den Königen, hervorgegangen aus den Hauptführern. Sie trugen von ihm ihre Grafschaften, Herzogtümer usw. formell zu Lehn und waren ihm dafür zum Kriegsdienst verpflichtet. Allein dieses Verhältnis ein sehr lockeres, die Macht sehr gering, da die Hintersassen der Adligen nur ihrem unmittelbaren Lehnsherrn verpflichtet w^aren und die ]\Iacht des Adels daher bei weitem größer als die der Könige, in Frankreich wie Deutschland, obgleich dort erblich, hier Wahlkönigtum (Lechfeld, Frankfurt usw.). Daher bis ins 15. Jahrhundert von eigentlicher Mon- archie noch keine Rede, die reelle j\Iacht der Könige in Deutschland nur in ihrer Hausmacht, Domäne, wenn solche groß war. Dieser na- türlich der Adel, wenn er sich verband, überlegen.

1) K. D. Hüllmann, Städtewesen des Mittelalters. 4 Bde., Bonn 1S26 1S2S.

*) Die beiden Absätze von ,, Zunächst" bis ,, freie Männer" stehen bei Lassalle am Rand, ohne daß er die Stelle bezeichnet hat, wo sie einzufügen wären.

^) Das Wort könnte auch als ,, Stämme" entziffert werden.

') J. B. Say, Cours complet d'ecouomic politiquc pratique Bruxelles 1844. Dort heißt es: On a fait honneur au christianisme de raboütion de l'cscla- vagc, en ce qu'il a proclame l'egalitc native des hommes. Malheureusetncut Ics doctrines ne prevalent pas sur les interets" etc.

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Die Macht des Adels also aiif dem Grundbesitz beruliend. Aber er erwarb nicht. Arbeit, Erwerb unehrenvoll, nämlich durch Prodiiktion, nur durch Krieg und Raub ehrenvoll. Verzehren das Einkommen. Das Jahr bringt's wieder. Der Besitz aber folgt dem Erwerb, wie er sein Pro- dukt. Der dritte Stand, die Bürgerschaft der Städte, auf Erwerb an- gewiesen. Wenn von zwei Klassen die eine das Prinzip hat, den arbeits- losen Besitz zu vertreten und von seinem Einkommen zu leben, die andere aber das des Erwerbs, indem sie jene besitzende Klasse nicht mal zum Konkurrenten hat, so wird auf die Dauer der Besitz sich jener ent- ziehen. Um dies zu verhüten, genügte es dem Adel nicht am Besitz des Grund und Bodens, er mußte den privilegierten Besitz haben.

Die herrschende Klasse in der Gesellschaft bedient sich stets und immer der Staatsgewalt, Staatsform, um in der Staatsverfassung ihre Herrschaft über die anderen Klassen zu sichern usw.

Die Einrichtungen, durch welche die herrschende Klasse einer Ge- sellschaft ihre tatsächliche Übermacht über die anderen, die tatsächliche Abhängigkeit der anderen von ihr permanent machen und aus einer bloß tatsächlichen zu einer geheiligten Übermacht erheben will, nennt man das Recht eines Volkes. Im Recht die Abhängigkeit der einen, die Herr- schaft der anderen verbrieft, für unangreifbar erklärt, mit der ganzen Staatsgewalt schützend umgeben und heilig gesprochen.

Begriff des Rechts und Staats überhaupt: Verwirklichung des all- gemeinen Geistes in der äußeren Welt.

Ihr kennt Feuerbachs ^) Definition von Gott und Religion. Gott ist der Ausdruck des allgemein menschlichen Geistes einer Zeit in der Form innerer Vorstellung des Gefühls. Derselbe Inhalt verwirklicht in der äußeren Welt ist der Staat, das Recht.

Was wir, was irgendeine Zeit für das höchste und wahre Wesen des Menschen halten, schaut sie in der Vorstellung an und nennt es Gott; sie fühlt und begeistert sich für dies ihr höchstes Wesen, sie opfert ihm und verehrt es, das ist Religion, Kirchendienst usw. Diesen selben Inhalt, das, was eine Zeit, ein Volk für das wahre und höchste Wesen des Menschen hält, verwirklicht sie auf dem Boden der äußeren Welt Staat , Recht. Staat und Recht sind ziemlich identische Dinge, die nur folgenden Unter- schied haben: Insofern das Verhalten jedes Einzelnen zum Ganzen ge- ordnet wird, nennen wir es Staatsverfassung, Staatsrecht, öffent- liches Recht. Insofern das Verhältnis der Einzelnen zueinander, ihre Beziehungen zueinander geordnet werden, nennen wir es Privatrecht. Beide also Zweige eines und derselben usw. Staat und Recht sind also dasselbe was Gott, der Ausdruck der Verwirklichung des allgemeinen Geistes in der äußeren Welt der Einrichtungen usw. wie Gott die Ver-

^) Ludwig Feuerbach (1804 1872), der bekannte Philosoph.

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wirklichung, der Ausdruck dieses selben Inhalts in der inneren Welt des Fühlens und Vorstellens.

Daher die Verwandtschaft und Identität zwischen Thron und Altar, zwischen Gott und Staatsverfassung. Daher kommt es, daß verschiedene Zeiten sich ebenso voneinander und in ganz derselben Hinsicht unter- scheiden durch ihren Gott wie durch ihre Staatsverfassung.

Der griechische Gott zum christlichen, gerade wie der griechische Staat zum christlichen Staat. So oft sich der Gottesbegriff einer Zeit ändert, so oft sehen wir unmittelbar darauf sich ihre Staatsverfassung ändern. Daher sagt die mystische Philosophie: Staat = Realisierung Gottes.

Beide eben nur die Selbstverwirklichung des Volksgeistes, z. B. Hierarchische (Gnadendogma, Augustinus' Lehre und ständische Glie- derung des Mittelalters).

Ich habe also gesagt, das Recht Ausdruck, Selbstverwirklichung des allgemeinen Geistes; aber dies ist es nur seinem Begriffe nach! nicht seiner Wirklichkeit nach. Hier tritt derselbe W^iderspruch ein, den für Gott Feuerbach aufzeigt. Er ist der Ausdruck des allgemeinen menschlichen Geistes, also höchste Vernunft. Da aber dieses Wesen des menschlichen Geistes vorgestellt wird als ein einzelnes persönliches Wesen, als ein einzelner außerhalb des Menschen stehender persön- licher Gott, so wird er zur höchsten Unvernunft. Aus meinem Geschöpf mein Herr; aus dem Ausdruck meines Wesens ein selbständiges, über mir stehendes Prinzip, das meinen Willen aufhebt, in Fesseln schlägt; aus einer Betätigung meiner Freiheit, meiner Denktätigkeit, aus einer Selbst- offenbarung meines Inneren wird er ein Wesen, das sich selbst nie offenbart hat, dessen Existenz nicht aus meinem Denken quellen, son- dern auf positiven Fakten (positive Religion) beruhen soll, das ich gar nicht denkend untersuchen darf. Daher Gott zugleich Gegenteil und der schroffste Gegensatz des menschlichen Wesens,^) statt eine Betätigung seiner Freiheit, die Verdammung derselben und das böse Prinzip der Unfreiheit.

Ganz ebenso mit dem Recht. Seinem Begriffe nach soll es die Ver- wirklichung des allgemeinen menschlichen Geistes sein. Somit wäre es, wäre jeder Staat die Freiheit, denn das ist Freiheit, zum Unterschied von Willkür.

Weil aber die Zeit noch falsche Vorstellungen vom wirklichen Wesen des menschlichen Geistes hat (wie z. B. daß er an Geburt 2) gebunden sei), und weil sie immer nur diese in der Form des Rechts verwirklicht

*) Dieses Komma wurde vom Herausgeber gesetzt.

2) Hier wollte Lassalle einfügen, strich es aber, bevor er ganz zu Ende ge- schrieben hatte „und Standesunterschiede".

= 96 .==^^=^=

(Standes- und Kastenunterschied), so ist also ein dem menschlichen Geiste, seinem Wesen und seiner Freiheit Widersprechendes zum Recht und Gesetz erhoben. Der Inhalt des Rechtes und der Gesetze ist das dem menschlichen Geiste und seiner Freiheit, deren Selbstverwirk- lichung es sein sollte, widersprechendes [sie!]; der Inhalt des Rechts^) das Unrecht. Was wirklich und allemal im Recht verwirklicht ist, ist das Wesen der herrschenden Klasse in der Gesellschaft. Wie ich oben sagte: die herrschende Klasse bemächtigt sich usw.

Dies nun in den praktischen Resultaten zu zeigen, wie die herrschende Klasse in der Gesellschaft die Staatsverfassung und Rechtssysteme be- nutzt, um ihre Herrschaft über die anderen Klassen usw. Grundlage ihrer Macht Besitz und arbeitslose Besitz Grundbesitz. Da sie nicht erwirbt und also usw. sichern. Dies geschieht im Recht, indem Un- veräußerlich; kann nicht erworben werden, unteilbar; Majorat, Droit d'ainesse. Substitution. (Vermachung nicht an einzelne Person sondern Famihenfolge.) In dem Institut der Majorate und Fideikom- misse besitzt der Stand, nicht der Einzelne. Die Bourgeoisie begreift sich nicht wohl als kompakter Stand, sondern jeder lebt für sich als Einzelner und hat für alle darum auch keinen Standesgeist, sondern ihr ist die Un- beschränktheit des Einzelnen das Höchste. Adel begreift sich als Stand.

(Kaum kommt die Bourgeoisie zur Herrschaft, so ist es ihr erstes Geschäft, diese Rechte, welche die Abhängigkeit aller anderen Klassen vom Adel sicherten, aufzuheben. Code civil art. 896, ^) art. 723. ^) Gleiche Teilung zwischen allen Kindern bis auf die quotite disponible. Vor der Bourgeoisie kann dieser Grundsatz der Unveräußerlichkeit nicht be- stehen; ihr erscheint er als ein Verbrechen. Denn für sie ist die Haupt- sache, daß jeder seinen Besitz schrankenlos ausbeuten kann, woran ihn die Unveräußerlichkeit hindert [ist sie doch sogar gegen Wuchergesetze] und besonders daß jeder von allen ungestört exploitiert werden kann, daher ihr Haß gegen ^) die Fideikommisse.)

Durch diese Unveräußerlichkeit und Unteilbarkeit hatte es der Adel dahin gebracht, daß noch, als die französische Revolution ausbrach, über

1) Hier ist eine kleine Stelle des Manuskripts vielleicht ein Wort abge- rissen.

2) Artikel 896 lautet: ,,Ives substitutions sont prohibees. Toute disposition par laquelle le donataire, l'heritier institue ou le legataire, sera Charge de conserver et de rendre ä un tiers, sera nulle, meme ä l'egard du donataire, de l'heritier institue ou du legataire."

3) Artikel 723 lautet: „La loi regle l'ordre de succeder entre les heritiers legi- times: ä leur defaut, les biens passent aux enfants naturels, ensuite a l'epoiix sur- vivant; et s'il n'y en a pas, ä la republique."

*) Im Original steht c/a = contra. Diese Abkiirzung wurde im Text überall durch ,, gegen" ersetzt.

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die Hälfte des gesamten Grundbesitzes sich in Händen des Adels befand. Aber noch nicht alles. Mit Grundbesitz verbunden die hohe und niedere Gerichtsbarkeit, der eximierte Gerichtsstand. Steuerfreiheit für Adel und Geistlichkeit. Beide zusammen über zwei Drittel des Grundbesitzes. Ein Drittel des Grundbesitzes trug alle Grundsteuerlasten. Dadurch nicht nur der Bürgerstand übermäßig besteuert, sondern Verteuerung der Lebensmittel wieder dadurch. Steuern nämlich gehören zu den Kosten, die das Produkt verteuern. Wenn ich Acker besitze und bebaue, 1000 Scheffel ernte, die mich an Arbeitslohn usw. einschließlich meines Gewerbe Verdienstes looo Rt. kosten, so kann ich looo Scheffel für 1000 Rt. oder Scheffel für i Rt. verkaufen. Muß ich noch 250 Rt. Steuern abgeben oder 250 Scheffel, so muß ich, da ich meine Kosten und Gewerbs- gewinn haben muß, die 1000 Scheffel für 1250 Rt. oder Scheffel für i V4Rt. verkaufen. Es ist aber ein sehr leicht begreifliches ökonomisches Gesetz, daß der allgemeine Getreidepreis sich nach dem Preis des Getreides richtet, welches auf dem teuersten Acker, mit den größten Kosten pro- duziert wird. Wenn der bürgerliche Grundbesitzer seine 1000 Scheffel, die ihm [inklusive] ^) der 250 Scheffel Steuern 250 Rt. kosten, für soviel verkaufen kann, iV4Rt. per Scheffel, so ist das Beweis, daß die Nachfrage und Bedürfnis nach Getreide so groß ist, daß die Bevölkerung 1^/4 Rt. für Scheffel bezahlt. Sowie das der Fall ist, kann aUe Welt Scheffel ä 1V4 Rt. verkaufen; auch solche Grundbesitzer, die wie Adel und Geist- lichkeit keine Steuern zahlen, denen also 1000 Scheffel nur 1000 Taler kosten; diese nun nehmen also 250 Rt. mehr ein oder beziehen mehr Pacht; und der allgemeine Getreidepreis ist um V4Rt. Scheffel usw. ver- teuert, welche Differenz den steuerfreien Ständen zugute kommt, für den Staat keinen Gewinn bildet und vorzugsweise auf den Konsumenten, dem Arbeiterstand usw. ruht.

(Als Richelieu im Jahre 1641 6 Millionen Fr. von der Geistlichkeit forderte, antwortete der Erzbischof von Lens im Jahre 1641: I/usage ancien de l'Eglise pendant sa vigueur etait que le peuple contribuait ses biens, la noblesse son sang, le clerge ses prieres aus necessites de l'Etat. Dies bezeichnend.)

Endlich eignen sich die in der Gesellschaft herrschenden Klassen das offene Recht prinzipiell an, auch den Staat zu beherrschen in der ständischen Vertretung, Reichsständen, etats generaux.

Man würde sich sehr irren, zu glauben, daß das Mittelalter nicht seine Vertretung gehabt habe; im Gegenteil die absolute Monarchie, ein ziem- lich junges Produkt erst im 16. und 17. Jahrhundert zur Ausbildung gekommen, und da erst geriet das Recht der ständischen Vertretung und

^) Hier ist wieder ein kleines Stückchen vom Manuskript abgerissen. Das Wort wurde aus dem Sinn ergänzt.

.Mayer, Lassa'.le-NachUss VI 7

ihrer notwendigen Mitwirkung zu Steuern usw. in Vergessenheit. Und dennoch unterscheidet sich diese Vertretung des Mittelalters sehr von dem Prinzip der Volksvertretung, das am Ende des i8. Jahrhunderts mit der französischen Revolution auftaucht. Es ist eben ständische Vertretung.

Im ganzen Mittelalter gilt der Einzelne als solcher nichts. Mensch zu sein, erscheint von keinem Wert und darauf nichts anzukommen; ebensowenig handelt es sich damals um das große Ganze, die Einheit einer menschlichen Gesellschaft, Staat, vor welchem dann wieder alle Einzelne gleich sein würden ; sondern alles handelt sich darum, in welcher besonderen I^ebensstellung sich der Einzelne durch seine Geburt und lyage oder Beruf befindet, welche Stellung er zu den anderen Einzeln[en] in der Gesellschaft hat, zu welchem Stande er gehört. Korporation der Geist des Mittelalters. Zu welchem besonderen Körper gehörst Du? Weder Begriff des Individuums noch des Staats gefunden. Sondern die ganz zufälligen Umstände der Geburt, Abstammung, der Beschäfti- gung sind es, die dem Menschen sein Recht bestimmen. Idee des Standes, Besonderheit. Adel, Geistlichkeit, dritter Stand, Leibeigene; dritter Stand zerfällt wieder in Bourgeoisie und manants (später sehen). ^) Die Stadtbürgerschaft zerfällt in soviel Unterschiede als Städte; Köln, Frankfurt, Paris, Aachen usw. besondere Rechte, Privilegien, Ge- richtsbarkeit; und es kommt also darauf an, ob ich in Köln, Frankfurt usw. geboren. Die Bürgerschaft jeder Stadt zerfällt wieder in soviel Be- sonderheiten, Korporationen (wir werden diese Zünfte und Innungen später noch ausführlicher betrachten), als es verschiedene Ge werke gibt. Bürstenmacher, Schneider, Schmiede usw. sind alle im Besitz besonderer Rechtszustände, Privilegien, Steuerfreiheiten, Vertretungs- rechte usw. Dies ist nun die ständische Gliederung. Und dadurch unter- scheidet sich die ständische Vertretung von der Nationalvertretung. Hier jeder die ganze Nation. Dort fühlt sich jeder nur als Standes- angehöriger und soU nur diese besonderen Interessen vertreten. Stän- dische Wahl, Abstimmung durch Stände (par ordres), Bourgeoisie also schon überstimmt. Ihr seht, wie die Staatsform so prinzipiell unter die Gewalt der in der Gesellschaft herrschenden Klassen gebracht war. Übrigens wie 2) cahiers usw.

Dies die Elemente des Mittelalters. Den Inhalt desselben sind fol- gende Kämpfe, die gleichzeitig nebeneinander laufend geführt werden . . . Der Kampf des Königs gegen den Feudaladel, um zur absoluten Monarchie usw. Der Kampf der Bourgeoisie gegen den Feudaladel. Endlich der Keim des Kampfes zwischen Bourgeoisie und Proletariat.

1) Siehe unten S. iiof.

2) Dies Wort könnte auch anders gelesen werden.

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Diese Kämpfe, wie sie geführt wurden, ihre innere Bedeutung und ihr Verlauf und Resultat zu betrachten . . .

Der Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Adel fürchterlich. Nicht nur alle Staatslasten, sondern Plünderung, Raub, Taxationen, Mauthen, die einzelne Adlige aufführen usw. nicht genug. Die vStädte selbst lehns- pflichtig den einzelnen Seigneurs; die Bürgerschaft der Städte zuerst selbst leibeigen und dem sogenannten Hof recht unterworfen, (g., ic, II. Jahrhundert.) Konnten nicht testieren, nicht ohne Einwilligung des lyehnsherrn ihre Söhne Geistliche werden lassen und ihre Töchter ver- heiraten. Und wie diese persönlichen Beschränkungen, so auch mehr materielle Fronden z. B. Vorlesen die Schilderung Strasburgs (ig., und II. Jahrhundert, Bartholdi^) t. I p. 147, 148. Da erkaufen sie für Geld vom König die Aufhebung ihrer Pflichtigkeit gegen die Sei- gneurs, das Recht, nur zum König, (von Kaiser und Reich) im Lehns- verhältnis zu stehen, oder mindestens die Aufhebung der drückendsten Abhängigkeit. Städtische Gerechtsame, Freiheiten verbrieft durch die mit Geld erkauften Charten. (Einige Beispiele solcher Charten L. Blanc^) I p. 132, Anm.) Aber damit nicht genug, erkaufen zugleich das Recht, diese Vorrechte, Freiheiten mit den Waffen zu schützen (einige sogar das Recht, Krieg und Fehde zu beginnen; dies die höchste Stufe, die freien Reichsstädte) und organisieren sich zu diesem Zweck in Kommunen. Kommunen die militärische Organisation der Bour- geoisie. Die Kommunen haben sich wieder aus den Gilden ent- wickelt (Einungen, Zünfte, Gilde). Ihr kennt den Ausdruck; noch heut: Schützengilde. Aber während man unter ,, Gilden und Einungen" nur an rein gewerbliche Zwecke denkt, so lag doch auch noch ein ganz anderer Charakter zugrunde. Die Gilde umfaßt die Männer eines Gewerks aber zu politischem Zweck. Die Gilden waren Schutzgenossenschaften, Ver- schwörungen (etym.), und zwar schon zu Aachen [in] Karls des Großen Zeit (im 8. Jahrhundert) verfolgt und verboten. Bartholdi I p. 82 sq. Jedes der Gewerke eine Anzahl Handwerker, Gesellen und Bürger will Waffen üben usw. Milizen usw. Schworen sich gegenseitig Unter- stützung. Diese Gilden und dann die Kommunen sollten dem Adel fürchterlich werden. Ein Krieg blutig, wie vielleicht kein anderer, keine große Schlacht, aber jeden Tag, ja in jeder Stadt! Je mehr sich der Han- del hob, je reicher die Städte, desto größer ihre Kriegsmacht, z. B. Köln, . . .^), Hansebund; Krieg mit König von Dänemark.

^) F. W. Bartholdi, Geschichte der deutschen Städte und des deutschen Bürger- tums, 4 Bde., Leipzig 1850 1854. Lassalle konnte nur erst den ersten Hand benutzen.

■) Louis Blanc, Histoire de la R6volution fran^aise, Bd. I und II. Paris 1S47.

') Hier ließ sich ein Wort nicht entziffern.

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Die französischen Könige hatten sehr frühe schon den Verstand, dies Emporkommen der Bourgeoisie zu begünstigen und ihre kriegerische Macht; sie ahnten, was eigenthch nicht schwer zu ahnen, sondern deut- lich zu sehen war, daß diese kriegerische Macht der Bourgeoisie ihren eigenen Zwecken zugute kommen usw., konnten freilich nicht ahnen, daß einst diese Bourgeoisie, wenn erst vöUig emporgeschossen, gegen sie selbst sich richten, daß unter ihrem Fallbeil usw.

Allianz zwischen Königtum und Bourgeoisie. Vonseiten der letzteren Interesse klar. Ruhe, Sicherheit, Ordnung. Vermöge dieser Steuern schon bezahlen und Rechte. Ebenso andererseits. Königtum war an die Bourgeoisie gebunden, gerade weil es der einzige steuernde Stand und ewige Geldnot. Der Bourgeoisie ihre Rechte daher verkauft. Und dann Haß usw. gegen die Macht des Adels. Damals nur primus inter pares. Und konnten ihm das offene Feld halten. Bourgeoisie hatte keine solche Prätentionen. Daher gern gesehen, wenn sie die Macht des Adels brach, Müizen hielt.

Ivudwig VI. (Dicke von 1108 1137) zwingt die adligen Herren der Städte, die Kommunen anzuerkennen und mitzubeschwören (Bartholdi I p. 260). 1296 Philipp der Schöne^) erläßt Ordonnanz, worin er die Kriege verbietet ,,duranteguerra .. .-)?" Bis dahin unbeschränktes,, Fehderecht" Haupteigenschaft jedes freien adligen Mannes. 1314 dieselbe wiederholt.

1353 König Johann^) alle Privatfehden aufs strengste verboten.

Gegen Mitte des 15. Jahrhunderts Charles VII. ^) bemächtigt sich der bourgeoisen Miliz durch die compagnies des francs archers. Stehendes Heer. Und des Adels durch die compagnies des ordonnances.

Erhebung in den Adelsstand, wodurch das moraHsche Ansehen des Adels gebrochen, noch am Ende des 13. Jahrhunderts äußerst selten, eine unter Philipp dem Schönen, eine unter L,ouisX,ö) vier unter PhiHpp le long,**) tausend unter Henri III.') durch Edikt von 1576. Charles V.^) und lyouis XV. ^) adeln die Maires, Schöffen, Magistrate der Städte. Poitiers.la Rochelle, Angouleme, Tours,^") Bourgesusw. (Hugenotten,

^) Philipp IV., der Schöne, regierte von 1285 bis 13 14.

2) Hier war ein aus drei Buchstaben bestehendes Wort nicht ganz genau zu entziffern. Es lautet etwa: „sua".

•^) Johann der Gute regierte von 1350 bis 1364.

■*) Karl VII. regierte von 1422 bis 1461.

^) Ludwig X. regierte von 13 14 bis 13 16.

6) Philipp V., der Lange, regierte von 13 16 bis 1322.

') Heinrich III. (1574 1589), der letzte König aus dem Hause Valois.

8) Karl V., der Weise (1364— 1380).

*•) Hier konnte ein Städtename nicht entziffert werden.

") Ludwig von BoiurboU; Prinz von Conde (1530 1569), mit Coügny der Führer der Protestanten in dem großen französischen Religionskrieg.

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Krieg, Conde^) usw.) Richelieu, 2) Montmorency,^) Marie de Medici,^) Cinq-Mars.ä) Thou/) Code Michaud') von Richelieu. I/)uis XIV. Absolute Monarchie ist hergestellt.

Unterschied und Fortschritt der absoluten Monarchie gegen den feudalen Staat. Jetzt erst Staatsbegriff vorhanden. Sittliche Ein- heit. Zentralisation. Absolute Identität zwischenMonarchie und öffentlichem Wohl. Vetat c'est moi. Erste Beamte bloß. Prinzip schon früh da. König kann nach altem französischen Staatsrecht kein Eigentum haben. Königin einzige Frau, die nicht in Gütergemeinschaft. Alles was er hat und ist, Staatsgut. Aber die Form dem Inhalt nicht an- gemessen; diese sittliche Einheit aller existiert als einzelne Person, als ein erbliches Geschlecht ; kann aber nur wahrhaft existieren als der Wille aller (Republik, allgemeines Stimmrecht). Darum wie Gott der allgemein menschliche Geist ist vorgestellt als einzelnes persönliches geistiges Wesen, so Monarch der sittliche WiUe aller, die sittliche Idee des Staates, vorgestellt als ein einzelner Mensch, Person. Gott und König daher auf demselben Prinzip beruhend und mit Recht sagen daher die Könige: wir sind die Repräsentanten Gottes usw.

Deshalb auch Umkehrung des Staatszwecks in das Interesse der einzelnen Person; aber mindestens existiert schon der Begriff des Staats. Ist dieser erst gewonnen, so mußte auch bald die Forderung entstehen, daß er in angemessener Weise zur Existenz komme. Absolute Monarchie sehr junges Produkt. Deutschland etwa Ende des 17. Jahrhunderts. Große Kurfürst. „Je stabüirai die Souveränität wie einen rocher de bronze" an den Uandtagsmarschall.^)

Diese Kämpfe sind es, die den Inhalt des Mittelalters bilden.

Jetzt zu betrachten Lage der französischen Gesellschaft unmittelbar

^) Ludwig XV. regierte von 17 15 bis 1774.

') Armand Jean Duplessis, Herzog von Richelieu (1585 1642), der berühmte französische Staatsmann.

^) Heinrich II., Herzog von Montmorency (1595 1632), wurde wegen Empö- rung von Richelieu für einen Majestätsverbrecher erklärt und vom Parlament in Toulouse zum Tode verurteilt.

*) Maria von Medici (1573 1642), die Gattin König Heinrichs IV., die an- fangs für den minderjährigen Ludwig XIII. die Regentschaft führte.

') Cinq-Mars, Günstling Ludwigs XLV., Gegner Richeheus. Wegen Ver- schwörung gegen diesen 1642 hingerichtet.

®) De Thou, Freund und Schicksalsgenosse von Cinq-Mars, ebenfalls 164J hingerichtet.

') Michaud et Poujaulat, CoUection de Memoires pour servir ä l'histoire de France. Paris 1836 ff.

*) Lassalle verwechselt den großen Kurfürsten mit Friedrich Wilhelm I. Auf diesen Irrtum wurde Lassalle von Franz Zieglcr hingewiesen. \'gl. Lassalles Nach- gelassene Briefe und Schriften, Bd. V, S. 5.

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vor der französischen Revolution, wie sie sich aus den angegebenen historischen Ursprüngen allmähhch entwickelt.

Von der einen Seite der Druck, den diese feudale Welt auf den dritten Stand und das Volk ausübte, fürchterlich. Gesellschaftliche Mißachtung, Verschlossensein aller Staatsämter. Geborener Unterschied über- all. Gerichtsbarkeit des Grundherrn über das Landvolk; Frondienst gegen Staat und Grundherrn (Straßenbau) Steuerlast.

Alles dies näher zu schildern.

I. Corvee auf dem Landvolk lastend, gegen Staat und Seigneur. Zu gewissen Tagen im Jahr sah [man] königliche Offiziere durch die Felder eilen, die Bauern in Herden aus ihrer Hütte treiben, um drei bis vier Meilen davon acht bis vierzehn Tage lang Weg- und Straßenbau zu ver- richten. Und nicht ernährt dabei, die Lebensmittel sich betteln! Und ebenso für die Grundherren (Ernte, Bauten, Jagden usw.). Le peule est taillable et corveable ä merci! Prinzip!

IL Müitärpflicht. Fiel auch der Exemptionen wegen wieder ganz auf die arme Klasse. Eximiert: Geistliche, Steuerschätzer und -einnehmer, Schulmeister, älteste Söhne der Advokaten oder Parlamentsräte oder Pächter, die Bevölkerung von Paris, die Bedienten der Adligen usw.! Oft wenn es in einem Dorf, einer Stadt zur Ziehung kam, entfloh ein Teil, der andere stürzte ihm nach und Kampf usw.

III. Steuern. Nicht so sehr der Totalbetrag wie überhaupt nie so lästig, sondern die ungerechte Verteilung. Totalbetrag von 1789 abgesehen vom Ertrag der Domänen = 500 Millionen Fr. Monteili)p. 170, 169 l im Jahre 1799 = 50 Millionen weniger (trotz der

I Kriege) ;

RauIII^) p. 341 I im Jahre 1848 = 733!! Millionen Fr., 50 I Prozent mehr!

Das Schlimmste ist die ungleiche Verteilung der direkten wie in- direkten Steuern.

IV. Frankreich vor 1789 keine nationale Einheit, so wenig, fast noch weniger als heut Deutschland, vor dem es nur die eine Hauptstadt und den einen Monarchen voraus hatte. Sonst dieselbe buntscheckige Ver- schiedenheit, die das Wesen des ganzen Mittelalters ausmacht, auch dort die einzelnen Provinzen trennend.

a) Recht. Römisches Recht (Provence). Vielköpfiges Gewohnheits- recht. Coutume de Normandie.

b) Mauten. Alle Provinzen durch Mauten und ZoUhäuserlinien ge-

1) A. A. Monteil, Histoire des fran9ais des divers Etats aux cinq demiers siecles. Bruxelles 1843.

2) K. H. Rau, Lehrbuch der pohtischen Ökonomie, Bd. III, Grundsätze der Finanzwissenschaft, dritte Ausgabe, Heidelberg 1850.

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schieden. Hier ging ein Artikel frei ein, der dort zollbar. Jede Provinz andere Tarife und bei Übergang von der einen Provinz in die andere neue Maut. (Zollverein) (1200 innere Barrierelinien.)

c) Ebenso Steuerverschiedenheit. vSchon damals das fluchwürdige System der indirekten Steuern, Konsumptionssteuern, die gerade die unentbehrlichsten I^ebensmittel trafen und dann die Verschiedenheit. Pays d'etat, pays d'election, pays de petite et grande gabelle, pays de droits reunis usw. Einige pays d'etat, wie die Bretagne, Artois, Flandern und Navarre von der so fürchterlich drückenden Salzsteuer, die Provence, Roussillon, Lothringen, ein Teil Burgunds gewisse Frei- heiten von der Getränkesteuer. Die Salzsteuer dadurch erhoben, daß die Fabrikation des Salzes Monopol des Staates war und dasselbe nur von ihm gekauft werden konnte ; am Beispiel der Salzsteuer zeigen die auffällige Steuer\'erschiedenheit der einzelnen Provinzen. In Artois Quintal Salz ä 4 Fr., weil Artois province franche. In Amiens ,, ,, ,, 62 Fr., weil Amiens pays de grande gabelle.

In basse Auvergne ,, ,, 8 Fr., weil pays redime war. In haute Auvergne ,, ,, 34 Fr., weil pays de petite gabelle.

Welche Verschiedenheit der Preise!

Und welche Anreizung dadurch für die Contrebande, den heimlichen Transport des Salzes von einer Provinz in die andere! Auch trotz Ga- leeren imd Tod (Deklaration vom 5. Juli 1704) in fürchterlicher Aus- dehnung; mehr als 11 000 Arrestationen per Jahr, mehr als 500 Menschen jährlich auf die Galeeren geschickt. (Offizielles Memoire des Ministers Calonne^) an die Notabein Nr. 8.) Ordonnance des gabeUes titre XVII, art. 3: ,,Voulons que ceux qui se trouveront saisis de faux sei, ou con- vaincus d'en faire trafic, soient condamnes, savoir: les faux sauniers avec armes, aux galeres pour neuf ans et en cinq cent livres d'amende et, en cas de recidive, pendus et etrangles."^)

In der Provence sind Kantone, wo sich Salz von selbst bildet. Der Staat (vielmehr die Generalpächter) schickten jährlich Garden hin (la bände noire), welche wachen mußten, bis der Regen diesen natürlichen Reichtum geschmolzen und in nichts aufgelöst hatte. Aber noch nicht genug. Durch die Ordonnance des gabelles de 1680 (titr. VI) war der Verbrauch von einer bestimmten Quantität Salz für jeden einzelnen obli- gatorisch gemacht. Jeder mußte sieben Pfund Salz aus dem könig- lichen Magazin kaufen (um den Schmuggel nutzlos zu machen), man

^ Charles Alexandre de Calonne (1734 1802) war von 1783 bis 1787 General- kontrollaur des Schatzes (Finanzminister). Er verlangte im Februar 1787 die Ein- berufung der Notabein.

2) Dies Zitat fand Lassalle bei Louis Blanc, Bd. I, S. 507.

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nannte das sei du devoir! ^) Salz der Pflicht! Und während man in den pays de grande gabelle mehr Salz verzehren mußte, als man konnte, wurde den Einwohnern der pays redimes, wo Preis billiger, eine geringere Quantität, als sie brauchten. Während die Bürger par contrainte de Corps gezwungen werden, Salz zu kaufen, francs sales für Adelige, Parlamentsglieder, Höflinge.

Bei dieser Steuer ausführlich gewesen, um an einem Beispiel Euch die Ungerechtigkeit jener Zeit klar zu machen. Kürzer über die anderen Fakten.

Die gleichfalls noch heut bestehende Getränkesteuer (aides) übte einen solchen Druck, daß seit den Ordonnanzen lyouis XIV. die Winzer, verschuldet und verzweifelnd, die Reben ausrissen, verwüsteten und dreiviertel Frankreichs zwangen, Wasser zu trinken. Nach dem Zeugnis eines alten Ökonomisten, Boisguillebert 2) konnte man auf den Dorf- und Gemeinde wegen acht Wegstunden zurücklegen, ohne seinen Durst löschen zu können. Die Not des Landvolks und der ärmeren Klassen daher unbeschreiblich. Man liest in einem Arret du conseil du roi vom 13. Juli 1700 gegen den Generalpächter Templier: ,,I1 y a beaucoup de gens en Bourgogne qui ne consomment aucuns sels . . . La pauvrete ils sont actuellement de n'avoir pas de quoy acheter non pas du bled ny de l'orge, mais de l'avoine pour vivre, les oblige de se nourrir d'herbe et memede perir de faim." ^) DerMarechal vonVauban^) in seinem Buch über die Dime royale 1707, p. 51 sagt: ,,I1 est meme assez ordinaire, de pousser les executions jusqu'ä dependre les portes des maisons, apres avoir vendu ce qui etait dedans, et on en a vu demolir pour en tirer les poutres, les solives et les planches qui ont ete vendues cinq ou six fois moins qu'elles ne valaient en deduction de la taille."

Zu alledem kam noch, daß die Steuern zum größeren Teil nicht direkt vom Staat erhoben, sondern verpachtet waren an die General- pächter (von acht Hauptrevenuen des Staats [waren] fünf in Pacht gegeben, gabeUes, aides, tabac, taille und domaine). Die blutdürstigsten Gesetze existieren in den Ländern siehe Adam Smith , wo Steuer in Pacht ist. Zu der Steuerbeitreibung und ihrer natürlichen Härte gesellte sich nun die Profitwut der Privaten. Alles was sie über ihren Pachtbetrag extorquierten, profit pur ! ! Erst kurz vor der Revolution,

1) Vgl. L. Blanc. Bd. I, S. 506.

2) Pierre le Pesant, Sieur de Boisguülebert (1646 1714), der bekannte fran- zösische Nationalökonom, Gegner des Merkantilsystems.

3) Zitiert nach L. Blanc, Bd. I, S. 497. Dieser selbst zitiert nach Thomas, Une province soiis Louis XIV., S. 64.

*) Sebastian le Pretre de Vauban, Projet d'une dime royale, 1707, Edition Daire. Auch dieses Zitat aus der bekannten Schrift des Marschalls fand Lassalle bei Louis Blanc, Bd. L S. 501.

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nach dem ersten Ministerium von Necker, ^) gezwungen, die ersten 4 Millionen Profit mit dem Staat zu teilen und kleinen Prozentsatz von dem vSurplus.

Die strengsten Strafgesetze, Galeeren, Galgen, ihnen bewilligt. Bei Rechnungsabschluß Samtbörsen mit großen Summen Goldes an den König , und Croupiers. Unter dem Konvent dreißig an einem Tage hingerichtet.

Wenn aber bis 1789 die feudale Gesellschaft geblieben war, wenn der fundierte I,ehnsadel zwar seine staatliche Macht und Unabhängigkeit dem Staate, dem absoluten Königtum gegenüber, verloren, seine ge- sellschaftlichen Privilegien und Vorrechte (Grundherrlichkeit, Polizei- recht, eximierte Gerichtsbarkeit, Justizrecht usw.) aber in jeder Hin- sicht behalten hatte, welches war gleichwohl unmittelbar vor 1789 sein Verhältnis zur Bourgeoisie?

Wenn die Bourgeoisie, nachdem sie sich zwar langsam von Leib- eigenen zur persönlichen, dann auch zur dinglichen Freiheit, endlich zur Gemeinde emporgearbeitet hatte, dennoch ihre unterdrückte Stel- lung den Privilegien des Adels und der Geistlichkeit gegenüber behalten, wenn sie einem anderen Strafgesetz, Strafverfahren und Gerichtsbar- keit, wenn sie, und der Adel nicht, der Steuerlast unterworfen war, wenn sie alle Karriere und Geltung durch die Geburt bestimmt und verriegelt vorfand, wenn ihr die Befehlshaberstellen im Heer, die öffentlichen Ämter (noblesse de la robe) unzugänglich waren, die Ehre mit der Adels- klasse unmöglich kurz wenn das Recht den gewaltigsten Unter- schied zwischen Adel und drittem Stand machte, welches gleichwohl die faktische Uage der Dinge?

Und da ist die Antwort, daß trotz dieses radikalen rechtlichen Unterschieds dennoch schon damals, vor 1789, sich eine Macht angehäuft in den Händen der Bourgeoisie befand, welche die des Adels aufwog, überwog, ja schon damals innerlich und moralisch vernichtet hatte. Der aufgehäufte Reichtum, das Kapital.

Diese Macht und ihre Bedeutung hatte schon vor 1789 die Adelsidee unterwühlt auch in der Sozietät, der Bourgeoisie in dem Besitz der Ge- nußmittel die Herrschaft über alle nach den Genußmitteln begierigen und so 2) von ihr abhängigen Klassen gegeben.

Louis XIV. und Samuel Bernard ^) in Versailles.

^) Jacques Necker (1732 1804), der bekannte französische Staatsmann und Vater der Frau von Stael. Er übernahm zum erstenmal im Juni 1777 als General- direktor des königlichen Schatzes die Verwaltung der französischen Finanzen. Entlassen wurde er im Mai 1781.

2) Hier ließ sich ein Wort nicht entziffern.

^) Samuel Bemard, französischer MiUionär. Im Arbeiterprogramm schreibt Lassalle: „Louis XIV. selbst, dieser stolzeste König, zog bereits in seinem Schloß

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Komödien der damaligen Zeit, hoher Adel die reichen Bourgeois verachtend und schmarotzend zu gleicher Zeit. Zeigen schon damals den Beginn eines in der echten Zeit des Mittelalters nicht vorhandenen Materialismus, dem alles feil.

Law. Herzogin von Orleans. (Vehse, Bd. I, p. 152) ,,eh bien, pissez tant que vous voudrez."^)

Graf Hörn, Raubmörder gerädert. ^)

Marie Antoinette, Rohan, Halsbandbetrug.

Und während dessen erhielten die Handelskompagnien, die auf Aktien zur Ausbeutung der Mississippiufer, Louisiana, Ostindien usw. zusammengetreten waren, das Recht, da Festungen zu bauen, Truppen auszuheben, Gerichtsbarkeiten einzusetzen, Klrieg zu erklären; der Re- gent von Frankreich war unter ihren Direktoren Mitglied einer Kauf- mannsgeseUschaft und man sah sich genötigt (Lettres patentes en forme donnees ä Paris au mois d'Aoüt 1717), Edikte zu erlassen, daß die Adligen, ohne sich etwas zu vergeben, in den (Kriegs- und See-)Dienst dieser Kompagnien treten konnten.^) Dahin war der Adel gekommen, der kriegerische Feudaladel, der bewaffnete Faktor für die industriellen und kommerziellen Unternehmungen der alle Weltteile durcheinander- wühlenden Bourgeoisie zu sein, so weit hatte schon 1717 die Bourgeoisie die wirkHche Macht erobert.

Wie war diese allmähliche Umgestaltung der Gesellschaft durch die Industrie vor sich gegangen? Revolution, wie später, proklamiert nur den durch die Industrie bereits vollzogenen Umsturz. *)

Wie hatte die Bourgeoisie, die im 9. Jahrhundert noch rang, ihre persönliche Unfreiheit loszukaufen, die im 12. noch ihre Freiheit von Fronden und leibeigener Hörigkeit erkämpfen mußte, diese Reichtümer aufgehäuft?

In den ersten Zeiten des Mittelalters Produktion sehr gering, weil nur noch die rohesten Bedürfnisse und weil durch die Schwierigkeit der Wege und Unsicherheit jede Gegend auf sich selbst angewiesen war, fast

in Versailles den Hut und erniedrigte sich vor dem Juden Samuel Bemard, dem Rothschild der damahgen Epoche, um ihn zu einem Anlehen geneigt zu machen. Vgl. Arbeiterprogramm, Zürich 1863, S. 8.

1) Vgl. hierzu ib. S. 9 f., und Eduard Vehse, Geschichte der deutschen Höfe seit der Reformation, Hamburg 1851, Bd. i, S. 152. Lassalle zitiert ungenau. Bei Vehse heißt es: ,,pourvu que vous nous ecoutiez."

2) Vgl. Arbeiterprogramm, S. 9.

3) Ib.S. 9-

*) Vgl. hierzu Lassalle, Arbeiterprogramm, S. 15: „Die Revolution war somit bereits in dem Innern der Gesellschaft, in den tatsächlichen Verhältnissen der- selben eingetreten, lange ehe sie in Frankreich ausbrach, iind es war nur noch er- forderUch, diesen Umschwung auch zur äußern Anerkennung zu bringen, ihm rechtliche Sanktion zu geben."

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kein Produkt unter den damaligen Umständen Kosten eines weiteren Transports tragen konnte, weil Produktion gering, auch Austausch der Produkte, Handel, und weil beides, auch Gewinn.

Vor allem die Teilung der Arbeit, die sich mählig im Mittelalter entwickelt hatte.

Nichts so produktiv, nichts so die Kosten des einzelnen Produkts ermäßigend und verringernd, nichts so bereichernd wie diese Teilung.

Primitiver Zustand der Selbstverfertigimg. - Armut. Gründe der Bereicherung und Kostenermäßigung, die durch die Teilung der Ar- beit usw. : I. Fertigkeit wegen unausgesetzter Beschäftigung usw., 2. Richtung des Verstandes auf Einzelheit, Erfindung, 3. Verhütung des Zeitverlusts bei Übergang von einer Arbeit zur anderen. 4. Größere Leistung oft mit selber Mühe und Arbeitsdauer zu machen usw., z. B. Hirt. 5. ]Man kann für die leichteren Arbeiten weniger geschickte imd also wohlfeilere Arbeiter anstellen, Weiber, Kinder. 6. Man löst die Produktion in ganz einfache, mechanische, verstandlose Operationen auf, die sich daher auch durch andere Kraft als die eines verständigen Geistes tun lassen, was zur Maschinenerfindung führt.

(Alles dies zugleich auch die Keime zur Entwicklung des Proletariats, worüber aber später; hier nur die Teilung usw. nach der Seite betrachtet, wodurch sie die Bourgeoisie reich gemacht; es wird später auch die kommen, durch welche sie die Arbeiter arm, elend gemacht und herab- gewürdigt.)

Beispiele von der Kostenersparung usw. durch die Teilung:

1. Say, 1) p. 77. Spielkarten.

2. Adam Smith, 2) I, p. 12 sq. Rau I, 143, 144.

Aber die Teilung der Arbeit nun nicht nach einer Beratschlagung eines Einzelnen mit sich oder anderen entstanden, weil so vorteilhaft usw., sondern sie setzt gewisse fertige \'erhältnisse voraus, die sie dann von selbst entwickeln. So:

1. große debouches, großer Absatz; Grund leicht. —Eben deshalb: Weltmarkt und also

2. billige Transportmittel, Wasserstraßen, Schiffahrt, Kanäle, sichere Wege und

3. schon einigermaßen vorhandenes akkumuliertes Kapital. Mit dem Eintreten dieser Ursachen, mit dem dadurch hervorgerufenen Bedürf- nis der Produktion en masse, mußte auch die Teilung der Arbeit ein- treten.

Jene Verhältnisse aber traten im 13., 15. und 16. Jahrhundert [ein].

^) Dort beginnt das Kapitel XV. das von der .iVrbeitsteilung handelt. 2) Adam Smith, Wealth of Nations. Welche Ausgabe Lassalle benutzte, war nicht festzustellen.

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Da ich hier keine Geschichte der Bourgeoisie gebe, kann ich die Haupt- ereignisse nur kurz andeuten:

1. Kreuzzüge. Bekanntschaft mit dem Orient, seinen Produkten. Waren tauschen sich nur gegen Waren, Produktion für den Orient.

2. Entdeckung Amerikas. Nicht Gold und Silber, das von dort floß, das Wichtige (Spanien sogar infolge eben dessen verarmt), Austausch der Produkte, Produktion auf immer größerem Fuße.

3. Umschiff ung des Kaps der Guten Hoffnung, Seeweg nach Ost- indien, während früher über Suez Landtransport.

4. Erfindung des Kompaß und Magnetnadel. Größere Sicherheit, Schnelligkeit , Assekuranz Verminderung.

5. Wasserstraßen im Inneren der Länder, Kanäle, Chausseen.

6. Größere bürgerhche Sicherheit des Besitzes, der Straßen, geordnete Justiz durch Brechen der Feudalmacht des Adels durch das Königtum; Erfindung des Pulvers.

7. Und hierdurch z. B. wieder Entlassung der Lanzknechte, Reisige usw., denen nun nichts übrig blieb, als Arbeiter zu werden.

Alle Ereignisse ziehen an dem Triumphwagen der Bourgeoisie!

So hatte sich denn in dem Atelier des Mittelalters die Teilung der Arbeit immer mehr entwickelt. Schon kurz vor der Revolution in Eng- land (1775; Arkwrights Baumwollenspinnmaschine) die Maschinen er- funden, mit denen England die letzte Phase seiner industriellen Revo- lution beschreitet.

War diese Erfindung der Maschinen auch noch zu jung, um bis zur Revolution die Folgen hervorgebracht zu haben, die später usw., so zeigt doch, welche Macht und Reichtum schon damals Bourgeoisie usw.

Adel hingegen verschuldet teilweis, ruiniert durch die Kriege seiner Vorfahren gegen Königtum und Bourgeoisie, teilweise durch das Hof- leben, wo er mit dem Glanz des Monarchen weitteifern wollte.

Zudem allgemeine Demoralisation eingetreten; mit der alten lebens- frischen echten feudalen Welt war auch ihr religiöses und sittliches Prin- zip untergegangen. Keine Kreuzzüge wären dieser blasierten, in den frivolsten Genuß aufgelösten Aristokratie mehr möglich gewesen. Mon coeur ä la dame, mon bras au roi, mon äme ä Dieu, mon honneur pour moi, aber das Prinzip der ritterlichen Welt war untergegangen; statt Gott, blasierter Unglaube, Skeptizismus mit Aberglaube vermischt ; statt Liebe, frivolste Unsittlichkeit. Der Arm hatte mit der kriegerischen Beschäftigung das kriegerische Mark verloren, und die Ehre vollends konnte nicht bestehen in einer Welt, wo bereits die Industrie und Spe- kulation herrschte. Sie hatte sich in das ausschließliche Lechzen nach Genuß, in den rasendsten Materialismus zur Erlangung der Genußmittel,

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des Geldes, verwandelt. (Maitressenwirtschaft Louis XV. Dubarry, i) Beugen ^) des ältesten Adels. Taufpaten. Große Cour usw. ließ sehr deut- lich dies hervortreten, wie auch die Ehre zum Teufel gegangen. Alles um nicht die königliche Gtmst und die Vorteile, Pensionen usw. zu ver- lieren. Verkäufe usw. der vornehmsten Frauen an den König usw. (Agiotage usw., sieh[e] oben.)

Diese Genußmittel aber, nach denen die Adelsgesellschaft lechzte, das Geld befand sich in den Händen der Bourgeoisie.

In ihren Taschen trug sie den Gott und die Seele jener Zeit; in ihren Händen befand sich die reelle ]Macht, und seltsam kontrastierte das mit ihrer rechtlich unterdrückten Stellung.

Dieser Widerspruch zwischen der rechtlichen und der faktischen Lage des tiers etat, zwischen der scheinbar und der bereits wirklich herrschenden Klasse und Macht in der Gesellschaft konnte keinen Be- stand haben. Diese beiden Mächte mußten vernichtend, blutig zusammen- stoßen. Die letzte Energie der gewesenen Gesellschaft mußte sich gegen diejenige Gesellschaft aufraffen, welche ungeduldig war, die Herrschaft, die sie innerlich hatte, auch zu proklamieren usw., welche, da sie be- reits die in der Gesellschaft reell an Macht überwiegende Klasse war, ihren Eifer nicht zügeln konnte, auch die staatlich herrschende zu werden. (Sieyes: Qu'est quele tiers etat? ^) usw.) Ehe wir aber diesen Zusammenstoß, die Revolution, noch eins:

Dies die Lage des tiers etat damals. Unter tiers etat pflegte man da- mals oft ganz unbefangen alles zu verstehen, was nicht Adel und Geist- lichkeit.

Aber schon die Keime eines gewaltigen Unterschieds vorhanden, der sich sofort, als die Revolution begann, verderblich und blutig ent- wickeln sollte.

(Zuerst schon die Landbevölkerung in weit schlimmerer Lage; Leibeigene; noch Millionen von Leibeigenen und Hörigkeit aller Art im Jahre 178g; die anderen von Fronden, dinglichen Lasten, corvees, Realabgaben erdrückt; im Bauernstand von bürgerlichem Besitz sozu- sagen noch keine Rede. Darum und aus späteren Gründen auch so energische Beteiligung des Bauernstandes bei der Revolution.)

Aber in der städtischen Bevölkerung selbst der eigentliche Keim. Bourgeois und Manants!

Schon in den ältesten Charten der Städte und Ordonnanzen, durch

^) Gräfin Marie Jeanne Dubarry (1741 1793). die bekannte Geliebte Lud- wigs XV., die hernach guillotiniert \vurde.

2) Dies Wort ließ sich nicht genau entziffern.

■') Des Abbe E. J. Sieyes berühmte Schrift: ,, Qu'est ce que le tiers etat?" erschien im Januar 1789.

welche sie bewilligt, findet man jeden Augenblick diesen Unterschied bourgeois et manants.

letztere waren das niedere Volk, die kein Gemeinderecht be- saßen. „I^s viles personnes du menu peuple," sagt L,oyseau, ^) Traite des ordres chap. IX, Nr. 8, ,,n'ont pas droit de se qualifier bourgeois. La preuve, c'est qu'ils n'ont pas de part aux honneurs de la cite, ni voix aux assemblees, en quoi consiste la bourgeoisie."

Dieser Unterschied entwickelte sich ,, historisch naturwüchsig" aus der Rechtsverschiedenheit der bloß dinglich- oder dinglich und persön- lich unfreien Königsleute, Zinspflichtige, Hofhörige. (NeuHch Beispiel von Strasburg Bartholdi I, p. 148.) Diese stimm- und redefähigen Bürger schlössen sich in besondere Korporationen ab, ,,Küferzechheit" in Köln (Bartholdi, p. 156, 157, 158). Ebenso ,, Münzer". Schon neulich erörtert, wie sich die Verbindungen der Bürger, Gilden, Korporationen bildeten, Gewerbsgenossenschaften mit vorzugsweise politischem Zweck. Erweiterte sich nun auch das Gemeinderecht immer mehr, so ent- standen doch Bedingungen, die erfüllt werden mußten, um in ,,die Bürgerschaft" aufgenommen usw. Diese also ein Privileg. Und schon damals war der Besitz und die Zahlfähigkeit der markierte Unterschied, der zwischen Bürger und gemeinem Volk usw.

Z. B. Ordonnance von Philippe le Bei, 1327: ,,Quand aucun veut entrer en aucune bourgeoisie, il doit aller au Heu dont il requiert etre bourgeois, et doit venir au prevot du lieu ou ä son lieutenant, ou au maire quand il re9oit les bourgeois, et dire ä cet officier: Sire, je vous requiers la bourgeoisie decette ville, et jesuis appareiUe de faire ce que je dois." ,,Alors le prevot ou son lieutenant, ou le maire en la presence de deux ou trois bourgeois de la viUe, du nom desquels les lettres doivent faire mention, recevra sürete de l'entree dans la bourgeoisie, et que le r^cipiendaire fera ou achetera, dans l'an et jour, une maison de la valeur de soixante sols parisis au moins."

Charte von Laon, Art. 15. (L,ouis Blanc I, p. 124, verschiedene Bei- spiele ibidem p. 125.)

Die Schutzgilden und Innungen politische hatten sich endlich immer mehr zu Handwerksgilden und Innungen entwickelt und so das Zunftwesen und den Zunftzwang geschaffen, den wir schon früher erörtert, jetzt als sehr wichtig etwas näher betrachten müssen, um zu sehen, wie sehr das Privilegium in der ständischen Gesellschaft auch alle Kreise der Bourgeoisie ausfüllt, und welche Folgen er für die Lage des niederen Volks hervorbrachte.

Folgendes die Haupteinrichtungen des Zunftwesens:

I. Die Meister jedes Handwerks in jedem Ort bilden eine Körper-

^) Charles I<oyseau, Des ordres et simples dignites, in CEuvres, I<yon 1701.

Schaft, die ihre eigenen Vorsteher, Kassen, Einkünfte, Versammlungen hat und über die Angelegenheit des Gewerks beschließt; sie verwaltet sich nach obrigkeitlich bestätigten Statuten.

2. Die verschiedenen, auch verwandten Handwerker, genau von- einander getrennt, so daß keiner die Erzeugnisse des anderen zu fertigen befugt ist. (Z. B. der Tüncher kein Loch verstreichen usw., siehe Rau II S. 315 f.) ^) Zwischen den Flickschneidern und Schneidern von Paris schwebte (Vital Roux, Rapport sur les jurandes et maitrises) ^) seit dreihundert Jahren ein Prozeß, in dem vier- bis fünftausend Urteile er- gangen, ohne die Grenze festzustellen. So die Nagelschmiede mit den Schlossern, die Buchhändler mit den bouquinistes usw. im Streit.

3. Keiner durfte Arbeit liefern, der nicht das Meisterrecht hatte (auch nicht Gesellen, sieh: neues Gewerbegesetz). ^) Strafe; Bönhasen- Konfiskation. Blumen zu pflücken und in ein Bukett zu binden dem Zunftzwang unterworfen. Nur gegen Erlegung von 200 Fr. ,,maitresse bouquetiere". Discours de l'avocat general Seguier, dans le lit de justice du 12 mars 1776.

Welchen Weg aber mußte man zurücklegen, um ^Meister zu werden!

4. Um Kompagnon, Geselle, zu werden, muß man zuerst eine be- stimmte Lehrzeit bei einem Meister ausgehalten haben (Lehrling) und dann ledig gesprochen sein. Und zuerst einen Meister finden, da in den meisten Fällen

a) jeder Meister nur einen Lehrling halten darf. (Considerations sur les compagnies, societes et maitrises p. 18.

Anonym erschienen, compose par Cliquot de Blervaches et inspire par Gournay, Londres 1758.^) Noch heut Ähnliches in Basel. Rau II, S. 310 a.)

b) Bei der Aufnahme mußte man sich durch Brevet vor Notar ver- pflichten, die bestimmte Zeit (meist sieben Jahr) bei dem Meister aus- zuharren, wobei der Lehrling jährliches Salär zahlte. Bedingimgen: der ehelichen Geburt und eines gewissen Alters.

(Für manche Ge werke war in Frankreich die Lehrzeit z. B. für die Strumpfwirker in Paris, Reglement von 1608, zehn Jahre; sieben Jahre für die Faßbinder in Lyon usw. Reglement von 1720.) (Setzt also Ka- pital voraus, Bourgeoissöhnen nur möglich.)

^) K. H. Rau, Grundsätze der Volkswirtschaftspolitik. Dritte Ausgabe, Heidel- berg 1844, § 184.

2) Vital Roux (1760 1846). Der Rapport sur les jurandes et maitrises war 1805 in Paris erschienen. Lassalle fand den Titel des Werks bei Louis Blanc, Bd. I, S. 481.

3) Vgl. hierzu oben die Einführung S. 91.

*) Diese Literaturangabe fand Lassalle bei Louis Blanc, Bd. I, S. 482.

112 ^=

c) Beim Eintritt zu zahlen droits de cire, de chapelle, de confrerie, de bienvenue; honoraires des gar des ceux des peres et du clerc.

In den billigsten Professionen kostete die Ziilassung zur I^ehrlings- schaft mindestens 500 lyivr. siehe L. Blanc 1,8.483. Persönliches Dienst- verhältnis zum Meister.

5. Darum begann die Zeit als compagnon, Gehilfe. Die Zeit oft die doppelte der lychrlingsschaft.

Er erhält Gehalt. Endlich die Meisterschaft; allein

6. die Meisterschaft nur möglich

a) wenn eine Meisterstelle erledigt war, da meistenteils die Hand- werker ,, geschlossene", d. h. usw. und auch

b) wo dies nicht der Fall, kann die Zunft einer Vermehrung der Meister im Ort widersprechen, was üblicherweise nie unterlassen, wenn es nicht Sohn oder Eidam eines Meisters war.

c) Und nun die Kosten des Meisterbriefs; zu bezahlen das enregistrement, le droit royal, le droit de reception de la police, le droit d'ouvertion de la boutique, les honoraires du doyen, des jures, des mai- tres anciens et modernes, de l'huissier, du clerc ! ! ! ^)

Viele Autoren der Zeit (Encyclopedie Methodique, maitrises par Roland 2) geben die Rezeptionsgelder oft auf 2000 Fr. an.

Die Schneiderzunft in L,yon bat um Erhöhung dieser Abgabe, an- führend, sie betrage in Paris 1000, anderwärts 500, in I^yon bloß 100 Livr., hinzufügend: ,,On comprend bien, que cette augmentation des droits, rendant l'entree ä la maitrise un peu plus difficile, pourra diminuer ä l'avenir le nombre des maitres, ils seront plus experts, plus aises" usw. (Rau II, S. 314 a.)3) Wie naiv! In der Korporation der pätissiers von Paris kostet der Titel ,,ancien" allein 1200 Fr. *)

Endhch

d) Meisterstück, von dem man sich übrigens wieder mit Geld los- kaufen konnte.

Trotz dieser Einnahmen Schulden der Zünfte in Frankreich = 80 Mil- lionen Fr.! (Prozesse usw.)

Alle diese Schwierigkeiten existierten indes nur für den ,,etranger", d. h. Nicht-Meister-Sohn. I^etzterer aber war, wenn er bei seinem Vater bis zum 17. Jahr gearbeitet, de droit Compagnon, und meist keine Ver- pflichtung zum Meisterstück.

1) Dies fand Lassalle wörtlich bei 1,. Blanc, Bd. I, S. 484.

-j Encyclopedie Methodique. Roland de la Platrere, arts et metiers, Paris und Lüttich 1785. Diesen Hinweis entnimmt LassaUe dem Werk von L. Blanc, Bd. I, S. 485.

3) A. a. O. § 184. Rau gibt als Quelle an Encyclopedie Methodique, S. 34.

*) Lassalle verwechselt häufig Livres mit Francs.

=^ 113 === ^

So erbliche Altbürgerklasse, die in ihren Familien das Privileg der Fabrikation und Verkaufs fortpflanzte. Meisterrecht galt endlich immer nur für eine Stadt. (Kaufleute auch Zunft an v[erschiedenen] Orten.)

Folgen klar:

a) Ausschließlichkeit gegen ärmere Bevölkerung.

b) Verteuerung des Produkts, denn hieran mußten die Meister jene enormen Kosten und Zeitdauer doch herausschlagen. Die natürliche Folge hiervon Ausschließung einer großen Zahl von aller erwerbenden Arbeit: Bettler. Umsonst die strengsten Edikte: ,,I^es vagabonds ou gens sans aveu seront condamnes, encore qu'ils ne fussent prevenus d'aucun crime ni delit, les hommes de seize ä soixante-dix ans, ä trois annees de galeres, les hommes de soixante-dix ans et au-dessus, ainsi que les infirmes, filles et femmes, ä etre renfermes pendant trois annees dans un höpital." (Ordonnance de 1764) 1767 arretiert man 50 000, 1777 infolge einiger Hungersnöte zählt man i 200 000 ! ! ! Und selbst hier herrschte Privi- legium und Zunft. Bettlerzunft; troniersi) (L. Blanc I, S. 488).

Die Bourgeoisie fühlte sich selbst ungemein durch sie beengt; schon auf den letzten etats generaux von 1614 hatte der tiers etat auf die Ab- schaffung der Zünfte angetragen (1672 Thema auf deutschem Reichstag verhandelt).

Und kein Widerspruch, daß die Bourgeoisie selbst gegen die Zünfte, obgleich sie sie reich gemacht.

Prinzip und zugleich einziger Nutzen der Zünfte: Solidarität der Interessen der Einzelnen, aber ständische, nicht menschliche Solidarität (wie bei uns Solidarität der Interessen der Schneider, der Schuster usw. gegen alle).

Aus diesem Prinzip folgt schon der einzige wirkliche Nutzen: keine Konkurrenz der einzelnen, sondern ein harmonisches Zusammengehen, gemeinschaftliche Interessen der einzelnen in dieser Korporation, durch welche jedem einzelnen sein Bestehen, sein Absatz gesichert war, da ja aber Vermehrung der Meist erstellen so beschränkt usw.

Woher auch Konkurrenz möglich, da Zahl der Lehrlinge und Ge- sellen beschränkt? usw.

Eben darum aber die Bourgeoisie in ihrer freien Bewegung und Ent- wicklung beschränkt. Keiner konnte all die Produktions- und Verdienst- fähigkeit unbeschränkt entwickeln, die in ihm und seinen Kapitalien lagen, der soziale Krieg aller gegen alle noch nicht möglich (freie Kon- kurrenz).

Auch der Meister kann nicht übergehen von einer Produktion zur anderen, wenn ein Artikel Absatz verlor, was ja so oft eintritt (z. B.

^) Diesen Nameu trugen die Bettler an den Kirchentüren bei den anderen Bettlern.

Maver, I..i3salle-N»chlass. VI o

= 114

Schwertfeger usw.), nicht verzinsen oder Kommanditen anlegen, da Meisterrecht nur städtisch, nicht beliebige Kostenverringerung durch große Produktion, ineinandergreifende Ateliers vornehmen, da er nur zu bestimmter Objekte Verfertigung befugt war. Die außerhalb der Gewerke reich gewordenen Bourgeois konnten vollends nicht ein Placement ihrer Kapitalien darin finden usw.

Wenn sich im Mittelalter alle Welt und so auch die Bourgeoisie als ständische Besonderheit gefühlt hatte usw., so hatte sich, je mehr sie sich entwickelte, ihr Strumpfwirker-, Färber-, Schlosserbewußtsein usw. verloren, und das schlechthin menschhche Bewußtsein war an seine Stelle getreten, aber noch nicht das Bewußtsein der menschlichen Solidarität, sondern das individuelle menschliche Bewußtsein. Indem das Band der Zünfte, welches die Welt in tausend besonderen Allgemein- heiten, Korporationen verband, innerlich, dann äußerlich, aufgelöst wurde, zerfielen die bis dahin verbundenen in lauter: Einzelne.

Dies Bewußtsein ist auch ein allgemein menschliches und ein Fort- schritt in dem ständisch zünftigen Bewußtsein, denn Einzelne sind wir alle, während wir nicht alle Schlosser usw. waren. Aber der Gegensatz nicht zu übersehen: Insofern wir eben Einzelne sind, sind wir nicht solidarisch, sondern jeder für sich (und Gott für uns alle!). Und hier tritt also das Prinzip auf: Wir sind nicht Schlosser tmd Schuster und derartige besondere Größen mit besonderen Berechtigungen, sondern wir sind alle Individuen und folglich gleichberechtigt, und folglich ist das einzige Gesetz das der unbeschränkt freien Entwicklimg und Be- tätigung des Individuums. Jeder arbeite, was und wie und wo er kann und setze ab, wo und wann er kann.

In den Zünften war die Produktion überall Monopol und Privileg gewesen. Unter diesem Prinzip ist die Produktion schlechthin frei, keiner beschränkt : Gewerbefreiheit. Aber dieGewerbefreiheit, freie Konkurrenz erzeugt nun sofort, indem jeder seine Nahrung, Bestehen, Bereicherung mit eigenen Kräften verfolgen muß und keine sein Bestehen sichernden und garantierenden Institutionen nun vor- handen sind, den rastlosen, rasenden fürchterlichen Kampf aller gegen alle. Hatten früher die Genossen ein und desselben Gewerks, in den Zünften, gemeinsam verfolgt, so können sie es jetzt, wo jeder auf den Markt stürzen und dem anderen den Absatz entreißen kann, nur im Vertilgungskrieg, in der Konkurrenz gegeneinander erreichen. Aller Ab- satz ist beschränkt. Den Absatz, den Du hast, kann ich nicht haben, und so habe ich mein Bestehen nur, insofern Du es nicht hast! Alle Vorteile der Individualität, Körper-, Geistes- und Erfindungskraft, Kosten- ersparnis und besonders größeres Kapital werden angespannt, um sich in diesem steten Kampfe zu behaupten, um den anderen zu besiegen.

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Größere Billigkeit im Verkauf und folglich Kostenersparnis in der Produktion und folglich größeres Kapital sind allein die Waffen, die hier den Sieg geben und das Bestehen sichern.

Das ist die mörderische Anarchie, der organisierte, tägliche Krieg aller gegen alle um des Lebens Unterhalt, in welchen das Prinzip der Bourgeoisie, die ungehemmte individuelle Freiheit, das laissez faire, laissez passer der freien Konkurrenz die Welt seit fünfzig bis sechzig Jahren gestürzt hat.

Die individuelle Freiheit, es ist wahr, hier verwirklicht. Aber es ist die Freiheit des Tigers, alle anderen Geschöpfe zu vernichten, über welche die stärkere Klaue Gewalt gibt! Die F'reiheit, rettungslos unterzugehen für alle die, welche mit weniger starken Tatzen begabt sind.

Dennoch ein Fortschritt, wie im Prinzip, da doch immer das Privileg durch die individuelle Freiheit verdrängt ist, so auch in den Folgen; denn nur aus diesem organisierten Vernichtungskampf aller gegen alle, nie aus der bornierten Solidarität der Gewerksgenossen , der Zunft weit, konnte sich das Prinzip der allgemeinen menschlichen Solidarität, der Brüderlichkeit erheben!

Und wie das eigene Gedankenprinzip die Bourgeoisie zwang, von der Zunft zur Gewerbefreiheit überzugehen, so auch die Verhältnisse der Produktion selbst. Beides geht immer zusammen. Die Entwicklung des Gedankens und der tatsächlichen Einrichtungen. Die Produktion war bereits so massenhaft geworden waren doch eben die Maschinen er- funden! — , daß sie in der engbrüstigen Zunfteinrichtung nicht mehr statt haben konnte. Man mußte billig produzieren, und die Zünfte hatten rasend verteuernd gewirkt; um biUig zu produzieren, war die ungeheuere große Produktion, die ^laschinenproduktion, die Verbindung verschie- dener Arbeitszweige durch das Kapital desselben Kapitalisten nötig. Alles dies unter Zunftwesen gar nicht denkbar.

So verlangt denn auf den etats generaux aber vergeblich von 1614 der tiers etat die Aufhebung der Zünfte.

Endlich kurz vor der Revolution im Jahre 1776 unter dem refor- mierenden Minister Turgot, ^) werden die Zünfte abgeschafft. An diesem Tage bricht toller Jubel der Arbeiter aus. Im Triumphzuge und in Ka- rossen fahren sie durch die Stadt. vSie glaubten, ihnen sei diese Gewerbe- freiheit erobert. Sie wußten noch nicht, daß diese Freiheit nur die Frei- heit des Kapitalisten, sie noch ungehemmter auszubeuten, für sie aber die Freiheit Hungers zu sterben sei. Sie waren arme, gedrückte Ar- beiter, aber sie wußten noch nicht, was ein Proletariat sei. Erst die

1) Turgot (1726 1781), der berühmte Nationalökonom, stand von 1774 bis 1776 unter dem Titel eines Generalkontrolleurs an der Spitze des französischen Finanzwesens.

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freie Konkurrenz erzeugt es. Übrigens war diese Abschaffung der Zünfte nur vorübergehend. Parlament hatte sich der Einregistrierung der Ordonnanzen widersetzt, befohlen; aber nach sechs Monaten usw. Die feudale privilegierte Welt sieht sich und mit Recht in Gefahr, wenn ihr Lebensprinzip, das Privileg, nicht alle Klassen der Gesellschaft durchdringt. Nach sechs Monaten ward der König bewogen, das Edikt zu widerrufen und die Zünfte wiederherzustellen. (Aufgehoben dann von der Constituante durch Gesetz vom 2. bis 17. mars 1791.)

(Bemerkung: Voriges Jahr^) die Zünfte einigermaßen wieder her- gestellt. Muß Meister sein, um Arbeit zu liefern, Geselle darf es nicht. Meisterprüfung usw. Was liegt hierin? Natürlich ein schmählicher Druck gegen die Arbeiter, ein wahnsinniges Rückkehren ins Mittelalter. Dennoch habe ich dies Gesetz in einer Hinsicht mit Freude begrüßt: Weshalb? muß nach der vorigen Entwicklung klar sein. Dies Zunftwesen beruht auf dem Prinzip einer Ordnung des Erwerbs, einer Solidari- tät, Gemeinschaftlichkeit der Produzenten; diese Solidarität ist die verkehrte, weil sie die ständische ist, die Solidarität der Ge- nossen eines Gewerks; darum ist sie ausschließlich und monopolistisch.)

Diese Solidarität wird zerschlagen, und ihr gegenüber entfaltet die Welt (infolge der napoleonischen Kriege seit 1808 und 1810 überall) das Prinzip der individuellen Freiheit. Die Welt zerfällt hier in lauter Atome, miteinander durch kein Band verbunden, durch das eigene Interesse und die Sorge des Bestehens zum täglichen Vernichtungskampf gegen- einander gezwungen; jede sittliche Weltordnung, jede Gemeinschaft der Interessen, jedes den Mensch an den Menschen bindende Band ist hier zerrissen; die ,, Freiheit", wie die Bourgeois sagen, herrscht auf einem Feld von Leichen!

Da, fünfzig Jahre nachdem dieses Prinzip der individuellen Freiheit gewütet hat, legt in dem neulich erwähnten Gesetz die offizielle Gesell- schaft, die Regierung, das Geständnis ab, daß das Prinzip der freien Konkurrenz, der individuellen Gewerbefreiheit nicht länger haltbar sei, daß es die Gesellschaft zertrümmere; sie sucht und ahnt dunkel, sie gesteht laut, daß eine Solidarität in der Arbeit her- gestellt werden müsse. Wir nehmen Akt von diesem Geständnis. Daß die ständische Solidarität der mittelalterlichen Zünfte wiederhergestellt werden könnte, damit hat's keine Not! Niemand vermag längst Totes wieder ins lieben zu rufen, und nur eine so durch und durch reaktionäre und bornierte Regierung wie die unsere, konnte es sich einfallen lassen, einen so im.potenten Versuch zu machen. Ist aber erst das offizielle Ge- ständnis abgelegt, daß die individuelle Gewerbefreiheit nicht länger

^) Vgl. hierfür oben die Kinfülirung S.

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haltbar sei, daß dieser fürchterliche Kampf der Konkurrenz in eine durch ein sohdarisches Interesse verbundene Produktion umzuwandeln sei, nun so ist die Zeit auch schon unendlich nah, wo dies Prinzip der indi- viduellen Gewerbefreiheit, das sich selbst für besiegt und unmöglich zu erklären anfängt, durch das einzige Prinzip ersetzt wird, welches fähig ist, in seine Stelle zu treten, das Prinzip der menschlichen Solidari- tät aller, das Prinzip der Organisation der Arbeit durch die Gesellschaft, der Arbeiterkommunismus !

Hier der Erwerb der Lebens- und Geniiß mittel der Über- und Ohn- macht der Einzelnen entnommen, hier produziert die Gesellschaft nicht wie jetzt im Kampf gegeneinander, sondern im gemeinsamen Inter- esse, als solidarische Gesellschaft, hier kommt die Leistung eines jeden allen, die aller einem jeden zu gut; die ständische Abgeschlossenheit der Gewerksgenossen hat sich hier zu einer Welt von Brüderlichkeit erweitert, die alle umfaßt; und das Band, welches diese Brüder verbindet und zu Brüdern macht, ist das doppelte: das der sittlichen Brüderlichkeit, denn wir sind, weil wir Menschen sind, Brüder, Söhne desselben Ge- schlechts, und das Band des gemeinschaftlichen Interesses, denn wir erlangen dann jeder seinen Unterhalt, seinen Genuß, seinen Flor, durch die Blüte und das Gedeihen aller, der Gesellschaft.

Dies der tatsächliche Zustand der französischen Gesellschaft kurz vor der Revolution.

Zustand der geistigen Bildung. Literatur. Philosophie. (Nur ganz kurz zu berühren; oft zuviel Wirkung eingeräumt; Wirkung überhaupt nicht zu leugnen, aber mehr Verh.)

Reformation. Prinzip der freien Forschung der Autorität der katho- lischen Tradition gegenüber, subjektiver Überzeugung, freien Denkens. Was gelten soll, muß der individuelle Geist durch sich selbst bewähren. Prinzip der Kritik. Hiermit war natürlich für alle Autoritätssatzung der Todeskeim gegeben. Religionskritiker: Simon, ^) Bayle, ') Enzyklo- pädisten, Diderot, Voltaire usw. (Irreligiosität.) Gedanke mußte sich na- türlich ebenso auf die weltlichen Verhältnisse anwenden. Die gesellschaft- lichen Institutionen und Unterschiede sollten sich dem Geiste durch sich selbst rechtfertigen. (Enzyklopädisten, Helvetius, Diderot Natura- listen, Montesquieu.) Wie hätten sie das gekonnt? Besonders diesem Zeitgeist gegenüber, dessen Prinzip ja eben das des freien subjektiven Geistes (also freie Persönlichkeit überhaupt) war? Rousseau. Kurz das Wesen seiner Philosophie zusammendrängen: der wirkliche Zustand

1) Richard Simon (1638 17 12), einer der Begründer der neueren Bibehvissen- schaft.

2) Pierre Bayle (1647 1706), der berühmte philosophische Schriftsteller, der besonders die Unabhängigkeit der Moral von der Religion betonte.

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überall der der Ungleichheit und Klassifiziertsein der Persönlichkeit, Bestimmtsein durch die Geburt. Da sich das dem Geist nicht rechtfertigt, so steht die wirkliche historische Ordnung der Dinge gegenüber der natürlichen Ordnung, Naturzustand. Im Naturzustand, d. h. in dem Begriff des Geistes alle Individuen gleich und die Wirklichkeit das Gegenteil. So Gegensatz zwischen Naturzustand und Zivilisation. Rousseau kommt so dazu : Aus den Händen Gottes als des absolut Voll- kommenen kann das Unvollkommene herv- orgehen ; folglich waren von Natur aus die Individuen gleich, wie sie's im Gedanken sind. Folglich: die Zivilisation, die Geschichte das Böse. ,,Tout est bien en sor- tant des maius de Dieu; tout degenere entre les mains de l'homme." In bezug auf das politische Gebiet hat das nun diese Folgen : Waren die Menschen im Naturzustand gleich und frei, wie sind die Staaten usw. entstanden? Durch freien Willen, freie Einigung, Kontrakt. ,,Contrat social." Also historisches Recht auf die Herrschaft von Gottes Gnaden hier nicht mehr vorhanden. Grundlage des Staats immer ,, volonte ge- nerale, Volkssouveränität". Königtum zwar auch hier zur Not noch möglich, aber das ist dann nicht mehr das historische Königtum aus seinem selbständigen legitimen Recht, sondern es basiert nur auf dem souveränen Volkswillen, dessen Mandatar (,,Tout acte de souverainete n'est pas une Convention du superieur avec l'inferieur, mais une Con- vention du Corps avec chacun de sesmembres", ^) er ist. Besteht sein Recht nur in der volonte generale, die ihn trägt, so, wie er sich davon entfernt le contrat social est brise. ,,Obeissez aux puissances. Si cela veut dire, cedez ä la force, le precepte est bon, mais superflu. Je vous reponds qu'il ne sera jamais viole. Qu'un brigand me surprenne, quand je puis soustraire la bourse, suis-je en conscience oblige de la donner? Convenez donc que force n'est pas droit et qu'on n'est oblige d'obeir qu'aux puissances legitimes."

Diese puissance legitime aber ist nur der allgemeine Wille. Ja noch mehr, die Kontrahenten können den Kontrakt ändern. Die bestimmte Staatsform nur die eine bestimmte Äußerung des Volks willens, an welche er nicht gebunden bleibt.

Allgemeine \^erbreitung der Philosophie, selbst in den privilegierten Ständen. Freigeistiger Widerspruch der Bildung gegen die bestehenden Rechtsverhältnisse. Und ebenso Widerspruch der tatsächhchen Macht, die sich in den Händen des tiers etat usw\, gegen die Verfassung der Gesellschaft.

^) „Contrat social", Abschnitt: ,,Des bornes du pouvoir souverain". Lassalle zieht hier zusammen. Bei Rousseau beginnt den Satz mit: ,,Ce n'est pas etc."

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Dieser gedoppelte Widerspruch kann natürlich nicht bestehen bleiben. Staatsgewalt und Verfassung stets nur der Ausdruck der in der Gesellschaft herrschenden Klassen. Hat sich im Schoß der Gesell- schaft eine neue Klasse gebildet, welche sowohl innerlich in der Bil- dung — ihr Prinzip zur allgemeinen Geltung gebracht, als auch durch den Besitz der Produktionsmittel tatsächlich die Macht der anderen Stände aufwiegt oder überwiegt, so ruht sie und kann sie nicht eher ruhen, bis sie auch ihr Prinzip zum herrschenden erhoben, ihr Interesse zum öffentlichen Recht umgeschaffen, bis sie die Herrschaft anerkannt in ihre Hände gebracht hat.

Wie aber sollte und konnte dieser Übergang geschehen? Die Unhalt- barkeit der Zustände war in den weitesten Kreisen zum Bewußtsein ge- kommen.

Vorahnungen der Revolution. Immer in solchen Krisen. Rousseau Emüe. Darum entsteht jedesmal die Forderung eines friedlichen Über- gangs, einer Reform.

Nation richtet ihre Augen auf die Staatsgewalt, Königtum. Allemal dies der Fall. Und doch zeigt schon Erfahrung, daß das Königtum, daß die Staatsgewalt selbst nie imstande, diesen Übergang zu bewerkstelligen.

Auch das Gesetz [?] i) leicht zu begreifen und sehr wichtig. Nach der einen Seite Staatsgewalt Vertreter des Ganzen, Personifika- tion der Nation und darum hat sie das Interesse und den Beruf zum Wohle des Ganzen, gegen alle einzelnen Glieder usw., die durch ihr Sonderinteresse und private Stellung die Gesundheit des Staatskörpers lähmen. Darum ergeht auch diese Aufforderung allemal vor solchen Krisen an den Staat und man hat das Zutrauen usw.

Allein von der anderen Seite befindet sich stets die Staatsgewalt selbst direkt oder indirekt in den Händen der alten herrschenden Klasse. Wie also möglich, sie durch sich selbst zu stürzen?

W^enn das absolute Königtum von der einen Seite die Nation als Ganzes vertritt und die Einheit des Staatszweckes darstellt, welche sich also ihrer Natur nach erforderlichenfalls gegen alle das Ganze zerrütten- den Sonderinteressen zu wenden hat, so wurzelt von der anderen Seite das Recht des absoluten Königtums selbst im Privileg, im erblichen Vorrecht.

Es kann somit das Prinzip der privilegierten Stände nicht angreifen, ohne sein eigenes Lebensprinzip zu unterwühlen.

Es kann sie darum nicht ernsthaft angreifen. Königtum kann daher administrative und Gesetzgebungsreformen vollbringen, dies und jenes beseitigen, aber einen wirklichen Umschwimg nie. es kann nie die

^) Die Abkürzung ,,Gstz" könnte vielleicht von anderen anders gedeutet werden I

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Privilegien der herrschenden Klasse aufheben. Denn diese widersetzt sich ihm und beruft sich darauf, daß sie mit dem Königtum auf ein und demselben Boden stehe, in einer Wurzel wurzle, daß sich das Königtum mit ihnen selbst zerstöre.

Wenn das Königtum dennoch in seinen Reformbestrebungen Gewalt anwendet, so bemerkt es bald, daß, indem es alle anderen Privilegien aufgehoben hat, der Thron als das einzige Privileg stehen geblieben, gegen den sich nun alle Angriffe des neuen Gleichheitsprinzips richten müssen.

Darum Umkehr. Reue. Reaktion. Und so die junge neue Gesell- schaft gezwungen, ihre Sache selbst zu führen, sich die Herrschaft selbst ^) also durch den gewaltsamen Zusammenstoß zu siegen.

Noch aus anderem Grunde Königtum impotent, selbst in dem Sta- dium, wo es noch aufrichtig zugunsten des neuen Prinzips reformieren will.

Die privilegierten Stände, die sich ihm widersetzen, kleiden das in die Form der Opposition gegen den Absolutismus. Sie benutzen es, daß das Königtum selbst das höchste Privileg und als solches der Nation ver- dächtig ist; den Widerstand, den sie im selbstischen Interesse ihrer Privilegien ausüben, geben sie für eine Opposition der Freiheit gegen den Despotismus, für einen Kampf für das Recht gegen die Willkür der ab- soluten Krone aus (Vincke).^) Sie bringen es so dahin, mit diesem Ge- schrei das Volk zu verwirren, es hinter sich zu haben und es selbst den Reformbestrebungen des Königtums im Dienst ihrer egoistischen Inter- essen entgegenzustellen. Darum Verwirrung. Ohnmacht des König- tums zu reformieren, z. B. Joseph II usw. Und diese Verwirrung eine sehr berechtigte. Nicht aus den Händen der absoluten Gewalt, als ein Geschenk aus den Händen dieses privilegierten Monarchen kann das Volk seine Freiheit empfangen. Sonst wäre auch sein eines [?] verhehenes Privileg ein Gnadengeschenk. Es kann sie nur, weil es allein die Freiheit repräsentiert, aus seinen eigenen Händen und eigener Machtvollkommen- heit erhalten.

Diesen Verlauf bei den Bewegungen, die der französischen Revolution vorhergehen, aufzeigen, und weil er allemal wiederkehrt, ausführlicher sein, als ich sonst gewesen wäre.

Wir haben also gesagt, daß ein Bewußtsein einer drohenden Um- gestaltung und nötiger Reformen sich überall auszubreiten anfing.

^) Hier war eine Abkürzung nicht zu entziffern.

2) Lassalle denkt hier an den Freiherrn Georg von Vincke (1811 1875), den „größten aller Parlamentsredner der preußischen Geschichte", wie Treitschke ihn nennt. Vgl. auch Treitschke, Deutsche Geschichte, Bd. V, S. 622.

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Eingang. Not drückend. Steuerunfähigkeil;. Turgot 1775. Reform. Abstellung von Mißbräuchen. Schon dadurch Haß gegen sich. Anhänger der ,, freien Konkurrenz" (guerre de farines. Brottaxe. Unnihen usw.). 3. Februar 1776 Edikt, welches die vStraßenfronden (gegen Geldsteuer) und Zünfte aufhob.

Da widersetzt sich das Parlament!! ,,]> peuple de France est tail- lable et corveable ä volonte; c'est une partie de la Constitution que le roi ne peut changer," schrien die Parlamentsräte. Und Prinz Conti i^) „Es sei nicht erlaubt, daß man die Straßenbaufron aufhebe, da man sonst auf der Stirn des gemeinen Volks den Stempel seiner angestammten Knechtschaft verlöschen würde." Aber lit de justice vom 12. mars 1776.

Aber zwei Monat nachher Turgot gestürzt. Edikte widerrufen.

Necker 1777. Reformen. Versucht Ordnung und Ökonomie in die Finanzen zu bringen, aber reicht nicht hin. Amerikanischer Krieg 500 Millionen Fr. Anleihe (39 Millionen Fr. jährliches Defizit). Vermindert die Stellen der Pächter, der Steuerbeamten, der Domänenempfänger, der Generaleinnehmer, der Eotterie, die Profite der Generalpächter, unter- drückt die Finanzintendanten. Provinzialversammlungen zur Steuer- repartition statt deren. Necker von den neuen Prinzipien durchdrungen.

,,Compte rendu" Anerkennung der neuen Macht, der ,, öffentlichen Meinung". ,,La France," sagte der Minister Vergenues-) zum König (Iv. Blanc II, S. 52) ,,est une monarchie absolue; si l'opinion publique de monsieur Necker venait äprevaloir, Votre Majest^pourrait s'attendre ä voir Commander ceux qui obeissent et obeir ceux qui commandent." Strebte nach Aufhebung der Steuerexekution usw. Privileg.

Intrigue. Necker stürzt.

Calonne. 1783. Höfling. Berauscht den Hof in Verschwendungen. (Berechneter Pessimist.) In zwei Jahren macht er 650V2 Millionen Fr. Anleihe (jährliche Zinsenlast von 45 420 000 Fr.). (ly. Blanc II, S. 163.) Plötzlich Ende 1785 überreicht Calonne ein Memorandum dena König, in dem er die Maske abwirft. Verlangt die durchgreifendsten Reformen. An die Stelle der provinziellen Zersplitterung die Einheit setzen, ein Gesetz etablieren, die inneren Barrierelinien aufheben, an die Stelle der verschiedenartig bevorrechteten Provinzialstände eine einheitliche Na- tionalberatung setzen; Grundsteuer auf alle Grundstücke ohne Unter- schied des Königs, des Adels und Geistlichkeit ausdehnen, corvee auf- heben, Salzpreis verringern, kurz die Sprache von Necker usw. So sehr machte sich Notwendigkeit geltend!

1) Wohl L,ouis Fran9ois Jose, Prinz von Conti (1734 1814), der letzte Sproß des Hauses.

2) Charles Gravier Graf von Vergennes (17 17 1787). französischer Minister des Auswärtigen von 1774 bis 1787.

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Vorauszusehen, daß das Parlament nie in solche Reform (Gleich- heit der öffentlichen lyasten) willigen werde. Also convocation der No- tabeln.

12. Februar 1787 die Notabein eröffnet durch lyouis XVI. Rede von Calonne. Eröffnet zuletzt, daß von 1776 bis 1786 man i Milliarde 250 Mil- lionen geliehen und 80 Millionen jährlich Defizit (war noch größer). Ökonomie und alle kleinen Mittel seien unnütz; unmöglich ,,d'emprunter toujours, d'imposer plus, d'anticiper encore". Nur ein Mittel. Radikale Abstellung der ,,abus". ,,Ives abus ont pour defenseurs l'interet, le credit, la fortune et d'antiques prejuges que le temps semble avoir respectes; mais que peut leur vaine confederation contre le bien pu- blic et la necessite l'Etat? . . . Les abus qu'il s'agit aujourd'hui d'aneantir, pour le salut public, ce sont les plus considerables, les plus proteges ; ceux dont l'existence pese sur classe productive et laborieuse ; les abus des Privileges pecuniaires, les exceptions ä la loi commune, et tant d'exemptions injustes, qui ne peuvent affranchir une partie des contribuables, qu'en aggravant le sort des autres" (Discours de Calonne dansleProces verbal de l'assemblee des notables 1787 p. 72).^) Und er- klärt ,,que ces vues etaient devenues entierement personnelles au roi".

Schrecklicher Sturm erhob sich unter den Notabein (Adel und Geist- lichkeit), als man ihnen zumutet usw.

Als es zur Grundsteuerfrage kam, verlangen die Notabein, die sie nicht bewilligen woUen, da sie, um nicht den öffentlichen Haß aufzuziehen und nicht den ganzen Egoismus ihrer kleinen selbstischen usw., um die Frage auf ein anderes Terrain zu spielen, zuerst das Defizit gründlich kennen zu lernen, verlangen Mitteilung der etats de recette und depense.

Für damals großer Schritt. Absolute Monarchie hatte keine Rechnung zu legen. Calonne will dazu Kommission von 42 Mitgliedern. Umsonst. Sturm wächst.

Die Notabein beuten jetzt aus, daß Königtum zugleich der Repräsen- tant des Privilegs selbst, des gewaltigsten Privilegs und somit der Nation von vorneherein am verdächtigsten ist. Geben sich den Schein der libe- ralen Opposition dem Absolutismus gegenüber. Sie bedienen sich der Sprache der Freiheit, um ihre Privilegien zu schützen. Einer willkür- lichen absoluten, durch nichts gebundenen Verwaltung müsse man doch ihre Bilanz abfordern, ehe man ihr neue Mittel usw. Und dies zog im

^) Proces-verbal de l'Assemblee des Notables tenue ä Versailles en l'annee 1787, Paris 1788. Die Unterstreichungen nahm Lassalle vor. Anscheinend schöpft Lassalle aus einer sekundären Quelle. Oder er selbst müßte den französischen Text ge- ändert haben. Denn im Original heißt es hinter les plus proteges: ,,ceux qui ont les racines les plus profondes, et les branches les plus etendues. Tels sont les abus dont l'existence" und dann weiter wie oben.

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Volk, das sich auf Seite der Notabein stellte! Umsonst veröffentlicht Calonne seine Memoires, legt so einen Appell ans Volk ein und sucht so die Frage vom Defizit wieder auf die Reformen zu spielen ; umsonst ruft er in der Vorrede aus: „Des privüeges sont sacrifies? . . . oui, la justice le veut, le besoin l'exige. On payera plus sans doute; mais qui? Ceux qui ne payaient pas assez."

Notabein beschäftigen sich nur mit Verifikation des Defizits und Dis- kussion. Volk verhöhnte diejenigen, die nachgaben, nennt sie chinesische Pagoden usw. Instinkt. Zwei Feinde, die bei ihrem Kampf nur gewinnen können.

Am 8. April wird Calonne entlassen und verbannt. Lomenie de Brienne, ^) Wortführer der Notabein, heftigster Gegner Calonnes jetzt Minister. Jetzt aber, denn Notwendigkeit, ebenfalls für die Abschaffung jener Privilegien kämpfend. Sehend, daß mit den Notabein (hatten unter- des 140 Millionen Defizit konstatiert) nichts zu machen sei, schickt sie nach Hause. Läßt nun den König zwei Gesetze über Stempel und Grund Steuer vollziehen und dem Parlament zur Einregistrierung vorlegen. Fehler, daß er Stempeledikt früher vorlegte!

Parlament spielt dasselbe Spiel wie die Notabein, mit der Maske der Freiheit den Egoismus ihrer Standesinteressen zu bedecken. Erklärt sich plötzlich inkompetent! Nur die etats generaux könnten diese neuen Steuern bewilligen!! ,, Charge par le souverain d'annoncer sa volonte aux peuples, le parlement n'a jamais ete charge par les peuples de les remplacer," und dürfe also den Rechten der Nation nichts ver- geben !

Ihr seht, welch böser Wille ! Es gestand somit, daß es Jahrhunderte lang usurpiert habe usw., in zehn Jahren 1200 Millionen Schulden ein- registriert und findet jetzt plötzlich, wo es sich um eine Steuer handelt , die seine Standesvorrechte bedroht, seine Inkompetenz.

Aber gerade diese selbstsüchtige Verblendung der bevorrechteten Klassen sollte der Revolution zugute kommen. Wenn ein Ereignis not- wendig, so nützt ihm alles, alles, was man dagegen tut, ebensosehr als was man dafür tut.

Das Parlament hatte hier zum erstenmal das Wort ,, etats generaux" ausgesprochen; kaum war dies Wort ausgesprochen, als es sich des Ge- müts der ganzen Nation bemächtigte und das Parlament war in seinem egoistischen Ständeinteresse die erste Veranlassung zur Einberufung dieser etats gewesen, die Parlament, Privilegien, Vorrechte, Adel. Geist- lichkeit und Monarchie, alles, alles verschlingen sollten.

^) Graf I,omenie de Brienne (1727 1794), damals Erzbischof von Toulonsc, übernahm im Mai 1787 als Calonnes Nachfolger die Leitung der französischen Finanzen. Im August 1788 wurde er entlassen.

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Die Regierung unterdes erhitzt sich über diesen Widerstand. Die Notwendigkeit der Reformen fühlend, will sie Energie anwenden. 6. August 1787 lit de justice, wo der König, als absoluter Gebieter sprechend, die Einregistrierung befiehlt.

Aber nach Haus zurückgekehrt, erklärt Parlament für nichtig und illegal.

15. August wird das ganze Parlament nach Troyes verbannt.

Ivangweile für die Parlamentsräte, die von ihren Mätressen entfernt. Geldnot des Hofes. Unterhandlungen. Die beiden Edikte sollen zurück- gezogen, eine fünfprozentige Einkommensteuer ohne Unterschied der Stände bis 1792 etabliert werden. Parlament rückberufen.

Seance royale vom 19. November 1787 ; König tadelt herb das Parla- ment. Zwei Edikte, i. graduelle und aufeinanderfolgende Anleihen von zusammen 420 Millionen, 2. Adelstand der Nichtkatholiken. In der Vorrede wird die Zusammenberufung der etats generaux vor Ablauf von fünf Jahren (1792) versprochen.

Robert de Saint - Vincent i) ,,Ives besoins de l'Etat vous forceront ä les assembler d'ici ä 1789 . . . Oui, ils vous y forceront".

Ivouis: ,,Je trouve qu'il est necessaire d'etablir les empnints portes dans mon edit. J'ai promis les etats generaux avant 1792; ma parole doit vous suffire. J'ordonne que mon edit soit enregistre."

Herzog von Orleans gibt einen von zwei Räten formulierten Protest zu Protokoll. Parlament legt die gesamte Erklärung nieder, keinen Teil an dieser Transskription zu haben. Verhaftung der beiden Räte.

Parlament rächt sich, indem es gegen die lettres de cachet und die Verbannung der beiden Räte einen Beschluß erläßt (4. Januar 1788). König kassiert ihn. Parlament bestätigt ihn von neuem.

Da faßt der Hof den Beschluß, alle politische Macht der Parlamente überhaupt abzuschaffen. Das Parlament von Paris sollte in six baillages zerlegt werden. Über allen Parlamenten als oberste Instanz sollte eine cour pleniere errichtet werden. Als höchste Instanz für Prozesse. Und ihr allein wurde die Einregistrierung der Steuern und Gesetze übertragen. Alle Mitglieder gewählt durch den König.

So politische Macht des Parlaments gebrochen, judiziäre geschwächt. Aber einheitliche Jurisdiktion für Frankreich; Besiegung des Stände- egoismus und seiner Widerstandskraft gegen die nötigen Reformen.

Aber wenn das der Grund, weshalb das Parlament erbittert, haßte es das Volk als Schöpfung des ministeriellen Despotismus.

1) Robert de Saint-Vincent, liberaler Parlamentsrat. Er rief schon am 22. Juli dem Bruder des Königs, dem Herzog von Artois zu : ,,Rappellez-vous que les Anglais out detrone sept rois et coupe le cou au huitieme." Cfr. Lavisse, Histoire de France, Bd. IX, i, S. 336.

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Parlament auf die geheime Nachricht davon, da es über ein nicht vorgelegtes Projekt nicht deliberieren kann, faßte (5. Mai 1788) Beschluß, die ,,lois constitutives" zu konsakrieren. S. Thiers I, S. 14.^)

Nicht genug. Die Rädelsführer dieses Beschlusses D'Epremesnil und Goislard de Montsabert ^) sollen verhaftet werden. Regiment Dragoner zerniert den Palast des Parlaments usw.

8. Mai 1788 lit de justice zu Versailles. Drei Edikte werden präsen- tiert. Das erste nahm dem Parlament die Kompetenz für Kriminal- prozesse der Adligen und Priester und die Zivilsachen unter 20 000 Fr.

Zweites Edikt schafft die Tortur [ab" und sichert die Angeklagten durch schützende Prozeßformen.

Drittes Edikt: cour pleniere.

Am selben Tag wird das Parlament in Ferien erklärt, der Palast geschlossen.

Auch in den Parlamenten der Provinzen erhob sich der heftigste Wider- stand. Geist des Föderalismus und der ständischen lokalen Berechtigung. Parlament von Besan9on erklärt: ..Les lois d'un vaste royaume ne doivent pas etre uniformes." Der Adel von Bearn: ,,Nous reclamons notre contrat et la foi des serments." Der Adel der Bretagne erklärte, daß er förmlich die Ausführung des Ehekontrakts Louis XII. und der Herzogin Anna in bezug auf die Freiheiten und besonderen Vorrechte der Provinz reklamiere. ,, Attaquer le parlement, c'est violer le contrat d'tmion", ruft das Parlament aus.

Der ständische Geist konnte es nicht ertragen, daß die anarchische bunte Verschiedenheit der lokalen Gerichtsbarkeiten und Vorrechte in ein gemeines Recht aufgehoben werden sollte. Das Parlament von Rennes erklärte für infam die, die in die cour pleniere treten werden.

Louis XVI. wurde müde ; er sah, daß er nur durch den tiers etat selbst den Widerstand der privilegierten Klassen würde brechen können. Entläßt Brienne (24. August 1788), beruft die etats generaux auf den I. Mai 178g ein und ernennt Necker.

Nun aber erst die Hauptfrage und Schwierigkeit: Welches soll die Stellung des tiers etat auf den etats generaux sein? Soll wie früher ein drittel oder in gleicher Zahl wie die beiden anderen? (Und Abstimmung par ordres ou par tetes?)

Radikale Wichtigkeit dieser Fragen. Alles zum voraus mit ihnen entschieden, Herrschaft des tiers etat oder P'ortdauer der Adelsherr- schaft usw.

^) Adolphe Thiers, Histoire de la Revolutimi fran(;:aise. Leipzig 1846.

-) Die beiden Parlamentsräte Duval d'Epreniesnil und Goislard de Montsabert sollten in der Nacht vom 4. zum 5. Mai 1788 verhaftet werden. Vgl. für den Zu- sammenhang E. Davisse, Histoire de France, Bd. IX, i, S. 344 ft" .

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Mit der größten Leidenschaft überall diese Fragen diskutiert . . . Jetzt i ene Broschüre von Sieyes . Parlament fügt eigenmächtig bei derEinregistrie- rung der königlichen Einberufung zu : suivant la forme observee en 1614 !

Von diesem Augenblick an enthüllt, es war jetzt für alle mit Hän- den zu greifen, daß die Opposition der Parlamente nur im egoistischen Interesse ihrer Standesprivilegien . . Die Sprache der Freiheit eine Lüge . . Hohngelächter von ganz Frankreich vernichtete in einem Augenblick ihre Popularität . . .^)

1614 hatte der tiers etat zu dem König auf seinen Ruinen spre- chen müssen. Als der Redner des dritten Standes die drei Stände mit drei Brüdern zu vergleichen gewagt, hatte der Präsident des Adels- standes ausgerufen : il y a tant de difference entre nous, comme entre le maitre et le valet! Er war zum König gegangen, sich über den ,, schreck- lichen Skandal" zu beklagen. (Louis Blanc II, S. 226.) Sollte sich das wiederholen wie 1614? . .

Zweite Versammlung der Notabein 6. November 1788, um über diese Frage zu entscheiden . . Aber ständische Versammlung! Ent- scheidet mit Ausnahme eines einzigen Bureau (Herzog von Orleans) gegen doublement du tiers . .

Aber das Königtum noch in seinem reformatorischen Stadium.

I. Januar 1789 königliches Edikt, das ,,prenant en consideration l'avis de la minorite des notables, l'opinion de plusieurs princes du sang, le voeu de l'assemblee du Dauphine, la demande de plusieurs assemblees et deputations provinciales, l'avis de divers publicistes (!!)^) et le voeu exprime par un grand nombre d'adresses, ordonnait . . . que le nombre des deputes du tiers serait egal ä celui des deux premiers ordres reunis".^)

Illumination in Paris ! Freudenrausch. In der Tat nicht nur in seiner Folge wichtig, sondern hier schon das Prinzip aller künftigen Siege an- erkannt. Die Staatsgewalt hatte selbst anerkannt, daß der dritte Stand von gleicher Wichtigkeit sei wie die beiden anderen Stände zusammen; hatte ihn indirekt als den herrschenden . . Ein Journal schrieb schon damals: ,,Qui peut nous dire si le despotisme de la bourgeoisie ne suc- cedera pas ä la pretendue aristocratie des nobles?" (Buchez et Roux I, S. 319.^) Aber diese Ahnung ganz vereinzelt. Der Sieg der Bourgeoisie

1) Punkte, Ausnifungszeichen und Klammem von Lassalle gesetzt.

2) Den Wortlaut dieses Edikts fand Lassalle bei Louis Blanc I, S. 230.

'"■) B.J.B. Buchez et P. C. Roux, Histoire parlementaire de la Revolution frangaise, Paris 1834. Die Zeitung, die das schrieb, war der „Ami du roi". Voraus- gehend hieß es dort: ,,0n se disait: quelque soit le nouvel ordre de choses qui se prepare, le pauvre qui n'ose approcher de ces assemblees, sera toujours pauvre, il sera toujours dans la servile dependance des riches; le sort de la plus nombreuse et de la plus interessante portion du royaume est oubliee . . ."

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und ihrer Prinzipien schien damals mit dem Siege der Menschheit gleich- bedeutend zu sein, und in der Tat war ihre Sache damals die Sache der Menschheit.

(Über die voterie par ordres und tetes noch nichts entschieden, aber Konsequenz.)

Den 5. Mai, unter solennellen Prozessionen usw. wurden die etats generaux eröffnet. Aber kaum war der tiers etat auf den Platz getreten, als das Königtum vor dieser neuen Macht, die es selbst beschworen, zu erschrecken anfing. Es wurde schwankend . . Sehr bald sollte es gegen denselben auftreten . . Der König hatte die Frage, ob voterie par ordres ou par tetes nicht entschieden. Er hatte die unverzeihliche Schwäche gehabt, in der Eröffnungsrede anzudeuten, daß es von dem gesonderten freien Entschluß der ersten Stände abhängen müsse ! !

Erste Frage war die der Prüfung der Mandate. Am 6. Mai Adel und Geistlichkeit hatten sich in ihre besonderen Lokale zurückgezogen, tiers etat vereint. Der tiers etat beschließt, die Verifikation könne nur von der ganzen Versammlung vorgenommen werden usw. Da langt die Nachricht an, daß Adel mit 188 Stimmen gegen 97, Geistlichkeit mit 133 gegen 114 die getrennte Verifikation beschlossen (untere Geist- lichkeit gegen obere, die mit Adel hält).

Aufregung. Imposante würdige Haltung des tiers etat. Verhand- lungen. Kommissäre ernannt. Klerus unterhandelt. Aber umsonst. Rabaut de St. Etienne:^) ,,Au nom du Dieu de paix" usw. Umsonst. König interveniert, indem er die drei Stände auffordert, daß die schon abgebrochenen Verhandlungen der Kommission in seines Kanzlers Gegenwart nochmals aufgenommen werden sollten. Umsonst. So waren über vier Wochen hingegangen. Da 10. Juni erhebt sich Sieyes: die Vertreter von 96/100 der Bürger seien versammelt, die Abwesenheit einiger Vertreter könne die Deputierten der ungeheueren Majorität der Nation nicht an der Ausübung ihrer Rechte und Pflichten hindern.

Versammlung beschließt auf seinen Antrag, ,,daß der Aufnif der Vertreter in einer Stunde stattfinden unü gegen die Abwesenden defaut gegeben werden würde".

Auf Legrands Antrag konstituiert sie sich als,, Assemblee nationale".

Da gehen drei, dann sechs Landpfarrer zu dem tiers etat über. Mit Enthusiasmus und Freudentränen empfangen. Die Desertion droht immer größer zu werden. Da beschließt der Stand der Geistlichkeit seine Vereinigung! (149 kontra 113.) Die 149 vereinigen sich.

Jetzt erbebt das Königtum vor der wachsenden Macht . . .

^) Paul Rabaut de Saint-Etienne (1743 1/93), reformierter Geistlicher, wirkte für die Gleichberechtigung der Nichtkatholiken, hernach Präsident der National- versammlung .

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Parlament läßt anbieten, daß es in alle Steuern willigen werde, wenn der König nur die etats wieder auflösen woUe . . .

Umsonst bestürmt Necker den König, er solle die Initiative ergreifen, Vereinigung befehlen und Programm einer englischen Konstitution dem tiers etat vorlegen. Dieser timide Plan zu kühn gefunden!

Auf den 22. Juni eine Königliche Sitzung. Deshalb schon am 20. unter Vorwand von preparations der Saal der Assemblee geschlossen. 20. Juni. Der jeu de paume-Schwur, ,,de ne se separer jamais, jusqu'ä ce que la Constitution du royaume et la regeneration de l'ordre publique soient etablies et äff ermies sur des bases solides".^)

So erklärt dieser tiers etat, daß es sich ihm um ganz andere Dinge handle, als bloß die Steuerprivilegien der bevorrechtigten Stände auf- zuheben, daß er eine ganz neue Ordnung der Dinge einführen, ein neues öffentliches Recht errichten und die Herrschaft über die Gesellschaft erlangen wolle.

Den 23. Juni seance royale. Siegelbewahrer verliest eine königliche Deklaration, welche die Beschlüsse der Assemblee kassiert, die Beratung par ordres aufrecht hält. Eine zweite Deklaration schafft die corv^e, die Leibeigenschaft (und Rechte der f ranc-fief s) ^) ab, schränkt Jagdrecht ein; kein Wort über eine Konstitution, über Teilnahme an gesetzgebender Gewalt: in bezug auf die Geldprivilegien zeigte man sich bereit, ihre Ab- schaffung zu sanktionieren, wenn es Adel und Geistlichkeit gefiele, auf sie zu verzichten. Die Zehnten, Grundrente, die Seigneurs- und Feudal- rechte ausdrücklich als ,,proprietes absolument et ä jamais inviolables" aufgeführt.

Mit den Worten: ,,C'est moi jusqu'ä present qui fais tout pour^) le bonheur de mes peuples usw. ..." befiehlt [der König] der Ver- sammlung, sich zu trennen, gefolgt von Adel usw.

Jetzt klar, daß die Staatsgewalt das Schwert zum Schutz der bevor- rechteten Stände gegen das Volk ergriffen, daß sie in ihren Reformver- suchen den Punkt erreicht, wo . . .

Die Assemblee bleibt. Marquis de Breze.^) Mirabeaus Worte.^)

^) Der genaue Text des Schwurs im Ballhaussaal lautet: ,,Nous jurons de ne jamais nous separer de l'Assemblee nationale, et de nous reunir partout si les circonstances l'exigeront jusqu'ä ce que la Constitution du royaume soit etablie et affermee sur des bases solides."

2) Freilehen eines Nichtadhgen.

2) Das Wort pour hat Lassalle in die Rede des Königs eingefügt.

*) Marquis de Breze war der Zeremonienmeister des Königs.

-') Die Worte Mirabeaus lauten folgendermaßen : ,,Oui, monsieur, nous avons entendu les intentions qu'on a suggerees au roi, et vous, qui ne sauriez etre son Organe aupres des Etats-Generaux, vous, qui n'avez ici ni place, ni droit de parier, vous n'etes pas fait pour nous rappeler son discours. Cependant, pour eviter tout

129 =

Sieyes: „Nous sommes aujourd'hui ce que nous etions hier." Versamm- lung beschließt die Aufrechterhaltung ihrer kassierten arrets, beschließt auf Mirabeaus Antrag ihre Unverletzlichkeit. ^)

Aufregung wächst in Paris. Weg von da nach Versaüles war mit Kette von Menschen bedeckt. Eine Minorität von 47 Adligen, an der Spitze Herzog von Orleans, geht über!

Gerüchte, die den Hof erschrecken. Man spricht von 100 000 Rebellen im Anmarsch. König läßt durch den Vorsteher des Adelsstandes, duc de Luxembourg, Adel bitten: „Si ce n'est pas assez de prier je veux." Adel tröstet sich, daß er es tun müsse, um König zu retten, daß schon von allen Enden Truppen herbeibeordert und daß die Assemblee bald aufgelöst usw. (In der Tat Plan in Vorbereitung.)

27. Juni also definitive Vereinigung.

Hiermit ungeheurer Sieg. Kein bloß parlamentarischer Sieg. Es war damit das Prinzip der ständischen, feudalen Gesellschaft aufgehoben, die Vertreter der Stände in Vertreter der Nation verwandelt, es war das Prinzip der gesellschaftlichen Ungleichheit in der Assemblee nationale aufgehoben und wie in dieser Assemblee die Einzelnen ohne Rücksicht auf ihren Stand einander gleich und gleichberechtigt beisammen waren, so war hiermit schon gegeben, daß sie notwendig die Nation zu einer ebensolchen Gesamtheit von Gleichen umschaffen müßten!

Die revolutionären Tagesereignisse der nächsten Zeit, obwohl von tuiendlicher Wichtigkeit, gehören in das Gebiet der eigentlichen Ge- schichte und fallen nicht in den Kreis unserer Aufgabe, die nur dahin geht, die soziale Entwicklung im ganzen . . . Also nur:

Die Intrigen des Adels und Hofes gehen immer weiter, sie bekommen den König vollständig auf ihre Seite! Necker entlassen, Truppen zu- sammengezogen, Bewegung sollte in Blut erstickt, die Versammlung aufgelöst werden.

Da bricht das Volk los. Ganz Paris barrikadiert. Bastille erstürmt (14. Juli).

Aber das noch kurz hervorheben, daß auch der Widerspruch, der in dem Prinzip der Bourgeoisie liegt, sich schon damals in der ersten Periode ihres Auftretens in leisen Symptomen zu äußern begann.

equivoque et tout d^lai, je d6clare que si l'on vous a charg^ de nous faire sortir d'ici, vous devez demander des ordres pour employer la force; car nous ne quitterons nos places que par la puissance des baionettes." *) Lassalle schreibt irrtümlich ,, Verletzlichkeit".

Mayer, L«ss»llt:-Nach!;i5s. VI _

===== 130 =^====

Das Prinzip der Bourgeoisie die Rechtsgleichheit aller, somit Auf- hebung aller Privilegien und alles Zwangs, somit Freiheit des einzelnen , jeder hängt nur von sich selbst ab und seinen freien Kräften.

Soweit scheint ihr Prinzip das der absoluten Freiheit und ihre Sache mit der der Menschheit identisch zu sein.

Allein in dem Prinzip der Bourgeoisie selbst ein ungeheurer Wider- spruch. Die einzelnen werden in verschiedenen, günstigen oder un- günstigen Lebenslagen geboren. Sollten sie wirklich frei und unabhängig, gleich sein, so müßte diese Lage eine gleiche sein. Der einzelne ist nach dem Prinzip und unter der Herrschaft der Bourgeoisie zwar ,,frei" und nur von seinen individuellen Kräften abhängig. Allein um diese zu er- zeugen, gehört Bildung, und diese selbst kann nur der erlangen, der mit Kapital, der von begüterten Eltern geboren wird. Gehören ferner Arbeitsinstrumente, also wieder Kapital, um das Erlernte zu verwirk- hchen und im Kampf der freien Konkurrenz seine Unabhängigkeit zu erkämpfen und zu bewahren.

Für die unbegütert Geborenen, für den, der weder Bildung noch Ar- beitsinstrumente vorfinden und erlangen kann, ist also die Unabhängig- keit und Freiheit nicht vorhanden. Er ist vielmehr absolut abhängig.

Von der Freiheit und Unabhängigkeit der Bourgeoisie sind also die ärmeren Klassen der Gesellschaft, das ,,Volk" absolut ausgeschlossen. Diese Freiheit selbst, welche die Aufhebung aller Privilegien zu sein vorgibt und auch zuerst zu sein glaubt, ist selbst nichts als die Errich- tung eines neuen und zwar des härtesten Privilegs, des Kapitalbesitzes.

Von vornherein liegt dieser Widerspruch in der Bourgeoisie, wenn er sich auch erst später zu seinen tatsächlichen Konsequenzen ent- wickelte, wenn er ihr im Anfang auch selbst nicht zum BewuiBtsein gekommen war.

Aber von vorneherein ahnt sie ihn, und diese Ahnung spricht sich bereits zu einer Zeit, wo sie sich des Volks noch als Schwert und Schild gegen die Staats- und Adelsgewalt bedienen mußte, als Furcht und Mißtrauen vor dem Volk aus.

Von der einen Seite muß sie den Volkszorn entfesseln, es auf die Straße stürzen, von der anderen Seite ahnt sie sofort, daß sie damit eine ganz andere Klasse der Gesellschaft entfeßle, von der ihr Unheil und Untergang droht.

Sie sucht daher früh Allianz mit Monarchie. Von Anfang an der Revolution, als die Bourgeoisie noch gezwungen war, in der Uigue mit dem Volk ihre Macht und Schutz zu suchen, begegnen wir daher dennoch Tatsachen, welche diesen keimenden Gegensatz, der damals weder der Bourgeoisie noch dem Volk zum Bewußtsein gekommen war, ausspre- chen. Einige solcher Tatsachen anführen, an denen die Geschieht-

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schreiber der Revolution gewöhnlich vorübergehen, ohne in ihnen etwas Besonderes zu erblicken, die aber für uns von dem höchsten Interesse, weil sie im Keim alles das zeigen, was die Bourgeoisie später, wenn sie zur festen unbestrittenen Herrschaft gekommen, gegen die Freiheit des Volkes tun wird.

I. So: Am Vormittag des 13. Juli, als das Volk von Paris von allen Seiten das Stadthaus von Paris mit dem Schrei zu den Waffen umwogte, um für diese Bourgeoisie zu kämpfen, macht sie sich einer Usurpation schuldig, die bezeichnend. Die sogenannten electeurs nämlich (echevins et conseillers de la ville, deputes du chapitre de Notre-Dame et autres communautes ecclesiastiques, les gardes et maitres de la marchandise et des metiers, les quarteniers et des notables par eux choisis dans chaque quartier. Louis Blanc I, S. 156) i) beschließen, erschreckt durch den Ruf nach Waffen, ein ,,comite permanent" niederzusetzen, jeder der sechzig Distrikte von Paris solle 200 (dann 800) Mann zur Errich tung einer ,, Miliz von Paris" liefern (Bürgergarde), jeder Privatmann, der eine Waffe habe, solle sie bei seinem Distrikt abgeben und die ,,attroupements sollten aufhören".

Charakteristisch! ,,Attroupements des Volks sollen aufhören", Volk soll entwaffnet werden zugunsten einer Bourgeoismiliz, einer ,, Bürger- wehr", die hier zum erstenmal auftritt, ein Instrument, welches die Bourgeoisie also bei ihrem ersten Schritt sich schafft, sowohl um es der Armee des Königs als dem Volk entgegensetzen zu können (und letzteres fast noch mehr) !

Die Mitglieder des Comite permanent werden sofort gewählt, aber nicht vom Volk usw., sondern von diesen echevins und electeurs, und bloß unter diesen! So hatte denn eine Handvoll Bourgeois sofort die öffentliche Gewalt usurpiert!

Am anderen Tag beschließt das Comite permanent, die Zahl der Miliz von 12 000 auf 48 000 zu erhöhen, jedes Mitglied der Miliz soUe die rote und blaue Kokarde tragen, jeder, der diese Kokarde trüge, ohne in einem der Distrikte einregistriert zu sein, ,,serait remis ä la Justice du Comite Permanent". Die Ernennung aller oberen Chefs reser\'ierte das Komitee sich selbst, nur die der unteren Offiziere den Distrikten überlassen !

Das war nicht nur ein Attentat gegen die Souveränität des Königs, sondern auch des Volkes. Mit welchem Recht hatte diese Hand\oll Bourgeois sich als öffentliche Gewalt konstituiert? Die AufUisung und Entwaffnung des Volkes befohlen ? Die Bildung einer exklusiven Bürger-

^) Das Zitat ist nicht ganz wörtlich. Die Unterstreichung stammt von Louis Blanc.

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garde? Die Ernennung von Befehlshabern sich imputiert und den Di- strikten vorenthalten? Und sich in jener Kokarde ein exklusives Zeichen geschaffen, das sie zu tragen allen nicht BourgeoismiHzen verbot? Und sich gar noch eine Straf gewalt angemaßt?

Aus Mißtrauen, Furcht gegen das Volk, aus der Ahnung jenes Gegensatzes, der von vornherein sich geltend machte. (Die Bourgeoisie fing an, das Volk als manant zu behandeln.) Das Volk indes bemerkte das damals nicht. (Entwaffnung nicht realisiert.)

2. Kurz darauf scheut sich diese Versammlung vom Stadthaus nicht, einen Beschluß zu erlassen, worin sie das Recht der Kolporteurs, Schrif- ten auszubieten, beschränkt (arrete sur les colporteurs, Buchez et Roux II, S. 192)^), wenn diese Schriftsteller ,,sans existence connue" sind, ohne notorische hinreichende Existenzmittel. Seit wenn ist das Eigentum die Bedingung, die Preßfreiheit ausüben zu können? Seit wenn die Be- dingung für die Moralität eines Schriftstellers? Aber allerdings die Bourgeoisie fürchtet, daß eigentumslose Schriftsteller gegen das Eigen- tum schreiben werden, von Autoren von ,, existence connue" glaubt sie das nicht zu fürchten zu haben. So erklärt sie von vornherein alle Schriftsteller, die nicht hinlängliche Existenzmittel haben, für verdächtig und gefährlich! Das Eigentum jetzt Bedingung für die Moralität geworden. Das Eigentum jetzt Bedingung für die Ausübung des Rechts der Preßfreiheit.

In solchen kleinen, aber charakteristischen Zügen enthüllt sich von vornherein das Wesen der Bourgeoisie, zeigt sich von vornherein, was sie später werden sollte und mußte!

Ebenso die Assemblee nationale selbst.

3. Kaum war die definitive Vermengtmg der etats eingetreten, als die Assemblee nationale anfängt, Furcht und Verdacht gegen das Volk zu schöpfen und die Agitation desselben, da nicht mehr benötigt usw., zu unterdrücken.

Mirabeaus Rede am 27. Juni. ^) (L. Blanc II, S. 318, Ja ,,auxihaires seditieux".) Und schlägt eine Adresse an die Wähler von Paris vor, die ihnen empfiehlt, ,,de contribuer au maintien de l'ordre, ä la tranquilHte publique, ä l'autorite des lois et de leurs ministres".

1) B.J.B. Buchez et P. C. Rons, Histoire parlementaire de la Revolution fran9aise, Paris 1834. In der Verordnung vom 24. Juli 1789, die hier gemeint ist, heißt es: ,,que tous les colporteurs ou distributeurs de pareils ecrits, sans nom d'imprimeur, seront conduits en prison par les patrouilles, et que les imprimeurs qui donneront cours ä de pareils imprimes, sans pouvoir d'auteur ayant une existence connue, en seront rendus garans et responsabler."

-) Die von LassaUe herausgegriffenen Stellen aus IVIirabeaus Rede sind die einzigen, die Louis Blanc bei seiner wörtlichen Zitierung gesperrt hat.

= 133 =

4- Schon bei der Vereinigung des Klerus hatte [sie!] Target:^) ,,il n'est point d'evenement heureux pour la patrie qu'on ne doive s'em- presser de communiquer au meilleur des rois" Assemblee applaudiert.

5. Als es zur Gewißheit wurde, daß der Hof Truppengewalt anwenden woUte, von allen Seiten Regimenter herbei usw. und Kanonen in die Nähe der Versammlung, da Rede Mirabeaus und Adresse. L. Blanc II, S. 332.2) Erbärmliche Adulation, um nicht die Volkskraft entfesseln zu müssen.

6. Ja am meisten erschrecken sie vor ihren eigenen Siegen! Elf Gardisten eingesperrt, weil geweigert zu laden, um aufs Volk zu feuern. Volk befreit sie aus dem Gefängnis, bringt sie in den Palais Royal und von da Deputation, um die Assemblee zur Intervention aufzufordern.

Aber dieser Akt der Htddigung, welcher der Souveränität der Na- tionalversammlung dargebracht, erregt nur ihren Unwillen und Em- pörung. Sie seien nicht ,,les tribuns d'un peuple effrene"! Mirabeau ver- langt, daß man feierlich alle ,, Volksagitationen" verdamme. Beschluß: ,,Iy'assemblee nationale g^mit des troubles qui en ce moment agitent Paris. II sera fait au roi une deputation pour le supplier de vouloir bien employer, pour le retablissement de l'ordre les moyens infaiUibles de la clemence et de la bonte qui sont si naturelles ä son coeur et de la confiance que son bon peuple meritera toujours." Sie beteuerte ihr „profond attachement ä l'autorite royale, de laquelle dependait la secu- rit^ de l'empire".

7.^) Während der Erstürmung der BastiUe durch das Volk, als in der Nacht die Nachrichten anlangen (die Assemblee saß die ganze Nacht), davon und der Ermordung Delaunays'*) (Gouverneur), statt in Enthu- siasmus auszubrechen, statt Dankadresse dem Volk zu votieren, spricht die Assemblee, Bestürzung und Schreck in allen Gliedern, nur von den ,,malheurs de la capitale". Schickt in der Nacht drei Deputationen zum König, die alle hart entlassen ! In einer solchen Adresse heißt es äußerst bezeichnend: ,,Les Fran^ais adorent leur roi ä la condition de n'avoir pas ä le craindre".

Das drückt in der Tat die Stellung der Bourgeoisie zum Thron aus. Sie wollen den König zur konstitutionellen NuU machen, zu der Puppe, hinter welcher und durch welche sie regieren. Aber wenn das Königtum sich entschließt, diese unselbständige Rolle zu spielen, dann schwärmen sie dafür. Denn sie ahnen, daß nach der Aufhebung des Königtums die

*) G. J.B.Target (1733 1807), Jurist, in den Generalständen Vertreter von Paris für den dritten Stand, 1790 Präsident der Nationalversammlung. 2) Es ist bei L. Blanc, S. 333.

ä) Da das Vorstehende bei ihm eine Einschiebimg war, numeriert Lassallc: 3. *) Delaimay war der Kommandant der Bastille.

134

Reihe an das dann allein noch übrig gebliebene Privileg, an das Privileg des Eigentums, des Kapitals kommt. Unter dem Schatten, den das Privileg des Throns wirft, sind sie sicher, ihre Privilegien zu genießen.

Kaum hatte sich das Volk geregt, und obgleich es sich nur regte noch als armee der Bourgeoisie, so ergriff diese Schrecken. Das Wort ,, königlich" auf den Schildern auslöschen usw., solche Kleinigkeiten beunruhigten sie bereits (Ihr seht, eine wie die andere immer gleich . . ). In Sitzung vom 20. Juli erklärte lyally-Tolendal ^) bereits, ,,que le grand danger du moment c'etait l'esprit de revolte" ! ! que les representants de la nation ne devaient faire qu'un avec le roi, pere de son peuple et vrai fondateur de la liberte, qu'au seul mot de troubles tout citoyen devait fremir; que quiconque manquerait de confiance ä l'assemblee ou de fidelite au roi serait desormais repute un mauvais citoyen; que les municipalites auraient ä exclure de la formation des milices bourge- oises ceux qui etaient capables de nuire ä la patrie ! ! Er beantragte, diese Erklärungen in einem Gesetz niederzulegen! (Ging noch nicht.) (Moni- teur, Sitzung vom 20. Juli 1789.)

Kaum ist die BastiUe genommen und der König, dadurch entmutigt, für einen Augenblick zu dem Entschluß gekommen, nachzugeben, so beschließt die Assemblee, damit das Volk, welches die Militärmacht des Königtums überwunden, nicht daran gehe, das Königtum selbst zu zer- trümmern, die Ereignisse zum Vorteil des letzteren auszubauen, die Niederlage I,ouis XVI. zu benutzen, um sie als eine freiwillige darzu- stellen, um ihn dadurch zu popularisieren.

Sie reden dem König ein, das Volk von Paris habe eine ungeheure Begier, ihn zu sehen(!!), geben ihm 240 ihrer Mitglieder mit, um ihn eventuell zu schützen, sie schleppen ihn im Triumph durch Paris, [schlagen] auf dem Stadthaus vor, L,ouis XVI., dem „regenerateur de la liberte fran^aise" ein Monument zu errichten, 2) als wäre sie nicht trotz und gegen ihn hergestellt worden. Sie sagen ihm, „voilä ce peuple qu'on a calomnie et qui vous aime" und dem Volke: ,, Voilä le roi que vous desiriez avec tant d'ardeur voir au milieu de vous". Sie veranlassen ihn, eine Kokarde aufzustecken und bringen durch alle diese Komödienmittel es dahin, einen künstlichen Enthusiasmus zu erregen, der schon bald durch den Ernst der Ereignisse schwinden mußte.

^) Marquis T. G. von Lally-Tolendal (1757 1830), liberaler Monarchist, der sich 1789 in der Tagung der Generalstände mit dem dritten Stande verband. Er war es, der im Namen des Verfassungsausschusses am 3 1 . August 1 789 offiziell sich für das Zweikammersystem und eines Besitznachweises für die zu wählenden Abgeordneten aussprach. Im Oktober desselben Jahres ging er in die Schweiz, von wo aus er sich später erfolglos zum Verteidiger des Königs anbot.

2) Das Denkmal sollte errichtet werden: ,,ä Louis XVI., regenerateur de la liberte publique, restaurateur de la prosperite nationale, pere du peuple frangais."

135 =

Jetzt lyouis nicht mehr Feudalkönig, roi des bourgeois. Nach der Nacht vom 4. August legt ihm die Nationalversammlung durch Beschluß den Namen bei ,,restaurateur de la liberte fran9aise".

In dem Schatten des privilegierten Thrones wollte die Bourgeoisie ruhig ihre eigenen Privilegien genießen. Schutz . . Form.

Später sollte sich das zu einer ganz anderen Konsequenz noch ent- wickeln. Hier vorausnehmen. Juni 1791 1) Flucht des Königs nach Varennes, Protestation zurücklassend. Das Volk, Jakobinerklub Peti- tion um Absetzung ,,que son parjure, sa desertion, sa protestation emportent une abdication formelle". Trotzdem beschließt die Consti- tuante am 15. Juli 1791 die non decheance des Königs. Das Volk zieht am 17. Juli nochmals auf das Champ de Mars, um noch eine Petition zu zeichnen. Da bietet die Assemblee nationale die Bürgerwehr auf. Bailly^) als Maire, I^afayette^) als Kommandant. Aufruhrgesetz, zu solchem Zweck gemacht, getan. Das Volk war ruhig unbewaffnet ge- wesen. Antwortet mit Geschrei. Da ,, Feuer". Hunderte stürzen zu Boden, der Rest zerläuft sich.

Gemetzel vom Champ de Mars.

Fürchterliches Ereignis. Zum erstenmal Bürgerblut von Bürgern vergossen. Der Gegensatz von Bourgeoisie und Volk zum erstenmal zum blutigen Austrag gekommen. Das Volk war bestürzt; der Despotismus war abgeschafft, die Freiheit herrschte, diese Assemblee, diese Bailly. lyafayette. Es hatte sie zur Gewalt erhoben und von ihren Händen fließt ihr Blut.

Die Assemblee der Bourgeoisie hatte gesehen, daß das \'olk, daß die Masse nach der Staatsgewalt griff, sie petitioniert [?], 4) dekretiert, das Volk gewagt dagegen zu petitionieren. Die Bourgeoisie ließ es nieder- schießen.

Von diesem Moment an sah das Volk, daß es einen neuen Feind auf den Thron der Macht erhoben, daß die Bourgeoisie die Masse von der Staatsgewalt absolut auszuschließen nicht anstand, so wenig wie früher der Despotismus.

Zum erstenmal der furchtbare Gegensatz zum Bewoißtsein ge- kommen . . Er sollte nie wieder verschwinden.

Vom 17. Juli 1791 beginnt die Geschichte des Volkes im Gegensatz zu der Bourgeoisie, vom 17. Juli 1791 beginnt unsere Geschichte!

^) Lassalle verschreibt sich: 1790.

2) J.S. Bailly (1736 1793), Astronom, Präsident der Nationalversammlung, wurde nach der Erstürmung der Bastille Maire von Paris.

') Marquis de Lafayette (1757 1834), der berühmte französische General und Staatsmann war seit dein 15. Juli 1789 Generalkommandant der neu errichteten Pariser Nationalgarde.

') Das Wort ist nicht genau zu entziflfem. Im Text steht etwa ,.ptr."

136 ^

Welches der Grundgedanke der französischen Revolution? Nicht sowohl die Freiheit dies ja allgemein jede Fortentwicklung eine Bewegung zur Freiheit hin als vielmehr die Gleichheit und spe- ziell: die Rechtsgleichheit. Dies Zerschlagen des Standes-, Kasten- und Provinzunterschiedes, des Unterschieds in den Personen, die recht- liche Gleichheit aller Individuen.

Zweck daher weniger staatlich als sozial. Die Revolution daher weniger gegen die Monarchie als gegen die privilegierten Stände in der Gesellschaft gerichtet. Daher Bourgeoisie selbst servil für konstitutio- nellen König. Daher Champ de Mars, und erst als Königtum für die privilegierten Stände eintrat, da wälzten sich die Fluten usw.

Jetzt sehen, was die Assembl^e constitutionelle geschaffen. Mit einem Schlag das feudale Frankreich in das moderne . . Nicht wiederzuerkennen. Alles nur Ausarbeitungen des einen Prinzips in alle Felder hinein.

I. Declaration des droits de l'homme! Konsequenz der Rousseauschen Philosophie. Naturzustand vor dem gesellschaftlichen Zustand. Natur- recht vor ihm, in ihn hineingebracht unverlierbar. Zum erstenmal Na- turrecht durch Gesetzgebung über die historischen Rechte gestellt. Droits de l'homme Anfang der Konstitution vom 3. September 179 1. Vorrede. Art. i. Rechtsgleichheit, aber von vornherein distinction sociale noch atrfrecht gelassen. i) Anwendung ,,I1 n'y a plus" usw.

Art. 2.^) Hier schon der große Irrtum. Der Zweck der Gesellschaft nicht, die individuellen Rechte des Menschen zu sichern, die er schon als Individuum besitzt; sonst sehr unfruchtbar, sondern gerade neue, höhere Rechte zu schaffen, ein organisches Leben als Ganzes, als Volk, menschliche Gesetze usw. hervorzubringen. Dem Gemeinsamen aller, dem Gesetz eine Existenz zu geben, von der alle Individuen erst ihr Recht empfangen. Resistance ä l'oppression.

Art. 3. 3) Rousseau : Theorie der Souverainete. König also nur Delegierter.

Art. 4.*) Definition der Freiheit; rein negativ. Wahre Freiheit be- steht in der Pflicht, das Lebensprinzip des Ganzen zur Erscheinung zu bringen und zu betätigen.

^) Art. I lautet: „Les hommes naissent et demeurent libres et egaux en droits. Les distinctions sociales ne peuvent etre fondes que sur l'utilite commune."

2) Art. 2 lautet: ,,I,e but de toute association politique est la conservation des droits naturels et imprescriptibles de l'homme. Ces droits sont la überte, la pro- pri^te, la süret6 et la resistance ä l'oppressison.

3) Art. 3 lautet: ,,I,e principe de toute souverainete reside essentieUement dans la nation. Nul corps, nul individu ne peut exercer d'autorite qui n'en emane expressement."

*) Art. 4 lautet: „La überte consiste ä pouvoir faire tout ce qui ne nuit pas ä autrui: ainsil'exercice des droits naturels de chaquehommen'a de bomes que Celles quiassurent aux autres membres de la societe la jouissance de ces memes droits."

= 137 =-

Art. 6.^) Allgemeiner Wille. Amtergleichheit. Strafgleichheit. Kurz alle Sphären von der Rechtsgleichheit durchdrungen.

Aber diese Erklärungen rein abstrakt. Solange der ungeheure Grund- besitz usw., solange der Bauernstand von feudalen Abgaben und Lasten erdrückt, unbedingt abhängig vom Gutsherrn war, usw., nur Prinzip, nicht Tatsache.

Kam darauf an, diese Prinzipien zu realisieren, die große Majorität der Nation in wirklich freie unabhängige Einzelne umzuschaffen.

Nacht vom 4. August, Bauern zuvor-) die Schlösser verbrannt, die Titel vernichtet usw. Duc d'Aiguillon, 3) Noailles'*) usw.

Gesetz vom 4., 6., 7., 8. usw. August. Carette S. 2:^)

Das Feudalregiment mit einem vSchlag in seiner Grundlage zer- stört. Unterschied: alle Feudallasten im eigentlichen Sinne, Leibeigen- schaft, Hörigkeiten aller Art, main morte, persönliche Fronden, kurz die dem öffentlichen Recht entfließen, unentgeltlich abgeschafft (Lau- demien, Erbschaftssteuer, Bannrechte, ^).

Art. 3. Der Zehnten für die Geistlichkeit abgeschafft (Staatsgehalt an seiner Stelle).

Art. 2 und 3. Jagdrecht usw. unentgeltHch abgeschafft.

Art. 4. Ebenso die Justizrechte.

Art. 9. Steuerfreiheit abgeschafft, Gleichheit darin.

Art. 10. Alle Privilegien der Provinzen, Städte.

Die anderen Zehnten, Abgaben, Lasten aller Art als einem Privat- kontrakt (Ablaß von Land) entflossen angesehen, für ablösbar erklärt , alle un ablösbaren Grundrenten ebenso; Errichtung einer neuen ver-

^) Art. 6 lautet: ,,La loi est l'expression de la volonte generale. Tous les citoyens ont droit de concourrir personellement ou par leurs representants ä sa formation. Elle doit etre la meme pour tous, soit qu'elle prot^ge, soit qu'elle punisse. Tous les citoyens etant egaux ä ses yeux, sont egalement admissibles ä toutes dignites, places et emplois publics selon leur capacit^ et sans autre distinction que celle de leurs vertus et de leurs talents."

2) Das Wort war nicht genau zu entziflFem.

') Armand Herzog von Aiguillon (ca. 1750 1800) war einer der ersten Adligen, die sich in der Nationalversammlung mit dem dritten Stand vereinigt und auf ihre Adelsprivilegien verzichtet hatten.

') Das gleiche tat Louis Vicomte de Noailles (1756 1804). Er beantragte am 4. August 1789 die Abschaffung der Feudalrechte.

*) A. A. Carette, Lois annotees on Lois, Decrets Ordonnances, Avis du Conseil d'ßtat etc., avec Notres historiques de concordance et de jurisprudence (Premiere Serie 1789 1830). Paris 185 1.

*) Hier ließ sich ein Wort nicht entziffern.

138 -=

boten (durch Gesetz vom i8. bis 29. Dezember 1790, Modus im Falle der Ablösung bestimmt).

(Art. 16 und ly.Tedeum und lyouis XVI. ,,Restaurateur de la liberte frangaise.")

Diese eiligen Prinzipien wieder durch eine Reihe von Gesetzen aus- geführt. Gesetz vom 15. März 1790 (Carette, S. 15 usw.).

Aber die Assemblee nationale trat noch sehr schonend auf, indem sie alle die Abgaben und I^asten, welche durch Konzession von Fonds entstanden, für rachetable erklärte und Vermutungen aufstellte, nach denen zahlreiche Klassen von Lasten so entstanden sein sollten. Hält zahlreiche Ausnahmen bei Bannrechten noch aufrecht, z. B. titr. II, art. 24. (Angriff gegen Eigentum, sofern feudal, Respekt, sofern es bürger- lich gewesen sein könnte.) Titr. II, Art. 11 schafft das Erbvorrecht der Ältesten und der männlichen Linie ab. Die anderen Versammlungen gingen immer weiter. Schon anders die Assemblee legislative.

Gesetz vom 25 aoüt 1792. Suppression (unentgeltliche) der von der Assemblee nationale für ablösbar erklärten Lasten; alle droits, rentes, redevances usw. ohne Entgelt unterdrückt, wenn nicht im Infeodations- titel ausdrücklich eine Konzession von Fonds erwähnt war. (Rück- stände sollen nicht bezahlt werden!) Aber Konvent durch Gesetz vom 17. Juli 1793 hebt auch das noch auf! Ohne alle Entschädigung. AUe Titel, Kontrakte usw. sollen von den Eigentümern, Notaren, Deposi- taren den Gemeindebehörden übergeben und verbrannt werden bei Strafe von fünf Jahr Eisen (art. 6, 7, 8), tabula rasa!

Durch diese Dekrete erst der Bauernstand befreit, unabhängig ge- macht, zum bürgerlichen Besitzer.

Nicht genug. Staat zieht die Güter der Geistlichkeit ein. 2422 Mü- lionen Fr. konstituierte, 2300 Millionen Fr. schwebende Schuld. Große Kriegsausgaben. Verkauf der Domänen und Güter der Geistlichkeit. Da nicht so schnell, Assignaten, deren Unterpfand jene Domänen waren. Um so ungeheuere Domänen zu verkaufen, mußte man sie parzellieren und sehr billig, weil starkes Angebot. Ebenso Güter der Emigrierten. Auch wollte man das, um eben einen unabhängigen besitzenden kleinen Bauernstand zu erzeugen. Verkauf auf Kredit.

So empfing der bis dahin leibeigene Bauer auch noch freien und un- abhängigen Grundbesitz von der Revolution. Jetzt erst entstand ein wirklicher Stand bäuerlicher Besitzer.

Jetzt erst hatte die Revolution, was abstrakte Prinzipien nie ge- konnt hätten, sich unbesieglich gemacht, denn sie hatte sie jetzt in den Besitz hinübergetragen, einen neuen auf ihre Prinzipien basierten Besitzstand erzeugt, den kleinen Grundbesitz. Diese Bauern, diese bäuerlichen und bürgerlichen Grundbesitzer (und Assignatenbesitzer)

= 139 =

besaßen nur im Namen der Revolution und mit ihrem Rechte. Mit ihrem Unterliegen schwand auch ihre Selbständigkeit, der ihnen möglich ge- machte freie Erwerb, der ihnen gegebene Besitz.

So war die Revolution in die Hütte, die Scholle des Bauern hinüber- getragen ! Das allein erklärt die unendliche Begeisterung des französischen Bauernstandes für die Revolution, die Opfer, die er ihr mit grenzenloser Bereitwilligkeit gebracht hat. Das allein hat die Revolution in den Stand gesetzt, den Bürgerkrieg im Innern und den Kampf mit dem ganzen Europa auszuhalten und zugleich den Terrorismus zu ihrer Erhaltung entfesseln zu können!

Ihr seht, die Anhänger der individuellen Freiheit , die Bourgeois, die den Besitz für heilig !! ^) erklären, haben sich damals gar sehr an dem Besitz der damals besitzenden Klassen vergriffen; aber an dem feudalen Besitz, ganz so wie wir an dem bürgerlichen Besitz. Warum soUte das bürgerliche Eigentum, das nur eine andere Art von Privileg ist, mehr Heiligkeit in unseren Augen haben, als das feudale Eigentum in den ihren hatte?

Noch nicht genug. Woher war die frühere Oberherrlichkeit des Adels gekommen? Wir haben gesehen, daß sie sich im Lehenssystem aus dem Grundbesitz entwickelte. Es handelte sich, den ungeheueren Grund- besitz in ihren Händen zu zerstören. Also Güter des Klerus eingezogen, und was Adel betrifft, durch Gesetz vom 8. April 1791 Gleichheit des Erbrechts eingeführt, Substitution verboten und später Code civil art. 913 verboten, daß auch testamentarisch dem einen Kinde mehr als ein be- stimmter kleiner Teil gegeben werden dürfe.

Wo[hin] ist dieser ,, unabhängige kleine Bauernstand" jetzt nach fünfzig Jahren weiterer Geschichte gekommen? Wie seine Lage? Nun ja, er hat die andere Seite des Bourgeoisprinzips, der individuellen Frei- heit, der freien Konkurrenz zu kosten bekommen; er ist hypothekiert bis über die Ohren in die Hände des Kapitals, des bürgerlichen Privi- legiums geraten, wie früher in die des feudalen. -)

Hierdurch war offenbar, daß in zwei bis drei Dezennien der dem Adel noch gebliebene Grundbesitz in seinen Händen zerstückelt und parzel- liert sein müsse.

Endlich beeilte man sich, ihren Grundbesitz, insofern sie emigrierten, auch zu konfiszieren, um so [sie] de facto, ^) indem man ihnen ihren Be- sitz nahm, sie als besonderen Stand aufzuheben.

Kurz betrachten die anderen Einrichtungen, durch welche die Assem-

') Die Ausruf ungszeichen setzt Lassalle.

2) Diesen Absatz hat Lassalle am Rand eingeschaltet.

^) Die beiden Worte waren nicht mit voller Sicherheit zu entziffern.

= 140 =::

blee Constituante Frankreich nach allen Lebensgebieten mit ihren Prin- zipien durchdrang.

1. Neue Provinzialeinteilung. Rasierung der historischen Grenzen- unterschiede. Gebietsbestimmungen, Dekret vom 22. Dezember 1789 und II. Februar 1790. 84 Departements.

2. Gemeindeverfassung vom 14. Dezember 1789. Ganz neue Schöp- fung. Bis dahin hatten nur die größeren Städte Gemeinden ; auf Land fast gar nicht; hier lag bis dahin in den Händen der adligen Grundbesitzer, was jetzt Sache der Gemeinde wurde. Der Gemeinderat sowie Maire durch allgemeine Wahl gewählt.

3. Einführung der Jury in Kriminalprozessen. Nicht weil zweck- mäßiger, sondern weil notwendige Konsequenz des Prinzips.

Gerichtsbarkeit früher in den Händen der Grundbesitzer im Lehns- recht, wie alles ja . . . Später in Händen des Königs; besondere Rich- terklassen (Parlamente). (Patrimonialgerichtsbarkeiten.) Aber dem Prinzip der Gleichheit widerstand es sowohl, daß diese große Macht in den Händen des Grundbesitzes als irgendeines anderen bestimmten Standes Hegen sollte. Unterschiedslos in den Händen der ständelosen, gleichen Gesellschaft . . .

4. Zivilgerichtsordnung. Dekret vom 16. August 1790. T. II, § 3: les juges seront eins par les justiciables. (Hier erschien ein bestimmter Stand, der Fachgelehrsamkeit wegen, nötig. Dafür allgemeine Wahl. Konvent noch konsequenter dekretiert, Dekret vom 22. September 1792, „que le peuple a le droit de choisir ses juges indistinctement parmi les citoyens".)

5. Staatsform als solche: konstitutionelle Monarchie. Diese das [?] als Konsequenz der absoluten Monarchie. Der absolute Monarch re- präsentiert den Staat, als sittliche Einheit des allgemeinen Willen. Aber als einzelne Person. Fiktion.

Konsequenz diese: Wenn Monarch wirklich Repräsentant des all- gemeinen Willens sein soll, so muß eine Garantie dafür vorhanden sein, daß er auch immer wirklich den allgemeinen Willen zum Inhalt seines Tuns macht. Der allgemeine Wille muß also ein von der zufälligen PersönHchkeit und Einsicht des Monarchen unabhängiges, selb- ständiges Dasein haben, von welchem sich der Monarch nicht entfernen soll.

Dies die Kammern im konstitutionellen Staat; Volksrepräsenta- tion allgemeiner Wille. Gesetzgebende Gewalt. Da hier keinerlei Ständeunterschied anerkannt, hier nur eine Versammlung (nicht zwei Kammern, wo diese, immer noch usw.). König nur Exekutivgewalt, hat nur das zu vollziehen, was der allgemeine Wille durch sein selb- ständiges Organ, Volksrepräsentation, dekretiert.

= 141

Dies der Standpunkt jeder konstitutionellen Monarchie, gleichviel wie das im einzelnen geregelt wird.

Die Assemblee nationale stand zum großen Teil auf dem Standpunkt Rousseaus. Hier noch Königtum möglich, aber nicht mit selbständigem Recht, sondern als Delegierter des Volkswillens, des alleinigen Souverän, der ihn ebensogut wieder also aufheben kann ; so : art. 3 der Declaration des droits. (Carette, S. 147.)

Constitution Tit. III, art. 1—5, Carette, S. 148.

(König also nicht souverän, sondern Delegierter, souverän allein Volk.)

(Mit dem inalienable aber steht die Unabsetzbarkeit im Widerspruch.)

(Da die Volksvertretung den allgemeinen WiUen repräsentiert und Volk der alleinige Souverän, so kann auf diesem konsequenten Stand- punkt der König keinen Teil an der gesetzgebenden Gewalt haben. Also bloß suspensives Veto; Chap. III, sect. III, art. i und 2. Carette, S. 150.)

Konsequente Verwirklichung des Prinzips der Gleichheit nach allen Seiten hin. Jeder kann alles werden. Nirgends eine Schranke, die außer der Persönlichkeit liegen. Das Gleichheitsprinzip scheint hier zu seiner vollendeten Konsequenz gekommen.

Aber Widerspruch.

Zensus.^)

Treten in Periode voll Wunder. Raschheit. Widerspruch, der in jenem reinen Konstitutionalismus lag, aufgezeigt, mußte sich prak- tisch entwickeln. Veto des Königs gegen Gesetz über Adel und nicht assermentierte Priester. (Camille Desmoulins 2) Adresse, lyamartine 11,^) S. 54.) Vertrag von Pülnitz. *) Europa in WajBfen. 10. Juli 1792 erklärt die Assemblee legislative: ,,la patrie en danger". Aufregung der Ge- müter. Bewußtsein, daß die Hauptgefahr die innere war, der Wider- spruch in den Institutionen, bei welchen man den Choc Europas nicht aushalten konnte. Adressen von Marseille, das Veto abzuschaffen; andere, das erbliche Königtum abzuschafifen. Wahlkönigtum ohne Veto (Thiers II, S. 4). Manifest von Braunschweig ^) (Thiers II, S. 26 30). Sektionen

1) Hier läßt Lassalle eine Lücke von etwa einer halben Seite.

2) Camille Desmoulins (1760 1794), der berühmte Revolutionär, Gesinnungs- und Schicksalsgenosse Dantons.

^) Lamartine Historie des Girondins. Auf welche Ausgabe des bekannten Werks Lassalles Seitenangaben Bezug nehmen, vermochte der Herausgeber trotz mannigfachen Bemühens nicht festzustellen. In Lassalles Bibhothek befand sich sowohl eine Pariser wie eine Brüsseler Ausgabe aus dem Jahre 1S47.

*) In Pillnitz wurde im August 1791 von Leopold II. und I^Yiedrich Wilhelm II. der Koalitionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich beschlossen.

^) Das berühmte Drohmauifest des Herzogs von Braunschweig, des Ober- befehlshabers der preußischen Truppen, das sich besonders gegen Paris richtete, hat in Frankreich einen xmauslöschlichcn Findruck hinterlassen.

= 142 =

permanent. Im Namen der vereinigten Sektionen fordert Petion/) der Maire von Paris, sein Betragen schildernd, die Absetzung des Königs (3. August). Die Sektion von Mauconseil deklariert sie sogar und erkärt, daß sie bald die Assemblee legislative fragen würde, ob sie Vaterland retten will oder nicht. Dix aoüt. Suspension des Königs. Temple.

20. September 1792 tritt der Konvent zusammen. Basire '^) will dis- putieren lassen, ob Königtum. Gregoire:^) ,,Qu'est-il besoin de discuter, lorsque tout le monde est d'accord. Les cours sont l'ateHer du crime, le foyer de la corruption. L'histoire des rois est le martyrologe des nations. Des que nous sommes tous egalement penetres de ces verites, qu'est-il besoin de discuter?"

In der Tat, hierin, in der Republik, waren jetzt alle Parteien einig. Wenn alle einig, woher kommen die Kämpfe, die gerade jetzt, leiden- schaftlicher, blutiger denn je zwischen den Parteien ausbrechend, Frank- reich im Innern zerrütteten?? Aber dies mußte sein. Republik bloß die Königslosigkeit. Die Selbständigkeit der Staatsgewalt, die im Königtum in der Person des Monarchen, erhaben über soziale Gegensätze existiert, war weggefallen; die Herrschaft über den Staat lag unmittel- bar und direkt in Händen der Gesellschaft. Um so heftiger mußte also der Kampf der gesellschaftlichen Gegensätze beginnen, und die strei- tenden Klassen der Gesellschaft mußten und konnten sich jetzt der in ihren Händen ruhenden Staatsgewalt bedienen, um sich zu vernichten.

Schon vor dem 10 aoüt hatte ein Gegensatz zwischen zwei Parteien existiert, der aber erst unter Konvent zur wirkhchen Entfaltung und Bedeutung kommt, Girondins und Jacobins. Kaum war die Republik proklamiert, als täglich und täglich die Tribüne des Konvents von den wütendsten Angriffen dieser Parteien, die sich gegenseitig mit den un- wahrsten Vorwürfen überschütteten, widerhallte.

Die Jakobiner warfen den Girondins vor: Föderalismus, Zerstücke- lung Frankreichs, Lokalregierung um ihres lyokaleinflusses willen. Nicht wahr. Girondins den Jakobinern, nach der Diktatur zu streben, Frankreich in Blut berauschen zu wollen usw. Noch mehr ungerecht.

Was war nun der wirkliche, der historisch berechtigte Grund dieses Hasses?

Ihr wißt, das Prinzip der Gleichheit, der Vernichtung der sozialen

1) Jerome Petion de Villeneuve (1753 1794), seit 18. November 1791 Maire von Paris, übte als Haupt der Kommune einen starken Druck auf die National- versammlung aus.

-) Claude Basire (1764 1794), Mitglied der Legislative und des Konvents. Mit Danton hingerichtet.

3) Henri Graf von Gregoire, Bischof von Blois (1750 1831). Er beantragte zuerst die Vereinigung der Geistlichkeit mit dem dritten Stande. Hervorragendes Mitglied des Konvents.

143 =

Unterschiede war das Feuer gewesen, welches diesen Weltbrand ent- zündet. Gesehen, wie konsequent es schon in der Konstitution von 1791 verwirklicht. Wir sahen auch den Widerspruch daselbst. Prärogative des Königtums. Großes Privileg der erblichen Exekutivgewalt. Auch dies weggefallen. Exekutive ernannt von Nationalversammlung. Was war noch zu wünschen übrig? Was brachte den Gegensatz zwischen Girondins und Montagnards hervor? Was wollten die Montagnards? Was ist der Sansculottismus? Was trieb sie später bis zur furchtbarsten Schreckens- herrschaft?

Es ist von der höchsten Wichtigkeit, das zu begreifen. Weder Feinde noch Freunde in der Regel.

Mit allen jenen Unterschieden war nur die Rechtsgleichheit her- gestellt; die wirkliche Gleichheit, die Ueidenschaft der französischen Revolution, nicht erreicht. Nachdem die rechtliche Ungleichheit fort- gefallen, blieb die faktische Ungleichheit, die im Besitze wurzelt, die dann von da aus selbst einen Unterschied in den Personen hervorbringt (Erziehung, Bildung, Geist usw.) noch übrig. Sie war jetzt, nachdem alle prinzipielle Ungleichheit weggefallen, noch tausendmal auffälliger, sicht- licher, drückender, denn zuvor. Die faktische immense Ungleichheit zwischen Besitz und Armut läßt sich tausendmal schwerer ertragen in einer Gesellschaft, deren oberster Grundsatz die Gleichheit ist, als in einer solchen, deren religiöses Prinzip auch die Ungleichheit ist. Gleich in den höchsten, wichtigsten politischen Akten, gleich in ihrer Teilnahme an der gesetzgebenden und der staatbeherrschenden Gewalt, waren sie durchaus ungleich in der ganzen Breite des Lebens, welche durch den Besitz bestimmt wird, in ihren Genüssen und Leiden, unfrei in ihrer täg- lichen Regung. Der Gegensatz zwischen dem aus der Armut hervor- gegangenen Leiden, Schmerzen und Druck und der Unabhängigkeit und Selbständigkeit, welche der Besitz verleiht, ist ein weit fürchterlicherer als der zwischen der politischen Gleichberechtigung oder Rechtlosigkeit.

Dieser Satz, daß trotz alledem und alledem, ^) trotz der proklamierten Prinzipien und Konstitution, trotz der gemachten Revolution und des vergossenen Bluts die Gleichheit, in deren Namen alle diese Kämpfe geführt worden, in der Wirklichkeit durchaus nicht hergestellt sei, ist es, welcher den Jakobinern zum Bewußtsein kommt und sie zu der weiteren Konsequenz treibt: es müsse durch die Anwendung der Staatsgewalt die gesellschaftliche positive Gleichheit her- gestellt werden. Dieser Satz, und wir werden später die furchtbaren Konsequenzen sehen, zu denen er sich gesteigert, ist es, der sich in den Jakobinern und ihren Chefs Robespierre, Danton, Marat verkörpert. In

^) Lassalle liebte es, wie auch Marx und Engels, sich dieses Refrains aus Freilig- raths berühmten Oedicht zu bedienen.

144 "— =

den Montagnards also wirkt das dunkel treibende Bewußtsein: das zu Erreichende, die Gleichheit, ist nicht erreicht, noch nichts ist erreicht, sie kann erst durch weitere Kämpfe und Revolutionen erreicht werden, und darum mtiß die Revolution permanent sein. Den Girondins anderer- seits war dies Bewußtsein verschlossen; sie meinten, daß mit der voll- endeten Rechtsgleichheit, der Republik, alles erreicht sei; sie verab- scheuten die sich in den Jakobinern kundgebende Richtung, die Staats- gewalt als Instrument zu gebrauchen, die positive gesellschaftliche Gleich- heit herzustellen. Da sie glaubten, daß alles erreicht und nur noch der äußere Feind zu besiegen sei, wollten sie den Abschluß der Revolution, geordnete Zustände eingeführt; sie begrififen nicht, was die Revolution noch solle, wo es weder Königtum usw. gab, sie setzten [sich] jeder Maßregel revolutionärer Energie entgegen und zogen sich so mit Recht den Vorwurf (m öderes) Moderanten von Seiten der Jakobiner zu, die auf Fortgang der Revolution die unklare Hoffnung bauten, die Gleichheit erlangt zu sehen, und daher ohne Unterlaß die revolutionäre Energie des Volkes anfachten.

Der Gegensatz in der Auffassung des Begriffs der Gleichheit mußte unter allen Umständen diese Parteien zu unversöhnHchen Gegnern machen. Aber dieser Gegensatz wäre vielleicht nicht so akut ausgebrochen, wenn nicht gerade eben jenes schon Erwähnte hinzugekommen wäre, daß die Girondins sich jeder Maßregel widersetzten, die usw.

Z. B. Tod Louis XVI. Rechtsbedenken aus der Konstitution von Seiten der Girondins.

Politische Theorie der Montagnards: Frankreich solidarisch machen, der Allianz gegenüber Brücke abschneiden. Dantons Worte auf dem Schafott. Kein Prozeß, eine politische Maßregel.

Discours St. Justs^) (Thiers II, S. 224 bis S. 226).

Robespierres ib. Lamartine, T. IV, p. 241 ff. und 251, 252. Vergniaud^) ib. S. 254 ff.

Hier verloren die Girondins Mut zu opponieren, obgleich Vergniaud usw. Aber in anderen Fragen besiegten sie die Jakobiner.

Assignaten. Zwangskurs. Geldnot. Disette. (Woher Deprezierung später.) Arbeiter und Beamte müssen also den Lohn zum Voll wert de Assignate annehmen ; während beim Kauf der Kaufmann von vorne- herein den dreifachen Wert fordert und frei war zu verkaufen und nicht. Diese Lage daher fürchterlich. Wollen ein Maximum; Taxe bei allen Waren usw. Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit! Girondins,

1) Antoine St. Just (1767 1794), der berühmte Revolutionär, Gesinnungs- und Schicksalsgenosse Robespierres.

2) P. V. Vergniaud {1759 1793), Führer der Girondisten in Legislative und Konvent.

145 -=^

die die Majorität haben, leiden [?] ^) es nicht. Not und Erbitterung des Pariser Volkes stieg fürchterlich.

Dumouriez' Verrat. Robespierre klagt die Girondisten der Kompli- zität an. (Thiers II, S. 361.)

Vergniauds Antwort; Lamartine V, S. 250.

Lasource -) klagt Danton derselben Teilnahme an. Lamartine V, S. 242. Dantons Antwort ib. S. 242 sq.

Marat, Robespierre, Danton werden angeklagt, ein Triumvirat bilden zu wollen. Diktatur. Vorzüglich war Marat Gegenstand des allgemeinen Hasses. Er forderte, die Hungersnot besprechend, in seinem Artikel im ,,Ami du peuple" auf, sich an die Reichen um Brot zu wenden, ihre Häuser zu plündern. Er forderte auch die Errichtimg der Diktatur. Be- schuldigt deshalb. Replik Lamartine IV, S. 104 iio.

Andermal Artikel verlesen von Guadet^) Lamartine V, S. 259. Decret d'Accusation. Freigesprochen.

Commune. Organisation der revolutionären Partei. Auf eigene Hand ausgehoben 12 000 Pariser. Zwangsanleihe gegen Reiche. Von Revenue von 1000 bis 50 000 Fr. gab man von 30 bis 20 000 Fr. Wer ein Einkom- men von über 50 000 Fr. hatte, durfte sich 30 000 Fr. behalten und mußte den Rest überlassen. Natürlich großer Widerstand von Seiten der Clercs, Kommis, Kaufleute erscheinen in den Sektionen und protestieren gegen den Beschluß. Entrüstung und allgemeiner Schrei gegen die Arrets der Sektion. Marat schreibt, que messieurs les epiciers, les procureurs, les commis conspiraient avec messieurs du cote droit et messieurs les Riches, pour combattre la revolution, qu'il fallait les arreter tous comme suspects et les reduire ä la classe des sansculottes en ne pas leur laissant de quoi se couvrir le derriere. Commune hätte dies auf ganz Frankreich durch Konvent angewendet sehen wollen, Girondisten im Wege. 15. April 1793 fordern die Kommissare von 35 Sektionen. Maire Pache*) an der Spitze, die Expulsion von 22 Girondins (Namen bei Thiers II, S. 366). Eine andere beschwert sich über die Verhaftung Heberts,^) eines Volksführers usw. Antwort von Isnard, ^) Lamartine VI, S. 40. Rede Guadets ib. S. 27.

^) Diese Abkürzung könnte hier auch anders gelesen werden.

*) M. D. A. Lasource (1763 1793), kalvinistischer Pastor, Girondist. Die Rede gegen Danton hielt er im Konvent April 1793.

') M. E. Guadet (1758 1794), einer der Hauptwortführer der Girondisten in Legislative und Konvent.

*) J. N. Fache (1746 1823), 1792 Kriegsminister, 1793 Bürgermeister von Paris. Als solcher wirkt er hervorragend mit beim Sturz der Girondisten.

'•') J. R. H6bert (1755 1794), der Redakteur des ,,P^re Duchesne", radikaler Jakobiner, war am 24. Mai 1793 ebenso wie Pache verhaftet, aber vom Volk wieder befreit worden.

*) Maximin Isnard (175 i 1791), bekannter Girondist.

Mayer, Lassalle-NacbUss. \1 lO

- 146 -

Gerüchte, daß man die Girondisten ermorden wolle usw.

Von der anderen Seite bereiten sich die Freunde der Girondisten aus Bordeaux, Marseille usw., gegen Paris zu marschieren.

Handelt es sich revolutionäre Tribunale herzustellen, Girondisten Opposition, handelt es sich, Comite du salut public herzustellen Giron- disten Opposition. Kurz, überall findet die Revolution die Girondisten auf ihrem Wege. Die Girondisten mußten untergehen.

31. Mai. 2. Juni. Commune. Tocsin. Insurrektion. Kanonen. Sektionen ziehen gegen den Palast des Konvents. Deputation der Commune fordern die Verhaftung der 22 ; Kanonen gegen den Palast braquiert. Drei Tage Paris unter Waffen. Abdankung verlangt lyanjuinais. ^) Befehl ge- geben, daß niemand hinausgelassen. Konvent entrüstet sich. Unverletz- lichkeit und Freiheit der Nationalversammlung angetastet. Ganze Kon- vent unter Herault-Sechelles, 2) Präsident. Aber Henriot.^) ,,Saisissez ce rebelle." ,,Canoniers ä vos pieces." Couthons ^) Hohn (Thiers III, S. 54). Verhaftung dekretiert. Selbst Reaktionäre haben anerkarmt, daß, um Frankreich und Revolution zu retten, der Untergang der Girondins not- wendig war (Thiers RückbHck III, S. 55 58).

Robespierres Partei herrschte. Was wollte Robespierre? Wer war Robespierre? Ein Prinzip. Die Seele Rousseaus in verzehrenden Zorn getaucht, der Gedanke Rousseaus mit Beil und Fackel bewaffnet, das war Robespierre. Robespierre der Punkt, wo die reine Demokratie in die soziale Demokratie umschlägt. Paris. Gleichheit. ,,Tout est bien en sortant des mains de Dieu." Zivilisation verdirbt. Je fremder derselben, je unverdorbener, reiner. Also die ärmere [n] Klasse [n] Quell der Wahrheit. Sansculottismus. Daher ,,toute Constitution qui ne suppose le peuple bon et le magistrat corruptible est vicieuse". (Magistrat scheidet sich schon aus aus dem Volk.) Staatsgewalt daher nicht in den Händen der Beamten, sondern soviel als möglich unmittelbar bei dem Volk. Re- gierung durch Klubs. Gesetzgebende Gewalt bloß bei Volk.

Die Gleichheit soll hergestellt werden, aber wie die faktische Ungleich- heit aufgehoben, da nach Robespierre selbst das Eigentum ein heiUges Recht ist, das die Staatsgewalt nicht aufheben kann. Erbitterung über den Reichtum, Vermögensungleichheit, ohne auch nur zu wagen, sie

^) Jean Denis Lanjuinais (1753 1827), liberaler Jansenist, bekämpfte als Mitglied des Konvents mit den Girondisten die Jakobiner. In den Sturz der Girondisten verwickelt, rettete er sich durch die Flucht.

-) Jean Marie Herault de Sechelles (1760 1794), Präsident des Konvents, Mit- glied des Wohlfahrtsausschusses. Anhänger Dantons.

^) Fran9ois Henriot (1761 1794) erzwang als Oberbefehlshaber der National- garde am 2. Juni 1793 die Verhaftung der Girondisten.

*) Georges Couthon (1756 1794), Mitglied des Wohlfahrtsausschusses, naher Freund Robespierres, Gegner der Hebertisten.

147 =^

prinzipiell anzugreifen, au contraire! (Declaration art.) Durch frei- williges Aufgeben, vertu Aufopferung aller Vorzüge usw. in die eine Glut des patriotischen Gedanken.

Erhaben, aber unpraktisch. Auf das freiwillige Opfer kann wohl der größte vorübergehende Heroismus, aber kein bleibender Zustand der Dinge basiert werden. St. Just's Rede, Stein, S. 148. ^)

Vertu endlich Negation, Askese, statt Genuß aller. Und wenn durch vertu, nicht Gegenstand der Staatsgewalt, sondern der Moral. Nach Robespierre selbst aber doch (siehe Declaration des Droits) Gegenstand der Staatsgewalt. Immense Widersprüche.

Da vertu nicht hinreicht Suppression, Vertilgung der Ungleichheit (wie in Rede mit König) und da zum Begriff der Ungleichheit noch nicht gekommen, bleibt nichts übrig als Vertilgung der Ungleichen, terreur. Tod das einzige Mittel für alles. 2)

Konstitution der Genehmigung des Volkes untergebreitet [?]. Ein- stimmig. Kein Zensus, noch Unterschied der Art. 50 000 Bürger [?] Mehrheit kann revidieren. Deputierte schlagen nur vor. Exe- kutivgewalt gewählt (conseil executif).^)

(Suspension. Instinkt. Diktatur des Schreckens.) Lage. Departements. Lyon. Toulon. Marseille. Äußere Feinde. Assignaten.

Schon 3. und 4. Mai war ein Maximum des grains^) angenommen worden. Pächter und Fruchthändler genötigt, die Quantität Getreide zu deklarieren, sie ausschließlich auf den öffentlichen Markt zu bringen und sie zu einem durch jede Kommune fixierten Durchschnittspreis zu ver- kaufen. Verkauf von Brot in den Bäckerläden geregelt, bis auf die Weise sie aufzustellen.

Assignats. Diskredit. Agiotage Konkurrenz der alten Papiere, des baren Geldes, Waren. Börsenspiel. Spekulation auf das allgemeine Elend. Cambon,'*) Rede Thiers III, S. 169. Uniformiser la dette. Grand li\Te. Verwandlung in Rente. Genügt nicht. Konfiskation vergrabenen Geldes.

1) Lorenz Stein, Der Begriff der Gesellschaft und die soziale Geschichte der französischen Revolution bis zum Jahre 1830, Leipzig 1850. Lassalle meint hier den Bericht, den St. Just am 13. März 1793 erstattete. Dort hieß es: ,,Si le Peuple aime la vertu, la frugahte; si l'effronterie disparait des visages; si la pudeur rentre dans la cite; si les fonctionnaires s'ensevihssent dans leurs cabinets pour s'y assujettir ä faire le bien sans courrir la reuommee n'ayant pour temoin qua leur coeur; si vous otez les terres ä tous les scelerats; si vous les donnez ä tous les nialheureux, je reconnais que vous avez fait une revolution."

2) In diesem Abschnitt ließen sich besonders bei den kleineu Worten ver- schiedene nicht mit Sicherheit entziffern.

3) Maximalpreise für Getreide.

*) Pierre Josephe Cambon (1754 1820), hervorragendes Mitglied des Konvents und Wohlfahrtausschusses. Er legte am 24. August 1793 das große Buch der öffentlichen Schuld an.

^ 148 =^=^===:==

Maximum auf alle Gegenstände de premiere necessite (Brot, Fleisch, Getreide, Mehl, Gemüse, Früchte, Kohlen, Holz, Butter, aller Hanf, Leinen, Salz, I^eder, Getränke, Tuche, Wolle und aUe Stoffe mit Aus- nahme der Seide). Accapareurs, d. h. diejenigen, die sie aufspeicherten und der Zirkulation entzogen, mit Tod bestraft. Declarations prealables. Visites domiciliaires. Kommissäre der Kommunen, die Rechnung nach- sehen. Verkaufspreis fixieren mit mäßigem Profit, selbst ohne, im Not- fall. Pari hergestellt! Nat[ionales] Gold nicht vergraben, nicht ver- kaufen, nicht ankaufen und doch bloß dazu da. (?)

Fürchterlich leidet Kleinhandel, gekauft vor dem Maximum, schHeßt die Boutiques, weshalb später Ausdehnung.

I^evee en masse. Commissaires. Rede Dantons, Thiers S. 162, De- kret ib. S. 164, 165.

Zwangsanleihen. Einkommen von 1000 Fr. par individu nicht besteuert, von 10 oo[o] ^) bis 10 000, 10 Prozent, alles über 10 000 ein- gezogen; wenn Familie von fünf Personen 50000 Fr. hatte, 5000 un- besteuert, 10 000 besteuert, 10 Prozent, also 9000 + 5000 = 14 000. Rest von 36 000 Fr. überlassen.

Freiwillige Anleihe, entbindet von der anderen und verzinsbar. Dekret gegen Vendee. Vernichtung geweiht. Thiers, S. 179.

Als die Zustimmung zur Verfassung kam, Konvent abtreten ; aber man sah, daß die Prinzipien dem Faktum erHegen würden. Suspension der Verfassung, Etablissement du gouvernement revolutionnaire, 10. Oktober 1793. Carette, S. 265.

Loi des suspects vom 17. September 1793. Carette, S. 259, 260. Pro- klamation an die Vendee-Armee, Thiers, S. 224.

Einnahme von I^yon, Dekret Thiers, S. 240.

Chaumette2) Thiers III, S. 289.

Letztemal betr[af es] ^) Einzelheiten, die aber voller Interesse sind. Geldnot. Maximum. Zweites Gesetz des Maximum. Thiers III, S. 291. Comite des subsistances. (Robert I/indet.) *) Abschaffung der Religion. Sektionen schwören den christlichen Kultus ab. Thiers III, S. 304. De- kadefeier ib. S. 305. Erstes Fest des culte de la Raison ib. S. 306. Robes- pierre erhebt sich gegen den Atheismus, ib. S. 315. (Gott bei ihm die natürliche Voraussetzung der Gleichheit.) (Camüle Desmoulins article

^) Lassalle setzt hier irrig eine Null zuviel.

2) Pierre Gaspard Chaumette (1763 1794), extremer Revolutionär, Proku- rator der Kommune, Vorkämpfer des Kultus der Vernunft und radikaler sozialer Gesetze.

^) Vom Herausgeber ergänzt.

*) Robert Lindet (1743 1823), geistliches MitgUed der Generalstände, Mit- glied der Konstituante und des Konvents, Bischof von Eure, verheiratet sich 1792.

^ 149 -

S. 370 sq.) Robespierres Bericht Thiers III, S. 395 gegen Art. von Ca- miUe Desmoulins S. 397. (,,Je crois donc que la liberte n'existe pas sans une egalite de privations usw.") Danton usw. verhaftet; Legendre;^) Robespierre dagegen Thiers III, S. 4 8.

Prozeß Danton ib. S. 424 ff., 429, 431. ^) Fürchterlicher Eindruck. Gesetz vom 22. Prairial an 2. Carette, S. 299.

^) [Letztesmal Einzelheiten betrachtet, die aber voller Interesse sind ; auch heute. Geldnot. Überfüllung und Entwertung. Maximum. Zweites Gesetz, Thiers III, S. 291. Comite des subsistances. Abschaffung der Religionen. Alles Positive war aufgehoben. Französische Revolution an Stelle aller historischen Einrichtung die Freiheit des Gedankens ge- setzt. Staatsfeier. Provinzenteilung. Kalender usw. Bloß Gott übrig geblieben von allem Historischen. Jede Zeit hat immer nur ihren eigenen Gedanken vergöttert. Der Inhalt der französischen Revolution war die Freiheit des menschlichen Geistes. Sie mußte somit ganz bewußt diesen ihren Inhalt zum Gott erheben usw.

Abschwörung der Religionskulte durch die Sektionen. Thiers III, S. 304.

An Stelle derselben Kultus der Vernunft gesetzt. Dekadefeier ib. S. 305, S. 306. Bloß Robespierre bald darauf gegen Atheismus ib. S. 315 (Folge seines unklaren Standpunktes; die Gleichheit weder wirk- lich, noch wußte er sie zu realisieren. Gott war ihm nötig als Voraus- setzung der Gleichheit, als das Wesen, dessen Wille und Sittengebot die Gleichheit, dessen Tat die Ausgleichung des Ungleichen als ,, demo- kratische Institution"). Er läßt bald darauf durch Dekret das ,, höchste Wesen" wieder einsetzen. Dekret vom 18. Floreal an 2 (7. Mai 1794) etre supreme und immortalite de l'äme anerkannt. Religion selbst hatte dabei nichts gewonnen. Ein durch ein Dekret eingesetzter Gott war kein Gott, dessen Begriff vielmehr unabhängig und über menschHche[r] Vernunft nur^) sich selbst offenbarendes Wesen zu sein, nicht ..Institu- tion"!

Fortgang der Schreckensherrschaft. Standpunkt derselben und Robes- pierres entwickelt Rekapitulation. Fordenmg der reellen Gleichheit. Haß gegen die Ungleichen, weil Ungleichheit selbst, Eigentum noch nicht anzugreifen gewagt; au contraire. Daher Übergang zum Sozialismus, während er zugleich unendlich tief unter ihm. Dieser Haß und dieses

^) Louis Legendre (1752^1797), ursprünglich Fleischer, Mitbegründer des Klubs der Cordeliers und der Jakobiner. Intimer Freund Dantons, anfangs vor Gericht dessen Verteidiger, zieht sich dann zurück.

-) Diese eckige Klammer setzt Lassalle. Wie man sieht, hat er die Einfülirung des neuen Vortrags noch einmal zu skizzieren begonnen. Dem Herausgeber schien es richtig, beide Fassungen stehen zu lassen.

•'') Dies Wort ließe sich auch als ,,cin" oder ,,als" entziffern.

150 =

Bewußtsein, daß diese Ungleichlieit trotz aller »Siege immer doch existiere usw., sprechen sich oft schon deutlich aus, Chaumettes Rede, Thiers III, S. 389. Todesstrafe gegen jeden, der das Eigentum angreift, Gesetz vom iS mars 1793, Carette S. 222.

Wie diese Ungleichheit zu überwinden? Vertu, freiwillige Auf- geben.— Daher Anfeindung des Genusses, Askese. Theorie der Ent- behrung (Aristokratie des Genusses). Da vertu aber kein staatenbilden- des Mittel ist, da das selbst Robespierre zum Bewußtsein kommen mußte, terreur. Umgestaltung der Gesellschaft nicht durch die organisatorische Kraft der Staatsgewalt, sondern durch die Strafgewalt, Guillotine. Robespierres Bericht, Thiers III, S. 395, CamiUe Des- moulins ib. S. 397. Beschreibung der Staatslage ib. S. 370. Endlich Un- gleichheit der Persönlichkeit durch die ungleiche persönliche Be- gabung mediocrite.^)

Nach Dantons Hinrichtung terreur crescendo weiter. Überwurf nis zwischen Robespierre und Comite de Salut public (Collot d'Herbois^) Billaud-Varennes),") Robespierre zieht sich vom Komitee zurück. Dieser tritt mit Gesetz vom 22 Prairial an 2 (10. Juni 1794) hervor (Carette, S. 299 ff., besonders Art. 13 und 16). Die ganze Prozedur in einfachen Namensaufruf (?) verwandelt *) Konvent erstarrt! Robespierre erklärt, es bleibe nichts übrig als sich Kugel durch Kopf usw., wenn nicht Ver- tagung. Robespierre mit einigen Worten (siehe Thiers IV, S. 74) setzt es durch. Fürchterliche Wirkung dieses Gesetzes ; vom März 1793 (Zeitpunkt seiner Einrichtung) bis 10. Juni 1794 {t^4V2 ^lonate) 577 Verurteilungen, vom 10. Juni bis 27. Juli (9. Thermidor. Ein Monat 17 Tage) 1285!!

Beispielsweise Beschreibung der Prozedur Thiers IV, S. 84.

(Dies nicht das einzige, was auf Frankreich drückte; Maximum, so großartig die Maßregel war, gleichfalls; zuerst Detailhandel ruiniert; dann Modifikation; teils war unmöglich der Tarif auf alle ausgedehnt; Konsequenz davon, da eine unendliche Masse von Gegenständen ge- braucht wird, um ein Produkt zu liefern, wenn ein solches Produkt Zwangspreis hatte und ein dazu zu verwendender Hilfsstoff ein natürlich (höhere) Produkt gar nicht herzustellen war. Daher tägliche Menge Gegenstände bald vom Maximum auszunehmen, bald ihm zuzusetzen.

1) Hier läßt Lassalle hinter einer Seite, die bis unten vollgeschrieben ist, die letzte Seite eines Bogens weiß.

-) Jean Marie Collot d'Herbois (1752 ^1796), Schauspieler, Volksredner, be- antragte als KonventsmitgHed die Einführung der Republik.

^) Jean Nicolas Billaud-Varennes (1756 1819), Leiter des Jakobinerklubs, Teilnehmer an den Septembermorden, Präsident des Konvents in der Schreckens- zeit, Mitglied des Wohlfahrtsausschusses.

*) Die Abkürzung könnte auch als ,,ver\virkhcht" entziffert werden.

151 =

Komitee suppleierte allein durch die Gewalt. So als Anfang [?] die wandernden Schnitter, die Bäcker und FleischergeseUen höheren Lohn forderten, Komitee erklärt alle bei den Arbeiten der Ernte sonst ver- wandten Bürger und Bürgerinnen, alle Arbeiter und Gesellen, die zu Bereitung und Transport der matieres de premiere necessite verwendet, in Requisition. Komitee suppleierte allein durch die Gewalt. Übrigens unendliche Tätigkeit, um allgemeinen Wohlstand besonders in bezug auf Ackerbau zu heben; künstliche Wiesen einrichten, Zucht anstalten für Vieh, botanische Gärten, Baumschulen aller Art, Ackerbauschulen, Austrocknung der Moräste auf Staatskosten, die Schlösser abtragen und aus dem Material Dörfer bauen.)

Wie gesagt, Spaltung ins Komitee selbst gekommen, die nicht mit Unrecht fürchteten, daß Robespierre das Gesetz vom Prairial gegen sie geschmiedet habe. Frankreich fing an, des Schreckens müde zu sein. Er hatte Großes geleistet. Robespierre, der trefflich ihn zu entfesseln verstanden, verstand nicht ihn anzuhalten. Klar daß das Regiment des Schreckens nur durch eine Erhebung gegen Robespierre zu enden war, und zu einer dauernden Staatsinstitution durfte es ^) nicht werden I

Jede Partei wußte andere ihr zuvorkommen. Der Konvent vielleicht nicht gewagt, aber Kommune selbst. Und Siege nach außen von Fleurus,^) Charleroi,^) Eroberung Belgiens, Vereinigung der Armeen in Brüssel; hierdurch hörte Schrecken auf, notwendig Robespierre fürchtef*) selbst. Thiers, ib. S. iio.

Endlich 8. Thermidor (26. Juli), Thiers IV, S. 114. Greift sogar Cam- bon an (Milde), dessen Antwort ib. S. 119.

Rückbhck. Viel Unparteilichkeit geübt, wie Geschichtschreiber zu- kommt.

Robespierre nicht blutdürstig von Charakter. Gesetzgeber Menschen usw. Walten des Prinzips, wenn auch nicht zum Selbstbewußtsein ge- kommen. Uneigennützigkeit au nom de qui. Die niedere Volksklasse (was wir heute Arbeiterpartei nennen würden) mit Robespierre geherrscht. Wie in den Girondisten die kleine Bourgeoisie vertreten. iMit dem Thermidor kömmt die Bürgerklasse wieder zur Gewalt, jetzt durch die terreur. Größere terreur 8 bis 10 000 guillotiniert während des wirk- lichen Terreurs 35 000 Robespierre in vier Departements nach 9. Ther- midor. Man sieht, wie wenig Berechtigung usw.

Vor der Revolution hatte der Adel, die Geburt, der große Grund-

1) Die beiden letzten Worte ließen sich nicht mit voller Sicherheit entziffern. -) Der französische Sieg bei Fleurus am 26. Juni 1794 zwang die Österreicher zur Preisgabe Belgiens.

*) Am 25. Juni 1794 fiel Charleroi in französische Hand. *) Das Wort ließ sich nicht mit Sicherheit entziffern.

. 152 =

besitz, das Prinzip des erblichen Unterschieds (Privilegiums) geherrscht. Mit der Revolution von 1789 fällt die Gewalt in die Hände der Nation, des dritten Standes. Aber es zeigt sich sehr bald, daß der dritte Stand selbst nicht eine Einheit, sondern aus zwfei Klassen zusammengesetzt war, die Besitzenden und Nichtbesitzenden. In wessen Hände war die öffentliche Gewalt übergegangen? 178g mit der Assemblee und Legis- lative in die des Besitzes, der Bourgeoisie. Ihr Prinzip läßt sich im allgemeinen kurz so zusammenfassen: Absolute Rechtsgleichheit der Individuen, unbegrenzte Freiheit derselben, alle in ihnen liegende Kräfte und Fähigkeiten zu entwickeln. Die hauptsächhchsten Formen, in denen dies Prinzip auftritt und die Welt umgestaltet, ist das der freien Konkurrenz. Der Krieg aller gegen alle um den einzig noch wertvoll gebliebenen Unterschied, um den materiellen Besitz. Indem so alle rechtlichen Unterschiede aufgehoben, der ungeheure faktische Unterschied des Besitzes und Nichtbesitzes aber gebHeben sind, muß diese individuelle Freiheit, die jeder hat, die in ihm liegenden Kräfte (Kapital, Besitz! unbeschränkt zu entwickeln, eine neue Herrschaft, eine neue Abhängigkeit, die der Nichtbesitzenden über die Besitzenden herbeiführen. Die Bourgeoisie gelangt also nicht dazu, ihr eigenes Prinzip, die Freiheit und Unabhängigkeit der Individuen, zu realisieren. Denn unter ihrer (?) Herrschaft ist diese Freiheit und Unabhängigkeit, die jedem Individuum als solchem zukommen soll, wiederum abhängig von dem Zufall des Besitzes, des Kapitalbesitzes. ^) Bildung Behaup- tung im Kampf der Konkurrenz. Das größere oder kleinere Kapital des Kapitalisten oder die KapitaUosigkeit, das ist das Faustrecht der Bourgeoisie, wie der stärkere oder schwächere Arm usw.

Zugleich entsteht mit der Folge aus diesem alles verschlingenden Kampf der freien Konkurrenz, aus diesem Zustand, in welchem alle anderen Unterschiede geschwunden und der materielle Besitz als das allein Erstrebenswerte geblieben war, der Materialismus, das aus- schließliche Ringen nach materiellem Besitz, eine unbeschränkte Geld- und Genußsucht, der schrankenloseste Egoismus, das Verkommen der Menschen in die gemeinste Privatgesinnung, die Teilnahm- losigkeit am Staat, den öffentlichen Zuständen, an allen geistigen Gü- tern, die über den Quark des Privatbesitzes hinausgehen, die Käuflich- keit der Gewissen, die allgemeine Fäulnis und Korruption. 2) Es

^) Hier ließen sich zwei abgekürzte Worte nicht entziffern.

2) Vgl. hierzu des jungen Lassalle Brief (,, Kriegsmanifest an die Welt") an Arnold Mendelssohn, Alesander Oppenheim und Albert Lehfeldt vom September 1845 "1 Nachgelassene Briefe vmd Schriften, Bd. I, S. 2130. Dort nennt er als den Inhalt der Französischen Revolution: die Unabhängigkeit des Individuums. Der Zug des Subjekts, seine innere Unendlichkeit zu realisieren, verwirkliche sich

153 =

entsteht ferner, indem nun alle Kapitalien werbend ohne Unterlaß in dem Vergrößerungskampf der freien Konkurrenz angestrengt sind und der Erwerbsfähigkeit des Kapitalisten nirgends eine Schranke mehr gesetzt ist, die andere F'olge, daß in bei weitem rascherem Maße, als bis dahin auch nur denkbar war, die Kluft zwischen Besitz und Nicht- besitz sich ins Riesenhafte vergrößert. Nach dem Gesetz der Schwer- kraft gleichsam vergrößern sich die Kapitalien. Das Prinzip der Bour- geoisie hatte gelautet: Jeder ist frei zu erwerben, der Erwerb hängt nur von der freien Arbeitskraft des einzelnen ab. In der Tat ist das eine Illusion. Zum Erw^erben, Kapital, Arbeitsinstrumente, Rohstoff, Aus- lagen (alles das = Kapital). Also nicht von der Arbeitskraft, sondern davon, ob er Kapital vorfindet, hängt die Möglichkeit des Erwerbs für den einzelnen ab, und nur das Kapital erwirbt. Und dies stellt sich denn auch in der Geschichte so dar, daß die Individuen, welche die individuelle kapitallose Arbeitskraft vertreten, die Masse der Nichtbesitzenden, welche später sich als Partei der Arbeiter konstituieren, der Arbeiter zum Erwerbe, zum Besitze nicht gelangen kann, während auf der an- deren Seite das Kapital auch ohne Tätigkeit, ohne Arbeitskraft, sich ins Unendliche vergrößert. Dies ist der Kampf zwischen Arbeitern und Kapitalisten, der jeden Tag mit der größeren Bereicherung des letzteren, mit der Konzentrierung des Kapitals und dem Untergang des kleinen Besitzes endigt. Indem jetzt der einzelne nicht mehr aus sich selbst zum Besitze gelangen kann, indem er seine Kinder nicht mal in den Besitz der nötigen Kenntnisse setzen kann, um danach zu trachten, indem der lyohn bestimmt wird durch das Verhältnis von Nachfrage nach Arbeitern und Angebot von Arbeitern, das Angebot aber mit sehr kurzen flüchtigen Ausnahmen die Nachfrage übersteigen muß, reduziert sich der Lohn auf das zum Lebeiisunterhalt und [zur] Fortpflanzung Nötige und macht es der Arbeiterklasse schlechthin unmögUch, einen Besitz hinter sich zu

mit der Herrschaft der Bourgeoisie im Industriestaat. Der Geist begebe sich in die Knechtschaft der toten Materie, des Geldes: ,,Es entzündet sich somit der Zug nach der Realisierung seiner inneren unendlichen Freiheit, d. h. der Materialismus, der sich in der Industrie als das System der freien Konkurrenz organisiert, als mörderischer Kampf aller gegen alle." Ib. S. 215. In Lassalles Brief an Baron H. von Stücker vom Juli 1845, i^- S. 176 f., heißt es ähnlich: ,,Das Streben nach realisierter Freiheit ist der MateriaUsmus . . . Und daran entzündet sich das rest- lose Haschen und Ringen nach Besitz, der die wirklich gewordene Freiheit und Vollendung das Subjekt ist . . . Seitdem ist es die Industrie und der tiers-etat, der die Welt beherrscht . . . Der Kampf um das Geld, der sich als losgebundener Krieg aller mit allen im System der freien Konkurrenz organisiert, ergreift die ganze Welt." Doch schon damals behauptete Lassalle von diesem Prinzip des MateriaUsmus: ,,so sehr es die vSeele unserer Zeit genannt werden muß, so sehr hegt es schon in seinen letzten Züeen."

154 =

bringen;^) es entsteht so eine erbliche Klasse von Menschen, denen mit ihrer Nachkommenschaft und Familie schlechthin unmöglich wird, zu Besitz zu gelangen, die schlechterdings abhängig sind von der Arbeit, die sie finden, und zugleich der notwendigen Krisen halber, die im Wesen der modernen Industrie liegen, zeitweise keine Arbeit finden. Dieser neue erbliche Stand der von der Hand in den Mund liebenden ist der Stand des Proletariats.

Ehe aber diese Konsequenzen entstanden, die überall entstehen müssen, wo die Bourgeoisie zur Herrschaft kommt, geht die öffentliche Gewalt auf eine kurze Zeit in die Hände des Nichtbesitzes über. Gesehen, daß trotz der Revolution keine Gleichheit (Zensus oder Herr- schaft. Champ de Mars). Begünstigt von den äußeren Umständen, welche der höchsten Gefahr wegen eine größere Energie erforderten, als die Besitzenden aufbieten konnten, reißt diese Klasse der Nichtbesitzen- den die Regierung an sich. Das ist die Austreibung der Girondisten, die Herrschaft der Montagnards, Sansculottes, Robespierre, Terreur. Das Prinzip der Nichtbesitzenden ist die Solidarität der Indivi- duen und aller ihrer Interessen.

Wir haben gesehen bei Betrachtung der Zünfte und Innungen, wie im Mittelalter das Prinzip der Solidarität usw. aber der ständischen. Das humane Band, die sittliche Einheit lag hier nicht im Menschen, sondern in der beschränkten Idee der gleichartigen Beschäftigung, daher Schneider und Schuster solidarisch, war nichts als ein anderer häßlicher Egoismus und ihm gegenüber Prinzip der individuellen Freiheit berech- tigt. — Jetzt 1793 menschliche Solidarität (erinnere an die decla- ration des droits von Robespierre, ,,Societe ^) opprimee", , .Unentgelt- lichkeit des Unterrichts", ,, Recht auf Arbeit", ,, Oberhoheitsrecht des Staates über Güter des einzelnen", Maximum usw.).

Aber theoretisch und praktisch Lage der Dinge noch nicht reif!

Der Protest der Nichtbesitzenden gegen die Herrschaft des Besitzes war nur noch in der Form des Hasses vorhanden. Die Nichtbesitzenden haßten die Ungleichheit, welche aus dem Besitz entsteht; sie waren nicht dazu gekommen, das Eigentum selbst als die Quelle dieser Un- gleichheit anzugreifen, sie waren nicht dazu gekommen, [sich über] den Entstehungsprozeß jener Ungleichheit, den Privaterwerb klar [zu

1) Hier zuerst formuliert Lassalle sein ,, ehernes Lolmgesetz". Vgl. dazu später: Offenes Antwortschreiben, Zürich 1863, S. 15 21; Arbeiterlesebuch, Frankfurt 1863, S. 5 18; Die indirekten Steuern und die Lage des xlrbeiterstandes, Zürich 1863, S. 41 49, und HeiT Bastiat-Schulze aus Delitzsch, Berlin 1864, S. 95 ff., und a. a. O.

*) Hier war eine Abkürzung nicht zu entziffern. Vielleicht sollte es ,,est" heißen.

= 155 =

werden]. 1) Es nützte nichts, den Reichen zu köpfen und seine Güter zu konfiszieren. Aus dem Privaterwerb mußte sich dieselbe Ungleichheit immer wieder von neuem entwickeln. An dieser Unklarheit mußte die Terreur zugrunde [gehen], an einem oder dem anderen Tag Robes- pierre stürzen. Kaum ist er gestürzt, als die Mittelklasse schonungsloser denn je die öffentliche Gewalt ergreift. Uuxus, Frivolität, Börsenspeku- lation, Agiotage erheben ihr Haupt; in der Konstitution von 1795, die derselbe Konvent gibt, ein Zensus wieder eingeführt; geringe Volk aus- geschlossen. Die jeunesse doree Jakobiner verfolgt usw.

Kaum aber hat die besitzende Mittelklasse die Herrschaft ergriffen, als sich andererseits die Nichtbesitzenden zuerst ihres Prinzips klar be- wußt werden und den Gedanken aussprechen, der dem Sansculottismus unklar zugrunde gelegen hatte. Schon 1795 bricht die Klasse der Kichtbesitzenden, durch wenige kühne Männer vertreten, in den Satz aus; das Privateigentum, der Privaterwerb ist die wahre Quelle der Unfreiheit und Ungleichheit. Dies ist die Kommunistenverschwörung Babeufs 1795.

Aber auch jetzt [war] weder theoretisch noch praktisch [die] Lage reif. Noch gab es nicht einmal ein Proletariat. Dieses .sollte und mußte erst durch die große Industrie erzeugt werden, die eben erst ihre Arbeits- werkzeuge, die Maschinen, entdeckt hatte. Noch gab es keine große Industrie und deshalb keine wirkliche Kenntnis und Wissenschaft der Nationalökonomie, die sich gleichfalls erst durch die Praxis der großen Industrie entwickelte; noch gab es keine große Industrie und darum auch den Gedanken der Organisation der Arbeit noch nicht. Aus allen diesen Gründen war der Babouvismus eine theoretisch unreife Gestalt, der zu dem Naturzustand Rousseaus [zurückkehren], zur Ra- sierung der großen Städte, zur Vernichtung der Bildung, zur Armut eines reinen Ackerbaulebens rückkehren wollte ; von der anderen Seite fand er noch kein eigentliches Proletariat, somit keine Armee vor. Wie sich Proletariat aus der großen Industrie entwickelt, später zu sehen.*)

1) Hier fällt Lassalle aus der Konstruktion. Bei ihm heißt es: ,,klar geworden". -) Eine Fortsetzving fand sich nicht.

Reiseberichte aus dem Orient

Zur Einführung

Für das Freundschaftsverhältnis I^assalles zu Sophie von Hatzfeldt war das Jahr 1856, wie der Leser des vierten Bandes dieser Publikation weiß, ein besonders stürmisches. Die Ära der Prozesse, die ihn zur an- haltenden, täglichen Beschäftigung mit den Angelegenheiten der Gräfin zwangen, war vorüber, und er selbst kehrte zu seinen eigenen wissen- schaftlichen Arbeiten zurück. Aber zugleich sehnte er sich aus dem stillen Düsseldorf hinweg, und die zu enge Hausgemeinschaft mit der Freundin lastete auf seiner Seele. Ihr zuliebe hatte er sich bis dahin ge- sträubt, dem Drängen seines Schwagers nachzugeben, der ihn sich als Begleiter auf einer Reise nach dem Orient wünschte. Auch jetzt konnte er sich nicht entschließen, die Freundin zu verlassen; er schrieb Fried- land, wie er selbst meinte, endgültig ab und fuhr lieber, erfüllt von der Hoffnung, daß im Anblick der Erhabenheit der Berge ihr altes reibungs- loseres Verhältnis sich wiederherstellen werde, mit der Gräfin in die fran- zösische Schweiz. Doch die Gereiztheit, die sich zwischen ihnen fest- gesetzt hatte, begleitete sie auch an den Genfer See. In Vevey kam es am Ende zu einer so häßlichen Szene zwischen ihnen, daß I^assalle, um ihre alte erprobte Freundschaft zu retten, nunmehr eine längere Trennung für unvermeidlich, ja für geboten erachtete. So eilte er jetzt von der französischen Schweiz stracks nach Prag, wo seine Eltern eben bei seiner Schwester zu Besuch weilten, und schloß sich in letzter Stunde doch noch dem Schwager an, der in Begleitung zweier Be- kannter, eines Großindustriellen und eines Violinkünstlers, eben nach dem Orient aufzubrechen im Begriffe stand. Ausreichende Vorberei- tungen für eine solche, in jener Zeit ganz anders als heute beschwerliche Reise zu treffen, fehlte ihm dabei die Möglichkeit.

Was die mehrmonatliche Trennung, die nun folgte, für lyassalles Ver- hältnis zu Sophie von Hatzfeldt bedeutete, ist an einer anderen Stelle dargelegt worden. ^) Auch private Briefe, die I^assalle von der Reise aus den Eltern und der Freundin schrieb, und aus denen deutlich wird, wie er in der Ferne im Gefühl vollster Zugehörigkeit an die Gräfin dachte,

1) Vgl. Bd. IV, Einführung S. 20 ff.

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fanden bereits in früheren Bänden ihren Platz. ^) Was hier folgt, sind die eigentlichen Reiseberichte, die er für die Eltern und die Freundin gemeinsam schrieb. Die Blätter sollten, so wünschte er, zuerst nach Breslau und dann an die Gräfin gehen, damit diese sie hernach für ihn aufbewahrte. Auch bestimmte er, daß sie dem engsten Kreise seiner Düsseldorfer Freunde, namentlich Bloem und Kichiniawy, zugänglich gemacht würden. Lassalle selbst scheint auch später noch einigen Wert auf diese Aufzeichnungen gelegt zu haben. Als Marx ihn 1861 in Berlin besuchte und er seinen Gast mit Beweisen des Vertrauens überschüttete, wünschte er, daß der vermeintliche Freund auch diese Reisebriefe läse. Marx mochte unter Lassalles Dach nicht mehr dazu gekommen sein ; er nahm sie nach London mit, und sie blieben bei ihm. Als er sie aber nach i^ 4 Jahr noch nicht zurückgeschickt hatte, ersuchte Lassalle ihn im Juni 1862, sie an Lothar Bucher zu verabfolgen, der sie ihm nach Berlin zurückbringen sollte.

Der Inhalt dieser Reiseberichte spricht für sich selbst. Sie geben ein überaus anschauliches Bild von den kulturellen und politischen Zustän- den Serbiens, Rumäniens und der Türkei unmittelbar nach dem Ende des sogenannten Krimkrieges. Den politischen Ansichten, die Lassalle hier äußert, begegnen wir wohl auch sonst in seinen Schriften, namentUch seiner starken Abneigung gegen die Habsburgische Monarchie, die er als den Hort aller Reaktion und Unkultur in Europa ansieht, seiner Sympathie für die Ungarn, seinem Glauben an die kommende europäische Revo- lution, seiner Hochwertung des deutschen Arbeiters. Indem er diesen als eine Göttergestalt dem schmutzigen walachischen Bauern entgegen- stellt, gibt er dem ,, großen Kampf", der jetzt Europa von einem Ende zum anderen durchzucke, die denkwürdige Formulierung, ,,ob der deutsche Proletarier zur Existenz und Kulturstufe des Walachen ge- waltsam zurückgedrängt werden, oder das innere Menschentum, das er sich erobert hat, auch äußerlich entwickeln und realisieren können soll." In welchem Geist Lassalle selbst sich diese Frage beantwortet dachte, darüber brauchen wir uns keinem Zweifel hinzugeben.

Erster Bericht

(Original)

Gnädige Frau,

Der Ordnung wegen, weil ich meine Briefe teils an Sie, teils an die Eltern schicke, will ich dieselben numerieren. Und beginne also heute meinen ersten Reisebericht.

In Semlin, gegenüber von Belgrad, Sonnabend den 28. September.

1) Bd. II Nr. 54 und Bd. IV Nr. 20 bis 27.

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Noch an demselben Tage, an dem ich Ihnen von Prag aus schrieb, flog ich mit dem Nachtzuge der ungarischen Grenze zu. Es verlohnt sich nicht, etwas Näheres über die Fahrt bis Pest zu sagen. Weite Ebenen, teils Heideland, teils mit türkischem Weizen bepflanzt, manchmal, wie die Mitreisenden versicherten, den Pusten im Innern schon ganz ähnlich, hin und wieder von Pferden begrast, eine Gegend, die durch ihre Ein- förmigkeit ermüdet. Nur die historischen Namen der Orte, an denen man hielt, oder vorüberflog, I^undenburg, wo die Ungarn im Herbst 1848 jene entscheidende Deputation i) die sie nach Wien geschickt, empfingen und die rote Feder aufs Barett drückten, Gran und Waitzen, welche noch die letzten Waffentaten des Krieges, den Ausfall Klapkas,^) mit ange- sehen, flößten mir höheres Interesse ein und erregten eine gewisse ele- gische Stimmung. Bei Gran sah ich im Vorüberfahren den auf einem Hügel gebauten, weithin auf das ebene Land herabschauenden neuen Dom mit seiner freilich im Kleinen der Peterskirche nachgeahmten Kuppel. Um drei Uhr trafen wir in Pest ein, wo mich Friedland^) infolge vorausgeschickter telegraphischer Depeschen auf dem Bahnhof erwar- tete. In Pest traf ich nun auch meine Reisegesellschaft, mit der ich Sie vor allen Dingen bekannt machen muß. Sie besteht außer Friedland aus Herrn Seeling, einem äußerst liebenswürdigen und gebildeten jungen Künstler (Pianist), der lange in Italien gelebt hat, und gleichfalls, wie ich von Friedland dazu beredet, nach dem Orient geht, um seine etwas schwache Brust durch die dortige Duft zu restaurieren. Ferner Herr Ludwig Haase, der industrielle Löwe von Prag, Besitzer der ,, Prager Zeitung" und vielfacher Fabriken, von Dampfmaschinen, Papier usv/., ein Mann, der klein, hager, ganz Sehne, wie aus Eisen gegossen, mit einer diesem Naturell entsprechenden Energie begabt, mit einer großen Intelligenz und umfassenden Kenntnissen ausgerüstet. Es führt ihn, wie ich glaube, das unbestimmte Verlangen nach dem Orient, zu den Millionen, die er dem Okzident abgenommen hat, noch einige auf irgend- welche Weise dem Morgenland entrissenen hinzuzufügen. Weiß er auch vielleicht noch nicht genau, wie er dies anfangen wird, so läßt sich doch daran nicht zweifeln, daß er es durchsetzen wird. Dazu kommt endlich Friedrich, der Diener von vier Herren, ein junger Mann mit sanften blauen Taubenaugen, und wenn ich noch hinzufüge, daß sich Herr Seeling durch eine äußerst angenehme Gesichtsbildung, eine interessante Blässe

^) I<assalle meint die ungarische Reichstagsdeputation, die am 9. September 1848 in Schönbrunn von Kaiser Ferdinand empfangen wurde und keine sie be- friedigenden Zugeständnisse erhalten hatte.

2) Georg Klapka (1820 1892), der ungarische Revolutionsgeneral, der die Festung Komom bis ans Ende tapfer verteidigt und dabei Ausfälle gemacht hatte.

3) Ferdinand Friedland, Lassalles Schwager, mit dem gemeinsam er die Reise unternahm.

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und einem mit ausnehmender Sorgfalt gepflegten Napoleonsbart, Herr Haase aber durch eine gleichsam sein übergreifendes Kraftgefühl symbo- lisierende Nase auszeichnet, welche ingrimmig in die Welt hinausschaut und diese gleichsam mit offenem Trotz zu einem Zusammenstoß heraus- zufordern scheint , so wird einstweilen das Porträt der Karawane deutlich genug vor Ihren Blicken stehen.

In Pest blieben wir noch zwei Tage, den Tag meiner Ankunft ein- gerechnet. Es ist eine der prächtigsten Städte, die ich je gesehen habe, und was ihr einen besonders eigentümlichen Charakter gibt, ist diese erste Vermittlung von Morgenland und Abendland, die jeder von Westen kommende schon in ihr wahrnehmen wird. Prachtvolle Gesichter, be- sonders die Weiber. Wir sahen die Kettenbrücke, beide Theater, das deutsche und magyarische, von denen sich besonders das letztere durch prachtvolle Ausrüstung auszeichnet, hörten im Hopfengarten die wilden Klänge des Cymbal von Zigeunern, die aber leider im Frack waren, was freilich alle lUusion unangenehm störte kurz, wir machten durch, was irgend durchzumachen war. Friedland traf einen Oberstleutnant, mit dem er sehr befreundet ist (von Albinski), sowie einige andere Militärs, die sich in dessen Gesellschaft befanden, und so kam es denn, daß meine polizeiwidrige Persönlichkeit die Diners und Soupers stets mitten unter Uniformen zubrachte, was mir manchmal ganz komisch vorkam.

In Pest hatte ich, wie meine Reisegesellschafter auch, noch allerlei Dinge anzuschaffen. Es ist merkwürdig, was man alles zu einer solchen Reise für Vorbereitungen braucht. Man wird gar nicht fertig. Ich bin sehr schlecht ausgerüstet, habe nicht den dritten Teil der Dinge, die ich eigentlich notwendig haben müßte, und dennoch habe ich wie in Prag so auch in Pest wieder sehr viel Geld auf allerlei Anschaffungen ver- wenden müssen. Endlich war alles so weit, wir nahmen Dampfschiffs- billette bis Galacz, die uns aber überall auszusteigen und die Reise in beliebigen Zwischenräumen fortzusetzen gestatten, und erhielten eine besondere Kabine bis Semlin und traten Mittwoch früh unsere Reise an. Wer Ihnen gesagt hat, die Donauufer seien schöner als die des Rheins, hat Ihnen arg mitgespielt, es ist bis hierher das Trostloseste eigentlich, was man sehen kann. Von beiden Seiten des Stroms Überschwemmimgs- land, an das sich die weiten Heiden und Pußten reihen, ganz niedrige, absolut flache Ufer, meistenteils so weit das Auge reicht, keine Er- höhung, kein ordentlicher Baum, nichts als niedrige Weiden, das ist alles, was man bis Semlin zu Gesichte bekommt. Mir ist alles dabei ein- gefallen, was ich in Beschreibungen von den amerikanischen Steppen gesehen habe. Und obgleich wir doch fast zwei Tage den ganzen Mitt- woch und Donnerstag bis Mittag fuhren nicht der geringste Wechsel.

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Die trostloseste Dieselbigkeit, die man sich denken kann. Jede Strecke gleicht bis zum Verwechseln der vorher durchfahrenen. Das einzige, was diese Öde angenehm unterbricht, sind die Städtchen und Flecken, die mit ihren weißen Mauern von Zeit zu Zeit auftauchen. Merkwürdigerweise sind fast alle ziemlich weit vom Flusse gebaut. Während alle anderen Nationen stets sich unmittelbar an den Flüssen anzubauen liebten, hat der rosseliebende Magyar, wie es scheint, sich immer nur mitten in der Heide wohlgefühlt. Denn die Rücksicht auf Überschwemmungen er- klärt die große Entfernung der Städte vom Ufer nicht. Einen groß- artigen Anblick bot Peterwardein da, hart an der Donau gelegen, welche daselbst eine Krümmung macht, und deshalb von weitem einer Insel gleichend. Selbst diese fabelhaft starke Festung hatte sich zuletzt den Ungarn ergeben müssen. Es ist alles klassischer Boden, über den man kommt und an dem man vorbeikommt.

Was das Ivcben auf dem Dampfschiff betrifft, so ist es ganz angenehm, wenn man seine eigene Kabine hat. Ohne solche muß es schwer auszu- halten, die Nacht aber ganz unerträglich sein. Freilich hatten wir nur eine ganz kleine Kabine, in die wir alle vier zusammenhockten. Waren wir sämtlich drin, so war es schwer aufzustehen. Auf dem Verdeck ist es prächtig, aber nur wenn das Wetter schön ist. Und wir hatten einen sehr windigen Tag. Auf dem Schiff befand sich der griechische Bischof von Bukarest, der sich beiläufig eines Einkommens von 25 000 Dukaten erfreut. Verlöre er aber auch einmal dasselbe, so würde er sich immer noch in Düsseldorf sein Brot verdienen können, wenn er den dortigen Malern Modell sitzen wollte ; einen so schönen Kopf und merkwürdigen Bart besitzt derselbe.

Auch eine Bojarin aus Bukarest war auf dem Schiffe, eine alte leb- hafte Frau, die viel gereist, unter anderem auch in Berlin gewesen ist. Wir befreundeten uns mit ihr durch das Medium der französischen Sprache, denn Herr Seeling beabsichtigt in Bukarest ein Konzert zu geben. Wir haben uns überhaupt vorgenommen, den Orient auf jede Weise unter unsere Botmäßigkeit zu bringen. Herr Seeling fängt damit an, ihn durch die Macht der Töne zu bezaubern. Daß er aber nicht etwa bei leeren Wänden zaubert, dazu kann die Bukarester Dame wohl auch nützlich sein, sonst war mit Ausnahme unsrer selbst die liebenswür- digste Persönlichkeit auf dem Schiff der Kapitän, den wir gleichfalls bezauberten, nicht zwar durch die Macht der Töne, sondern dadurch, daß wir mit ihm Karten spielten und Champagner tranken. So bezaubert und hingerissen war er zumal durch letzteres, daß er uns beinahe in Semlin nicht vom Schiff gelassen hätte. Durchaus sollten wir die Fahrt weiter mit ihm machen. Wir schwankten wirklich und wären der freund- lichen Gewalt, mit der er uns bestürmte, beinahe gewichen. Dreimal be-

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schlössen wir mitzugehen, dreimal wieder in Semlin zu bleiben um Belgrad zu sehen. Endlich siegte letzterer Beschluß.

Wir stiegen also Donnerstag mittag drei Uhr bei Semlin aus und begaben uns in das Hotel zum I^öwen. In Semlin sollten wir unser erstes Reiseabenteuer erleben. Der Okzident, von dem wir Abschied zu nehmen im Begriff waren, wollte uns hier seine Polizeinatur noch einmal so lebhaft als möglich ins Gedächtnis rufen, um uns die Auffassung seines charakteristischen Gegensatzes zum Orient zu erleichtern und uns, falls wir in demselben einmal schmerzlichst die europäische Zivilisation ver- missen, durch die Betrachtung indulgent zu machen, daß wir mit der- selben doch auch europäische Polizei im heutigen Sinne des Wortes ent- behren. Semlin ist, wie Sie wissen, ein Hauptort der Militärgrenze, ^) die sich einer besonderen militärisch-polizeilichen Organisation erfreut. Um nach Belgrad hinüber zu dürfen, muß man das Visum der Semliner Polizei- und Militärbehörden einholen. Wir begaben uns auf das Platz- kommando. In dem ersten Zimmer wird das polizeiliche Visum erteilt. Die Polizeiverwaltung steht unter dem ältesten Rittmeister der Gar- nison. Im zweiten Zimmer erfolgt das Visum des Platzkommandos selbst. Sonderbarerweise trugen die Pässe der Herren Haase und Seeling die Klausel: „Mit Ausnahme von Serbien". Es ist trotz aller eingezogenen Erkundigungen noch nicht recht klar geworden, weshalb diese Klausel in die Pässe gesetzt worden. vSie hat aber keinesfalls einen persönlichen Grund, sondern scheint üblicher Stil zu sein, und in den besondern poli- tischen Verhältnissen Serbiens zu beruhen. Haase hatte übrigens seinen Paß nicht wie wir nach Semlin sondern noch dazu gleich nach Bukarest visieren lassen. Unglücklicherweise war er auch noch der erste, der den fungierenden Rittmeister anredete. Abwechselnd blickte dieser von der verdächtigen Klausel des Passes ,,mit Ausnahme Serbiens" in die nicht minder verdächtige konfiszierte Physiognomie Haases, und da er sich aus beiden nichts Tröstliches entnehmen konnte, brach er in der rücksichts- losesten Weise los. Er nannte es eine maßlose ,, Keckheit", daß Haase nach Serbien wolle, während sein Paß es ihm verbiete, eine ,, strafbare Keckheit", daß er schon in Semlin ausgestiegen, während er sich doch in Pest den Paß habe nach Bukarest visieren lassen. Er ging von der Anschauung aus, daß dieses Visum die Wirkung eines Zwangspasses habe und Herrn Haase nötige, direkt und ununterbrochen wie eine Kanonen- kugel von Pest bis Bukarest zu dringen. Er erklärte, daß er eigentlich Haase wegen ,, Übertretung seines Passes" verhaften lassen müsse, und

1) So hieß der vom Adriatischen Meer bis Siebenbürgen sich erstreckende schmale L,andstrich im Süden Ungarns, der die Grenze gegen Dahnatien, Bosnien. Serbien und Rumänien bildete und 1849 zu einem eigenen Kronland erhoben worden war.

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brachte das alles in einer Weise hervor, als wenn er es mit einer herein- streifenden Zigeunerbande zu tun hätte. Allen seinen Ausfällen setzte Haase die größte und höflichste Bescheidenheit entgegen. Nur das in- grimmigere Erröten und sich wie in einem innern Kampfe abwechselnde Zusammenziehen und Ausdehnen seiner Nase bewies, was in seinem gepreßten Innern vorging. Jetzt intervenierte Friedland; er ersuchte den Mann zu bedenken, daß er es mit keinem Vagabunden sondern einem der größten Industriellen Prags zu tun habe. Zur besseren Imponiertmg zeigte er dem Manne seine eigenen Papiere vor, ein offenes Kreditiv des Handelsministeriums an alle österreichischen Agenten und ein Schreiben des Erzherzogs an den Internuntius. Aber der kam schön an! ,, Seien Sie nicht so dreist, seien Sie nicht so keck, seien Sie nicht so anmaßend" war aUes, was ihm seine Intervention eintrug. Und als wir alle vier den Mann zu besänftigen suchten, wies er diesen Versuch mit dem höchst schmeichelhaften Vergleich zurück, „wenn vier Hunde auf einmal ein- dringen, so muß allerdings das größte Wild erliegen". Obgleich die Sache mich nicht persönlich betraf, war meine Geduld bereits der Erschöpfung nahe ; ich war im Begriff, dem Manne nach derselben Theorie zu begegnen, die mir so oft in ähnlichen Fällen gute Dienste getan hat. Allein Fried- land hielt mich zurück, und wenn ich es auch um so eher konnte, als mein eigener Paß ganz in Ordnung war und ich als Preuße am wenigsten Veranlassung hatte, auf den Herrn besondere Rücksicht zu nehmen ein Umstand, der auch ihm nicht entging und ihn einerseits bewog, mich verhältnismäßig am wenigsten grob zu behandeln und andererseits mir die Worte zuzuadressieren ,,und auch Sie, obgleich (?!) Sie Königlich Preußischer Untertan sind, werden hier nichts ausrichten" so hielt ich mich doch nicht befugt, die Schwierigkeit, das Visum für meine Freunde zu erlangen noch durch Grobheit etwa zu vermehren, versuchte vielmehr mit den anderen den Mann zu besänftigen, um, wenn das Feuer seines Zornes verraucht sei, das Visum doch noch gütlich zu erhalten. Endlich beruhigte er sich auch ein wenig, aber das Visum erhielten meine Freunde nicht. Bemerken muß ich, daß der Hauptmann und Leutnant im benach- barten Zimmer, die die Szene mitangehört, ihren Unwillen über dieselbe nicht verbargen. Sie rieten uns, uns an den Oberstleutnant zu wenden. Wir eilten in den ,,Radetzky", ein Bierhaus, wo wir den Herrn trafen, mit ihm ein Glas Bier tranken und unserm Unwillen Luft machten. Er war selbst über den Vorfall sehr entrüstet, versprach die Einleitung einer strengen Untersuchung, erklärte aber, eben deshalb das Visum nicht erteilen zu können, sondern riet P'riedland, beim Generalkonsul in Belgrad die nötigen Schritte zu tun. Tags darauf fuhren also Friedland und ich denn nur wir waren en regle nach Belgrad. Die anderen Herren blieben in Semlin zurück. Besonders spaßhaft und zu interessan-

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ten Betrachtungen veranlassend war mir der Umstand, daß ich nicht die geringste Schwierigkeit gehabt, während meine unverdächtigen Reisegefährten diesen Trakasserien unterworfen waren. Ein Beitrag mehr über die große Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit des europäischen Paß Wesens.

Belgrad, die Hauptstadt Serbiens, liegt hart am jenseitigen Donau- ufer beim Einfluß der Save in die Donau, Semlin schräg gegenüber. Da Friedland versäumt hatte, das militärische Visum auf seinen Paß setzen zu lassen, wurde er am Dampfschiff, welches die Überfahrt bewerkstel- ligte, zurückgewiesen, und wir waren genötigt, nach Einholung dieser Formalität eine Barke der kaiserlich königlichen Donauflottille zu neh- men, die uns in einer halben Stunde hinübertrug. Wir landeten mit großen Erwartungen. Es war das erste Stück Orient, das uns zu Gesichte kommen sollte. Aber unsere Erw'artungen sind noch übertroffen worden. Dieses Gewimmel der absonderlichsten, malerischsten, von der buntesten Farbenpracht strahlenden und dennoch geschmackvollsten, die Körper- schönheit überall unterstützenden und hervorhebenden Trachten vermag ich nicht zu beschreiben. Dazu die klassischen Gesichter dieser Ivcute, die scharfgeschnittenen Nasen, die feuerspeienden Augen, die herrlichen Profile es war ein Genuß, durch die bergigen, schlecht gepflasterten Straßen Belgrad [s] zu wandern, ein Genuß, der den prachtvollsten Mas- kenball der Pariser Oper weit übertrifft. Friedland begab sich auf das Generalkonsulat, ordnete da mit Hilfe seiner Papiere, die hier natürlich besser gewürdigt wurden, die Angelegenheit unsrer Freunde, veranlaßte die sofortige Absendung eines Schreibens des Generalkonsulats an das hiesige Platzkommando und erhielt einen Bediensteten des General- konsulats zum Geleit, um uns die Sehenswürdigkeiten Belgrads zu zeigen. Zuerst führte er uns durch den Teil der Stadt, den die Spaniols bewohnen. So heißen hier die türkischen Juden. Sie sind, wie schon ihre Gesichtszüge deutlich beweisen, sämtlich maurischer Abkunft, Moreskenjuden. Es wäre umsonst, die Pracht der Gesichter beschreiben zu wollen, die man unter ihnen trifft. Streng antike Züge von afrikanischer Glut durch- lodert. Ich sah eine solche Moreskenjüdin dastehen, an der Schwelle eines ärmlichen Hauses, mit sehr entblößtem Oberleib, die alles übertraf, was ich an Schönheit in diesem Genre gesehen habe. Und dennoch meinte unser Führer, es gäbe viel schönere. Von da eilten wir in die eigentlich türkische Stadt, in den Basar und ließen uns in einem Kaffee nieder. Wir nahmen Kaffee, Friedland dazu einen Tschibuk, ich ein Nargileh. Wir verlebten hier eine Stunde, die uns einen unendlichen Genuß be- reitet hat, den aber niemand recht zu begreifen vermag, der nicht auch bereits einmal in einer ganz neuen Welt, unter vielen fremden Dingen, fremden Menschen sich befunden, unter Menschen, mit denen nicht

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einmal irgend eine Verständigung möglich ist, weil das Medium einer gemeinschaftlichen Zunge fehlt, und dennoch dabei erfahren hat, daß alle diese Fremdheiten und Barrieren weit überwunden werden von dem gemeinschaftlichen Bande, welches jeden gutgearteten Menschen an den andern bindet. Nirgends aber kann man das so erfahren wie im Orient. Im europäischen Kafifeehaus wie in der europäischen Welt nimmt nie- mand von dem ihm nicht \"orgestellten Notiz. Hier aber hatten wir kaum durch unser neugierig betrachtendes Wesen zu erkennen gegeben, daß wir Fremde seien, als uns die Türken mit einer Gutmütigkeit ent- gegenkamen, von der man bei uns keine Vorstellung hat. Wir konnten sie betrachten, betasten, ihre Kleider untersuchen, ich glaube, wir hätten sie am Schnurrbart ziehen können, und immer hätten sie uns mit dem- selben freundlich lächelnden Blick der Augen geantwortet. Unser Führer konnte einigermaßen als Dolmetscher dienen. Aber auch einer der Türken, ein Prachtkerl, der mit unterkreuzten Füßen seinen Tschibuk rauchte, konnte drei Worte deutsch, durch die er sich wiederholt mit uns zu ver- ständigen suchte. Bald war ein kleiner Auflauf um uns, wir waren eben- sosehr Objekte der Neugier für sie, als sie für uns. Ein gegenüberwoh- nender Seifensieder verließ seinen Kramladen und lernte von uns eine europäische Zigarre rauchen. Als wir am andern Tage mit unseren Freunden wieder in das Kaffee kamen, war jener Prachttürke, von dem ich eben erzählte, ein Rentier, der von seinen Revenuen lebt, nicht da. Da wir ihn unsern Freunden zeigen wollten, schickten wir den Wirt des Kaffeehauses ohne weiteres nach ihm. In der Tat erschien er auch sofort auf die bloße Meldung, daß die Herren von gestern ihn wiederzu- sehen wünschten. Wie er sich denn nun mit unterkreuzten Beinen hin- setzte, die Schuhe hatte er ausgezogen, und seinen Tschibuk in orien- talischer Ruhe in sich hineinzog, ergriff Herr Seeling, der sehr geschickt zeichnet, seinen Griffel und porträtierte ihn. Er schenkte ihm das Blatt, was ihm eine ausgezeichnete Freude machte. Ich habe übrigens hier gesehen, daß ich trotz meines Nargilehs zu Hause noch niemals ein Nargileh geraucht habe. Das Instrument ist ganz gut, aber ich habe es nicht zu rauchen verstanden. Es darf nicht, wie ich tat, in Weise einer deutschen Pfeife geraucht werden. Sondern der Rauch wird bis in den Magen gezogen. Man bewerkstelligt dies, indem man bloß mit sehr langen Zügen den Rauch einzieht, ohne abzusetzen und ihn von sich zu geben. Dabei muß sagen Sie dies Bloem^) das Wasser beständig schnürgeln. Auch vom orientalischen Kaffee hat man bei uns keine Vorstellung. Er wird übrigens, wenigstens in Belgrad, allgemein mit Zucker versüßt. Nur wird der Zucker nicht zum Kaffee gereicht, sondern auch er wird

^) Dr. Anton Bloem (18 14 1885), der mit ihnen befreundete Anwalt der Gräfin Hatzfeldt und Lassalles in Düsseldorf.

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mit demselben abgekocht. Mir hat dieser Kaffee vorzüglich geschmeckt. Er ist dem unsrigen unendlich überlegen.

Auch eine Moschee besah ich. Leider nicht während des Gottes- dienstes, und behalte mir daher die Schilderung derselben auf später bevor, wenn ich in Stambul solche werde gesehen haben. Was mir einen ganz eigentümlichen Eindruck machte, war der Ausrufer, der um zwölf Uhr von dem Minarett herab mit einer überaus klägelnden, näselnden, weinerlichen Stimme die Gläubigen zum Gebete rief. Es war wie ein Stück Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Nachmittags begab sich Fried- land nochmals zum Generalkonsul, stellte auch mich demselben vor, wir saßen einige Zeit auf seinem Balkon, der die Donau beherrscht, und fuhren um fünf nach Semlin zurück. Von dem ersten Tag in Semlin habe ich Ihnen noch vergessen zu berichten, daß ich eine Szene mit ansah, die mich an Becks ^) ungarische Schilderungen nicht undeuthch erinnerte. Als wir abends vom ,,Radetzky" zurückkehrten, hörten wir Musikklänge aus einem kleinen Hause an unser Ohr schlagen. Wir folgten den Tönen und traten in eine Schenke, welche von gemeinen Soldaten angefüllt war. An einem Tische saßen vier ^lusikanten, unter ihnen ein Zigeimer, und spielten A'ioline, Zither usw. Kaum eingetreten, zog uns der Wirt in ein benachbartes Zimmer. Wir glaubten, daß dasselbe besser möbliert und für Fremde von Distinktion eingerichtet sein würde. Es unterschied sich jedoch von dem ersten hauptsächlich nur dadurch, daß es ein Mäd- chen enthielt, zwar keine Zigeunerin, aber doch mit Zügen, die offenbar zigeunerliche Abkunft in irgend welchem Grade bewiesen. Ich ging nun wieder in das Soldatenzimmer zurück und kam zum großen Schreck meiner Freunde, besonders Friedlands, auf die Idee, den R.akoczy-Marsch") zu begehren, da ich denselben noch nie gehört. Friedland behauptete, die Soldaten würden uns hinauswerfen, es sei auch verboten, imd da er uns zwar sonst in Freud und Leid begleiten, an den Hinauswerf ungen. die uns aber noch zuteil werden könnten, nicht zu partizipieren gedenkt, zog er sich ins Hotel zurück. Die anderen blieben. Ich begehrte nun den Rakoczy, ließ dieses Begehren auch durch einige Soldaten, die ich mir durch Bier-Libationen geneigt machte, unterstützen, erlangte aber meinen Zweck nicht. Denn sei es nun Wahrheit, sei es, was wahrschein- licher, Furchtsamkeit, die Musikanten beteuerten, daß sie den Rakoczy nicht spielen könnten. Ich erreichte dafür am anderen Abend meinen Wunsch. Wir hatten den Platzleutnant, der sich uns während der Paß-

^) Karl Beck (1817 1874), deutscher Dichter jüdisch-ungarischer Abstani- nuing, der frühzeitig auch soziale Stoffe in Angriff nahm.

*) Der Nation almarsch der Ungarn, von einem unbekannten Komponisten , der in ihrer Revolution von 1848/49 ihre ,,ÄIarseillaise" und nocli längere Zci' danach streng verboten war.

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geschichte sehr freundlich bewiesen hatte, zum Souper eingeladen. Ich trug ihm meinen Wunsch vor, er erklärte mir, daß der Rakoczy aller- dings nicht verboten sei, wenn er auch eben nicht gern gehört werde, daß er übrigens, obwohl Slavonier, gleichfalls für diese Musik schwärme und versprach mir, eine Bande auftreiben zu lassen, die mir ihn andern Tags vorspielen solle. Ich solle ihn jedenfalls hören und wenn er die Militärmusik dazu kommen lassen müsse. Das war jedoch nicht nötig, denn sehr bald erfuhren wir vom Wirt, daß ein Zitherspieler im Orte. Er wurde geholt, und kaum hatte sich der größere Teil der anderen Gäste verzogen, als ich diese eigentümliche kriegerische und stets von einem gewissen elegischen Element durchzogene Musik zu hören be- kam. Der Hunyadymarsch ist übrigens, wenn auch weniger berühmt, doch nicht weniger schön. vSonnabend fuhren wir zum zweitenmal, diesmal mit unsern Freunden, die infolge der Intervention des General- konsuls einen Paß erhalten, nach Belgrad. Unsern Besuch beim Pascha und den Ausflug nach Topziha usw. werde ich Ihnen ein andermal schil- dern, denn ich muß zu Tische und dann sofort auf den Dampfer nach Orsova. Herzliche Grüße.

Geschlossen Sonntag, den 28. September, mittags.

Sonntag nachmittag auf dem Dampfschiff.

Ich eile, hier meinen ersten Brief zu schließen und ihn noch in Orsova zur Post zu geben, damit er die Kontumaz vermeide. Von den Kontumaz-Maßregeln ist nämlich noch das übrig geblieben, daß nicht mehr die Reisenden, wohl aber die Briefe von ihnen belästigt werden. Über dieses habe ich nur noch weniges hinzuztifügen. Bei unsrer zweiten Anwesenheit in Belgrad machten wir dem Pascha einen Besuch. Er empfing uns sehr freundlich und ließ uns auf dem Diwan Platz nehmen. Aber obwohl ein junger Mann von etwa sechsundzwanzig Jahren, hatte er etwas Totes und Stumpfsinniges in seinem Wesen. Die Unterhaltung, die wir machten, entsprach diesem seinem Naturell. Sie wurde in fran- zösischer Sprache, deren er mächtig war, geführt, bestand aber nur aus einzelnen Sätzen, welche ziemlich lange, unangenehme Pausen unter- brachen. Der Dolmetscher an seiner Seite war stummer Figurant. Bei der Einsilbigkeit der Unterhaltung hielten wir es nicht lange aus. Wir erhoben uns und empfahlen uns. Grade als wir das Zimmer verlassen hatten, sahen wir den Kaffee und die Tschibuki, die der Pascha für uns bestellt hatte, hineintragen. Es tat uns jetzt unsere Voreihgkeit sehr leid, denn wir hätten sehr gern einen Tschibuk bei ihm geraucht und eine vSchale Mokka bei ihm genommen. Aber wir konnten füglich doch nicht umkehren. Auch dem Pascha schien es leid zu tun. Denn er sah uns

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wiederholt aus dem Fenster nach. Aber sein orientalischer Anstand und seine Grandezza verhinderten auch ihn uns zurückzurufen.

Nachmittags fuhren wir in einer Equipage des österreichischen Ge- neralkonsuls nach Topziha, einem serbischen Institut, welches zugleich Strafanstalt und eine Art von Ökonomienormalschule für Zöglinge ist, welche daselbst umsonst unterrichtet und erhalten werden. Die Equipage war beiläufig zwar nicht unelegant von Aussehen, aber eine Art von Korbwagen, ohne Federn, denn solche vertragen serbische Wege nicht. Es sind entsetzliche Rippenstöße, welche man jeden Augenblick emp- fängt. Dagegen hatte mein Schwager die Genugtuung, daß alle Wachen vor uns das Gewehr präsentierten der Equipage des Generalkonsuls zu Ehren, die natürlich überall bekannt ist. Ich eile jetzt zu schließen, die drückende Hitze hat mich so ermattet, daß ich schon bis hierher nur mit großer Beschwerde geschrieben habe. Obgleich wir den 28. September schreiben, herrscht eine Temperatur, daß man froh ist, irgendwo sich in den Schatten retten zu können. Ich erfahre zum erstenmal seit zwei bis drei Tagen, was es mit der Temperatur des Südens auf sich hat. Dabei sind die Übergänge und der Wechsel der Temperatur so jäh und unvermittelt, daß man stets warm angezogen sein muß. In Belgrad er- lebten wir einen solchen Temperatur Wechsel, der mir schier unbegreiflich war. Es hatte eben noch eine Hitze geherrscht, die wahrhaft erschlaffend auf uns wirkte eine halbe Stunde drauf, und ich mußte, obgleich ich stets eine Flanelljacke und einen gefütterten Rock trage, der Kühle wegen auch noch den Paletot anziehen. Dennoch verzeiht man dieser Temperatur alles, wenn man die Weintrauben sieht und ißt, die sie zutage fördert. Am Genfer See sind sie wie Essig dagegen. Nun leben Sie wohl. Ich schwimme gen Orsova zu. Schon von Semlin aus werden die Ufer auf der serbischen Seite schöner, auf der österreichischen dagegen der alte Charakter. Wir passieren eben Panorsova, den Stabsort der banater Militärgrenze.

Adieu und herzliches Lebewohl

F. Lassalle.

Zweiter Reisebericht

(Original)

Bukarest, Sonntag, 5. Oktober 1S56. Hotel de Londres. Die Fahrt von Semlin bis Drenkowa ist von keinem höheren Inter- esse als die bis Semlin. Nach Drenkowa dagegen fängt die Gegend bereits an sich mehr und mehr zu heben. Zumal auf dem rechten türkischen Ufer steigen mit dichtem Laubholz bewachsene Gebirge in schönen Linien hervor. Der , .Papagei" endlich, wie ein mitten im Strom liegender, noch

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lierausragender Felsblock genannt wird, eröffnet die interessante Partie der Donau. Bald ist man an den Ruinen der Burgfeste Golubacz, die sich auf senkrechten Uferfelsen in gewaltiger Ausdehnung erhebt und eine große Rolle unter Türken wie Serben gespielt hat. Die steilen Felsenberge, welche nach Golubacz zu beiden Seiten der Donau liegen, haben die Eigentümlichkeit, daß sie allüberall in einer Höhe von sechzehn bis zwanzig Fuß Löcher und Höhlen zeigen, die jedoch nicht menschlichen Ursprungs sind, sondern durch irgendeinen Naturprozeß in dem Kalk- stein, aus welchem diese Berge bestehen, entstanden sind. Eines dieser Locher gleich unterhalb Golubacz ist die berühmte Golubaczer Mücken- höhle. Aus ihr kommen nämlich nach dem Glauben des Volkes die zahl- losen Mückenschwärme, welche im Frühjahr Rinder und Viehherden plötzlich überfallen, bedecken und sie, indem sie ihnen durch Nase und Mund in Luftröhre und Eingeweide dringen, töten. Bald gelangt man an den Izlasf eisen und die Izlasfälle. Die tosenden Wasserwirbel der Donau nehmen ihren Anfang. Das Interesse der Gegend erhöht sich noch eines- teils durch die bewunderungswürdige Klissurastraße, die, an Kühnheit und Großartigkeit des Baues kaum einer der großen Schweizerstraßen nachstehend, sich am linken (österreichischen, später walachischen) Ufer hinzieht, anderesteils durch die Erinnerung an jenes mächtige Volk, dessen kolossale Bauten hier Spuren zurückgelassen haben, die noch immer den Jahrtausenden trotzen. Die auf beiden Seiten sich zeigenden regelmäßigen, mit dem Meißel in die Felsen gehauenen Löcher sind Über- bleibsel der Römerstraße, die Trajan einst hier angelegt. Inschriften, die in den Felsen gehauen, an einigen Stehen noch angetroffen werden, zu- mal die berühmte Trajanstafel, geben die Namen der Feldherren und Legionen an, die hier ihre castra gehabt und die römischen Adler ge- schwungen haben. Endlich erreicht man den Kazan, die großartigste Uferpartie der Donau, einen Felsenengpaß von der Länge einer halben Stunde. Schauerlich steil steigen auf beiden Seiten die Felsen hinan. Auf einer Breite von fünfhundert Fuß ist hier das Bett der Donau eingeengt, die dadurch mit reißender Schnelligkeit durch die Enge hinschießt. Weit übertrifft dieser Paß an Großartigkeit alles, was den Rheinufern gegeben ist. Er erreicht an manchen Stellen fast die schauerliche Pracht des Vier- waldstättersees. Nur die Gletscher und Schneefelder fehlen und freilich auch die fabelhafte Höhe der Schweizerriesen, die sich in jenen Wunder- see neigen. Der höchste Gipfel, der Starbacz, auf dem rechten Ufer, ist nicht viel über zweitausend Fuß hoch. Was hierdurch dem Bilde an Großartigkeit gebrach, ersetzten aber zahllose Scharen von Steinadlern, die, auf den einsamen Felsen horstend, über unseren Häuptern hin und herflogen, Leben gebend der Wildnis und dennoch die Wildheit der Szene noch unendlich vermehrend. Auch durch den Kazan hindurch bricht

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sich, in einer Galerie hinansteigend, die Klissurastraße, und gerade in diesem Passe ist auf der rechten Seite die Trajanstafel noch sehr wohl lesbar vorhanden. Hat man den Kazan passiert, so erweitert sich auf einmal das Flußbett, und bald ist man in Orsova, der letzten öster- reichischen Grenzstadt, wo wir das Schiff verließen, um die benach- barten berühmten Herkulesbäder von Mehadia zu besuchen.

Wir eilten in das Gasthaus ,,Zum weißen Kreuz" in Orsova, nahmen ein schlechtes und noch erträglich schmutziges Diner ein, für das wir i fl. 20 kr. ä Person bezahlten, besorgten unser Visum, das uns hier mit großer Freund- lichkeit erteilt wurde infolge eines telegraphischen Avis, welchen sich der Oberstleutnant in Semlin zur Vermeidung einer ähnlichen Ritt- meisterszene nach Orsova abgehen zu lassen bewogen gefunden hatte, und saßen endlich in einem entsetzlich schlechten Bauemwagen (Zeiserle genannt), der uns nach Mehadia bringen sollte. Wenn ich sage, ,, entsetz- lich schlecht", so schildere ich mit historischer Treue den Eindruck, den uns der Wagen damals machte. Denn freilich ganz anders erscheint er uns jetzt, nachdem wir walachisches Fuhrwerk kennen gelernt haben. Die Fahrt nach Mehadia wird mir immer als eine der interessantesten, die ich bisher gemacht, im Gedächtnis bleiben. Die Gegend ist schön ge- nug. Die mit großer Sorgfalt gehaltene Straße läuft mitten durch grüne Weinberge. Von Zeit zu Zeit trifft man auf walachische Bauern, die aus den Weinbergen mit großen Trauben zurückkehren, die sie je eine an den beiden Enden eines dicken Krummholzes befestigen. Trauben von solcher Größe und Gewicht, daß sie zur Erde herabhängen und das starke Holz in der Mitte biegen. Von unbeschreiblicher Seltsamkeit ist das Ko- stüm der walachischen Bauernfrauen, die man hier beständig auf dem Wege trifft. Keine Spur mehr von der zierlichen schmucken Tracht der Serben. Ja ich behaupte kühn, daß das Federkostüm der amerikanischen Indianer nicht nur offenbar einem gebildeten Schönheitssinn weit mehr entspricht, sondern auch beinahe eine höhere Zivilisationsstufe zu be- kunden scheint. Körper und Kleidung starren gleichmäßig von dem dicksten, undurchdringlichsten, urweltlichsten Schmutz. Dicke schwarze Borstenknäule, die Stelle der Haare vertretend, dringen zu allen Seiten des Hauptes unter einem schmutzigen bunten Lappen hervor, der um dasselbe gewickelt ist. Die Kleidung besteht aus zwei Schürzen, eine hinten, von buntem, einer alten Pferdedecke ähnlichen, in viele lange Zoddeln endigendem Stück Zeuge, eine vorn, viereckig und von Leinen, das ehemals weiß war, aber eine unaussprechliche Mischfarbe angenom- men hat. Diese beiden Schürzen sind an der Seite nicht aneinander be- festigt. Erhebt sich der Wind, so schlägt er sie hoch in die Luft und läßt einen nackten Körper sehen, dessen Anblick hinreichen müßte, um der verhärtetsten Zvniker zu bekehren.

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Doch das alles war es nicht, weshalb ich diese Fahrt als so inter- essant bezeichnet habe. Wir fuhren tief in die Nacht hinein. PlötzHch bot sich uns ein Bild, dessen eigentümlicher Eindruck durch keine An- strengung der Feder wiederzugeben ist. Feuer steigen auf, wie mitten aus der Erde, ringend mit mächtigen Säulen schwarzen Rauches, bald unter ihm verschwindend, bald ihn besiegend und mit unglaublich grellem Lichte auf einen Augenblick alles beleuchtend, was sich ringsum befindet und was im Augenblick darauf nur noch mit großer Anstren- gung nach seinen äußersten Umrissen zu erkennen ist. Was in diesen grellen Beleuchtungsmomenten gesehen wird, sind Zelte, an deren Ein- gang das Feuer brennt, umlagert von wilden schwarzen, Nachtdämonen gleichenden Gestalten in dem wirrsten Durcheinander, halbnackt, oft mehr noch als das, Weiber mit nackten herunterhängenden Brüsten, auf jedem Arm ein Kind tragend, mit einem Leinwandfetzen statt aller Kleidung umhangen. Männer wie Frauen mit schwarzen Kohlenaugen und tiefbrauner ägyptischer Hautfarbe, gegen welche die glänzend weißen Zähne seltsam kontrastieren. Es ist ein Zigeunerlager, an dem wir uns befinden. Kaum hat uns die auflodernde Flamme diese Gestalten gezeigt, so verschwinden sie wieder unter den mächtigen Wirbeln schwarzen Rauches, um Visionen gleich im nächsten Moment wieder heraufzusteigen. Was den Eindruck des Bildes vor allem so grell, so unerlebt, so schauerlich, so phantastisch toll und einschneidend macht ist die Beleuchtung, in der sich diese Nachtszene bietet. Ich weiß nicht, daß Rembrandt jemals in diesem Lande gewesen ist. Sonst würde ich kühn annehmen, daß er hier seine Beleuchtungstheorie gefunden und einer solchen Szene die Effekte derselben verdankt. Es ist durchaus das- selbe Genre, das tiefe Dunkel, welches selbst in dem Augenblick der auf- lodernden Flamme einzelne Körperteile bedeckt, das grelle Licht, in dem sich ein halber Busen, dreiviertel Gesicht aus diesem schwarzen Dunkel herausheben, die schneidende Gelbheit des Lichtes, seltsam unterstützt durch den dunkelbraunen Körper, es ist derselbe betäubende Kontrast von Licht und Schatten fast ohne Übergang aneinander gedrängt, nur noch weit magischer, nur noch weit Rembrandtscher als Rembrandt selbst.

Endlich langen wir in Mehadia an. Sie wissen, daß dies eine der mächtigsten und ausgiebigsten Schwefelquellen Europas ist, die bis einundfünfzig Grad Wärme erreichen. Das Bad kommt auch infolge seiner enormen drastischen Wirkung immer mehr und mehr in Aufnahme. Wie uns der Oberleutnant erzählte, der in Mehadia die Militär- und Zivil- behörde bildet denn auch Mehadia steht als zur Grenze gehörig unter militärischer Organisation wird es jetzt bereits von über viertausend Kurgästen jährlich besucht, allerdings zum größten Teil Ungarn, Süd- slawen, Walachen, Moldauern, Türken und Russen, aber auch Deutschen,

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und selbst einige Franzosen und Engländer sind dies Jahr dagewesen. Wie rasch würde dieses Bad emporsteigen, wenn es nicht eben unter österreichischer Grenzverwaltung stünde. Freilich kamen wir erst nach Ende der Saison an; es waren nicht mehr als höchstens noch zehn Spät- linge da. Aber dieser absolute Mangel an Zivilisation, an Reinlichkeit übersteigt doch alles erlaubte ^laß. Man glaubt sich im Kirgisenlande zu befinden. Obgleich wir die besten Zimmer erhielten, waren in Friedlands Zimmer die Scheiben zerbrochen, er mußte sie durch vorgestellte Reise- säcke ersetzen. Freilich wohnt der Glaser, mit dem die Militärverwaltung Kontrakt über alle in sein ^Metier einschlagenden Lieferungen abge- schlossen hat, zufällig zwölf Stunden von ]Mehadia, und trotzdem daß andere Glaser in großer Nähe zu haben sind, muß er geholt werden, wenn es sich handelt eine Scheibe einzusetzen. Haase schenkte sich aus der ihm gebrachten Wasserflasche ein Glas ein, trinkt und bekommt. nicht weniger als siebenundzwanzig Fliegen in den Mund. Wurde mir doch auf dem Dampfschiff noch ein Wasserglas gebracht, in welchem Pfeifen- saft gewesen war. Die einfachste Bequemlichkeit fehlt. Dagegen ist alles monopolisiert. Nur in einem bestimmten Hause darf man Kaffee nehmen. Der Arondator, bei dem man wohnt, hat wieder nicht das Recht, einem auch nur ein Frühstück zu verabfolgen. Wahrhaft entwickelt ist nur das Paßwesen. In demselben ^Momente, als wir abends zehn Uhr bei ihm an- langten, wurden wir sofort nach den Pässen gefragt. Zu dem Eindruck, den alle diese Umstände auf einen machen, denken Sie sich noch das unkultivierte, träge, indolente und mit deutschem Maßstab gemessen unendlich schmutzige Wiesen des gemeinen Südslawen, und Sie werden schwache Umrisse des ethnographischen Bildes haben, das sich in dieser ganzen Gegend bietet. Man muß wirklich häufig seine geographischen Kenntnisse anrufen, um sich zu überzeugen, daß man noch in Europa und nicht in der kirgisischen Steppe ist. Schon die Grenz Wachtposten, die hier am Ufer der Donau immer in geringen Entfernungen voneinander folgen, machen in dieser Hinsicht einen nicht leicht verwischbaren Ein- druck. Eine solche Grenzstation besteht aus einem kleinen elenden schmutzig weißen Häuschen, eng zwischen der Donau und den Ufer- gebirgen eingeklemmt, abgeschnitten von aller menschlichen Umgebung, seine Bestimmung durch sechs bis acht Flinten dem Auge darlegend, die vor dem Hause aufgestellt sind, und eine Schild wache, die im Hemde vor demselben auf- und abmarschiert. Drinnen sind acht Kerle, die immer auf acht Tage hier eingesperrt sind zur Wahrnehmung des Wacht - dienstes. Da die Kerle sich während der Zeit selbst verpflegen müssen, so nehmen sie Brot, Speck und Schnaps mit, Gegenstände, die ihre einzige Nahrung während des Wachtdienstes und ihre vorherrschende im ganzen Jahr bilden. /.Dagegen" sagte mir mit wichtiger Miene der erklärende

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Zollbeamte ,,haben diese Leute große Vorrechte. vSie können jeden, der sich abends blicken läßt und auf den ersten Anruf nicht gleich antwortet, sofort niederschießen." Dieses Vorrecht scheint dem südslawischen Ge- schmacke nicht unentsprechend zu sein. Wenigstens entschädigen sich die Kerle sofort wie sie nach der achttägigen Einsamkeit nach Hause kommen, durch eine blutige Schlägerei mit ihren Kameraden. Von den entsetzlichen Roheiten der Serezschaner, von denen wir gleichfalls Exemplare in Augenschein genommen haben, konnte mir selbst der Oberleutnant der Grenzer in Orsova nicht genug erzählen. Hier in Süd- slawien, an der Militärgrenze muß man reisen, um recht einzusehen, wie Österreich es ist, welches mehr noch vielleicht als Rußland das asiatische Prinzip in Europa vertritt. Hier muß man reisen, um Österreich hassen zu lernen, und wer Österreich ohnehin schon haßt, wie ich, muß hier reisen, um seinen Ingrimm sich noch verdoppeln zu fühlen. Denn ein ganz anderes ist es, ob die Regierungen unkultivierter Völker, wie z. B. der Walachen, Türken, selbst Russen mehr oder weniger teilhaben an dem noch rohen unkultivierten Nationalgeist ihrer Völkerschaften. In diesem FaU ist die Barbarei eine naturwüchsige, die nur zum Ausland in einen Gegensatz tritt, im Innern selbst national ist und übrigens auch immer von selbst mit den um sich greifenden Fortschritten der Kultur sich mildert. Österreich aber hat in seinem eigenen Innern und gegen seine eigenen Nationen dasselbe Prinzip angerufen und vertreten, welches Rußland dem Ausland gegenüber vertritt. Das rohe, barbarische Prinzip dieser halbwilden Nationen war es, das Österreich im Jahre 1848/49 anrief, um es seinen großen Kulturvölkern, Deutschen, Italienern, Magyaren entgegenzusetzen, i) Es ist dies das größte Verbrechen, das ein Staat begehen kann, weil er dadurch seine von allem und jedem Standpunkt unbestreitbare Hauptaufgabe, die Aufgabe der Zivilisierung bewaßt verrät und mit Füßen tritt. Das ist nicht mehr naturwüchsige, es ist reflektierte, freigewählte Barbarei. Für den Augenblick gelang das Spiel. Österreich rettete sich damals durch die asiatischen Volksstämme, die es losließ, durch das asiatische barbarische Element, das es in seinem Herzen trug und welches es entfesselte. Aber kein Zweifel, daß zuletzt Österreich selbst der betrogene Betrüger ist. Man konnte die rohe Natur- kraft der Südslawen in Schlachten gebrauchen. Man konnte aber unmög- lich, auch nicht beim besten WiUen, hinterher mitten in Europa und in einem Reiche, welches Nationen umfaßt, die so bedeutende Träger der Kultur sind, einen Staat auf dies Prinzip gründen. So fand sich der Slawe in den ihm gegebenen Versprechungen getäuscht, und alles, was

1) Ähnlich urteilten Marx und Engels 1848 und 1849 in der ,, Neuen Rheinischen Zeitung".

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ich gesehen und gehört habe, bestärkt mich in der Überzeugung, daß diese Lehre nicht fruchtlos an ihm vorübergegangen ist.

Mit den Merkwürdigkeiten Mehadias will ich Sie nicht aufhalten. Bloß das will ich erwähnen, daß wir grade in dem Hause (Franzosenhof) wohnten, in welchem Kossuth^) im August 1849 die letzten fünf bis sechs Tage verbrachte, ehe er sich auf türkisches Gebiet (nach Türkisch- oder Neu-Orsova hinüber) begab. Eine halbe Stunde von Orsova, auf einer Insel, welche durch den Zusammenfluß der Czerna mit der Donau gebildet wird und neutrales, weder Österreich noch der Türkei gehöriges Terrain ausmacht, ist es auch, wo Kossuth die ungarische Krone vergrub und wo sie später nach so vielen Nachforschungen, wie man hier all- gemein behauptet durch Verrat, wieder aufgefunden worden ist. Man baut jetzt eine Kapelle auf dem Flecke. Nachdem wir mihtärische Er- laubnis dazu eingeholt denn auch dazu ist sie nötig pilgerten wir tags nach unserer Rückkehr von Mehadia nach dieser Stelle. Nichts ist übrigens, wie man sich auf dieser Reise sehr bald Gelegenheit hat zu überzeugen, weniger gebändigt als der Geist Ungarns. Der eine hofft, der andere zweifelt, aber jeder würde wieder zu den Waffen greifen, wenn die Fanfare ertönte. Diese mutige und ausharrende Nation hat sich durchaus nicht aufgegeben. Bezeichnend ist unter anderem das Faktum, daß es der Regierung noch immer nicht gelungen ist, sich Nagy Sandors ^) zu bemächtigen. Er reist, wie uns der Oberleutnant der Grenzer in Semlin erzählte, bald als alte Frau, bald als Zigeunerin, bald aber und vorzugsweise als Gendarm verkleidet. Fünftausend Gulden sind auf sein Haupt gesetzt. Aber, wie auch der Oberleutnant meint, so groß ist seine Freundschaft in den Pußten, daß sie noch lange, lange unverdient bleiben dürften.

Es war am i. Oktober, daß wir von Orsova weiter die Donau hinunter reisten. Gleich hinter Orsova öffnet sich das Eiserne Tor. Furchtbare Wirbel bilden die ganze Breite des Stromes. Wie in einen Trichter .wird das Wasser in die Tiefe gezogen, um nebenan schäumend und zischend wieder heraufzustrudeln. An vielen Orten heben die schwarzen zackigen Felsenriffe ihr Haupt über das Wasser empor. Gleichwohl hatten wir sieben Fuß Pegelhöhe. Voriges Jahr sank das Wasser auf fünf unter Pegel. Freilich ist dann an ein Passieren zu Schiff nicht zu denken. Selbst wir mußten bei den sieben Fuß ein kleineres Schiff von geringerem Tief-

^) Ludwig Kossuth (1802 1894), der ungarische Diktator von 1S4S/49.

^) Joseph Nagy Sandor (1804 1849), der sich als ungarischer Revohitious- general mehrfach ausgezeiclmet hatte, mußte mit Goergey zusammen die Waffen strecken. Die Russen heferten ihn an die Österreicher aus, die ilm in Arad henkten. Es scheint nach der Mittcihing Lassalles so, daß sich andere Flüchtlinge hernach noch des Namens des populären Heerführers initer den Magyaren bedienten.

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gang von Orsova bis Turn-Severin nehmen. Am letzten Orte sieht man an beiden Seiten des Stromes noch deutHche Mauerreste von der Brücke, welche die Römer hier über die Donau gebaut. Bei niedrigem Wasser- stand werden sogar noch achtzehn Pfeiler sichtbar, welche noch heute unbesiegt im Flußbette fuJ3en.

Wir hatten sehr interessante Gesellschaft auf dem Schiff. Es war der junge Fürst Konstantin Ghika^) mit seiner Frau und Schwägerin. Sein Vater ist bis vor zwei Monaten regierender Fürst der Moldau gewesen, seit dieser Zeit sind die Fürsten der Walachei wie der Moldau, wie Sie wissen, abgesetzt, und bis zur neuen definitiven Regelung der Donau- fürstentümer übt ein provisorischer Fürst (Kaimakan oder Statthalter) die Regierung aus. Der gegenwärtige provisorische Fürst der Walachei ist gleichfalls ein Ghika,^) ein Onkel meines Reisegefährten.

Ich wurde mit dem Fürsten, der seine Erziehung hauptsächHch in Genf erhalten hatte, sehr gut französisch und ziemlich deutsch sprach, bei der table d'hote bald bekannt, und ich maß gestehen, daß mir die Unterhaltung mit ihm von großem Interesse gewesen ist. Schon aus ihr erfuhr ich, was ich seitdem von allen Seiten bestätigt gesehen habe, daß es, wie ich lange behauptet, nichts Lächerlicheres gibt, als die bei uns so häufige Versicherung, die Fürstentümer seien russisch gesinnt.

,,Das mag bis 1848 zum Teil der Fall gewesen sein," sagte mir der Fürst, ,,aber seit dieser Zeit hassen wir sie. Es gibt nicht einmal bei uns eine russische Partei. Denn die wenigen aufgekauften Deute, die russisch gesinnt sind, eine Partei nennen zu wollen, wäre lächerlich. Rußland weiß das auch sehr wohl. Als wir in den letzten Jahren das russische Alphabet ablegten und das lateirüsche akzeptierten in welchem z. B. die Moldauer Zeitungen usw. erscheinen sagte man uns russischer- seits: „Ihr tut dies nur aus Haß gegen das slawische Element, gegen Rußland." Wir erwiderten (und dabei sah er mich listig lächelnd an): ,,Noii, nous le faisons parce que notre langue est d'origine romaine, et du reste, prenez-^a comme vous voudrez." Ich kam mit ihm auf die delikate Frage der Neugestaltung der Donaufürstentümer. Sie wissen, daß die Frage: Vereinigung oder NichtVereinigung der Moldau und Walachei der Brennpunkt ist, der jetzt alle Interessen hier in sich kon- zentriert. Mein Reisegefährte schilderte mir sehr scharf und treu die Dage der Sache und die Gruppierung der Interessen zu ihr in folgenden

1) Fürst Konstantin Ghika war der älteste Sohn jenes Gregor Alexander Ghika (1807 1857), der von 1849 bis 1856 Hospodar der Moldau gewesen war und nach Ablauf seiner Amtszeit von der Türkei nicht wieder ernannt wurde, weil er emsig für die Vereinigung von Moldau imd Walachei gewirkt hatte.

2) Alexander X. war von 1834 bis 1842 Hospodar der Walachei gewesen und regierte sie nim von 1856 bis 1859 noch einmal als Statthalter (Kaimakan).

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Worten: ,,Wir wollen die Vereinigung durchaus und zwar unter tür- kischer Oberhoheit. Wir wollen die Vereinigung, weil wir drei Millionen Vv^alachen, zwei IMillionen Moldauer sind, sämtlich von derselben Ab- kunft, von derselben nur wie zwei Dialekte unbedeutend verschiedenen Sprache, von demselben Geiste und denselben Interessen beseelt sind. Wir wollen die \^ereinigung, weil wir getrennt gar nichts bedeuten und vereint zu etwas werden. Wir wollen die Vereinigung, weil sie für uns gleichbedeutend ist mit ökonomischem, politischem, intellektuellem Fortschritt. Rußland will auch die Vereinigung, weil es uns dann leichter zu gewinnen und verschlingen zu können glaubt. Mais, eile se detrompera curieusement. Österreich will die Vereinigung nicht, weil es den Abfall Siebenbürgens und der Bukowina fürchtet. Die Türkei will die Vereini- gung nicht, weil sie fürchtet, daß sie nur das Vorspiel gänzlicher lyos- reißung sei. Sie hat dabei sehr unrecht. Hinge es von tms selbst ab, unser Verhältnis zur Pforte aufzuheben, wir täten es nicht. Denn einerseits haben wir nichts gegen die Türken einzuw^enden, wir haben sie ganz gern, andererseits ist es immer von großem Nutzen für uns zum ottomanischen Reich zu gehören. Wir sind dadurch unangreifbar für jeden Nachbar. Denn wir können bei jedem Angriff immer zu Europa sagen: Die Integri- tät des ottomanischen Reiches und mit ihm dies europäische Gleich- gewicht ist bedroht."

Soweit der Fürst. Sie sehen, daß man hier eine logique bien serree am Leibe hat! Nicht zu übersehen sind auch die Anstrengungen, welche jetzt diese Nationen nach allen Richtungen geistiger Entwick- lung machen. Sie wollen sich eine L,iteratur erobern. Herr Alecsandri^) in Jassy schreibt Komödien in moldauischer Sprache. Ein Seigneur, Herr Milo, ebendaselbst opfert sein Vermögen, um ein glänzendes Na- tionaltheatei in Jassy zu schaffen.

Der P'ürst hatte noch eine sehr interessante Seite, eine besonders interessante Seite seine Frau. Gleich als wir aufs Schiff traten, fiel uns diese merkwürdige Erscheinung auf. Ganz in schwarz gekleidet, einen schwarzen Baretthut mit einer prachtvoll schwarzen Feder auf dem Haupt und mit Augen von einer Schwärze, daß Kleid, Hut und Feder dagegen kaum noch schwarz erschienen, saß sie da, mit Ambra- schnüren spielend, nach hiesiger Sitte und hin und wieder ihr zwei- jähriges Kind abküssend, das die Bonne neben ihr hielt. Sie ist nicht regelmäßig schön, durchaus nicht. Ihr Mund würde zu jedem anderen Ge- sichte häßlich sein. Aber diese Stirn, diese feinen unvergleichlich ge- schnittenen lyinien und Augenbrauen und Augen. Dieser entzückende Fuß und besonders ein gewisser unsagbarer Reiz in ihrem sehr beweg-

1) Basil Alecsandri (182 1 1890) war Lyriker, Dramatiker, Dramaturg und Diplomat. Von 1859 bis 1860 war er Minister des Auswärtigen.

liehen Gesichtsausdruck gaben ihr für mich etwas überaus Anziehendes. Ich muß gestehen, daß ich hauptsächlich ihretwegen den Fürst bei Tische in eine Unterhaltung zog. Mein Zweck gelang. Bald nahm sie Teil daran. Sie ist eine Russin. Ihr Vater ist der Adelsmarschall von Beß- arabien und schreibt sich, glaub ich, Batch. Ihre Mutter ist eine CaUi- machi und lebt in Venedig. Sie ist sehr gebildet, spricht erstaunlich fertig nicht nur französisch, sondern auch deutsch, ist selbst in unserer Iviteratur gut zu Hause, zeichnet vortrefflich, wie sie durch die Tat vor unseren Augen bewies, dabei ist sie ohne alle und jede Prätensionen, sehr natürHch und natürlich auch wie alle hiesigen Damen kokett genug. Die gänzliche Abwesenheit von Stolz bei den vornehmsten Bojarenfrauen hatte mir schon ein deutscher Schuster, der in Bukarest lebt, auf der Eisenbahn zwischen Wien und Pest geschildert: Die vornehmste Bo- jarin, sagte er mir, wenn sie zu mir kommt, etwas zu bestellen, redet mich an: ,,Gut Morgen, Brüderchen, wie geht's Dir, gib mir etwas Tabak (türkischen, zur Papierzigarre)." Darauf setzt sie sich hin, plaudert und besteht. In der Tat nahm ich jetzt mit meinen eigenen Augen denselben Mangel an Stolz in ihrem Verhalten zum Schiifskapitän usw. wahr.

Was mich selbst betrifft, so befreundeten wir uns gar bald recht sehr. Es war reizend, als ich in der lauen sternenhellen Nacht mit ihr oben auf dem Schiffsdeck saß, berauschend gute Zigarren rauchte, mit denen mich ihr Gatte freundlichst versorgte und mir von der Fürstin Schubertsche lyieder und andere vaterländische Kompositionen leise ins Ohr singen ließ. Ihre glänzend schwarzen Haare, die sie kurz trägt, in der Weise der Alboni, i) flatterten wild um das bloße Haupt, leise wiegte sie dasselbe nach dem Rhythmus des Liedes, das sie sang; die vater- ländischen Töne, die ich aus dem Munde der schönen Moldauerin zu hören bekam, die mancherlei Gedanken, die mich durchdrangen, die Raschheit, mit der ich plötzlich diese Reise angetreten, ohne vierund- zwanzig Stunden vorher auch nur daran zu denken,-) die Fremdartig- keit der Umgebung, und die noch seltsameren Eindrücke, denen ich zu- flog, alles dies gab der Szene einen gewissen traumhaften Anstrich und Charakter. Wir kamen ziemlich weit miteinander, am weitesten aber leider erst am anderen Abend, eine Stunde vor der Trennung, was mich hinderte, am allerweitesten zu kommen. Denn schon am anderen Abend (Donnerstag; von Orsova waren wir Mittwoch nachmittag abgereist) war Giurgewo erreicht. Wir mußten das Schiff verlassen um nach Bu- karest zu gehen. Meine schöne Reisegefährtin aber flog Galacz zu, um

1) Marietta Alboni (1826 1894) war eine zu ihrer Zeit berühmte italienische Sängerin und Schauspielerin.

-) Vgl. hierzu Lassalles Brief an die Gräfin vom 21. September 1856 in Bd. IV, Nr. 20. S. 72 ff.

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sich von da nach Beßarabien zu ihrem Vater zum Besuch zu begeben. Eine artige Spielerei von einem Armband aus duftenden Holzeicheln mit falschen Steinen ist alles, was mir die Fürstin zur Erinnerung an diesen zu schnell verstrichenen schönen Tag zurückließ.

In Giurgewo selbst konnten wir wegen des zu niedrigen Wasserstandes nicht landen. Wir legten daher in Snarda, eine halbe Stunde von Giurgewo, an. Wie schlecht eine österreichische ein Monopol besitzende Schiffahrts- gesellschaft für ihre Passagiere sorgen kann, trotz des enormen Geldes, das man bezahlt, sollten wir hier erfahren. Wir und alle Passagiere, die nach Bukarest gingen, wurden hier in Smoda ausgesetzt mit unserem Gepäck auf freiem Felde in der dunklen Nacht, zu deren Erhellung nur zwei kleine Latemen vorhanden waren, die natürlich durchaus unzu- reichend waren, auf die Erde und den fußhohen Staub, ja mitten hinein in Haufen von Unrat wurden die Koffer, Reisesäcke und Gepäckkleinig- keiten aller Art geworfen. Hier unter freiem Himmel ging die Gepäck- revision vor sich. Dabei mußte man noch einen Wagen dingen, um nach Giurgewo zu fahren. Die walachischen Fuhrleute, die mit ihren Folter- instrumenten — denn nur solchen sind diese Karren zu vergleichen am Ufer standen, forderten nicht weniger als zwei Dukaten für eine Fahrt, deren gewöhnlicher Preis zwei Zwanziger ist, dabei die Unbe- kaimtschaft mit der Sprache, die Unmöglichkeit, sich mit den Walachen zu verständigen, weder mit den Fuhrleuten noch mit den auf uns ein- dringenden eher Räubergesellen als Beamten gleichenden Zoll- und Paß- behörden. Die Sorge, etwas von unserem zahlreichen Gepäck zu verlieren, das um uns her auf der Erde lag, die stets mit vier Pferden in der Breite bespannten Wagen, die um andere Passagiere einzunehmen hart an uns vorbeifuhren, wenig danach fragend, ob sie uns und unser Gepäck über den Haufen rannten oder nicht, das Fluchen, Toben, Schelten von allen Seiten^ alles gab dieser Szene einen eigentümlich wilden, rohen Anstrich. Nur ich nahm weniger Teil, ich stand träumend da, in Sinnen verloren.

Einen Augenblick wollte Friedland empört über diese ganze Wirt- schaft das Gepäck wieder zurück aufs Schiff bringen lassen, Bukarest aufgebend und direkt weiter nach Galacz gehen. Ich fuhr hoch auf; die tolle Wirtschaft verdroß mich wenig, aber der Gedanke, die Reise mit meiner schönen Fürstin fortzusetzen, hatte seinen Reiz für mich. Glück- licherweise wurde das Projekt nicht ausgeführt. Friedlands Zorn wich einem Einfall, den er hatte. Er ergriff seine Akkreditive, donnerte dem Älautbeamten das Wort ,, Minister" in die Ohren, brachte diesen hier- durch augenblicklich dazu, auf die Öffnung des gesamten uns gehörigen Gepäcks zu verzichten, gestand den Fuhrleuten die zwei Dukaten zu. Und endlich ging es, das Gepäck mit dem Diener auf einem, wir auf dem anderen Wagen nach Giurgewo.

Mayer, Lassalle-Nachlass. VI 12

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Was Sie wohl sagen würden, wenn Sie eine Nacht in Giurgewo über- nachten, wenn Sie überhaupt einmal in der Walachei reisen müßten? Dieser Gedanke hat mich und Friedland schon häufig herzlich lachen ge- macht. Wir fanden erst im zweiten Gasthof, an den wir uns wandten, in der ,, Stadt Wien", ein Unterkommen. Der Gasthof gehörte offenbar zu den besten der Stadt. Aber was war das für ein Unterkommen! Nur drei Betten waren zu erlangen, Friedrich schlief auf einer Bank, Herr Seeling machte sich mit Hilfe der aus meinem Bette abgegebenen Ma- tratze ein I^ager auf der Erde. Ein Stuhl im Zimmer. Türen mit unver- schließbaren Schlössern, vor allem aber eine Masse von Ungeziefer, die allen Glauben übersteigt. Flöhe, Wanzen, vSchwaben in unermeßlicher Anzahl, und von einer ganz anderen Größe als die bescheidenen In- sekten, die man bei uns mit diesem Namen belegt. Während wir das Souper einnahmen, hatte Friedrich in unserem Zimmer das Vergnügen, Kröten fortzuschaffen, die langsam feierlich nahten, um die neuen Gäste in Augenschein zu nehmen. Ging er auf die Krötenjagd, so hatte ich eine andere Entschädigung. Zu fünf verschiedenen Malen versuchte ich mir Rotwein in ein Glas zu schenken und jedesmal kamen zwei bis drei Fliegen aus der Flasche mit ins Glas. Endlich gab ich es auf. Wir waren genötigt, die ganze Nacht hindurch das Licht brennen zu lassen, um die Schwaben und andere unheimliche Tiere, die das Zimmer barg, in größerer Entfernung zu halten. Aber das alles erhöhte nur unsere Lustigkeit. Wir lachten bis tief in die Nacht über diese ganze tolle Zucht, ehe wir die Augen schlössen.

Am anderen Vormittag mieteten wir zwei walachische Wagen, die nicht weniger als acht Dukaten zusammen bekamen, brachten wiederum das Gepäck mit Friedrich in dem einen, uns in den anderen und eilten Bukarest zu. Wie Sie, faUs Sie in der Walachei reisten, in einen solchen Wagen und doch gibt es hier keine anderen hineinkommen wür- den, ist eine Frage, die uns lange lebhaft beschäftigte. Der Wagen hat nämlich keine Türen, man muß über den ziemlich hohen Rand des Kastens hinübersteigen. Da der Wagen an imd für sich sehr hoch ist, so war das Heraussteigen eine Prozedur, die auch von uns nur mit Hilfe der ergötzlichsten akrobatischen Leistungen bewerkstelligt wurde. Hat der Wagen keine Tür, so hat er dafür auch keine Sitze. Bloß mit Stroh ist er angefüllt ; wir aber stellten zwei Koffer hinein, die ims die Stelle von Sitzen vertraten. Die einzige Entschädigung ist das überaus rasche Fahren, das hier üblich. Die vier Pferde, die sich stets der Breite nach vor dem Karren befinden, an dem sie meist nur mit Stricken befestigt sind, fliegen in der Regel ununterbrochen in brausendem Galopp, gleich- viel ob sie lebend oder tot ankommen, ihrem Bestimmungsort zu. Un- glücklicherweise waren wir gerade auf faule Kutscher getroffen und ver-

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standen nicht das hierorts übliche Mittel, sie in Bewegung zu bringen, welches einfach darin besteht, sie solange zu peitschen, bis sie ihrerseits die Pferde in dem gewünschten Maße peitschen. Auch bedrohen und schimpfen konnten wir sie nicht, weil sie kein Wort Deutsch verstanden. Auf alles andere aber als Drohungen, Schimpfen und Schläge nimmt ein Walache keine Rücksicht. Bitten verhöhnt er. So kam es denn, daß wir nach europäischen Begriffen zwar noch immer ganz schnell, nach hiesigen aber sehr langsam fuhren und einen Weg, den man hier in der Regel in sieben bis acht Stunden macht, erst in elf Stunden zurücklegten.

Da wir ihre Sprache nicht kannten, und wie uns die Fuhrleute an- sahen, höfliche Deutsche waren, so machten sie mit uns was sie wollten, und nahmen z. B., trotzdem wür sie ausschließlich gemietet hatten, fremdes Gepäck und fremde Personen mit, ohne auf unser Protestieren, da es durch keine fühlbaren Demonstrationen unterstützt wurde, zu achten. Wir unsererseits hatten übrigens genug zu tun, uns einigermaßen gegen die entsetzlichen Rippenstöße zu schützen, die uns der dahin fliegende Wagen unablässig versetzte. Eine Straße gibt es hier nicht. Man fährt beständig über holpriges Feld, verschwindet unter Staubwolken, bricht durch große Pfützen mitten durch, rasselt über Steine und Wurzeln, rackert sich über Aste hinweg, die hier und dort auf dem Wege liegen, alles ohne auf solche Hindernisse die geringste Rücksicht zu nehmen. Wer ankommt, kommt an, wer bleibt, Pferd oder Mensch, der bleibt eben. So kam es denn auch, daß uns, trotzdem wir gar nicht mit hier üb- licher Furie fuhren, einmal der Strick riß, einmal das Drittelholz brach. Fluchend wird das dann vom Fuhrmann ersetzt, so gut es eben geht und immer weiter. Die einzige und ziemlich merkwürdige Berücksichti- gung, die unser Kutscher den Pferden angedeihen ließ, ist, daß er von Zeit zu Zeit abstieg und sie mächtig an den Ohren zog. Ob das walachi- schen Pferden zur Stärkung gereichen mag? Ich weiß es nicht. Jedenfalls aber wiederholte sich der Vorgang zu oft, um ohne Absicht zu sein. Was man aber auf einem solchen Wege in einem solchen Wagen auf harten Koffern sitzend zu leiden hat, ist unbeschreiblich. Dabei kann man sich nicht ein- mal mit dem Rücken anlegen, auch nicht im Fonds des Wagens, weil die Rückwand zu weit absteht, auch aufgerichtet halten karm sich nicht wer etwas groß ist, weil die Wagendecke zu niedrig, und so muß man denn mit in sich hineingekrümmtem Körper, den Rücken frei in der Luft, durch mächtige Stöße bald auf die Seite geworfen, bald gegen die Decke geschnellt, den Weg zurücklegen. Auch waren um fünf Uhr nach- mittags Friedlands Kräfte erschöpft. ]\Iit einer leidenden Heiligen- miene, mit einem gekreuzigten Christuskopf, wie man ihn nur auf byzan- tinischen Bildern erblicken kann, saß er da. Scherz und Lächeln waren von seinen Lippen entflohen, selbst die unversieglichen Neckereien, mit

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denen er mich avd dieser Reise unablässig zu überschütten pflegt, waren versiegt, kein Wort konnte er während eines Zeitraumes von drei Stun- den hervorbringen, und wehe der Fortsetzung der orientaHschen Reise, wenn er an diesem Abend einen unwiderruflichen Entschluß darüber hätte fassen müssen.

Unerhörter aber als alles andere war das Mittagbrot, das uns auf halbem Wege, im Dorfe Kalokreni zuteil wurde. Gegen diese entsetzende Sauerei, die hier alles bedeckte, erschien uns Giurgewo noch als ein Ort von holländischer Reinlichkeit. Beinahe wäre ich wieder in den Wagen zurückgestiegen, um da während der zwei Stunden, die man hier zu- bringt, zu bleiben, als ich das Gastzimmer betrat. Unwillkürlich wandte ich mich zur Tür zurück, und nur der Entschluß, alles kennen zu lernen, trieb mich wieder vorwärts. Was Schmutz ist, und die ganze kulturfeind- liche Bedeutung dieses Wortes, kann man nur im Orient studieren. Nur im Orient begreifen, warum die mohammedanische Religion ein so großes Gewicht auf die unablässigen Waschungen legt und zu welcher Quelle von Humanisierung sie dadurch für die Türken wurde. Vielleicht war die ganze Sintflut nichts als ein großer Abwaschungsprozeß, den Je- hova mit seinem auserwählten Volke vornahm. Jedenfalls steht fest, daß auch Kalokreni dreißig Tage und dreißig Nächte unter Wasser gestanden haben müßte, ehe Sie sich entschließen würden, das geringste dort anzu- rühren. Aber es müßte wiederum nicht Wasser von Kalokreni sein. Denn dieses, und zwar das, welches uns zum Trinken gereicht wurde, ist so verfault, so schmutzig, so grau, daß es eher beschmutzen als reinigen könnte. Unmöglich wäre es uns gewesen, irgendeinen Gebrauch von diesem Wasser zu machen. Das Prachtstück des Diners aber waren die Servietten, die hier gereicht wurden. Geschlechter müssen sich bereits in eine solche Serviette, seitdem sie zuletzt gewaschen wurde, abge- trocknet haben und jedes Geschlecht hat in einer Serie eigentümhch gelber Flecke seine Geschichte hineingeschrieben, die Spuren seines Kulturgrades darin zurückgelassen. Sie könnten meinen, ich übertreibe. Aber ich will Ihnen ein nacktes Faktum mitteilen, das Sie hinreichend orientieren wird. TeUer und Gläser, die uns gebracht wurden, waren natür- lich beschmutzt, was um so natürlicher, als der schmutzige Aufwärter immer das Glas von inwendig mit den Fingern hielt, wenn er eines brachte. Sie kennen nun Friedlands fast schon übertriebene Reinlich- keitsUebe. Nun wohl, derselbe Friedland zog, als er sein Geschirr reinigen wollte, vor, in den Teller zu speien und ihn mit seinem Schnupftuch aus- zuwischen, ehe er von dem Wasser und der Serviette Gebrauch gemacht hätte. Entnehmen Sie aus dieser Tatsache die Beschaffenheit dessen, was ich Ihnen beschreibe imd nicht beschreibe. Daß die Zimmer der Dielen entbehrten, Betten an den Seiten zu Sitzen dienten und ähnliche

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Züge übergehe ich. Unmittelbar nach dem Diner rief mich Haase hinaus. Er hatte entdeckt, daß gegenüber die Kneipe lag, in der unsere Fuhrleute tranken. Er führte mich hinein. Eine niedrige Erdhütte, in der ich bei- nahe an die Decke stieß, unmittelbar daran als zweiter Raum der Keller mit den mächtigen Weinfässern, alles natürlich ungedielt, bildete die Schenke des Volkes, drin standen unsere und andere Fuhrleute. Diese Abkömmlinge der alten Römer, der dazischen Kolonie, in der Hand große weitbauchige mit rotem Most gefüllte Töpfe von gebranntem rötlichem Ton, in ihrem Aussehen noch lebhaft an römische Krüge er- innernd, ließen sie kreisen und steckten lustig und lachend die schwarzen schmutzigen Barte hinein. ,,Gustare, gustare" (kosten, kosten), erscholl es, als wir in den Kreis traten. Haase, ein Zyniker ersten Ranges, trank ohne alle Selbstüberwindung mit ihnen. Sein Verkehr mit dem tschechischen Volke hat ihn an ähnliches gewöhnt. Von mir wissen Sie, daß ich ohne jeden Anstoß oft und gern mit unseren deutschen Proletariern in der Kneipe aus einem Bierglase zu trinken pflegte. Aber hier prallte ich un- willkürlich zurück. Bittend und freundhch umringten mich die Leute, gutmütig die Weintöpfe reichend, wie denn in der Tat der gemeine Mann hier fern von der Verstocktheit und Tücke des Slawen sich durch eine große Gutmütigkeit auszeichnet. Es kostete mich wirklich eine große Anstrengung. Ich mußte mir sagen, wie den Walachen ein derartiger Beweis von Verachtung, an den er nicht gewöhnt ist, mehr kränkt als Schläge, an die man ihn gewöhnt hat, mußte mir sagen, daß es unrecht sei, diese gutmütigen Leute zu kränken, wegen eines Zustandes, den sie nicht verschuldet, mußte mir ins Gedächtrüs rufen, wäe unsere Grund- sätze es erfordern, zu überwinden die Scheu und den Ekel von den Ge- bresten des Volkes, um es von denselben zu befreien, das alles mußte ich mir sagen, um endlich nicht ohne mächtige Selbstüberwindung die Hand nach dem Kruge auszustrecken und zur Freude dieses gutmütigen Volkes mit ihm zu trinken. Aber welcher Kulturmensch der deutsche Arbeiter ist, das habe ich nie lebhafter empfunden als in diesem Augen- blick. Verlassen und preisgegeben, wie nur irgendwo ein Volk von Staat und Gesellschaft, hat er sich durch eigenen immanenten Bildungstrieb auf die Höhe gearbeitet, auf der er steht, ist zum menschlichen Dasein vorgedrungen, ist bis zur theoretischen Forschung, zu wissenschaft- lichen Begriffen durchgebrochen, hat sich ein historisches Bewußtsein erobert und steht, mit laut klopfendem, von den Pulsen der Geschichte und der Wissenschaft geschwelltem Herzen, eine Göttergestalt, neben diesem, nicht mehr als er preisgegebenen und enterbten Rumänen. Ob er zu Existenz und Kulturstufe des Walachen gewaltsam zurück- gedrängt werden, oder das innere Menschtum, das er sich erobert hat. auch äußerlich entwickeln und realisieren können soll, das ist ja

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eben der große Kampf, der jetzt Europa von einem Pole zum andern durchzuckt.

Wenn ich Ihnen sage, daß wir auf unserer ganzen Reise von Giurgewo bis Bukarest mit Ausnahme von zwei bis drei schmalen Streifen Kuku- ruzfeld und einigen Weinfeldern nicht eine Hufe bebauten I^andes gesehen haben, so ist das Bild dieser Reise wohl ziemlich treu geschildert.

Abends um acht Uhr langten wir in Bukarest an. Wir begaben uns bald nach dem Souper zu Bett, die Besichtigung der Stadt auf den anderen Tag verschiebend.

Der Eindruck, den uns Bukarest machte, als wir tags darauf durch die Straßen der Stadt oder das, was man hier Straßen nennt, fuhren, ist sehr schwer wiederzugeben. Wer das Chaos nicht gesehen hat, kann sich keine Vorstellung von Bukarest machen. Wer dagegen Bukarest gesehen, wird sich, glaub' ich, schon einen ziemlich annähernden Begriff vom Chaos bilden können. Ich habe vielleicht noch nie eine Stadt von so absonderlichem, fremdartigem, überraschendem Charakter gesehen. Man schreitet bei der ersten Betrachtung von Erstaunen zu Erstaunen, und was besonders frappiert und kaum zu Atem kommen läßt, ist der grelle Kontrast, der unablässig die Blicke des Beobachters trifft, der unbeschreibliche Wirrwarr, der hier alles ohne Ausnahme beherrscht und umfaßt, was sich dem äußeren und inneren Auge bietet. Paläste über Paläste, alle einstöckig, lang gedehnt, immense Räume einnehmend, in den verschiedenartigsten vStilen gebaut, teils von geschmackvoller und reicher, teils von der überladensten Architektur und Verzierung, sämtlich von überaus großen Hofräumen vorn und an den Seiten umgeben. Aber unmittelbar neben diesen Palästen und häufig zu ihnen gehörig befinden sich an ihrer Seite die elendesten schmutzigsten Holzzäune, deren sich bei uns ein wohlhabendes Bauernhaus schämen würde, Haufen von Ge- röll, Gruben von Schutt usw. Vor diesen Palästen keine Straße; eine solche gibt es in ganz Bukarest nicht, nirgends ein wirkliches Pflaster, von einem Trottoir keine Rede, sondern überall nichts als ein Erdweg mit seinen Erhöhungen und Vertiefungen, den furchtbarsten Staub auf- wirbelnd. Steine hinreichend enthaltend, aber nicht zur Erleichterung, nur zur Qual dem Wanderer, der hier zu Fuße gehen muß. Häufig, wie z. B. unmittelbar vor dem Hotel des österreichischen Generalkon- suls, selbst in diesem trockensten Wetter unendlich breite, seeartige Pfützen, durch die ich nie fuhr, ohne ein Kreuz über meine ganze Toilette zu machen. Zahllose Kirchen mit majestätischen Kuppeln, auf großen freien Plätzen emporsteigend, aber diese Plätze selbst nur einem abend- ländischen Schindanger vergleichbar, mit Abfall aller Art bedeckt, von Schmutz starrend, hier mit umgestürzten Karren, dort mit einem Haufen halbverfaulten Strohs verziert und von Dämmen durchschnitten, die

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im Laufe der Zeit von selbst aus festgetretenem Bauschutt, Steingeröll und Unrat entstanden sind. Eine Straße befindet sich eigentlich in ganz Bukarest nicht, denn mit Ausnahme einer einzigen kleinen Nebengasse steht nirgends Haus neben Haus. Neben jedem Haus vielmehr ein freier Zwischenraum, gewöhnlich von den Gebäuden abgetrennt durch einen jener elenden Holzzäune, die ich bereits erwähnt. Eine Folge dieser Bauart ist, daß natürlich nirgends diese Häuser eine gradlinige Reihe bilden. Das eine ist vor-, das andere rückgebaut, seitwärts läuft das dritte. Ganz Bukarest ist so nicht eine Reihe von Straßen, sondern ein Knäuel von sich durcheinanderwindenden kleinen offenen Plätzen, die jedem Orientierungsversuch, und sei er von einem Ariadnefaden unter- stützt. Trotz bieten. Von Rinnen, Gossen, Kanälen in ganz Bukarest keine Spur. Einen einzigen unermeßlichen Schmutzsee muß diese Stadt im Regenwetter bilden. Jetzt trägt sich inzwischen der Kaimakan Fürst Ghika mit einem Kanalisierungsprojekt. Jede abendländische Stadt trägt in ihren einzelnen Teilen eine gewisse regelmäßige Physiognomie. Hier ist das Gewerke, dort das Finanzviertel, hier der Stadtteil der hohen Aristokratie, dort endlich die Arbeiterstraßen und Vorstädte. Diese, selbst über den Wechsel der Verhältnisse hinaus, die sie herv^orgerufen haben, sich erhaltende regelmäßige Physiognomie unserer Städte ist eine einfache Folge ihrer historischen Entstehung, des langsamen und mähHchen Wachstums, der geschichtlichen Entwicklung und Ausbildung, die sie im Laufe der Zeit gehabt. Nichts von alledem in Bukarest. Überall neben den langgestreckten prachtvollen Palästen der Großbojaren die schmutzigsten, batifälligsten, elendesten Hütten, täglich den Ein- sturz drohend, hiermit wieder wunderbar kontrastierend die prächtigen Gärten, die sich überall hinter den Palästen der Bojaren befinden. ,,In meinem Hof räum," sagte uns, ohne zu übertreiben, eine Bojarin, Ma- dame de Slatiniano, ,,kann ein Regiment manövrieren." Aber trotz dieser Gärten und grünen Bäume, die Bukarest, wenn man es von einem Hügel sieht, das Ansehen eines lachenden grünen Parkes geben, ist die ganze Atmosphäre der Stadt beherrscht von einem polizeiwidrigen nasenbelei- digendem Gestanke, der sich seltsam mischt mit den Parfümwolken, die jede zu Wagen oder Fuß vorübereilende Dame zurückläßt. Dabei ist nirgendswo der Schein mehr ausgebildet, nirgendswo das Auge unzuver- lässiger als eben hier. Das sehr schöne Hotel des österreichischen Gene- ralkonsuls ist nur bis zu einer Höhe von acht Fuß gemauert. Darüber hinaus ist es von Holz gebaut, das nur wie Mauerwerk angestrichen. Der mir diese Bukarestschen Mysterien mit vielem Selbstbewußtsein erklä- rende Portier des österreichischen Konsulats mußte mich die Wand mit dem Stocke untersuchen lassen, ehe ich ihm Glauben schenkte. Und dennoch zahlt der Generalkonsul bei den enormen Preisen, die hier

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üblich, nicht weniger als 483 Dukaten Miete. Die Straße der großen Kanfmannsläden ist die sogenannte I^eipziger Straße. Magazine mit prachtvollen rotsamtenen Möbeln, abends vom laichte zahlreicher Astral- lampen strahlend. Aber auch hier mitten unter diesen mit französischer Aufschrift versehenen, von Pariser I,uxus glänzenden Depots ebensoviele verrottete Schmutzbuden, von der widerlichsten Färbung, das Auge zurückstoßend, das sich eben vom Nachbarhaus angezogen fühlte. ,, Kon- trast!" ist ein oft gebrauchtes, leichtsinnig angewendetes und durch diesen absoluten Gebrauch nichtssagend gewordenes Wort. Aber was wirklich Kontrast ist, geller Kontrast, betäubender Kontrast, sinnloser Kontrast, beständig sich häufender, beständig sich mehrender, von keinem Schönheitssinn geordneter, nirgends einem Gesetze gehorchender, nirgends Ausgleichung und Beruhigung findender Kontrast das er- fährt man hier. Ich hatte Momente, wo ich in Bagdad und im kleinsten Zeitteil darauf wieder, wo ich in dem elendesten Dorfe von Russisch- Polen zu sein glaubte. Denken Sie sich nun durch diese Straßen hindurch eine Reihe pfeilschnell dahin rasselnder und nur zu häufig aneinander anfahrender Wagen, oft Equipagen von der elegantesten Ausstattung mit Kutschern und Bedienten in den prachtvollsten Livreen, von den schreiendsten, meist brennendroten Farben, daneben eine Bevölkerung zu Fuß dahin eilend, teüs in europäischer Kleidung, teils wohlhabende Walachen in ihren reich verbrämten Pelzjacken, teils der gemeine Walache in seinem schmutzigen weißen Zoddelkittel und seiner schwar- zen Pelzmütze. Dann wieder Zigeuner und Juden und wieder Amanten im roten Fez mit roter, unter der dicken Goldstickerei fast verschwin- dender Jacke, ebenso schwer goldstrotzenden Kamaschen, mächtigen Pistolen und einem überaus langen Messer mit blitzendem Griffe vorn im Gurt und mit einem blendend weißen Steif rock angetan, ganz wie die Röcke unsrer Ballettänzerinnen, nur noch weit mehr Kreise und Falten nach innen bildend als diese. Dazu denken Sie sich Damen meist in den elegantesten Pariser Toiletten, alle, selbst in der Blüte der Jugend, einen gewissen abgelebten Ausdruck in Teint und Zügen tragend, die Walachinnen der untern Stände vorherrschend weiß gekleidet, fast alle Damen übrigens vornehm wie gering meist sehr schön, wie denn das imterste Volk sich durch seine edeln, seinen römischen Ursprung offen beweisenden Züge auszeichnet, endlich beinahe alle Damen vornehm tmd gering von einem ausnehmend begehrlichen und sehr ermutigendem Ge- sichtsausdruck ■ denken Sie sich dies ganze pittoreske Gewühl, dies wilde, chaotische Durcheinander, diesen ganzen tollen Hexensabbat von Häusern, Dingen und Menschen, und Sie haben Bukarest. Nimmt man das Ganze wie ich zum ersten Male in einem Wagen wahr, mit hier üblicher Schnelligkeit durch die Straßen dahinrollend, so fließen diese

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grellen Gegensätze von Farben, Formen und Dingen, die hier immer unmittelbar aneinandergedrängt sind, so ineinander über, daß man gar keinen Charakter, keine Physiognomie festhalten kann, sondern das Ganze den Eindruck eines schnell durcheinander gerüttelten Kaleido- skopes macht.

Da ich gerade von Wagen spreche, so muß ich erwähnen, daß die Fiaker einen der Glanzpunkte von Bukarest bilden. Das sind nicht Droschken wie bei uns. Es sind die elegantesten, leicht gebautesten Wagen, nach Art unserer Viktoriachaisen, ganz in Federn hängend, nur mit einem Sitze im Fond, also nur für zwei Personen eingerichtet, mit rotem Samt ausgeschlagen, unten mit eleganten Teppichen bekleidet, alle ganz neu aussehend und stets mit zwei tüchtigen Pferden be- spannt. Dabei kostet ein solcher Fiaker, neben dem unsere besten Droschken wie Bauern wagen erscheinen er hat ganz das Aussehen einer herrschaftlichen leichten Chaise nur vierzig Kreuzer (dreizehn Sübergroschen) per Stunde, ist also billiger als bei uns. Freilich ist auch das Pferdefutter hier viel billiger. In bezug auf die Fiaker ist uns Buka- rest also sehr überlegen. Aber zur Ausgleichung erlauben Sie mir wenige Worte über unser Hotel.

Wir wohnten in demjenigen Hotel, welches anerkanntermaßen nicht in bezug auf das Essen, aber in bezug auf die Zimmer und die Reinlich- keit das erste und beste in ganz Bukarest ist, im Hotel de Londres. Es ist in der Tat von außen ein sehr stattliches Haus, in Stein gebaut, mit langer eleganter Fassade. Treten Sie in den sehr großen Hof räum, so erblicken Sie nicht nur zwei hölzerne Seitenflügel, sondern besonders eine Reihe von Pfützen, die den widerlichsten Geruch verbreiten. Das Ameublement ist in den verschiedenen Zimmern verschieden, aber doch überall dürftig. Eher ist aber noch für das Große und in die Augen Springende gesorgt, als an jene Kleinigkeiten, ohne die kein Komfort möglich ist imd an die hier niemand denkt. Ein Wasserglas und eine Wasserflasche für mein Zimmer zu erobern hat Friedrich eine nicht ge- ringe Mühe gekostet. Es sind solche Gegenstände allerdings im Hotel vorhanden, aber durchaus nicht in hinreichender Anzahl, um für jedes Zimmer davon hefern zu können, und der Wirt erklärt, er habe schon so viel gekauft, er kaufe nichts mehr! Aber die Nachtseite unseres Hotels war noch eine ganz andere, wenn auch freilich schwer zu berührende. Man kann in Bukarest Vieles und Schönes genießen, aber um längere Zeit in einem hiesigen Hotel auszuhalten, müßte man von einer höheren göttlichen Organisation und gewissen körperlichen Bedürfnissen nicht unterworfen sein. Denn wehe, wenn die Tagesstunde schlägt, die einen hieran erinnert. Wer ein bißchen ästhetisch organisiert ist, wer nur die geringste Empfänglichkeit für Ekel besitzt, dem wird das Reduit, in

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das er sich hier versetzt sieht, alle Lebenslust für vierundzwanzig Stun- den verderben. Das Essen in unserem Hotel man speist hier immer nur ä la carte, war nicht schlecht. Ganz vorzüglich aber und schon wie bei einem guten französischen Restaurant ist es im Hotel de France, dessen Besitzer auch in der Tat ein Franzose ist. Die feinsten Fische, unter anderem der Hausen, der ein Fleisch besitzt, zarter und weicher als veau de Pontoise, Eiswasser, was bei dem hiesigen Wasser besonders nötig, vortreffliche Gemüse, reizende Mehlspeisen und einen hiesigen alten Wein zu vierzig Kreuzer, den der Wirt dreist für sehr guten Burgunder verkaufen könnte. Aber was würde das alles Ihnen nützen? Würden Sie sich doch nie entschließen, einen Fuß in dieses vortreffliche Speisehaus zu setzen, so säuisch und Appetit verderbend ist sein Äußeres. Wo Sie dagegen gern hingehen und immer wieder hingehen würden, das sind die hiesigen öffentlichen Gärten. Ich kenne keine Stadt außer Paris, die sich hierin mit Bukarest vergleichen kann. Vor allem Czizmiczu. Der prachtvollste Garten, mitten in der Stadt gelegen, von einer immen- sen Größe, Teiche, Rasenplätze, die schönsten Parkanlagen, unvergleich- liche Trauerweiden, drei Cafes und eine Restauration enthaltend. Er übertrifft weitaus alles, was Deutschland aufzuweisen hat. Fast alle Nachmittage versammelt sich die ,,groß' und kleine Welt" bei den Klängen der IMilitärmusik, die abwechselnd heute von Österreichern, morgen von walachischem, dann wieder von türkischem Militär exe- kutiert wird, in den reizenden Räumen dieses Parkes. Vor sechs Jahren war das Ganze noch ein großer Sumpf, jährlich die Pest über Buka- rest verbreitend. Überhaupt entwickelt man sich in gewisser Beziehung hier sehr schnell. Und welche ganz andere Entwicklung steht diesem Lande in der nächsten Zukunft noch bevor. Was aber der bisherigen Ent- wicklung von Bukarest einen so eigentümlichen Charakter gibt, ist, daß man hier alles beim Ende anfängt statt beim Anfang, daß man die Früchte der fremden Zivilisation hier frisch und kurz mitten in die wüsteste wildeste Unkultur hineinversetzt. Man hat so hier die letzten und vorgeschrittensten Resultate der modernen Kultur ohne irgendeine der Vorbedingungen dieser Resultate zu haben. Denken Sie sich z. B. den Eindruck, den es macht, man fliegt von Giurgewo nach Bukarest, eine Strecke von mindestens zehn bis elf deutschen Meilen, immer ohne Straße, ohne den elendesten Vizinalweg immerfort über die Heide, weit und breit der fruchtbarste Boden und nirgends eine Spur von Bebauung

und immer dicht neben einem mitten auf dieser weglosen Heide, mitten durch dies unbebaute Land fliegt der Telegraph, der Bukarest mit Wien und Konstantinopel verbindet. Dieser selbe Gegensatz einer fremden, mitten in die Barbarei gepfropften, nirgends von innen heraus entstandenen Zivilisation ist es eben, der Bukarest in jeder Beziehung

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einen so fremdartig-abenteuerlichen, einen manchmal so märchenhaften Charakter gibt. Es ist dies bei der Verwaltung der Bojaren und ihrer Bildungsstufe nur zu natürlich. Die glänzenden und gleißenden Früchte der modernen europäischen Zivilisation erregen ihr ganzes Begehrungs- vermögen. Ihr eigenes Volk wirklich zu entwickeln, fällt natürlich keinem ein; so wird denn, was bei uns natürliches Resultat unseres gesamten Entwicklungsprozesses ist, hierher verschrieben, hierher verpfropft und pele-mele durcheinandergeworfen mit Barbarei und Wüstheit, so daß alles wie in einem großen chaotischen Urbrei herumschwimmt. Fast scheinen es sich die Bojaren in den Kopf gesetzt zu haben, daß sie, wahr- scheinlich hauptsächlich um ihre Feste glänzender zu machen, Gaslicht haben müssen. Kaum hatte der Fürst Konstantin Sutzo, der grade zum österreichischen Generalkonsul kam, als Friedland dort war, erfahren, daß er es hier mit dem Eigentümer der Prager Gasbeleuchtungsanstalt zu tun habe, als er in Friedland drang, er müsse absolut auch die Gas- beleuchtung von Bukarest unternehmen. Friedland hielt dies am ersten Tage für wenig Ernst. Als er aber tags darauf wieder beim österreichi- schen Konsvü war, kam der Polizeiminister hin, abordierte und be- stürmte ihn mit demselben Projekte, nötigte ihn gleich mit ihm zum Kaimakam, Fürst Ghika, zu fahren, der seinerseits ebenso hitzig darauf einging. Friedland bat sich zuvor die Einziehung und Sammlung der ihm erforderlichen Notizen aus, der Befehl dazu w^urde sofort erteilt, bei seiner Rückkehr aus dem Orient wird Friedland sie in Empfang nehmen und die Sache höchst wahrscheinHch denn sie muß, wenn man es in der gehörigen Weise anfängt, überaus lukrativ sein wirklich ausführen. So wird Bukarest Gasbeleuchtung haben, lange ehe es Straßen und Pflaster hat. Unter diesen Umständen kann es auch nicht auf- fallen, daß noch niemand hier daran gedacht hat, eine Eisenbahn von Bukarest nach Giurgewo zu bauen, Bukarest so mit der Donaulinie zu vermitteln und hierdurch erst wahrhaft dem Weltverkehr zugänglich zu machen, eine Eisenbahn, die binnen zehn bis fünfzehn Jahren den Verkehr der Stadt verzwanzigfachen, die Kapitalien mehr als verdrei- fachen, den Wert der Grundstücke verdoppeln würde; eine Eisenbahn, die um so leichter zu bauen wäre, als die Strecke klein ist, die Territorien nichts kosten und anderes ^Material auf der Donau einen so überaus wohlfeilen Transport nach Giurgewo hat. Denn Eisenbahnen stehen in keiner unmittelbaren Beziehung zu Festen, Glanz und Luxus, und alle mittelbaren Beziehungen und alle weitläufigeren Erwägungen sind noch nichts für den Geschmack des Bojaren.

Außer Czizmiczu muß ich noch des Warenbergschen Gartens er- wähnen, in welchem wir eine wahrhaft glänzende Illumination ansahen. Zwei Musikkorps, ein österreichisches und ein türkisches, spielten. Er ist

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nicht so schön als Czizmiczu, aber noch immer weit schöner als ein Garten bei uns. Denselben Abend war auch noch Illumination und Feuerwerk in Tivoli, wie hier ein Garten genannt wird, in welchem sich ein recht artiges Cafe chantant befindet. Man gab u. a. die Parodie des Robert le diable, die wir von Bocquet so trefflich gehört haben. Das Ganze ist in jeder Hinsicht den Cafes in den Champs Elysees nachgeahmt, auch die Beleuchtung und Einrichtung im Warenbergschen Garten ganz Imi- tation der Pariser Gärten, Mabille, Jardind'hiver, und wirklich gar nicht so schlecht imitiert. Was uns aber wirklich in Erstaunen setzte, war das Theater und dann die Chaussee. Im Theater wohnten wir einer wala- chischen Vorstellung bei. Wenn wir aber auch die Sprache nicht ver- standen, so konnte uns die Trefflichkeit, Feinheit und Abrundung des Spiels doch nicht entgehen. Die Pracht des Hauses aber sowie die Pracht der Kostüme übersteigt alles, was man auf deutschen Bühnen, außer im Opernhaus in Berlin sehen kann. Dresden usw. können sich nicht messen. Das Foyer aber übertrifft auch die Berliner Foyers weit. Wir aßen da einen Teller mit überzuckerten uns bis auf die Weintrauben un- bekannten Früchten, der uns ewig unvergeßlich bleiben wird. Friedland gestand, daß [er], soweit er auch herumgereist, niemals etwas gegessen, was mit diesen unvergleichlichen ich kaim eigentlich nicht einmal sagen, ob eingemachten oder überzuckerten Früchten entfernt zu- sammengestellt werden könnte.

Die zweite große Überraschung war, sagte ich Ihnen, die Chaussee. Hier findet nämlich täglich der Korso statt. Eine prachtvolle, und da sie zu Vergnügungszwecken der Bojaren dient, ebenso trefflich angelegte als rein gehaltene, durch Besprengen sogar von Staub entblößte Chaussee, an beiden Seiten grüner Park, in welchem Musikkorps spielten, ist der Schauplatz, auf welchem die unabsehbare File der Wagen auf- und ab- fährt, um zu sehen und besonders gesehen zu werden. Ich hatte mir sehr viel davon erzählen lassen und war doch nur mit sehr geringen Er- wartungen hingekommen, wie ganz natürlich, wenn man solche Dinge in Paris mit angesehen. Aber ich war stupefait. Eine File von über vierhundert Wagen! Und welche glänzenden Karossen darunter. Und die Goldarnauten ! Und die Griechenkostüme! Und die rotröckigen Diener mit Barten bis auf den Bauch. Und die Damen, die Damen, die Damen! Die Fraicheur der Toiletten, die edlen Züge, welche der stets gelbliche Teint noch interessanter, noch sehnsüchtiger, noch wollüstiger, ich möchte sagen noch gieriger aussehen macht, Lillis vergleichbar, die sich selbst schon aufgezehrt haben und nur noch von der Wut auf- recht gehalten werden, auch andere aufzuzehren.

Hui! Welche Reihe von Weibern! Aber was erlebt man hier auch und was erzählt man sich hier auch! Dinge, die trotz aller meiner

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und Ihrer Herzensreinheit doch nur unter Männern wiederzuklatschen sind.

Es war Sonntags abend im Tivoli, als uns ein türkischer Offizier auffiel durch das Imposante seines Wuchses und seiner ganzen Erschei- nung. Ein Kopf größer als ich, verhältnismäßig gebaut, von ebenso leichtem als martialischem Anstand. An der Eleganz seiner Bewegungen war sofort zu ersehen, daß wir hier nicht einen Türken vor uns hatten, sondern einen jener Proskribierten, welche der Verlauf der letzten Revo- lution und der Wunsch, sich gleichviel auf welchem Umwege, ihr Vater- land noch wieder zu erobern, in türkische Dienste geführt. Friedland selbst fühlte sich so von dem einnehmenden Wesen dieses Mannes an- gezogen, daß er trotz seines Refugietums in mich drang, auf irgendeine Weise seine Bekanntschaft zu machen. Ich selbst war natürHch nicht weniger hierzu geneigt. Ich setzte mich also, als sich unser Offizier in das Cafe begab, an denselben Tisch mit üim, ließ meinen Grog neben den seinigen stehen, redete um in französischer Sprache mit einigen eine projektierte Reise von uns nach Silistria betreffenden Fragen an, und bald war unsere Unterhaltung in voUem Zuge. Er ist ein Italiener, Vene- zianer, heißt George Zettery, hat die Verteidigung Venedigs unter Manin ^) mitgemacht, ging dann nach Konstantinopel, trat bei Ausbruch des Krieges 2) in türkische Dienste, machte drei und einen halben Monat die Verteidigung von Sihstria mit und ist jetzt Bimbaschi, Major und Adjutant von Masseer-Pascha. Als solcher steht er jetzt bei seinem General in Bukarest. Sie können denken, daß wir, zumal der Major von der Wiener Kriegsschule her vortrefflich Deutsch spricht, schon im Laufe der ersten halben Stunde, ziemlich vertraut miteinander wurden. Als er hörte, daß ich nach Konstantinopel gehe, offerierte er mir Empfeh- lungsschreiben an seine Freunde daselbst, eine Offerte, die ich gern annahm und versprach uns zu diesem Zweck tags darauf zu besuchen. Wir sollten uns übrigens wider Erwarten noch denselben Abend sehen. Ich berühre auch das, weil es mit zur Charakteristik des hiesigen Lebens gehört. Unser Wirt hatte uns dringend ans Herz gelegt, ja nicht zu verabsäumen, ein gewisses Haus zu besuchen, welches einer alten Frau gehört, die den Trost der jungen Bojaren ausmacht. Außer den Mädchen nämlich die in konstanten Beziehungen zu ihr stehen, hat man, falls man sich in irgendeine Bojarin verliebt hat und der

1) Daniele Manm (1804 1857), der venezianische Diktator, der vom August 1848 bis zum August 1849 die venezianische Republik, die er mit ins Leben gerufen hatte, gegen die Österreicher verteidigte.

2) Gemeint ist natürlich der sogenannte Krimkrieg, in dem die Westmächte der Türkei gegen Rußland Hilfe leisteten, während Österreich und Preußen eine bewaffnete Neutralität beobachteten.

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direkten Operation sich Hindernisse in den Weg stellen, nur nötig, sich an die Vermittlung dieser Entremetteuse zu wenden. Der Preis freilich dann ein sehr hoher wird festgesetzt und in kürzester Zeit ist alles geebnet. Wie hoch dieser Preis ist, mag man sich entnehmen, wenn man weiß, daß niemals in diesem Hause für das gewöhnlichste zu demselben gehörige Mädchen weniger als zwei Dukaten bezahlt werden kann.

Hierhin also fuhren wir jetzt, um den Trouble mit anzusehen. Allein an der Treppe kam uns die Dame des Hauses entgegen, den Eintritt mit sehr entschiedener Miene wehrend. ,,Die Bojaren sind bei mir," sagte sie französisch, höflich aber fest, ,,und in diesem Falle kann ich niemand anders einlassen." Meine Freunde wichen. Ich aber glaubte nicht, daß ich von Düsseldorf bis Bukarest gereist sei, um mich hier vor Bojaren bescheidentlich zurückzuziehen oder gar in Besichtigung von Reise- kuriositäten hindern zu lassen. ,,Je suis plus que Bojare chez moi et je ne suis pas accoutume ä me laisser montrer la porte" warf ich vortretend der Frau mit einem Ausdruck von gebieterischem Stolz entgegen, der sie sofort bewog, ungewiß und verlegen einige Schritte zurückzuweichen. Der Frau nicht mehr achtend, schritt ich, von meinen Freunden in einiger Entfernung gefolgt, direkt auf den Salon zu. In einem von großen sil- bernen Girandolen hell erleuchteten, mit Smyrnaer Teppichen aus- geschlagenen Salon saßen zehn bis zwölf junge Bojaren um einen Tisch herum. Allgemeines tiefes Stillschweigen als ich eintrat. „Bonsoir Mes- sieurs." ,,Bonsoir" erwiderte es und dasselbe Schweigen. Ich schritt auf den Tisch zu und zündete mir an einer der Girandolen meine Zigarre an. Immer noch unterbrach kein Laut die Stille. ,,0n a voulu nous montrer la porte, mais peu accoutume ä 9a nous avons prefere de passer le soir en votre societe." Mit diesen Worten warf ich mich nachlässig in den I^ehnstuhl neben einem der jungen L,eute. Diese Anrede hatte aber auch ihnen die Gemütlichkeit und Heiterkeit wiedergegeben. Man bewillkommnete uns jetzt in sehr liebenswürdiger Weise, fabrizierte uns türkische Papierzigarren und wußte uns durch ein ebenso feines als zu- vorkommendes Benehmen in wahres Erstaunen und in die heiterste I,aune zu versetzen. Ein gutes Piano war im Zimmer. Seeling spielte und riß durch die wirklich seltene Bravour seines Spiels die Bojaren zum Entzücken hin. Einer der Bojaren, der eine vortreffliche Stimme hat, sang, und so war denn bald eine musikalische Soiree improvisiert. Nicht lange darauf öffnet sich die Türe zum zweiten Male und herein tritt in Gesellschaft eines anderen zu den hiesigen Zirkeln gehörigen jungen Mannes unser türkischer Major. Herzliches Gelächter über das unver- mutete Wiedersehen an diesem Orte. Wir brachten hier mehrere Stunden in der heitersten Unterhaltung zu. Die Bewunderung, die Seelings Spiel erregte, rief die Aufforderung der Bojaren an ihn hervor, hier ein öflfent-

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liches Konzert zu geben und wurde so die Veranlassung, daß Seeling zur Ausführung dieses Projektes, mit dem wir uns schon früher trugen, das aber seiner mannigfachen Schwierigkeiten halber bereits aufgegeben war, in Bukarest zurückgeblieben ist, während wir nach Giurgewo rückkehrten, und uns erst acht Tage später in Konstantinopel wieder einholen wiU. Auch Politik wurde geschwatzt. Einer der jungen Leute, namens Serjat, hatte 1848 an den hiesigen Bewegungen beim Einrücken der Russen teilgenommen, floh nach Konstantinopel und wurde dort auf Anstehen des russischen Gesandten nach Brussa interniert, wo er zwei- undeinhalbes Jahr verbracht hat. Ein Trost war es mir übrigens wahr- zunehmen, daß Österreich hier überall noch mehr gehaßt wird als selbst Rußland. Sogar das österreichische Konsulat ist von dieser Tatsache vollkommen überzeugt. ,,\Venn Sie hier wirklich die Gasbeleuchtung übernehmen wollen," sagte der den Generalkonsul vertretende Lega- tionsrat Baron Eder zu Friedland, ,,so darf ich nichts ostensibel tun, um dies Projekt zu unterstützen. Ich würde es sonst unfehlbar eben dadurch scheitern machen." Ja er ging so weit, Friedland zu sagen: ,,Sie würden sich ein Verdienst erwerben, wenn Sie dem Ministerium in Wien berichten wollten, wie sehr wir hier verhaßt sind. Mir selbst glaubt man es nicht. Man zieht vor zu glauben, daß ich nur die Schwierigkeiten meiner Position übertreiben will." An solche Illusionen in bezug auf die Stimmung des Auslandes ist man bei Regierungen gewöhnt. Wie man sich sie aber in bezug auf das Ausland machen kann das ist ein Geheimnis österreichischer Regierungsweisheit. Wie wohltuend ist es zu sehen, daß Österreich, dieser Erbfeind aller Völker, endlich bei allen Nationen, selbst bei Slawen und Rumänen den Haß und Grimm auf sich gezogen hat, den es so verdient. Der Haß gegen Österreich ist ein Sym- ptom von Ktdturbefähigung, ein Beweis von geistigem Leben, eine Bürgschaft für eine schöne Zukunft.

Am anderen Tage brachte mir unser Major die Briefe. Einen an Colonel Tyrr, der durch seine Verhaftung in Bukarest und den dadurch zwischen England und Österreich veranlaßten Konflikt so berühmt ge- worden ist, einen anderen an Major Scheidenberg, der den ganzen Siebenbürgischen Feldzug mit Bem^) mitgemacht hat, einen dritten an einen Leibarzt in Alexandrien. Wir revanchierten uns für seine Freund- lichkeit, soweit es in unserer Macht stand, durch ein treffliches Diner, das wir im Hotel de France gaben. Beiläufig grüßt sich hier österreichi- sches und türkisches Militär nicht, wenn es sich begegnet. Auch nicht die Offiziere. Und zwar ging dies von den Österreichern aus, die sich

^) Der polnische Revolutionsgeneral Joseph Bern (1795 1850) hatte sich 184S zuerst bei der Verteidigung des aufständischen Wiens, hernach am ungarischen Aufstand an führender Stelle beteiligt.

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diese Insolenz in einem unter der Souveränität des Sultans stehenden I/ande erlauben. Endlich flogen wir wieder Giurgewo zu. Diesmal aber flogen wir wirklich. Denn wir hatten inzwischen ein wenig gelernt mit den Walachen umzugehen und durch beständiges entsetzliches Toben in einer von mir eigens erfundenen I^ingua franca brachten wir sie dahin, wie Teufel zu fahren. Wir brauchten dreieinhalb Stunden weniger auf dem Rückweg als auf der Hinreise.

Jetzt sind wir wieder in Giurgewo, wo wir das heute anlangende Dampfschiff abwarten, um nach Konstantinopel zu gehen und wo ich diesen Brief fertig geschrieben habe.

Der Aufenthalt in Bukarest und den Fürstentümern überhaupt ist mir äußerst lehrreich gewesen. Bei der großen Zukunft, die diesen I,än- dern bevorsteht, bei der fast unaufschieblich gewordenen Notwendigkeit für Europa, die definitive I^ösung der orientalischen Frage und damit auch zugleich die definitive Neugestaltung der Fürstentümer binnen wenigen Jahren in die Hand zu nehmen, ist nichts nützlicher, als hier mit offenen Augen und Ohren zu reisen, selbst zu sehen, selbst zu hören.

Ich habe in dieser Hinsicht die interessantesten Wahrnehmungen machen können, die freilich nicht in den Rahmen dieser Briefe gehören, die sonst unendlich zu werden drohen. Nur soviel, daß der aktuelle Zu- stand dieser Fürstentümer in ökonomischer und materieller Hinsicht verglichen mit dem, was sie heute sein könnten, was sie zwanzig Jahre nach der europäischen Revolution sein werden, eine Schande mehr ist für die unglaubliche Impotenz der heutigen Regierungen Europas, die nirgends zu befruchten, nirgends zu beleben, nirgends zu entwickeln wissen, deren traurig-kleinliches System, deren ängstHche Schwäche Länder, die in jeder Hinsicht zu einem Überfluß und Reichtum weit um sich verbreitenden Garten bestimmt sind, nur im Zustande der Wüste zu erhalten verstehen.

Adieu und leben Sie mir wie die geliebten Eltern tausendmal wohl.

F. I^assalle.

Giurgewo, den 9, Oktober 1856. N.B. Ich wünsche, daß alle meme Reiseberichte von der Gräfin auf- gehoben und gesammelt werden, weil ich sie später vieUeicht benutzen werde. Ich schicke daher diesen Brief zuerst den Eltern und werde dies mit den meisten tun. SoUte ich aber welche der Gräfin zuerst [die Briefe] zuadressieren, so müssen die Eltern nachdem sie die Briefe von der Gräfin erhalten haben, sie derselben wieder zurücksenden, damit sie, die mit Papieren am ordentlichsten ist, sie aufhebt. Sollte die Gräfin aber auf längere Zeit nach Paris gehen, so soU sie Vater die Briefe zum Auf- heben überschicken.

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Ich bitte Papa sehr, einige Jassyer Bankaktien für meine Rechnung zu kaufen. Von politischen Zuständen weiß ich freilich nichts, da man hier keine Zeitung hat. Aber Politik ä part wäre es ein sehr gutes Geschäft, -da sie mindestens ihre 9 bis 10 Prozent geben werden.

Dritter Reisebericht

(Original)

Konstantinopel, 21. (10.) Oktober 1856.

Sie haben mich in meinem letzten Bericht bis zu meiner Rückkehr von Bukarest nach Giurgewo begleitet. Dort mußten wir einen Tag liegen bleiben, um das Donaudampfschiff zu erwarten, einen schreck- lich langen Tag für meine beiden Reisegefährten, weniger lang für mich, der ich ihn benutzte, meinen zweiten langen Reisebrief zu beenden und zur Post zu geben. Letzteres war übrigens nicht so leicht. Ich durchlief die ganze Stadt, um das Postbüro aufzufinden. Endlich fand ich es, draußen vor dem Tor, eine elende Hütte, und obwohl es vormittags elf Uhr war, kein Mensch darinnen; der Beamte sei ausgegangen, bedeu- tete uns ein vor der Lehmhütte herumschlendernder Walache, wir sollten einmal in einer Stunde wiederkommen. Vielleicht träfen wir ihn dann. Als wir das nicht ohne große Mühe und Not gegenseitiger Verständigung endUch begriffen hatten, hatte ich zugleich begriffen, daß es keineswegs sehr sicher und annehmlich sei, dies Experiment zu wiederholen. Ich zog daher vor, mich auf die Agentur der Donaudampfschiffahrtsgesell- schaft zu begeben und den Agenten zu bitten, die Besorgung meines Briefes, den ich zur Vorsicht rekommandierte, zu übernehmen. Er war sehr bereit hierzu und übergab mir in der Tat später persönlich, als wir aufs Schiff stiegen, den rekommandierten Schein, so daß ich die glück- liche Ankunft des Briefes in Breslau, wohin ich ihn adressierte, nicht bezweifle.

Es ist übrigens eben kein Wunder, daß hier der Postbeamte vormit- tags nicht auf seinem Büro ist, wenn man hört, zu welcher Stunde hier mancherlei Amtshandlungen vorgenommen werden. So ist es z. B. fest- stehender Gebrauch, die Kriminalverhöre mit den Inquisiten immer nur zu Mitternacht anzustellen. Ich habe nicht recht erfahren können, ob dies nur in der Absicht geschieht, einen besonderen Schaudereindruck hervorzubringen. Denn überhaupt sollen die Richter wie viele andere Beamten mit Sicherheit nur des Nachts anzutreffen sein, den Tag über in den Kneipen umherliegen.

In jeder Hinsicht bieten die Fürstentümer noch ein gutes, gutes Stück IMiitelalter dar, welches hier überdies durch den unterlaufenden orientalischen Zug zu einer eigentümlichen Fratze verzerrt ist. Das Land

Mayer, La^isallc-N'achlasi VI j.

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ist unteilbar und unverkäuflich in den Händen der Bojaren. Was Wunder, daß unter solchen Umständen kein Dritteil des I^andes angebaut ist. Die Verpachtungen geschehen auf sechs Jahre, nach welcher Zeit in der Regel gewechselt wird und immer dann, wenn es dem Pächter einfallen sollte, Verbesserungen vorzunehmen, weil der Bojar hieraus einen Schluß auf einen übermäßig großen Bodenertrag macht und in demselben Verhältnis den Pacht erhöhen will. Macht ein Pächter gute Einnahmen, so muß er dies unter Säuerei und Schweinerei und äußerlichem Verfall verstecken. Die Steuern sind nicht der Rede wert, so unbedeutend sind sie im ganzen. Dagegen sind sie mit mittelalterlicher Weisheit distribuiert. Die einzige direkte Steuer besteht in einer Kopfsteuer von einem Dukaten per Kopf, die gleichmäßig von jedem erlegt wird, vom ärmsten Tagelöhner wie vom reichsten Kaufmann und Bojaren. Die indirekte Steuer besteht in der Zolleinnahme. Diese aber ist, wie in Frankreich und bei uns vor der Revolution, vor 1789, an Privatleute ver- pachtet, welche das Recht haben, von den eingeführten Waren fünf Prozent des Wertbetrages in Geld oder in natura zu erheben, nach ihrer Wahl. Das Bankiergeschäft besteht in der einfachsten und massivsten Kursprellerei von der Welt. Bei uns ist es verhüllter, hier un- verhüllter Diebstahl, der Rembours nach Wien usw. kommt häufig bis auf zehn Prozent zu stehen. Unter diesen Umständen zweifelt hier kein Mensch, daß die Jassyer Bank die brillantesten Geschäfte machen muß. Wenn sie ihre Anforderungen nur ein wenig unter den Prätensionen der Bankiers in diesem Uande hält, wird sie den ganzen Rembours der Fürstentümer an sich reißen und dennoch bei uns unerhörte Gewinne an jedem dieser Remboursgeschäfte machen. Geld auf hypotheka- rische Sicherheit aber ohne jedes und alles Risiko ist hier mit zwölf Prozent zu plazieren. Es fragt sich nur noch, ob der Sultan der Bank zu Jassy die Konzession erteilen wird. Denn wie wir später hörten, ist ihr diese noch nicht bewilligt und England soll sehr dagegen manö- vrieren. Freilich dürfte ihr selbst im Falle der Verweigerung noch immer übrig bleiben, als Privatgesellschaft sich zu konstituieren.

Endlich verkündete die in dem Agenturgebäude aufgehißte Flagge, daß das Dampfschiff in Sicht sei. Da wir tags nach unserer ersten An- kunft in Giurgewo bei dem Agenten der Donaugesellschaft gehörigen Ivärm darüber geschlagen, daß man uns in Snarda statt in Giurgewo gelandet und uns selbst überlassen habe, uns fortzuhelfen, so erschien diesmal ein von dem Agenten uns zugeschickter Wagen, um uns nach Snarda zum lyandungsort des Dampfschiffes zu führen. Auf der Fahrt dahin, die wir das erstemal zur Nachtzeit zurückgelegt hatten, hatten wir jetzt Muße, den Schauplatz des siegreichen Treffens zu betrachten, das hier die Türken von Rustschuk, dem Giurgewo am jenseitigen Ufer

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gegenüber liegenden Orte aus vordringend, den Russen geliefert haben. ^) Man hört hier übrigens von allen Seiten die gute Manneszucht preisen, welche die Türken nach ihrer Besetzung von Giurgewo wie überall in der Walachei beobachtet haben. Als die Türken einrückten, zog ein panischer Schrecken vor ihnen her. Die Einwohner verließen ihre Häuser, flohen oder stellten sich unter den Schutz der fremden Konsuln. Aber die ersten vierundzwanzig Stunden genügten, um diese Panik zu beseitigen. Nir- gends wurde geplündert noch gestohlen noch irgendwie die Sicherheit der Personen verletzt. Seitdem tönt aus aller Munde ein einmütiges Lob der Türken, in welches selbst der gewiß nicht türkisch gesinnte Donau- gesellschaftsagent einstimmen mußte. Von den Russen hört man sie hauptsächlich immer dadurch unterscheiden, daß sie alle Lieferungen treu und pünktlich bezahlt haben, während von der russischen Armee niemals eine Zahlung zu erlangen gewesen ist. Handelt es sich um Angabe ihres Unterschiedes von den Österreichern, so wird die Sache noch schhmmer. Seitdem die österreichischen Truppen die Fürstentümer besetzt haben,^) sollen sie, wurde uns von einem griechischen Kaufmann in Galacz gesagt, in der Moldau allein in allerlei Händeln und Kon- flikten schon 1200 Menschen getötet haben. Die Zahl mag dreimal, \'ier- mal, fünfmal übertrieben sein. Aber am Wesentlichen der Sache ist nicht zu zweifehl. Dieselbe w^urde uns von allen Seiten bestätigt, von einem ausgewanderten konservativen Berliner, der in Galacz als Kaufmann lebt, von einem Beamten am preußischen Konsulat zu Galacz, ja von einem hohen österreichischen Beamten selbst. Irre ich nicht, so war es letzterer, der uns auch mitteilte, daß an einem Tage sieben Mann von dem gegenwärtigen Franz- Josef-Regiment wiegen Raubmordes gehenkt wurden. Von den Türken dagegen ist nirgends ein Beispiel einer von den Soldaten gegen Personen oder Eigentum verübten Gewalttätigkeit bekannt.

Die Gesellschaft auf dem Dampfschiff war zahlreich genug. Aber eine Fürstin Ghika war diesmal leider nicht darunter. Wir mußten vms dafür mit dem österreichischen Konsul, Baron Beck, den wir später wiedertreffen sollten und auf den ich daher zurückkommen werde und dem Fürsten Konstantin Sontzo behelfen. Letzteren hatte Friedland bereits beim Generalkonsul in Bukarest kennen gelernt. Er ging jetzt nach Braila, in dessen Nähe er große Güter hat. Wir kamen sehr bald in

^) Nachdem er die Russen zur Aufhebung der Belagerung Süistrias gezwungen, hatte Omer- Pascha (vgl. unten S. 215, Anmerkung) die Donau überschritten und ihrer Nachhut am 7. Juli 1854 bei Giurgewo eine Schlappe beigebracht.

'-) Nach der Räumung der Donaufürstentümer durch die Russen waren diese zuerst von den Türken, hernach auch von den Österreichern besetzt worden. Man einigte sich dahin, daß die Moldau von den Österreichern nllpin besetzt wurde.

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ein ziemlich lebhaftes politisches Gespräch und ich war nicht wenig er- freut, endlich, endlich einmal in den Fürstentümern einen durch und durch russisch gesinnten Mann zu entdecken. Ich sage, ich war nicht wenig erfreut. Denn ich wußte schon gar nicht mehr, ob das wirklich dieselben Fürstentümer sind, von deren russischen Sympathien unsere Zeitungsschreiber so viel zu erzählen wissen. Seit zirka zehn Tagen reiste ich in den Fürstentümern, hatte Bojaren und Handwerker, Gastwirte und Kaufleute überall angezapft und war noch nirgends auf ein irgend- wie russisch gesinntes Individuum gestoßen. Es ward mir ganz unbe- haghch zumute, etwa wie einem Naturforscher, in dessen Raritäten- kabinett irgendein wichtiges Spezimen fehlt und trotz aller Mühe un- vertreten bleibt. Der Fürst also hatte die Güte, diese Lücke in meinem Reiseerlebnis- und Raritätenkabinett auszufüllen. Freilich ist er auch eigenthch gar kein Walache, sondern von väterlicher Seite ein Grieche. Nur seine Mutter war eine Walachin und durch sie hat er, glaube ich, die großen Besitzungen in den Fürstentümern, wegen deren er dort lebt. Sein Bruder, der Fürst Michel Sontzo lebt noch in Athen. Als Grieche war ihm die Russomanie gleichsam Pflicht, und man muß gestehen, daß er dieser Pflicht zu entsprechen wußte. Er bewies mir, daß Rußland die Zivihsation gerettet habe, und als ich ihn ganz betreten fragte, wann und wo, da meine Geschichtskenntnis von selbst so weit nicht reiche, ergab es sich, daß er niemand anders als den polnischen Johann Sobieskii) damit gemeint habe und was dergleichen lustige Einfälle mehr sind. Bei alledem ist er ein Mann von großer Feinheit, Bildung und Erziehung. Neben der Russomanie ist seine hervorstechende Seite Begeisterung für Religion und Kirche. Aber noch eine andere Seite sollte sich ergeben. Friedland lenkte das Gespräch auf das alte Hellas und teilte ihm mit, daß ich die zerstreuten Fragmente Heraklits gesammelt habe und her- auszugeben gedenke. Und nun zeigte sich, daß der Mann auch noch ein begeisterter Hellene war. Er ist recht bewandert in der Geschichte seiner Vorfahren, schwärmt für sie, nennt sie das erste Geschlecht der Welt und erhitzte sich in seinem orientalischen Stil so weit, mich für einen bien- faiteur de la litterature et du monde zu erklären.

Ist es nicht merkwürdig, was für seltsam kontrastierende Dinge in einem und demselben Menschenkopfe Platz haben? Russentum und Athen, der heitere Hellenismus und griechisch-christliche Dumpfheit. Kein Koch könnte ein pikanteres, sich mehr widersprechendes Ragout zusammenbrauen.

Es ist doch was herrliches um den Kompaß deutscher Bildung, der einem wenigstens sagt, was man an jeder dieser Substanzen hat, wo jede 1) Johann III. Sobieski (1624— 1696), König von Polen seit 1674, hatte 1683 das von den Türken hart bedrängte Wien entsetzt.

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hingehört und welche Sauce sich für jede eignet. Schließlich offerierte und gab mir der Fürst warme Empfehlungsbriefe für seinen Bruder, den Fürsten Michel in Athen. En revanche gab ich ihm ein Fragment Hera- klits, das ich auf meine Karte schrieb. Lasen wir es mit den Augen, so waren wir beide darüber einig, lasen wir es aber laut, so konnte keiner den anderen verstehen. Er freute sich sehr über das Andenken, und ich mußte ihm versprechen, ihm seinerzeit das Werk zu schicken.

Bei Süistria flogen wir leider in der eben nicht sehr hellen Mondnacht vorbei, so daß ich von der Festung wenig sehen konnte. Aber nach aller Versicherungen sind die Festungswerke äußerst, äußerst unbedeu- tend. Die Brust der ^länner ist die ]\Iauer der Stadt gewesen, wie in den Zeiten Spartas. Ich weiß nicht, ob irgend jemand mit Fürst Sontzo darin wird übereinstimmen wollen, daß Sobieskis Tat vor Wien den Russen zuzurechnen sei. Soviel aber weiß ich, daß diesmal vor Süistria das türkische Lager die Zivüisation bedeutete.^)

Frühmorgens elf Uhr langten wir an einem Freitage in Galacz an, dem bedeutendsten Hafen der Fürstentümer. Hunderte und Aber- hunderte von ]Masten bedeckten die Donau auf beiden Ufern. Es war der erste Hafen, den ich sah, und ich würde Ihnen unbedingt eine sehr stattHche Beschreibung desselben gemacht haben, wenn ich nicht seit- dem den von Konstantinopel gesehen hätte.

Das Eilschiff nach Konstantinopel sollte schon in zwei Stunden ab- gehen. Wir hätten sehr wohl mitkönnen, da wir gar nichts in Galacz zu tun hatten. Allein Haase hatte daselbst Geschäfte, die nicht in zwei Stunden zu absolvieren waren, und da bereits Sonnabend nacht ein zweites Dampfschiff abgehen sollte, so wollten wir wegen dieser andert- halb Tage uns nicht von Haase trennen. Wir bHeben also, freilich nicht ahnend, daß aus diesen anderthalb Tagen vier Tage werden sollten. Das Schiff" nämlich, das Sonnabend nacht abgehen sollte, mußte erst aus Konstantinopel kommen. Es sollte schon Freitag abend anlangen. Stürme aber hinderten es, in die Sulina einzulaufen, so daß es statt Freitag erst Montag anlangte und daher wegen der zur Aus- und Ein- ladung nötigen Zeit erst Dienstag mittag mit uns abgehen konnte.

So mußten wir denn fast vier Tage in Galacz kampieren. Ein wahr- haft schrecklicher Aufenthalt. Galacz betreibt einen immensen Handel, der sich besonders während des Krieges sehr gehoben. Es soll an 50 000 Einwohner haben, aber für jemand, der eben nicht dort Geschäfte hat, gibt es keinen elenderen Aufenthalt. Wir stiegen im ersten Hotel der Stadt, dem Hotel de Paris ab. Diesen Namen hatte sich eine Baracke

1) Die Russen hatten am 22. Jirni 1854 die Belagerung Silistrias, die sie im April begonnen hatten, aufgeben und danach auch Moldau und Walachei räumen müssen.

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beigelegt, welche nur aus einem Erdgeschoß besteht, in welcher die Betten von Ungeziefer voll sind und wo das Essen so schlecht ist, daß die Zeit des ^Mittagessens, die ich sonst so oft scherzend die schönste Stunde des Tages nannte, mir stets bei ihrem Herannahen ein Grauen einflößte. Galacz ist weit entfernt, irgendeine der Eigentümlichkeiten Bukarests zu besitzen. Das vorherrschende Element sind die polnischen Juden. Die ganze Stadt eine polnische Judenstadt. Selbst in unserm Hotel, obwohl der Wirt ein Christ und ein Franzose war, die Bedienung, Kellner usw. jüdisch. Die Häuser alle einstöckig oder bloßes Erdgeschoß. Das Pflaster fürchterlich. Der Schmutz kolossal. Bemerkenswert in ganz Galacz nichts als das Gewimmel am Hafen, wo Kaufmannsläden, De- pots, schlechte Cafes miteinander wechseln und über die weglosen Wege beständig die Woge der Juden und Griechen sich hin und herschiebt. In diesem Tandis mußten wir wie gesagt vier Tage weilen und also per- sönliche Bekanntschaft mit den Unannehmlichkeiten machen, welche der gegenwärtige Zustand der Siüina für Waren- und Menschentransport zur Folge hat. Es war schwer, diese vier Tage herumzubringen. Er- freut war ich bei einem Zigarrenhändler, der auch ein cabinet de lecture und eine Art von Buchhandel hatte auch Schuhe, auch Champagner, auch Tee denn hier werden die verschiedenartigsten Handelszweige in einem und demselben Laden vereint Schiller zu finden und Uhland und Freiligraths erste Gedichte. Diese Bücher werden hier viel gelesen, versicherte mir der Mann. Jedes solches Zeichen von der fortschreitenden welterobernden Macht unserer Literatur ist für mich eine Wahrnehmung von großer Befriedigung, denn es ist mir eine Garantie sowohl von dem Progreß der allgemeinen Bildung als auch von dem geistigen Aszen- dant, welchen der Genius deutscher Nation über die anderen Völker mehr und mehr zu gewinnen beginnt. Die geistig-zivilisatorische Arbeit ist das wahre deutsche Nationalprodukt.

Montag bereits begaben wir uns nachmittags auf das Schiff und übernachteten daselbst. Aber erst Dienstag mittag lichteten wir die Anker. Sie wissen, daß man von Galacz aus zirka zwölf Stunden braucht, um die Sulinamündung zu erreichen. Da wir aber nachts hielten, langten wir erst Mittwoch gegen elf Uhr vormittags an der Mündung an. Die Fahrt durch den Sulinakanal wäre daher langweilig genug gewesen, wenn wir nicht eine sehr liebenswürdige Reisegesellschaft an Bord gehabt hätten in der Person des früheren österreichischen Konsuls aus Konstantinopel, Baron Beck. Gegenwärtig ist derselbe zum österrei- chischen Bevollmächtigten bei der europäischen Kommission ernannt, welche in Gemäßheit des Pariser Friedens die Sulina-Angelegenheit definitiv regulieren soll. In dieser seiner Eigenschaft residiert er jetzt in Galacz, dem Sitze der Kommission und machte mit uns die Fahrt

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bis zur Sulinamündung, um dort eine Okularinspektion zu halten. Er ist ein ebenso liebenswürdiger als gebildeter Mann und war uns besonders interessant durch die mancherlei Aufschlüsse, die uns durch ihn über die Sulina-Angelegenheit zuteil wurden. Er hatte ein im Manuskript gedrucktes Promemoria bei sich, welches österreichischerseits der Kom- mission vorgelegt werden soll. Es enthält zWei Gutachten des österrei- chischen Oberingenieur Mr. Wex und des Chevalier de Posetti über die gegenwärtige Beschaffenheit der Sulina sowie über die Arbeiten, welche zu einer gründlichen Beseitigung der jetzigen Übelstände vor- zimehmen wären. Liest man dasselbe, so muß man sich billig verwundem, wie die resp. Regierungen und zumal Österreich den bisherigen Stand der Dinge, den Rußland, um allen Handel künstlich auf Odessa zu kon- zentrieren, absichtlich unterhielt, so lange dulden konnten. Die Donau läuft bekanntlich in zwei Armen in das Schwarze Meer, der Sulinakanal und der Kanal von St. Georges. Letzterer wird seit etwa fünfzig Jahren infolge eines großen Sturmes, der damals die Mündung verschüttete, gar nicht mehr befahren. Alle Schiffe gehen vielmehr durch die Sulina. Vor jenem Ereignis war dagegen der Kanal von St. Georges der gewöhn- lichere Weg. In der Sulinamündung sinkt nun der Wasserstand bisweilen bis auf sechseinhalb Fuß. Gegenwärtig hatte er infolge günstiger Er- eignisse und einiger provisorischer Arbeiten die Höhe von neun Fuß. Um vollständig allen nötigen Anforderungen zu entsprechen, würde er eine gesicherte Höhe von fünfzehn Fuß haben müssen. Infolge des nied- rigen Wasserstandes müssen nun die Segelschiffe, welche an der Sulina liegen, hin und wieder nicht weniger denn vier Monate liegen bleiben. Ferner müssen sie die Güter auf Kähne einladen, um sie über die Sand- bänke zu bringen und jenseits aufzuladen, wobei Verlust an Ladung, zumal Getreide, und Havarie unvermeidlich. Endlich verursacht die Pilotage (Pilotengebühr) erhebliche Kosten. Viele Schiffe gehen überdies mit ihren Ladungen gänzlich zugrunde, und ein an einer unglücklichen Stelle gescheitertes Schiff macht aller Schiffahrt auf viele Wochen und selbst Monate ein Ende. Bei alledem wird die Sulina jährlich im Durch- schnitt von 2500 Schiffen durchschnittlich zu 150 Tonnen Last passiert. Das Memoire schlägt nun aus verschiedenen hier zu übergehenden Gründen vor, nicht die Sulina, sondern hauptsächlich den St. Georgs- kanal schiffbar zu machen. Die vollständige Kanalisierung, übrigens sei es des St. Georgskanal, sei es der Sulina, würde nicht mehr als elf bis zwölf Millionen Fr. erfordern. Die Kosten, welche die 2500 Schiffe jährlich für Ab- und Aufladen und für Pilotage zu zahlen haben, be- tragen nicht weniger als vierundeinehalbe ^Million. Inschließlich des durch das Ab- und Aufladen entstehenden Ladungsverlustes und der Havarie berechnet sie das Gutachten auf acht Millionen Fr. Dabei ist

aber nur die bisherige Zahl von 2500 Schiffe zugrunde gelegt und nicht einmal darauf Rücksicht genommen, daß von nun an teils infolge der Vermehrung des Handels im allgemeinen, teils besonders infolge einer außerordentlichen Kanalisierung eine weit größere Anzahl Schiffe diesen Weg nehmen und somit eine weit größere Kostenersparnis durch die Wasserbauten bewirkt wird. Ferner ist nicht einmal auf die untergehen- den Schiffe und Güter Rücksicht genommen. Endlich nicht Rücksicht genommen auf den immensen Zeitverlust, auf die mit einem mehr- wöchentlichen und mehrmonatlichen lyiegenbleiben in der Sulina ver- bundenen Verteuerung des Transportes durch die während dieser Zeit dem Schiö'spersonal zu gebende lyöhnung und Kost, auf den Zinsver- lust, auf die Unsicherheit aller Geschäfte und Unternehmungen, die durch diesen Aufenthalt entstehen. Rechnet man dies hinzu, so sieht man, daß die ganze Kostensumme, welche die Kanalisierung ein für allemal erfordert, noch sehr überstiegen wird durch die Kosten und Einbußen, welche der jetzige Zustand jährlich der Schiffahrt und dem Handel auferlegt. Das hat man bis 1856 ganz ruhig mitangesehen, und das nennt man Regieren!

Und noch jetzt, wie weit ist man von der wirklichen Beseitigung der Übelstände entfernt! Wie lange wird es dauern, bis die fünf Be- vollmächtigten zu Galacz sich definitiv geeinigt haben werden. ,,Wenn wir heut über zwei Jahre so weit sind, die Arbeiten wirklich in Entre- prise zu geben, werde ich mich sehr freuen," sagte mir Herr von Beck. Schöne Aussichten!

Nicht nur aber über die Sulina-Angelegenheit, auch sonst hatte ich mit Herrn von Beck ebenso interessante als angenehme Konversation. Wir spielten bis abends elf Uhr Piket, und ich hatte das Vergnügen, dem österreichischen Diplomaten zu zeigen, wie man Piket spielt zu Venedig. Um elf Uhr, während alles schon schlief, zündeten wir zwei uns unsere Zigarren an und begannen zu plaudern. Ich will das Gespräch, das mit dem orientalischen Kriege anfing, hier nicht weiter skizzieren. Nur soviel will ich Ihnen sagen, daß es mir eine neue Bestätigung war, wie selbst unter den Diplomaten sich jeder halblich verständige Mann wenig Illu- sionen über die I^age der Dinge macht.

An Reni, Ismail wo 1854 der erste türkische Kanonenschuß auf die russische Donauflottille gefallen war und Tultscha vorbei langten wir endlich an der Sulinamündung an. Da lagen die Hunderte und aber- mals Hunderte von Segelschiffen, des Zeitpunktes harrend, wo sie aus- laufen konnten, rechts das kleine elende Städtchen Sulina und der Leuchtturm, im Vordergrunde die Wracks von gestrandeten Schiffen und dahinter, dahinter sich hebend und senkend eine dunkelgrüne un- absehbare Fläche, von weißen Schaumstreifen zerrissen das unendliche

?^Ieer! Das Meer der fernsten vSage und der ersten Geschichte! Das Meer, das der Kiel der Argo durchschnitt, das Jason und Orpheus, Herkules und die Dioskuren trug. Das Meer, das von der entgegen- gesetzten Küste nach unendlichen Leiden anlangend die Zehntausend jauchzend begrüßten.

Wir hielten hier nicht lange. Baron Beck flog auf einer von acht Ruderern beschwingten Barke ans Ufer und wie zum Austausch flog von einem englischen Dampfer ein Boot heran, den Major Stocks, den eng- lischen Kommissär für die Sulina-Regulierung uns bringend, der sich mit uns auf einige Tage nach Konstantinopel begab.

Eine Viertelstunde später und keuchend und krachend bald rechts, bald links sich neigend hoch aufspringend und wieder wie im Takte sich senkend, durchschnitt das Schiff die tanzenden Fluten. Es ist etwas Schönes um eine Meerfahrt. Es ist schön und sympathisch für die Brust eines starken Mannes, auf der schwankenden Planke zu stehen, wenn die weißen Wellen wie verlangende Najaden hoch aufspritzen an den Wänden des Schiffes und das endlose Spiel der Wogen immer von neuem besiegt wird von dem majestätischen Kiele der, gleichsam seines menschlich-verständigen Ursprunges sich bewußt, unbekümmert um das Getreibe der Wellen in stolzer Sicherheit seines selbstgewählten Weges daherzieht es hat dieser Genuß jedoch auch seine Schattenseite! Neigung und Schicksal stimmen, wie Sie wissen, bei mir ganz merkwürdig darin überein, daß ich stets jedes mir ganz Neue mit seinem Schwersten zu beginnen hebe und beginnen muß. So habe ich griechisch gelernt an Sophokles, die Philosophie begonnen mit Hegels Phänomenologie, Ju- risterei gelernt an Ihren Prozessen und die erste Seefahrt sollte ich auf dem Schwarzen Meere, dem schlimmsten von allen, und im Oktober machen, d. h. in der unmittelbar auf die Äquinoktialstürme folgenden Zeit, in welcher das Meer am aufgeregtesten ist. Auch ging die See während der ganzen, zwei Tage und zwei Nächte erfordernden Fahrt mit Ausnahme von vielleicht zwei Stunden sehr hoch. Wir hatten nicht gerade Sturm, aber nach des Kapitäns eigener Erfahrung schon recht schlechte Überfahrt. Zwei Stunden bot ich der Seekrankheit mutig auf dem Verdecke hin- und herwandelnd Trotz. Dann ergrift' mich das Übel. Heftiges Erbrechen stellte sich ein. Dies war noch nichts. Unangenehm wurde der Zustand erst dann, als der entleerte Magen sich immer und immer wieder erbrechen wollte und doch nicht konnte. Oh, wie da in der krampfhaften Anstrengung dieses Ringens die grüne und gelbe Galle kam. Friedland, dessen Naturell nicht zur Seekrankheit neigt, blieb frei. Freilich hatte er auch nicht nur schon vierzehn Seereisen gemacht, son- dern hierdurch belehrt auch andere Präparationen beobachtet, indem er sich gleich auf sein Bett in die Kajüte legte. Von zwei bis fünf Uhr etwa

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blieb ich in diesem Zustand. Dann streckte ich mich von der übergroßen Anstrengtmg ermüdet aufs Bett. Und jetzt kam mir zustatten jenes Göttergeschenk, das mir von eines freundlichen Genius Hand bei meinem Bintritt ins Leben zuteil geworden. Was ich stets und unter allen Ver- hältnissen konnte, außer einigen Malen, wo Sorge, Liebe und Wut einen zu stürmischen Zweikampf in meinem Innern kämpften ich konnte €S auch hier, trotz Schwenkung und Senkung, trotz Beugung und Nei- gung. Ich schlief ! Und wieder bewährte mir der Schlaf seine balsamisch heilende Kraft. Ich schlief ununterbrochen bis acht Uhr und als ich auf- wachte — ich fühlte mich so frei und rein von aller Seekrankheit, so gesund, so wohl, so stark, ich ,, konnte Eichen zerbrechen". Das tat ich nun zwar nicht. Ich begnügte mich, in sehr lustiger Stimmung bis elf Uhr auf dem Deck zu wandern. Dann legte ich mich noch einmal hin und schlief wiederum und ebenso solide, so massiv, so ununterbrochen bis morgens sechs Uhr. Dann stand ich auf, frisch und munter, als wenn ich auf dem Festland wäre. Eine Stunde darauf hatten wir Warna erreicht. Da wir, um frische Kohlen und Lebensmittel aufzunehmen, ohnehin drei Stunden in der Bucht von Warna liegen bleiben mußten, beschloß ich, obwohl die vSee sehr hoch ging und weder Friedland noch Haase mich begleiten wollten, die Fahrt nach Warna hinüber zu machen. Ein Engländer schloß sich mir an und so stiegen wir denn in eines der vom Ufer herübergekommenen, mit drei Ruderern bemannten türkischen Boote. So nahe die Küste vor uns lag, so dauerte es doch zwanzig Mi- nuten, ehe wir sie erreichten. Wie wurde aber auch das Boot hin und her- geworfen von den stürmischen hoch ansteigenden Wasserbergen! Das war eine noch ganz andere Bewegung wie im Schiff, wenn das kleine tanzende Boot hoch hinaufgehoben wurde und dann wieder jäh in die Tiefe fuhr, so daß der nächste Gegenstand, der uns eben sichtbar ge- wesen war, wieder verschwand, weil der Wasserberg zwischen ihm und uns ihn uns verdeckte. Auf der Rückfahrt fuhr noch ein zweites Boot mit Proviant einige Schritte von uns. Das war zu lustig, wenn es alle Minuten unseren Augen entschwand in die Tiefe schießend, eine Minute darauf wieder wacker empor sich arbeitend sichtbar wurde und die Wellen so uns bald uns gegenseitig zeigend bald versteckend, ihr loses Spiel mit uns trieben. Drei Wasserberge schlugen über unser Boot zusammen, daß wir alle triefend dasaßen vom Kopf bis zu Füßen. Das alles jedoch erhöhte nur die Munterkeit. Endlich langten wir am Ufer an. Aber jetzt begann erst die größte Schwierigkeit: zu landen. Zehnmal mindestens warf uns die weiße brausend vom Ufer zurückkehrende Brandung wieder rückwärts in das Meer hinein. Endlich gelang es, einen Moment zu erhaschen und, ehe die Brandung zurückkehrte, einzulaufen. Wir durchrannten der Kreuz und Quer die Stadt, geführt von einem auf der

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Straße aufgegriffenen Cicerone, einem Juden, der als solcher Deutsch sprach. Warna, dieser große wichtige Hafen, von dem man sich bei uns gewiß wer weiß welche Vorstellungen macht, ist eine überaus elende Stadt. Hier findet man bereits die blassen orientalischer Hunde, die in Belgrad schon verschwunden sind. Wir ließen uns die Kasernen zeigen, welche von den Franzosen und Engländern eingenommen waren. Die Gassen in der Nähe zeigen noch deutlich die Überbleibsel dieser Be- setzung. Denn diese elenden schmutzigen Kotwege sind an den Seiten mit blauen Zetteln beschlagen, auf denen in weißer Schrift die Namen stehen: ,,Rue de l'aUiance", ,,Rue de la bonne esperance" usw. Auch manche halb wieder verwischten Aufschriften ,,Cafe de Talliance" usw., angebracht auf Türen, die man für Stalltüren hätte halten sollen, er- innern an jene Zeit. Wir wohnten einer licitation auf der Straße bei, kauften herrliche Weintrauben, nahmen wieder ein Boot, erreichten unser Schiff, hißten uns mit einiger Anstrengung glücklich auf die Schiffs- treppe hinauf, was nicht so leicht war, weil die Wellen das Boot immer wieder vom Schiff abtrieben und kamen noch glücklich zu dem reich- lichen de jeuner zurecht, welches auf unserem Schiffe um zehn Uhr täglich eingenommen wurde. Ich war und blieb den ganzen Tag hindurch von aller Seekrankheit völlig unbelästigt, so hoch auch die See ging, und glaubte bereits die Seekrankheit ein für allemal überstanden zu haben. Dies war jedoch ein leiser Irrtum. Abends setzten wir uns mit dem eng- lischen Kommissär, IVIajor Stocks, zu einer Whistpartie. Wir waren im dritten Robber, als die Bewegungen des Schiffes ausnehmend stark zu werden anfingen. Die Karten flogen einigemal vom Tisch, das Krachen der Schiffswände wurde immer stärker, und wir waren froh, als wir die vier Robbers vollendet hatten. Besonders der Major; denn er der auch keine Wasserratte, sondern eine Landratte ist hatte kaum Zeit, seine Kajüte zu gewinnen, als die Katastrophe bei ihm eintrat. Ich fühlte mich gleichfalls wieder unwohl werden und stürzte auf das Verdeck. Aber die Bewegung des Schiffes war so stark, daß es nicht möglich war, oben zu gehen, ohne alle Augenblicke gegen die Seite geschleudert zu werden und auf die Bank zu fallen. Bis elf Uhr blieb ich oben. Die Katastrophe trat bei mir nicht ein. Aber ich fühlte mich die ganze Zeit übel. Doch schlief ich nachts vortrefflich. Am anderen Tage Freitag den siebzehnten war ich früh auf. Meine Übelkeit stellte sich jedoch bald wieder ehi, und ohne daß es zum Ausbruch kommen konnte was ich sehr gewünscht hätte verblieb ich in diesem Zustande von Halbunwohlsein bis wir in den Bosporus einliefen.

Endlich lief ein Gemurmel durch die Passagiere des Schiffs. ^lan stürzte aus dem Kajütensalon auf das Deck. Die Berge Asiens lagen vor uns. Es ist ein eigentümliches Gefühl, zum erstenmal Asien vor sich zu

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sehen, mit seiner vom Reiz der Vorzeit und Erinnerung umflorten Stirn. Europa ist das I^and der Geschichte und ihrer festen und deutHchen, besonnenen und verständigen Schrift Asien aber das Land der Sage, der Vorwelt, des Mythos, das Land jenes poetischen, ungeschiedenen traumhaften Zustandes, welcher in der Entwicklung des Menschenge- schlechtes wie des Individuums dem Zustand der Geschichte vorhergeht. Da lag es mit seinen blauen Höhen, umspielt von all dem Zauber, mit dem uns Poesie und Sage vom Knabenalter an dies Land der Deutungen und des Traums umgeben, in einen leisen halb durchsichtigen Nebel eingehüllt, ein Symbol gleichsam des asiatischen Geistes selber. Vorn übergeneigt schienen diese blauen Berge sehnsüchtig sich über die schmale Wasserstraße des Bosporus nach Europa hinstrecken zu wollen, als teilten sie den dunklen mächtigen Zug, der Asiens Völkerschaften stets sich nach Europa zu ergießen trieb.

Es war (Freitag) elf Uhr, als wir bei den Symplegaden vorbei in den Bosporus einfuhren, der Europa von Asien trennt. Kaum war das Schiff bei der ersten Landspitze vorüber, als jede an die Seefahrt erinnernde Bewegung aufhörte. Die Fahrt ghch in dieser Hinsicht ganz der Fahrt auf einem Flusse, vorüber war jede Regung von Seekrankheit und un- gestört konnte man sich der ganzen ungeahnten Pracht dieses Anblicks hingeben. Sie werden nicht voraussetzen, daß ich unternehmen sollte, Ihnen diese Fahrt vom Eingang des Bosporus bis Konstantinopel, die gegen einundeinehalbe Stunde dauert, zu beschreiben. Das gehört zu den wenigen Dingen, die vollständig unmöglich sind! Das Ganze ist wie ein Traum, wie eine untmterbrochene Aufeinanderfolge von Wundern, denen man staunenden Auges, geöffneten Mundes, mit zurückgehaltenem Atem lauscht. Sieben Vorgebirge und sieben tiefe Baien auf der asia- tischen, und ebenso sieben Vorgebirge und sieben Buchten, jenen ent- sprechend, auf der thrakischen Seite des Bosporus bilden die Ufer des- selben. Auf der asiatischen Seite, im Hintergrunde, die blauen duftum- hüllten Berge Asiens, wie durch ein magnetisches Fluidum unwider- stehlich anziehend auf unsere Phantasie wirkend ; alle Buchten wimmelnd von Schiffen und Barken; vorn an beiden Ufern die unermeßlichen Reihen der Häuser, Paläste und Gärten, die, wenn man weiter vorwärts kommt, unterbrochen sind von den schlanken weißen Minaretts und den majestätisch-gewölbten Kuppeln der Moscheen, die hoch über dieses Häuser- und Palästemeer ragen ; dicht zu ihren Füßen das südliche blaue Meer mit seinen Silberstreifen; ein eigentümlicher, warmer, Liebe und Genuß, Ruhe und Wollust atmenden Hauch über der ganzen Landschaft das ist der Bosporus.

Auf einmal erhebt sich wie mitten aus dem Meere, hoch emporragend, alle bisherige Pracht des Anblicks noch überbietend ein großes, seit-

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sames gebautes weißes ^Marmorschloß. Es ragt nicht nur ins Meer, es steht unmittelbar in demselben. Vier hohe achteckige Terrassen aus weißem Marmor sind, wo das asiatische Ufer weit vorspringt ins Meer, in das Meer gebaut, und auf denselben erhebt sich, ein grandioses Acht- eck, ganz aus weißem ]\Iarmor, das mächtige Schloß, das Mehemet Ali^) zu seinem Erbauer hat. Von außen ist es fertig; aber den inneren Ausbau hat er nicht vollendet und Said-Pascha, 2) sein Sohn, scheint keine Lust dazu zu haben. Immer und immer wieder mußte ich, als wir schon lange vorbei waren, mich noch einmal zurückwenden nach dem wegen seiner Lage noch weithin wahrnehmbaren Schloß, das stets, von wo man es auch betrachtet, wie ein Palast der Feen mitten im Meer zu liegen scheint; wie gebannt bleibt man von dem wunderbaren Zauber dieses Anblicks imd unwillkürlich mußte ich leise vor mich hinsummen die Worte jenes Uhlandschen Liedes: ,,Es stand ein Schloß am Meere" usw. Wie oft habe ich das deklamiert und mir nichts Sonderliches dabei ge- dacht! Jetzt weiß ich, was das heißt: Es stand ein Schloß am Meere!

Kaum hat die Windvmg des Bosporus den sich nicht losreißen können- den Augen das Feenschloß entrückt, als wieder ein anderer, auch anders- gearteter, vielleicht nicht gar so tief romantischer, aber noch pracht- vollerer, erstaunlicherer Anblick uns ergreift. Es ist das neue ]\Iarmor- schloß des Sultans, an dem man neun Jahre gebaut hat und das erst vor sechs Monaten fertig geworden und von ihm bezogen worden ist. Nicht Paris, nicht Versailles haben ein Schloß, das sich auch nur ent- fernt mit diesem in bezug auf Lage und Pracht des äußeren Anblicks messen könnte. Es liegt am europäischen Ufer, längs der Küste, nicht avif einem Vorgebirge, aber hart im Meer. Es ist ganz aus weißem Marmor gebaut. Selbst die unterste vom Meer bespülte graue Rampe ist Marmor. Die Front zählt 130 Fenster. An allen Pfeilern und Fenstern ist die Skulptur verschwendet. ^Mächtige Portale von Säulenfaszikeln getragen. Drei in das Meer reichende Pforten massiv vergoldet, weithin leuchtend und blitzend. Es ist die erste Probe, die man erhält von der Pracht des Morgenlandes ! So hat man sich als Kind bei den ^Märchen der Scheherezade, die Paläste der Kalifen, den Palast Harun al Raschids gedacht.

Kaum ist man vorüber, so hat man auf der asiatischen Seite Skutari vor sich mit seiner großen, weithin leuchtenden weißen Militärkaserne, und auf dem europäischen Ufer, Skutari hart gegenüber, die Serailspitze mit ihrem Walde von Zj-pressen, ihren Reihen von Palästen, Kiosken,

1) Mehemet Ali (1769 1844), der berühmte Vizekönig von Ägypten und ge- fährliche Feind der türkischen Herrschaft über die arabische Welt.

2) Said-Pascha (1822 1863), Sohn Mehemet Alis, war von 1S54 bis 1863 Vize- könig von Ägypten.

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Kuppeln, Moscheen und allen ihren geheimnisvollen, von keinem Euro- päer noch betretenen Höfen. Die Serailspitze bildet das Uferende der weithineinlaufenden Bucht, das Goldene Hörn genannt, und in Wahrheit ist es ein goldenes Hörn. Denn jetzt erst liegt Konstantinopel vor uns am Gestade des mit einem Mastenwald von Schiffen besäten Goldenen Hornes, Konstantinopel wie Rom auf sieben Hügeln gebaut, auf denen sich die Moscheen mit ihren unvergleichlichen Kuppeln erheben. Die grolBe tief ausgeschweifte Bucht des Goldenen Hornes ist es, welche das eigentliche Konstantinopel, das alte Byzanz, von den Türken Stambul genannt, von seinen Vorstädten Galata, Pera usw. trennt, in welchen der europäische Handel seinen Sitz hat und europäische Fremde ihre Wohnung nehmen. Das Dampfschiff landet in Galata. Wir stiegen aus.

Die Bewohner von Konstantinopel sagen, man müßte Konstanti- nopel nur von außen sehen und dann umkehren. Für mich selbst möchte ich das nicht sagen, denn abgesehen von vielem anderen ist schon die Physiognomie Konstantinopels eine überaus eigentümliche, die gesehen zu haben ein gutes Teil Mühe reichlich aufwiegt. Damen aber bleibt wirklich beinahe kaum etwas anderes übrig, wenn sie nicht von einer unverwüstlichen Körperverfassung sind, denn jeder Genuß muß hier mit ganz unsäglichen Anstrengungen erkauft werden. Die Ursache liegt an den fürchterlichen, unerhörten, polizeiwidrigen Straßen Konstanti- nopels und ihrem entsetzlichen, unaussprechlichen Pflaster. Ich habe versucht, Ihnen von Bukarest eine Schilderung zu geben und ich glaube, daß mir diese Aufgabe vielleicht nicht ganz mißlungen ist. Aber wie wäre es möglich, von diesem bunten barocken Gewimmel, von dieser regellosen, wilden, grotesken Sonne, die man jedesmal vor Augen hat, wenn man das Zimmer verläßt, ein entsprechendes Wortbild zu geben? Um von Galata nach Pera, wo wir wohnen, zu gelangen, muß man einen Straßenberg hinaufklimmen, gepflastert mit Steinen, so entsetzlich, so spitz, so scharf und eckig, so unregelmäßig durcheinander geworfen, daß sie den geduldigsten Seelen Verwünschungen entlocken. Dabei ist dieser Berg von einer Höhe, welche die des Grafenberges bei Düsseldorf bei weitem übertrifft, und so nahe drängen die Häuserreihen von beiden Seiten aufeinander ein, daß selbst die engen Gassen Kölns von einer aus- nehmenden Breite dagegen erscheinen. Und was Schmutz ist, lernt man erst hier. Was ich davon anderwärts und auch in Bukarest sah, sind nur lächerlich bescheidene Andeutungen. Kaum hat es zwei Tage ein wenig geregnet, als sich Moräste, stehende Flüsse von Schmutz, tief genug und weit über die Knöchel darin einzusinken, in den Gassen bildeten. Durch diese engen schmutzbedeckten Gassen, diese höllischen Pflasterberge hinauf und hinunter schiebt sich nun das tollste, bimtscheckigste, wirrste

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Gewimmel von Menschen, Tieren und Dingen in rastlosem Drängen durcheinander. Alan sieht in den belebten Straßen von Paris vielleicht ebensoviel Menschen als hier. Allein wegen der breiten Fläche, auf die sich der Menschenstrom dort verteilt und verläuft, macht er entfernt nicht diesen Eindruck erdrückender Fülle, wüster, unbändiger Massen- haftigkeit. Dazu die unbeschreibliche Mannigfaltigkeit von Trachten und Nationen. Es ist wie eine unablässig sich von beiden Seiten ent- gegenströmende Völkerwanderung. Europäer, Griechen, Armenier, meist in europäischer Tracht, aber alle mit dem roten Fez bedeckt, Türken, sofern sie nicht ^Militär sind, in ihrem alten nationalen Kostüm mit ihren buntfarbigen Turbans, tscherkessische Sklavenhändler und Perser, jene mit ihrer Reihe Patronen auf beiden Seiten der Brust, beide mit himmel- hohen schwarzen, vorn spitz zugehenden Pelzmützen, den Gurt mit Schals umwunden, welche die Perser auch zum Verkauf über den Schul- tern tragen, alle diese Gestalten in weißen, roten, gelben, häufig auch alle diese Farben vereinenden Ge wanden, Mohren und Neger, deren schwarzes Gesicht seltsamlich absticht gegen die weiße Kopfbedeckung, die ihnen unter dem roten Fez hervorguckt, türkische Lastträger, die unglaub- lichsten Lasten dahinschleppend (wir sahen einen, der aUein ein Piano trug), die schwersten Lasten zu vier an über ihre Schultern gelegten starken Stangen tragend, die sich bogen unter der Schwere des Gewichts, und durch unablässiges Geschrei die vor ihnen Gehenden warnend und zum Ausweichen auffordernd, Weiber in ihren weißleinenen Verhüllungen und gelben Saffianpantoffeln, in einem eigentümlich watschelnden Gang dahineilend, vornehmere Frauen in buntbemalten Wagen, welche das Rätsel lösen, sich über alle diese Berge und durch all dies Gewirre von Menschen und Dingen im Schritt hindurchzuschieben; Reiter, die sich durch alle diese Hindernisse nicht einmal vom Traben abhalten lassen ; Esel, manchmal in ganzen Trupps, diese mit Mehlsäcken, jene mit langen Brettern beladen, welche zu beiden Seiten herunterhängend allein schon die ganze Breite der Straßen einnehmen, Ausrufer, Schreier, Bettler, fromme alte Türken an den Häusern kauernd oder manchmal auch mitten auf dem Wege sitzend und in ihrem wehklagenden näselnden Tone Suren des Korans absingend, Zuckerbäcker, ihre Süßigkeiten ausrufend, die sie auf Teebrettern über ihrem Kopfe tragen; dazwischen wieder hocli zu Roß j\Iohren und Eunuchen des Sultans, oder vornehme Türken mit großem Reitergefolge, wie wir einmal den Sohn des Sultans mit über vierzig Reitern hinter seinem Wagen dahinroUen sahen alles dies schiebt sich, stößt sich, drängt sich in größter Eile und Sorglosigkeit durcheinander. Man geht nicht, man rennt. Dies ist übrigens hier nur zu natürlich; man hat stets die größte F^ile, diesem Gewirre zu entfliehen, bei den großen Entfernungen auch keine Zeit zu verlieren, und überdies

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wird jeder schon, von seinen Hintermännern geschoben. Ich habe gewiß einen sehr guten Schritt, aber wenn wir ausgehen, unseren Kawaß voran, der wie im Sturme durch die Straßen stürzt, muß ich mich zusammen- nehmen um nachzustürzen. Ich sage absichtlich: stürzen. Denn gehen kann man diese Operation hier gar nicht nennen. Man bleibt bei diesen bergigen Straßen, zumal wenn die Steine nur etwas vom Regen ange- feuchtet sind, und bei den lyöchern, welche diese Straßen alle fünf Schritte enthalten, in einem beständigen Gleiten und Stolpern, welches sich ohne Hilfe eines Stockes nur zu leicht in effektives Fallen verwandeln würde. Wie hier nicht alle Tage Unglück geschieht, ist nicht zu begreifen. Wer weiß übrigens, ob es nicht geschieht. Denn von Sicherheitspolizei oder auch nur von Konstatierung solcher Fälle ist hier gar nicht die Rede. Es ist häufig denn Fußwege, die von den Fahrwegen getrennt wären, existieren hier selbstredend nicht überaus schwer, den Haufen von Reitern und Eseln und Karren und I^astträgern auszuweichen. Um so schwerer als in diesem Gewimmel noch dazu überall auf den Straßen diese Haufen der großen orientalischen schakalähnlichen gelben Hunde wie Schlangen in sich gekrümmt daliegen, sonst wohl nur selten dem Fremden zur I^ast fallend, aber garstig auffahrend, wenn man sie durch einen ungeschickten Fußtritt aus ihrer Ruhe schreckt. Das sind die Straßen von Konstantinopel, von denen ich noch bemerken muß, daß in vielen schlechteren ein durch Aas, Abfall und Gott weiß was für Teufelsgerüche entstandener Gestank herrscht, von dem im Abendlande glücklicherweise jede Vorstellung fehlt. Noch unangenehmer sind die Straßen bei Nacht. Zwar hat dann das Gewimmel aufgehört, denn jeder halblich vernünftige Mensch bleibt hier abends gern fein zu Haus, wie auch wir schon häufig getan haben. Dagegen ist bei der kompletten Abwesenheit irgendeiner Straßenbeleuchtung, wenn man nicht jeden Augenblick fallen, in den Schmutzsee, der sich gewöhnlich in der Mitte der Straße befindet, hineingeraten und ein Rudel Hunde treten will, des Abends unmöglich, einen Schritt vor das Haus zu tun, wenn man nicht entweder einen lyaternenträger mitnimmt, oder, wie man gewöhn- lich vorzieht, mit Hilfe einer weißen Papierlaterne sich selbst den Weg beleuchtet. Lustig genug sieht es aus, wenn man so alle Minute von weitem, ehe man noch die Menschengestalt erkennt, wie Irrlichter daher- wandelnde Ivaternen erblickt. Friedland und ich waren übrigens schon zweimal in der L^age, in der Nacht ganz allein und ohne Ivaterne zurück- zukehren. Wir waren aber auch herzensvergnügt, als wir das Haus er- reicht hatten, denn nicht einmal sicher ist es hier des Abends, mit Aus- nahme der Hauptstraße. Wenigstens hört man von allen Seiten diese Behauptung, sowie den Rat nicht unbewaffnet auszugehen.

Die Vergnügungssucht der europäischen Damen spottet aber aller

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dieser Hindernisse. Denn zu meinem Erstaunen fand ich gestern abend in der italienischen Oper hier zu Pera einen zahlreichen Damenkreis. Freilich zeigten die vor dem Gebäude wartenden Portechaisen, wie es den Damen möglich geworden war, sich und ihre Toilette in aller Frai- ■cheur in die Oper zu versetzen. Einer solchen Portechaise, die man auch in der Tat des Tages hin und wieder trifft, häufig von türkischen Frauen besetzt, welche in ihre weiten rot- oder gelbseidenen Gewänder gehüllt, die Fantasie der Fremden bis zur Erhitzung reizend, sich in die Ecken schmiegen, müßten auch Sie sich beständig bedienen, wenn Sie nach Konstantinopel kämen. Denn in den hiesigen Wagen sieht man in den Straßen fast nie Europäerinnen. Das Fahren ist auch gar zu unbequem, zu langsam, zu gefährlich, zu stoßend. Für ^Männer existiert das bequeme Hilfsmittel des Reitens. Und wer die großen Preise nicht scheut denn ein Pferd kostet per Tag mindestens sechzig Piaster (an sechs Florins) und per Stunde zwanzig Piaster (beinahe zwei Gulden) ist fast immer zu Roß.

Dies ist, soweit sie sich wiedergeben läßt, die äußere Physiognomie von Konstantinopel, von der ich nur noch bemerken will, daß das eigent- liche Konstantinopel hin und wieder doch noch um ein weniges bessere und breitere Straßen darbietet als die diesseitigen Vorstädte Pera, Ga- lata usw., besonders aber von Zeit zu Zeit größere freie Plätze enthält, die wie Oasen auf den ermüdeten Wanderer einwirken.

Ich kehre jetzt zu dem Momente unserer lyandung zurück. Wir be- gaben uns sofort von Galata jenen Marterberg hinauf nach Pera in das erste der hiesigen Hotels, das Hotel d'Angleterre. Ich war so glückhch, ein Zimmer mit der Aussicht aufs Meer zu erhalten. Welche Aussicht! Täglich betrachte ich sie unzählige ^Nlale: wenn ich hier sitze, schreibend, dem Fenster gegenüber, schweift mein Blick über diese Gegend, und den- noch habe ich mich noch nicht müde sehen können an der unerhörten Pracht dieses Anblicks! Vor mir liegt links das Ende des Bosporus, geradeaus eingefaßt von einem schmalen Vordergrunde, den die Häuser von Pera und Galata bilden, das silberne ]\Iarmarameer mit seinen weichen lyinien, rechts das Goldene Hörn; jenseits, so nahe wie um es mit der Hand zu greifen die Pracht des asiatischen Ufers, das reichste, was man sehen kann. Unzählige Häuser, Moscheen und Minaretts, alle von der großen Kaserne überragt, dahinter der breite sich weithin streckende Gebirgszug des Bugleera; diesseits am entgegengesetzten Ufer des Goldenen Horns die Serailspitze mit ihren tausend Palästen und Gebäuden, einen Raum einnehmend, der nach unserem Reisebuche dem Wiens ohne seine Vorstädte gleich sein soll, und den fernsten Hinter- grund des Marmarameers bilden, den Horizont schließend, zwei Reihen übereinander liegender Gebirgszüge Asiens, der vordere nähere, dunkel, der hintere in das weichste Lichtblau getaucht.

Mayer, I.assallo-N.ichlass. VI , .

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Der Vordergrund wimmelt von stattlichen Schiffen und Masten, und überall schießen durch die blaue sanft sich neigende Fläche des Meeres die schmalen zierlichen Kaiks, hinter deren Rudern ebenso viele Streifen flüssigen Silbers einherziehen. Wenn das Wetter gut ist, die Sonne scheint und der südliche Himmel in all seiner Pracht herunterlacht, ist es ein Anblick, von dem man sich gar nicht losreißen kann.

Freilich muß ich die Pracht dieser Aussicht teuer genug bezahlen. Mein Zimmer kostet mich einschließlich des reichlichen englischen Früh- stücks und des Diners, das hier immer nach Weise der Schweizer Pen- sionen in den Preis verdungen wird, fünfundzwanzig Francs täglich! Licht und Service muß noch außerdem bezahlt werden. Was war aber zu tun? Ich konnte freilich ein kleines elendes Hofzimmer nehmen, so klein, daß ich mich nicht umdrehen konnte darin, zu siebzehn Francs. In einem solchen ängstlichen Loche aber kann ich weder sehen noch denken noch schrei- ben, noch mich behaglich fühlen. So überließ ich es denn dem Millionär Haase, der für Lebenskomfort keinen Sinn hat und zog vor, mir das meinige zu nehmen, welches, obgleich es klein genug und am Ende eines so schmalen Ganges, daß ich ihn immer seitwärts chassierend passieren muß, gelegen ist, doch weil es zwei Betten enthält um acht Francs höher bezahlt werden muß. Das Leben und besonders das Besichtigen der Merk- würdigkeiten ist überhaupt so erstaunlich, so rasend teuer hier, daß ich mit ängstlichen Augen die gewaltigen Fortschritte verfolge, welche die galoppierende Schwindsucht meiner Reisekasse hier täglich macht. Der einzige Vormittag, an dem wir das Serail besichtigten, hat nicht weniger als fünfhundert Piaster (beinahe fünfzig Gulden c. Münze) gekostet; für die Besichtigung der Aga Sofia miißten sechzig Piaster (sechs Gulden c. Münze) bezahlt werden usw.

Kaum waren wir angelangt, so ließen wir von unserem Bankier die inzwischen eingetroffenen Briefe holen. Von Ihnen war nur einer da, aus Schlangenbad vom 23. September. ^) Ich hatte ihn nicht so bald durch- lesen, als ich mich auch schon, von Friedland und Haase begleitet, von einem Kommissionär geführt, hinüber nach Konstantinopel aufs Tele- graphenamt begab. Es war gegen fünf Uhr, als ich dort, von den fran- zösischen Beamten auf das liebenswürdigste über alles Nötige unter- richtet, meine Depesche aufgab. ^) Sonntag mittag von Bugukdere zurückkehrend, hatte ich bereits das Vergnügen, Ihre Antwort vor- zufinden. —

Tags nach unserer Ankunft begab sich Friedland zu dem öster- reichischen Konsul Baron Baum und den folgenden Tag zu dem öster-

1) Siehe Bd. IV, Nr. 21, S. 76 ff.

2) Ib. Nr. 24, S. 85.

reichischen Internuntius Herrn von Prokesch-Osten^) nach Bugukdere hinaus. Ich muß gestehen, daß Friedland alle Ursache hat, mit dem aus- gezeichneten Empfang, den er bei beiden fand, sehr zufrieden zu sein. Baron Baum, ein leidenschaftlicher Tabakraucher, hielt Friedland sofort eine Vorlesung über die verschiedenen Tabake des Orients und über- schickte ihm schon den anderen Tag die Krone von allen, den Shibelli, das kösthchste Kraut Syriens, von dem er freilich nicht ahnt, daß sein duftendes Aroma hauptsächlich von meinen majestätsverbrecherischen lyippen eingesogen wird. Der Internuntius lud Friedland nicht nur ein für allemal während seines Aufenthaltes in Konstantinopel zum Diner ein, sondern versprach ihm auch sofort, ihm einen Fiiman vom Sultan für die Weiterreise zu erwirken. Außerdem versprach er ihm, so be- schränkt und in Anspruch genommen auch das Gesandtschaftspersonal sei, zur Besichtigung der Sehenswürdigkeiten von Konstantinopel einen Attache der Gesandtschaft und einen der Kawasse zur Disposition zu stellen, die von der Hohen Pforte den fremden Legationen zugeteilt wer- den. In der Tat erging schon tags darauf an Herrn von Pertazzi, einen der türkischen Sprache mächtigen Attache der Gesandtschaft, welcher eben deshalb zur Erledigung aller Geschäfte verwendet wird, die ein direktes und persönliches Konferieren mit den türkischen Behörden erfordern und dessen Begleitung aus diesem Grunde auch für uns be- sonders nützlich ist, der Auftrag, in Person und von einem Kawaß der Gesandtschaft begleitet Friedland an alle die Orte zu führen, welche hier für europäische Augen überhaupt sichtbar sind. Wo ein besonderer Firman nötig und möglich ist, hat ihn der Internuntius gleichfalls Sorge getragen auszuwirken. So sind wir denn bereits mit Herrn von Pertazzi, einem wirklich sehr liebenswürdigen jungen Manne, die Kreuz und Quer durch die Straßen Konstantinopels gerannt und haben bereits sehr vieles gesehen, reichlich durch die Augenbeute für die großen Anstrengungen unserer Wanderung entschädigt.

Sie werden nicht voraussetzen, daß ich Ihnen alles oder auch nur einen beträchtlichen Teil dessen schildere, was ich gesehen. Wo sollte ich Raum und Zeit dazu finden! Auch muß ich mir ja wohl noch einigen Stoff zu mündlichen Berichten vorbehalten. Zudem sind viele Dinge, wie z. B. die Aga Sofia und Gebäude überhaupt nicht wohl durch einen schriftlichen Bericht zu veranschaulichen. Nur einiges Wenige, von dem, was mir besonders eigentümlich erschienen, will ich kurz berühren.

Zur Besichtigung des Serails, d. h. der Gebäude, die in den ersten

1) Anton von Prokesch-Osten (1795 1876), österreichischer Diplomat, war im Dezember 1855 von Prankfurt, wo er bis dahin Bundespräsidialgesandter war, als Internuntius nach Konstantinopel versetzt worden. Später wurde er hier Botschafter.

vier Höfen desselben liegen, denn weiter ist noch nie ein Europäer ge- drungen — bekamen wir außer Herrn von Pertazzi noch einen beson- deren Beamten des türkischen Ministeriums mit, der dafür eine Abgabe von nicht weniger als 250 Piaster erhebt, die in die Kassp des Mnisters fließen. Außerdem müssen noch in ihrem Gesamtbetrag ebenso erhebliche Trinkgelder an die Dienerschaft des Palastes gezahlt werden. Die Schildenmg des Serails mit seinem lyuxus, seinem Geschmack und wieder- um seinem Ungeschmack, seinem Audienzzimmer, dessen Wände mit Gold ausgelegt und dessen Baldachine von erzenen vergoldeten und mit Edelsteinen besetzten Säulen getragen sind, behalte ich dem mündlichen Bericht vor. Bemerken will ich nur, wie dieses hart am Meere liegende Schloß einen unvergleichlichen wahrhaft feenhaften Charakter dadurch erhält, daß man überall von allen Fenstern, allen Kiosken, allen Säulen- gängen aus die blaue Fläche des Marmarameeres und des Bosporus ganz nahe hervorschimmern sieht. Nicht unerwähnt darf ich den im Serail befindlichen Kiosk von Bagdad lassen, der niir äußerst selten und nur ganz bevorzugten Europäern gezeigt wird. Es hatte der Ambassade be- sondere Schreiberei verursacht, um uns zu öffnen. Es ist das Reichste und Geschmackvollste, was ich gesehen habe. Durch und durch im edelsten Kunststile ausgeführt. Nach den Aufklärungen, die uns der Pförtner des Kioskes gab, ist derselbe das genaue Abbild des Kioskes des Kalifen Harun al Raschid zu Bagdad. Sultan Amurad habe nämlich letzteren abzeichnen und den hiesigen ganz nach diesem Modell errichten lassen. Die Sache klingt insofern ganz glaublich, als sich in der Tat dieser Kiosk durch einen bemerkenswerten Zug von allen sonstigen türkischen Pracht- bauten unterscheidet. In diesen ist nämlich, besonders häufig in den Palästen des Seraüs, der größte Geschmack und die übertriebenste Ge- schmacklosigkeit, der ausschweifendste IvUxus und wiederum das Ge- wöhnlichste und Gemeinste bunt durcheinandergeworfen. Ganz anders der Kiosk von Bagdad, der ganz im reinsten Stile jener unübertroffenen sarazenischen Kunst gehalten ist, die unter Harun al Raschid in ihrer Blüte stand. Gegen diese fast magische Wölbung der Kuppel scheinen selbst die Meisterwerke byzantinischer Baukunst noch weit zurückstehen zu müssen. Die Wände des Kioskes sind teils Marmormosaike, teils aber hauptsächlich mit persischem Porzellan bekleidet, in welches Blumen- gewinde, Arabesken, arabische Sprüche und Kor anstellen in den leb- haftesten Farben eingebrannt sind. Das Porzellan nähert sich in bezug auf Qualität und Färbung schon äußerst dem chinesischen. Figuren des- selben Porzellans, in welchem das Blau die vorherrschende Farbe ist, sind oben in den Plafond der Kuppel eingelegt, der von einem roten und goldigen Grunde ist, über dessen Arbeit und Bestandteile ich mir der Höhe wegen nicht recht klar werden konnte. Die Türen sind von oben bis unten

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zusammengesetzt aus Perlenmutter, Schildpatt und [kleineu Stück- chen feiner Hölzer. Der aus dem kostbarsten weißen Marmor gebaute Kiosk bildet, wenn ich nicht irre, ein Sechseck. Um dasselbe herum laufen die marmornen Säulengänge mit der Aussicht auf das Meer. Es stand ein großer langer Kasten aus Ebenholz in dem Kiosk. Wir fragten, was er enthielte. ,, Nichts; das sei so ein Kasten" war alles, was wir von dem Pförtner herausbringen konnten. Aber Herr von Pertazzi meinte eben deshalb, daß er wahrscheinlich irgendwelche Reliquie des Propheten in sich einschlöße und daß dies auch der Grund sei, weshalb der Kiosk so schwer den Europäern geöffnet werde.

Eine besondere Erwähnung verdienen die großen türkischen Grab- mäler. Die prachtvollsten sind das Grabmal des Sultans Suleiman, ^) un- mittelbar an der von ihm erbauten ]\Ioschee, und das des Sultan Mah- mud, 2) des Vaters des jetzigen. Die türkischen Grabmale haben nichts von dem finstern und düstern Charakter unserer Grüfte. Man braucht nur in eine dieser Grabstätten einzutreten, um zu sehen, daß sich dieses Volk den Tod und das künftige Leben nicht unter den abschreckenden Farben christhcher Phantasie denkt, sondern als einen milden Übergang in die weichen Arme der Huries und die unvergänglichen Freuden des Paradieses. Runde, kuppelgewölbte Tempel, Meisterstücke der byzan- tinischen Baukunst sind diese Grabstätten, vom freundlichsten Lichte erhellt, das manchmal durch eine besondere Vorrichtung der Kuppel magisch gemildert, niemals jedoch zu unserem tiefen Halbdunkel redu- ziert wird. Wände und Plafonds dieser Prachtbauten sind mit ^larmor- mosaiken, mit Galerien des oben beschriebenen persischen Porzellans und mit Koransprüchen auf lazurblauem Grunde besäet. In diesen Hallen der Kunst stehen auf tischhohen Untergestellen die Sarkophage ge- wöhnlich von reich mit Gold gestickten Samt überzogen, jeder mit einer Reihe der prachtvollsten persischen Shawls behängt. Auf dem oberen Ende des Sarkophags des Sultan ]\Iahmud prangte, von einer weißen Arabutfeder, die von einer erstaunlich großen Diamantenagraffe ge- tragen war, geschmückt, der große rote Fez des Sultan Mahmud. Er war von einer ausnehmenden, fast überraschenden Weite, dieser Fez; recht versinnlichend die qualvoll marternden, ringenden, ungeheueren leidenschaftlichen Entwürfe, in deren fiebernder Glut sich dieses Hirn aufgerieben hat. Friede seiner Asche! Wie ganz anders wäre der Lauf der Geschichte geworden, wenn der Krieg von 1853 diesen ^Mahmud auf dem Thron gesehen hätte!

^) Sultan Suleimau 11. der Große (1495 1566). Unter seiner Regierung stand die Macht der Türkei im Zenit.

^) Sultan :SIaliuuul II. (1785 1839) regierte von 1808 bis 1839. Ihm folgte sein Sohn Abdul Medschid.

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Bs saß in diesem Grabmal, nicht weit vom Sarkophage ein alter, weißbärtiger Türke, in tiefer Andacht und Zerknirschung Gebete aus dem Koran laut absingend, wahrscheinlich für das Heil seines gestorbenen Herrn, dessen kräftige Faust er unter dem jetzigen schwächlichen Herr- scher wohl trauernd vermissen mag, ein rührendes Bild der Anhänglich- keit und Treue! Denn hier, in diesem Lande, erhält selbst die zähe An- hänglichkeit an das Alte und der Widerstand gegen den von Europa aus einbrechenden Fortschritt einen rührenden und fast legitimen Charakter, eben weil dieses Neue gar nicht Produkt des eigenen Volksgeistes, sondern ein diesem ganz Fremdes, von außenher mit mehr oder weniger Gewalt Einbrechendes und den gesamten Volksgeist in seinem innersten Kern Untergrabendes ist. Für uns ist die Zerstörung Fortschritt; für die Türken ist der Fortschritt selbst nur die Auflösung ihres Volksgeistes und seiner sittlichen Substanz. Doch genug davon.

Am Freitag dem Sonntag der Türken beschlossen wir den Sultan zu betrachten, wie er sich in die Moschee begibt, eine Feierlichkeit, die sich allwöchentlich wiederholt. Mit den Moscheen, in denen er den Gottes- dienst hört, wechselt der Sultan jeden Freitag. Aber man weiß schon am Morgen des Tages, welche Moschee die auserwählte ist. Von Herrn von Pertazzi um elf Uhr abgeholt ritten wir mit ihm, den Kawaß zu Pferde vorauf, nach Dolmabagdsche, dessen Moschee diesmal an der Reihe war. Die Moschee zu Dolmabagdsche liegt hart am Bosporus, durch einen Zwischenraum von etwa einhundertfünfzig Schritte von dem neuen Mar- morpalast des Sultans getrennt, den ich Ihnen oben beschrieben habe. Seitwärts von der Moschee bis zum Palaste standen zwei Reihen kaiser- licher Garde, die sich übrigens nur durch ihre roten Fez von europäischem Militär unterscheidet. Wir stiegen von den Pferden. Der Sultan ließ uns lange genug warten, ohne daß einem doch die Zeit lang werden konnte. Denn es gab der Dinge genug zu sehen ! Haufen Neugieriger standen da, Europäer, Türken, selbst echte Wüstenaraber mit ihren dunkelbraunen Gesichtern, die der Handel oder der Zufall nach Konstantinopel geführt und die sich da aufgepflanzt hatten, den Chef ihres Glaubens zu sehen. Interessanter aber als Garde und Wüstenaraber war ein Schauspiel, das mir sobald nicht aus dem Sinn kommen wird ! In reichen, goldverzierten Wagen, die Pferde geführt von schwarzen Dienern, zu Roß und zu Fuß, waren die Weiber des Sultans, Tscherkessinnen, wie der flüchtigste Blick zeigte, aus dem Harem gekommen, um ihren Herrn und Gebieter auf seinem Zuge nach der IMoschee zu betrachten. Es waren über vier solcher Wagen da, jeder vier Frauen enthaltend. In Konstantinopel muß sich der Fanatismus der Türken schon sehr gemildert haben. Denn immer und immer wieder spazierten wir, was früher wohl niemand zu raten gewesen wäre, an diesen seitwärts aufgestellten Wagen vorbei, lange, forschende

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Blicke hineinwerfend, die uns von den himmlischen Frauengestalten, die in gelb- oder blauseidene weite Gewänder gehüllt darin saßen, neu- gierig vorgestreckten Leibes mit fast noch längeren Blicken vergolten wurden, und obwohl wir dieses Spiel über eine halbe Stunde trieben, hatte doch niemand etwas dagegen einzuwenden. Nur manchmal schien es, als wenn sich die Augen der schwarzen Eunuchen unruhig erweiterten und aufrissen. Aber dabei blieb es auch. Freilich mochte vielleicht auch unser Kawaß imponieren, der keineswegs ruhig zugesehen haben würde, wenn uns jemand hätte zu nahe treten wollen. Wie immer, so sind es auch hier die höheren Stände, bei denen zuerst die religiöse Auflockerung und Aufklärung einreißt. Die gewöhnlichen Türkinnen, die wir in den Straßen oder Wagen sahen, waren in der Regel weit dichter verhüllt als diese Favoritinnen des Sultans, deren weißer, durchaus durchsichtiger Gazeschleier das Gesicht unseren neugierigen Blicken vollständig frei- legte und die Verhüllung zu einer bloßen Farce herabsetzte. Himmel! Was sahen wir da für Augen, welche Gesichtsbildung und besonders welch blendender, strahlender Teint! Das ist nicht mehr Fleisch, es ist wie ein Gewebe von Sonnenschein und hellem Marmor. Ohne Ihnen zu nahe zu treten, darf ich dreist behaupten, daß wir in Europa gar keinen Begriff davon haben, bis zu welcher Pracht sich menschliche GHed- raaßen erheben können! Pulse und Atem stockten bei der Betrachtung. Besonders war eine da, in ein zitronengelbes seidenes Gewand gehüllt, mit großen dunklen Gazellenaugen Hei ! Wenn ich nur ein wenig türkisch könnte und noch zehn Jahre jünger wäre, toUkühn wie dereinst in meiner ungestümen Jugend, ich wäre nicht abgereist von Konstanti- nopel, ohne mir diese gelbe entführt zu haben. So aber muß ich schon des Kaisers lassen, was des Kaisers ist!

Endlich ertönte Musik aus Reihen der Garde. Der Sultan hatte seinen Palast verlassen und in feierlicher Langsamkeit nahte der Zug. \'oraus ritten die Reihen der türkischen Paschas und Großen, der Polizei- minister, der Schwiegersohn des Sultans Ali Galib- Pascha, ein lächer- lich kleines ^Männchen fast verschwindend unter dem großen Stern, mit dem er bedeckt ist, dann Omer- Pascha,^) weit hervorragend über alle durch seinen hohen Wuchs und imponierendes Aussehen, ein ^lann von schneeweißem Bart, aber von kräftigstem Körper, fester Haltung und einem auffallenden Anstand. Welche Pferde sah man da! Welche Gold- schabracken, die sie bedeckten. Als die Paschas ungefähr gegen zwanzig Schritte von der Moschee angelangt waren, hielten sie still, sprangen von ihren Pferden, die sofort von Dienern auf die Seite gebracht wurden, und zurück sich wendend liefen sie aus vollen Beinen zum iMupfang des

^) Omer- Pascha (iSo6 1871), der Führer der türkischen Truppen im Krim- kriege.

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Sultans, der sich jetzt an der Spitze einer anderen Gardeabteilung lang- sam nahte. LächerUch fast sah es aus und hängt innig mit den orien- talischen Begriffen von Persönlichkeit, Menschtum und Herrscher- majestät zusammen, diese vornehmen Paschas, die ersten Würden- träger des Reichs, die sich eben noch so stolz gebärdet, jetzt vor dem Höheren, der nahte, wie Troßbuben laufen und als sie ihn erreicht hatten, zu beiden Seiten seines Pferdes Schritt halten zu sehen. Jetzt kam er selbst, das laicht der Welt, der Stellvertreter Allahs, der Herrscher der Gläubigen und wie alle seine Titel noch heißen mögen. Er saß auf einem prachtvollen Grauschimmel, belegt mit einer überall mit Edel- steinen durchwirkten Decke von Goldbrokat. Golden seine Steigbügel, golden und überall mit funkelnden Edelsteinen besetzt das Geschirr und die Zäume seines Rosses. Aber der Träger aller dieser Pracht und aller jener stolzen Titel saß wie in Melancholie auf seinem edlen Pferde, das in einer Art von spanischem Tritt langsam daherging. Ein überaus wehmütiger, abgelebter, den Eindruck von weichlichster Schwäche machender Zug spielte um das im Grunde schöne Gesicht, um die großen glanzlosen Augen, die er, wie er immer tut, wenn er Fremde sieht, lange und ununterbrochen auf uns ruhen ließ, als er uns wahrnahm. Aber keine Herrscherwürde und Kraft blitzte aus diesem Blicke, vor dem sich nie- mand die Augen zu Boden zu schlagen gezwungen fühlte! Das ist nicht der echte Sohn Mahmuds, nicht der Herrscher, wie dieses Reich, wie diese Zeit ihn brauchte. In den Händen dieses wehmütigen Kopfhängers lagen im Winter 1853 die Geschicke Europas. Er, der von allen Ka- binetten Europas Tyrannisierte, konnte sie alle erzittern machen; er,, über dessen Beraubung und Expulsierung sie so lange beraten, konnte den ungeheueren Triumph feiern, ihre Norne zu spielen und das schwarze Los der Vernichtung über sie alle zu werfen! Er, der Gedrückte, Miß- handelte, konnte das seit Menschengedenken unerhörte Los haben, auf seinen Ruf Morgenland und Abendland zugleich zu den Waffen greifen zu sehen!

Aber diese Geschicke waren zu groß für diese kraftlose Hand! Die Fahne des Propheten, die sein Vater gegen seine eigenen Janitscharen, vierzigtausend an einem Tage erwürgend, ausbreiten ließ, sie blieb ver- schlossen auf den Befehl der Diplomatie. Die Schwerter der Ungarn und Polen, die, Schwerter und Zündminen zugleich, den Kampf in das eigene Reich seiner Feinde versetzen konnten ; sie blieben nach Asien verbannt auf den Befehl der Diplomatie. Die siegreich vordrängende Donauarmee Omer- Paschas, sie mußte gefesselt stehen bleiben auf den Befehl der

Diplomatie ! Doch genug ; ich bin nicht hierher gereist um mich

von neuem zu ärgern. Lassen wir dies bis zu meiner Rückkehr nach Europa.

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Dieser Tage ist hier ein neues ^Ministerium gebildet worden und zwar, wie man allgemein hört, ein durch und durch russisches! Das hat mir viel Freude gemacht ! Das ist der richtige Ausgang und die wohlverdiente Ironie dieses von den Westmächten in so erbärmlicher Weise geführten orientaHschen Krieges, daß er mit der Steigerung des russischen Ein- flusses in Asien, daß er mit einem russischen Ministerium in Konstan- tinopel schließen muß. Wie oft und wie lange habe ich das gegen die ekelhaften und eselhaften Hymnen der westmächtlichen Blätter voraus- gesagt! Jetzt kommen die Tatsachen, unsere Deduktion zu beweisen.

Aber ich wollte ja abbrechen von der Politik und mich zu dem Ein- zug des Sultans in die Moschee zurückwenden, über den nur noch wenige Worte zu sagen sind. Kaum war der Sultan der Moschee auf zwanzig Schritte nahe gekommen, als der Ausrufer, der die ganze Zeit, den Sultan erwartend, oben auf der Galerie des Minaretts gestanden hatte, mit lauter mächtiger Stimme die Gläubigen zum Gebete herbeizurufen begann. Wie er oben auf dem Minarett, so hatte unten am Eingang der Moschee ein Diener mit einer silbernen Schale und einem silbernen Becher in der Hand den Sultan erwartet, damit dieser die üblichen Waschungen ver- richte. Kaum war der Siütan mit seinem Gefolge in der Moschee, als die ganze Masse der Zuschauer hineinzudrängen begann. Aber nur Türken. Europäer werden, wie Herr von Pertazzi uns versicherte, nicht in die Moscheen gelassen, wenn der Sultan darinnen ist. So mußten wir denn dem weiteren Schauspiel entsagen.

Sonst aber haben wir häufig Moscheen auch während des Gebetes und Gottesdienstes besucht, und ich muß sagen, daß es nicht leicht etwas Interessanteres gibt. Viele Schilderungen und szenischen Voraussetzun- gen der Bibel versteht man erst recht, wenn man den Orient besucht hat. Wir traten in eine Moschee, zur Zeit als kein Gottesdienst war. Dennoch ertönte lauter Vortrag. Wir traten näher. Auf einem weichen Kissen, den Koran auf eine köstlich mit Perlmutter ausgelegte Bank gelehnt, saß ein höherer Geistlicher, ein Professor der Theologie, wie man bei uns, ein Rabbi, wie die Juden sagen würden, den Koran auslegend und theologische Vorträge haltend. Um ihn herum im Kreise lagen aufmerk- sam lauschend seine Hörer, lauter Geistliche, w4e der weiße, mehrere selbst Abkömmlinge des Propheten, wie der grüne Turban zeigte. In angemessener Entfernung voneinander fanden gleichzeitig mehrere solche Vorträge in derselben Moschee statt. In einer anderen sahen wir im Vorhof eine ^Masse von Kaufleuten und Händlern, die allerlei Dinge feilboten. Im ersten Moment nicht wenig hiervon überrascht, erinnerten wir uns doch gleich, wie das dieselben Gebräuche und szenischen Voraus- setzungen sind, welche bereits die Bibel erwähnt, dort wie Christus lehrt im Tempel, hier wie er die Wechsler aus dem Tempel gejagt, Gebräuche

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und Szenen, welche sogar bei unseren Juden verschwunden sind und die man hier im Orient aufsuchen muß, um ein lebhaftes und anschau- liches Bild der Vorgänge vor Augen zu haben, welche jene Bibelschil- derungen voraussetzen und meinen.

Was für mich aber stets von einem ganz besonderen Interesse ge- wesen ist, ist das laute Beten oder eigentlich der religiöse Gesang der Türken, welchen der Vorsänger anstimmt und in den stellenweise die ganze Betgemeinde oder einzelne derselben einstimmen. Wie stand ich betroffen, als ich ganz dieselben Töne, genau dieselben Melodien an mein Ohr schlagen hörte, welche ich in meiner Jugend so oft in den Judensynagogen bei uns vernommen. Es ist derselbe Rhji;hmus, der- selbe näselnde, bald ächzende und wehklagende, bald wieder laut auf- schreiende und sich senkende, jetzt in großer Schnelligkeit Wortreihen verschlingende und dann wieder mit seltsamen Koleraturverzierungen und Schnörkeln auf einzelnen Stellen ruhende und sie hin- und her- ziehende Gesangmodus, ja es ist wie gesagt mindestens sehr häufig ge- nau dieselbe Melodie, von unseren Juden, wenn ich nicht irre, ,,Niggen" genannt mit ihrem generischen Namen. Jeder unserer Juden der älteren Generation könnte unmittelbar in diesem Gesänge des Vorsängers fort- fahren, ohne daß die Türken einen Unterschied wahrzunehmen ver- möchten! Bei den sogenannten heulenden Derwischen in Skutari sah ich auch ganz dieselbe Erscheinung wie bei unseren Juden, wie nämlich einzelne aus der Gemeinde, besonders Fromme oder Angesehene, in des Vorsängers Gesang einstimmen, ihn mit allerlei Stimmzerrungen variierend und manchmal übertönend in der religiösen Inbrunst ihres Gemütes. Bei diesen Derwischen sah ich auch dasselbe Wackeln mit Kopf und Oberleib wie bei unseren Juden. Und als ich endlich bei den- selben Derwischen sah, wie bei einem besonderen Gebete, den hochauf- schreienden Stimmweisen des Vorsängers antwortend, die Gemeinde sich auf die Knie und das Angesicht wirft und diesen Akt mit einzelnen, abgerissen hervorgestoßenen Worten begleitet, welche in einem eigen- tümlichen dunkeln Kehlton und wie in der größten Zerknirschung und Erschütterung ihres sündenbewußten Innern aus tiefster Brust qualvoll und ächzend empor sich winden, da glaubte ich, so ergriff mich die Illusion, an einem Versöhnungstage in der großen Synagoge zu Breslau zu sein und der Aufführung des ,,Owinu Malkeinu''^) beizuwohnen!

Ich hatte bis heran stets geglaubt, daß die religiösen Melodien und der Gesangmodus unserer Juden erst im Exile entstanden sei, ein Produkt jenes Ungeschmacks, jener Korruption und Verzerrung, wie sie sich (z. B. auch in der Sprache) einzustellen pflegt, wenn ein Volk, seiner

') ,iUnser Vater, unser König"; ein bekanntes hebräisches Gebet.

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Selbständigkeit beraubt, ohne öffentliches Leben, ohne Literatur, unter fremden Völkern im Staube sich windet, im Elend sich abächzt.

Man braucht nur hierherzukommen, um sofort eines anderen über- zeugt zu sein. Es sind vielmehr, mindestens dem Grundcharakter nach, die uralten religiösen Sangmelodien des ältesten Asiens, die sich ein Tonpetrefakt bei diesen Menschenpetrefakten erhalten haben! Sie sind nicht bloß jüdisch, es ist der allgemeine Charakter des alten semitisch- asiatischen Religionsgesangs. Denn hier findet man ihn noch, \'ielleicht schon modifizierter und mehr mit Neuerungen als bei unseren polnischen Juden versetzt, bei der herrschenden Nation der Türken, die ihn ohne Zweifel wie ihr ganzes religiöses Leben von den Arabern empfangen haben. Es ist, wie mir gar keinen Augenblick mehr zweifelhaft ist, seinem Wesen nach derselbe Gesang, den David sang, als er vor der Bundeslade einher- tanzte ! Es ist kein Produkt des Völkermischmasches, der Korruption von Sprache, Kunst und Geschmack, wie ich glaubte. Es ist jener erste reli- giöse Urschrei, in welchen das semitische Volksbewußtsein ausbrach, um der ihm eigentümhchen religiösen Grund- und Weltanschauung, dem Gefühl seiner eigenen absoluten Wertlosigkeit und Nichtigkeit, seiner totalen Zerknirschung und Erniedrigung vor dem abstrakten jenseitigen Geiste, dem starren Herrn des Himmels und der Erde, Klang und Aus- druck zu geben. ^) Ich bin begierig dereinst, wenn auch nicht auf dieser Reise, die religiösen Gesänge der alten Parsen und Hindu zu hören. Einst- weilen aber glaube ich nicht, daß sie so sangen. So sang, so ächzte und heulte, w^ehklagte und stöhnte nur der Semite, der sich berauschte und verzehrte im Gefühle seines Nichts, seiner Wurmheit, seiner Verworfen- heit, vor seinem transzendentalen Gebieter, zu dem kein vermittelndes Band ihn hinaufhob, der ihn vielmehr durch den strengen Gegensatz, in dem er zu ihm stand, nur von sich stieß und das zermarternde Be^vußt- sein seiner Ohnmacht und Sündhaftigkeit einflößte. Die Marter dieses Bewußtseins der eigenen Verworfenlieit kann keinen geeigneteren musi- kalischen Ausdruck finden, als diesen Martergesang, aus welchem be- ständig herausschreit der ungeheuere Schmerz der Seele über ihre eigene Verw'orfenheit. Wohl aber eignete sich dieser Gesang ausnehmend für unsere modernen Pietisten mit ihrem großen Sündenbewußtsein, das sie so selbstgefällig vor sich tragen, und unser Hof würde sehr wohl daran tun, diese Sangweise in die Betkonventikeln von Berlin einzuführen. Ach! Was ich mich dann erst freuen würde, wenn es mir zuteil würde, dort diese Gesänge gesungen zu sehen. Nur dürfte dann auch das obligate Ende dort so wenig fehlen wie hier. Denn wie nahe bereits dieser Gesang

») Zu dieser Auffassung vom Judentum war Lassalle unter Hegels EinfluÜ schon frühzeitig gelangt. Vgl. hierzu Bd. I S. 7;! ff imd 109 ff.

dem hebräischen Menschenopferktütus der Daumerschen^) Theorie steht, sah man recht deutlich in dem zwischen beiden Hegenden Übergang, mit welchem der Gottesdienst der Derwische zu Skutari schloß. Nachdem sie sich durch dreistündige Fortsetzung jenes Gesangs und allerlei Ge- bärden in die größte Verzückung hineingearbeitet hatten, in welcher sich, ganz wie bei der jüdischen Sekte der Chassidim, jeder den Aus- brüchen seiner religiösen Ekstase frei überließ, der eine hoch aufsprin- gend und in die Hände klatschend, der andere mit Kopf und Händen so arbeitend, als gelte es, beide weit fort vom Körper zu schleudern, sprangen zwei der Derwische hervor, welche, den Oberleib bis zum Nabel nackt entblößend, anfingen, mit großen eisernen, vom Vorsteher geweihten Marterinstrumenten, behangen mit schweren stachlichen eisernen Ketten und Kugeln, eine sei es nun wirkHche, sei es scheinbare Selbstgeißelungsszene aufzuführen, über die ich mich vielleicht nächstens näher verbreiten werde. Diese Selbstgeißelungsszene sage ich, dürfte auch in Berlin nicht fehlen, und wenn ich dereinst das Glück haben werde, dort einer solchen zuzuschauen, so wird mich, bei der mangelnden Ge- schicklichkeit unserer vornehmen Herren und Damen auch die Furcht, getäuscht zu werden, weniger quälen. Ich werde dann vollständig darüber beruhigt sein, daß sie alle die wohlverdienten Marterungen auch wirk- lich erleiden, die sie zu erleiden scheinen! Amen!

Ich schließe hier heut den i. November ~ diesen Bericht, um ihn mit dem heutigen Schiffe abgehen zu lassen. Andere Schilderungen aus Konstantinopel, vorzüglich eines Diners, das wir bei einem hohen türkischen Beamten eingenommen, nächstens ! Adieu, meine gute, gute Gräfin und geliebte Eltern ! Wie sehr ich an Euch denke, zeigen, glaube ich, die langen Briefe. Daß sie nur gleich der Gräfin zugeschickt werden.

F.L.

Vierter Reisebericht

(Original)

Smyma, den 12. November 1856. Ich hatte in meinem letzten Reisebericht noch mehrere Schilderungen aus unserem Aufenthalt zu Konstantinopel versprochen. Allein teils ge- stattet es die Zeit, teils die Erlebnisse des gestrigen Tages nicht, unter deren Eindruck ich schreibe. Ich muß dies also vorläufig verschieben und

1) Georg Friedrich Daumer (1800 1875), ^^^ Dichter und philosophische Schriftsteller, hatte 1842 in seinem Werke: „Der Feuer- und Molochdienst der Hebräer", diese Behauptung aufgestellt.

mich für jetzt mit einer kurzen summarischen Angabe begnügen. Ich machte, leider fast erst in der letzten Woche meines Aufenthaltes zu Konstantinopel, zwei sehr liebenswürdige Bekanntschaften, zuerst Scheidenberg, der Major im Generalstab der siebenbürgischen Armee unter Bem gewesen ist und alle Feldzüge desselben mitgemacht hat, dann mit Bem in die Türkei ging, mit ihm zum Moslemismus übertrat und nach einer zweijährigen Internierung in Aleppo beim Ausbruch des orientalischen Krieges als Major beim Genie wesen nach Kars ver- setzt wurde.

Tahir Effendi, wie Scheidenbergs türkischer Name und Titel lautet, ist einer der liebenswürdigsten und tüchtigsten INIänner unserer Partei, die ich je kennen gelernt habe. Durch ihn wurde ich mit Dr. Kalazdy be- kannt, welcher gleichfalls Berns Feldzüge als sein Generalstabs- und Leibarzt mitgemacht hat, in letzterer Qualität auch bei Bem in Aleppo verblieben ist. Schöne und erinnerungs würdige Tage habe ich in der Ge- sellschaft dieser beiden Männer im herzlichsten Geplauder verbracht. Ich zog es sogar vor, mit ihnen im traulichen Zimmer an der Seite der jungen reizenden Frau des Dr. Kalazdy zu sitzen und die Zeit damit zu ver- bringen, mir die Heldengeschichten des tmgarischen Krieges erzählen zu lassen, als dieser und jener Merkwürdigkeit Konstantinopels noch weiter nachzulaufen. Freilich waren fast alle diese Unterredungen von einer tiefen Wehmut erfüllt, Wehmut um die untergegangene Heldenwelt und Wehmut um den Untergang meines liebsten, meines einzigen Freundes, des Dr. Mendelssohn. ^) Scheidenberg hatte ihn gut gekannt und viel in Aleppo mit ihm zusammengelebt. Kalazdy war aber fast von dem Augenblick an, wo Arnold Konstantinopel betrat, sein intimer, innigster Freund geworden, hatte viel für ihn getan, ihn in den Zeiten, als es ihm schlecht ging, fast unterhalten. Bei ihm hatte Mendelssohn gewohnt, seine Frau war ihm eine große Freundin gewesen. Ach, wer beschreibt die tiefe, tiefe Melancholie, mit der es mich erfüllte, als ich mir alle die kleinen Geschichten und Züge von ihm erzählen ließ, an denen ich ihn wiedererkannte, als stände er leibhaft vor mir, unverändert, ganz in jenem lebenslustigen Humor, der ihn stets charakterisiert hat. War es mir doch manchmal, als sei es unmöglich, daß er tot sei, als müsse sich von Augenblick zu Augenblick die Tür öffnen und seine Gestalt herein- treten mit dem alten gutmütigen Lächeln um die fette L^nterlippe. Es ist zu stupide, daß dieser Mensch so untergehen konnte, zu dieser Zeit untergehen konnte, während er so leicht hätte den Untergang vermeiden können. Von Kars, wo auch er als Regimentsarzt stand, läßt er sich

^) über Arnold Mendelssolin, den intimsten Freund Lassalles in seinen Stu- dentenjahren, vgl. die LCinführung zu Bd. I, S. 29 ff. Jener Band enthält auch zahl- reiche Briefe Mendelssohns an Lassalle.

als Regimentsarzt zu einem Redif regiment versetzen und muß mit diesem den Marsch nach Bajazid an der persischen Grenze antreten, um auf dem Wege dahin, fünf Meilen vor Bajazid, dem T3^hus zu erliegen. Wäre er in Kars geblieben, es wäre ihm nichts geschehen, ich hätte ihn jetzt wiedergefunden. Nachdem er sich sechs Jahre im Orient wacker durch- geschlagen, muß er untergehen im April 1854, d. h. vier Monate ehe ich den Vergleich gemacht, ^) also fast in dem Augenblick, wo ich zu seiner Hilfe, wie zu dem Entsatz einer belagerten Festung herbeifliegen, ihm ein Los machen, ihn nach Europa zurücknehmen und mein Schick- sal mit ihm teilen konnte! Es ist zu stupide! So untergehen! Gerade in dem Augenblick untergehen, wo die Rettung vor der Tür! Ich muß diesen Schlag tragen, wie man solche Dinge eben trägt; ich habe die Stimmung, in der ich Ihnen, gute Gräfin, hierüber bereits aus Konstan- tinopel privatim schrieb, ^) niedergekämpft so gut es geht. Aber ver- winden werde ich diesen Verlust nicht. Es war mein einziger Freund ! Er ging mir elend unter. Er hat sich sechs Jahre hindurch mit dem lieben herumgehauen und ich habe während all dieser Zeit nicht eine Hand ausstrecken können, um ihm zu helfen. Oh, das ist hart!

Sonnabend, den achten reisten wir von Konstantinopel ab. Die See- fahrt war köstlich. Glatt und ruhig wie ein Spiegel lag die blaue Flut. Nicht stärker als auf einem Flußdampfer war die Bewegung des Schiffes. So glitten wir durch das Marmarameer, an Gallipoli vorbei, an Stellen vorüber, wo Lesbos und Abi^dos einst standen, die Dardanellenstraße hindurch, an Tenedos vorüber, dessen Bucht in dem ersten Weltkriege zwischen Orient und Okzident, im trojanischen Krieg, die Flotte der Griechen, im letzten von 1853 die Flotte der Westmächte bis zum Ereig- nis von Sinope^) barg, an Trojas sagenumrauschter sangverherrlichter Küste vorbei. Abends lagen wir vor den in magischer Violettfärbung prangenden Bergen der herrlichen Mytilene und Montag früh morgens um fünf Uhr warfen wir in dem prachtvollen Golfe Smyrnas die Anker aus.

Smyrna selbst bietet wie die meisten Städte des Orients sehr wenig. Enge und häßliche Straßen, ein ziemlich schlechtes Hotel. So muß man sich denn durch die Ausflüge in die Umgegend schadlos halten. Wir nah- men daher mit Dank das Anerbieten an, mit welchem uns Montag abend im Kasino die Herren vom österreichischen Generalkonsulat entgegen- kamen, Dienstag mit uns einen Ritt nach Burnabad zu machen, einem

1) Lassalle meint den Vergleich zwischen der Gräfin Hatzfeldt und ihrem Gatten, der ihn selbst sich und seinen eigenen Interessen zurückgab.

2) Siehe Bd. IV, Nr. 30. S. 102 £E.

2) Hier wurde am 30. November 1853 eine Abteilung der türkischen Flotte von den Russen imter Vizeadmiral Nachimow zerstört.

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etwa anderthalb Stunden von Smyrna gelegenen vielbesuchten Spazier- ort. Statt aber direkt dorthinzureiten, schlugen uns die Herren vor, über die Karawanenbrücke an der Akropolis und Paradiesebene vorbei nach Budja, von da über Kuklujar [?] und Hadjilar nach Burnabad und von hier aus nach Smyrna die Tour zu nehmen. Im vollen Vertrauen auf die Ortskenntnis unserer Gefährten nahmen wir keinen Anstand, diesen Plan zu adoptieren. Es bestand also unsere Kavalkade außer aus uns vieren aus dem ersten Kanzler des österreichischen Generalkonsulats, Herrn von Mischke, dem Baron von Herbartz und dem zweiten Kanzler des Konsulats. Unglücklicherweise hatte das Personal des österreichi- schen Generalkonsulats an demselben Tage feierliche Vorstellung bei dem neuen Pascha von Smyrna, und die Herren konnten daher erst sehr spät abkommen. Es war zwei Uhr, als sie mit den ]Mietpferden, die sie besorgt hatten, an unserem Hotel erschienen. Durch sehr starkes Reiten mußten wir suchen die verlorene Zeit wieder einzuholen. Die Wege waren gräßlich, wir kamen über ziemlich hohe Berge, von welchen wir das Ka- stell, das zuerst hoch über uns gelegen hatte, tief zu unseren Füßen liegen sahen. Diese Berge waren besät mit dem wüstesten Steingeröll und trugen, während man die Ebene mit wilden Oliven, Granaten und Feigenbäumen besetzt sah, denselben desolaten, erstorbenen Charakter, den man bei uns nur in ganz anderen Höhen auf dem St. Gotthardspaß usw. findet. Das Berghinabreiten war wirklich eine Strapaze und für zur Ängstlichkeit geneigte Gemüter beunruhigend genug. Denn häufig konnte der Fuß des Pferdes kaum auf dem Steingeröll haften und an vielen Stellen war der Weg ausnehmend schmal. Auch zogen mehrere unserer Herren vor, bergab zu Fuße zu gehen. Doch ist überall nur etwas Mühe, nirgends die geringste Gefahr vorhanden. Man bekommt eine Miniaturvorstellung von den Ritten über den Libanon. Aber selbst für diese Mühe wurde ich mehr als reichlich belohnt durch den landschaft- lichen Charakter Kleinasiens, den ich hier kennen lernte. Von dem wahren Charakter orientalischer Landschaft habe ich hier zum ersten Male eine echte Probe erhalten. Von diesen großen und weiten Landschaften hat man bei uns nur seltene Beispiele. Das eigentümlichste aber ist ein ge- wisser halb rotbrauner, halb violetter Duft, der sich über die ganze Ge- gend ausgießt. Die Berge nicht sehr hoch, aber ganz schrofi" ohne jede mähliche Andachung in die Höhe steigend, gänzlich kahl und unbe- wachsen, mit den schärfsten Kanten sich in den weichen Linien der Luft abschneidend und in den eigentümlichen Wendungen und Vertiefungen ihrer Formation die wunderbarsten I'arbenschattiemngen bildend. Als Unterlage, Grund und Einfassung der violett schimmernden Landschaft das blaue Meer!

Die weiten rötlichen Ebenen, in die man von den Anhöhen hinunter-

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sieht, bieten gleichfalls ein höchst eigentümliches Bild dar. Man erblickt überall die zahllosen Reihen der Weinstöcke und Granatäpfel-, der Oliven-, Zypressen- und Feigenbäume. Mit dieser Vegetation ist man bei uns gewohnt das Beiwort ,, üppig" zu verbinden. Und doch gibt es keine Bezeichnung, die weniger auf den Charakter dieser Gegenden paßt. Das frische Grün des lyaubholzes, welches unseren Gegenden eine so reiche und freundliche Fülle verleiht, fehlt hier gänzlich. Es liegt etwas Verbranntes in dem Charakter dieser rötlich schimmernden Ebenen; sie würden düster, wie erstorben und unschön sein, wenn nicht diese weichen Farbenschattierungen, ein gewisser warmer Ton, der in der Atmosphäre liegt, die reizende Beleuchtung, die sich über Meer und Berge breitet, über das Ganze eine wunderbare Belebung ausgießen und ihm einen eigenen Hauch von Geist, Milde und ergreifender Schönheit ver- leihen würde. Nach dem, was Sie mir, gute Gräfin, von der Schönheit ItaHens erzählt haben, stelle ich mir vor, daß dies dort ähnlich, wenn auch in viel geringerem Grade, der Fall sein mag als hier auf der ionischen Küste. So ritten wir, wenigstens was meine Person anlangt, sehr wohlgemut des Weges hin. Eine halbe Stunde hinter Budja aber zeigte sich, daß es mit der Ortskenntnis unserer Gefährten sehr schlecht bestellt war und wir den Weg verloren hatten. Jeder der Kameltreiber, den wir trafen und -des Weges fragten, machte uns eine andere Angabe. Im beständigen Karriere, um nicht zu weit in die Nacht zu geraten, sprengten wir hin und her, bald links, bald wieder dieselben großen Strecken zurück- reitend nach der rechten Seite. Das Bedürfnis, schnell zu reiten, hatte unsere Kavalkade je nach der Beschaffenheit von Reiter und Roß in verschiedene Häuflein getrennt. Herr Mischke, Baron Herbert i) und ich bildeten die Tete. Mehr oder weniger weit hinter uns folgten die anderen. Als wir um zwei Uhr fortgeritten waren, hatten wir gehofft, gegen sechs Uhr zurück zu sein. Es war jetzt bereits gegen vier und ein halb Uhr, der Tag sank sichtlich, unsere Pferde schwitzten infolge des beständigen Karrieres, und noch immer konnten wir den Weg nach Hadjilar nicht entdecken. Endlich sahen meine Begleiter in der Ent- fernung den Weg nach Burnabad. Wir beschlossen daher, Hadjilar liegen zu lassen und direkt nach Burnabad zu eilen. Wir mußten deshalb wieder nach der entgegengesetzten Richtung zurückjagen. Dies brachte uns wieder in die Nähe unserer anderen Gefährten. Es war eine schöne Ebene, über die wir jetzt sprengten. Kaum sind wir von neuem fünf Minuten geritten, als plötzlich Seeling auf seinem hohen Schimmel wie rasend an uns vorüberfliegt. Er ruft uns zu: ,,Ich kann mein Pferd nicht mehr halten, haltet die eurigen an." Wir zügeln die Rosse, aber im selben

') Obsn schrieb Lassalle: Herbartz.

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Momente ist er auch schon weit weit vorbeigeschossen. Wir halten still, um nicht durch Nachjagen sein Pferd noch mehr zu entflammen. Aber immer ungestümer fliegt seine Bestie, der, wie sich später zeigte, die Stange zerbrochen war, dahin, jagt ihn wie im Fluge rund durch die Ebene, und endlich sehen wir sie von weitem ohne Reiter halten. Wir be- greifen, daß unser Freund entsattelt worden sein muß und jagen jetzt nach der Stelle hin. Kaum haben wir uns genähert, als Seehng mit empor- gehobenem Arme auf uns los kommt, blaß wie eine Leiche, mit einem Gesichtsausdruck, dessen tiefe herzzerschneidene Wehmut mir ewig unvergeßlich bleiben wird und mit einer Stimme so weich und klagend, daß sie mir durch Mark und Xer\^en zitterte, mir sagt: „Du, Lassalle, ich bin ja ein ruinierter Mensch für immer, ich habe mir" den Arm gebrochen." Selten habe ich etwas erlebt, was mich so erschüttert hat, nie etwas, was mich momentan so zernichtet hätte. Den Arm ge- brochen auf einer \'ergnügungspartie und dabei ein Pianist, der, ohne hinreichend selbständiges Vermögen dadurch für immer ruiniert, um Beruf, und Existenz zugleich gebracht war. Dazu noch die Persönlichkeit, der dies gerade zustoßen mußte: Ein Mensch von einer solchen Sanft- heit, Weichheit und Herzensgüte, wie ich sie kaum je bei Frauen ge- funden habe. Der weichen Wellenlinie des Meers, die sich sanft jedem Körper fügt, gleicht seine vSeele, sein ganzes weibliches Wesen. Er könnte nicht einer Fhege etwas Hartes zufügen und sollte hier nun selbst mitten in unserer ungestümen Freude dies Härteste erfahren haben. Es war, als wenn die schwarze neidische Hand der Götter plötzHch hätte hinunter- greifen wollen in unsere Lust, um sie in bleifarbenes Entsetzen zu ver- wandeln. Sie wissen, daß ich schon viel schreckliche Momente in meinem Leben überstanden habe. Aber das Harte, was mich und meine Freunde bisher traf, kam meistens von Feinden. Ich konnte mich dagegen er- bittern und zur Wut entzünden. Der Drang nach Rache, das Bewußtsein meiner Kraft, das mir Bürge war, daß ich sie zu nehmen wissen würde, und wenn eine W^elt sich gegenstemmte, mischte sich in den Schmerz! erhöhte und entzündete meine Widerstandskraft und erleichterte mir] das zu tragen, was ich trug. Alles, wogegen angekämpft werden kann! erhöht mein Seelenleben, statt es zu vernichten. Aber, Sie wissen es seit lange, ich möchte beinahe sagen, daß ich die Natur fast scheue und hasse, eben weil sie unnahbar, weil sie, mindestens für mich, den Nicht- arzt, unbekämpflich, unerreichbar, unzugänglich ist, weil sie nur die Rolle stummen Leidens uns überläßt. Darum sind für mich immer Kon- flikte mit der Natur von so zernichtender Wirkung, während alle Arten gei.stiger und anderer Unglücksfälle immer nur aufregende stählende Wir- kung auf mich her\'orbrachten. Ich muß Sie an diesen, meinen Ihnen y.UT Genüge bekannten Charakter erinnern, um Ihnen begreiflich zu

AUyer, Lassalle- Nachlass. VI

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machen, was ich in diesem Augenblicke in meinem ganzen Wesen litt, die Vernichtung, von der ich mich ergriffen fühlte. Die Stimme, der unsäg- liche leise Jammerton, mit dem unser armer Freund jene Worte sprach, zittert noch immer in meinen Ohren. Endlich waren wir wieder unserer so weit mächtig, von den Pferden springen zu können. Ich befühlte SeeHngs Arm. Er schien mir sofort nicht gebrochen. Aber das beruhigte mich bei meiner gänzhchen Unkenntnis solcher Dinge sehr wenig. End- lich kamen auch die anderen alle heran. Denken Sie sich die Szene! Jetzt galt es auch, noch das Pferd einzufangen, das herrenlos grasend herum- lief und sich nicht ergreifen lassen wollte. Beinahe eine Stunde wurde in solchen vergeblichen Versuchen mitten auf der Ebene verbracht. Und immer näher kam die Nacht. Dazu die gänzliche Entfernung von jeder Hilfe, der weite Weg nach Smyrna, die Unsicherheit, die hier in der Gegend herrschen soll. Wir beobachteten mit Spannung die immer dunklere Färbung der Berge. Endlich hatte man das Pferd eingefangen. Seeling wurde auf ein anderes Pferd gehoben, dessen Zügel Haase ergriff, und nun ging es Schritt vor Schritt, wie im Leichenzuge auf Burnabad zu, wohin uns ein glücklich angetroffener schwarzer Hirte den Weg zeigte. In einer halben Stunde waren wir dort. Die vornehme Welt von Smyrna und auch die Ärzte haben dort ihre Landsitze. Aber nur ihre Famüien waren da. Kein Arzt zu finden. Also nach Smyrna. Mischke, Friedland und ich ritten, so schnell als bei der finsteren, nur sehr wenig von Mond- schein erhellten Nacht und der Beschaffenheit der Wege tunlich war, voraus um ärztliche Hilfe zu suchen. Im Schritt auf seinem Roß, das von einem anderen zu Fuß am Zügel geführt wurde, folgte Seeling und die ganze Kavalkade, die so froh frühmorgens ausgezogen war. Wir drei kamen schwermütig den Weg zurücklegend um acht und einhalb Uhr in unserem Gasthaus an. In Smyrna ist ein sehr gescheiter französischer Hospitalarzt, der aber keine Praxis außerhalb des Hospitals annimmt. Herr Mischke, der ihn kennt, begab sich selbst zu ihm und bestimmte ihn sofort zu kommen. Endlich langte über eine Stunde nach uns auch der Transport mit unserem Verwundeten an. Der Arzt untersuchte ihn, und denken Sie sich jetzt diesen Moment aufjauchzender Freude, als er erklärt, es sei weder Armbruch noch Auskugelung, sondern nur eine starke Kontusion und eine ganz kleine, ganz unbedeutende Deplacierung zweier Knochen vorhanden. Das Ganze sei nichts, habe keinerlei ernsten Charakter und werde nicht die geringsten Folgen hinterlassen. Mit einem gehörigen Verbände könne Seeling Sonnabend Weiterreisen. Wir waren wie neu belebt, wie aus einem Zustand von Starrsucht erweckt. Lust war im Lauf des Tages in Trauer verwandelt worden. Trauer schlug jetzt in noch weit tolleren Jubel um. Wir hatten seit früh zehn Uhr nicht einen Bissen gegessen, nicht einen Tropfen getrunken. Dazu

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ein über sechsstündiger ununterbrochener Ritt. Wir waren von Hunger und Durst wie verschmachtet. Jetzt kam das. Diner, dem der Arzt und der Kranke, letzterer freilich ohne zu trinken, präsidierten. Wie toll ging der Champagner im Kreise. Redliche Quantitäten wurden aus- geleert, und da Sie wissen, wie sehr es meiner Natur Bedürfnis ist, nach großen geistigen Aufregungen mich auszutoben, wird es Sie nicht wun- dern zu hören, daß ich mich um zwölf Uhr natürlich ohne Friedland aufs Kasino begab, wo ich die ganze Nacht bis sechs Uhr frühmorgens zum Glück mit Glück durchspielte. Es war ein toller Tag, in dem ich ein Gemisch der widersprechendsten Empfindungen durchlebt habe.

Unser armer Patient hat furchtbare Schmerzen erdulden müssen, die Geschwulst hindert den Arzt, die Einrenkung vorzunehmen. Da es doch unvorsichtig wäre, vor geschehener Einrenkung die Überfahrt zu machen, weil ein Stoß oder Schlag im Schiff beim Ein- und Aussteigen usw. sehr schlimme Folgen haben könnte, so hält es der Arzt für klüger, wenn Seeling erst nach geschehener Einrenkung abreist und bis dahin sich hier ins französische Hospital der barmherzigen Schwestern begibt. Wann der Arzt die Einrenkung wird vornehmen können, ist der Ge- schwulst wegen nicht abzusehen. Es kann acht, es kann vierzehn Tage dauern. Da das Schiff nur alle acht Tage geht und wir dadurch noch drei Wochen in Smyrna würden aufgehalten werden können, so wollen die anderen hier nicht warten. Wir werden also wahrscheinlich morgen ohne SeeHng abreisen. Wie dauert mich der Arme!

Fünfter Reisebericht

(Original)

Alexandrien, 20. November 1856. Freitag, den 14. November, schloß ich in Smyrna meinen letzten Brief (den vierten Reisebericht) und gab ihn zur Post, da wir tags drauf, Sonnabend nachmittag vier Uhr, von Smyrna absegeln mußten, Seeling wie ich schon berichtet habe dort zurücklassend. Da ich von Smyrna ein bleibendes Andenken mitnehmen wollte, so lief ich noch Sonnabend früh in aller Eile mit einem Deutschen, dessen Bekanntschaft ich dort gemacht, aus, und realisierte den Spielgewinn, den ich in jener tollen Nacht gemacht hatte, indem ich dafür zwei reizende Smymaer Teppiche kaufte, einen schönen, aber bescheidenen für mich, einen anderen wirklich prachtvollen für Sie, gnädige Frau. Ich nenne dies: Realisieren, während man gewöhnlich unter dieser Bezeichnung grade die umgekehrte Operation versteht. Aber für mich sind in der Tat Sachen

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etwas Dauerhafteres und Reelleres als Geld, das zu rund ist, um bei mir zu haften. Diese Teppiche werden dagegen allem Anscheine nach mich überleben und mir noch lange, lange eine Erinnerung an meinen kurzen Besuch der ionischen Küste gewähren!

Ionische Küste! Welche andrängende Flut größter welthistorischer Erinnerungen, welchen Reichtum von Poesie, welchen Strom kultur- geschichtlicher Gedanken, welchen Zauber des Geistes schließen nicht diese zwei Worte für mich ein! Das war die Wiege des griechischen Geistes, die erste Entwicklungsstätte philosophischen Denkens und wahrhaft humaner I^ebensgestaltung. Das waren die Gestade Homers! Drei kurze Tagereisen von Smyrna liegt Ephesos, das Wunder der Vor- welt, die Geburtsstätte Herakleitos, dieses ersten gewaltigen Gedanken- heroen. Ach, ich habe nichts von den Resten des alten loniens zu Ge- sichte bekommen. Nicht Ephesus, nicht Sardes, nicht Magnesia, nicht Hierapolis, nicht einmal Ninifi mit dem Sesostris-Denkmal. Einmal lagen größere Ausflüge diesmal nicht in unserem Plan, auch nicht einmal in dem meinigen. Und was sich selbst hätte machen lassen, ließ sich mit meiner Reisegesellschaft nicht machen, welcher derartige Zwecke fremd und die auch die dafür nötige kulturhistorische Weihe entbehrt. Doch muß ich sagen, daß ich mir selbst auch nur zu einer mehrtägigen Reise diesmal nicht die Zeit genommen haben würde, da es mich drängte, nach Ägypten zu kommen. Sollte ich aber einmal wiederkommen nach der kleinasiatischen Küste, so werde ich gründlich zu Werke gehen. Vor- läufig habe ich mich begnügt, die Erkundigungen für einen solchen Fall einzuziehen. In unserem Hotel wohnte ein Prinz Moritz von Altenburg mit seinem Adjutanten, der eben in Gesellschaft des preußischen Gene- ralkonsrds Herrn Spiegelthal eine sechswöchentliche Reise in das Innere von Kleinasien zurückgelegt hatte und mir nun die Hülle und Fülle davon erzählte. Noch genauere Angaben erhielt ich von dem General- konsid selbst, der schon mehrere Reisen ins Innere, eine sogar von drei Monaten gemacht hat. Herr Spiegelthal, mit dem ich einmal von Berlin nach Düsseldorf gereist bin, erkannte mich übrigens sofort, als er mich am Eingange unseres Hotels sah, redete mich, der ich mich nicht recht auf ihn besinnen konnte, an und veranlaßte mich, die in der Tat sehr reichhaltigen und schönen Sammlungen von Altertümern, die er besitzt, in Augenschein zu nehmen.

Sonnabend mittag um vier Uhr reisten wir also fort. Es war diesmal eine lange Seereise. Denn obgleich wir nirgends unterwegs anlegten, hatten wir erst Dienstag vormittag um zehnundeinhalb Uhr Alexandrien erreicht. Doch hatte ich während der ganzen Reise nicht einen einzigen Moment von Seekrankheit. Dangweilig aber war die Fahrt genug, denn wir waren beinahe die einzigen Passagiere des ersten Platzes. Solange

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wir im Archipel uns befanden, hatten wir freiHch zur Langweile keine Zeit. Denn alle Augenblicke tauchte eine neue violettblaue Insel vor unseren gefesselten Blicken empor, Samos, des Pythagoras Vaterstadt, Knidos, Patmos und wie alle diese an Erinnerungen so großen Eilande heißen. Kaum aber hatten wir das Mittelländische Meer erreicht, als jede Küste, jede Insel entschwand und zur Nachtzeit das Phosphorisieren des Meeres unsere einzige Abwechselung in der großen Wasserwüste wurde. Sie sehen, daß ich die Schönheit der Seereise nicht eben allzu hoch stelle und mich in dieser Hinsicht damals, als ich noch nie ein ^Nleer ge- sehen, ganz richtig im voraus beurteilt habe. Die ewige Einerleiheit des Anblicks ermüdet mich. Diese Bewegung, die weil eine stets identische, keine wirkHche Bewegung ist, vermag mir auf die Länge der Zeit kein Leben in das Bild zu bringen. Ich begreife weniger als je, wie man die Schönheit einer Seefahrt mit der einer Alpenreise vergleichen will. Freilich, bei einem Sturme würde das Bild eine hohe und poetische Schönheit erreichen. Es würde ein gewaltiges Schauspiel sein. Aber man hat bei einem Sturme keinen Sinn dafür, nicht wegen der Gefahr, die mir kaum den Genuß verbittern würde, sondern wegen der Seekrankheit, die sich darm wohl unbedingt einstellt und jeden Genuß unmögHch macht. Was aber wirklich einen eigenen Reiz während dieser Seefahrt auf uns ausübte, das war Witterung und Klima. So mild die Lüfte, so warm wie bei uns im Juni. Wir zählten Glitte November und konnten mitten auf dem Meere oben auf dem Deck im leichten Rock ohne Paletot oder irgendwelche Einhüllung spazieren gehen. Selbst in der späten Abendstunde geschah es nur aus Vorsicht, daß ich mich in meinen stolzen Perser, den ich mir in Konstantinopel gekauft habe, einwickelte. Keineswegs war ich durch die Temperatur dazu veranlaßt.

Dienstag früh zehn Uhr legten wir uns im Hafen von Alexandrien vor Anker. Wie Katzen kletterten die Araber aus ihren kleinen Barken am Bauche unseres Schiffes empor, enterten uns gleichsam, bemächtigten sich mit einem fürchterlichen Geschrei und sich untereinander fast hauend und prügelnd, unserer Sachen und Personen, brachten beides in die Barke und ruderten uns rüstig ans Land. Hier sahen wir die ersten Fiaker wieder, seit Bukarest, den ersten Omnibus seit Pest. Nachdem wir noch einen langen Auftritt mit der Zollbehörde gehabt hatten, die denn hier scheint die Douane sehr streng zu sein unsere Koffer, Kisten und Ballen, deren wir freilich eine unverschämte ^klenge bei uns führten, durchsuchen wollte, langten wir endlich glücklich im Hotel d'Orient an, welches von einem Deutschen, Herrn Zeck, gehalten wird und von deutschredender Bedienung mit Ausnahme freilich der Neger und Nubier angefüllt ist. Wie angenehm klingt einem das trauliche Deutsch in die Ohren im fernen Afrika! Und wahrhaftig man

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entbehrt auch abgesehen von Wirt und Kellnern hier dieser Freude durchaus nicht. Es ist eine ganz erstaunliche Menge Deutscher in Alex- andrien, sowohl ansäßiger, als reisender. Von letzteren soll in Kairo noch eine weit größere ]^Ienge sein. Es wimmelt hier von Reisenden. Allein was glauben Sie wohl, hat die meisten Reisenden hierhergeführt? In welchem Artikel reisen sie? Nun wohl: die meisten Reisenden, die ich bis heran hier sprach, sind nicht Geschäftsreisende, nicht Kunst- reisende, nicht Archäologen, nicht Botaniker es sind: Gesundheits- reisende! Eine erstaunliche Masse Europäer wird hierher geschickt, um den Winter in Kairo oder noch lieber auf einer Reise nach den Nilkata- rakten zu verbringen und in dem Klima dieser Gegenden ein Heilmittel gegen allerlei Krankheiten, vorzüglich gegen Brustkrankheiten zu finden. Freilich fühlt man auch sofort, daß hier das gesündeste, heilendste, ver- jüngendste Klima der Welt ist. Warum in aller Welt ist es noch keinem Ihrer Ärzte, Frau Gräfin, eingefallen, Sie hierher zu schicken? Sie würden hier körperlich gesund werden und Ihre Jugend wiederfinden. Vorgestern brachte das Triester Schiff allein neun Schweden, die mit Frau und Kind Kindern von achtzehn Monaten den Nil bis zum zweiten Katarakt hinauf reisen, rein ihrer Gesundheit wegen. Einen Prager, Herrn Kolb, haben wir getroffen, der gleichfalls auf einer Nilreise gesundheits- halber den Winter verbringen muß. Gestern machte ich die Bekanntschaft eines jungen Mannes, mit dem ich morgen nach Kairo abreise. Es ist der Sohn unseres Berliner Kapellmeisters Dorn,^) des Komponisten der Nibelungen. Er lebt nun schon seit einem Jahre in Kairo. Als er von Europa abreiste, hatten ihn die Ärzte aufgegeben. Er ist jetzt bereits wieder ganz gesund, wird aber noch vier Jahre hierbleiben. Und wie be- reits gesagt, nicht bloß gegen Schwindsucht oder Brustleiden, sondern gegen eine ]\Iasse anderer Krankheiten wird Äg>^pten als das gelobte I,and betrachtet. Ihre Nervenleiden würden hier total vergehen.

Sehr schwer ist es, eine Schilderung des Eindruckes zu geben, welchen dieses I^and hervorbringt. Die Stadt selbst hat einerseits ein weit euro- päischeres Aussehen als Konstantinopel. Große Gebäude in europäischem Stil, breite Straßen, ungepflastert, aber wie entbehrHch ist nicht auch das Pflaster in einem lyande, wo es so äußerst selten regnet. Ebenso- wenig fühlt man sich von Staub belästigt. Ein prachtvoller großer Platz, la place des consuls genannt, auf welchem wir wohnen, und auf dem

1) Heinrich Ludwig Egmont Dom (1804 1892) war seit 1849 Kapellmeister an der Berliner Hofoper. Mit seiner Oper: ,,Die Nibelungen", war er 1854 hervor- getreten. Mit welchem seiner Söhne Lassalle in Kairo bekannt wurde, ließ sich, da er keinen Vornamen angibt, nicht bestimmt feststellen. Am wahrscheinlichsten kommt der älteste, Alexander (1837 1901), in Betracht, der später Lehrer an der Berliner Hochschule für Musik wurde.

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sich fast alle Hotels, Konsulate und ein großer Teil des hiesigen Lebens und Treibens zusammendrängen. Über diesen Platz wie über alle Straßen galoppieren Hiesige und Fremde beständig auf Reiteseln, die arabischen Eseljungen immer dicht hinter sich, die beständig mit dem Esel selbst in seinem schnellsten Lauf Schritt zu halten wissen. Aber auch eine ^lenge nicht sehr teurer und ganz bequemer Fiaker halten hier an allen Ecken des Platzes. Es ist diese Bequemlichkeit der Straßen und Fiaker, die verbunden mit den hiesigen Gebäuden Alexandrien ein weit mehr europäisches Aussehen leiht als Konstantinopel. Hier kann man doch v.-ieder flanieren, ja man flaniert hier mit dem größten Genuß, w^ährend in Konstantinopel jeder Schritt vor die Tür mit wirklichen Strapazen verbunden ist. Und während man hier allen europäischen Komfort hat, ist andererseits die Ph3-siognomie des Landes eine unvergleichlich mehr orientalische, als in Konstantinopel oder in Sm^Tna der Fall ist. Man braucht nur eine Seitenstraße von dem großen Platze einzuschlagen iind man sieht überall von Mauern eingefaßt die prachtvollsten Palmen- gärten, eine Vegetation darbietend, die es vergebHch wäre irgend be- schreiben zu wollen. Eine halbe Stunde vor der Stadt imd man trifft auf herrliche Palmenwälder! Dazu dieser tief-tiefblaue Himmel, von dessen Farbe ich selbst noch in Smyrna keine Ahnung gehabt habe. Und einen ganz unsagbaren, den Geist in seinem Innersten erfassenden Ein- druck machen die unabsehbaren Trümmer, die Alexandrien von jeder Landseite umgeben, die Schuttstätte des alten Alexandrien, jener un- geheuren Stadt, aus deren Bruchstücken auch das neue Alexandrien erbaut ist. Unter den ungeheuren Hügeln von Sand, welche die frühere Pracht verschüttet haben, ragen marmorne Säulentrümmer, Wasser- leitungen, Mauern, Forts, alles natürlich nur in mehr oder weniger großen Bruchstücken her\'or. Ein kostbares ]Mosaik hat man ausgegraben in der NicopoHs, wie der Augustus zu Ehren gebaute Stadtteil hieß. Es ist ein Osiris-Bacchus der griechischen Kunst aus römischer Zeit, d. h. ein Bacchuskopf mit Osirissymbolen. Der Pascha hat ein Gebäude darüber setzen lassen. Was würde man hier nicht alles finden, wenn ordentUch und nachhaltig gegraben würde. Denn kaum hat man etwa zehn Fuß Schutt weggeräumt und schon trift't man auf die großartigsten Baureste. Aber freilich wie ungeheuer wäre die Anstrengung, hier wirklich bloß- legen zu wollen, was rings unter diesem Meere von Sand und diesen Scherbenbergen noch begraben ist. Um so großartiger, um so ausdrucks- voller berühren uns die wenigen noch wirklich erhaltenen Kunstdenk- male, die, wie Grabsteine einer vergangenen Zeit, aus dieser Schutt- und Trümmerwelt noch unversehrt hervorragen. Weit vor der jetzigen Stadt, unmittelbar neben dem arabischen Kirchhof und seinen wunderlichen, niedrigen Grabmalen erhebt sich, den Kirchhof kontinuierend, gleichsam

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ein kolossaler Grabstein der Römerzeit, die sogenannte Pompejussäule, die Diocletian zu Ehren (290 post Christum) hier errichtet wurde. Man blickt mit einer Art von Schwindel zu der Höhe empor, zu der der schlanke Monolith in wunderbarer Rundung sich nach oben zu mählich verengend in die Höhe steigt. Über und hinter ihm der den Eindruck mächtig erhöhende tiefblaue Himmel, rings umher Einsamkeit und Schuttberge es überkommt den Betrachter eine Stimmung historischer Andacht, der er sich kaum wieder entreißen kann.

Kairo, den 29. November. Was ich glücklich und froh bin seit heute früh! Die Post hat mir nämlich Ihren vierten Brief nach Konstantinopel (30. Oktober) i) ge- bracht! Seit meiner Abreise von Konstantinopel hatte ich nichts von Ihnen gehört! Ich bin jetzt wie neugeboren. Vor allem freue ich mich über die Idee, die Sie ganz von selbst gefaßt haben, nächsten Winter nach Kairo zu gehen! Der vorstehende Brief zeigt Ihnen, daß ich un- abhängig von Ihnen und ganz von selbst auf dieselbe Idee gekommen bin. Es wäre unstreitig für Ihre Gesundheit das allerbeste. Dieses KHma ist wahrhaft wunderbar. Von einem Winter keine Rede. Aber nicht ein- mal unser Sommer kann sich entfernt damit vergleichen. Und durchaus keine unerträgliche Hitze ! Aber eins habe ich zu bemerken. Die Billigkeit, von der Sie reden, werden Sie hier durchaus nicht finden. Es ist zwar nicht so unverschämt teuer wie in Konstantinopel, aber doch immer das meiste viel teurer als in Europa. Auch werden Sie nicht den ganzen Winter hier zubringen. Sie werden vielmehr wie jedermann und unzählige Damen tun, die Reise bis zum zweiten oder mindestens bis zum ersten Nilkatarakt machen. Das nimmt sechs bis acht bis zehn Wochen in Anspruch. Jetzt ist DemoiseUe Rachel'^) hier, die gleichfalls diese Reise antritt, um ihre ruinierte Brust wieder herzustellen. Sie würden etwa Anfang Oktober hierherkommen, vierzehn Tage in Alexandrien und dann bis Anfang Januar oder Ende Dezember in Kairo weilen. Dann sich in Ihre Nilbarke zurückziehend, das Wunder der Welt, die Trümmer Thebens sehen, dann Edfu, Philae usw. und wenn Sie bis zum zweiten Katarakt sogar gehen, immer noch jedenfalls Mitte März zurücksein. Wenn Sie es wünschen, begleite ich Sie und kehre in Rücksicht hierauf um so lieber mit dem Schiff vom zwanzigsten Dezember nach Europa zurück, meine thebanische Reise drangehend, der sich diesmal ohnehin allerlei Dinge in den Weg stellen. Zurückgekehrt beendige ich und publi-

1) Siehe Bd. IV. Nr. 28, 8.95.

^) Elisa Rachel (1820 1858), die berühmte französische Tragödin, eine el- sässische Jüdin.

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ziere ich schnell meinen Heraklit/) büffle dann den Sommer hindurch gehörig an meinem nationalökonomischen Projekt 2) und bin dann bereit, Ende Dezember mit Ihnen die Schritte hierher zu lenken. Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, daß ich eigentlich die ganze Zeit schon immer mit der Idee reise: Wie würde sich dies und jenes gestalten, wie würdest du dies und jenes machen, wenn du mal mit der Gräfin herkämst? Denn individuell beziehe ich mich nun einmal auf Sie, wie ein Trabant auf seinen Planeten. Auch habe ich manches vorbereitet, lange ehe Sie mir, ehe ich Ihnen davon schrieb. In Europa gebe ich Ihnen davon die Be- weise. Hier in Ägypten ist das Reisen übrigens durchaus leicht, mit keinerlei Beschwerde verbunden.

Ich miiß diesen Brief, so mager er ist, zur Post geben, da diese schon dieser Tage von Alexandrien abgeht und es immer vierzehn Tage dauert, wenn man das Schiff versäumt. Dieser Brief soU mit dem Schiff fort, das am zweiten bis fünften abgeht. Das nächstfolgende bringt mich selbst. Freilich kommen Sie dadurch um die briefliche ägyptische Reise- schilderung; denke aber, daß Sie den Verfasser doch lieber noch sehen als die Briefe, soviel Schmeichelhaftes Sie mir auch über dieselben zu sagen die Güte haben. Ich gehe von Triest über Wien, wo ich mich vielleicht gar nicht, vielleicht zwei Tage aufhalte, nach Breslau, bleibe da auch nur drei Tage und will mit meinem Vater nach Berlin, um endhch meine Domizilierung daselbst zu betreiben.^) Auch in Berlin werde ich mich nur so lange eben ganz nötig aufhalten und dann endlich nach Düsseldorf eilen. Vielleicht sind Sie aber grade in Berlin? Um so schöner.

Haben Sie die Güte, mir sofort wie Sie diesen Brief erhalten nach Triest, poste restante zu schreiben, wo Sie vom 25. Dezember ab denn an diesem Tage, wenn nicht zwei Tage früher, hoffe ich in Triest einzutreffen sich befinden werden; ob in Berlin, ob in Düsseldorf. Sollten Sie in Berlin sein, so wäre es sehr schön von Ihnen, wenn Sie die sechs Stunden nicht ansähen und nach Breslau kämen, damit ich gleich dort alles, was ich liebe auf einmal treffe. Sie und meine Familie. Geben Sie mir in dem Briefe nach Triest Ihre Berliner Adresse falls Sie sich dort befinden genau an. Sowie ich in Triest gelandet bin vmd Ihren Brief erhoben habe, telegraphiere ich Ihnen sogleich nach Ihrem jeweiligen Aufenthaltsort.

Von Ägypten heut noch zu schreiben mangelt die Zeit. Denn die Sonne neigt sich ihrem Untergang. Übrigens habe ich in Kairo, obwohl

') Lassalles erstes großes Werk: ,,Die Pliilosophie Heraklitos des Dunklen von Ephesus", erschien im November 1857

2) Vgl. hierzu unten S. 247f.

3) Lassalle siedelte im Frühling 1857 von Düsseldorf nach Berlin über.

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ich schon mehrere Tage hier bin, noch sehr wenig in Augenschein ge- nommen. Erst von morgen und übermorgen ab will ich anfangen.

Haben Sie die Güte, diesen Brief meinem Vater zuzuschicken, denn ich schreibe ihm keinen besonderen Brief von hier aus und er würde sich sonst ängstigen. Ich grüße und küsse ihn und die geliebte Mutter tausendmal . . }) Wegen anderer Geschäftssachen lohnt es sich nicht mehr zu schreiben. In einem Monat bin ich in Europa und werde dann selbst zusehen. Mit den herzlichsten feurigsten Grüßen und Wün- schen baldigen frohen Wiedersehens

Ihr treuer Freund

F, I^assalle.

Noch habe ich auf keinen meiner Konstantinopolitaner Privatbriefe an Sie und ich habe deren glaube ich drei geschrieben, ^) eine Antwort, Sie sind doch angelangt?

^) Hier folgte einiges Geschäftliche, das heute ohne Interesse ist. 2) Lassalle schrieb am 20. und 27. Oktober und am 7. November von Konstanti- nopel aus. Diese Briefe finden sich in Bd. IV als Nr. 26, 27 und 30.

Die Amnestie. Die Berliner demokratische Presse. Herr Zabel und das geistige Eigentum

Zur Einführung

Die politische Amnestie, die aus Anlaß der Thronbesteigung Wil- helms I. erfolgte, war für die preußische Demokratie von großer Bedeu- tung. Seit lange hoffte man auf sie, weil man erwartete, daß sie den zahlreichen durch den Zusammenbruch der Revolution von 1848 und 1849 ins Ausland getriebenen Parteigenossen die Rückkehr in die Heimat ermöglichen werde. Lassalle teilte diese Gesinnungen aus einem allge- meinen Gefühl der S^^mpathie für die in der Verbannung lebenden Ge- sinnungsgenossen. Besonders aber knüpfte sich für ihn an den seit lange erwarteten Begnadigungsakt die Hoffnung, sie werde es Karl Marx er- mögHchen, seinen Wohnsitz nach Berlin zu verlegen. Dann wollte er mit jenem gemeinsam in der Hauptstadt eine große radikale Tageszeitung ins Leben rufen, von der er sich einen gewaltigen Erfolg versprach. Aber ein guter Kenner der preußischen Rechtsprechung und Gesetzgebung wünschte er, daß die Parteigenossen, die aus dem sicheren, wenn auch entbehrungsreichen Exil zurückkehrten, in der Heimat keine poli- zeilichen Fußangeln vorfinden sollten. Deshalb überprüfte er den könig- lichen Erlaß Satz für Satz, um zu ermitteln, ob darin nicht etwa Bestimmungen zu finden wären, die gewisse Kategorien der Heimkehrenden bedrohten. Eine solche Gefahr schien ihm nun wirklich der Wortlaut des Erlasses für diejenigen Emigranten zu bedeuten, gegen die kein rechts- kräftiges Urteil ergangen war. Sie konnten, wenn sie jetzt zurückkamen, auf Grund des nicht erlöschenden Haftbefehls festgenommen und hinter Schloß und Riegel zurückbehalten werden, bis ihr Prozeß entschieden war. Ein alter Freund Lassalles noch von Breslau her war der Stadt- richter Hiersemenzel. Dieser hatte zwar zuerst in der ,, Preußischen Ge- richtszeitung", die er herausgab, eine entgegenstehende Ansicht ver- treten. Doch in mündlicher Aussprache hatte er sich von Lassalle über- zeugen lassen, daß dessen Auslegung des Erlasses die richtige wäre.

Sowohl um die Rechtslage zu klären wie um die Emigranten vor einer übereilten Heimkehr zu warnen, richtete nun Lassalle am 16. Januar 1861 ein Schreiben an die ,, Nationalzeitung", das unter Aufbietung eines

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reichlichen juristischen Apparats seinen Gesichtspunkt dariegte und be- gründete, weshalb nach seiner Ansicht die Amnestiefrage überhaupt nicht durch bloßen königlichen Erlaß, sondern nur durch ein Gesetz befrie- digend zu lösen sei. Der Wortlaut dieses Schreibens, dessen Abdruck er von dem Chefredakteur Dr. Friedrich Zabel verlangte und worüber er so- fortige Entscheidung erbat, wurde bereits im zweiten Bande dieser PubU- kation mitgeteüt.^) In einen Begleitbrief, der uns nicht vorliegt, hatte er die Äußerung einfließen lassen, er bitte wegen der Wichtigkeit der Sache um den Abdruck seiner Ausführungen, obgleich er glaube bei der ,, Nationalzeitung" nicht persona grata zu sein. Die Richtigkeit einer solchen Annahme bestritt der Chefredakteur des vielgelesenen Blattes und bemerkte dazu, daß es auf die Beurteilung einer die Allge- meinheit angehenden Angelegenheit ohne Einfluß sein würde, ob jemand ihm persörüich angenehm oder unangenehm wäre. Die Redaktion, hieß es in Zabels Brief weiter, sei seit einigen Tagen beschäftigt, die Mängel des Amnestieerlasses zu untersuchen, um sie dann zur Sprache zu bringen, leider bestehe sie nicht aus Juristen und könne deshalb nicht, wie I^assalle es wünsche, sofort entscheiden, ob seine Zusendung der Sache erschöpfend auf den Leib gehe. Auf Seite 6 scheine dem Verfasser ein Fehler unterlaufen zu sein, indem er zwei Paragraphen verwechsle. Auch wolle er den MitgUedern des Abgeordnetenhauses zur Pflicht machen, ihrerseits eine Amnestie zu beantragen. Da diese sich an einen solchen Appell lücht kehren würden, trage die Zeitung Bedenken, ,, Luft- streiche" zu machen. Im Interesse der Sache läge es schHeßlich auch lücht, die Emigration, wie es in Lassalles Zuschrift geschähe, von der Heimkehr abzuschrecken, denn nur wenn sie erscheine, könnte sie die Sache zum Austrag bringen helfen. Zabel schloß, indem er die Veröffent- hchung ablehnte:

„Sie sehen, verehrter Herr, aus diesen kturzen Andeutungen, daß ich Ihren Brief gern abdrucken möchte, daß ich aber nicht recht überzeugt bin, weder von der strikten Beweisführung, noch von dem Effekt, und ich ziehe es vor, Ihnen denselben zu remittieren und wie bisher unsere Studien über die Sache zum Abschluß zu bringen, bis dahin aber selb- ständig an einzelnen Fällen die Mängel des Amnestieerlasses womög- Hch täglich zu erweisen. Nichtsdestoweniger seien Sie aufrichtig bedankt für die gute Meinung, die Sie von uns haben und in Ihrem Schreiben an den Tag gelegt haben. Das Urteil eines solchen Partei- genossen ist mir nicht gleichgültig und hat, ich gestehe es offen, mir wohl getan."

Doch Lrassalle beruhigte sich nicht bei dieser Ablehnung der „Natio- nalzeitung". Er schickte Zabel den zu veröffentlichenden Brief noch

1) Bd. II, Nr. 12:;, S. 228 ff.

= 237 ^— =-

einmal zurück. In einem Begleitbrief suchte er der Redaktion Mut zu machen so berichtete er an Marx indem er ihr mitteilte, daß er Hiersemenzel zu seinem Standpunkt bekehrt tmd daß dieser sich bereit erklärt habe, den Brief in der ,,Preiißischen Gerichtszeitung" zustim- mend nachzudrucken, wenn er zuvor in der ,,Xationalzeittmg" gestan- den habe. Zabels Einwand, daß die politischen Flüchtlinge von der Heimkehr nicht abgeschreckt werden dürften, begegnete er wie er eben- falls an Marx schrieb, sein Konzept fand sich nicht im Nachlaß mit der Frage, ob Zabel diese Notwendigkeit durchaus auf dem Buckel der Flüchtlinge erweisen woUe und nicht lieber früher.^)

Noch bevor er auf diesen zweiten Brief eine Antwort erhielt, erschien nun aber im Abendblatt der ,, Nationalzeitung" vom 17. Januar ein re- daktioneller Leitartikel über die Amnestiefrage, imd dieser rief bei Lassalle den bestimmten Eindruck hervor, daß die Zeitung darin den Inhalt seiner Ausfühnm.g zu ihrem geistigen Eigentum gemacht habe, daß sie „These, Gang der Beweisführung, Gründe, kurz, treu in der Sub- stanz ihn plagiierte". Sofort setzte er sich hin, schrieb einen neuen Brief an Zabel und sandte ihn gleich in der Frühe des 18. durch seinen Diener auf die Redaktion in der Französischen Straße. Das \-ielfach korrigierte Konzept dieses Briefes, der sich im Nachlaß vorfand, lautet:

LASSALLE AN FRIEDRICH ZABEL. (Originalkonzept. j

[Berlin] iS. Januar [1S61] Freitag früh. Herr Redakteurl

Zu meinem wahrhaft sprachlosen Erstaimen ersehe ich gestern abend aus Ihrer Abendnummer, daß Sie meinen Brief zwar nicht bringen, dagegen ihn, dessen juristische Begründung Sie noch gestern früh in Ihrem Schreiben an mich in Zweifel zogen, und dessen Aufnahme Sie aus diesem Grunde beanstandeten, in einem Leitartikel zu Ihrem geisti- gen Eigentum vemutzen; These, Gründe und Folgerung desselben treu- lich in der Substanz extrahierend.

^lindestens glaubte ich, daß der Brief in Ihrer heutigen Frühnummer erscheinen werde. Indes war ich auch hierin getäuscht. Ich bin nie sehr sparsam und rückhaltend mit meinem geistigen Eigentum gewesen und habe glücklicherweise nicht nötig, es zu sein. Allein ich muß gestehen, daß mir in dieser Form, Rückweisung meines eigenen um Aufnahme nach- suchenden Schreibens und Aneignung seines Inhalts, dies wirklich zum erstenmal zustößt.

Bd. III, S. 349.

= 238 =

Ich will gleichwohl die Sache auf sich beruhen lassen, wenn Sie sich, Herr Redakteur, mindestens verpflichten, den Brief nebst seinem Datum unbedingt in Ihrer heutigen Abendnummer zu bringen, wobei ich jetzt berechtigt bin, zu begehren, daß der Schein von Nachtreterei, der jetzt auf meinen Brief fallen muß, mindestens durch den bevorzugenden Ort im Blatte, der ihm eingeräumt wird, möglichst gut gemacht werde.

Wollen Sie mir, Herr Redakteur, nicht erklären, daß der Brief unter allen Umständen in Ihrer heutigen Abendnummer erscheinen wird, so bitte ich mir ihn durch Überbringer zurückzusenden.

Ich werde ihn dann anderweitig erscheinen lassen, dann aber aller- dings nicht um anzugreifen, sondern um meinerseits den Schein, als plagiiere ich die „Nationalzeitung", zu vermeiden, genötigt sein, das Ver- hältnis dieses Briefes und Ihres gestrigen Leitartikels zueinander nach- zuweisen.

Mit besonderer Hochachtung und sehr schlecht belohnt für die Be- rücksichtigung, die ich in einem allgemeinen Parteiinteresse der „Na- tionalzeitung" widerfahren ließ, Herr Redakteur

Ihri)

Nun brachte aber Lassalles Diener aus der Redaktion zunächst noch nicht die Antwort auf diesen, sondern den hier folgenden Brief Zabels mit. Der Chefredakteur der ,, Nationalzeitung", den, wie Fanny Lewald be- hauptete, „der Haß aller mittelmäßigen Menschen gegen das Bedeu- tende"2) beseelte, hatte, wie er selbst gestand, über die „Pressur", die der Ungestüme auf ihn ausübte, verdrießlich, ihn tags zuvor geschrieben und glaubte ihn schon in Lassalles Händen:

FRIEDRICH ZABEL AN LASSALLE. (Original.)

Berlin, 17.-) Januar 1861.

Geehrter Herr!

Es ist mir unangenehm, Ihnen das anliegende Manuskript doch zu- rückschicken zu müssen. Sie haben mir bei der ersten Übersendung kaum Zeit gelassen, es nur flüchtig durchzusehen, und ich habe, wie Sie nun zugeben, sofort bei diesem flüchtigen Lesen ein unrichtiges Zitat, das für die Beweisführung wichtig ist, entdeckt. Dies muß mich bestimmen, noch vorsichtiger zu sein. Es liegt nicht in der Art meiner Natur, mich

^) Den Namen läßt Lassalle im Konzept fort.

^) Fanny Lewald an Johann Jacoby, 16. Oktober 1860 (ungedruckt). ^) Das Datum ist nicht einwandfrei zu lesen, es ergibt sich aber aus dem Zu- sammenhang mit Sicherheit.

= 239 =

über wichtige Dinge ohne Überlegung zu entscheiden; dazu ließen Sie mir aber keine Zeit, und ich liebe es nicht, mich durch Pressur bestimmen zu lassen. Darum muß ich es auch Ihnen überlassen, ob Sie den ander- weitigen Abdruck Ihres Briefes durch die Bemerkung, die ,, Nationalzei- tung" habe den Abdruck verweigert, pikanter machen wollen; für die Sache wird dadurch nichts gewonnen, und da mir diese vor allem am Herzen liegt, so werde ich auch Ihre Person rücht entgelten lassen, was Sie etwa, wie ich voraussetze, aus Liebe zur Sache gegen uns unter- nehmen.

Verzeihen Sie die Flüchtigkeit dieser Zeilen; aber ich bin wirklich in der größten Eile und in vollstem Drange der Geschäfte meines täg- lichen Berufs.

Mit aufrichtiger Hochachtung

Ihr ergebenster

Dr. Zabel.

Lassalle erwiderte umgehend: IvASSALDE AN FRIEDRICH ZABEL. (Originalkonzept.)

[Berlin,] Freitag, i8. Januar [iS6i], früh lo Uhr.

Herr Redakteur!

:Mein Diener mit meinem Brief von heute früh hat Sie verfehlt vmd bringt mir statt Antwort auf denselben den von Ihnen gestern abend vorbereiteten Brief zurück, der nun wirklich die Weigerung der Auf- nahme des von Ihnen inzwischen zu Ihrem geistigen Eigentum gemachten Briefes enthält.

Ich will nur deshalb diese Ablehn vmg nicht als eine definitive be- trachten, weil Sie meinen heutigen Brief noch nicht kannten imd ganz und gar übersehen zu haben scheinen, wie sich jetzt nach dieser un- autorisierten Aneignung das Verfahren der ,, Nationalzeitung" quali- fizieren würde.

Ich lasse Ihnen also noch einmal freie Wahl, ob Sie unbedingt heute abend den Brief bringen zu wollen erklären oder bei seiner Ablehnung beharren.

Wollen Sie ihn heute abend bringen, so wird mein Diener, der ihn bei sich hat, Ihnen denselben auf Ihre Anfrage nach der ,,Beüage" über- geben.

Wenn nicht, nicht, und ersuche ich dann um definitive Antwort.

Aber sehr verbitten muß ich, daß Sie von einem , .unrichtigen Zitat" sprechen, weil an einer Stelle meines Briefes bei dem Abschreiben statt

:= 240 =

§ 2o8, 209 hingesetzt war, während in der Deduktion des Briefes selbst überall jener Paragraph als § 208 richtig angezogen war und durch diesen Schreibfehler sogar zwei § 210 im Brief vorlagen, was den Schreibfehler handgreiflich machte. Ein Schreib- oder Druckfehler macht nie ein Zitat ,,un richtig". Aber wenn dieser übrigens schon gestern von mir verbesserte Schreibfehler durch die anderen Stellen des Briefes selbst als Schreibfehler konstatiert wird, dann von einem ,, unrichtigen Zitat" zu sprechen, übersteigt alles Dagewesene.

Ihrer Antwort entgegensehend

Hochachtend ^)

Darauf wieder schrieb FRIEDRICH ZABEI. AN LASSALLE. (Original.)

Berlin, 18. Januar [1861]. Geehrter Herr!

Soeben, früh 9 ^2 Uhr, komme ich ins Büro, wo mir ein Brief von Ihnen eingehändigt wird, den ich anfangs gar nicht verstehe. Auf nähere Erkundigung erfahre ich, daß die Antwort, welche ich Ihrem zweiten gestrigen Briefe erteilt, erst heute morgen Ihrem Boten eingehändigt worden ist. Nun verstehe ich erst Ihre Verwunderung darüber, daß Ihr Artikel in unserer heutigen Morgennummer nicht erschienen sei.

ZvLi Aufklärung des ^Mißverständnisses nur folgendes:

In beiden FäUen, wo Sie mich gestern mit Ihrer Zuschrift beehrten, wurde mir von unserem Bürobeamten gesagt, daß der Bote auf Ant- wort warte; die erste Antwort übergab ich dem Boten selbst. Als Ihr zweiter Brief kam, wurde mir wieder gesagt, der Bote warte auf Antwort, und diese Pressur, ich gestehe es, war mir verdrießlich. Ich antwortete also sofort und trug die Antwort hinaus, wo mir gesagt wurde, der Bote sei zwar fortgegangen, woUe aber die Antwort abholen. Ich habe voraus- gesetzt, daß dies geschehen sei und mich um die Sache nicht weiter ge- kümmert. Heute mtiß ich aus Ihrem Briefe erfahren, daß der Brief liegen gebUeben ist. Daher die Wirren.

Was nun Ihre Voraussetzung betrifft, als hätten wir an Ihrem gei- stigen Eigentum uns vergriffnen, so ist das mindestens gesagt, eine vor- eilige, die ich mir aus den Wirren in Erhaltung der Antworten erkläre. Ich weise diese Voraussetzung aber entschieden zurück und bemerke nur, daß die juristische Begründung, die ich in Zweifel gezogen habe, 2)

^) Lassalle setzte keine Unterschrift.

-) Hier ließ sich in der schwer leserlichen Handschrift Zabels ein Wort nicht entziffern.

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keineswegs von Ihnen entnommen ist, sondern bereits von uns aus dem Studium der einschlägigen Gesetzesstellen gewonnen war, so sehr, daß ich sofort in Ihrer Begründung das unrichtige Zitat beim nur flüchtigen Lesen entdeckte. Zu Ihrer Beruhigung will ich Ihnen auch sagen, daß wir seit dem Erscheinen des Amnestieerlasses täglich mit Juristen konferiert haben, daß unsere Bedenken in der Hauptsache am Mittwoch nachmittag festgestellt wurden, daß wir beim Lesen der ,, Ge- richtszeitung' ' sofort auf die Mängel der betreffenden Beweisführung ge- führt wurden und daß uns gestern früh, vor dem Eintreffen Ihres ersten Schreibens von einem namhaften Juristen die betreffenden Gesetzbücher gebracht wurden und wir mitten in der Vorbereitung zu unserem Artikel im gestrigen Abendblatt waren, als Ihr Brief ankam. Wir stellten sodann die Hauptpunkte fest und ich ließ den Artikel von einem Mitarbeiter schreiben, der Ihren Artikel nicht in Händen gehabt hat.

So viel zur Sache. Auf Ihre Aufforderung, zu erklären, ob ich Ihren Brief abdrucken wolle, kann ich nur die verneinende Antwort erteilen, Ihnen überlassend, was Sie zu tun für gut halten.

Es tut mir aufrichtig leid, diese Erfahrung mit Ihnen gemacht zu haben. Sie sind von vornherein von irrigen Voraussetzungen ausgegangen. Erst setzen Sie voraus, daß Sie nicht persona grata seien, nun setzen Sie schließlich Ihren Voraussetzungen die Krone durch die Beleidigung auf, als hätten wir an Ihrem geistigen Eigentum uns vergriffen. Ich weiß nicht, ob Sie durch die wenigen Bemerkungen, die ich in dieser Beziehung eben gemacht, eines besseren überzeugt werden; wenn aber nicht, so ist der Verdrtiß, den mir dieser Briefwechsel (drei Briefe um einen Artikel, der zur Aufnahme angeboten wird!) gemacht hat, nicht zu teuer erkauft; ich wüßte nun, wie ich mich in künftigen Fällen zu stellen hätte.

Mit besonderer Hochachtung

ergebenst

Dr. Zabel.

Von der ,, Nationalzeitung" endgültig mit seinem Verlangen abge- wiesen, wendet Lassalle, der mit seiner Plagiatbeschuldigung völlig im Recht zu sein glaubt, sich nun an die Konkurrentin der ,, National- zeitung", die ,, Volkszeitung", mit deren Besitzer Franz Dimcker er bis dahin noch in freundschaftlichen Beziehungen stand, deren Chefredak- teur Dr. Aron Bernstein ihm aber nicht wohlgesinnt war. Da das erste Konzept viele Korrekturen enthielt, fertigte LassaUe, die wichtigen Folgen, die dieser Schritt für seine Stellung in Berlin haben konnte, be- denkend, noch ein eigenhändiges Reinkonzept an. Beide fanden sich im Nachlasse vor.

.Maver, LassaUe-N.icWass. VI ,^

== 242 =:

IvASSAIvLE AN DEN REDAKTEUR DER ,.VOI.KSZEITUNG" DR. ARON BERNSTEIN. (Originalkonzept.)

Berlin, 18. Januar 1861, i Uhr. Herr Redakteur!

Am 16. d. M. richte ich, um die Lücke auszufüllen, welche die hiesigen politischen Blätter bei Besprechung der Amnestie-Ordre ge- lassen haben, indem ihnen der wesentlichste die ganze Amnestie für die Flüchtlinge illusorisch machende Umstand entging, und um die irrige Behauptung zu widerlegen, welche das Organ des Deutschen Juristentages, die ,, Preußische Gerichtszeitung" in ihrer Nummer vom 16. Januar vorbringt, beifolgenden Brief an den Redakteur der , .Na- tionalzeitung".

Ich weise darin nach, daß die rückkehrenden Flüchtlinge durch die Amnestie nicht gegen die Untersuchungshaft geschützt sind, ja daß sie es auch nicht durch eine Amnestie in dieser Form werden konnten, indem der Amnestie nicht die K o mp e t e n z beiwohnt, die Richter von ihrer selbständigen Verpflichtung gegen das Gesetz zu entbinden und nur die Inhandnahme der Sache durch die Kammer dies Gebrechen heilen kann.

Der Redakteur der „Nationalzeitung", Herr Dr. Zabel schreibt mir zurück, daß er diesen am 17. früh vor neun Uhr ihm übersandten Brief „gern abdrucken möchte", daß er aber respektive die Redaktion ,, leider keine Juristen sind, um sofort prüfen zu können, ob Ihr Brief der Sache erschöpfend auf den I^eib geht" und daß er also „nicht recht über- zeugt von der strikten Beweisführung" den Brief doch remittieren müsse.

Da mir im allgemeinen Interesse viel an der Aufnahme des Briefes gelegen sein mußte, die Antwort des Herrn Zabel auch ein solches schließliches Resultat nicht ganz unmöglich zu machen schien, indem sie als auf einen anderen Grund der Remittierung darauf hinwies, es scheine aus meinem Manuskript selbst ein Zahlenschreibfehler hervor- zugehen, indem § 209 statt 208 gesetzt sei, schicke ich unter Berichtigung dieses Schreibfehlers, der allerdings schon dadurch ganz klar vorlag, daß sonst stets in der Deduktion dieser Paragraph als § 208 zitiert war und der also sehr bequem von Herrn Zabel brevi manu hätte korrigiert wer- den können, den Brief nochmals zurück, indem ich Herrn Zabel zurede, sich nur kühnlich auf die Richtigkeit meiner Deduktion zu verlassen und bitte um definitiven Bescheid.

Am Abend desselben Tages (siehe das Abendblatt der „National- zeitung" Nr. 28 vom 17. Januar) erscheint nicht mein Brief, wohl aber ein I^eitartikel in der „Nationalzeitung," worin diese sich selbst

= 243 =

das geistige Eigentum meines Briefes aneignet, indem sie jetzt selbst die Behauptung des betreffenden Artikels der „Preußischen Ge- richtszeitung" vornimmt, meine Thesen derselben entgegen- stellt und den ganzen Kern, Gang, Gründe und Schlußfolge- rung meiner Deduktion getreulich in nuce kopierend, die ,, Preußische Gerichtszeitung" widerlegt.

Noch am Morgen desselben Tages ist Herr Zabel so wenig von dem Erschöpfenden der Deduktion überzeugt, daß er sie nicht einmal unter meinem Namen, als meinen Brief, für den er nicht einzustehen hat, bringen will. Abends aber ist er genug überzeugt von ihr, um sie kühn- lich unter seinem Namen als wahr zu behaupten, sich anzueignen und der ,, Preußischen Gerichtszeitung" entgegenzustellen!

Und am anderen Tage, heute am achtzehnten, refüsiert Herr Zabel nun definitiv unter Rücksendung desselben die Aufnahme des plagiierten Briefes.

Da Herr Zabel nur in nuce exzerpierte, so ist natürlich das Zwingende der Beweisführung in seinem Auszug fast gänzlich ver- loren gegangen. Die Sache hört sich nun so an, wie eine, die so sein kann, aber von der nicht bewiesen ist, daß sie auch so ist.

Es ist daher nach wie vor Pflicht gegen das allgemeine Interesse des lyandes, diese Beweisfühnmg in ihrer zwingenden Form erscheinen zu lassen.

Aber auch in individueller Beziehung bleibt eine solche \^erletzung des geistigen Eigentums durch eine Zeitung, die Annahme eines Auf- satzes zu refüsieren und ihn zu plagiieren, eine solche Unerhört- heit, daß jedes anständige Blatt dem Einzelnen den Schutz schuldet, ihn zur Beschwerde über ein solches Plagiat zuzulassen, wenn es nicht solchem Tun Vorschub leisten will.

Ich bin nie sehr sparsam und rückhaltend mit geistigem Eigentum gewesen, und habe glücklicherweise nicht nötig es zu sein.^) Aber exploitiert und so formlos behandelt zugleich zu werden das geht auch mir über den Spaß.

Aus beiden Gründen also, wegen des hohen politischen Interesses der Sache und zum Schutz meines durch einen Kollegen von Ihnen ge- kränkten geistigen Eigentumsrechts ersuche ich Sie ergebenst um die gefällige Aufnahme des gegenwärtigen Briefes an Sie, sowie des Amnestie- briefes an die „Nationalzeitung".

Ihrer Antwort entgegenharrend

ergebenst

F. lyassalle. ^) Dasselbe schrieb er schon an Zabel. Siehe oben S. 237.

= 244 ■— =

Aber auch der Chefredakteur der ,, Volkszeitung" wollte I^assalles Brief über die Amnestiefrage nicht abdrucken, obgleich der Besitzer ihm zuredete.^) Bernstein fand, daß ,, Gerichtszeitung" und ,, Nationalzei- tung" die Ansicht, die Ivassalle über die Frage hege, hinreichend zur Sprache gebracht hätten. Noch weniger zeigte er sich bereit und das billigte Duncker lyassalles Beschuldigungen gegen Zabel abzudrucken, da nicht der geringste Beweis dafür vorläge, daß die von Ivassalle dar- gelegten Ansichten nicht auch selbständig von einem anderen Mit- arbeiter der ,, Nationalzeitung" geltend gemacht worden seien.^)

Rache schnaubend faßte Ivassalle, nachdem ihn die beiden führenden sich demokratisch nennenden Blätter der Hauptstadt hatten abfallen lassen, den Entschluß, eine Broschüre zu schreiben, in der er ,, lange verhaltener Galle und belustigendem Übermut die Zügel schießen" lassend ,, dieses ganze Sauzeug hiesiger demokratisch tuender Blätter" charakterisieren wollte. Titel und Motto teilte er genau so, wie jetzt auf dem fragmentarischen Entwurf, der sich im Nachlaß vorfand, zu lesen ist, in einem Brief vom 19. Januar, der seine Absicht erläuterte, Marx mit.^) Aber gleich dort äußerte er das Bedenken, daß die Arbeit am System der Erworbenen Rechte, an dem bereits gedruckt werde, ihm nicht die zwei bis drei Wochen lassen könnte, deren er dafür bedürfte. ,,Man wisse wohl," schrieb er, ,,wenn man ins Charakterisieren hinein, aber nicht bei diesem Gesindel, wenn man heraus kommt . . . Weiß also noch nicht, ob ich's tue. Wäre schade, wenn ich's ließe. Denn ich wollte dem Gesindel ein Gehöriges auswischen und die Lacher auf meiner Seite haben."

Im Nachlaß fanden sich bloß zwei Foliobogen, deren einer nur Titel, Motto und den Namen des Verfassers enthält, der andere den Anfang der Broschüre. Daß die vierte Seite dieses Bogens weiß gelassen wurde, mag vielleicht dafür sprechen, daß wir hier alles besitzen, was von der kleinen Kampfschrift niedergeschrieben wurde, für deren Zustande- kommen Lassalle selbst von Anfang an eine so ungünstige Prognose ge- stellt hatte.

Schließlich sei noch daran erinnert, daß LassaUe das ablehnende Verhalten der Volkszeitungsredaktion jetzt benutzte, nicht allein um mit Franz Duncker, sondern auch um mit Lina Duncker zu brechen, ob- gleich er wußte, daß diese ihm so wohlgesinnte Frau die Entschließung Aron Bernsteins nicht beeinflußt haben konnte. Daß er sich ihr gegen- über nur eines Vorwandes bediente, läßt der endlose, gequälte Absage-

1) Vgl. Bd. II, Nr. 126.

2) Den Wortlaut von Bernsteins Antwort findet man bereits in Bd. II, S. 234 f., als Nr. 127.

3) Bd. III, S. 350.

245 =

brief nur allzu deutlich erkennen, den er der langjährigen Freundin am 21. Januar schrieb. Als er Karl Marx seinen Entschluß mitteilte, gestand er es diesem ganz offen. Übrigens besaß I^ina Duncker selbst ein viel zu feines seelisches Tastgefühl, um nicht selbst zu merken, daß I,assalle ihr nicht mit Gründen, sondern nur mit Vorwänden begegnete. ,, Gründe überzeugen, Vorvvände kränken" bekannte sie mit schöner Prägnanz der Gräfin Hatzfeldt, auf deren Eifersucht sie irrigerweise Lassalles Ab- kehr zurückführte. ^)

Die Amnestie. Die Berliner demokratische Presse. Herr Zabel und das geistige Eigentum

Eine vielseitige historische Charakter-Anekdote

erzählt

von

F. Lassalle.

Motto: Wie sie der Verfasser schrieb. Nicht wie sie der Diebstahl druckte. Calderon.

I. Die Amnestie.

Am i6. Januar richtete ich nachstehenden Brief an den Redakteur der ,, Nationalzeitung", Herrn Dr. Zabel.

Herr Redakteur (folgt der Brief, Anlage i).^)

Am 17. Januar früh neun Uhr sandte ich diesen Brief an Herrn Zabel.

II. Und nochmals die Amnestie.

Aber hier verzeih, teurer Leser, wenn ich mich in dem regelrechten Verlauf dieser historischen Erzählung auf einen Augenblick unterbreche, um auf die gegen den Schluß meines vorstehenden Aufsatzes aufgewor- fene Frage eine kurze Antwort zu erteilen.

Ich werfe daselbst die Frage auf: ,,Wenn dies sich nun aber ohne jede mögliche Widerrede so verhält was ist denn dann mit dieser Amnestie getan? Dies mögen andere beurteilen!"^)

Wenn ich dort die Frage, was mit der Amnestie getan sei, anderen zur Beurteilung überlasse, so hatte das seine guten Gründe!

1) Bd. II, S. 235—250.

2) Vgl. Bd. II, Nr. 125, S. 228 ff.

3) Ib. S. 233.

246 = =

Thadden-Trieglaffs ^) großes Wort auf dem Vereinigten Landtag: „Jeder brave Preuße trägt seinen Gendarmen in der Brust" ist seitdem mindestens für die Redakteure der 2) demokratischen Zeitungen von Berlin eine Wahrheit geworden ! Mehr als das Strafgesetz, mehr als die Manteuffelschen ^) Konzessionsentziehungen hat dieser Gendarm in ihrer Brust, ihnen eingeimpft allerdings großenteils durch jene Periode täghcher Furcht für das liebe bißchen Dasein, in ihnen fest- gehalten auch nach dem Verschwinden der administrativen Konzessions- entziehungsbefugnis durch eine lange Gewohnheit täglicher Erniedrigung, genährt durch den angeborenen Hang illusorischer Vermittlungssucht und den einmal eingebürgerten Geist elendester Rechnungsträgerei, ver- stärkt durch ihr lächerliches Bestreben, Einfluß auf die oberen Kreise zu üben, statt Einsicht in die unteren zu verbreiten und so allmählich entwickelt zu der kläglichsten und unwahrsten Schönfärberei und Vertuschungssucht, die, wenn sie etwas in der Wirklichkeit nicht erlangen kann, sich mit dem komischen Surrogate begnügt, sich und anderen auf dem Papier einzureden, sie habe es ja schon die angebliche demokratische Presse Berlins auf den Standpunkt her- untergebracht, auf dem sie sich jezt befindet und hat der Freiheit und der Volkssache größere und dauerndere Wunden geschlagen, als ihr jemals die Regierung für sich allein zu schlagen vermocht hätte.

Unter diesen Gendarmen ist Gendarm Zabel durchaus noch nicht der schlimmste. Im Gegenteil: A tout seigneur tout honneur, und wir werden später noch Gelegenheit haben, anzuerkennen, daß Zabel der nominelle Redakteur des verhältnismäßig noch immer entschiedensten demokratischen Blattes Berlins ist.

Allein Zabel trägt seinen Gendarmen in sich so gut wie jeder andere, und es ist uns sehr genau die Grenze bekannt, wo derselbe anfängt.

Um diesem Gendarmen mindestens soviel als möglich aus dem Wege zu gehen, konnten wir in dem für die ,, Nationalzeitung" geschriebenen Briefe es nur bis zu dem emphatischen Aufwerfen der Frage bringen.

Hier, wo wir es höchstens mit dem viel trätableren Gendarmen des Strafgesetzes zu tun haben, nicht mit dem unnahbaren Gendarmen demokratischer Preßrücksichten, können wir auch die Antwort auf die dortige Frage erteilen . . *)

^) Adolf von Thadden-Trieglaff, der bekannte extrem-konservative Politiker, pietistische Lutheraner, Schwager Ludwig von Gerlachs, Gutsbesitzer in Hinter- pommern. Von ihm stammt auch der Satz: ,,Die Preßfreiheit, aber den Galgen daneben." Vgl. Treitschke, Deutsche Geschichte, Bd. V, S. 638.

2) Hier strich Lassalle: ,, angeblichen".

3) Otto von Manteuffel (1805— 1882), preußischer Ministerpräsident von 1850 1858.

*) Hier bricht das Manuskript ab.

Nationalökonomische Vorträge

Zur Einführung

Als Otto Dammer im Auftrag des Leipziger Komitees zur Einberufung eines allgemeinen deutschen Arbeitertages zuerst an Lassalle herantrat, schrieb dieser ihm am 13. Dezember 1862 in seiner Antwort, daß er nach sechzehnjährigen ökonomischen Studien und Vorarbeiten von einigen Wochen daran gegangen sei, die Ausarbeitung seines nationalökono- mischen Werkes anzufangen. Auch auf den hier folgenden Blättern, die aus seinem Nachlasse auftauchen, erzählt er, daß die Abfassung dieser Vorträge ihn gerade in dem Augenblick unterbrach, als er an einem wissenschaftlich-nationalökonomischen Werk, das er seit Jahren vor- bereitete, zu schreiben begonnen hätte. Noch andere Angaben, die er macht, lassen als unzweifelhaft erscheinen, daß er die ,, National- ökonomischen Vorträge", die nur in fragmentarischer Form auf uns kamen, im Oktober oder November 1862 ausgearbeitet hat. Er habe diesmal beschlossen, sein ökonomisches Werk in einer jedem Arbeiter vollkommen faßlichen Form zutage zu fördern, hieß es in jenem Brief an Dammer, ,,so daß es sich zu Vorträgen an Arbeiter eignet eine Auf- gabe, welche die schon sonst nicht geringen Schwierigkeiten des Unter- nehmens verzehnfacht". Er vermöge deshalb auch durchaus nicht ab- zusehen, waim er mit diesem Werk zu Ende sein werde. Es könne bloß sechs bis acht Monate, es könne auch drei Jahre dauern. Im Januar 1864 schrieb Lassalle das Vorwort zu seinem ,,Herr Bastiat-Schulze von De- litzsch". Hier behauptet er von jenen Angaben nur um ein Geringes abweichend er sei eben im Begriflf gewesen, an die Niederschrift seiner „Grundlagen einer wissenschaftlichen Nationalökonomie" zu gehen, als Anfang 1863 der Brief des Leipziger Zentralkomitees die ökonomischen Fragen in praktischer Gestalt an ihn heranbrachte und ihm zunächst die für ein solches Werk nötige theoretische Muße und Vertiefung raubte. Oft habe er seither bedauert, daß es ihm nicht vergönnt gewesen sei, sich vor dem Eintritt in die praktische Agitation gleichsam einen theoretischen Kodex geschaffen zu haben, an dem diese bei allen theoretischen Fragen eine feste Grundlage finden konnte: ,,Denn die Nationalökonomie ist eine Wissenschaft, für die erst Anfänge existieren und die noch zu machen ist."

248 =

Daß Lassalle ein großes ökonomisches Werk zu schreiben gedachte, (las wie alles, was dieser sanguinische Geist anfaßte durchaus grundlegend und bahnbrechend werden sollte, dieser Versicherung be- gegnen wir bei ihm in Briefen und Gesprächen des öfteren. Er schrieb es auch am 22. Oktober 1858 an Karl Marx, der eben nach jahrelanger Arbeit das Manuskript seiner ,, Kritik der politischen Ökonomie" abge- schlossen hatte. Weil Marx besser als jeder andere wußte, was es hieß, ein ökonomisches System aufzubauen, verdroß diesen Meister theoretischer Synthese die großsprecherische und etwas leichtfertige Art, mit der der Brief Schreiber sich solcher Leistung im voraus rühmte. Man kennt femer einen Brief Lassalles an die Gräfin Hatzfeldt, der wohl aus dem gleichen Herbst stammt, und worin er sich vermaß, binnen eines Jahres das alt- ägyptische Totenbuch entziffert und sein ökonomisches System vollendet zu haben. Und wenn endlich Ludwig Löwe bald nach der Katastrophe von Carouge im ,, Nordstern" erzählte, das ökonomische Werk sollte die bedeutendste und wichtigste Arbeit des Verstorbenen werden, so beriihte diese Angabe, wie der Schreiber ausdrücklich hervorhebt, eben- falls auf wiederholten Äußerungen Lassalles. ^)

Fügt man zu solchen Bemerkungen noch, was LassaUe über seine wissenschaftUchen Pläne an Rodbertus schrieb, so hätte alles die, wie uns dünkt, demjenigen, den er mit der Pflege seines wissenschaftlichen Nachlasses betraute, die Verpflichtung auflegen müssen, die Fragmente so intensiver ökonomischen Bemühungen der Nachwelt zu erhalten und es ihrem Urteil anheim zu geben, ob der Volkstribun sich auf theoretischem Felde vielleicht mehr zugetraut hatte, als er seiner Fähigkeit und seinen Kenntnissen nach hier zu leisten imstande gewesen wäre. Als Lothar Bucher in die Lage kam, über Lassalles wissenschaftliche Papiere zu ver- fügen, hatte er, wie an anderer Stelle bereits geschildert wurde, 2) seine politische Unabhängigkeit vor kurzem aufgegeben und fühlte sich als Neuling im Auswärtigen Amt durch seine revolutionäre Vergangenheit so belastet, daß er das, was die Welt an seine Freundschaft mit Lassalle erinnerte, am liebsten geräuschlos beiseite räumte. Dem juridischen Te- stamentsvollstrecker gegenüber, der sich mit kühler Zurückhaltung seiner Aufgabe zu entledigen suchte, betrachtete die Gräfin Hatzfeldt sich als die wahre, die ideelle Testamentsvollstreckerin. Da der Verstorbene sie seit Jahren von den großen Erwartungen unterhalten hatte, die er an sein ökonomisches Werk knüpfte, so begreift man, daß sie von Lothar Bucher verlangte, er möge diese Manuskripte, soweit sie vorhanden seien, der Öffentlichkeit übergeben. Um sich einer solchen Verpflichtung entweder ganz zu entziehen oder sie wenigstens hinausschieben und auf lange

1) „Nordstern", 24. September 1864.

2) Vgl. Bd. I, Zur Geschichte des Nachlasses, S. 5 ff.

249 =

vertagen zu dürfen, wählte Bucher den nicht fern liegenden Ausweg, daß er Karl Rodbertus um ein Gutachten anging, also eine Autorität, die ihm selbst persönlich befreundet war und die Lassalle öffentlich als den größten lebenden deutschen Nationalökonomen gefeiert hatte. Das Gut- achten wurde auch umgehend erstattet, und Bucher übersandte es als- bald der Gräfin, aus deren Nachlaß es jetzt auftaucht. Die Öffentlichkeit erfuhr daraus bisher nichts anderes, als was Bucher selbst ihr mitzuteilen für gut befand.^) Erst aus weiteren Teilen des Briefes, die hier im Anschluß an das Vortragsfragment veröffentlicht werden, erfährt man authentisch, wie Rodbertus über die anderen inzwischen verschollenen und wohl end- gültig verloren zu gebenden ökonomischen Fragmente Lassalles urteilte. Das Gutachten ist nicht so ausführlich, daß es uns erlaubte, über Inhalt und Entstehungszeit der einzelnen Manuskripte, die es erwähnt, Vermutungen anzustellen, die auf Wahrscheinlichkeit Anspruch erheben können. Vieles spricht indessen dafür, daß das von Bucher als ,, Agitationsprogramm'', von Rodbertus als Nr. III bezeichnete Stück aus dem Ende der fünfziger Jahre stammte. Bucher ließ offenbar gänzlich außer acht, daß der Sachverständige, an den er sich wandte, nur von der Veröffentlichung des dritten dieser ^Manuskripte, ,,über die sich Bände schreiben ließen", abriet, während er von dem zweiten Manuskript feststellte, daß es ,, einen großen Wert für den Biographen lyassalles" besitze, der „seine innere wissenschaftliche Entwicklung verfolgen woUe". Daß er selbst dieses Manuskript der Nachwelt dauernd vorent- hielt, mochte unter juristischem Gesichtspunkt einwandfrei sein, unter historischem Gesichtspunkt war es unverzeihlich. Wir mißtrauen Buchers Wort gründlich, wenn wir hören, daß er sich vermaß. Lassalles Willen zu exekutieren, indem er ,, diese Skripta" vernichtete. 2)

Nationalökonomische Vorträge

(Originalfragment)

Meine Herren!

Ein Hauch frischen Lebens der freudige Vorbote einer nahenden großen Entwicklung beginnt sich in dem deutschen Arbeiterstande fühlbar zu machen. In Berlin, in Leipzig, in Nürnberg, überall Regungen des Arbeiterstandes, die, wie unklar auch immer sie sein möchten in bezug auf die bestimmte Richtung, Zweck und Gestalt dieser Agitation,

1) Bd. I, Zur Geschichte des Nachlasses, S. 12.

*) Vgl. für diese Frage die Literaturangaben bei H. Oncken, Lassalle, IV. Aufl., S. ^<^0.

=- 250 =^^===:==

dennoch in dem gemeinsamen Grundgefühle wurzeln, es sei die Zeit gekommen für den deutschen Arbeiterstand, sich als eine feste zu- sammengehörige Masse zusammenzuschließen, sich als Partei zu konsti- tuieren, damit die Arbeiter die Ziele erreichen, welche für sie nur durch diesen festen Zusammenhalt, durch dieses einmütige Auftreten als Klasse zu erreichen sind.

Ich selbst, meine Herren, habe noch vor dieser Bewegung schon im April des Jahres (1862) die Initiative ergriffen, in einem hiesigen Arbeiter- verein das politische Programm des Arbeiterstandes zu entwickeln.^) Ich habe den Zusammenhang entfaltet, welcher zwischen den Verhält- nissen und dem Gedanken der Zeit und dem Arbeiterstande stattfindet und diesen zum hauptsächlichen Träger des Zeitgedankens macht. Die Bewegung, welche sich seitdem im Arbeiterstand kundgegeben hat, ist keineswegs irgendwie eine Folge jenes Vortrags gewesen; aber gerade dieses unabhängige Zusammentreffen war mir ein neuer und willkomme- ner Beweis, wie recht ich im Frühjahr dieses Jahres hatte, anzunehmen, daß es an der Zeit sei, einen Appell an das Bewußtsein des Arbeiter- standes einzulegen und das Programm desselben zu entwickeln.

In jenem Vortrage war ich auf die nähere Erörterung und Erklärung der nationalökonomischen I^age der Arbeit und der Verhältnisse, welche den Arbeitslohn bestimmen, noch nicht eingegangen, teils aus Mangel an Raum, teils aus anderen Gründen. Seitdem ist Ihr Wunsch an mich gebracht worden, Ihnen Vorträge nationalökonomischer Natur zu halten, um Sie in den Stand zu setzen, die volkswirtschaftlichen Verhältnisse und Ihre eigene volkswirtschaftliche Lage mit deren Gründen wahrhaft zu begreifen.

Und in der Tat kann sich der letzte und dauerndste Kitt für den Arbeiterstand, das mit unzerbrechlichen diamantenen Klammern aUe seine Mitglieder zusammenhaltende Band erst aus einem genauen und tiefen Verständnis seiner ökonomischen I^age, aus der tiefen und unver- lierbaren Einsicht in die Natur der heutigen Produktionsverhältnisse, welche die Vergütung einer jeden Teilnahme an der gesellschaftlichen Produktion und somit auch den Arbeitslohn bestimmen, ergeben.

Und weil dies so ist, und dies also ein Interesse ist, welches für den Freund des Volkes jedes andere Interesse überwiegt, habe ich mich ent- schlossen, Ihrem Wunsche zu entsprechen, so überaus schwierig auch für Sie wie für mich dieses Unternehmen sein muß.

Ich sage, es liegt für Sie wie für mich eines der schwierigsten Unter- nehmen vor, zu welchem man sich herbeilassen kann.

1) Am 12. April 1862 hielt I,assalle seine bekannte Rede: Über den be- sonderen Zusammenhäng der gegenwärtigen Geschichtsperiode mit der Idee des Arbeiterstandes.

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Handelte es sich nur darum, »Sie mit den Resultaten einer fertigen Wissenschaft bekannt und vertraut zu machen, die Ihnen bisher fern lag, Ihnen dasjenige beizubringen, was bisher in dieser Wissenschaft allgemein gewußt und geglaubt wird, so würden sehr viele schon dies für äußerst schwierig halten, da ich es ja hier mit Arbeitern zu tun habe, denen, nach der gewöhnlichen Annahme, wissenschaftliches Verständnis nur schwer zugänglich sein soll.

Ich aber, der ich durch ein zehnjähriges enges Zusammenleben mit dem rheinischen Arbeiterstand genau kennen gelernt habe, welcher Ernst des Nachdenkens, welcher keine Anstrengungen scheuende Eifer, sich zu unterrichten, welche Freiheit von Vorurteilen aller Art, welche Abwesen- heit von falschem und halbem Wissen das aller wahren Erkenntnis immer am hartnäckigsten im Wege steht und infolge alles dessen, welch glückliche Leichtigkeit im Begreifen bei dem gesunden Verstände des Arbeiters zu finden ist ich würde mein Unternehmen dann für ein sehr leichtes halten.

Aber bei unserem Unternehmen handelt es sich um etwas ganz anderes, als darum, Sie mit dem bekannt zu machen, was bisher in der ökonomischen Wissenschaft gewußt und geglaubt wird.

Jede Wissenschaft hat, wie Ihnen bekannt sein wird, ihre Geschichte. Die Geschichte einer Wissenschaft aber besteht nicht bloß in einem all- mählichen Wachstum derselben, in einem bloßen Hinzufügen zu dem schon erworbenen Wissensvorrat, so daß dieser nur beständig vermehrt wird.

Sondern von Zeit zu Zeit treten Wendeperioden in einer Wissenschaft ein, Perioden, in welchen sie eine Revision ihres ganzen bisherigen Wis- sensvorrates vornimmt, eine Kritik aller der Sätze vollzieht, die ihr bis- her als erwiesen, als unverfänglich, als wissenschaftlich unbezweifelbar gegolten haben, den Gedankenfehler oder die irrige Voraussetzung nach- weist und sich infolgedessen von Grund aus zu einer neuen und anderen Gestalt auferbaut.

Es hat in der \^ergangenheit der Nationalökonomie an solchen Wen- dungen nicht gefehlt ich erinnere für diejenigen, die mit diesem Stoff etwas bekannt sind, an den Merkantilismus, an die Physiokraten usw. Eben gegenwärtig ist diese Wissenschaft nun wieder im Begriff, einen neuen derartigen und noch viel großartigeren Durchbruch zu vollziehen.

Daß dieser Durchbruch wirklich bevorsteht, dafür fehlt es nicht an mannigfachen Zeichen. Der beste Beweis desselben ist seine Notwen- digkeit. Denn es kann der jetzt herrschenden sogenannten national- ökonomischen Wissenschaft die völlige Kritiklosigkeit der wichtigsten ihrer Sätze mit vollkommenster Evidenz nachgewiesen werden. Und durch das Falsche dieser Grundbegriffe wird auch wieder eine äußerst große Zahl von Sätzen falsch, die sonst richtig sein könnten.

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In der Tat wird auch an dem Aufbau einer neuen, einer wirklichen, nationalökonomischen Wissenschaft denn die jetzt herrschende hat wegen der erwähnten in ihr herrschenden Kritiklosigkeit keinen wahren Anspruch auf diesen Namen mehr von verschiedenen Seiten her gearbeitet.

Ich selbst, meine Herren, bin seit einer Reihe von Jahren mit den Vorarbeiten zu einem solchen wissenschaftlichen nationalökono- mischen Werke beschäftigt und die gegenwärtigen Vorträge sind es, deren Abfassung mich in dieser Tätigkeit gerade in dem Augenblick unterbrach, als ich das Manuskript desselben begonnen hatte.

Ein solcher wissenschaftlicher Durchbruch, das Unternehmen, die Wissenschaft selbst einen neuen und gewaltigen Fortschritt machen zu lassen, eine schal und falsch gewordene Wissenschaft durch eine kritische Prüfung alles dessen, was man bisher in ihr für wahr anzunehmen ge- wohnt war, von Grund aus neu aufzubauen, gehört an und für sich zu den größten Anstrengungen des menschlichen Geistes.

Aber die Abfassung dieses wissenschaftlichen Werkes wäre immerhin noch viel leichter, als die Aufgabe, die mir jetzt gesteht ist, dieselbe Leistung in diesen Vorträgen zu vollziehen und Ihnen zur vollsten Klar- heit zu bringen. Sie werden über die Wahrheit dieser Bemerkung nicht im Zweifel sein können.

In einem wissenschaftlichen Werke kann ich jeden beliebigen Raum in Anspruch nehmen, der mir für meine Erörterungen und Entwicklungen erforderlich scheint. In diesen Vorträgen dagegen muß ich, wegen der viel beschränkteren Zeit, die mir gegönnt ist, eine viel größere Kürze er- streben, ohne daß Schärfe und Klarheit darum leiden müssen. Und es bleibt in allen Verhältnissen, zumal aber in der Wissenschaft das Wort wahr, welches einst Cicero einem Freunde schrieb: ,,Ich habe keine Zeit, Dir einen kurzen Brief zu schreiben und werde Dir daher einen langen schreiben." Je größer die Kürze, um so schwieriger und mühsamer die Aufgabe, wenn der Inhalt nichts an Schärfe und Genauigkeit verHeren soll. In einem wissenschaftlichen Werke kann ich ferner beliebige Hterar- historische Beweise aus aUen Zeiten und Völkern herbeiholen, während ich in diesen Vorträgen darauf verzichten muß, ohne daß dieselben gleichwohl für Sie wie für andere, für den Gegner z. B., an Beweiskraft verlieren dürfen.

In einem wissenschaftlichen Werke ferner kann ich die Bekanntheit mit dem Stoff mit dem, was bis jetzt von den gegenwärtigen National- ökonomen angenommen wird voraussetzen. Ich kann nicht dieselbe Voraussetzung bei Ihnen machen. Und gleichwohl muß ich Ihnen meine Resultate zu solcher Klarheit bringen, daß sie festen Stand halten gegen alles, was die Anhänger der alten bisherigen Wissenschaft Ihnen

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dagegen zu sagen versuchen möchten. Ich muß Sie in den Stand setzen, meine Ergebnisse gegen alle solche Angriffe zu verteidigen, ohne sich durch sie verwirren zu lassen. Ich muß Sie in den Stand setzen, voll- kommen ökonomisch-kritisch zu denken und zwar mit größerer Kritik imd Wissenschaftlichkeit zu denken, als die bisherigen Schriftsteller und sonstigen Meister der herrschenden Nationalökonomie.

Die Schwierigkeit meiner Aufgabe ist also eine dreifache.

Ich muß erstens in diesen Vorträgen ein streng wissenschaftliches Werk liefern.

Ich muß zweitens nicht bloß ein wissenschaftliches Werk in dem Sinne geben, daß ich das in der bisherigen Wissenschaft Gewußte oder Geglaubte zusammenfasse, sondern ich muß einen wissenschaftlichen Durchbruch vollziehen, zu einer neuen (kritisch gereinigten) Wissen- schaft der Nationalökonomie in diesen Vorträgen den Grund legen.

Ich muß endlich drittens, indem ich diese neuen wissenschaftHchen Resultate sofort in diesen Vorträgen unmittelbar an das Volk bringe, dieselben mit einer Popularität, Kürze und Beweiskraft ausrüsten, daß Sie dieselben nicht nur verstehen, sondern daß Ihre Vernunft ein für aUemal durch dieselbe gezwungen wird und Sie unerschütterlich bleiben gegen alles, womit man die Wahrheit dieser Resultate bei Ihnen in Zweifel zu setzen versuchen möchte.

So große und vereinte Schwierigkeiten, meine Herren, lassen sich durch keine Anstrengung bloß von meiner Seite, wie groß sie auch sein möchte, überwinden. Sie lassen sich bloß überwinden, wenn meiner Anstrengung auch eine gleich große Anstrengung von Ihrer Seite ent- spricht.

Sie müssen mit der höchsten Anstrengung Ihrer Denkkraft diesen Vorträgen folgen und meine Entwicklungen nicht nur in Ihre \'orstel- lungen aufnehmen, sondern es^) zu Ihrem eigensten und innersten Ge- dankeneigentum zu machen suchen.

Zu diesem Zweck müssen Sie das, was ich sage, nicht gläubig hin- nehmen deshalb, weil ich es sage, sondern Ihr Verstand, Ihre Denkkraft muß beständig auf der Lauer liegen, um das zu widerlegen, was ich sage. Gerade hierdurch, indem Sie sich fortwährend bemühen, etwas Irriges in meinen Lehren zu entdecken, indem Sie dieselben fortwährend mit sich selbst diskutieren, werden Sie die Gründe ihrer Richtigkeit ent- decken und sie in ein Produkt Ihres eigenen Denkens verwandeln, das Sie dann nie mehr verlieren können. Diese Tätigkeit der Prüfung und Diskussion müssen Sie aber nicht nur während meiner Vorträge, son-

1) Zuerst hatte I,assalle gesclirieben : ,,was ich sage". Deshalb blieb liier ,,es" stehen .

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dem ebenso und ganz besonders durch spätere Durchdenkung derselben im ganzen Lauf der Woche ausüben.

Aus demselben Grunde müssen Sie mich stets am Ende eines Vor- trages darauf aufmerksam machen, wenn Ihnen wider mein Erwarten, da ich nach der höchsten Popularität und Faßlichkeit ringen werde, irgend etwas von dem, was ich gesagt, dunkel und unverständlich bleiben sollte.

Das Wichtigste aber ist, daß Sie den zehn bis zwölf Vorträgen, die ich Ihnen halten werde, ohne jemals auszusetzen, folgen. Diese Vorträge bilden eine Reihe, welche nicht unterbrochen werden kann, wenn sie irgend wahrhaft begriffen werden sollen. Erst nach dem letzten Vortrag wird auch das in dem ersten Vortrag Gesagte und dann erst nach der ganzen wahrhaften Tiefe seiner Bedeutung und Notwendigkeit klar zutage liegen. Ich lese nicht zu Ihrem Vergnügen, meine Herren, sondern zu Ihrer Belehrung. Hätte ich die erforderliche Macht der Kontrolle, ich würde nicht dulden, daß einer in die späteren Vorträge kommt, der heute nicht gegenwärtig gewesen. Ich würde nicht dulden, daß einer, der wenn auch aus noch so dringenden Gründen in einer späteren Vor- lesung gefehlt hat, in den darauf folgenden erscheine. Denn er würde dieselben, da sie eine Entwicklungsreihe durchaus zusammenhängender Begriffe darstellen, von denen kein folgender mehr wahrhaft verstanden werden kann, wenn nicht alle vorhergehenden klar und scharf erfaßt worden sind, nicht mehr mit Nutzen hören, wenn er dies auch glaubte; sie würden ihn nur in Wahn und Irrtum verstricken köimen.

Diese ]Macht der äußeren Kontrolle fehlt mir. Ersetzen Sie dieselbe durch die freiwillige innere Kontrolle, die Sie selbst ausüben. Sie kommen hierher nicht wie das vornehme Publikum zu Vorträgen in die Singaka- demie geht; um sich auf eine Stunde angenehm und nützlich zu unter- halten, um der Abwechslung halber auf eine Stunde auch einmal Bilder aus der Wissenschaft und Geschichte an dem müden, zerstreuungs- süchtigen Geist vorüberziehen zu lassen, der auch in ihnen nur eine andere Art von Abwechslung und angenehmer Unterhaltimg sucht. Sondern Sie kommen hierher, wie es dem Arbeiter ziemt, mit einem Wissensfanatismus, der entschlossen ist, um jeden Preis und welche Qual es koste, sich seines Gegenstandes zu bemächtigen, ihn bis in seine innerste Tiefe zu dtirchwühlen und zu zerspalten.^) Sie kommen hierher, nicht um sich angenehm und bildend zu unterhalten, son- dern entschlossen zu derselben Arbeit, ebenso hart und wenn es sein muß, noch härter, als diejenige, die Sie während des Tages in Ihrer Werkstatt vollziehen.

1) Lassalle hatte ,, zerspalten" über , .ergründen" geschrieben, aber ohne letzteres Wort zu streichen.

= 255

Wenn Sie nicht mit dieser Gesinnung, mit diesem ich möchte sagen düsterem Wissensfanatismus hierher kämen, so würden Sie ^) einen Miß- brauch treiben von meiner der Wissenschaft geweihten und Ihnen nur unter jener Voraussetzung gewidmeten Zeit.

Ich muß nun kurz die Methode angeben, deren wir uns bedienen werden. Diese Methode, die bisher gleichfalls noch nie in der National- ökonomie zur Anwendung gekommen ist, wird darin bestehen, die Reihe der ökonomischen Erscheinungen mit Notwendigkeit auseinander zu entwickeln als eine Aufeinanderfolge von Begriffen, die sich notwendig einander erzeugen, als eine Aufeinanderfolge von Begriffen, von denen jeder vorhergehende mit Notwendigkeit sich zu dem auf ihn folgenden forttreibt und ihn aus sich entstehen läßt.

Nur so kann die Welt der ökonomischen Erscheinung, welche Ihnen wie der herrschenden Nationalökonomie als eine W^elt von äußeren Tatsachen entgegentritt, deren Notwendigkeit man dann, je nach der persönlichen Geschmacksrichtung und Tendenz, einseitig unterschätzen oder ebenso einseitig überschätzen kann nur so kann Ihnen diese Welt der ökonomischen Erscheinungen nach ihrem wahrhaften inneren Zusammenhange zum Bewußtsein kommen.

Es ist eine Hauptaufgabe, bei diesen Begriffsbestimmungen die schärfste Kritik, die höchste Vorsicht anzuwenden, um nicht in dieselben Irrtümer zu verfallen, welche die bisherige Nationalökonomie verdorben haben.

Natürlich: Wenn eine einzige dieser Begriffsbestimmungen ungenau, zu weit oder unkritisch, d. h. durch eine willkürliche und unbewußt ge- machte Voraussetzung bedingt wäre, so müßte, wie das in der herrschen- den Nationalökonomie der Fall, das in der tatsächlichen Welt dieser Begriffsbestimmung entsprechende ökonomische Verhältnis von Ihnen falsch gewürdigt werden. Es könnte als unverfänglich oder als rechtmäßig oder als unabänderlich notwendig erscheinen, während es alles dies nur infolge jener unbewußt gemachten willkürlichen oder irrigen Voraussetzung wäre.

Bei fast keiner Wissenschaft muß daher eine größere sorgfältigere Vorsicht auf die Worte angewendet werden, deren man sich bedient, als in der Nationalökonomie. Von fast keiner Wissenschaft gilt in höhe- rem Grade der Vers Goethes:

,,Mit Worten läßt sich trefflich streiten. Mit Worten ein System bereiten." Ich mache Sie daher ausdrücklich darauf aufmerksam, daß Sie bei meinen Vorträgen wie bei jeder nationalökonomischen Lektüre, die Sie

^) Hier macht Lassalle ein Zeichen der Einschaltung, ohne daß aber die Ein- schaltung sich findet.

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treiben, oder bei der nationalökonomischen Diskussion, die Sie führen, jedes Wort, durch welches man ein nationalökonomisches Verhältnis bezeichnet, also jedes Wort, welches als eine nationalökonomische Be- griffsbestimmung dient, mit der höchsten Ängstlichkeit hin- und her- wenden müßten, um zu erspähen, ob sich nicht in den Falten dieses \Vortes irgend etwas birgt, was noch nicht gerechtfertigt, noch nicht bewiesen oder noch nicht hinreichend scharf bestimmt und unterschieden ist. Denn wäre dies der Fall, so würde wenn man dies Wort unbefangen und arglos hinnähme und auf die Verhältnisse anwendete, die in den Falten jenes Wortes, meist unbewußt versteckte, ungerechtfertigte oder willkürliche und irrige Vorstellung nun auch in die ökonomischen Ver- hältnisse, in die Auffassung der Welt der Tatsachen rettungslos hinübergeschleppt werden, und diese also unvermeidlich Ihrer Erkennt- nis verschließen, statt sie ihr zu erschließen.

Die Sprache hat hierin eine ungeheuere täuschende und fälschende Macht, meine Herren, und am meisten im Munde derer, die noch vor den anderen sich selber täuschen.

Wenn die Nationalökonomie in ihrer heutigen Gestalt eine unkritische, eine unwissenschaftliche Wissenschaft ist, so können Sie von vornherein, meine Herren, vermuten, daß zum sehr großen Teil auch hier wieder der Grund in dem alten Satze zu suchen sein wird: in generalibus latet error, zu deutsch: in den allgemeinen Begriffsbestimmungen steckt der Irrtum und dieser Irrtum hat, wie das dann nicht anders sein kann, auch aUe Folgesätze angesteckt und krank gemacht. Sie müssen es daher keineswegs für überflüssig oder Wortklauber isch und pedantisch halten, wenn ich unausgesetzt die größte Sorgfalt auf die Wahl und schärfste Begriffsbestimmung der Worte verwenden werde, welche wir für die ökonomischen Erscheinungen gebrauchen. Möglich, daß dies Ihnen im Anfang müßig, resultat- und zwecklos erscheinen könnte. Aber dies würde nur daran liegen, daß Sie mit Ihrem ungeübteren Blick noch nicht von Anfang an die Resultate übersehen, die Sie später daraus ableiten werden.

In der Tat aber werden wir sofort mit den ersten Schritten infolge unserer INIethode durch die Vermeidimg von unkritischen und dann später notwendig fortwirkenden Irrtümern, durch das liegen richtiger Grund- lagen, große Resultate gewonnen haben, nur daß diese noch nicht bloß- gelegt, noch nicht hervorgehoben sein werden.

Die Bloßlegung der Resultate müssen Sie überhaupt erst so spät als möglich erwarten.

Indem ich nun nach allen diesen Vorbemerkungen zu der Entwick- lung meines Stoffes selbst, zur Entwicklung der Nationalökonomie, zu deutsch: \^olkswirtschaftslehre übergehe, entsteht zunächst die Frage

- 257

nach einer Definition, d. h. nach einer Begriffsbestimmimg dieser Wissen- schaft selbst.

Aber gerade von dieser Frage wird Ihnen klar sein, daß und warum wir auf sie zur Zeit noch keine genügende Antwort erteilen können. Um den Begriff dieser Wissenschaft anzugeben, müssen wir dieselbe erst kennen; wir müßten also alle die Untersuchungen, die wir anstellen werden, erst hinter uns haben. Dann werden wir diese Antwort vielleicht erteilen können; keinesfalls vorher. Vorher würde sie nur die Natur einer Versicherung haben, die ich aufstelle, und die Sie dann einfach auf guten Glauben hinnehmen müßten. Und wenn Sie dies auch täten, so würde ferner die Antwort, die ich Ihnen auf die Frage gebe ,,was ist der Begriff der Nationalökonomie oder Volkswirtschaftslehre" Ihnen zunächst nicht nur unbewiesen, sondern auch unverstanden bleiben. Denn wenn wir alle jene einzelnen Untersuchungen hinter uns haben werden, so werden wir vielleicht den Reichtum derselben in einer einfachen abkürzenden Formel darstellen können. Wir wissen dann, was wir mit dieser Abkürzung meinen und was in ihr enthalten ist. Niemand aber kann eine abkürzende Formel und eine solche ist jede Definition einer Wissenschaft verstehen, ehe er das kennt, was durch die Ab- kürzung bezeichnet werden soll.

Es ergeht also jedem, der neu an eine Wissenschaft herantritt, immer wieder so, wie es dieser Wissenschaft selbst in ihrer geschichtlichen Ent- wicklung ergangen ist. Nie hat eine Wissenschaft ihren geschichtlichen Anfang, ihren Ausgangspunkt von einer Definition des Begriffs dieser Wissenschaft genommen, wozu man ja zu dieser Zeit, ehe diese Wissen- schaft da war, noch ganz unfähig gewesen wäre. Sondern das Menschen- geschlecht schifft sich, Untersuchungen über Einzelheiten anstellend, getrost auf dem Meere dieser Wissenschaft ein, ohne seine Tiefe, seine Grenzen, ohne die genaue Richtung der eigenen Entdeckungsreise zu kennen. Und erst nachdem man lange und viele Erfahrungen auf diesem Gebiete gesammelt, gelangt man zu dem Bedürfnis und zu der Möglich- keit, Begriff und Grenzen desselben zu bestimmen.

Bei der Nationalökonomie scheint die Definition noch von einer ganz besonderen Schwierigkeit zu sein. Die englischen Nationalökonomen geben, der praktischen Natur ihrer Nation folgend, meistens gar keine Definition von ihrer Wissenschaft (wie z. B. Lauderdale, ^) Ricardo, John Stuart Mill u. a.), sondern rudern eben auf gut Glück drauf los.

Die Deutschen dagegen beginnen immer und die Franzosen meistens mit einer Definition, die aber stets so einseitig, unvollständig und schief

1) James Maitland, Graf von Lauderdale (1759 1839), englischer National- ökonom, der Adam Smiths Lehren kritisch fortzubilden suchte.

Mayer, I,a«sallü-Nachlass. VI ,_

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ausgefallen ist, daß ein namhafter Nationalökonom Mr. Rossi^) (Cours d'economie politique 1836/1837 deirxieme le9on) daran verzweifelt, daß es überhaupt je möglich sein werde, eine ausreichende Definition dieser Wissenschaft zu geben.

Da es jedoch sein Mißliches hat, sich auf eine Meerfahrt zu begeben, ohne irgendwie den Kurs zu kennen, nach dem man steuern wird, so wollen wir versuchen, durch Unterscheidung unserer Wissenschaft und ihres Gebietes von dem Gebiete anderer Wissenschaften uns über unser Fahrwasser und unsere Richtung möglichst zu orientieren.

Die Astronomie ist die Wissenschaft von den Himmelskörpern und ihrer Bewegung. Der Mensch hat also mit dem Gegenstand dieser Wissen- schaft nichts zu tun. Er ist nur der Träger derselben.

Von der Nationalökonomie, der Volkswirtschaftslehre dagegen fühlen Sie sofort, daß sie den Menschen selbst und menschliche Ver- hältnisse zu ihrem Inhalt hat.

Allein den Menschen hat z. B. auch die Anatomie, die Lehre vom menschlichen Gliederbau zum Gegenstand. Diese Wissenschaft lehrt Beschaffenheiten und Einrichtungen des menschlichen Körpers. Der Mensch ist somit hier nur als ruhiger, als seiender Gegenstand.

Der Mensch, insofern er Gegenstand der Anatomie ist, hat kein Be- dürfnis und kein Streben. Alles, was den Inhalt der Anatomie bildet, ist von Haus aus im Menschen erreicht und vorhanden, und diese Wissen- schaft ist nur die Beschreibung dieses stets vorhandenen Zustandes.

Von der Nationalökonomie dagegen fühlen Sie sofort, daß hier der Mensch als bedürftiges Wesen und als tätig für die Befriedigung dieses Bedürfnisses den Gegenstand dieser Wissenschaft bildet.

Inzwischen, die Bedürfnisse sind verschiedener Art. Der Mensch hat auch das Bedürfnis, seinen Schönheitssinn durch innere Vorstellungen zu befriedigen und diese inneren Vorstellungen durch ihnen entsprechende sinnliche Gestaltungen anzuregen. Die Ästhetik oder die Wissenschaft des Schönen ist es, welche dieses Gebiet umfaßt.

Allein von der Nationalökonomie leuchtet Ihnen von selbst ein, daß sie es keineswegs mit einer Welt von inneren Vorstellungen zu tun hat, sondern daß die menschlichen Bedürfnisse, um deren Befriedigung es sich in der Nationalökonomie handelt, äußere materielle Bedürfnisse sind.

Die Bestimmungen, welche sich bis jetzt für die Nationalökonomie ergeben hätten, wären also vorläufig diese vier: Daß der Gegenstand dieser Wissenschaft der Mensch ist, der Mensch ferner als bedürftiges

1) Pellegrino Rossi, der hernach 1848 als Minister des Papstes Pius IX. in Rom ermordet wurde, vertrat in seinem gut stilisierten Cours d'6conomie politique in Frankreich die Lehren der klassischen englischen Nationalökonomie.

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Wesen, tätig deshalb für die Befriedigung dieser Bedürfnisse, und zwar für Bedürfnisse von materieller Natur.

Allein bei diesen Bestimmungen sind wir noch weit entfernt davon, den Gegenstand der Nationalökonomie wirklich bestimmt zu haben.

Denn als tätigen faßt den Menschen auch die Physiologie auf, die lychre von der organischen Ivcbenstätigkeit, in welcher der Mensch sich durch das beständige Funktionieren seiner Organe in jedem Augen- blick befindet. Auch diese Tätigkeit, des Atmens, des Blutumlaufes usw. entspricht, wie jede Tätigkeit, einem Bedürfnisse, und auch diese Be- dürfnisse sind zu ihrer Befriedigung auf die äußere Natur, auf mate- rielle Bedingungen bezogen, z. B. Luft, Licht, Wärme usw.

Aber Sie sehen sofort, daß die ph^^siologische Tätigkeit, die Lebens- tätigkeit des ^Menschen lediglich in der eigenen Individualität des ein- zelnen Menschen vorgeht und daß die materiellen Bedürfnisse, welche für den physiologischen Lebensprozeß vorhanden sind, nur eine Wechsel- wirkung zwischen den einzelnen Menschen und der äußeren Natur be- gründen.

Physiologisch tätig kann und wird auch der Mensch sein, der allein auf einer einsamen Insel lebt. Von derjenigen Tätigkeit aber, welche den Gegenstand der Nationalökonomie bildet, fühlen Sie sofort, daß sie nur innerhalb der menschlichen Gesellschaft stattfinden kann. Von der Nationalökonomie fühlen Sie somit, daß sie nur diejenige tätige Befriedigung materieller Bedürfnisse des Menschen betrachtet, welche Wechselwirkungen und Verhältnisse der ^Menschen untereinander be- gründet.

Robinson Crusoe treibt auf seiner einsamen Insel Jagd, Fischfang und Ackerbau, auch mancherlei Industriezweige, denn er verfertigt sich sehr verschiedene Arbeitsinstrumente, und gleichwohl sehen Sie ein, daß hier von einer nationalökonomischen oder volkswirtschaftlichen Tätigkeit nicht die Rede sein, der Zustand Robinsons gar kein Gegen- stand nationalökonomischer Betrachtung sein kann. Denn Robinson steht lediglich im Verhältnis zu der ihn umgebenden Natur, in keinem Verhältnis, in keiner Beziehung zu einem anderen Menschen, und die durch die Befriedigung materieller Bedürfnisse entstehenden Verhältnisse der Menschen zueinander und untereinander sind es allein, welche was streng festzuhalten ist den Gegenstand der nationalökonomischen Wissenschaft büden. Ein solches Verhältnis aber entsteht auf Robinsons Insel erst, als er den Wüden Freytag fängt und zu seinem Sklaven macht.

Es scheint hiernach, daß es der Gegenstand der Nationalökonomie sein wird, die materiellen Verhältnisse anzugeben, die Zustände der Produktion und Bevölkerung, welche in einem Lande und bei einem

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Volke bestehen, wie dies der deutsche Name dieser Wissenschaft „Volks- wirtschaftslehre" zu bestätigen scheint. Aber die Angabe und Beschrei- bung dieser bloßen Tatsachen, der Produktions- und Bevölkerungs- zustände ist vielmehr der Gegenstand einer anderen Wissenschaft, der Statistik. Die Statistik, die Ivehre von den bloß tatsächlichen Pro- duktions- und Bevölkerungszuständen eines Landes ist eine Hilfs- wissenschaft für die Nationalökonomie, welche sehr oft keinen sicheren Schritt ohne die stützende Hand dieser Schwester machen kann. Aber die Statistik ist gleichwohl ebenso weit entfernt davon, wie eine andere Wissenschaft, identisch, d. h. ein und dasselbe mit der nationalökonomischen Wissenschaft zu sein, und es trifft die Bemerkung zu, welche ein englischer Nationalökonom Mr. Senior i) macht (Political Economy,p. 5, zweite Ausgabe) ,,the science depends more on reasoning, than on Observation" „diese Wissenschaft hängt mehr von dem Räson- nement, als von der Beobachtung ab" und fast mit denselben Worten der Franzose Rossi (Cours d'economie politique 1836/1837 troisieme le^on): ,,elle est encore plus une science de raisonnement qu'une science experimentale" ,,sie ist noch mehr eine Wissenschaft desRäsonnements, der Vernunft, als eine Wissenschaft der Erfahrung," wenn aber . . .^)

KARIv RODBERTUS AN LOTHAR BÜCHER.^) (Original, Fragment.)

Japtrow, 12. Januar 1866. Teurer Freund!

Hier haben Sie die lyassalleschen Skripta zurück. Ich teile Ihnen ver- sprochenermaßen meine Ansicht darüber mit.

Nr. I hat augenscheinlich nur den Wert eines Autographen. Es ist eine ganz unvollständige Disposition, die Lassalle in einem träume- rischen Augenblick, deren jeder Denkende hat, hingeworfen hat. Ich berühre sie bei Nr. 2 noch einmal.

Nr. 2 ist bedeutender. Sie sagten mir, es sei eine vollständige Dis- position eines Systems der Nationalökonomie.

Ich habe das folgende Bedenken:

I. Es ist defekt, denn in dem Skriptum fehlt offenbar ein Einlage- bogen. Dies zeigt nicht bloß die Vergleichung der Nummern der dritten

1) Nassau William Senior (1790 1864), bekannter Nationalökonom. Das Werk, das I,assalle hier meint, hieß: ,,An outline of the science of political economy". Die zweite Ausgabe war 1850 erschienen.

2) Hier bricht mit S. 20 das aus sechs fast nur aiif der rechten Seite beschriebenen Foliobogen bestehende Manuskript mitten im Satze ab. Weitere Bogen sind sicher vorhanden gewesen. Sie dürften das Schicksal der anderen nationalökonomischen Konzepte Lassalles geteilt haben.

) Vgl. hierzu oben die Einführung S. 249.

-- 201 -

Seite mit denen der zweiten, sondern auch des Inhalts beider Seiten. Nach den Anfangssätzen des Entwurfs hat nänüich das Werk in drei Abtei- lungen behandelt werden sollen: Produktion, Verteilung, Konsumtion. Lassalle hat zwar später mit Recht diese Einteilung mißbilligt, denn sie findet sich durchgestrichen, aber dennoch hat er sie, wie Seite 2 ,, Zweiter Teil, Verteilung" zeigt, in seiner Skizze befolgt. Nun fehlt aber im Fort- gange: ,, Dritter Teil, Konsumtion." Ferner geht aus der zweiten und dritten Alinea der ,, Übersicht", wo der Begriff der Nationalökono- mie bestimmt wird, hervor, daß Lassalle sein System einmal als reine, dann als angewandte Nationalökonomie hat behandeln w' ollen. Dies ist auch eines Geistes wie Lassalles würdig, der stets die historischen und logischen Kategorien auseinanderhielt, worauf hauptsächlich die Schärfe und Kllarheit seiner Ansichten benihte. Auf der dritten Seite sitzt er nun aber schon mitten in den heutigen Eigentumsverhältnissen. Er behandelt also hier schon Alinea 3, während auf Seite 2 noch nicht Alinea 2 durchbehandelt ist, da hier auch der ganze dritte Teil ,, Kon- sumtion" fehlt. Die ,, Übersicht" ist also jedenfalls unvollständig. Ich schließe daraus, daß Lassalle selbst nicht hinreichenden Wert auf dies Skriptum gelegt hat, um es zu bewahren, was ich dadurch bestätigt sehen möchte, daß er in dieser Übersicht noch sehr in den Schuhen des herrschenden Sj'stems steckt, obwohl das Wetterleuchten seiner späteren Ansichten, namentlich wie sie sich im Bastiat-Schulze finden, schon un- verkennbar ist.

In dieser letzteren, materiellen Beziehimg habe ich folgendes an der Disposition auszusetzen, das ich als Absatz 2 anführe. Lassalle ist sich offenbar noch selbst nicht klar gewesen, als er die Disposition entworfen. Alinea i (zu Anfang) ist durchstrichen, der Inhalt davon aber hinter Alinea 3 wieder aufgeführt. Dies ist nicht gleich geschehen, als LassaUe bei dem ersten Entwurf so weit geschrieben hatte, sondern mehrere Jahre später, sonst würde er gleich einen anderen Bogen ge- nommen haben, denn (was ich hier nicht weiter ausführen kann) die ganze Gestalt des S^'stems, die sich doch immer nach dem Inhalt richtet, ändert sich, je nachdem die Worte ,, Erzeugung, Verteilung und Kon- sumtion" so oder so plaziert werden. Die Disposition selbst ist aber nach der ersten Stellung entworfen.

Die Gliederung des Systems selbst steht danach nicht auf der wissen- schaftlichen Höhe, die Lassalle zuletzt, namentlich in seinem Bastiat- Schulze einnahm. Er würde anders eingeteilt haben. Er würde die Be- griffe Bedürfnis, Gut, Wert, Arbeit usw. in einen allgemeinen wirt- schaftlichen (bloß wirtschaftlichen, nicht nationalökonomischen Teil) verwiesen haben, und hätte dann das Prinzip der Nationalökonomie in die Teilung der Arbeit gesetzt. Erst von hier aus ist der ganze Volkswirt-

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schaftliche Stoff abzuleiten. Jene allgemeinen wirtschaftlichen Begriffe gehören auch zugleich der Seh wester Wissenschaft der Volkswirtschaft an, der Produktions Wirtschaft (in der I^and Wirtschaft und Fabriken) und der Hauswirtschaft, wie sie jede Hausfrau führt. Für den ge- wöhnlichen Nationalökonomen, von denen drei Dutzend auf Lassalle gehen, war freilich jene Einteilung immer noch gut genug, aber seiner selbst war sie nicht mehr würdig.

3. Jenem Lichtblick, wonach I/assalle i. die reinen Gesetze des ma- teriellen Güterlebens, und dann 2. das ,, Verhältnis eines Volkes, einer Zeit zu diesen Gesetzen" in seinem System behandeln wollte, bleibt er im Wortlaut seiner Disposition selbst nicht treu. Auf Seite 2, unter Ver- teilung, bringt er sofort den , .Vorschuß" herein. Das ist aber schon die vollständige angewandte Nationalökonomie des germanischen Staates, nicht einmal des antiken. lyassalle ist hier also schon aus der reinen Nationalökonomie herausgefallen und doch will er sie hier noch behan- deln. Dies zeigt, daß lyassalle damals, als er diese Disposition entwarf, noch nicht so klar erkannt hatte, wie das Eigentum auf die Teilung der Arbeit wirkt, als er es später erkannt hat. Er würde sonst ge- rade gegen die herrschende Schule bewiesen haben, daß der Be- griff des Vorschusses gar nicht in eine reine Nationalökonomie ge- hört, daß derselbe nur daraus entspringt, daß die einen das Produkt herstellen, den anderen dasselbe gehört, mit anderen Worten das Arbeitsteüungsergebnis in der heutigen Gesellschaft ein ganz anderes ist als der Eigentumsorganismus, ein Gedanke, der gerade der glän- zenden Deduktion im Bastiat-Schulze zugrunde liegt, zu dem sich Neuere, die über den Kapitalbegriff geschrieben, noch nicht aufge- schwungen haben.

In Summa ich schweife sonst ab hat Nr. 2 einen großen Wert für einen Biographen Lassalles, der imstande ist, seine innere wissen- schaftliche Entwicklung zu verfolgen, aber sie hat keinen besonderen wissenschaftlichen Wert, auch, wenn sie nicht defekt wäre; sie hat vermutlich nicht einen Wert, der des späteren Nationalökonomen lyas- salle würdig wäre.

Nr. 3 hat den größten Wert für mich speziell gehabt; nicht daß etwas darin stünde, was ich nicht schon aus seinen eigenen Briefen an mich gewußt hätte, sondern weil ich zum erstenmal sehe, daß lyas- salle mit einem vollendeten praktischen System an seine Agitation ge- gangen ist. Denn er hat die Hälfte dessen, was in Nr. 3 steht alles, was sich auf die Grundrente bezieht nie veröffentlicht, sondern nur mir, der ich mit seinen Agitationsideen nicht einverstanden war und ihn drängte, mir sein System auch in bezug auf die Grundrente mitzu- teilen, brieflich, stückweise im Jahre 1863 mitgeteilt, was ich jetzt sehe.

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daß er^) schon 1862 im Geiste getragen hat. Er hat dies, wie gesagt, nie veröffentlicht, sondern gerade in seiner Frankfurter Rede, 2) wo er Ge- legenheit gehabt hätte, sich so auszusprechen, ganz andere Ideen (die Thünenschen) ^) vertreten. Und er hat wohlgetan, daß er jene Veröffent- lichung unterließ und nicht bloß aus materiellen Gründen wohlgetan, es würde zu weit führen, wenn ich dies auseinandersetzen wollte son- dern weil Lassalle hier nicht weniger als original ist, sondern alles von Proudhon (Idee generale de la revolution au dix-neuvieme siecle) *) ent- lehnt, oder hier doch wenigstens vollständig mit ihm übereinstimmt, mit Proudhon, den er doch in seinem Bastiat-Schulze so sehr angreift. Ich habe ihm dies selbst in einem meiner letzten Briefe geschrieben. s)

Also was Nr. 3 betrifft man könnte dem wissenschaftlichen Andenken Lassalles keinen ärgeren Streich spielen, als wenn man 3 ver- öffentlichte. Jeder dieser jämmerlichen nationalökonomischen Kolpor- teurs, die Lassalle so meisterhaft gezüchtigt hat, würde sein Mütchen an dem toten Löwen kühlen woUen.

Damit wäre ich nach flüchtigem Anfange, flüchtigem Fortgange, zu immer flüchtigerem Ende gekommen, während sich natürHch Bände über diese Lassalleschen Notizen schreiben ließen. Es ist ein Jammer, daß dieser Mann nicht noch atmet!

Schließlich noch . . .^)

1) Hier strich Rodbertus das Wort ,.es".

2) „Das Arbeiterlesebuch".

3) Auf Thünen hatte Rodbertus selbst Lassalle hingewiesen. Siehe unten S. 327. *) Proudhons Buch war 1857 erschienen.

") Siehe unten S. 379.

*) Hier ist der Briefbogen zu Ende. Die Fortsetzung fehlt. Doch steht von Lothar Buchers Hand darunter: ,,Der Rest bezieht sich auf einen anderen Gegen- stand."

Entwürfe und Fragmente von Reden

Zur Einführung

Von Manuskripten zu durch den Druck bekannt gewordenen Aufsätzen I^assalles fanden sich im Nachlaß, ganz der endgültigen Fassung entsprechend, der eine von ihm selbst, der andere von fremder Hand geschrieben, die beiden Beiträge vor, die er 1860 und 1861 für Walesrodes ,, Demokratische Studien" beigesteuert hat. Dem Fichte- Aufsatz hatte der Verfasser ursprünghch noch einen Schluß angefügt, den er dann aber tilgte. Dieser lautete: ,,Und Sie sehen, daß leider noch immer obgleich hoffentlich nicht avif immer unser Denker wie unser Dichter, Fichte wie Platen dem deutschen Volke zunifen kann : ,,Was sing' ich Wahrheit diesem Volk von Klötzen, Das kaum ertragen kann ein bißchen I^üge, Und selbst die Götter sind ihm nichts als Götzen! Ich winde Kränze bloß um Aschenkrüge." Der I/Cssing- Aufsatz zeigt keine Abweichung vom gedruckten Text. Dagegen fand sich auch das Manuskript des Vortrages über: .Xessings welthistorische Bedeutung", den I^assalle am 3. März 1861 im Verein ,, Vorwärts" hielt und von dem „Der Gedanke" Bd. II, S. 67 f. eine Inhaltsangabe mitteilte. Im wesentlichen handelte es sich dabei um eine Verwandlung des geschriebenen in das gesprochene Wort; doch fehlt es nicht an Abweichungen, die aber nicht bedeutend genug waren, um einen Abdruck an dieser Stelle zu rechtfertigen. Aus der Zeit der Arbeiteragitation Lassalles birgt der Nachlaß besonders zwei eigen- händige Manuskripte. Das eine hat die Gräfin Hatzfeldt: ,, Notizen zur Arbeiterfrage," das andere weit ausführlichere , .Erster Entwurf zum Arbeiterlesebuch" überschrieben. Die Notizen zur ,, Arbeiterfrage" gelangen auf den folgenden Seiten zum Abdruck. Zusammengehalten mit den Vorträgen über die Geschichte der sozialen Entwicklung, dürften sie dem Leser hinreichend deutlich veranschaulichen, was ein Redner von LassaUes Begabung auf dem Papier vor sich zu sehen wünschte und worin er sich auf sein Gedächtins oder auf die Eingabe des Augenblicks verHeß. ^) Von einem vollständigen Abdruck des

1) Vgl. hierfür auch das Konzept zu Lassalles letzter Verteidigungsrede vor Gericht, Düsseldorf, 27. Juni 1864, bei Paul Linden, Ferd. Lassalles letzte Rede, Breslau 1882, S. 13 22.

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Konzepts zu den beiden Reden, die Lassalle am 17. und 19. Mai 1863 in Frankfurt a. M. hielt, wurde nach reiflicher Überlegung Abstand ge- nommen. Er würde den Umfang des vorliegenden Bandes in einem Maße vergrößert haben, das zu der geringen Zahl derer, die das Konzept wissenschaftlich interessieren konnte, in keinem Verhältnis gestanden hätte. Lassalles Nachlaß gehört dem Reichsarchiv in Potsdam, und dem Forscher steht dort auch der Entwurf des ,, Arbeiterlesebuchs" zur Einsicht zur Verfügung.

Hier genügt es, auf die wichtigsten sachlichen Abweichungen hin- zuweisen, die sich zwischen der ersten Abfassung in Berlin und dem Stenogramm der Rede in Frankfurt feststellen ließen. Dabei springt ins Auge, daß der Verfasser stärker als daheim vor dem Bogen Papier der Öffentlichkeit gegenüber seinem überschäumenden Temperament Zügel anlegte, daß in der gehaltenen Rede Epitheta, mit denen das Konzept die Gegner bedachte, abgemildert wurden, daß dort nur allgemein die Rich- tung oder Gruppe genannt wird, wo ursprünglich bestimmte Namen ge- standen hatten. Beispiele mögen dies veranschaulichen. Wenn Lassalle im Konzept von „subalternen, untergeordneten Subj ekten , von obskuren Skri- benten wie Wirth und Faucher" spricht, so läßt er dies argumentum ad homines später fort; er unterdrückt die Bezeichnung ,, unwissende Presse", die er der,, Nationalzeitung" und,, Volkszeitung" gegeben hatte. Überall wo er im Konzept mit besonderer Gehässigkeit auf die ,, Volks- zeitung" namentlich einhieb, verteilte er diese Schläge hinterher auf die ,, ganze liberale Presse" und wenn er über seinen speziellen Gegner in Frankfurt, den Vorsitzenden der Versammlung, in der er nun sprach, und das diesem gehörende Blatt abgeurteilt hatte: ,,Herr Sonnemann und die .Frankfurter Zeitung' und alle, die gleich wenig von der Sache verstehen," so unterdrückte er hinterher diese Bosheit ebenso wie den Ausdruck ,,pfäf fische Heuchelei", der ihm hart an der Grenze der katho- lischen Landesteile nicht am Platze scheinen mochte. Aber auch den preußischen Ministerpräsidenten, so scharf er sich als sein Gegner fühlte, mochte er nicht überflüssig reizen. Im Konzept stand: , .Glaubt Ihr, ich wolle oder würde Euch den Bismarcks in die Hände geben? . . . Geben Sie mir 500 000 Arbeiter, die in meinem Verein und unsere Bismarcks sind nicht mehr!" In der gedruckten Rede liest man statt dessen nur: ,, Glaubt Ihr, ich würde Euch der Reaktion in die Hände geben? . . . Geben Sie mir 500 000 deutsche Arbeiter, die in meinen Verein eintreten und unsere Reaktion ist nicht mehr." Im Konzept hieß es: ,, Hören Sie Schulzes Rede in Frankfurt an der Oder unter Bismarck . . . Wer will sie preußifizieren, also an Bismarck hingeben?" In der gehaltenen und gedruckten Rede nimmt er sich Schulzes Rede vom 30. November 1862 noch gründlicher vor, schließt aber dann: ,,Wer also, meine Herren,

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will sie der Reaktion überliefern, wer will Sie mit Gewalt der preußischen Reaktion in die Hände spielen?"

Im Konzept zum ,, Arbeiterlesebuch" spricht I^assalle zweimal von den großen Zeitungen des großen Vereins, den zu gründen er beabsichtige, und von der wichtigen Aufgabe, die diesen Blättern zufallen werde. Die Stellen unterdrückte er in der Rede, vielleicht weil er sich unterdessen bewußt geworden war, wie große Schwierigkeiten der raschen Gründung einer Arbeiterpresse im Wege standen. Er hatte sich bei Gelehrten darüber beklagt, daß die gesamten Zeitungen ihn anbellten, obgleich er nur Tat- sachen mitgeteilt habe, die bei der ganzen Wissenschaft festständen. Und er hatte die lachende Antwort erhalten: Ihnen geschieht schon recht, warum lassen Sie sich ein mit dem großen Haufen? Nur im Konzept, nicht in der gedruckten Rede findet sich diese Mitteilung. Mit besonderem Nachdruck suchte lyassaUe in Frankfurt den Arbeitern klar zu machen, daß die öffenthche Meinung, die ilun in der bürgerlichen Presse entgegen- trat, durchweg ,, unter dem Prägestock des Kapitals" stünde, und ihnen zu zeigen, weshalb das ,,öif entliche Vorurteil der von dem Kapital be- beherrschten Zeit" die Einmischung des Staats in die gesellschaftHchen Fragen mißbülige, die freie Konkurrenz aber preise und verherrliche. Zwischen Kapitalisten und Kapitalisten, meinte er dort, ließe sich das hören, aber zwischen Kapitalisten und Kapitallosen bedeute die freie Konkurrenz einen ,, Wettkampf zwischen einem Bewaffneten und einem Unbewaffneten". Der Entwurf ließ an dieser Stelle Platz für ein Zitat aus den Schriften Bruno Hildebrands, den der Verfasser damals noch zu einem offenen Eintreten für seine Bewegung zu bestimmen hoffte. Da- hinter folgten dann sofort die Worte, die im Druck fehlen: ,,Daß diese öffentliche Meinung also die Meinung des Kapitals ist das begreift sich. Interesse. Von Ihnen Selbstmord." In der Rede heißt es ferner: ,,Es ist ein Ruf der Einwirkung auf die öffentliche Überzeugung und das öffentliche Gewissen, mit dem ich mich erhoben habe. Es wäre das groß- artigste Kulturfaktum usw." Im Konzept stand statt dessen: ,,Es ist ein Ruf der friedlichen Einwirkung auf die öffentliche Überzeugung und das öffentliche Gewissen, mit dem ich mich erhoben habe. Es wäre das großartigste Kulturfaktum von der Welt usw." Daß er „die Fahne dieser Agitation im vollen Frieden" erhoben habe, betont lyassaUe in der ge- druckten Rede eine Seite später. Für den Fall, daß es gelänge, ,, diese Bewegung tot zu machen", malt er dort eine furchtbare proletarische Revolution an die Wand. Im Manuskript spann er diesen Gedanken noch weiter fort: ,,Das soU nicht sein. Und darum haben wir uns er- hoben. Und dies allein, daß bei uns die soziale Frage so von Männern in die Hand genommen, die in jeder Hinsicht usw., ist das beste Unterpfand für die Versöhnung der Klassen und ein Triumph des deutschen Geistes."

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Bekanntlich behaupteten damals auch manche Demokraten, daß das Proletariat das allgemeine gleiche Stimmrecht, das der Bonapartismus schwer mißbraucht hatte, entbehren könnte. Um dies Argument zu ent- kräften, betonte Lassalle nachdrücklich in seiner Rede, daß dieses Wahl- recht zwar keine Wünschelrute sei, wohl aber gleiche es jener Lanze, die selbst die Wunden heile, die sie zugefügt habe. Der Einwand lag nahe, daß die Wahl auch unter allgemeinem gleichen Stimmrecht nicht immer für die Arbeit günstig ausfallen müsse. Darauf hatte LassaUe im Konzept eine Antwort vorbereitet, die sich in der gedruckten Rede nicht findet: dann, meinte er, sei die Bedrückung der Masse rechtmäßig, eben weil die unbemittelten Klassen die große Majorität bilden, ,,dann ist es eben ihr Wille. Heut muß sie das Gewissen der besitzenden Klassen belasten."

Die Rede ,,Zur Arbeiterfrage", die LassaUe am 16. April 1863 in Leip- zig hielt, ging der Frankfurter Rede nur um einen Monat voraus. Er mußte beide also gleichzeitig vorbereiten. Daraus erklärt sich ohne weiteres, daß der Leser manche Stelle der ,, Notizen zur Arbeiterfrage" in der früher gehaltenen Rede vergeblich sucht, sie aber dann im ,, Arbeiter- lesebuch" entdeckt. Das Konzept des ,, Arbeiterlesebuchs" ist bei weitem ausführlicher als die ,, Notizen zur Arbeiterfrage". Die ,, Notizen" mit der Leipziger Rede zu vergleichen, durfte der Herausgeber dem Leser, den es interessiert, überlassen, und sich auf Hinweise in den Anmerkungen beschränken, die dabei Dienste leisten können.

Veröffentlicht wird hier ferner eine leider nur fragmentarische Nieder- schrift der Rede, die Lassalle am 9. Mai 1864 in der Leipziger Gemeinde des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins hielt und die in Broschüren- form nicht erschien, sodann die ebenfalls nur fragmentarisch erhaltene eigenhändige Disposition zu der berühmten Ronsdorfer Rede vom 22. Mai 1864. tJber die historischen Zusammenhänge, in denen Lassalle diese wie die voraufgehenden Reden hielt, unterrichtet den Leser am bequemsten die Darstellung in Hermann Onckens bekannter Biographie. Die Übereinstimmung zwischen der Leipziger und der Ronsdorfer Rede geht sehr beträchtlich über die Ähnlichkeit hinaus, die zwischen den eben- falls zeitlich benachbarten Vorträgen : ,,Zur Arbeiterfrage" und ,, Arbeiter- lesebuch" zu beachten war. Die Übereinstimmung geht hier so weit, daß man mit Sicherheit annehmen muß. Lassalle habe das fertige oder beinahe fertige Konzept zu der Festrede für das erste Stiftungsfest seines Vereins unter den Augen gehabt, als er zu seinen Leipziger Getreuen sprach.

Für die Einzelheiten sei auf die Anmerkungen verwiesen, die man unter dem Text findet. Es erschien überflüssig, hier Personen und Ereig- nisse zu erklären, deren auch in den gedruckten Reden Erwähnung ge- schieht, über die also eine reichhaltige und leicht zugängliche Literatur Auskunft erteilt.

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I. NOTIZEN ZUR „ARBEITERFRAGE", i) (Konzept von Lassalles Hand.)

Meine Herren!

1. Schon lange Aufforderung, vor meinem Schreiben. Aber nicht per- sönliche Agitation unter Sie werfen usw., jetzt usw.

2. Wut der Feinde grenzenlos. Daß ich Ihnen das ökonomische Gesetz des Arbeitslohnes verraten und Ihnen gezeigt habe, wie aufzuheben, das usw. Es hat sich in allen liberalen Blättern Deutschlands ein Sturm gegen mich erhoben, der ohnegleichen. Es ist eine Wut gegen mich, wie etwa im Altertum gegen einen Priester, der die Geheimnisse der Ceres verraten hätte. Gerade diese Wut wie tödlich der Streich. Wären meine Feinde Römer, wie die Gracchen usw. Sind keine Römer, statt mit dem Schwert daher mit Verleumdungen niedergestoßen. ^)

3. Es gibt keine noch so unflätige Beschimpfung usw. Tribüne. (Sogar also aus einer Wunde, die ich im Dienst für Sie usw.) Die Berliner Re- form, ein angeblich radikales Blatt = Bruno Bauer. Von selten der Bourgeoisie war ich darauf gefaßt. Was mich fast unerwartet getroffen, was mir den Schmerz einer Sekunde bereitet hat, war, daß sogar, wenn auch ganz vereinzelt, von der Seite der Arbeiter her solche Nichts- würdigkeiten gegen mich geschleudert wurden. Ich sehe wohl, wer sich für Ihre Sache erhebt, der muß den Giftbecher der Verleumdung usw. Arbeiterverein Nürnberg. ,, Gedungenes Werkzeug der Reaktion."^) Das wagt man gegen einen Mann, der schroffer als irgendein anderer von allen, die gegenwärtig auf deutschem Boden leben, seit 1848 seine stolze revolutionäre Attitüde beibehalten hat. Zwei Jahre. Drei Kriminal- prozesse usw. Und warum? Weil für Ihre Sache ! . . . Weil ehrliche Ant- wort auf ehrliche Frage. Nur Vorstand. Aber Ehrenpflicht.

4. Es kann nicht meine Absicht sein, hier alle die schiefen Einwen- dungen und Entstellungen zu widerlegen, mit denen man usw. Das würde heißen, unnütz Atem verschwenden. Nur die hauptsächlichsten be- trachten :

5. Dr. Max Wirth die Stirn, die unglaubliche Frechheit gehabt zu leugnen den Hauptpunkt, die Grundlage. Ich habe Ihnen schon in meiner Broschüre die Gründe angegeben, warum dies notwendig (Population) . Auch bereits in meiner Broschüre gesagt, daß es keinen Mann der Wissen- schaft gibt, der nicht usw. Aber da Dr. M. Wirth die erstaunliche, sei es

1) Diese Überschrift von der Hand der Gräfin Sophie Hatzfeldt ist wahrschein- ich erst nach Lassalles Tode hinzugefügt worden.

2) Am Rande steht noch von Lassalles Hand, ohne daß ein Zeichen den Platz für die Bemerkung genauer bestimmte: „So Wirth: edelmütiger Dummkopf."

3) Vgl. Bd. V, S. 135 Anm. 4.

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Frechheit, sei es Unwissenheit gehabt hat so nicht in verba magistri jurare.

Also vorlesen, was Männer der Wissenschaft. Say, Ricardo, J. St.Mill, Rau, Röscher. Was also ist zu sagen zu Männern, die die Kühnheit der lyüge so weit treiben, zu leugnen usw. i) Für wie unwissend zugleich muß der Mann sein Publikum gehalten haben usw. Hört welche Verdrehungen : England Rhein. Arbeitslohn. Aber ,, Volk"-Broschüre Seite 15 und 6.

Ich habe Euch jetzt die Übereinstimmung der Männer der Wissen- schaft in bezug usw. bewiesen. Immer ^) wenn ich Tatsachen glauben. Folgerung. Grund : Ich habe einen anerkannten Namen in der Wissen- schaft — und den würde ich zusetzen und das kann ich begreiflich nicht riskieren. In dieser I^age sind so subalterne Leute wie Herr Dr. Wirth und Herr Faucher freilich nicht. Sie haben es leichter und können lügen, soviel es ihnen Spaß macht. Lassen Sie mich noch einen möglichst kurzen Blick werfen auf die Entstehungen, mit denen Schulze-Delitzsch mir in einem Vortrag vor den Berliner Arbeitern entgegnet oder richtiger sich an jeder Entgegnung vorbeidrückt. Ich habe die „Nationalzeitung" usw. Hätte Herr Schulze mir ernsthaft antworten wollen und können, so folgende Punkte:

1. Ich^) habe gezeigt, daß infolge jenes ehernen Arbeitslohnsgesetzes die Konsumvereine keinen Nutzen haben, keine Wirkung als usw. Herr Schulze hätte also entweder jenes Gesetz positiv leugnen müssen aber die dazu erforderliche Stirn hatte er nicht, die M. Wirth. Oder er mußte diese Folge zugeben, aber dazu hatte er wieder nicht die er- forderliche Wahrheitsliebe. Er zieht daher vor, auf diesen Hauptpunkt gar nicht zu antworten. Im Vorbeigehen ist an einer Stelle seines Vor- trags [ist] er sogar genötigt, selbst eine Art von Zugeständnis zwischen die Zähne zu murmeln wie sich dieser Vortrag dann durch eine große Unsicherheit und sehr fühlbare Verlegenheit auszeichnet, daß die Kon- sum-, Rohstoffe- und Darlehensvereine auf die Dauer nicht helfen usw.

2. Ich habe gezeigt, daß die Rohstoff- und Darlehensvereine dem Arbeiter gar nicht, sondern momentan nur dem Handwerker helfen, daß zweitens dieser Stand durch die Bewegung unserer Großfabrikation, die sich immer mehr seines Gewerbes zu bemächtigen anfängt, immer kleiner wird und daß diesem gegenüber auch die Rohstoff- und Darlehensvereine nicht schützen.

1) Bis hierher entspricht der Gedankengang völlig dem der Rede ,,Zur Arbeiter- frage". Vgl. Lassalles Reden und Schriften, herausgegeben von E. Bernstein, Berlin 1893, B^- H. S. 463 473.

*) Die Sätze von ,, Immer wenn" bis , .soviel es ilmen Spaß macht" wurden für das ,, Arbeiterlesebuch", ib. S. 523 f., verwendet.

8) Auch die Nummern i und 2 wurden für das ..Arbeiterlesebuch" verwendet. Vgl. ib. S. 544 f.

—- 270 =.

Keine Silbe Antwort auf diesen Beweis.

3. Ich^) hatte Herrn Schulze persönlich sehr anständig behandelt, weil dies in meiner Natur liegt, und ihm keinen Anlaß zu den giftigen Entstellungen und perfider Insinuation gegeben usw. Aber sachlich hatte ich gegen seine Vorträge in dem Berliner Arbeiterverein den harten Vorwurf geschleudert, daß er die Arbeiter täusche und hintergehe, indem er ihnen eine Verbesserung ihrerLage durch die steigende Produktivität des Industriekapitals vorspiegle. Sie erinnern sich meiner Ausführungen hierüber. Nim nicht eine Silbe Antwort auf diese schwere Anklage weiß Herr Schulze zu finden.

Was nicht sagt. Sehen wir jetzt, was er sagt. Es ist ein Gewebe von Entstellungen. Schwer zu widerlegen. Schleim. Ränke. ^)

Er beginnt

1. „Herr Lassalle macht die Fortschrittspartei gründlich herunter und damit Sie selbst." Schlechter Demagoge.

2. Herr Schulze entgegnet: „Wir für unseren Teil rufen nicht: »Nieder mit dem Kapital, sondern her mit dem Kapital.' Wir rufen auch nicht: .Nieder mit dem Unternehmer, sondern her mit dem Gewinn ; wir werden die Sache selbst übernehmen."

Aber das ist ja grade der Ruf, den ich selbst ausstoße! Welcher un- würdige Kunstgriff usw. Konnte bloß so sprechen, weil wußte, usw. die nicht gelesen.

3. Herr Schulze sagt, er wolle ja selbst die Produktivassoziation, er habe sie schon 1858 an die Spitze seiner Bestrebungen gestellt und nun komme ich und sage: ,,das sei nicht wahr." Welche Unwahrheit, meine Herren! Ich habe nirgends gesagt, Schulze will nicht, ich sage: er kann sie nicht herstellen. Es ist unmöglich ohne den Staatskredit Arbeiterassoziationen für den Groß- und Fabrikbetrieb herzustellen. Wenn Schulze es für möglich hält, warum gründet er denn nicht Fa- brikassoziationen? Seit fünfzehn Jahren, sagt er selbst 2) . . .

Er hat wie er selbst angibt 450 Vorschußbanken ins Leben gerufen, 150 Rohstoff vereine, 30 bis 40 Konsumvereine und warum nicht eine Assoziation für fabrikmäßigen Großbetrieb? Kann der Mann nicht ein- mal an dieser ungeheuren Tatsache lernen? Wie er selbst angibt, exi- stieren erst 15 Genossenschaften, ,,die mit Produktion für eigene Rech- nung vorzugehen im Begriff stehen" (nicht sind) und hier ist auch wieder nur handwerksmäßiger Kleinbetrieb gemeint. Warum usw.

Ich habe Ihnen an England selbst, wo bestehen, gezeigt warum usw.

^) Für 3 ebenso wie für die folgenden Nummern i bis 3 vgl. „Arbeiterlese- buch" a. a. O. S. 545 f.

*) Hier hat Lassalle etwa drei Worte verwischt, die sich nicht mit Sicherheit entzifFem ließen, üines könnte ,,Shawlweber" lauten.

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Ich habe usw. Aber in deutschen Verhältnissen nicht einmal jene An- fänge möglich. Dieser Mann so verliebt in seine kleinbürgerlichen Ideen, daß er nicht einmal aus diesen Tatsachen etwas lernt.

Was ist denn eigentlich, da Schulze die Produktivassoziation zu wollen erklärt, in praktischer Hinsicht der einzige streitige Punkt zwischen Herrn Schulze und mir? Herr Schulze will freie Arbeiterasso- ziation, ich will sie gleichfalls, ganz so ganz wie er, nur mit dem einen Unterschied: Schulze will sie lediglich mit Ihren^) eigenen Mitteln, also in einer Weise, in der sie bei der I^eerheit ihrer Taschen schlechthin unmöglich ist. Ich wül die freie Arbeiterassoziation ganz in derselben Weise eingerichtet, w^e Schulze und nur mit dem einen Unterschied, daß durch den Staatskredit den Arbeitern die Gründung solcher Asso- ziationen auch praktisch möglich usw. Er will die .»Redensart", ich die Sache.

Da dies also der einzige streitige Punkt ist, so hätte Herr Schulze zwei Dinge zeigen müssen:

1. wie er sie ohne den Staatskredit fertig bekommen will, was er nicht getan,

2. worin denn das Unglück bei diesem Staatskredit bestehen soll, der die Sache allein möglich macht: 2)

Weder das eine noch das andere hat er getan. Dagegen greift er zu dem bequemen und nicht würdigen Zufluchtsmittel der Entstehungen, zu dem Mittel, sich zu stellen, als verstünde er nicht, was ich doch so deuthch gesagt. Er gibt zu, daß ich Staatszwang nicht woUe. ,,Aber," ruft er aus, ,,wenn der Zwang ausgeschlossen ist, wie wiU er denn alle hineinbekommen in seine Assoziation." Wer nicht will, bleibt draußen! Volenti non fit injuria. Wem es Spaß macht usw. Des Menschen Wille usw. Nur die Möglichkeit soll gegeben werden usw. Aber die Anhänger Schulzes noch weiter gegangen. ,, Nationalwerkstätten", ^) ,, Staatsorgani- sation", ,, Kontrolle" (bloß privatrechtlich. Kommanditärrechte). ,,Und nun die Großindustriellen? SoUen die einfach abgeschafft werden?" Können konkurrieren, solange sie Lust und Arbeiter haben. Mit diesem sich Dummstellen, mit diesen erkünstelten Mißverständnissen, nichts getan. Aber Arbeiterassoziation in Frankreich sagt Schulze usw. Ivüge. Huber. (Er selbst führt drei Assoziationen an.)"*) Mit solchen Unwahrheiten diskutiert man nicht eine große Sache. Herr Schulze und seine Anhänger, diese Nachbeter der englischen Manchester [männer].

^) La.ssalle verschreibt sich: „ihren".

*) Für das Vorstehende vgl. ebenfalls ,, Arbeiterlesebuch" a. a. O. S. 541. ') Für diesen Abschnitt vgl. sowohl ,, Arbeiterfrage" wie ,,Arbeiterlesebiich"^ a. a. O. S. 473 f. und 564 f.

*) Vgl. ,, Arbeiterlesebuch" a. a. O. S. 563 567.

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haben in allen Tonarten das Geschrei losgelassen, daß der Staat sich unter keinen Umständen in die Verkehrsverhältnisse mischen darf, daß der Staat, nicht bloß der heutige Staat, sondern der Staat überhaupt das Prinzip des Bösen sei. Hüten Sie sich vor dieser Parole, der die heutigen Staatsverhältnisse einen gewissen Schein verleihen. Es gibt keine, die verbreiteter, aber nichts stupideres, unintelligenteres, eigennützigeres als sie. Von den Manchestermännern in England ausgegangen. Zehnstundenbill. Anwendung der Kinder in den Fabriken. Schulzwang. Immer gegen Whigs. Arbeiter mit Tories (andermal über diese sehr wichtigen Punkte ausführliche Vorträge halten, oder veranlassen, daß sie Ihnen von an- deren gehalten werden). Stets schrie man ,, Staatsintervention" ,,darf sich nicht einmischen". Sie sehen, das ist nur das interessierte Geschrei derjenigen, die nicht wollen, daß irgendwo in der Gesellschaft ein Punkt sei, der gegen ihre kapitalbewaffnete Ausbeutungssucht ge- schützt sei. In meiner Broschüre (in meinem ,, Arbeiterprogramm" S. 40/41 usw.i) hatte ich mir ein Beispiel usw. auf die Aufhebung der Sklaverei usw.

Schulze sagt: ,,...", d. h. stellt sich wieder dumm. Kr beweist mir, daß die Maßregel gerecht sei, stellt sich, als hätte ich das Gegen- teil gesagt. Im Gegenteil gerade darauf hingewiesen, daß eine so anerkannt gerechte und heilsame Maßregel doch auch durch Staats- intervention und nur durch diese möglich. (Heute Sklaven; Eigentum.)

(Bruno Hildebrand.) Ebenso Eisenbahnen. Öffentlicher Nutzen und hier nicht?

Ich hatte auf die Statistik hingewiesen, welche zeigt, daß die unteren Stände 89 bis 96 Prozent umfassen. ,,Wenn das richtig ist," sagt Schulze, „so soll es den fünf Prozent doch schwer werden, den 95 Prozent wirk- same Hilfe zu gewähren".

Ganz falsch! Die 95 Prozent sollen sich selbst helfen, und dies eben tun sie, wenn sie sich durch den Staatskredit helfen. Denn die Staatsein- künfte, die Steuern fließen von den 95, nicht von den 5, die nur ein ver- schwindendes Minimum. Darüber nächstens.

Herr Schulze fragt ,,wenn die arbeitenden Klassen alles 95 : 5, wenn sie der Staat sind, so mögen sie sich selbst direkt helfen, wozu dann der Umweg einer Hilfe durch den Staat?"

Hier Pudels Kern. Schulze will, daß Sie sich als Einzelne helfen. Jeder von Ihnen als Einzelner ist hilflos, ohnmächtig, verwaist. Der Staat ist Ihre Gesamtassoziation in dieser und durch diese sind Sie mächtig

Der ganze vorstehende Absatz von ,,Herr Schulze" bis „Arbeiterprogramm, 41", wurde verwandt für ,,Zur Arbeiterfrage" a. a. O. S. 475 f.

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und gewaltig.^) Schulze 2) will nicht die soziale Selbsthilfe, er will die individuelle Selbsthilfe; die ist aber eben für den Kapitallosen bei freier Konkurrenz unmöglich. Die soziale vSelbsthilfe, das wäre eben die Hilfe, die Sie durch das soziale Wesen, den Staat, durch die verbun- denen Kräfte der Gesamtheit erreichen. (Im Wasser. Zentner. ,, Natur- gesetz". Bedingungen. Staat.) ,,Mein Arbeiterprogramm, S. 40/41." ,,Der Zweck des Staates ist also nicht der" usw. Manchestertheorie liegt in den letzten Zügen. Lancashire. Potter. M. für Carlisle. ,,Times"- Leitartikel vom 25. März.

Charles Kingsley ,, Times" vom 31. März.

Ebenso in der enghschen Wissenschaft üben\'unden.

Lassen Sie sich nicht entmannen durch usw. Hören Sie J. St. Mill (Bd. II, Buch IV, Kap. VII, § 2 S. 229) : ,,Es ist sehr fraglich, ob bis jetzt alle mechanischen Erfindungen die Tagesmühe irgendeines mensch- lichen Wesens erleichtert haben. Sie haben allerdings die Wirkung ge- habt, daß eine größere Bevölkerung das nämliche Leben von ^Nlühselig- keiten und Einkerkerung führt und eine beträchtlichere Zahl von Fa- brikanten und anderen Personen größere Reichtümer erwirbt; auch haben sie die Lebensannehmlichkeiten der mittleren Klassen vermehrt. Allein sie haben bisher noch nicht angefangen, jene großen Veränderungen im Geschicke der Menschheit zu bewirken, welche zu vollbringen in ihrem Wesen liegt und der Zukunft vorbehalten ist."

Und an einer anderen Stelle (Bd. I, Buch II, Kap. 13, § 4 S. 390) : ,,Wenn die Aufgabe vorliegt, die Lage eines Volkes dauernd zu heben, so haben kleine Mittel nicht lediglich kleine Wirkungen, sondern über- haupt keine Wirkung zur Folge. Wofern nicht eine ganze Generation so an Lebensannehmlichkeit gewöhnt werden kann, wie sie es jetzt an Dürftigkeit ist, so wird nichts erreicht und schwache Halbmaßregeln ver- schwenden nur die Hilfsquellen, die weit besser aufbewahrt bleiben, bis der Fortschritt der öffentlichen ^Meinung und der Erziehung Politiker herangebildet haben wird, die nicht der Ansicht sind, daß eben, weil ein Plan Großes verspricht, es die Sache der Staatsmänner sei, sich nicht damit zu befassen."

Politische Lage. Fortschrittler. (\'erfassung.)

Arbeiter. (Hamburg, Düsseldorf. Solingen. Köln.)

Ebenso hat die Wissenschaft meinem Appell entsprochen.

^) Für das Vorstehende vgl. ,,Zur Arbeiterfrage" a. a. O. S. 47S f.

2) Von hier bis zum Schluß beuvitzt für ,,Zur Arbeiterfrage" a. a O. S. 476 484. Die Zitate aus Say, J. St. Mill, Bastiat, Rau, Rocher verwendete Lassalle sowohl in , Zur Arbeiterfrage" wie im ,,.\rbeiterlesebuch".

.Mayer, I.assalU-NacaUss. VI

= 274

2.

Rede Lassalles in der Leipziger Gemeinde des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, 9. Mai 1864

(Diktat oder Nachschrift mit eigenhändigen Verbesserungen Lassalles. Fragment.) Meine Freunde! Der Hauptzweck meiner diesmaligen Rundreise ist^) der, mich durch persönliche Anschauung von dem Geiste zu unter- richten, der in unseren Gemeinden herrscht; da aber das Stiftungsfest des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins bevorsteht, 2) welches ich nicht mit Euch begehen kann denn ich werde dann schon am Rhein sein so erscheint es um so mehr angemessen, heute an dieser Stelle einen Rückblick auf dies verflossene Jahr zu werfen. Vor kurzem im März ist es ein Jahr geworden, daß ich mein Antwortschreiben an das lycipziger Zentralkomitee erlassen habe^) und binnen wenigen Tagen wird es ein Jahr, daß der Allgemeine Deutsche Arbeiterv'erein hier ge- stiftet worden. Selten aber ist, wie ich glaube, ein Verein in der Lage gewesen, einen Rückblick zu tun, der so geeignet wäre, die erhebendsten und freudigsten Gefühle des Mutes in aller Brust zu erwecken. Um recht zu würdigen, welche Erfolge wir in dieser kurzen Zeit erreicht haben, vergegenwärtigt Euch vor allem die Umstände, die ganz abnorme Schwierigkeit der Umstände, unter welchen dieser Verein gegründet ward. Wir hatten die gesamte Presse gegen uns, die Presse aller deutschen Ivänder. Es war ein Mann gegen alle, der diese Fahne erhob. Wenn je, so hätte man hier vermuten sollen, es sei ein totgeborenes Kind. Ich er- innere mich einer sehr poetischen Sage, welche im Mittelalter Jahrhmi- derte hindurch Volksglaube war, der Sage, daß der I^öwe immer tot ge- boren würde und daß erst das Gebrüll des Löwenvaters ihn zum Leben erwecke. Nun, wir haben im Sinne dieser Sage gehandelt, es schien ein totgeborenes Kind, wir aber haben so gebrüht, daß dieser Schrei ein Echo fand in allen deutschen Landen, daß dieses Kind zum freudigstenLeben er- wachte und sich so gerade dadurch als echter Löwe betätigt hat. (Bravo.) Ich werde bei diesem Überblick durchaus nicht in alles Detail ein- gehen, was auch ganz unmöglich wäre, weil dann das Material die Gren- zen eines Vortrages weit überschreiten würde. Nur einige hauptsächliche Gesichtspunkte wül ich hervorheben, ich will in Umrissen die Erfolge schildern, auf welche ich besonderen Wert lege.^)

^) Hier hat LassaUe die Worte gestrichen: ,,ist zwar nicht eigentlich der, lange Reden zu halten, sondern vielmehr".

2) Hier strich Lassalle die Worte: ,, welches ihr binnen wenigen Tagen feiern werdet".

') Hier strich LassaUe die Worte: ,, es war Ende März vorigen Jahres".

^) Dieser Abschnitt steht fast wörthch in der Ronsdorfer Rede. Vgl. a. a. O. {Ausgabe Bernstein 1893, Bd. II) S. 842.

= 275 ^

Ich will damit beginnen, daß wir von allen Vereinen, welche seit 1848 entstanden, meines Wissens der erste sind, welcher eine Gemeinde in Österreich erlangt hat. Es war auch ganz natürlich, daß die Kleindeut- schen, die Nationalvereinler oder die liberalen Vereine dies nie erreich- ten; Ihr wißt, liberal ist kleindeutsch, und diese Partei ging stets darauf aus, die österreichischen Territorien aus Deutschland |^und] aus dem nationalen Bewußtsein auszustoßen. Ihr Zweck war darum zuvörderst, die Zusammengehörigkeit der österreichischen Territorien und ihrer Be- wohner, ihre Deutschheit aus dem Bewußtsein der Nation auszutilgen, und beinahe ist es dahin gekommen, daß sie diesen Zweck erreicht hätten. Wir aber, der Allgemeine Deutsche Arbeiterv^erein, wir sind, zu unserem Ruhme und Stolze, der erste Verein, der diese künstliche und unnatürliche Trennung wiederum durchbrochen und in Österreich seine Fahne aufgepflanzt hat, wie in anderen deutschen Ländern. Und es ist dies geschehen trotz der großen Schwierigkeiten, mit denen man in Österreich zu kämpfen hatte, weil dort kein \>reinsgesetz besteht und daher zur Gründung eines jeden Vereins stets die besondere Erlaubnis der Regierung nötig ist, ein Umstand, der freilich manche Gemeinde in Österreich abgehalten hat. Nichtsdestoweniger hat die Gemeinde zu Asch die Initiative ergriffen, sie hat sich konstituiert und mir dies an- gezeigt; ich habe selbst deshalb an die Statthalterschaft zu Prag ge- schrieben, und es ist nicht zu zweifeln, daß, wenn die Erlaubnis gegeben wird, die Gemeinden in Österreich sich schnell und in großem Umfange vervielfältigen werden.

Aber auch weit außerhalb der Grenzen Deutschlands haben unsere Tätigkeit und unsere Grundsätze die Anerkennung gefunden, auf welche sie sicher rechnen konnten, falls man überhaupt auf die ]\Iacht der Wahr- heit und auf die Intelligenz in der Brust des ^Menschen rechnen kann. Ich will ganz kurz zweier Tatsachen Erwähnung tun: unsere schleswig- holsteinische und unsere Polen betreffenden Resolutionen sind von dem Deutschen Arbeiterverein in London einstimmig und müt Begeisterung angenommen worden; ebenso sind sie von sämtlichen Gemeinden des republikanischen Volksbundes in der Schweiz einstimmig angenommen worden.^) Ihr seht also, daß der Glanz Eurer Fahne bereits weit hinaus- leuchtet über die Grenzen Deutschlands.

Innerhalb unseres Vaterlandes selbst ist es einer der größten Beweise für die Kraft, Wahrheit und Popularität unserer Grundsätze, daß ver- möge einer gewissen generatio aequivoqua, d. h. vermöge einer gleichsam von selbst eintretenden Zeugung, an so vielen Orten Gemeinden unseres

^) Auch die beiden vorstehenden Absclinitte linden sich fast wörtlicli in der Ronsdorfer Rede, vgl. a. a. O., Bd. II, S. S42 f.

276 - .

Vereins entstehen, 1) ohne daß irgendein Mitglied des Vereins persönlich die Hand dabei im Spiele hat. So, um an die Vorgänge der letzten vier bis sechs Wochen zu erinnern, in Augsburg, trotz allen Wütens der libe- ralen Presse. Es waren eben mehreren Arbeitern unsere Schriften in die Hände gefallen, sie taten sich zusammen und schrieben mir, ich sollte ihnen einen Bevollmächtigten einsetzen usw. Ebenso in Duisburg, wo ebensowenig irgend jemand Propaganda gemacht hatte: ich erhielt einen Brief von fünf dortigen Arbeitern, welche mir schrieben, daß ihnen mein Arbeiterlesebuch in die Hände gefallen, daß sie es gelesen haben und nun entschlossen seien, eine Gemeinde zu gründen. Der Schreiber dieses Briefes, den ich zum Bevollmächtigten ernannte, ist ein Maschinenwär- ter ; dieser hielt nun ungeniert eine öffentliche Versammlung, in welcher [er], obgleich alle Fortschrittskapazitäten anwesend waren, an demselben Abend noch über fünfzig Beitrittserklärungen erlangte. Fast rührend ist ein Hergang in Bremen gewesen. Vor kurzem erhielt ich nämlich einen Brief aus dieser Stadt, dessen dreiundvierzig Schreiber mir anzeigen, daß sie bereits seit fast zwei Monaten als Gemeinde auf eigene Faust be- stehen, es aber nicht eher hätten melden wollen, bis sie doch wenigstens einigermaßen eine nennenswerte Anzahl erreicht hätten.^)

Einer der größten Beweise unserer Erfolge und Fortschritte bietet sich aber in Berlin selbst. Berlin, wie Ihr wißt, war immer die feste Burg der Fortschrittler, Berlin war das Heereslager des Herrn Schulze-De- litzsch. Als ich im Oktober vorigen Jahres von der rheinischen Agita- tionsreise zurückkehrte, erklärte Herr Schulze öffentlich in einer Ar- beiterversammlung ^,) und die liberalen Blätter haben es selbst veröffent- licht, daß man dem Sozialismus, der von Berlin aus*) sein Haupt erhoben, auch in Berlin entgegentreten müsse. Was darunter verstanden würde, das sollten alsbald Vorgänge der sonderbarsten Art zeigen. Obgleich wir die Einrichtung getroffen hatten, daß nur solche Leute zu unseren Ver- sammlungen zugelassen wurden, welche Mitgliederkarten hatten oder sofort in den Verein eintraten, wobei wir in Berlin sogar Unterzeichnung der vStatuten forderten, eine Vorsichtsmaßregel, nach welcher kein Mann von Ehre in eine solche Versammlung gehen konnte, wenn er nicht mit deren Satzungen einverstanden war, so kam doch trotz alledem eine große Masse von Fortschrittlern und das wiederholte sich dreimal

^) Diesen ganzen Satz bis hierher hat Lassalle eigenhändig eingefügt. Ur- sprünglich stand nur: ,, Innerhalb unseres Vaterlands selbst entstehen an vielen Orten . . . Gemeinden unseres Vereins."

'} Auch diesen ganzen Absatz enthält im Wortlaut weitgehend überein- stimmend die Ronsdorfer Rede a. a. O. S. 843 f.

3) In der Ronsdorfer Rede, wo Lassalle den gleichen Hergang mit sehr älin- lichen Worten erzählt, heißt es: ,,in seinem Arbeiterverein".

*) Zuerst stand: ,,in Berlin".

= 277 =

um Tumult zu erregen und so die vSitzungen zu stören. Ihr begreift, daß Tumultuanten immer, wenn sie auch in der Minderheit sind, leichtes Spiel haben, denn indem nun die andere Partei nach Ruhe schreit, wird der Tumult noch größer. Solche Kämpfe hatten wir in drei Sitzungen, und in der einen ist sogar etwas vorgekommen, was mich fast hätte irre machen können, wenn das überhaupt möglich wäre, an dem Ehrgefühl des Volkes. Nachdem nämlich die Fortschrittler in unsere geschlossene Versammlung gekommen waren und da unsere Vorsicht also bei dem Mangel an Charakter jener Herren nichts half so griff ich zu einem kühnen Mittel und packte den Stier bei den Hörnern. Ich schrieb nämlich ganz öffentliche Versammlungen aus und wählte den Saal des Eldorado dazu, der zwei- bis dreitausend Menschen faßt. Jetzt war vorauszusehen, daß die Fortschrittler sich verpflichtet fühlen würden, in noch größerer Menge zu erscheinen. Da wir aber einmal zum Kampf gezwungen wur- den, wollte ich, statt ihm aus dem Wege gehen, ihn lieber in großem Maßstab haben. i) Zufällig war ich bei dieser ersten Sonntagssitzung krank und konnte nicht erscheinen, denn mein Arzt verbot mir, einer Halsentzündung halber, zusprechen. So ward jene Versammlung auf den nächsten Sonntag verlegt. Sofort verbreiteten die Fortschrittler die kindischsten Gerüchte, ich sei aus Furcht vor ihnen nicht erschienen usw. ; als wenn ich überhaupt, falls ich Furcht fühlte, eine Sitzung hätte ein- zuberufen brauchen ! Am nächsten vSonntag aber früh 9 Uhr, als ich eben beim Ankleiden war, erschien ein Beamter^) bei mir mit der Erklärung, daß er ein eigentümliches Geschäft vorzunehmen habe, daß er mich nämlich verhaften müsse; er zeigte mir auch den betreffenden gericht- hchen Verhaftsbefehl wegen Hochverrats vor. Ich befand mich^) in einer sehr kritischen lyage. Aus der Verhaftung selbst machte ich mir blutwenig, wollte aber unter allen Umständen'*) die Versammlung ab- halten, damit nicht etwa die von den Fortschrittlern ausgesprengten Ge- rüchte nun wirklich Glauben erlangten. Scheinbar den Befehl durchle- send entwarf ich meinen Plan. Ich sagte dem Beamten: ,.Ich kann Ihnen nicht folgen, denn ich bin krank, ich kann nicht ins Gefängnis gehen, weil ich da die nötige Pflege nicht haben kann.^)^)

1) Ursprünglich stand bloß: , .wollte ich ihm auch nicht aus dem Wege gehen".

2) Zuerst stand: ,,ein Herr Referendar soundso bei mir; ich entschuldigte mich, daß ich ihm eben der Versammlung wegen keine große Aufmerksamkeit widmen könne, er aber rückte endlich mit der Erklärung heraus" usw.

3) Hier strich Lassalle die Worte: ,,nun natürlich". *) Zuerst stand nur: „doch gern".

'•') Diesen Hergang erzählt Lassalle hier viel ausführlicher als in seiner Rons- dorfer Rede.

8) Hier endet mit Seite 4 der erste Foliobogen, der folgende, also die Seiten 5 bis S waren leider nicht mehr aufzufinden. Die Lücke wurde hier ergänzt aus der

=^.:__^ : 278

[Ganz besonders brandmarkte Lassalle das ,, Gebaren der Fortschritt- 1er", welche, als er in einer Versammlung wegen einer Hochverratsan- klage verhaftet worden, in Bravos ausgebrochen seien und der Polizei ein Hoch ausgebracht hätten. In dem Schulze-Delitzschschen Verein selbst sei Spaltung und Bruch eingetreten ; man werfe Schulze geradezu vor, die Arbeiter ständen doch unter der Herrschaft des Kapitals. So habe ein ^^erein von achthundert Buchdruckergehilfen eine Anzahl Resolutionen angenommen, welche die Prinzipien des Deutschen Arbeitervereins voll- ständig anerkennen und in den Kriegsruf desselben einstimmten. Daß des Redners Grundsätze das notwendige Produkt der tatsächlichen Verhält- nisse seien, beweise die Erscheinung, daß sie in Arbeiterkreisen Eingang fänden, wo man von seinen Schriften gar nichts wisse. In der Lauenstein- schen Wagenfabrik zu Hamburg hätten achthundert Arbeiter nach kurzer Beratung die Arbeit eingestellt, weil der Prinzipal auf ihren An- trag, die Arbeitsanfangszeit von früh fünf auf sechs Uhr zu verlegen, nicht einging und den Sprecher, welcher die Wünsche bescheiden vor- getragen, entließ. Als der Fabrikherr nun auswärts habe Arbeiter an- werben wollen, hätten sich die Arbeitseinsteller an ihn gewendet, um zu verhindern, daß von auswärts dem Folge gegeben werde, und er habe ihrem Wunsche, durch Veröffentlichung der Tatsache, gemäß gehandelt. Neuerlichst sei eine Deputation der dreihundert Arbeiter zählenden, den Gebrüdern Reichenheim gehörigen großen Baumwollenwarenfabrik zu Wüsten-Giersdorf (Schlesien) zu ihm gekommen, um ihm ihre traurige Lage vorzustellen, und bei ihm und nicht Schulze-DeHtzsch Rat zu erbitten.^) Gerade weil die Fortschrittsblätter auf Lassalle so fürchterlich geschimpft, sei er ihr Mann. In den verkümmerten Gestalten hätte sich doch ein intelligenter Geist gezeigt und sie seien einstimmig darüber gewesen, daß nur dann demArbeiter geholfen werden könne, wenn der Staat für ihn eintrete. Dieselbe Deputation trug dem König von Preußen selbst ihre in einer Petition sehr ausführlich niedergelegten Beschwerden vor. In derselben wird ausgeführt, daß zu der Zeit, als die Fabrik noch Staats- eigentum (bis 1848) gewesen, ein Weber durchschnittlich jährlich 150 Taler verdient habe. Seit die Fabrik im Besitz der Gebrüder Reichenheim, sei das nur immer schlechter und durch systematische Herabdrückung der Arbeitslöhne ein Zustand herbeigeführt worden, der alle Familien der

Inhaltsangabe, die sich genau gleichlautend in dem" damahgen Organ des All- gemeinen Deutschen Arbeitervereins, dem Hamburger , .Nordstern" (Nr. 259 imd 260) und dem ,, Adler" (Nr. 209), der in Leipzig erschien, fand. Die Einschal- tung wurde in eckige Klammern gesetzt. Die genaue Erzählung des Zusammen- stoßes mit der BerUner Pohzei kommt im Text nicht zum Abschluß, weil der Referent des , .Nordstern" diese Episode fortgelassen hat. 1) Vgl. hierzu Bd. V, Einführung, S. 42ff.

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Gegend zur Verzweiflung treibe. Bei täglich zwölfstündiger Arbeitszeit verdiene der mittlere Arbeiter bei größtem Fleiße durchschnittlich wöchentlich einen Taler 24 bis 27 Vg Neugroschen, die lohnendste Arbeit trage höchstens 2 Taler 23 Neugroschen, die geringste dagegen nur 27 Neugroschen bis i Taler ein! Rechne man nun täglich für gewöhnliche Nahrung, gewiß sehr bescheiden, für eine aus vier Köpfen bestehende Arbeiterfamilie einen Aufwand von 8 Silbergroschen 8 Pfennig (darunter 3 Silbergroschen für Brot und 2 Silbergroschen für Fleisch), so mache das monatlich 8 Taler 20 Silbergroscheu, während der Arbeiter monat- lich kaum 8 Taler verdient und hierbei von Licht, Heizung, Kleidung, Schulgeld, Steuern usw. noch keine Rede ist. Die Tatsachen, fuhr Lassalle fort, hätten auf den König den tiefsten Eindruck gemacht, und er habe der Deputation unter Mißbilligung der Entlassung derselben durch den Arbeitsherrn das Versprechen gegeben, daß die Arbeiterfrage bald ge- setzlich geregelt und dadurch der Not abgeholfen werde. ,,Wir wollen abwarten, ob der König das Versprechen hält ; das Gegenteil zu behaup- ten wäre eine Majestätsbeleidigung!" In demselben liege zugleich eine Anerkenmmg des allgemeinen Wahlrechtes verhüllt ausgesprochen, denn der König wisse, daß er ein solches Gesetz nicht mit den Abgeord- neten durchbringen werde, welche nach dem Dreiklassenwahlsystem ge- wählt seien, weil es ihren Interessen widerspreche. Welcher Verein habe solche Erfolge erzielt? Gelehrte, Bischöfe und Könige hätten jetzt Zeug- nis abgelegt für die Wahrheit, Gerechtigkeit und Notwendigkeit der Grundsätze des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, und seien die versprochenen Gesetze in Preußen durchgeführt, so werde kein deutscher Staat nachbleiben können.

Ein wesentlicher Erfolg sei auch durch des Redners letzte Streit- schrift ,,Bastiat-Schulze" erzielt worden, welche von den konservativen Zeitschriften beachtet worden sei, während die liberalen sie hätten tot- schweigen wollen, weil sie nicht sich gewachsen gefühlt, der ,, theoreti- schen Tat" entgegenzutreten.]

Nachdem^) sie neun Monate lang alltäglich geschimpft, so zeigt ihr jetziges Schweigen nur, wie wenig sie sich gewachsen fühlten, gegen den Stachel zu locken und dieser Tat in haltbarer Weise entgegenzutreten. Es ist selbst ein noch deutlicheres Zeichen hervorgetreten. Ein F'ort- schrittsblatt hat es wagen wollen, dieses Buch eingehend zu behandeln und fand sich auch sofort genötigt von Zugeständnissen überzufließen; es war nämlich die „Ostseezeitung" in Stettin, ein wütendes Blatt, redi-

1) Das hier mitten im Satz beginnende letzte erhaltene Blatt der Rede enthält keine Abänderungen von Lassalles Hand mehr. Die Worte, mit denen das Blatt anfängt: , .müssen, uns zu ignorieren" woirden oben im Text, weil der Übergang klar herauskommen sollte, fortgelassen.

- 28o

giert von einem Manne, der eigentlich nicht Politiker, sondern Ökonom und Freihändler ist, Herr Wolf in Stettin. Ich will ein kleines Beispiel von seinem Stil geben, i)

,, Vielleicht fragen unsere Leser, weshalb wir uns überhaupt mit Lassalle befassen? "2) Der Redakteur verspricht dann, in mehreren späteren Artikeln sein Einverständnis oder seine Widerlegung kundzu- geben; diese ,, mehreren späteren" Artikel sind aber niemals erschienen (Heiterkeit), obschon der erste in der Nummer vom 5. März stand. Wahr- scheinlich haben ihm die Führer geschrieben, Schweigen sei doch sicherer. Wie gesagt, ein solches Werk totzuschweigen war ganz besonders un- möglich in Deutschland, welches noch immer das Vaterland der Wissen- schaft, des Gedankens und der Gelehrsamkeit ist. Andererseits haben mir nicht aus persönlichem Selbstgefühl sei es gesagt, sondern um Euch eine Garantie für die Wahrheit unserer Grundsätze mehr zu geben haben mir die glänzendsten Vertreter der Wissenschaft, die ruhmvollsten Namen Deutschlands, die höchste Anerkennung, die begeistertste Zu- stimmung ausgesprochen. Das stolze Wort ist mir von solchen Männern zugerufen worden: ,,Sie haben den Sozialismus zu einer Wissenschaft erhoben" (Bravo). ,,Sie haben Recht in jeder Zeile und jeder Silbe. "^)

Nicht geringer sind die Eroberungen gewesen, die in den Kreisen der Bourgeoisie selbst, unter ernsthaften, redlichen und wohlgesinnten Leuten dies Buch gemacht hat. Selten sind seitdem acht Tage vergangen, wo ich nicht von diesem oder jenem Bourgeois, der früher ein eifriger Gegner war, das Bekenntnis vernommen, direkt oder auf Umwegen, daß sie überzeugt oder bekehrt wären (Bravo).

Ich will aber Beweise vorlegen, die alles dies noch übersteigen.*) Vor kurzem hat ein Fürst der Kirche, der Bischof von Mainz, Freiherr von Ketteier, ein Werk über die Arbeiterfrage veröffentlicht. Es ist ein Mann, der am Rhein fast für einen Heiligen angesehen wird, ein Mann der sich immer mit gelehrten Forschungen abgegeben hat, und dem wahrscheinlich das Resultat oder das Gewissen trieb, das Wort zu er- greifen. Sein Buch heißt i^)«)

^) Rodbertus hatte Lassalle auf den Artikel aufmerksam gemacht. Vgl. unten S.353-

2) Man findet das Zitat vollständig in der Ronsdorf er Rede a. a. O. S. 857 f.

^) Diese Sätze finden sich in der gedruckten Ronsdorfer Rede nicht.

*) Vgl. wiederum Ronsdorfer Rede, S. 860 f.

^) Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteier, Die Arbeiterfrage und das Christen- tum. Mainz 1864. Vgl. hierzu die Ronsdorfer Rede vom 22. Mai a. a. O. (Original- ausgabe), S. 23 f.

*) Hier bricht das Manuskript ab mit der Notiz: ..folgt S. 1 1". Der Schluß der Rede wird hier wie oben aus der freilich im Stil etwas holprigen Inhaltsangabe des ,, Nordstern" ergänzt.

- 28l

[,,Die Arbeiterfrage und das Christentum". Derselbe sage, daß die Wahrheit des von Lassalle aufgestellten sogenannten ehernen Gesetzes durch die Kontroversen zwischen ihm und seinen Gegnern so evident gemacht sei, daß nur die Absicht, das Volk zu täuschen, sie bestreiten könne. Die Lassallesche Partei habe das Verdienst, die Lage des Ar- beiterstandes, wonach er größtenteils mit seiner ganzen Existenz auf die eigentliche Lebensnotdurft beschränkt, mit unerbittlicher Schärfe und Wahrheit aufgedeckt zu haben, und den Beweis geführt, daß die bisherigen Bestrebungen der liberalen Partei nicht im.stande seien, den Arbeiterstand vor dem \'erfall zu bewahren, dem er durch die allgemeine Konkurrenz, namentlich mit dem Kapitale entgegengehe.')

Es heißt in dem Buche weiter wörtlich:

,,Die Aufgabe ist, dem Arbeiterstand, der durch die Experimente der liberalen Partei in die Lage gekommen ist, daß er mit seiner ganzen Lebensexistenz auf den Taglohn angewiesen ist, der ihm nur die äußerste Lebensnotdurft bietet, den er sich täglich auf dem Warenmarkt der Arbeit, bei schwankendem Angebot und Nachfrage, gleichsam erbetteln muß, in dieser seiner bedrängten Lage zu helfen. Daß dazu die von der liberalen Partei als Hilfsmittel in \' orschlag gebrachten Genossenschaften im ganzen und großen nicht ausreichen, ist in neuerer Zeit hinreichend und evident bewiesen. In dieser Hinsicht sind die Ausführvingen von Lassalle unwiderlegt und unwiderleglich-) . . . Das Bedenken der Libe- ralen, daß die Staatshilfe das Prinzip der Selbsthilfe des Arbeiterstandes verletze und deshalb verwerflich sei, ist von ihren Gegnern hinreichend als haltlos nachgewiesen worden. Mit Recht ist ihnen gesagt worden, daß sie selbst ja reichen Kompagnien und großen Industriebesitzern wiederholt Staatshilfe teils durch Garantie der Zinsen, z. B. bei Eisen- bahnbauten, teils durch Vorschüsse erwirkt haben, ohne von dieser zarten Rücksicht behindert zu sein, und daß man doch wahrlich eine Hilfe für den Arbeiterstand als eine Art Unwürdigkeit nicht ohne große Inkon- sequenz ansehen kann, wenn man sie für die Besitzer des reichen Kapitals zulässig erklärt."^)

So spreche ein Bischof, und sei Redner auch kein Eronnner, so sei doch diese teilweise tJbereinstimmung für ihn erfreulich. Einen anderen Erfolg sieht Lassalle in der Verbreitung von \"olksbildung durch seinen Verein, besonders durch eine Anzahl von trefflichen Schriften gleich- gesinnter Männer, denen er ein Hoch brachte. Er selbst habe nur die Fahne vorangetragen, unbekümmert um Nachfolge, aber im Vertrauen auf deutschen Geist und deutsche Wissenschaft. Nun liege es an dem

^) Vgl. Ketteier a. a. O. S. 62 f.

2) A. a. O. S. 57.

3) A. a. O. S. 83.

282

Arbeiter, weiter zu bauen, Tätigkeit und Aufopferungsfähigkeit zu zeigen, mit dem erhaltenen Pfunde zu wuchern und finanziell pünktlich zu sein, damit Agenten hinausgesendet werden könnten, um die Zahl der Gleich- gesinnten zu vermehren. Ein letztes Element des Erfolges sei die Verfolgung, die ihn, Redner, persönlich betreffe, weil die Verfolgung mit dem Erfolge wachse. Eine Menge Prozesse gegen ihn seien im Gange. In Düsseldorf sei er zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden, weil er die liberale Partei angegriffen, und da die Richter liberal wären, während das Volk am Rheine demokratisch sei, sei seine Verurteilung erklärlich. Er habe das Banner der Bewegung nicht ergriffen, ohne zu wissen, daß er persönlich zugrunde gehen könne, und er sehe dem ruhig ins Auge. ,,Wenn ich zugrunde gehe," schloß Ferdinand Lassalle seine vielfach von Beifall unterbrochene und sehr populär gehaltene Rede, ,,so möge uns irgendein Rächer und Nachfolger aus unseren Gebeinen auferstehen. Ich habe eine P'euersbrunst angezündet, die weitergeht, wenn ich auch untergehe!"]

3-

Entwurf zu Lassalles Ronsdorfer Rede vom 22. Mai 1864

,,Die Agitation des Allgemeinen Deutschen Arbeiter- vereins und das Versprechen des Königs von Preußen".!) (Original. Fragment.)

I. Nicht um lange Reden zu halten, Rundreise. Sondern Geist der Gemeinde. Aber da zum Stiftungsfest usw. Jährt sich. Antwort- schreiben. Gründung. Rückblick in der Ordnung, und wenn je ein Rückblick geeignet war, die erhebendsten Gefühle usw., so dieser. II. Schwierigkeit der Umstände. Gesamte Presse. Ein Mann gegen alle um Fahne. Totgeborenes Kind. Löwe. (Sage.) Nur in flüchtigen Umrissen.

III. Österreich. lyiberal-kleindeutsch. Keiner der seit 48 entstan- denen Vereine usw.

IV. Außerhalb der Grenzen Deutschlands. London, Gemeinden des Republikanischen Volksbundes.

1) Diese Rede, ,, gehalten am Stiftungsfest des Allgemeinen Deutschen Arbeiter- vereins", erschien 1864 bei Reinhold Schliugmann in Berlin. Die Zitate in den An- merkungen beziehen sich auf die Seitenzahlen dieser Originalausgabe.

283 =

V. Innerhalb Deutschlands zunächst die freiwillige von selbst ent- stehende Zeugung. Augsburg. Bremen. Duisburg usw. Altena.^) VI. Berlin. 2) Feste Burg der Fortschrittler. vSchulzes Wort „Ent- gegentreten". Drei Versammlungen Tumult. Noch Schlimmeres. Eldorado (geschichtliche Erzählung) der Polizei, der Ver- haftung zugejubelt!!! (Kriminalbeamte). VII. Und wie steht die vSache jetzt in Berlin?

a)3) Unmittelbar nach der Verhaftung neue öilfentliche Sitzung (Staatsanwalt). Unbeirrt. Letzte Sitzung gewesen wo usw. Kern von glühender Begeisterung. Brauche schon seit lange usw.

b) (Schulze- Verein) Umgekehrt. „Knechtung des Kapitals".

c) Unser wachsender Einfluß außerhalb Vereins usw. Schnei- der-Altgesellen.

d) Buchdrucker. Petition. Erwägungsgründe (Bastiat), Broschüre: ganz unser Standpunkt und 800 Mitglieder. Broschüre ganz in unserem Geist (Stellen). Also bloß unter den Buchdruckern 800!! (Broschüre nächstens vorlesen. Nicht von mir Von Arbeitern und rühmlich für uns! von Mitgliedern usw.) Überall die Intelligentesten.

VIII. So dies und die wachsende Agitation durch neuen großartigen Vorgang in Hamburg gezeigt. (Erzählen).*) IX. Ja, so sehr liegen unsere Grundsätze gleichsam in der Luft, d. h. so sehr Produkt der tatsächlichen Verhältnisse der heu- tigen Gesellschaft und ihnen allein entsprechend, daß usw. Schlesische Deputation (Reichenheim). Petition. 5) (Vorlesen) Abgegeben und gewartet. Rat zu vSchulze, die anderen zu mir. Letzteres. Sagten mir. X. Eines der wesentlichsten Elemente unserer Erfolge - - Bastiat- Schiilze. Niemals mir gelungen. Eurer Sache größeren Dienst zu tun, als durch dieses Buch. Während die konser\'ativen Blätter (z. B. ,, Kreuzzeitimg" noch neulich - ,, Norddeutsche

^) Dieses Wort wurde anscheinend von Lassalles eigener Hand mit blauem Bleistift hinzugefügt.

2) Hier folgte das Wort : ,,Gesch[ichts]er Zählung", das Lassalle aber durch.^^trich.

*) Im Original ist a) am Rande eingefügt und die beiden folgenden Punkte heißen c imd d, so daß b ausfällt.

*) Hier setzte Lassalle an den Rand das Wort: ,, Volksblatt". Er meinte das konservative ,,Neue Allgemeine Deutsche Volksblatt", in dem Karl Preuß aus- führlich über die ganze Angelegenheit der schlesischen Weberdelegation berichtete. Vgl. dazu Bd. V, Einführung S. 43.

') Hierneben steht von Lassalles Hatid mit blauem Bleistift an den Rand ge- schrieben: „Montag- Verein".

284 ===========

Allgemeine Zeitung", „Preußisches Volksblatt" usw. von An- erkennung überflössen Totschweigen. Aber dann hätten sie zuerst damit beginnen müssen.^)

XVI. ^) Ein anderer höchst wesentlicher Erfolg, den wir errungen, ist

die Bildung, die wir ins Volk gebracht. Unsere Gegner spre- chen von der Bildung, ohne sie zu verbreiten. Wir verbrei- ten sie, ohne davon zu sprechen. Ich kann wohl fragen: von welchem anderen Verein ist binnen Jahresfrist eine solche Reihe von vSchriften (und Vorträgen) ausgegangen, die so geeignet usw. und verbreitet haben?

XVII. Aber hier vergessen wir nicht, daß ich nicht der einzige, sondern nur der erste gewesen bin, der die Fahne unbekümmert usw. Rodbertus, lyothar Bucher, Professor Wuttke unter^) uns, Dr. Dammer, Herwegh. Oberst Johann Philipp Becker, Advokat Dr. von Schweitzer (bedeutende Werk) älteste deutsche Sozialist M. Heß, Schriftsteller Bernhard Becker in Frankfurt (von dem), Martiny, Georg Herwegh usw. usw. sie haben Schrift, Wort, Vortrag, Autorität, Propaganda usw.

Ihnen jetzt ein begeistertes Hoch! Nach solchen Erfolgen liegt es nur an Euch selbst usw. Opferwilligkeit, finanzielle Pünktlichkeit, Verbreitung. XVIII. Noch mein Erfolg die Verfolgung usw. (Exoriare aliquis).

1) Hier fehlt ein Quartblatt, das die Punkte XI bis XV enthalten haben muß. Vgl. hierfür in der gedruckten Rede die Seiten 23—36. Lassalle handelt dort von dem Artikel der „Ostseezeitung" über den Bastiat-Schulze (vgl. oben S. 280) und von der Zustimmung, die sein Grundgedanke bei der Wissenschaft, bei der katholischen Kirche in Kettelers ,,Die Arbeiterfrage und das Christentum" und bei dem König von Preußen durch den Empfang der Weberdelegation gefunden habe.

') Lassalle faßt, bevor er in seiner Rede zu diesem Punkt XVI übergeht, die in dieser Skizze fehlenden Punkte zusammen, indem er ausruft (S. 36) : „Die Arbeiter, das Volk, die Gelehrten, die Bischöfe, den König haben wir gezwungen, Zeugnis abzulegen für die W^ahrheit unserer Grundsätze! Ein anderer höchst wesentlicher Erfolg unserer Tätigkeit ist die Bildung des Volks."

^) Dies Wort ließ sich nicht ganz eindeutig entziffern.

Der Briefwechsel Lassalles mit Karl Rodbertus-Jagetzow

Zur Einführung

Als Ferdinand Lassalle und Karl Rodbertus-Jagetzow sich zum ersten- mal begegneten, hatte lyassalles langjähriger Düsseldorfer Rechtsbei- stand, Rodbertus' Fraktionsgenosse aus der Preußischen Nationalver- sammlung, Anton Bloem, sie schon öfter versichert, daß sie einander etwas zu bieten hätten. ,,Ich will Ihnen doch schreiben, daß ich vor einigen Tagen bei einem Diner bei Franz Duncker Ihren Freund Rod- bertus kennen gelernt habe," so berichtet Ivassalle im Februar 1859 ^^^ Bloem, ,,und daß er mir ausnehmend gefallen hat. Komisch war schon, wie wir uns gleichzeitig fast mit denselben Worten anredeten: , Durch einen gemeinschaftlichen Freund, den wir haben, und der mir sehr viel von Ihnen erzählt hat, kenne ich Sie bereits sehr gut.' So oder ähnlich waren die a tempo Worte, die uns sehr lachen machten. Ich konnte na- türlich nicht anders, ich fing sofort an, in medias res, auf unsere national- ökonomischen Theorien einzugehen, ihm seinen Dritten Brief nach vollster Überzeugung sehr lobend, aber auch meine Differenzen wenigstens andeutend, und versetzte ihn, wie er sich ausdrückte, ,in Feuer und Flamme'. Wäre der Gesellschaftszwang nicht gewesen, wir hätten die ganze Zeit nur Nationalökonomie gepaukt." Bloem antwortete am I. März: ,,Daß Sie endlich mit Rodbertus bekannt geworden, freut mich sehr, Sie werden gewiß ihn öfter sehen und immer mehr schätzen lernen." Wie oft I/assalle und Rodbertus nach dieser ersten Begegnung ihren Gedankenaustausch mündlich fortgesetzt haben, ist nicht genau be- kannt. Da Rodbertus auf dem I,ande wohnte und nur selten nach Berlin kam, konnte er schon aus diesem Grunde nicht Mitglied der Lassalleschen Tafelrunde werden. Der .Schwerpunkt ihrer Diskussion lag zweifellos in ihrem Briefwechsel. Dieser wird hier zum ersten Mal vollständig der Öffentlichkeit übergeben.

Rodbertus war zwanzig Jahre älter als Ivassalle, hatte zuerst das juristische Studium absolviert, dann andere europäische Länder auf Reisen kennen gelernt, in der preußischen \''erwaltung, in die er hernach eintrat, keine bleibende Befriedigung gefunden und sich endlich im

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heimatlichen Vorpommern ein Rittergut gekauft, um hier den volks- wirtschaftlichen Studien nachzuhängen, die sein stärkstes Interesse bildeten. Als Generallandschaftsrat der Provinz Pommern und Dele- gierter der Ritterschaft des Kreises Usedom-Wollin, beteiligt Rodbertus sich an den Verhandlungen des Vereinigten lyandtags. In der preußischen konstituierenden Versammlung ist er der Führer des linken Zentrums, im Juni tritt er als Kultusminister in das Ministerium Hansemann- Auerswald ein, scheidet aber schon nach wenigen Tagen aus, weil er sich mit der Souveränität der Paulskirche unbedingter solidarisiert, als seine Kollegen. Daß ihm damals das ,,Volk als der Ursprung alles Rechts" galt, entsprang bei ihm weder einem revolutionären Temperament noch naturrechtlichen Erwägungen, sondern lediglich der Überzeugung, daß allein über den Kopf der Dynastien hinweg, nicht aber durch Vereinbarung mit und zwischen ihnen, Deutschland geeint werden könne. Im Grunde seiner Seele war er so wenig Republikaner wie legitimistischer Monar- chist, vielmehr ein Geist, den weder die Schlagbäume der Tradition noch der Konvention, weder der Partei noch der politischen Dogmen be- engten. Maßgebend war für seine Entscheidungen allein die Frage, wie sich die welthistorische Entwicklung am besten vor ,, unnützen Digres- sionen" bewahren ließ. Freunde wie Gegner glaubten ihm seinen Aus- spruch: „Ich lege nur auf einen legalen Übergang Wert, in den Dingen bin ich radikal." Und in der Tat charakterisiert dieser Satz außerordent- lich treffend den Politiker wie den sozialen Denker Rodbertus. Ihm hatte es im März 1849 zur großen Genugtuung gereicht, daß die ,, Mäßigung ' des preußischen Volkes es ermöglichte, ,,die Früchte einer Revolution aus dem Boden des Rechts zu pflücken". Gerade deshalb empörte ihn auf das Stärkste der königliche Staatsstreich vom November, der, wie er es auffaßte, dem preußischen Staate ,,die erste Revolution" brachte. ,,Eine solche Revolution," schrieb er nach Oktroyierung der Verfassimg, ,,hat höchstens den zweifelhaften Wert, die Gewissensbeschwichtigung für die zweite zu sein, die ebensogut vom Volke ausgehen kann." So trat dieser Fürsprecher der legalen Kontinuität in dem Konflikt zwischen Krone und Volk auf des letzteren Seite. Als aber Johann Jacobys emp- findliches Ethos Friedrich Wilhelm IV. jenes Wort flammender Ent- rüstung zurief, da ersuchte Rodbertus, der ebenfalls der Delegation der Nationalversammlung angehörte, den Adjutanten des Königs dringend, diesen zu bitten, ,,die Adresse der Nationalversammlung und die letzt- gehörten Worte eines Deputierten zu unterscheiden". Wie hier, so bUeb Rodbertus stets ein Mann maßvoller Formen, ein Denker, der seinen Standpunkt klar und konsequent formulierte, der es aber grundsätzlich ablehnte, für die Verwirklichung seines Ideals die Gewalt in Anspruch zu nehmen.

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Früher als irgendein anderer in Preußen hatte er der sozialen Sphinx ins Auge geblickt und die Erkenntnis erlangt: ,,quantum periculum immineret si servi nostri numerare nos coepissent." Er zweifelte nicht, daß die Besitzlosen auf dem Kontinent mit dem gleichen Nachdruck wie die Chartisten in England ihre Forderungen ankündigen würden. Und er sprach ihnen dies als sittliches Recht zu. Denn eigene Forschung bestätigte ihm, daß die Arbeiter tatsächlich bei der Regelung der Ver- teilung in der bestehenden Gesellschaftsordnung von der zunehmenden Produktivität der Zivilisation ausgeschlossen seien, und daß ihrer Hände Arbeit ihnen nicht mehr abwürfe als den notwendigen Lebensunterhalt. Nun fühlte er, der wohlhabende Gutsbesitzer und Freund ruhiger ge- lehrter Forschung, sich zwar nicht berufen, revoltierenden Proletariern ,, Inschriften für ihre Fahnen zu liefern". Wohl aber war er sich darüber klar, daß Männer wie F. J. Stahl und andere Konservative sich Illusionen hingaben, wenn sie wähnten, daß die Arbeiter sich noch einmal in die per- sönliche und moralische Abhängigkeit früherer Epochen zurückversetzen lassen würden. Er war sich bewußt, daß die Gesellschaft ihre Schiffe hinter sich verbrannt hatte, und daß die soziale Parole hinfort nur noch lauten konnte: vorwärts! Die Geschichtsauffassung, die er sich bildete, festigte in ihm die Überzeugung, daß die rechthchen und staatswirtschaft- lichen Grundlagen, auf denen die Gesellschaft seiner Tage lebte, so wenig wie sie immer bestanden hatten, in aller Zukunft fortbestehen würden. Wichtiger als die Haupt- und Staatsaktionen dünkten ihn die stillen und unaufhaltsamen Veränderungen in den Anschauungen, Sitten und wirt- schaftlichen Verhältnissen. Sein geschärfter Blick erkannte in der Phase des sozialen Individualismus, die dem zeitgenössischen Bürgertum als der Gipfel der Zivilisation erschien, nur den Auflösungsprozeß einer niederen vStaatenordnung in eine höhere und in der Geschichte überhaupt eine fortschreitende Vereinigungstendenz, die immer weitere Kreise um- schlingt und eine immer größere Verbundenheit herstellt. Nicht den Fortschritt der Freiheit, wie die Liberalen verkündeten, sondern den F^ortschritt der Gemeinschaft, einer Gemeinschaft, die das lebende In- dividuum allseitig, geistig, ethisch und wirtschaftlich umfassen werde, deutete er als das Lebensprinzip der sozialen Gestaltvmg. Und er stand nicht an, das Endziel dieses Entwicklungsprozesses, der nach seiner Auffassung freilich zu seiner Vollendung eines halben Jahrtausends be- dürfen würde, als Kommunismus zu bezeichnen.

Die nächste Etappe, die zu diesem fernen Ziele hinführte, erblickte Rodbertus in einer Verdrängung des wirtschaftlichen Liberalismus, dieses Systems des freien Gewährenlassens und der staatlichen Indolenz, das eben triumphierte, durch ein System strenger Staatsleitung und Staatswirtschaft. Nicht das Individuum war der Ausgangs- und Ivnd-

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punkt seiner Betrachtungen und Wünsche, sondern die Gesellschaft; sein Ziel war die allmähliche Umgestaltung jener sozialrechtlichen Grund- lagen, die die große Masse der Menschen von den steigenden Segnungen der Zivilisation ausschloß. Aber nicht von dem freien Spiel der Kräfte, sondern nur von der bewußten und zentralisierten Aktion des Staats erwartete er die Durchführung von Maßregeln, die den Anteil der Ar- beiter am Nationalprodukt vermehren und sie schon heute an den Fortschritten der Produktivität stärker beteiligen konnten. Von diesen blieben sie das war seine feste Überzeugung so lange ausgeschlossen wie die Rechtsordnung das arbeitslose Einkommen aus Grundrente und Kapitalgewinn sanktionierte und so dem Arbeiter den vollen Ertrag seiner Arbeit vorenthielt. Weil er aber die völlige Abschajffung jedes arbeitslosen Einkommens erst von einer fernen Zukunft erhoffte, er- strebte er für die Gegenwart ein Kompromiß zwischen der geltenden Rechtsordnung und seinem Ideal. Auf dessen detaillierte Ausarbeitung verwandte er vielen, im Grunde unfruchtbaren Scharfsinn. Denn nur er allein und wenige Adepten hielten dieses Programm für den Stein der Weisen, mit dessen Hilfe jede bestehende Regierung, sobald sie nur wolle, die ,,Ivösung der sozialen Frage" erfolgreich in Angriff" nehmen könnte.

Mochte zwischen Lassalles ungestümem Temperament und der ruhigeren Denkweise des geduldig forschenden Rodbertus der Abstand gewaltig sein, inmitten der siegreichen liberalen Welt, die so ganz anders dachte als sie, stimmten beide doch in zwei bedeutsamen Punkten über- ein: in dem Glauben, daß die Geschichte die Richtung auf die Verwirk- lichung des Sozialismus genommen habe und in der Hochwertung des Staates, der auf dem Wege zu diesem Ziel große positive Aufgaben zu lösen habe. Als lyassalle seine Arbeiteragitation begann, schmeichelte er sich mit der Hoffnung, daß Rodbertus sich gemeinsam mit ihm an die Spitze des erwachenden deutschen Proletariats stellen werde. War der Denker von Jagetzow auch keine in weiteren Kreisen populäre Persön- lichkeit, so umkleidete den Oppositionsführer der preußischen Revo- lution doch noch immer ein gewisser Nimbus, und wurden seine Schriften auch nicht gelesen niemand las sie , so wußte man doch, daß er ein ernsthafter nationalökonomischer Denker war, der das soziale Problem in seinen tiefsten Schlupfwinkeln aufzusuchen bestrebt war. So begrüßte lyassalle mit heller Freude den ,, Offenen Brief", den Rodbertus an das Komitee des Deutschen Arbeitervereins zu lyeipzig richtete. Ihn begeisterte, daß auch dieser bedeutende Nationalökonom jenes eherne Ivohngesetz, auf das er seine Kritik der bestehenden Gesellschaftsord- nung gründete, für ein von allen Korj^phäen der Wissenschaf t anerkanntes „natürliches Gesetz" erklärte, unter dessen Wirkung der materielle

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Abstand zwischen den gesellschaftlichen Klassen sich immer mehr aus- weite. Es war ihm von Wert, wenn dieser angesehene Rittergutsbesitzer versicherte, daß die Ungleichmäßigkeit der Verteilung mehr als alles andere den inneren Frieden der Nation und ihre harmonische Ent- wicklung beeinträchtige. Voll Genugtuung las er, wie klar der Verfasser der ,, Sozialen Briefe" den Unterschied darlegte zwischen unabänder- lichen Naturgesetzen und sozialen und politischen Gesetzen, die die Menschen machten und die nur natürliche Wirkungen eines bestimmten gesellschaftlichen Systems seien, und wie scharf er allen jenen wider- sprach, die in ihrem Fatalismus das freie Spiel der Kräfte innerhalb des bestehenden Kapital- und Rentenstaats für ,, natürlich" und unabänder- lich erklärten. Befriedigen mußte ihn auch die scharfe Kritik, die Rod- bertus an der Fortschrittspartei übte, die Verachtung, mit der er ihr wirtschaftliches wie nationales Programm behandelte, der Mut, mit dem jener auf dem Höhepunkt des Verfassungskonflikts diese Partei, die alle freiheitliche Gesinnung gepachtet zu haben glaubte, ,,für ein Unglück des deutschen Vaterlandes" erklärte. Willkommen mußte ihm auch sein, daß eine so angesehene Persönlichkeit wie Rodbertus ihm, dem so viel Angefochtenen und Angezweifelten, die Ehrlichkeit seines Strebens und die Echtheit seiner Freundschaft für die Arbeiter bescheinigte, wie er über den Nürnberger Arbeiterbildungsverein und dessen Hintermann Schulze-Delitzsch spottete, die ihn deshalb ,,ein bestochenes Werkzeug der Reaktion" schimpften, weil er in der Nationalökonomie zu gut bewandert wäre, um in die überschwenglichen Lobreden der Freihändler auf das Genossenschaftswesen einzustimmen .

Auch daß Rodbertus die Arbeiter vor jedem Groll auf die anderen Klassen warnte, mit denen vereint sie an der Nationalproduktion ar- beiteten, brauchte Uassalle damals nicht zu beunruhigen. Er konnte von einem Manne, der nur bei ,, vollständigem Frieden" an eine Verwirk- lichung seiner radikalen Zukunftshoffnungen glaubte, nicht erwarten, daß er sich in dem Augenblick als sozialer Revolutionär entpuppen würde, wo selbst er. um mit seiner Bewegung überhaupt erst Fuß zu fassen, fast in jeder Kundgebung nachdrücklich die strenge Legalität seiner Absichten unterstrich.

Empfindlicher mußte es Lassalle schon berühren, daß der andere der doch gleich ihm die Staatsintervention forderte, sich sehr reserviert über das nächste positive Mittel äußerte, das er selbst in seinem ,. Offenen Antwortschreiben" empfohlen hatte, um jener sozialen Umgestaltung der Rechts- und Besitzverhältnisse, die ihnen beiden vorschwebte, den Weg zu ebnen. In seinen privaten Briefen an Lassalle lehnte Rodbertus die Pro- duktivassoziationen mit Staatskredit noch entschiedener ab. Selbst als ,, Übergangszustand" fanden sie in seinen Augen keine Gnade. Wollte man

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sie allgemein durchführen, also auch auf die Rohproduktion und das Trans- portwesen ausdehnen, so würde das die allgemeine Expropriation des Grundbesitzes bedeuten. Damit wolle er sich allenfalls abfinden, aber jeder Betrieb in Landwirtschaft, Fabrikation und Handel würde damit in einen kleinen konstitutionellen Gewerbestaat verwandelt sein, wo jeder Arbeiter von Rechts wegen mitzureden hätte. Das aber wäre: ,,ein horribler Gedanke, wo man jetzt schon beinahe das eine große konstitutionelle Wesen satt bekommen hat. Die Nationalproduktion müßte schon an der Schwerfälligkeit solcher Maschinerie zugrunde gehen". Schon in seinem dritten ,, Sozialen Brief" hatte es Rodbertus ab- gelehnt, das Recht auf den vollen Arbeitsertrag dadurch verwirklichen zu wollen, daß man die Arbeiter zu Kapitalisten und Grundbesitzern machte. Die Überantwortung der Produktionsmittel an die Produktiv- assoziationen bekämpfte er jetzt besonders mit dem Hinweis, daß Kol- lektivpersonen einen noch zäheren und härteren Eigennutz hätten als Individuen, und daß in dem Assoziationsstaat, der Lassalle vorschwebe, der Egoismus der besser dastehenden Genossenschaften sich erst recht gegen die schlechter Dastehenden richten würde. Es müßte zu Miß- erfolgen führen, wollte der Staat Kapital und Grundbesitz den gegen- wärtigen Eigentümern entwinden, nur um sie wieder Arbeiterasso- ziationen als Privateigentum zu überlassen. Seiner Ansicht nach sollte man den Staatskredit in Anspruch nehmen, ,,wenn der Arbeitslohn in einer Weise fixiert wird, die ihm ein Mitsteigen mit einem Steigen des Arbeitsertrages sichert". Rodbertus suchte Lassalle davon zu überzeugen, daß ,,nach einer kleinen geologischen Periode" die Entwicklung der Gesellschaft nicht dahin tendieren werde, die Arbeiter zu Kapitalisten und Grundbesitzern zu machen, sondern Grund- und Kapitalbesitz ab- zulösen: ,,Aber auf diese vielleicht fünf hundert jährige Perspektive darf man das profane Volk nicht hinweisen." Diese Ablösung, meinte er ferner, ließe sich leichter und besser an die bestehenden gewerblichen Zustände anschließen als die Umwandlung der Einzelunternehmimgen in Assoziationsimternehmungen. Lassalle lag sehr viel an einer Ver- ständigung mit Rodbertus und deshalb kam er ihm soweit entgegen, daß er das Mittel der Assoziation ausdrücklich als ofifene Frage gelten lassen und das Prinzip lediglich in die Staatsintervention setzen wollte, der Rodbertus zustimmte. So blieb diese Streitfrage zwischen ihnen zwar offen, aber sie ließ sich doch abkapseln, und die Aussicht war nicht abgeschnitten, daß sie sich späterhin über die praktischen ökonomischen Übergangsregeln endgültig verständigen könnten. Rodbertus verblieb von diesem Mei- nungsaustausch der Eindruck, daß er schließlich Lassalle überzeugt haben würde.

Weit folgenreicherer erwies sich ein anderer Gegensatz, der sich jetzt

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auf Grund von Rodbertus' ,, Offenem Brief" zwischen ihnen heraus- stellte und den zu überbrücken sich bald als hoffnungslos erwies. Er bezog sich auf das Verhältnis von Sozialismus und politischer Demokra- tie. Rodbertus hatte die Frage aufgeworfen, ob denn zur Lösung des sozialen Problems das allgemeine Stimmrecht eine unumgängliche Vor- aussetzung wäre. Er hatte daran erinnert, daß die blaue und nicht die rote Republik es in Frankreich verwirklicht, daß es die Junischlacht nicht verhindert und daß es auch unter Napoleon III. keineswegs die Staatsgewalt den Arbeitern ausgehefert habe. Freunde des allgemeinen Stimmrechts befänden sich auch in den Reihen der Fortschrittspartei; wäre es da praktisch, daß die neue soziale Partei ihr soziales Programm mit einer politischen Forderung belaste, durch die sie sich überdies alle deutschen Regierungen und alle sozialfortschrittlich, aber nicht demo- kratisch gesinnten Elemente zu Gegnern mache. ,,Ich bekenne offen," schrieb Rodbertus, ,,wie die Moral über das Recht geht, so gehen mir die sozialen Fragen über die politischen" und ,,so kann ich natürlich auch die Ansicht nicht teilen, die abermals die soziale Frage nur einer anderen politischen unterordnen will. Seien Sie also die soziale Partei, die Sie nun doch einmal sind, auch offen und unumwunden ! Keinen politischen Umweg! . . ."

In dem Verlangen des Theoretikers von Jagetzow, die soziale Frage gänzlich von der politischen abgetrennt zu sehen, ein Wunsch, der bei ihm bis zuletzt wiederkehrt, erblickte Karl Marx, der ihn weder kannte noch schätzte, ,,das sichere Anzeichen von Ministergelüsten". Doch wer in dem entwickeltsten Industrieland, am Brennpunkt aller kommerziellen und internationalen Bestrebungen seiner Zeit den Puls fühlt, vermag sich schwier hineinzuversetzen in einen einsamen Denker, der auf einem gottverlassenen pommerschen Gut inmitten einer ökonomisch und po- litisch rückständigen Welt seinen Gedankenfaden spinnt. Seitdem Rod- bertus frühzeitig die überragende Bedeutung der sozialen Frage und im Zusammenhang damit sein eigenes System ,,wie eine Erleuchtung" auf- gegangen war, traten die politischen Streitfragen ihm demgegenüber um so mehr in den Schatten, als diese innerhalb seines preußischen Ge- sichtsfeldes sich bestenfalls erst in einem entfernten Vorhof der sozialen Problemwelt abwickelten. Der elementare, der generelle und gar der dialektische Charakter der Klassengegensätze blieb ihm verborgen. Die theoretische Anal3-se der bestehenden ökonomischen Rechtsordnung hatte ihm die Überzeugung beigebracht, daß schon in der Gegenwart die Arbeiter mit Hilfe von nationalen Lohntaxen einen größeren Anteil an der steigenden Produktivität erhalten könnten. Und so ordnete sicli, wie wir schon bemerkten, sein politisches Interesse stark der Frage unter, wie sich am schnellsten eine Regierung fände, um jene Reform in An-

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griff zu nehmen, ohne deren rechtzeitige Durchführung das Proletariat der Totengräber der modernen Kultur werden müßte.

In Preußen gab es um die Zeit, als Rodbertus und IvassaUe sich über Ziel und Weg einer sozialen Propaganda zu verständigen suchten, zwei Mächte, die in ihr Blickfeld fallen konnten: die auf Heer und Bureau- kratie sich stützende Regierung und die große liberale Partei, die, wie Rodbertus es 1865 formulierte, für jedes einzelne Individuum bis an die Grenzen der gewöhnlichen Kriminalgesetzgebung die gänzlich unbe- schränkte Benutzung der ihm zufällig gehörenden Produktivmittel forderte. Bis Lassalle sein Panier erhob, konnte sich Rodbertus also lediglich die Frage stellen, ob er eher bei der preußischen Regierung oder bei der Fortschrittspartei für die große soziale Reform, an der sein Herz hing, Verständnis finden würde. Die Partei des extremen Individualismus, die dem Staat die Einmischung in die sozialen Verhältnisse verwehrte, mußte für ihn ausscheiden, aber auch bei der Regierung und den zu ihr stehenden Konservativen fand er keinerlei Verständnis für seine weit- reichende Ausdeutung der sozialen Zusammenhänge und die Forderungen, die sich für ihn daran knüpften.

Man muß sich dies vergegenwärtigt haben, will man ganz begreifen, mit welchem Glücksgefühl Rodbertus das Auftreten Lassalles begrüßen mußte, der mit seiner ungewöhnlichen agitatorischen Begabung die deutsche Mitwelt, ob sie sich auch anfangs sträubte, dazu zwang, daß sie die Arbeiterfrage in ihrem vollen geschichtsphilosophischen, ökono- mischen und sozialen Ausmaß mit ihm diskutierte. Darin erblickte Rod- bertus sogar Lassalles eigentliche Bedeutung für die Gegenwart, daß er ,,die ökonomischen Fragen wieder gehörig in Fluß brachte, so daß das ganze Volk ihnen wieder Aufmerksamkeit schenkte". ,,Denn daß die paar angestellten Professoren Notiz davon nehmen, bringt nicht vom Fleck." Rodbertus wünschte also Lassalle ,, dreimal Glückauf" zu seiner Agitation, redete von ihr anfangs als von ,, unserer Sache" und er- klärte ihm noch im Oktober 1863: ,,Es ist ein wahres Glück, daß Sie aufgestanden sind, um die arbeitenden Klassen aus den Stricken der Manchesterschule zu befreien, der das alte Wort auf der Stirne gebrannt steht: ,Quot mercatores tot traditores!' Sie allein machen die Nation wieder empfänglich für nationalökonomische Wahrheiten." Doch theo- retische Wahrheiten zu propagieren, konnte wohl eine kontemplative Natur wie Rodbertus, doch niemals einen Lassalle befriedigen. Ihn mußte es seltsam berühren, wenn der andere ihm schrieb: ,,Ich meinerseits be- trachte diese heutige Arbeiterbewegung vorläufig nur wie eine ungeheuere Lehrstunde für das Volk, in der wir durchaus pädagogisch verfahren müssen. Ihr persönliches Verdienst wird dabei nicht geringer werden, denn mit so viel Mut und so viel Geist ist selten eine Agitation ins Leben

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gerufen worden." Oder wenn es ein andermal hieß: ,,Aber, wie ich schon oJFt angedeutet, es scheint mir augenblicklich noch gar nicht darauf anzukommen, ob man das Richtige trifft, denn es wird noch viel Wasser bergab laufen, ehe praktisch vorgegangen werden wird. Die Hauptsache bleibt vorläufig, daß die öffentliche Aufmerksamkeit aus der freihänd- lerischen Verflachung aufgerissen und auf die Tiefen unserer Wissenschaft gelenkt wird, denn, wie ich schon vor Jahren prophezeit habe: der Nationalökonomie ist in der Umformungsarbeit des Staates für den Rest unseres Jahrhunderts die Rolle vorbehalten, die im vorigen Jahrhundert das Naturrecht und natürliche Staatsrecht gespielt haben. Und Ihr Verein, den gestiftet zu haben man Ihnen nicht hoch genug anrechnen kann, ist das notwendige KompeUe, diese Arbeit endlich wenigstens theoretisch in Angriff zu nehmen."

Rodbertus war nicht gerade einer von jenen sozialen Alchimisten, die mit ihren in der Einsamkeit ausgesonnen fertigen Rezepten quack- salbernd an die sozialen Probleme herantraten, er blieb sich, wie wir sahen, stets bewußt, daß ein halbes Jahrtausend vergehen könne, bis Grund- und Kapitalbesitz abgelöst wären ; trotzdem war aber doch auch er überzeugt, das Rezept wenigstens für die ,, Übergangsmaßregeln" in der Tasche zu haben, die dem Arbeiter schon in der Gegenwart Anteil an der steigenden Produktivität gewähren sollten. Obgleich er seit den Enttäuschungen der Revolutionszeit nur noch der Initiative von oben Vertrauen schenkte, verschlug es ihm nichts, ob die Verwirklichung seines Projekts unter einer demokratischen Regierung oder ,, unter der Ägide und nach der Norm des strahlenden suum cuique" erfolgen würde. Dieser Gesichtspunkt beherrschte ihn auch vorwiegend, wenn er der eigenen Zeit das politische Horoskop stellte. Dabei war er nun zu Er- gebnissen gelangt, die sehr weit abführten von den revolutionären Hoff- nungen, mit denen UassaUe gleich ^Marx und Engels damals den Gang der europäischen Entwicklung betrachtete. Erst diese Verschiedenheit in ihrer politischen Prognose erklärt vollständig die tieferen Motivationen, die bei ihrem in praktischer Hinsicht kardinalstem Gegensatz mitwirk- ten. Am g. Mai 1863 schrieb Rodbertus an Lassalle: , .Lassen Sie sich zu keinem politisch-revolutionären Wege fortreißen, sondern seien Sie wahrhaft eifersüchtig auf die Reinheit der sozialen Seite der Frage! Ich für meine Person habe lediglich diese im Auge, und nicht den ge- ringsten politischen Nebenzweck, wenn ich auch patriotisch genug bin, mich zu freuen, daß die Fortschrittspartei über Ihre Bestrebungen zer- bröckeln wird. Ich fürchte, Sie täuschen sich in der Signatur der Zeit, wenn Sie glauben, auf dem eben genannten Wege zum Ziele zu kommen. Sie ist dem Cäsarismus günstiger als irgendeiner anderen Form . . . Der Cäsarismus gehört auch zu den , Listen' Ihres Weltgeistes." Vier Tage

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später wiederholt er diesen Gedanken von neuem: ,,Sie täuschen sich in der Signatur der Zeit! Die revolutionären Kräfte Europas sind heute schwächer und zersplitteter als vor zehn Jahren und paralysieren sich deshalb gegenseitig. Und dies ist noch immer die Spalte gewesen, durch welche der Cäsarismus auf die Welt gekommen ..." Ungläubig und doch eine gewisse Bestürzung nicht verbergend, erwiderte lyassaUe: ,, Stünde die Signatura temporis wirklich auf Cäsarismus nun so wäre alles ver- loren für die Gegenwart. Wir sind genötigt, bei diesem letzten Versuch den alten Glauben festzuhalten. In einem Jahre werden wir uns zählen." Rodbertus aber fuhr fort, seine Hypothese, die ihm sein Studium der wirtschaftlichen Entwicklung unter dem römischen Kaiserreich eingab und sein Glaube an die Analogie im historischen lieben festigte, weiter auszubauen. Der Cäsarismus, den er im zeitgenössischen Frankreich am Werke sah, legte ihm die Frage nahe, ob dieser nicht ebenso wie in den Tagen des Augustus die Übergangsperiode zu einer neuen Staatenord- nung einleite. Dann aber war es ein völlig vergeblicher Versuch, wenn Lassalle ,,die soziale Frage auf gewalttätigem, revolutionärem Wege ihrer lyösung näher bringen" wollte. Mache sich diese Lösung nicht im Frieden, aus allgemeiner Überzeugung, im Konsens mit den übrigen Klassen, so werde sie sich, unkte Rodbertus, langsam unter der eisernen Hand des Cäsarismus vorbereiten. Die ersten Ansätze zu den modernen Grund- und Kapitaleigentumsstaaten, die die antiken Menscheneigen- tumsstaaten ablösten, hätten ebenfalls im römischen Niederreich ge- keimt: ,, Augenscheinlich beginnen sich auch die Grund- und Kapital- eigentumsstaaten auszuleben und in der Tiefe des Menschengeistes gärt es nach einer abermaligen neuen Staatenordnung mit abermals verbesser- ten Eigentumsverhältnissen. Liegt der Gedanke so fern, daß sich auch abermals ein cäsarisches Zwischenreich einschieben könnte, in dessen Stille sich die ersten neuen Bildungsansätze machten? Auch die Um- bildung des sozialen Lebens braucht so viele Zeit als die Darwinsche Entstehung der Arten und auch die Geschichte hat gleich der Schöpfung ihre Sedimentärschichten und diluvialen Perioden."

Vielleicht am nachdrücklichsten tritt diese pessimistische Ausdeu- tung der Signatura temporis, die Rodbertus am Ende davon abhielt, auch nur den ,, rechten Flügel" der Lassalleschen Partei zu bilden, in die Erscheinmig, als er am 2. Januar 1864 zum letztenmal darauf zu sprechen kam. ,,Weil er sich so viel in politische Fragen mischte," schien der All- gemeine Deutsche Arbeiterverein sich ihm auf einer falschen Fährte zu befinden. Und wieder ritt er sein altes Steckenpferd, indem er ausführte: ,,Sie würden nach meiner Überzeugung viel stärker werden, wenn Sie ohne Ansehen der Reaktion wie der Revolution die soziale Frage für sich behandelten. Die Chartistenbewegung in England Ende der zwanziger

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und Anfang der dreißiger Jahre sollte Ihnen das klar machen. Wenn ich niir aber jetzt den Kampf der Parteien überlege und wie Sie die soziale Frage in Deutschland angefaßt haben, so befestigt sich immer mehr die Meinung in mir, daß der Cäsarisnms Ihrer Lösung näher steht als die Republik."

Bis zu seinem Tode blieb Rodbertus der Ansicht treu, daß ,,sich im Trubel der Revolution die soziale Frage nicht lösen ließe". Ohne ur- sprüngliche Teilnahme für poHtische Machtfragen pendelte er nach Ivassalles frühem Ausscheiden zwischen Regierung und Allgemeinem Deutschen Arbeiter\^erein, zwischen Hermann Wagener und Hasen- clever hin und her. In des Kanzlers Verhalten zur sozialen Frage ent- deckte er bald ,,den russischen Feldzug für Bismarcks Ruhm", den ,, ersten Schritt zum Niedergang des neudeutschen Reiches", bald wieder Ansätze, die auf seine Ziele hinführten. Er kam von der Illusion nicht los, daß die soziale Frage ,,aus der Sphäre der bloßen Machtfragen hervor- gezogen" werden könne: ,,Wenn der Staat nicht die soziale Providenz sein soll," gestand er in einer galligen Stunde einmal seinem Eckermann Rudolf Meyer, ,,kann er mir gestohlen werden." Doch beschwichtigend fügte er gleich hinzu: ,,Ich meine natürlich den Staat, wie er sein soll."

I^assaUe begriff die soziale Frage zu jeder Stunde als ein Kampf- und Machtproblem. In eine reinliche Scheidung zwischen politischer und so- zialer Zielsetzung konnte er niemals willigen. ,,In der Tat," antwortete er Rodbertus, der ihn immer wieder versuchte, ,,ist beides sich gegen- seitig notwendig bedingend wie Form und Inhalt und nur durch diese Einheit ist es ein Lebendiges und Machtvolles". Nun glaubte freilich auch Rodbertus nicht, wie heute mancher Anhänger der ,, Dreiteilung", daß Verwirklichung des Sozialismus und Demokratisierung gar nichts miteinander zu tun hätten. ,, Schließlich gehören beide zusammen", ge- stand sein Brief vom 13. April, ,, aber nicht in der Agitation." Daß der Arbeiter nur für allgemeines Stimmrecht sein könne, räumte er ein. ,,Aber," meinte er, ,, lassen wir doch das Selbstverständliche selbstver- ständlich sein." Einem Politiker wie Lassalle, dessen ganzes Denken um das Problem der IMacht kreiste, konnte es nicht genügen, einen Propa- gandaverein ins Leben zu rufen. So rief er dem bremsenden Theoretiker zu: ,,Ohne das allgemeine Wahlrecht, also ein praktische Handhabe, unsere Forderungen zu verwirklichen, können wir sein eine philoso- phische Schule oder auch eine religiöse Sekte, aber niemals eine politische Partei." Die sozialen Forderungen ohne allgemeines Stimmrecht nannte er verächtlich eine Axt ohne Stiel! Lassalles Taktik in seiner letzten Zeit bewies Rodbertus, daß selbst er unter dem Druck der Verhältnisse sich bereit gefunden hätte, mit dem Cäsarismus zu transigiereu. Doch niemals würde er sich ihm anvertraut haben. Selbst wenn er sich scheinbar

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ihm anschmiegte, nahm er sich vor, die Natter zu bleiben, die ihm zur geeignetsten Stunde in die Brust biß. Ihm kam es nur daravrf an, ,,wer am längsten mit dem Teufel Kirschen essen konnte". Dies aber war eine Frage, deren endgültige Beantwortung selbst Rodbertus, der die soziale Mission der IMonarchie verkündete, so oft er sich über die Unterlassungssünden des preußisch-deutschen Kaiserreichs illusionslos Rechenschaft gab, der Zukunft überantwortete. Er war ein zu strenger Denker, als daß er so bequem wie die Kathedersozialisten, diese ,, Zucker- wassersozialisten", über deren ,,Pflästerchen und Tränkchen" er spottete, dem Rattenfänger in Kürassierstiefeln ins Garn gehen konnte. Doch er war auch wieder politisch zu farbenblind, um nach wie vor 1871 be- greifen zu können, weshalb die Sozialdemokratie ihm nicht den Gefallen tat, sich ,,auf das Ökonomische zu beschränken"

Eine Betrachtung, die nur das Verhältnis der beiden großen Staats- soziaHsten zu der politischen und sozialen Lage, die Lassalles Agitation vorfand, umschreiben will, kann unmöglich ihre Geschichtsauffassung oder ihre Staatstheorie auf ihren geistesgeschichtlichen Ursprtmg hin untersuchen. Wohl aber gehörte es zu einer Verständigung über ein ge- meinsames Programm und diesem Ziel sollte ihr Gedankenaustausch dienen , daß sie sich über die deutsche Frage und über die interna- tionale Politik, soweit sie mit dieser in Zusammenhang stand, aussprachen.

Als sich 1859 beim italienischen Kriege überall in Deutschland die Geister heftig schieden, da hatten Lassalle und Rodbertus, ohne daß sie dabei sehr aufeinander achteten, in entgegengesetzten Lagern ge- standen. Lassalle wollte damals bekanntlich Österreichs Verlegenheit ausgenutzt sehen, damit der Kampf um die Führung Deutschlands zum Austrag gebracht würde. Rodbertus blickte auf die Gefahren, die Ge- samtdeutschland von Westen drohten. Aber diese verschiedene Ein- stellung zum österreichischen Problem war doch mehr ein Gegensatz hinsichtlich der momentanen Taktik als des politischen Zieles gewesen. Beide waren sie großdeutsch gesinnt und als sie 1863 hierüber zu korre- spondieren begannen, begegneten sie sich in der Ablehnung der klein- deutschen Politik des Nationalvereins und der Fortschrittspartei. So- bald sie nun aber einander fragten, wie sie sich das Großdeutschland, das sie erstrebten, organisiert dächten, stießen sie alsbald wieder auf den ele- mentaren Gegensatz, der ihre Naturen schied. Lassalle war stets zen- tralistischer Republikaner wie Marx und wie Engels. Nun räumte ihm Rodbertus zwar ohne weiteres ein, daß ein Föderativstaat ,,noch gar kein ordentlicher Staat" sei, denn zu diesem gehöre eine Zentralisation in Recht, Wirtschaft und selbst in Dingen der wissenschaftlichen Kultur. Doch für die Gegenwart sah er darin hatte er wohl Recht ,,nach den vorhandenen sozialen und politischen Lebensbedingungen keine andere

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mögliche Form für den deutschen Staat als die Föderativform". Nur eine Revolution hätte damals den Zentralismus bringen können. Auch ihr räumte Rodbertus in seiner Geschichtsauffassung ihren Platz ein, er glaubte an ihre Rolle, ,,wenn der allmählich wirkende geschichtliche Schöpfungstrieb zu erlahmen beginnt". Jedoch ,,die erfolgreiche An- wendung" dieser Kraft hing in seinen Augen ,,von notwendigen Be- dingungen" ab, die, wie er erkannte, in seinen Tagen nicht gegeben waren. ^)

Während Rodbertus' Briefe an Lassalle hier zum erstenmal auf- tauchen, sind Lassalles Briefe an Rodbertus schon 1878 von Adolf Wagner veröffentlicht worden. Der schmale Band, den der gelehrte Theoretiker mit einer auch den übrigen Nachlaß von Rodbertus be- nutzenden Einleitung versah, ist seit lange vergriffen. Aber auch ohne- dies wäre er wissenschaftlich erwünscht gewesen, dem so überaus instruk- tiven Gedankenaustausch der beiden bedeutendsten deutschen Vor- kämpfer des Staatssozialismus, deren gegensätzliche Einstellung diese Einleitung zu skizzieren suchte, seinen ursprünglichen dialektischen Charakter zurückzugeben. Und wir hielten es für Beschränktheit, wollte man von uns auf einem Stoffgebiet, dem in der Gegenwart für ein breiteres PubHkum noch unmittelbares aktuelles Interesse innewohnt, die An- wendung publizistischer ]Methoden fordern, die für Quellen Veröffent- lichungen aus entfernteren Epochen angemessen sein mögen. leider ist es dem Herausgeber nicht geglückt, obgleich der Versuch unternommen wurde, den Verbleib von Rodbertus' wissenschaftlichem Nachlaß fest- zustellen. So fehlte ihm die Möglichkeit, die Originale von LassaUes Briefen für diese Publikation mit den früheren Abdrucken zu vergleichen und etwaige Ungenauigkeiten zu verbessern. Nur für einen der Briefe bot sich die Gelegenheit, weil sich im Nachlaß Lassalles eine Kopie vor- fand. Für alle Einzelheiten sei auf die Anmerkungen unter dem Text verwiesen.

I. LASSALLE AN RODBERTUS. (Abdruck.)

Berlin, 25. Dezember 1862. Bellevuestraße 13. Geehrter Herr!

Die freundlichen Grüße, die Sie mir durch Bucher 2) haben zukom- men lassen, herzlichst erwidernd, erlaube ich mir Ihnen meinen soeben die Presse verlassenden zweiten Vortrag über Verfassungswesen (,,Was

^) Bis hierher wurde die vorstehende Einführung schon 1924 in der von Rudolf Hilferding herausgegebenen Zeitschrift ,,Die Gesellschaft" veröflenÜicht.

-) Lothar Bücher. Für Las^alles P ^/ielmngen zu Bucher vgl. Bd. V, Kiu- führung, S. 10 ff.

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nun?") einzusenden, obwohl derselbe von Druckfehlern so arg entstellt ist, daß mir dies fast eine Überwindung auferlegt. Ich füge eine not- wendige Grundlage den ersten Vortrag über Verfassungswesen i) und zwei andere im Laufe dieses Jahres veröffentlichte Schriftchen hinzu, von denen der Vortrag an die Arbeiter (,, Arbeiter-Programm") Sie viel- leicht einigermaßen näher interessiert.

Immerhin würde die Sendung zu unbedeutend sein, um sie zum Gegenstand einer direkt an Sie gerichteten Überreichung zu machen, und so erlaube ich mir denn mein ,, System der erworbenen Rechte" anzu- reihen. Ich schicke Ihnen dasselbe hauptsächlich wegen des § 7 des ersten Bandes. Sie, wenn Sie diesen Paragraphen lesen, werden wissen, was damit erreicht und gegeben ist!

Genehmigen Sie die Versicherung meiner vorzüglichsten Hochachtung, mit der ich die Ehre habe zu zeichnen

Ihr

ergebenster

F. Lassalle. 2. RODBERTUS AN LASSALLE. (Original.)

Jagetzovv, S./g. Februar 1863. Geehrter Herr!

Ich wollte Ihnen nicht eher für die Zusendung Ihrer Schriften danken, als bis ich sie wenigstens zum Teil gelesen. Dies ist jetzt mit dem größten Interesse geschehen, und mein Dank ist kein bloß konventioneller mehr.

Was Ihren Arbeitervortrag betrifft, so hätte ich seine Verurteilung für absolut unmöglich gehalten. 2) Daß es geschehen, ist der frappanteste Beweis für die tiefe Wichtigkeit seines Inhaltes. Aber in der National- ökonomie führen heute Ungeschultheit, Beschränktheit oder Eigennutz das Wort.

Mit Ihrem ,, System der erworbenen Rechte" trage ich mich, seit ich es, nach einer längeren Abwesenheit von Hause, hier vorfand. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Ihre Arbeit em außerordentlicher Schritt vorwärts ist. Sie müssen mir aber doch einige Bedenken erlauben, die ich des Briefraumes wegen nur lose aneinanderreihen kann, deren Zusammenhang Sie aber sofort erkennen werden.

I. Folgende drei Gesetze: a) Lehen sollen nicht mehr errichtet wer- den, b) die Lehen sind aufgehoben, c) die Lehen sollen seit zehn Jahren

^) Über Verfassungswesen. Ein Vortrag, gehalten in einem Berliner Bürger- Bezirks- Verein Berlin 1862.

■-) Lassalle war bekanntUcli Mitte Januar ,, wegen Gefährdung des öffentlichen Friedens durch Anreizung der Staatsbürger zu Haß und Verachtung gegeneinander" zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden.

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aufgehoben sein, würden sich in bezug auf Rückwirkung sehr unter- scheiden. Bei a) kann von Rückwirkung absolut nicht die Rede sein, bei c) kann sie nicht zweifelhaft sein, wie aber bei b)? Offenbar sind b) und c) wesentlich verschieden, b) trifft zwar ein aus der Vergangen- heit datierendes Rechtsverhältnis, disponiert aber doch nur für die Zukunft; c) disponiert aber zugleich in die Vergangenheit hinein. Dem Fall c) analog ist der Straf rechtsfall, mit dem vSie Ihre Ausführung § i beginnen. Es wird eine bisher straflose Handlung in die Vergangenheit hinein straffällig gemacht, wie bei c) ein bisher zu Recht bestehendes Verhältnis in die Vergangenheit hinein rechtlich vernichtet wird. Dem Fall b) analog würde sein, wenn ein neues Pachtrecht auf die noch nicht abgelaufenen Jahre der bisherigen Pachtverträge angewendet werden sollte. Diese drei Kategorien werden auch im römischen Recht wörtlich unterschieden z. B. in der von Ihnen I, S. 284 angeführten Stelle, welche die lex commissoria aufhebt. Diese Aufhebung bezieht sich nicht bloß auf die künftigen Pfandverträge (,,futura"), auch nicht bloß auf die nach der lex commissoria schon abgeschlossenen, noch laufenden, bei denen der Termin noch nicht eingetreten war (,,praesentia"), sondern auch auf die, welche bereits abgelaufen waren und wo das Eigentum schon übergegangen war (,,cum praeteritis"), denn der Kaiser will selbst das ganze Andenken der lex commissoria vertilgen (omnem ejus memoriam abolere), und dehnt deshalb auch mit dem ,,igitur" des Nachsatzes die Aufhebung auf die praesentia und selbst praeterita aus. Ebenso werden diese drei Kategorien loco citato 1,14, wo die praesentia nur pendentia heißen, unterschieden.

Man sollte nun meinen, daß, wie es unzweifelhaft ist, daß der Gesetz- geber unbeschränkt über die Kategorie a) gebieten dürfe, ihm ebenso ausnahmslos die Kategorie c) verwehrt sei, denn er wagt sich hier ge- wissermaßen an etwas, was auf einem anderen Gebiet geradezu eine physische Unmöglichkeit sein würde. Er will Geschehenes oder Soge- schehenes ungeschehen oder andersgeschehen machen, z. B. eine früher straflose Handlung in die Vergangenheit hinein strafbar machen, oder ein früher zu Recht bestandenes Verhältnis in die Vergangenheit hinein nicht zu Recht bestanden machen, ein Unternehmen, das man auf dem sozialen Gebiet eine moralische Unmöglichkeit sollte nennen dürfen, wie es, analog, auf dem Gebiet natürlicher Ereignisse in der Tat zu einer physischen werden würde. IMan sollte auch zweitens meinen, daß, wenn man den Begriff der Rückwirkung aus c) schöpfte, er kaum auf b) anwendbar sein könne. Dennoch wäre beides unrichtig. Man wird den Begriff der Rückwirkung auch auf Fälle aus b) anwenden, wie auch Sie beim Pachtrecht tun; und der Gesetzgeber wird sich mitunter nicht ent- halten können, auch in c) überzugreifen. Dies geschieht z. B. in dem

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Gesetz über Aufhebung der lex commissoria. Ja in der zweitan- geführten Stelle wahrt sich der Gesetzgeber sogar im Prinzip das Recht, sowohl in c) wie in b) einzugreifen, und behandelt hier beide Kategorien gleich, indem er sagt, wenn in die praeterita und pendentia eingegriffen werden solle, müsse dies nur ausdrücklich (nominatim) im Gesetz aus- gesprochen sein.

Man darf auch nicht glauben, daß dergleichen nur im Altertum vor- kommen konnte. Freilich beruhte dessen soziales Leben nicht gerade Asiens, wenn sich der Geist des Altertums noch heute in Asien wieder- findet, so liegt dies daran, daß das heutige Asien nur aus fossilen Ge- schichtsresten des Altertums besteht ; es läßt sich auch streng nachweisen, wie gerade das Altertum zu diesem Geist kommen mußte freilich, sage ich, beruhte das soziale Ivcben des Altertums auf der Idee der Omnipotenz des Staates, der gegenüber das Individuum unberechtigt war, und nur auf seiner, des antiken Lebens, höheren und letzten Stufe, in derjenigen Staatengattung, die ich die Polis nenne, zu der die grie- chischen Staaten und Rom gehörten, läßt der Staat aus dem Gesichts- punkt der Billigkeit und Gerechtigkeit (nicht des subjektiven, fordernden Rechts des Individuums, das damals noch in niemand zum Bewußtsein gekommen war) den einzelnen eine individuelle Berücksich- tigung, auch sich selbst gegenüber, angedeihen. Roms so fein aus- gebildetes Zivilrecht gilt nur für den Privatverkehr, da, unter und gegeneinander, ist das subjektive, fordernde Recht der Individuen allerdings scharf ausgeprägt, dem Staat gegenüber schlechterdings noch nicht, es sind, wie gesagt, nur Rücksichten der Billigkeit, die dieser, wo er selbst ins Spiel kommt, den Individuen gegenüber übt. Darum sind auch nur in jenem zivilrechtlichen Sinn die klassischen Juristen ,, Virtuosen", in dem, was wir Grundrechte nennen, sind sie Stümper. Daß das individuelle Recht dem Staat gegenüber in den Vordergrund tritt, geschieht erst mit der germanischen Zeit. Hier aber auch ur- sprünglich dermaßen, daß alles ,, erworbenes Recht" ist, der ganze Staat aus solchem Recht besteht, so daß dieser plötzlich, statt im Besitz der alten Omnipotenz zu sein, zu vollständiger Impotenz verdammt ist. Nun geht die entgegengesetzte Entwicklung wie in Rom vor. Während der omnipotente Staat es hier, auf der letzten Stufe des antiken Staates, zu einer individuellen Rechtsberücksichtigung bringt, bringt es der impo- tente Staat auf den höheren Stufen des germanischen Staates in der bürokratischen Monarchie und dem Repräsentativstaat wieder zu einer staatlichen Rechtspotenz. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, daß wir auf dem alten Fleck stehen die Rechtserweiterung und Rechtsbefestigung, welche die moderne Rechtsidee auszeichnen, konnte nur mit dem germanischen Ausgangspunkt der Entwicklung

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gegeben sein. Aber, beiläufig gesagt, können Sie deshalb gar nicht Ihre Theorie in der Pandektentheorie wiederfinden. Denn die klassi- schen Juristen, die immer noch im Geiste des Altertums wurzeln, und Sie, der Sie dem der Neuzeit angehören, gehen eben von den beiden ent- gegengesetzten Polen des Rechts aus, und wenn Sie dennoch bei den konkreten Fällen Ihre Entscheidungen in den Pandekten wiederfinden, geschieht dies nur, weil Sie beide, zu dem anderen Pol vordringend, sich ungefähr auf derselben Stelle des Weges begegnen. Aber Ulpian würde, bei theoretischer Behandlung dieser Materie, niemals sein Buch ,, System der erworbenen Rechte" genannt haben, wie Sie charakteristischer- weise tun und im Anschlüsse an den modernen Geist müssen, sondern „von der Billigkeit und Gerechtigkeit der Gesetze in bezug auf die futura, praesentia und praeterita".

Obwohl also das germanische Staatsleben das subjektive Recht des Individuums in den Vordergrund stellt, kommen doch auch in der neueren Zeit Eingriffe des Staates in die Kategorie c) vor. Sie führen aus der französischen Revolution selbst einige Beispiele an. Noch merk- würdiger war das Verfahren der französischen Regierung zur Zeit der Regentschaft, als durch das Lawsche^) System eine allgemeine Ver- mögensumwälzung bewirkt war und unter dem Beifall von ganz Frankreich diese möglichst redressiert wurde, indem man den Ge- winnern nachträglich den Gewinn wieder abnahm. Ein neueres Beispiel liefert das ultrakonservative Mecklenburg. Hier hatte das ,, Bauern- legen" bis in unsere Zeit hinein zu Recht bestanden, aber mehrere Jahre nach den Befreiungskriegen ward das Gesetz erlassen, die seit 1804, wenn ich nicht irre, gelegten Bauern sollten wieder aufgerichtet werden.

Man darf, glaube ich auch, nicht immer bei solchen Rückgriffen des Staates in die Kategorie c) von Gewalttat sprechen. Vielmehr wird das natürliche Billigkeitsgefühl ihnen mitunter zustimmen, obwohl doch dabei der individuelle WiUen denaturiert worden. Nehmen Sie z. B. das die lex commissoria aufhebende Gesetz! Wie verderblich im Alter- tum, wo Grund- und Kapitaleigentum noch ungeschieden in einer Hand zusammenfielen und die Arbeiter persönlich zum Kapital gehörten, der Wucher wirkte, ist bekannt. In ihm steckte damals die soziale Frage, während sie heute im Arbeitslohn steckt und Wuchergesetze Anachro- nismen sind. Seit Konstantin dem Großen war nun das reformierte Steuersystem, das in der jugatio den Boden, in der capitatio Vieh und Sklaven (Savigny ist hier ganz falsch) und in der LustralcoUation jeg- lichen Handelsgewinn belastete, aufs äußerste angespannt. Kommt

1) Der bekannte aus Schottland gebürtige Finanzoperateur John Law (1071 bis 1729), der durch neuartige, aber gewagte und am Ende erfolglose Unterneh- mungen die französischen Staatsfinanzcn zu sanieren versuchte. Siehe oben S. 106.

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hinzu die damalige Not der Zeit die Aufhebung erfolgt unter den Söhnen Konstantins so mußte die lex commissoria höchst verderb- lich wirken und namentlich die Bemühungen der Kaiser, aus dem Ve- teranenstand einen neuen freien Bauernstand zu schaffen, paralysieren. Wahrscheinlich war damals schon wieder vernichtet, was Konstantin der Große in dieser Beziehung gegründet, und daher die gebotene Rück- wirkung. Mein Gefühl gibt hier dem Gesetzgeber nicht Unrecht die Wucherer bekamen wieder, was sie gegeben und in solchen Fällen bin ich daher immer geneigt, an eine lyücke in der Theorie zu glauben. Solche Rückwirkungen lassen sich auch rechtlich begründen. Der Staat wird in solchen Fällen ein Unrecht gutzumachen haben. In dem vorHegenden Fall der lex commissoria war es eine Unterlassungssünde; er hatte seine Schuldigkeit nicht zu rechter Zeit getan. Stände der Staat als ein fremdes Subjekt den Individuen gegenüber, so würde er diese seine Schuld auch selbst und allein zu tragen haben ; und dies wird auch in den Fällen geschehen müssen, wo er als Fiskus auftritt als ein bloßes Privat Vermögenssubjekt anderen solchen Subjekten gegenüber. Aber in seiner eigentlichen Bedeutung ist der Staat doch gerade etwas anderes. Er ist der Inbegriff der Individuen selbst, er gipfelt diese zu einer höheren Person in sich selbst. Er würde also dem sozialen lieben, das er ein- schließt, zum zweiten Male schaden, wenn er sein erstes Unrecht nicht bis auf dessen Spuren vertilgte, wie auch Konstantin will. Wenn ein einzelner ein unsittliches Versprechen gibt, so wird man nicht verlangen können, daß er sein Wort hält. Ein Staat ist aber ein Organismus, der nicht bloß nach außen, sondern durch und durch frei ist, der nicht, wie die physischen, lebendigen Körper in seinen Organen und Elemen- tarteüen naturnotwendig, sondern ebenfalls sittlich frei verbunden und gegliedert ist. Ein »Staat verspricht daher nicht allein nach außen, auch die Gesetze, durch welche er seinen inneren Zusammenhang regelt, sind Versprechungen an die freien Elementarteile, die ihn bilden, die Men- schen ; Versprechungen, wie er es mit deren freier Aktion gehalten haben wolle. Hat er sich hier rechtlich dergestalt geirrt und die Sittlich- keit des Staates ist das Recht daß die Folgen des Irrtums zum recht- lichen Verderben seiner Teile selbst ausschlagen, so hat er sogar die Ver- pflichtung, diesen Irrtum zu redressieren. Freilich, je mehr man in die germanische Rechtsauffassung zurückgeht, nach welcher der Staat nur ein durch die Person des Fürsten repräsentierter, höher berechtigter Privatmann ist, desto unbegreiflicher wird eine solche vermeintliche Staatswillkür sein. Dringt dann nach und nach durch diese Auffassung der Staatsbegriff als der eines Öffentlichen und Allgemeinen, so wird man sich, zuerst freilich mit großer Vorsicht und unter genau gestellten Bedingungen, an die praesentia wagen können. Je mehr aber endlich

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die organische Staatsidee, deren Lehre heute kaum erst in ihren Rudimenten liegt, sich herausringen wird, eine desto größere und vollere Freiheit, selbst in bezug auf die praeterita, wird man dem Staat vindi- zieren, natürlich innerhalb ,, sittlicher" Grenzen, auf die dann gerade um so mehr Gewicht gelegt werden wird und in welche nament- lich auch die sogenannte Entschädigungsfrage fallen dürfte.

Und doch und hiermit schließe ich Nr. i welche individuelle Willensdenaturierung dabei, der Sie durch Ihren Vorbehalt § 7 nicht werden begegnen können!

2. Sie leiten das Recht aus dem gemeinsamen Bewußtsein des Volkes, an einer anderen Stelle aus der Gemeinschaft seines Willens, was letzteres auch gewiß richtig aber sehr unterschieden von ersterem ist, da nach meiner Ansicht die Bemerkung Hegels, Teil I S. 57^) gründ- lich falsch ist. Darauf kommt es hier aber nicht an. Es ist unzweifelhaft, daß die rechtliche Sanktion, das was einem Rechtsverhältnis erst seine rechtliche Natur verleiht, aus jener Gemeinschaft quillt. Die Hand- lung des Individuums, wo sie ins Spiel kommt, gibt ihm nur seinen Leib. Darauf beruht auch Ihre Ausführung § 7. Wenn aber dem so ist, ist es nicht ein Widerspruch, doch, wie Sie § i woUen, in dem indivi- duellen Willen die letzte und höchste Rechtsschranke für die Willensgemeinschaft zu erblicken? Ich glaube, vor einer folgerichtigen und erschöpfenden letzten Deduktion aus dem Prinzip der Willens- gemeinschaft kann ein aus dem individualen Willen geschöpftes Rechtsprinzip nicht mehr bestehen, vielmehr muß die rechtHche Be- grenzung, die dem Staatswillen unzweifelhaft dem Individuum gegen- über (auch in der vorliegenden Frage) zukommt, auch in der Willens- gemeinschaft selbst gefunden werden. Sie basieren sonst Ihre Theorie auf zwei Prinzipien, was vSie selbst an einigen Stellen Ihres Werkes ver- werflich finden.

3. Sie führen § 7 die Rechtspotenz des Staates auf einen Unterschied von absolut und relativ prohibierenden Gesetzen zurück, je nachdem das Volksbewußtsein das betreffende Recht total oder nur in der einen Form zurückweist. Dieser Unterschied hat, nach Ihnen, Einfluß auf die Entschädigung, die danach im Grunde keine sein soll. Ich lasse auch dies dahingestellt. Aber woran erkenne ich, ob die Prohibition eine totale ist? Hier ist eine doppelte Schwierigkeit. Einmal die, die in die Frage Autorität oder Majorität hineinspielt, und dann noch weiter in die bloße Majoritätsfrage. Ich bin z. B. zweifelhaft, ob die Majorität des preußischen Volkes das Jagdrecht ebenfalls ohne Entschädigung auf- gehoben haben würde? 2) Aber setzen Sie sogar Einstimmigkeit des

1) Hinweis auf Hegel, Philosophie des Rechts, Berlin 1833, S. 34.

2) Für Preußen geschah dies durch das Gesetz vom 31. Oktober 1S4S.

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Volkes voraus, dann ist die zweite, noch größere Schwierigkeit die: ist damit nicht Recht und Gerechtigkeit bloßes subjektives Emp- finden des Staates geworden? Ich sage, des historischen Individuums, das hier Staat heißt. Der einzelne Mensch, dies physische Individuum, darf sein subjektives Empfinden niemals als sein Sittengesetz hinstellen. Dieses ist für ihn ein Objektives, von außen ihm Zugekommenes, meist Anerzogenes, genug, eine über ihm stehende Regel, mit der sein Inneres bestenfalls fest verwachsen ist. Sollte es nicht mit einer Nation oder einem Staat dieselbe Bewandtnis haben? Sollte nicht auch für ihn Recht und Gerechtigkeit aus einer aufzufindenden objektiven Regel zu ent- nehmen sein, nach der, auch wo Einstimmigkeit des Volkes eine totale Prohibition ausspräche, doch das Urteil ausfallen könnte : der Staat hat sich geirrt! Wie oft ist dies in der Geschichte von ganzen Nationen und Staaten geschehen ! Ich bin hiervon innig überzeugt und erlaube mir daher den Vorwurf, daß Sie über diese höchste und heiligste ich möchte sagen heimlichste Frage der Materie doch im Grunde nur den Sieg der Partei entscheiden lassen.

Damit wären meine allgemeinen Bedenken in Kürze zu Ende. Wie gesagt, es ist unleugbar, daß erst Ihr Werk aUe Schwierigkeiten der Frage herausgekehrt und damit der Wissenschaft den größten Dienst geleistet hat. Aber ich glaube nicht, daß selbst Sie schon das letzte Wort darin gesprochen. Ich möchte sogar behaupten, daß dies erst wird ge- schehen können, wenn wir eine ,, allgemeine vergleichende Physiologie des sozialen Lebens" besitzen, d. h. wenn wir erst in der Geschichte eine analoge aufsteigende Stufenreihe sozialer Lebenswesen begriffen haben werden, wie die Natur in der Stufenreihe von der Zelle bis zum Menschen von physischen Wesen darstellt; wenn wir dann gleichfalls erst den Bau und die Lebenstätigkeit dieser sozialen Wesen jeder Stufe ebenso gründlich studiert haben werden wie heute die des Stufenlebens der Natur ; wenn wir endlich infolge solcher Betrachtung der verschiede- nen Schemata oder Tj-pen, nach denen die Geschichte ihre Geschöpfe (Völker und Staaten) bildet, auch das die soziale Stufenfolge beherr- schende Entwicklungsgesetz erkannt haben werden. i) Erst dann wer- den wir dem Staat einen Kanon in die Hand geben können, nach dem er sich selbst frei und bewußt weiter zu entwickeln vermag, ohne sich bald rechts, bald links den Kopf einzurennen und immer nur durch eine höhere Geschichtsnotwendigkeit wieder in den eigentlichen 2) Bahnlauf gestoßen zu werden und erst in diesem- Kanon wird auch die Frage über ,, Rückwirkung der Gesetze" ihre genügende Lösung finden

1) Vgl. hierzu Rodbertus, Zur Geschichte der römischen Tributsteuem seit Augustus in Jahrbücher für Nationalökonomie, Bd. IV (1865), S. 350.

2) Dies Wort ließ sich nicht mit Sicherheit entziffern.

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können. Aber wie viele ungelöste wissenschaftliche Voraussetzungen gehören noch zu dieser Erkenntnis! Wie \'iel Grundanschauungen, die uns heute noch beherrschen, müssen wir dazu noch erst umdenken! Gelegentlich eines ähnhchen Themas begegneten Bucher und ich uns einmal in dem Gedanken, daß wir ein novum novum Organum bedürf- ten. In der Tat: für die sozialen Wissenschaften ist noch kein Bacon da- gewesen.^) Hier treiben wir immer noch Alchimie und Astrologie, statt Chemie und Astronomie; wir ziehen in den betreffenden Materien die Regeln nicht aus den geschichtlichen Vorgängen, sondern aus phan- tastischen Vorstellungen ab, ja, wir besitzen noch nicht einmal das ,, Organ", aus den geschichtlichen Vorgängen solche Regeln richtig zu abstrahieren. Naturwissenschaftliche Methode!! Mit welchem Ausruf ich bei Ihnen nicht in Gefahr komme, mit unseren heutigen na- tionalökonomischen Marktschreiern verwechselt zu werden, welche die sozialen Gesetze mit den natürlichen verwechseln.

Von ganz besonderem Interesse, weil sie mir aus der Seele geschrieben, sind mir die beiden Anmerkungen I, S. 70 und 259 ff.

Was die erstere betrifft, so werden Sie damit nicht sagen wollen, daß man nicht ebensogut auch in den sozialen Wissenschaften, den Staat und das Eigentum sollte behandeln können, als wie man in den Natur- wissenschaften doch jedenfalls das Tier und z. B. die Wirbelsäule be- handeln kann. Aber freilich, man kann das Tier nicht eingehend be- handeln, ohne dabei in die verschiedenen Tier-Ordnungen, Klassen und Arten oder in die verschiedenen Stufen des animalen Lebens einzu- gehen; ebenso nicht die Wirbelsäule, wenn man sie nicht an den Fischen, Reptilien, Vögeln und Säugetieren vornimmt. Ganz ebenso ist es aber auch nur mit der Behandlung des Staats und des Eigentums, nur daß in der Geschichte die Stufen des staatlichen Lebens nacheinander fallen, während in der Natur die des tierischen nebeneinander liegen. Das macht aber für die Behandlung keinen wesentlichen Unterschied. So wird man allerdings auch den Staat behandeln können, aber ebenfalls nur an den aufeinanderfolgenden Staaten-Ordnungen und Arten : also an dem heidnisch-antiken Staat und dann dem christlich-germanischen Staat, und dort wieder an dessen besonderen Arten, der Theokratie (wo der erste König auch der erste Gott selbst war), dem Kastenstaat, der satrapischen Despotie, der Polis, und hier ebenfalls an dessen ver- schiedenen Arten, dem kirchlichen Staat, dem Ständestaat, der büro- kratischen Monarchie, dem Repräsentativstaat, in dessen Wehen wir heute liegen. Daß diese Unterarten des christlich-germanischen Staates

^) Anspielung auf des großen englischen Philosophen Francis Bacon of V^erulam (1561 1626) unter diesem Titel zuerst 1620 in London erscliienenes Werk: Novum Organum.

Mayer, Lassallc-NachUss. VI ->r>

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von denselben Nationen aus sich [sie!] entwickelt worden und deshalb ineinander zu verschwimmen scheinen, während die des heidnisch- antiken verschiedene nationale Träger gehabt, macht dabei nichts aus. Nur in einem stehen wir bei solcher Behandlungsweise des geschicht- lichen Lebens gegen die gleiche des physischen zurück: Die physische Entwicklungskette liegt mit dem Menschen abgeschlossen vor (mit an- deren Worten die Schöpfung ist zu Ende; weiter, etwa bis zu Engeln wird nicht gedarwint), die soziale und geschichtliche Entwicklungskette hingegen, diese Schöpfung von Nationen und Staaten, ist noch lange nicht zu Ende (was Sie als Hegelianer auch nicht zugeben werden), und indem wir also den Staat nur erst aus den verschiedenen Arten des heidnisch-antiken und christlich-germanischen Staats zu beschreiben vermögen, ist es, als ob wir das Tier bloß erst an den Ordnungen der Radiaten und Mollusken behandeln dürften. Aber die Sache wird für die sozialen Wissenschaften dadurch doch nur schwieriger aber nicht wesent- lich anders. So auch mit der Behandlung des Eigentums. Wir werden es nur an den, den verschiedenen Staatenstufen entsprechenden, ver- schiedenen Eigentumstufen entwickeln können, werden es aber dann auch können. So liegt der ganzen heidnischen Staatenepoche das Menscheneigentum zum Grunde, das sich in der Tat auch noch wieder nach den verschiedenen Staatenarten der Epoche modifiziert. So der ganzen germanischen das Grund- und Kapitaleigentum. Auch die- ses — wie Sie es S. 71 zu oberst der Anmerkung wollen modifiziert sich nach den oben aufgeführten Arten des germanischen Staates. Ich bin diesem Gedanken von nationalökonomischer Seite beigekommen, und es ist äußerst interessant, zu verfolgen, wie gerade in der ersten kirchlichen Phase des germanischen Staates sich das Kapitaleigentum aus dem einen antiken Eigentum, in dem noch Grundbesitz, Kapital- besitz und Arbeiterbesitz zusammenfällt, überhaupt erst abzweigt. Überhaupt werden die in Ihrer Anmerkung und von mir hier angedeu- teten Gesichtspunkte dereinst die fruchtbarsten Wirkungen für die Staats Wissenschaften haben.

Auch die zweite Anmerkung teile ich im ganzen. Namentlich ist die deutsche Rechtsgeschichte, bei dem individualen subjektiven Aus- gangspunkt, den der germanische Staat genommen, von der der Ver- gangenheit zugekehrten Seite betrachtet, nichts als eine Rechts ver- let Zungsgeschichte und näher, eine Eigentums verletzungsgeschichte. Die Rechtsentwicklung hat immer mehr Objekte aus der Eigentums- sphäre herausfallen lassen und damit den Eigentumsbegriff immer mehr verengt, und wird damit, unter uns gesagt, trotz der Pause, die ein- getreten zu sein scheint, auch fortfahren. Nur Ihre volkswirtschaft- liche Parallele am Schluß der Anmerkung teile ich nicht. Mit diesem

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schwülstigen Bastiatschen Satz,^) der nichts weiter sagt, als daß der Preis der Produkte mit abnehmender Produktionsarbeit ebenfalls ab- nimmt, erhalten die Arbeiter nicht die Butter zum Brot. Das hat ja Ricardo sonnenklar bewiesen, und darüber sind bis zu Bastiat auch alle Autoritäten der Smithschen Schule einig, daß, bei freier Konkurrenz und Grund- und Kapitaleigentum, der Arbeitslohn im großen Durch- schnitt immer auf dem ,, notwendigen Unterhalt" festgehalten werden wird, und ich habe, mit Aufnahme dieses Gedankens in meinem dritten Briefe an Kirchmann, 2) nur das gegen Ricardo bewiesen, daß dies auch bei zunehmender Produktivität der Rohproduktion geschieht. Was bei größerer Wohlfeilheit in die gratuite fällt, fällt deshalb noch nicht der- gestalt in die communaute, daß die Arbeiter davon profitierten. Davon kann man eine überzeugende Probe machen. Die höchstmögHche gra- tuite würde statthaben, wenn ein perpetuum mobile alle Maschinen in Bewegung setzte. Aber bliebe dabei das Grund- und Kapitaleigentum bestehen, so hätte gerade dann die communaute für die Arbeiter ganz aufgehört, sie wären von aller gratuite ausgeschlossen, denn das perpe- tuum mobile gehörte den Kapitalisten. Die volkswirtschaftliche Parallele zu der betreffenden Rechtsentwicklung scheint mir ganz wo- anders zu Hegen, doch dies würde zu weit führen und ich sehe mit Schrecken, wie sehr ich schon Ihre Geduld gemißbraucht.

Grüßen Sie Bucher! Wenn er durchaus nicht schreiben will, soll er doch mal telegraphieren.

Mit vorzüghcher Hochachtung habe ich die Ehre zu sein

ergebenst

Rodbertus. 3- I.ASSAI.I.E AN RODBERTUS. (Abdruck.)

Berlin, 17. Febniar 1863. Geehrter Herr!

So überbürdet ich gerade infolge einer kleinen Serie von Anklagen, welche die Staatsanwaltschaft gegen mich eröffnet hat, bin imd welche

^) System der Er«-orbeuen Rechte I, S. 266, Anmerkung: Lassalle spricht dort von einer ökonomischen Tendenz, immer mehr Faktoren der Produktion und so auch die Produkte selbst aus der ökonomischen Eigentumssphäre der Ent- geltlichkeit in diejenige der Unentgeltlichkeit durch Reduktion des Verkaufspreises auf den Kostenpreis und die beständige Vermindenmg der Erzeugungskosten hinüberzuwerfen, und er fügt hinzu, Bastiat habe in seinen ,,Harmonies ^conomi- ques" diesem an sich ganz richtigen Gnmdgedanken wegen des ihm mangelnden kritischen Verständnisses eine ganz falsche und einseitige Ausführung gegeben.

2) Soziale Briefe an von Kirchmann. Dritter Brief: Widerlegimg der Ricardo- schen L,ehre von der Gnmdrente und Begründung einer neuen Rententheorie, Berlin 185 1.

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mich zwingen, einstweilen alles andere liegen zu lassen, um auch meiner- seits Feuer aus beiden Breitseiten zu geben, so lege ich doch zu vielen Wert auf das eingehende »Schreiben, mit welchem Sie mich erfreut haben, um nicht wenigstens auf einige Punkte desselben eine vorläufige Antwort zu geben.

Erlauben Sie, daß ich damit anfange, womit Sie schließen, mit der ökonomischen Parallele von S. 265. ,,Mit j enem schwülstigen Bastiatschen Satz", schreiben Sie, ,, erhalten die Arbeiter nicht die Butter zum Brote." Wie? Und das sollte ich leugnen, oder irgend etwas dagegen gesagt haben? Ich sollte bestreiten wollen, daß, was ja in der National- ökonomie kein Mensch mehr bestreitet, unter unseren antagonistischen Produktionsverhältnissen der Arbeitslohn im allgemeinen immer um den notdürftigen lyebensunterhalt, nach Art eines Perpendikels, herum gra- vitieren muß? Eine solche Bestreitung ist mir n ie in den Sinn gekommen. Folglich ergibt sich für mich daraus auch die notwendige Folge, daß was die Arbeiter durch die wachsende Billigkeit als Konsumenten gewinnen können, sie immer wieder auf der anderen Seite - als Produzenten (am Arbeitslohn) verlieren und ihre Lage dadurch keineswegs geändert wird.

Aber, bitte, werfen Sie doch noch einmal einen Blick auf jene kurze Bemerkung S. 265. Spreche ich denn in derselben auch nur mit einem Wort von den Arbeitern? oder von irgendeinem der Unterschiede innerhalb der heutigen Welt? Durchaus nicht! Sondern die Parallele, die ich daselbst ziehe, ist, mit anderen Worten ausgedrückt, einfach folgende: Nehmen Sie die heutige Welt als Einheit (ohne Rücksicht auf die Klassen- und Produktionsunterschiede innerhalb ihrer) oder nehmen Sie die heutigen Unternehmer und Kapitalisten (denn diese sind es, die heute die Welt in diesem Sinne darstellen), oder nehmen Sie eine künftige, solidarisch produzierende und partizipierende Welt so ist es gleichwohl immer noch für die Welt auch in diesem Sinne ein Unter- schied: ob und wie viel Arbeit mehr sie ein Produkt kostet oder nicht. Im allgemeinen und abgesehen von der allgemeinen Tendenz der Bodenprodukte (denn so weit halte ich an Ricardo gegen Ihre Lehre im dritten Sozialen Brief fest) ist es die Bewegung der Produktion, Produktionskosten zu ersparen, billiger zu werden. Freilich kommt diese Ersparnis nur der ,,Welt", heute also nur den Unternehmern und Kapitalisten, zugute! Das hindert nicht, daß diese Bewegung wirklich eine Parallele zu der nachgewiesenen Bewegung der Rechtsgeschichte darstellt. Wie in der Rechtsentwicklung immer mehr Inhalt aus der Eigentumssphäre herausgeworfen wird, so werden durch diese ökono- mische Bewegung der fallenden Produktionskosten, also der wachsenden gratuite, immer mehr Faktoren der Produktion und Produkte aus der

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ökonomischen Eigentumssphäre, der Entgeltlichkeit, herausge- worfen (resp. in immer größerem quantitativen Umfang herausgeworfen). Die ökonomische Eigentumssphäre in diesem Sinne sind ja doch die Produktionskosten!

Freihch kommt das heutzutage nur den Unternehmern und Kapi- talisten, keineswegs den Arbeitern, nur der Welt gedacht als einheit- lichem Ganzen, nicht den, wie Sie ja selbst so schön nachgewiesen haben, von der wachsenden Produktivität ausgeschlossenen Arbeitern, zugut! Aber eben deshalb sagte ich dort ja, daß ,,Bastiat diesem an sich rich- tigen Grundgedanken wegen des ihm mangelnden kritischen Ver- ständnisses der ökonomischen Kategorien eine ganz falsche und einseitige Ausführung gegeben habe". Unter dieser falschen Ausführung verstand ich eben, daß er, was nur für die Welt als Einheit wahr ist, auf die antagonistischen Unterschiede innerhalb ihrer, auf die Lage des Arbeiters, anwenden will.

Stärker als in den angeführten und gesperrt gedruckten Worten ge- schehen ist, konnte der Protest gegen diese grundfalsche Lehre Bastiats gewiß nicht ausgedrückt werden, und näher konnte ich in dieser ohnehin nur ganz nebenhin hingeworfenen Bemerkung am Schluß jener Monstre- note nicht eingehen. Auch ist, wie Sie bei der nochmaligen Ansicht finden werden, in den Worten nichts Irreleitendes vorhanden.

Die Parallele bleibt also richtig, wenn sie auch, das gebe ich gern zu, wahrhaftig nicht besonders tief ist, und vielleicht hat Sie gerade das ver- leitet, einen tieferen Sinn in ihr zu suchen, als sie hat und haben kann.

Aber vielleicht hätte mich selbst dann noch gegen dieses IMißverständ- nis die auf S. 264 gegebene Formulierung der sozialen Frage schützen sollen, welche, wenn ich nicht irre, so scharf ist, wie sie nur gedacht werden kann. Wer den Unternehmergewinn als ,, Eigentum an fremdem Arbeitswert" definiert und den quantitativen Umfang dieses feudalen Obereigentums dahin bestimmt, daß es bestehe in der ,, Differenz zwischen dem Verkaufspreis des Produkts und der Summe sämtlicher Arbeitslöhne, die zum Zustandekommen des Produktes beigetragen" i) und wer erklärt, die soziale Frage bestände eben in der Frage, ob dies Privateigentum an fremder Arbeitskraft fortexistieren solle von dem kann gar nicht vorausgesetzt werden, daß er in jenen Bastiatschen Illu- sionen eine Hilfe für die Arbeiter auch nur möglicherweise sehen kann.

Gerade weil ich hier die soziale P'rage in solcher Präzision formuliert, daß hierin, wie Sie mit mir finden werden, auch schon das kritische Prinzip ihrer Lösung ausgesprochen ist, fiel es mir in jenem späteren Schluß nicht mehr ein, sie daselbst nochmals berühren zu wollen.

*) Lassalle zitiert sich nicht ganz wörtlich, aber doch dem Sinne entsprechend.

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Nun zu der Rechtsmaterie!

Zu einer ganz besonderen Freude hat mir der Vorwurf gereicht, den Sie gegen mich erheben der Haupteinwurf Ihres Briefes daß ich in § I aus dem individuellen Willen als aus einem obersten Rechts- prinzip schöpfe, wodurch ich mich auch mit meinem eigenen § 7 insofern in Widerspruch setze, als ich dort aus dem Prinzip der WiUensgemein- schaft herleite und daß ich somit selbst zwei verschiedene Prinzipien aufstelle, was ich selbst für verwerflich erkläre.

Es hat mich dieser Einwurf, sage ich, in hohem Grade gefreut, weil er zeigt, wie sehr wir über die Grundbedingung der richtigen Theorie ein- verstanden sind, und weil gerade er mich in der Ansicht bestärken muß, daß ich mich der Hoffnung hingeben kann, meine Aufgabe wirklich gelöst zu haben. Denn diese Forderung, die Sie hier aufstellen, ist gelöst und Sie werden dies, falls Sie mir die Ehre erweisen, die I^ektüre fortzusetzen, selbst finden. Daß Sie es nur zur Zeit nicht finden und finden konnten, hat nur darin seinen Grund, daß Sie damals nur bis Ende des § 7 oder doch nicht viel weiter gekommen waren, wie aus Ver- schiedenem hervorgeht.

Es ist richtig, daß ich im § i nur vom abstrakten Begriff des indi- viduellen Willens ich hebe dies später selbst hervor ausgehe. Aber ich durfte dort noch nicht darauf aufmerksam machen und dem Leser die ohnehin schon sehr schwierige Lektüre des Buchs durch allerlei dunkle Hinweisungen noch schwieriger machen. Was im § i schon ver- borgen enthalten war, mußte erst konkret sich entfalten, um dem Leser zur klaren Erkenntnis gebracht zu werden. Die Wahrheit muß sich schrittweis entwickeln; sie muß im Buche selbst erst entstehen; wenn der Autor natürlich auch beim Anfang schon das Ende im Kopf hat, kann er es doch am Anfang noch nicht sagen.

Erst die §§ i, 7, 10, 12 tmd 13 enthalten den ganzen Begriff, oder die Heraushebung dessen, was schon im Anfang, aber an sich, aber verborgen, im § i enthalten war.

Erlauben Sie, daß ich einige Stellen hierhersetze, in welchen ich im § 13 (S. 360 ff.) auf den durchlaufenen Weg zurückblicke. Ich sage:

,,Es haben sich uns jetzt die Momente des Begriffs, dem wir im § i zuerst nur als abstrakten Begriff aufstellen konnten, in ihrer konkreten Vollständigkeit ergeben . . . Bis dahin war die Untersuchung immer nur von dem Gegensatz der individuellen Willensfrei- heit und der rechtlichen Substanz als solcher (Gesetz oder Willens- gemeinschaf t^) ausgegangen, ein Unterschied, auf welchem der entwickelte Begriff überhaupt beruht. Aber diese Gegensätze sind nicht

^) Die beiden letzten Worte setzt Lassalle hier hinzu.

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bloß abstrakte Gegensätze, sondern jeder von beiden hat auch den anderen schon in sich selbst, schließt sich mit ihm in eine Einheit zusammen. Die individuelle Willensfreiheit und Willens- handlung ist nur dann eine rechtliche oder gültige, wenn sie die rechthche Substanz^) als vermittelnde (vermittelndes, erlaubendes Gesetz) in sich hat, 2) wie ebenso umgekehrt, soweit die rechthche Substanz zur individuellen Freiheit sich affirmativ verhält und sie als berechtigt anerkennt, die individuelle Freiheit selbst zur recht- lichen Substanz des Volksgeistes^) gehört. Auf diesem spekula- tiven Gesetz des Geistes der Identität der begrifflichen Gegensätze, von denen jeder den anderen schon in sich selbst hat 2) beruht es als auf seinem tiefinnersten Grunde, daß beide Gegensätze nicht in abstrakt-ausschließende Stellung zueinander treten können; daß also usw. usw."

,, weil jene Einheit mit der rechthchen Substanz (Willens- gemeinschaft) ^) als vermittehide*) von Anfang an die substantielle Grundlage und Voraussetzung der rechtlichen Willensfreiheit selbst bildet usw."

Diese Stellen sind hier, nachdem die konkrete I^ösung sich vorher ergeben hatte, und da der Leser hier das konkrete Material im Kopfe hat, vollständig klar, verständlich und durchsichtig, während dieselben Stellen als Plan oder Forderung in dem § i vor ausgestellt, unver- ständhch, unklar, irreführend hätten bleiben müssen.

Und selbst abgesehen hiervon, ist gerade der Vorzug der philoso- phischen, genetischen Methode, das Wahre allmählich entstehen zu lassen.

Gerade das, was Sie mit so vielem Rechte akzentuieren und fordern, ist also wirklich erreicht und von mir nicht weniger als Grundbedin- gung betrachtet worden. Nur scheinbar ist im § i von der abstrakten, von der bloß individuellen Willensaktion ausgegangen. Dieser Schein stößt sich im Lauf der Entwicklung ab und es zeigt sich, daß von der Einheit der individuellen Willensfreiheit mit der Willensgemein- schaft (Substanz) ausgegangen wurde, und daß, was im § i steht, bloß deshalb richtig ist, weil es von dieser Einheit als ihre Wirkung gesetzt wird. Daß es so ein von einem noch höheren Prinzipe eben von dieser Einheit beider Gesetztes sei, konnte im § i noch nicht gezeigt werden, sondern mußte sich zuvor allmählich realiter zeigen.

Ihre Forderung ist also ausgeführt, und es mußte Ihnen dies zur

1) Hier läßt Lassalle fort: „(das Gesetz)".

*) An Ort und Stelle nicht gesperrt.

') Von Lassalle luer eingefügt.

*) Im ,, System" steht: „vermittelnder".

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Zeit nur deshalb noch entgehen, weil Sie noch nicht weit genug in das Buch hineingelesen hatten.

Auch noch einige andere Einwürfe werden sich, wenn ich nicht irre, bei fortgesetzter Lektüre vielleicht von selbst beseitigen und ich will daher nur noch folgende Punkte Ihres Briefes berühren.

Sie sprechen von dem im § 7 von mir nachgewiesenen Unterschied: ob die Prohibition des Volksbewußtseins den Inhalt des betreffenden Rechtes oder nur eine bestimmte Form desselben negiert, wovon nach mir auch die Entschädigungsfrage abhänge. Sie wollen dies alles dahin- gestellt sein lassen. Aber Sie werfen die Frage auf: ,, Woran erkenne ich, ob die Prohibition eine totale ist?" Und zeigen nun, daß dies weder durch majoritätische Abstimmung noch selbst durch Stimmenallheit dargetan werden könne. Ganz richtig, aber. Verehrter, die Frage: „Wor- an erkenneich, ob die Prohibition eine totale ist?" trifft eine Theorie der Rückwirkung durchaus nicht, geht sie nichts an, und hat nichts mit ihr zu tun! Die Frage : ,, Woran erkenne ich, ob die Prohibition des heutigen Volksbewußtseins eine totale ist oder nicht" ist ja keine andere als die Frage: was will das heutige Volksbewußtsein überhaupt? (und resp. : was wird zu jeder späteren Zeit jedes spätere Volksbewußtsein wollen?) In der Tat, was will das heutige Volksbewußtsein überhaupt und über alles mögliche? Wie denkt es über Ehe, Staat, Monarchie, Jagd, Bergwerk, Zeitungen, Eigentum usw.? Wie wird ferner jedes spätere Volksbewußtsein über dieselben Materien denken? Beide Fragen haben, wie Sie selbst zugeben werden, mit einer Theorie der Rück- wirkung nicht das geringste zu tun. Sie sind eben Fragen nach dem In- halt des heutigen Zeitbewußtseins (und resp. eines späteren Zeit- bewußtseins). Die Fragen, welchen Inhalt das heutige Zeitbewußtsein hat, welchen Inhalt jedes spätere Zeitbewußtsein haben wird, sind offen- bar Fragen, deren inhaltliche Beantwortung durch keine formale Regel die wäre ja ein reines Vademekum für die ganze Weltge- schichte ! gegeben werden kann und die mit einer Rückwirkungs- theorie gar nichts zu tun hat. Was diese leisten soll, ist nur: die formale Rechtslogik festzustellen, welche nachweist, was, welchen Inhalt auch das heutige Zeitbewußtsein habe, oder ein späteres Zeitbewußt- sein haben wirdundmag,in bezug auf die bereits bestehenden Rechts- verhältnisse der Rechtsidee gemäß daraus folgt. Der Inhalt selbst des Zeitbewußtseins muß für die Frage der Rückwirkung als bekannt voraus- gesetzt werden. Die Frage nach diesem Inhalt ist keine andere als die: Wie soll der Gesetzgeber über alle Materie überhaupt denken! Jene formale Rechtslogik habe ich geschaffen und wie mich dünkt, mit ehernen Klammern befestigt. Aus ihr ist also zu erkennen, wie heute und wie später jeder beliebige Inhalt des Zeitbewußtseins (wobei also dieser

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Inhalt als ein bestimmter und bekannter vorausgesetzt werden muß) auf die bestehenden Verhältnisse einzuwirken habe. Die Frage: Wie finde ich den Inhalt des heutigen Zeitbewußtseins, oder gar den späterer Zeiten ? ist offenbar eine solche, die nicht nur aus den Grenzen einer Rückwirkungstheorie, sondern überhaupt aus den Grenzen jedes juristischen Werkes vollständig hinausfällt. Nicht das jus, sondern nur die Universalphüosophie kann diese Antwort geben, insoweit sie über- haupt zu geben ist.

(Beüäufig: Sie haben ganz recht, wenn Sie weder durch Majorität noch durch Stimmeneinheit sich beweisen lassen wollen, was das heutige Zeitbewußtsein will. Wie finde ich dies also? Nun, ich denke ganz ein- fach! Was Sie sich und der Zeit durch Vernunft, Logik, Wissenschaft beweisen können das will die Zeit!)

Übrigens wird praktisch, d. h. beim bestimmten Fall, die Frage, die Sie auf werfen, in der Regel auch gar keine Schwierigkeit haben und nur für die theoretische Allgemeinheit gilt das Vorige. Wenn z. B., um an den von Ihnen angegebenen Fall analog anzuknüpfen, ein Gesetzgeber ver- ordnete: Majorate sollen in keiner Form mehr errichtet werden und ob er das will oder nicht, weiß er doch in der Regel ganz genau so müssen durch den Zwang der Rechtslogik auch die bestehenden aboliert sein. Wenn er aber nur verordnete: sie können nur mit Konsens aller Seitenverwandten errichtet werden, so bleiben auch die dieser Bedin- gung nicht entsprechenden bestehen. Oder wenn z. B. die französische Revolution verordnet hätte: perpetueUe Getreiderenten dürfen nicht mehr, weil sie die freie Benutzungsart des Bodens hindern, konstituiert werden, wohl aber perpetuelle Geld reuten, so hätten die bestehenden perpetuellen Getreiderenten in solche übergeleitet werden müssen.

In dem Vorigen ist nun aber schon ein davon scheinbar weit abhegen- der Einwurf innerlich gelöst, den Sie aufstellen. Sie sagen, schon wegen der Verschiedenheit des historischen Geistes sei es ja ganz unmöglich, daß ich in den Pandekten meine Theorie wiederfinde! Nun, aus dem Titel, den Ulpian, wie Sie sehr glücklich ihn formulieren, seinem Werke geben würde, würde das noch nicht folgen. Und sicher würde er nur unbe- wußt nach dieser Theorie verfahren haben, während sie bei mir aber bewußt, als Theorie vorhanden ist ein Unterschied, den ich im zweiten Teil durch die Darstellung der Verfahrungsweise der römischen Juristen hinlänglich entwickle. Aber bewußt und unbewußt durch praktischen Instinkt, oder theoretische Klarheit hervorgetrieben, kann immer nach demselben Inhalt verfahren werden. Gefährlicher scheint dagegen die andere Bemerkung, daß ich doch gerade infolgedessen, was ich selbst in der Anmerkung I, S. 70 ft'. über die Verschiedenheit des historischen Geistes sage insoweit verschiedenen Zeiten wie die

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jetzige und die römische, unmöglich dieselbe Theorie, denselben Inhalt wieder erkennen könnte. Aber hier verweise ich auf Ihre eigenen, vor- trefflichen und mir aus der Seele geschriebenen Bemerkungen, daß man dennoch von einem Tier, von einer Wirbelsäule reden könne, wenn auch die eingehende Behandlung und Entwicklung nur als Entwicklung der bestimmten Tierordnungen usw. vor sich gehen kann. Beim jus verhält es sich darin nun so:

Verschieden ist der Inhalt des historischen Geistes (erst im zweiten Band meines Werkes ist mit dieser Behauptung Ernst gemacht; im ersten Bande, welcher der formalen Rechtslogik gewidmet ist, liefern nur die Anmerkungen gelegentlich solche Ausführungen).

Identisch aber zieht sich hindurch jenes andere Element, welches ich oben die formale Rechtslogik genannt habe. Und wie ich eine solche formale Rechtslogik bewußt entwickelt habe für alle späteren Zeiten, welchen Inhalt auch das jedesmaHge historische Bewußtsein habe, so kann dieselbe formale Rechtslogik auch schon bei den Römern das tmbewußt agierende Moment gewesen sein.

Zur Vollständigkeit muß ich inzwischen noch eine Bemerkung hin- zufügen, die allerdings hier sehr dunkel bleiben muß und erst nach der Lektüre des zweiten Bandes ihr wirkliches Verständnis gewinnt.

Es kann sich treffen, daß durch den Inhalt des bestimmten hi- storischen Geistes irgendein Teil der formalen allgemeinen Rechtslogik notwendig verkannt, geleugnet, außer Kurs gesetzt, zeit- weilig aufgehoben wird. Es kann sich treffen, daß es gerade zum Inhalt des historischen Geistes notwendig gehört, auf einer bestimmten Entwicklungsphase einen Teil, eine Regel dieser formalen Rechtslogik not- wendig zu verkennen. (Dies ist z. B., wie die Anmerkung I, S. 259 mehr [oder] weniger entwickelt, bei dem germanischen Eigentumsbegriff mit der Regel der Nichtrückwirkung der Fall. Dieser bestimmte hi- storischeVolksgeistmuß daher, weil er absolut darin besteht, gerade diesen Eigentumsbegriflf zu haben, alles Mögliche als Eigentum an- schauen, und deshalb die Nichtrückwirkung weit übertreiben, die formale Rechtslogik, die den Pandekten zugrunde hegt, außer Kurs setzen und verletzen. Oder es ist, wie im zweiten Band viel ausführ- licher gezeigt wird, bei den Römern selbst mit dem Testament der Fall. Ihr historischer Geistesinhalt zwingt sie dazu, die formale Rechts- logik über Vergabungen aufzuheben.)

Treten also solche Fälle ein, so wird zeitweilig etwas an der Rechts- logik durch diesen Gegensatz und der historische Geistesinhalt ist, wenn er gerade darin besteht dies zu verkennen, das stärkere Element außer Kurs gesetzt, und tritt von selbst wieder ein, wenn diese historische Entwicklungsphase vorübergeradscht ist. So in

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bezug auf die Rückwirkung, die Pandekten, die germanische Periode und ich.

Ich muß hieran eine Bemerkung über Ihre Auffassung des Römischen Rechts knüpfen. Sie fassen dasselbe schlechthin nur als aequitas. So nennt es auch der Römer selbst oft genug. Aber er selbst nennt immer nur das prätorische Recht so, im Gegensatz zum jus civile. Freilich sprechen Sie offenbar nur vom justinianeischen Recht und dies ist freilich ganz und gar prätorisches Recht. Aber das jus civile war etwas ganz anderes und erst von der Erkenntnis desselben aus läßt sich begreifen, wie es sich mit jener aequitas verhält. Ich kann hierüber nicht weiter gehen, sondern nur bemerken, daß man bis heran nach meiner Auffassung gar nicht gewußt hat, was jus civile und folglich auch nicht wirklich, was im Unterschied davon prätorisches Recht und aequitas ist. Mein ganzer zweiter Band ist eine Ausführung davon, durch welchen ich erst das Römische Recht entschleiert zu haben glaube. Ich bin sehr begierig, was Sie seiner Zeit zu meiner Behandlung des Römischen Rechts sagen werden. Der Titel „Erbrecht", den der zweite Band führt, ist sehr irre- führend. Es ist nur am Erbrecht die Bedeutung und der historische Geist des jus civile und resp. des prätorischen Rechts überhaupt entwickelt.

So habe ich nun die meisten der von Ihnen berührten Punkte zur Not beantwortet und muß wieder zum Staatsanwalt und zum Gerichts- hof erster Instanz zurückkehren, die beide ein höchst „erworbenes" Recht auf nachdrücklichste Bedienung von meiner Seite haben.

Der geistige Verkehr mit einem Manne, wie Sie, gehört zu dem An- genehmsten, woran man sich in der Gegenwart erquicken kann, und so hoffe ich, daß Sie mich wieder einmal mit einer Zuschrift erfreuen! Bucher läßt vielmals grüßen. Ich habe ihm Ihre Grüße sorglich bestellt. Wir sprechen sehr oft von Ihnen.

Mit der vorzüglichsten Hochachtung

F. Lassalle.

4- RODBERTUS AN LASSALLE. (Original.)

Jagetzow, 30. März 1863. Geehrter Herr! Wahrscheinlich haben Sie Ihre Geschütze gegen die Staatsanwalt- schaft schon geladen und die Kläfferei Ihrer nationalökonomischen Gegner inkommodiert Sie wohl nicht sehr. Ich erlaube mir also unsere Korrespondenz wieder aufzunehmen.

Zunächst danke ich Ihnen für das ,, Offene Antwortschreiben". ') Ich

^') Das „Offene Autwortsclireiben" an das Leipziger Zentralkomitee zur Be- rufung eine.s deutschen Arbeitertages, mit dem Lassalle seine Arbeiteragitation in großem Maßstab eröffnete, war vom i. März datiert.

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finde den kritischen Teil vortrefflich. Zu dem positiven sage ich minde- stens noch £T[^yLo. Positive Vorschläge für die soziale Frage zu machen halte ich überhaupt noch nicht an der Zeit. Dazu sind die volks- wirtschaftlichen Grundbegriffe noch zu wenig festgestellt und auch zu wenig im Volke bekannt. Denken Sie nur an den blühenden Unsinn, der selbst noch in der Wissenschaft über dem Begriff „Kapital" schwebt, z. B. daß es durch Sparen entstehe, daß die Höhe des Arbeitslohns von der Größe des Nationalkapitals abhänge usw. usw. Außerdem dürfte doch auch das Heilmittel wo anders liegen, als in der Produktivasso- ziation. Sie würden doch diese allgemein durchführen wollen und müssen? also sie auch auf Rohproduktion und Transportalien ausdehnen. Wie ihr in der Fabrikation das Kapital geliefert werden soll, so müßte ihr bei der Rohproduktion der Boden geliefert werden, d. h. alle Grund- besitzer müßten expropriiert werden. Nun hat dieser Gedanke an und für sich nichts gräßliches. In einzelnen Fällen wird ja schon expropriiert. Auch lassen die großen Grundbesitzer jetzt schon ihre Güter durch In- spektoren bewirtschaften, ob dieser dann Beamter einer Gesellschaft wäre, bliebe sich gleich. Die Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit der all- gemeinen Produktivassoziation läge vielmehr darin, daß jeder Betrieb in Landwirtschaft, Fabrikation und Handel ein kleiner konstitutioneller Gewerbsstaat würde, in der [sie!] jeder Arbeiter von Rechts wegen mit- zureden hätte. Ein horribler Gedanke, wo man jetzt schon beinahe das eine große konstitutionelle Wesen satt bekommen hat. Die National- produktion müßte schon an der Schwerfälligkeit solcher Machinerie zu- grunde gehen. Aber wenn auch in jeder einzelnen Assoziation der Geist Elihus walten soUte, ich glaube, die Assoziationsvorstände würden noch weniger wie die heutigen Unternehmer imstande sein, die Produktion der Konsumtion anzupassen, und notabene die Frage der Krisen muß mit der des Arbeitslohns in einem gelöst werden. Ich glaube daher, man tut einstweilen gut, nur dahin zu wirken, daß sich in den arbeitenden Klassen nicht die volkswirtschaftlichen Irrtümer festsetzen, die in dem herrschenden Sj^stem und damit in der I^uft liegen. Eine dauernde Gefahr ist freiUch bei diesen nicht so, wie bei der Bourgeoisie, wo die Irrtümer zugleich einen Halt an den Interessen finden, zu be- fürchten.

Wir machen, wie mir scheint, jetzt die Phase durch, die England schon Ende der zwanziger Jahre bestanden hat. Schulze-Delitzsch er- innert an Miß Martineau, ^) die auch den Arbeitern bewies, wissenschaft-

*) Diese Miß Martineau spielte schon in dem Aufsatz eine Rolle, den Rodbertus 1839 vergebens der „Allgemeinen Zeitung" einreichte und der imter dem Titel „Die Forderungen der arbeitenden Klassen" heute im dritten Band der von Adolf Wagner herausgegebenen Schriften Rodbertus', Berlin 1899, zu finden ist. Vgl.dort S. 200.

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lieh hungerten sie gar nicht, und dann zugestand, sie hungerten wenig- stens nach wissenschafthchen Regeln. Wissenschaft (Stuart Mill), Ge- setzgebung (die neue soziale über Arbeiterwohnungeu, Waschhäuser usw.) und Arbeiterüberzeugungen sind in England jetzt über diese Phase hinweg. Bei uns in Deutschland setzt aber das vSystem eben nur erst Fett an und kolportiert noch seine geliebte Weisheit mit Rührigkeit und Erfolg. Im ganzen ist doch schon die Notiznahme der volkswirt- schaftlichen Begriffe seitens der Arbeiter Gewinn und Schulze-Delitzsch, der im guten Glauben auf seine Art nach dem verheißenen Schatz der sozialen Frage gräbt, macht wenigstens durch vieles Graben den Wein- berg etwas fruchtbarer.^) Die Arbeiter müssen eben da hindurch. Auch wir haben uns ja erst durch jene Irrtümer schlagen müssen, in denen einige auf Nimmerherauskommen stecken geblieben sind und andere noch knietief waten. Komisch muß es gewesen sein, wie Schulze-Delitzsch in dem einen Vortrag auf die zusammengetrommelte alte Freihandels- garde zeigt und diese praktische und handgreifliche IMetapher nicht ver- fehlt, Rührung hervorzubringen. Übrigens bin ich überrascht worden, wie er, nach den Zeitungen, in seinem vorletzten Vortrag Ihren Pro- duktivassoziationen entgegengekommen ist. Wenn mir seine Vorträge erst sämtlich gedruckt vorliegen, will ich sie im Zusammenhang lesen, und dann vielleicht auch ein paar Bogen ,, Arbeit und Kapital" dagegen schreiben. 2)

Ich nehme jetzt den F'aden aus unserem ersten Briefe wieder auf, jedoch vorläufig nur in einer einzigen Frage.

Haben Sie nicht beabsichtigt, in Ihrem System der erworbenen Rechte der Gesetzgebung ein ,, Vademekum" mitzugeben, um sie darin in künf- tigen Fällen vor Mißgriffen zu schützen ? Ich meinerseits habe ein solches Vademekum von Ihrem Scharfsinn und Ihrer Gelehrsamkeit prätendiert. Man braucht auch nicht zu befürchten, daß man damit die Welt- geschichte bloßen Kommis in die Hände spielen würde und anderen Leuten nur noch das leere Ennuyement bliebe. Es würde sich mit einem solchen Vademekum immer noch verhalten wie mit der Philosophie, die erst ,,am Ende" die reine Sophie wird. Die Bemühungen, das Werkzeug zu verbessern, würden mit seinem Gebrauch fortwährend Hand in Hand gehen müssen.

Bis Sie also die Güte gehabt haben werden, mir jene Frage zu beant- worten, breche ich von unserem Thema ab und gehe zu einem anderen

^) Rodbertus, der sich iu seinen Formulierungen auch sonst oft wiederholt, äußerst sich mit fast den gleichen Worten über Schulzes historische Rolle iu dem kurz darauf niedergeschriebenen ,, Offenen Brief" an die Leipziger Arbeiter. Vgl. dort S. 9.

•) Ist nie ersclüenen.

3i8

Gegenstand über, der nur im allgemeinen mit ihm in Verbindung steht, aber wenn, wie ich hoffe, wir tmsere Korrespondenz fortsetzen, künftig jedenfalls unserem beiderseitigen Verständnis förderlich sein wird. Zwei Gründe bestimmen mich zu solcher Episode.

I. Nachdem es mir in keiner unserer philosophischen Schulen ge- fallen, habe ich mir über vieles meine eigenen Gedanken machen müssen rmd habe mir dabei vielleicht was andere besser beurteilen können, als ich auch meine eigene Sprache angewöhnt.

Andererseits reden Sie die Sprache der Hegeischen Schule. Ich halte nun die ,, dialektische Bewegung", das ,, spekulative Gesetz des Geistes", diese Benutzung der Identität der begrifflichen Gegensätze, von denen jeder den anderen schon in sich selbst hat, weit weniger für ein Werkzeug, sich der Wahrheit zu bemächtigen als für eine Waffe, sich den Gegner vom Halse zu halten. Die Besitzer dieser Waffe kreuzen die Klingen nicht in gewöhnlicher Weise. Man muß ihnen daher zuvörderst an den Komment. So behaupte ich z. B., daß Sie gar nicht berechtigt sind, § 13 von einer Einheit der Gegensätze § i und 7 zu sprechen, sondern daß diese Einheit eine dialektische Täuschung ist. Individueller Wille und Willensgemeinschaft sind gar nicht solche Gegen- sätze (wie z. B. Endlichkeit und Unendlichkeit), deren jeder den anderen in sich trüge. Der erstere läßt sich durchaus ohne den letzteren denken. So wenig ist die Willensgemeinschaft ein Gegensatz des individuellen Willens, daß sie, in letzte Analyse, vielmehr selbst ein solcher ist, nur eine andere Art: sie ist nämlich der individuelle Wille sozialer Lebens- bildungen (Stämme, Staaten), wie der gewöhnlich sogenannte indi- viduelle WiUe der physischen I^ebensbildungen (Tiere, Menschen) ist. Wenn uns menschlichen Individuen dies anders vorkommt, so ist dies nur aus unserem Verhältnis zum sozialen Körper wir Individuen sind nur seine Atome entspringender empirischer Schein. Der mensch- liche individuelle Wille i) ist es allein, der in der sogenannten WiUens- gemeinschaft mehr oder weniger aufgeht es kommt auf die Voll- kommenheitsstufe der sozialen L,ebensbildungen an niemals um- gekehrt, was Ihre Dialektik doch auch noch bedingte. Selbst bei Aggregatbegriffen ist dies nicht der Fall. In dem Begriff des Steinhaufens liegt zwar der des Steins, aber nimmer in dem des Steins der des Haufens. Dergleichen Begriffe entziehen sich der Identität der begrifflichen Gegen- sätze, von denen jeder den anderen schon in sich hat. Noch mehr ist dies der Fall, wo der andere Begriff ein Organisches ist, wie der Staat oder die nationale Arbeit, die auch kein bloßes Aggregat individueller wirtschaftlicher Tätigkeiten ist, wo nur ein qualitativ verschiedenes, höher geartetes Idem herauskommt.

Um auf den Begriff des erworbenen Rechtes überzugehen, so ist

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derselbe freilich ein solcher, der durch ein bestimmtes historisches historisch gewordenes und historisch verfließendes Verhältnis des in- dividuellen Willens zum sozialen entstanden ist, aber nicht in logischer Weise, nicht so, daß diese beiden mit dialektischer Notwendigkeit in jenem einem zusammenfallen müßten. Es hat Jahrtausende hindurch individuelle Willen und Willensgemeinschaft gegeben, ohne daß aus ihnen , .erworbenes Recht" geworden wäre: nicht einmal von Privaten zu Privaten, geschweige dem Staat gegenüber, worin wir doch die eminente Bedeutung des Begriffs setzen. Das erstere in der ganzen Periode des bloßen Stammlebens nicht, so lange Moral und Recht noch in der einen Sitte zusammenfallen (daß Hegel diese Periode als ungeschichtlich über- geht, ist sehr schwach), das zweite in der ganzen Periode des heidnisch- antiken Staates nicht, bis zum Untergange Roms. Erst mit der Ent- stehung des Staats, als sich zuerst Recht und Moral scheiden (was^) eines der charakteristischen ^Merkmale des Fortschrittes des sozialen Ivebens vom Stammleben zum Staatsleben bildet, entsteht der Begriff des erworbenen Rechts, aber wie gesagt, nur zuerst als ein bloß privat- rechtlicher, ohne alles Gewicht [?] vor der Allgewalt des Staates. Und erst mit der zweiten Staatenperiode, dem Eintritt des christlich-germanischen Staates, erhebt er sich zu der Bedeutung, die wir ihm heute beüegen, auch noch eine Schutz wehr gegen die Staatsgewalt, die Gesetzgebung, zu sein. Und wie er Jahrtausende hindurch trotz individueller Willen und Willensgemeinschaft überhaupt nicht, und dann wieder Jahrtausende nur in beschränkter Bedeutung bestanden, so wird auch eine Zeit kom- men, wo er in der Gesellschaft wieder verschwinden wird. Und wie sehr hat er heute schon in seiner Starrheit nachgelassen! während die bloßen Begriffe der Rückwirkung und Nichtrückwirkung des indivi- duellen Willens und der Willensgemeinschaft allerdings rein logische und deshalb ewige sind. Sie unterscheiden immer so vortrefflich logische und historische Kategorien, und als ich Ihnen einmal bei F. Duncker^) begegnete und Sie mir sagten, die heutige Kapitalform (nicht Werk- zeuge und Materialien, wie die nationalökonomischen Dickköpfe den Begriff verstehen) gehöre zu den historischen Kategorien, überzeugte ich mich, wie tief Sie auch in die Nationalökonomie geblickt. Aber weshalb machen Sie den Unterschied nicht auch noch mehr im Recht, das sich doch, wie Sie oft genug selbst hervorheben, nur ebenso historisch wie die Wirtschaft entwickelt. Ulpian würde also den Begriff in unserem Sinn d. h. auch der Staatsgewalt gegenüber geltend gar nicht haben fassen können; dieser lag noch über dem ethischen Horizont seiner Zeit, selbst noch Justinians. Deshalb meine ich, hätte er sein Buch anders

^) Rodbertus vergißt, diese Klammer zu schließen. ^) Siehe oben die Einführung S. 285.

betiteln müssen. Das ist nun freilich noch kein voller Beweis, daß sich Ihre Theorie in den Pandekten nicht wiederfinden kann, aber ein Indiz mehr dafür doch jedenfalls. Denn wie hätte der Begriff ,, unbewußt" in ihnen haben wirken sollen, wenn sie ihn noch gar nicht besitzen konnten. Ich weiß nun zwar, daß Sie den ,, Begriff" ontologisch auffassen, als die innere Schöpfungskraft der Dinge selbst, und er könnte daher in den römischen Juristen gesteckt haben, ohne daß die dummen Kerls das ge- merkt, aber auch bei solcher ontologischen Auffassimg müßte der Begriff doch irgendwie, wenn auch noch so beschränkt, in jenen Kerls zu sich selbst gekommen sein, denn was tue ich sonst mit dem Begriff? Das ist aber eben bei den römischen Juristen noch unmöglich gewesen.

Also ich muß zuerst an Ihr ,, Werkzeug", wozu ich aber weit ausholen muß.

Der Ausgangspunkt unserer ganzen neueren Philosophie ist allein die Frage: Wie kann ein Ding eine Vorstellung in mir bewirken, so daß ich zu seinem Begriff komme? Darauf sind verschiedene Antworten gegeben, die verschiedene Systeme repräsentieren. Aber alle Antworten haben sich zunächst nur an diese eine geistige Beziehung zwischen Subjekt und Objekt gehalten, wenn auch im Verlatif der weiteren Ausführung der darauf gegründeten Systeme mit Gewalt ganz andere Dinge als geistige mit hineingezogen worden. Alle stehen somit in ihrer letzten Begründung auf der schmalen Basis dieses einen geistigen Verhältnisses der Dinge. Nun behaupte ich aber, daß jene Frage, die den Ausgangspunkt der neueren Philosophie bildet, nur ein Drittel der Gesamtbeziehung der Dinge aufeinander ausdrückt. Ich behaupte, daß die Fragen: Wie kann ein Ding einen solchen Reiz auf mich üben, daß mein Wille zuletzt darüber bestimmt, ich es einem von mir gesetzten Zweck als Mittel unter- ordne? und: Wie kann ein Ding mich, oder ich ein Ding räumlich be- wegen, von der Stelle stoßen? Fragen sind, die mit der nach der Vorstellung und dem Begriff gleiche Berechtigung haben, und von der Antwort auf die letztere so wenig mitgetroffen werden, wie diese von den Antworten auf jene, oder die Antworten dieser beiden aufeinander. Jede dieser letzteren beiden Fragen bezeichnet ebenso sehr besondere Ver- mögen in den Dingen und in den^) resp. Wechselwirkungen zwischen Subjekt und Objekt ebensosehr besondere Vorgänge, als die erstere es tut, mit anderen Worten das Ethische und das Materielle, was in jenen anderen beiden Fragen steckt, kann durch die alleinige Erklärung des Intellektuellen in der ersteren absolut gar nicht mit erklärt werden. Sicherlich bestehen diese drei nirgends getrennt in der Welt. Sie bilden überall nur ein Eines und die Fragen nach jenen dreien sind nur Ein-

^) Diese beiden letzten Worte ließen sich nicht mit Sicherheit entziffern.

321 ^=^=^==1==

führtings- und Vorfragen nach diesem Einen. Aber weil das ist, ist es auch einseitig gewesen, nur das Intellektuelle als das Alleinige her- vorzuheben, und man hätte von Anfang an jenen drei Fragen ganz gleiche Aufmerksamkeit widmen müssen.

Daß dies nicht geschehen, ist nun auch der Grund der Einseitigkeit unserer philosophischen Systeme. Was auf so unvollständiger Basis ge- gründet ward, konnte folgerichtig auch nicht vollständig ausgeführt werden, und wo es dennoch im Verlauf des Aufbaus geschehen sollte, weil man doch nicht Zweidrittel des Alls draußen lassen konnte, wenn man sich vermaß, das All zu erklären, kommen natürlich von einem gewissen Punkt an alle Systeme ins Kippen. Alle unsere Philosophien sind deshalb im Grunde nur Drittelsphilosophien. Eine eigentliche Real- pliilosophie besitzen wir noch gar nicht, und wo die Prätension dazu da ist, sind die Dinge immer doch nur nach ihren begrifflichen Schemen auf- gefaßt, aber nicht nach ihrem vollen Inhalt. ^)

5- LASSALLE AN RODBERTUS. (Abdruck.)

Berlin, lo. April 1863. Sehr geehrter Herr!

Die Leipziger Arbeiter werden Ihnen geschrieben haben. Sie haben mich dringend gebeten, ihre Bitte an Sie, ihnen mit einem Brief min- destens Ihrerseits zu Hilfe zu kommen, zu unterstützen, und ich tue das aus vollem Herzen.

Ich weiß nicht, ob Sie hinreichende Kenntnis von dem Zeitungs- skandal gegen mich genommen haben. Ein so tolles täglich fort- dauerndes — Konzert banquerotter Musici habe ich noch nie gehört ! Es ist zum Totlachen.

Max Wirth^) entdeckt, daß das in meinem Sendschreiben angezogene Gesetz des Arbeitslohnes ,, lange überwunden" sei, Faucher, ^) daß ich , .keine Ökonomie verstände", nicht im geringsten auf der Höhe der Manchestermänner sei. Ein Nürnberger Arbeiterverein, daß ich ,,ein gedungenes Werkzeug der Reaktion" *) sei, und daß ich in jenem Ant- wortschreiben ,,die Bildung für nicht notwendig, ja für zweckwidrig für die Arbeiter erklärt" hätte.

Und Schulzes Jammerantwort er hat zu allen diesen schönen

^) Diese Ausführungen, die er hier abbrechen mußte, legte Rodbertus erst seinem Brief vom 13. April bei, der seinerseits die Antwort war auf Lassalles in- zwischen eingetroffenes Schreiben vom 10. April.

2) Max Wirth (1822 1900), bekannter Vorkämpf er des Freihandels. Vgl. Bd. V, S. 141 Anm. 5.

3) JuUus Faucher (1820 1878), der bekannte deutsche Apostel des Preihaudels. *) Siehe oben S. 268.

.Mayer. I,assille-N,icliU;s. VI 21

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Dingen die Parole ausgegeben, ist selbst aber an allen Gliedern von großer Unsicherheit ergriffen nun, die werden Sie wohl gelesen haben I^)

Nächstens werde ich Gelegenheit haben in meiner Gerichtsrede unsere Nichts-als-Freihändler gar unsanft zu fassen und zu schütteln.

Es wäre aber Unrecht, wenn man mich ganz allein läßt. Ich habe doch auch nur fünf Finger an jeder Hand und schon hat jeder derselben über- genug zu tun. Jeder, der ökonomische Einsicht hat und sich zu unseren Prinzipien bekennt, besonders aber jeder, der eine Autorität ist wie Sie, müßte irgendwie auftreten, sei es noch so kurz, und seine sonore Stimme in das greuliche Katzenkonzert erschallen lassen!

Es wäre dies um so mehr an der Zeit, als die Arbeiter wirklich alle Zeichen regen Interesses gewähren. In Leipzig ist das Pronunziamento mit 1350 Stimmen gegen 2 erfolgt 2) in Düsseldorf, Sohngen und Rhein- land überhaupt werden nächstens Pronunziamentos erfolgen.

Auch von vielen Vernünftigen aus der Bourgeoisie laufen Zeichen der Sympathie ein.

Warum also sollten die nicht sprechen, die vor allen dazu berufen sind?

Hoffentlich empfange ich auf diesen Brief schnellere Antwort als auf meinen letzten, auf welchen ich noch immer umsonst einige Zeilen er- warte.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr

F. Uassalle. 6. RODBERTUS AN UASSALLE. (Original.)

Jagetzüw, 13. April 1863.

Die diesem Blatt beigelegten Bogen, geehrter Herr, hatte ich schon mehrere Tage vor Ostern geschrieben. Dann kamen häuslicher Besuch, Festreisen und zuletzt ein Augenleiden, daß ich abbrechen mußte.

Inzwischen erhielt ich auch den Brief vom Arbeiterkomitee aus Leip- zig. Die Antwort^) ist bereits vorgestern*) abgegangen, die ich noch habe diktieren müssen. Ich habe Dammer 5) geschrieben, er möchte jeden öffentlichen Gebrauch, den er wolle, davon machen ; daß ich hinzufügte,

1) Schulze-Delitzsch, Kapitel zu einem deiitschen Arbeiterkatechismus. Sechs Vorträge vor dem Berliner Arbeiterverein, Leipzig 1863.

2) Lassalle meint die große Leipziger Arbeiterversammlimg vom 24. März, die das Komitee zur Begründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins einsetzte.

^) Offener Brief an das Komitee des Deutschen Arbeitervereins zu Leipzig, Leipzig, Otto Wigand 1863.

*) Der ,, Offene Brief" ist vom 10. April datiert.

*) Dr. Otto Dammer {1838 1909) stand mit Julius Vahlteich imd Fritzsche an der Spitze des Leipziger Komitees.

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er möge ihn auf meine Kosten drucken lassen, hielte ich für unpassend. Daß der Brief es von A bis Z werde, würde mir sehr recht sein. Ich habe umgehend geantwortet und manches wiederholt, was schon in den bei- gelegten Blättern steht. Blöde bin ich nicht gewesen. Sie mögen lachen über das Nürnberger Schreiben, ich bin empört, daß so etwas in Deutsch- land geschehen konnte. Ich habe es noch eben in meinem Schreiben berühren können. Zufällig ich wußte nichts von Wirth habe ich auch den ..überwimdenen" Standpunkt vorgenommen, und die ,,so- ziahstischen Quacksalbereien" von Schiüze-Delitzsch auch noch durch vStuart Mill illustrieren können. Ich höre das ganze Wespennest über meinen Brief burren! Leider ist man hier auf dem Lande nie au fait. Obgleich ich vier verschiedene Zeitungen verschiedener Farbe halte, so sagt doch keine nur ein Viertel der Wahrheit ; die ganze erfahre ich also nie. Kommt in der Polemik in unserer Sache etwas vor, das ich wissen muß, so seien Sie so gut und schicken Sie es mir.

Durchgängig bin ich, in meiner Antwort nach Leipzig, Ihrer An- sicht nicht gewesen; aber natürlich in der Hauptsache. Ich halte es namentlich für einen praktischen Fehler, daß Sie das allgemeine Stimm- recht in die Soziale Frage geworfen. Bedenken Sie, daß es das allgemeine Stimmrecht war, das die Soziale Frage in der Junischlacht ^) totschlug. Schließlich gehören beide natürlich zusammen, aber nicht in der Agitation. Können Sie das redressieren, so wird die soziale Sache stärker werden. Dabei versteht es sich aber von selbst, daß der Arbeiter nur für allgemeines Stimmrecht sein kann; aber lassen wir doch das Selbstver- ständliche selbstverständlich sein.

Den anderen Brief setze ich zu gelegenerer Zeit fort. Ich gebe aber die dort behandelte Sache nicht auf, da sie mich sehr interessiert.

Leben Sic wohl! Grüßen Sie Bucher wenn er noch lebt. Ich schreibe eilig unter Störxmgen, aber Sie sollen auf Ihren Brief vom zehnten, den ich gestern abend erhalten, wenigstens sofort wissen, woran Sie sind. Hochachtungsvoll

der Ihrige

Rodbertus. 7- LASSALLH AN RODBERTUS. (Abdruck.)

Berlin, 22. April 1S63. Verehrtester ! Wie sehr ich von Ihrem in jeder Hinsicht bewunderungswürdigen Briefe) entzückt bin, brauche ich wohl nicht erst zu sagen. Er ist in jeder

^) Die berühmte Pariser Straßenschlacht, die in Frankreich den Sieg der Reaktion einläutete.

") Der ,, Offene Brief an das Komitee des Deutschen Arbeitervereins".

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Hinsicht eine rühnilichste Tat! Morgen, denke ich, wird er gedruckt hier ankommen, ich sende Ihnen dann sofort denselben. Da Sie nämlich schrieben, Sie würden ihn am liebsten von ,,A bis Z gedruckt sehen", so habe ich sofort seinen Druck als Broschüre er füllt netto einen Druckbogen angeordnet. Zugleich habe ich aber aus jenem Ausdruck („am liebsten") den Mut geschöpft, zehn Worte, auf die es Ihnen nicht ankommen wird, aus einer Rücksicht, die Sie wie ich hoffe billigen werden, fortzulassen. Nachdem Sie nämlich exponiert, daß Sie auch von den Produktivassoziationen, hierin von mir differierend, sich nichts versprechen was ich natürlich mit allen Gründen wörtUch habe stehen lassen fahren Sie rekapitulierend fort :

und ich wiederhole, daß ich mir auch von den Produktivasso- ziationen nicht im geringsten einen Beitrag zu dem verspreche, was man die Lösung der sozialen Frage nennt" (so ungefähr; ich zitiere aus dem Gedächtnis).

Diesen halben Satz habe ich fortgelassen, weil er doch nur eine Wiederholung des schon früher der Sache nach Gesagten ist, auf die es Ihnen also nicht wesentlich ankommen kann, andererseits aber in dieser Wiederholung der Widerstreit so schroff ausgedrückt ist, daß die Arbeiter, wenn sie so scharfen Widerspruch zwischen ihren Führern sehen, hierdurch entmutigt werden, und meine ohnehin schon äußerst schwierige Stellung mir hierdurch noch mehr erschwert werden würde.

Ich glaube also, daß Sie in Rücksicht hierauf mir Indemnität er- teilen werden, und bitte um dieselbe!

Was mich imterstützend hierzu ermutigte, war : daß mir überdies ge- rade aus Ihren Gründen herv^orzugehen scheint, daß wir uns auch über diesen Punkt leicht einigen werden. Denn allerdings müßte die Asso- ziation in dieser oder anderer Weise auch auf die landwirtschaftliche Arbeit ausgedehnt werden und allerdings haben Sie recht, daß jede solche Arbeiterassoziation als konstitutioneller Mikrokosmus eine widrige und schwerfällige Maschinerie werden müßte.

Aber dies ist auch gar nicht nötig. Der Arbeiter ich kenne ihn durch zehnjähriges Zusammenleben vermag Disziplin und Autorität zu ertragen, ist derselben fähig (fast in zu hohem Grade, wie leider die schmachvolle Sitzung von Sonntag^) hier zeigt) und die bestehenden Assoziationen in Paris und England ich erinnere z. B. an die Asso- ziation Remquet geben bereits glänzende Beweise davon.

1) Eine Versammlung des Berliner Arbeitervereins hatte sich am 19. April in einer von Dittmann verfaßten Resolution für Schulze-Delitzsch und gegen Lassalle ausgesprochen. Lassalle nahm dazu Stellung in einer Erklärung vom 22. April, die am 24. April in der ,, Berliner Reform" erschien.

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Fast in allen diesen Assoziationen hatte der Gerant für die gesamte Geschäftsführung mehr oder weniger unbeschränkte Befugnisse.

Der zweite Grund, den Sie in Ihrem Privatbrief an mich geltend machen, überzeugt mich noch mehr, daß wir auch in dieser Hinsicht zusammen stimmen werden. Sie sagen näniHch : das Mittel zur Lösung der sozialen Frage sei nur dann eines, wenn es die Produktion dem Kon- sum anzupassen vermöge (also die Überproduktion aufhöbe). Dies scheint mir aber gerade durch die großen Produktivassoziationen vor- zügHch bewirkt zu werden. Denn darüber kann schwerlich ein Zweifel sein, daß, käme sie mit vStaatskredit auf großem Fiiß zustande, sich in nicht langer Zeit immer eine ganze Produktions- Branche in eine Asso- ziation — oder in sehr wenige vereinigen würde. Diese Branchen- assoziation hätte dann in ihren eigenen Geschäftsbüchern den besten statistischen Nachweis des Konsums. Die zur Überproduktion führende Konkurrenz könnte nur noch vom Ausland her also unend- lich vermindert wirken. Und endlich wäre dann Überproduktion gar keine Überproduktion, sondern nur: Vorausproduktion, da diese Assoziationen bei ihrem enormen Kredit usw. nicht zum lyosschlagen genötigt sein würden, und nur dies ist es, was eine Zuvielproduktion aus einer Vorausproduktion in eine Überproduktion verwandelt !

Vielleicht also gelingt es uns, bei persönlicher Unterredung uns im Sinne meines Mittels zu einigen. Andererseits bin ich ebensogern be- reit, wenn Sie mir ein anderes ebenso wirksames zeigen, dasselbe zu er- greifen, und zu unterschreiben. Ich habe vorläufig nur die Assoziation vorgeschlagen, weil ich vorläufig wirkhch kein Mittel sehe, das zugleich so relativ leicht und so wirksam wäre, die Arbeiter aber irgend etwas ganz Bestimmtes, Greifbares (nicht ein Gesetz überhaupt) vor- geschlagen haben müssen, um sich dafür zu interessieren. Ich bin aber sehr gern bereit, wenn Sie mir das andere gleich leichte und gleich wirk- same zeigen, auf dieses einzugehen und das meinige fahren zu lassen, und ich habe wie gesagt den zweiten schroö'eren Ausdruck des Dissen- timents nur weggelassen, damit vorläufig die Arbeiter nicht zu sehr ent- mutigt werden.

Also nochmals: Indemnität!

Die Gemeinheiten, die ich hier über mich ergehen lassen muß, sind ohne Zahl und ohne Beispiel!

Nächstens werden Sie einen Beitrittsbrief von Bucher in den Zei- tungen lesen. Den von Professor Wuttke^) in Leipzig werden Sie wohl schon in der „Deutschen Allgemeinen" gelesen haben.

^) Der Historiker Professor Heinrich Wuttke hatte am i6., Bucher am 20. April dem Zentralkomitee geantwortet. Lassalle druckte die Briefe als Anhang zu seiner Leipziger Rede; ,,Zur Arbeiterfrage".

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Ich bin aufgefordert, mit Schulze-Delitzsch am 17. Mai in Frankfurt zu pauken in der Versammlung des Maingauer Vereins. ^) Ich werde jeden- falls hin. Wollen Sie gleichfalls hinkommen? Es wäre reizend von Ihnen !

Meine Provokation des hiesigen vSchulzeschen Arbeitervereins werden Sie in den morgigen Zeitungen finden.

Wir haben einen schweren Stand. Denn der Mob ist zu groß, die Un- wissenheit zu unglaublich! Nur die Frechheit dieser Unwissenden übertrifft sie noch. Sie denken philosophisch über Schulzes Wirk- samkeit, und zur Hälfte mit Recht. Aber nur zur Hälfte. Die andere Hälfte besteht in einem enormen Schaden, den er angerichtet hat, er hat die Arbeiter entmannt, und ich fürchte dieser Schaden überwiegt!

Beigetreten sind uns bisher nur Hamburg, Düsseldorf, Solingen, Elber- feld und (mit schwacher ^Majorität) der Provinzialtag von Köln. 2) Daß Rheinland mich nicht im Stich lassen würde, wußte ich. Haarburg wird folgen. In Frankfurt werde ich ganz allein pauken müssen gegen Alle

wenn Sie nicht mächtige Hilfe bringen. Schreiben Sie mir jedenfalls, ob Sie hin wollen und können.

Erdrückt von der Uast der unangenehmsten Beschäftigungen

Ihr

F. Lassalle. 8.

RODBERTUS AN LASSALLE. (Original.)

[Ohne Datum, Ende April i863.]3) Geehrter Herr!

Sie sollen Indemnität haben unter der Bedingung, daß Sie mich das nächste Mal vorher fragen. Sie werden mich stets bereit finden, Ihnen in Ihren schwierigen Bestrebungen so wenig hinderlich zu sein wie mög- lich.

Für die Übersendung meines gedruckten Briefes danke ich Ihnen. Ich bitte Sie, es zu veranlassen, daß Wigand mir die Rechnung zuschickt.

Zum 17. Mai *) zu kommen ist mir schon wegen häuslicher Hindernisse unmöglich. Aber auch ohnedem käme ich nicht. Öffentliche Disput a- torien halte ich sogar für gefährlich für unsere Sache. Lunge und Dekla- mation erhalten damit die Kompetenz, über die tiefste und schwierigste Frage eine augenblickliche Entscheidung zu treffen. Zudem scheint mir in diesem Fall etwas Arrangiertes vorzuliegen. Die Regisseure haben

1) Vermutlich steht im Original: ,,der Maingauer Vereine". Lassalle hielt in Frankfurt an diesem Tage die Rede, die danach als ,, Arbeiterlesebuch" erschien.

2) Vgl. hierzu Bd. V. S. 145 Anm. i.

3) Antwort auf Lassalles Brief vom 22. April.

*) Nach Frankfurt, wo Lassalle sich dann allein siegreich durchsetzte.

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möglicherweise schon den Triumph \-on vSchulze-Delitzsch im voraus in Szene gesetzt. Sehen Sie sich also vor ! Auf ein Haar hätte selbst Luther Eck^) unterlegen. Sollte Bucher diese Sache nicht ebenso an.sehen?

Da Sie sich aber einmal diesem neuen literarischen Gottesgericht unterworfen haben Glückauf! Wirth wird Ihnen wohl jedenfalls dort mit entgegenstehen. Ich weiß nur nicht, ob Sie seine „Grundzüge der Nationalökonomie" kennen. Hier kommt S. 36 die Stelle vor:

,,Der Wert der Jahresarbeit eines Arbeiters muß also mindestens einer Summe gleichkommen, welche dessen Existenz sichert. Um diesen Maßstab wird der Preis der Arbeit, der Arbeitslohn, wie um seinen Mittelpunkt, ventilieren, unter dem Einfluß von Nachfrage und Angebot. 2) Ist das Angebot von Arbeit stark usw. usw. ["]. Es kommen nun freilich in diesem zusammengewürfelten Buch auch Stellen vor, die das Gegenteil hiervon sagen, aber das ist ja Wirths Sache und Byron definiert den Wahnsinn ,,die Vereinbarung des Unverein- baren".

Gegen Ihre Produktivassoziationen wird man Ihnen dort auch sicher- lich den landwirtschaftlichen Betrieb, wie ich es getan, vorhalten. Nun will ich Ihnen einen Beweis von meinem Interesse für Sie und zugleich von meiner Uneigennützigkeit geben. Sie werden von Thünen^) kennen, den originalsten deutschen Nationalökonomen, dessen ,, Isolierter Staat" in Europa berühmt geworden ist. Aber vielleicht ist Ihnen der zweite Teil entgangen, der viele Jahre nach dem ersten, erst kurz vor dem Tode des Verfassers erschien. Thünen, mit dem ich unsere Probleme viel be- sprochen habe, würde heute auf unserer Seite stehen, und die Tübinger Zeitschrift für Staatswissenschaft warf ihn deshalb seinerzeit auch zu den Sozialisten. In diesem zweiten Teil bespricht nun Thünen die AssoziationderlandwirtschaftlichenArbeitermitdemGrund- besitzer, die er selbst schon auf seinem Gute TeUow eingeführt hatte. Alles von unserem Standpunkt des Arbeitslohngesetzes aus ! Kennen Sie dies Buch noch nicht, so werden Sie sich daraus vortrefflich für diese Frage satteln können. Und können Sie es in Berlin nicht sofort auftreiben, so will ich es Ihnen mit der Tübinger Kritik senden.

Ich meinerseits glaube indessen, daß die Arbeiterfrage sich nach der Seite entwickeln wird, daß der Staatskredit dazu verwandt

^) Anspielung auf die beriüimte Disputation z^^^schen Luther und Johaun Mayr von Eck vom Jahre 15 19.

^) Lassalle bediente sich hernach im ,, Arbeiterlesebuch" dieses Zitats für die Polemik gegen Max Wirth.

2) Heinrich von Thünen (17S3 1850), der bekannte Nationalökonom. Von: ,,Der isoherte Staat" in Beziehung auf Landwirtschaft imd Nationalökonomie er- schien Bd. I zuerst 1826, Bd. II zuerst iSfjo.

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wird, die Unternehmer zii entschädigen, wenn der Arbeitslohn in einer Weise fixiert wird, die ihm ein ]\Iitsteigen mit dem Steigen des Arbeits- ertrages sichert, denn ich glaube, daß schließlich hier schieben Sie gefälligst eine kleine geologische Periode ein die Entwicklung der Gesellschaft dahin tendiert, nicht die Arbeiter zu Kapitalisten und Grundbesitzern zu machen, das wäre die alte Geschichte, sondern er- schrecken Sie nicht! Grund- und Kapitalbesitz abzulösen. Aber auf diese vielleicht fünfhundertjährige Perspektive darf man das profane Volk nicht hinweisen. Dagegen glaube ich, daß sich doch die Verwirk- lichung des oben ausgesprochenen Satzes leichter und besser an die heutigen gewerblichen Zustände anschHeßen läßt, als die Umwandlung der Einzelunternehmungen in Assoziationsunternehmungen. Aber die Entwicklung unserer Frage ist noch gar nicht so weit gediehen, daß man diese Vorschläge jetzt schon detaillieren dürfte. Vorlävifig genügt es, die soziale Frage wieder in den Vordergrund zu schieben und die Ohn- macht der Gegner ihr gegenüber zu konstatieren. Dabei vergessen Sie doch auch in Ihrem Duell mit Schiilze-Delitzsch nicht, darauf hinzu- weisen, daß in England, wo immerfort Kapital ,, gespart" und in einem Maße gespart ist, daß kein anderes Land dagegen ankommt, wo auch Freihandel und Assoziation so lange schon bestehen, die Totenschaujury alle vierzehn Tage den Spruch fällt: Gestorben aus absolutem ^Mangel an Nahrungsmitteln. Freihandel und Kapital die Masse, aber doch fehlt das ,,hebe Brot"! Überhaupt wird die Frage des Arbeitslohns auch noch von unserer Seite falsch behandelt. Bei unseren schlechten sozialen Zuständen ist nun einmal Arbeit eine Ware geworden wie Besen und Schwefelhölzer und der Lohn ihr Preis. Wenn man nun eine Theorie der Preise schreiben woUte, so würde es keinem verständigen Menschen ein- fallen, den bloßen Lokal- oder auch nur Jahrespreis einer Ware ins Auge zu fassen. In der Statistik gelten nur Durchschnittszahlen, und man muß daher ein ganzes Land und etwa zehnjährige Perioden zugrunde legen. LTnd da bin ich doch sehr zweifelhaft, ob selbst in dem kapitalreichen und freihändlerischen England, wenn man eben den National- arbeitslohn mit der Gesamt arbeiterzahl vergleicht und der Lohn aus den Stockungsjahren mit in die Rechnung kommt, auch nur die aller- geringste ,, Hebung des Niveaus" stattgefunden hat. Aber wir pflegen an den haarsträubendsten Dingen teilnahmslos vorüberzugehen, wenn wir sie gewohnt geworden sind. So z. B. ist es doch scheußlich, daß ein mäßiges Teuerungsjahr jedesmal die Sterblichkeit in den arbeitenden Klassen erhöht, notabene bei den heutigen produktiven Mitteln der Gesellschaft. Es ist das doch auch nur der pure Hungertod!

Können Sie mir nicht das Blatt mit dem Briefe Wuttkes senden?

Können Sie mir eine Zeitschrift empfehlen, die ein paar Abhand-

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lungen „Über den römisclien Kolonat^)" und die „Jugatio und capitatio der Römer" aufnehmen würde? 2) Ich will anfangen, von meinem Ge- schreibe etwas herauszugeben, und in diesen beiden Fragen steckt auch ein Stück Sozi algeschichte, das durch Savigny^) gründlich verunstaltet ist.

Grüßen Sie Bucher! Ich freue mich außerordentlich, daß er über ein Thema sprechen will, das ja den Kern unsrer Frage bildet.*) Mit aufrichtiger Hochachtung

der Ihrige

Rodbertus. 9- LASSALI.E Als RODBERTUS. (Abdruck.)

Berlin, 28. April 1863. Geehrter Herr!

Ich verspreche nicht mehr fort zu lassen ohne zu fragen. Ich werde aber auch nicht einmal zu fragen Anlaß haben. Denn wir sind viel zu einverstanden über alle wesentlichen Punkte. Daß Grund- und Kapital- eigentum abzulösen ist das ist eben, seitdem ich ökonomisch denke, der innerste Kern meiner Ansicht! Sie haben sie ja auch schon am Ende Ihres dritten Sozialen Briefes ausgesprochen. Und gerade deshalb war ich seit je Ihnen warm ergeben. Freihch darf man das dem Mob heute noch nicht sagen, und eben deshalb habe ich das in meiner Broschüre sehr vermieden. Ich glaube aber, daß wenn wir den Staatskredit für die Assoziation haben, dies eben der kleine Finger ist, der, mit der Kon- sequenz des sich selbst entwickelnden L,ebens, allmählich, freilich erst in hundert bis zweihundert (wenn auch nicht fünfhundert) Jahren, dazu führen muß.

Nicht recht ausführbar dagegen erscheint mir vorläufig Ihr Vor- schlag, die Unternehmer für höheren Arbeitslohn zu entschädigen. Die Steuern werden überdies wieder nur 5) größtenteils von den Armen getragen.

Indes darüber einmal mündlich. Vorläufig handelt es sich hauptsäch- lich um das Prinzip. Und nur weil die arbeitenden Klassen nicht mit Unrecht gern irgendein Wie und Wo sehen, habe ich die Assoziation mit Staatsmitteln vorgeschlagen.

Sie haben ganz recht, daß solche Disputatorien nichts entscheiden.

1) Könnte auch ,,Kolonos" heißen.

*) Von Rodbertus erschienen 1865 in den J ahresbüchem für Nationalökonomie lind Statistik: ,, Untersuchungen auf dem Gebiet der Nationalökonomie des klassischen Altertums".

=*) Friedrich von Savigny (1779 1861) der berühmte Rechtslehrer und preußischer Justizminister von 1842 bis 1848.

«) Vgl. Bd. V, S. 146 Anm. 2.

*) Ob es nicht im Original vielleicht , .wiederum" hieß?

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Aber diesmal brauche ich eins. Nach der Weise wie die BerHner Presse die hiesige Arbeiterkomödie verwertet hat, und da wir kein Organ haben, um irgend zu Wort zu kommen, so brauche ich einen großen Eklat, durch welchen ich die Bourgeoisiepresse selbst zwinge, mir zu dienen. Darum muß ich hin und muß siegen. Ich brauche es. Die Leute sind dort einstimmig gegen mich und haben mich mehr aus Höflichkeit nur eingeladen usw. Aber ich will alles daran setzen. Will meine alte revo- lutionäre ]\Iähne schütteln. Es müßte hart zugehen, wenn ich nicht siegte. Daß man weiß, jene Vereine sind sämtlich gegen uns, wurd den Triumph unseres Sieges erhöhen und eventuell der Niederlage diesen Charakter nehmen.

Thünen kenne ich. Die Tübinger Kritik aber nicht, und vSie würden mich zu Dank verbinden, wenn .Sie mir sie übersenden.

Herzlichsten Dank für die Stelle aus [Wirth],^) die ich nicht kannte. Ich habe nur einmal in meinem Leben ein Buch von ihm in der Hand gehabt und da ich beim flüchtigen Blättern den gedankenlosen Kompi- lator erkannte, fortgeworfen und nie was von ihm gelesen. Die Stelle soll ihm, wenn ich sie ihm in Frankfurt eingebe, trefflich schmecken! Auch Ihres Zitats aus Byron werde ich mich dabei bedienen. 2)

Die Auseinandersetzung, daß der Arbeiter nicht ein Mensch, sondern une marchandise comme une autre ist, auf den Arbeitsmarkt erzeugt wird, wenn nötig, und durch die ,, destruktiven Hindernisse", wie Malthus sagt, wieder vermindert, wenn vorteilhaft wollte ich den Leuten schon in Leipzig machen. Aber die Zeit reichte nicht. Ich sprach dort ohnehin schon zwei Stunden. In Frankfurt werde ich vier Stunden sprechen und doch nicht Zeit haben ins eigentliche Detail zu gehen, wie ich möchte. Überall werde ich nur kurz andeuten können. Ich werde ihnen mit allem möglichen, mit Mortalitätslisten usw., Lebensdauer- statistik der Klassen usw. auf den Leib rücken. Aber überall nur ganz kurz. Ein Teil der Zeit muß auch der Fortschrittspartei gewidmet sein. Denn die politische Rücksicht steht uns mehr im Wege, als man glauben sollte.

Ihr Brief fliegt durch die Welt. Meine Leipziger Rede 3) bekommen Sie dieser Tage.

Haben Sie die sechs Leitartikel der ,, Volkszeitung" gegen mich ge- lesen? *) Wenn nicht, sagen Sie es. Dann schicke ich sie Ihnen. Sie

^) Die ersten Herausgeber der Briefe Lassalles an Rodbertus haben hier den Namen fortgelassen. Ob Lassalle demselben hier noch ein Epitheton beilegte, ließ sich nicht feststellen.

2) Siehe ,, Arbeiterlesebuch", S. 17.

3) Die Rede ,,Zur Arbeiterfrage", die Lassalle am 16. April gehalten hatte.

*) ,, Volkszeitung" 23. April ff. Der Verfasser war der Chefredakteur Dr. Aron Bernstein. Vgl. auch Bd. V, S. 149 Anm. 2.

= 331 =

müssen diesen Blödsinn sehen. Und rächen mich dann vielleicht in Ihrem „Kapital und Arbeit" (das Sie jedenfalls schreiben müssen). Ein anderer kann das besser, als man es selbst kann.

Ihre Aufsätze über Jugatio und Capitatio schicken Sie an Ritschi ^) nach Bonn fürs Rheinische Museum ! ^) Wie freue ich mich darauf ! Be- sonders, wenn ich erst wieder Zeit habe, sie zu lesen! Was haben Sie es bequem, Verehrtester! Die Korrespondenz, welche mir die Sache mit den Arbeitern aller Städte zugezogen, ist tödlich! Ich muß täglich fünfzehn Briefe schreiben. Puh!

Heute will ich noch an Professor Hildebrand (Bruno)^) in Jena, den Ökonom, schreiben, der auch zu uns stoßen dürfte. Ich habe ihn neuHch in Leipzig in meiner Rede infolge seines neuHchen Aufsatzes in seinem neuen Ökonomischen Jahrbuche (worin er im Prinzip gleichfalls unserer Ansicht huldigt) vorgeritten. Und so entschließt er sich vielleicht, sich mit uns ausschimpfen zu lassen.

In Eile mit der vorzügHchsten Hochachtung

F. Lassalle.

Daß ich unter den jetzigen Umständen nicht dazu komme, Ihren Brief von neulich über das andere Thema zu beantworten, werden Sie verzeihen! Ich habe nicht einmal zum Denken Zeit.

LASSALLE AN RODBERTUS. (Abdruck.)

Berlin, 30. April 1863. Geehrtester Herr!

Ich sehe soeben, daß ich den zweiten Band von Thünen doch nicht besitze, obgleich ich es bestimmt glaubte. Sie werden mich sehr verbin- den, wenn Sie mir ihn gefälligst gleichfalls einsenden wollten.

Anbei ein Exemplar des Statutenentwurfs, ^) den ich eben empfange.

Was das allgemeine Wahlrecht betrifft, so habe ich noch eins zu er- widern. Ihre Argumentation Freunde ausschließen, Feinde ein- lassen — ist blendend. Aber ich setze ihr folgenden Satz entgegen:

1) Friedrich Wilhelm Ritschi (1806 1876), Professor der alten Philologie in Bonn. Vgl. für Lassalles Beziehungen zu ihm Bd. II, S. 144.

2) Sie sind dort nicht erschienen.

^) Bruno Hildebrand (1812 1878), Professor der Nationalökonomie in Jena imd Begründer der Jalirbücher für Nationalökonomie und Statistik (1862). Für Lassalles Hoffnungen auf ihn vgl. Bd. V, S. 152 Anm. 2. Lassalle beruft sich auf Hildebrand in seiner Rede ,,Zur Arbeiterfrage" S. 17.

*) Für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein.

332 =

Ohne das allgemeine Wahlrecht, also eine praktische Handhabe, unsere Forderungen zu verwirklichen, können wir sein eine philosophische Schule, oder auch eine religiöse Sekte, aber niemals eine politische Partei. Darum scheint mir, daß das allgemeine Wahlrecht so zu unseren sozialen Forderungen gehört, wie der Stiel zu der Axt.

Bitte, das zu überlegen und mir nochmals Ihre ]\Ieinung zu sagen. (Die Feinde halten wir schon durch die sozialen Forderungen ab.)

Haben Sie außerdem Amendements zu den Statuten vorzuschlagen? Im Juni wird in I^eipzig die konstituierende Versammlung sein,^) wo die definitiven Statuten beschlossen werden.

Mit den herzlichsten Grüßen

Ihr

F. I^assalle.

Anbei meine I^eipziger Rede.

II. RODBERTUS AN I.ASSALLE. (Original.)

Jagetzow, I.Mai 1863.

Hierbei, verehrter Herr, die Tübinger Kritik! Den Brief Wuttkes habe ich schon in der Augsburger gelesen, die Schandartikel der ,, Volks- zeitung" in dieser selbst. Überhaupt lerne ich alles kennen, was in diesen beiden Zeitungen, und außerdem der ,, Kreuz"- und der ,, Ostseezeitung" steht. Aber sonst ist man auf dem Lande etwas Robinson.

Was die ,, Entschädigung der Unternehmer" betrifft, so müssen Sie das nicht so grob verstehen, wie ich es ausgedrückt hatte. Das würde nicht gehen, daß der Unternehmer dem Arbeiter zehn Silbergroschen mehr zahlte, die der Staat dem Unternehmer wiederzahlte. Das wäre das Faß der Danaiden, und ich möchte, wenn ich könnte, Ihnen einen Augen- blick zürnen, daß Sie mir das zugetraut haben. Aber freilich, mein Aus- druck war schuld. Was ich sagen wollte, ist das: Ehe jenes Ziel erreicht wird, das nur die Esoteriker kennen, lassen sich Übergangsregeln treffen, welche denselben Erfolg haben würden, als ob der Lohn in einer festen Quote des Ertrags bestände und also an der steigenden Produk- tivität Anteil hätte, so daß also die Zukunft die Lohnerhöhung trüge, und den Unternehmern nichts von ihren heutigen Gewinnen genom- men würde. Hier ist allerdings Entschädigung nicht das richtige Wort. Diese Übergangsmaßregel erkennt man, wenn man die ökonomischen Zustände, die jenes Ziel mit sich bringen würde, in bezug auf die Ka- tegorien Kapital, Kosten, Wert, Preis, Geld genau durchdenkt und sie

^) Die Konstituierung erfolgte schon am 23. Mai. Rodbertus blieb fem.

333 ^^^^

dann in denselben Beziehungen mit den heutigen Zuständen vergleicht. Ich weiß, daß ich mich hier etwas mystisch ausdrücke, aber di e Na- tionalökonomie ist ja auch die wahre Goldmacherkunst und überdies, um ernsthaft zu sein, ist es auch ganz unnötig, daß ich mich früher deutlich ausspreche, ehe nicht folgende Irrtümer in der Wissenschaft zerstreut sind:

1. daß die Kosten sich nach dem Arbeitslohn regulieren;

2. daß das Kapital ,, gespart" werde;

3. daß die Höhe des Arbeitslohnes stets nur im V^erhältnis zu dem in der Nation ersparten Kapital stehen könne;

4. daß der Arbeitslohn aus dem Kapital bezahlt werde.

Dies sind alles Halbwahrheiten oder Unwahrheiten, die aber jeder so- liden Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen wie unübersteig- liche Berge im Wege stehen. An die Widerlegung dieser Irrtümer ist aber nicht früher mit Nutzen zu gehen als bis Sie, verehrter Herr, die ökonomischen Fragen wieder in gehörigen Fluß gebracht haben, so daß das ganze Volk ihnen wieder Aufmerksamkeit schenkt. Denn daß die paar angestellten Professoren Notiz davon nehmen, bringt nicht vom Fleck.

Und darum, dreimal Glückauf zu Ihrer x\gitation!

Auch darin haben Sie recht, daß uns die poHtische Rücksicht, die das Volk der Fortschrittspartei zollt, hindernd im Wege steht; und daß Sie ihr daher in Frankfurt eine Rücksicht anderer Art schenken wollen, ist vortrefflich. Ich weiß zwar nicht genau, wie Sie in der deutschen Frage denken, aber wenn Sie au fond großdeutsch sind, bleibt dies immer der beste und in Süddeutschland günstigste Haken, an dem man die Partei hängen kann. Sie werden ja ihren taumelnden Gang in dieser Frage verfolgt haben, von dem Eisenacher Statut ^) bis zu dem Frank- furter ,, Weißen Blatt" 2) und den Debatten der ersten Koburger Gene- ralversammlung,^) in denen Schulze-Delitzsch noch die Reichsverfassung von 1849 herunterriß, die jetzt der letzte Notnagel der Partei geworden ist. Es ist wichtig hervorzuheben, daß man sich diesen Leuten auch in dieser Frage nicht mehr anvertrauen kann.

Alles andere bis auf eine gelegenere Zeit!

Hochachtungsvoll

der Ihrige

Rd.

, *) Die vorbereitende Versammlung in Eisenach vom 14. August 1859.

^) Die Frankfurter Zusammenkunft, die zur Gründimg des Nationalvereins führte, fand am 15. und 16. September 1859 statt.

3) Die erste Generalversammlung des Nationalvereins fand in Koburg am 3. imd 4. September 1860 statt.

334

12.

I.ASSAIvI.E AN RODBERTUS. (Abdruck.)

Berlin, 2. Mai 1863. Verehrter Herr!

Ich erhalte soeben Ihren Brief mit der Tübinger Kritik. (Ist der Helferich der Berliner Psychologe?)^) Ich antworte Ihnen umgehend, um Ihnen zu sagen, daß mein Gedächtnis besser war als mein Auge und daß ich heute auch den zweiten Band von Thünen hier glücklich gefunden. Meine Bibliothek ist nämlich neulich bei meinem Umzüge im selben Hause, aber in andere Zimmer am i. April in schmähliche Verwirrung geraten.

Das Mißverständnis fliegt wie ein Ball herüber und hinüber. Wer wird ihn zuletzt behalten? Denn gewiß habe ich Ihnen das nicht einen Mo- ment im Ernste zugetraut, daß Sie dem Arbeiter zehn Silbergroschen zum Lohn zulegen lassen wollen usw. Meine Ausdrucksweise ich habe jetzt nie mehr die geringste Zeit zur Überlegung präziser Fassung war noch roher als die Ihrige und sollte nur sagen : da es doch auf diese Weise nicht geht, so ist mir zur Zeit noch nicht klar, auf welche Weise es überhaupt gehen könnte.

Wären Sie es nicht gerade, welcher allerdings noch in mystischer Weise behauptet, daß es ginge, durch ein praktisch ausführbares Gesetz dem Arbeiter in Fabrikation und Handel eine Gewinnquote zu sichern, so würde ich einfach sagen: es geht nicht. Da Sie es aber be- haupten, will ich nicht vorgreifen.

Über die vier Punkte denke ich wie Sie.

Daß erstens die Kosten sich nicht nach dem Arbeitslohn regu- lieren — ist ja schon lange durch Ricardo und seine Schule bewiesen; nicht nur als eine in der Lehre derselben enthaltene Konsequenz, sondern es ist auch eine von ihr direkt gezogene Konsequenz.

Daß zweitens das Kapital ,, gespart" wird (,, angesammelt" nach Freund Schulze) ist ja überhaupt ein Unsinn, überdies auch nur aus der Verwechslung der Einzelwirtschaft und ihrer Erscheinungen mit der Nationalproduktion entstanden.

Daß drittens die Höhe des Arbeitslohnes im Verhältnis zu dem in der Nation ersparten Kapital stehe ist mindestens schon durch die Prinzipien der Ricardoschen Schule widerlegt, häufig auch direkt.

Und daß viertens der Arbeitslohn aus dem Kapital bezahlt werde ist ein Satz, den man nur bei einer ganz schiefen Auffassung des Be- griffes: Kapital aufstellen kann.

1) Nicht dieser, sondern Johann Alfons Renatus Helferich (18 17 1892), damals Professor der Nationalökonomie in Göttingen, hatte in der Tübinger Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 185 1 einen Aufsatz über Thünen veröffentlicht.

= 335 =

Aber trotz des Einverständnisses in allem diesem bleibt mir dennoch das Wie? Ihres Gedankens noch mystisch. Vielleicht trägt die Schuld daran, daß ich in jetziger Zeit weder die geringste Muße noch Sammlung habe nachzudenken. Ich glaubte bis heran in bezug auf die Fabri- kation, auf die Kapitalrente überhaupt daß die Sache nur via facti gemacht werden könne. Weit eher würde ich in bezug auf die Abolition der Grundrente einen praktisch ausführbaren Weg durch bloße Gesetze sehen.

Daß die Assoziation mit Staatsmitteln jenes Resultat, das wir ge- meinschaftlich wollen, haben müßte, bestreiten Sie wohl nicht.

Wenn ich etwas in meinem Leben gehaßt habe, ist es die klein - deutsche Partei. Alles Kleindeutsche ist Gothaerei und Gagerei (falsch gebildet von Gagern) i) und reine Feigheit. Vor anderthalb Jahren hielt ich hier einmal bei mir eine Versammlung meiner Freunde ab, worin ich die Sache so formulierte: Wir müssen alle wollen: Großdeutsch- land moins les dynasties.

Ich habe in meinem Leben kein Wort geschrieben, das der klein- deutschen Partei zugute käme, betrachte sie als das Produkt der bloßen Furcht vor: Ernst, Krieg, Revolution, Republik, und als ein gutes Stück Nationalverrat.

Überdies bin ich ja in meinem ,, Antwortschreiben" in dem wenn auch kurzen Satze von dem ,, Dogma der preußischen Spitze" deutlich genug gewesen.

Aber eben weil mir diese Partei und ihre Faseleien immer so un- endlich zuwider waren, habe ich ihre Debatten nicht so im Näheren verfolgt nur in der Wissenschaft habe ich mir immer die Selbstüber- windung aufgelegt, auch alles das ruhig zu lesen, was mich vomieren machte. In der Politik nicht. Ich habe nie die Koburger Debatten ge- lesen und so weiß ich nichts von dem mir sehr gelegen kommenden Fak- tum, daß Schulze daselbst die Reichsverfassung herunterriß. Können Sie mir seine Rede oder die Zeitungsberichte darüber schicken? Wäre mir sehr lieb. Ich würde in der Rede in Frankfurt, wenn es die Zeit irgend erlaubt denn worüber muß ich da nicht alles sprechen! mir eine furchtbare Waffe daraus zimmern können.

Wenn es also möglich ist, schicken Sie mir das, statt des Thünen.

Meinen Artikel in der ,, Deutschen Allgemeinen" 2) habe ich Ihnen heute zugesendet.

Mit der herzlichsten Hochachtung ganz

F. Lassalle.

*) Heinrich von Gagern (1799 1880), der Präsident der Frankfurter National- versammlung von 1848 und das Haupt der kleindeutschen Partei in der Paulskirche *) Siehe Bd. V, S. 151. Der Artikel erschien am 2. Mai.

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Das Komitee, dem ich geschrieben, Ihnen die Rechnung durch Wigand für den Druck Ihres Briefes Ihrem Wunsche gemäß zuzusenden, schreibt mir zurück, daß es Anstand nähme, hierauf einzugehen, weü der Verkauf des Briefes doch die Kosten decken und wohl noch Über- schuß abwerfen würde. Inzwischen, die Arbeiterkasse wird noch Geld genug brauchen. Ich woUte aber nicht wieder eigenmächtig verfahren und frage daher an, was ich antworten soll.

13- RODBERTUS AN Iv ASS ALLE. (Original.)

Jagetzow, 4. Mai 1863.

Hierbei, geehrter Herr, Thünen II. Sie werden sich über das Buch freuen.

In dem Statutenentwurf wird als Zweck lediglich die Herstellung des allgemeinen Stimmrechts bezeichnet. Da Sie nun als Motiv das bekannte soziale Ziel genannt haben, so beschränken Sie den Zutritt zum Verein von zwei Seiten: Weder kommen die sozialen Freunde, die Gegner des allgemeinen Stimmrechts sind, noch die Freunde des all- gemeinen Stimmrechts, die imsere sozialen Gegner sind wenn nämlich Ihre Ansicht richtig ist, daß die Feinde draußen bleiben werden. Viel besser wäre die Sache dann immer noch nicht, da Sie Ihre Stimmrechts- armee geschwächt. Dieser Übelstand wäre zu vermeiden gewesen, wenn Sie mit Ihren Leipziger Freunden das Motiv in petto behalten und nur das allgemeine Stimmrecht als Ziel aufgestellt hätten, was Sie bei Ihrer Ansicht, daß dies Recht unausbleiblich zu unserem sozialen Ziele führen werde, auch eigentlich hätten tun müssen. Dabei wäre also die soziale Agitation verfrüht gewesen.

Dennoch ist es, wie Sie sehen, nur diese letztere, die, wie sie allein Widerstand erregt, Ihnen auch nur allein Kraft gibt. Schon gegenwärtig tritt Ihr statutenmäßiges Ziel völlig in den Hintergrund, und so werden Sie auch in Ihren Vereinsberatungen fortwährend gezwungen sein, über die statutenmäßige Schnur zu hauen und sich statt mit Ihrem ausge- sprochenen alleinigen nächsten Zweck mit dem entfernteren unausge- sprochenen Endzweck beschäftigen müssen. Genug, es wird Widerspruch und Unklarheit in Ihre Bestrebungen kommen. Zudem finde ich die bloße Agitation für das allgemeine Stimmrecht der Tätigkeit und den Machtmitteln eines Arbeitervereins nicht ganz entsprechend. Sie scheint in der Tat, wie das Beispiel der vom guten Uhlich ^) geführten Magdeburger zeigt, nicht Anziehungskraft genug zu haben. Die Magde- burger Erklärung paralysiert im Grunde schon Ihren bloßen Allgemeinen

1) Leberecht Uhlich, der Gründer der protestantischen freireligiösen Bewegung, stand den liberalen Arbeiterbildungsvereinen nahe. Vgl. auch Bd. V, S. 347.

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Stimmrechtsverein. Einer sozialen Fahne werden aber dieselben Ar- beiter mit der Zeit schon folgen. Aus den ,,Volkszeitungs"- Artikeln liest man auch diese Besorgnis hauptsächlich heraus.

Freilich muß der Leipziger Verein auch zugleich eine politische Partei sein, und nichts wäre verderblicher für ihn, als wenn er nur eine ,, Schule" oder ,, Sekte" oder gar nur Verein ä la ,, Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen" würde. Aber daß das nicht geschieht, dafür ist aiif doppelte Weise zu sorgen. Einmal, daß der Vereinszweck nicht in die bloße Beratung der notwendigen Maßnahmen, sondern vielmehr deren Einführung in das Staatsleben gesetzt wird; zweitens, was sehr weise von den Statuten ist, daß, eo ipso, nur Arbeiter im eigentlichen Sinne des Wortes Mitglieder sein sollen, die Avifnahme anderer von einem Be- schluß abhängig gemacht wird. (Sie sollten diese noch deutlicher in den Statuten als ,, außerordentliche ^Mitglieder" unterscheiden oder über- haupt eine solche Klasse zulassen, wenn § 2 beschränkter zu verstehen ist, als wie ich eben angedeutet.) Dadurch also, daß der Verein vorzugs- weise ein Arbeiterverein bleibt, behalten Sie dennoch die politische Armee, auf die es Ihnen ankommt, und ,, Schule" vmd ,, Sekte" sind nicht zu fürchten. Andererseits kann der Zutritt konservativ-sozialer Männer oder sozialer Fortschrittler, deren es ja viele gibt, nur der Sache förder- lich sein und gibt auch dem Verein mehr Ansehen und Autorität. Daß das konservative Element die Oberhand gewönne, brauchen Sie nicht zu fürchten. Ich meinerseits habe hierbei noch den Nebenzweck einer wirksamen Zerbröckelung der Fortschrittspartei im Auge.

Auch die territoriale Bestimmung im § i wiU mir nicht recht in den Sinn. Sagen Sie doch ,,für die deutschen Bundesstaaten" (nicht Län- der). Ich Hebe diesen etwas weitgreifenden Doppelsinn. Wir haben ja so viele Deutsche in Posen, Ungarn und Siebenbürgen, und ein Mann wie Sie, kann doch nicht Nationalitätsprinzipler sein. Auf dem Einverlei- bvmgsprozeß zurückgebliebener Nationalitäten beruht meine ganze Geschichtsanschauung und ich hoffe noch die Zeit zu erleben, nicht bloß, wo das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit reguliert, sondern auch wo die türkische Erbschaft an Deutschland gefallen sein wird und deutsche Soldaten- oder Arbeiterregimenter am Bosporus stehen. Sagen Sie ja: ,, deutsche Bundesstaaten"!

Sie schrieben, Sie woUten in Frankfurt auch der deutschen Fort- schrittspxartei einige Rücksicht schenken. Sie werden das hoffentlich schonungslos tun. Denn hätte jemals der kleindeutsche Gothaismus und das ist ja der ,, deutsche Fortschritt" gründlicher Bankerott machen können, als so. daß Ihr Freund Julian ^) sich flehentlich an

^) Julian Sclunidt (18 18 1886), der Literarhistoriker, gegen den Lassalle 1862 das Pamphlet ,,Herr JuUan Schmidt, der Literarhistoriker" gerichtet hatte.

Mayer, Lissalle-N' achla^s VI 22

338 ..==

Österreich klammert? Not lehrt beten, sich blamieren und erst unter Blamage das Richtige tun, was früher mit Würde geschehen konnte. Der Refrain bleibt immer : Wie darf sich das Volk solchen lycuten länger anvertrauen?

Leben Sie wohl! Ich leide wieder an entzündeten Augen und darf wenig lesen und schreiben.

Hochachtungsvoll

der Ihrige

Rd. 14.

RODBERTUS AN I.ASSALI.E. (Original.)

Jagetzow, 6. Mai i86j.

Geehrter Herr! Thünen ist schon unterwegs. Schulze-Delitzsch über die Reichsver- fassung müssen Sie in der Wochenschrift des Nationalvereins finden köanen ; ich hatte nur aus der Erinnerung geschrieben. Entschuldigen Sie, daß ich heute nicht mehr schreibe: meine Augen sind sehr leidend.

Hochachtungsvoll

der Ihrige Rd.

Ihre Rede habe ich noch nicht lesen können. Wegen der Druckkosten meines Briefes fragte ich an, weil es mir nach Ihrem Briefe schien, als ob Sie auf meinen Wunsch den Druck veranlaßt hatten; hat niemand Kosten davon gehabt, so bin ich zufrieden. Nächstens mehr; ich habe scheußliche Schmerzen. Rd.

15- LASSAIvLE AN RODBERTUS. (Abdruck.)

Berlin, 8. Mai 1863. Geehrtester Herr! ,,Und ich hoffe noch die Zeit zu erleben, wo die türkische Erb- schaft an Deutschland gefallen sein wird und deutsche Soldaten- oder Arbeiter- Regimenter am Bosporus stehen."

Es hat mich zu eigentümlich berührt, als ich in Ihrem letzten Schrei- ben diese Worte las! Denn wie oft habe ich nicht gerade diese Ansicht meinen besten Freunden gegenüber vergeblich vertreten und mich dafür von ihnen einen ,, Träumer" nennen lassen müssen! Die ganze Verschie- bung der seit 1839 so oft in Angriff genommenen orientalischen Frage hat für mich immer nur den vernünftigen Sinn und Zusammenhang ge-

339 =

habt, daß die Frage solange hingeschoben werden muß, bis der natur- gemäße Anwärter, die deutsche Revolution, sie löst!

Wir scheinen im Geiste als siamesische Zwillingsbrüder zur Welt ge- kommen zu sein!

Nein, Nationahtätsprinzipler bin ich nicht. Ich habe meine Ansicht darüber sehr deutlich seinerzeit in meiner Broschüre über den italieni- schen Kriegt) ausgesprochen, die ich Ihnen beiliegend sende. Sie finden darin ausdrücklich entwickelt, daß ich das Recht der Nationalität nur den großen Kulturnationen und denen werden Sie es ebensowenig bestreiten vindiziere, nicht den Rassen, deren Recht vielmehr nur darin besteht, von jenen assimiliert und entwickelt zu werden.

So weit also sind wir ganz d'accord. Eine einzige Differenz scheint mir vielleicht zwischen uns zu bestehen.

Sind Sie wirklich au fond Föderativstaatler? Ich bin entschiedener Gegner des Föderativstaates für Deutschland, entschiedener Anhänger des unitarischen Staates.

Das soll mich nicht abhalten, das Wort ,, Deutsche Bundesstaaten" statt „lyänder" in die Statuten aufzunehmen.

Welche sonstige Abänderung der .Statuten Sie wünschen, ist mir nicht ganz deutlich geworden.

WoUen wir in § i sagen statt ,, seiner Interessen" deutlicher: ,, seiner sozialen Interessen" ? ^) Damit wäre ich ganz einverstanden und habeich auch mit der jetzigen Fassung dasselbe gemeint.

Das allgemeine Wahlrecht aber wegzulassen das geht nicht mehr, aus drei Gründen:

Erstens halte ich fest, daß wir nur durch dieses Aktionsmittel eine politische Partei werden.

Zweitens ist es möglich, daß sich soziale Gegner bei uns einfinden können; aber sie werden dann durch unsere Masse (cf. § 2) assimiliert und dienen dann nur dazu, unsere Macht zu vermehren; bilden den unfreiwilligen Anhang für die sozialen Zwecke.

Drittens wäre diese tiefgreifende Änderung jetzt überhaupt nicht mehr möglich.

Es wäre sehr schön und sehr nützlich, in jeder Hinsicht, wenn Sie die Güte hätten, zum Stiftungsfest, zum 23. des Monats nach Leipzig zu kommen. Wir würden dann beide schon am 22. dort in einem von Ihnen zu bezeichnenden Gasthof eintrefi^en und die noch zu machenden Abänderungen besprechen, die dann am 23. beschlossen werden würden.

^) Der italienische Krieg und die Aufgabe Preußens, Berlin 1859. -) Die Endredaktion formulierte: ,,der sozialen Interessen des deutschen Arbeiterstandes' ' .

= 340 ^^=

Bitte, tun Sie es. Es würde auch die Leipziger Arbeiter immens freuen. Jedenfalls bitte um Antwort.

Die Bewegung schwillt, schwillt und schwillt. Ich will Ihnen einige kleine Details geben, die in Ihre ländliche Einsamkeit vielleicht weniger gedrungen.

Von Blättern sind für uns, außer der ,, Allgemeinen Zeitung" in Augsburg und den reaktionären Berliner Blättern (,, Kreuzzeitung", ,, Norddeutsche Allgemeine Zeitung" und ,, Bürgerzeitung" folgende demokratische: „Zeitgeist"^) (Leipzig), ,, Nordstern" (Hamburg), „Schwä- bische Volkszeitung" 2) (Stuttgart), ,, Berliner Gemeinde-Zeitung" (diese bloß halb und halb), „Fränkische Volkszeitung" Nürnberg).

Die feindliche Presse bläst überall mehr oder weniger deutlich zum Rückzug.

Mein Aufsatz über die ,, Louis Blancschen" Nationalwerkstätten von 1848 ^) (Sie werden ihn ja wohl erhalten haben) ist von fast allen reak- tionären und selbst von manchen liberalen Blättern (,, Rheinische Zei- tung" usw.) aus der ,, Deutschen Allgemeinen" abgedruckt und hat gut gewirkt.

Doktor Müller,*) Vorsitzender des Arbeiter-Bildungsvereins in Frankfurt, hat sich entschieden für uns erklärt. Unser Anhang in Frankfurt wächst.

Vom Rhein hoffe ich bald neue Beitrittserklärungen.

Rau^)soU sich halb gegen, halb für uns in der ,, Süddeutschen Zei- tung" ausgesprochen haben. Ich habe den Artikel noch nicht bekommen können.

Man schreibt mir von Zürich, daß auch die ganze süddeutsche Presse zum Rückzuge bläst.

Die ,, Volkszeitung" hat sich hier durch ihre zehn Artikel gegen mich sehr geschadet. Man hatte doch eine Art von Scham über dieses Auftreten gegen mich, und fand es selbst bei den leidenschaftlichen Gegnern, ent- rüstend.

Hubers ^) Votum ist äußerst nützlich.

1) Der ,, Zeitgeist" , der bald darauf einging, wurde von dem Literaten Dr. Eduard I/iwenthal redigiert.

2) Dies von R. von Gähler redigierte Blatt ging schon Weihnachten 1863 ein. ^) Er erschien hernach auch als Anlage zum Bastiat-Schulze.

*) Der Chemiker Dr. Theodor Müller (18 19 1893) ^^^ I,ehrer am Frank- furter Waisenhaus.

^) Karl Heinrich Rau (1792 1870), seit 1822 Professor der Nationalökonomie in Heidelberg, galt als eine große Autorität in ökonomischen Fragen.

*) In einem Brief an die ,, Berliner Gemeinde-Zeitung" vom 2. Mai. Für Lassalles Beziehungen zu dem konservativen Sozialpolitiker Victor Aime Huber vgl. Bd. V, Nr. 141, 187, 191, 230, und Gustav Mayer, V. A. Huber, Lassalle und die Monarchie in Grünbergs Archiv I, S. 181 ff.

^= = 341 -^=--s=

Die „Volkszeitung" hat meinen iVrtikel darüber zwar nur sehr ver- stümmelt gebracht. Aber ich hoffe, Brockhaus bringt ihn morgen vollständig.

Es wäre alles sehr schön, wenn mich nicht die Arbeitslast erdrückte. Die Korrespondenz ist nicht mehr zu bestreiten.

Ich werde nun nächstens zweimal gehörig Feuer geben : einmal durch meine Frankfurter Rede, zweitens hier durch meine Gerichtsrede.

Ich bitte Sie gleichfalls wieder zu feuern, wenn es der Zustand Ihrer Augen irgend zuläßt. Wir müssen die mangelnde Zahl durch Tätigkeit ersetzen.

Und nun mit den herzlichsten Wünschen guter Besserung und größter Hochachtung

Ihr

F. Lassalle.

Hoffentlich haben Sie mir bei Empfang dieses den Wirth schon ge- schickt.

16. LASSAIvIvE AN RODBERTUS. (Abdruck.)

[Berlin, undatiert, wohl 7. oder 8. Mai 1863.]

Geehrtester Herr!

In hoher Eile!

Indem ich Ihnen beiliegend den Thünen retourniere aber beson- ders, um den Brief nicht aufzuhalten bitte ich Sie dringend, mir eiligst den Max Wirth zu schicken. Unmittelbar nachdem ich Ihren damaligen Brief erhielt, schrieb ich an meinen Buchhändler, das Werk mir zu senden. Ich erhalte es, lasse es binden, heute endlich schlage ich das Zitat (S. 36) nach und entdecke endlich, als ich es nicht finde, daß man mir die zweite Ausgabe geschickt hat, in der ich die Stelle nicht finden kann. Da ich in Frankfurt unbedingt das Buch selbst zur Hand haben muß, bitte ich, mir Ihr Exemplar umgehend zu senden! ••«.•;

Es tut mir sehr leid, zu hören, daß Sie fortwährend leidend sind.

Über anderes antworte ich morgen, ich habe Ihnen vieles zu schreiben. Heute nur diese Bitte, in eüigster Flucht. Ich werde schon den zwölften oder dreizehnten von hier abreisen, sowie Ihr Wirth an- langt.

Ihr

F. Lassalle.

= 342 =

17- RODBERTUS AN IvASSAI^LE. (Original.)

Jagetzow, 9. Mai 1863.

Warum, geehrter Herr, wollen Sie durchaus dem Arbeiter einen Anteil am Gewinn zukommen lassen? Warum wollen Sie nicht ein- fach dahin operieren, daß sein L,ohu erhöht wird? Stellen Sie sich einen Zustand vor, in welchem dem Arbeiter der ganze Arbeits- ertrag als Einkommen zufiele, der sich jetzt zwischen ihm, Grund- besitzer und Kapitalisten teilt meinen Sie, daß dann der Arbeiter Lohn + Grundrente + Kapitalgewinn bezieht? Sie würden dann die Ansicht des herrschenden Systems teilen, daß Grundrente das Pro- dukt der natürlichen Kräfte, Kapitalgewinn das Produkt der ange- wandten ,,Kapitalkräfte" (horribler Begriff!) seien und nicht alles zusammen Produkt der Arbeit, die nur durch positive Rechtsverhält- nisse gezwungen ist, Grundbesitzern und Kapitalisten davon abzutreten. Diese Ansicht teilen Sie aber sicherlich nicht. Dann würde aber der Arbeiter in jenem Zustande nicht Lohn + Grimdrente -f- Kapital- gewinn, sondern einfach den natürlichen Arbeitslohn bekommen, denn der natürliche Arbeitslohn ist das ganze Produkt der Arbeit. Mag nun dieser Zustand ein erreichbares oder unerreichbares Ideal sein, jedenfalls scheint darin ein Fingerzeig zu liegen, daß nur auf dem WegezudiesemZieldie nötigen Verbesserungen der Lage der arbei- tenden Ellassen liegen, daß dieselben nur in einer Annäherung des wirklichen Arbeitslohnes an den natürlichen bestehen können, eine An- näherung, die nur durch praktische und positive Maßregel des Staats bewirkt werden kann, da das negative Laisser faire vielmehr so wirkt, daß der wirkliche Arbeitslohn an den notwendigen festgebunden wird, und deshalb, da der natürliche Arbeitslohn wegen Zunahme der Pro- duktivität sich zunehmend steigert, immer weiter hinter demselben zurückbleibt. Sie werden einwenden wollen, Sie erreichten faktisch das- selbe, indem Sie den Arbeiter am Gewinn partizipieren ließen, aber Sie sind doch sonst ein Mann des Begriffs und Sie „schleppen des Ge- fängnisses Schmach, ein Stückchen des Fadens nach", wenn Sie bei dem einen Begriff stehen bleiben, der nur seine Stütze in einer ganz falschen Begründung findet und deshalb noch ferner dem Irrtum Vorschub tut. Aber nicht sowohl in den Dingen, selbst nicht in dem Widerstände der Staatsgewalt, liegen die Haupthindernisse unseres Strebens, sondern in den ökonomischen Irrtümern, die wir mit der Muttermilch eingesogen haben.

Ich meine aber auch: Es geht gar nicht auf dem Wege, den Sie im Sinn haben, und Sie irren sich, wenn Sie schreiben: ,,daß die Asso-

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ziation mit Staatsmitteln jenes Resultat, das wir gemeinschaftlich wollen, haben müßte, bestreiten Sie wohl nicht". Ich bestreite es ganz entschieden. Wäre dies nicht, so hätte ich selbst das allgemeine Be- denken in meinem ,, Offenen Briefe" nicht dagegen laut werden lassen. Aber ich trete Ihnen jetzt nicht entgegen verstehen Sie, in den Mitteln! im Ziele sind wir ja einig weil ich Ihrer Riesenarbeit nicht hinderHch sein will, weil es zunächst nur darauf ankommt, die soziale Frage wieder auf die Tagesordnung zu bringen, weil auch für das Volk die Wahrheit nur ein letztes ist, zu dem es erst auf einer langen I^eiter von Irrtümern gelangt. Es muß erst die allgemeine ökonomische Ver- dummung beseitigt werden, die das herrschende System in den Köpfen verbreitet hat. Sonst fallen die besten Vorschläge ins Wasser. Wären Bucher und ich heute mit unseren großdeutschen Flugblättern^) auf- getreten, so hätten wir entschieden mehr Anklang in Nc^ddeutschland gefunden als damals, wo wir bloß weiter sahen, als die von ,, Volks"- imd ,, Nationalzeitung" irregeleitete Menge. Deshalb war und wäre es mein Wunsch, daß Sie Ihre Assoziation nicht als das einzige Mittel hinstellen möchten, sondern auch der Erörterung über andere Raum ließen wenn nicht etwa die bloße Agitation für das allgemeine Stimmrecht die öko- nomische Seite der Frage überhaupt wäeder in den Hintergrund drängt. Tritt dies Unglück aber nicht ein, so müssen erst sämtliche National- ökonomen an dem Streit teilnehmen, so müssen die nationalökono- mischen Hauptbegriffe erst dem ganzen Volk geläufig geworden sein, um mit den letzten Vorschlägen herauskommen zu können. Ich meiner- seits betrachte diese heutige Arbeiterbewegung vorläufig nur wie eine ungeheure Lehrstunde für das Volk, in der wir durchaus pädagogisch verfahren müssen. Ihr persönliches Verdienst wird dabei nicht ge- ringer werden, denn mit so viel Mut und so viel Geist ist selten eine Agitation ins Leben gerufen worden.

Noch eine Bitte möchte ich Ihnen ans Herz legen: Lassen Sie sich zu keinem politisch-revolutionären Wege fortreißen, sondern seien Sie wahrhaft eifersüchtig auf die Reinheit der sozialen Seite der Frage! Ich für meine Person habe lediglich diese im Auge und nicht den ge- ringsten politischen Nebenzweck, wenn ich auch patriotisch genug bin, mich zu freuen, daß die Fortschrittspartei über Ihre Bestrebungen zer- bröckeln wird. Ich fürchte, Sie täuschen sich in der Signatur der Zeit, wenn Sie glauben, auf dem obengenannten Wege zum Ziele zu kommen. Sie ist dem Cäsarismus günstiger als irgend einer andern Form. Auch das ist das Werk des Freihandelssystems, das an dem wahnsinnigen

1) Karl Rodbertus, Philipp vou Berg, Lothar Bucher. Seid deutsch ! Hin Mahn- wort II, Berlin 1861. Wa.s sonst? Ein deutsches Programm IV, Berlin 1861.

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Widerspruch laboriert, den Mund für die Freiheit übervoll zu nehmen und doch bei der geringsten Volksbewegung für seine Prozente zu zittern. Der Cäsarismus gehört auch zu den „leisten" Ihres Weltgeistes. Dieser zügelt damit verzeihen Sie die Anspielung die Feuerköpfe der guten Sache und züchtigt damit jene heuchlerischen Großsprecher. Bis jetzt hat es noch keine Periode gegeben, in der den sozialen Fortschritten mehr vorgearbeitet worden wäre, als das römische bas-empire, wenn auch diese seine Seite noch ungeschrieben ist.

Ihren Artikel aus der ,, Deutschen Allgemeinen" habe ich noch nicht.

In Ihrer I^eipziger Rede geben Sie mir ein Prädikat, das ich noch erst verdienen muß.^) Die Professoren werden die Nase rümpfen. Schrei- ben Sie mir gefälligst seinerzeit ausf ührUch über die Leipziger Beratungen.

Mit aufrichtiger Hochachtung

der Ihrige

Rd.

Soeben schickt mir Büchner 2) seinen Bericht zu. Wenn er auch schwach ist, ist er doch in anständiger Form gehalten. Da Büchner sich besonders gegen das Arbeitslohngesetz richtet und einige ungenannte Autoritäten dagegen anführt, so werden Sie sich wahrscheinlich auf ge- nannte und bekannte berufen wollen. Vielleicht sind Ihnen bei Ihren vielen Arbeiten noch folgende entgangen:

I. Schön,^) Neue Untersuchmig der Nationalökonomie, S. loo (war Professor in Breslau, leider zu früh verstorben.) ,,Der Lohn muß sich ganz vorzüglich nach den Kosten der Arbeit richten. Als Kosten der Arbeit kann man teils die Vorauslagen auf die Erwerbung der nötigen Geschicklichkeit, teils die nötigen Unterhaltsmittel der Arbeiter rech- nen." — Die Vorauslagen sind nach vSchön sehr verschieden und lassen sich nicht genau bestimmen. ,, Daher sind nur die nötigen Unterhalts- mittel als bestimmte Kosten der Arbeit anzusehen." . . . ,,In der Regel wird der nämliche Arbeiter nicht bloß seine Person, sondern auch sein Weib und Kind durch den Lohn erhalten müssen." . . . ,, Inzwischen ist es keineswegs eine Notwendigkeit, daß der individuelle Lohn stets für eine Familie hinreiche. Wenn die Kinder und die Frauen Beschäftigung finden, so sinkt der Lohn der Männer unter den Bedarf ganzer Fami- lien." . . . „Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage wird den Lohn

') I,assalle hatte Rodbertus dort als den größten deutschen Nationalökonomen bezeichnet.

2) Über Ludwig Büchners Beziehungen zu Lassalle vgl. Bd. V passim, nament- lich dessen Briefe unter Nr. 92, 94, 98, 107, 113.

3) Johannes Schön (1802 1839), Neue Untersuchungen der Nationalökonomie und der natürlichen Volkswirtschaftsordnung, Stuttgart imd Tübingen 1835.

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mehr affizieren, wenn ein Übergewicht des Angebots ist, als wenn ein Übergewicht der Nachfrage sich einstellt." . . . und daraus die Kon- sequenzen.

2. Zachariae,^) Vierzig Bücher vom Staat V, S. 156. ,,In diesem Kampf (zwischen Kapitalisten und Arbeiter) sind die Arbeiter fast immer der schwächere und daher unterliegende Teil. Denn zufolge der Gesetze, nach welchen sich die Menschengattimg vermehrt, übersteigt fast immer das Angebot der Arbeit den Begehr, und zwar um so mehr, da der Arme den Entschluß, sich zu verheiraten am leichtsinnigsten faßt. Nam cantat vaguus coram latrone victor! (Echt Zachariaesch.) So geschieht es aber, daß der Arbeitslohn fast immer zu dem ]\Iaße des ursprünglichen Arbeitslohnes, d. i. so herabgedrückt wird, daß dem Arbeiter nur des Lebens Notdurft zuteil wird. Der Arbeitslohn würde noch tiefer herabsinken (und in der Tat verdient der Arbeiter zuweilen sogar das Unentbehrliche nicht), wenn er nicht durch die physische Be- schaffenheit des Menschen auf jener Höhe erhalten würde."

(vSie wissen, daß Zachariae, namentlich in Süddeutschland, eine große Autorität ist.)

Ich hatte die Absicht, Ihnen noch ein halbes Dutzend aufzuschreiben, die Ihnen möglicherweise entgangen wären, aber die Sache wird lang- weilig.

Büchner scheint keine Ahntmg davon zu haben, was ein ,, allgemeines Gesetz" in sozialen Dingen bedeutet. Sie sollten ihn fragen, ob er wohl glaubte, daß man die ^Mordtaten, die in den nächsten zehn Jahren in Frankreich vorkommen würden, mit einer kaum nennenswerten iVb- weichung, heute schon vorausberechnen könne?

Noch einmal das alte Lied! Schneiden Sie in Frankfurt und über- haupt in Ihrer Agitation den Freunden, die wie ich denken, nicht die Bahn ab! Bereiten Sie vielmehr der sozialen Agitation des Bett, indem Sie etwa so sprechen:

,, Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen ist nach alledem geboten. Zwei Wege sind im allgemeinen denkbar, auf denen dies ge- schehen kann, entweder man läßt die Arbeiter irgendwie an Gewinn und Rente teilnehmen, oder, man sucht den wirklichen Arbeitslohn von dem notwendigen Lohn loszureißen und dem natürlichen Lohn, dem ganzen Produkt, mehr anzunähern. Ich (Sie) halte den ersten Weg für den praktikableren; weiß aber, daß andere Freunde der sozialen Sache den zweiten für gangbarer halten. Da wir (ich meine immer Sie und Ihre Leipziger Freunde) erst das allgemeine Stimmrecht er- streben woUen, haben wir immerhin Zeit, beide zu erörtern."

^) Karl Salomo Zachariae (1769 1843), Professor der Nationalökonomie in Heidelberg. Seine ,, Vierzig Bücher vom Staate" erschienen in Stuttgart 1820 1S32.

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Sie würden damit den Gegnern vorläufig zwei Steine hinwerfen, an denen sie sich die Zähne zerbeißen, und die wissenschaftlich-ökonomische Bewegung erhielte neues Futter. Aber Sie müssen den Begriff des natür- lichen Arbeitslohnes so ins Licht stellen, wie ich es im Eingang des Briefes getan.

Mit aufrichtiger Hochachtung

der Ihrige

Rd.

Vielleicht erhalten Sie in Süddeutschland die Nummer der ,, Süd- deutschen Zeitung", in der Rau sich gegen Sie erklärt haben soll. Wenn es Ihnen möglich ist, bringen Sie mir eine mit. Es ist nachher e i n Auf- waschen, die Leute allesamt vorzunehmen.

18. RODBERTUS AN LASSALLE. (Original.)

Jagetzow, o. Mai 1863. Verehrter Herr! Ich habe heute eine lange Epistel an Sie abgesandt und morgen ich wohne auf dem Lande geht der Wirth ab. Sollte er sich selbst in der zweiten Ausgabe ,, überwunden" haben? Ich glaube, er hat nur alles konfuser zusammengestoppelt.

Nach dem Büchnerschen Bericht zu urteilen werden Sie doch nicht ganz ungünstigen Boden in Frankfurt finden.

Wenn Sie können, befolgen Sie meinen Rat von heute morgen.

Der Ihrige

Rd.

Kann denn unser Bloem^) sich nicht auch für Sie erklären?

19. LASSALLE AN RODBERTUS. (Abdruck.)

Berlin, 11. Mai [1863], uachts. Geehrtester Herr! ,, Stellen Sie sich einen Zustand vor, in welchem dem Arbeiter der ganze Arbeitsertrag als Einkommen zufiele, der sich jetzt zwischen ihm, Grundbesitzer und Kapitalisten teilt meinen vSie (!!!), daß dann der

1) Der Rechtsanwalt Dr. Anton Bloem (18 14 1885), Lassalles und der Gräfin Hatzfeldts Rechtsbeistand in Düsseldorf, 1848 Fraktionsgenosse von Rodbertus im preußischen Parlament, stand dem letzteren freundschaftlich nahe. Einige Briefe von Rodbertus an Bloem gedenkt der Herausgeber gelegentlich zu ver- öffentlichen.

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Arbeiter Ivohn -f Grundrente + Kapitalgewinn bezieht? Sie würden dann die Ansicht des herrschenden Systems teilen (!!!), daß Grundrente das Produkt der natürlichen Kräfte, Kapitalgewinn das Produkt der angewandten Kapitalkräfte seien usw."

Ich mriß gestehen, diese Worte haben mich fast geärgert. Ich habe ja so deutlich die ganz strikt entgegengesetzte Ansicht ausgesprochen, dai3 ich nicht weiß, wie sie schärfer hingestellt werden kann.

Ich sage in der Stelle des Rechtswerkes, die ich schon früher einmal Ihnen zitiert habe (I, S. 264), daß sich der Kapitalgewinn ,, bildet durch die Differenz zwischen dem Verkaufspreis des Produkts und der Summe der lyöhne sämtlicher Arbeiter, die zu seinem Zustandekommen beigetragen." Folglich ist mir doch der Kapitalgewinn kein konstitu- tives Element, sondern bloß durch einen Abzug von der Arbeit, durch eine Übervorteilung derselben hervorgebracht, wie ich deshalb auch a. a. O. den Kapitalgewinn ein , .Eigentum an fremdem Arbeitswert" nenne, herv^orgebracht dadurch, daß der Unternehmer Substrat und Vor- schuß zur Arbeit in der Hand hat und infolgedessen nachher das Produkt in die Hand bekommt. Er ist, statt etwas Konstitutives zu sein, nur ein durch bestimmte historische Produktionsverhältnisse ermöglichter Ab- zug, wie ja auch (Ricardos tiefster Satz) vom Käufer des Produkts kein Kapitalprofit bezahlt wird; er also kein konstitutives Element des Preises der Dinge ist.

Und ebenso deutlich sage ich in meinem Antwortschreiben S. 23 :

„Wenn der Arbeiterstand sein eigener Unternehmer ist, so fällt jene Scheidung zwischen Arbeitslohn und Unternehmergewinn und mit ihr der bloße Arbeitslohn überhaupt fort, und an seine »Stelle tritt als Vergeltung der Arbeit: der Arbeitsertrag."

Kann man deutlicher sein?

Wo haben Sie denn in meiner Broschüre gelesen, daß ich für die Arbeiter einen Anteil am Gewinn will? Für die Arbeiter einer Fabrik will ich den ganzen Gewinn, also den ganzen Arbeitsertrag, wie schon die zitierte Stelle sagt und einen Anteil am Gewinn nur für den (ein- zelnen) Arbeiter der Fabrik, der ja auch nur kooperiert hat (cf. S. 28, Anmerkung).^)

Man kann sagen: das sei dann nicht mehr ,, Gewinn" zu nennen. Im heutigen Sinne freilich nicht. Aber

1. ergibt sichja, wiees gemeint ist, schon aus dena. O. [sie!] (cf. S. 2>^ ;

2. spreche ich eigentlich nirgends davon, daß der Arbeiter einen Anteil am Gewinne haben soll, sondern sage S. 28 (Note) ausdrückhch: ,, Wöchentlich würde den Arbeitern zunächst der orts- und gewerbs- übliche Arbeitslohn zu entrichten und am Schlüsse des Jahres der Ge-

^) , .Offenes Antwort.schreiben". Zürich 1863, S. 78.

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Schäftsgewinn des Vereins als Dividende unter sie zu verteilen sein"i) ;

3. ist also die Anlehnung an die heutige Nomenklatur bloß in dem prak- tischen Sinne der Einrichtung genommen, daß die Arbeiter zuvor I/ohn bekommen, da der Geschäftsertrag (Gewinn) doch erst am Ende des Jahres tibersehen und unter sie verteilt werden kann, wodurch sie dann in praxi eben den ganzen Arbeitsertrag haben;

4. obgleich es hiernach auf das Wort gar nicht ankommt, läßt sich das Wort ,, Gewinn" doch in gewissem Sinne immer anwenden. Denn wenn ich allein eine Arbeit mache, die mich zwei Tage kostet, und mir drei Tage einbringt, so kann man diesen Surplus ebensogut auch ,, Ge- winn" nennen, obgleich ich diesen Ausdruck nicht wählen würde. Immer aber läßt er sich eher halten und trägt weit weniger des ,, Gefängnisses Schmach" an sich, als

5. der Ausdruck ,,Arbeitslohn". Denn im lyohn Hegt unbedingt, wenn man den Begriff festhält, die Ungleichheit mit dem Arbeits- ertrag, die Differenz zwischen Lohn und Produkt. Cf. S. 23 a. a. O.

Indes das sind zuletzt alles nur Wortbestimmungen, die nur einen theoretischen Wert haben.

Ich will also gerade den Arbeitslohn fortfallen machen, gerade den ganzen Arbeitsertrag den Arbeitern zuwenden, indem ich auch den Geschäftsgewinn ganz unter sie verteile.

Wie Sie aber sagen können, eine Assoziation mit KapitaHen, die der Staat erst gegen niedrigen Zins, später unentgeltlich liefert,

würde diese Wirkung nicht haben, das verstehe ich nicht! Hier

muß Ihrer- oder meinerseits ein Mißverständnis sein. Über die Aus- ftihrbarkeit einer solchen Maßregel kann man etwa streiten. Daß sie aber, ausgeführt, diese Wirkung haben müßte, das ist (ich sehe hier, wie in der Ordnung, von gewissen Komplikationen infolge des Ankaufs der Bodenprodukte, die übrigens durch die landwirtschaftliche Assozia- tion gleichfalls gänzlich zu beseitigen sind, ab) doch nicht zu leugnen. Wird von den Arbeitern mit Staatskapital gegen einfachen Kapitalzins produziert, und der Arbeitsertrag unter die Arbeiter verteilt, so ist schon der Unternehmergewinn aboliert. Und wird mit unentgeltlichem Ka- pital produziert, so ist auch der Kapitalzins beseitigt und das Kapital- eigentum, wie Sie neulich wollten, abgelöst.

Ich bitte mir also jedenfalls näher zu explizieren, wie Sie Ihre Bestreitung, daß die Assoziation, ihre Ausführbarkeit unterstellt und sie als ausgeführt angenommen, jene Wirkung haben würde, eigentlich meinen. Denn einer von uns muß hier den anderen miß- verstehen.

^) „Offenes xlutwortschreiben", Zürich 1863, S. 28.

-^-= - 349 ^--^^

Heute schickte ich Ihnen meine Erklärung po. Huber. i)

Morgen schicke ich Ihnen Raus Erklärung und meine schleunige Antwort. 2) Bitte sehr, ihn in Ihrer Broschüre liebend zu umarmen! Morgen schicke ich Ihnen auch die Nummer der ,, Coburger Arbeiter- zeitung",^) worin man Ihren Brief nichtswürdig gefälscht hat, um ihn gegen mich zu wenden. Es wäre mir lieb, wenn Sie darauf ant- worteten, aber erst, wenn Sie Nr. 20 der , .Coburger Arbeiterzeitung"^) erhalten haben werden, in der meine Antwort stehen wird (die ich sofort hinschickte), wie mir Streit meldet. Diese wollen Sie abwarten, damit Sie sie zuvor kennen und wir an einem Strange ziehen.

Ich habe diesen ganzen Mob so auf dem Hals, wie ein Wüdschwein die Meute, will mich aber in Frankfurt sehr unangenehm schütteln.

Es fällt mir durchaus nicht ein, die soziale Frage ins Wahlrecht untergehen zu lassen. Darin rechnen Sie auf mich! Aber man schadet mir und uns mit pseudodemokratischen Einwendungen (mit der Rück- sicht auf die Entwicklung der politischen Freiheit usw.), ich muß meine Gegner in beidem überbieten, sie ebenso als Demokraten schlagen, wie als soziale. Daß auf letztere immer der Hauptnachdruck von mir gelegt werden wird, haben Sie schon aus meiner Leipziger Rede gesehen. Ebenso werde ich das Mittel der Assoziation zwar plädieren, aber aus drücklich als offene Frage, das Prinzip lediglich in die Staats- intervention setzend, wie ich auch schon in meiner Erklärung für die , .Coburger Arbeiterzeitung" getan.

Mit vielem Dank für Ihre große Güte in jeder Hinsicht, Ihr Ihnen sehr ergebener, todmüder

F. Lassalle.

i'i Lassalles Aufsatz : ,, Professor Hubers Votum in der Arbeitersache" ist vom 4. Mai datiert. Er erschien in mehreren Berliner Zeitungen und dann ebenfalls als .Anhang in ,,Zur Arbeiterfrage"'.

-) Raus Erklärung hatte die , .Vossische Zeitung" vom g. Mai der , .Süddeut- schen Zeitung" entnommen. Lassalle antwortete in der ,, Vossischen Zeitung" vom 12. Mai. Er druckte auch diese Antwort hernach als Anhang zu ,,Zur Arbeiter- frage" noch einmal ab.

') Die ,, Coburger Arbeiterzeitung" Nr. 18 vom 3. Mai hatte betont, daß Rod- bertus in den beiden Hauptpunkten: allgemeines Wahlrecht und Produktiv- assoziation mit Staatskredit mit Lassalle nicht übereinstimme, und hinzufügt: ,,Wir glauben, daß das Leipziger Komitee durch diese Art von Zustimmung etwas ernüchtert werden wird."

^) Unter der Überschrift: „Herr Lassalle und die Allgemeine Deutsche Arbeiter- zeitung" druckte das Coburger Blatt in Nr. 70 vom 17. Mai zwar einen Antwort- brief Lassalles vom 4. Mai ab, versah ihn aber mit Randglossen, die für Lassalle nichts weniger als freundlich waren. Hiefür wie für Fedor Streit, den Geschäfts- führer des Nationalvereins und Herausgeber der ,, Coburger Arbeiterzeitimg" vgl. Bd. V, Einfühnmg, S. 16 ff.

= 350 ==

20.

KARI. RODBERTUS AN LASS ALLE. (Original.)

Jagetzow, 13. Mai 1863. Geehrter Herr!

Ich habe Ihnen für Ihren vorgestern erhaltenen Brief (vom achten) und Ihre gestern erhaltenen Kreuzbandsendungen zu danken. Ich ant- worte der Reihe nach.

Der Föderativstaat ist noch gar kein ordentlicher Staat. Zu diesem gehört eine Zentralisation in Recht, Wirtschaft und selbst den Dingen der wissenschaftlichen Kultur (Kultus) wie sie, analog in der Natur, in den zentralisierten Nerven- und Muskelsystemen der höheren Tiergattungen vorkommen. Föderativstaaten sind nur erst Polypen oder Korallenstämme oder ähnHche untergeordnete Lebens- systeme, in denen mit der Einheit, die nur in der Zentralisation liegt, noch die höhere Freiheit des Lebens fehlt. Denn Einheit und Freiheit widersprechen sich nicht, sondern bedingen einander man darf nur die Freiheit des Ganzen nicht mit der seiner Teile oder gar Atome ver- wechseln. Dennoch, so gewiß die soziale Lebensentwicklung eine ana- loge Fortschrittsreihe repräsentiert (wie weit sind wir in ihr?), wie die physische, die uns in der Kette von der Zelle bis zum Menschen vollendet vorliegt, 1) füllen doch Radialen, Mollusken und ähnliches Lebens- gehchter eine notwendige Stelle in dieser Kette aus, und der liebe Gott selbst hätte nicht den Menschen schaffen können, wo nur die Lebens- bedingungen des Affen vorhanden waren. Nun sind zwar die sozialen Lebensbildungen durch und durch freie Wesen, während die physi- schen nur äußerlich frei sind (dies ,,äußerHch" verstehen Sie aber nicht falsch, hier ist noch ,, geistige" und ,, ethische" Freiheit mit darin!), und besitzen in der „Revolution" eine tmgeheure Produktions- und Repro- duktionskraft, wenn der allmähhch wirkende geschichtliche Schöpfungs- trieb zu erlahmen beginnt, indessen, wenn sich die Staaten auch selbst erschaffen und entwickeln, so geschieht dies doch ebenfalls nur nach einem unab weislichen geschichtlichen Gesetz und jene Kraft ist überall nur eine ausnahmsweise und subsidiäre, deren erfolgreiche Anwendung selbst von notwendigen Vorbedingungen abhängt. In Summa und prak- tisch diese allgemeinen »Sätze, gegen die Sie nicht viel haben v/erden, ver- wandt: ich sehe gegenwärtig, nach den vorhandenen sozialen und politischen Lebensbedingungen keine andere mögliche Form für den deutschen Staat als die Föderativform und bin ebenso fest überzeugt,

1) Diese Gedanken entwickelt Rodbertus u. a. in der Anmerkung 1 1 seiner Ab- handlung: Zur Geschichte der römischen Tributsteuer seit Augustus, Jahrbücher für Nationalökonomie, Bd. IV (1865), S. 351 f.

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daß jenes subsidiäre Mittel heute keine Anwendbarkeit findet. Ich wieder- hole: Sie täuschen sich in der Signatur der Zeit! Die revolutionären Kräfte Europas sind heute schwächer und zersplitterter als vor zehn Jahren und paralysieren sich deshalb gegenseitig. Und dies ist noch immer die Spalte gewesen, durch welche der Cäsarismus auf die Welt ge- kommen. Auch kann ich mir doch vorstellen, daß Monsieur Weltgeist eine vernünftige Absicht mit dem deutschen Föderativstaat verbindet: er will in ihm einen Prototyp für das künftige föderativ konstituierte Europa schaffen; denn, so mangelhaft auch die Föderativform sein mag, sie ist doch für das allgemeine soziale Lebens- und Entwicklungsgesetz, das zunehmende, extensiv und intensiv zunehmende Lebens- gemeinschaft des Menschengeschlechts heißt, ein vortreffliches Mittel, sich nach jener ersteren räumlichen Seite zur Geltung zu bringen. In thesi dürften wir also wohl über den Föderativstaat übereinstim- men; in hypothesi aber auch wohl jetzt noch nicht?

Zum Stiftungsfest nach Leipzig werde ich nicht kommen; einer meiner Gründe ist allerdings der, daß ich mit drei^) meines ,, Offenen Briefes" in Widerspruch geraten würde. Ich werde Ihnen aber doch nütz- lich sein können und wahrscheinlich mit anderen einen rechten Flügel Ihrer Armee bilden. Sie mit Ihren Leipziger Freunden, erkenne ich an, können nicht mehr vom allgemeinen Stimmrecht zurück. Ich denke mir aber, die Macht der im Hintergrunde stehenden Frage wird Ihren Fehler mit der Zeit verbessern.

Ihr Aufsatz über die ,, Nationalwerkstätten" ist vortreffHch. Wackemagel ^) ganz unbedeutend ; wer ihm wohl die feststehenden Gren- zen zwischen Gesellschaft und Staat verraten hat? Rau ist schwach. Zachariae kontra Rau wird ganz hübsch werden. Auch ließe sich sehr gut Rau gegen Rau ins Feld führen. Sie werden schon alles gut machen und ich bin auf Ihre Frankfurter Rede äußerst begierig.

Hochachtungsvoll

der Ihrige

Rodbertus.

Wirth wird schon in Ihren Händen sein. Hat Bucher schon los- geschossen?

^) Rodbertus meinte seine Gegnerschaft gegen die Aufnahme des allgemeinen gleichen Stimmrechts in das Programm des zu gründenden Vereins.

*) W. Wackemagel, Offener Brief eines Urwählers dritter Klasse, der nicht „Arbeiter", an Herrn Ferdinand Lassalle, Elberfeld 1863.

—= = 352 =^

21.

RODBERTUS AN I.ASSAI.I.E. (Original).

Jagetzow, 15. Mai 1863.

Geehrter Herr ! Auf den nationalökonomischen Teil Ihres Briefes vom elften ein paar Fragen:

1. Sollte die begriffliche tmd etymologische Wurzel von Lohn wirk- lich nur darin Hegen, daß mit großen Herren nicht gut Kirschen essen ist, oder nicht vielmehr schlechthin darin, daß er die vergeltende Frucht von Mühe und Arbeit ist?

2. Ist Dividende nicht gerade ein Anteil, den man qua Kapitalist be- kommt und nicht qua Arbeiter?

Daß aber der Arbeiter qua Kapitalist etwas beziehen soll, ist das Stückchen aus dem Gefängnis nachschleppenden Fadens.

Ich kann meine Ansicht, in ihrem tiefsten Grunde, nicht besser formu- lieren als ich dies S. 56 meines dritten Sozialen Briefes an Kirchmann ^) getan: ,,Nein, Boden, Kapital und Arbeitsprodukt dürfen niemals dem Arbeiter gehören, wie sie ihm auch niemals, seit Teilung der Arbeit, ge- hört haben." Und deshalb halte ich auch, in letzter Analyse, den Weg, die Arbeiter zu Kapitalisten und Grundbesitzern zu machen (wie es in Ihren Assoziationen geschehen würde) und ihnen auf diese Weise den Arbeitsertrag ganz ziifließen zu lassen, für durchaus falsch, wenn es auch richtig ist ausführbar ist es auch aus anderen Gründen nicht , daß sie ihn erhalten würden, wenn man ihnen auf diese Weise die Rente zufließen lassen könnte. Kapital und Grundbesitz dürfen den gegen- wärtigen Eigentümern nicht durch Intervention des Staats entwunden werden, um sie nur wieder Arbeiterassoziationen zum Privat- eigentum zu überlassen, sondern jenen (zweihundert Jahre be- willigen Sie ja wohl auch noch?) verbleiben, und die Verbesserung der I^age der Arbeiter muß auf der Linie der Erhöhung und Annäherung des wirklichen Lohns zum natürlichen geschehen; denn die Natur selbst hat den Arbeitsertrag als Lohn der Arbeit hingestellt. Warum wollten wir das Wort Lohn nicht wieder zu Ehren bringen?

Aber wie dem sein mag, mögen Sie sich irren oder ich mich, oder mögen wir uns nur beide mißverstehen es ist alles gut, wenn Sie „die Frage der Mittel und Wege" offen erhalten und nur das Prinzip der Staats- intervention betonen. Die allgemeine Anteilnahme und die Erörterung der Frage werden dann später das ihrige tun. , Übrigens wird sich die Be-

I

1) Soziale Briefe an von Kirchmann. Dritter Brief: Widerlegung der Ricardoschen Lehre von der Grundrente und Begründung einer neuen Renten- theorie Berlin 185 1.

353 =

wegung gar nicht auf den ökonomischen Teil beschränken, sondern sich der Gesellschaftsfrage überhaupt bemächtigen. Herr Wacker- nagel spielt in dieser Beziehung wie ein unschuldiges Kind mit dem Feuer. Er hat gar keine Ahnung davon, daß der Begriff der ,, Gesellschaft" noch kaum erörtert, geschweige festgestellt ist, und daß ^Männer wie Stein, ^) Mohl, 2) Vorländer^) sich darüber noch dermaßen gründlich in den Haaren liegen, daß man schon voraussehen kann, daß bei deren Zank gar nichts herauskommt. Sie werden also auch das Verdienst haben, die Welt von einer falschen Staatsphilosophie befreien zu helfen.

Sie werden in Nr. 220 der ,, Ostseezeitung" eine Reklamation von mir finden, in der ich kurz berühren mußte, worin wir übereinstimmen und worin nicht. Sie finden nämlich beim pommerschen Grundbesitz viel Anklang, und es scheint der ,, Ostseezeitung" darauf angekommen zu sein, durch Verdächtigung meiner dagegen zu wirken. Was sagen Sie aber zu der Staats wissenschaftlichen Geschichtskenntnis von Wolff ? *) Als ob l'homme machine so viel wie letat machine wäre und nicht das erstere auf demselben Strome wie die Physiokratie geschwommen wäre! Auch ist es noch etwas jünger als Merciers^) Wert.

Rau reden Sie gut zu. Er verdient es aber auch, denn Sie könnten ihn noch schärfer aus seinem Werke vornehmen.

Ich erwarte sehnsüchtig Buchers Vortrag. Hochachtungsvoll

der Ihrige

Rodbertus. 22.

LASSAIvIvE AN RODBERTUS. (Abdruck.)

Frankfurt a. M., 18. Mai 1863. Geehrter Herr! Nachdem ich soeben die lügenhaften Berichte in der hiesigen liberalen Presse gelesen, wiU ich Ihnen ob erst nötig? in Eile zurufen: Kein Wort davon ist wahr! Es war ein entschiedener Sieg, der heute,

1) Lorenz von Stein (181 5 1890), der bekannte vielseitige Nationalökonom und Staatswissenschaftler. Er war seit 1855 ordentlicher Professor in Wien.

*) Robert von Mohl( 1799 1875), 1848 Reichsjustizminister, bis 1 86 1 Prof essor der Staatswissenschaften in Heidelberg, seither badischer Bundestagsgesandter in Frank- furt, stand in der vorderen Reihe unter den Neubegründem der staatswissen- schaftlichen Forschung in Deutschland.

') Franz Vorländer (1806 1867) war außerordentlicher Professor in Marburg. Er hatte 1855 eine Geschichte der philosophischen ^loral-, Rechts- und Staats- lehre der Engländer und Franzosen veröffentUcht.

*) Wolff war Redakteur der ,, Ostseezeitung".

*) Mercier de la Rividre (1720 1793 oder 1794), der bekannte schriftstellerische Vertreter der physiokratischen Gedankenwelt.

Mayer, L«ssalle-Nachlass. VI 2^

= 354 -^

wenn die Intrigen der Gegner nicht plötzlich alle Grenzen mutmaßlichen Erfolges überschreiten, seiner Krönung entgegengeht.

Und dies alles, obwohl ich heiser war wie ein Rabe, d. h. zwar mit einer noch bis zum entferntesten Winkel vernehmbaren, aber wie Peitschen- hiebe wehtuenden rauhen Stimme sprach.

Schon beim Auftreten wurde mir ein warmer Wülkomm zuteil. Frankfurt ist unser. Mainz auch. Hanau sehr bald.

Eben kommt die Nr. 20 der ,, Coburger Arbeiter-Zeitung" an, die ich Ihnen beiliegend sende. Sie finden darin meinen Brief betreffs der Konkordanz zwischen uns, und Streits entsetzlich lange und dumme Entgegnung. Es ist jetzt Ihre Sache, darauf zu antworten und nicht mehr die meine (ich habe ja auch nicht zu atmen Zeit), und ich bin über- zeugt, daß Sie dies mit aller Schneide tun werden.

Ganz Ihr

F. Lassalle.

Lesen Sie den Bericht in der ,, Frankfurter Postamtszeitung" über den lyten. Der ist ziemlich unparteiisch.

Meine „Antwort für Rau" („Vossische Zeitung", Extrabeilage)*): haben Sie doch erhalten?

23- RODBERTUS AN LASSALLE. (Original.)

[Jagetzow, undatiert, zweite Maihälfte 1863.]

Geehrter Herr!

Ich gratuliere Ihnen zu Ihren Erfolgen in Frankfurt und Mainz, die über Erwarten sind. In einem Jahr steht die Freihandelsschule „ein entlaubter Stamm".

Nach Koburg geht heute meine Berichtigung ab. Ich bin wirklich zweifelhaft gewesen, ob ich mich einlassen solle ; lediglich die Insinuation gegen Sie, die Leipziger und mich, daß alles zwischen uns abgekartetes Spiel gewesen, hat mich schließlich bewogen. Auch habe ich, wie Sie sehen werden, nur die Hauptpunkte, in denen wir einig sind, berührt, die Nebensachen, in denen eine Differenz besteht, nicht.

In diesen letzteren möchte ich mir noch eine Frage erlauben. Wo haben Sie bei Bastiat gefvmden, daß er das „natürliche" Arbeitslohn- gesetz anerkennt? Bitte, allegieren Sie mir diese Stellen. Ich, meinerseits, habe unter den „großen Nationalökonomen" Bastiat nicht mit- gemeint, den ich auch nur einen ,, namhaften Schriftsteller" nenne. Bastiat nimmt nach meiner Ansicht in unserer Wissenschaft und nament-

„Vossische Zeitung", 12. Mai. Vgl. hierzu Bd. V. S. 173 Anm. i.

= 355 =

lieh zum Freihandelssystem keine höhere Stellung ein, als etwa seiner Zeit List^) zum Schutzzollsystem; beide waren nur bedeutende Pam- phletisten und Agitatoren für das eine und das andere System und täuschten die Menge mit neuen sophistischen Gründen. Nächstens mehr! I^assen Sie bald von sich hören! Hochachtimgsvoll

der Ihrige

Rodbertus. Haben Sie Dank für Ihre Frankftu-ter Zusendungen.

24. I.ASSALI.E AN RODBERTUS. (Abdruck)

Berlin, 26. Mai 1863. Geehrter Herr!

Gestern nacht bin ich hier wieder eingetroffen. Vor allem eine kurze Erwiderung auf Ihren Brief, den ich hier vorfinde. Das Wort ,,L,ohn" scheint mir allerdings begriffhch wie sprachlich jene InäquaUtät mit dem Arbeitsertrag in sich zu schließen.

Dagegen ist ja so klar wie die Sonne, dai3, weim dem Arbeiter Boden, Kapital und Arbeitsprodukt [nicht] 2) gehört, von einer Lösung der sozialen Frage nicht die Rede sein kann. Dasselbe Resultat wird sich also auch annähernd herausstellen, wenn ihm Boden und Kapital zur Benutzung geliefert wird und ihm das Arbeitsprodukt gehört. Bei der ländlichen Assoziation wird dann der Arbeiter entweder mehr oder weniger als sein Arbeitsprodukt haben. Bei der industriellen Asso- ziation wird er in der Regel mehr erhalten als seinen Arbeitsertrag.

Alles dieses weiß ich sehr genau und würde es, wenn ich mein öko- nomisches Werk schreibe, sehr expliziert nachweisen.

Allein bedenken Sie doch eins: Eben aus dem hier entwickelten Grunde habe ich in meinem Antwortschreiben nicht ein Wort von ,, sozialer Frage" und von ,, Lösung der sozialen Frage" gesprochen. Dies haben Sie erst durch Ihren Offenen Brief hineingebracht. Ich hatte es nicht aus praktischer Furchtsamkeit und Leisetreterei sondern aus jenen theoretischen Gründen vermieden. Eben aus dem hier er- wähnten Gnmde habe ich dies Wort auf das sorgfältigste vermieden

*) Friedrich List (1789 1846), der bekannte publizistische Vorkämpfer für die handelspolitische Einigung Deutschlands.

•) Das Wort „nicht", das in dem Wagnerschen Abdruck steht, fehlt sowohl in Rodbertus' Antwort vom 29. Mai, die diesen Satz in Anführungsstrichen zitiert, wie in Rodbertus' Brief an Rudolf Meyer vom 26. Mai 1872, der ebenfalls diesen Satz wörtlich anführt (Neue Zeit, Bd. XIII i, S. 248).

356

und nur von einer ,, Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen" gesprochen. Von einer „Lösung" der „sozialen Frage" dabei zu sprechen, hätte mein Gewissen als Theoretiker bei dem Assoziationsvorschlag nicht geduldet, und ich habe hierauf auch in Frankfurt kurz hingewiesen. Allein hier handelt es sich ja nur um eine praktische Übergangsmaßregel, nicht um eine theoretische, prin- zipielle, endgültige Lösung, die Sie selbst sogar erst in fünfhundert Jahren erwarten. Daß die Lösung allmählich durch die Assoziation herbeigeführt und erstaunlich erleichtert wird, scheint mir un- bestreitbar, und dies Ihnen zu erweisen, würde ich mich stark machen. (Die bäuerHche Assoziation auf vom Staat beschafften Bodenflächen würde sich z. B. sehr bald durch die bloße Gerechtigkeit zur Abolition der Grundrente hinstoßen müssen. Bei den industriellen Assoziationen würde dies, wenn auch langsamer und vermittelter, gleichfalls eintreten müssen.)

Während ich also einerseits die Assoziation als Übergangsmaßregel für durchaus praktisch halte, kommt dazu, daß ich eine andere gleich wirksame praktische Übergangsmaßregel und Sie geben ja selbst zu und heben am meisten vor, daß Sie den definitiven Zustand, den Sie erst in fünfhundert Jahren erwarten, erst durch eine Reihe von Über- gangsmaßregeln erwarten, unmöglich d'un seul coup herbeiführen können nicht sehe, was freilich durchaus nicht ausschheßt, daß Sie eine solche und noch bessere ausspintisiert haben. In diesem Falle werde ich mich derselben, wie gesagt mit Leidenschaft anschließen.

Vorläufig begreifen Sie, daß ich den Leuten von etwas Praktisch- Greifbarem sprechen muß. Ich denke, daß meine Frankfurter Rede Ihnen in allen diesen Hinsichten konvenieren wird und bitte darin um Ihr freimütigstes Urteil.

Im übrigen bin ich sehr gespannt auf den Augenblick, wo Sie den mystischen Schleier von Ihrer Lohnmaßregel ziehen werden. Denn so leicht ich mir dies in bezug auf die Beseitigung der Grundrente denken kann, so schwer in bezug auf die Kapitalrente.

Dringend bitte ich, mir die Nr. 220 der „Ostseezeitung" schleu- nigst zukommen zu lassen. Ich habe kein Mittel zu derselben zu gelangen und muß natürlich jedes Wort kennen, das Sie schreiben.

Ebenso weiß ich nicht, worauf das geht, was Sie von der „staats- wissenschaftlichen Geschichtskenntnis" von Wolff sprechen. Wer ist der WolffPj

Mit meinen Reiseerfolgen werden Sie, hoffe ich, zufrieden sein. Ob- gleich ich im Gegensatz zu allen meinen hiesigen Freunden fest überzeugt war, daß ich siegen würde, als ich abreiste, hätte ich doch selbst auf ein so glänzendes Resultat nicht gehofft. In Frankfurt sprach

= 357

ich todheiser und krank am 17. vier Stunden, am 19. zwei Stunden und siegte mit weit über 400 Stimmen gegen i, nachdem 40 Schulzianer abgezogen waren. Am 20. sprach ich in Mainz wieder zwei Stunden und siegte mit 800 Stimmen gegen 2. Der Arbeiterstand ist in namenloser Wut und Erbitterung über die Lügen der liberalen Presse.

In Leipzig verlief die konstituierende Versammlung i) und das Fest in der würdigsten und gehobensten Stimmung. Allgemeines Bedauern, daß Sie nicht da waren. (Daß Sie es mit Beziehung auf Punkt 3 all- gemeines Wahlrecht ablehnten, bedauere ich noch speziell. Abge- sehen davon, daß ich meine Taktik in dieser Hinsicht für richtig finde, darf uns doch eine bloß taktische Frage, da Sie ja im Prinzip gleichfalls dem allgemeinen Wahlrecht adhärieren, keinesfalls trennen!!). Wenn Sie meine Frankfurter Rede lesen, werden Sie, glaube ich, ganz zu- frieden sein mit der Stellung, die ich dem politischen Element zum so- zialen gebe. Und glauben Sie mir, wir hätten ohne diese Verschwisterung nicht gesiegt. In der Tat ist beides sich gegenseitig so notwendig be- dingend wie Form und Inhalt, und nur durch diese Einheit ist es ein Lebendiges und Machtvolles. Jede von beiden Seiten isoliert würde machtlos sein.

In Harburg haben wir gleichfalls gesiegt. Ein Deputierter von dort ^) war nach Leipzig gesandt ; ebenso einer von Dresden. Von Kassel langte während des Festes eine telegraphische Depesche namens dortiger Ar- beiter an.

Jetzt ist der erste Akt siegreich zu Ende geführt. Nun beginnt der zweite, die Zählung; ich meine, das Werben von Mitgliedern für den Verein.

Vor allen Dingen hoffe ich, daß Sie einwilligen, dem Verein als Mit- glied beizutreten, wie dies Wuttke schon in Leipzig am 23. getan hat. Ich bitte Sie, mir hierüber zu schreiben, damit ich Sie in die Listen des Vereins eintragen kann. Ich brauche nicht erst hervorzuheben, daß Sie dies nicht ablehnen können, ohne uns einen schweren Schlag beizufügen.

Können Sie mir für Pommern Männer angeben, die ich zu Bevoll- mächtigten (Agenten) des Vereins ernennen kann? Die Funktionen der- selben bestehen hauptsächlich darin, die Beitrittserklärungen der Mit- glieder anzunehmen, sie in die Listen einzutragen, ihnen Legitimations- karten auszuliefern und die Gelder dem Kassierer zu übermitteln.

Die neuen Statuten (,, Bundesstaaten") 3) sende ich Ihnen wie sie fertig. Wenn Sie unter Ihren Freunden und Bekannten Alänner wissen,

^) DerAllgemeine Deutsche Arbeiterverein konstituierte sich in Leipzig am 23. Mai. ') Theodor York (t 1875), Vorstandsmitglied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins.

*) Siehe oben S. 337.

358

welche dem Verein beitreten wollen, bitte ich sie mir anzuzeigen. Je mehr gute BourgeoismitgHeder des Vereins, desto besser. In Frankfurt wird sich eine Masse von tüchtigen Leuten der besitzenden Klassen einzeichnen lassen.

Stünde die ,,signatura temporis" wirkHch auf Cäsarismus nun so wäre aUes verloren für die Gegenwart. Wir sind genötigt, bei diesem letzten Versuch den alten Glauben festzuhalten. In einem Jahre werden wir uns zählen. Die Nr. 20 der „Coburger Arbeiterzeitung", unser Ver- hältnis zueinander betreffend, habe ich Ihnen von Frankfurt gesandt. Ihre Erwiderung bitte ich mir zukommen zu lassen.

Ganz

Ihr

F. Lassalle. 25- RODBERTUS AN LASSALLE. (Origmal.)

Jagetzow, 2g. Mai 1863.

Sie müssen so gut sein, geehrter Herr, und mich über eine Stelle Ihres Briefes vom 26. aufklären. Sie sagen:

„Dagegen ist ja so klar wie die Sonne, daß, wenn dem Arbeiter Boden, Kapital und Arbeitsprodukt gehört, von einer Lösung der sozialen Frage nicht die Rede sein kann. i. Dasselbe Resultat wird sich also auch annähernd herausstellen, wenn ihm Boden und Kapital zur Benutzung geUefert wird und ihm das Arbeitsprodukt gehört. 2. Bei der länd- Hchen Assoziation wird dann der Arbeiter entweder mehr oder weniger als sein Arbeitsprodukt haben. 3. Bei der industriellen Assoziation wird er in der Regel mehr erhalten als seinen Arbeitsertrag. 4." [sie!]

I. Ich meinerseits behaupte, daß in diesem FaU ,,die Lösung der so- zialen Frage" weiter entfernt wäre als je, denn, wie wollten Sie die Gegensätze schlichten, die unter den Produktivassoziationen notwendig dadurch entstehen müßten, daß die lokalen Produktionsbedingungen von verschiedener Güte sind? Also: zwischen einer ländHchen Produktiv- assoziation auf Weizenboden erster Klasse und einer auf neunjährigem Roggenland? oder einer industriellen, welche die reichhchste Wasserkraft umsonst hat und einer anderen, die sich eine teuere Dampfmaschine an- schaffen und die Kohlen dazu weit herkommen lassen muß? Sie würden das ganze Nationaleigentum in lauter Korporationseigentum auflösen, das schHmmste Privat eigentum von allem, und dadurch eine Asso- ziationsaristokratie ins Leben riifen, die nicht minder ungerecht sein würde, als daß die Arbeiter heute die ganze Sahne im Topf den Besitzern überlassen müssen. Was haben Ihnen die armen Arbeiter auf neun- jährigem Roggenlande nur getan, daß sie, die eben so viel arbeiten

359 =

müssen, wie die atif ^Marschboden, das knappe !Leben haben sollen, während diese anderen so vortrefflich situiert werden? Auf Ihrem Wege werden Sie für diese und viele ähnliche Schwierigkeiten niemals eine Ausgleichung finden können.

2. Dieselben Einwürfe treffen noch zu, wenn den Arbeiterassoziationen ,, Boden und Kapital zur Benutzung geliefert werden und ihnen das Arbeitsprodukt gehört", obgleich sich hier eine möghche Ausglei- -chimg darin zu präsentieren scheint, daß der Staat sich den Vorteil der besseren lokalen Situation bezahlen Heße. Da aber die produktive Ver- schiedenheit der Natur sehr groß und die sozialen Verhältnisse schon der- artig ausgebildet sind, daß zu sehr ungünstigen Umständen gegriffen werden muß, so wäre das Ende vom Lied, daß die günstiger situierten Assoziationen auf das Niveau der anderen herabgedrückt werden müßten und der Staat der einzige Grund- und Kapitalrentner wäre: die Rente selbst wäre wieder da.

3. und 4. Hier müssen Sie mir überhaupt noch zum Verständnis helfen. Wie sollen die ländlichen Arbeiter ,,mehr oder weniger als ihr Arbeitsprodukt", die industriellen ,,in der Regel mehr als ihr Arbeits- ertrag" erhalten? Ist denn nicht alles, was die Arbeiter heute und auch immer herstellen, ihr Arbeitsprodukt oder Arbeitsertrag, wenn er ihnen auch nicht gehört? In welchen Fällen sollen sie denn ,,mehr oder weniger oder in der Regel mehr" bekommen? Oder haben Sie hier schon die Ausgleichung zwischen den günstiger und ungünstiger ge- stellten Assoziationen im Sinn gehabt? Aber dann vor allem: welches Ausgleichsverfahren haben Sie vor?

Mir kommt es vor, als ob auf Ihrem Wege die Schwierigkeiten nur alle vertagt und in die Ferne gerückt würden, bis sie hier zu einer unüber- steigHchen Höhe anschwellen, die Sie schheßlich doch nötigen würde, umzukehren. Aber, wie ich schon oft angedeutet, es scheint mir augen- lilicklich noch gar nicht darauf anzukommen, ob man das Richtige trifft, denn es wird noch viel Wasser bergab laufen, ehe praktisch vorgegangen werden wird. Die Hauptsache bleibt vorläufig, daß die öffentliche Auf- merksamkeit aus der freihändlerischen Verflachung aufgerissen und auf die Tiefen unserer Wissenschaft gelenkt wird, denn, wäe ich schon vor Jahren prophezeit habe: der Nationalökonomie ist in der Umformungs- arbeit des Staats für den Rest unseres Jahrhunderts die RoUe vorbe- halten, die im vorigen Jahrhundert das ,, Naturrecht" und ,,natürHche Staatsrecht" gespielt haben. Und Ihr Verein, den gestiftet zu haben man Ihnen nicht hoch genug anrechnen kann, ist das notwendige Kompelle, diese Arbeit endlich wenigstens theoretisch in Angriff zu nehmen.

Nichtsdestoweniger lehne ich die Mitgliedschaft ab, und zwar in dem vollen Bewußtsein, daß dem Verein dadurch kein ,, harter Schlag"

36o =^=^==^=^^=

versetzt wird, denn ich werde im allgemeinen für Ihre Bestrebungen ein- treten, wo ich nur Veranlassung finde. Und oft ist eine Hilfe nützlicher, wenn sie von jemand kommt, der nicht in der Armee dient.

Ihre komminatorische Friststellung an den lyiberalismus ist prächtig. Mich jammern sonst lebendige Wesen leicht; aber diese aufgeblasenen Frösche werden es nie. Und ich finde, sie verhalten sich augenblicklich unter Ihrem kritischen Messer gerade schon so schweigend, wie jene „stillen Freunde der Physiologen".

Hierbei die ,, Ostseezeitung"! Lassen Sie sie mir wieder zukommen.

Die ,, Coburger Arbeiterzeitung" werden Sie wohl eher zu Gesicht

bekommen als ich. Ich erbitte mir also von Ihnen die Nummer, in der

meine Entgegnung ist. ^ ^, .

^ "^ "^ Der Ihnge

Rd.

Wolff ist Redakteur der ,, Ostseezeitung" und enthusiastischer Schulzianer, der zuerst sehr wütend über Sie war, jetzt aber kleinlaut wird. Als ob l'homme machine und ,, Freihandel" nicht auf demselben Mist gewachsen wären! Jenes Wort ist sogar jünger als das physio- kratische laisser faire. Auch scheint Wolff den Unterschied zwischen Aggregat und Organismus nicht zu kennen. L'homme machine ist auch nicht l'etat machine.

Halten Sie mich auch nicht für anmaßend, daß ich in dem Ostsee- artikel Ihre ,, Kenntnisse" hervorgehoben. Wolff hatte sie Ihnen in der Nummer wiederholt abgesprochen und unsere Landjunker werden Ihre wissenschaftlichen Werke wohl nicht kennen.

26.

RODBERTUS AN LASSALLE. (Original.)

[Jagetzow], I. Juni 1863.

Vielleicht, geehrter Herr, konveniert es Ihnen, der ,, Ostseezeitung"

ein ernstes Avertissement zukommen zu lassen und ich sende Ihnen daher

die Nummern, die ich noch besitze, s. p. rem. ^ ^, ,

Der Ihnge

27.

LASSALLE AN RODBERTUS. (Abschrift.) i)

[Undatiert. Berlin, Anfang Juni 1863.] Geehrtester Herr! Es ist schon so wie ich sage, daß man sich, zumal wenn man so über- bürdet mit Geschäften ist, wie ich, sehr schwer in Briefen über derartige

1) Von diesem Brief fand sich in Lassalles Nachlaß eine vom Original ge- nommene Abschrift, die es gestattete, einige Ungenauigkeiten in Adolf Wagners-

^^^=^=^==^=z 361 ^^^==^===

Materien verständigen kann. Man ist genötigt, sich flüchtig und ungenau auszudrücken, und es ist Sache des Lesers, alle solche Ausdrucksweise aus der Grundlage unserer gemeinschaftlichen Ansichten von selbst ins Richtige zu interpretieren. Es könnte sogar im Laufe dieser Korrespon- denz, die ich immer nur in atemloser Hast führen kann außer allem anderen muß ich täglich zehn bis fünfzehn Briefe schreiben - vorkom- men, daß ich hin und wieder dabei nur flüchtig und ungenau denken kann, was dann immer auf dieselbe Weise ins Richtige hinüberzubeugen ist.

Soviel im allgemeinen. Nim zu Ihrem letzten Briefe.

Meine Äußerung: ,,Bei der ländlichen Assoziation wird dann der Arbeiter entweder mehr oder weniger als sein Arbeitsprodtikt haben", ist, jedenfalls in bezug auf das ,,mehr", doch leicht zu verstehen. Ich verstehe gar nicht die Schwierigkeit, die in bezug auf diesen Satz statt- finden könnte.

Die Assoziationen auf den besser beschaffenen oder besser gelegenen usw. Äckern würden doch zunächst gerade so Grundrente beziehen, wie jetzt die Einzelbesitzer derselben und folglich mehr als ihren wirk- lichen Arbeitsertrag, Arbeitsprodukt, haben.

Eher kann zunächst der andere Fall ,,oder weniger" fraglich sein, wenn man von der im allgemeinen auch ganz richtigen Ansicht Ricardos ausgeht, daß der Preis des Getreides normiert wird dvurch seine Erzeugungskosten auf dem ungünstigsten Boden. Hiernach würde die Assoziation auch auf solchem ungünstigsten Boden immer noch ihr Arbeitsprodukt (nicht „weniger") erhalten, wenn auch die Bebauer gün- stigerer Äcker Grundrente, also ,,mehr" als ihr Arbeitsprodukt bezögen.

Allein schon daraus allein, daß Einer in der Gesellschaft mehr hat, als sein legitimes Arbeitsprodukt, folgt, daß ein anderer weniger haben muß, als bei der legitimen Verteilung des Arbeitsertrages, wie wir ims dieselbe übereinstimmend (siehe den Schluß Ihres dritten Sozialen Briefes) denken, auf die Vergütung seiner Arbeit kommen würde.

Genauer : Was ist mein legitimes Arbeitsprodukt (im Sinne der end- gültigen Lösung der sozialen Frage, also im Sinne der ,,Idee", die ich hier immer als Norm und Vergleichungsmaßstab bei dem ,,mehr oder weniger" unterstelle)? Ist es das Produkt, das ich ländlich oder industriell unter beliebigen Verhältnissen individuell hervorbringen kann, während ein anderer unter günstigeren Verhältnissen mit derselben Arbeit mehr, ein dritter unter noch ungünstigeren mit derselben Arbeit weniger erzeugt? Doch nicht! Sondern mein Arbeitsprodukt wäre der Anteil an der gesamten gesellschafthchen Produktivität, der bestimmt wird durch

Abdruck richtig zu stellen. Bei den anderen Briefen fehlte leider eine solche Mög- lichkeit der Kontrolle.

^===r^^=:^ 362 3z=^=^^==:

das Verhältnis, in welchem mein Arbeitsquantum zum Arbeits- quantum der gesamten Gesellschaft steht.

Nach dem Schluß Ihres dritten Sozialen Briefes können Sie das un- möglich bestreiten.

Und folglich haben, so lange die Arbeiter der einen Assoziation Grundrente beziehen, die Arbeiter der anderen, die nicht in diesem Fall sind, weniger als ihnen zukommt, weniger als ihr legitimes Arbeits- produkt.

Und schon vis-ä-vis der großen Masse ländlicher Arbeiter auf den Äckern, die nicht zur günstigeren Klasse gehören und besonders vis-ä-vis den im Anfange noch nicht assoziierten und auch (siehe meine Frankfurter Rede) im Anfange in bezug auf ihre Vergütung noch nicht durch die Assoziation der gewöhnlichen I^ohnarbeiter ge- steigerten gewissen andern Arbeitsarten gegenüber würden im An- fang — denn mit Rücksicht auf diesen habe ich jenen Satz geschrieben, die zuerst eingerichteten industriellen Arbeiterassoziationen hin und wieder mehr haben können, als nach jenem vorher etabherten Grundsatz von dem Anteil der individuellen Arbeit an der Gesamtproduktivität mög- licherweise auf die Arbeiter dieser ersten Assoziationen zu kommen hätte.

Nach diesen beiden explizierenden Parenthesen wende ich mich nun zur Frage, wie das auszugleichen, wie die Grundrente zu abolieren sei. Ganz einfach!

Durch eine Grundsteuer, welche die Äcker unterster Klasse ganz frei läßt und alle Äcker der höheren Klassen differenziert, d. h. im Verhältnis ihrer günstigeren Beschaffenheit also mit den ganzen Betrag der Differenz trifft. Diese Grundsteuer würde also die ganze Grundrente abolieren, d. h. in die Hände des Staates bringen und in den Händen der Arbeiter nur den wirklichen gleichmäßigen Arbeitsertrag lassen.

Heute wäre eine solche Maßregel unmöglich. Aber sehen Sie nicht, wie sehr sie erleichtert und herbeigeführt wird, wenn der Staat den ländlichen Assoziationen die Bodenfläche liefert? Diese differen- zierte Grundsteuer würde dann an die Stelle des Zinses treten, den die industriellen Assoziationen zunächst für die Staatskapitalien -ZU entrichten hätten. Diese differenzierte Grundsteuer wäre die Be- zahlung, welche die ländlichen Arbeiterassoziationen dem Staat für das Überlassen der Bodenfläche zu entrichten hätten so daß eben die einen nichts, die anderen 2, 3, 4, 5, 10, 70 bezahlten, je nach der Be- schaffenheit ihres Bodens und würde sich folglich sehr leicht machen. Schon aus Gerechtigkeit und Neid würden die ländlichen Arbeiterasso- ziationen diesen egalisierenden Bezahlungsmodus leidenschaftlich be- günstigen.

-^ = 363

Der Staat hätte an dieser Grundrente die Mittel, Schulunterricht, Wissenschaft, Kunst, öffentliche Ausgaben aller Art zu bestreiten und so hätte denn niemand resp. alle gleichmäßig die Rente.

Die Assoziation hat also bei den ländlichen Arbeitern durchaus den durchbrechenden, wegbahnenden Charakter, der zur definitiven Lösung der sozialen Frage allmählich führen muß, zu dem Zustande, den wir beide am Ende der jetzigen Arbeitsanarchie sehen.

Es ist überflüssig, hiernach noch auszuführen, daß dies mit den indu- striellen Assoziationen gleichfalls der Fall ist. Würde sich nicht etwa nach zwanzig bis dreißig Jahren in jeder Stadt jede bestimmte Produk- tionsbranche notwendig und von selbst zu Einer Assoziation zu- sammengezogen haben? (vielleicht noch früher). Also: alle Tischler, alle Schneider, alle Wagenbauer Berlins? Würde das nicht von selbst mit Notwendigkeit z. B. dahin führen, daß, sowie dies erst mit der größeren Zahl der wichtigsten Prodiiktionsbranchen geschehen, der private Zwi- schenhandel aufhört und der Verkauf in vom Staat angelegten Verkaufs- hallen (Basars) besorgt wird? usw. usw. Würde hiermit nicht zugleich getötet werden, was man heut Überproduktion und Handelskrise neimt?

Kurz, ich begreife nicht, wie man nicht sehen könnte, daß die Asso- ziationen, vom Staat ausgehend, der organische Entwicklungskeim ist, der zu allem Weiteren führt.

Die ,, Ostseezeitung" ist mir zu unbedeutend, um mich mit ihr herum- zuschlagen.

Es ist mir sehr unlieb, wenn Sie in den Verein nicht eintreten, und ich erlaube mir nochmals, an Sie zu appeUieren und es Ihnen dringend ans Herz zu legen. Können Sie mir nicht auch andere Mitgheder des Ver- eins, aber zuverlässige, in Ihrer Gegend beschaffen? Arbeiter und Be- sitzende? Denn Sie schrieben ja neuHch, daß meine Ansichten dort Anklang fänden.

In höchster Eile und Hast

Ihri)

F. Ivassalle.

28. RODBERTUS AN LASS ALLE. (Original.)

Jagetzow, 6. Juni 1863.

Heute, geehrter Herr, will ich Ihnen nur für Ihre Kammergerichts- rede 2) danken. Ich finde sie bis auf einzelnes, dem ich nicht zustimmen kann, vortreffHch und brülant. So z. B. glauben Sie wirkHch und Sie

1) Das „Ihr" fehlt in der Abschrift, die sich im Nachlaß fand.

2) ,,Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klasse."

^= 364

müssen es, da Sie es sonst nicht sagen würden , daß die Grundsteuer wie eine Getreidesteuer wirkt? Nach meiner Meinung ist kein Gedanke daran. Sie könnte es höchstens nur dann, wenn sie so hoch aufgelegt würde, daß die schlechtesten Äcker außer Kultur fielen und auch dann würde das Ausland in die I^ücke springen - aber sie wird der Sache nach ja fast überall nur in Prozenten des Reinertrags aufgelegt und kann dann also auch jene Wirkung gar nicht haben. Mit Mietshäusern, dieser ganz anderen Kapitalart, die mit dem Domino auf gleicher Linie stehend, den Sie sich zu einer Maskerade leihen, dürfen Sie produktive Äcker nicht vergleichen. Jenen bloßen Konsumtivkapitalien fehlt ja das den Genuß erst vermittelnde Produkt, und Sie werden nicht jenen Na- tionalökonomen folgen, die den ,, Wohngenuß" das ,, Produkt" des Miets- hauses nennen. Auch scheinen Sie mir mit dieser Ihrer Getreidesteuer- ansicht in Widerspruch mit Ihrer ,, differenzierten Grundsteuer" in Ihrem letzten Briefe zu stehen, denn da Sie in Ihrem Assoziationsstaat den ganzen Marktpreiswirrwarr jedenfalls von Rohproduzenten zu Halbfabrikanten vmd so weiter bestehen lassen, so würden, wenn die Gnmdsteuer wie eine Getreidesteuer wirkte, die Weizenboden-Asso- ziierten schon wieder zu ihrem Gelde kommen.

Übrigens kann ich Ihre ,, Explikationen" nicht teilen. Aber ich gebe Ihnen ganz Recht darin, daß wir uns brieflich nicht wohl verständigen werden! Uns scheidet noch manche theoretische Kluft, und es müssen, sie auszufüllen, noch erst Bücher geschrieben werden. So halte ich meinerseits Grundrente wie Kapitalrente für Arbeitsprodukt so gut wie I/Ohn, aber freilich ganz anderer Leute als der Besitzer. Dies nur in bezug auf das ,,Mehr oder Weniger". Übrigens hatte ich Sie ja recht verstanden, daß Sie zur ,, Ausgleichung" den Staat zum Rentier machen müßten. Aber wenn der Staat nach Ihnen erst den Arbeitern ge- hört, werden die Weizenboden-Aristokraten sich hüten, sich selbst ihre aristokratischen Vorrechte zu nehmen. Kollektivpersonen, wie sie ein zäheres Leben haben als Individuen, haben auch einen zäheren und härteren Eigennutz.

Trennen Sie sich, geehrter Herr, von der Ricardoschen Grundrenten- theorie, die gar nicht das Prinzip, sondern nur die Differenz der Grundrente erklärt ! Es ist nicht richtig, daß der schlechteste Boden keine Grundrente abwirft. Kein Mensch würde Kapital in Boden festlegen, wenn er nur Kapitalgewinn bezöge. Der Boden ist nicht Maschine, son- dern Material für den Landmann, und wenn die industriellen Unter- nehmer ihr ,, umlaufendes" Kapital ,, herausziehen" können, so kann dies der Landmann in Beziehung auf sein Material nicht. Ricardo hat also die Grundrente gar nicht erklärt, denn er erklärt nicht die Grundrente des letzten Bodens. Stellen Sie sich ein isoliertes Land vor, durchweg

365

gleicher Bodenklasse, stellen Sie sich die Bevölkerung dergestalt grup- piert vor, daß sie in lauter Ackerstädten wohnt, deren Bewohner von dem Getreide des Weichbildes leben so daß also auch das Gesetz der verschiedenen Entfernung nicht wirken kann, wie das verschiedener Bonität; glauben Sie, daß in solchem Lande keine Grundrente abfallen kann? Sie muß es. Notabene bei Grund- und Kapitaleigentum und muß es dann erst recht, wenn auch alle Produkte nach der Arbeits- qualität, die sie gekostet, gegenseitig verwertet werden. Vor diesem Fall steht Ricardo ratlos.

Aber genug der Theorie!

Außerordentlich begierig bin ich auf Ihre Frankfurter Rede, die mir noch nicht zu Gesicht gekommen.

Von dem Anklang, den Sie hier in der Provinz gefunden, bis zu dem Beitritt zu Ihrem Verein, ist bei den meisten Leuten doch noch ein weiter Schritt. Verdrießliche häusliche Geschäfte haben mich übrigens abgehalten, in unsere Städte zu kommen. Ich glaube, Sie wirken am besten, wenn Sie die Arbeiter, die Mitglieder sind, an Arbeiter der deutschen Städte schreiben lassen! Das, dünkt mich, muß auch Ihrem ganzen Vorgange in dieser Angelegenheit mehr entsprechen. Kam es Ihnen auf den Beitritt der Besitzenden an, so müßten Sie, nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten, eben anders operieren.

Schicken Sie mir gefälligst die Ostseeblätter wieder zurück und achten

Sie auf die ,, Coburger Arbeiterzeitung"!

Schießt Bucher nicht bald los? - .

Deriihnge ^^

29. LASSALLE AN RODBERTUS. (Abdruck.)

Berlin, 24. Juni 1863. Geehrtester Herr!

Vor allem gebührt Ihnen eine Gratulation, da ich aus den Zeitungen erfahren, daß Sie Großvater geworden sind.

Ich habe leider in der letzten Zeit viel weniger antworten können, als ich gewünscht hätte. Die Schreiberei, welche mir die Organisation des Vereins auferlegt, nahm zu viel Zeit in Anspruch!

Was die „Getreidesteuer" betrifft, so ist es freilich notwendig, daß wir hierin nicht übereinstimmen, da ich im allgemeinen der Ricardoschen Grundrententheorie anhänge. Ricardo hat unrecht, darin, daß er sich die Grundrente historisch so entstanden denkt, wie er angibt. Histo- risch ist sie durchaus nicht so entstanden. Aber für heute hat er recht, was mannigfache Abweichungen in konkreten Fällen nicht ausschließt.

Für heute erklärt die Ricardo sehe Theorie nicht bloß die Diffe-

- 366 =

renz der Grundrente selbst, sondern im allgemeinen eben die Grundrente selbst. Ihre Ansicht hierüber kenne ich genau aus Ihrem dritten Sozialen Brief. Aber es will mir scheinen, als ließe sie sich sehr wohl mit der Ricardoschen Theorie in bezug auf die tatsächlichen Momente vereinen. Was Sie Grundrente noch auf dem schlechtesten der in Angriff genomme- nen Äcker nennen würden, wäre nach Ricardo gar nicht mehr Grundrente, sondern Kapital- resp. Gewerbeprofit zu nennen.

Ich glaube, daß wir bei ausführlicher Besprechung in mancher Hin- sicht hierbei zur Übereinstimmung gelangen würden. Ich erinnere mich wenigstens, wie ich, als ich das erstemal Ihren dritten Sozialen Brief ge- lesen, einen lebhaften Wunsch empfand, denselben einmal mit Ihnen zu lesen, mir Rede und Gegenrede in ganz detaillierter Weise gegenüber- stellen zu können. Bei unseren getrennten Wohnorten wird mir dieser Wunsch sobald nicht in Erfüllung gehen!

Meiner Frankfurter Rede, die entsetzlich lang ausbleibt, sehe auch ich mit großer Ungeduld entgegen. Ich sende sie Ihnen, sowie sie an- langt. Aber bei den Erwartungen, die Sie daran zu knüpfen scheinen, über- fällt mich die Befürchtung, daß Sie vielleicht zu viel von ihr erwarten. Die Rede war nicht vorher ausgearbeitet, sondern nur ganz flüchtige Punktationen zu derselben. ^) Nun wissen Sie, daß die sorgfältigere, scharfe, konkrete Gedankenausführung sich immer erst einstellt, wenn man mit der Feder in der Hand den Gedanken in seinen Konse- quenzen entwickelt. Dazu kommt die ungeheuere Masse von Material und Punkten, die ich behandeln und geben mußte, so daß für jeden einzelnen die größte Kürze notwendig war. Endlich die mehr aufregende, als theoretisch kontemplative Wirkung, die ich verfolgen mußte.

Erwägt man die Zwecke, die sich die Rede stellen mußte, so glaube ich war sie modestie ä part die zweckmäßigste, die überhaupt ge- halten werden konnte. Aber ein so tiefes theoretisches Eingehen, daß Sie ökonomisch Neues darin finden soUten, scheint mir schon durch jene Zweckmäßigkeit ausgeschlossen zu sein, was nicht hindert, daß Sie vielleicht hier und da eine Ihnen interessante Bemerkung darin finden. Nachdem ich mich nun mit dieser Freimütigkeit selbst über die Rede geäußert, hoffe ich, daß Sie mir Gleiches mit Gleichem vergelten und sich, wenn Sie sie haben, ebenso freimütig kritisch in einem Brief an mich über dieselbe vernehmen lassen werden.

Sie können sich keine hinreichende Vorstellung machen von dem Gewicht, das ich auf Ihre Ansichten lege. Ich sende Ihnen hierbei:

1. Die neuen, vielfach veränderten Statuten.

2. Geschäftsreglement.

1) Vgl. hierfür oben S. 264 f.

= 367

3- Zirkular an die Bevollmäclitigten, mit der Bitte, mir auch hierbei über die einzelnen Punkte dieser drei Aktenstücke, die Ihnen Anlaß hierzu geben, Ihre Meinung mitzuteilen, da ich jedenfalls in der Lage bin, dieselbe bei Gelegenheit berücksichtigen zu können.

Sie empfangen

4. Die ,, Ostseezeitung",

5. Max Wirth,

6. Die Tübinger Zeitschrift mit herzHchstem Danke zurück.

Am 29. d. M. gedenke ich nach Tarasp abzureisen, wo ich fünf Wochen bleiben werde. Nach einem weiteren zwei- bis dreiwöchentlichen Aufenthalt in der Schweiz will ich dann Anfang September nach Ostende, die Seebäder zu gebrauchen. Im Oktober treffe ich wieder in Berlin ein und gedenke dann erst den Feldzug gegen die Fortschrittler mit doppelter Energie zu eröffnen.

Ich bitte Sie, mir nach Bad Tarasp, Kanton Graubünden, Schweiz, poste restante zu antworten. Bis auf weitere Anzeige erreichen mich alle Briefe imter dieser Adresse, selbst, wenn ich von dort wieder ab- gereist sein werde.

;Mit vorzügHcher Hochachtung

Ihr

F. Lassalle.

Haben Sie die neue sehr schwache Broschüre von Huber i) gelesen?

30. ' RODBERTUS AN LASSALLE.

Jagetzow, 27. Juni 1863.

Obwohl ich weiß, geehrter Herr, wie lästig man einem, der mit Packen beschäftigt ist, werden kann, riskiere ich doch noch die Frage resp. Bitte, ob meine Entgegnung kontra Streit in der ,, Coburger Ar- beiterzeitung" schon Platz gefunden hat, oder ob ich nicht durch Sie oder einem Ihrer Freunde darüber Gewißheit erlangen kann. Vielleicht, wenn in Berlin selbst das Blatt nicht zu verfolgen war, wäre es Ihnen möglich, unterwegs davon unterrichtet zu werden.

Für die Gratulation zum Großvater danke ich Ihnen gebührend, ich wäre aber doch noch lieber mein Enkel geworden.

Ihnen darf man zu Ihren verdienten Reiseerholungen gratulieren. Grüßen Sie St. Moritz von mir. Ich ging von Clausen ich revendi- quiere über die Maloja ins Ober-Engadin, dann über den Julier in die

1) V. A. Huber, Die Arbeiter und ihre Ratgeber, Berlin 1863.

368

Schweiz zurück, um noch einmal die halbe Splügenstraße zu genießen und dann über den Bernhardin nach BeUinzona zu gehen. Wonnig sind die Seen und Matten des Engadin.

Nach Tarasp schreibe ich Ihnen ausführlich.

Mit aufrichtiger Hochachtung , . .

der Ihnge

Rd.

31.

RODBERTUS AN LASSALLE.

Swinemünde, 13. September 1863. Geehrter Herr!

Besonders verdient die Presse eine Züchtigung, die das Heinesche Wort : Leben bleiben, wie das Sterben Für das Vaterland ist süß ernsthaft genommen zu haben scheint. Und doch rührt die ganze augen- blickliche Konfusion im Heben deutschen Vaterlande nur von ihr her! Und in dem sogenannten „engeren" erst recht!

Ihre Frankfurter Rede^) hat mir sehr gefallen. Der Erfolg spricht auch hinreichend für sie und darauf kam es ja hier hauptsächlich an. Zweierlei habe ich übrigens vermißt: ein näheres Eingehen auf die Höhe des Arbeitslohnes, ein Punkt, der in Büchners Rede 2) sehr vortrat und natürHch in ein falsches Licht gestellt war, und zweitens eine Beleuchtung der Fortschrittspartei von Seiten der politischen Klugheit, wenn es ihr nun einmal an Kraft, ihren Phrasen Nachdruck zu geben, fehlte.

Im Punkt der Grundrente kann ich mich noch nicht zufrieden geben. Ricardo darf eben nicht Kapitalgewinn nennen, was Grundrente ist. Betrachten Sie folgendes Bild

b I b I b a a a

d

c c c c c c c

b b b b b b b

a a a a a a

Industrie und Handel

Landwirtschaft, Rohproduk- tion usw.

1) Das ,, Arbeiterlesebuch".

2) Ludwig Büchner, Herr Lassalle und die Arbeiter. Bericht und Vortrag über das Lassallesche Arbeiterprogramm, erstattet auf dem Arbeitertag in Rödelheim am 19. April 1863 im Auftrag des Zentralkomitees des Maingaus 1863.

3) Mit Bleistift eingefügt.

^ = 369 =

Vorstehende Figuren repräsentieren die Erträge in Industrie und Handel und in Landwirtschaft und der übrigen Rohproduktion, a ist überall Arbeitslohn, b Kapitalgewinn; c ist derjenige Teil der Grund- rente, der auch noch auf dem schlechtesten Acker außer Kapital- gewinn abfällt; d ist die steigende Grundrente der immer besseren Äcker. Daß c wirklich existiert, darüber kann kein Zweifel sein und wird auch von Ihnen zugegeben. Aber Sie sagen, Ricardo nenne es Kapitalgewinn. Aber darf er das? Dann wäre ja der Kapitalgewinn in der Landwirtschaft höher, als in Industrie und Handel, betrüge dort b plus c und hier bloß b, was dem gerade von Ricardo so betonten Gesetz der Gleichheit der Kapitalgewinne durchaus widerspricht, auch praktisch unrichtig ist, da der in der Landwirtschaft maßgebende Gewinn oder Zinsfuß ja nur der ist, der augenblicklich in der Industrie abfällt, so daß der Landwirt bald mit vier, bald mit fünf Prozent rechnet. Denn Sie werden doch nicht glauben, daß der Kapitalgewinn etwas dem Kapital, die Grundrente etwas dem Boden potentiell Entspringendes ist. Alles ist ja Arbeits- ertrag, und nur Bodeneigentum und Kapitaleigentum wenden unter dem Namen Kapitalgewinn und Grundrente diesen Eigentümern den betreffenden Teil vom Arbeitsertrage zu; und die Darstellung des Hergangs, wie das geschieht, ist die Lehre von der Entstehung der Grundrente und des Kapitalgewinns. Da nun b in der Landwirtschaft ledighch durch b in der Industrie bestimmt wird und dennoch auf den schlechtesten Äckern ein c übrig bleibt, so durfte das c auch nicht unter b subsumiert, sondern mußte eben als ein Besonderes, nämlich als Grund- rente erklärt werden, und weil Ricardo dies eben nicht tut, sondern nur d erklärt, so erklärt er auch nicht das Prinzip, sondern nur die Differenz der Grundrente. Ich lege deshalb so viel viel Wert auf eine richtige Dar- stellung des Grundrentengesetzes, weil ich behaupte, daß man nur bei seiner Erkenntnis die soziale Frage approfondieren kann. Die Anti- sozialisten fühlen das auch richtig heraus, indem sie ihre Streiche haupt- sächlich gegen die Ricardosche Grundrententheorie führen und deshalb jetzt dabei sind, den Carey^) zu übersetzen. Weshalb wollten wir also, deren Position im übrigen so stark ist, ein unhaltbares Fort verteidigen?

Über die Adresse der rheinischen Arbeiter an Sie habe ich mich sehr gefreut. Daß sie ausdrücklich ,, Intervention des Staates in der Gesetz- gebung" ins Programm mit aufgenommen haben, ist eine wesentliche Verbesserung desselben.

Antworten Sie mir, so bitte ich nach Jagetzow zu adressieren.

Mit Hochachtung Ihr Rodbertus.

Grüßen Sie Bloem und fragen Sie ihn : wie kam Saul unter die Propheten ?

1) Henry Charles Carey (1793 1878), der bekannte amerikanische National- ökonom, der unter anderem Ricardos Grundrententheorie bekämpfte.

Mayer, Latsalle-Naclilass. VI J4

= 370 =^

32.

LASSAIvIvE AN RODBERTUS. (Abdruck.)

Berlin, 15. Oktober 1863. Potsdamer Straße 13. Sehr geehrter Herr!

Ich lachte rechte als ich in Düsseldorf Ihren Brief erhielt, worin Sie mir schreiben, daß besonders die Presse eine derbe Züchtigung verdient habe. Ich glaube, ihr dieselbe in meiner Rede^) ( Sie haben dieselbe doch erhalten? ) so energisch erteilt zu haben, daß sie dieselbe niemals wieder los wird. Die Losung, die ich daselbst ausgegeben habe, ist ganz unzweifelhaft im Begriff, demokratische Volkstradition ersten Ranges, eine revolutionäre Forderung par excellence zu werden! Sie hat die Ar- beiter mit Fanatismus erfüllt!

Ich kann Ihnen kaum sagen, wie günstig die Dinge am Rhein stehen. Siebenmal besser, als ich in meinen kühnsten Träumen gehofft hätte!

Auch in ganz Sachsen, in Hamburg und Frankfurt rascher Fortgang. Jetzt will ich nur meine Kräfte zunächst auf Berlin konzentrieren! Noch sind die Fortschrittler hier absolut übermächtig! Aber Berlin muß mein sein, ehe sechs Monate um sind ! 2) Ich zerniere es !

Ich habe bereits meine Operation begonnen mit einer ,, Ansprache au die Arbeiter BerHns",^) die ich in zwei bis drei Tagen aus der Druckerei erwarte. Ich sende sie Ihnen dann sofort. Täuscht mich nicht alles, so wird schon diese Ansprache, die ich in tausend Exemplaren unentgelt- Hch unter die hiesigen Arbeiter verteilen lasse, gewaltige Bresche schießen. Und habe ich hier erst zweihundert Arbeiter, so habe ich auch zwei- tausend und bald die Arbeiter sämthch.

Ich bin sehr vergnügt und guter Dinge, froh wie Platen singt ,,im Vorgefühl des Bewältigens" und voll innerer Sicherheit!

Das einzige, was mich sehr stört, ist, daß mir die fortgesetzte Agi- tation alle Zeit zum Arbeiten und Studieren nimmt! Geht das lange so fort, so gerät man wirklich in Gefahr, zu vergessen was man schon weiß.

Noch ein Wort über unsere Kontroverse in betreff der Grundrente. Sie haben in Ihrem letzten Brief ganz recht : wenn ich wirkHch zugäbe, daß auch auf dem schlechtesten Boden noch Grundrente gewonnen werden muß, so wäre die Ricardosche Grundrententheorie ja ganz und

^) ,,Die Feste, die Presse und der Frankfurter Abgeordnetentag. Drei Symptome des öffentlichen Geistes." Diese Rede hatte Lassalle am 20. September in Barmen, am 27. in SoUngen, am 28. in Düsseldorf gehalten.

2) Diesmal täuschte sich Lassalle. Vgl. u. a. in Bd. V die Berichte von Eduard Willms an Lassalle Nr. 212, 213, 221, 236, 242.

) ,,An die Arbeiter Berlins. Eine Ansprache im Namen der Arbeiter des All- gemeinen Deutschen Arbeitervereins."

=-= 371 =^

gar widerlegt! Die Ricardosche Grundrententheorie wurzelt ganz und gar, wie er selbst hundertmal her\'orhebt, in dem Satz, daß der schlech- teste Boden, der in einer Nation noch in Angriff genommen werden muß, um das zum Konsum erforderliche Quantum zu liefern, keine Grundrente hefert (wohl aber Kapital und Gewerbeprofit Hefern kann). Wo aber hätte ich denn zugegeben, daß er hierin unrecht habe? Ich schrieb Ihnen in meinem vorletzten Briefe hierüber ich zitiere natür- lich nur aus dem Gedächtnis, erinnere mich aber der vStelle noch recht deutHch etwa wie folgt: ,,Ich würde bei mündlicher und längerer Besprechung Ihnen vielleicht dartun können, daß was Sie Grundrente noch auf dem schlechtesten Boden nennen, nach Ricardo Kapital- oder Gewerbeprofit ist." Liegt hierin, daß Ricardo jenes x mit Unrecht so nenne? Ich meinte pardon den Satz im Gegenteil so: daß Ri- cardo es mit Recht Kapital- oder Gewerbeprofit und Sie mit Unrecht Grundrente nennen!

Gewiß, wäre es wahr, daß auch noch der schlechteste bebaute Boden Grundrente abwerfen muß, so ist die ganze Ricardosche Theorie imhaltbar und ich würde sie seit lange aufgegeben haben.

Es ist nicht wahr, daß, wie Ricardo glaubt, historisch zuerst immer die besseren, dann die schlechteren Äcker in Angriff genommen worden seien. In dieser Hinsicht haben Sie (im dritten Sozialen Brief), wie Carey vollkommen recht, daß die Sache häufig genug gerade umgekehrt ge- kommen. Aber wie unwahr dies historisch auch sei heute ist die Grundrente im wesentlichen das, was Ricardo sagt. Heute wird der Preis des Getreides bestimmt durch den Kostenpreis auf dem kostspie- ligsten Acker, der noch zur Gewinnung des erforderlichen Konsum- quantums in Angriff genommen werden muß (gleichviel worin die Kostspiehgkeit bestehe, ob in größerer natürlicher Unfruchtbarkeit oder in größeren Transportkosten wegen der Entfernung).

Auf diesen kostspieligsten Äckern, welche den gesamten Getreide- preis regeln, fäUt keine Grundrente, sondern im allgemeinen nur Kapital- und Gewerbegewinn ab. Nach Ricardo fällt dieser Kapital- und Gewerbegewinn immer auf allen Äckern ab. Nach mir fällt nicht einmal dieser immer ab. Die hochgestiegenen Preise bei Parzellierungen stehen häufig nur deshalb so hoch, weil sich der Käufer hier gefallen läßt, daß der Preis, d. h. also die kapitalisierte Grundrente, sogar einen Teil des üblichen Kapital- und Gewerbeprofits entamiert. In Irland entamiert die Pacht sogar einen Teil des üblichen Arbeitslohns.

Dies sind Berichtigungen Ricardos, die seine Theorie im wesentHchen unbeeinträchtigt lassen. Das bleibt wahr, daß überall Äcker existieren, die nicht verpachtet werden könnten, weil sie keine Pachtrente ab- werfen würden (abgesehen von der scheinbaren Rente, die aus Kapi-

= 372 =

talanlagen, wie Wirtschaftsgebäuden usw. folgt) und die dennoch im Selbstbetrieb bebaut werden und resp. bebaut werden können.

Durch alles das, was Sie in Ihrem dritten Sozialen Brief hiergegen sagen ich habe ihn vor zehn Jahren, aber damals dreimal hinter- einander mit angespanntester Denkkraft und in beständiger Selbst- diskussion gelesen ist meine Überzeugung hierüber nicht geändert worden. Ich wünschte eben deshalb, jenen Brief einmal Zeile für Zeile mit Ihnen selbst durchzulesen, wie ich äußerte, um zeigen zu können, auf welcher Verwechselung nach meiner Auffassung Ihre entgegen- gesetzte Ansicht beruht.

Sollten Sie seit jenem Briefe neue Beweise aufgebracht haben, so teilen Sie mir dieselben mit. Ich werde sie ebenso sorgfältig und peinHch erwägen, wie jede Silbe, die in jenem Briefe stand, damals von mir er- wogen worden ist.

Bitte, schreiben Sie mir recht oft und ausführlich. Aber rechnen Sie mit mir nicht ab, ob ich immer antworte. Ich bin wirklich furchtbar über- bürdet, aber Sie sehen, ich schreibe schon, wenn ich eben kann.

Teilen Sie mir insbesondere auch alles stets mit, was unserer Sache ich nenne sie ja mit Recht so, obgleich Sie sich noch immer als stiller Kompagnon verhalten, indem Sie in den Verein nicht eintreten wollen dienlich sein kann. Sind gar keine Personen in Ihrer Gegend und Be- kanntschaft, die sich zu Bevollmächtigten eignen? Ohne Bevollmächtigte keine Gemeinde: mit einem solchen, entsteht sie immer sofort.

Mit herzlichster Hochachtung

F. I/assalle. Bloem ist sehr fortschritthch geworden.

33.

RODBERT US AN LASS ALLE. (Original.)

Jagetzow, 19. Oktober 1863. Geehrter Herr!

Noch eine letzte Frage in betreff der Grundrente: Nehmen Sie eine isoHerte kleine Ackerstadt, die alle ihre Rohprodukte aus ihrem engen Weichbilde nimmt und diese selbst zu Fabrikaten umwandelt. Verschie- denheit der Absatzentfernungen besteht also nicht. Auch die Boden- beschaffenheit soll ganz gleich sein. Ferner sollen sich alle Pro- dukte nach der Quantität Arbeit, die auf ihnen haftet, gegeneinander vertauschen. Es besteht Grund- und Kapitaleigen- tum und die Arbeiter erhalten nur den notwendigen Unterhalt.

= 373 =^

Hier haben Sie also einen Zustand vorausgesetzt, in dem das Problem in höchster Einfachheit vorliegt, imd von dem alle Verdunkelungen, die durch ungleiche Bodenbeschaffenheit oder Absatzentfernung oder un- natürliche Preissteigerung entstehen, ferngehalten sind.

Wenn ich nun mathematisch beweisen könnte, daß auch in diesem vorausgesetzten Zustande Grundrente abfallen muß, d. h., daß den Ackerbürgern, wenn sich diese auch dieselben Kapitalgewirm.e berechnen, welche die Hand werksbürger machen, dennoch ein Surplus bleibt, das sie beim Verkauf ihrer Äcker im Kaufpreis kapitaHsiert bekommen, weim ich Ihnen dies zwingend bew'eisen würde, würden Sie mir dann zugestehen, daß Ricardo nur die Differentialgrundrente, aber nicht die Grundrente erklärt hat?

Sie sind zwar sehr hartnäckig, und das sichert Ihnen Ihre großen praktischen Erfolge, aber diese Frage werden Sie mir nicht durchbrechen, tmd ich glaube, Sie damit ,,zemiert" zu haben, wie Sie Berlin zu zer- nieren beabsichtigen.

Über Ihre Erfolge freue ich mich ganz außerordentlich. Ihre Reden sind meisterhaft, und ich danke Ihnen jedesmal für dergleichen Zusen- dungen. Es ist ein wahres Glück, daß Sie aufgestanden sind, um die arbeitenden Klassen aus den Stricken der Manchesterschule zu befreien, der das alte Wort auf der Stime gebrannt steht: Quot mercatores, tot traditores! Sie allein machen die Nation wäeder empfänghch für national- ökonomische Wahrheiten. Daß ich lücht glaube, daß Sie die soziale Frage aiif gewalttätigem, revolutionärem Wege ihrer Lösung näher bringen werden, wissen Sie, und ich möchte deshalb meiae wohlgemeinten Warnungen wiederholen. Macht sich diese Lösung nicht im Frieden, aus allgemeiner Überzeugung, in Konsens mit den übrigen Klassen, so wird sie sich langsam unter der eisernen Hand des Cäsarismus vorbereiten. Sehen Sie sich einmal die Geschichte des bas-empire hierauf an! Nationalökonomisch und um es mit einem Wort auszudrücken, obgleich dieses seinen reichen Inhalt nicht gut bezeichnet unter- scheidet sich die germanische Staatenordnung von der antiken dadurch. daß jene Grund- und Kapitaleigentumsstaaten, diese Men- scheneigentumsstaaten (sit venia verbo) enthält. Im römischen Niederreich keimen nun nachweislich die ersten Ansätze zu den Gnind- und^) Eigentumsstaaten, und diese Keime brauchen sich nur in neues Völkererdreich verpflanzt zu sehen, um die neuen Staatenarten hervor- zutreiben. Ahnliches könnte wieder geschehen. Augenscheinlich begiimen sich auch die Grund- und Kapitaleigentumsstaaten auszuleben, imd in der Tiefe des ]Menschengeistes gärt es nach einer abermaligen neuen Staatenordnvmg mit abermals verbesserten Eigentumsverhältnissen.

^) Diese beiden Worte waren nicht genau zn entziffern.

- 374 ==

Liegt der Gedanke so fern, daß sich auch abermals ein Cäsarisches Zwischenreich einschieben könnte, in dessen Stille sich die ersten neuen Bildungsansätze machten? Auch die Umbildung des. sozialen Lebens braucht so viel Zeit als die Darwinsche Entstehung der Arten, und auch die Geschichte hat gleich der Schöpfung ihre Sedimentärschichten und diluvialen Perioden. i) Nur das antike Entwicklungsgesetz scheint mir schon gebrochen zu sein, daß die Weltgeschichte zu jedem neuen großen Fortschritt auch einer neuen Nationalität bedürfe. Bei unserem Weltverkehr frischen sich die Nationen schon ineinander auf.

Wüßte ich nicht, daß Sie viel über Sozialgeschichte nachgedacht haben, so würde ich natürlich nicht wagen, in einem so dunkeln und orakelhaften Ton zu schreiben.

Leben Sie wohl. Mit vollkommener Hochachtung

der Ihrige

Rd.

34.

LASSALLE AN RODBERTUS. (Abdruck.)

Berlin, 30. Dezember [1863]. Verehrtester ! Anbei empfangen Sie die Kunde unseres neuesten Schrittes, die ,, Einladung"! Sie sehen, welchen ,, Vorzug" Sie haben, indem Sie die Liste gleich nach mir bekommen! 2) Was wollen Sie: noblesse oblige! Nächstens, d. h. Ende Februar antworte ich Ihnen auch auf Ihren Zemierungsbrief ausführlich ! Bis dahin habe ich noch soviel zu tun, daß ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht.

Mir ist übrigens meine Zemierung Berlins, wie Sie aus den Zeitungen wissen werden, geglückt.^) Wir haben jetzt hier 230 Mitglieder und neu- lich habe ich hier einen mit größter Begeisterung aufgenommenen Vortrag gehalten; bereits der dritte, in welchem die Gegner nicht das geringste Lebenszeichen von sich zu geben wagen. Mit vorzüglichster Hochachtung

ganz

Ihr

F. Lassalle.

*) ,,In der Tat wie eine Sedimentärschicht zwischen zwei verschiedenen Floren und Faunen lagert die bezeichnete Periode zwischen den Völker- und Staaten- artender alten und neuen Zeit." So schreibt Rodbertus 1 86 5 in den Jahrbüchern für Nationalökonomie, S. 352, wo er diesen Gedanken des weiteren ausführt.

2) Es handelt sich um eine freiwillige Sammlung für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein.

'-) Lassalle irrte sich. Sein kleiner Erfolg erwies sich als nicht von Dauer. Berlin blieb noch ein Jalirzehnt die Hochburg des Fortschritts. Siehe oben S. 370.

- ^= 375 - =

35- RODBERTUS AN LASSALLE.

Jagetzow, 2. Januar 1864. Geehrter Herr! Auch Sie auf dem Europäischen Anleihemarkt! Dabei habe ich herzlich über Ihr noblesse oblige gelacht. Aber da ich weder zu der Noblesse im allgemeinen noch der Ihres Vereins gehöre, alldieweil ich gar nicht zum Verein gehöre, so zemieren Sie mich damit nicht. Aber Spaß apart! Sie wissen ja, daß meiner Ansicht nach Ihr Verein auf unrichtigem Wege ist; auch was die sozialen Mittel an und für sich betrifft. Noch mehr bin ich dieser Ansicht geworden, seit sich derselbe so viel in die politischen Fragen mischt. Sie würden nach meiner Über- zeugimg viel stärker werden, wenn Sie ohne Ansehen der Reaktion wie der Revolution die soziale Frage für sich behandelten. Die Chartisten- bewegung in England Ende der zwanziger und anfang der dreißiger Jahre sollte Ihnen das klar machen. Wenn ich mir aber jetzt den Kampf der Parteien überlege, und wie Sie die soziale Frage wieder in Deutsch- land angefaßt haben, so befestigt sich immer mehr die Meinung in mir, daß der Cäsarismus ihrer Lösung näher steht als die Republik. Wenn die Gesellschaft die bürgerliche Freiheit Freiheit der Person und des Eigentums errungen hat, ist das Schlußwort in dem furchtbar schönen ,,Bundes-Iyied" von Herwegh: ,,Brot ist Freiheit", wahrer als das ,, Freiheit Brot", und die ,, Sklaverei der Not" wird weit tiefer emp- funden als die ,,Not der Sklaverei".

Mit bekannter Hochachtung

der Ihrige

Rodbertus.

36. RODBERTUS AN LASSALLE. (Original.)

[Undatiert. Jagetzow, Jannuar 1864.] Geehrter Herr! Herr Vahlteich^) schreibt mir, Sie wollten ein Verzeichnis der von mir herausgegebenen Broschüren haben. Ich antworte unmittelbar. \'ieUeicht kommt es Ihnen dabei nur auf das beifolgende Schriftchen an. Außerdem sind von mir vor 1848 erschienen ,,Die preußische Finanzkrisis" : ,,Die Grundtaxen des Herrn von Bülow-Cummerow" ;-) „Für den Kredit

^) Für Julius Vahlteich. den Sekretär des Allgemeinen Deutschen Arbeiter- vereins und seine Beziehungen zu Lassalle vgl. Bd. V, Einführung, S. ii.

~) „Die preußische (Tcldkrisis", Anklam 1847. ,,Die neuesten Grundtaxon des Herrn von Bülow-Cummerow mit Rücksicht auf Steuerverwaltung", Anklam 1847.

=— 376 = =

der Grundbesitzer. Eine Petition an die Reichsstände" ^.) (Erster Ver- einigter Landtag; 2) nach 1848, meine drei Sozialen Briefe ^) und ,,Die Handelskrisen und die Hypothekennot der Grundbesitzer".*)

Überall werden Sie dieselbe Grundanschauung wiederfinden, die sich bereits 1842 bei mir festgestellt hatte und im wesentlichen auch keine Änderung erlitten hat. Wenn ich dem ersten Hefte ,,Zur Erkenntnis unserer staatswirtschaftlichen Zustände"^) kein weiteres folgen ließ, so geschah es, weil das Werk noch weniger Beachtung fand, als später meine Sozialen Briefe, von denen ich den vierten seit zehn Jahren unediert im Pult liegen habe.^) Aber 1842 war die Unwissenheit in na- tionalökonomischen Dingen noch fürchterlich kraß, und das Literaten- tum arbeitete sich erst mit Mühe in die Freihandelsprinzipien hinein. Durch diese wird es erst hindurch müssen (wie ich selbst habe hindurch müssen), ehe es die wesentlich anderen Prinzipien, die ich in dem bei- folgenden Heft niedergelegt und dann teilweise in den Sozialen Briefen näher ausgeführt, auch nur versteht. Weshalb also fortsetzen? Es ist ja ganz gleichgültig, ob man unter Tausenden der einzige ist, der etwas erkannt, oder der einzige, der etwas nicht erkannt hat; in beiden Fällen wird man für verdreht gehalten.

Dennoch behaupte ich, daß in dem beifolgenden kleinen Hefte die Grundlagen eines neuen Systems enthalten sind, das man in dreißig Jahren von den Dächern predigen wird. Aber auch Sie, obwohl Sie ein eminentes nationalökonomisches Verständnis haben, werden sich mit Mühe hindurcharbeiten, da es überaus kurz und abstrakt geschrieben ist.

Werden Sie in Ihren Bestrebungen nicht zu sehr von der Politik ab- gelenkt — was die Klippe ist, die Ihnen Gefahr bringt verstehen Sie vielmehr, bei Ihrer großen Gabe der Agitation, die öffentliche Aufmerk- samkeit noch mehr auf den nationalökonomischen Kern der Bewegung zu leiten, so will ich seinerzeit noch einen dritten Anlauf nehmen, um vielleicht disponiertere Gemüter zu finden.

Hochachtungsvoll , , .

der Ihrige ^^

1) ,,Für den Kredit der Grandbesitzer. Eine Bitte an die Reichsstände" erschien erst 1849 in Berlin.

-) Rodbertus unterläßt, die Klammer zu schließen.

3) ,, Erster Brief: Die soziale Bedeutung der Staatswirtschaft." ,, Zweiter Brief: Kirchmanns soziale Theorie und die meinige." ,, Dritter Brief: Widerlegung der Ricardoschen Lehre von der Grundrente imd Begründung einer neuen Renten- theorie." Berlin 1850/51.

4) Berlin 1858.

5) Es erschien 1843 i" Neu-Brandenburg als , .Erstes Heft" mit dem Untertitel ,,Fünf Theoreme".

^) Er erschien unter dem Sondertitel ,,Das Kapital" erst nach Rodbertus' Tode 1884.

= 377 =

37- I.ASSALLE AN RODBERTUS. (Abdruck.)

Berlin, 4. Januar 1864.

Geehrter Herr! Ich habe die Liste, welche irrig an mich adressiert war, da sie laut der Einladung an Herrn Vahlteich adressiert werden sollte, von wel- chem die Einladung im Namen des Vorstandes ausgegangen war, an Herrn Vahlteich, dem ich neulich mein Zettelchen zur Beilage für Sie übergeben hatte, gelangen lassen.

Zur Beantwortung des Inhalts Ihrer Zeilen fehlt mir aus den in meinem letzten Briefe erwähnten Gründen noch immer die Zeit. Mit bekannter Hochachtung

F. LassaUe.

38. LASSALLE AN RODBERTUS. (Abdruck.)

Berlin, I-'ebniar 1864. Geehrter Herr!

Hier meine Antwort auf die ,, Gefahr" und ,, Klippe", die mir droht, das Ökonomische über das Politische zu vernachlässigen. i) L'homme a deux bras, wie Victor Hugo sagt und ich denke, Sie werden mit mir finden, daß es der rechte Arm ist, den ich mir, trotz alledem und alle- dem, für die Ökonomie bewahrt habe.

Es interessiert mich nun natürlich ganz besonders, baldigst zu hören, wie Ihnen das Werk gefallen und was Sie darüber denken.

Daß Sie mir so sehr gegenüber stehen, wie Ihr vorletzter Brief mir sagte, hätte ich nicht geglaubt, hat mich verwundert und geschmerzt!

Daß Sie an Brämers Jahrbüchern Mitarbeiter sind mit Lette,-) Michaelis^) und solchen mehr hat mir auch nicht gefallen!

Unter anderem habe ich gerade auch das in dem Werke durch ge- legentliche Einblicke darzutun gesucht, wie durch die Konstruktion im großen IV. Kapitel , II. Kapitel, Nachwort wie identisch das Politische imd Ökonomische ist. Jede Trennung beider Seiten ist eine Abstraktion,

') Bei Übersendung seines Werkes ,, Herrn Bastiat-Schulze von Delitzsch, der ökonomische Julian oder: Kapital und Arbeit".

2) Wilhelm Adolf Lette (1799— 1868), Mitglied der Fortschrittspartei, gehörte zu den Mitbegründern des Volkswirtschaftlichen Kongresses, dieses Sammelpunkts der deutschen Freihändler.

3) Auch Otto Michaelis (1826 1890) war fortschrittlicher Abgeordneter und hatte an der Gründung des Volkswirtschaftlichen Kongresses hervorragenden Anteil genommen.

-=- -378—

und ich glaube, daß gerade die Verbindung beider eine Hauptforce von mir ausmacht! Nim wohl! sehr begierig bin ich darauf, was die Fort- schrittler zu dem Buche sagen werden und andererseits die liberale Ökonomie. Sie müssen einen guten Magen haben, wenn sie es so bald verdauen.

Ich bin übrigens von übermäßiger Anstrengimg und übertriebener Nervenaufregung durch die Arbeit so herunter, daß meine Nerven mir wie Stricke um den Körper schlottern! Es gibt für jede Natur, was ich nicht glauben wollte, ein ne nimis und ich habe diesmal arg dagegen verstoßen! Adieu! Ihr sehr ruinierter

F. Lassalle.

39- RODBERTUS AN I^ASSAIvLE. (Original.)

Jagetzow, 20. Februar 1864. Geehrter Herr! Stehend bei meiner Posttasche habe ich soeben die ersten 25 Seiten Ihres Bastiat-Schulze gelesen. Ich glaube, es steht kein Wort darin, für das man Ihnen nicht danken müßte. Das wird dann ausführhch meiner- seits geschehen, sowie ich es gründlich gelesen. Solange Sie den rechten Arm der Nationalökonomie leihen, werden Sie mich auch niemals als Ihren Gegner finden. Ich wüßte keinen, mit dem ich hier so sehr harmonierte. Aber wie kommen Sie dazu und dies ist der Grund weshalb ich so schleunig antworte zu glauben, daß ich mit dem ,, Manchester zeugs" zusammenarbeitete? Bitte ebenso schleunige Antwort! In der Hüdebrandschen Jenaschen Zeitschrift werden Ab- handlungen von mir aus der antiken Nationalökonomie ^) erscheinen, aber sonst nirgends.

Herzlich der Ihrige

Rd.

40. LASSALIvE AN RODBERTUS. (Abdruck.)

[Berlin] 23. Februar 1864. Geehrter Herr! In Eile und bloß als Antwort auf Ihre Anfrage : in einem der liberalen Blätter, die ich lese ich glaube, es war in der ,, Nationalzeitimg" oder ,, Berliner Reform" las ich einige Tage vor meinem letzten Briefe unter

^) Untersuchungen auf dem Gebiete der Nationalökonomie des klassischen Altertums, i . Zur Gescliichte der agrarischen Entwicklung Roms unter den Kaisem. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. II, 1864.

= 379 -^=--

den vermischten Nachrichten die ^Mitteilung, über ein neu erscheinendes, von Brämer herausgegebenes national-ökonomisches Journal. Es war eine lange, lange Reihe von Mitarbeitern angeführt, und da, unter Lettes. Michaelis, Fauchers usw. figurierte Arm in Arm mit ihnen ganz harmlos auch Ihr Name!

Um so besser, daß es ein Puff ist!

Eiligst ganz Ihr

F. I^assalle.

41. RODBERTUS AN LASSALLE.

Jagetzow, 30. Mai 1864. Geehrter Herr!

Ich woUte Ihnen schon zu der gewonnenen Schlacht gratulieren als Ihre Verteidigungsrede,^) für die ich Ihnen herzlichst danke, ankam.

Was das mitgesandte Monitum betrifft, so ist es mir mit Ihrem Bastiat-Schulze eigentürrüich gegangen. Ich verschlang das Buch in den ersten Tagen, wollte dann auch noch Gutes mit ihm stiften imd schickte es an den Führer der Fortschrittspartei in dem diesseitigen Wahlkreise, der im Privatleben mein guter Freund und Geschäftsführer ist. Er konnte doch bei so zündenden Worten als die Ihrigen sind, seinen Tag von Da- maskusbekommen. Statt dessen stirbt ihm eben unglücklicherweise beim Lesen seine Frau, und nun mag ich den beklagenswerten ^lann nicht wegen des Buches mahnen, während ich doch noch einiges darin genauer ansehen woUte, ehe ich deshalb an Sie schrieb.

Nun will ich aber doch aus der Erinnerung schreiben.

Also im allgemeinen: Sie wissen ja, daß bis auf sehr weniges, von dem, wie ich glaube, Sie auch noch zurückkommen werden, mir alles aus der Seele geschrieben ist. Bis auf dies wenige, ist, wissenschafthch, das Buch durch und dturch wahr, und außerdem ist es prächtig. Daß Sie statt des Schwertes mitunter auch die Keule schwingen müssen, liegt in der bornierten Lässigkeit jenes Kolporteurs der herrschenden Schule.

Im besonderen erinnere ich mich, ist mir folgendes aufgefallen. Sie setzen Proudhon^) zu sehr als Nationalökonomen herab. Wissen Sie wohl, daß er die Produktivassoziation und die Ersetzimg und Verteilung der Differentialgrundrente geradeso will wie Sie? Ich meine also, man

Vi Der Hochverratsprozeß wider Ferdinand Lassalle vor dem Staatsgerichts- hofe zu Berlin am 12. März 1864. Berlin 1864.

2) Pierre Joseph Proudhon (1809 1S65). der berühmte französische Gesell- .schaftskritiker. LassaUe hatte dort S. 6 Anmerkung geschrieben: „Es war freilich leicht, Herrn Proudhon ökonomisch zu vernichten, da derselbe niemals ein Öko- nom gewesen ist."

38o =-- .--

kann ein Nationalökonom von eminenter Bedeutung sein und doch diesen Irrtum teilen.

Den letzten Zipfel vom Schleier des Kapitals scheinen Sie mir nicht zu heben, vielleicht um nicht mit einem Male zu viel Schauder vor dem enthüllten Bilde zu erregen. Der Nachweis würde aber hier zu weit führen.

Wenn ich nicht irre, ^ ich schreibe, wie gesagt, aus der Erinnerung und habe nur im allgemeinen den Sinn, den ich mit Ihren betreffenden Worten verband, im Auge deuten Sie irgendwo an, daß allein die Differentialgrundrente das Gesetz, daß sich die Güter nach ihrer Arbeit vertauschen, modifiziere. Das ist nicht richtig. Ich habe in,, Theorem I\""^) gegen Ricardo und Mc. CuUoch'-^) bewiesen, daß, wie heute im allgemeinen das Kapital die Arbeit dominiert, während an sich diese das Dominie- rende ist (in der Geschichte entspricht in der Regel das ,,Ansich" dem ,,sein sollte"),^) so auch das Gesetz der Gleichheit der Kapitalgewinne jenes Arbeitswertsgesetz dominiert und also auch bei der Fabrikation letzteres modifiziert wird. Es bleibt nur noch im allgemeinen, bei dem ganzen Nationalprodukt und Nationaleinkommen wahr.

Von dem, was Sie an Marx hervorheben, nehme ich die Priorität in Anspruch.^) Das Wesen des Geldes sowie das Geld der Zukunft immer- hin einer äußerst fernen kann gar nicht richtiger immerhin um- ständlicher und dem gewöhnlichen Begriffsvermögen deutlicher auf- gedeckt, wer den, als ich es ,, Theorem V" getan.

Aber ich höre auf: sonst könnte ich in Mäkelei verfallen, und die paßt nicht zu einem Buch wie das Ihrige.

Aber ich komme auf Ihr Monitum zurück. ,, Eingehend" ist auch dieser Brief nicht. Aber wie wäre es, wenn wir kompensierten? Ich harre auch noch Ihrer Antwort auf meine ,,Zernierungsfrage"!

Leben Sie wohl und schonen Sie nur eine Zeitlang Ihre Gesundheit. Mit aufrichtiger Hochachtung

der Ihrige

Rd.

Grüßen Sie Bucher!

1) Rodbertus, Zur Erkenntnis unserer staatswirtschaftlichen Zustände, S. 109 ff.

2) John Ramsay Mac CuUoch (1789 1864), englischer Nationalökonom, einer der einflußreichsten Schüler Ricardos.

•"') Diesen Satz fügte Rodbertus als Anmerkung hinzu.

*) Für das wissenschaftliche Verhältnis zwischen Karl Marx und Rodbertus und den Prioritätstreit, der sich daran knüpfte, vgl. u. a. Adolf Wagner, Einiges von und über Rodbertus, Tübinger Zeitschrift für Staatswissenschaften 1878, Bd. 34, und Wagners Einleitung zu Rodbertus' Schriften, Bd. II, S. XXVII ff., femer Engels' Vorwort zu Bd. II von Marx' Kapitel und zur deutschen Ausgabe von dessen Misere de la Philosophie.

38i

42. RODBERTUS AN LASSALLE. (Original.)

Jagetzow, 14. Juni 1864. Geehrter Herr! Unter Kreuzband erlaube ich mir, heute Ihnen eine Abhandlung von mir zu senden. Andere werden folgen, in denen viele der sozialen Gedanken ausgeführt sind, die wir in unserer Korrespondenz berührt haben. Vielleicht haben Sie einmal einen müßigen Augenblick, darin zu blättern.

Möchte es Ihnen gut gehen und Ihre Gesundheit sich wieder be- festigen! Lassen Sie auch einmal wieder brieflich von sich hören. Ihre Korrespondenz ist mir viel wert.

Wie immer der Ihrige

Rd.

Eingaben

Zur Einführung

Eine Anzahl von Eingaben Lassalles an Behörden, deren er für sich und für andere in seinem Leben so viele anfertigte, gelangte bereits in den ersten beiden Bänden dieser Ausgabe zur VeröffentHchung. Andere Eingaben von seiner Hand, die im Entwurf sich im Nachlaß fanden, wurden, weil ihre Mitteilung sich nicht recht lohnte, hier übergangen; auf den Abdruck noch anderer, besonders solcher aus seinen letzten der Arbeiteragitation gewidmeten Jahren, wurde verzichtet, weil sie in einem sachlich vollständigeren Rahmen, in den Aktenstücken über Bis- marcks Sozialpolitik, die Hans Rothfels bearbeitet, bald ihren Platz erhalten werden.

So beschränkte der Herausgeber sich an dieser Stehe auf nur zwei Eingaben LassaUes. Die erste, wohl aus dem Jahre 1853, präzisiert ge- nauer sein Verhältnis zu dem bekannten Kommunistenprozeß, über das bereits die Einführung zu Band II hinreichende Aufschlüsse gab, auf die hier verwiesen werden darf. Die zweite, an Umfang und Gehalt reichere Eingabe, versuchte, wenn auch ohne Erfolg, zu verhindern, daß die Anklage wegen Hochverrat, deren er durch seine Ansprache ,,An die Arbeiter Berlins" sich schuldig gemacht haben sollte, zur Ein- leitung eines Verfahrens gegen ihn führte. Daß die Untersuchung überhaupt eingeleitet wurde, führte er selbst, wie er damals an Otto Dammer schrieb, auf die Rachsucht des Staatsanwalts von Schelling zurück, den er bei einem früheren Prozeß mit verächtlicher Ironie vor der Öffentlichkeit bloßgestellt hatte. Die Verhandlung des Hochverrats- prozesses begann am 12. März 1864. Der Oberstaatsanwalt beantragte nicht weniger als drei Jahre Zuchthaus und fünf Jahre Polizeiaufsicht. Die Freunde rieten Lassalle zu rechtzeitiger Flucht. Er aber lehnte es ab. Er war seiner Freisprechung gewiß und täuschte sich darin nicht.

I. GESUCH' LASS ALLES^UM RÜCKGABE SEINER ANLÄSSLICH DES 'KOMMUNISTENPROZESSES KONFISZIERTEN PA- PIERE. (Originalkonzept.)

[Undatiert.] An den Königlichen Generalprokurator in Köln. Wie Euer Hochwohlgeboren aus dem abschriftlich beiliegenden Be- scheid des Königlichen Oberprokurator in Köln ersehen werden, weigert

- 383 =

sich derselbe, diejenigen Briefe, welche bei einer im Laiif des sogenann- ten Kommunistenprozesses bei mir eingetretenen Hausuntersuchung in Beschlag genommen wurden, zurückzugeben, obgleich jene Prozedur nunmehr beendet ist. Er eröffnet mir vielmehr, daß diese Briefe als Überführungsstück angesehen seien und als konfisziert erklärt worden sind.

Mir ist kein Urteil bekannt noch bekannt gegeben worden, durch welches auf Konfiskation der bei mir säsierten Briefe erkannt worden wäre. Auch hätte ein solches nach § 19 des neuen Strafgesetzbuches gar nicht ergehen können. Derselbe besagt: ,, Gegenstände, welche durch das Verbrechen hervorgebracht, oder welche zur Begehung desselben ge- braucht oder bestimmt worden sind, soUen, sofern sie dem Täter oder einem Teilnehmer der Tat gehören, konfisziert werden."

Selbst also, wenn die Papiere zur Begehung der Verbrechen gedient hätten, was übrigens nicht entfernt der Fall können sie nur kon- fisziert [werden], wenn sie einem Täter oder Komplizen gehören, nicht aber wenn sie mein, eines Dritten, in die Prozedur nicht verwickelten, Eigentum sind. Der folgende Absatz desselben Paragraphen paßt schon deshalb nicht auf den vorliegenden Fall, weil er von Vernichtung der Platten und Formen und aller vorfindlichen Exemplare spricht, somit zeigt, daß er zur Verbreitung bestimmte, in einer Vielheit von Exemplaren vorhandene Schriften, nicht aber einfache Briefe an eine Privatperson im Auge hat. Übrigens ist auch hier als notwendiges Re- quisit aufgestellt, daß die Schrift ,,sich als Tatbestand einer strafbaren Handlung darstellt". Die bei mir säsierten Briefe hätten möglicherweise zum Beweis dieses oder jenes Punktes dienen können, aber Tatbestand einer strafbaren Handlung konnten sie ebensowenig, als zur Begehung des Verbrechens bestimmt gewesen sein, weil sonst in beiden Fällen ich, der Adressat der Briefe, notwendig Teilnehmer des Verbrechens hätte sein müssen, dessen ich nicht einmal angeklagt war.

Diese Verweigerung meiner Briefe ist aber um so unglaublicher, als nur sehr wenige, etwa zwei derselben überhaupt, in dem Anklageakt und der Prozedur vor den Geschworenen benutzt worden sind. Von allen anderen ist nicht einmal der geringste Gebrauch derselben gemacht worden. Die meisten Briefe rühren von dritten, der Prozedur wildfremden Personen her, einige sogar von mir selbst. Und alle diese Stücke, mit welchen er nicht einmal einen t'berführungsversuch gemacht hat, beliebt der Herr Oberprokurator jetzt als Überführungsstücke auszugeben und ohne Urteil und gegen das einschlägige Gesetz den § 19 des Strafgesetz- buches als konfisziert zu erklären!

Es ist klar, daß ich mich nicht in der Lage befinde, eine solche Ver- letzung meines Eigentumsrechts hinzunehmen, ohne mit allen zu Gebote

384

stehenden Rechtsmitteln dagegen aufzutreten. Ich gebe mich der Hoff- nung hin, daß Euer Hochwohlgeboren auf diese meine Beschwerde hin von der Klarheit meines Anspruches auf Rückgabe meines Eigentums überzeugt, meinem Antrage entsprechen,^) mich so der unangenehmen Notwendigkeit überheben werden, in einem bei dem ordentlichen Gericht einzuleitenden Prozesse, 2) mein Recht zu erkämpfen. 3)

2. EINGABE IvASS ALLES AN DEN ANKLAGESENAT DES STAATSGERICHTSHOFS. (Konzept von Lassalles Hand.)

Berlin, 29. November 1863. Potsdamer Straße 13.

Hoher Anklagesenat!

Es ist von dem Königlichen Staatsanwalt von ScheUing eine Unter- suchung wegen vorbereitenden Hochverrats gegen mich eingeleitet worden, die an um mich sehr milde auszudrücken Bodenlosigkeit alles übertrifft, was jemals vorgekommen!

Da es mein legitimes Interesse sein muß, eine zugleich so schwere und so grundlose Beschuldigung so früh als möglich zu beseitigen, so erlaube ich mir hierdurch ergebenst durch die nachfolgende kurze Aus- führung darzutun, daß es einem hohen Hofe vollständig unmöglich sein wird, die Anklage gegen mich zu beschließen.

Ich werde diesen Nachweis in einigen kurzen Artikeln führen, deren Gewicht in aufsteigender Linie immer zunehmen soU.

I.

Die Beschuldigung gründet sich auf meine ,, Ansprache an die Ar- beiter Berlins".^)

Oder vielmehr sie gründet sich auch nicht einmal hierauf, sondern auf den in dieser Ansprache abgedruckten Artikel der ,, Süddeutschen Zeitung"^) (S. 9 12 der Ansprache).

Ich leite die Anführung dieses Artikels ausdrücklich mit der Erklä-

^) Hiemach hieß es im Konzept ursprünglich, wurde aber durchgestrichen: ,,und mir so ohne Lärm und Geräusch zu meinem Recht verhelfen werden, widrigen- falls ich mich in der Notwendigkeit befinden werde".

2) Hier folgte ursprünghch, wurde aber durchgestrichen: ,,dem es weder an Interesse noch Pointen fehlen würde, auf einem freilich langsameren, aber nicht minder sicheren und um so brillanteren Wege".

3) Ohne Unterschrift.

^) An die Arbeiter Berüns. Eine Ansprache im Namen des Allgemeinen Deut- schen Arbeitervereins, Berlin 1863, Kommissionsverlag von Reinhold Schhngmann.

^) Der Artikel der ,, Süddeutschen Zeitung" vom 25. September war über- schrieben: ,,Die Arbeiterbewegung in Rheinpreußen". Die begründete Vermutung, daß sein Verfasser Friedrich Albert Lange sei, hat zuerst Eduard Bernstein aus- gesprochen.

385

rang ein (S. 9), daß die , .Süddeutsche Zeitung" eine meiner leiden- schaftlichsten „Gegnerinnen" sei. Ich führe diesen Artikel nur in der ausdrücklich ausgesprochenen und mehrfach wiederholten Absicht an, zu zeigen, daß die Fortschrittler mich verleumden, wenn sie mich einen Reaktionär nennen und daß sie dies auch sehr gut selbst wissen, indem sie mir, wo sie unter sich sprechen, die umgekehrte Richtung imputieren.

Und durch diese, zum Zweck der Widerlegung einer Verleum- dung gemachten Anführung eines Artikels aus einem mir feindlichen Blatt, soll ich eine ein ,, hochverräterisches Unternehmen vor- bereitende Handlung" vollbracht haben!!!

An und für sich wird sich vielleicht ein objektives Preßvergehen, nie- mals aber Hochverrat durch die Mitteilung eines fremden Artikels vollbringen lassen.

Überdies ist hier jede Möglichkeit hierzu ausgeschlossen durch den ausdrücklichen animus der Mitteilung, mich durch dieselbe bloß gegen jene Verleumdung verteidigen zu wollen.

Überdies legt mir der Artikel der ., Süddeutschen Zeitung" auch nirgends ,,ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitende Hand- lungen" zur Last; nur allerlei Gesinnungen imputiert er mir.

Überdies ist meine Ansprache an die BerHner Arbeiter und der darin erfolgte Abdruck des fremden Artikels aus dem mir feindlichen Blatt kein judiziäres Eingeständnis.

Überdies gebe ich in meiner Ansprache selbst an, was ich aus jenem Artikel als wahr bezeichne. Ich sage nämlich am Schluß der Anführung S. 12:

„Seht Ihr, Arbeiter, die Zahl der Anhänger des Allgemeinen Deut- schen Arbeitervereins, ihre Begeisterung, ihr stetiges Wachstum, der Widerwille, mit welchem die Herren Fabrikanten und Kaufleute früher Herrn Schulze-DeHtzsch betrachtet haben, den sie erst jetzt, wo er bei Euch als Gegengift gegen mich dienen soll, als Mittel, Euch von der energischen Verfolgung Eurer Interessen, von mir und dem Allge- meinen Deutschen Arbeiterverein fem zu halten, bekränzen alles ist hier mit dürren Worten eingestanden." Liegt hierin Hochverrat?

Ich fahre dort fort:

,,Die Lächerlichkeit der Erfindung, daß ich der Reaktion diene, die Furcht, daß umgekehrt der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein den Ast abzusägen drohe, ^) auf welchem Fortschrittler und Reaktion ge- meinsam sitzen das alles und noch vieles andere wird ebenso wie der wirkliche Charakter der rheinischen Versammlungen hier von unseren

Gegnern selbst, in einem Blatt, das ja die Arbeiter nicht lesen offen

eingeräumt."

1) In der ersten Auflage iind allen späteren Nachdnickcu steht: ,, drohte".

Mayer, Lassalle-Nachlass. VI 2$

386 -

Das ist alles, was ich aus jenem Artikel herleite, worauf ich mich berufe, und was ich somit in gewissem Sinne meinerseits durch diese An- führung eingestehe.

Soll es Eingeständnis von hochverräterischen Handlungen sein, wenn ich sage, es sei eine lächerliche Erfindung, daß ich der Reaktion diene?

Soll es Eingeständnis von hochverräterischen Handlungen sein, wenn ich sage: sie, die Fortschrittler, haben Furcht, daß ich den Ast ab- säge, auf welchem sie und die Reaktion gemeinsam sitzen? Ist ihre Furcht mein Verbrechen?

Und wenn ich selbst gesagt hätte : sie haben diegegründeteFurcht, daß ich den Ast absäge, auf welchem sie und die Reaktion gemeinsam sitzen, - hätte ich das nicht mit vollem Rechte sagen können, hin- sehend auf meine nun schon seit neun Monaten, aber offen und mit voller gesetzlicher Erlaubnis geführte Agitation für das allgemeine und direkte Wahlrecht, aber durch Gewinnen der öffentlichen Überzeugung auf friedlichem und legalen Wege? Durch das allgemeine und direkte Wahlrecht würde ja, falls es eingeführt würde, der Ast das Drei- klassenwahlgesetz — abgesägt sein, auf welchem jetzt Fortschrittler und Reaktionäre gemeinsam sitzen!

Endlich man mache die unerhörtesten, die unmöglichsten, die absurdesten Voraussetzungen, so würden mir ja immer nur durch den Artikel der ,, Süddeutschen Zeitung" hochverräterische horribile die tu! Gesinnungen zur I^ast gelegt sein, niemals hochverräterische Handlungen.

n.

Außer dem Artikel der ,, Süddeutschen Zeitung" und meiner Bezug- nahme auf denselben, ist mir hauptsächlich folgende von der Staatsan- waltschaft rot angestrichene Stelle meiner Ansprache (S. 14) zur Last gelegt worden:

,,Die Fortschrittsbourgeois hassen mich und feinden mich an, nicht weü sie Reaktion, sondern umgekehrt, weil sie Revolution von mir be- fürchten. Nicht, weil ich ihnen reaktionär, sondern weü ich ihnen re- volutionär erscheine. Und die tatsächliche Wahrheit dieses Vor- wurfes ■ ich habe sie in der Wahrhaftigkeit meines Wesens hundert- mal zugegeben, wo immer auch er mir gemacht wurde, ich habe sie zu- gegeben vor der Öffenthchkeit, in meinen Werken, meinen Reden, ja zu den wiederholtesten Malen selbst vor den Gerichten."

Und das habe ich in der Tat getan und es ist den Gerichten niemals eingefallen, mir aus diesem Eingeständnis einer Denkungsweise^) irgendeinen Vorwurf, geschweige denn das Verbrechen des Hochverrats daraus zu machen!

J) Zuerst hatte I,assalle geschrieben: ..Gesinnung".

387 -

Im Gegenteil, die Gerichte haben selbst entschieden, daß es nichts Erlaubteres gibt als den bestimmten Sinn, in welchem ich dies Wort nehme.

Bei Anlaß des wegen meines ,, Arbeiterprogramms" ^) gegen mich auf Grund des § 100 des Strafgesetzbuchs erhobenen Prozesses habe ich Gelegenheit gehabt, den hiesigen Kriminalgerichten den Sinn, in welchem ich das Wort: ,, revolutionär" nehme und ferner die Übereinstimmung dieses Sinnes mit dem gesamten wissenschaftlichen Sprachgebrauch aus- führlich nachzuweisen.

Ich habe dies getan in der hier sub Anlage A beigefügten gedruckten Verteidigungsrede vor dem hiesigen KönigHchen Kriminalgericht: ,,Die Wissenschaft und die Arbeiter", ^) S. 46 49.

Ich weise daselbst nach, daß das Wort ,, Revolution" gar keine andere Bedeutung hat als ,,ein neues Prinzip an die Stelle eines bestehenden Zustandes zu setzen" und daß dies ebensogut in vollstem Frieden und ohne alle Gewalt geschehen kann und in der Geschichte zu den wieder- holtesten Malen in dieser Weise geschehen ist.

Diese Erklärung des Wortes ,, Revolutionär" und ,, Revolution" ist so richtig, mit dem gesamten ^) Sprachgebrauch so übereinstimmend und zugleich so jeden Vorwurf und Anstoß beseitigend, daß der Gerichtshof erster Instanz hierauf in dem (Anlage B) gedruckt beigelegten Urteil S. 49 ausdrücklich erklärt:

„Es mag an dieser Stelle bemerkt werden, daß der Gerichtshof der Auslegung, welche der Angeklagte überhaupt dem Gebrauche des Wortes ,, Revolution" in seinem Vortrage gab, für diese Stelle nicht hat bei- treten können. Die unmittelbare Anknüpfung an den Bastillen- sturm, den er vorher erwähnte, und diese Aufforderung, lassen ein Ver- ständnis, wie es der Angeklagte hervorgebracht haben will, für diese Stelle nicht zu."

Der Gerichtshof hält also diese Erklärung für so zutreffend und be- friedigend, daß er auf Grund derselben alle anderen Stellen jenes Vor- trages— mindestens zwanzig in welchem ich mich des Wortes ,, Re- volution" und ,, Revolutionär" bediente, für vollkommen gedeckt be- trachtet und nur eine einzige Stelle als eine solche bezeichnet, auf die wegen der unmittelbar vorhergehenden Erwähnung des Bastillesturmes diese Erklärung angeblich nicht passe.

^) , .Arbeiterprogramm. Über den besonderen Zusammenhang der gegenwärtigen Geschichtsperiode mit der Idee des Arbeiterstandes", Berlin 1862, Verlag von Karl Nöhring.

2) ,,Die Wissenschaft xmd die Arbeiter. Eine Verteidigungsrede vor dem Berliner Elriminalgericht gegen die Anklage, die besitzlosen Klassen zum Haß und zur Verachtung gegen die Besitzenden öffentlich aufgereizt zu haben", Zürich 1863. Verlag von Meyer & ZeUer.

2) Hier hat Lassalle das Wort ,, wissenschaftlich" durchgestrichen.

====: 388 =

Bei erneuter Erörterung der Sache in zweiter Instanz hat übrigens das Königliche Kammergericht mir auch bereits in bezug auf diese Stelle Recht erwiesen, indem es dieselbe, wenn es auch aus anderen Gründen (wegen der Indirekten Steuern), die übrigens von ihm vor vier Monaten auf hundert Taler herabgesetzte Verurteilung aufrecht hielt, aus den von ihm als strafbar aufgeführten Stellen in seinem Erkenntnis fortheß.

Und während so schon durch zwei Urteile feststeht, wie unangreifbar der Sinn ist, in welchem ich das Wort ,, Revolutionär" und sogar das objektive Wort ,, Revolution" selbst nehme, macht mir jetzt der Staats- anwalt von ScheUing, der diese Urteile kennt, auf das Bekenntnis revolutionärer Gesinnungen gar noch einen Hochverrats- prozeß ! !!

Es bedurfte übrigens gar nicht einmal der Bezugnahme auf jene beiden Urteile und auf den mich stets beherrschenden wissenschaftlichen Sprachgebrauch des Worts. Auch der allergewöhnlichste Sprachgebrauch stimmt damit vollkommen überein. Revolutionär ist der Gegensatz von Reaktionär. Es gibt eine Partei im Lande, die ganz allgemein die reaktionäre Partei genannt wird und sich auch selbst so nennt. Es ist dies eine Partei, welche Umänderungen des öffentHchen Rechtszu- standes, also der Verfassung, nach rechts hin wünscht. Ist sie deshalb eine Partei von Hochverrätern, die gewaltsamen Umsturz der Verfassung betreibt?

Weim nun eine revolutionäre Partei existiert, so ist dies eine Par- tei, welche Umänderungen des öfifentlichen Rechtszustandes nach links hin wünscht, aber dafür ebensowenig wie die reaktionäre Partei zu ge- waltsamem Umsturz greift, sondern sich ebenso wie diese auf alle Mittel des moralischen Einflusses beschränkt.

III.

Die einzige Handlung, zu der ich in der ,, Ansprache an die Arbeiter Berlins" aufgefordert, ist: einzutreten in den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein.

Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein ist ein mit völliger gesetz- licher Erlaubnis seit dem Mai des Jahres bestehender Verein; ein Verein, dessen Statuten der Königlichen Polizeibehörde eingereicht sind; ein Verein, dessen Sitzungen fortlaufend der Königlichen PoHzeibehörde angezeigt werden und in der Anwesenheit ihrer Beamten stattfinden.

Der Zweck des Vereins ist Ausweis der sub Anlage B beigelegten Sta- tuten kein anderer als der:

,,auf friedlichem und legalen Wege, insbesondere durch das Gewinnen

389 ==-- =

der öffentlichen Überzeugung für die Herstellung des allgemeinen gleichen und direkten Wahlrechts zu wirken."

Die Aufforderung, in den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein als in einen gesetzlich erlaubten und mit Beobachtung aller Gesetze be- stehenden öffentlichen Verein einzutreten tmd ich wiederhole, dies ist die einzige Handlung, zu welcher jene Ansprache auffordert ist also keine Aufforderung zu einer ,,ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitenden Handlung".

IV.

Wenn ich bis heran die totale Grundlosigkeit der Beschuldigung auf- gezeigt habe, so werde ich jetzt aber erst ihre vollständige gesetzliche Unmöglichkeit nachweisen, und man wird sich eines Erstaunens nicht erwehren können, eine so schwere Beschuldigung nicht bloß ohne jedes Fundament, sondern geradezu contra legem erhoben zu sehen.

Der § 65 des Strafgesetzbuches lautet:

„Wer öffentlich durch Rede oder Schrift zur Ausführung einer Hand- lung auffordert, welche nach § 62 als ein hochverräterisches Unternehmen zu bestrafen wäre, soll usw. bestraft werden."

Da mein Verbrechen durch eine Druckschrift vollbracht sein soU, so könnte man sich zunächst wundern, warum ich nicht auf Gnmd dieses § 65 des Strafgesetzbuches angeklagt bin.

Inzwischen konnte ich nicht auf § 65 angeklagt werden, weil der- selbe nur von der Aufforderung zu einer solchen Handlung spricht, welche ,,nach § 62 als ein hochverräterisches Unternehmen" zu be- strafen wäre. Der § 62 aber handelt nur von solchen Unternehmen, durch welche ,,das Verbrechen des Hochverrats vollendet wird" und defi- niert als solches nur eine solche Handlung, ,, durch welche das ver- brecherische Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden soll".

Da ich in meiner ,, Ansprache" nirgends aufgefordert habe, die Waffen zu ergreifen, so konnte ich also nicht einer Aufforderung zu einer das verbrecherische Vorhaben unmittelbar zur Ausführung bringenden Handlung und folglich nicht auf Grund des § 65 angeklagt werden.

So wurde denn die Anklage auf Grund des § 66 beantragt. Aber auf § 66 mich anzuklagen, ist vollständig eine gesetzliche UnmögUchkeit. Denn derselbe lautet:

,,Jede andere, ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitende Handlung soll usw. bestraft werden."

Jede ,, andere" vorbereitende Handlung, d. h. also: jede andere als die im vorhergehenden § 65 gedachte Handlung: d. h. also: jede

= 390

andere als eine in „Aufforderung durch öffentliche Rede oder Schrift" bestehende Handlung.

Wegen einer öffentlichen Druckschrift kann man also nie auf Grund des § 66 angeklagt werden. Der § 66 erfordert ausdrücklich eine ,, andere" vorbereitende Handlung als eine Druckschrift, d. h. er er- fordert eine Realhandlung (z. B. Anschaffung von Pulver, Blei, Mu- nition usw. usw. usw., aber immer eine nicht in öffentlicher Aufforde- rung durch Rede oder Schrift bestehende Realhandlung).

Auf § 65 kann ich also nicht angeklagt werden, weil derselbe nur die öffentliche Aufforderung in Rede oder Schrift zu einer das Verbrechen des Hochverrats unmittelbar zur Ausführung bringenden Handlung bestraft und in meiner ,, Ansprache", selbst wenn man die unsinnigsten und unwahrsten Voraussetzungen Berge hoch aufeinander häufen wollte, immer nur Aufforderung zu einer ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitenden Handlung erblickt werden könnte. Auf § 66 aber kann ich nicht angeklagt werden, weil derselbe zwar vorbereitende Hand- lungen, aber immer nur ,, andere" als in öffentlicher Aufforderung durch Rede oder Schrift bestehende, also immer nur Realhandlungen bestraft.

Mit anderen Worten: ich werde angeklagt der Aufforderung zu vorbereitendem Hochverrat, d.h. also einer abgesehen von der gänzlichen tatsächlichen Bodenlosigkeit und Grundlosigkeit dieser Beschuldigung im Gesetz gar nicht bestehenden Kategorie, einer durch das Strafgesetz gar nicht verpönten Handlung.

Die Anklage des Staatsanwalts schafft willkürlich ein neues vom Gesetz nicht gekanntes Verbrechen.

V.

Es ist keine lyücke, wenn das Strafgesetz keine ,, Aufforderung zu vorbereitendem Hochverrat" kennt.

Die Vo rbereitung von Hochverrat ist strafbar. Die Aufforde- rung, Hochverrat zu begehen, gleichfalls. Diese Aufforderung ist selbst nur eine bestimmte Art von Vorbereitung; eine Vorberei- tung sui generis. So faßt sie das Gesetz auf und konnte sie in der Tat gar nicht anders fassen. Denn auch eine Aufforderung ist eine Handlung. Da diese Handlung selbst aber noch nicht unmittelbar zur Ausführung des Hochverrats schreitet, sondern dies dadurch herbeiführen will, daß sie andere dazu auffordert, so ist sie also eine den Hochverrat vor- bereitende Handlung,

Daher das ganze System der Gesetzgebung hierüber.

Die in der Aufforderung in öffentlicher Rede und Schrift liegende Vorbereitung ist deshalb ausdrücklich nur dann strafbar, wenn sie 65) zu unmittelbarer Ausführung des Hochverrats auffordert.

-= 391 =

Sonst hätte man das Verbrechen einer Vorbereitung von Vor- bereitung von Hochverrat.

Jede andere bloß vorbereitende Handlung von Hochverrat ist gleich- falls strafbar; aber darum muß diese Handlung ausdrücklich 66) eine ,. andere" als die in § 65 bezeichnete in öffentlicher Aufforderung in Rede oder Schrift bestehende Handlung, also eine Realhandlung sein.

Die §§65 und 66 erschöpfen also in vernünftiger Weise die Vor- bereitimgen von Hochverrat, die in realen Handlungen und die in Auffordenmg durch öfFentUche Rede oder Schrift liegende Vorbe- reitung.

Indem ich nicht auf § 65 weil hier das Kriterium des § 62 fehlen würde sondern auf § 66 der Vorbereitung von Hochverrat angeklagt werde, diese Vorbereitung aber wiederum in einer öffentlichen Aufforde- rung in Rede oder Schrift bestehen soll, werde ich somit vom Staats- anwalt angeklagt:

einer Vorbereitung von Vorbereitung von Hochverrat.

Ist es erhört, daß man auf eine so wüste imsinnige Anklage hin, auf ■eine Anklage, die, wenn man ihr alle behebigen noch so absurden fak- tischen Voraussetzungen einräumt, dann erst recht eine Anklage contra legem ist, aus der Mitte seiner Angehörigen gerissen imd in ein Gefängiüs geworfen werden kann?

Sicher würde ich die volle Genugtuung, die mir hierfür zukommt, am besten in der öffentHchen Sitzung finden. Aber bei der Schwere dieser Anklage erheischt es mein legitimes Interesse, sobald als möghch sie vernichtet zu haben. Und so richte ich denn meinen ergebensten An- trag an den hohen Anklagesenat dahin:

die gegen mich beantragte Anklage abweisen zu wollen und mir auf meine Kosten Ausfertigung des betreffenden Beschlusses erteilen zu lassen.

Mit vorzüghcher Hochachtung eines hohen Anklagesenats

ergebenster

F. Lassalle.

Statuten für eine Produktionsassoziation der Berliner Buchdrucker

Zur Einführung

Lassalles Agitationsprogramm forderte die Errichtung von Pro- duktivgenossenschaften, die den Arbeiter zu seinem eigenen Unter- nehmer machen und ihm so den vollen Ertrag seiner Arbeit zuführen sollten. Weil aber den Arbeitern das Kapital fehle, neue Betriebe zu errichten oder alte käuflich zu erwerben, sollte der Staat es ihnen vor- schießen. Es lag nahe, daß eine Anregung wie diese gerade in den Kreisen der Buchdrucker auf fruchtbaren Boden fallen mußte. Noch brauchte man keine kostspieUgen Setzmaschinen, und der wächtigste Anteil am Produktionsprozeß entfiel gerade in diesem Gewerbe noch auf die Schulung und Tüchtigkeit der Beschäftigten. Nun weiß man zwar schon von lyassaUe selbst aus seiner Ronsdorfer Rede, daß der Ende 1862 in BerHn gestiftete Verein von Buchdruckergehilfen, der 600 bis 800 Mitglieder zählte, sich damals auf den Boden der ökonomischen Prinzipien des All- gemeinen Deutschen Arbeitervereins stellte und das eherne I^ohngesetz anerkannte. Man wußte ferner, daß eine Abordnung dieser erst jungen Gewerkschaft, deren Mitglieder sich eben in einer Lohnbewegung be- fanden, Ende Mai 1864 beim preußischen Minister des Innern, dem Grafen Friedrich Albrecht von Eulenburg erschien, ihn um Gewährung des Koalitionsrechts zu bitten. Mochte Lassalle selbst Arbeitseinstel- lungen keinen realen, sondern nur einen agitatorischen Wert beimessen, so war er doch klug genug, sich mit dieser Bewegung, an deren Spitze überdies Buchdrucker standen, die seinem Verein angehörten, in jeder Weise zu solidarisieren und sie vor der Öffentlichkeit für sich in Beschlag zu nehmen. Dies taten seine Reden in Leipzig und Ronsdorf, es geschah auch durch das einzige Blatt, das ihm damals unbeschränkt zur Ver- fügung stand, den Hamburger ,, Nordstern", der am 28. Mai in einem Leitartikel „Arbeitslohnregelung" die Flugschrift, ^) die die Buchdrucker- gehilfen herausgegeben hatten, ausführlich würdigte. Unter Angriffen auf die mangelnde Arbeiterfreundlichkeit der Berliner Zeitungen be-

*) Vgl. hierfür Fünf zig J ahre Gewe rkschaftsar bei t. Geschichte des Vereins Berliner Buchdrucker und Schriftgießer (Berlin 191 2), S. 5 ff.

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hauptete das Blatt, daß mit der Petition, die es abdruckte, die Berliner Buchdruckergehüfen sich ganz auf den Standpunkt des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins gestellt hätten.

Dies war bekannt. Unbekannt blieb dagegen bisher, daß in diesem jungen und rührigen Setzerverein noch bei Lassalles Lebzeiten der Gedanke auftauchte und Form gewann, eine Genossenschaftsdruckerei zu gründen. Noch weniger wußte man, daß Lassalle selbst bei einem solchen Projekt tätig mitgewirkt hat. Dies lehren erst jetzt die folgenden Papiere, die sich in seinem Nachlaß vorfanden.

Die erste Anregung ging von dem Schriftsetzer Johannes Ostertag aus, einem eifrigen Anhänger des Agitators, der damals Vorsitzender des Vereins war und bei der Deputation an Eiilenburg die führende Rolle gespielt hatte. Die gleichzeitigen Bemühungen Leipziger Berufsgenossen, die zunächst freilich so wenig wie die seinen erfolgreich waren, könnten ihn angeregt haben. Ostertag schrieb im Januar 1864 an Lassalle den folgenden Brief:

JOHANNES OSTERTAG^) AN LASSALLE. (Original.)

[Berlin] 12. Januar 1864. Lieber Herr Doktor!

Ich hatte neulich abends noch was auf dem Herzen, für das ich nicht sowohl wegen der Anwesenheit anderer, als weil ich Sie bei der Arbeit sah, Sie in Anspruch zu nehmen unterließ. Ich und Pape und noch eine Anzahl tüchtiger Kerle (lauter Ihrige) tragen uns mit dem Gedanken an die Gründung einer Assoziationsdruckerei. Pape und ich gingen bereits im Sommer damit schwanger und jetzt sind die übrigen dafür gewonnen. Ein Statut ist bereits entworfen, unser öffentliches Auftreten überlegt und einige eigene Mittel, genügend um die Druckerei herzustellen, sind beschafft. Wir bedürfen nur noch eines Barkredits zum Betrieb. Schulze, -) an welchen einige gedacht haben, soU grundsätzlich nicht angesprochen werden, obgleich welche meinen, es wäre schlau, ihn mit dem eigenen Knüppel zu prügeln. Das ist aber lüchts, denn die Clique würde nicht versäumen, mit uns als einer Schöpfung von ihr zu prahlen und unser Ding zu einer ihrer Lügenfabrikate machen zu wollen.

Was halten Sie von der Sache und wie denken Sie über die Möglich- keit, späterhin ein Blatt herauszugeben, das, von Arbeitern für Arbeiter, doch wohl reüssieren und allgemach die verdammte ,, Volkszeitung"

*) Der Verein der Berliner Buchdrucker und Scliriftgießer teilte dem Heraus- geber auf eine Anfrage mit, daß Ostertag von der Gründung bis Ende 1S70 als Mit- glied geführt ^vurde: ,, Unseres Wissens ist er Prinzipal geworden. Der Todestag ist uns unbekannt."

3) Schulze-Delitzsch.

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totmachen müßte? Wir glauben unserer Sache sicher zu sein, wenn es geHngt, 1000 bis 15000 Taler (unter solidarischer Haft) zu mäßigen Zinsen zu bekommen und ich werde nächstens mitteilen, welchen Schritt wir in dieser Beziehung getan.

Sollten Sie nicht vielleicht auch eine Auskunft wissen? Ich werde Sie nächstens persönlich um Ihre Meinung über die Geschichte bitten. Eins will ich aber noch bemerken, daß ims unter allen Umständen unsere Überzeugung Heber ist und bleiben wird, als der Vorteil (eine Bemerkimg, die sich auf die Geneigtheit derer bezieht, welche Schulzen das Geld abnehmen möchten).

Ganz Ihr ergebener

Ostertag.

Nun fand sich in lyassalles Besitz von Ostertags Hand jenes von diesem und seinen Kollegen verfaßte Statut für eine in Berlin zu gründende Assoziationsdruckerei, von dem der vorstehende Brief spricht. Diesen Entwurf benutzte I,assalle,um seinerseits, mitHilfe einer genauerenKennt- nis der Gesetzgebung, ein Statut abzufassen, das, ganz von ihm geschrie- ben, im Nachlaß sich vorfand. Beide Statuten gelangen hier zum Ab- druck, so daß der Leser selbst feststellen kann, was an dem zweiten Ent- wurf Ostertags Eigentum war und was lyassalle hinzugefügt hat.

Wie es kam, daß dieser frühe Plan zur Errichtung einer Genossen- schaftsdruckerei in Berlin versandete, ist uns nicht bekannt. Wir wissen nicht, wie weit die Ausführung gediehen war oder ob sie noch nicht ein- mal begonnen hatte, als kurz danach der Tod Ostertag und seinen Fretm- den den Berater raubte. Aber der Gedanke, um den es sich handelte, wirkte in den Kreisen der Berliner Buchdruckergesellen noch durch Jahre weiter fort. Dies bewies besonders eine Resolution, die sie 1866 jenem ersten Deutschen Buchdruckerkongreß unterbreiteten, der zur Gründung des Deutschen Buchdruckerverbandes führte, und die dort angenommen wurde. Aus der Erwägung heraus, daß nur die wirtschaft- liche Selbständigkeit der traurigen I^age des Arbeiters abhelfen könne, daß er die Bildung von Produktivgenossenschaften aus eigenen Mitteln nicht erreichen könne, Staatsmittel im allgemeinen nicht zur Verfügimg standen, sollte bei den Regierungen dahin gewirkt werden, daß die in Spar- und Krankenkassen liegenden Gelder der Gehilfen zur Erreichung einer wirtschaftlichen Selbständigkeit benutzt werden dürften. Gleich- zeitig wurde solchen Vereinen, deren Kassen hinsichtlich der Verrechnung ihrer Gelder nicht beschränkt seien, empfohlen, diese Gelder- zur Be- gründung von Produktivgenossenschaften zu verwenden, aber vor der Gründung sich den Absatz der Produkte zu sichern. Im Jahre 1874 er- richtete der Verein dann unter der Firma ,, Produktivgenossenschaft Berliner Buchdrucker und Schriftgießer" eine Genossenschaftsdruckerei.

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Sie setzte sich zwar nur das beschränkte Ziel, arbeitslosen Fachgenossen Beschäftigung zu sichern; aber selbst ein so bescheidener Versuch scheiterte. Einen festen Boden fand der Genossenschaftsgedanke im Buchdruckergewerbe erst später, als er an dem Verlangen der Massen nach einer ihren politischen Bedürfnissen entsprechenden Arbeiterpresse den hinreichenden ökonomischen Rückhalt fand.

Statut der Berliner Assozitationsbuchdruckerei

(Original von Ostertags Hand)

Der Zweck dieser Genossenschaft ist der gemeinschaftliche Betrieb einer Buchdruckerei durch Buchdruckergehilfen als Unternehmer und Arbeiter zugleich.

Jeder bei der Gründung beteiligte Buchdruckergehilfe macht eine Kapitaleinlage von 250 Talern.

Für den, bei der etwaigen Unzulänglichkeit der Einlagen, zur Ein- richtung und zum Betriebe des Geschäfts aufzunehmenden Kredit, tritt die solidarische Haft ein, so daß für die Geschäftsschulden der Genossen- schaft alle für einen und einer für alle einstehen.

Der nach Bestreitung der lyöhne, der laufenden Ausgaben und aller sonstigen Geschäftsunkosten verbleibende Gewinn wird jährlich gleich- mäßig unter die Genossen verteilt, mit der ^laßgabe jedoch, daß, so lange das Geschäft noch Schulden zu tilgen hat, mindestens zwei Dritt- teile des Gewinnes zur Amortisation verwendet werden sollen. Dagegen kommen die Zinsen der Einlagen beim Abschluß eines jeden Geschäfts- jahres mit 5 Prozent zur unverkürzten Auszahlung.

Der Zutritt zur Genossenschaft ist nicht sowohl von der Kapitalein- lage als von der Prüfung des Betreffenden in Rücksicht auf seine ge- schäftliche Tüchtigkeit und seine Solidarität abhängig und unterliegt die Aufnahme eines jeden neuen Mitgliedes dem Beschluß der Genossen- schaft. Im Falle des Austritts aus der Genossenschaft ist der Austretende verpflichtet, seine Einlage resp. den Beitrag seines Geschäftsanteils noch ein volles Jahr, vom Tage des Ausscheidens an gerechnet, im Geschäft zu belassen, wie auch die Verbindlichkeit des Ausgetretenen hinsichtlich der bis zur Zeit seines Austritts eingegangenen Verpflichtungen der Ge- nossenschaft, Dritten gegenüber, im vollen Umfange in Kraft bleibt.

Eine neben diesem Statut bestehende Geschäftsordnung regelt die innere Leitung und den Betrieb der Assoziationsbuchdruckerei und hat für jeden Genossen dieselbe Verbindlichkeit, wie gegenwärtiges Statut.

Alle in diesem Statut und in der Geschäftsordnung nicht vorgesehenen Fälle werden durch gemeinschaftliche Beratung und Beschlußfassung bei welcher letzteren es nach der einfachen Mehrheit geht erledigt.

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Statuten für eine Assoziationsdruckerei in Berlin

(Original von Lassalles Hand)

1. Gründung. Firma. Erste Einlage.

2. Solidarische Haft.

3. Gerant-Befugnis. Rechenschaftslegung.

4. Gewinn. Amortisationsreservefonds.

5. Hilfsarbeiter, 3 resp. 6 Monate.

6. Zutritt.

7. Folgen des Austritts.

Dauer, vgl. Allgemeines I^andrecht I, Tit. 17 § 289 kontra ib. § 270.

1. Unter der Firma beschlielBen die Unterzeichneten unter sich

und allen denen, welche in Zukunft dem gegenwärtigen Statut beitreten werden, eine Assoziation zum Zweck des gemeinschaftlichen Betriebs einer Buchdruckerei durch Buchdmckergehilfen, welche als Unternehmer und Arbeiter zugleich auftreten, zu errichten.

2. Die Dauer der Gesellschaft ist auf . . . Jahre bestimmt.

3. Jeder der Genossen macht eine Kapitaleinlage von 250 Talern und schuldet der Assoziation seine volle Arbeitskraft.

4.^) SämtHche Genossen sind für die Schulden der Assoziation soli- darisch verhaftet.

5. Die Assoziation wird nach außen hin durch ihren Geranten, den

Herrn vertreten. Derselbe ist befugt, Kontrakte für die

Assoziation abzuschließen, Darlehen für dieselbe aufzunehmen und ver- pflichtet durch seine Unterschrift die Assoziation ganz in derselben Weise wie jeder Gerant einer offenen Gesellschaft.

6. Dem Geranten steht ebenso die oberste Geschäftsleitung nach innen zu. Er hat alle Rechte eines Unternehmers, soweit ihm diese nicht durch das gegenwärtige Statut oder die Geschäftsordnung ausdrücklich entzogen oder beschränkt sind. Er entscheidet namentlich über alle von der Assoziation zu unternehmenden Geschäfte und ist berechtigt, Hilfs- arbeiter anzustellen und zu entlassen.

7. Der nach Bestreitung der Arbeitslöhne, die in gewerbsüblicher Höhe und Weise an alle Genossen und resp. Hilfsarbeiter ausgezahlt werden, sowie aller sonstigen laufenden Ausgaben und Geschäftsunkosten, zu welchen die zu 5 Prozent zu berechnenden Zinsen der Kapitaleinlagen ge- hören, übrigbleibende Gewinn wird in folgender Weise verwendet:

Solange das Geschäft noch die Schulden der ersten Anlage zu tilgen hat, werden 60 Prozent des Jahresgewinnes zur Amortisation dieser Schulden verwendet.

1) Lassalle setzte versehentlich die Nr. 3 und 4 doppelt. Im Text wiirde seine Numerierung stillschweigend berichtigt.

397 =

Die übrigbleibenden 40 Prozent werden unter die Genossen zu gleichen Teilen am Schlüsse eines jeden Geschäftsjahres verteilt.

Wenn die durch die erste Anlage entstandenen Schulden getilgt sein werden, tritt an die Stelle der Amortisation ein Reser\-efonds, welchem 40 Prozent des Jahresgewinnes zu überweisen sind, so daß dann 60 Pro- zent des jährlichen Gewinns zur Verteilung unter die Genossen kommen,

8. Jedem Genossen wird in den Büchern des Geschäfts ein Gewiim- anteilkonto eröffnet. Der auf jeden Genossen fallende Gewinnanteil wird so lange ihm nur gutgeschrieben und ihm nicht ausbezahlt, bis er hier- durch oder durch Bareinlage das Kapital von . . . Talern getilgt hat, welches er nach § 2 in die Assoziation einzubringen verpflichtet ist.

Von dem Tage an, wo die so bewirkte Kapitaleinlage die Summe von 50 Reichstalem erreicht, wird dieselbe dem Genossen zu 5 Prozent ver- zinst. Diese Zinsen gehören zu den Geschäftsunkosten. ^)

9. Der Gerant ist gehalten, alle vier Wochen der Generalversammlung der Genossen Bericht über die Lage des Geschäftes zu geben. Jeder Ge- nosse ist selbstredend berechtigt, die Geschäftsbücher einzusehen.

Im Januar eines jeden Jahres hat der Gerant ausführliche und ge- naue Rechnungslage über den Betrieb des verflossenen Geschäftsjahres und die Bilanz des Unternehmens zu geben.

Die Assoziation behält sich vor, wenn die Anzahl der Genossen hin- reichend stark angewachsen sein wird, durch eine in der Generalver- sammlung vorzunehmende Wahl ein Komitee zu ernennen, welches die Pflicht hat, die Rechnungslage des Geranten und die Buchführung zu prüfen.

IG. Der Gerant ist auf fünf Jahre ernannt und während dieser Zeit unabsetzbar, es sei denn wegen Unehrlichkeit oder schwerer Fehler bei -der Geschäftsführung, in welchem Falle er von der Generalversammlvmg, welche dann in ihrem Beschluß die ihm zur Last fallenden Tatsachen genau anzugeben hat, abgesetzt werden kann.

11. Nach Ablauf des fünften Geschäftsjahres findet eine Neuwahl statt, bei welcher auch der derzeitige Gerant von neuem wählbar ist.

12. Der Zutritt. 2)

13. Der Austritt aus der Genossenschaft steht jedem Genossen zu jeder Zeit beliebig frei. Der Austretende ist aber verpflichtet, seine Ein- lage noch ein volles Jahr im Geschäfte zu belassen.

Den auf ihn fallenden Anteü am Geschäftsgewinn bis zum Tage seines Austritts erhält er beim Abschluß des betreffenden Geschäftsjahres aus- gezahlt.

1) Diese Nummer ist im Original durchgestrichen. ^) Diesen Punkt hat Lassalle nicht bearbeitet.

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Kein Genosse, der während der ersten fünf Jahre des Unternehmens austritt, hat einen über die vorgenannten I^eistungen hinausgehenden Anspruch auf seinen ideellen Anteil am Geschäftsvermögen resp. am Reservefonds zu erheben, welcher Anteü vielmehr dem Geschäfte er- worben bleibt.

Andererseits bleibt der so Austretende für die bis zur Zeit seines Aus- tritts eingegangenen Verbindlichkeiten der Genossenschaft Dritten gegenüber nur so weit verpflichtet, als sich diese Dritten nicht durch Regreß auf die Genossenschaft für ihre Forderungen befriedigen können.

14. Jeder nach Ablauf der ersten fünf Jahre Austretende hat außer seinem Anteü am Geschäftsgewinn bis zum Tage seines Austritts und außer seiner Kapitaleinlage zu den im vorigen Paragraphen festgesetzten Termine auch noch seinen ideellen Anteü am Geschäftsvermögen resp. am Reservefonds ein voUes Jahr nach seinem Austritt zu fordern. Dagegen bleibt er Dritten gegenüber für die bis zum Tage seines Aus- tritts eingegangenen Verbindlichkeiten solidarisch verpflichtet.

15. Im Falle des Todes eines Genossen haben seine Erben die Kapital- einlage [beim^)] spätestens drei Monate vom Todestage an, den Anteü am Geschäftsgewinn bis zum Todestage beim Schluß des Geschäftsjahres und, gleichviel ob der Tod in den ersten fünf Jahren des Unternehmens oder später erfolgt ist, den ideellen Anteü am Geschäftsvermögen resp. Reservefonds nach Maßgabe des vorigen Paragraphen zu fordern.

1) Dies Wort war nicht deutlich zu entziffern.

Gelegenheitsgedichte

Zur Eintührung

In Lassalles Nachlaß fanden sich ein paar Briefbogen und Zettel, auf denen er eine Anzahl von Gedichten entworfen hat, die hauptsächlich für eine Weihnachtsbescherung bestimmt gewesen sein mögen, die er vielleicht 1862 in seinem Hause veranstaltete. Nur in zwei Fällen be- zeichnet er selbst die Namen der Personen, denen die Verse gelten sollten. Das eine Mal war es sein alter Universitätsfrevmd, der Botaniker und Archivar der Akademie derWissenschaften Doktor Georg Pritzel,das andere Mal die ,,Gersonneuse" Marie, mit der ihn damals festere Beziehungen verbanden. Daß ein Gedicht an Franz Ziegler gerichtet ist, ergibt sich ohne weiteres. Bei allen anderen aber muß man sich aufs Raten begeben ; Vorsicht war geboten und unirde beobachtet. Die Verse hat er teilweise stark durcheinander geschrieben, in der Handschrift ist viel verbessert und abgekürzt; so erwies sich die Entzifferung, obgleich eine aus- gezeichnete Lupe benutzt -«-urde, als recht schwierig und gelang für einzelne Worte nicht mit voller Sicherheit. Nur das ,,Hoch" auf Minna Lilienthal, die Lassalle damals, wie man sich eriimert, gern geheiratet hätte, lag in einer Reinschrift von seiner Hand vor. Einige Zeilen des Gedichtes an Ziegler wurden schon frühzeitig bekannt; ob das ganze jemals ge- druckt wurde, vermochte der Herausgeber nicht mit Sicherheit festzu- stellen und entschloß sich deshalb hier zu einer Wiedergabe nach dem ersten Konzept. Die Verse an Pritzel sind in dem ziemlich obskuren Buch von A. Kutschbach, Lassalles Tod, Chemnitz 1860 bereits einmal gedruckt worden; da aber textliche Abweichungen bestehen imd uns das erste Konzept vorlag, so hielten wir es nicht für geraten, das kleine Gedicht hier deshalb fortzulassen.

An Franz Ziegler.

Mann des praktischen Grimms! Du schaust in mir Deine Jugend

Und mein Alter in Dir sehe ich ahnend voraus!

Gleich hat bei der Geburt uns die Nome die Loose geschüttelt!

Unserem ehernen Tritt folget Verkennung und Haß!

Tritt nur stärker drum zu wir bezahlen es innen; uns saget

Unser gelehriger Blick stumm was der Pöbel nicht ahnt.

=^=^^=^z=^=^= 400 -

Drum tritt stärker nur zu was wir im Innern bezahlen,

Zahle wie ungleich im Preis! jener zerschmettert Gebein!

Einen aber bedarf auch der Stärkste selbst, ihn zu verstehen

Und Du fandst in mir den, der Dich liebt und begreift!

Exoriare aliquis nostris ex ossibus vütor

Ich so versprach ich Dir einst will Dir als Rächer erstehn :

Sollte was lange noch fern einst Alter die Kraft Dir vermindern.

Und so schenk' ich mich Dir hier in dem Gipse geformt.

Gönne dieser Gestalt, die prophetisch die Alten geschaffen.

Dir gegenüber den Platz, den Du am meisten beschaust;

Immer so oft dann Dein Auge den Gladiator erblicket

Denke: „So steht mir der Freund! So ist gestrecket sein Bau,

So schon geschwungen sein Arm, so schwellen ihm Sehnen und Nerven

Von der gewaltigen Kraft vorwärts schon lehnt sich sein ]>ib.

Schon, schon fährst^) Du hernieder aus ganzer Schwungkraft des

Körpers, Ungeheuerer Schlag, welcher mich rächet und sühnt." Stärker noch schlag' ich; es schlug mit der Kraft des Zorns nur der

Fechter, Zorn und I^iebe vereint schwellen zum Schlag mir die Kraft.

An Georg Pritzel.

Dampfe, wenn fern ich Dir bin, Havannens köstliche Düfte

Langsam behagHch empor wie wir vereint oft getan.

Schickst Du dem einsamen Freund auf Wohlrauch geschwängerter

Wolke I^eise und nickend den Gruß, tragen die lyüfte ihn treu; Nichts verliert sich im All, ihn beschleicht der Erinnerung Wehmut, Träumend gedenkt er der Zeit, die er mit Dir schon verlebt! Pracht^) der Jugend entsteigt, die Tage des sonnigen Glanzes, Wo er verwegenen Muts kühn in das lieben gestürmt! Ach wie manche Hoffnung seitdem verblühte ! wie manche Täuschung schnitt ihm ins Herz stärker nur wuchs ^) er empor Stärker nach außen nach innen zählt keiner die Wunden, Keiner ahnet vielleicht, wie er die Stärke erkauft. Eines verblieb **) ihm getreu in allem Wechsel der Zeiten : lyiebe Erinnerung ist's an Dein befreundetes Herz.

1) Könnte auch ,, führst Du" oder ,, fährt Dir" heißen.

2) Bei Kutschbach: Kraft.

3) Bei Kutschbach: rang.

*) Bei Kutschbach: nur blieb.

= 401 -

AnHansvonBülow[??]

Siehe, noch nie hat sich mir elegisch^) die Lippe geöffnet. Aber Du bringst es hervor, Du und Dein rührend Gedicht: Ich verkannte Dich nie, auch nicht als Du von mir Dich wandtest, Wolken, Nebel und Dunst sich zwischen Freunde gedrängt. Laut umtobte Dich damals die Mißgunst feindlicher Menschen, Einsam standest Du da, schwankend wie Einsame tun. Unzufrieden mit Dir, verlegtest in mich Du den Vorwurf, Mißverständnis erstieg, wie aus mephitischem Sumpft) Aber ich zog, verkannt, mich zurück, Verletzung im Busen,^) Aber nicht zürnend dem Freund, wissend, er kehrt mir zurück ! Denn nicht haben die Neider die Macht, zu trennen zwei Geister, Denen wäe Dir und wie mir Wahrheit bildet den Kitt.

Siehe, schon ist es erfüllt, auf der rhythmischen Schwinge des Wohl- lauts, Der Dich melodisch umfließt, kehrst Du zum Freunde zurück. Zugeboren ward Dir Element des Gesanges, Du ruderst Wie in der Woge der Schwan, leicht in dem rhythmischen Fluß. Mir wird schwerer der Takt. Doch hilft der Wille. Entgegen, Schieß ich, umarmend den Freund, hier in dem holprigen Lied.

An Marie.

Groß ist das Kästchen und birgt ein einziges kleines Bijou nur! Aber warte mein Kind! Füllung bringet die Zeit!

An Karl Alexi[?]

Sage, was schenk' ich Dir wohl? Das eine nur, was uns vereinet, Was wir teilen was uns hat zueinander geführt, Wissenschaft schenke ich Dir, und so oft auf diese Fohanten Fällt Dein sinniger Blick denke in Liebe des Freunds ! Wollen und Wissen das ist der gesamte Inhalt des Lebens Und das erste, es hat nur in dem zweiten den Grund! So Dir von innen geeint sind unzerreißbar die Bande, öeofioi dgQ7]T0i nennt mystisch der orphische Sang.

^) Zuerst stand: ,,zur Lyrik".

2) Ohne daß ,,wie aus mepliitischem Sumpf" von ihm ausgestrichen wurde, schrieb Lassalle darüber ,, hüllte in Dunst Dir mein Bild".

') Durchgestrichen wurde: ,,Aber ich zog mich zurück, verkannt, doch dem Freunde nicht zürnend".

Mayer. I assaUe-NachLass. VI 26

Dies Gewebe, vor welchem wie Zwirn nur Eisen und Erz sind, Aus der Anagke Demant sind ihm die Fäden gewebt! Kurz ist, doch innig umschheßt das hephaestische Netz uns die Glieder, Was man am schwersten gewinnt fand ich in Dir einen Freund !

An? Siehe als Erster hier steh' ich in Deiner Freunde Gedränge, Möcht' ich als Erster so auch stets in dem Herzen Dir stehn. Selber stift' ich den Tempel, hier kann ich den Platz drum bestimmen, Jenen andern schenkt frei Deine eigene Gunst.

An? Sieh auf erzener Schale, antiken vollendeten Formsinns Abbild, reich' ich es dar, formenbeglückteren Volks Denkmal! Form war das Erbteil jenes Geschlechtes, es formte Sich zum Liede der Hauch, sich zur Gestalt das Gefühl. Nereiden erblickst Du, Tritonen, Neptun, wie er ewig Reinigend gießet die Flut über den seligen Schmerz.

,, Gegensätze." Eins noch erlaube mir, Sammler, den allerergötzlichsten Beitrag Sprachverderbenden Greuls, welchen der Spiesser^) verehrt, Reiche ich lachend Dir dar, ein superlativisches Wunder, Welches noch weit übersteigt alles, was je wir belacht. Siehe, so rächt sich Judäa! Wir nahmen ihm Heimat und Rechte. Und es entreißet dafür rächend die Sprache uns jetzt! Formlos war dies Geschlecht seit je! Es durfte dem Heiligen In dem Tempel nicht Bild oder Gestaltung verleihn. Welches Wunder, wenn alter Formhaß mit uns vermischet Alles das Schöne verdirbt, gärend 2) die Sprache entformt? Aber wie reich' ich's? Wie nimmst Du's? Denn rein sind uns beiden die

Hände? Und vor solchem Kontakt scheuet der Reine zurück.

An Minna Lilienthal. Ich bring' ein Hoch, ich bring' ein Hoch, Das dringt durch alle Sinne! Wem glaubt Ihr, daß ich's bringen will. Wem tönt es zum Gewinne?

1) Hierüber geschrieben hat Lassalle, ohne das andere Wort auszustreichen : Bürger.

-) Dies Wort war nicht mit Sicherheit zu entziffern.

=^ 403 ===

Ich bring' ein Hoch, das rieselt mir Aus tiefster Herzensrinne, Dem Schönsten gilt es, das es gibt ! Es gilt der süßen Minne !

Des Mittelalters Poesie Ivieß Treu' und Minne leben. Für Zwillingschwestern galten sie, Die Wert dem Dasein geben.

Doch alles wechselt mit der Zeit, Wie wenig es uns freue. Das Schönste, was uns heute ward Ist Minne ohne Treue!

Bescheiden muß sich nun der Mensch Was immer er beginne! Die eine ZwiUingsch wester starb Doch blieb zurück die Minne !

Drum macht's wie ich, begnüget Euch Auf dieses I^ebens Zinne Und bringt mit mir ein schallend Hoch Hoch die treulose Minne.

Anhang

Zur Biographie Lassalles

Zur Einführung

Der Herausgeber hat gezögert, ehe er die folgenden Dokumente an den Schluß des letzten Bandes dieser Nachlaßpublikation stellte. Sie fanden sich bei I^assalles Papieren, aber sind im strengen Sinne nicht mehr seinem Nachlaß beizuzählen. Doch die Äußerungen über sein lyeben und über seinen Tod, die man hier liest, stammen von Menschen, die ihm besonders nahe gestanden haben. Auch was Moses Heß und vieles von dem, was Lothar Bucher hier erzählt, geht auf die Gräfin Sophie Hatzfeldt zurück, und niemand dürfte daran zweifeln, daß I^assalle in ihrem langen und engen Zusammenleben dieser so manches aus seiner Jugend erzählt haben wird, während sie von den späteren Jahren des Freimdes wie kein anderer selbst Rechenschaft geben konnte. Daß sich manche einzelne Angaben über die frühe Lebenszeit Lassalles als irrig nachweisen ließen, setzt den Quellenwert dessen, was sonst mit- geteilt wird, nicht unbedingt herab. So erschien es geboten, diese Auf- zeichnungen von Personen, die auch um ihrer selbst willen den Historiker interessieren, der Aufmerksamkeit der Vielen zu unterbreiten, denen jede neue Mitteilung, die Lassalles Lebensbild vervollständigt, erwünscht kommt.

Als er starb, bestand zwischen ihm und Moses Heß, der vor kurzem von Köln nach Paris übergesiedelt war, die Verabredung, daß Heß den Bastiat-Schulze französisch herausgeben und in einem Vorwort das fran- zösische Publikum mit der Persönlichkeit des Verfassers näher bekannt machen sollte. Nach Lassalles Tode scheute die Gräfin Hatzfeldt weder Mühe noch Kosten, um diesem Projekt zur Ausführung zu helfen; auch eine Reise, die sie damals nach Paris unternahm, sollte es fördern. Zu gleicher Zeit betrieb sie mit noch größerem Eifer die Fertigstellung einer Schrift, die der Öffentlichkeit an der Hand authentischer Dokumente das Lebensende Lassalles, so wie sie es sich erklärte, darzustellen bestimmt war. Dieses Buch abzufassen hatte sie ursprünglich Lothar Bucher ausersehen; er, der Testamentsvollstrecker, war es auch, der auf ihre Bitte und mit ihrer Unterstützung das biographische Material auf- zeichnete, dessen Moses Heß, der Lassalle weniger lange und weniger genau gekannt hatte, für seine schriftstellerische Absicht bedurfte.

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Unter Nummer i findet der Leser hier die Aufzeichnungen Buchers für die geplante französische Veröffentlichung, unter Nummer 2 das Vorwort, das er für das Buch über ,,Die letzten Lebenstage Lassalles" abfai3te. Da er aber dem Gefühl der Gräfin, die die treibende Kraft und die Geldgeberin des Unternehmens war, nicht Genüge tat, wandte diese sich auch dafür an Heß. Das ,, Vorwort", das dieser ihr daraufhin über- sandte, folgt hier als Nummer III. Heß konnte Buchers Darstellung be- nutzen; daraus ergaben sich gewisse Wiederholungen im Text, die der Herausgeber zu unterdrücken sich nicht berechtigt fühlte. Aber auch Heß kam nicht zum Ziel. Bei der räumlichen Entfernung zwischen Berlin und Paris erwies es sich ihm als unmöglich, sich mit der Gräfin in so gründlicher Weise, wie diese verlangte, über alle einschlägigen Punkte zu verständigen. Nunmehr wandte die Gräfin sich an Bernhard Becker, den Lassalle testamentarisch an die Spitze des Arbeitervereins berufen hatte. Der aber überwarf sich mit ihr, so daß sie ihm die Papiere, die sie ihm überlassen hatte, wieder abverlangte, freilich ohne zu ahnen, daß der Unbedenkliche heimlich Abschriften von den Abschriften der vielen Briefe zurückbehielt und diese gegebenenfalls selbst an die Öffent- lichkeit zu bringen plante. Am Ende beauftragte die Gräfin Wilhelm Liebknecht mit der Abfassung der Schrift. Hand in Hand mit ihr stellte dieser nun wirklich das Manuskript nahezu fertig, das sich noch heute in ihrem Nachlaß befindet. Doch noch ehe die Broschüre über die letzten Lebenstage Lassalles bis ans Ende ausgedruckt war, kam es zu Diffe- renzen sowohl zwischen der Gräfin und Liebknecht, wie zwischen ihr und Reinhold SchHngmann, dem Verleger, der schon mit Lassalle befreundet gewesen war. Dies hatte das Ergebnis, daß die Ausgabe des fast fertig- gestellten Werks unterblieb, daß die Gräfin die ganze Auflage an sich nahm und daß es niemals erschien.

Die Notizen für die biographische Skizze, die der französischen Aus- gabe des Bastiat-Schulze vorausgehen sollte, übersandte Lothar Bucher der Gräfin Hatzfeldt schon vier Monate nach Lassalles Tode. ,, Jetzt end- lich habe ich den Abriß vollendet," schrieb er ihr dazu, ,, Halten Sie die aphoristische Form nicht für einen Beweis von Bequemlichkeit meiner- seits; ich weiß, daß ich damit dem Heß den größten Gefallen tue, ihm die Arbeit erleichtere, ihr Gelingen begünstige." Heß hatte für seine Schrift den Titel gewählt: ,, Ferdinand Lassalle. L'agitateur allemand. Sa vie, sa lutte et sa mort. Suivi d'une traduction de son ouvrage prin- cipal contre M. Schulze-Delitzsch." Aber über den schriftstellerischen Plänen der Gräfin Hatzfeldt schwebten ungünstige Sterne. Auch diese Publikation, für die sie sich bemüht hatte, ist am Ende nicht zustande gekommen.

= 409 ^

Lassalle

von Lothar Bucher (Original)

I.

Notizen zu einer biographischen Skizze, welche der franzö- sischen Übersetzung desBastiat-Schulze vor gedruckt werden

sollte.

Geboren am ii. April 1825 in Breslau.

Von seinem Vater, einem Kaufmann zum Kaufmann bestimmt und auf die Handelsschule in Leipzig gebracht. Verließ als dreizehnjähriger^) Knabe eigenmächtig die Schule, kehrte nach Breslau zurück, erklärte dem Vater, er könne und woUe nicht Kaufmann werden, er müsse stu- dieren. Der Vater erzürnt, verbannt ihn aus seinem Angesicht. Von der Mutter im stillen gestützt, verbringt er einundeinhalbes Jahr in einer Mansarde des elterlichen Hauses, ohne je die Wohnzimmer der Familie zu betreten, empfängt wöchentlich einige Stunden von einem Professor und arbeitet. Mit sechzehn Jahren macht er das Examen behufs Zulassung zur Universität. Die Examinatoren geben seinen Arbeiten die glänzend- sten Zeugnisse, nur der Regierungskommissar erklärt, der deutsche Auf- satz zeuge von einem verworrenen, noch ganz unreifen Geiste, und ver- fügt, daß er das Examen nach einem Jahre noch einmal machen soU. ^) LassaUe macht eine Supplik an den Minister des öjBFenthchen Unter- richts, Eichhorn, ^) um sofortige Zulassung zur Wiederholung des Examens imd übergibt dieselbe persönlich dem Minister, der sich im Gefolge des Königs in Erdmannsdorf , in der Nähe von Breslau, aufhielt, gewinnt den Minister, erhält die erbetene Erlaubnis^) und besteht das Examen ruhmvoll.

Im Jahre 1842^) bezieht er die Universität seiner Vaterstadt und studiert Philosophie und Philologie. Aus einigen Heften der ,,Hallisdien Jahrbücher", die ihm in die Hände fallen, sieht er, ,,daß es ein Wissen gebe, von dem er noch nichts wisse", wirft sich auf die Hegeische Philo- sophie und beginnt mit dem schwierigsten Werke, der Phänomenologie des Geistes. Es war überhaupt sein Grundsatz, wenn er selbst studierte

1) Diese Angabe ist irrig. Lassalle hatte das sechzehnte Jahr überschritten, als er die Handelsschule verließ.

2) Vgl. die genaueren, aus den Akten geschöpften Angaben hierüber in der Ein- führung zu Bd. I, S. 20 ff.

3) Abgedruckt in Bd. I als Nr. 9 und 10, S. 63 S.

*) Auch diese Angabe ist in-tümlich. Lassalle erreichte damals seinen nächsten Zweck nicht und bestand das Examen erst ein Jahr später; "■) Lassalles Reifezeugnis datierte erst vom 21. April 1S43.

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oder anderen behilflich war, ,,man müsse mit dem Schwersten anfangen". Nach einem Jahr ging er aiif die Universität Berlin. Als Student begann er die Fragmente des Heraklit zu sammeln und vollendete^) im Manu- skript eine Arbeit über das System dieses schon im Altertum ,,Der Dunkle" genannten Philosophen, um einen Lehrstuhl an der Universität zu erhalten. In Berlin hieß Lassalle damals nicht bloß bei seinen Alters- genossen und dem großen Publikum, sondern bei Männern wie Alexander von Humboldt, das Wunderkind.

Von Berlin aus machte er, Herbst 1844, eine Reise nach Paris. Hier gewann er die Freundschaft Heines, der sich in einem Briefe vom 3. Ja- nuar 1845 an Varnhagen von Ense so über ihn aussprach:

,, . . . Herr Lassalle, der Ihnen diesen Brief bringt, ist ein junger Mann von den ausgezeichnetsten Geistesgaben: mit der gründlichsten Gelehrsamkeit, mit dem weitesten Wissen, mit dem größten Scharfsinn, der mir je vorgekommen; mit der reichsten Begabnis der Darstellung verbindet er eine Energie des Wissens und eine Habilite im Handeln, die mich in Erstaunen setzen ; und wenn seine Sympathie für mich nicht erlöscht, so erwarte ich von ihm den tätigsten Vorschub. Jedenfalls war diese Vereinigimg von Wissen und Können, von Talent und Cha- rakter für mich eine freudige Erscheinung und Sie bei Ihrer Vielseitigkeit im Anerkennen, werden gewiß ihr volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Herr LassaUe ist nun einmal so ein ausgeprägter Sohn der neuen Zeit, der nichts von jener Entsagung tmd Bescheidenheit wissen will, womit wir ims mehr oder minder heuchlerisch in unserer Zeit hindurch- gelungert und hindurchgefaselt. Dieses neue Geschlecht will genießen und sich geltend machen im Sichtbaren; wir, die Alten, beugten ims demütig vor dem Unsichtbaren, haschten nach Schattenküssen und blauen Blumengerüchen, entsagten und flennten und waren doch viel- leicht glücklicher als jene harten Gladiatoren, die so stolz dem Kampf - tode entgegengehen. Das tausendjährige Reich der Romantik hat ein Ende, und ich selbst war sein letzter und abgedankter Fabelkönig. Hätte ich nicht die Krone vom Haupte fortgeschmissen und den Kittel an- gezogen, sie hätten mich richtig geköpft. "^)

An Lassalles Vater schrieb Heine um dieselbe Zeit: in diesem neun- zehnjährigen Jünglinge sehe ich den ^Messias des Jahrhunderts.^)

In Berlin war es, nach seiner Rückkehr von Paris, wo der junge Mann

^) Vollendet hat Lassalle das Manuskript erst 1857.

2) Bucher zitiert ebensowenig genau wie der , .Nordstern" vom 17. Oktober 1863, in dem Bernhard Becker den Brief abdruckte. Hier \vurde der Text nach dem Wortlaut hergestellt, der sich in Friedrich Hirts Ausgabe von Heines Briefwechsel, München 191 7, Bd. II, findet.

^) In Hirts Ausgabe findet sich ein derartiger Brief an Heyman Lassal nicht.

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der Gräfin Sophie von Hatzfeldt begegnete, wo die Freundschaft des Geistes imd Gemütes entstand, die fortan das Leben und die Schicksale dieser zwei ungewöhnlichen Naturen beherrschte und nur mit dem Tode beider erlöschen wird. In einem der Kriminalprozesse, die ihm sein Kampf gegen den Grafen Hatzfeldt zuzog, schilderte er den Eindruck, den das Schicksal dieser Frau auf ihn gemacht hatte: ,,Sie alle kennen und haben mit Empörung gelesen die entsetzliche Geschichte der im- glückseligen Herzogin von Praslin. Wer von Ihnen hätte sich nicht beeilt, ihr in ihrem Todeskampfe beizustehen? Nun wohl, meine Herren, ich sagte mir, hier ist zehnmal Praslin. Denn was ist der kurze Todeskampf einer Stunde gegen die Qualen eines durch zwanzig Jahre verlängerten Todesschmerz ! Was sind die Wunden, die ein jMesser schlägt, gegen den langsamen Meuchelmord, den man mit raffinierter Grausamkeit an der ganzen Existenz eines Wesens begeht gegen das [ungeheuere] Weh einer Frau, in der man zwanzig Jahre hindurch, Tag für Tag, jedes Lebens- recht mit Füßen tritt, jedes Recht des Menschen beleidigt? . . . Muß man gerade materiell gestorben, körperlich totgeschlagen sein, um Mitleid zu verdienen? Erhebt sich der plumpe Zorn des Menschen erst, wenn er einen blutbefleckten Leichnam sieht? . . . Ich beschloß, durch den W^eg des Rechtes, wenn der Weg der Güte und der Versöhnung, der vor allem versucht werden sollte, ausgeschlagen würde, diesen Mißhandlungen ein Ziel zu setzen. ' ' Ich beschloß, dem falschen Schein die Wahrheit, dem Range das Recht, der Macht des Geldes die des Geistes entgegenzusetzen, i) In Ausführrmg dieses Entschlusses ging er 1846 an den Rhein, wo der Graf Hatzfeldt sich aufhielt. Die Verhandlungen, die er angeknüpft, schienen einen günstigen Ausgang zu versprechen, als ein unerwarteter Zwischenfall sie zerriß und einen Kampf auf Tod und Leben zwischen Lassalle und dem Grafen entzündete. Der Graf hatte der Baronin Meyen- dorff, seiner Freundin, eine Rente von 8000 Rt. mit der Eintragungs- klausel verschrieben. Als eine der Bedingungen einer Aussöhnung zwischen den Ehegatten war der Widerruf dieses Aktes gefordert imd von dem Grafen zugestanden. Während die Gräfin auf einige Tage ver- reist ist, um mit ihrem Advokaten zu konferieren, besinnt der Graf sich anders, bricht die Unterhandlungen ab, weigert sich, die Gräfin, ihre Abgesandten zu sehen. Die Baronin Meyendorö" ist um ihn, die Gräfin und Freunde von ihr halten sich in einem anderen Hotel derselben Stadt, Aachen, auf. Plötzlich erfährt man, daß die Meyendorff abreisen wird. Man vermutet, daß sie die Verschreibung erhalten hat und zur Ein- tragung präsentieren will. Zwei junge Männer aus der Umgebimg der

1) Meine Verteidigungsrede %\-ider die Anklage der Vorbereitung zum Kassetten- diebstahl, gehalten am 11. August 1848 vor dem Kgl. Assisenhof zu Köln, Köln 1848, S. 30 ff.

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Gräfin, Oppenheim, Jurist, Sohn eines der reichsten Männer in Preußen, tmd der Dr. Mendelssohn, auch aus begüterter Familie, entschließen sich, der Baronin auf der Stelle zu folgen, um sie zu beobachten, folgen ihr nach Köln in den Mainzer Hof .i) Am folgenden Tage wird das Reisegepäck der Dame aus ihrem Zimmer getragen und einstweilen auf dem Korridor abgesetzt. Assessor Oppenheim bemerkt darunter eine Schatulle, wie man sie zur Aufbewahnmg von Dokumenten benutzt, ergreift sie und springt damit in das Zimmer Mendelssohns. Sie öffnen die Schatulle, finden die gesuchte Verschreibtmg nicht darin, kehren nach Aachen zurück, wo lyassalle bei der Gräfin gebheben war.

Prozeß wegen Diebstahl gegen Oppenheim, der freigesprochen wird. ^)

Prozeß gegen Mendelssohn, der verurteilt wird. ^)

Endlich 1848 Prozeß gegen Dassalle wegen intellektueller Urheber- schaft des Diebstahls, auf erwiesen falsche Zeugnisse gegründet. Während der lange dauernden Berattmg in dem corps de garde bewacht, drückt der Angeklagte sein Gesicht gegen die Scheiben und erblickt in der un- geheueren Menschenmasse, derentwegen ein Bataillon konsigniert war, das bleiche, abgehärmte Gesicht seines Vaters. Erschüttert von dem An- bhck, fragt er sich: hast du wohlgetan, diesen furchtbaren Kampf auf- zunehmen? und antwortet sich mit Freudigkeit: ja! Einige Minuten später in den Gerichtssaal zurückgeführt, empfängt er ein freisprechendes Urteil. Ungeheuere Ovation, Publikum durchbricht die Barrieren, trägt ihn auf den Armen heraus, Frauen fallen ihm um den Hals. Die Arbeiter, um die er sich bis dahin gar nicht bekümmert hatte, suchen ihn auf und sagen ihm: Wer das für eine verfolgte Frau tun kann, der hat auch ein Herz für das Volk. Seine Position gegenüber den Arbeitern des Rhein- landes, gegenüber der sozialen Frage ist gemacht.

Erst wenige Monate auf freiem Fuß, nahm er im November 1848 in dem Konflikt zwischen der Krone und der Nationalversammlung, 9a va Sans dire, Partei für die letztere und ließ den Steuerverweigerungs- beschluß in Düsseldorf zur Ausführung bringen. Angeklagt, die Bürger zur Bewaffnung gegen die Könighche Gewalt aufgereizt zu haben. Den Eindruck seiner Verteidigungsrede*) fürchtend, Heß der Gerichtshof den

^) Über Alexander Oppenheim und Arnold Mendelssohn vgl. u. a. Bd. I, Ein- führung, S. 29 ii.

2) Der Schatullenprozeß in Köln. Eine getreue Darstellung der Assisenverhand- lung zu Köln am 24. November 1846 über den Kammergerichtsassessor Felix Alexander Oppenheim, Düsseldorf 1846.

3) Mendelssohn wurde am 1 1 . Februar 1 848 zu fünf J ahren Zuchthaus verur- teüt. Vgl. das nähere in der Einführung zu Bd. I, S. 32.

■*) Meine Assisenrede, gehalten vor den Geschworenen zu Düsseldorf am 3. Mai 1849 gegen die Anklage, die Bürger zur Bewaifnimg gegen die Königliche Gewalt aufgereizt zu haben. Düsseldorf [1849].

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Saal räumen, obgleich das Publikum sich ruhig, nach dem Zeugnis des anwesenden Polizeibeamten ,, musterhaft" verhalten hatte. Da extem- poriert der Angeklagte unter dem Belagerungszustande folgende Apostrophe: ,,Nun, meine Herren, so bleibt mir denn nichts übrig, als einen feierlichen Protest an Sie zu richten gegen die sanglante Gewalttat, die hier unter Ihren Augen verübt wird. Nach einer sechsmonatlichen peinlichen Kerkerhaft will man mir selbst das letzte Recht entreißen, das Recht, diese Anklage öffentlich zu brandmarken, das Recht, den erstaunten Blicken der Bürger die Verbrechen, die Infamien, die Scheuß- lichkeiten zu enthüllen, die man unter der Toga des Richters begeht!"

Der Präsident unterbricht ihn. Der Angeklagte, gegen ihn gewandt: „Großinquisitor! Die Angeklagtenbank ist seit Menschengedenken das Asyl der Redefreiheit. Kein Recht haben Sie, mich zu unterbrechen. Ich werde Ihnen aus den Annalen der Geschichte nachweisen, daß selbst die Großinquisitoren Spaniens, wenn sie eine öffentUche Sitzung hielten, den Angeklagten freisprachen, ihn alle seine Meinungen, seine Zweifel, seine Skepsis frei entwickeln ließen, ihn alles das entwickeln ließen, was sie Gotteslästerung nannten. Wenn die Großinquisitoren Spaniens dem Angeklagten selbst das Recht der Gotteslästerung zuerkannten, so wird es mir freistehen, den Staat und einen Assisenhof zu lästern."^)

Die Geschworenen sprachen nicht schuldig; aber atif Grund derselben Tatsachen vor dem Korrektionalgericht wegen Rebellion angeklagt, wird er zu sechs Monat Gefängnis verurteilt. Während er diese Strafe ver- büßte, richtete ohne sein Vorwissen seine Schwester ein Begnadigungs- gesuch an den König. Kaum hatte er davon erfahren, als er an den König schrieb, er woUe nicht begnadigt sein. ^) Diese Erklärung zog ihm die spezielle Ungnade des Königs zu und war der Grund, daß er, als er 1855 nach drei in Düsseldorf mit glücklicher Führung der Prozesse der Gräfin, übrigens still verbrachten Jahren zur Herausgabe des ,,Heraklit" nach Berlin gehen woUte, auf ein königliches Verbot, Berlin zu betreten, stieß, das nur nach heftigen Kämpfen und durch die energische Inter- vention Alexander von Humboldts auf sechs Monat suspendiert wurde. Zehn Jahre lang hatte er kein gelehrtes Buch in der Hand gehabt.

Nachdem er den ,,Heraklit" vollendet, reiste er im September 1856 nach dem Orient, kehrte am i. Januar 1857 zurück. 1857 dauernd nach Berlin übergesiedelt, vollendete er den ,, Franz von Sickingen", ein Trauerspiel aus der Zeit des großen Bauernkrieges, in den bekannthch die religiöse Bewegung und das Bestreben der Reichsritterschaft, die

1) Die Wiedergabe dieser Äußerungen erfolgte zuerst in der ,, Neuen Rheinischen Zeitung" vom 6. Mai 1849.

2) Gemeint kann hier nur sein Lassalles Schreiben an den König vom Juni 1849, das in Bd. II dieser Ausgabe S. 18 ff. als Nr. 12 mitgeteilt wurde.

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von den Fürsten fast erdrückte kaiserliche Gewalt wieder zu Kraft und lieben zu bringen, hineingreifen.^) Dieses Stück ist der erste bekannte Versuch, ein Trauerspiel nicht auf einen moralischen Fehl, sondern auf ein Fehlgreifen im Urteil, eine intellektuelle äiiuQxia, zu basieren. Es erweckt bei dem I^eser ein Interesse der höchsten Ordnung; zur Auf- führung haben es die politischen und die Cliquenverhältnisse leider bisher nicht kommen lassen. Mit der Kenntnis seines unglücklichen Endes und mit der Erinnerung an jenes Selbstgespräch beim Anblick seines Vaters gelesen, ist diese Tragödie heute von erschütternder Wirkung.

Im folgenden Jahre wurde er aufgefordert, für eine juristische Zeit- schrift 2) einen Aufsatz über die Rückwirkung der Gesetze (effet retro- actif) zu liefern. Nachdem er einige Seiten geschrieben, warf er die Feder nieder mit den Worten: Das Thema erfordert nicht einen Artikel, nicht eine Reihe von Artikeln, das erfordert ein Buch! Nach ein und einem halben Jahr war das Buch gedruckt, ,,Das System der erworbenen Rechte" in zwei Bänden, der erste eine Versöhnung des philosophischen Gedankens mit dem historischen Rechte, der zweite die Anwendung des im ersten gewonnenen Resultates auf eine spezielle Disziplin, das Erb- recht. In anderthalb Jahren hatte er, nach seiner Weise mit dem Schwersten beginnend, das römische Recht bis in die feinsten Details bemeistert zur Bewunderung der Pandektenprofessoren, wie er durch die Hatzfeldtschen Prozesse eine Kenntnis des rheinisch-französischen Rechtes erworben hatte, die ihn zum Schrecken der Richter machte.

Im Jahre 1862, als der Kampf zwischen der Volksvertretung und dem Ministerium Bismarck über das Recht des Budgets sich entsponnen hatte, glaubte lyassalle den Augenblick gekommen, die Bourgeoisie, deren Ausdruck die preußische Volksvertretung ist, auf die Probe zu stellen, in Herz und Nieren zu prüfen. Er hielt in Bezirksversammlungen (districts) Vorträge über Verfassimgswesen und empfahl darin den Kammern, ihre Sitzungen auf so lange einzustellen (gleichsam einen Streik zu machen) bis ihnen nachgewiesen sei, daß die von der Volks- vertretung nicht genehmigten Ausgaben nicht länger fortgesetzt würden. Eine kurze Beobachtung überzeugte ihn, daß nichts zu erwarten sei; die Kammern wollten ihre Eloquenz nicht verhalten, die Wähler ihren parlamentarischen Circenses nicht einbüßen. Wohl mehr befriedigt als bekümmert wandte Lassalle sich nun dahin, wohin Gedanke imd Gefühl ihn längst getrieben hatten. Er sah es nun als konstatiert an, daß die deutsche Bourgeoisie nicht dazu bestimmt sei, die Kämpfe, die Rolle, die momentane Herrschaft durchzumachen wie in England und Frank-

1) Eine ausführliche noch ungedruckte Würdigung des ,, Franz von Sickingen" aus Lothar Buchers Feder befindet sich in Lassalles Nachlaß.

2) Die ,, Preußische Gerichtszeitung". Vgl. oben S. 235.

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reich, daß sie ,,nur noch zu verfaulen habe". Er begann die Arbeiter- agitation, indem er in seinem ,, Antwortschreiben" an das Leipziger Zentralkomitee (1863) den Arbeitern das von der Wissenschaft gefundene Gesetz, welches die Löhne reguliert, mit der ihm eigenen Klarheit ent- wickelte und ihnen als ,, Ausweg aus der Wüste der Arbeiterzustände" die Assoziation mit Hilfe des Staatskredits und im größesten Maßstabe bezeichnete. Wie er darüber von Schulze-Delitzsch und anderen Bour- geoisökonomisten angegriffen wurde und wie siegreich er diese Angriffe abschlug, ergibt sich zum Teil aus dem nachstehenden Werke, welches Herrn Schulze-Delitzsch vor den Gelehrten und vor den Arbeitern ver- nichtet hat. Jene besondere Frage, das Lohngesetz, auf das erschöpfend- ste zu behandeln, dazu gab ihm ein Kriminalprozeß ,, wegen Anreizung der besitzlosen Klassen zum Haß und zur Verachtung der Besitzenden" ^) die erwünschte Gelegenheit.

Es folgte die Stiftung des Allgemeinen Deutschen Arbeiterv^ereins, durch die Lassalle das erste Beispiel, man darf sagen, in dem ganzen politischen Leben der deutschen Nation, gab, daß der Deutsche sich allerdings disziplinieren läßt, sich einer Autorität unterwirft, der Autori- tät eines einzelnen Mannes. Stark durch seinen Willen und sein Wissen forderte und fand er Unterwerfung unter seine diktatorische Gewalt. In Jahresfrist waren große Kreise von Arbeitern in ganz Deutschland, die bisher ,,den selbstlosen Chor" der Führer der Fortschrittspartei ge- macht hatten, zum Bewußtsein ihres Klasseninteresses und ihrer ge- schichtlichen Mission gebracht.

Ihm einen ebenbürtigen Nachfolger zu finden, war unmöglich ; daß die getroffene Wahl so unglücklich ausschlagen würde, -) war nicht vor- herzusehen. Mag aber der Verein verkümmern oder entarten, die Seele der Schöpfung ist unsterblich und wird, wenn die Zeit gekommen, sich ihren Körper schaffen.

Welch ein unglückliches Verhängnis ihn mitten auf der Bahn ergriff" und niederwarf, ist in den wenigen Zeilen, die uns verblieben, nicht zu sagen. Wer sich getrieben fühlt und wer sollte nicht, nachdem er das Erzählte gelesen den Ausgang dieses großtragisch angelegten Lebens kennen zu lernen, ist an den Briefwechsel des Verstorbenen aus den vier letzten Wochen seines Lebens zu verweisen. ^)

Er hat mit seinem Blute seinen Wahlspruch besiegelt ngäoGorri nadetv. Dem, der das tut, ist es verhängt, zu leiden.

i) Die Wissenschaft und die Arbeiter. Eine Verteidigungsrede vor dem Berliner Kriminalgericht. Zürich 1863.

2) Für Bernhard Becker, den Lassalle zu seinem Nachfolger bestimmt hatte, und der sich seither mit der Gräfin Hatzfeldt, auf deren Wunsch Bucher diese Seiten schrieb, bereits überwürfen hatte, vgl. u. a. Bd. V, Einführung, S. 32 f.

•■') Die letzten I.ebenstage Lassalles. Berlin 1865. (Anmerkung Buchers.)

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Lassalles Ende^)

(Original)

II.

Es war alten Rechtens, daß, wo ein Mann erschlagen und der Blut- richter, in anderen Zeiten der Bluträcher, nicht zur Stelle war, die- jenigen, die den Leichnam gefunden hatten oder sonst welche Wissen- schaft besaßen, sofort hervortraten, ihr Zeugnis abzulegen. Einen solchen Beweis ,,zum Gedächtnis der Sache" soUen diese Blätter er- bringen, nicht für den bürgerlichen Richter, sondern für die richtende Geschichte, nicht zu einem Spruche über die Tat des Mörders, sondern zu dem Urteil über die Handlungsweise des Ermordeten. Vielleicht spät, aber sicher wird die Geschichte dieses Urteil sprechen, denn spät noch wird sie den Namen Ferdinand Lassalle auf ihren Blättern finden, verzeichnet, tief eingegraben von ihm selbst, und sicher werden kom- mende Geschlechter danach fragen, wieso er eben des Todes sterben mußte, den er in seinem ,, Franz von Sickingen" als den härtesten be- zeichnet hat

Nicht, daß Ihr stürzet, ist das Schreckhchste Daß, wenn Ihr stürzt, Ihr hinsinkt in der Blüte Der unbesiegten, ungebrauchten Kraft, Das ist es, was ein Held am schwersten trägt. Die Zeugen sind die Briefe, die er während der letzten Wochen ge- schrieben und empfangen hat, soweit sie sich in dem Nachlaß vorge- funden oder von den Empfängern herbeizuschaffen waren und in irgend- einer Beziehung zu der Katastrophe stehen, ausgewählt mit vollkom- mener Unparteilichkeit, niemandem zuliebe, niemandem zuleide. Frei- lich ist mit Sicherheit zu erwarten, daß sich hüben und drüben der Vor- wurf erheben wird, diese Veröffentlichung sei ihm selbst zuleide ge- schehen. Darauf im voraus die Antwort : es war nur die Wahl, entweder ruhig zuzusehen, wie das Abgerissene und Entstellte, das schon in die Zeitungen gekommen war, sich allmählich in der Überlieferung fest- setzte, oder eine zusammenhängende Darstellung zu geben. Eine solche Darstellung aber durfte nicht die halbe Wahrheit enthalten, welche der schlimmsten Lügen eine ist, sondern sie mußte die ganze Wahrheit, auch des psychologischen Vorganges, enthüllen. Das ist geboten durch die Achtung vor der Wahrhaftigkeit, welche ein Grundzug in dem Charakter des Verstorbenen war; das ist gerechtfertigt durch das Vertrauen in eine künftige Zeit, die erhaben sein wird über der Ängstlichkeit persönHcher

^) Diese Überschrift setzte der Herausgeber. Über dem Original, das selbst kernen Titel trägt, steht von der Hand der Gräfin Hatzfeldt nur: ,, Notizen von I,othar Bucher".

417 -=

Freunde, der Bosheit persönlicher Feinde, dem halb gedankenlosen, halb heuchlerischen Moralgeschwätz der Neugierigen, in eine Zeit, die begreifen wird und wird begreifen wollen, daß eine so ungewöhnhch und so groß angelegte Natur sich auch in einer Verirrung nicht verleugnen konnte.

Die Welt glaubt und muß nach dem bisher Bekanntgewordenen glauben, daß er an einer Liebe zugrunde gegangen. Wer in der Beur- teilung von Seelenzuständen geübt ist und mit wissenschaftlicher Un- befangenheit und Kälte daran geht, den folgenden Briefwechsel zu lesen imd alle, die Liebe kennen, werden, dagegen ist kein Widerspruch zu fürchten, die Überzeugung gewinnen, daß Lassalle das Mädchen, welches zu seinem Tode Anlaß gegeben, so fest er selbst es glaubte, nicht ge- liebt, daß er sich gew^altsam selbst getäuscht hat ; und daraus, verbimden mit der ebenso imzweifelhaften, durch jedes Blatt der Korrespondenz be- legten Tatsache, daß sein Geist vollkommen klar war, ergibt sich von selbst, daß sein Gemüt krankhaft prädisponiert gewesen sein muß. Wie diese Verstimmung entstanden, das ist in seinem früheren Briefwechsel nicht niedergelegt, weil er Frühjahr und Winter in täglichem Umgange mit gerade den Personen verlebt, denen er sich aufzuschließen pflegte, vor allem mit der Gräfin von Hatzfeldt, der er jederzeit so, wie während der letzten Wochen seines Lebens, eine jede Falte seines Innern zu zeigen Hebte. Mußten also die Natur imd die Ursache der Verstimmung hier aus mündlichen Berichten über seine Gespräche entwickelt werden, so liegt die Beglaubigung, wenn es einer solchen bedürfte, einesteils in den offenkundigen poHtischen Tatsachen, um welche jene Gespräche sich drehten, andernteils in einzelnen Äußerungen, durch die er Ferner- stehende in Verw^underung gesetzt und in Andeutungen, die, in allen seinen öffentlichen Reden der letzten Zeit wiederkehrend, erst jetzt ihr Verständnis erhalten werden.

Beginnen wir mit dem rein Körperlichen. Das häufige und anhaltende Sprechen in großen Räumen, oft bei der imgünstigsten Witterimg vmd Temperatur, wozu er durch die Agitation in den Bezirksvereinen, später in dem Arbeiterverein genötigt ward, hatten ihm im Winter vor zwei Jahren ein altes Halsleiden wieder wachgerufen. Er wurde häufig von Heiserkeit befallen, die er bei der Ungeduld seines Temperamentes imd um auch nicht eine Woche feiern zu müssen, mit den gewaltsamsten IVIitteln bekämpfte, Mitteln, welche die augenblickliche Affektion be- seitigten, aber die Anlage dazu vermehrten. Im vergangenen Winter kam denn auch eine sehr heftige Halsentzündung zum Ausbruch. Weniger sichtlich aber noch tiefer in den Organismus eingreifend, wirkte die unab- lässige Aufregung, die Anspannung der Nervten, U^nruhe und Sorge die notwendigen Folgen und Begleiter eines Lebens, welches verlief in den anstrengendsten, in unglaublich kurzer Zeit vollendeten wissen-

Mtyer, Lassalle-N«chUss. VI

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schaftlichen Arbeiten (dem Bastiat-Schvilze und den zu starken Bro- schüren angeschwollenen Verteidigungsreden), einer ungeheueren Korre- spondenz mit den Gemeinden des Vereins, in immer neuen und immer gefährlicheren Prozessen vor dem Kriminalgericht, dem Kammer- gericht, dem Staatsgerichtshofe, den Düsseldorfer Gerichten, in Kämpfen mit den Verwaltungsbehörden, in Konflikten mit den Agenten der öffent- lichen Gewalt, endlich in der immer wiederkehrenden folternden Alter- native, entweder etwas zu unterlassen, was sein Werk fördern könnte oder etwas zu tun, was die Gefahr von Anklage, Untersuchungshaft, schwerer Verurteilung oder Exil über ihn bringen mußte. Im Frühjahr war der Zustand seiner Gesundheit so bedenklich, daß der Geheimrat Frerichs eine gründliche und anhaltende Kur verordnete und deren Notwendigkeit vor Gericht durch folgendes Attest bescheinigte.^)

Aber dieser Zustand würde über seine riesige Konstitution, seinen eisernen Willen, seine Empfänglichkeit für die kleinste Freude nie Herr geworden sein, wenn nicht Einflüsse rein psychischer Natur an seinem Frieden gefressen hätten. Sie entsprangen aus dem Verlaufe, den die öffentlichen Angelegenheiten überhaupt und die von ihm begonnene Agitation insbesondere genommen hatten und vor seinem durchdringen- den Blicke ferner nehmen mußten. Ein Denker und Geschichtskenner wie er, hatte die Sache und seine Person wohl zu trennen gelernt, aber eine Feuerseele wie die seinige konnte in einer theoretischen Agitation keine dauernde Befriedigung finden. An der Richtigkeit seiner Auf- fassung der europäischen Zustände, an dem Siege der Arbeiterbewegung hat ihn nie der Schatten eines Zweifels beschlichen; aber, wenn einer, so wußte er, daß die Geschichte zuweilen Umwege macht und auf ihnen eine Zeit zubringt, die eine Spanne im Ivcben der Völker, eine Ewigkeit für die Ungeduld des einzelnen ist. Als er die Agitation begann, hatte er beides erwogen und berechnet, das Stadium des großen Kulturprozesses und die Gelegenheit, die ihm geboten war, in denselben einzugreifen. In letzterer Beziehung war seine Berechnung und seine Erwartung eines schnellen, geradlinigen Verlaufes gegründet auf den Konflikt, der in Preiißen zwischen Regierung und Bourgeoisie ausgebrochen war. Wie er in vielen Reden ausgesprochen, erwartete er von diesem Konflikt die Wiederherstellung des allgemeinen und direkten Wahlrechts und davon die Möglichkeit, mit einer, wenn auch noch so kleinen Partei, auf den Kampfplatz zu treten. Durch den Tod des Königs Christian, 2) den kein

1) Das Attest fand sich nicht im Nachlaß.

2) Bucher verschreibt sich hier offenbar: er meint natürhch den Tod König Friedrichs VII. von Dänemark (15. November 1863) und den Regierungsantritt Christians IX.. der am 15. November die sog. eiderdänische Verfassung gab, die zum Deutsch-Dänischen Kriege von 1864 führte.

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Sterndeuter atif Tag und Stunde vorhergesagt, und durch den Krieg gegen Dänemark, der die Folge davon war, sah er diese Situation ver- schoben, den Konflikt abgestumpft, die Krisis, wie er zu sagen liebte, in eine Verschleimung verwandelt. „Der Tag wird kommen, aber nicht mehr für mich."

Endlich aber es muß auch das gesagt werden würde auch dieser Schlag seine Stimmung nicht erschüttert haben, wenn seine Seele nicht wund gewesen wäre von dem, was ihm in Berlin von Arbeitern zugefügt war. Auf Anfechtungen und Verleumdungen von seinen politischen Gegnern war er gefaßt, dagegen war er gewappnet ; die Verleumdungen, die Arbeiter gegen ihn umhertrugen, das Hoch, das Arbeiter den ihn wegen Hochverrats verhaftenden Polizeibeamten ausbrachten, hatten ihn im Innersten getroffen. ^)

Nimmt man hinzu, daß der Verlauf der gegen ihn schwebenden Pro- zesse ihm nur die Wahl zu lassen schien zwischen einer langen, ihm unerträglichen Gefangenschaft und einer noch längeren, ihm fast noch unerträglicheren Verbannung, so ist so eine tiefe Verstimmimg, auch des Starken, wohl erklärt, und diese Verstimmung und nur sie erklärt wiederum die Leidenschaftlichkeit, mit der er sich auf etwas warf, das ihm gerade in dem gefährlichsten Momente in den Weg trat tmd ihm sogleich Beschäftigung, künftig Befriedigung und Ruhe zu verheißen schien. Hinter Hindernissen, die seine Energie reizten, glaubte er einen stillen, sonnigen Hafen zu sehen und wollte mit der verhängnisvollen Verblendung, welche die Alten einer besonderen Einwirkung der Götter zuschrieben, nicht sehen, daß die Klippen, die vor dem Hafen lagen, ge- fährlicher waren als die Wolke, deren finsteren Schatten er entfliehen wollte. 2)

Lassalle

von Moses Heß (Original)

Keine Biographie Lassalles, keine Beschreibung seines Lebens, sondern eine aktenmäßige Darstellung der Ereignisse, welche seinen Tod herbeigeführt haben, ist die schmerzhche Aufgabe dieser Blätter. Und dennoch, soll diese Darstellung keine bloß unverstandenen Tat- sachen, sondern zugleich die Beweggründe enthalten, welche das tra-

^) Anspielung auf Lassalles ständige Mißerfolge bei den Berliner Arbeitern, inebesondere auf seine Verhaftung am 22. November, die in offener Versammlung imter den Beifallsrufen der zur Fortschrittspartei stehenden Arbeitermasse erfolgte. Siehe oben S. 276 f.

*) Hier folgt noch eine Überleitung zu der Brief publikation, für die Bucherg Ausführungen als Vorwort gedacht waren.

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gische Ende des großen Agitators herbeigeführt haben, wie könnten diese Motive zur Anschauung gebracht werden ohne Vergegenwärtigung dessen, was die Seele des Verstorbenen stets bewegt hat? Eine, wenn auch nur in ganz allgemeinen Umrissen gezeichnete, Geschichte seines Lebens ist zur Beurteilung des Seelenzustandes seiner letzten Lebenstage nötig.

Ein bekannter französischer Sozialist sagte auf seinem Sterbebette zu demjenigen seiner Schüler, der ihm die Augen zudrückte: Souvenez vous que pour faire du grand, il faut etre passionne. i) Ohne Leiden- schaft wird nichts Großes hervorgebracht. Dieser Ausspruch hat sich am frappantesten an Lassalle bewährt. Dem hellen Lichte seines Geistes kam nur gleich die glühende Wärme seines Herzens, die unbeug- same Kraft seines Willens, die stets auf den Gegenstand seiner Bestre- bungen konzentrierte, keine Rücksichten kennende, nichts um sich her beachtende Leidenschaft.

Seine Feuerseele sprengte schon früh die engen Schranken, in welche eine auf den Erwerb angewiesene Familie seinen Geist bannen wollte. Er fühlte sich zu anderem, zu Höherem bestimmt. Da er sich zu Hause dem Zwange nicht fügen wollte, wurde er von seinem Vater auf die Handelsschule nach Leipzig geschickt, wo er zum Kaufmann ausgebildet werden sollte. Doch nach kurzer Zeit fühlte er sich dort so unglücklich, es wurde ihm so unmöglich, sich Zufriedenheit der Lehrer zu erlangen, welche ihn seiner deutschen Aiifsätze^) wegen für hirnverbrannt er- klärten, daß er, da alle Bitten und Vorstellungen an seinen Vater, daß er niemals Kaufmann werden könne, fruchtlos blieben, sich entschloß, ohne Erlaubnis Leipzig und die Handelsschule zu verlassen. Er kam nach Breslau, sein Vater war wütend und bestand attf seinem Willen, daß er Kaufmann werde. Der Sohn gab nicht nach, und es endigte damit, daß der Vater erklärte, er wolle nichts mehr von ihm wissen, ihn nicht mehr sehen, bis er sich seinem Willen gefügt habe. Aus der Gegenwart des Vaters verbannt, in einer Dachstube des elterlichen Hauses allen Jugendfreuden entsagend, begann er seine Studien auf eigene Faust nur mit der Hilfe von Büchern, für welche es ihm gelang, sich einen Kredit bei einem Buchhändler zu eröffnen imd einigen Stunden in der Woche, welche ein mit seiner Familie bekannter Professor dem Knaben, dessen ungewöhnlichen Geist er erkannte, ohne Wissen des Vaters erteilte.^) Durch den angestrengtesten rastlosen Fleiß erwarb er sich sehr schnell so gründ-

1) Saint-Simon. Par Olinde Rodriguez. p. X. Paris 1832. [Anmerkung des Ver- fassers.]

2) Von hier bis zum Schluß des Absatzes: Einschaltvmg von der Hand der Gräfin Hatzfeldt.

3) Es war das vielleicht der Lehrer, für dessen Stunden Lassalle die an der Spitze dieses Bandes abgedruckten Aufsätze anfertigte.

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liehe Kenntnisse, daß er die Prüfung, die ihn zur akademischen Laufbahn reif erklärte, [sechzehn Jahre alt,] i) glänzend bestand.

Seine Beharrlichkeit und der Erfolg, der seine einsamen Studien krönte, hatten seinen Vater besiegt; er konnte nun mit dessen Ein- willigung die Universität, zuerst in Breslau, dann zwei Jahre in Ber- lin, 2) beziehen.

Er wollte ein Gelehrter werden, und er wurde es, allen Hindernissen zum Trotz.

Aber die Gelehrsamkeit war für ihn kein Mittel, sich eine mehr oder weniger ruhmvolle Stellung zu verschaffen. Je weiter sich der Horizont seines Wissens ausdehnte, desto höher steckte ihm sein für Gerechtigkeit und Menschenwohl schlagendes Herz das Ziel seiner Bestrebungen. Schon fühlte dieses edle Herz den Pulsschlag des Jahrhunderts; es zog ihn nach Paris, dem Ausgangspunkt und Zentrum der europäischen Revolution. In Berlin hatte Humboldt bereits seinen hohen Wert er- kannt. Wie man ihn in Paris beurteilte, davon geben die Briefe Zeugnis, die Heinrich Heine an Varnhagen von Ense und an den Vater Lassalles schrieb. ^)

Man ersieht aus diesen Briefen, daß der junge Mann sich damals noch keinen speziellen Beruf gewählt hatte, oder richtiger, daß seine Bestim- mimg zum Volkstribun damals schon dem feinen Beobachter nicht ent- ging, der an den Vater schrieb, sein Sohn werde ,,der Messias des 19. Jahr- hunderts" werden.'*)

Als viele Jahre später der Schmerz über den Verlust Lassalles sich in einer bis zur Anbetung gesteigerten Verehrung kundgab, konnte ein fortschrittlicher Gegner merkwürdigerweise seinem Unwillen keinen anderen Ausdruck geben, als jener Dichter seinem Enthusiasmus:

„Wir haben," rief Karl Vogt 0) in Genf aus, „achtzehnhundert Jahre lang einen gekreuzigten Juden vergöttert; jetzt werden wir auch noch einen erschossenen zum Heiland bekommen!"

Wie wenig übermenschlich jedoch, wie rein menschlich vielmehr alle Triebfedern in Lassalles Leben und Wirken waren, davon sollte er bald das schönste Zeugnis ablegen.

Nach BerHn zurückgekehrt, machte er die Bekanntschaft einer un- glückHchen Frau, die seit Jahren tmerhörte Qualen und das schreiendste

*) Die letzten drei Worte von der Gräfin Hatzfeldt eingefügt.

2) Von „zuerst" bis „Berlin" Einfügung von der Hand der Gräfin Hatzfeldt.

•') Die Briefe können hier ganz oder teilweise abgedruckt werden, doch ist's nicht absolut nötig. (Anmerkung von Heß.)

*) Siehe dazu oben S. 410.

'S) Karl Vogt (1817— 1895), der bekannte Naturforscher und ^lemokratische Politiker. Gegen ihn veröffentlichte Karl Marx 1860 seinen „Herr \'ogt".

rrr 422 =

Unrecht von seilen ihres Mannes erdulden mußte, ohne daß sich ein Beschützer der Unterdrückten fand ; denn es war die Frau eines reichen, hochgestellten Mannes, dessen Geld jeden zum Schweigen bringen konnte, der es versuchte, sich der Unglücklichen anzunehmen, während er seinem Opfer alle Mittel, wodurch die Verteidigung hätte geführt werden können, ja, fast alle Existenzmittel entzog.

lyassalle, ^) der die Gerechtigkeit mit aller der Leidenschaft, deren er fähig war, liebte und über alles hochstellte, Lassalle ließ sich nicht von den imüberwindlich scheinenden Schwierigkeiten der Aufgabe, nicht von der mit ihr notwendig verbundenen Unterbrechung seiner wisseu- schaftUchen lyaufbahn, nicht vom falschen Urteile einer lästersüchtigen und seine edlen Beweggründe mißkennenden Welt abhalten, den Pro- zeß der Frau Gräfin von Hatzfeldt denn von ihr, wie man schon er- raten hat, ist hier die Rede seine ganze Tätigkeit und Zeit zu widmen.

In dem Kampfe gegen das Unrecht, welches einer einzelnen Person zugefügt worden, entwickelte er schon alle die Energie, allen den Scharf- sinn, die ganze Kühnheit und Opf erber eitwiUigkeit, sowie seine hohe Beredsamkeit und tmermüdliche Tätigkeit, die er später mit so großem Erfolge zur Bekämpf img des tausendjährigen' Unrechts verwenden sollte, unter dem das arbeitende Volk aller Länder zu allen Zeiten ge- seufzt hat und noch seufzt.

Nichts widerlegt auf eine peremtorischere Weise den banalen Vorwurf eines bloß ehrgeizigen, selbstsüchtigen Strebens, den man dem großen Agitator, wie allen großen Männern, gemacht hat, um seiner Popularität zu schaden, als dieses erste Auftreten Lassalles für das Recht einer verleumdeten Frau ^) mit freiwilliger Entsagung und Verzichtleistung auf eine bereits vielversprechende wissenschaftliche Laufbahn. Un- verdrossen ertrug er alle die für seine Person daraus entstandenen, mit- unter höchst unangenehmen Folgen, unter anderen einen nichtswürdigen Prozeß wegen eines angeblichen ,, Kassettendiebstahls", der kein Dieb- stahl, und an dem er überdies gar nicht beteiligt war. Natürlich endete dieser, nicht ihn, sondern seine Verfolger entehrende Prozeß mit seiner glänzenden Freisprechung.

Nicht immer aber sollten die Prozesse, in welche Lassalle verwickelt wurde, einen so günstigen Ausgang haben. Aus dem Verteidiger des Rechtes einer einzelnen Person entwickelte sich der Volkstribun, der das Recht ganzer Volksklassen gegenüber der bestehenden Macht zu

1) Hier hatte Moses Heß geschrieben: ,,der die Rechte studiert hatte und, was hier weit mehr in Betracht kommt". Die Gräfin hat dies durchgestrichen und hingeschrieben ,,er hat nie die Rechte studiert".

2) Die Gräfin setzte „einer verleumdeten Frau" an die Stelle von „einer bis dahin völlig unbekannten Person", wie der Verfasser geschrieben hatte.

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wahren hatte. Noch war der Hatzfeldtsche Prozeß nicht beendet, als die Revolution von 1848 zum Ausbruch kam.^)

Die Reaktion der fünfziger Jahre und die inzwischen erfolgte Ab- wicklung des Hatzfeldtschen Prozesses ließen dem Kämpfer für Ge- rechtigkeit und Volkswohl die nötige Muße, sich endlich wieder seinen unterbrochenen wissenschaftlichen Studien zuzuwenden. Die Früchte derselben legte er der gelehrten Welt vor in zwei großen geschichts- philosophischen Studien unter dem Titel: Heraklit der Dunkle und: System der erworbenen Rechte. Diese Werke haben ihm einen wohlverdienten Ehrenplatz in der wissenschaftlichen Welt gesichert. Später erwarb er sich noch durch seine vortrefFHche historische Tragödie ,, Franz von Sickingen" auch einen Platz neben den ersten Dichtern der deutschen Nation. Er sollte aber nicht bloß die Palme des Denkers und Dichters erringen. Während des italienischen Krieges schrieb er eine pohtische Broschüre, die heute noch maßgebend für die preußische Poli- tik ist. Seine Kritik endlich des lyiterarhistorikers Julian Schmidt war der erste Versuch, mit geschwimgener Herkuleskeule in den Augiasstall einer versumpften Bildung einzudringen, die sich aus der Unwissenheit und philiströsen Borniertheit ein Piedestal des wohlfeilsten Ruhmes zu machen erdreistete. Den Schluß dieser Herkulesarbeit bildet der ,, öko- nomische Julian", auch ,,Bastiat-Schulze" genannt. Zwischen diesen beiden Schriften liegt jene gewaltige Agitationsepoche, welche den Gipfelpunkt und, leider! auch das Ende seines I,ebens bildete. Denn mitten in dieser Agitation hat ihn das Schicksal erreicht, dem diese Blätter gewidmet sind.

Wenn etwas in Lassalles Leben übermenschlich genannt werden kann, so ist es die Tätigkeit, die er in der kurzen Zeit dieser Agitationsepoche entwickelt hat, und es ist zum Verständnis der letzten Lebenstage LassaUes nötig, den körperlichen und geistigen Zustand zu kennen, in welchen diese übermenschliche Anstrengung ihn versetzte.

Das häufige und anhaltende Sprechen in großen Räumen, oft bei ungünstiger Witterung und Temperatur, wozu er schon früher in den Berliner Bezirksvereinen Veranlassung fand, vmd das später in den Ge- meinden des Allgemeinen Deutschen Arbeiter\'ereins zuweilen wochen- lang fortgesetzt werden mußte, hatte ein altes Halsübel wachgerufen, welches ihm bei fortgesetztem Sprechen Heiserkeiten zuzog, die seine Stimme völlig tonlos nachten. Solche Heiserkeiten wurden dann, nament- lich während seiner Agitationsreisen, deren Plan im voraus festgesetzt und den Gemeinden angezeigt werden mußte, mit den gewaltsamsten

^) Hier müssen Ereignisse aus seinem Leben, die ich nicht speziell kenne, in der bisherigen Weise, so kurz wie möglich, berührt werden. (Anmerkung von Heß.)

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Mitteln bekämpft, wodurch sich sein Halsübel stets verschhmmerte. Im letzten Winter, den er erlebte, kam eine so heftige Halsentzündung zum Ausbruch, dai3 die Ärzte seinen Zustand damals schon als unheilbar an- sahen. Im darauffolgenden Frühjahr wurde ihm von Geheimrat Frerichs eine längere Kur als durchaus unerläßlich verordnet, und deren Not- wendigkeit bei Gelegenheit eines seiner vielen Prozesse auch vor Gericht attestiert. Wie tief diese Krankheit schon seinen ganzen Organismus angegriffen haben mußte, geht einerseits aus einer Bemerkung seines Arztes in Düsseldorf i) hervor, der, als er das schreckliche Unglück er- fuhr, sich und die Freunde Ivassalles damit tröstete, daß ja die Krankheit, an welcher der Verstorbene litt, ohnehin unheilbar war und er sowieso nicht mehr lange hätte leben können; andererseits sind die Todes- ahnungen, welche Lassalle in seinem letzten Lebensjahre nicht mehr ver- ließen, uns ein Beweis dafür, daß er den Todeskeim in sich fühlte.

Vielleicht noch tiefer in den Organismus eingreifend, wenn auch weniger sichtlich, als jene Überanstrengung seiner Stimmorgane, wirkte die unablässige Aufregung, die seine Nerven in steter Spannung hielt. Das letzte Jahr seines Lebens verlief in ununterbrochener, angestreng- tester geistiger Arbeit, wovon seine in dieser kurzen Zeit veröffent- lichten zahlreichen Schriften Zeugnis ablegen. Dazu kamen die täglichen Korrespondenzen mit den Gemeinden des Vereins, Instruktionen und zu fassende Beschlüsse betreffend, die er selbst alle entwerfen und mo- tivieren mußte, sodann stets neue und immer gefährlicher werdende Prozesse vor dem Kriminalgerichte, Kammergerichtshofe, den Düssel- dorfer Gerichten, Kämpfe mit den Verwaltungsbehörden, Konflikte mit den Agenten der öffentlichen Gewalt Während der großen Volksver- sammlungen, und schließlich die immer wiederkehrende folternde Alter- native, entweder etwas zu unterlassen, was sein Werk fördern könnte, oder etwas zu tun, was die ohnehin schon über ihn verhängten Anklagen vermehren und die Gefahr von Untersuchungshaft, schwerer Verurteilung oder Verbanntmg, noch vergrößern mußte.

Aber alle diese körperlichen und geistigen Krankheitsursachen würden nie auch nur einen Augenblick Herr geworden sein über seinen eisernen Willen, seine Empfänglichkeit für die kleinsten Lebensfreuden und seinen stets jugendfrischen Enthusiasmus für die große Sache, welcher er sein ganzes Leben gewidmet hatte, wenn nicht noch andere trübe Gedanken seinen Seelenfrieden gestört hätten. Sie entsprangqpi teils aus den trau- rigen persönlichen Erfahrungen, die er während seiner Agitation in An- sehung des Charakters des deutschen Volkes oder wenigstens eines

1) Die beiden letzten Worte sind von der Gräfin Hatzfeldt eingefügt. Vgl. für Lassalles Krankheit Bd. IV, Einführung, S. 30 ff.

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Teiles desselben machen mußte, teils aus dem Verlaufe, den die poli- tischen Angelegenheiten genommen hatten. Auf Verleumdungen seiner politischen Gegner war er gefaßt ; gegen sie war er von vornherein gewappnet. Aber er war nicht gefaßt auf das, was ihm eines Tages in Berlin begegnete: das Hoch, welches die Arbeiter dem ihn mitten in einer Volksversammlimg wegen Hochverrats verhaftenden Polizei- beamten ausbrachten, hatte ihn im Innersten getroffen.

Was^) den Verlauf der politischen Angelegenheiten betrifft, so be- schlich ihn zwar nie ein Zweifel an der Richtigkeit seiner Ideen, an seiner allgemeinen Auffassung der europäischen Zustände, die ihn zur Agitation bestimmte, kurz, an dem definitiven Siege der Arbeiterbewegung; aber er wußte, daß die Geschichte zuweilen Umwege macht, Umwege, die nur eine Spanne Zeit im lieben der Völker, eine Ewigkeit für die Un- geduld des Individuums sind. Eine Feuerseele, wie die seinige, konnte in einer bloß theoretischen Agitation keine Befriedigung finden. Als er die seinige begann, hatte er wohl erwogen, welche Gelegenheit ihm ge- boten werden könnte, in den heutigen Ktdturprozeß tätig einzugreifen. Seine Erwartung eines schnellen Verlaufes dieses Prozesses war gegründet auf den Konflikt, der in Preußen zwischen Regierung und Bourgeoisie ausgebrochen war. Wie er es in vielen seiner Reden ausgesprochen hatte, erwartete er von diesem Konflikt die Herstellung des allgemeinen und direkten Wahlrechtes, und hierdurch die Möglichkeit, mit einer neuen Volkspartei, die er selbst geschaffen hatte, auf den politischen Kampf- schauplatz zu treten. Durch den Tod des Königs Christian ^) von Däne- mark und den Krieg, der die Folge davon war, sah er die ganze Situation verschoben, den Konflikt abgestumpft, die innere politische Krisis durch eine auswärtige und mehr äußerliche Politik vertagt. ,,Der Tag wird kommen," sagte er nach dieser Wendung der Dinge, „aber viel- leicht^) nicht mehr für mich."

Zuletzt kam noch hinzu der Verlauf der gegen ihn schwebenden vielen Prozesse, die ihm nur die Wahl zu lassen schienen zwischen einer langen Gefangenschaft und einer noch längeren, für seinen Patriotismus ganz unerträglichen freiwilligen Verbannung aus dem Vaterlande. So wird die tiefe Verstimmung erklärHch, die aus den hier veröffentlichten Briefen seiner letzten I^ebenstage hervorleuchtet; und nur diese Verstimmung erklärt wiederum die Hast, mit welcher er auf ein Heiratsprojekt ein- ging, das ihn ganz unvorbereitet imd gerade in dem gefährlichsten Mo-

1) Von hier an bis zum Ende des Absatzes benutzt der Verfasser fast wörtlich Lothar Buchers Aufzeichnimgen.

*) Heß übernimmt sogar Buchers Irrtümmer. Siehe oben S. 418. .\nmerk1mg2. ■■) Das Wort „vielleicht" wurde von der Gräfin Hatzfeldt eingeschaltet.

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mente, als er sich mit seinem kranken Seelenzustande in der Einsamkeit selbst überlassen war, plötzlich überfiel. Hinter Hindernissen, die seine Energie nur reizen konnten, die ihm im Vergleiche zu seinen bisherigen fieberhaften Arbeiten eine fast angenehme Beschäftigung versprachen, glaubte er einen stillen, sonnigen Hafen zu sehen. Einmal auf dieses Heiratsprojekt mit einem, wie sich später zeigte, unwürdigen Geschöpfe eingegangen, erklärt sich alles weitere aus dem Verlaufe der Ereignisse und aus seinem eigenen Charakter ohne alle Schwierigkeit.

Es war ein seinen Freunden wohlbekaimter Charakterzug I^assalles, daß, wenn er einmal einen Menschen in Freundschaft erfaßt hatte denn allerdings kann auch in seinem Verhältnis zu Fräulein von Dön- niges, wie sich aus der aktenmäßigen Darstellimg derselben ergeben wird, nur von Freundschaft, nicht von Liebe die Rede sein es keinen Vor- stelltmgen auch seitens der ihm teuersten und ältesten Freunde mehr gelingen konnte, ihn wieder zum Aufgeben der in Affektion genommenen Person zu bewegen. Nur die unzweideutigsten, tatsächhchen und selbst beobachteten Beweise von der Schlechtigkeit des einmal liebgewonnenen Individuums konnten alsdann noch seine Treue erschüttern. Deim, um es mit seinem Worte zu sagen, Treue war der Grundton seines ganzen Wesens. Um so schmerzlicher mußte es ihm aber dann auch sein, weim er sich am Ende doch genötigt sah, einen liebgewonnenen Menschen wieder aufzugeben, weim er sich eingestehen mußte, daß, wie er sich daim auszudrücken pflegte, „nichts Gutes mehr an diesem Menschen übrig bleibe". Die Wunde, die seinem treuen Herzen durch ein ihm so abgerungenes Geständnis geschlagen wurde, war alsdann um so blutiger, je mehr er sich selbst durch eine so unwürdige Freundschaft kompro- mittiert glaubte. Weim man überhaupt den Grad seines Zornes über verübten Verrat an dem Grade seiner Treue und Hingebung bemißt, so begreift man schon bei der bekannten Heftigkeit, deren er fähig war, den tobenden Sturm, den sein ganzes Wesen erfassen mußte, als er sich hintergangen, beschimpft und obendrein verhöhnt sah von einem Wesen, für welches er monatelang unausgesetzt gekämpft, gehtten und die größten Seelenqualen erdtddet hatte. Dieser Sturm, der ihn und seine Freunde mit ihm zu einer sonst unerklärlichen Handlimgsweise fortriß, ist nicht einer menschhchen Schwäche, deren sich übrigens Lassalle nicht zu schämen hätte, sondern gerade im Gegenteü dem ungeschwächten und tmgebändigten Gerechtigkeitsgefühle zuzuschreiben, das mit dem ganzen Wesen und Dasein dieses Maimes verwachsen war, tmd dessen nur eine so durch und durch ehrliche und starke Seele, wie die lyassalles. fähig ist. ^) Sein Racheruf, den er während der stürmischen Szene, auf

1) Diese Auffassung geht auf die Gräfin Hatzfeldt zurück. Siehe unten S. 428.

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welche liier angespielt wird, ertönen ließ, dieser Racheruf, der die Kata- strophe herbeiführte, war begründet in dem Wunsche, die Gerechtigkeit zu rächen, welche in ihm auf eine schändliche Weise verletzt worden. Weder Liebe, noch Eifersucht, das wird jedem, der die hier folgende aktenmäßige Erzählung liest, sofort einleuchten, war die Ursache dieses verhängnisvollen Racheschreies; er fühlte die Gerechtigkeit und die Menschenwürde in seiner eigenen Person verletzt. Eine minder kräftige, eine weniger aus einem Gusse geformte Natur hätte sich durch Rück- sichten auf Freunde, auf Parteigenossen, auf zu verfolgende große Ziele von einem Schritte ablenken lassen, der in keinem Verhältnis zu dem Leben stand, welches durch ihn aufs Spiel gesetzt wurde. Aber die ein- mal auf einen bestimmten Gegenstand gelenkte große Leidenschaft für Gerechtigkeit und Menschenwürde, welche bei Lassalle ein Ausfluß seiner Feuerseele und seiner Seelengröße war, vereitelte jeden Versuch, ihn von seinem gefaßten Entschlüsse abzubringen.

Schließlich ist noch eines zur richtigen Würdigung der letzten un- glückhchen Handlung Lassalles hervor zviheben. Dieser ungestüme, leiden- schaftHche Mann hat keinen Augenblick daran geglaubt, daß er durch das Duell sein Leben aufs Spiel setzte. Mit einer fatalistischen Über- zeugung, daß er nur ,, Gericht" halten werde, ist er in den Kampf gegangen. Er hat dies wiederholt ausgesprochen. LassaUe war Fatahst wie alle welthistorischen Männer; er hatte den Glauben an seine ,, Mission", an seine ,, Sterne". Ein solcher Fatalismus ist der Ausfluß des höchsten Selbstvertrauens. Er gab Lassalle seine wunderbare Kühnheit und Ent- schlossenheit, die er so oft gezeigt hat. In den so häufig wiederkehrenden gefährlichen Lagen seines Lebens pflegte er zu seiner Freundin zu sagen: ,,Wie können Sie nur glauben, daß ich an diesen Dingen, an diesen Menschen untergehen kann. Das ist mir nicht bestimmt. Ich bin jetzt ascendente domo." Er setzte in allem, was er durchsetzen wollte, seine ganze Existenz daran, sein Ziel zu erreichen. Das war das Geheimnis seiner unwiderstehlichen Kraft. Das machte ihn groß ; und das wurde am Ende auch die Klippe, an der sein Leben scheiterte. Keine Welt hätte ihn von dem Vorhaben abbringen können, ,, Gericht" zu halten.

Die ,, brutale Tatsache" hat sich gegen den Richter gekehrt, und die vorliegende Schrift soll durch eine dokumentarisch getreue Schilderung des Vorgefallenen von dem ,,Gottesurteüe" an das menschliche Urteil appellieren. Das ist eigentlich die Aufgabe jeder Tragödie, und zu einer solchen liefert diese Schrift den besten Stoff ; denn wenn irgendein Ereig- nis tragisch genannt werden kann, so ist es eben dieses, durch welches ein Titane im Kampfe mit den finsteren Schicksalsmächten sein edles Leben einbüßte. Kein Leben ist überhaupt geeigneter, den Stoff zu einer hochtragischen Handlung 7,u liefern, als das Leben Lassalles.

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Er war ein Heros von der Fußsohle bis zum Scheitel. Er hatte dabei, wie dies bei einem modernen Geisteshelden nicht anders möglich ist, das volle Bewußtsein seiner eingeborenen heroischen Natur. „In meiner ersten Jugend", sagte er einst zu einem Freunde, ,, glaubte ich mich zum dramatischen Künstler berufen. Später aber sah ich ein, daß ich dazu bestimmt bin, im Leben selbst die Rolle zu spielen, die ich auf der Bühne zur Darstellung bringen wollte."^)

EIN BRIEF DER GRÄFIN HATZFEI.DT ÜBER DIE MOTIVE, DIE I.ASSAI.I.E ZUM DUElvIv TRIEBEN. (Original.)

Verehrter Herr Professor ! ^)

Ihre Zeilen haben mich tief erschüttert, denn sie trafen den wundesten Fleck meiner Seele. Ich fühle es ja nur zu tief, daß LassaUe so nicht enden durfte. Das Urteil, welches, wie Sie sagen, die Welt über ihn fäUen wird, ist objektiv ganz richtig. Aber seine Freunde, Anhänger und auch die- jenigen, die seinen Lebenslauf kennen, mußten wissen, daß es auf ihn angewendet subjektiv falsch ist. Von Schwäche war auch in diesem Falle bei ihm keine Rede, wäre er schwach gewesen, er lebte noch heute; ganz andere und mir scheint der Schwäche entgegengesetzte Faktoren haben seinen Untergang herbeigeführt.

Er war ein ganzer Mann, aus einem Guß und war daher bei allem, worauf sein Wille sich gerichtet, mit seiner ganzen Kraft, mit seinem ganzen Willen und seiner ganzen glühenden Seele, und gerade diese Konzentrationsfähigkeit des ganzen Wesens auf einen Punkt, die ihn so groß in großen Dingen machte und seine wunderbaren Erfolge be- dingte, wurde, ich möchte fast sagen, mußte unter den gegebenen Ver- hältnissen sein Unglück herbeiführen.

Seine Verirrung war nicht eine Schwäche, sie war eine Verirrung der Kraft seiner größten Eigenschaften, die er auf ein kleines Ziel gerichtet hatte. Von seinem Ernst in seiner ,, Mission" hat er seit seinem einund- zwanzigsten Jahre so schlagende Beweise abgelegt, er hat ihr so sehr sein ganzes Leben geweiht, so viel darum gekämpft und gelitten, daß im Ernst daran zu zweifeln wohl nicht gut denkbar wäre. Auch hat unter seinen so zahlreichen Anhängern die Art seines Todes mehr die tiefste Trauer und heftigste Wut gegen die Urheber hervorgerufen, aber in keiner Weise und in keinem hat es im allergeringsten sein wahres

1) Hier folgen nur noch einige unbeträchtliche Sätze, die zu dem Abdruck der Briefe hinüberleiten sollten.

*) Die Person des Adressaten ergibt sich aus dem Inhalt des Briefes nicht. Sollte es vielleicht Adolf Stahr gewesen sein?

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Bild, seine großen Verdienste einen Augenblick zu verdunkeln vermocht. Durch den Verlust ist ihnen seine Größe um so klarer geworden.

Sogar die Presse, die ihn während seines Lebens so schamlos und bis in das absurdeste schmähte, hat, man muß es gestehen, außer mit sehr wenigen Ausnahmen, die aber sehr bald verstummten, eine Art Respekt vor dem großen Toten gezeigt. In Garibaldis Fall, den Sie erwähnen, scheint mir doch eine große Verschiedenheit mit dem seinigen zu liegen. Ich glaube Lassalle genau genug gekannt zu haben, um sicher behaupten zu können, daß er die gleiche Lage mit der kältesten Ruhe ohne alle Verwundung^) ertragen hätte. Von gewöhnlicher Eitelkeit war er völlig frei. Da gingen nicht wochenlange Intrigen vorher, die Lassalle in immerwährender fieberhafter Aufregung und quälender Ungewißheit erhielten, das ritterliche (im guten Sinn genommen) Gefühl für die lange mißhandelt Geglaubte, die Treue gegen das gegebene Wort kamen nicht ins Spiel, und Lassalle war ein Mann von Wort bis zur Übertreibung, wie seine Freunde wissen.

Keine äußeren, von anderen herrührenden Hindernisse, die zum Kampf reizten, keine Provokationen, Kränkungen und Beleidigungen hatten stattgefunden, die Stolz und Wut aufstachelten. Garibaldi traf der Schlag plötzlich, plötzlich ward ihm die Überzeugung der völligen Verworfenheit dieser Frau, und gänzliche Verachtung mußte sofort damit zusammenfallen. Garibaldi war auch nie ein leidenschaftlicher Charakter, und war überdies ein alter ■Mann, der mit einem Ausbruch rasender Leidenschaft nicht einmal mehr entschuldigt werden konnte. Und doch weiß ich, wie schwer es Garibaldi geworden, sich darüber hinwegzusetzen. ^) Der großen politischen Schwächen Garibaldis war hin- gegen LassaUe ganz unfähig, niemals hätte er eine menschliche Schwäche oder Rücksicht auf dieses Gebiet übertragen. Ach, hätte sein guter Genius gewollt, daß in jenen Tagen ein poHtisches Ereignis von nur einiger Bedeutung eingetreten wäre, wie leicht und schnell hätte er alles andere abgestreift. Sein Fehler war, daß er auf dem Gebiet des rein Menschlichen, das auch seine Berechtigung hat,^) den Zügel über seine außergewöhnliche Leidenschaftlichkeit einen Augenblick verloren hat. Denn keine Zeit der ruhigen Überlegung] war ihm gegönnt. Wie para- dox es Ihnen erscheinen mag, so ist es wahr, daß Lassalle nie daran

^) Die erste Silbe war nicht mit Sicherheit zu entzifTeru. Im ersten Konzept stand : , ,ohne viel Mühe' ' .

2) Die Gräfin war mit Garibaldi befreundet. In einem Album, das die Porträts zeitgenössischer Revolutionäre enthielt, bewahrte sie seine mit eigenhändiger Widmung versehene Photographie.

•') Hier bricht die Reinschrift ab, das folgende entstammt dem ebenfalls eigen- händigen Konzept der Schreiberin.

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geglaubt hat, daß er sein lieben einsetzte; mit einer eisernen fata- listischen Überzeugung, daß er nur Gericht halten würde und ihm nichts geschehen könne, ist er in diesen Kampf gegangen; er hat dies wiederholt ausgesprochen. Lassalle war Fatalist in der höchsten Bedeu- tung des Wortes. Er hatte den festen Glauben an seine ,, Mission", man möchte fast sagen, an seine Sterne. Dieser Fatalismus war, wenn viel- leicht auch unbewußt, der Ausfluß des höchsten Selbstvertrauens und gab ihm die wunderbare Kühnheit und Entschlossenheit, die er so oft gezeigt.

Wie oft hat er mir in den so häufig wiederkehrenden gefährlichen Ivagen seines L,ebens gesagt: „Wie können Sie fürchten, ich könnte an diesen Dingen, an diesen I^euten untergehen. Das ist mir nicht be- stimmt, meine Zeit wird kommen, aber nicht jetzt. Jetzt bin ich ascen- dente domo."

Die „Tatsache", daß er in diesem Duell gefallen, steht fest, daran kann die Schrift nichts ändern, es kann daher nur die Frage entstehen, soU man seine Feinde allein darüber reden und auslegen lassen, wie sie es bis jetzt getan haben, oder kann die Schrift den Zweck erreichen, daß sie ihn selbst noch in der Verirrung groß und gut, edel und wahr als Mensch zeigt. Kann sie die Aufgabe erfüllen, indem sie es weniger mit dem großen Mann und Agitator in seinen öffentlichen Werken zu tun hat, den Menschen I,assalle, den so wenige gekannt, in seiner menschlichen Verirrung, mit seiner weit über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Leidenschaftlichkeit zu erklären und menschlich zu entschuldigen, ihn durch die ungeheueren Kränkungen, Beleidigungen, Provokationen, die der so stolze Mann erdulden mußte, menschlich zu rechtfertigen? Wie groß diese Provokationen waren, beweist, daß seine ihn umgebenden Freimde, wie sehr sie ihn liebten, wie sehr sie ruhiger sein mußten als er, vom Sturm des Augenblickes mit hin- gerissen wurden und nicht taten, was sie konnten und mußten, ihn vor sich selber retten, bis er wieder zur Besinnung kommen konnte. Mir scheint, daß ein gewöhnlicher Mensch der Versuchung, die ihm aufer- legt, leicht hätte widerstehen können und daß gerade die Größe und Gewaltsamkeit seiner ganzen Naturanlage in diesem Falle gegen ihn ausschlagen mußte. Was ich von dem Urteil der Welt über ihn weiß, ist nur dies, daß unter seinen zahlreichen Anhängern wohl Trauer und Wut gegen die Urheber über die Art seines Todes vorhanden, daß sie ihnen aber in keiner Weise sein wahres Bild, seine großen Verdienste einen Augenblick verdunkelt hat.

Es kommt nun auch hinzu, um mir den Entschluß zu dieser Publi- kation zum schwersten meines Lebens zu machen, daß ich es ja nicht bin, die weder diese Broschüre schreibe, noch die Herausgabe allein ent-

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scheide. Seine Freunde, die weit mehr als ich durch Briefe und Berichte beteiligt, haben ein gleiches Recht, und diese wie seine Anhänger ver- langen energisch das Erscheinen der Schrift, und ich habe schon von allen Seiten die bittersten Vorwürfe erhalten, daß es nicht längst ge- schehen. Ich müßte also nicht nur selbst überzeugt sein, aber sie über- zeugen können. In meinem armen zermarterten Gehirn kreuzen sich die Gedanken der Art, daß ich mich nicht fähig fühle, sie in geordneten Worten schriftlich wiederzugeben. Da ich aber unendlich auf Ihr Urteil, geehrter Herr Professor, halte, so würden Sie mir allerdings einen großen Dienst erweisen, wenn Sie, sobald es Ihre Zeit erlaubt, mich besuchen wollten, um die Sache zu besprechen.

NAMENREGISTER

zu BAND I— VI

Abel, III 303.

Aberdeen, II iii; III 69, 73, 79.

Adamski, II 218.

Adler, Georg, I 15.

Adler, Victor, II Vorwort 7.

Affinger, III 270.

D'Agoult. Gräfin, I 275, 283; V 46, 48, 49.

Aiguillon, VI 137.

Albert (Alexander Martin) , V 2, 79.

Alberts, III 306.

Albinski, VI 159.

Alboni, VI 176.

Alexander II., III 336, 337.

Alexandrie, VI 175.

Alexi, V 324, 357; VI Vorwort VI.

Ali Galib, VI 215.

Altenstein, VI 58.

Alvensleben, I 351.

Amnion, II 7, 15; III 2, 3; IV 7.

Amurad, VI 212.

Amyot, V 300.

Anakreon, VI 20, 22.

AnciUon, IV Vorwort 4, 17.

Anders, I 25; V 191.

Annecke, IV 292, 374.

Ariost, I 84, 247.

Aristophanes, VI 68.

Aristoteles, II 141, 261; III iio, 153, 204. 375. 377; V 162; VI 20.

Arkwright, VI 108.

Arlt, IV 73.

Armborst, V 320.

Arndt, F., V Vorwort 23; V 313, 318 bis 320, 335, 351, 357.

Arnim- Boitzenburg, VI 39.

Arson, IV 378, 391. 394, 395. 398, 399.

Assing, II Vorwort 25; II 269; III Vor- wort 26; III 147, 291, 293, 294, 297, 341. 342, 370, 371, 382, 388; IV 227, 233. 239. 240, 249, 267, 293.

Astroth, V 22.

Audorf Jim., V 257 260, 305. 349.

Audorf sen., V 259.

Auerbach, II 245, 247.

Auerswald, III 278; IV 232.

Augustinus, V 349; VI 95.

Augustus, VI 231, 294.

Mtyer, Lassalle-Nachlass. VI

Babeuf, I 132; VI 155.

Bacherl, II 245.

Bacon, III loi; VI 305.

Bädecker, III 60.

Bailheu, II Vorwort 15.

Bailly, VI 135.

Baist, V Vorwort 29, 31; V 141, 142, 152, 155, 165, 202, 203, 225, 337.

Bakunin, III 282.

Bamberger, II 215, 217; III 316.

Banya, III 311.

Barere, I 332.

Barrot, III 16, 41.

Bartholdi, VI 91, 99, 100, iio.

Baerwindt, II 24.

Basire, VI 142.

Bassenhein, von, IV Vorwort 7.

Bastian, III 345.

Bastiat, II 144; V 283; VI 307 309, 354-

Battu, V 42.

Bauer, B., III 256, 263; IV 343; V 69, 104; VI 55, 268.

Bauer, E-, III 228, 229; V 69.

Baum, VI 210.

Baur, II 223.

Baut, V 247.

Baute, Chr., II 20, 24, 124.

Bayle, VI 117.

Bayrhoffer, II 29.

Bebel, I 13, 14; III Vorwort 9.

Beck, VI 165, 195, 198 201.

Becker, B., I 12; III 411; IV Vorwort 31; V Vorivort 2, 27, 28, 31 34, 40, 41, 43, 183, 185—187, 193, 201—203, 205 207, 217, 224 226, 229, 233 bis 237, 254 256, 262, 271, 272, 293 bis 295. 308, 326—329, 336, 337. 341. 346, 350, 368; VI 284, 408.

Becker, Hermann, II Vorwort 5 10; II 20, 21, 23 ^27, 60, 123, 124, 127, 184; III Vorwort 4, 6, 7; III 17, 19. 31, 32. 57, 109, 267, 281. 301; V 71, 80, 83, 84-

Becker, J. Ph.. III 345. 384— 3S7; rv 386—387, 394, 399; V Vorwort 2, 35 bis 38, 192, 208 213, 260, 261, 265, 266, 294, 295, 355, 356; VI 2S4.

436

Becker, O., III 374, 382.

Beckers, II 9, 10, 12.

Beckmann, III 307, 308.

B6cu de Tavemier, II 285.

Beethoven, V 51, 277, 278.

Bellazzi, II Vorwort 27; II 271, 279 bis

285. Belmonte, II 224. Below, I 202.

Bern, I 32; IV 103; VI 191, 221. Benary, I 87; IV 227; VI Vorwort VI. Bennigsen, II 275; III 331; V Vorwort

is; V8, 32. 33- Bercht, I 287. Bergrath, V 320, 334. 338, 348, 353,

354. 362, 368. Berkenfeld, III 366. Bermbach, I 32; III 267, 281. Bemard, Samuel, VI 105. Bemard, Simon F., III 362, 388, 390. Bernays, II 138 140; IV 291. Bernhard, II Vorwort 18. Bernstein, A., II 208, 234 235, 243,

269; III 138, 218, 336; V43, 149, 150.

275; VI 241—244. Bernstein, Eduard, I 17; III Vorwort

3, g; V Vorwort 41. Bemuth, III 368. Berryer, III 41. Bertani, II 271, 274; IV 315, 316, 319,

339; V 67. Bertin, I 289. Bessel, II 225; III 314. Beta, III 238.

Bethmann Hollweg, von, I 240; IV 232. Beutner, V 329, 332. Bieber, I 52, 53, 136. Bignami, II 273, 299. Billaud, VI 150. Birchpfeiffer, II 245. Biron, V 342, 343. Biskamp, III Vorwort 15; III 229 231,

243, 253, 284, 287. Bismarck, I 6, 7, 8, 10, 11, 44; II Vor- wort 4; IV Vorwort 17, 33; IV 296

bis 298, 301, 302, 332, 351—353. 366;

V Vorwort 9 13, 25, 39, 43 45;

V Tj, 122, 167, 224, 231, 235, 236, 242, 313, 315, 324. 331, 340, 357; VI 265, 295, 296, 382, 414.

Bixio. III 16.

Blanc, II 26, 225; III 17, 107, 222, 240; IV 306; V Vorwort 34; V 21, 160, 300, 312; VI 91, 92, 99, 1 10, 113, 121, 126. 131— 133. 340.

Blanqui, III 362, 364, 370, 376, 382;

IV 363.

Bleibtreu, II Vorwort 24; II 239, 302.

Blenker, III 184.

Blind, III Vorwort 15; III 17, 24, 224, 230. 231, 234, 236, 237, 242, 243, 253, 254. 280, 284, 285, 317, 320, 395, 410; V 186, 187, 191, 193. 201, 310.

Blochmann, I 136, 201, 202, 204, 205, 208.

Block, II 276; III 70; IV 83. 94, 98. 120, 243. 316, 338. 369.

Bloem, A., II 9, 10, 12, 13, 54, 210 212; III 6, 9. 26; IV 5, 6. 8, 63. 79, 92. 95. 99. 127, 131, 137. 142, 144—146, 150, 160, 161, 166, 176, 350; V 17; VI 157, 161, 285, 346, 369, 372.

Bios, V Vorwort n-

Blum, II 58; III 165, 185, 217.

Bluntschli, V 32 40, 47, 52.

Bückh, I 183; II Vorwort 18; II 131, 132, 133, 165, 177, 178. 182, 259, 266/7; m 109, 126, 132; IV 227, 228, 290, 331; V 9, 12, 13, 75, 76, 282, 283, 364.

Bocquet, VI 188.

Böhm, IV 26.

Bohres, V 87.

Boisguillebert, VI 104.

Bolte, II 227; III 254.

Boni IV 315; V 67, 68.

Bonin, IV 232.

Booth, IV 292.

Borchardt, V 253, 280.

Borchardt, Dr., II iio.

Boretius, III 297.

Borkheim, III 344, 399, 400, 404, 406.

Bormann, III 130, 132, 134.

Börne, I 36; II 272; VI 28. 29, 54, 68.

Bornemann, I 182; II 257/8; III 68; V91.

Börnstein, V 244.

Borsig, II 176.

Bourqueney, III 85, 86.

Brandis, II 133.

Brandt, von, V loi.

Branicki, III 83.

Br an iss, I 24, 2 5 ; II 2 1 9 ; VI Vorwort VI.

Braß. V 276.

Brater, V 36.

Braun, V 16.

Brenier, III 68.

Breuer, I 339.

Breze, VI 128.

Britzke, V 162.

Brockhaus, II Vorwort 25; II 278, 286, 291—293; III 343, 350, 370, 376, 382, 388; V 151, 155, 197; VI 341.

Brüggemann, I 311.

Brugsch, II Vorwort 19, 20, 189, 190; II 196, 213, 216; IV 140, 231, 274.

437

Bruhn, III 411; V Vorwort 34. 36;

V 192 194, 201, 211, 258, 259, 265 bis 270, 294, 295, 308—311. 314.

Brunnow, III 85, 86.

Brutus, VI 19.

Bruzzesi, V 106.

Bucher, Lothar, I 1,2, 4 12, 14; II Vor- wort 28; II 220, 286, 287, 289, 290; III 311, 312, 314, 344, 353, 389, 390, 393. 398; IV Vorwort 31; IV 289, 291, 294, 308. 313, 314, 325, 340, 351, 354; V Vorwort 31; V Vorwort i, 10 bis 13; V 3, 4, II. 19, 20, 27, 42. 44, 93, 104, 105, 109. 119, 145, 148. 149, 153, 15s. 166. 174. 223. 241, 247, 253. 270, 278. 321—325. 331, 334. 339, 340. 363, 364; VI 76. 157, 248. 249, 260, 284, 297, 305, 307, 315. 323, 325, 327. 329, 343. 365. 380. 407—415; VI Vor- wort VI.

Buchez, VI 126, 132.

Büchner, V Vorwort 29, 30; Vi 33, 138 bis 141, 143, 148, 149, 153, 155. 156, 164, 165. 172. 176, 217; VI 344—346, 368.

Bulaeus, IV 305.

Bulgowski, IV 277.

Bülow, Adam Heinrich von. V 114.

Bülow, Hans von, I 1 1 ; II Vorwort 26. 28;II 199 201, 221; III 392; IV Vor- wort 18, 31; IV 308. 387; V Vorwort I. 2. 13. 14; V 23—27, 41—43. 45 bis 49. 61, 76. 7T, 123. 138. 195—197. 221 224. 243. 250 253, 271. 277 bis 280, 321. 325. 341. 364—368.

Bülow, Cosima von, II 199 201, 221;

V Vorwort 14; V 4, 42. 46. 48. 49 bis 51. 339. 340.

Bülow-Cummerow, VI 375.

Bvmsen, I 183; III 75 235, 305.

Bürgers, H., II Vorwort 5, 7, 8 10; II 8, 10, 12 15, 21, 24 26, 28, 30 bis 32, 45 52, 59 61. 119, 120, 188, 189; III Vorwort 6, 7; III 18. 30, 32, 35. 57. 267. 286. 320, 321, 330, 331. 383; V 86. 126, 127, 132. 145, 232, 263.

Bürgers, Lena. II 8; IV 6, 7.

Bürkli, V 212.

Byron, I 243; IV 69; VI Ji, 327, 330.

Cabet, I 132.

Caghostro. I 228. 229; V 24. Calbe, IV 302. Calderon, III 350. Callimachi, VI 76. Calonne, VI 103, 221 223. Cambon, VI 147, 151. Campe, III 319.

Canitz. I 340.

Canrobert. III 143.

Cantador, II 15, 53. 54; III 2. 4. 6. 22.

Carette VI. 91. 137, 138, 141. 148 150.

Carey, VI 369.

Casanova, I 189, 228 229.

Catenazzi, II 302; V 7, 27.

Cavaignac, III 41.

Cavour, III 68, 260, 339. 340, 345; IV

258. Changamier. III 41. Chaumette. VI 148. 150. Chenu, III 246. Cherval, III 304 307, 310. Christus, V 162. Chrysostomus, V 344. Cicero, III 115; VI 252. Cieskowski, II Vorwort 21; II 252/53. Cinq-Mars, VI loi. Clasen. Lor.. II i 5. Clebus, III 8. Cloßmann, V 244. Cloülde, III 142, 275. Cluß, III Vorwort 16; III 2S0, 286. Cobden, III 344. Coffineau, III 102, 103. 104. Cohen. II 217. Cohn. F., I 90. Cohn, J.. VI 46. 81. Colbert. I 104. CoUet. III 231. CoUot d'Herbois, VI 150. Conde, VI loi. O'Connell, I 98. Conti, Prinz, VI 221. Corneille, VI 12. Cosbutt, IV 227.

Cötgen, I 311, 326, 328—331. 335- Courier. V 13. Couthon, VI 146. Cramer, I 159. Creizenach, I 25. 72 76. Cromwell, I 162. Culloch, VI 380. Czartoryski, III 83.

Dacier. III 375.

Dahl, II Vorwort 3.

Dahlmann. I 162. 23S.

Dames. I 161.

Dammer. IV 344; V Vorwort 2. 13. 22, 24 27, 38 40; V 59 63, 81, 87 bis 90, 120, 127. 132, 133. 147. 148. 151 bis 156, 173, 174. 194, 197,198.253,254. 286. 296. 317. 325—327, 329, 330. 336, 353. 358. 360, 361. 368; VI 247, 284. 322. 382.

Dana, III 352.

438

Daniels, III ii, 30, 117.

Dante, II 55-

Danton, I 219; IV 270; V 48, 158, 219;

VI 143—145, 148—150. Darwin, III 346, 350; IV 305. Daumer, VI 220. David, VI 219. Decher, I 289. Deckwitz, V 321. Delaunays, VI 133. Demokrit, III 115; VI 26. Derby, III 47.

Desmoulins, VI 141, 148, 150. Dickens, IV 267. Diderot, I 223; II 260, 294, 301; VI

117. Dieffenbach, I 38, 256, 257, 258. Diesel, III 208, 220. Diesterweg, II 201 ; V 10. Dieterici, V 142. Dietz, III 282, 305, 306. Diezel, III 302. Düthey, VI 76. DingeÜiofer, I 62. Dingelstedt, II 296; IV 284, 294, 296;

V37. Diocletian, VI 232. Diogenes, V 28. Dirichlet, I 159. Disraeli, I 15; III 239. Dittmann, V 317. Dohm, Ernst, II 175 177, 200; III 128,

140, 171, 172, 334; V 77. Dohm, Hedwig, II 203; IV Vorwort 18,

23; IV 171, 357. Dotma, von, V 5. Dolfi, II 278, 285. Dommig, II 188. Dönniges, Wilhelm von, IV 379, 389,

391—393. 395, 397; V 365—367- Dönniges, von (Mutter), IV 395. Dönniges, Helene von, IV Vorwort 31;

IV 368—373. 375—385. 389, 391, 393

bis 402; V 365, 366; VI 426. Dom, I 344, 352; IV II, 115, 138, 150,

160, 161, 362, 369; V 364; VI 230. Drake, VI 25. Dronke, II Vorwort 5, 11; II 22 24,

27—30. 57. 58; III 15. 18, 24, 51, 54

bis 56, 105, 261, 281; V 186, 187. Drucker, III 239. Dubarry, VI 109. Dufresne, I 5. Dulon, III 229. Dumas, IV 271, 276, 277. Dumont, III 60, 297. Dumouriez, VI 145. Duncker, Franz, II Vorwort 17; II 152

bis 157, 159, 160, 175, 177, 198, 202, 203, 208, 234 250; III Vorwort 12, 14, 16; III 112, 121, 124 126, 128, 131, 134, 136, 138, 141. 144, 146, 158, 160. 163, 169, 171, 172, 213, 214, 224, 226 bis 227, 232, 237. 238, 241, 248, 251 bis 252, 253, 258, 270, 272, 274, 297, 341—343, 350; IV 139, 227. 248, 290, 302—304; V 150, 151; VI 75, 76. 241, 244, 285, 319. Duncker, Lina, II Vorwort 23, 24; II 145 bis 162, 175, 197 205, 223/24, 227/28, 235 251 ;IIIi25;IVVorwort5,i5,i8;

IV 168, 172, 229, 248, 260, 263, 264, 269, 308, 357; VI 244, 245.

Duncker, Polizeirat, II 22. Dupin, III 44. Dürr, V 335. Duval, VI 225. Düwer, IV 176, 177.

Ebermaier, II Vorwort 2, 3; II 6, 7. Eck, Dr. VI 327. Eder, VI 191. Effertz, V 306. Eichhorn, I 192, 240. Eichhoff, II 220/21; III 300, 301, 304 bis 307, 312, 331, 346,347.350.351;

V 185, 187. Eichholz, II 208.

Eichhorn, I 21, 23, 63 70, 93, 283;

VI 38, 39, 409. Eiohler, ^ 7Z- Eigenbrodt, V 176. Eiiänder, II 87. Eisen, III 23, 59. Eisenbarth, IV 92. Eisner, III 11 1; V 12. Emdt, von II 3. Empedokles, II, 130. Enfantin, IV 27, 28, 30. Engel, V 204 205.

Engels, I 15, 42, 242, 243, 244; II Vor- wort 5, 7, 8, 10, II, 26; II 26, iio; III Vorwort i 3, 7 14, 16, 17. 19 bis 26; III 6 10, 23 24, 30, 38, 61, 62, 65, 104, 105, III, 122, 129, 132, 145—147, 151, 158, 159, 161, 171. 172, 178, 179 213, 215, 216, 217, 221, 230, 234, 244, 247, 252, 257 279, 280, 281, 283, 290 292, 294, 296, 298, 299, 303, 3". 330, 333. 336, 339, 35 1. 362. 364, 390, 393. 394, 397. 399,' V Vorwort 24, 34; V 186; VI 52, 55, 81, 293, 296.

Epiktet, VI 18.

Epikur, III iio, 115, 123; VI 4, 18, 19, 20.

Erasmus, II 169.

439

Erhardt, III 267, 281.

Ernst II., von Koburg-Gotha, II 273;

III 302, 383; V41. d'Escole, II 223. Esser, I 339; III 310; IV 60, 358, 362,

366. Eulenburg, von, V 331; VI 392. Euripides, VI 12.

Fabrice, II Vorwort 17, 25; II 156, 158 bis 160; 161, 162, 236; III Vorwort 13; III 124—127, 130 132; 134.

Faldem, von, II 112 114; III 167.

Falkenheim, VI Vorwort VI.

Farina, III 345; IV 258.

Farini, III 345.

Faucher, III 345; V 274; VI 265, 269, 321, 379-

Fazy, III 278, 317, 320, 362.

Fein, V 135.

Fernande (Tochter von Lassalle), IV Vorwort 18, 23.

Femi, II 197, 198, 203.

Feuerbach, I 25, 27, 247; V 244 246; VI 52, 94, 95.

Fichte, III 299; V 24, 93; VI 3, 16, 54, 58, 59, 68, 264.

Fischel, III 301 303, 310 312, 314;

V 19, 77< 123- Fleury-Krause, III 304 310. Flottwell, IV 232. Fontaine, V 230. Forckenbeck, V Vorwort 5. Formes, Auguste, II Vorwort 24. Formes, Karl Johann, V 42. Formes, Theod., II Vorwort 24. Forrer, I 296.

Förster, Friedr., II Vorwort 24; II 202; III 126; IV 227, 328; V 18.

Försterhng, V 359, 360, 361, 368.

Fould, III 44.

Fourier, I 132, 232; III 363.

Francke, I 57.

Fränczel, IV 339.

Frankenberg, I 167.

Franz Joseph, II 210.

FreiHgrath, II 22, 23, 26, 58, 225 227; III Vorwort 4, 10, 11, 15; III 10 12, 30, 33—35, 36—39, 48. 54—55, 5«, 64, 65, 102, 104, 105, 108, 110, III, 135, 136, 137, 144, 147. 150, 151, 161, 169, 179, 235. 237—239, 246, 317, 320, 329, 331. 332, 339, 344, 351, 353, 4o6;

V 43, 44, 209, 320.

Frerichs, IV 278, 282, 330, 344, 351,

354, 356; V 115, 122; VI 418, 424. Frese, II 202. Freund, I 52.

Frey, V 142.

Friebel, V 294, 300 304, 328.

Friedberg, II Vorwort 19; III 68.

Friedland, Ferdinand, I 2, 3, 4, 8, 34, 37, 41, 46, so, 53, 83, 90, 93, 102, 105, 136, 192, 246, 247, 297, 298, 303 bis 309; II 40 42, 114, 124 126; III 105; IV Vorwort 21; IV 50, 61, 62, 64,73,78,81,92,128,130,133,246,312, 316, 317, 322; VI 156, 158, 162, 163, 165, 166, 171, 177 180, 187 189, 195, 196, 201, 202, 208, 210, 211.

Friedland, Friederike, geb. Lassal, I 2, 3, 8, 17, 20, 41, 46, 47, 48, 50, 53, 85, 91, 93, 99, 105, 114, 136, 278, 305. 308; II 124; IV 64, 73, 77, 80, 311 bis 313, 316. 317, 325, 335. 341; VI 156, 413-

Friedländer, Dr. M., III 109, 163 166, 170, 173, 176, 178.

Friedländer, Jul., I 5, 8, 99; III 368,

389. Friedmann, I 26. Friedrich VII. von Dänemark, VI 418,

425. Friedrich Wilhelm (Kurfürst), V 5; VI

lOI.

Friedrich Wilhelm I., V 5.

Friedrich Wilhelm III., I 44.

Friedrich Wilhelm IV., I 23, 38, 106, 165, 182, 189, 264, 279 281, 339 bis 341, 344; II 13, 15 19; III Vorwort

19; III 69, 75, 82, 167, 244, 394; rv

142; VI 35, 39, 40, 44—47, 286,413- Fritzsch, I 59. Fritzsche, F. W., V Vorwort 24 26;

V 59—61, 154, 368. Fröbel, III 245; V 36, 331, 364. Fudikar, V 293. Fuhr, IV 140, 178. Fürstenberg, I 288. Furthmann, V 228.

Gabler, I 86.

Gagem, VI 335.

Galiczin, II 276.

GaU, V 239.

Garibaldi, II Vorwort 25 27; II 223. 272 273,280 282,284,299; III Vor- wort 22; III 322, 327, 330, 333—335. 339, 340, 345, 383, 385, 386; IV Vor- wort 25; IV 257, 258, 261. 263, 270, 271, 299—302, 309, 313. 312. 315. 319. 339; V Vorwort 18, 35, },6; V 15, 21, 27, 49, 54, 105, 106, 230; VI 429.

Garthe, II 58.

Garve, V 93.

Gayl, V 328, 343.

440

Gebauer, II 113.

Gebert, IV 140.

Geiger, I 25, 26, 73.

Gentz, I 188; rv Vorrede 17.

Gerhard, IV 149.

Gerhardy, IV 355, 356.

Gerlach, III 138.

St. Germain, I 228 229.

Geron, II 295.

Gerstenberg, I 46; III Vorwort 22; III 34. 35. 163, 169, 398.

Ghika, VI 174, 187-

Giebe, V 80, 83—85, 124.

Gipperich, III 307.

Girardin, III 27, 44 45, 142.

Gladbach, l288;IVVorworti4;IV52, 99.

Gnaitra, V 47.

Gneist, II 259, 265, 266; III 127, 368, Z77: V 4-

Göbel, III 310; V 158.

Godefroi, I 254, 256.

Goedsche, II 30.

Goislard, VI 125.

Goldheim, II Vorwort 17, 18; III 98. 300, 304— 306, 308— 3 10; IV II o, III, 113, 119, 121, 122, 136, 142, 152.

Goldschmidt, F., I 296.

GortschakofE, IV 273.

Goethe, I 186, 222, 223, 332, 351; II 62, 141, 172, 207, 254, 276; III 174. 196, 226; IV 18—21, 67, 372; V loi; VI 4. 22, 33.

Gottheiner, II 201.

Gottschalk, II 6.

Gottschall, I 24, 25, 27, 159, 244; VI 50.

Götz, V 327, 328.

Götz (von Berhchingen), III 173, 174, 188, 196.

Goumay, VI 1 1 1 .

Grabow, III 393; V 84.

Gräfe, III 107; IV 171.

GranviUe, III 86.

Green, III 330, 335.

Gr^goire. VI 142.

Greif, III 304 310.

Grieben, I 25, 70, 71.

Grodzka, I 27, 28, 29, 136 153.

Groethuysen, VI 76.

Groote, V 16.

Grün, Albert, I 327 329.

Grün, Karl, I 42, 43, 240, 241, 247, 269, 273, 274, 276, 286 290, 309, 312, 318 bis 321, 324—326, 327, 328, 329, 332; III Vorwort 2; III 316; V 212.

Guadet, VI 145.

Guillemain, V 300.

Guizot. I 241 ; II 23 ; III 46, 49; IV Vor- wort 17.

Guttentag, II 144. Guyan, I 160.

Haase, Fr., I 24; II 136.

Haase. L., VI 158, 161, 162, 181, 197. 210, 226.

Hadermann, V Vorwort 30 32; V 142, 187, 203, 206, 207, 233, 235, 255, 327, 329, 350.

Hagen, II 13, 14, 26; III 18.

Hahn. I 208.

Hahndorf, V 307.

Haller, V 33-

Halm, II 245.

Hamberg, VI 29 33.

Hambloch, V 286, 295, 334, 362.

Hamels, IV 257, 281.

Hammacher, V 263.

Hander, I 46, 54.

Hänle, IV 392, 397; V 367.

Hansemann, V 91; VI 286.

Hardenberg, V Vor«'ort 5.

Hartmann, II 215.

Hanm al Raschid, VI 205, 212.

Hasenclever, VI 295.

Hatzfeldt, Graf Alfred, I 261, 262 ; II 11 ; IV 181.

Hatzfeldt, Edmund von, I 40 43, 266, 268 273, 275, 279, 280, 286 288, 291 293, 298, 302 304, 309, 318 bis 320, 325, 328, 339—343. 349; n Vor- wort 4, 14, 15, 17; II 8 12, 14, 15, 30, 34—37. 40. 67—74, 91; III Vor- wort 5, 9; III 20, 21, 57, 268; IV Vor- wort I, 9, 12; IV 36, 47, 157, 243; VI 41 1.

Hatzfeldt, Franz Ludwig von, IV Vor- wort I.

Hatzfeldt, Fürst Hermann von, II 33 bis 40; IV Vorwort 2.

Hatzfeldt, Graf Max von, II 38, 39; III 305; IV Vorwort 2; IV 62, 85, 97, 245.

Hatzfeldt, Melanie von, I 304; II 38; IV Vorwort i, 13; IV 37.

Hatzfeldt, Paul, 1 14, 15, 16, 18, 268, 279, 303, 330; II Vorwort 4, 5, 6; II 6, 8 bis 15, 24, 26, 28, 31, 61, 64, 65, 98, 197; III 18; IV Vorwort 7, 19, 24; IV 10, 67, 78, 100, 114, 124, 125, 133, 140, 143, 145. 147. 153. 154. 157. 158. 160, 161, 164, 182, 235—239, 241, 253, 254, 286, 321, 345, 354-

Hatzfeldt, Gräfin Sophie von, I i 14, 20, 23, 27, 31, 32, 39, 43, 269 271, 273 275, 278 280, 286, 287, 290 bis 292, 294, 296, 298, 302 304, 306, 309, 311. 313—317. 318, 323, 324. 327. 329

441

bis 336, 339, 341. 344, 346, 347. 348 bis 352; II Vorwort i 4, 6, 8, 9, 11 bis 17, 19, 20, 27; II 8 15, 21, 24 bis 26, 28—31, 32—40. 54. 55. 59, 61, 63, 64 74, TJ 84, 86 99, 102, 104, 109, 115 118, 122, 125, 126, 177, 197, 199. 203, 223, 224, 227, 228, 251, 270, 272, 274, 276 278, 285, 286; III Vorwort i 6, 9, 13, 21, 25 27; III 18, 20, 21, 23, 34, 42, 43, 47, 56. 57, 71. 77, 86, 98, loi, 149, 256, 257, 262. 265—268. 338, 339, 342, 347, 348, 351, 353. 355. 361—365. 370. 371, 373. 382—384, 388, 396, 408— 41 1 ; IV Vor- wort I 33; IV durchgehend; V Vor- wort I. 12, 19, 22, 23, 28, 34, 44; V 15, 27, 44, 45. 54, 58. 67, 105, 106. 113. 115, 130. 164, 165, 168, 169, 170, 175, 196. 288. 289, 316, 317, 322; VI 156. 157, 192, 220, 222, 224. 230, 232, 233, 245, 248, 249, 264. 407. 408. 411 bis 413, 417. 421. 427—431.

Haug, V 244.

Haugwitz. III 239.

Haupt, III 307.

Hayn. III 27.

Heberle. IV loi.

Hebert, VI 145.

Hecker. I 163 165, 167, 184; VI 35, n. 39-

Hegel. I27, 30. 17, 86, 87, 109, iii, 155, 239. 241, 246, 330, 332; II Vorwort 20. 21. 22; II 138, 141. 254. 258. 261; III 29, 39, 41, 52, 103. 115, 123. 153. 154. 188, 328, 391; IV 29, 31, 32; V 48. 283, 322; VI 3, 48—52. 58. 59. 63, 64, 73. 75, 77< 78, 79. 81, 82, 92, 201. 303, 318. 319, 409.

Heine, Heinrich. I 3 5, 36 41, 43. 55. 56, 60. 247, 255 259, 269 274, 275 bis 277. 281 285. 286. 297. 317, 322, 357; II Vorwort 11; II 40 43, 69; III Vorwort 2; III 100. 146. 391; IV 22. 267; V 39. 229, 354; VI 28 11, 53. 54. 68—73. 410. 421.

Heine. Gustav. I 3. 40; II Vorwort 11.

Heine. Karl, I 38. 253, 254. 256.

Heine, Salomon. I 38.

Heinrich III., VI 100.

Heinse, IV 17. 18.

Heinzen. II 26; III 352; V 193, 310. 311.

Helene (Zofe). IV 358.

Helferich. VI 334.

Helvetius. VI 117.

Hennig. V 10.

Henning. V 286. 334.

Henriot. VI 146.

Hensler. III 72.

Heraklit. I 231; II 129, 130. 131 136, 138, 139, 143, 164, 168, 225, 257. 260, 302; III 110, 115. 123; VI 3, 196. 228, 410.

Herault. VI 146.

Herbert. Lord, III 57.

Herbertz, IV 286, 289, 309. 337. 350.

Herwegh, Emma. I 2; II Vorwort 26;

II 286; IV Vorwort 30; IV 283, 285, 287, 321. 374; V 45, 246.

Herwegh. Georg. I 2. 6, 189; II Vor- wort 26; II 268 269, 278, 279, 286.

296. 297; III 55, 56; IV 278, 284, 291, 294, 312. 324, 344, 359, 360; V Vor- wort I. 13, 16. 31, 34. 36. 44; V 33 bis 40. 44, 56. 57. 105. 106, 133 135. 163. 164. 169 172, 180 181. 199 bis 201. 203. 204. 206 209. 221, 224. 226, 242 244. 252. 265, 301, 320; VI 284,

375-

Herz. II 12.

Herzen. III 165.

Heß. I 6. 245; IV Vorwort 30; V Vor wort 2. 34, 35; V 203, 205. 209. 218 219. 226. 227. 229, 232. 233. 247. 248' 263, 264. 286, 292. 293, 295. 298 300' 354. 355; VI 284. 407. 408. 419—428*

Hesse- Wartegg. II V^orwort 10.

Heydt, von der, III 166; IV 232. 296,

297. 301; V 118. 224. Heymann. V 141, 142, 148, 157 159.

177, 178. 198. 225, 236. 241, 255. 256. Hieronymi. V 356. Hiersemenzel. II 142. 259. 286. 289;

III 108. 349. 358. 367, 392; IV 92, 248, 287, 292. 294. 334; V 18. 20. 28, 32; VI 235, 237.

Hildebrand, I 152, 155, 156; VI 266,

272, lli, 378. Hillmann, V 193, 199, 220. 230, 231.

266, 27s. 285, 286, 295, 334, 335, 354- Hinkeldey, III 99, 307, 308; IV 49, 50,

120. Hirsch. III 62. 304 310. Hodde, de la, III 246, 307. Hoferichter, I 264. Hoffmann, II 12. Hoffmann, E. Th. A., IV 22. Hoffstetten, I 6; IV 357, 362, 387. HohenzoUem, Fürst von, III 76; IV 232 . Hölterhoff, II 1—3. Holthoff, Aurel, I 2, 4, 8, 291, 295, 31

bis 311; rv 347, 351, 368, 393; V 64,

74- Holtzendorff, II Vorwort 19. Holzapfel, IV 329. Homer, III 38S; VI 12, 16. 228. Homeyer. IV 59.

442

Hompesch, I 280.

Honigmann, I 20, 26, VI Vorwort VI.

Hons, II Vorwort 4.

Hopf, V 142, 189.

Hoppe, Eduard, II Vorwort 10.

Hoppe, I 276.

Horaz, II 195; VI 19, 25.

Hom, Graf, VI 106.

Hübbe, V 193.

Huber, IV Vorwort 8 ; V Vorwort 2, 45 ;

V 100, 173, 201, 213 216, 225, 226, 281, 282, 287—292, 339, 344; VI 271, 340, 349. 367.

Hugo, Victor, I 275; VI m.

Huhn, V 225.

Hüllmann, VI 93.

Hülsen, II 174, 176.

Humboldt, A. von, I 38, 84, 161, 165, 25S 260, 278 281, 283; II Vor^vort 17, 18, 25; II 129, 130, 133, 163—174. 176 178, 181— 183. 191— 192; III 109, 132, 133, 286, 291—293, 299, 312; IV 227, 228, 248; VI 410, 413.

Hütten, II 168 170, 195, 207; III 149, 173—175. 182, 183, 190, 193, 194, 196, 198, 201 203, 205; IV 69; V 243.

Hütter, IV 87.

Jacoby, Dr. A., III 280, 286. Jacoby, Johann, II 209, 220; IV 204;

V Vorwort 11; V 10, 14, VI 286. Jacobi, Prof., I 161.

Jäger, V 335, 338, 354.

Janin, I 276, 283.

Jancke. IV 288, 298, 304.

Jasmimd, III 33.

Idaroff, IV 361.

Jeröme, Napoleon, II 284; III 142, 275,

279, 292, 354. Illaire, II 167, 183; III 133. Joerissen, V 18. Johann der Gute, VI 100. Johann (Reichsverweser), III 234. Jonas, III 139. Jones, III 312, 362. Jontriani, II 223. Isnard, VI 145. Josef II., VI 120.

Itzstein, I 163—165, 167; VI 35, 37, 39- Juch, III 304; V 186. Julian, Apostata, III 394. Just, St., III 19s; V 219; VI 144, 147. Justinian, VI 319.

Kalazdy, IV 103; VI 221. Kalckreuth, IV 171, 178. KaUsch, V 160. Kant, II 261; III 405.

Karbe, V 74.

Karl V., VI 100.

Karl VII., VI 100.

Karl von Braunschweig, IV Vorwort 17.

Karpeles, I 4.

Kastan, VI Vorwort VI.

Katharina II., III 165.

Kaufmann, Dr., III 60, 62, 63.

Keller, Gottfr., II Vorwort 23.

Kessel, von, I 311.

Ketteier, von, I 311, 343. IV 388 bis 391; V 298, 337; 343. 345; VI 280, 281.

Keudell, I 6.

Keyserlingk, von, IV Vorwort 4; IV 171.

Kichniawy, II Vorwort 9, 10; II 128, 208, 209, 217, 218, 225, 270; III 168; IV 83, 87, 94, 95, 99, 100, 137; V Vor- wort 28; V 16, 17, 28 30, 71, 81, 87,

158, 177. 333. 353; VI 157.

Kingsley, VI 273.

Kinkel, Johanna, III 144.

Kinkel, G., III 51, 143. I44. 169, 184. 214, 215, 221, 229, 230, 235, 236, 238, 246, 283, 344; IV 69; V 7, 20.

Kirchmann, II 295; V 115, 116, 161;

VI 307. 352.

Klapka, II 27; III 223, 245, 274, 278,

346; IV 257; V Vorwort 36; V 365;

VI 158. Klara (Zofe der Gräfin), IV 144, 163. Kleinhaus, IV 9.

Kleist, Heinr. von, II Vorwort 24. Kleist-Retzow, III 36. Klindworth, Agnes, IV Vorwort 16 bis

18; IV 58 60, 63, 64, 70 72, 82,

98 loi, 116, 117, 124, 125, 177. 182,

357; V 221, 223. Klindworth, Georg, IV Vorwort, 16 18;

IV 59, 64, 68, 71, 72, 82, 86, 93, 94,

98, 116. Khngs, V 17, 286, 315, 335, 346, 368. Klocke, I 88, 90. Klumpp, IV 358. Kmety-Pascha, IV 103. Knoop, V 149.

Knorsch, II 217; III 314; V 72, 146. Köhler, V 89, 124, 127. Kohut, VI 75. Kolatschek, II 216. Kolb, V 168, 207; VI 230. KöUn, III 388. Kolloflf, VI 29—33. König, VI Vorwort VI. Konstantin, VI 301, 302. KorfF, IV 328, 330; V 138, 223, 253,

363- Kömer, Theod., II Vorwort 24.

443

Koscielski, III 282.

Kossack, II 201; IV 331.

Kossuth, II Vorwort 27; II 26, 28, 284;

III 143, 235, 246, 249, 252, 306, 362;

IV 257; V 365; VI 173. Köster, III 134 137.

Koesteritz, von, II 117; III 34; IV 8.

Köttgen, V 205.

Krafts, I 16.

Kratz, IV 297.

Kröcher, P., III 144.

Krone, V 309, 310.

Krüger, Dr., V 310.

Krüger, I 264.

Kuhlmeyer, II 290.

Kühne, II 281.

Kummer, I 160.

Kunofcky, I 299.

Kunze, I 160.

Kuranda, V 200.

Kurz, V 146.

Kutschbach, VI 399.

KyU, IV 79, 80.

Lachmann, V 342, 343, 345.

Lacroix, V 300, 312.

Ladendorf, II 229, 306.

I/afarge, I 272.

Lafaurie, V 193.

Lafayette, VI 135.

I^agarde, III 16.

Lally-Tolendal, VI 134.

Ivamartine, III 325; VI 141, 144, 145.

lyamennais, V 344.

Landsberg-Steinfurt, I 262, 264.

Landsberg- Velen, Graf, II Vorwort 12.

Landsberger, V 238.

Langiewicz, IV 339; V 123.

Lanjuinais, VI 146.

Lanzoni, IV 319.

Lasker, I 26.

Lasource, VI 145.

Laspie, de III 304, 306.

Lassal, Heymann, I 17 19, 23, 24, 34, 41, 42, 45, 47—53. 65, 83—106, 114 bis 136, 192, 268, 277, 278, 290 308, 313—317. 355 357; n Vorwort 16, 17; II 40 42, 114, 124 127, 276 bis 277; III 399, 402; IV Vorwort 10, 26, 27; IV 50, 72, 76, Tj, 80, 81, loi, 103, 104, 113, iig, 122, 123, 126, 129, 130, 132. 136, 152, 253, 281, 282, 303, 309 bis 311, 313, 323, 348; V Vorwort 25; V 40; VI I, 3, 34, 37, 38, 48—50, 76, 80, 81, 156, 157, 192, 193, 220, 233, 234, 409, 410, 412, 414. 420, 421.

Lassal, Rosahe, I 2, 3, 5, 20, 45, 47, 51, 53. 85, 90, 93. 98, 105, 106 114, 278,

299, 305, 308; II 114; IV Vorwort 32;

I\' 10, 95, 310, 311, 342; VI 49, 234. Läßig, V 274, 362. Lauderdale, VI 257. Lauer, V 345. Law, V loi; VI 106, 301. Leberecht, VI 336. Ledru-RoUin, II 23; III 15, 17, 35, 107,

222, 240; rv 69, 131. Leflo, III 45. Legendre, VI 149. Legrand, VI 127. Lehfeldt, Albert, I 30, 32, 33, 213 bis

236, 248—253. Lehfeldt, Wilh., I 2, 48— 53. Lehnert, I 264/65. Lenin, VI 90. Lenz, II Vorwort 19. Leon, III 44, 45. Lepsius, II Vorwort 19; II 130, 131, 133

bis 135, 166, 167, 262 264; III 109. Leroux, I 241. Leschmann, V 342, 343. Lesley, IV 391, 395, 399. Lessing, G. E., II 141, 195; IV 244;

V 37. 55; VI 4, 20 23, 264. Lessing (Marie), IV 140.

Lette, V 41, 116, 242; VI m, 379.

Le\Tn, IV 260.

Levy, Michel, V 300.

Lewald, Fannj', s. Stahr.

Lewald, Otto, II 220/21; III 301, 312.

Lewes II 224; V 65.

Lewy, G., II 122, 123; III Vorwort 9 bis II, 17; III 267—268, 281; IV 52, 99, 350, 354; V Vorwort 2, 27, 28, 31; V 16, 30,70 73.79—81, 83—87, 108 112, 117— 120, 123—127, 131, 132, 144 bis 147, 152, 155, 157—159, 177, 194, 198, 204, 205, 217 221, 226, 228 231, 240, 246, 247, 269, 270, 272 275, 284 bis 287, 295, 304, 333—335. Zi^, 347 bis 349. 351. 353—355-

Liebknecht, W., I 12, 13, 15; III 230, 231. 243, 244, 246, 271, 308. 309;

V Vorwort 43, 44; V 314, 317—321, 323, 346; VI 408.

Liel, I 339, 340.

Lieven, III 79.

Lihenthal, Minna, IV Vorwort 18, 31;

IV 375; V Vorwort 14; V 138, 223;

VI 399, 402, 403. Lilienthal (Bankier), IV Vorwort 31;

V Vorsvort 14. Lilljeström, I 340. Lindau, I 17, iS. Lindenmüller, V 74. Lindet, VI 149.

444

Lindner, V 149.

Lippe, Graf zur, III 300. V I9-

List, VI 355.

Liszt, Fr., II Vorwort 28; II 199, 200;

rV Vorwort 16—18; IV 59, i77- Lobeck, II 260. Löbbekke, I 192. Loe, I 337- Loiseau, VI iio. Lomenie, VI 123, 125. Löning, III 245. Louis X., VI 100. Louis XIL, VI 125. Louis XIV., VI loi, 104, 105. Louis XV., VI 100, 109. Louis XVI., III 97; VI 121— 129, 133

bis 13s, 138, 141. 144. 147- Louis Philippe, III 81, 85, 160, 326;

rV Vorsvort 17; IV 131. Löwe, II 215; IV 297, 302—304, 314,

316, 319, 325; V Vorwort i, 20 27;

V 17, 18,41, 88, 120, 121, 128— 131. 149, 154, 165; VI 248.

Löwenstein, V 36.

Löwenthal, V 153, 155, 156, 191, 192.

Lüdemann, III 367.

Ludwig VI., VI 100.

Ludwig, König von Bayern, IV 393, 396,

400; V 366, 367. Lüning, II 274. Luther, I 60, 65, 277; II 168 170;

III 154, 170, 197, 198; V 98, iio;

VI 327. Lntze, I 163.

Luxembourg, Herzog von, VI 129.

Machiavelli, IV 278; V Vorwort ^s-

Macdonald, II 238; III 363.

Mackeldey, II Vorwort 21.-

Mahmud, VI 213.

Malchow, V 258.

Mallet, III 39.

Malthus, VI 330,

Manin, VI 189-

Mann, V 362.

Manteuffel, von, II Vorwort 22; II 165,

166; III 69, 75, 76, 82, 133, 144, 278;

IVVorwort 17; IViii, 113, 114, 120

bis 122; V 224; VI 246. La Mara, IV Vorwort 16. Marat, III Vorwort 16; III 248; IV 241 ;

V 219; VI 143, 145. Marc Aurel, VI 18. Marcellus, III 379. Märcker, II 260; V 13. Marheinecke, I 93. Marie, IV 314; VI 399, 401. Marie Antoinette, VI 106.

Mario, Albert, III 86, 89, 95; IV 318.

Mario, White, IV 301.

Markwitz, V 17.

Mario, IV 100.

Martin, Alexander, s. Albert.

Martin, S., V 315, 340, 349, 362.

Martineau, VI 316.

Martini, IV 203.

Martiny, V 79, 80, 83 85, 117, 124 bis

126, 181, 182, 198. 237—238, 362;

VI 284. Marx, Carl, 1 16, 37,42; II Vorwort 5 8,

II, 15, 25, 26; II 21, 26, 27, 219, 221, 225,255/56; III Vorwort I 27; Uli bis 6, 10 58, 62, 64 179, 185 274, 278 411; IV Vorwort 16, 26, 33; IV 69, 320, 367; V Vorwort i, 15, 17, 24, 28, 32, 34—36; V 45, 125. 187, 208, 209, 311, 320, 346; VI 30, 52, 55. 81, 89. 90—92, 157, 235, 237, 244, 245, 248, 291, 293, 296, 380.

Marx, Jenny, III Vorwort 3, 15, 18 20, 22; III 18, 23, 25—28, 30, 53,54. 57 bis 65, 70, 77, 83, 90, 100, 102, 105,

III, 121— 122, 124, 134, 137, 151. 175, 237, 244, 280, 283, 291, 314, 317, 320, 342—344, 346, 351, 354—361, 376, 383—384, 388, 392, 397. 398.

Matthiae, III 297.

Matthis, III 54, 139.

Matthisson, I 314.

Maupas, III 307.

May, I 90.

Mayer, V 328.

Mazzini, II Vorwort 27; II 58; III 35,

84, 143. 240, 330. 333, 335. 345, 383;

IV 166, 167, 300, 3oi;V44, 45, 54,

loi, 107, 108, 365. Medici, Maria von, VI 10 1. Mehemet Ali, III 80, 86; VI 205, Mehring, V Vorwort 9, 11. Meißner, II 237, 143; III 316. Meitzen, I 18; V 18. Mende, I 13, 14. Mendelssohn, Alexander, I 36, 195, 200,

204, 213. Mendelssohn, Arnold, I 5, 27, 28, 29, 30,

31. 32, 33. 34. 36. 40. 42, 43. 153—167.

189—192, 213—233, 236—238, 239.

240 246, 249, 250, 267,271, 273, 274,

279,281, 285—290,291—298, 300, 302,

306, 309—313. 317/318, 320, 321 bis

324, 326—338, 355, 356; II Vorwort 2;

II 5, 43, 44; III Vorwort 2; III 149;

IV Vorwort 4, 12; IV 14, 41, 44, 102

bis 104; VI 76, 82, 221, 222, 412. Mendelssohn-Bartholdy, I 29. Mendelssohn, Dorothea, IV 30.

445

Mendelssohn, Joseph, I 29, 30, 36, 39, 153 158, 162, 192 196, 201 204, 232. 254, 255, 279.

Mendelssohn, Moses, I 29; VI 22.

Mendelssohn, Nathan, I 29.

Mendelssohn, Paul, I 36, 159, 165, 232.

Mengs, I 62.

Mercier, VI 353.

Merlin, I 283—285.

Mettemich, I 288 ; III 8 1 ; IV Vorwort

17- Metz, V 8, 172, 175, 176, 237. Metzner. V 317, 351, 357. 358. Meyen, II 296; III 55, 56, 232 234,

363. 391—393. 395; IV 343; V 19, 78,

79, 124, 160, 161. Meyendorf, von, I 32, 268, 269 271,

276, 279, 283 284; rV45; VI 411. Meyer u. Zell, V 89, 127 128, 184, 274,

275. Meyer, V., I 52. Meyer, Rudolf, VI 295. Meyerbeer, I 39, 84, 254, 255, 282;

V 223. Michaelis, O., VI itj, 379. Michaud, VI loi. Michel, VI 197- Michelet, II Vorwort 21, 22; II 202, 252,

253, 256 262, 267, 300; III 126;

IV 248; V 18, 227. Mieroslawski, III 346. Miklosich, III 159. MiU, VI 257, 269, 273, 317, 323. Milo, VI 175. Minto, III 68.

Miquel, II Vorwort 10; III 331 ; V Vor- wort 19. Mirabeau, IV 53; V Vorwort 15; V 116,

147, 219, 224; VI 128, 129, 132, 133. Mirbach, IV 10. Mischte, VI 226. Missori, V 15. Moad, Ed. P., I 244. Möghng, V 189 191. Mohl, VI 353. Mole, II 23. Moleschott, IV 275. Molidre, VI 12. Mommsen, II 264 265. Montalembert, III 16, 46. Monteil, IV 305, 306; VI 102. Montesquieu, VI 117. Montmorency, VI 101. Moritz (Justizkommissar), V 28. Moritz, Prinz von Altenburg, VI 228. Momy, III 44, 45 ; IV 66. Morrel, II Vorwort 3; II 44, 4^. Mortara, III 166.

Müldener, IV 92.

Müller, I 238, 339.

Müller, E. (Assessor), V 64, 65, 149, 150.

Müller, Moritz, IV 343; V 133.

Müller, Dr. Th., V 157, 159, 203, 217,

236, 255, 328; VI 340. Müller-Renz, V 206. Müller-Tellering, II Vorwort 5 7 ; II 20,

21, 23, 24 28, 30; III 17 19, 24,

246, 267. Münsch, II 185. Mundt, I 57.

Münzer, III 174, 197, 202, 204, 205. Murat, III 345. Muschard, V 263. Mustafa, Kara I 62. Mützelburg, V 185.

Napoleon I., I 332; III 41.

Napoleon III., II 29, 210, 281, 282; III Vor^vort 1 5 ; III 16, 39, 40, 43 47, 49, 51, 68, 69, 76, 83, 85, 115, 140, 141, 143, 145, 160, 165, 167, 212, 215, 216, 218—220; 233, 239, 240, 245, 246, 258 260, 270, 275 279, 284, 292, 302, 312, 317, 324, 325, 327. 330, 334 bis 337, 339. 345. 347. 364, 382; IV Vorwort 17; IV 97, 167, 255, 259, 261, 299, 302; V 36, 107, 135, 166, 219, 324; VI 90, 291.

Neander, I 93, 94.

Necker, VI 105, 121, 125, 128, 129.

Neißer, I 274, 276.

Nesselrode, I 280, 288.

Neumann, V 320.

Nicolovius, II Vorwort i, 3, 4; II 15 bis 19; III 1—3, 19, 26; IV 6, 335.

Niebuhr, III 388.

Nikolaus, Zar, III 75—77. 80; IV Vor- wort 17; IV 276.

Nisard, II 301.

Nitack, II 218.

Noailles, VI 137.

Nöhring, V 78.

Norden, II Vorwort 19.

Nostiz, Graf, A. L. F. von, I 261—267; IV 45, 124, 154, 159, 160, 253.

Nostiz, Gräfin von, II Vorwort 16; IV 35, 98, 114, 115, 125, 138, 139, 144, 145, 151 153, 155, 156, 158, 160, 161,

237. 245-

Nothjung, II Vorwort 9, 10, 17; II. 21, 1S4, 2 iS 220; III 273, 278, 305 ; V 320. Nuenar, II 170. Nutt, III 109, 112, 114, 171.

Ochse-Stern, III 33, 34. Offenbach, I 39, 282.

446

Olearius, IV 331.

Oldenberg, III 371; V 66.

Oelze, I 264.

Olivier, IV 308; V 42, 46, 279.

Omer- Pascha, VI 215, 216.

Oncken, I 18, 37; II Vorwort 15, 25;

IV Vorwort 4, 7; V Vorwort 11, 27, 43. 45; VI 76, 267.

Oppen, von, I 339.

Oppenheim, A., I 30 33, 161, 164, 166, 167, 168, 213—234, 236, 237, 238, 239, 244, 245, 249, 250, 251, 269, 271, 278, 279, 280, 288, 302, 310, 334; IV Vorwort 3, 12; IV 41, 44, 45; VI 412.

Oppenheim, H. B., II 209, 214 216;

V 244.

Orgler, I 46, 5°. 54-

Orleans, Herzog von, VI 124, 126, 129.

Orleans, Herzogin von, VI 106.

Orloff, III 67, 68.

Orsini, III 141, 386.

Oster, I 312.

Osterhaas, V 244.

Ostertag, V 113, 131; VI 393 395.

Otto, Karl, II Vorwort 9.

Ovid, VI 26.

Paalzow, V 75.

Pabst, V 349, 352, 359.

Pache, VI 145.

PaUeske, II 212/13, 223.

Pabnerston, III 73, 78—81, 84—86, 1 1 1,

115, 160, 176, 230, 244, 280, 310, 311,

324, 363- Panconi, IV 275. Pape, VI 393. Pappenheim, I 62. Paroy, IV 259. Patow, III 348; IV 232. Patzke, IV 49. Paul, (Florian), IV 353; V Vorwort 42

bis 44; V 313—317, 335. 341, 352,

362. Paul, Jean, IV 22. Peel, III 79, 89. Pelham, III 84. Peüssier. III 143. Perl, V 152, 155, 193, 258, 259, 266,

267, 304, 305, 309, 349, 359. Pestazzi, VI 211 214, 217. Peters, II 112, 113. Petion, VI 142. Pfeffer, II 61. Pfistermeister, V 367. Pfuel, II Vorwort 24; III 126; V 322. Phibpp von Orleans, IV 43. Phihpp der Schöne, VI 100. Philipp V., VI 100, HO.

Pickwick, IV 100, iii 113, 119, 121,

126, 129, 130, 136, 171. Pietzsch, Ludwig, II Vorwort 22, 23, 24. Pindar, I 106. Pinto, II 218. Pisacane, IV 166, 167. Platen, IV Vorwort 19; IV 69; VI 264,

370. Plato, II 261; III 112, 204; V 93, 283;

VI 3, 16. Plutarch, III 115. Pohl, I 264. Ponafka, I 87, 297. Poschinger, I 12; V Vorwort 12. Posetti, VI 199. Prager, II 112, 113. Preuß, V Vorwort 43; V 295, 313, 341,

351- Pritzel, II 152, 198; III 262—263; IV

140, 171, 314; V 28, 76, 325; VI 399,

400. Prokesch-Osten, VI 211. Proüdhon, I 42, 43, 247, 312, 315, 333,

335; III Vorwort 2; III 27 29, 240,

335 ; IV 69; V 102; VI 263. 379- Prutz, 1315. Pückler-Muskau, I 38, 39, 253 257,

258, 282/83; II 44, 189, 190, 193; IV

227, 232, 392. Pulszki, III 235. Pythagoras, II 130, 164, 180.

Quenstedt, V 321. Quesnay, V 93. Quetelet, III 119.

Rabaut, VI 127.

Rachel, VI 232.

Racine, VI 12.

Radowitz, II 286.

Raffel, II Vorwort 15, 16; IV 84.

Raffet, von, III 168.

Rakowitza, von, IV Vorwort 33 ; IV 395,

402. Rameau, I 222 228, 330. Ramler, II 195. Rappard, von, IV 171, 178. Rasch, V 243. Rau, V 173, 354; VI 102, III, 112, 269,

340, 349, 351, 354. Raumer, von, II 141. Rave, Dr. B., I 310. Raveaux, III 12. Real, V 247, 333. Rechberg, III 278, 322. Reclus, V 354.

Regenbrecht, VI 36. 37, 39—44- Reichenbach, I 35.

447

Reichenheim, V Vorwort 43; V 301; VI 278.

Reiff, W. J., II Vorwort 9; II 188.

Reißner, I 48.

Reitenbach, V 238.

Rellstab, II 221.

Rembrandt, VI 170.

Rempel, V 158.

Remusat, III 45.

Remy, V 209.

Rener, I 268, 295.

Rengnault, II 225.

Reuchlin, II 169.

Reusche, V 233, 235.

Reuter, III 305.

Reynolds, III 388.

Ricardo, I 11, 12; III 29, 117, 120, 394; V 94, 161; VI 257, 269, 307, 308, 334, 347, 361, 364—366, 368—371, 380.

Richelieu, VI 97, loi.

Richter, V 324.

Riedel, V 317.

Riel, V 163, 239.

Riem. IV 309, -1,^,7, 347.

Riesen, von, II 242.

Riesser, I 25, -j-t,.

Rings, III 308, 309.

Ritschi, II 144; IV 61; VI 331.

Rjasanoff, V Vorwort 34.

Robert, I 167, 247.

Roberts, W. T., I 243.

Robespierre, I 19, 120, 121, 123, 125, 126, 128, 223, 332; IV Vor- wort s; V48, 219; VI 143 151, 154, 155-

Rochau, von, V 57.

Röckel, V 46, 47.

Rodbertus, I 11, 12, 16; III 29, 363, 382, 390, 394; V Vorwort i, 8; V 20, 150, 151 153, 156, 161, 162, 166, 169, 170, 175, 198, 270, 272, 286; VI 248, 249, 260 263, 284 381.

Roggenbach, V 33, 34.

Rohan, VI 106.

Rohde, VI 38.

Rehmer, F., V 35, 36, 38.

Rohmer, Th., V 36, 38.

Rohr, von, II 156.

Röhrich, V 345.

Roland, de la Platrere, VI 112.

Roland, Marie Jeanne, IV 23.

Ronge, II 57; V 342, 343, 356.

Roon, V 6.

Roepell, I 24; II 220.

Röscher, III Vorwort 25; III 363, 390, 394- 395, 406 408; VI 269.

Rosenkranz, II Vorwort 21 ; II 256, 259

bis 262, 267, 268, 293, 294, 300 bis 302; VI 54, 82.

Röser, P. G., II Vorwort 9, 10; II 47, 48, 123, 184 189; III 30; rv 76, 94.

Rossi, VI 258.

Roßmäßler, V Vorwort 24 26; V 62, 82, 88.

Rothfels, VI 382.

Rothschild, H., III 62.

Rothschild, I 34, 177; IV 99.

Röttger, V 209.

Rousseau, I 49; II 301; VI 117 119, 136, 141, 146, 155.

Roux, VI 111,126, 132.

Rubo, V 239.

Ruffer, I 192.

Rüge, II 57, 58; III 35, 51, III, 229, 383; V Vorwort 10.

Runge, V 160.

Rupp, V 238.

Rüstow, Wilhelm, I 2, 6; II Vorwort 26, 27; II 269 275, 277 279, 280 282, 284 287, 296, 298, 299, 302; III Vor- wort 22; III 396, 400; IV Vorwort 25 bis 29; IV 278, 283 289, 291 296, 298, 300—302, 304, 305, 307—309, 31 1— 315, 317, 318, 322, 323, 325, 329, 333—336, 338, 341—344, 359, 368, 376, 379, 384—387, 393. 394, 396; V Vor- wort 1,15—17, 19,34,35, 44, 45; V 6, 7, 15, 20, 21, 27, 28, 44. 45. 49. 54. 57, 67, 68, 105, 106, 113 115, 125, 163, 166 173, 212, 243, 244, 265, 266.

Sachs, V 238.

Saedt, III 3, 4, 5.

Said- Pascha, VI 205.

Saint-Simon, I 132, 195; VI 28.

Sallet, Friedr. von, I 239.

Sand, IV 28, 29, 178, 267, 271.

Sandor, VI 173.

Saphir, VI 6.

Savigny, VI 329.

Say, II 122; V 94; VI 93, 107, 269.

Sayn-Wittgenstein, IV 177, 181.

Scaevola, VI 19.

Schaaffhausen, I 293, 303.

Schäffle, V 354.

Schaible, III 253.

Schapper, II Vorwort q; III Vorwort 6;

III 282, 305. Schaum, V 330. Scheidenberg, VI 91, 221. Scheller, II 27; III 23, 24, 25, 31, 35,

36. 53- Schelling, I 87, 241; IV 306; VI 3. 16. Schelhng (Staatsanwalt), IV 32S; V 64;

VI 382, 384, 388.

448

Schemberg, Gräfin, III 306. Scherenberg, IV 248, 392; V 322. Scherer, III 6. Scheuer, II 276. Schiebe, I 49, 50. Schierholz, I 49.

Schiller, F., I 192, 297, 305; II 172, 194, 195, 201, 212; III 183, 197, 235, 238; IV 21 ; VI 14, 22, 23. Schily, III 346; V 209. Schlag, V 310; Schlech, IV 281. Schlegel IV 29, 30. Schlehan, II 219. Schleicher, IV 347. Schleiermacher, IV 30, 31. Schleinitz, II 215; III 230, 239, 278, 363. Schhngmann, V Vorwort 43 ; V 306, 317, 318, 320, 323, 332, 333, in, 346, 347, 352; VI 408. Schlobohm, V 256. Schlönbach, V 68. Schlosser, II 122. Schmidt, Jiüian, III 393; IV 392; V43;

VI 337, 423. Schmidt, K., V 181, 238. Schmitz, V 30, 81. Schnabel, V 341. Schneider, I 355; II 26, 221; III 301,

304. 309. 310; IV 76, 94. Schneider-Schönebeck, V 74. Schnorr, V 47. Schön, Jul., VI 344. Schön, V., I 183.

Schönberg, IV 248, 269, 277, VI Vor- wort VI. Schopenhauer, V 76. Schöpping, IV 86, 100. Schöppler, V 141, 142, 235, in. Schrader, I 161.

Schramm, Conrad, II 22; III 25, 117. Schramm, Rudolf, II 22; III 113, 117;

V 247—250. Schrenck, IV 392, 396; V 365, 366. Schubert, III 25. Schulz, David, I 21, 22, 23, 67 69;

II 137; VI 38. Schulze-Delitzsch, II 290; IV 297, 303, 331, 343, 344; V Vorwort 5, 25, 26, 30, 37, 42; V 10, 41, 62, 82, 86 89, 91, 99, 101 103, 115, 116, 121, 122, 124, 131, 132, 134, 145, 149, 161, 162, 166, 168, 169, 189, 209, 210, 212, 213, 226, 227, 275, 281, 282, 283, 288, 300, 312, 334, 339. 344, 345, 347, 353, 354. 356; VI 265, 269 273, 276, 289, 316, 317. 321—323, 326—328, IZl—iil, 338, 385, 393. 394, 415-

Schulze, Joh., II 266, 267; III 109; IV

227; V 283, 284. Schuster, VI 29 n. Schütz, V 149. Schwarck, III 303. Schwarz (Rechtsanwalt), V 238. Schwarz, III 5.

Schweigert, II Vorwort 26; II 273 bis 275, 278, 286; III 396; IV 300; V Vor- wort 15, 17; V 6 8, 20, 21, 31 33, 44, 68 70. Schweitzer, 16, 13; IV 362 ; V Vorwort 2, 11, 34. 39; V21, 183—185, 187, 194. 195, 217, 218, 235, 240, 241, 255, 256, 262, 264, 265, 281, 297, 298, 328, 336, 350. 357, 359: VI 384, VI Vorwort VI. Schwerin, III 368—370, 383, 385. Seckendorf, von, II 61. SeeUg, VI 158, 161, 164, 178, 190, 191,

225 227. Seguier, VI 1 1 1 . Seligmann, I 268. Semrau, I 25; II 219. Seneca, VI 18. Senfft, III 367. Senior, VI 260. Serjat, VI 191. Sethe, I 339. Shaftesbury, III 160. Shakespeare, II 172, 194, 207; III 182,

183; VI 12. Shelley, VI 49-

Sickingen, II 168, 170, 171, 195, 201, 206, 207; III 149, 173 175, 179, 182, 183, 187 194, 196 205. Siebel. III 180, 181. Siebold, V 259. Siegheim. III 83. Sieyes, IV 170; V 119; VI 109, 126, 127,

129. Simmel, V 251. Simon, H., VI 38. Simon, Richard, VI 117. Simon (von Trier), I 315, 316. Simonetti, V 319, 320. Simons, III 166; IV 232. Smith, A., V 93; VI 104, 107. Sobieski, I 62; VI 196. Sokrates, III 393; VI 3, 16, 17, 31. Sommer, III 307.

Sonnemann, V Vorwort 29 ly, V 178, 202, 206, 207, 217, 225,226, 233 236, 242, 345, 346; VI 265. Sontzo, VI 187, 195, 197. Sontzoff, von, IV Vorwort 5, 18, 31;

IV 275, 279. Sophokles, VI 12, 201. Soulouque, III 160.

449

Soult, III 85. 86.

Speyer, I 249, 251.

Spiegelthal, VI 228.

Spieß, I 159.

Spinoza, III 123.

Städer. V 337.

Stahl (Drucker), IV 8; V 348.

Stahl, Fr. Julius, III 138; VI 287.

Stahr, Ad., II 140 142, 190, 191, 200, 201, 209, 214, 268; III 144, 283; IV 233. 290, 300, 303, 308, 328; V Vor- wort s; V 13, 54, 305, 306; VI 3.

Stahr, Fanny (Lewald), II 201, 209;

III 144, 283; IV 233, 303; V Vorwort 5; V 14, 15, 306; VI 238.

Stechan, III 305, 306.

Stehely, V 322.

Stein (Krefeld), V 333.

Stein (Aktuarius) III 366, 367, 371.

Stein, Dr., II 219, 285; IV 302; V 12, 37.

Stein, Freiherr von, II Vorwort 12; V

Vorwort 5. Stein, Lorenz von, VI 91, 147, 353. Stern, J., V 321. Stern, M. A., I 25, 73. Stetter, IV 290. Stieber, II Vorwort 17; III 98, 140, 246,

300, 301—310, 316. Stirner, VI 55. Stocks, VI 201, 203. Stockum, I 43, 327, 328; II Vorwort 14,

15; II 14; III 9- Stolp, V 173 Stommel, II 185. Stopford, III 86. Storm, V Vorwort 21. Strantz, I 84, 298. Strauß, VI 29 3^. Strauß, A., V 183, 187, 203, 206, 207,

225, 236, 25s, 262, 264, 265, 293, 294,

327, .362. Strauß, D. F., I 247; II 173, 194—196;

IV 275; V 35.

Streckfuß, II 269; III 113; V 120. Streit, II 27s ; IV 298, 305 ; V Vorwort

2, 15—20, 23; V 8, 31—33. 51—53.

68 70, 87, 169, 172, 243; VI 354. Strodttnann, I 4. Struve, von, II 26; III 184; V 234, 243,

244, 294. Stubenrauch, IV 70. Stücker, I 33, 34, 35, 84, 161, 163, 164,

168 189, 209 212, 236; III 256,

262; VI 34, 80. Stupp, II 13, 14. Sue, II 60; III 107; V 184. Suleiman, VI 213. Supf, V 206.

Sußmann, VI 78. Sybel, V 17; VI 91. Szarbinowski, I 3; IV 312, 371. Szemere, III 235, 341, 342.

Tacitus. V 188.

Taddel, IV 297.

Tailiendier, II 261.

Tallien, I 332; IV 23.

Target, VI 133.

Tausenau, II 23.

Techow, III 241, 250, 253, 254. 280.

Temme, II 6, 235.

Templier, VI 104.

Thackeray, III 180.

Thadden-Trieglaff, VI 246.

Theulet, IV 306.

Thiers, 11 23; III 41; IV Vorwort 17;

V 91, 102; VI 125, 141, 144 151. Thile, I 340, 341, 344. Thomas von Aquino, V 344. Thou, VI loi. Thucydides, III 364. Thünen, VI 263, 327, 330, 331, 334 bis

336, 338, 341- Tietz, III 307. TiUy, I 62. Tizian, I 60. TöUer, II 185. Tooke, III 391; IV 306. Trajan, VI 168. Treitschke, V 55; VI 39. Trendelenburg, I 86, 264, 265, 267. Trinkaus, III 62. Turgot, VI 115, 121. Türk, von, I 4.

Türr, II 272; III 385, 3S6; V 208. Twesten, V 41. Tyrr, VI 191. Tzschoppe, III 139.

Uhland, III 234. Uhlendorf, III 267, 281. UhHch, V 347, 356. Ulmer, III 308. Ulpian, VI 301, 313, 319. Unruh, von, II 290; III 37; V Vor- wort 5; V 8, 91, 103, 122. Urquhart, III 84, 310 312, 324; V 19.

Vahlteich, V Vorwort 2, 24 27, 38 bis 41; V 59—62, 139, 154, 194, 197 bis 199, 202, 206, 247, 254, 255, 271 bis 274. 287, 326, 330. 333. 359. 360, 361. 363, 368; VI 375-

Varnhagen von Ense, I 38, 41, 256, 2S2; II Vorwort 24, 25; II 183, 227; III 127, 291, 297. 388; IV 172, 233; V229, 355; VI 410, 421.

450

Vaiiban, VI 104.

Vecchi, IV 300; V 54.

Velise, VI 91.

Venedey, II 209; III 221, 321.

Vera, II Vorwort 22; II 287.

Vergennes, VI 121.

Vergniaud, IV 241; VI 144, I45-

Vico, III 387.

Victor Emanuel, III 140, 141, 322, 339,

345; IV 257, 263. Victoria (Königin von England), III

397. 398.

Victoria (Kronprinzessin), III 139.

Vincent, St., VI 124.

Vincke, III 312; V 41 ; VI 120.

Virchow, III 383; V Vorwort s; V 29.

Vischer, II 141, 206 208.

Vogel, I 23, 64 66.

VögeH, IV 63.

Vogl, II 255, 256.

Vogler, V 239.

Vogt, August, V 320, 336.

Vogt, Carl, II 219, 225; III Vorwort 15 bis 18; III 221, 222, 224, 230, 231, 234, 238, 240, 242 246, 248, 252, 253, 257, 261, 269, 274, 278, 279. 283 bis 285, 287 290, 292, 293, 314 317, 319, 329, 347, 353, 354, 356, 359, 360, 383; V Vorwort 36; VI 421.

Voltaire, I 238; II 301 ; VI 1 17.

Vorländer, VI 353.

Wächter, I 289; II 70; IV 67.

Wackernagel, V 179, 180; VI 351, 353.

Wagener, H., V Vorwort 2, 4, 43, 44; V 324, 329, 332; VI 295.

Wagner, A., VI 297.

Wagner, Rieh., II Vorwort 28; IV Vor- wort 16, 18; IV 392; V 25 27, 42, 45—48, 339, 364-

Waldeck, II 264, 294; III 221, 368; IV 69, 297, 307; V Vorwort 4; V 10, 41, 57, 163, 239.

Walesrode, II 216, 217, 222, 223, 255, 256, 29s, 346; V 30.

Walthr, I 312.

Weber, Wilhelm, V 358.

Weber, Justizrat, III 299, 300, 342.

Wedemeyer, K., V Vorwort 21, 22; V 128— 131, 165.

Weerth, II Vorwort 11; II 26, 55 57, 112; III 18, 23, 30, 36, 38, 84, 103, 117, 146; IV 98, 108, 168.

WeiU, I 283, 303, 357.

Weimann, II 27.

Weimar, Großherzog von, II 209.

Weinhagen, V 205.

Weiß, V 261.

Weitung, I 189, 190, 232; III 254, 281;

V Vorwort 24. WeUmann V 181. Wentzel, II 153, 156, 157. Wermuth, III 306. Wesendonck, III 11, 12. Westphalen, Graf Clem. von, I 43, 44,

310, 311, 319, 320, 324, 338—354; II Vorwort II, 12, 13, 14; II 61 109, 115 122; IV 44, 50, 56, 57, 121, 122, 124.

Westphalen, F. von (PoHzeiminister), II Vorwort 17, 22; II 164, 212; III 35, 141; IV 228.

Wetter, III 31, 36, 38, 60; V 71.

Wex, VI 199.

Weydemeyer, III 51, 280, 286, 292, 293, 295.

Weymann, II 20.

Widmann, V 38.

Wiche, III 317.

Wigand, III 34, 319; V 127, 152, 154, 167; VI 326, 336.

Wilhelm I., I 44; II 164 167, 177, 183, 272, 279; III 82, 132, 133, 166, 167, 219, 312, 322—324, 326, 327, 333; IV 228, 245, 271,299, 307, 351; V Vor- wort 10, 45; V 6, 46, 61, 107; VI 23s, 278, 279.

Wilhelm von Württemberg, IV Vorwort

17- Wille, V 122. Williams. III 230. WilHch, II 26; III Vorwort 2, 6; III 280,

282, 286, 305, 308. Willisen, II 218; IV 227. Willmann, V 348. Willms, 16; IV 351; V Vorwort 2, 41;

V 256, 257, 268, 269, 274, 275, 304, 312—321, 323. 324, 332—336, 338, 340, 341, 346—353. 357—363. 368.

Wimmer, V 30, 81, 82.

Winter, von, III 369; V 40.

Wirth, F., V 342, 345.

Wirth, M., II 260; V 141, 146, 212, 299;

VI 265, 268, 269, 321, 327, 330, 341,

346, 367- Wiß, Dr., in Vorwort 16, 17; III 262,

263, 280, 281; V 160. Wissowa, I 21, 64, 66 69; II 137, 138. Wittenburg, I 25, 70, 71; VI 49. Wittgenstein, Fürst von, IV Vorwort 17. Wolf (Stettin), VI 280, 353, 3^6, 360. Wolf, III 388. Wolff, B., III 297, 298. Wolff, Ferdinand, II Vorwort 6; III 54,

60, 146, 267, 291. Wolff, Wilhelm, II Vorwort 5 11 ; II 10,

451

26, 27, so, 57, HO— 112; III Vor- wort 7, 2o; III 30, 33, 36, 38, 58, 104, 105. III, 129, 132, 234, 244, 253, 264, 274. 280, 283, 290, 291, 330, 331, 390, 393; IV 71, 361; V 186, 320.

Wolffhardt, V 202.

Wuttke, V SS, s6,' iSo, 178—180, 198; VI 284, 32s. 328, 332. 357-

York, V 3S2.

Zabel, II 228 235, 243—248, 293; III 296—298, 341, 349, 351; I\' 324; V 160, 161; VI 235 246.

Zachariae, VI 345, 351.

Zander, I 58, 113.

Zasius, III 372.

Zastra, I 22.

Zeck, VI 229.

Zedlitz, von, II Vorwort 17; II 176 bis 181, 1S2, 183, 212; III 133, 366, 367,

369; rv^ 136, 154, 159, 22S, 229, 237, 238, 352.

Zebmen, von, \' 56.

Zeidler, V 324.

ZeUer, II 146.

Zeno, VI 4, 17, 18.

Zettery, VI 189.

Zichy, IV 259, 275.

Ziegler, Franz, II Vorwort 28; II 253 bis 25s, 288 291, 294 298; IV 289, 291, 29*4, 302, 314, 324, 328, 340;

V Vorwort i, 3 10; V i 5, 8 12, 18, 19, 21, 22, 28 30, -,•/ 59, 63 bis ^V. 7o 75. 90 105, HO, 115—117, iig, 122, 123, 126, 149, 160 163, 174, 175, 187— 1S9, 23S, 239, 242;

VI 399- Zimmermann, III 344, 353. Zio, II 268.

Ziska, III 195. Zitelmaim, V 331. Zitz, III 184. 217. Zuccamaglio, I 310.

GUSTAV MAYER Friedrich Engels

Eine Biographie

Erster Band:

Friedrich Engels in seiner Frühzeit (1820 1851)

Mit einem Bildnis. 1920

Ergänzungsband:

Friedrich Engels Schriften der Frühzeit

Aufsätze, Korrespondenzen, Briefe, Dichtungen aus den Jahren 1538— 1844 nebst einigen Karikaturen und einem unbekannten Jugendbildnis des Verfassers. 1920

(Verlag von Julius Springer in Berlin W 9)

GUSTAV MAYER

Johann Baptist von Schweitzer

und die Sozialdemokratie

Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 1909 (Verlag von Gustav Fischer in Jena)

GUSTAV MAYER

Die Trennung der proletarischen

von der büro:erlichen

Demokratie in Deutschland

(1863— 1870). 1911

(Verlag von C. L. Hirschfeld in Leipzig)

POLITISCHE BÜCHEREI

I. Internationale Politik und allgemeine politische Probleme

n. Innere Politik und besondere politiscbe Probleme

ni. Staatenkunde

IV. Erinnerungen, Lebensbilder,

Briefe und Reden

DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT

STUTTGART BERLIN

Internationale Politik und allgemeine politische Probleme

Bittner, Ministerialrat Prof. Dr. Ludwig / Die Lehre von

den völkerreditlidien Vertragsurkunden. 1923. Xu. 314 S. Gr.- 8^

In Halbleinen gebunden M IC-

Mit Stolz legt man dieses Werk nach eingehendem Studium aus der Hand. Nicht flüchtigen, unselbständigen Studien verdankt dieses Buch seine Entstehung : eine mehr als zwanzigjährige emsigste Forschung, eine peinlichst gewissenhafte Beschäftigung mit einer unabsehbaren Zahl von Staatsverträgen, ein zur objektiven Prüfung geschulter Sinn und eine gute Darstellungsgabe befähigten ihn, das beste deutsche Werk über die Beurkundung der völkerrechtlichen Verträge vorzulegen. Univers.-Prof. Dr. Stier-Somlo in der Kölnischen Zeitung.

Hagen, Dr.Maximilianvon/ Bismardts Kolonialpolitik. 1923.

XXVl und 593 S. Gr.-S». In Hallileinen gebunden M 12.-

Hagens Werk ist nicht nur das gründlichste, das über die Entstehung der deutschen Kolonial- politik im allgemeinen und den Anteil Bismarcks hierin Im besonderen geschrieben worden ist, sondern es gehört gleichzeitig zu den wertvollsten, die überhaupt über Bismarck erschienen sind. Ministerialrat Dr. Jöhlinger in der Kölnischen Zeitung.

Hall er, Prof. Dr. Johannes / Bismardts Friedenssdilüsse. 2. Auflage. 1917. 109 S. Gr.-8». Kartoniert M I.50

Die Friedensschlüsse von 1864, 1866 und 1871, Etappen und Abschluß des deutschen Einigungs- werkes, werden von dem bekannten Tübinger Historiker als Meisterleistungen Bismarckscher Staatskunst, seiner Umsicht, Zielklarheit und Mäßigung gewürdigt und aus der jeweiligen poli- tischen Oesamtlage, wie aus Bismarcks genialer Persönlichkeit heraus analysiert. Heute, da ganz Europa an dem Wahnwitz des .Friedens" von Versailles zugrunde zu gehen droht, hat Hallers Schrift eine besondere aktuelle Bedeutung und rückt das Vorbildliche der Bismarck- schen Friedensschlüsse in ein überraschend helles und Helligkeit verbreitendes Licht.

Linneb ach, K arl / Deutsdiland als Sieger im besetzten Frank-

reidi I87I-I873. Auf Grund der de utsdien Akten dargestellt. 1924. 200S.

Gr.-S ", In Halbleinen gebunden M 4.5O

Ein gründliches, mitvorbildlicher Sachlichkeit geschriebenes Buch.Eswäre zu wünschen, daßrecht viele denkende Leser den Inhalt dieses Buches in sich aufnehmen möchten. Sie werden dadurch ein dokumentarisch treues Bild von den Okkupationsmethoden erhalten, die seit lOOJahren von Fran- zosen und Deutschen angewandt worden sind. Vossitche Zeitung.

Linnebach bietet zum erstenmal eine auf den deutschen Akten beruhende ausführliche Dar- stellung der deutschen Besetzung von Frankreich in den Jahren 1871/73. Sie weist im einzelnen nach, wie maßvoll die vertraglichen Abmachungen über die Besetzung waren und in welch versöhnlichem Qeiste sie von deutscher Seite durchgeführt wurden. Der völlig verichiedene Oelst, in dem die Deutschen von damals und die Franzosen von heute Recht und Venrag handhaben, kann nicht wirksamer beleuchtet werden, als es durch diese Darstellung Linne- bachs geschieht. Schwäbischer Merkur, Stuttgart

Marcks, Geh. llatProf. Dr. Erich/GesdiiditeundGegenwart.

Fünf historisdi-politisdie Reden : England und Frankreidi während der

letzten Jahrhunderte / Napoleon und Alexander I. /Tiefpunkte desdeut-

sdien Sdiidisals in der Neuzeit / Preußen als Gebilde der auswärtigen

Politik /Pfingftpredigt. 1925. 172S.Gr.-8°. In Ganzleinen gebunden .M5.-

Durch das Schicksal des Krieges sind wir Deutschen von drückender Enge umgeben und ab- geschlossen von dem weiten Schauplatz der großen Politik der Mächte. Die historisch-politischen Reden, die der berühmte Historiker hier in einem Sammelbande vereinigt, richten die stets wiederkehrenden Themata der europäischen Politik umkreisend, den Blick in jene verlorenen Weiten und suchen, indem sie Vergangenes zu Oegenw;lrtigem in Beziehung setzen und Gegen- wärtiges an Vergangenem messen, das politische Erleben unserer Tage zu verinnerlichen und zu klären.

i Internationale Politik, und allgemeine politische Probleme

Rothfels, Archivrat Dr. Hans / Bismardts englisdie Bünd- nispolitik. 1923. 144S.Gr.-8°. In Halbleinen gebunden M5.50

DerVerfasser hat mit seiner sorgfältigen kritischen Untersuchung nicht nur die tatsächlichen Vor- gänge wesentlich geklärt, sondern sie auch in die Qesamtentwicklung der großartigen Friedens- politik ßisinarcks mit scharfem politischem Blick eingeordnet. Sein in ein vornehmes, klar kom- poniertes Oewand gekleidetes, außerordentlich fesselndes Buch ist ein brauchbares Mittel zur Vertiefung deutscher Selbstkritik auf dem trotz alles Redens darüber ernsthaft nur selten an- gebauten, dornenvollen Acker der auswärtigen Politik. J. Hashagen i. d. Köln. Zeitung.

Ruedorffer, J.J. /Grundzüge der Weltpolitik in derGegenwart. S.u.Q-Tausend. 1920. XVIII u. 323 S. Gr. -8». In Halbleinen gebunden M8.-

Kin Buch, das unter unseren politischen Gegen wartsschriften in die allererste Reihe gehört und daher eindringlich zum Studium empfohlen werden muß. Dr. Paul Robrbacb.

Sauerbeck, Dr. Ernst / Der Kriegsausbrud».

Eine Darstellung von neutraler Seite an Hand des Aktenmaterials. 2. Auf- lage. 1919. XVI und 742 S. 0^-8". In Halbleinen gebunden M 8.-

Das umfangreiche Werk darf bei allen, denen um die geschichtliche Wahrheit zu tun ist, der größten Beachtung gewiß sein. Möchte es bei uns wie im Auslande die Beachtung und das Gehör finden, die ihm gebühren. Prof. Dr. Paul Herre im Leipziger Tageblatt.

Schulte, Geh. Rat Prof. Dr. Aloys / Frankreidi und das hnke Rheinufer. 2., durdigesehene Auflage. 192t. 364 S. Gr.-8«. Mit 4 karten. In Hedbleinen gebunden M 7.50 Ein Werk strenger Geschichtswissenschaft, aber zugleich ein derGegenwart zugewendetes poli- tisches Buch, zu dem Zwecke geschrieben, die vermeintlichen „Anrechte* Frankreichs auf das linke Rheinufer einer iiritischen Prüfung zu unterwerfen.

Prof. Dr. Q. Küntzel in der Zeitschrift für Völkerrecht.

Sosnosky, Theodor von / Die Balkanpolitik Österreidi- Ungams seit I866. l.Band. 1913. 302S.Gr.-8°. 2. Band. 1914. 405S. Gr.-8«. Geheftet M lO.-

Fflr die Beurteilung der Geschichte der Balkanllnder wird sicherlich dieses Werk dauernd ein Kernstück bleiben. Deutsche Tageszeitung.

Stegemann, Prof. Dr. Hermann / Gesdiidite des Krieges. Vier Bände. Erster Band. 175--t77- Tausend. I923. XVI und 444S.Gr.-80. Mit 5 farbigen Kriegskarten. Gebunden M 9.-, in Halbleinen geb. M IG.-, in Ganzleinen geb.M I0.50 Zweiter Band. 159.-l6t.Tausend. 1923. Xll und 503 S. Gr.- 80. Mit 4 feu-bigen Kriegskarten. Gebunden M 9.-, in Halb- leinen geb. Mio.-, in Ganzleinen geb. M IO.50. Dritter Band. 91.Tausend 1923. XIlu.544S.Gr.-8°. Mit 4 farbigen und 2 Nebenkarten. Gebunden M 9.50, in Halbleinen geb. M IO.50, in Ganzleinen geb. M II.-. Vierter Band. 59.-61. Tausend. 1923. XI und 708 S. Gr.-8''. Mit 4 farbigen Karten. Geb. M 10.-, in Halbleinen geb. M 11.-, in Ganzleinen geb.M 1 1 .50. Band I-FV in Halbleder gebunden M 60.-

Schon das Studium der ersten Seiten dieses wahrhaft herrlichen Werkes wird jeden davon über- zeuofen, daß Stegemann, nicht äußeren, sondern inneren Antrieben folgend, tatsächlich eine Geschichte des Krieges geschaffen hat, die inhaltlich und formell des Verfassers ebenso würdig

zeuofen, daß Stegemann, nicht äußeren, sondern inneren Antrieben folgend, tatsächlich eine

Krieges ge _

ist wie des gewaltigen Stoffes ... Die Sprache Ist wundervoll einfach und dabei doch so farbig

und episch wuchtig, daß sie manchmal an Stegemanns großen Landsmann Conrad Ferdinand Meyer erinnern mag . . . Durch seme maßvolle Kritik wird Stegemanns Buch mehr als eine wissenschaftliche, es wird zur sittlichen Leistung. München-Augsburger Abendzeitung.

Stegemann, Prof. Dr. Hermann /Der Kampf um den Rhein. Das Stromgebiet des Rheins im Rahmen der großen Politik und im Wandel der Kriegsgesdiidite. 40.raus. 1924. X u. 668 S. Gr.-S". In Gzhi. geb. M 14.-, in Halbleder M 22-

Oewaltig und packend In der Sprache, mit voller Beherrschung des historischen Materials politisch weilblickend, und das Generelle, die großen beherrschenden Ideen der Zeiten erfassend, vor allem aber die geographischen Linien als Grundlage historischen Geschehens mit wirklicher Meisterschaft zeichnend, so legt er uns sein Werk vor, das dem Fachmann viel neue Gesichts- punkte bietet, dem Laien aber eine Verknüpfung der Geschehnisse bringt, wie er sie bis dahin in dieser Klarheit noch nicht gesehen hat. Deutsche Literaturzeitung.

Trubetzkoi, Fürst Grigorii Nikolajewitsch / Rußland als Großmadlt. übersetzt und eingeleitet von Josef Melnik. 2. Auflage. 1918. Xil und 193 S.8°. In Halbleinen gebunden M7.-

Trubetzkois Buch kommt eine besondere Bedeutung zu. Ein Diplomat in hervorragender Stellung, der sich sachlich u. zwanglos über die großen Fragen der äußeren Politik seines Staates ausspricht, hat es 1910 geschrieben, und so ist es vorzüglich geeignet, in das Verständnis russisch-diplomati- schen Gedankengangs einzuführen. Jahresberichte der Geschichtswissenschaft. Das Buch des Fürsten gibt einen ausgezeichneten Überblick über die Geschichte der russischen auswärtigen Politik der letzten Jahre. Vossische Zeitung.

Uebersberger, Prof. Dr. Hans / Rußlands Orientpolitik in den letzten zwei J2ihrhunderten. 1. Band. 1913. X und 380 S. Gr.-8°. Gebunden M IC-

Dieses bedeutende Buch hat durch die weltgeschichtlichen Ereignisse eine Bedeutung gewonnen, die es weit über den Bereich der Geschichtswissenschaft erhebt. Es muß nicht nur als die voll- endetste Darstellung der russischen Balkanpolitik, sondern als eines der besten Oeschichiswerke der Gegenwart genannt werden. Historische Vierteljahrsschrift.

Das vorliegende Werk erscheint berufen, eine schwer empfundene Lücke auszufüllen. Vor allem, weil russische und andere fremdsprachliche Quellen hier in einem Maße benutzt sind, wie sonst wohl kaum irgendwo. Deutscher Wille.

Wellberg, Dr. Hans / Die internationale Besdaränkung der Rüstungen. 1919. 463S. Gr,-8°. In Halbleinen gebunden M 9.-

Dle Fülle des Materials ist erstaunlich und verrät lange und eingehende Studien. In der Völker- rechtswissenschaft wird dieses Werk Wehbergs fortleben. Die Umschau. Eine mit außerordentlichem Fleiß und peinlichster Gewissenhaftigkeit in zehnjähriger Arbeit zu- sammengetragene Sammlung des außerordentlich umfangreichen Materials an Reden und Schrif- ten, Broschüren und Büchern privaten, politischen und staatlichen Charakters, von dem Ver- lauf und den Ergebnissen der Konferenzen usw., die der umfassenden Kenntnis des Verfassers und seiner Beherrschung der Materie ein glänzendes Zeugnis ausstellt.

Gen.-Lt.von Schwarte im MllitSr- Wochenblatt.

Windelband, Prof. Dr. Wolfgang / Die auswärtige Politik derGroßmädite in der Neuzeit (I494-I9I9)' Durdigeseh.2,Aufl. 1925. 422 S. Gr.-8°. In Halbleinen gebunden M 9.- Hier liegt eines der besten und nutzbringendsten historischen und politischen Bücher vor, das seit geraumer Zeit zu unserer Kenntnis gelangt Ist. Der Verfasser schildert die Entwicklung des europäischen Staatensystems von dem Werden der Nationalstaaten an mit einem Blick für das Wesentliche der großen Linie und einem politischen Sinn, die beide, zumal in Deutsch- land, selten geworden sind. Es ist beste Rankesche Tradition. Die Deutsche Nation. Mit größter Energie sind die entscheidenden Zusammenhänge und Entwicklungsreihen aus der Fülle des Stoffes herausgehoben; darin übertrifft Windelband alle anderen mir bekannten Dar- stellungen. Gerhard Ritter in der Frankfurter Zeitung. Werke wie das Windelbandsche mit seiner Gediegenheit und seinem hinreißenden Vortrag sind nationale Taten und können gar nicht genug Verbreitung im deutschen Volk und namentlich bei seiner Jugend finden. Hamburger Nachrichten. Von allen zusammenfassenden Übersichten der neueren Geschichte die gedanklich reichste und tiefste. Preußische Jahrbücher.

Innere Politik und besondere politische Probleme

Brandt, Prof. Dr. Otto /Geistesleben und Politik in Sdileswig-

Holstein um die Wende des l8. Jahrhunderts. 1925. XVI u. 448 S.

Gr.-8 °, 12 Tafeln. In Halbleinen gebunden M 13.-

Durch den Verlust Nord-Schleswigs in Versailles ist das deutsch-dänische Grenzgebiet mit seinen nationalen Gegensätzen wieder mit dem politischen Geschehen unserer Gegenwart verknüpft worden. Brandts Buch greift zurück auf die ersten Anfänge eines aus kulturellen, sozialen und politischen Quellen sich nährenden Nationalgefühls in der zum dänischen Gesamtstaat gehören- den deutschen Nordmark, das sich gegen den Danisierungswillen der dänischen Krone richtete. In plastischer Zeichnung weist es die enge Verflochtenheit geistigen und politischen Lebens auf. Unter sicherer Auswertung eines reichen .Materials erschließt es Neuland und entrollt ein lebendiges, farbiges Bild aus der Epoche der Jahrhundertwende.

Eucken, Dr.Walter / Die StidvstofF\ ersorgung der Welt. 1921. 186 S. Gr.-S". In Halbleinen gebunden Mj.-

Die erste zusammenfassende Darstellung des gesamten großen Komplexes von Tatsachen und Fragen, die wir kurz als das Stickstoffproblem bezeichnen. Man wird mit Freuden die Gelegen- heit ergreifen, an der Hand eines zuverlässigen Führers das ganze Gebiet zu durchwandern und sich mit allen wichtigen Einzelheiten vertraut zu machen. Natur und Technik, Zürich.

Frantz, Constantin / Deutsdiland und der Föderalismus. Mit einer Einleitung „Constantin IVantz und die Gegenwart" von Dr. Eugen Stamm. 1921. XXVI und 21 6 S. Gr.-8». In Halbleinen gebunden M 6.50

Niemand wird bereuen, dieses Buch in die Hand genommen zu haben; auch wenn man sich den Ansichten von Frantz nicht anzuschließen vermag, wird man nicht verkennen, daß ein Mann von Geist.der sich in keine Schablone einfügt, aus dem Buche redet. Frankfurter Zeitung. Wer heutzutage Wert auf Schulung seines politischen Denkens legt, darf Frantz nicht bei- seite liegen lassen. Literarischer Handweiser.

Hasbach, Prof. Dr. Wilhelm / Die parlamentarische Kabi- nettsregierung. Eine politisdie Besdireibung. 1919. XVI u. 314S. Gr.-8°. In Halbleinen gebunden M8.50

Eine Arbeit, gestützt auf bewunderungswürdige Kenntnis der Quellen und Literatur auch des Auslands, getragen v. reifstem politischen Verständnis u. Urteil. Vergangenheitu. Gegenwart. Ein im höchsten Sinn lehrreiches Werk, von dem man nur wünschen möchte, daß keiner es ungelesen ließe, der als politischer Führer des Volkes Geschicke zu lenken beansprucht. Schwab. Merkur.

Herrfahrdt, Dr. Heinrich/ Das Problem der berufsstän- disdien Vertretung von der französisdien Revolution bis zur Gegenwart. 1921. 193 S. Gr.-8''. In Halbleinen gebunden M 6.50

Eine fühlbare Lücke unserer staatspolitischen Literatur war es bisher, daß eine Schrift fehlte, die alle die Fragen berufsständischer Entwicklung, die uns heute so vielfältig bewegen, ge- ordnet und geprüft hätte. Herrfahrdt hat sich dieser Arbeit unterzogen und wie vorweg bemerkt werden darf: in dankenswert klarer und übersichtlicher Form, so daß sein Werk, wenn es auch rein wissenschaftlich-theoretisch ist, für jeden Politiker einen großen praktischen Wert als Hand- und Nachschlagebuch besitzt. Die Grenzboten.

Massow, Wilhelm von / Die deutsdie innere Politik unter Kaiser Wilhelm ü. 1913. K u.342 S. Gr.- 8°. In Halbleinen geb. M S.-

Auch wer politisch weiter rechts oder weiter links steht, wird Massow das Lob zolien dürfen, daß sein Buch nur selten den Parteimann verrät, sondern den erfahrenen Publizisten zeigt, der nach der historischen Wahrheit der jüngsten Vergangenheit wenigstens sucht, wenn er sie vielleicht auch nicht immer zu finden weiß. Kölnische Volkszeltung.

M o m m s e n , D r. W i 1 h e 1 m / Bismardis Sturz und die Parteien.

1923. 206 S. Gr.-8°. In Halbleinen gebunden M6.-

Mommsens Werk stützt sich in der Hauptsache auf die Auslassungen der zeitgenössischen Presse. Mit großem rieiße und dem offensichtlichen Bestreben, unparteiisch die Stimmen aus den Partei- lagern zu sammein, hat Mommsen versucht, aus dsn Presseäußerungen die damalige Haltung der Parteien zurückzukonstruieren. Die Bedeutung der Presse als Geschichtsquelle tritt hier deutlich in die Erscheinung. Germania.

Innere Politik und besondere politische Probleme

Puttkamer, Alberta von / Die Ära Manteuffel.

Federzeichnungen aus EIsaß-Lotliringen. Unter .\titwirkung von Staats- sekretär a- D. Max von Puttkamer. 1 904. 1 85 S. Gr.- 8°. In H'leinen geb. M 5.-

Ohne jede Voreingenommenheit, unparteiisch und gerecht, wird Manteuffel hier in seiner eigen- tümlichen Persönlichkeit sowie mit den oft verkannten Motiven seiner Handlungsweise dargestellt. Eine Fülle von interessanten Details, ein reiches aktenmä6iges Material steckt in diesem Buche, welches als einer der solidesten Grundsteine zur Geschichte Elsaß-Lothringens gelten kann.

Berliner Lokal- A nze iger.

Scbüßler, Prof. Dr. Wilhelm / Das Verfassungsproblem im Habsburgerreidi. 1918. 238 S. Gr.- 8". In Halbleinen gebunden M 5.-

Der Inhalt des Buches ist geschichtliche Vergangenheit. Damit ist natürlich nicht gesagt, dafi sein Inhalt veraltet sei, im Gegenteil, von einem Reichsdeutschen geschrieben und mit kennt- nisreicher Gestaltung des spröden Stoffes eine treffliche wissenschaftliche Leistung darstellend, vermittelt es einen tiefen Einblick in die Geschichte des Staatsrechts der gewesenen Monarchie der Habsburger. Jedem Politiker und Geschichtsfreund sei das Buch angelegentlich empfohlen.

Hamburger Nachrichten.

Weber, Prof. Dr. Alfred / Die Krise des modernen Staats- gedankens in Europa. 172 S. Gr. -8'. In Ganzleinen gebunden M6.-

Im Zeitalter Lenins und ^'\ussolinis ist die Krise des Staatsgedankens gemeineuropSitches Schick- sal. Ihre Ursache findet Weber, der seine Untersucliungen auf eine tiefblickend« Analyse des modern-europäischen Staatsdenkens gründet. In der Übersteigerung des individualistischen Prin- zips der Lebensformung, wie sie sich in dem Eindringen imperialistisch-ökonomitcher Kräfte in die Sphäre des Staaies kund tut. Er sieht den Ausweg in der Befestigung der in den modernen Massenstaaten notwendig unegalitären Demokratie, als allein fähig, die Position des Staates alt eines ideellen Faktors über den Interessengruppen zu erhalten und zurückzuerobern und darüber- hinaus die Grundlage zu bilden für eine neue föderative Einheit Europas.

Staatenkunde

Danilewskv, N. J. / Rußland und Europa. Eine Untersudiung über die kulturellen und politisdien Beziehungen der slawisdien zur germanisdi- romanisdien Welt, übersetzt und eingeleitet von Dr. Karl Nötzel. 1920. 329 S. Gr.-S". In Halbleinen gebunden M 8.-

Die russische Denkart ist wohl selten so klar geschildert worden. Das Buch lehrt uns die tU- slawische Bewegung begreifen und auch den Kern des Bolschewismus erkennen.

Leipziger Neueste Nachrichten. Das Buch Danilewskys ist das grundlegende Werk des Panslawismus, dessen Bibel es genannt worden Ist und In den es aufschlußreiche Einblicke gewährt. N. Prß. (Kreuz-)Zei t ung.

Dibelius,Prof.Dr. VVi I h e I m / England. Zwei Bände. ö.Taus. 1 924. 1. Bd. XV u. 422 S. i Bd. \1 u. 276 S. Gr.- 8°. In Halbleinen gebunden .M 20.-

Der beste und erschöpfendste Versuch, der bisher gemacht wurde, um deutschen Lesern die eng- lische Volksseele zu deuten, wie sie ist und geworden ist und wie sie in allen den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Einrichtungen des Landes zum Ausdruck kommt. Köln. Zeitung. Eine zweibändige Geschichte Englands, die ihresgleichen in deutscher Sprache noch nicht hat. Das Buch dürfte in keiner politischen und historischen Bibliothek fehlen. Germania.

Es wäre gut, wenn unsere Politiker in Ihren Mußestunden nach einem solchen Buche greifen würden, das neben die vergänglichen Tageserscheinungen dauernde Charakterzüge des englischen Wesens und Lebens in seinen verschiedenen Ausstrahlungen stellt. Vossische Zeitung. Ein Standardwerk. Wer in Zukunft sich über die Methoden der englischen Politik unterrichten oder die Praxis der englischen Politik in ihren inneren Zusammenhängen zu verstehen suchen will, wird auf dies Werk von Dibelius zurückgreifen müssen. Ein Meisterwerk psychologischen Erfassens des fremden, des englischen Volkes, ein Vorbild klarer und lebenswahrer Darstellung und eine Glanzleistung politisch-historischer Urteilsbildung. Stuttgarter Neues Tagblatt.

Guttmann, Dr. Bernhard /England im Zeitalter derbürger- lidien Reform. 1923. 566 S. Gr.-8». In Halbleinen gebunden M 13.-

Das Buch erscheint schlechthin als eine Glanzleistung politischer Oeschichtschreibung das Zusammenwirken von Ideen, Interessen, Individualitäten, aus dem die Geschichte ihre Farben und ihre Bewegungen erfährt, ist mit einer ganz undoktrinären, in der Gliederung scheinbar lockeren, in dem Eindruck überwältigenden Darstellung gezeichnet. Ein Volkstum und Staatstum werden in der greifbarsten Sinnlichkeit lebendig. Dr. Th. Heuß In der Hilfe.

Staatenkunde

Hajek, Dr. Alois / Bulgarien unter der Türkenherrsdiafi

(In V'orbereitung)

Nach dem Zusammenbruch vor der türkischen Macht hat das alte Bulgarenreich, das vom siebenten bis vierzehnten Jahrhundert die führende Rolle auf dem Balkan gespielt hatte, erst im neunzehnten Jahrhundert nach jahrhundertelangem Leiden «eine politische Selbständigkeit wiedergewinnen können. Hajeks Buch zeigt, wie trotz der politischen und wirtschaftlichen Knechtung durch die Türken, trotz kultureller und religiöser Bedrückung durch das Griechentum in dem bulgarischen Bauernvolk der selbstindige Sinn wach blieb, bis nach vielen vergeblichen Versuchen die poli- tischen Verhältnisse Europas die Befreiung zuließen.

Hedenström, Dr. Alfred von / Gesdiidate Rußlands von I878 bis I918. 1922. 348 S. Gr.- 8». In Halbleinen gebunden M8.50

Das Buch des Rigaer Historikers zeichnet sich vor vielen anderen geschichtlichen Werken da- durch aus, daß es von der ersten bis zur letzten Zeile erlebt ist. Man wird das heutige Rußland nicht verstehen, wenn man nicht seine jüngste Vergangenheit kennt, und dazu wüßten wir kein besseres Hilfsmittel als dieses Buch. L. Bergsträßer im Literarischen Zentralblatt.

Hofmann,Albertvon/ Das deutsdie Land und die deutsdie Gesdlidlte. 9. Tausend. I922. 6038.0^-8» mit 54 Kartenskizzen. In Halbleinen gebunden Mll.-

Das Buch bietet eine originelle Verknüpfung von geographisch-landschaftlicher und geschicht- licher Betrachtung, wie wir sie bisher noch nicht besessen haben. Gerade für den Deutschen von heute, dem außer seinem Heimatboden und seiner Vergangenheit nicht viel geblieben ist, wird ein Buch, das ihm in dieser Welt das Teuerste heimisch machen kann, nicht vergebens ge- schrieben sein. Geh. Rat Prof. Dr. Hermann Oncken. Ein Zauberschlüssel: erschließt die Erkenntnis geschichtlicher Zusammenhänge und Notwendig- keiten, wo man früher Spiele des Zufalls erblickte. . . . Wirft ganz neue Lichter auf Orte, Land- schaften, Flüsse und Gebirge, verleiht geschichtlichen Ereignissen ein neues Antlitz.

Hofmann, Albert von/ Politisdie Gesdiidite der Deutsdien. Vier Bände. 1. Bd. 1922. 6. Taus. 444 S. Gr.- 8". In Halbleinen geb. M lO.-

2. Band. S.Taus. 1922. 723 S. Gr.- 8°. In Halbleinen gebunden M12.-

3. Band 1923. 735 S. Gr.- 8°. In Halbleinen gebunden M 12.-

4. Band 1925. 717 S. Gr.-8°. In Halbleinen gebunden M 12.- Ganzleinenausgabe Band I-4 M 54.-.

Hier ist lebendige Geschichte im besten und stärksten Sinne des Wortes. Die Art, in der die

froße Aufgabe gelöst wird, entspricht der unabweisbaren Forderung, unsere Geschichte vom tandpunkt des nationalen, politisch eingestellten Deutschen zu sehen und die Beziehungen zwischen uns und unserer Vergangenheit herzustellen. Deutsche Rundschau.

An Hofmanns neuem Werke überrascht vor allem die meisterhafte Verbindung des Geschehens mit dem Geschehenen, deutlicher gesagt, der Geschichte mit der Geographie. Ist auch die Er- kenntnis solch einer Wechselwirkung nicht gerade neu, so hat doch meines Wissens noch kein Historiker die Geschichte und das Gelände so kühn, zugleich so vorsichtig verknüpft, ohn? deshalb das irrationale Element, den Menschen, den großen Mann zumal, zu übersehen, zu unter- schätzen. Im Gegenteil überwältigt gerade bei Hofmann der Reichtum an Helden, an tragischen Helden natürlich, sonst wären sie Deutsche nicht gewesen. Münchner Neueste Nachr.

Einzigartig ist Hofmanns Kunst und Verdienst, in der Vergangenheit Gegenwartsbeziehungen aufzudecken und die Gegenwart heranreifen zu lassen. Wer nach geschichtlicher Erkenntnis ringt, hat hier das Werk in der Hand, das über Treitschke und Lamprecht hinausführt.

Dr. Hanns Martin Elster im Hannoverschen Kurier.

Hofmann, Albert von / Das Land Italien u. seine Gesdiicbte. Eine historisdi-topograplnsdie Darstellung. 192t. 558 S. Gr.- 8°. Mit 14 Kartenskizzen. In Halbleinen gebunden M 9.50

Ein Buch, wie wir es auf so mancher Reise nach dem Süden besonders entbehrt haben. Alle Phasen der Entwicklung, von den ersten Anfängen bis zur Einigung unter der Herrschaft Roms, und dann wieder vom Zusammenbruch des römischen Reiches bis zur Neuzeit, werden uns an der Hand der Geographie verständlich. ... Die Werke des Verfassers scheinen so recht dazu an- getan, der Weltgeschichtsforschung neue Bahnen zu weisen, wodurch sie ganz naturgemäß zu einer Reihe von den herkömmlichen völlig abweichenden Ergebnissen und Erkenntnissen kommen wird. Generalleutnant a.D.W.Balck in der Täglichen Rundschau.

Staatenkunde

Kimpen, Dr. Emil / Die Ausbreitungspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika. 1923. VIII U.97S. Gr.-S". InH'leinen geb.Mlt-

Es trifft sich gut, daß in diesen Tagen ein Buch ober die Ausdehnung der Vereinigten Staaten erscheint, das uns, historisch geordnet, den Tatsachenstoff h'efert: sehr lehrreich, nirgends über- treibend — und vielleicht gerade wegen dieser Sachlichkeit besonders wertvoll. Es ist ein großes Verdienst um die geopolitische Erziehung des deutschen Volkes, Ihm gerade in diesem Augenblick eine Entwicklungsgeschichte einer wirklich .imperialistischen" Lebensform in die Hand zu geben, die sich kühlen Blutes den größtmöglichen Erdraum sichert gegen Schwache und Starke, mit weitem Blick, zur rechten Zeit. Dieser Art ist der Entwicklungsgang der Ver- einigten Staaten, wie ihn Kimpen in seinem großen Werk zeichnet, großenteils auf Grund amerikanischer Quellen, auf Grund von Selbstzeugnissen, die In Deutschland wenig bekannt sind. Daß die amerikanische Macht dem Entente-Ränkespiel so vorgespannt werden konnte, wie es geschah, das war das Verdienst einer schlangenklugen Vorkriegspolitik bei den andern, die Schuld beklagenswerter Unkenntnis der amerikanischen Zustände bei uns. Und dieser Unkenntnis fremder Volksseelenzustände will Kimpen abhelfen.

Generalmajor a. D. Prof. Dr. K. Haushofe r.

Kliutschewskij, W. O. / Gesdiidite Rußlands, Herausgegeben von Prof. Dr. F. Braun und R. von Walter. 1. Bd. XXIV und 382 S. Gr.-S" mit einer Karte. In Ganzl. geb. M 12.-. (Band 2-4 ersdieinen im Laufe ds. Js.)

Kliutschewskijs Stellung in der russischen Oeschichtschreibung entspricht der Rankes oder Treitschkes in der deutschen. Sein monumentales, aus langjähriger Lehrtätigkeit an der Moskauer Universität erwachsenes Werk über die Geschichte RußUnds, dessen erster, bis zum dreizenhten Jahrhundert reichender Band jetzt dem deutschen Leser zugänglich gemacht wird, ist die reifste Frucht seines Schaffens: einheitlich in derGesamtanschauung, umfassend und erschöpfend in der Beherrschung des Stoffes, straff in der Durchführung, von unbedingter wissenschaftlicher Autorität und von künstlerischer Darstellungsgabe.

Nötzel,Dr. Karl/ Die soziale Bewegung in Rußland.

Ein Einführungsversudi auf Grund der russisdienGescUsdiaflslehre. 1923.

556 S. Gr.- 8°. In Halbleinen gebunden M IC-

Diese Arbeit gehört unstreitig zum Besten und Tiefsten, was bisher von westeuropäischer Seite über Rußland, über die russische Seele, Geschichte, Religion und Philosophie, über die russische soziale Revolution und ihre derzeitigen Auswirkungen im Bolschewismus gesagt und geschrieben wurde. Ein neues Zeugnis deutscher wissenschaftlicher Arbeit, deutscher Fähigkeit, sich in die tiefsten Probleme anderer Völker einzuleben, sie zu deuten und zu erklären. Nötzel, der beste und vor allem tiefste Kenner russischen Seins und WoUens, gibt in einem einheitlichen, in sich restlos erklärten Gesamtüberblick die erste grundlegende Darstellung der russischen Philo- sophie, Gesellschaftslehre und Moral, also der Grundeinstellung für die äußeren Handlungen und Taten. Gaceta de Munich, München.

Roepke, Dr. Fritz/ Von Gambetta bis Clemenceau.

Fünfzig Jalire französisdier Politik und Gesdiidite. 1922. IX u. 129 S.Gr.-8". In Halbleinen gebunden M 7.50

Die vorliegende Darstellung der inneren und äußeren geistig-politischen Entwicklung Frankreichs, so kritisch sie auch besonders in den letzten Abschnitten gehalten ist, ergeht sich doch keines- wegs in einer einseitigen, feindseligen Richtung. Gerade darum vermag sie auch nicht nur rein geschichtlich über die Geschehnisse und Bestrebungen in dem Frankreich des letzten halben Jahrhunderts zu belehren, sondern auch das politische Urteil des deutschen Lesers über die heutigen Bestrebungen und Auseinandersetzungen aufzuklären und zu leiten. Köln. Zeitung.

Schönemann, Friedrich / Die Kunst der Massenbeeinflus- sung in den Vereinigten Staaten von .\merika. 2i2SeitenGr.-8''. In Halbleinen gebunden M 6.50.

Es gibt In keiner anderen Sprache ein Werk, das über den Mechanismus zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung so gründlich und umfassend unterrichtet, so klug geschrieben wäre wie dieser Beitrag aus der Feder Professor Schönemanns, den jeder Amerikaner unbedingt kennen- lernen sollte. Eine wahre Schatzkammer an Belehrungen und Angaben, die ohne den Fleiß dieses Forschers für immer vedoren gewesen wären. The German American World.

Diese Schrift verdient, von allen gebildeten Deutschen aufmerksam gelesen zu werden, weil sie dazu geschaffen ist, uns über die Psyche des amerikanischen Volkes aufzuklären und so eine auf jahrelange Studien und Erfahrungen gegründete Erkenntnis zu vermitteln, die unserem Volke wahriich not tut! Die Lite ra tur, Berlin.

Staatenkunde

Stählin, Prof.Dr.Karl /Gesdiidite Rußlands von den Anfängen

bis zur Gegenwart. Zwei Bände.!. Bd.: Bis zurGeburt Peters des Großen.

1922. 438 S. Gr.-8". In Halbleinen gebunden M 9.- 2. Band in Vorbereitung.

Der Verfasser hat nicht nur die reichhaltige russische und westeuropäische Literatur zur Ge- schichte des alten Rußlands gründlich studiert, sondern er ist auch zu den Quellen herab- gestiegen, um die Vergangenheit unmittelbar auf sich wirken zu lassen.

Dr. Alfred Hedenström in der Rigaischen Rundschau.

Eine großzügige Darstellung der Geschichte Rußlands. Was Stählin beabsichtigt, ein Gesamt- bild zu geben, in dem sich die rein politische Entwicklung eng mit den wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen verwebt, ist ihm vorzüglich gelungen. Seine Darstellung verliert sich nie in eine gelehrte Mosaikarbeit. Von Einzelheiten bringt er nur das Wichtige und Charakteri- stische, an dem die inneren Kräfte und die Hauptpunkte der Entwicklung sichtbar werden.

Frankfurter Zeitung.

Szekfü, Dr. .J. / Der Staat Ungarn. Eine Gesdiiditsstudie. 1918. 224 S. 8°. In Halbleinen gebunden M6.-

Das Buch ist überaus anregend geschrieben, vermittelt reiche Kenntnisse und bildet einen wertvollen Beitrag mitteleuropäischer Staats- und Verfassungsgeschichte. Hamb. Nachricht. Für den, der sich über mitteleuropäische Fragen ein Urteil bilden will, dürfte das Buch un- entbehrlich sein. Das größere Deutschland.

Erinnerungen, Lebensbilder, Briefe und Reden

BethmannHollwegs Kriegsreden. Herausgegeben von Dr. Friedridi Thimme, Direktor der Bibliothek des preußisdien Landtages 1919. XU und 274 S. In Halbleinen gebunden M 7.-

Die Kriegsreden des ersten deutschen Kriegskanzlers werden für alle Zeit höchst wertvolle Aktenstücke bilden, die jedermann gründlich wird durchstudieren müssen, der sich eingehen- der mit der Geschichte des Weltkrieges befassen will. Eine prachtvoll geschriebene Einleitung Fr. Thimmes ist den Reden vorangestellt, die man mit Genuß liest und die jedenfalls zu ernstem Nachdenken anregt. DeutscheVolkszeitung, Hannover.

Mit Recht können Bethmann Hollwegs Kriegsreden ein Quellenwerk zur Geschichte des Welt- krieges genannt werden. Konservative Monatsschrift.

B i s m a r c k , Erinnerungen an. In Verbindung mit Staatsminister a. D. A. V. Brauer gesammelt von Geh. Rat Prof. Dr. Erich Mardcs und Ober- regierungsrat Prof. Dr. Karl Alexander v. Müller. Mit einem Bildnis Bis- meircks nadi Franz v. Lenbach u. dem Faksimile eines Briefes. 6. Aufl. 1924. XIII u. 421 S. Gr.- 8°. In H'leinen geb. M lO.-, in H'leder geb. M 13.-

Eine Fundgrube wertvollen Materials, eine immer wieder mit Freude und Bewunderung ge- nossene Lektüre. Hannoverscher Kurier. Ein Werk, das in vielseitiger Färbung der einzelnen Beiträge Politik und Person des Kanzlers in derjenig-en Einheit widerspiegelt, die bei dem Lebenden zu finden war und einen Teil seiner Größe bedingte. Man kann in diesem Buche nicht nur eine hervorragende Ergänzung zur Ge- schichte Bismarcks erblicken, sondern es wird zweifellos vielen auch zur Anregung werden, sich in die Wege dieses wunderbaren Lebens nun erst tiefer zu versenken. Dresdner Anzeiger.

Brandt, Dr. Otto/ August Wilhelm Sdilegel. Der Romantiker und

die Politik. 1919. VTH und 258 S. In Halbleinen gebunden M6.-

Die gründliche, flott geschriebene Arbeit von Otto Brandt zeigt uns, wie Schlegel den Weg vom blassen Weltbürgertum über den Gedanken der Kulturnation und den deutschen Universalismus zur Anerkennung des Nationalstaates früher und zielbewußter als andere führende Zeitgenossen gefunden, wie er vor allem sehr bald festen Anschluß an den preußischen Staatsgedanken ge- sucht und seine Träume von einer Herstellung des mittelalterlichen Reiches zurückgedrängt hat.

Preußische Jahrbücher.

Frey tag, Gustav / Briefe an Albredit von Stosdi.

Herausgegeben von Prof. Dr. Hans F. Helmolt 1913. XI u. 338 S. Geh. M 6.50

Die Denkwürdigkeiten von Stosch enden mit dem Jahre 1872; hier haben wir die Ergänzung und Erläuterung dazu. Sowohl nach der historisch-politischen wie nach der literarisch-künstlerischen und der häuslich-privaten Seite hin. Westermanns Monatshefte.

Geizer, Pro f. Dr. Matthias/ Cäsar. Der Politiker und Staatsmann.

1921. 234 S. Gr.- 8°. In Halbleinen gebunden M 7.-

Ich kann nur wünschen, daß dieses ausgezeichnete Werk recht vielen politische Anregung und politisches Verständnis vermittelt. Cäsars Genie hat die großen politischen Notwendigkeiten der Zeit richtig erkannt und ihnen für die Zukunft die Bahnen gewiesen gegenüber dem Überlebten der feindlichen Tendenzen. Das ist die große Lehre des Gelzerschen Buches gegen den poli- tischen Doktrinarismus, wie er in Deutschland so stark beheimaiet ist.

Dr. Hans Siegfried Weber im Tag.

Giolitti, Giovanni/ Denkwürdigkeiten meines Lebens. Mit

einem Charakterbild des Mensdien und Staatsmannes von Olindo Mala-

godi, Senator des Königreidis Italien. Übersetzt von C. Ludwig Stein. 1923-

280 S. Gr.- 8". hl Halbleinen gebunden M 9.-

Das Charakteristikum dieser Denkwürdigkeiten ist ihre absolute Ehriichkeit. Es gibt kaum ein politisches Memoirenwerk der neuesten Zeit, in dem ein Staatsmann so ungeschminkt sich zeigt wie dieser Italiener. Nichts von Beschönigung der eigenen Politik, nichts von Beschönigung der Politik anderer. Fast alle haben sich una ihren Taten ein Mäntelchen umgehängt, Giolitti hat darauf verzichtet. Und er war doch einer, der, aktiv oder inaktiv, immer inmitten der Politik seines Landes stand. Wertvoll für die Geschichte ist das Buch, und es ehrt Giolitti als charakter- volle Persönlichkeit und charaktervollen Staatsmann. Magdeburgische Zeitung.

Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig Fürst zu /

Denkwürdigkeiten, hn Auftrag des Prinzen Alexander zu Hohenlohe- Sdiillingsfürst herausgegeben von Dr. Friedridi Curtius. 35.Tausend. 1906. Neue, wohlfeile, ungekürzte Ausgabe. 2 Bände, t. Bd. XJI und 44O S. Gr.- 8°. 2. Bd. 565 S. Gr.- 8". Mit 5 Bildern, hi Halbleinen gebunden M 18.-

Dle Denkwürdigkeiten werden noch lange Zeit alle Welt beschäftigen; sie werden von den zünftigen Politikern, von den Höfen, von den Völkern eifrig studiert werden.

Vossische Zeitung. Hohenlohes Denkwürdigkeiten sind der bedeutendste Beitrag zu der Kenntnis der letzten Jahr- zehnte, den wir seit Bismarcks .Gedanken und Erinnerungen' empfangen haben.

Prof. Dr. Georg Kaufmann im Literarischen Zentralblatt, Leipzig.

Kaiser Wi l h e 1 m s I. B r i e f e / Als erste in sidi gesdilossene PubUkation

ersdiienen: Weimarer Briefe, bearbeitet von Johannes Sdiultze. Zwei

Bände mit 3 Tafeln und 1 Faksimile, hi Ganzleinen gebunden M 15.-

Diese beiden Bände bisher unveröffentlichter Briefe Wilhelms I, an seine Weimarer Verwandten aus den Jahren 1823—1887 vertiefen den starken Eindruck seiner aufrechten und männlichen Persönlichkeit. Da sie politische Geschehnisse und Vorgänge während eines langen, bedeut- samen Zeitraums mit Vertraulichkeit erörtern, rücken diese Briefe wichtige Zusammenhänge in neues Licht.

K i d e r 1 e n -Wä ch t e r / Der Staatsmann und Mensdi. Briefwedisel und Naddaß. Herausgegeben von Prof. Dr. Ernst Jädth. 9. Tausend 1924. Zwei Bände mit zwei Tafeln. 537 S. Gr.-8<'. In Halbleinen geb. M 16.50

Eine neue und wesentliche Bereicherung erfährt das Gesamtbild durch dieses Buch, das einen ungemein lebendigen Eindruck nicht nur in die sachlichen, nach außen wirksamen, sondern vor allem auch In die personellen und internen Verhältnisse der damaligen Reichspolitik vermittelt. Als Politiker mit gesundem Menschenverstand, klar im Urteil und energisch im Wollen und Handeln, als geschickter und fähiger Diplomat steht Kiderien vor der Nachwelt. Die Denk- würdigkeiten geben Material zur Wideriegung der Lüge von Deutschlands Schuld am Kriege.

Münchner Neueste Nachrichten.

IG

Lassalle, Ferdinand / Nadigelassene Briefe und Schriften. Herausgegeben von Prof. Dr. Gustav Mayer. 1. Bd.: Briefe von und an LassaUe bis 1848. I921. X u. 357 S. Gr.-8^ In Halbln. geb. M 7.- / 2. Bd.: LasscJles Brief wedisel von der Revolution von 1848 bis zum Beginn seiner Arbeiteragitation. 1923. VII und 302 S. Gr.- 8". In Halbln. geb. M 8.- /3. Bd: Der Briefwedisel zwisdien LassaUe und Marx. Nebst Briefen von Friedridi Engels u. Jenny Marx an Lassalle und von Karl Marx an Gräfin Sophie von Hatzfeldt 1922. XII und 4II S. Gr.- 8°. In Halbbi. geb. M 8.- / 4. Bd: Der Briefwedisel Ferdinand Lassalles mit Gräfin Sophie von Hatzfeldt. 1923. XIV u. 442 S. Gr.-8». In Halbbi. geb. M lO.- / 5. Bd. : Lassalles Brief- wedisel aus der Zeit seiner Axbeiterorganlsation 1862-1864. In Halbleinen gebunden M 11.- An der Briefsammlung wird der literarische Feinschmecker, den die Form fesselt und der die Bekanntschaft mit einer Persönlichkeit von höchster Eigenart machen will, seine Freude haben. Dem Historiker vermittelt sie ein anschauliches Bild bedeutsamer Persönlichkeiten und politischer und gesellschaftlicher Zustände des Vormärz. Für den, der aus dem Werden das Wesen der deutschen Demokratie erkennen will, ist sie unentbehrlich.

Staatssekretär a. D. Dr. August Müller im 8 Uhr- Abendblatt, BerUn. In keine besseren Hände konnte diese unerwartet reiche Masse von Briefen und anderen Auf- zeichnungen gelangen. Der Geschichtschreiber der deutschen Arbeiterbewegung, der Engels- Biograph vereint mit dem Wissen alle Eigenschaften des taktvoll zurückhaltenden Herausgebers. Seit langer Zeit ist keine Briefpublikation von solcher Anziehungskraft zutage getreten.

Zeitschrift für Bücherfreunde.

Molden, Berthold/ Alois Graf Aehrenthal. Sedis Jahre äußere Politik Österreidi-Ungams. 1917. 242 S. Gr.-S". In Halbleinen geb. M 6.50

Das Buch wird als Beitrag zur Vorgeschichte des Weltkrieges von künftigen Oeschichtschreibern als wertvolles Quellenwerk benützt werden müssen. Aber auch die menschliche Persönlichkeit des von den Parteien in Haß und Ounst so verschieden beurteilten österreichischen Staatsmannes hat durch Moldens Werk eine überaus interessante und sympathische Beleuchtung erfahren.

Neues Wiener Journal.

Oncken, Geh. Rat Prof. Dr. Hermann / Rudolf von ßennigsen. Ein deutsdier liberaler Politiker. Nadi seinen Briefen und hinterlassenen Papieren. S.Taus. I910. Neue, wohlfeile, ungekürzte Ausg. Zwei Bände. 1. Band 757 S. Gr.-8''. 2. Band 660 S. Gr.-S". GeheftetM IC-

Eine unentbehrliche Quelle für die Geschichte der deutschen Einheitsbewegung, denn es steht in seinem Mittelpunkte der Mann, der in dem Jahrzehnt, in dem die Fundamente des Deutschen Reiches gelegt und sein Bau ausgestaltet wurde, durch seine wahrhaft staatsmännische Politik sehr wesentlich dazu beigetragen bat, die Gesetzgebung des geeinten Staates mit freiheitlichem Geiste zu erfüllen. Darum wird niemand, der sich mit der Geschichte des deutschen Parlamen- tarismus beschäftigen will, dieses Buch unbenutzt lassen dürfen. Der Tag.

Oncken, Geh. Rat Prof. Dr. H ermann /Lassalle. Eine politisdie

Biographie. 4., durdigearb. Aufl. 1922. 562 S. Gr.- 8». In Halbln. geb. M IC-

Cncken hat seine Aufgabe richtig ergriffen und trefflich durchgeführt. Er hat als ganz objektiver und kritisch geschulter Historiker die Tatsachen des Lebens und ihre wichtigsten Ursachen untersucht; ich glaube, er ist in allen strittigen Fragen zu gesicherteren Resultaten gekommen als seine Vorgänger. Lassalle ist ihm eine der großen Erscheinungen des 19. Jahrhunderts, der er ohne Haß und Liebe gegenübersteht. Ich möchte sagen, Sozialdemokraten und Konservative können gleichmäßig, ohne Verietzung ihrer Gefühle, das Buch lesen. Gust. V. Schmoller im Jahrb. für Gesetzgebung, Verwaltung U.Volks wirtschalt

Das Urteil über dieses Buch steht fest. Es ist eine der bedeutendsten Erscheinungen auf dfm Gebiete der modernen historischen Literatur, keine Biographie im gewöhnlichen Sinne, sondern eben eine .politische Biographie", weil sie aus dem Leben Lassalles das herausarbeitet, w»s Ihn zum Politiker gemacht und was auf die Politik seiner Zeit und die Nachwelt gewirkt hat. Es ist ein Werk, das nur ein Historiker schaffen konnte, der die vielen und verschiedenen Ge- biete beherrscht, die bei einer Persönlichkeit wie Lassalle In Frage kommen, und der in den psychologischen Hintergrund eines komplizierten Menschen einzudringen weiß.

Frankfurter Zeltung.

Plener, Ernst Freiherr v o n / Reden (1873-I91I). 1911. XV und 1092 S. Gr.- 8°. Geheftet M 6.50

Die Reden des Freiherrn von Plener sind wie er selbst: einheitlich, geschlossen, eine glatte, starke und große Form, aus der kein Stein herausgenommen und keiner dazugelegt werden darf. Man fühlt bei seinen Reden die energische Raschheit des Gedankens, der sich mühelos, wie spielend ablöst, die Gewandtheit, die nie um das Wort verleben ist, die Kraft, die bis zum letzten Satz vorhält und jede Form zu füllen und zu steigern weiß. Neue Freie Presse, Wien.

Plener, Ernst Freiherr von / ErinncRingen. Drei Bände.

1. Band. 1 91 1. V^II u. 392 S. Gr.-S". In Halbleinen gebunden M 6.- / 2. Band.

1921. Vni U.461 S. Gr.- 8°. In Halbleinen gebunden M 6.50 / 3. Band. 192I.

XI u. 548 S. Gr.- 8". In Halbleinen gebunden M 7.- Eine Quelle ersten Ranges für die Zeit des Niederganges des deutsch-österreichischen Liberalis- mus; unentbehrlich für jeden, der diese Periode erforschen will; überaus lehrreich für alle, die aus der Vergangenheit lernen und Richtlinien für ihr Verhalten in der Gegenwart gewinnen wollen. A. F. Pribram in der Österreichischen Rundschau.

Ein Werk, das In der neueren Memoirenliteratur kaum seinesgleichen hat. Denn es bietet dem Leser nicht nur persönliche Erinnerungen eines hervorragenden österreichischen Parlamen- tariers und Staatsmannes, sondern es erweitert sich zu einer Geschichte der habsburgischea Monarchie bis zu Ihrem Zusammenbruche. Dr. Alfred Stern In der Frank f. Zeitung.

Prinz Friedrich Karl von Preußen / Denkuürdigkeiten aus seinem Leben. Herausgegeben von Dr. Woltgang Förster. Zwei Bände. I.Band. IQ. Auflage. 1910. 377 S. Gr.-S°. 2. Band. 8. Aufl. 1910. 556 S. Gr.- 8°. Geheftet .M 12.- Die von Hauptmann Förster herausgegebenen Denkwürdigkeiten setzen sich zusammen aus überaus zahlreichen und sorgfältigen Aufzeichnungen des Prinzen selbst und aus einem unter vielfacher Benutzung noch ungedruckter Originalquellen entstandenen verbindenden Text. Ab- gesehen von einigen bereits vorhandenen kürzeren Lebensskizzen ist sie die erste große Bio- graphie des Prinzen von wissenschaftlichem und grundlegendem Wert. Leipziger Zeitung. Eines der gelungensten Erzeugnisse deutscher Lebensgeschichtschreibung innerhalb der letzten Jahrzehnte. Norddeutsche Allgemeine Zeitung.

Przibram, Ludwig, Ritter von / Erinnerungen eines alten österreidiers. Zwei Bände. l.Band. 1910. 411 S. Gr.-8''. 2. Band. 1912, 298 S. Gr.- 8°. In Halbleinen gebunden M 12.- Aus dem Vormärz heraus in die Tage fast nach der Gegenwart herein geleiten uns die Erinne- rungen Ludwig von Przibrams, die in ihrer frischen Anschaulichkeit, belebenden Wärme und feinen Form zu den anmutendsten Memoirenbüchern der Jüngstzeit gehören.

ProLH.Kreischmay in der österreichischen Rundschau.

Joseph Maria v.Radowitz. Aufzeichnungen U.Erinnerungen.

Herausgegeben von Dr. H. Holbom. 2 Bände. In Halbleinen geb. M 20.-

Die Aufzeichnungen und Erinnerungen des Botschafters von Radowitz umfassen die Zelt von 1839—1890. Als Sohn des geistvollen Freundes und Ministers Friedrich Wilhelms IV. trat er früh in den diplomatischen Dienst. Nach kurzer Vorbereitung Im nahen und fernen Osten sehen wir ihn 1865 an der preußischen Botschaft In Paris inmitten der glänzenden Geselligkeit des zweiten Kaiserreichs, 1867 in München, wo er für die deutsche Einigung wirken konnte. Den dann seit 1869 In selbständiger Stellung in Bukarest und Konstaniinopel tätigen Diplomaten berief Bismarck 1872 ins Auswärtige Amt, wo er die nächsten zehn Jihre ein vertrauter Mit- arbeiter des Kanzlers war, bis er ihm 1882 den wichtigen Posten des Botschafters In Konstanti- nopel anvertraute. Seine Erinnerungen vermitteln eine lebendige Anschauung jener Jahrzehnte Bismarckscher Wirksamkeit. In lebensvoller Zeichnung erscheinen in einem farbenreichen Bilde die führenden Persönlichkeiten jener Tage, Staatsmänner, Gelehrte und Künstler.

Salis-Soglio, Daniel, Freiherr von, k.u.k.Feldzeugmeister/ A lein Leben und was idi davon erzählen will, kann und darf. Z\»ei Bände. 1908. 1. Band 281 S. Gr.-8°. 2. Band 310 S. Gr.-8°. Gebunden M 12.-

Das vorliegende Werk hat einen ganz besonderen Reiz, nicht nur wegen seines Inhaltes, sondern auch wegen der markigen, ausgesprochenen Persönlichkeit seines Verfassers. Wer sich über das innere Leben im österreichischen Oifizierkorps und üoer die Geschichie der Jahre von 18^8 bis 1866 unterrichten will, dem wird in dem Werke des Freiherrn von Salis-Soglio viel geboten.

Konservative Monatshefte.

Schlözer, Kurdvon/ R.ömisdhe Briefe. I864 1869.

Herausgegeben von Karl von Schlözer. Mit dem Bilde des \'erfassers. 14. Auflage. 1924. XII und 380 S. 8". In Halbleinen gebunden M 7.50, in Halbleder gebunden M 11.-

Alle Ereignisse, alle Kämpfe der Parteien, alle politischen und kirchlichen Machenschaften spiegeln sich in Schlözers Briefen wider; nicht in trockenen Darstellungen, sondern in knappen und doch lebendigen plastischen Augenblicksbildern. Pius IX., sein Staatssekretär Antonelli, der päpstliche Kriegsminister Merode, die Kardinäle, die Botschafter, die Gesandten, sie alle rücken in greifbare Nähe, und in die geheimsten Werkstätten der römischen Diplomatie darf der Leser einen Blick tun. Frankfurter Zeitung.

Diese Briefe gehören zum Besten in der Menge dessen, was Deutsche über Rom und aus Rom geschrieben haben. Denn ihr Verfasser ist ein Mann, der scharfe Augen hatte und das Herz auf dem rechten Fleck; ein Mann, der schon in eigenen historischen Arbeiten gründliche wissen- schaftliche Bildung und feinen literarischen Geschmack bewährt hatte . . . Alles zusammen er- gibt eine Fülle des menschlich Anziehenden und geschichtlich Bedeutsamen, wie sie wenig andere Bücher deutsch-römischen Inhaltes bieten. Hamburgischer Correspondent.

Schlözer, Kurd von / Petersburger Briefe. I85 7- 1862.

Herausgegeben von Leopold von Sdilözer. 5. und 6. Taus. 1921. XV und 303 S. 8". In Halbleinen geb. M 7.-, in Halbleder geb. M lO.- Es hat nicht viele Diplomaten im deutschen Dienst gegeben, die mit einer solchen Fähigkeit des Schauens und mit einem solchen Maß von Kritik begabt waren wie dieser Zeitgenosse Bis- marcks. Seine Römischen Briefe gehören zu den klassischen Werken unseres politischen Schrift- tums. Die jetzt neu erschienenen Petersburger Briefe umfassen einen Zeitabschnitt aus Schlözers Werdegang, der ihn zunächst im Gegensatz zu der Persönlichkeit Bismarcks gesehen hat. Ge- rade darum sind die Bemerkungen des geistvollen jungen Diplomaten über seinen unmittelbaren Vorgesetzten von besonderem Reiz, weil sie ganz ohne Verehrung aus einem ursprünglichen Widerstreben heraus geschehen sind. Auch Schlözers Urteil über die russischen Zustände ist prägnant und treffend. Eine der wertvollsten Neuerscheinungen. Die Deutsche Nation.

Schlözer, Kurdvon/ Letzte römische Briefe. I882 - 1894« Heraus- gegeben von Leopold von Sdilözer. 4. Tausend. 1924. IX und 212 S. 8°. In Halbleinen gebunden M 7.-, in Halbleder gebunden M 1 O.- Ist auch Schlözer in diesen Jahren des beginnenden Alters nicht mehr der federfrohe Brief- schreiber, der er in seiner Jugend war, so trägt doch auch jetzt noch jede Zeile von ihm das Gepräge des gedankenreichen und charaktervollen Menschen. Ergänzend tritt der lebendig vorgetragene Bericht des Herausgebers, des Neffen Schlözers, über dessen Wirken und Leben in jenen Jahren hinzu; und aus den mitgeteilten Briefen an und über Schlözer erhebt sich das Bild dieser Persönlichkeit, in der die geistige Kultur des Goetnischen Deutschland mit der politisch-nationlen Bildung Bismarcks harmonisch vereinigt erscheint.

Westermanns Monatshefte, Berlin. Waren die .Römischen Briefe' der Jahre 1864— 1868 lebensvolle Erfassungen des Gesamtbildes, die der junge Legationssekretär „in vier reichen Jahren namenlos schöner Erinnerungen" schuf, so sind die Briefe des alternden Gesandten ausgesprochen politisch akzentuiert. Aus den spärlicher gewordenen Briefen des ehemals so schreibffohen Schlözer hat der Neffe-Heraus- geber mit echt Schlözerischer Gewandtheit ein rundes Bild zusammengefügt, eine lichter- funkelnde Geschichte der diplomatischen Verhandlungen Bismarcks mit der Kurie seit 1882.

Vossische Zeitung, Berlin.

Schlözer, Leopold von/ Generalfeldmarschall Frhr. von Loe. Ein militärisdies Zeit- u. Lebensbild. 2. Auflage. 1914- XI u. 323 S. Gr.- 8». In Halbleinen gebunden M 7.-

Dem Verfasser dieses schönen Werkes gebührt großer Dank dafür. Was er sich als Aufgabe ge- stellt hat : ein Lebens- und zugleich ein Zeitbild zu schaffen, ist ihm durchaus gelungen ; Menschen und Begebenheiten hat er mit Meisterhand geschildert. Er hat nicht nur seinen reichen Stoff geschickt gemeistert, er hat auch, und das ist vielleicht das allerbeste am Werk, geschrieben wie ein wahrhaft vornehmer Mann. Norddeutsche Allgemeine Zeitung.

Schoen, Wilhelm, Freiherr von, vorm. Staatssekretär und Botschafter / Erlebtes. Beiträge zur politisdien Gesdiidite derneuesten Zeit. 1921. 227 S. Gr.- 8». In Halbleinen gebunden M7-50 Wer mit dem Willen, unbefangen zu urteilen, an die Lektüre der Schoenschen Erinnerungen herantritt, wird wenn er auch nicht in allen Einzelheiten sich den Anschauungen und Auf- fassungen des Verfassers anzuschließen vermag sein Buch als eine Veröffentlichung begrüßen, die zur Wideriegung der Tendenzlüge von Deutschlands Kriegsschuld sowohl als Ganzes durch den einheiUichen Stimmungsausdruck, wie in vielen Einzelheiten ein neues wertvolles Maienal bedeutet. Chemnitzer Neueste Nachrichten.

S t o s c h , Denkwürdigkeiten desGenerals u. Admirals Albrednt von . Briefe und Tagebudiblätter. Herausgegeben von Ub-idi von Stosdi. 3. Auf- lage. 1904. 275 S. Gr.- 8». Geheftet Gm. 6.50

Bs gibt Denkwördigkeiten, deren Bedeutung vornehmlich in ihrem sachlichen Inhalt, ihrem histo- rischen Quellenwert beruht, und es gibt Denkwürdigkeiten, die den Leser fesseln und anregen, woll in ihnen eine Persönlichkeit zu Worte kommt und durch ihre Lebensführung ein rein mensch- liches Interesse erweckt. Von diesem Buch, das den Namen Albrecht von Stosch trägt, kann man sagen, daß es nach beiden Seiten hin ausgezeichnet ist. Der Tag.

Eine Fülle wichtigen Materials zur deutschen Geschichte aus der zweiten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts. Neue Preu6. (Kreuz-) Zeitung.

Durch nichts fallen die Denkwürdigkeiten so sehrauf, als durch die Objektivität im Urteil Stoschs. Dies macht sie zu einer Oeschichtsquelle allerersten Ranges. Es ist ein Hochgenuß, seine schla- genden Urteile zu verfolgen. Sie haben sich fast alle als richtig erwiesen. Der Türmer.

Waldersee, Denkwürdigkeiten des Generalfeldmarsdhalls Alfred Grafen von. Auf Veranlassung des Generalleutnants Georg Grafen von Waldersee bearbeitet und herausgegeben von Staatsardiivar Dr. Heinridi Otto Meisner. 7. Tausend. Erster Band: 1 832- 1 888. 1922. X u.423S.Gr.-8». In H'leinen geb. M 1 0.-, in H'leder geb. M 15-. Zweiter Bd. : 1 888- 1 900. 1 922. 456 S. Gr.- 8». In Halbleinen geb. M IC-, in Halbleder geb. M 15.-. Dritter Band : I900-I904. I923. 276 S. Gr.- 8". In Halbleinen geb. M 9.50, in Halb- leder geb. M 14.50 Seit Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen" vielleicht die bedeutsamste historische Publikation, die wir über die letzten Jahrzehnte besitzen. Dr. Ferd. Grautoff in der Deutschen Presse. An Fülle interessanter und wichtiger Einzelheiten sind diese Bände kaum zu überbieten. Waldersee gibt über die Persönlichkeiten der drei letzten Kaiser und besonders Wilhelms il. so umfassende Aufschlüsse, wie bisher kein anderer Memoirenverfasser. Hambg. Fremdenblatt. Eines der wertvollsten Memoirenwerke aus der Fülle der Neuerscheinungen auf diesem Gebiete. Für den Forscher eine unentbehrliche Quelle. Die Bände vermögen aber auch darüber hinaus jedem gebildeten Deutschen, der die Geschichte der letzten Jahrzehnte durchforscht, um die inneren Ur- sachen des Zusammenbruchs der Monarchie zu verstehen, die wertvollsten Aufschlüsse zu geben.

Dr.Wolfgang Peters im Tag.

Wertheimer, Hofrat Eduard von / Graf Julius Andrassy. Sein Leben und seine Zeit. Nadi ungedrudsten Quellen. Drei Bände. 1910. 1. Band XXD u. 260 S. Gr.-S». Geheftet M 6.-. 2. Band XX u. 420 S. Gr.- 8». Geheftet M5.-. 3- Band XIV u.373 S.Gr.-S". Geheftet M5.-

Der Verfasser konnte aus vollen Quellen schöpfen. Die österreichisch-ungarische und deutsche Regierung erlaubten ihm in entgegenkommendster Weise die ungeschmälerte Benutzung der staatlichen Archive, ferner stand ihm das Andrässysche Familienarchiv offen. Diese Aktenkenntnis, mit Objektivität in der Darstellung verbunden, machen dem Werke Platz unter den bedeutendsten seiner Art. Dr. Hans Rost in den H istor.-Polit. Blättern für d. kath. Deutschland. Dieses Werk bietet einen so außerordentlich wichtigen und inhaltsreichen Beitrag zur Zeitge- schichte, daß man es ohne Übertreibung als ein monumentales .Standardwerk* bezeichnen darf.

Allgemeine Zeitung, München.

Zedlitz-Trützschler, Graf Robert, ehemal. Hofmarsdiall

Wilhelms II. / Zwölf Jahre am deutschen Kaiserhof. Aufzeidi-

nungen. 34. Tausend. 1924. 250 S. Gr.- 8". In Halbleinen gebunden M 7.-

Diese Aufzeichnungen nehmen in der Reihe der zeitgenössischen Memoirenwerke eine Sonder- stellung ein. Hier liegt vielleicht zum ersten Male kein Tendenzwerk vor, denn hier spricht kein Staatsmann, kein Politiker oder Heerführer, den der notwendig subjektiv gefärbte Wunsch leitet, seine sichtbar gewordenen Taten durch die Aufdeckung der Zusammenhänge vor der Mit- und Nachwelt zu rechtfertigen. Graf Zedlitz erweist sich als ein scharfer und kluger Beobachter, der sich in überraschendem Maße von den Scheuklappen der Standesvorurteile zu befreien ver- standen hat. Seine Art zu beobachten, Schlüsse zu ziehen, zu kommentieren, beweist politisches und menschliches Verständnis ungewöhnlicher Natur. Pester Lloyd.

MEISTER DER POLITIK

Eine weltgesdiiditlidie Reihe von Bildnissen

Herausgegeben von Geh, Rat Prof. Dr. Ejidi Mfircks u. Oberregierungs- rat Prof. Dr. Karl Alexander von Müller. 3 Bände. 2. Auflage. 1923. I.Band 676 S. Lex.- 8°. 2. Band 664 S. Lex.- 8°. S.Band 509 S. Lex.- 8'' In Halbleinen gebunden Gm. 45.-, in Halbleder gebunden Gm. 57.-

Inhalt

Band I: Eduard Meyer, König Darius I. / Ernst Hohl, Perikles /Julius Kaerst, Alexander der Große / Eduard Meyer, Hannibal und Scipio / Matthias Geizer, Cäsar und Augustus / Wilhelm \Vfeber,Trajan und Hadrian / Eduard Sdiwartz, Constantin / Exidi Caspar, Gregor der Große / HeUmut Ritter, Muhammed / Karl Hampe, Karl der Große / Karl Hampe, Otto der Große / Johannes HalJer, Gregor VH. und Innozenz HI. / Eridi Caspar, Bernhard von Clairvaux / Karl Hampe, Friedridi Barbarossa und seine Nadifolger.

Band U : Fritz Vigener, Kaiser Karl IV. / Franz Babinger, Sulejman / Hans von Sdiubert, Calvin / Eberhard Gothein, Ignatius Loyola / Eridi Branden- burg, Kaiser Karl V. / Eridi Mardss, Phiüpp D. von Spanien / Wüly Andreas, Ridielieu / Hans Sdiulz, Gustav Adolf / Arnold Oskar Meyer, Cromwell / Friedridi Wolters, Colbert / Wilhelm Sdiüßler, Prinz Eugen / Karl Stählin, Peter der Große / Georg Küntzel, Die drei großen Hohenzollem / Karl Alexander von Müller, Der ältere Pitt.

Band III: Friedridi Ludiwaldt, Thomas Jeff erson / Adalbert Wahl, Napoleon/ Heinridi Ritter von Srbik, Mettemidi / Ernst Müsebedt, Freiherr vom Stein / Ridiard Sternfeld, Cavour / Friedridi Ludswaldt, Abraham Lincoln / Felix Salomon, William Ewart Gladstone / Hermann Ondien, Lassalle / A. von Brauer, Bismardt / Fritz Endres, Gambetta / Walter Goetz, Papst Leo Xin. / Ludwig Rieß, Fürst Ito / Otto Franke, Li Hung-tsdiang / Otto Franke, Yuan Sdii-kai.

Mit dem Werk haben Verlag und Herausgeber etwas geleistet, was in seiner Art einzig da- stehen dürfte. Wer diese Bände zur Hand nimmt, wird eine lebendigere Vorstellung der Be- wegtheit des weltpolitischen Geschehens erhalten, als wenn er irgendeine Weltgeschichte studierte. Die Deutsche Nation.

Ein Geschichtswerk von geradezu monumentaler Bedeutung. Hamburger Nachrichten.

Eine Fundgrube der politischen und staatsmännischen Erkenntnis, wie wir sie in dieser Harmonie und Vielgestaltigkeit noch selten zu verzeichnen hatten. Das Werk ist die Hochschule der Politik, es sollte in keiner Bibliothek eines Historikers oder politisch Interessierten fehlen.

Düsseldorfer Nachrichten. Dieses Werk erfüllt an seinem Teil die dringende Aufgabe, die Bedeutung der großen politi- schen Gestalter zu begreifen in einer Zeit, wo politische Dekadenz uns gefährlicher denn je droht. Rheinisch-Westfälische Zeitung.

Die Ergebnisse der neuesten Geschichtsforschung sind berücksichtigt. Die entscheidenden Schicksalstunden der Geschichte und die Eigenart der großen, weltbestimmenden Nationen und Kulturkreise werden in dem Brennpunkte der mächtigsten handelnden Männer erfaßt, die dieses Schicksal gestaltet, diese Eigenart dauernd bestimmt und In sich selbst ausgeoräpt haben. Es kann nicht meine Aufgabe sein, auch nur anzudeuten, welche Fülle dieses Werk in sich schließt. Die Bedeutung der .Meister der Politik" für uns heute Lebende dürfte bereits aus der kurzen Würdigung hervorgehen. Der Tag.

Wir machen in diesem Werke, an dem fast alle großen deutschen Geschichtsforscher mitge- arbeitet haben, einen praktischen Lehrgang durch die hohe Politik durch, wie er bis jetzt nicht geboten worden ist. Augsburger Postzeitung.

Deutsche Geschichtsquellen

des XIX. Jahrhunderts

Herausgegeben durdi die Historisdie Kommission bei der Bayerisdien Akademie der ^Vissensd3aften

Die Tagebüdier des Freiherm Reinhard von Dalwigk zu

Lichten fels aus den Jahren I86O-I87I. Herausgegeben von Prof.

Dr. Wilhelm Sdiüßler. VUI U.535S. Gr.- 8°. In Halbleinen gebunden M 9.-

Dlese Tagebücher bieten besonders für die Zeit von 1866—1870, eine höchst wertvolle Kontrolle

und Ergänzung zu Fürst Hoheniohes bekannten Aufzeichnungen.

Korrespondenzblatt des Oesam tvereins der deutsch. Gesch.- u. Altertumsver.

Denkwürdigkeiten aus dem Dienstleben des Hessen-Darmstädti- sdien Staatsministers Freiherrn duThil 1803— 1848. Heraus- gegeb. von Prof. Dr. H. Ulmann. VI u. 627 S. Gr.- 8". In Halbln. geb. M 9.-

Diese Aufzeichnungen des Freiherrn Wilhelm Heinrich du Bois du Thil, den Heinrich von Treitschl<e den „dauerhaftesten aller deutschen Minister" genannt, sind höchst beachtenswert und eine Quelle ersten Ranges für die Geschichte eines süddeutschen Mittelstaates. Dr. Stephan Kekule v. Stradonitz i. d. Monatsheften für Politik u. Wehrmacht.

Waldersee, Denkwürdigkeiten des Generalfeldmarsdaalls Alfred

Grafen von. 3 Bände. (Siehe Seite 14.)

Lassalle, Ferdinand/ Nachgelassene Briefe und Sdirifiten.

5 Bände. (Siehe Seite ii.)

Radowitz, Joseph Maria von/ Nadigelassene Briefe und Aufzeidinungen zur Gesdiidite der Jahre I848— 1853- Heraus- gegeben von Dr. Walter Möring. XJl u. 424 S. Gr.- 8°. In Halbln. geb. M 9.-

Die Darstellung, die Friedrich Meinecke vor einigen Jahren dem Berater Friedrich Wilhelms IV. in seiner Unionpolitik gegeben hat, findet durch diesen Abdruck seiner verschiedenen Denk- schriften und sonstigen Aufzeichnungen eine erwünschte Ergänzung. Der merkwürdige Mann, dessen Name einen interessanten Versuch der deutschen Einheitsgeschichte beleuchtet, tritt mit diesem Werk unter die originalen Staatsdenker Deutschlands. Pollt. Literaturbl., Berlin.

Duncker, Max/ Politisdier Bricfvvedisel aus seinem Nachlaß.

Herausgegeben von Staatsar diivrat Dr. Johannes Sdiultze. XXrVu.487 S.

Gr.- 8°. In Halbleinen gebunden M 9.-

Welche Fülle von Beiträgen zur Zeitgeschichte, insbesondere der »neuen Aera", in der Oehelm- rat Duncker Chef des Literarischen Bureaus im Slaatsministerium, und der Konfliktszeit, in der er Vertrauensmann des Kronprinzen war, leidenschaftlicher Widersacher Bismarcks bis er sein leidenschaftlicher Bewunderer wurde I Junlus im Roland, Berlin.

Aktenstücke und Aufzeichnungen zur Gesdiichte der Frankfurter Nationalversammlung aus dem Nachlaß von Johann Gustav Droysen. Herausgegeb. von Rud. Hübner. 848 S. In Halbbi. geb. M 13.-. Das bisher unbekannte Protokoll Droysens über die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung gibt ein genaues Bild der Tätigkeit jenes Ausschusses. Ergänzt von den ebenfalls unbekannten privaten Aufzeichnungen Droysens über die Verfassungsberatungen der siebzehn Vertrauensmänner, von Petris Protokollen, von dem eindrucksvollen Briefwechsel zwischen Droysen und der provisorischen Regierung der Herzogtümer Schleswig und Holstein sowie seinem Frankfurter Tagebuch, entsteht eine außerordentlich unmittelbare und lebendige Zeichnung jener interessanten Ereignisse.

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