Nachrichten

von der

Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften

zu ' Göttingen.

Philologisch-historische Klasse

aus dem Jahre 1908.

ßerlin,

Weidmannsche ßuchhandlunj 1908.

m

Druck der Dleterichsclicn Univ.-Buclidnickerei (W. Fr. Kaestner) in Outtingen.

Register

über

die Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften

philologiscli-liistorisclie Klasse

aus dem Jahre 1908.

Seite

F. C. Andreas, Notiz über eine Streitschrift des Herrn

Ter-Mikaelian 375

F. Bechtel, Über einige thessalische Namen 571

P. J. Blök, Holland und das Reich vor der Burgunderzeit 608 N. Bonwetsch, Die Mosessage in der slavischen kirchlichen

Litteratur 581

H. Jacobi, Über Begriff und Wesen der poetischen Figuren

in der indischen Poetik 1

P. Kehr, Nachträge zu den Papsturkunden Italiens. II. . 223

F. Leo, Weitere Beiträge zu Menander 430

L. Meyer, Zu Tacitus' de origine et situ Germanorum . . 443 W. Meyer, Ein Merowinger Rythmus über Fortunat und

Altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen .... 31

W. Meyer, Über Handschriften der Gedichte Fortunats . 82

W. Meyer, Das erste Gedicht der Carolina Burana . . . 189

W. Meyer, Lateinische Rythmik und byzantinische Strophik 194

W. Meyer, Zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser

Ordens 377

W. Meyer, Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in

Spottlatein 406

L. Morsbach, Shakespeare und der Euphuismus .... 660 R. Pietschmann, Nueva Coronica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala, eine peruanische

Bilderhandschrift " 637

IV

Seite

E. Schröder, BLACEFELB 15

{3. Schröder, Maler Müllers große Liebesode 561

E. Schwartz, Aporien im vierten Evangelium.

n 125

in. . 149

IV 497

E. Schwartz, Zur Greschichte des Athanasius. VII. . . . 305 J. Jak. Werner, Poetische Versuche und Sammlungen eines

Basler Klerikers aus dem Ende des 13. Jahrhunderts . 449

Ueber Begriff und Wesen der poetischen Figuren in der indischen Poetik.

Von

Hermann Jaeobi.

Vorgelegt in der Sitzung vom 25. Januar von F. Kielhorn.

Die poetischen Figuren ÄlamJcäraSj von denen die indische Poetik ihren Namen Alamkära^ästra erhalten hat, haben das In- teresse der Inder immer in hohem Grrade gefesselt. Nicht nur daß man bis in späteste Zeiten neuen und immer neuen Figuren oder Figürchen nachspürte, sondern auch die theoretische Unter- suchung des Begriffs und des Gebietes der einzelnen Figuren hat eine Peihe scharfsinniger und gelehrter Köpfe angelentlichst be- schäftigt, unter denen Ruyyaka, der Verfasser des Alamkärasar- vasva, im 12. Jhd., sein Commentator Jayaratha, der Verfasser der Vimar^ini, im 13. Jhd., und der letzte und größte Meister der Analyse Jagannätha, der Verfasser des Pasagangädhara, im 17. Jhd., an erster Stelle zu nennen sind. Von ihren Untersuchungen will ich nur einen Punkt hier herausheben und zusammenstellend mitteilen, was sie über Begriff und Wesen der poetischen Figur als solchen gelehrt haben. Man muß hierbei beachten, daß die Inder nicht über die Figuren überhaupt, sondern über poetische Figuren gehandelt haben, im Unterschied von den Alte^, welche die Figuren vom Gesichtspunkte des Pedners behandelten, ihre Beispiele aber meist aus Homer und den Dichtern wählten, so daß eine reinliche Scheidung zwischen Phetorik und Poetik nicht zu- stande kam ^). Wenn es üblich geworden ist, die indische Poetik,

1) Auch die Figurenlehre der Araber geht sowohl auf Poesie wie auf nicht poetische Rede. Sie ist daher ein Teü der Rhetorik im weiteren Sinne. Einen Einblick in diese arabische Wissenschaft und ihr Wesen erhält man leicht aus A. F. Mehren, die Rhetorik der Araber, Wien 1853.

Kgl. Ges. d. Wisa. Nachrichten. Philolog.-Mst. Klasse. 1908. Heft l. 1

2 Hermann Jacobi

das AlamkäraSästra, als Rhetorik zu bezeichnen, so ist das eine Mißbenennnng, die nicht weiter fortgeschleppt werden sollte^).

Welche Figuren die Inder aufgestellt haben, darüber wird man sich in den betreffenden Lehrbüchern unterrichten können. Namentlich verweise ich auf meine in ZDMGr, LXII erscheinende Uebersetzung des Alamkärasarvasva. Aber aus einigen Beispielen möge man sehen, wie weit die Spezialisierung der Figuren ge- trieben wurde. Es sei von einem mächtigen Könige die Rede; sagt man „Du bist mächtig wie Indra", so ist das ein Vergleich (Upama)] „der König N. N. ist Indra", eine Metapher (Rüpaka), „Du bist ein zweiter Indra", eine Hyperbel {AtisayoUi)] „Du bist gleich- sam ein zweiter Indra", eine UtpreJcsä; „Bist Du Indra oder der König N. N.", ein Sarndeha-, Du bist Indra, nicht der König N. N.^, eine ApahnuU ; „Indra herrscht nur im Himmel, Du über die drei Welten" ein VyatireJca; „Indra herrscht im Himmel, Du regierst die Erde", eine Fraüvastüpamä etc. Dies sind nur einige der Fi- guren, denen die Aehnlichkeit zugrunde liegt; sie alle werden scharf von einander unterschieden und von jeder wird gezeigt, was das ihr Eigentümliche ist, wodurch sie sich von allen übrigen unter- scheidet. Dem Scharfsinn, den die Poetiker bei diesem Geschäfte entwickelt haben, werden wir unsere Anerkennung nicht ver- sagen können ; um so mehr muß es uns aber Wunder nehmen, daß ihre Begriffsbestimmung von poetischer Figur zunächst wenig be- friedigend ausfiel. Und dennoch haben sie das Wesen der poetischen Figur richtig erkannt und genau bestimmt, nur daß sie die darauf gegründete Definition nicht da geben, wo es sich darum handelt, den Begriff von alamkära gegenüber andern Elementen der Poesie festzustellen, also nicht im Anfange der Lehre von den ÄlamkaraSj sondern, wie wir sehen werden, gelegentlich bei Untersuchungen über einzelne poetische Figuren.

Die erste Definition von alamJiära, welche wir kennen, hat Daij^in Kävyädaräa II 1 gegeben (aufgenommen im Agni Puräpa 341, 27): Mvyasohhäkarän dharmän alamkärän pracak^ate. „Poetische Figuren nennt man diejenigen Bestandteile eines Gedichtes, welche ihm Schönheit verleihen". Ich übersetze dharma hier mit „Be- standteil", obgleich es allgemein „Eigenschaft" bedeutet. Denn Daijdin hatte 1 42 {iti Vaidarhhamärgasya prätia dasa Gunäh smrtäh)

1) Untersuchungen über Figuren überhaupt haben die Inder nicht angestellt. Sie haben für diese den Ausdruck vägvikalpa, glauben aber, daß es ihrer un- endlich viele gebe, siehe unten S. 8. Darum kann man bei den Indern nicht von einer Rhetorik weder im weitern Sinne, noch im engeren (als Kunst des Bedners) sprechen.

lieber Begriff und Wesen der poetischen Figuren in der indischen Poetik. 3

die 10 Gunas oder Vorzüge als die Lebenshauche pränäh bezeichnet. Die Gunas sind aber auch ^Eigenschaften" des Gedichtes; nur müssen sie, darauf weist ihre Vergleichung mit den Lebenshauchen hin, in viel engerer Beziehung zu dem Wesen des (xedichtes stehen, als andere Eigenschaften, die AlamMras, welche wir daher als „Be- standteile" bezeichnen dürfen.

Denselben Gedanken, daß die Gunas in innigerer, die AlamMras in loserer Beziehung zum Gedichte stehen, drückt der Ausspruch eines alten Poetikers ^) so aus, daß dies Verhältnis wie einerseits bei den Charaktereigenschaften Tapferkeit etc., anderseits bei Schmucksachen sei, nämlich bei den Gunas Inhärenz (samaväya), heiden Alaml'äras Yerhindun g (samyoga) sei. Hiergegen richtete sich Udbhata in seinem Bhämahavivarana ^) : wie könne man Verhältnisse sinnlicher Dinge auf geistige übertragen? Bei letzteren, den Gunas xind AlamMras , könne nur von Inhärenz die Rede sein. In der Unterscheidung beider folgten die Schriftsteller blindlings irgend einer Autorität wie Schafe dem Leithammel. Udbhata hat daher die Gunas und AlamMras, nicht prinzipiell geschieden; sie unterschieden sich nur hinsichtlicb ihres Wirkungsgebietes ^). Doch in diesem Punkte scheint Udbhata, so groß auch im Uebrigen seine Autorität war, keine anhaltende Nachfolge gehabt zu haben. Aber es verdient bemerkt zu werden, daß auch eine andere ältere Alamkäraschule, nämlich diejenige, welcher das Agni Puräna und Sarasvatikanthäbharana folgen, manches zu den SabdälamMras rechnet, was bei den Uebrigen zu den Gunas gezogen wird.

An dem prinzipiellen Unterschied zwischen Gunas und Alarn- häras wird also festgehalten. Vämana III 1, L 2 bestimmt ihn folgendermaßen : die „Eigenschaften des Gedichtes, welche seine Schönheit bewirken, heißen Gtinas; diejenigen aber, welche sie vermehren, AlaniMras^Y. Die AlamMras bewirkten nicht ohne die Gunas die Schönheit des Gedichtes, wohl aber letztere ohne erstere. Aber auch diese Unterscheidung ist nicht stichhaltig, wie Mammata zu Kävya Prakä^a VIII 2 mit guten Gründen gezeigt hat. Die definitive Entscheidung brachte der Dhvanyäloka II 7, dem der

1) Vergl. Hemacandra, Kävyänusäsana Com. p. 17., Kävya Prakäsa zu VIII 2 -Kävya Pradipa ib. p. 327.

2) Im Auszug oder referierend ist die Stelle an den in der vorhergehenden Note genannten Oertern mitgeteilt.

3) Ruyyaka Alaipkärasarvasva p. 7 : üdbhatädibhis tu gunälarnkäränäm j^äyasalt, sämyam eva südtam, visayamätre'^a bhedapratipädanät.

4) Kävyasöbhäyäljb kartäro gui^äi,^ tadatisayahetavas tv alamlcäräj}.

1*

4 H ermann Jacobi,

Kävya Prakäsa VIII 2 und die ganze Schaar seiner Anhänger folgt. Jener Vers lautet:

„Diejenigen (Eigenschaften eines Gredichtes), welche auf diesem Inhalt (nämlich Stimmung, Gefühl etc.) als dem selbständigen Ganzen (angin) beruhen, heißen Gimas; diejenigen aber, welche in dessen Bestandteilen (anga) ihren Sitz haben, gelten als Älam- l'äras (wie von den Gliedern des Leibes die Schmucksachen) Arm- bänder etc."

Dies erklärt Anandavardhana folgendermaßen: „diejenigen (Eigenschaften), welche auf diesem Inhalt, nämlich Stimmung etc., was das selbständige Ganze ausmacht, beruhen, sind die Gunas, ähnlich wie Tapferkeit etc. Diejenigen aber, welche in den Teilen, nämlich dem Ausgesprochenen und seinem Ausdruck, ihren Sitz haben, gelten als Alamkäras, wie Armbänder etc." Die Gunas be- ziehen sich also direkt auf die „Seele des Gedichtes", da^ ÄlamMras schmücken diese nur mittelbar als Schmuck des Inhaltes oder des Ausdruckes. Man beachte, daß an der Parallele zwischen Gunas und Charaktereigenschaften wie Tapferkeit etc., und zwischen Alamkäras und Geschmeide festgehalten wird ; wir sahen ja oben, daß diese Vergleiche von Alters her gebraucht wurden. Aber von Inhärenz und Verbindung ist keiue Rede mehr, sondern das Verhältnis wird von dem Kernpunkte des Systems aus beurteilt, nämlich nach der Lehre von dem Unausgesprochenen, speziell von der Stimmung als „der Seele der Poesie". Aber wenn nun der Dichter nicht wegen der Stimmung oder wegen etwas anderm Un- ausgesprochenen sein Gedicht abfaßte, sondern wenn eine frappante dichterische Konzeption in Gestalt einer poetischen Figur die Hauptsache ist, wie dann ? Auch solche Fälle sucht der Dhvanyä- loka dem System einzuordnen. Darüber handelt III 37 :

„Alle jene ausgesprochenen Figuren, die einen großen Reiz besitzen, wenn sich ihnen ein unausgesprochenes Element beigesellt, erweisen sich zumeist als in das in Rede stehende Gebiet (der Poesie mit subordiniertem Unausgesprochenen) gehörig":

Anandavardhana führt hierzu aus, daß einige Figuren ihrer Natur nach immer auf etwas Unausgesprochenes hinweisen, daß in allen nach Bhämaha eine Hyperbel zu (jrunde liege, und daß in gewissen Figuren subordiniert eine andere enthalten sei. „Darum gehören alle Figuren, Metapher etc., welche durch Verbindung mit einem unausgesprochenen Elemente hervorragende Schönheit besitzen, zur Poesie mit subordiniertem Unausgesprochenen". Ja, dies ist nach ihm für alle solche Figuren das charakteristische Merkmal. „Wenn dies also angegeben wird, dann sind alle diese

über Begriff und Wesen der poetischen Figuren in der indischen Poetik. 5

Figuren definiert". Änandavardhana tut, als hätte er eine Defi.- nition von alatnkära gegeben, da er fortfährt : „wenn aber von jeder einzelnen Figur die spezielle Form ohne Angabe des Genus- merkmal^ beschrieben wird, so können, gerade als wenn man von einer Strophe die Zeilen besonders rezitierte, die sprachlichen Aus- drücke nicht ihrem Wesen nach erfaßt werden, weil sie an Zahl unendlich sind. Denn zahllos sind die Formen der Rede (vägvi- 'kalpd) und die Figuren sind Arten der ßedeformen". Aber trotz alledem ist dies keine Definition von alamhära überhaupt, sondern nur von solchen, „welche durch Verbindung mit einem unausge- sprochenem Elemente hervorragende Schönheit besitzen". Denn Änandavardhana erkennt auch noch andere Alamkaras als die, von denen eben die Rede war, an. In III 43 wird nämlich von der niedrigsten Art der Poesie, vom sabdacitra und väcyacitra, ge- handelt. ,,Es ist das nicht eigenliche Poesie, sondern nur eine Nachahmung derselben'*, „väcyacitra ist bar jeder Beimischung eines unausgesprochenen Sinnes und besteht nur in dem ausge- sprochenen Sinne als Hauptsache, wie z. B eine Utpreksä etc., wenn in ihr die Stimmung etc. nicht die eigentliche Hauptsache bildet^'. Und gleich darauf p. 221 präzisiert er diese Erklärung : ,,Wennder Dichter selbst ohne eine Stimmung, ein Gefühl etc. zu be- absichtigen eine Laut- oder Sinnfigur schafft, dann betrachtet man den Inhalt eben mit Bezug auf die Absicht des Dichters als der Stimmung etc. bar''. Änandavardhana erkennt somit Figuren ohne unausgesprochenes Element an, die also nicht unter die vorherge- gebene Definition fallen. Und wenn er auch dies nicht als eigent- liche Poesie gelten lassen will, so ist er damit nicht durchge- drungen ; denn nach der gemeinen Ansicht ist es doch Poesie. Was aber solche reine, der Stimmung etc. bare Figuren sind, da- rüber gibt Änandavardhana keinen Aufschluß und kann es auch wohl nach seinem System nicht tun. Versuchen wir nun selbst, diese Frage in seinem Sinne zu beantworten, so müßten wir sagen : solche Älomkäras sind Redeformen (vägvikalpa). Fragte man weiter, ob denn alle vägvihalpas auch alamJcäras seien, so würde er voraussichtlich mit Nein geantwortet haben. Aber wir suchen in seinem Werke vergeblich nach einem Anhalte dafür, wie er die Frage beantwortet haben würde, wodurch ein vägvikalpa zu einem alamkära werde. Diese Frage war eben noch nicht aufgeworfen worden.

Der Kävya Prakäsa VIII 2 wiederholt die Definition der Alamkaras nach Dhvanyäloka II 7 dem Sinne nach, wobei er aller- dings ihre Allgemeingültigkeit etwas einschränkt: „Was die

6 Hermann Jacobi,

Stimmung etc., wenn vorhanden, indirekt durch die Bestandteile (des Gredichtes) gemeiniglich schmückt nach Analogie von Hals- ketten etc., das sind die Figuren: Aliteration etc., und Vergleich etc." Mammata bemerkt noch, daß die Alamkäras „da wo keine Stimmung vorhanden ist, nur Buntheit des Ausdrucks, uktivaicitrya, bewirken könnten ^)".

Hier begegnet uns das Wort vaicitrya in technischer Bedeutung, das bei der Begriffsbestimmung von alamkära eine wichtige B;0lle spielt. Wir finden es bei Ruyyaka p. 94, wo er vom Parikara spricht: ;,er wird hier behandelt, weil vom visesana-vaicitrya die Rede ist. Vorher p. 84 hatte er gesagt: „jetzt werden zwei Figuren besprochen in Hinsicht auf dsesana-vicchitti. Es sind also vaicitrya und vicchitti^) synonym. Ebenso gebraucht Jagan- nätha vaicitrya-visesa, Rasagangädhara 387, und vicchitti-visesa p. 388 als synonym, und p. 470 erklärt er vicchittivisesa mit vaicitryatman. Als ein drittes Synonym erscheint hhaniti ; denn Rasag. p. 442 wird in genau entsprechender Weise gesagt: alamkäränäm hhaniti- V isesa mätrarüpa tvät.

Die Bedeutung dieser Wörter, deren genauen Begriff wir nachher bestimmen wollen, ergibt sich aus folgendem. Jayaratha sagt in der Vimarsini p. 94 über den Farikara : „so kommt durch Anbringung mehrerer derartiger Attribute ein vaicitryätisaya zu- stande, und das macht ihn zu einem alamkära (ity asyä Hamkära- tvam); und p. 144 sagt er: kavipratibhätmakasya viccJnttivisesäfmakasyä ^lamkäratveno Idattät, und p. 149 f. : tasya (i. e. alarnkäratvasga) kavi- 2)ratibhätmakavicchittivisesatveno ^ktatväd. „Der vicchittivisesa^)^ der in einem Akt der Einbildungskraft des Dichters besteht, ist das charakteristische Merkmal der poetischen Figuren". Man ersieht hieraus, daß eine Redewendung oder Ausdrucksweise zu einer poetischen Figur wird, wenn die produktive Einbildungskraft des

1) yatra tu nästi rasas, tatro ^ktivaicitryamätraparyavasäyinal^. vaicitrya wird englisch meist mit 'strikingness' wiedergegeben.

2) Ueber das Wort vicchitti und seine mannigfachen Bedeutungen hat Zacha-

riae gehandelt: GGA 1885 S. 381 f. Bezzenbergers Beitr. XIII S. 93—110 Zu

vicchitti „strikingness" bemerkt er noch folgendes: „Aehnlich wie vicchitti werden im Sähityadarpapa, wenigstens in der englischen Uebersetzung ähnlich wiederge- geben die Ausdrücke camatkära, camatkäritva (Staunen, Ueberraschung) und vaicitrya^ vaicitryavise^a (Mannigfaltigkeit, Verschiedenartigkeit, Seltsamkeit)". Nach Zachariae's Ansicht wäre „diese Bedeutung von vicchitti mit viccheda, vic- chedana (Unterschied, das Unterscheiden) auf eine Linie zu stellen. Vergl. noch Sahfdayalilä II 20".

3) vicchittivisesa wird schon AI. Sarv. p. 112 als das genannt, was zwei poetische Figuren von einander unterscheidet.

über Begriff und Wesen der poetischen Figuren in der indischen Poetik. 7

Dichters ihr einen vicchitlivisesa verleiht. Daher sagt Jayaratha p. 147: Tcavikammna evä Uamkäranihandkanatveno ^ktatvät „die Tätigkeit des Dichters ist das, was den alamJcära bedingt". Und zwei Zeilen weiter bezeichnet er alamküratva als kavipratibhänirvartitatva^).

Es erübrigt zur Vervollständigung der Definition von alamkära der genaue Begriff von vicchitti. Diesen findet man im Rasagan- gädhara p. 466 folgendermaßen definiert : alamkäränäm paraspara- vicc]ieda{ka)sya vaüaksanyasya hetuhhütä janyatäsamsargena kävya- nisthä kavipratibhäj tajjanyatvaprayuktä camatkaritä vicchittih. „Unter vicchitti, welche die die einzelnen Älamkäras von einander unterscheidende Besonderheit begründet, versteht man den Akt der produktiven Einbildungskraft des Dichters, sofern er in dem Gedichte als das es erzeugende liegt, oder : das ästhetische "Wohl- gefallen, das dadurch bedingt ist, daß es durch jenen (Akt der Einbildungskraft) erzeugt wird". Ich übersetze camatkäritä mit ästhetischem Wohlgefallen; die Berechtigung ergibt sich aus fol- gendem. Im Rasagangädhara p. 4 wird kävya, Gredicht, definiert als eine sprachliche Komposition, die einen schönen Gredanken zum Ausdruck bringt: ramaniyärthapratipädakah sahdah kävyam. Schön ist, was Gregenstand einer Vorstellung ist, die uninteressiertes Wohlgefallen erzeugt: ramaniyatä ca lokottarählädajanakajnänago- caratä. Uninteressiertheit als jenem Wohlgefallen inne wohnend, auch synonym als camatkäratva bezeichnet, ist ein spezifisches Ge- nusmerkmal, dessen wir uns unmittelbar bewußt werden: lokotta- ratiam ^Uüadagatas camafkäratväparaparyäyo ^nuhhavasäksiko jäti- visesah. Und die Ursache (des Wohlgefallens) ist eine bestimmte Art des Vorstellens, bestehend in einem fortgesetzten Ueberdenken, desjenigen, dem jenes (spezifische Merkmal) eigentümlich ist : kära- rmm ca tadavacchinne bhävanävisesah punahpunaramisamdhänätmä. Nicht uninteressiert ist also ein Gefallen, welches durch Vorstellung eines Satzinhaltes wie „Dir ist ein Sohn geboren", „ich werde Dir Geld geben" entsteht: ^piitras te jatah, dhanam te däsyämi' iti väk- yärthadhljanyasyä ^^hlädasya im lokottaratcam. Also camatkära ist ein uninteressiertes Wohlgefallen, wie auch Kant, Kritik der Ur- teilskraft I § 2 ff. es bezeichnet hat; camatkärin ist, was dieses Wohlgefallen erweckt, also das Schöne ; synonym damit ist hrdya,

1) Dieses Element ist bei denjenigen Figuren maßgebend, bei denen der Reiz nicht in der Form, sondern in der Behandlung des Stoffes liegt wie bei svobhävokti etc. Siehe AI. Sarv. p. 177 f. und Jagannäthas Bemerkung: va- stuvrttasya lokasiddhatvenä HamTcäratväyogät ; yato bahir asantalt kavipratibhämä- irakalpitä arthäjjb kävye 'larfikärapadäspadam. Rasag. p. 448. cf. p. 460 na hi lo- kasiddho ^rthajf, kävyälamkäräspadam bhavitum arhati.

8 Hermann Jacobi,

So heißt es Rasagangädhara p. 424: camathäritcam Hamkärasä- mänyalaksanapräptam eva und gleichbedeutend p. 357: hrdyatvarri HamTcärasämänyalaksaiiägatam sarvälamjcärasädhäranam ^).

Unsere Unter suchnng hat uns also gezeigt, was unter vicchitti- vise§a verstanden wird : es ist, wenn alamkära definiert werden soll, die difPerentia specifica. Wir müssen noch das genus nennen ; dies ist vägvikalpa. In der oben übersetzten Stelle aus Änanda- vardhana p. 210 hieß es: „zahllos sind die Formen der Rede und die Figuren sind Arten der Redeformen" : anantä hi vägvikalpäs tatprakärä eva 'lamkäräh (cf. p. 8). Statt vägvikalpa gebraucht Rasag. p. 362 vacanahhangt. Es sind darunter „Redewendungen" verstanden, und zwar dürfte dem vikalpoj noch mehr dem bhangt, der Begriff des Künstlichen anhängen^). Ohne diesen Nebenbegriff lautet die dem Vakroktijivitakära in den Mund gelegte Definition: „die poetischen Figuren sind besondere Arten des Ausdrucks" ahhi- dhänaprakäravisesä eva alamkäräh (AI. Sarv. p. 8). Eine poetische Figur wäre also: eine unser uninteressiertes Gefallen erweckende Redewendung, die des Dichters Phantasie zu diesem Zwecke zur Einkleidung seines Gredankens schuf. Zwei Figuren unterscheiden sich von einander durch die Eigenart ihrer Wendung {vicchittivisesa) (was wir füglich mit „besonderer Reiz" oder „Colorit„ übersetzen können), die aber immer in der produktiven Einbildungskraft des Dichters ihre Entstehung haben muß. Wenn also eine Fignr dieses Elementes ermangelt, wie z. B. das Yathäsankhga, da wird ihre Berechtigung als alamkära zu gelten bestritten, was in genanntem Falle zuerst der Vakroktijivitakära, siehe Vimarsini p. 150, und nach ihm Jayaratha 1. c. und Jagannätha p. 478 und andere getan haben. In einem solchen Falle liegt also nur eine Redeform vor,

1) Hier möge eine Bemerkung Appayyadiksitas ihre Stelle finden, die aller- dings recht äußerlicher Natur ist: sarvo ^py alaifikärafi kavisamayapi'asiddhya- nurodhena hrdyatayä kävyasobhäkara evä Harfikatäratäm bhajate. Citrami- mäipsä p. 6.

2) So gebraucht in, diesem Sinne Hemacandra für vägvikalpa p. 273 ukti- vaicitrya, indem er den Gedanken Änandavardhanas folgendermaßen wiedergibt: uktivaicitryamäträd bhede ca Idk^atikdkararie 'lafnkäränaniyaprasangah', Jagan- nätha aber sagt ausdrücklich Rasag. p. 326 : vicchittivaüak?anyasyaivä latjikära- vibhägahetutvät. Offenbar hat Hemacandra uktivaicitrya mit vägvikalpa zu- sammengeworfen, um seine Behauptung zu beweisen, daß vibhävanä vise^okti asarfufati vißama adhika vyäghäta atadguna nicht verschiedene Alatfikäras seien, sondern nur verschiedene Arten der einen Figur Virodha. (Vergl. hierüber Rasag. p. 461). Den von Hemacandra beabsichtigten Gedanken drückt Jagannätha ge- nauer so aus: kirticidvailakßanyamätrenaivä Hartikärdbhede vacanabhariglnäm änantyäd alartikäränantyaprasangät. Rasag. 362.

über Begriff und Wesen der poetischen Figuren in der indischen Poetik. 9

deren Schema fest stellt und durch den objektiven Gedanken ge- geben ist, ohne daß der Dichter dabei ein anderes Verdienst hätte, als eine falsche Ausdrucksweise vermieden zu haben. Es gibt aber auch Figuren dieser Art, die an sich, soweit ihr Schema in Betracht kommt, durchaus unpoetisch sind, wie die Alternative (vikalpa) und der Syllogismus (aimmänd) ; aber wenn solche Figuren mit einem anderen figürlichen Element verquickt sind, wie erstere mit einem Vergleich ^), oder sonstwie einen Reiz bekommen, wie die letztere^), so werden sie zu poetischen Figuren. Ueber solche Fälle, wo ein anderes Element hinzukommen muß, um eine Rede- figur zu einer poetischen Figur zu machen, enthält der Rasagan- gädhara, p. 470 folgende Auseinandersetzung, die allerdings in einem Referat über eine fremde Ansicht vorkommt : ;,Wo der Reiz des ausstattenden Elements von dem Reiz des dadurch Ausge- statteten verschieden ist, da möge meinetwegen das Ausgestattete besonders neben dem Ausstattenden als ÄJamlära gelten, wie Hetu- und Phala-UtpreJcsä neben AtismjoUi. Wo es aber bei dem Reiz des Ausstattenden sein endgiltiges Bewenden hat, da ist das Ausgestattete keine besondere Figur, wie beim vorliegenden (i. e. Tcävyalinga). Wenn das zur Folge hat, daß dann viele von den Alten anerkannte Figuren geleugnet werden müßten, so geben wir das zu; aber was liegt daran? Darum ist Jcävyalinga (keine poetische Figur), sondern die Abwesenheit eines Fehlers, nämlich der mangelnden Begründung^)."

Ich glaube in der vorausstehenden Zusammenstellung nichts Wesentliches übersehen zu haben. Man ersieht daraus, daß die Poetiker sehr eindringend über das Wesen der poetischen Figur nachgedacht und den Kern der Sache durchaus richtig erfaßt haben. Wie kommt es nun, daß diese Darlegungen nebenher und zerstreut in den Kommentaren beigebracht, statt, wie es sich bei ihrer prinzipiellen Wichtigkeit eigentlich gehörte, im Anfang der Lehre von den poetischen Figuren als grundlegender Lehrsatz ge- geben zn werden? Diese Frage wollen wir jetzt zu beantworten suchen.

1) AI, Sarv. p. 158: awpamyagarhhatväc Hra cärutvam.

2) ib. p. 146 vicchittivisesas Hrä Wthäsrayaniyah,\ aber Kasag. p. 475 asga ca Icavipratibhollikhitatvena camatkäritve Tcävyälamkäratä.

3) yatra tu ^paskärakavaicitryäd vüaksanam tadupaskäryavaicitryam, taträ ^stu nämo ^paskärakäd upaskäryasya prthagalamkäratvam, yathä ^tisayokter hetu- phalotpreksayoJi. yatra tu 'paskärakavaicitrya eva visräntis, tatro ^paskäryam analamkära eva, yathä prakfie. evam tarlii bahünäm alamkäratvena präcinair ünkj-tänäm analamkäratäpattir iti cet, astu, kim nas chinnam ? tasmän nirhetu- rüpadosabhävah kävyalingam ity api vadanti.

10 Hermann Jacobi,

Die Dhvani-Lelire hatte den Erfolg, daß sie als die theore- tische Grundlage der Poetik allgemeine Anerkennung fand. Das fertige System der Poetik tritt uns im Kävya Prakäsa zuerst entgegen, und dieses Werk gewann ein solches Ansehn, daß es für die ganze Folgezeit als eine Autorität ersten Ranges galt. Wir sahen, daß in demselben die Stellung und Bedeutung der Alamlcäras im Anschluß an den Dhvanyäloka nach ihrem Ver- hältnis zur „Seele der Poesie", der Stimmung etc., bestimmt wurde, ohne daß man eine Realerklärung derselben zu geben suchte. Aber die Dhvani-Lehre blieb nicht ohne Gregner und Rivalen ^), deren Werke zwar in Vergessenheit geraten sind, deren Ansichten aber, soweit sie sachlich Beachtenswertes enthielten, sicher Be- rücksichtigung fanden. Für unsere Frage konmit der Vakrokti- jivitakära in Betracht; derselbe ging nämlich gerade von dem- jenigen Punkte aus, der in der Dhvani-Lehre nicht befriedigend, wie wir oben sahen, behandelt worden war: der prinzipiellen Be- deutung der Alamlcäras für das Wesen der Poesie. Während nach dem Dhvanikära die Alamlcäras nur von nebensächlicher Bedeutung für das Wesen der Poesie sind, stellte er den Satz auf: ulcfivaici- tryajivitam kavyam „das Leben der Poesie besteht in der „Bunt- heit" (oder Reiz) der Rede (bez. des Ausdrucks)," oder ausführ- licher : i'aidagdhyahhangtbhanitisvahhcivätn haliuvidhäm valcrohtim prä- dhanyät Tcävynjwitam uktavän ^) „er erklärte, daß die mannigfaltige rakrolcti, die in dem Aussprechen (des Gedankens) durch gewählte Wendungen besteht, als das Hauptsächliche das Leben der Poesie sei". Die valcrata ist also die Künstlichkeit des Ausdrucks, und dieser muß von dem Dichter selbst hervorgebracht sein : vyäpärasya prädhänyam ca Icävyasya pratipede. ib. Hier haben wir nun beide Momente, die nach der obigen Untersuchung als das Wesen einer poetischen Figur ausmachend gelten, nämlich vaicitryavisesa (oder vicchittivisesa) und kavipratihhotthäpitatvam. Man beachte, daß obige Sätze in Ruyyakas knappem Resum^ von der Lehre des Vakrok- jivitikära stehen; die darin behandelten Begriffe müssen also zu

1) Vakroktijivitakära, Bhattanäyaka und Vyaktivivekakära (Mahimabhatta) AI. Sarv. p. 8 ff. Alle drei später als der Dhvanikära, siehe Vimarsini p. 12. Ihre Zeit liegt also zwischen dem Ende des 9. und dem Anfange des 12. Jhd.

2) AI. Sarv. p. 8. In der Vimarsini ib. werden die eigenen Worte des Ver- fassers zitiert : vakrokiir eva vaidagdhyabhahglbha'^itir ucyate und viciträ yatra vdkroktir, vaidtryarii jivitäyata (so zu lesen), lieber eine besondere Art der vakratä handeln folgende 2 Verse: yatra düräntare ^nyasmät sämänyam upacar- yate \ le6enä ^pi bhavet kartutfi ('f l) kitficid udriktavrttitä \\ yanmülä sarasollekhä rüpakädir alaifikrtil^ \ upacärapradhänä ^sau vakratä kädd i^yate [|. ib.

über Begriff und Wesen der poetischen Figuren in der indischen Poetik. H

dessen Grundgedanken gehören. In der Tat scheinen jene beiden Ausdrücke auf den Vakroktijivitakära als ihren Urheber zurückzugehen. Denn wo in der Vimarsini p. 149 f. gezeigt wird, Yatbäsankhya sei kein alamkära, heißt es : etac ca Vdkrohtijivatalrtä saprapancam uktam ity asmähhir iha näyastam. Also Untersuchungen über das, was eine Redefigur zu einer poetischen macht, hat der Vakroktijivitakära angestellt, und er wird darin von Jayaratha als Autorität anerkannt. Diese Untersuchungen gingen aber von den oben zusammengestellten Gresichtspunkten aus. Somit dürfen wir es als das Verdienst des Vakroktijivitakära ansehn, den Be- griff der poetischen Figur definiert zu haben. Seine Definition wurde als richtig anerkannt und von Spätem akzeptiert; aber seine Behauptung, daß die vakroJäi das Leben der Poesie ausmache, fand keine allgemeine Annahme. Man hielt vielmehr an der Lehre des Dhvanikära über das Verhältnis der Älamlmras zur Seele der Poesie fest, woraus sich, wie oben gezeigt, die ungenügende Fun- dierung der Lehre von den poetischen Figuren in der systemati- schen Darstellung ergibt.

Begriff und Ausdruck vaJcrokti sind aber viel älter und gehen wahrscheinlich schon auf Bhämaba zurück. Denn er sagt von der atisayoMi ^) : sai ^sä sarvatra vaJcroliir anaya ^rtho vibhävyate \ yatno ^syäm kavinä Jcäryah ko ^lamkäro ^nayä vinä || und Abhinavagupta bringt in dem Kommentar zu der in der letzten Anmerkung zi- tierten Stelle folgendes anonyme Zitat:

vakräbhidheyasahdoktir istä väcäm alamkrtih.

„Das Aussprechen eines gekünstelten Gedankens oder eines gekünstelten Ausdrucks gilt als Schmuck der E-ede". Und Dandin, Kävyädar^a II 363 sagt:

bhinnam dvidhä svabhävoktir vakroktis ceti vänmayam. „Das ganze Gebiet der (poetischen) Rede zerfällt in svabhävokti und vakrokti^.

Also die vakrokti umfaßt das ganze Gebiet der poetischen Fi- guren mit einziger Ausnahme der svabhävokti (oder jäti)] denn auch diese reihte man sonderbarer Weise auch unter die poetischen Figuren ein. Nicht zu verwechseln ist unsere vakrokti mit einer gleichbenannten Figur, siehe AI. Sarv. p. 177: (vakroktisabdas Ha/rnkärasämänyavacano ^pl ^hä Hamkäravisese samjnitah) ; oder mit einer andern bei Vämana IV 3, 8 (sadrsyäl laksanä vakroktih). Letztere vakrokti ist offenbar das, was der Vakroktijivitakära (siehe note 2, S. 10) als upacärapradhänä vakrokti bezeichnet hat.

1) Ekavali, notes p. 589, und Dhvanyaloka p. 208.

12 Hermann Jacobi,

Man ersieht daraus, daß sein System mit alten Bestandteilen des Alainkärasästra operierte; es scheint eine Weiterentwicklung in der Richtung zu sein, die Vämana mit seinem ersten Sütra : kävyam grähyam alamkärät bereits eingeschlagen hatte. Existenzberechti- gung hatte sein System, weil es eine vom Dhvanikära nicht ge- nügend gewürdigte Seite der Poesie, die dieser organisch seinem System einzuordnen nicht verstanden hatte, zum Mittelpunkt des seinigen machte. Aber sein System konnte sich dennoch dem des Dhvanikära gegenüber nicht halten, weil er Dichter und Dichtung doch nur von der formalen Seite auffaßte, während jener tiefe Blicke in das Wesen der Poesie getan hatte.

So war zwar die Frage nach dem Wesen der poetischen Fi- guren im Allgemeinen richtig beantwortet ; es verblieben aber noch dunkle Punkte, die einer prinzipiellen Lösung unzugänglich waren. Wir sahen, daß zwei AlamMras verschieden sind, wenn jede ihren vicchittivisesa, speziellen Reiz, hat. Aber ein allgemein- giltiges Kriterium dafür, ob etwas bloß ein geringfügiger Unter- schied sei, wodurch nur eine Unterarteines Älamkära bestimmt werde, oder hinreiche, um einen besonderen Älamkära zu bilden, konnte man nicht angeben. Diese Frage kommt in der Vimarsini p. 140 bei Gelegenheit der auf der Verkettung oder Gradation (srnkhala) beruhenden Figuren zur Erörterung. Dort wird gesagt, daß die Verkettung selbst nicht eine Figur sei. „Wenn sie es wäre, dann müßte auch die Aehnlichkeit (sädharmya) nur eine Figur bilden. Denn wenn man beim Vergleich etc. von der Aehnlichkeit absieht, so ist für die einzelnen (verwandten Figuren) kein spezieller Reiz denkbar, worauf ihre Unterscheidung beruhen sollte. Und so müßte man auch den Widerspruch (virodha) als eine einzige Figur bezeichnen; denn bei Vibliäva etc. ist außerhalb des Wider- sprechenden kein Unterschied. Man käme auf diese Weise dazu, nur 7 oder 8 Alamkäras definieren zu müssen. Läßt man aber bei Vergleich etc. in der Aehnlichkeit selbst weitere Unter- scheidungen zu und ebenso bei den andern Kategorieen von Fi- guren", so muß man es auch bei den verketteten Figuren tun. In Rasag. p. 466 wird derselbe Gegenstand folgendermaßen dar- gestellt: „da auf Grund unserer Empfindung feststeht (anubhava- siddha), daß die einzelnen verketteten Figuren verschieden sind hinsichtlich ihres Reizes, so steht auch fest, daß sie alle besondere Figuren sind; darum darf die Verkettung (srnkhala) gerade wie Widerspruch, Ununterschiedenheit, Aehnlichkeit nur als das ge- meinsame Lebenselement (anupränakatä) gelten, nicht aber als Figur. ALndemfalls müßte auch Ununterschiedenheit (lies ahJieda) etc. eine

über Begriff und Wesen der poetischen Figuren in der indischen Poetik. 13

besondere Figur sein. Bei dem kompleten und dem defekten Ver- gleich ist aber keine Verschiedenheit des Reizes, sondern der Ver- gleich bildet da den Reiz. Das ist die üeberlieferung'^ (hier schließt die oben S. 7 übersetzte Stelle über vicchitti an).

So entscheidet Jagannätha die Frage mit Berufung auf anu- bhava und sampradäya. Aber die Verschiedenheit des Standpunktes bei der Beurteilung der Frage, ob man etwas als besondere Figur oder nur als eine Unterart einer solchen anzusehn habe, ergibt sich aus folgenden Stellen. Rasag. p. 461 handelt von der Reihe der Figuren Virodhäbhäsa bis Vyäghäta, die auf dem Widerspruch (virodha) beruhen. Dieser Widerspruch, der durch verschiedene Mittel hervorgebracht im ersten Moment empfunden werde, habe eine Spur von Reiz (vicchittimäträtma), halte aber wie der Blitz nicht an. „Indem diese Figuren je verschiedenartigen Reiz {vai- citrya) bekommen, erscheinen sie als Unterarten des Virodhäbhäsa, nicht aber als von ihm verschieden, wie Armbänder etc. nur For- men des Goldes sind. So meinen einige. Andere aber sagen, daß diese Figuren, die nur einen gewissen Schein mit einander gemein haben {parasparacchäyämätraniisärinah)^ als jede ihren besonderen Reiz besitzend verschiedene Figuren sind. Denn sonst müßten auch Metapher etc., in deren Wesen eine Aehnlichkeit einge- schlossen ist, auch nur Formen des Vergleichs sein, und dadurch würde ein gut Stück (unserer Wissenschaft) in Unordnung kommen".

Auf diese Stelle folgt die Diskussion, ob die Verkettung (srnlhalä) als Figur zu gelten haben, oder die auf ihr beruhenden Figuren selbständige Figuren sind. Gegen ersteres wird geltend gemacht, daß die Verkettung in jenen besondern Figuren vollständig auf- ginge (gatärthatvät) und sie kein eigenes Feld des Vorkommens außer jenen habe. „Wie in Metapher etc. das (allen verwandten Figuren) gemeinsame Lebenselement, der durch die Ununter- schiedenheit oder durch die Gleichartigkeit gebildete Bestandteil, nicht selbst eine besondere Figur ist, so ist es auch im vorliegen- den Falle. Andere geben das nicht zu, sondern sagen: Auch die Metapher geht in ihren Unterarten, ausgeführte Metapher etc. vollständig auf, ebenso der Vergleich in kompletem und defektem Vergleich ; sie dürften darum nicht als selbständige Figuren gelten. Denn das Genus kommt nicht für sich vor, sondern nur in den einzelnen Arten. Darum sind Käranamälä etc. nur Unterarten der Verkettung". Vergleiche auch die auf S. 9 übersetzte und die in note 2, S. 8 angeführten Stellen.

Wir sehen aus den mitgeteilten Erörterungen, daß die Poetiker den Begriff der poetischen Figur bis in die letzten Konsequenzen

14 Hermann Jacobi,

analysierten. So mußten sie an den Punkt geführt werden, wo das Prinzip versagte. Einen praktischen Ausweg aus der Ver- legenheit hat Jagannätha gefunden, indem er sich für die Fest- setzung der einzelnen Figuren auf eigene Empfindung und das Herkommen berief. Aber die Lücke in der Theorie ist damit doch nicht in jeder Beziehung befriedigend ausgefüllt.

BLACHFELB.

Von

Edward Schröder.

Vorgelegt in der Sitzung vom 25. Januar 1908.

Unsere neuhochdeutschen Wörterbüclier, von denen freilich keines für sich in diesem Punkte vollständig ist, enthalten alles in allem fünf Substantiva mit Black-. Davon nimmt eine besondere Stellung ein Blachsah (schon mhd.) 'Salz in blaken^ (d. h. groben Leinensäcken); zu Mach 'atramentum' stellen sich BJachmann für die schwarze Hornblende, Blachmal (schon ahd. mhd.) 'Niellover- zierung' und 'argentum sine colore albo', und wohl auch Blacltfrost (engl. Uackfrost) Trost ohne Schneedecke'. Von diesen unterscheidet sich deutlich BlacJifeld 'planities', das seit Luther (Belege bei Dietz, Luther- Wörterbuch I 311) belegt und durch das ebenso bei Luther bezeugte Adjectivum hlach 'planus' einfach genug erklärt scheint. Li der Tat haben sich unsere Lexikographen zumeist damit be- gnügt, das Kompositum Blachfeld als eine Zusammenrückung des Adj. UacJi mit dem Subst. feld hinzustellen; daß dieses Uachn^h^n dem weit häufigeren flach (vlach) aufi'ällig sei, notiren zwar die Grram- matiker, wie zuletzt Wilmanns I ^ 123 97 Anm.), aber ein Er- klärungsversuch, der direkt das Kompositum zum Ausgangspunkt nimmt, liegt m. W. bisher nur von S. Bugge vor: in seinen aller Fehlgriffe ungeachtet höchst anregenden Studien über die ger- manische Anlautsverschiebung hat er Beitr. 12, 411 *blaJcafelpa prä- historisch aus *flaJcafelßa entstehen lassen und weiterhin die Exi- stenz des Simplex Nach aus diesem und ähnlichen Kompositis ab- geleitet. Er fügt dann aber ausdrücklich hinzu ; 'die Dissimilation hat vielleicht dazu mitgewirkt, daß sich die Form mit h eben in blachfeld erhalten hat. Man fand die Form flachfeld mit anlauten- dem f in beiden Gliedern mißtönend u. s. w.'

In Wirklichkeit ist dies Moment, welches Bugge nur als ein

16 Edward Schröder,

erhaltendes einführt, das erzeugende: hlachfeld ist nichts anderes als eine Dissimilation, und zwar anscheinend eine junge Dissimi- lation, aus fJachfeld, und lediglich aus diesem Dissimilationsprodukt ist das Adjektivum blacJi abgeleitet. Auf neuhochdeutschem Boden ist das ohne weiteres klar : Luther braucht blach (s. Dietz a. a. 0.) ausschließlich in Verbindung mit Feld, und die litterairischen Belege bei Grimm, Sanders und Heyne, die von Hans Sachs bis Conrad Ferd. Meyer herunterreichen, beweisen diesen Zusammenhang auch für die Folgezeit. Daneben begegnen freilich ein paar Zeugnisse früherer Lexikographen, wie hlachstirnig ^fronto' bei Henisch und Uach Angesicht 'facies plana' bei Stieler. Die Übertragung auf das 'Gresichtsfeld', die Gresichtsfläche, die später wieder geschwun- den ist, wird also für die frühere Zeit nicht zu leugnen sein. Mit dem mhd. Adj. hlach freilich ist es eine eigene Sache. Von den drei Belegen, welche die Wörterbücher aufführen, ist zunächst zu streichen Alexius A 321 bei Maßmann, wo plaech nur ein Schreib- fehler der Hs. P für plaich und dies eine fehlerhafte Wiederholung aus dem vorhergehenden Verse ist ; mit Gr muß man schreiben : sin antlitz swarz und missevar. Boner 63,30 hat schon Pfeiffer für Beneckes hlach und hungric was sin lip richtig nach der Hs. B an- gesetzt stach {swach CD, siecht d, magrig b u. s. w). Es bliebe also nur Helbling 1, 315, wo es von einem Föltingmre, von einem Eock aus dem groben Tuch von S. Polten, in der (bekanntlich nicht guten) Überlieferung der einzigen Hs. heißt: der was in der grcewe hlach] was dasteht, hat der Herausgeber Seemüller gewiß richtig übersetzt: der war 'grau und glatt' ob das aber gerade für das Tuch von S. Polten paßt, wofür man nach dem Zusammenhang dieser Stelle und nach 3, 180 f. fast eher das umgekehrte ('grau und rauh') erwartet? Kurz, das Adj. hlach ist für die Zeit vor dem ersten Auftauchen von hlachfeld jedenfalls schlecht bezeugt es ganz abzuleugnen, hab ich keinen Grrund; denn daß die ersten Zeugnisse für das Kompositum in Luthers Schriften stehn, spricht so wenig gegen ein höheres Alter des Wortes, wie etwa bei Quelle^ für das (zwar ältere lexikalische, aber) kein einziger litterarischer Beleg vor Luther bekannt ist. Daß neben hlachfeld die Form ohne Dissimilation fortlebte, mögen für das 16. Jh. ein oberdeutscher und ein niederdeutscher Lexikograph bezeugen: Dasypodius: flach- feld 'campus' und Kilian: vlackveld 'camporum aequor'.

Die Dissimilation im Wortanlaut und speciell im Kompositum, auf die allein ich, abweichend von Bugge, die Entstehung von hlachfeld zurückführe, ist eine wenig beachtete Erscheinung, und es lohnt sich wohl, sie einmal durch reichlichere Beispiele zu beleuchten,

BL ACHFELD. 17

nachdem neuerdings das ganze Problem der Dissimilation an einem AusscliDitt zum ersten Male eindringlicli behandelt worden ist von Ed. Hoffmann-Krayer: Ferndissimilation von r und l im Deutschen. Ein Beitrag zu den Prinzipien des Lautwandels. (Fest- schrift zur 49. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner, Basel 1907, S. 491 506). Ich sage: zum ersten Male, denn die bekannte Monographie von Grammont, La dissimilation consonan- tique dans les langues indo-europeennes et dans les langues roma- nes, Dijon 1895, ist nicht einmal zu der einfachsten Erkenntnis vorgedrungen, daß es sich hier um etwas anderes als um feste 'Lautr gesetze' handelt, und daß beim Eintritt wie beim Unterbleiben der Dissimilation neben den Accentverhältnissen psychologische Fak- toren eminent wirksam sind. Ich selbst gehe auf die principiellen Fragen nicht näher ein, betone aber, daß eben die Dissimilation im Anlaut des Nominalkompositums, die ich zum ersten Mal behandle, die Rolle des Accents gegenüber den von Hoffmann-Krayer erörterten Erscheinungen überraschend zurückdrängt. In Widerspruch zu meinem Vorgänger tret ich trotzdem nicht: denn er hat sehr wohl die Grründe beachtet und hervorgehoben, welche diese Ver- schiedenheit erklären. Das Wortmaterial mit dem ich operiere hab ich in der Hauptsache vor Jahren gesammelt, wie mein Aufsatz über Alliteration im Nominalkompositum Zs. f. d. Alt. 43, 361 ff. ankündet. Ich habe mich damals hauptsächlich auf Ortsnamen und Pflanzennamen beschränkt: daß sich der Stoff für diese wie für jede andere Art von Dissimilation aus unseren Idiotiken und aus den Eigennamen unserer Adreßbücher gewaltig anhäufen ließe, weiß ich sehr wohl. Aber ich will für heute nur Blachfeld lehr- reich erläutern, und dafür reicht mein SammelstofF aus.

Ich beginne mit Beispielen, die dem unseren am nächsten liegen, also mit der Dissimilation

/:/>&:/■ Der gemeine Staubschwamm : ^Lycoperdon', im mittellatein. 'Crepitus lupi', heißt in altdeutscher Übersetzung des lateinischen (resp. grie- chischen) Ausdrucks zunächst wolves vist (Pritzel- Jessen 461), dann aber auch vohen vtst 'Crepitus vulpis' (Belege bei Lexer III 432) : aus diesem voltenvist resp. vohvist (vgl. die Ortsn. Vohemvinkel und VoJiwinhel) wurde das mnd. hövist, unser Bovist dissimiliert, und dies ist dann einerseits wieder zu Bubenfi^t u. ä. umgedeutet, anderseits wegen seines merkwürdigen Klanges in die lateini- sche Nomenclatur: 'Lycoperdon bovista' aufgenommen worden. Unsere Wörterbücher haben den einfachen Vorgang sämtlich ver- kannt, ja bis auf Heyne sogar den vohenvist übersehen; viele halten

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 1. 2

^8 Edward Schröder,

bovista für echtes Latein, so auch auch Brüten u. Holland, Engl, plant-names.

Im hessischen Gerichte Steinau lag ein kleiner Ort, der in fuldischen Urkunden der Karolingerzeit frigero manno velt heißt und der noch 1382 existierte: aber als Brymendefelt\ Seit 1416 (Bremi- feld) liegt er wüste, in der Wüstung Bremenfeld lebt sein Name fort (Landau, Wettereiba S. 128. 133; Wüstungen S. 371).

Der umgekehrte Vorgang ist die Dissimilation

b : b) f :h.

Im Kreise Witzenhausen treffen wir am Ausgang eines schmalen Waldbachtales unterhalb des Ludwigssteins die Flachsbachsmühle: das Tal selbst hat nur wenige Morgen unter dem Pfluge, Flachsbau ist dort wohl nie getrieben worden, in der Tat hieß der Bach und die kleine Siedelung, deren letzter Überrest die Mühle ist, von Haus aus BlaspacJi^ so noch 1369, während 1418 dafür Flaspach auftritt, wie das Volk noch heute spricht; Flachshach ist nur die hochdeutsche Umschreibung. Blas ist das bekannte Adjectivum blas^ hlessi 'pallidus, calvus', das in zahlreichen Bach- und Berg- namen Deutschlands und der Niederlande begegnet. Wir werden bei einem dieser Namen noch andere Schicksale constatieren (S. 20 oben). Wenn es nun im Rheinland und anderwärts einen Familiennamen Blasherg u. ä. gibt, aber vorläufig ein entsprechender Ortsname nicht nachweisbar ist, so mag die Vermutung wohl ausgesprochen werden, daß die Hofstatt Flachsberg der Stadt Gräfrath einst diesen Namen getragen habe.

Unter den nicht wenigen Ortsnamen, welche den Namen Bocl'S- herg 'Mons hirci' oder *Mons capri' führen, hat das im badischen Amt Breisach gelegene Bochesberch (so 972 bis 1027 4 mal) daa Schicksal gehabt, zu Vochesberch (1186), Vockesberg (1308), Foxberg (1333) dissimiliert und demnächst zu Vogtsberg (so schon 1235?) resp. Vogtsburg umgedeutet zu werden (Krieger, Topograph. Wörter- buch des Großherzogtums Badens 11^ 1288). Wir sehen hier deut- lich: die Etymologie bemächtigt sich der neuen Form erst nach- träglich, von einer volksetymologischen Umdeutung ist zunächst nicht die Rede, sondern nur von einer lautlichen Dissimilation. Die Umdeutung hätte ebenso gut auf Fuchsberg führen können.

Dies Resultat hatte die Dissimilation bei einem Pflanzennamen r *Rubus caesius' heißt sowohl Bocksbeere als Fuchsbeere (Pritzel- Jessen S. 343) ; die 'Bocksbeere' ist natürlich das primäre : der Fuchs verschont den Strauch, den der Rehbock aufsucht.

Daß in Fällen wie den Ortsnamen auf -bach, -berg, -bürg, den

BLACHFELB. 19

Pflanzennamen auf -beere,. -Uume die Dissimilation den ersten Be- standteil trifft, obwohl dieser den Hanptton trägt, ist selbstver- ständlich. Aber einmal war sie natürlich nicht auf das Ausweichen in /' beschränkt, und dann war in Fällen wo der zweite Teil des Kompositums nicht ein geläufiges Appellativum darstellte, auch dieser nicht vor der Dissimilation geschützt: der bekannte Name für 'Artemisia vulgaris' : Beifuss, nd. Bifot ist dissimiliert aus ahd. mhd. bibö^: es ist das Gregenstück zu der Dissimilation, welche aus der Bibel die Fibel abspaltete.

An den Schicksalen einiger Pflanzennamen ließe sich die ganze Mannigfaltigkeit der Dissimilation demonstrieren. Besonders lehr- reich sind 'Rubus fruticosus', 'Vaccinium vitis idaea' und 'Solanum tuberosum'. Für die Brombeere verweise ich auf Pritzel- Jessen S. 344 und Vilmar, Idiotikon v. Kurhessen S. 134 und stelle hier nur susammen

b : h bewahrt : Brämbeere, Brommbeere b : b y f : b in Frommbeeri (St. Grallen) b : b } g : b in Grambeeren (Niederhessen) b : b } : b in Rahmbeerstrauch (Schlesien) b : b ) b : in Brömcrn (Siebenbürgen), auch Blömrde (Ottenheim, Beitr. 13, 216) "■).

Und mit diesem Falle der 'Brombeere', der sich ähnlich bei der 'Preißelbeere' ('Vaccinium vitis idaea' Pritzel-Jessen S. 424 f.) wiederholt, sind die Möglichkeiten der Dissimilation noch nicht er- schöpft: denn der naheliegende Übertritt von b in m und in w^ mit dem wir im gleichen Artikulationsgebiete verbleiben, ist bei dem Anlaut br- ausgeschlossen. Ich gebe also zunächst hierfür ein paar Beispiele aus dem freien Wortanlaut.

b \ h ) m '. h, Beispiel : Mollenbacli im Elsaß (Seitenbach der Leber) für älteres Bollenbach (Zs. f. d. Alt. 49, 471).

h \ h ) w : h, Beispiele: der Wellenberg bei Gerbershausen (Elr. Heiligenstadt), in Urkunden d. 14. Jhs. Bellenberch ; der Wahl- berg bei Coswig in Anhalt, in Urkunden d. 10. bis 13. Jhs. Bai- berg (Hey u. Schulze, Die Siedlungen in Anhalt S. 101) ; der Zinken Bestenbach der Gem. Petersthal (A. Oberkirch), der im 14. Jh. auch als Westembach vorkommt (Krieger I^ 164).

Merkwürdiger ist der Übertritt in ein anderes Artikulations- gebiet, das gutturale, also b : b ) g(7c) : b, wie ihn die Beispiele aufweisen : Gutenbach (A. Mosbach), schon a. 1349 Gudembach, aber

1) In Brommer, Brommel- u. s. w. hingegen liegt Assimilation mh > mm vor.

2*

20 Edward Schröder,

vorher Budenbach 1141. 1299 (Krieger I^ 800 f.); der Kiesberg in Nassau, urkdl. 1231 Bieseberg (Nass. Annalen 37, 70).

Von deutschen Belegen für den Übertritt aus der Labial- in die Dental reihe hab ich für den Wortanlaut mir zunächst einen notiert, der unsern Göttinger Dialekt angeht : aus ihm verzeichnet Schambach S. 29 u. 231 für 'Clematis vitalba' die beiden Wörter Bocksbart und Tockebart. Damit läßt sich vergleichen die hübsche Dreiheit von engl. Benennungen, welche Britten u. Holland p. 578 für 'Dactylis glomerata' (Knaulgras) aufführen: Fox's-foot Dog^s- foot CocFs-foot. Und wenn wir nun sehen, daß ^Caltha palustris' in England wie in Deutschland (Britten- Holland p. 572, Pritzel- Jessen 73 f.) eine Menge von Namen in der Richtung auf 'Butter- blume' (Ankeblume, Schmalzblume u. s. w.) führt, so werden wir kaum mehr zweifeln, daß Dutterblume, Dotterblume aus Butterblume^ B Otterblume durch Dissimilation entstanden sind. Der gute Sinn, den diese Entgleisung der Aussprache bot, hat ihre Existenz ge- sichert und sie sogar bei den Botanikern zu officieller Anerkennung gebracht.

Im Inlaut ist der Übertritt aus der einen in die andere Reihe nichts seltenes und in Familiennamen sogar recht häufig: so ist am Rhein der Name Rautenstrauth zu Raupenstrauch, dissimiliert, und in Niedersachsen haben besonders die alten Handwerkernamen auf -werte (hd. würhte)^ später auch -werter {-werder) die merkwür- digsten Ent Wickelungen durchgemacht : für mestwerte ^Messerschmied' verzeichnet das Adreßbuch der Stadt Hannover neben Mestwerdt auch Mestwarb und mit späterer Erleichterung Messwarb, aus dem bardenwerteif) hat sich ein Bardenwerper und mit strammer Ver- hochdeutschung ein Bartenwerffer entwickelt; von einem lichtwerte, lichtwarte stammt die Familie Lichtwark ab überall liegen hier Dissimilationen vor ^). Wir werden also mit der Möglichkeit einer Dissimilation t : t } p : t auch für den Anlaut rechnen dürfen, und ebenso mit t : t ) k : t, wie sie ja in dem Pseudo-Kompositum Kartoffel ans Tartoffel tatsächlich vorliegt.

Den oben citierten Fällen des Übergangs b : b ) tv : b stell ich hier ein hübsches Beispiel des umgekehrten Falles gegenüber: w : Ol ) b : w. Im Kreise Arnsberg liegen zwei Orte 'Nordwig' und 'Sundwig' und ein dritter: Bestwig \ Auch ohne nach einem 'Ostwig' zu suchen, werden wir hier die Vorstufe *Westwig als sicher annehmen dürfen. Der andere Fall w : w ) w : b ist mir

1) Die Fricadelle bringen einige Fremdwörterbücher als Fricaudelle mit dem Fricandtau zusammen, und auch Kluge stellt sie dazu, es ist aber ital. frittatella !

BL ACHFELD. 21

nur in einem engl. Pflanzennamen zur Hand: wood-hind, ivood-hine (Convolvulus, Lonicera, Hedera) Britten-Holland p. 498 stellt für ags. tvudii'tvinde, woneben schon Bosworth-Toller p. 1278a wudu-bind u. ä. verzeichnet.

Die Rahmbeere und Reisseiheere haben uns bereits Beispiele des dissimilatorischen Konsonantenschwundes am Wort- anlaut geboten. Sehr zahlreich sind die Fälle nicht gerade, aber es finden sich doch sehr markante darunter. Die Artoffel für Tar- toffel (Pritzel- Jessen 382), die doch möglicherweise wenigstens an der einen oder anderen Stelle die Vorstufe oder Stütze für den weitverbreiteten Erdapfel gebildet hat, mag hier stehn, obwohl sie kein Beispiel für ein echtes Kompositum ist. Auch die Ilge für Lüge (und Uilge^ Pritzel-Jessen 215) ist anderer Art, und Or- manie für Normanie (in der Kudrun) nenn ich hier nur deshalb, weil Hoffmann-Krayer S. 501 das ganz parallele elsäss. ewenlnts für reverence so schwierig erschienen ist. Ein recht hübscher Vor- gang dieser Art ist das Schicksal des Landesnamens Lif-lant: wir kennen ihn aus der Kudrun als Niflant; weiter verbreitet aber war die Form Iflard, die nicht nur durcb den Familiennamen Iff- land (Hessen seit dem 16. Jh.) gefordert, sondern aucb durch geographiekundige oberdeutsche Autoren des 14. und 15. Jlis. mit bairischer Diphthongierung als Eiflant bezeugt ist: Suchenwirt XIV 224, Oswald V. Wolkenstein (ed. Schatz) 107,7.8; Oswald nennt kurioser Weise Eiffenlant und Liffen neben einander und hat an einer anderen Stelle (36, 77) Eifensirant neu gebildet ^). Auch tirol. Urmenti (Schöpf) aus Murmenti (Murmeltier) = mar (mus) montana mag hier angeführt werden.

Es ist durchaus begreiflich, daß sich der dissimilatorische Schwund eines anlautenden Konsonanten und andererseits auch assimilatorische Prothese (richtiger : Anticipation) im Kompositum besonders leicht einstellt bei Lauten von schwacber Artikulation, in erster Linie bei w und h.

IV : IV y —'. w (und w : w ) w :—)

altenivachs, altwachs 'nervus', bes. 'Halssehne' (DWB. I 268. 275) ist seit dem 15. Jh. reichlich bezeugt für ahd. waUotvahso (GrraffI689), fries. waldiiwaxe (Richthof en 1123), das im Mhd. (Lexer III 660) und in verschiedenen neueren Mundarten in der alten Form oder zu 'Wildwachs' umgedeutet fortlebt. In gleicher Lage zeigt frühes

1) Vergleichbar diesen Vorgängen sind die Schicksale, die der Eigenname Liul- iold Lippold in den Familiennamen Nijßpold und Ippold, Ippel gehabt hat.

22 Edward Schröder,

Schwanken der Name des heutigen Ortes Walprechtsweier (A. Rastatt), der 1065 als Aljwahtcswilre, 1271 und weiterhin als Wal- in-echtswüer erscheint, Hier kann nach vorübergehendem Schwanken die Festigung der alten Form eingetreten sein, es ist aber auch möglich, daß die frühstbezeugte Form Alprahtesw'dre wirklich die älteste und erst später mit Anticipation des Anlauts vom zweiten Kompositionsteil die Form Wdlprechtswiler aufgekommen ist. Beim h werden wir unten diese Erscheinung der 'Assimilation' des ersten Bestandteils an den zweiten ausreichend sichern, für w hab ich einen guten Zeugen in dem Personennamen Wortwin, der seit dem 9. Jh. (Förstemann I^ 1637) in rheinischen, ostfränkischen und hessischen Quellen auftaucht und noch ein paar andere Namen (Wordolf, Wordlief) hinter sich hergezogen hat: es ist ganz gewiß nur ein Bastard von Ortwin.

Denselben Vorgang wie bei waUwalis ) altwahs aber haben wir sodann schon früh für den Namen des Odenwalds anzunehmen! Denn die beiden Deutungen, mit denen man sich bisher beholfen bat: 'öder Wald' und 'Wald des Odo' (Förstemann II ^ 166, Krieger 11^ 408 f.) vertragen sich nicht mit den ältesten Formen, wie sie durch die karolingisehen Schriftsteller bezeugt sind (s. Krieger a. a. 0.): Odenewald, Odoneiuald, Odartoivald. Odonowald: sie alle lassen sich mit einer Form ^Wodanaivald o. ä. weit besser vereinigen; auch der Odenherg bei dem niederhessischen Grudensberg (Wodenes- herg) könnte sehr wohl durch einen Wodenwald ) Odenwald zu seinem Namen gekommen sein.

Fortfall des w im Anlaut des zweiten Bestandteils haben wir z. B. im On. Wiesendangeti (nö. Wintertbur) für Wisuntwangas des 9. Jhs. (Förstemann II ^ 1632) gegenüber Feuchtwangen, Flirtwangen U.S.W. In den Graunamen Wctareiha und Wingarteiha (nur diese beiden von solcher Art gibt es) hat man das eiha allgemein mit dem aib {haib) in den Gaunamen Ant/iaib, Bainaib und Burgiindaib der Origo gentis Langobardorum zusammengebracht (J. Grimm, Gesch. d. d. Spr. 686, Brückner, Q. F. 75, 182) und sich wohl auch bemüht, ein ahd. eiba mit ouwa lautlich zu vermitteln. Übersehen wurde dabei nicht nur, daß die beiden deutschen Gaunamen mit tv anlauten, sondern auch, daß für den einen das w im Anlaut des zweiten Teiles durch ein halbes Dutzend Urkunden aus dem 8. 10. Jh. gesichert ist : Wingart - iveiba (die Belege bei Krieger II ^ 1470). Wir erhalten damit für den Begriff 'Gau' ein neues Wort weiba^ das etymologisch wohl unserm 'Kreis' als Verwaltungsbezirk zu vergleichen wäre ; es mag auch in Ortsnamen wie Waibstadt (Krie- ger 11 2 1305) vorliegen.

BLACHFELD. 23

Sehr reichlich ist das Material für die Assimilation und Dissi- milation bei h- und vokalischem Anlaut; hier ergeben sich die Möglichkeiten:

1) h : h) Vokal : h (und h : Yokal),

2) Vokal : Vokal > h : Vokal (und Vokal : h).

Diese vier Konstellationen kreuzen sich, und daraus lassen sich manche von den Erscheinungen erklären, welche H. Garke in seiner unendlich fleißigen, aber recht unkritischen Studie über Prothese une Aphärese des H im Ahd. (Q. F. 69, Straßburg 1891) zusammen- gestellt hat. Dazu treten aber noch die weiteren Fälle von Ent- gleisung der Aussprache, welche bei der ursprünglichen Grruppie- rung 3) // : Vokal und 4) Yokal : h zu einem Umspringen oder Vorgreifen des Anlauts führen^).

Ich gebe zunächst ein paar Beispiele für 1). "Wenn wir in Westfalen neben Herlingliausen (Kr. Warburg) ein Orlinghausen (bei Detmold) finden, bei dem alle für Herlinghausen von Schuch- hardt nachgewiesenen archäologischen Bedingungen zutreflPen, so ist der Abfall eines H- auch ohne nachweisbare ältere Formen zweifellos; und ebenso wird man für lldehausen (zwischen Seesen und Grandersheim) getrost ein *Hildehaiisey} o. ä. fordern dürfen^). Grute Belege aus meiner hessischen Heimat bieten Elmshausen bei Ebsdorf : Helmuäehusen a. 1267. 1279. 1282, Almudehusen 1292, El- mishusen 1422 (Arnold, Ansiedelungen und Wanderungen S. 398) und EJmarshausen bei Wolfhagen: Hildhnereshusen 10. Jh., Hilti- mareshusen 12. Jh. Cop., Elimaresliusen 1150, Elmershusen 1417

1) Ich Labe, um die Dinge nicht noch mehr zu komplicieren, oben die rela- tiv seltenen Fälle, wo h vor Konsonant (r, ?, n, iv) stand, unterdrückt, will aber eines der bekanntesten Beispiele dieser Kategorie hier anführen: die Heiternessel 'Urtica urens'. Die Doppelheit eitarnezzila und heitarnezzila ist sehr alt, ja Graff II 1116 führt nur das letztere an, und doch bezweifelt niemand, daß eitarnezzüa das ursprüngliche sei. Die 'Prothese des W erklärt sich wohl aus der frühahd. (resp. as.j Form eüarhnezzüa (eitarhnetüa). Die heutige Verbreitung der Formen mit H- belegt Pritzel-Jessen S. 421; vgl. auch DWB. IV 2, 029 und III 393. Unter ihnen fehlt merkwürdiger Weise ganz die fürs spätahd. und mhd. bezeugte Form heiz- nezzel (Garke S. 92, Lexer I 1227) : Garke nimmt Prothese des h an, jedenfalls wegen des nahen Verliältnisses von eitar und eiz, aber da *eiznezzel nirgends be- zeugt ist, heiznezzüa aber trefflich zu 'Urtica urens' paßt, so wag ich nicht, jene Form zu konstruieren. Ich muß dann freilich auch zugestehen, daß das h von heiznezzüa (Brennessel) auf eitarnezzila (Giftnessel) hinübergewirkt haben könnte, und es somit nicht nötig wäre, mit der Erklärung von heitarnezzila auf eitarhnez- zila zurückzugreifen.

2) Sudendorf IX 76 setzt Illinghausen (a. 1400) mit lldehausen gleich; dann könnte Illing- für Hilling- und Hilding- stehen.

24 Edward Schröder,

(ebenda). Derselbe Vorgang aber vollzieht sieb, wenn neben harthöu ('hypericum') frühzeitig arthewe u. ä. tritt (Grarke S. 118) oder aus den heithaften harren der Kaiserchronik 16878 in der treff- lichen Heidelberger Hs. 4 eithafte geworden sind. Festge worden ist unser Oxhoft, nd. nl. oxhooft aus engl, hogshead.

Für den Fortfall des h im zweiten Kompositionsteil fehlt es mir an entscheidenden Belegen: denn entweder ist dies Element als das grundlegende konstanter in Verständnis und Form (z. B. oberdeutsch -heim, -hausen), oder aber es erscheint das h im An- laut des zweiten Teils überhaupt gefährdet: man denke an die mittelfränkischen Everard, Gerard und andererseits an die -em, -um und -sen des niederdeutschen Gebietes. Immerbin sind Fälle hier- her zu rechnen wie holippeln { hohl-hippeln, das dann durch eine zweite Dissimilation honippehi wurde.

2) Wenn der Erdapfel 'volksetymologisch' zum Herdapfel ge- worden ist (vgl. DWB. IV 2, 1077 und Pritzel-Jessen S. 382 'So- lanum tuberosum', dazu Register S. 508), so ist das die gleiche Dissimilation, wie sie besonders in oberdeutschen Dialekten sich bei Heidechse und Heidochs für Eidechse, bei Hameise u. ä. für Ameise, bei Heieise 'Processionsfabne' für Eleise (aus sXsetööv) findet (reich- liche Nachweise gibt Garke S. 122 ff.). Denn selbstverständlich machen derartige Lautdifferenzierungen nicht beim Kompositum Halt, dessen sich der Sprechende keineswegs etymologisch bewußt bleibt : wo zwei benachbarte Sprechsilben mit Vokal, d. h. mit dem gleichen konsonantischen Einsatz beginnen, stellt sich die Neigung zur Dissimilation ein. Wenn also mnd. Herasmus für Erasmus ge- schrieben und gesprochen wird, so ist das dasselbe wie wenn es schweizerisch Hanselme heißt: denn dies geht bereits auf Anselme nicht auf Anshelm zurück. Der weitverbreitete Hulahne und das nicht seltene Hameriga gehen auf die Aussprache Ul-äne und Am- eriga zurück aber selbstverständlich hält sieb das hier festge- wordene Ä, auch wenn sich die Silbengrenze verschiebt, also Hu-Jäne, Ha-meriga gesprochen wird. So bin ich denn auch geneigt, das merkwürdig konstante helfant 'elephas' auf eine Aussprache elf-ant zurückzuführen, etwa wie nl. harpoen wohl ein arp-ön (nicht ar-pö») zur Vorstufe hat. Festgeworden sind derartige 'Prothesen' zu- nächst nur dann, wenn die neue Form der Vorstellung eine be- queme etymologische Anlehnung ergab.

Ein sehr lehrreiches Beispiel bietet der Holzbach, welcher durch die Stadt Ansbach fließt (Zeuß, Herkimft der Baiern s. XXV) und ihr den Namen gegeben hat: Onoldesbah 'Bach des Onold'. Be- kanntlich ist der altertümliche, officiell lange festgehaltene Name

£L ACHFELD. 25

Onohhach erst im 19. Jh. von der volkstümliclien Form verdrängt worden: aus Onoldes war über Öns- O'^ns- geworden, und dies hat man als Ans- recipiert. Es gab aber neben der Aussprache On- oldes- offenbar früh eine Dissimilation '^Hön-oldts-, am selben Ort und zur selben Zeit! Aus der ersten hat sich O^ns- entwickelt, aus der zweiten (über *IIönldes-, *Höldes-, *IIöh-) Höh- ; die Tren- nung der Bedeutung in der Weise, daß O^nshach die Stadt und Hohbach das Grewässer benannt wurde, ist erst sekundär. In der Bavaria III 2, 1144 (wo sehr törichte Erklärungsversuche für den Ortsnamen gemacht werden) find ich in der Anm. noch eine dritte Entwickelung des Onoldes : Onhoh bei Untersteinbach in Franken. Bewahrt ist Onolz- in Onohheim bei Krailsheim a. d. Maulach.

Die theoretische Möglichkeit, daß sich Vokal : Vokal in Vokal : h umsetzte (wie oben Onoldes ) Onhoh), hat praktisch geringe Be- deutung: aus ähnlichen Gründen wie ich sie schon S.24 für den zweiten Bestandteil ausführte. Es kommt noch hinzu, daß Komposita mit Vokal im Anlaut des zweiten Teils, aus Ursachen die ich später einmal erörtern werde, im Deutschen überhaupt selten sind: unter den alten Personennamen fehlen sie ganz. Immerhin stellten sich auch hier sekundär derartige Fälle ein, nachdem ivalt zu olt ge- worden war : die 'volksetymologische' Umdeutung von -olt in -hold kann recht wohl von Beispielen ausgehen wie Eberhold (Förstern. 1 ^ 446), Arnliold u. s. w.

Aus den zahlreichen Beispielen für 3) 4) bei Förstemann müssen wir alle diejenigen ausscheiden, die aus romanischem Gebiet stammen: hier ist das h im Wortanlaut ebenso oft vorgeschlagen als fortgefallen, und im zweiten Element fehlt es schon sehr früh, ohne daß wir die Dissimilation heranziehen dürften. Für 3) hab ich ein gutes Beispiel (etwa des Typus asen-hore für hasen-ore) nicht zur Hand; um so mehr für 4). Das Material bei Garke weist vorzugsweise Schreibfehler auf, die freilich psy- chologisch unter genau den gleichen Gesichtspunkt fallen wie die sprachlichen Vorgänge, aber doch eben nicht zu dauernden Verschiebungen führen können, auch wenn sie, wie viele psychologisch motivierte Schreibfehler, öfter vor- kommen: ich meine Fälle wie Imnorsami (für unhorsami S. 121.) Bemerkenswert ist es, daß öheim (ccheim) nicht nur vereinzelt hohelm geschrieben erscheint, sondern auch Jioem, und zwar in so verschiedenen Quellen aus Mitteldeutschland und Niederdeutsch- land (S. 105), daß man an ein zeitweiliges lokales Festwerden dieser Form glauben muß. Es handelt sich in solchen Fällen nicht

26

Edward Schröder,

um ein einfaches Umspringen des Silbenanlauts, sondern zunächst trat die Anticipation des h auf: hoheim, und weiterhinist die cirkum- flektierte Form hoeni kontrahiert, wobei es nicht nötig ist, an einen eigentlichen Dissimilationsproceß zu denken.

Die Grruppe 4), zu der ja auch hoheim gehört, ist überhaupt bei Grarke sehr stark vertreten, und nicht nur durch Schreibfehler wie hafterJiemede (S. 84), hahorn (S. 84), hanthei^zom (S. 87), Hehar- hart iß. 89), heinhenti (S. 91), herhaft (S. 95. 96!), Herhart (S. 97), Hisanhart (S. 104), hopferhus (S. 106), hosthalhon (S. 106), houerhant (S. 108), huohaldi (S. 109), hurhano und horhun (S. 109) u. s. w., sondern auch durch Fälle, wo die 'Assimilation' bestimmt sprach- licher Natur war und festgeworden ist: so schreibt Luther kon- stant Hehenholz (s. Dietz s. v. Ebenholz), und das DWB. IV 2, 731 fügt noch weitere Belege hinzu. Ich bin auch der Überzeugung, daß unser Handhabe auf diese Weise zu Stande gekommen ist: es findet sich freilich schon ahd. als hanthaba, und auf das von Grraif IV 738 daneben verzeichnete anthaba will ich um so weniger Wert legen, als auch (sogar in der gleichen Hs.!) hantaba vor- kommt; aber einmal ist mir die Bildungsweise an sich in so früher Zeit verdächtig, und dann mag ich ^anthaba 'capulus, ansa' doch nicht trennen von den reichlich bezeugten inthaben 'sustinere, sustentare, suffulcire' und intheffeti in gleicher Bedeutung^).

Zahlreich ist dies Vorausgreifen des h bezeugt in süddeutschen Ortsnamen (während wir in norddeutschen umgekehrt öfter den Fori>- fall durch Dissimilation fanden S. 23). So notiere ich aus dem ersten Bande von Kriegers Topogr. Wb. des Grhzt. Baden (2. Aufl. 1904) : Hassmersheim am Neckar (S. 860 f.), dessen Name schon im Cod. dipl. Laureshamensis zwischen UasmarsJieim und Asmaresheim (793) schwankt und dies Schwanken noch bis ins 14/15. Jh. fortsetzt: die ursprüngliche Form ist sicher Asmaresheim. Henchhurst (ausgegangener Hof im Beza. Bühl) : so seit 1505, aber noch 1475 Emychenhurst (S. 932). Hockenheim bei Schwetzingen (S. 997): Ochinheim 769, aber schon im gleichen Jahrhundert mehrfach Hochin- heim u. ä. Ich hebe ausdrücklich hervor: die Festsetzung der ^assimilierten' Form erfolgt zu ganz verschiedenen Zeiten, das Schwanken tritt sehr früh auf und kann sich durch Jahrhunderte hindurchziehen.

1) Echte Volksetymologie liegt dagegen vor im Handlanger für andelanger; bei dem Ersatz von antwerc durch Handwerk aher wurde nicht ein neues Wort geschaffen wie dort, sondern der Begriff 'machina, instrumentum' durch den Be- griff *manufactura' verdrängt, selbstverständlich unter dem Einfluß des ähnlichen Wortbildes.

BL ACHFELD. 27

Daß h in der Dissimilation fast nur mit vokaliscliem Anlaut wechselt, ist natürlich: aber ich halte es nicht für unwahrschein- lich, daß sich auch der Wechsel mit w und j findet. Eigenartig ist der Fall g : g } h : g in hogreve für gogreve : so haben mehrere Hss. des Sachsenspiegels (Landr. I 2 § 4. I 56 § 2), und die Form wird noch weiter als durch Homeyer*^ S. 441 gestützt durch den heutigen Familiennamen Hogreve u. ä. neben Gogreve (z. B. Adreß- buch von Hannover). Im Fn. ist die H-Form festgeworden durch den Anschluß an Eo[ve]wann, IIo[ie]n}eier, Ho[ve\meister. Zur Hand hab ich ferner ein vereinzeltes Beispiel, wo sich die Assimilation f : h ) h : h vollzogen hat : Krieger I ^ 564 führt eine Odung auf der Gemarkung Haslach bei Oberkirch an, die als VaJiuen-haselahe u.a. von 1304 bis 1593 vielfach bezeugt ist ihr Andenken lebt heute nur in dem Flurnamen Hcdbhaslach fort. Ich weiß, daß man mir hier entgegenhalten wird, das sei einfach Volksetymologie. Aber der Leser hat schon aus meinen Gränsefüßchen gemerkt, daß ich der weiten Ausdehnung dieses Begriffs sehr skeptisch gegen- überstehe (vergl. auch Anz. f. d. Alt. 24, 23) : gewiß geb ich die mechanische Umwandlung mancher Fremdwörter und auch Eigen- namen aus dem Bestreben einer Deutung oder doch unbewußten Anlehnung zu, aber in einer sehr großen Anzahl der Fälle ist das primäre eine Lautentwickelung, Assimilation, Dissimilation, nicht selten eine Laut- und gelegentlich auch Silbensubstitution ^) ; viel häufiger ein sprachliche Entgleisung, die sich wiederholt ein- stellt und schließlich durchsetzt, als ein sog. Lautgesetz. Von dem

1) Mit der Sübensubstitution sollte man in manchen Fällen rechnen, wo ad hoc ein Lautgesetz constatiert wird. So hat man sich vergeblich abgequält mit mhd. hetalle (mnl. bedalle) < metalle < mit alliu. Bugge (Beitr. 12, 419 f.), der die älteren Erklärungsversuche verwarf, wollte das spät auftauchende het-, bed- aus prähistorischen Accentverhältnissen erklären, indem er es gleich Ttstd stellte; dann benutzte Franck die schöne Etymologie von nl. hezaan aus it. mezzana span. viesana zu einer lautgesetzlichen Auffassung unseres hetalle, wonach m sich in un- betonter Silbe in b verwandeln sollte, und Wilmanns I^ 135 hat das übernommen. Die Erklärung die ich biete stammt aus der Kinderstube, ist aber darum nicht weniger empfehlenswert: meine Geschwister und ich sagten allgemein für Visiten- stube: Besittenstube und moquierten uns über die Dienstboten, welche Frisitten- stube brauchten ; meine eigenen Kinder haben in der Bezeichnung des Desserts lange geschwankt zwischen Geser und Beser; die beiden oder vielmehr die vier ver- schiedenen Abwandlungen erklären sich aus demselben Prinzip: eine ungewöhn- liche unbetonte Vorsatzsilbe wird ersetzt durch eine geläufige : be-, ge- (fri-) treten an die Stelle der in dem beschränkten Sprachschatz kaum vorhandenen oder wenig gegenwärtigen fi- {vi-), de etc. So ist auch metalle, nachdem die Komposition festge- worden war und die Silbengrenze me-talle ergab, zu be-talle geworden, wie man he-nameriy be-sunder und viele andere besaß.

28 Edward Schröder,

sog. Lautgesetz, das eine zeitliche und örtliche Beschränkung zu- läßt oder vielmehr verlangt, unterscheiden sich die Tendenzen der Dissimilation und Assimilation, die niemals zu 'Gesetzen' werden, auch dadurch, daß sie wohl zu gewissen Zeiten und in gewissen Gegenden deutlich hervortreten, aber niemals darauf beschränkt erscheinen.

So will ich denn auch schließen mit einem Beispiel, für das man sich, soweit man es überhaupt beachtet hat, ganz gewiß mit der Volksetymologie als Erklärung zufrieden gegeben haben wird. Ein Fall, für den ich in der Litteratur keine Parallele ge- funden habe, bezeugt die Dissimilation:

th : th (d : d) ) s : th {s : th)

und zwar durchaus gleichmäßig für das Deutsche und das Englische. Verschiedene stachliche Pflanzen mit starker Milchsaftentwickelung führten schon in westgermanischer Zeit den Namen ßü-pistil, der, wie Pritzel-Jessen S. 883 zeigt, ganz besonders an ^Sonchus oler- aceus' haftet. Wir haben auf englischem Boden puäistel 'lactuca' schon ziemlich früh : in dem ags. Corpus-Glossar bei Sweet, Oldest English Texts 73, 1179 ^) daraus ist spätestens im Mitteleng- lischen Siipistel (sugepistel), ne. soivthisüe geworden, s. Stratmann- Bradley s. v. und die neuenglischen Wörterbücher, die das Wort mit 'Sonchus' wiedergeben ; daneben aber hat sich im Dialekt z. B. von Sussex thow-thistle erhalten, s. Britten and Holland, Dict. of engl, plant-names (1886) p. 467^). In Deutschland aber treffen wir dndistel in den Ahd. GH. III 386 ^^ (13. Jh., aber aus älterer niederrhein. Vorlage um ca. 1150); dndistel^ daudistel bei Diefenbach, Gloss. latino-germanicum (1857) S. 315*'; dudistel aus Quellen von 1500 und 1530 bei Pritzel-Jessen und daudistel ebenda aus dem heutigen Eifeldialekt dem steht gegenüber sudistü 'lactuca' Ahd. Gll. II 263, 57 (Cod. S. Galli s. IX/X u. Cod. Seiest.), sudistel 'lactucella' Ahd. GU. III 560, 7 (14. Jh.) und Zs. f. d. Wortforschung 9, 218 (15. Jh.), dazu zahlreiche neuzeitliche Belege bei Pritzel-Jessen. Die gleiche Dissimilation hab ich kein zweites Mal gefunden, wohl aber reichliche Zeugnisse für die ihr entsprechende s : s ) d : 8. Dafür zeugen, wenn auch freilich nicht im Anlaut von Kompositis, folgende Ortsnamen: Ansidfisheim (im Elsaß) saec. IX wird über

1) thüfe-thistel Cockaync Leechdoms II 312'"^^ ist jünger und |gewiß Um- deutnng.

2) thow-sisle, das ich ebenda fand, hielt ich lange für ein Beispiel der Dissi- milation th : th > th : 8, bis ich aus Parish, Dict. of the Sussex dialect p. 105 ersah, daß auch das Simplex sisael 'is the usual form of thistle'.

B LACHFELD. 29

Ansoltzheim zu Ändolsheim (die Belege im Register zum Rappolt- steiner Urkundenbucli I 605); ebenso Änsoldesleba saec. VIII/IX (bei Erfurt), heute Andisleben (Forst emann II ^ 94) ; Oesingesesze (Amt Wertheim), so urkundlich 1307 1485, heute Ödengesäss (Krieger II ^ 404) ; also Alemannien, Thüringen, Franken. Dazu kommt noch die gut bezeugte Form schardas für scharsas in einem elsäß. Text des 15. Jhs. (Germ. 3,424,1). Ist somit auch an der Dissimilation d id) s : d kein Zweifel möglich, so ergibt sich, daß die Saudistel die in Deutschland und England gleichmäßig an die Stelle der Dau- distel getreten ist, nicht ihre Entstehung, sondern nur ihre Festi- gung der etymologischen Verständlichkeit zu danken hat.

Das Material, das ich im vorstehenden aufgeführt habe und von dem ich mir schmeichle, daß es den Fachgenossen allerlei unbekanntes und überraschendes bietet, reicht gewiß aus, um die eingangs behauptete Dissimilation von hlachfeJd aus flachfeld zu er- weisen. Alle die Fragen die sich an die alliterierenden Komposita knüpfen, hier aufzurollen, war nicht meine Absicht: ich hoffe da- rauf recht bald in einer Abhandlung zurückzukommen, die sich in ganz anderer Richtung bewegt.

Hier möcht ich nur noch dem Einwand begegnen, daß jenes eigentümliche Nebeneinander von anlautendem b und f, in dem einige eine 'Weiterverschiebung' erblicken [wie soeben wieder die Bearbeiter des neuen Weigand s. v. BlacJifeld], noch in ein paar andern Wörtern erscheine. Ich kenne deren nur noch drei, denn die beiden Fremdwörterpaare bibel-fibel und fiever-biever kann ich jetzt getrost bei Seite lassen. Am frühsten (schon ahd.) bezeugt ist harch neben farcJi ; später treten belche neben felche und baU neben faU auf; in farch (lt. porcus) und flach (gr. 3rAa|) ist die Priorität des f zweifellos, in felche und fah ist sie höchst wahrscheinlich ^). Soll es da nun ganz ein Zufall sein, daß farch zum Vieh gehört, felche ein Fisch ist und fah von den Vögeln gebraucht wird? Aus einem Kompositum farch-fihu konnte sich über barch-fihu das Sim- plex 6arcÄ, ebenso aus felch-fisc: belch-fisc und belche entwickeln. Daß bei fogal-faU die Dissimilation den zweiten Teil traf, also fogal-balz, ist bei der etymologischen Bewußtheit des ersten selbstverständlich.

Zum Schluß noch ein Wort über das Alter der hier besproche- nen Erscheinungen, und zugleich über die nicht ganz freiwillige

1) In den neuen Auflagen von Kluges Et. Wb. wird unter Verschweigung der Form falz der alte, von Frisch aufgebrachte, von Grimm weitergegebene Hin- weis auf it. haUo, halzare 'Sprung, springen' von G. Baist als neu dargeboten.

30 Edward Schröder, BLACHFELB.

Beschränkung des Materials mit dem ich operiert habe. Im Gegen- satz zu jenen an Gesetzmäßigkeit streifenden lautlichen Processen, die wir gewohnt sind als 'Lautgesetze' zu bezeichnen, sind die ^Vorgänge der Assimilation und Dissimilation zeitlich und örtlich nicht begrenzt. Daß sie zumeist erst in relativ jungen Sprach- schichten auftreten (wie Grammont scharf hervorhob), läßt sich leicht erklären: die frühe litterarische (und epigraphische) Über- lieferung gilt zumeist einer Umgangs- und Litteratursprache, aus welcher die physiologisch unbequemen (und demnächst akustisch unschönen) Wortgebilde massenhaft ausgeschieden sind, wie das in unserer Sprache noch täglich geschieht; oder aber einer Kunst- sprache, die die Feuerprobe im Volksmunde noch nicht bestanden hat. Die Ortsnamen hingegen, und in gewissem Grade auch die Pflanzennamen, mit denen mußte sich ein zumeist beschränkter Kreis von Menschen abfinden, wie sie einmal geprägt waren. Ich habe bereits Zs. f. d. Alt. 43, 361 ff. angedeutet, daß speciell allit- terierende Komposita in altgerm. Zeit selten sind, daß sie unter den Personennamen und im Wortschatz der Dichter geradezu ge- mieden werden. Zu den Gebieten, auf denen wir sie häufiger an- treffen, gehört die alte Rechtssprache. Sehen wir uns nun aber um, was aus jenem Teil ihres "Wortbestandes am Ausgang des Mittelalters geworden ist, so machen wir eine eigentümliche Beob- achtung. Das als westgermanisch gesicherte dömdag ist gleich- mäßig auf englischem wie auf deutschem Boden aufgelöst worden: dömes dcpg, dooms-day] tumes tac, dömes dach. Das wgerm. Hechts- wort ahd. nötnumft ist bei uns durch Notzucht, bei den Engländern (ags. n^d-nema u. ä.) durch Fremdwörter ('violence', 'rapture') ersetzt worden ; und ganz ähnlich ist für ahd. Itpleita eingetreten Leihzucht, während neben dem ags. ltflöd(e) seit dem 13. Jh. das nordische Lehnwort lifnop, livenaä (aisl. lifnaär) auftaucht, das auf den ersten Blick wie eine Dissimilation erscheinen könnte. Man sieht, eine Volksgemeinschaft hat mancherlei Mittel und Wege, um unbequeme Sprachgebilde zu beseitigen oder umzuwandeln: die Dissimilation ist nur eines von vielen, aber man wird mit ihr unbedingt schon für die ältesten Zeiten der Sprachgeschichte rechnen dürfen.

Ein Merowinger Rythmus über Fortunat

und Altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen.

Von

Wilhelm Meyer aus Speyer, Professor in Göttingen.

Vorgelegt in der Sitzung vom 8. Februar 1908.

Als ich 1906 vor einer Reise nach London die Kataloge der Handschriften durchlas, notirte ich mir aus der Beschreibung von Additional 24193, einer Handschrift der Gedichte des Fortunat, den Zusatz : At the end (fol. ISS**) is an additional poem, entitled Trologus', beginning 'Felicis patriae praeconanda fertilitas'. In London schrieb ich das Gredicht ab. In Göttigen später erkannte ich wohl, daß es ein interessantes Produkt der Merowinger Zeit sei, aber es entstanden mir dabei mancherlei Schwierigkeiten. Darüber verhandelte ich mit Bruno Krusch, dem besten Kenner dieser Literatur. Ich verdanke ihm für diese Arbeit manchen guten Rath; er wies mich auch darauf hin, daß Leo in seiner Ausgabe des Fortunat (Monumenta Hist. Germ., Auetores ant. IV, I, 1881) genau zu derselben Stelle (zum Schlüsse des 11. Buches) notirt, daß in der von ihm mit A bezeichneten Pariser Handschrift 14144 'sequitur prologus de privilegio'. Durch Omont's stets hilfreiche Güte erhielt ich eine Abschrift, welche zeigte, daß wirklich beide Handschriften an derselben Stelle denselben Text enthalten. Ich frug noch wegen etlicher andern Handschriften an^ allein vergeblich. Bis jetzt ist dies Gedicht nur in jenen 2 Hand- schriften gefunden, deren Photographie mir vorliegt. Beide sind mit Karolinger Minuskel im 9. Jahrhundert geschrieben.

32 Wilhelm Meyer,

In id = London Additional 24193 f. 158^ sind die voran- gehenden Verse des Fortunat abgesetzt geschrieben. Der letzte Vers des Fortunat (XI 26, 12) lautet: # cui dabit illa uiam quae sibi pugnat aqua, explit

INQUANTU AUCTOR HABUIT SCRIPTU; INCIP PROLOGUS.

Felicis patri^ etc. Am Schlüsse des Eythmus steht halb weggewischt : explicit prologus.

In A = Paris latin. 14144 fol. 60* sind die vorangehenden Verse nicht abgesetzt. Der Schluß derselben lautet hier:

nat aqua, explic lib. inquantü auctor habuit lieber das gewöhnliche Zeilenende hinaus steht nach habuit noch ein abwärts gekrümmter Strich (wie ein schliesendes s des 14. Jahrhunderts), durch dessen Obertheil ein Querstrich gezogen ist, also ziemlich sicher die aus der Cursivschrift genonmiene Abkürzung für das in Ad stehende 'scriptum'. Dann folgt in großer Kapital- schrift, die ganze Breite der Seite füllend:

INCfT PROLOa- DEFEIVILEaiO- Felicis patriae usw. Die letzte Zeile des ßythmus füllt den Schluß der Seite vollständig. Deshalb ist die eigentliche Schluß- schrift in großer Kapitalschrift in 5 Stücken neben dem ßythmus am Rand übereinander geschrieben:

EXPE LIB I FORTV | NATI | DO QRATI | ASAM

Der Rythmus ist in beiden Handschriften so geschrieben, wie ich ihn habe drucken lassen, so daß die Zeilen mit ungeraden Zahlen mit vorspringenden Initialen beginnen, die andern mit ein- gerückten kleinen Buchstaben. Die 10. Zeile ist in beiden Hand- schriften ungebührlich lang.

1 Felicis patriae (nostrae) praeconanda fertilitas,

in qua Christi mandatorum declaratur profunditas. 3 Quae nee poterit absque gloria esse civitas,

in qua sensum sapientum veneratur sublimitas, 5 Per quos praesentis temporis calcatur cupiditas

et peritura huius vitae evitatur vanitas. 7 Ac in tabulis scriptitatur cordis vera Caritas

atque valde stabilitur futurae vitae aeternitas. 9 Per Moysen latorem legis sie refert antiquitas

populo praecepit deus: cum terrae vobis repromissae

venerit hereditas, 11 Mensae vestrae peregrini comedant dilicias,

ut vobis semper ministretur datae terrae bonitas.

ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 33

13 Per lesum Christum confirmatur, qui est vita et veritas, peregrinorum quanta sit susceptionis qualitas

15 Et metendi huius fructus caelestis summa dignitas.

Hyronimo Bethlem recepto ecclesiae crevit sanctitas. 17 Et Martino Armorigo refulsit magna claritas,

cuius vita et virtute Toronus multas epulas 19 Mendici ac flebiles dirimunt per plateas.

et Eortunato ab Eavenna Pictonum floret civitas. 1 nostrae oder huius ergänze ich : fehlt in Ad A. 3 Quae A , Qu§ Ad : Quia oder Quare? 3 pot. ab. Meyer: ahsq: poterit A Ad 4 sensum Ad: senum A 5 temporis praesentis? 8 adque Ad 9 latorem A: lator est Ad 10 populo Meyer : populum A Ad ; praecepit A : praecipit Ad 10 heri- ditas Ad 12 date Ad 13 ihm xpm A Ad 14 quanta sit peregrinorum?

16 bethleem Ad 17 Ex Martino Ärmoricae? 18 uitae uirtute A; Toronus Meyer : thronus A Ad 18 aepulas Ad 19 über ac steht in Ad ein Strich, wie £in gekrümmter Oxytonon-, atque? 19 flebilis Ad 20 pictonum Ad: pictanum A

Bibelstellen V. 4 sublimitas = sublimes viri (laici): vgl. I. Tim. 2, 2 pro regibus et omnibus, qui in sublimitate sunt V. 7 verbinde in tabulis cordis : Fracerb. 3, 3 und 7, 3 scribe (describe) in tabulis cordis tui. V. 8 vgl. Marcus X 30 qui non accipiet in seculo futuro vitam aeternam. V. 10 12 berufen «ich auf das alte, V. 13 15 auf das neue Testament. Aber dort gibt es keine peregrini in dem hier angenommenen Sinne; deshalb sind genau entsprechende Stellen der Vulgata kaum zu finden. Oft werden in der Vulgata advenae und peregrini zusammen genannt. Dann passen am ehesten folgende Stellen : Deuteron. 26, 1 Cum intraveris terram, quam dominus deus tuus tibi daturus est possiden- dam ; 1 1 epulaberis in omnibus bonis . . et advena, qui tecum est ; 12 veniet . . et peregrinus . . et comedent. Levit. 25, 2 loquere filiis Israel . . Quando ingressi fueritis terram , quam ego dabo vobis . . . Sed erunt vobis in cibo et . . advenae, qui peregrinaverit apud te. V. 13 Joh. 14, 6 ego sum via et veritas et vita. V. 14 Gedacht ist wohl an Stellen wie: Matth. X 40 Qui recipit vos, me recipit et, qui me recipit, recipit eum qui me misit ; vgl. Matth. 25, 35 und 40; Joh. 13, 20 V. 15 vgl. Joh. 4, 36 qui metit, mercedem accipit et congregat fructum in vitam aeternam.

Dieser Rythmus ist in 2 Handschriften des 9. Jahrhunderts von der ersten Hand geschrieben. Die Handschrift Ad ist ver- derbt in V. 9 lator est und in V. 10 praecipit; A ist verderbt in V. 4 senum, V. 18 uitae uirtute und V. 20 pictanum. Diese Stellen waren wohl richtig geschrieben in der Mutterhandschrift. Allein auch diese ist nicht die erste Niederschrift dieses Rythmus ge- wesen. Das beweist das fehlerhafte thronus statt Toronus in V. 18; da dies in A wie in Ad steht, so muß es schon in der Mutter- handschrift gestanden sein. Also schon die handschriftlichen Ver- hältnisse zeigen, daß dies Gedicht in der frühen Karolinger oder schon in der Merowinger Zeit entstanden und in ein Exemplar der Gredichte des Fortunat eingeschrieben worden ist.

Kgl. Ges. d. Wlss. Nachrichten. Phüolog.-histor. Klasse 1908. Heft 1. 3

34 Wilhelm Meyer,

So läßt sich vielleicht auch die Ueberschrift begreifen. Ad bietet nur 'Prologus' ; A bietet 'Prologus de privilegio'. Die Worte ^de privilegio' mögen des Inhaltes wegen zugesetzt sein : 'über die besondere Stellung, welche die Stadt Poitiers einnimmt'.

Dagegen für die Bezeichnung 'prologus' finde ich nur eine Erklärung. Auf den Schluß des 11. Buches der Gedichte folgen in vielen Handschriften die 4 Bücher über den h. Martin; aber diesen geht voran eine an Agnes und Eadegunde gerichtete Vor- rede. Diese wird in den Handschriften Praefatio, Prooemium oder Prologus betitelt. Da wo in A und Ad unser Rythmus steht, steht in der Handschrift B die Unterschrift: expligit liber xi. pro*

LOGUS AD AGIsTEN ET RADEGVNDEM DE VITA SANCTI MARTINI. Der Rcst ciucr

solchen Unter- und Ueberschrift kann das Wort 'Prologus' in A und Ad sein , welcher Rest stehen geblieben war , als die Vita Martini nicht mehr beigeschrieben wurde.

(Inhalt) Zuerst meinte ich, der Inhalt dieses Rythmus sei einfach : das häufige Lob der Mildtätigkeit gegen peregrini, gegen mendici et debiles; das sei eines der praecepta dei, welche die sapientes, die Grottesgelehrten, predigen. Allmählig erkannte ich, daß der Inhalt ein anderer sei, ein ziemlich seltsamer. Be- sprochen wird, quanta sit peregrinorum susceptionis qualitas (V. 14), d. h. welchen Segen es einer Stadt bringe, wenn sie Fremd- linge freundlich beherberge: aber Fremdlinge, welche sapientes sind und das lehren, was V. 5 8 angeben, also Fremdlinge, wie der Hlyrier Hieronymus in Bethleem , der Pannonier Martin in Tours und der Italiener Fortunat in Poitiers gewesen sind. Die Einleitung (V. 1 4) preist die Stadt (Poitiers) glücklich, in welcher die weltlichen Würdenträger die geistige Thätigkeit von weisen Männern ehren, deren Wirksamkeit dann (in V. 5 8) geschildert wird. Das alte (V. 9 12), wie das neue (V. 13 15) Testament habe die freundliche Beherbergung von Fremdlingen anbefohlen. So habe Hieronymus in der Stadt Bethleem Segen gebracht, Martin in Tours, der Ravennate Fortunat in Poitiers.

Gegenüber dem Hieronymus und dem Martin ist Fortunat ein unbedeutender Mann: allein der Rythmus ist in eine Hand- schrift der Gredichte des Fortunat eingeschrieben: schon daraus ist sicher, daß dieser Rythmus zum Lobe nicht des Hieronymus oder des Martin, sondern des Fortunat gedichtet ist, und ebenso, daß er in Poitiers entstanden und ebendort in ein Exemplar der Gedichte des Fortunat eingeschrieben ist.

Es könnte auffallend erscheinen, daß diese Eigenschaft des Fortunat als Fremdling hervorgehoben wird. Allein die seltsame

ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 35

Erscheinung, daß ein hochbegabter Italiener mitten im Reiche der halb barbarischen Merowinger als Hofdichter glänzte , wurde wenigstens in der Zeit des Fortunat selbst empfunden. Fortunat selbst hat kurz nach dem Antritt seines Amtes bei Radegunde der gebildeten Welt Gralliens sich mit den Worten vorgestellt (VIII, 1,11):

Fortunatus ego hinc humili prece voce saluto :

Italiae genitum Gallica terra tenet (so die Handschrift U).

Wer auch den Titel am Anfang und Ende der Gedichte ge- macht hat 'Venanti Honori Clementiani Fortunati Presbyter! Italici liber', auch er hat auf die fremdländische Abkunft des Fortunat hingewiesen. Eine solche Hervorhebung der fremden Abkunft wäre seltsam in späterer Zeit, z. B. in der Zeil Karl d. Gr. , der seine Leute überallher holte : für unsern Rythmus, welcher auf die Hervorhebung der fremdländischen Abkunft des Fortunat aufgebaut ist, mag eben dies ein Zeichen sein, daß er nicht lange nach dem Tode des Fortunat in Poitiers entstanden ist.

Die Her Vorkehrung dieses ungewöhnlichen Gedankens zeigt, daß der Verfasser der Verse selbständig dachte, und dieser Geist schimmert auch durch die gespreizten Merowinger Ausdrücke. In diesen Zeiten galt hochtrabende, ungewöhnliche Ausdrucksweise als die schönste Zier eines Schriftstückes, wofür ja die Schriften des Fortunat selbst ein Beweis sind, insbesondere seine kaum zu ver- stehenden künstlich stilisirten prosaischen Briefe. Das ist wichtig nicht nur für die damalige lateinische Literatur, sondern auch für die alten Denkmäler der angelsächsischen und der deutschen, aber auch der spanischen Literatur.

Die Form des Rythmus ist ebenso interessant als der Inhalt. Zunächst ist sehr auffällig die Reimfülle. Bis gegen das 12. Jahrhundert sind lateinische Gedichte sehr selten, in welchen jede Zeile mit dem Reim belegt ist, vielmehr sind fast überall reimlose Zeilen dazwischen gemischt; zum Zweiten ist der Reim bis zum 12. Jahrhundert fast überall nur einsilbig: in diesem alten Ge- dichte aber hat jede Zeile den Reim, und zwar den zweisilbigen auf itas; geringe Ausnahmen finden sich in V. 11 dilicias, 18 epulas, 19 plateas. Dasselbe Reimwort (civitas) findet sich nur in V. 3 und 20. Solche Reimfülle findet sich in den alten Zeiten höchstens bei den Iren und ihren Schülern.

(Zeilenbau und Zeilengruppen) Die durch die Reime ge- schiedenen Langzeilen zerfallen ofi'enbar in 2 Kurzzeilen, welche ich im Druck durch kleine Zwischenräume getrennt habe. Die 2. Kurzzeile schließt stets mit Proparoxytonon, also steigend: und

3*

36 Wilhelm Meyer,

es ergeben sich 10 Kurzzeilen zu8u_-, 8zu7u_ und 2 Kurz- zeilen (V. 8 und 16?) zu 9 w Die erste Halbzeile schließt 16 Mal mit Paroxytonon, also sinkend, und nur 5 Mal steigend, also ergeben sich 9 Kurzzeilen zu 8 _u, 7 Kurzzeilen zu 9 _u; 2 (V. ö und 14) zu 8u_, 2 (V. 3 und 19) zu 7 u_ und 1 (V. 1) zu

6 o Wir haben es also mit der alten rythmischen Umformung

des trochaeischen Septenars zu thun 8 _u + 7 u , doch mit einer besondern Art, welche ich nachher behandeln will.

(Die Zeilengruppen) Ich habe schon öfter hervorge- hoben, welch auffallende Erscheinung in der Entwicklung der la- teinischen Dichtungsform es ist, daß die Sinnespausen immer mehr die Dichtungsform berücksichtigen. Horaz läßt noch mitten im Satz eine neue Strophe beginnen. Doch bald wird nach einem Distichon gern eine starke Interpunktion gesetzt. Commodian setzt in dem Apologeticum nach jedem 2. Hexameter eine stärkere Sinnespause; die griechischen Uebersetzer des Ephrem stellen die Viersilber in Langzeilen oder Strophen zusammen ; Ambrosius läßt nach jeder 2. Strophe kräftige Pause eintreten. Ja, bald dringt die Herrschaft der Sinnespausen in das Innere der Stophen : die ambrosianischen Strophen haben gern in der Mitte eine Sinnes- pause (s. Ges. Abhandlungen II 119 und diese Nachrichten 1906 S. 198 über Auspicius); die Strophen der byzantinischen Hymnen- dichter haben wie unsere Kirchenlieder für Melodie und Sinn ganz feste Pausen, und nicht anders steht es mit der mittelalterlichen Gesangslyrik. Bei jedem Gedichte z. B. der Carmina Burana kann und soll der Forscher fragen, an welchen Stellen der Strophe regelmäßig Sinnespausen stehen. Ich glaube, diese auffallende Entwicklung hängt damit zusammen, daß bei den alten Griechen die Worte die Hauptsache waren und der Vortrag der Melodie nur ein so dünner Schleier, daß der Sinn der Worte verständlich blieb, auch wenn die Pausen der Melodie nicht mit den Pausen der Worte zusammen fielen. Bei den frühsten Christen war der musikalische Vortrag intensiver ; er zwang so zu sagen die Worte, dem Steigen und Fallen der Melodie sich anzuschließen, wenn sie verstanden werden wollten. Das ist vielleicht ein semitisches Erbstück gewesen. Denn wie in den Hymnenstrophen der Byzan- tiner und des Ephrem die Sinnespausen die Strophe in ganz feste Absätze gliedern, so soll es schon in den Psalmen sein (s. Ges. Abhandl. II 111).

Auch die aus gleichen Zeilen bestehenden frühen Rythmen werden meistens durch Sinnespausen in gleiche Gruppen von Lang- zeilen zerlegt, welche dann oft noch durch Akrostichon gekenn-

ein Merowinger Kythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 37

zeichnet werden (s. Ges. Abh. I 240). Unser Rythmus ist so ge- schrieben, daß man Gruppen von je 2 Langzeilen erwarten sollte; doch diese Gliederung ist nicht durchzuführen. Dagegen habe ich schon oben bei der Inhaltsübersicht (S. 34) angezeigt, daß mit ^iner Ausnahme vierzeilige Gruppen sich ergeben: Z. 1 4, 5 8, 9 12. Weiterhin ergeben sich die unregelmäßigen Gruppen Z. 13—15 und Z. 16 20; da aber Martin von Tours nnd Fortunat von Poitiers (V. 17 20) doch eng zusammen gehören und mit Hieronymus (Y. 16) nicht viel zu thun haben, so ist diese Ver- letzung der Gruppentheilung nicht sehr schwer.

So können wir eher die verzweifelte 10. Zeile beurtheilen: hier steht eine Kurzzeile 8 _ u zu viel : populo praecepit deus : Cum terrae vobis repromissae venerit hereditas. Zunächst denkt man daran, daß nach 'praecepit deus' eine Kurzzeile mit dem Reim auf 'itas' ausgefallen sei: allein dann würde die Grup- pierung der Zeilen zerstört. Auch wenn die beiden Zeilen lauteten: Populo praecepit deus (sie refert antiquitas) : cum terrae vobis repromissae venerit hereditas wäre alles gut: aber wer sollte die Worte Ter Moysen latorem legis' interpolirt haben? So weiß ich keinen andern Weg als bei der Ueberlieferung zu bleiben und anzunehmen, daß der Verfasser gewagt hat, eine Kurzzeile mehr zu setzen, also 8_u + 9_u + 7u statt 8_u + 7u Ich gestehe, daß ich keinen andern Fall solcher Kühnheit und Unregelmäßigkeit kenne, auch nicht in diesen ältesten Zeiten der Rythmik.

(Zeilenbau) Nachdem die Umrahmung der Zeilen klarer geworden ist, werden die Kurzzeilen selbst leichter sich besprechen lassen. Neben den 9 regelmäßigen Kurzzeilen zu 8 -^ u stehen 7 zu 9 _u, neben den 8 regelmäßigen zu 7 u_ stehen sogar 10 Kurz- zeilen zu 8u_; s. oben S. 36. Als ich 1882 die ältesten latei- nischen Rythmen untersuchte und zu den gedruckten Texten auch die Lesarten der Handschriften prüfte, fand ich Aehnliches. Die Herausgeber hatten die überschüssige Silbenzahl vielfach auf die des Schema's herabcorrigirt : ich erkannte, daß in der Gesetz- losigkeit Methode sei, d. h. daß in der Merowinger und in der frühen Karolinger Zeit viele Dichter sich erlaubt haben, in den wenigen damals gebräuchlichen einfachen rythmischen Zeilen die Silbenzahl des Schema's zu überschreiten; vgl. meine Ges. Ab- handlungen I 187. Diese Freiheit war vielleicht deshalb aufge- kommen, weil man auch in den entsprechenden quantitirten Zeilen so oft überschüssige Silben sah, freilich solche, welche durch Elision außer Rechnung standen. Von Gedichten, in denen diese

38 Wilhelm Meyer,

Freiheit angewendet ist, habe ich zusammengestellt: einige in Trimetern und einige in Achtsilbern mit sinkendem Schlüsse (Gres. Abb. I 213 und 214) und ziemlich viele Fünfzehnsilber (I 208). Zu diesen letzten ist unser ßythmus über Fortunat zu fügen und ein Hymnus sancti Medardi, welcher in der Zürcher Handschrift auf den vom König Chilperich verfaßten Hymnus Sancti Medardi (bei mir S. 208 no 37 B) folgt und im Anschluß daran von P. v. Winterfeld in der Zeitschrift f. deutsches Alt. (Bd. 47, S. 80) ver- öffentlicht worden ist^).

Diese ßythmen sind meistens nur in einer einzigen Hand- schrift erhalten, und oft ist diese Handschrift eine sehr alte und noch beherrscht von der Merowiugischen Sprachbarbarei. Oft auch hat wie in Andachtsstücken so hier die Verschönerungs sucht ge- haust, wie z. B. in Chilperich's Hynmus auf Medard, so daß viel- leicht mancher Rythmus hierher gehört, den ich unter den ganz verwilderten aufgezählt habe. Jedenfalls, so lange nicht alle hierher gehörigen Rythmen veröffentlicht sind, läßt sich über die Form dieser freien Rythmen nichts Abschließendes sagen.

Die Untersuchung der erträglich überlieferten E-ythmen scheint schon jetzt zu lehren, 1) daß die gesetzmäßige Silbenzahl nur sehr selten um 2 Silben überschritten worden ist, daß aber gemieden wurde, weniger Silben zu setzen als das Schema verlangt, 2) daß der gesetzmäßige Tonfall im Schlüsse der Kurzzeilen nur in den verwilderten Rythmen verlassen ist.

Wie gezeigt, war schon die Mutter der beiden Handschriften des Fortunatrythmus an einigen Stellen gefälscht; wir sind also

1) Winterfeld druckt meistens die Handschrift ab, dann wieder gibt er corrigirten Text (z. B. 16, 2). Der Hymnus ist ja in Orthographie und in Text verderbt : aber er kann und soll doch dem Verständnis mehr erschlossen werden, als es von Winterfeld geschehen ist. In den Text zu setzen sind manche Vor- schläge V. Winterfeld's ; 3, 1 commissi ; 3, 2 pigre ; 4, 1 'utique könnte auch fehlen' (brieflich). 4,2 doctrinae divinae; 5,2 sancte; 6,2 debiles manus (brieflich); 14, 1 angelicos choros; 14,2 sedule; 16,2 dominum qui sanctos; 17, 1 filioque; 17, 2 sanctos coronat in perpetuo (brieflich). Dann ist wohl 2, 1 'nanctus' passivisch = 'befunden'. 3,1 Norma? 5,1 vielleicht: Magna parvae pec- tore gestans fide grana sinapis ; vgl. Matth. 17, 19 si habueritis fidem sicut granum sinapis. 7,2 invocato numine? 8,2 reddens? 9,2 stelle um: His et aliis insignis virtutibus es habitus. 11, 1 germine? 11,2 tene oder pete? 12,2 perenniter negotiaV vgl. Matth. 25,21; dann Macc. I 10,35 (II 10, 11): constituentur super negotia regni. 13,2 Viventum terra celsum posthac regnum promereberis V 15 Nee a mente tua, pie, oder Nee amenae tuae, pie, paradisi epulae nosmet ymnis te laudantes seducant memoriae?

ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 39

berechtigt, auch der Rythmik halber zu ändern. Es ist durchaus unwahrscheinlich, daß die 1. Kurzzeile statt 8 Silben mit sinkendem Schlüsse nur 6 oder 7 Silben mit steigendem Schlüsse gezählt habe, wie die Handschriften in V. 1, 3 und 19 überliefert haben. Die Silbenzabl ist richtig, aber die Schlußcadenz falsch in V. 5 und 14: hier ist durch leichte Wortumstellung zu helfen. Die 2. Kurzzeile ist nur bedenklich in V. 8 futurae vitae aeternitas xmd 16 ecclesiae crevit sanctitas, wo 9 statt 7 Silben zu stehen scheinen. Da Synizese in den alten Rythmen häufig ist, so ist vielleicht in V. 16 ecclesiae dreisilbig. Aber V. 8 wäre nur dann regelmäßig, wenn Elision angenommen werden dürfte. Allein Hiat ist in unserm Rythmus gestattet, aber Elision und Hiatus neben- einander konmien wohl in quantitirenden Hymnen der Westgothen vor (Ges. Abb. I 204 210 217 227), sind aber in rythmischen Zeilen, abgesehen vom Psalm des Augustin, äußerst selten (s. Ges. Abh. 1 210).

Die alten lateinischen Rythmen und die älteste einlieiniisehe Zeile.

Die mittellateinischen Philologen haben schon nachgewiesen, daß in der Blüthezeit des Mittelalters die Formen der französischen, englischen und deutschen Dichtung durch die großen Neuschöpfungen der mittellateinischen Dichtung, besonders der Gesangslyrik, theils hervorgerufen, theils sehr stark beeinflußt worden sind. Das Motett ist nicht eine Erfindung der französischen Volksdichter, sondern stammt aus dem lateinischen Earchengesang.

lieber die Form der ältesten germanischen und romanischen Dichtungen und über ihren Ursprung ist viel verhandelt worden und die Ansichten gehen noch jetzt weit auseinander. Mit prinzi- piellen Behauptungen, wie z. B. die Alliteration sei so innerlich mit dem Wesen der germanischen Sprachen verwachsen, daß das Urgesetz der germanischen Dichtung alliterirend sein und gewesen sein müsse, oder mit Rückschlüssen, wie z. B. da im 11. Jahr- hundert dieses oder jenes Gesetz herrschte, so habe es schon vom Anfang an oder schon im 9. Jahrhundert geherrscht, kann ich wenigstens nichts anfangen. Wie haben dann die Deutschen im 9. Jahrhundert aus der lateinischen Dichtung den Reim annehmen und die Alliteration für alle Zeiten so gründlich aufgeben können, daß unsem Kindern, wenn sie die ersten Versuche im Dichten machen, nur Reime in den Mund kommen? Und wer den wunderbaren Reichthum der Dich tungs formen des 12. Jahr- hunderts kennen lernt, wie möchte der die Dürre der poeti- schen Formen der Karolinger Zeit für möglich halten?

40 Wilhelm Meyer,

Nein, eine neue Mode kann in wenigen Jahrzehnten vieles Alte stürzen und vergessen machen, zumal wenn sie Bedürfnissen in ein- facher Weise entgegen kommt. So ist es mit der lateinischen Seqnenzendichtung gegangen: in 1^/2 2 Jahrhunderten hat sie die Dichtungsformen im nördlichen Europa von Grund aus geändert und die meisten neu geschaffen.

Deshalb sind die Erforscher der mittellateinischen Rythmik berechtigt zu fragen, ob nicht auch die alte lateinische Rythmik schon vom 6. Jahrhundert ab auf die Dichter in den germanischen und romanischen Sprachen Einfluß geübt hat.

In dem 6. 8. Jahrhundert wuchsen die Völker in Süddeutsch- land und am Rhein, in Frankreich und England, in Italien und Spanien in die Formen hinein, welche die Römer im Verein mit den alten Eingeborenen geschaffen hatten, im Handel und Wandel in der Stadt und auf dem Lande, in Recht Verwaltung und Staats- einrichtungen und nicht zum Wenigsten in Kirche und in Schule. Die römische Bildung war das, freilich recht unklare, Ideal. Der Frankenkönig Chilperich wollte um 580 neue Buchstaben in den Schulen einführen und machte lateinische Gedichte. In Pavia setzte man um 700 den Langobardenkönigen Grabinschriften in lateinischen Rythmen. Als ein Langobardenkönig einige Jahre vor 700 eine Kircheneinigung zu Stande brachte, wollte er dies Ereignis durch ein Gedicht verherrlicht wissen. Das geschah in lateinischer, nicht in langobardischer, Sprache. Aber der Dichter machte Rythmen und entschuldigte sich : iussa nequivi, ut condecet, Pangere ore sty- loque contexere, Recte ut valent edissere metrici : Scripsi per prosam ut oratiunculam. Die vornehmsten Dichter waren also die Dichter von lateinischen quantitirenden Hexametern, ihnen stehen nach die Dichter von lateinischen Rythmen. Aber die, welche in den ver- schiedenen Landessprachen oder in einem der vielen Dialekte Verse zu machen versuchten, waren am wenigsten geschätzt.

In Frankreich und in den romanischen Ländern konnten auch wenig Gebildete Lateinisches verstehen. Das Bedürfnis oder der Wunsch nach Texten in der Volkssprache regte sich daher in Frankreich viel später. Die ältesten Dichtungen in französischer Sprache, welche wir haben, sind in' einer Zeit entstanden, in welcher die lateinischen Rjrthmiker bereits die schematische Silbenzahl genau einhielten und bereits Sequenzen gebaut wurden, in denen die gleiche Silbenzahl regiert: Phtongis paribus metricata phalanx reboet ac librata {von der Gegenstrophe, hei Dieves X 150). Natür- lich zählen nun auch diese ältesten französischen Rythmiker die Silben schon genau ab.

ein Merowinger Kytlimus ii. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 41

Dagegen in den germanisclien Sprachgebieten war und blieb Lateinisches nicht nur für das Volk, sondern auch für die meisten Vornehmen unverständlich. Die Bedürfnisse der Kirche und vieler Vorgänge des Lebens machten bald Uebersetzungen in die be- treffenden einheimischen Sprachen sehr wünschenswerth oder noth- wendig ; das führte naturgemäß dazu, daß in diesen Landessprachen bald auch originale Stücke abgefaßt wurden, hauptsächlich Pre- digten oder fromme Gedichte zur Erbauung der Frommen, aber auch geschichtliche Texte oder erzählende Gredichte zur Unter- haltung der Weltlichen.

Unter den germanischen Stämmen wurden wohl am frühsten die Angelsachsen von den Iren, dem ältesten Gelehrten volke Europa' s, zu literarischer Thätigkeit in ihrer eigenen Sprache an- geregt. Etwas später regte sich in Deutschland die Prosa und Dichtung in den einheimischen Sprachen.

Diese Dichter in der einheimischen Sprache des gewöhnlichen Volkes standen nicht in selbstbewußtem Gegensatz zu den Dichtern in lateinischer Sprache, sondern sie sahen zu ihnen hinauf. Den Zeilenbau der quantitir enden Dichter nachzuahmen, war unmöglich. Bsigegen war es möglich, Lehren der lateinischen Ehetorenschulen über den schönen Stil nachzuahmen, so z. B. die über E-eim und Alliteration. Ferner konnten die lateinischen Rythmen ein Vor- bild für den inneren Bau der Zeile bieten. x

Das seltsame Ringen nach neuen Formen der lateinischen Sprache und Dichtung, welches im 6. Jahrhundert und in der nächsten Zeit im westlichen Europa vorhanden gewesen ist, können wir noch nicht klar erkennen; aber daß diese Bewegung stark war und daß sie Merkwürdiges schuf, lehren uns die verbreiteten Schriften des Grammatikers Virgilius Maro und die noch selt- sameren Hisperica Famina, welche Zimmer in diesen Nachrichten 1895 S. 117 165 besprochen und als südbritanisches Rhetoren- latein aus der Wende des 5. und 6. Jahrhunderts charakterisirt hat. Die Sprache dieser Denkmäler mag aus der Dunkelheit, welche Sprache eigentlich ein gebildeter Christ lernen solle, ob Hebräisch ob Griechisch oder ob Latein, einen Ausweg suchen dahin, daß Alles gemischt werden solle. Aber sicher wurden damals auch mancherlei Versuche mit neuen Versformen gemacht: welches mehr unruhige als fröhliche neue Leben durch den Sieg der lateinischen Sprache und Literatur bald wieder erstickt wurde, so daß in den Schulen nur die wenigen rythmischen Formen der klassischen Karolinger Zeit übrig blieben. Aber von Virgilius Maro war eine förmliche Eythmik mit mancherlei reimenden

42 Wilhelm Meyer,

Zeilenformen entworfen und die Alliteration ist durch ein krasses Beispiel belegt (s. Ges. Abs. I 199), und wenn man auch in den Hisperica Famina die 3 Ausarbeitungen aus einander halten muß, so sind sie doch sicher in Kolenform geschrieben mit sehr viel Reim und häufiger Alliteration (s. Gres. Abh. I 234).

Zu diesen geheimnisvollen Schriftstellern scheint der Italiener Fortunat den äußersten Gregensatz zu bilden. Doch auch bei ihm ist Reim häufig und offenbar mit Absicht gesetzt, und genug Verse beweisen, daß Fortunat auch in der Alliteration einen Schmuck seiner Dichtungen fand (s. Ges. Abhandlungen II 366/9); z. B. Vita Martini:

I 506 foedere fida fides formosat foeda fidelis. II 352 Martinique fidem neque fulgida forma fefellit. III 115 et data letiferum revocat retro fistula rivum. III 354 tum sacer ex solito miseratus more salubri.

Diese Verse beweisen, daß auch in denjenigen Versen, wo Fortunat mit demselben Wortstamm spielt, es ihm nicht sowohl auf dieses Spiel ankam als vielmehr auf die Alliteration. Außer dem krassen Beispiel in Appendix no 5 vgl. Verse, wie Vita Martini:

I 99 ne timeam timidum, timor est deus arma timentum.

I 347 dum rapit eripitur rapienda rapina rapaci.

I 508 inlustris lustrante viro loca lustra ligustra. II 329 unde probanda probo, reprobo reprobantia probra. Niemand wohl möchte behaupten, daß Fortunat in Ravenna den Ostgothen, Virgilius Maro in Frankreich etwa den "Westgothen, jene Engländer den Angeln und Sachsen Alliteration oder Reim abgelernt haben. Dieser Redeschmuck wurde neben vielen andern ähnlichen Kunstgriffen in den Lateinschulen dieser Länder be- sprochen und angewendet.

Reim und Alliteration waren also schon vor 600 bei latei- nischen Schriftstellern Italiens, Frankreichs und Englands als ein besonderer Schmuck der prosaischen wie der poetischen Rede an- erkannt und sind als solcher oft, aber nicht regelmäßig oder immer, angewendet worden.

Anderseits haben, wie oben S. 37/38 besprochen, mehr als ein Dutzend lateinische Rythmen aus der Zeit vor 800, welche den trochaeischen Scptenar nachahmen, also Zeilen zu 15u— . = 8—u-f

7 u _ , dann etliche Rythmen in Trimetern und einige in Zeilen zu

8 -u (s. Ges. Abh. I 208 213 214) statt der regelmäßigen Silben- zahl der Kurzzeile oft ^ine Silbe, selten vielleicht 2 Silben zuge- setzt. Die meisten dieser Gedichte stammen aus Frankreich, einige aus Oberitalien. Ob diese Dichter sich gestattet haben, auch

ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 43

weniger Silben in die Kurzzeile zu setzen als das Schema ver- langt, ist sehr unsicher; es ist auch wenig wahrscheinlich, falls die Dichter wirklich sich die Zusatzsilben nur deswegen erlaubt haben, weil sie in den quantitirenden Gedichten die überschüssigen, aber durch Elision wegfallenden Silben im Auge hatten.

Die lateinischen rythmischen Dichter der hier in Betracht kommenden Zeiten bildeten hauptsächlich: rythmische Hexameter, rythmische Trimeter (5 o + 7w_) und rythmische Fünfzehn- silber (8_u + 7u_), aber besonders oft die ambrosianische Zeile zu 8 Silben mit steigendem Schlüsse.

Diese Elemente kamen hauptsächlich in Betracht, wenn christ- liche Dichter in England im 6. oder 7. Jahrhundert in ihrer eigenen Sprache Gedichte verfassen und dabei von der lateinischen Rythmik lernen wollten, wie sie ihre bisher gebrauchte Versform umge- stalten oder wie sie Neues machen sollten. Dabei ist das Ver- fahren der Nachahmer zu beachten. Wenn man bei Andern Schönes zu finden glaubt und den Entschluß faßt, das selbst her- überzunehmen, so geschieht es leicht, daß das, was bei dem Andern beliebt, aber nur Nebensache, nur Gewohnheit war, von dem Nach- ahmenden viel schärfer betont wird , daß die beliebte Mode , die Regel zum Gesetz wird, welches nicht verletzt werden soll. So ging es mit dem Reim. Bis in die Karolinger Zeit ist der Reim in der lateinischen Dichtung nur ein Schmuck, der gern angewendet wird, der aber auch in diesem oder jenem Verse fehlen kann. Im 9. Jahrhundert wurde er in die deutsche Dichtung, dann bald in die französische Dichtung eingeführt und hat bald die ganze mittel- alterliche Dichtung erobert: in diesen nationalen Dichtungen aber darf von Anfang an kein Vers ohne Reim stehen: die Nachahmer haben die freie Wohlklangsregel zum strikten Gesetz gemacht. Dieses Gesetz ist dann im Laufe des 11. Jahrhunderts wiederum rückwärts in die mittellateinische Dichtung übergegangen, so daß von da an auch in den mittellateinischen Gedichten die Reimkette eine ununterbrochene sein muß.

Diejenigen, welche in England nach dem Vorbild der latei- nischen Rythmen Verse in ihrer einheimischen Sprache formen wollten , hatten keinen Anlaß , die verschiedenen Zeilenarten der damaligen lateinischen Rythmik nachzumachen; sie konnten froh sei, einen brauchbaren Vers zu haben. So haben die altlateinischen Dichter sich statt der 3, ganz verschieden gebauten Arten des grie- chischen Trimeters, des lyrischen, tragischen und komischen, sich eine Art, den altlateinischen Senar, zusammen gemischt und diesen dann für alles Mögliche gebraucht. Für jene englischen Dichter war

44 Wilhelm Meyer,

am geeignetsten die viel gebrauchte und einfache Kurzzeile von 8 Silben mit steigendem Schlüsse. Nach dem Vorgang des Am- brosius waren meistens 4 solcher Achtsilber zu einer Strophe zu- sammen gestellt, indem je 2 eine Langzeile bildeten; nach der ersten Langzeile trat meistens mittlere Sinnespause ein (vgl. zu Auspicius S. 197, in diesen Nachrichten 1906).

Die lateinischen Dichter jener Zeit wendeten oft Alliteration als Schmuck an, doch ohne Zwang: die Nachahmer machten aus der Mode ein Gesetz. Dies hat wiederum in den lateinischen Versen späterer Angelsachsen übertriebene Alliteration hervor- gerufen, wie in den vor 706 verfaßten Versen des Aldhelm (Mon. Germ., Epistolae III 246):

Summo satore sobolis satus fuisti nobilis. Tegat totum tutamine truso hostis acumine.

So hoben sich in den Zeilen die alliterirenden Silben besonders hervor. Das waren natürlich wichtige Silben, hauptsächlich Stamm- silben. Diese Stammsilben tragen in den germanischen Sprachen stets besonderen Accent, weshalb auch jede germanische Rythmik von Hebungen ausgehen muß. Es wurden nun diese von Wortaccent und Alliteration hervorgehobenen Silben die wichtigen Pfeiler der Silbenkette des Verses, welche sonst wie Prosa dahinlief. Aber alle vom Wortaccent hervorgehobenen Stammsilben auch noch durch regelmäßige Allitteration oder Assonanz hervor zu heben, wäre, wie in den obigen lateinischen Versen, mehr Künstlichkeit als Kunst geworden. So schieden sich für gewöhnlich in den Zeilen 3 Arten von Silben: die unbetonten, die betonten und die betonten und zugleich alliterirenden.

Die freien lateinischen Rythmiker hielten nicht streng die Silbenzahl des Schema's ein: sie haben sicher oft mehr Silben ge- setzt als das Schema wollte; ob auch weniger, das ist noch nicht sicher gestellt. Für die germanischen Nachahmer lag kein Grund vor, weshalb sie nur mehr und nicht auch weniger Silben sich gestatten sollten ; sie hielten sich für berechtigt, von der gewöhn- lichen Silbenzahl abzuweichen und mehr oder weniger Silben zu setzen.

Allein auf Harmonie und auf Wiederholung derselben Maße beruht die Dichtungsform: wenn man die Gleichheit oder Aehn- lichkeit der Silbenzahl überhaupt aufgab, so mußte an anderer Stelle eine Gleichheit geschaffen werden. Dazu boten sich die in germanischen Zeilen wichtigsten Silben, nämlich die betonten Stammsilben oder das, was wir Hebungen nennen. Sie repräsen- tirten etwa die wichtigen, vom Versaccent getroffenen Längen der quantitirenden Verse. Das einfachste Gesetz war also, daß in den

ein Merowinger Kythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 45

Zeilen die betonten Silben gezählt wurden. Dazu konnte als höhere Stufe sich gesellen, daß von diesen betonten Silben eine bestimmte Anzahl zugleich alliterirte. Dieses zweite Element war eine Zu- gabe, konnte also wegfallen : was ja auch in Deutschland im 9. Jahrhundert geschehen ist, als der Endreim den Stabreim über- flüssig zu machen schien. So hatte also die lateinische rythmische Zeile zu 8 Silben mit steigendem Schlüsse sich dahin verändert, daß 4 stark betonte Silben stehen mußten, neben und zwischen denen bis zu 5 schwach betonte Silben stehen konnten, aber nicht stehen mußten. Von den betonten wurden in der Regel eine An- zahl durch Alliteration besonders hervorgehoben.

Altdeutsche ßythmik in lateinischen Versen.

Die Formen der lateinischen Dichtung in der Karolinger Zeit waren recht spärlich, trotzdem das geistige Leben ein reges war. Erst gegen Ende des neunten Jährhunderts wagten in dem sanges- kundigen St. Grallen Tutilo und Notker vom Gresang sich zu Neuerungen führen zu lassen, zu den Tropen und Sequenzen. Diese Neuerungen, besonders die Sequenzendichtung, gestalteten dann die ganze mittelalterliche Dichtung um. Es scheint, daß diesem Ruhme St. Gallen's noch eine weitere Erfindung zuzurechnen ist.

In der Karolinger Zeit wurde , wie die lateinische , so auch die deutsche Dichtung eifrig gepflegt und dabei natürlich auch die deutsche Rythmik genau ausgebildet. Das war aber ein seltsames Gebilde. Die quantitirenden lateinischen Verse kümmerten sich nur um lange und kurze Silben und um deren Zusammensetzung in abgemessenen Füßen und in den bekannten Zeilenarten. Die la- teinischen Rythmen zählten die Silben der Kurzzeilen ab, achteten auf die Schlußkadenz dieser Kurzzeilen und suchten damit einige der bekanntesten quantitirenden Zeilenarten äußerlich zu copiren.

Anders die altdeutschen Zeilen: sie rechneten nur die stark accentuirten Silben, die Hebungen, in der Regel 4 in einer Kurz- zeile. Dagegen die Senkungen waren Nebensache; sie konnten ganz fehlen; es konnten eine oder es konnten zwei vor einer Hebung stehen. Nur am Zeilenschluß herrschte eine besondere Regel. Die Zeile sollte mit einer Hebung schließen, und Wörter wie miner galten als -j--i., d. h. als 2 Hebungen. Eine vierhebige Zeile der Art konnte 4 Silben zählen (ohne jede Senkung), sie konnte aber auch, mit je 2 Senkungen vor jeder Hebung, theo- retisch nicht weniger als 12 Silben zählen. Diese vierhebige Zeile war also außerordentlich vielgestaltig und brauchbar ; sie war aber

46 Wilhelm Meyer,

auch fast die einzige, also beim Volk sehr beliebt und verbreitet. War es nicht schwer von den quantitirenden Zeilenarten eine Brücke zu schlagen zu ihren Nachbildungen in den rythmischen Zeilen, so schien eine Brücke von den Formen der auf Silbenzahl und Schlußkadenz achtenden lateinischen Rythmik hinüber zu der nur die Hebungen zählenden altdeutschen Rythmik undenkbar.

Da hat ein Deutscher und, wie es scheint, ebenfalls in St. Gallen es gewagt, in das fremde Formengebiet, in welches keine Brücke führte, mit kühnem Sprung einzubrechen und lateinische Verse nach den Regeln des altdeutschen Zeilenbaues zu formen.

Ratpert hatte vor 880 in St. Gallen einen deutschen Lob- gesang auf den h. Gallus gedichtet; er ist verloren. Ekkehard IV hat diesen Hymnus in St. Gallen nm 1020 ins Lateinische über- setzt, der Melodie halber möglichst Wort um Wort. Jac. Grimm hat 1838 von diesen lateinischen Zeilen gesagt: 'Zwischen den otfriedischen Langzeilen und denen des Gallusliedes ist unver- kennbare Aehnlichkeit; jede Hälfte zeigt die vier Hebungen mit den ausgedrückten oder auch fehlenden Senkungen'. Doch seit 70 Jahren haben Manche diese Worte Grimms nur nachgeschrieben, Viele sie nicht geachtet. Denn selbst, wenn Grimm Recht hatte, konnte ja das Bestreben, eine gegebene Melodie genau nachzu- ahmen, den Ekkehard zu einem Unicum von Zeilenbau geführt haben.

Auf seltsamen Umwegen bin ich in dieser Sache zum Ziel ge- kommen. Ekkehard's Zeilen beschäftigten mich schon 1882; doch habe ich damals nur den Bau der Strophe genauer erkannt ; für Grimm's Erklärung des Zeilenbaues war auch ich verständnislos (s. Ges. Abhandl. I 239). Später mühte ich mich oft, die Formen etlicher Carmina Burana zu enträthseln (Ges. Abh. I 249). 1905 war ich zur Vermuthung geführt worden, daß in ganz später Zeit des Mittelalters ein und der andere Dichter lateinischer Zeilen eine oder die andere Freiheit der spätesten mittelhochdeutschen Rythmik nachgeahmt habe. 1906 erkannte ich, daß eines der bösen Carmina Burana, no 22, verständliche Formen habe, wenn man nach der altdeutschen Ryihmik den Schluß primüs == dem Schlüsse wovissimüs setze; daß aber das andere, noch bösere no 17, verständliche Formen habe, wenn man überhaupt altdeutschen Zeilenbau hier für möglich halte. Das habe ich in der Abhandlung über die rythmischen Jamben des Auspicius angedeutet (s. diese Nachrichten 1906, S. 214 Note). Neulich stieß ich auf den Rythmus 'Audi me deus piissime', den Dreves (Blume) Analecta 33, 237 aus der Brüsseler Handschrift 1351 gedruckt hat. Die

ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 47

Handschrift ist im 10. Jahrhundert geschrieben und stammt wahr- scheinlich aus St. Grallen. Ich versuchte Vieles; doch endlich sah ich : Die Formen der 88 Zeilen dieses Rythmus sind nur verständ- lich, wenn sie als Vierheber der altdeutschen Art mit allen Frei- heiten aufgefaßt werden. Jetzt kehrte ich natürlich zu dem sicher St. Gallen'schen Denkmal zurück , zu den Strophen Ekkehard's. Es war sofort klar, daß sie Vierheber altdeutscher Art enthalten, die aber der eigenartigen Melodie halber viele Freiheiten nicht angewendet haben. Endlich prüfte ich wiederum die räthselhaften Gedichte der Carmina Burana, von denen ich ausgegangen war, und kam auch in no 51, 158, 182, 192 und 195 zum Ziel; no 29 und no. 197/8 sind mir noch nicht klar. Nachdem jetzt die Augen geöffnet sind, ist zu erwarten, daß noch weitere Denkmäler dieser altdeutsch-lateinischen Rythmik nachgewiesen werden.

(Die Beichte) In der Brüsseler Handschrift, no. 8860/67 nach der alten Bezeichnung, no. 1351 nach der neuen im Kataloge J. van den Gheyn's Vol. II, steht das folgende Gedicht fol. 12^ 14. Die Handschrift ist gewiß in Deutschland geschrieben und wahr- scheinlich in St. Gallen, und zwar im 10. Jahrhundert. Das Ge- dicht ist ein Abcdarius, wie solche in jenen Zeiten viele gedichtet wurden. Ich gebe den Text nach dem Abdruck bei Dreves, Ana- lecta hymnica 33 S. 237. Dazu habe ich von Karl Strecker, welcher die Handschrift copirt hat, die Nachricht erhalten, daß der Abdruck mit der Handschrift übereinstimme außer an den zu 6, 2. 20, 5. 22, 1 und 2 mit 'Str.' bezeichneten Stellen.

De accusatione hominis erga deum.

1 Audi me, deus piissime ! 3 Coepi servire domino : impie vivendo peccavi, invidia diaboli

nimis. vicit me.

Mortem cönsecütus süm Donum döi habui:

oboediendo satanae, dies meos negl^xi.

captus sum. heu me!

2 Bone plasmator, aüdi me! 4 D^us invisibilis, longe factus sum d te, qui siirsum sedes, vide

piissime. humilem,

peccata m^a ligant me. cor contritum. plango ad te,

ut rev^rtar ad te, miserere super m^,

adiuva me. quia plasmasti me.

3, 4 vgl. 1 Cor. 7, 7 4, 3 humilem. Contritus plängo ad t^ ?

48

Wilhelm Meyer,

5 Exednt peccatä,

quae siint in me confixä,

misero. Abrenüntio diabolo et Omnibus ^ius actibüs,

adiuvante te,

6 Fiant mihi lacrimae pänis die ac nöcte,

cotidie. ömnia möa crimina veniant in memoria,

ante te.

7 Gravia enim delicta gravia quaerunt lamenta:

sie et in me. mcesti quöque oculi flüunt mihi amariter,

undique.

8 Haec erat lamentätiö in aliönis opibüs,

et non in meis. AÜena congregavi, caeli thesaiirum p^rdidi.

heu me!

9 Infra saneta r^gulä nutritus füi dülciter.

postmodmn omnia mala perföci: te sölum nön negdvi,

omnipotens.

10 Kalümnia super calümniä, fiii super omniä,

ego miser. si peccdvi grdvit^r, iam fl^bo amäritfer. indulge me! 5, 5 Omnibus Dreves, omnes Codex

11 Lux desiderabilis, scio me lönge a te,

piissime. si av^rtis faci^m, übi p^to veniäm,

nisi a te?

12 Mihi lamentätiö

pliira fiat prae Omnibus,

pro delictis meis. De tüis quod perdidi, in quo mihi recüperem, nisi per te?

13 Non mereör, ut mihi parcas, nisi fiierit

pietas tua. HOC precor, ut memineris, quod pretium me emisti,

redemptor vitae.

14 0 mira exspectatio et cördis lamentätiö,

pro delictis meis. ömnia möa crimina reduco in memoria

coram te.

15 Peccavi cum peccantibüs. nüUus ^st, qui adiuv^t

in planctibus. Qui mihi sunt consimü^s ? planxi incössabiliter,

apud me.

16 Quare non füi mörtuüs, dum füi in sacris föntibüs?

ego miser! vel cüi süm consimilis in tam mdlis criminibüs? ego miser! 6, 1 Psalm 41, 3 6, 2 die Äa< die

Handschrift {Str.) ähnlich 6, 4—6.

13, 5 pretio? vgl. 1 Cor. 7, 23 14, 4—6 = 18, 4—6;

ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen, 49

17 Revertere ad me, domine, 20 TJni d^o per ömnia ne pereamus invicem! ägimus paönit^ntiam

succurre nobis! vivendi.

Eedemptor vitae maxime, ut mäior iracimdiä

quid sum dictiirus ante te, culpa inquirit gratiä,

domine? indulge me!

18 Sancte et immortalis, 21 X Y et Z

indulge meis peccatis, conclüdunt ista verba

altissime ! simplicia.

omnia mea criminä ömnes intente auditfe,

redüco in memoria, paenitentiam ägite ante te. et vivite.

19 Tibi refero gloriäm, 22 Gloria d^o coa^vo

qui me exspectas per t^mpora, cüi honorem semper dö,

domine. altissime,

porrige auxiliüm, Üna cum dei filiö

eripe m^ de exsilio, öt cum säncto spiritü. quo captus sum! Amen.

18, 6 ante te Dreves, ante te domine Codex 20, 3 viventi ? s. Vulgata 20, 4 maior iracundiä culpam inquirat gratiä? gratia Handschrift (Str.), nicht gratiam (Dreves) 21, 1 xi ypsilon et ze'tä 22, 1 coaevo Dreves: q aevo Handschrift {Str.) 22, 2 do Dreves: deo Handschrift (Str.) 22, 3 altissimo ?

Die 3. und 6. Zeile jeder Strophe scheinen regellose Nach- rufe; ich bespreche nur die 1. und 2., 4. und 5. Zeile: also 88 Zeilen. Ich scheide zunächst 2 Klassen, je nachdem (I) die Zeilen sinkend schließen (23), oder (II) steigend (65). Jede Klasse teile ich in 2 Arten, je nachdem die Zeilen mit der Hebung beginnen (lA: 14; IIA: 43 = 57), oder mit einer Senkung (IB: 9; IIB: 22 = 31). Oft stehen statt einer Senkung 2 Senkungen (52 Mal); darnach scheide ich Unterarten.

I: vierhebige Zeilen mit sinkendem Schlüsse: (23)

I, A : Zeilen, welche mit der Hebung beginnen : (14)

1. ^u^u^^: exeant peccatä 5, 1; 2, 5 =2

2. a.uu-£.u^A: sancte et immortalis 18, 1 ; 11,2 =2

3. ^u^uu_£_jl: dies möos negl^xi 3, 5; 2, 2; 6, 2; 21, 1 = 4

4. -^uu^uu^jl: gravia quaerunt lamenta 7, 1 u. 2 ; 9, 4 ;

21,4; 22,1 = 5

Zweifelhaft (5) : 1,2 impiö viv^ndö pöccävi (s. S. 63 Note) = 1

Kgl. Ges. d. Wiss, Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908, Heft, 1. 4

50 Wilhelm Meyer,

I, B: Zeilen, welche mit einer Senkung beginnen: (9)

6. u^u^uj-jl: qui sürsnm sedes vide 4,2; 5,2; 9,5;

13, 1 ; 21, 2 =5

7. uu-z.u^u_i.jL: ali^na congregavi 8,4 = 1

8. u^uu_«_u^j_: qnod pretium me emisti 13, 5 =1

9. u-<Lu-Luu^-^: indulge meis peccätis 18,2 = 1 Zweifelhaft 4, 4 contritus plango ad te =1

II: vierhebige Zeilen mit steigendem Schlüsse: (65)

n, A: Zeilen, welche mit der Hebung beginnen: (43)

10. ^u^u_^o2_: dönum dei habui 1,4; 3,4; 4,1; 4,5; 6,1;

9,1; 10,2; 10, 4; (10, 5?); 11,1.4.5; 12,1; (12,4?); 13,2; 15,2; 19,4; 22,5 = 18

11. _^uu^u^ujl: böne plasmator aüdi me 2,1; 3,1; 6,4.5;

8,5; 14,4; 15,5; 16,1; 17,5; 18,4; 20,

2.5; 22,2.4 = 14

12. _^u_^uu-«_u_l: tibi refero gratiäm 5,4; 7, 5; 12,2.5;

16,5; 19,1; 20,1; 21,5 = 8

13. -e.KJUJLUKju.u±.: aüdi me d^us piissime 1, 1; 19,2. 5 =3

n, B: Zeilen, welche mit der Senkung beginnen: (22)

14. u^u^u^u^: et cordis Jamentatio 1,5; 2,4; 3,2; 7,4;

8, 1.2; 10, 2; 13, 4; 14, 1. 2. 5; 15,1.4;

16,4; 17,2.4; 18,5; 20,4 = 18

15. u_e.uu^u_/i-v^^: revertere ad me domine 5,5; 16,2; 17,1 = 3

16. wx uu-x uu_«_u_^: kalümnia super calümnia 10,1 = 1

Dies sind 16 verschiedene Zeilen von 6 10 Silben und von verschiedener Schlußcadenz. Mit den bisherigen Hilfsmitteln der lateinischen Rythmik sind sie nicht zu verstehen. Aber mit den Regeln der altdeutschen Rythmik sind sie verständlich als vier- hebige Kurzzeilen.

(Hebungen) Wenn im Schlüsse -ljl = u-uJ- gesetzt wird, wie vide = vi-i-de, dann haben alle 88 Zeilen 4 Hebungen, d. h. 4 von rythmischem Wortaccent belegte Silben. Vom Nebenaccent macht der Dichter in der Zeile selten Gebrauch, wie 13,1 non m^reor ut mihi (19, 4 ; 3, 2 ; 5, 1). Wichtig sind die 2 Zeilen : 10, 5 iam flebo amariter, und 12, 4 de tuis quod perdidi. Sie scheinen nur 3 Hebungen zu haben. Sie können mit der ger- manistischen Lehre von der schwebenden Betonung einge- renkt werden : Idm flebo amdriter, D6 tuis quod perdidi. Doch der Dichter, welcher 350 Hebungen richtig auf die Accentsilben gesetzt hat, soll 2 solche unnatürlichen Betonungen gesetzt haben? Ich glaube vielmehr, daß der Dichter das Gesetz des Schlusses

ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 51

hier als Ausnahme 2 Mal in einer Art von Caesurschluß zuge- lassen hat: (17) lam flebo amariter, De tiüs * quod perdidi. Ein Vers ist falsch : 4, 4 Cor contritum. plango ad te hat 5 Hebungen. Doch der Vers gibt Anlaß zu andern Bedenken. Die Strophen haben (mit Ausnahme der 9. und vielleicht der 15. Strophe) nach der ersten Halbstrophe stets eine Sinnespause; hier aber müßte 'cor contritum' neben 'humilem' von 'vide' abhängen; außer- dem steht 'plango ad te' ganz kahl. Deswegen glaube ich , daß ^cor' zu tilgen und 'Contritus plango ad te' zu ändern ist.

(Senkungen) 1 Senkung darf vor jeder Hebung stehen: vor der 1. Hebung kann sie stehen oder fehlen; vor der 2. und 3. Hebung ist sie nach der barytonen Beschaifenheit der lateinischen "Wörter nicht zu vermeiden; zwischen der 3. und 4. Hebung kann sie fehlen. 2 Senkungen sind erlaubt und in merkwürdiger Fülle zugelassen : in 43 Zeilen von den 88 findet sich Doppelhebung und davon in 9 Zeilen sogar 2 Mal : gravia quaerünt lämenta, aüdi deüs piissime, kalumniä süpör cäliünnia. Die Zeile scheint auch mit doppelter Hebung anfangen zu dürfen, da in 8, 4 äliena con- gregavi kein Grund vorliegt, Synizese anzunehmen. 3 Senkungen hinter einander widersprechen eigentlich der Rythmik, da die menschliche Zunge dann die mittlere accentuirt: allein in 1, 2 impie vivendo peccävi würden durch die Betonung impie 5 He- bungen sich ergeben; also ist entweder pie mit Synizese als 1 Silbe zu lesen, oder man muß 3 Senkungen lesen: impiö viv^ndo pgccävi (s. S. 63 Note).

Der Vierheber ist hier durch freie Verwendung von ein- fachen und doppelten Senkungen zu 16 Zeilenarten von ver- schiedenem Tonfall ausgestaltet, und noch mehr Arten wären mög- lich. Solche Verschiedenheit im Tonfall und in der Silbenzahl ist nur möglich bei einem Deklamations- oder Sprechvers : in ge- sungenen Versen verlangt die Gleichheit der Melodie wenigstens einige Gleichheit des Tonfalls und der Silbenzahl. Das beweist das folgende Gedicht.

(Ratpert's Lobi^esang von Ekkehard in's Lateinische über- setzt) Ekkehard des IV. lateinische Uebersetzung findet sich nach Müllenhoff-Scherer-Steinmeyer's Denkmälern (no XII), die ich hier zu Grunde lege, in 3 Handschriften in St. Gallen: no 393 A, no 168 (ß) und no 174 (C). Alle 3 Handschriften scheinen von Ekkehard IV. selbst herzurühren. Der Text ist also trefi'lich überliefert; nur in Strophe 1, Zeile 2, glaube ich mit Recht 'um-

52 Wilhelm Meyer,

quam' getilgt und 'misit' umgestellt zu haben; dazu kommt wohl noch Str. 8, Zeile 3, wo 'deum meum' rythmisch falsch ist^).

lieber den Zeilenbau hat das Richtige eigentlich schon Grrimm 1838 erkannt; er hat es aber so undeutlich gesagt oder so mit Irrthümlichem oder Nebensächlichem verquickt, daß Niemand nachher Grrimm's richtigen Fund verstanden oder verwertet hat. Die Initialen der Handschriften zeigen deutlich, daß das Gedicht in 17 Strophen von je 5 Langzeilen zerfällt. Grrimm erwähnt, daß Otfried Gruppen von je 2 Langzeilen bilde, und fährt fort (Lateinische Gedichte des X. und XL Jh., S. XXXIV: 'Sonst aber ist zwischen den otfriedischen Langzeilen und denen des Gallus- liedes unverkennbare Aehnlichkeit, jede Hälfte zeigt die vier He- bungen mit den ausgedrückten oder auch fehlenden Senkungen. Man vergleiche:

7, 3 diix fit Hiltibaldüs. occürrit locus commodüs.

IV 23, 39 antwurtita lindö. ther keisor ewinigo tho. 6, 2 cui mandat mötüs. quod restet Columbaniis. V 23, 20 allo thio scöni. wio wiinnisam thar wäri. Nur daß im Ganzen die zweite Hälfte der ersten merklich vorwiegt, d. h. in dieser die Senkungen öfter mangeln. Soll ich es nach der Silben zahl ausdrücken, so findet sich, daß die zweite Hälfte häufig aus 8 und 7, seltener aus 6 Silben besteht, die erste da- gegen oft aus 6 und 7, niemals aus 8. Die 8 Silben verleihen der zweiten Hälfte jambischen Klang, die 6 Silben der ersten Hälfte des Verses trochäischen oder auch der zweiten (2, 5 Francis immo- rantur). Allerdings scheint die Schlußzeile jeder Strophe sechs- silbige Hälften zu lieben'. Den Umstand, daß die erste Hälfte niemals 8 Silben zählt, die zweite Hälfte aber oft, benützt Grimm S. XXXVII um für eine Aehnlichkeit dieser Langzeilen mit dem Hexameter zu sprechen, dessen erste Hälfte vor der Caesur ja kürzer ist als die zweite.

Den Bau der Strophe hat Grimm nicht erkannt, wie seine Bemerkung zeigt (S. XXXIV): 'Auf den Bau der einzelnen Verse selbst scheint dies strophische Verhältnis keinen Einfluß zu haben'. Dem gegenüber habe ich schon 1882 (Ges. Abhandlungen I 239) festgestellt, daß die letzte Zeile der Strophe anders gebaut ist, als die 4 ersten, indem ihre zweite Halbzeile stets mit einer He- bung beginnt.

Da der musikalische Carakter dieses Liedes wichtig ist,

1) Hiatus in der Kurzzeüe findet sich nur in 4, 1 Tucconio ingrato und 17, 5 in tremeudo examine ; zwischen den Kurzzeilen in 12, 3 und 5 ; 14, 1.

ein Merowinger Rythraus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 53

SO setze ich die Einleitung des Uebersetzers selbst hierher, in den beiden Fassungen, welche er ihr gegeben hat : Ratpertus monachus, Notkeri quem in sequentiis miramur condiscipulas , fecit carmen barbaricum populo in laudem sancti Galli canendum, quod nos multo impares homini, ut tarn dulcis melodia latine luderet, quam proxime potuimus in latinum transtulimus (Handschrift A, Denk- mäler I 27). Dagegen bieten die Handschriften B und C (Denk- mäler II 79) : Ratpertus , Notkeri quem in sequentiis miramur condiscipulus, post sancti Gralli historiam et alia multa quae fecit insignia, fecit et carmen barbaricum de sancto Grallo cantitandum, quod postea fratrum quidam, cum rarescere qui id saperent (woJil wegen der Veränderung der deutschen Sprache, in 150 Jahren^) videret, ut tam dulcis melodia latine luderet (ne . . memoriae laberetur B), quam proxime potuit transferens, talibus operam impendit.

Ekkehart IV und also schon Ratpert wollten nur vierhebige Kurzzeilen bilden mit der Eigentümlichkeit der deutschen Vier- heber, daß der Schluß abät (a-ä-bät) = märtyris galt. Aber sie wollten eine von Ratpert, dem Genossen des sangeskundigen Notker, erfundene Melodie einhalten. Da war es unmöglich, daß sie sich all die Spielarten des Vierhebers gestatteten, in welchen er auf- treten konnte; deren Zahl ist mit den oben (S. 49) in der Beichte nachgewiesenen 17 Arten noch nicht erschöpft. Sie trafen also eine Auswahl. Hierbei handelte es sich nicht um Hebungen, diese waren immer 4 sondern nur um Senkungen. Sie schieden nun zunächst die Vierheber in 2 Grruppen: solche, welche mit einer Hebung beginnen, und solche, welche mit einer Senkung beginnen. Daraus setzten sie zweie,rlei Langzeilen zusanmien: 1) eine Langzeile, deren erste Halbzeile mit der Hebung beginnt, deren zweite Halbzeile aber mit einer Senkung beginnt; 2) eine Langzeile, deren beide Halbzeilen mit der Hebung beginnen. Die Strophe bildeten sie nun so, daß sie die Langzeile der ersten Art 4 Mal setzten und durch 1 Langzeile der zweiten Art abschließen ließen. Jede Strophe enthält also 10 Vierheber; von diesen be- ginnen 6 mit einer Hebung (no 1 6), 4 mit einer Senkung ab cd. Es entsteht also folgende Strophe:

1 + a Nunc incipiendüm est mihi mägnum gaüdiimi.

2 + b Sanctiorem nüllüm quam sänctum misit Gdllüm

3 -t- c filiüm Hiberniä, recepit pätrem Sueviä.

4 + dExultemus omnes, latidemus Christum päriles

5 + 6 sanctos advocantem et glorificantem.

Eine so lange Strophe muß durch die Melodie noch weiter ge- gliedert werden. So lange wir die in der Handschrift hier

54 Wilhelm Meyer,

vorhandenen Neumen nicht deutlich verstehen , müssen wir uns an die Sinnespansen halten. In mehreren Strophen fällt nach jeder Langzeile eine Sinnespanse , wie in dem Wunderkatalog, Str. 13:

1 + a Votum mox inhibitüm post patris litat öbitum.

2 + b Gaüdet pisce magno Petrös^ capto stagno.

3 + c Träbem br^viörem dat prece löngiörem.

4 + d Perffit hinc ad cästrum ob Michahelis f^stüm.

5 + 6 Egit missas möre. spiritus tönat ab öre. Aehnlich steht es mit den Strophen 5. 9. 11. 14. 15. Solche

Strophen fügen sich in jede Gliederung. Die regelmäßige Gliede- rung der Strophe ist folgende: die erste Langzeile steht als Ein- leitung für sich; dann ist die zweite Langzeile mit der dritten verbunden und wiederum die vierte mit der fünften. Diese Gliede- rung zeigt sich klar in der oben gedruckten 1. Strophe. Ebenso deutlich ist sie in der 6., 10. und 17. Strophe; sie paßt durchaus auf die Strophen 2, 3, 4, 7, 8. Schwache Ausnahmen bilden nur die 1 2. Strophe, wo die 3. Langzeile nicht mit der zweiten, sondern mit der vierten und fünften verbunden ist; dann die 16. Strophe, wo die erste Zeile mit der zweiten zusammenhängt. Also inter- pungire die 2. Strophe:

1 + a Cur SU pergunt rectö cum agmine collecto.

2 -f b Tria tranant mariä, celeiimant 'Christo gloriä'

3 + c Cölumbanus, Gallüs, Magnoaldus et Theodorus.

4 + d Chiliano socio, post füncto sacerdotio, 5-1-6 Gallos pervagantur, Francis immoräntür.

In der 12. Strophe ist ja gegen die Regel die 3. Zeile mit der 4. verbunden, allein die beiden letzten Zeilen geben dennoch einen selbständigen Sinn:

1 -f a Optant illum populüs pontificem et clerüs.

2 -H b Quis sacrändum proprium lohannem dat discipulum.

3 + c hinc superno numine, in montis stans cacümine,

4 + d spiritüm abbätis locandum cum beatis

5 + 6 ^ consp^ctu t^rr^ dngelos videt förre.

Was war nun Refrän? Gewiß nicht die eigenartige Schluß- zeile der Strophen (denn in den Strophen 1, 6, 10, 12 und 17 gibt sie keinen selbständigen Sinn). Die beiden letzten Langzeilen geben zwar stets einen abgeschlossenen Sinn; allein nach meiner Ueber- zeugung hat nach jeder neuen, vom Vorsänger gesungenen, Strophe das Volk den Schluss der ersten Strophe wiederholt:

Exult^mus ö m n ^ s ! Laudömus Christum p d r i 1 ^ s sanctos advocdnt^m ^t glorificdntem.

ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 55

Ekkehard und Ratpert haben also in den 17 Strophen 102 Vierheber, welche mit Hebung beginnen (die Kurzzeilen 1, 2, 3, 4, 5j 6), und 68 Vierheber, welche mit Senkung beginnen (die Kurz- zeilen a b c d), mit bestimmter Absicht verteilt, in Anschmiegung an die von Ratpert geschaffene Melodie der Strophe.

Sie haben aber den üppigen "Wuchs der Vierheber, von denen ich oben (S. 50) allein in der Beichte 17 verschiedene Formen nachgewiesen habe, noch weiter beschnitten. An den Hebungen war nichts zu ändern: jede der 170 Kurzzeilen muß deren 4 haben. Aber die Senkungen sind es ja, welche die vielgestaltigen Formen des Vierhebers verursachen. Da jedes lateinische Wort mit einer unbetonten Silbe endet, wenn das folgende Wort mit einer betonten Silbe beginnt, so muß vor der 2. und vor der 3. Hebung der lateinischen Vierheber des Ekkehard stets minde- stens 1 Senkung stehen; vor der Schlußsilbe, die ja nach alt- deutschem Muster stets eine Hebung ist, kann die Senkung nur fehlen durch die aus der altdeutschen Rythmik entlehnte An- nahme, daß ein paroxytoner Schluß, wie ein proparoxytoner 2 Hebungen enthält, also probäs = pro-ö-bas = pröbitäs sei.

Also von den einfachen Senkungen vor der 2. und der 3. He- bung konnte Ekkehard nichts wegnehmen. Dagegen hat das Bei- spiel der Beichte uns gezeigt, daß vor der 2. und vor der 3. He- bung, vielleicht auch vor der 1. Hebung statt der einfachen Senkung doppelte, (ja vielleicht sogar dreifache) Senkung gesetzt werden konnte. Hier nun hat Ekkehard, und vielleicht schon Ratpert, eingegriffen. Sie haben die doppelten Senkungen vor der 2. und 3. Hebung und den Taktwechsel im Anfang der Vierheber überhaupt nur wenig zugelassen denn wohin wäre die dulcis melodia gekommen, wenn die Zeilen 'exultemus omnes' und 'ka- lümnia siiper caliimniä' mit der gleichen Melodie gesungen werden sollten? , dann haben sie diese Freiheiten nur an der einen Stelle zugelassen, von der andern Stelle durchaus ausgeschlossen. Sie haben nemlich die zweiten Halbzeilen der 1. bis 4. Langzeile ganz rein gebildet ; dagegen in den ersten Halbzeilen der 5 Zeilen und in der zweiten Halbzeile der 5. Zeile haben sie einige Frei- heiten zugelassen. Die von mir mit a b c d bezeichneten, stets mit einer Senkung beginnenden zweiten Vershälften hatten also die empfindlichste Melodie.

Die mit Senkung beginnenden Vierheber (a b c d) sind außerordentlich regelmäßig. 67 beginnen mit der Senkung; der einzige Vers

8, 3 Semper hie habitabo, deum meum invocäbö

56 Wilhelm Meyer,

ist falsch. Denn 1) beginnt er mit einer Hebung, 2) zählt er 5 Hebungen. Die Psalmstelle 115, 13 und 17 nomen domini invo- cabo hüft nicht. Es ist wohl zn ändern 'et deum invocabo'. Ver- doppelte Senkungen oder Taktwechsel gibt es in diesen 68 Vier- hebern nicht, also bleiben nur die 2 Formen:

1 (14). ^) u^u-r-u^u^: est mihi magnum gaudiiim: 29

2 (6). u-t-u^u-t.^: quam sanctum misit Gallüm: 39 Von den 102 Halbzeilen, welche mit der Hebung beginnen, von mir gezählt mit 1 6, schließen 68 mit Doppelhebung, wie Nunc incipiendüm, 34 schließen mit einfacher Hebung, wie Filiiim Hi- b^rniä :

3 (1). uL.Kj-L.u^j^: Nunc incipiendüm: rein 52 (+ 16 mit Freiheiten)

4 (10). -a.w_^u_a.u_l: Filiiim Hib^rnia: rein 30 (+4 mit Freiheiten)

Hier hat nun Ekkehard, und vielleicht oft auch Ratpert, in beschränktem Maße 2 Freiheiten zugelassen, welche sie in den zweiten Halbzeilen gar nicht zugelassen haben.

(Fehlen der zweiten Senkung) Unter den 102 Halb- zeilen fangen 8 mit eiQer Senkung an. Von diesen sind 2 Zeilen ohne weiteren Anstoß: {= no 2) 4, 1 Tuccönio ingrdto hinc excommiinicatö.

17, 1 Johannes noli fl^re, magistrum cr^de vivere. Dagegen die 6 andern Zeilen bieten doppelten Anstoß:

4, 4 Arbönam per lacüm advolitant Potamicüm.

5, 4 Latrönes et düos occidunt fratres süos. 14, 1 Egrotat in Castro electus deo nostro.

14, 2 Post fletum, post g^mitüm defüngens efflat spiritum.

14, 4 Accürrit episcopüs, flens ad magistri corpus.

15, 4 Cruöre perfüsum horr^bant 6t cyliciüm.

Die letzten 6 Verse beginnen nicht nur, wie die 2 voran- gehenden , die vordere Halbzeile mit einer Senkung , sondern sie haben auch nur 3 Hebungen, statt 4. Es ist diese Zeilenart schon oben S. 51 als no 17 besprochen. Beiden Mängeln wäre abge- holfen, wenn man die germanistische Lehre von der schwebenden Betonung hier anwendete, also Lätrone^s, Crüore usw. betonte. Doch das ist keine rythmische, keine Accentdichtung. Den rich- tigen Weg zeigt auch hier die Zeile 'Post fletum, post gemitum': diese Worte wird Jeder sprechen mit einer Caesur nach Post fletum. Auf diese Nebencaesur ist die Betonung der paroxy tonen Zeilen- schlüsse übertragen. Also ist betont:

1) In Klammern setze ich die Zahl der Versart der Beichte (s. oben S. 49).

ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 57

5: u_z.A, u^^: Latrönes* et düos : 4,4; 5,4; 14,1; 15,4: 4

6 (17): U-Z.JL, u_^u:.: Post fletüm" post gemitum: 14,2; 14,4: 2 Außer dieser Weglassung der Senkung zwischen der ersten und zweiten Hebung bleibt also als andere, in allen 8 Kurzzeilen zu- gelassene Freiheit, daß dieselben mit einer Senkung beginnen.

(Zweisilbige Senkung) Die weitere Freiheit , welche Ekkehard in diesen lyrischen Vierhebern in beschränktem Maße zugelassen hat, aber auch hier nur in den mit der Hebung be- ginnenden Halbzeilen 1 6, ist die Zulassung einer zweisilbigen Senkung. Oben (S. 51) ist gezeigt, wie außerordentlich oft zwei- silbige Senkung in der Beichte vorkommt. In diesen sorgfältig gezähmten Vierhebern des Ekkehard finden sich nur folgende Arten :

7 (2). -^uw_z-u^^: ängelös videt ferre: 4, 5; 6, 6; 7, l ;

8,2.3; 12,6; 14,5: 7

8 (3). -iLu^uu^^: Jövem linquünt ärdentem: 3, 6; 9, 6 2

9 (4). -i-uu_2_uu-z._L: Spiritus tönät ab öre: 13,6 1

10 (11). ^uuo-u^u^: glöriä tibi domine: 17, 5 1

11 (12). _ü_u_/_uu^u:l: in tremendo exämine : 17,6 1

Also in den 88 Vierhebern der Beichte steht 52 Mal zwei- silbige Senkung, in den 102 oder eigentlich 170 Vierhebern des Ekkehard nur 12 Mal. Diese durch eine eigenartige Strophen- melodie wohl gezähmten Vierheber des Ekkehard geben also kein vollständiges Bild der wirklichen Vierheber ^) ; diese können wir in ihrer natürlichen mannigfaltigen Ausgestaltung nur in der Beichte kennen lernen.

1) Die Sanctgallener Handschriften 168 (B) und 174 (C) enthalten Ekke- hard's eigenhändige Aenderungen des Textes. Ich gebe daraus die rythmisch wichtigen : zu 2, 6 ist notirt : nimis honorantur (honori habentur C) BC. Hat nun C 'nimis hönöri habe'ntür, so ist das = no 9 (13, 6); hat C nur 'honöri habentur', so findet Taktwechsel statt (no 5) 3, 5 C imbüünt fide gentem : no 7 4, 6 C presbiter Christo cärüs : no 7 5, 4 B und C haben ohne Takt- wechsel: Lätro Sigebdrtüm 6, 3 ümquam missäs ne celebret: no 11 8, c statt des unrichtigen 'deum meum invocabo (AB) hat 0 'elegi hünc löcum döminö', ebenfalls unrichtig wegen der zweisilbigen Senkung 9, 6 C advexerät minister, falsch wegen der anfangenden Senkung 13, 3 B fecit tabulam minorem orando longiorem : falsch, wenn nicht tabulam zu trabem geändert wird (no 8), oder wenn man nicht 3 Senkungen hinnehmen will (täbüläm minorem), die Ekkehard nie zu- gelassen hat 8, 4 C Egressüs Arbönäm : Taktwechsel (no 5) 13, 5 C Prae- dicät verbum möre (no 7), B Prae'dicat hi'c de möre (no 7) 13, 6 BC Spiritus tönat öre: no 7 statt no 9 14, 6 B Conträctus et exiliit, falsch wegen der vor- gesetzten Senkung; C Debilis et exiiiit: no 10 17, 5 BC In tremendo nümine: no 1 statt no 11.

58 Wilhelm Meyer,

Schon Grrimm hat hervorgehoben und Andere nach ihm, wie viele Zeilen des Ekkehard reinen trochäischen oder jambisclien Tonfall haben. Das ist nicht eine bewußte, geheimnisvolle Mache des Ekkehard, sondern das mußte bei der barytonen Betonung der lateinischen Wörter unvermeidlich eintreten, sobald mehrsilbige Senkungen gemieden wurden. Wenn ich z. B. im Pater noster alle zweiten Senkungen weglasse (hier bezeichne ich sie mit u), so bleiben reine rythmische Jamben und Trochaeen übrig: Pdter noster, qui es in coelis: Sanctificetur nomen tiium: Adv^niät regnum tiium : Fiat völüntas tüa sicut in coölo ^t in t^rra : Panem nöstrum süpersübstäntialem da nöbis hödie: Et dimitte nöbis de- bitä nöstra sicut et nös dimittimüs debitöribüs nöstris : Et ne nos indücas in tentationem: Sed liberä nös a malo. Da Ekkehard von 170 Kurzzeilen nur in 12 oder, die 6 Zeilen mit Taktwechsel zugerechnet, in 18 Zeilen 2 Senkungen zugelassen hat, so müssen unvermeidlich 152 Kurzzeilen reinen jambischen oder trochäischen Tonfall haben.

Die deutschen Wörter sind nicht alle baryton und in der deutschen Rede kann sehr leicht zwischen 2 Hebungen die Senkung fehlen. In wie weit also ßatpert's deutsche Yierheber der Melodie halber den Ausfall von Senkungen gemieden haben, können wir aus Ekkehard's Zeilen nicht rückwärts schließend beurteilen; wohl aber dürfen wir daraus, daß Ekkehard selten zweisilbige Senkung gesetzt hat, rückwärts schließen, daß die Melodie dagegen war und daß schon Ratpert, der Schöpfer der Melodie, auch in seinen deutschen Vierhebern selten zweisilbige Senkungen gesetzt hatte.

(Dhuoda^s Verse) Ich hoffe, daß der rythmische Bau der Beichte und des Lobgesangs festgestellt ist: die gezählten He- bungen und die freigegebenen Senkungen spielen da die Hauptrolle. So will ich es wagen, einen verzeifelten Fall anzufassen. Dhuoda, welche mit Bernhard, dem Herzog von Septimanien, in Achen 824 vermählt worden ist, hat für ihren 826 geborenen Sohn Wilhelm, als er am fränkischen Hofe verweilen mußte, 843 ein Buch mit Lebensregeln verfaßt (von Bondurand in Paris 1887 edirt mit dem Titel: Le manuel de Dhuoda). Darin citirt Dhuoda kurze Stücke aus Gedichten Anderer, dann gibt sie 4 eigene Gedichte. Ludwig Traube hat in seinen 'Karolingischen Dichtungen' (= Schriften zur germanischen Philologie I 1888) S. 136—148 diese Citate und die eigenen Dichtungen Dhuoda's besprochen. Dann hat J. Huemer im Eranos Vindobonensis 1893 S. 113, nur die Citate behandelt. Traube hat 3 Gedichte Dhuoda's abgedruckt: I S. 141 das Epi-

ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 59

gramma operis subsequentis (Bondurand S. 47); II S. 145 'Ut va- leas' (Bond. S. 228) ; III S. 148 das Epitaphium (Bond. S. 240) ; no IV 'de temporibus tuis (Bond. S. 225) hat Traube weggelassen, da er damit nichts anzufangen wisse. Damit das Material voll- ständig sei, gebe ich dies Gedicht als Beispiel.

Dhuoda zu lesen, ist freilich unerfreulich. Ihr Text erinnert an den des Gregor von Tours. Grammatische und syntaktische Unmöglichkeiten sitzen dicht beisammen, und oft gelingt es nicht, einen Sinn der Wörter zu finden. Daran scheint die handschrift- liche Ueberlieferung nur wenig Schuld zu haben. Diese ist frei- lich sonderbar : Bruchstücke in Nimes (N) einer schönen Hand- schrift des 9. Jahrhunderts, von denen Bondurand 2 Seiten im Facsimile gibt, und eine im 17. Jahrhundert gemachte vollständige Copie (Paris 12293 = P) einer alten Handschrift. Allein die Unterschiede zwischen N und P sind nicht bedeutend.

(Dhuoda's Zeilcnbau) Bei Dhuoda findet sich ebenso wie bei dem Grammatiker Virgilius Maro, auf dessen merkwürdige Rythmik ich zuerst hingewiesen habe (Ges. Abhandlungen I S. 199), durchaus keine quantitirend gebaute Zeile. Aber die von Dhuoda citirten kurzen Dichterstellen scheinen anders gebaut zu sein als ihre eigenen Gedichte. Ich untersuche hier nur diese 4 Gedichte. Sie enthalten eigentlich über 380 Kurzzeilen; doch wenn die ganz unsichern oder unverständlichen abgerechnet werden, haben wir mit etwa 350 brauchbaren zu rechnen.

Reim und Alliteration finden sich gelegentlich, aber nicht regelmäßig, und Alliteration seltener als der Reim : In te suus semper vigilet sensus. (I 15) Diligentius sacram disce doctrinam. (II 2) Erigat ad summum genitorem prolis meque cum illis iungat in regnum. (I 38)

Hiatus ist durchaus zugelassen.

(Silbenzahl) Bei lateinischen Rythmen erwartet man in den entsprechenden Zeilen gleiche Silbenzahl. Damit steht es hier schlecht. Zunächst hat Dhuoda offenbar gemieden Zeilen von 4 und Zeilen von 8 und mehr Silben, dann Zeilen von 5 Silben mit steigendem Schlüsse. Viersilber finden sich in der Refränzeile des III. Gedichtes: von den 8 Strophen beginnen 5 oder 6 diese Zeile mit dem Anruf an Gott 'rex immense', 'deus clemens' (sigyos magne ?) ; hier stehen die Viersilber offenbar legitim, dagegen sonst sind sie so selten, daß die wenigen überlieferten ziemlich gewiß zu bessern sind: III 4 omnis aetas, IV 44 cuncta tibi. Zeilen

60 Wilhelm Meyer,

zu 5 u_ stehen 3 im III. Gedicht: 1, 2 hoc in tiimulo; 2, 2 tellus lindique ; 5, 1 diri viilneris. Von den übrigen sind unsicher : I 26 mismi similen ; I 34 vivant obsecro (obs^cro ?) ; I 39 moida hactenus (ac tenus Traube); demnach bHebe nur IV 7 illi alium. Zeilen von mehr als 7 Silben bilden nur folgende Zeilen zu acht Silben: II 7 coaequa te humiKbus; II 15 at tarnen ad haec merita; III 7,4 ut orent ita dicentes (6,4 orantes ita dicite?); IV 9 et si tantum et aliud.

Es bleiben etwa 138 Fünf silber mit sinkendem Schluß (5~u); etwa 153 Sechssilber, davon 119 mit sinkendem Schluß (6 —J), 34 mit steigendem Schluß (6 u _) ; etwa 60 Siebensilber, davon 40 zu 7 _w, 20 zu 7u_. Bei diesen Berechnungen sehe ich durchaus ab von Synizese oder Syncope, mit deren Hilfe Traube S. 149 viele ihn störenden Ausnahmen beseitigt: Andree, prosapie, sin- g(u)la. Von Gleichheit der Silbenzahl ist offenbar in Dhuoda's Rythmen keine Rede.

(T r a u b e's A d o n i e r) ^) In seinen Karolingischen Dich- tungen S. 137 sagt Traube: Bei Dhuoda lernen wir die vielleicht frühesten rythmischen Adonier kennen, soweit sie vollständig er- halten sind. Da Dhuoda Silbenzusatz zugelassen hat, so daß wir 1) u _ u _ u oder u u _ u und 2) _ u _ u _ u oder u _ u u _ u zu unter- scheiden haben, femer der Schluß nicht selten unrein gebildet ist, und eine Reihe Siebensilber untergelaufen sind, die nur zum Teil die schlechte Ueberlieferung verschuldet, hat sich die Erklärung dieser Verse, die sich jeder Metrik zu entziehen schienen^ bis jetzt verzögert. Der Silbenzuschlag aber, der überhaupt von jeder Volksdichtung fast unzertrennlich und hier außerdem durch Ein- wirkung der sapphischen Zeile besonders erklärlich ist, . . . fand sich zusammen mit unreinem Schlüsse in den Vorbildern der Dhuoda'. Traube druckt dann die Gedichte I, II und III. Hierzu

1) Ph. Aug. Becker hat in der Zeitschrift für romanische Philologie XXI (1897) S. 73-101 gehandelt über 'Duoda's Handbuch'. Dabei sagt er S. 94: 'Was Duoda's eigene Verse betrifft, so scheint sie zwei verschiedene Prinzipien befolgt zu haben. In den drei letzten Gedichten (bei mir no IV, II und III) schwebt ihr offenbar der eigenartige Prosarythmus der Psalmen vor, und wahr- scheinlich sind die unter ihrer Grabschrift stehenden Worte: Qualiter ordinem psalmi ex parte componens, in diesem Sinn zu deuten und mithin nicht als neue Kapitelüberschrift, sondern als erläuternde Anmerkung zur Grabschrift aufzufassen (Manuel p, 242). Die Verse des Epigramms (no I) hingegen zeigen ausge- sprochen rythmischen Charakter : sie erinnern entfernt an französische Zehnsilber, und man könnte sie, meine ich, als beleg für die Ansicht anführen, daß dieser Vers aus dem rythmischen Hexameter hervorgegangen ist (vgl. Thurneysen, Zft. f. rom. Phil. XII)'.

r^ ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. ßl

bemerkt er S. 149: 'Verschiedene Gesetze walten in diesen 3 Rythmen. I bestellt aus 4 Zeilen Fünfsilber; Silbenvorschlag ist in allen Zeilen gestattet, in der 4. Zeile selten Siebensilber. H besteht aus Strophen zu 7 Zeilen, von denen die erste gesetz- mäßig sechssilbig, die 2. (bis auf 8) und 3. (bis auf 2 3 18) und 7. gesetzmäßig fünf silbig sind. III besteht aus Strophen zu 6

Zeilen ; die 5. , welche den Schluß einleitet , muß viersilbig sein, in den andern ist Silbenzusatz beliebig'. Dann zählt Traube die zahlreichen Fälle auf, in welchen er Synizese wie pigeat, oder Syncope, wie sing(u)la, annimmt. Da ich ihm hierin nicht zu- stimme, kann ich auch die obigen Silbenzahlen für bestimmte Zeilen nicht annehmen.

Traube nimmt also an die Formen: 1. _wu__u, u_u u, _^u_u^u, u_wu_u; 2) im Schluß _u_ statt w_u, 3) Siebensilber.

1) Wie will Traube Zeilen, wie 'rex immensus et fortis', ^huc et illuc compensor' erklären? Zahlreiche ähnliche wie 'singulorum prae factis', 'non accipias unquam' kann er nur durch Syncope oder Synizese erklären. In Wahrheit scheinen hier 2 Silben vor- gesetzt zu sein.

2) Traube spricht von 'unreinem Schluß' : allein darunter ist zunächst zu verstehen, daß statt _ w gesetzt wird u_. Wenn statt 'iustus et pius' gesetzt würde 'iustus impius', das wäre un- reiner Schluß: aber gerade diese Zeile meidet Dhuoda. Dhuoda erlaubt sich vielmehr nach dem gewöhnlichen Schlüsse _ u noch eine Silbe zuzusetzen: also statt 'iustus et pius' zu setzen 'iustus et impius'. Das ist ein Vorgehen, das in der Geschichte der la- teinischen Hythmik noch nicht belegt ist.

3) Die zahlreichen Verse 'placita perquiram, fragilis et exul' quiesci sine fine' muß Traube mit Nebenaccent auf der viertletzten Silbe lesen. Dann aber ergeben sich Zeilen mit 3 Hebungen, welche aus dem Gerüste des Adoniers herausgehen.

Also die Freiheiten, von denen die bisherige Erforschung der mittellateischen Rythmen uns Nachricht gegeben hat, reichen bei weitem nicht aus, die Verse der Dhuoda uns begreiflich zu machen. Nach meiner Ansicht lassen die Verse der Dhuoda sich begreifen, wenn man annimmt, daß sie die Freiheiten der ger- manischen Rythmik ihrer Zeit (842) gekannt und in ihren Versen angewendet hat. Zunächst ist es natürlich gewesen, daß Traube, als er die abgesetzten Langzeilen von no I (bei Bondurand S. 47) las, auf den Gedanken kam, daß hier Adonier vorlägen: Centrum qui pöli cöntines giro, pöntum et ärva concliidis pälmo.

ß2 Wilh elm Meyer,

Von den etwa 350 Zeilen haben 111 den Tonfall _uu_u disce doctrinam ; 105 Zeilen enthalten diesen Tonfall mit ein- oder zwei- silbigem Vorsatz oder mit einsilbigem Zusatz : dignetuv per ciincta, diligenims sacram; mdgnis et minimis] «/mificum g^mtum. Die andere rytbmisclie Form des Adoniers u_^^_u j&ndet sieb rein in 27 Zeilen 'ex toto cörde, coelörum sidns'; mit Vor- oder Znsatz- silben in 35 Zeilen: ««deriimqne diictor; eiüsdem si\laJ)am. Also 138 Zeilen enthalten die reinen Formen des rytbmischen Adoniers, 140 dieselben mit Vor- oder Zusatzsilben.

Die Dhuoda hat also als Gerüst ihrer Verse die 5 Silben des Adoniers, deren vorletzte betont ist oder die 2 Hebungen des Adoniers gewählt. Diese 2 Hebungen sind bei ihr solide Pfeiler; sie sollen nicht durch Nebenaccent gebildet werden, wie das in imperatörem, resolutionis geschehen würde ; ja Dhuoda meidet sogar, die eine Hebung durch ein nur Einsilbiges Wort gegenüber einem vier- oder mehrsilbigen Wort in der andern Hebung zu bilden, wie dies in 'ad genitörem, tünc voluisti' geschehen würde ^).

1) (Bau der Adonier) Im Anfang des Ladus Danielis von Beauvais (c. 1140, bei Coussemaker, Drames liturgiques) finden sich 45 quantitirend gebaute Adonier: von diesen sind 7 durch ein einziges Wort, wie enucleäntes, gebildet, 10 durch ein einsilbiges und ein viersilbiges Wort, wie tünc voluisti. Das 1. Gedicht der Cambridger Lieder, 66 rythmische Adonier, enthält die eine Zeile 'Maguntiacensis' und 4 wie höc manducävi. Godschalk's Gedicht (Poetae Karol III 724) 'Christe mearum', 72 Adonier, enthält 9 Zeilen, wie rex benedicte'. Alcuin (P. Kar. I 266) hat in 60 Adoniern (10 Str. zu 6!) 2 Mal 'nunc bipedali', 2 Mal 'Omnipotenti'. Aber bei Columban (Mon. Epist. III 186) stehen in 159 Zeilen 25 Ausnahmen. In den 350 Zeilen der Dhuoda kommen viersilbige und fünfsilbige Wörter ziemlich oft vor; allein sie sind stets mit einem mindestens zweisilbigen Worte gebunden, so daß jede Hebung durch wirklieben Wortaccent, nicht etwa durch ein unbedeutendes Wort, wie 'et', oder durch Hilfs- accent wie 'ömnipotenti' gebildet wird. Ausnahmen finden sich nur in no IV: V. 18 resolutionis; V. 20 und 21 et aegritudo angustiarum; endlich V. 34 ad genitörem (unsicher). Der Grund kann aber aus einer Regel der lateinischen Metrik stammen (s. F. Plessis, Trait^ § 244). Den lateinischen Metrikern war der Adonier gleich dem Schluß des Hexameters. Dieser sollte weder durch ein viersilbiges noch durch ein fünf- oder mehrsilbiges Wort gebildet werden. Diese Regel wurde im Adonier nicht so streng beachtet wie im Hexameter, aber be- achtet wurde sie. Horaz hat in 205 sapphischen Strophen nur: (4, 11, 4 est hederae vis), II 6, 8 militiaeque; Saec. 16 seu Genitalis; dann Eigennamen: I 12, 40 Fabriciumque ; I 30, 8 Mercuriusque ; 4, 11, 28 Bellerophontem: also unter 205 Fällen 5 Ausnahmen, von denen 3 4 Eigennamen sind. Beachtet ist diese lateinische Regel noch bei Terentianus (V. 2161, 16 reine) und bei Boetius, der in 81 Zeilen der Consolatio Philosophiae (ed. Peiper Seite 220) nur *mox resoluto' zugelassen hat; bei Prüde ntius, der von 20 Strophen

ein Merowinger Rythmiis u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 63

Dhuoda hat nun dem Adoniergerüste sehr oft eine schwach betonte Silbe vorgesetzt, wie in digneiuT per cuncta, ^enitorem tüum' : das konnte sie der Freiheit der alten lateinischen Rythmen entlehnen, von der ich oben gehandelt habe (S. 37). Aber sie hat auch oft hinten eine schwach betonte Silbe zugesetzt, wie 'magnis et mmimis, eiüsdem sillsihain' : dafür weiß ich in der lateinischen Rythmik keine Parallele. Ja, Dhuoda hat sogar in der Mitte eine solche schwach betonte Silbe zugesetzt: prötegat defendat, limo revoMta.

Ehe ich weiter gehe, sind einige Punkte zu erörtern, welche von der gewöhnlichen lateinischen Rythmik abweichen. Zunächst handelt es sich um Häufung der Senkungen. In der la- teinischen Rythmik sind wir gewohnt von 3 Senkungen die mittlere mit einem Nehenaccent zu belegen: homines prudentes, viri sapi^ntes; von 4 Senkungen die 2. oder die 3.: 'homines säpientes, viri prii- dentiores'. Doch im Sprechen können wenigstens die Grermanen leicht 3, ja 4 Senkungen überspringen : mächtige Grewalten, mäch- tigere Gewalten: ebenso im Lateinischen, wenn die Hebungen kräftig betont werden: corporis et mentis, pläcita perquiram; ja auch: dilige optimates, viduis et pupillis, pigeat tenebrarum. Kräf- tige Betonung der Hebungen müssen wir vor Allem für den Vor- trag der alten germanischen Verse annehmen, und bei ihnen ist die Häufung von Senkungen gewöhnlich. Also gegen eine Zahl von Senkungen, welche über 2 hinausgeht, braucht man sich nicht zu sträuben, wenn es sich um lateinische Nachahmung germanischer Rythmik um 840 handelt. Bei Dhuoda gibt es dann keine Nebenaccente^).

Zweitens handelt es sich darum, ob selbständige Wörter als halbbetont, als Senkungen behandelt werden können. Ein- silbige Wörter sind fast in jeder Rythmik vogelfrei; in der so ängstlichen lateinischen Rythmik des 12. Jahrhunderts können

nur 1 schließt mit 'Christicolarum' ; bei Paul in Nol., der von 85 Strophen nur

3 schließt mit 'aedificare'. Dagegen wenig kümmern sich um die Regel Auson (in 16 Schlüssen 4 Mal 5 w); das Gedicht 'Rauca sonorem' (Bährens P. Min. IV, 438; in 27 Adoniern 1 Mal 4 —u, 1 Mal 5 —w); Sidon (in 21 Str. 1 Mal

4 u, 5 Mal 5 u); Ennodius (in 23 Zeilen 2 Mal 5 ^)' Marcianus (in 27 Adoniern 3 Mal 4 ^ und 3 Mal 5 u).

Sicher ist es, daß Dhuoda es gemieden hat, ihre Zeile durch ein einziges vielsilbiges Wort zu bilden oder durch ein einsilbiges und ein vielsilbiges ; un- sicher ist es , ob sie das gethan hat der quantitirenden Metrik halber oder aus besonderen, vielleicht germanischen, rythmischen Rücksichten,

1) Der oben (S. 51) besprochene 2. Vers der Beichte 'impie viv^ndo peccävi' wäre ein vereinzelter Rest der früheren größeren Freiheit.

64 Wilhelm Meyer,

selbst Nomina und Verba, wie lux und flet, als Senkungen be- bandelt werden. Aber die zweisilbigen Wörter stehen sebr in Frage. In der mittellateiniscben Rythmik können selbst Hilfs- wörter, wie huius super ubi, nicht als unbetont bebandelt werden. Auch die neudeutsche Rythmik erlaubt nicht leicht, über zweisilbige Wörter wie 'dieser, über' wie über 2 Kürzen hinweg zu springen. Diese Schranke ist gegen die Natur des Sprechens. Wenn die Zeile :

Te super omnes diligat factorem

Dich über alle soll er lieben, o Schöpfer sinngemäß betont wird, so springt die Zunge über 'super' oder 'über' hinweg. Die Daktylen des Mittelalters sind noch recht dunkel; doch z. B. die Uzreise des Ulrich von Lichtenstein (K. Bartsch, deutsche Liederdichter S. 184) enthält in ihrer Daktylen- kette ohne Ende sogar solche Zeilen: Gein ir längen kriege sötz ich min gedulde: also dieser formkundige Dichter hat sogar ein zweisilbiges Wort wie 'langen' als 2 Senkungen behandelt. Bei Dhuoda finden sich Verse wie:

in te suus semper vigilet sensus.

qui das sine fastu dona illi sensum.

tu tamen manes solus immutabilis. Hier verlangt der Sinn, daß te, tu und das betont, also suus sine tamen als 2 Senkungen von der Zunge übersprungen werden. Des- halb halte ich es für möglich, daß Dhuoda, wo solche zweisilbigen Hilf s Wörter der Sprache (Pronomina, Präpositionen, Conjunktionen) neben kräftige Hebungen zu stehen kamen, sie als 2 Senkungen behandelt hat. Es bleibt die Frage, ob in den wenigen Aus- nahmeversen, wie deus summe lucis, digna dignis semper, Dhuoda wie Ulrich von Lichtenstein sich erlaubt hat, auch ein zweisilbiges Nomen als 2 Senkungen zu verwenden (vgl. Gres. Abb. Jl 55).

Mit diesen Voraussetzungen kann ich seltsame, aber zahlreiche Zeilenformen der Dhuoda als zweihebige verstehen.

Zwei Senkungen im Zeilenanfang : admonere non c^sso, me ad t^mpus praedictum, a te äpta pötat; I 21, 3 ita tönens ista; III 4, 6 eins dilue vincla ; IV 23 istum tibi et frdtri, 42 huius v^rsu lib^lli. Die Frage entsteht, ob im Zeilenanfang auch 3 Senkungen gesetzt sind: I 2, 4 a te perquiro sensum; II 3, 4 tuam nutriri sensum; II 8, 3 et peregrinis victnm; 16, 1 utinam illi vfvas.

Drei Senkungen zwischen den beiden Hebungen. Hierbei kommt es an auf die Vertheilung der Senkungen: a) prötegat de- f^ndat, ^rigat ad siimmum; m^ritis ad singula, finiunt versiculi, lagere ne pigeat. b) tibi famuldntes, praesens et futurum, c) quiösci sine ffne, lärga tua gratia, dona illi sensum, lärgus atque

ein Merowinger Bythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 65

prüdens, illic namque credo; dann die bedenkliclien Achtsilber: II 7, 4 coaequa te humilibus; II 15, 6 at tarnen ad haec merita.

Vier Senkungen? II 7, 1 dilige optimätes; 9, 1 viduis et pupillis ; 9, 6 nüdis namque vestitum ; (13, 4 pigeat tenebrarum) ; 15, 1 miiltum a me videris : diese Zeilen sprechen dafür , daß Dhuoda sich sogar erlaubt hat, 4 Senkungen zwischen die beiden Hebungen zu setzen.

Dieser Auffassung, die Verse Dhuoda's seien zweihebige Adonier, variirt durch mehr Senkungen, als das rythmische Vor- bild sie bietet, widersprechen etliche dreihebigen Zeilen: I 1, 1 deus summe lucis; 3, 4 tempus curram aptum; 5, 1 digna dignis semper; 16, 1 lesus nunquam ille; II 2, 1 est vivus sermo dei; 5, 1 in primis dominum deum ; 10, 1 iustus in causas iudex ; (11, 1 ist sömper, 14, 1 ist tüa, 17, 1 ist möa in die nächste Zeile zu nehmen). Das sind etwa 7 sichere Ausnahmen. Entweder hat Dhuoda hier zweisilbige Nomina als Senkungen gebraucht, oder sie hat hier ihre sonstige Regel verletzt. So haben wir gesehen, daß sie einige Male sich Zeilen von 4 Silben erlaubt, einige Mal solche zu 5 u—, einige Male Zeilen baut, wie ad genitorem, resolutionis, und end- lich einige Achtsilber: alles Dinge, welche sie meidet. Hätte Dhuoda dreihebige Zeilen, wie est vivus sermo dei, für regelrecht gehalten, so hätten ihr dieselben sich in solcher Menge geboten, daß schon ihre wirkliche Seltenheit die Unregelmäßigkeit beweist.

Darnach hat Dhuoda das Grerüste des rythmischen Adoniers durch die freien Senkungen der germanischen Rythmik erweitert. Man könnte fragen, ob nicht der germanische Zeilenbau durchaus herrsche, also 2 Hebungen mit vielen Senkungen. Aber dann wäre kein Grrund vorhanden, weshalb die Zeile zu 4 Silben oder die zu 5 Silben mit steigendem Schlüsse, clemens deus oder diri vulneris, so sehr gemieden wurden. Die gewöhnlichen Vierheber könnte man dadurch herstellen, daß deren Schlußbetonung -i- jl = ^ujL (S. 45 u. 46) meistens auf die Mitte übertragen würde : centrüm qui pöli, contines giro, pöntüm et arvä, conclüdis palmo. Aber sehr oft müßte das unterbleiben : conditöri largas, ad te largitörem, digna dignis semper, solüs immutabilis, largä tüa gratiä.

Anderseits hat Dhuoda der Wucherung der Senkungen Schranken gesetzt. Nach den obigen Erörterungen wären zwei- hebige Zeilen mit bis 10 Silben möglich, z. B. genitöribus famu- lantium, genitöribus famulantum, genitöri famulantum etc. Allein Dhuoda gebraucht nur Zeilen zu 5_vj, zu 6 und zu 7 Silben; dazu nur als Ausnahmen ganz wenige zu 4 _ u , 5 u oder zu 8 Silben. Wenn Dhuoda vom Adonier ausging und nur diesen ver-

K?l. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 1. 5

66 Wilhelm Meyer,

zieren wollte, so ist eine solche Beschränknng in der SilbenzaKl verständlich. Hätte sie einfach germanische Hebungsverse nach- ahmen wollen, so wäre, da ihre Zeilen nicht zum Gresang be- stimmt waren, eine solche Beschränkung der Silbenzahl nicht ver- ständlich^).

Aber Dhuoda und germanische Rythmik scheinen unvereinbar. Ihr Greschlecht kennen wir nicht. Sie hat 824 in Aachen gehei- rathet, ist Herzogin von Septimanien gewesen und hat in Uzes nahe der untern Rhone diese Gedichte gemacht. Mit deutschen Verse- machern kann sie kaum etwas zu thun gehabt haben ; allein wahr- scheinlich war sie aus einem fränkischen Geschlecht und kann im Elternhaus oder in ihrem eigenen Hause an Liedern diese herz- erfreuende, lebensfrische und abwechselungsreiche fränkisch-ger- manische Volksrythmik kennen gelernt und in diesen 4 Gedichten sie benützt haben zur Belebung der einförmigen lateinischen ryth- mischen Form, welche nur von disce doctrinam schwanken konnte zu doctrinam disce. Fragt Jemand, weshalb denn Dhuoda nicht die einheimische volksthümliche gallische Rythmik nachgeahmt habe , so soll er zuerst nachweisen , daß damals schon in alt- französischer oder altprovenzalischer Sprache Gedichte angefertigt wurden (s. S. 40).

Ich gebe nun eine Uebcrsicht der Zeilenarten Bhuoda's. Dabei setze ich voran die Ausnahmen; dann führe ich auf die Zeilen mit 2 Senkungen zwischen den beiden Hebungen, dann die Zeilen mit 1 Senkung zwischen beiden Hebungen, dann die Zeilen mit 3 Senkungen und endlich die Zeilen mit 4 Senkungen zwischen den beiden Hebungen. Jede der 4 Klassen gliedere ich in Arten, je nachdem die Form rein vorliegt, oder eine oder 2 Silben der 1. Hebung vorgesetzt sind, oder eine Silbe hinten zu- gesetzt ist.

Ausnahmen

4_u: >_u_u: r^x immense; cl^mens d^us; vgl. S. 59. 5u-.: _w_uu: diri viilneris; vgl. S. 60. _, uu_u: dd genitorem; vgl. S. 62, Note.

1 Wort füllt die Zeile: resolutiönis ; vgl. S. 62, Note.

Dreihebige Verse: t^mjpus cürram äptum; est vivus s^rmo d^i; iüstus in caüsas iudex; inprimis dominum döum: vgl. S. 65.

1) Die ziemlich einfache Rythinik dieser freien Adonier hat der Dhuoda sich vielleicht auch an pathetischen Stellen ihrer Prosa aufgedrängt; vgl S. 232; Et ut ego ad hoc pervaleam tempus, ut c^rnere väleam, inc(?rta consfsto, inc^rta ex m^ritis, inc^rta vigöre, fragiUque laböre per ündas conquässor.

ein Merowinger Kythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 67

Zwei Senkungen zwischen den zwei Hebungen

5 -^u: _uu^u: cönditor poli 111 6_u: vj, _uu_u: obtemperet s^nsu; dign^tur per ciincta;

qui das sine fastu 41

6u_: _uu u, __: grätias r^fero; pax et seciiritas 30

7vj_: u,_uu_u,_: ut valeas vigeas; relaxant discrimina 12

7-^u: vju,_uu_u: diligentius sacram; eins dilue vincla 24

8 u__: uu, _uu— u, _: IV 9 et si täntum et aliud 1

1 Senkung zwischen den beiden Hebungen 5 _u; vj_u_u: conclüdis palmo 27

6_c: u, u^u_u: iuvenilis püer 22

6u_: u— u->u, _: IV 44 eiüsdem sillabam; 124,1; 112,6;

III 2, 1 4

7 u_: u, u u—u, _: I 34, 4 teque semper diligat; II 16, 6 post (= postea) expletis cursibus; II 13, 1 en ut cüras häbeas 3

7 u: uu, u_u u: I 2, 4 a te perquiro sensum: II 3, 4 tuam nutriri sensum ; II 9, 3 et peregrinis victum (s. S. 68) ; 11 16, 1 utinam illi vivas 4

3 Senkungen zwischen den beiden Hebungen

6-^u: -»uu,vj^u: protegat defendat 33

u, uu_u: limo revoluta 9

_u, vjw, _u: tüis sine fine 8

7 ^kj: u, -:_uuu u: transcriberem libeUum; iam süpra exa-

rätas; quiesci sine fine 7

7 u^: uuu— u, -^: I 5, 2 m^ritis ad singula = II 1, 5; II

18, 1; I 30, 4 solus immutäbilis ; I 20, 2 larga tua gratia 5

8 u-^: u, _-.uuu_-w, _: n 7, 4 coaequa te humilibus; II 15, 6

at tarnen ad haec m^rita; (III 6, 4 orantes ita dicite?) 3

4 Senkungen zwischen den beiden Hebungen

7_u: ^uuuu«_u: 117, 1 dilige optimates; (II 13,4 pigeat tenebrärum ?) ; II 9, 1 viduis et pupiUis ; II 9, 6 nüdis namque vestitum (s. S. 68); II 15, 1 mültum a me vidöris 5

8--u: u, _uuwu-_u: in 7, 4 ut örent ita dic^ntes 1

5*

68 Wilhelm Meyer,

(Dhuoda's Strophen) In Dhuoda's Zeiten und nachher wurden solche Kurzzeilen fast immer zu Langzeilen verbunden, wenigstens beim Schreiben. Diese Langzeilen wurden dann zu Gruppen oder Strophen gefügt. So besteht das I. Gedicht (in P ; Bondurand S. 47, Traube S. 141) aus je 2 Langzeilen, ähnlich wie Otfrid's Gedicht:

Jübilet iocündus ciirsu felici, pergat cum virtüte fülgens ad siipera. (supra P: ich schrieb 'supera'; vgl. p. 133 und 235 ad superos as- cendere oder erigere).

Das IL Gedicht (in N und P; Bondurand S. 228, Traube S. 145) besteht aus Strophen zu 7 Kurzzeilen. Diese waren ursprüng- lich wie sapphische Strophen in 3 Langzeilen und 1 Kurzzeüe ab- gesetzt geschrieben; in der 4. Zeile blieb also meistens ^/2 Zeile leer. Um diese halbe Zeile auszunützen, schrieb ein Schreiber oft die letzte Kurzzeile der nächsten Strophe in diesen leeren Raum oben, so daß also die 7. Zeile der Strophe vor der ersten stand. Daher die vielen seltsamen Textumstellungen, welche Bondurand aus P angibt. Ich gebe als Beispiel II 9 nach der Handschrift (Traube hat hier stark geändert):

Viduis et pupillis sübleva fr^quens, et peregrinis victum potümque largire, para hospitia. niidis nämque vestitum pörrige manu. (Vgl. Dhuoda p. 153 : et peregrinis hospitium ut tribuas libenter admoneo, atque etiam viduis . . et pupillis . . manum ad opus sublevare frequens. p. 164: admoneo te, ut victum potümque, etiam et nudis vestimentum indigentibus mini- streris ipse = manu).

no in, Dhuoda's ^) Grabschrift (in N bei Bondurand photo- graphirt und in P ; Bondurand S. 240 , Traube S. 148) , be- steht aus 8 Strophen. Zunächst je 2 Langzeilen, welche mit starker Sinnespause schließen. Dann folgt als ßefrän eiu Anruf an Gott : eine Langzeile, deren erste Kurzzeile, wenn der Angerufene durch Adjektiva bezeichnet wird, als ob 6 zu ergänzen sei, nur 4 Süben zählt, wie 'rex immense' 'deus clemens' (auch in 'agyos magne' ist das griechische Wort wohl zweisilbig zu sprechen).

no IV (in P und die zweite Hälfte in N; Bondurand S. 225) entbehrt leider, wie es scheint, des sonst sicher führenden Akro- stichons. Ich habe auch keine bestimmte Gruppierung der Kurz- zeilen durch Sinnespausen finden können.

1) Sollte nicht, wie Dudo Dudonis deklinirt wurde, etwas neuartig deklinirt worden sein: Dhuoda, Dhuodanae, Dhuodanam, Dhuodana? Vgl. Bondurand p. 251.

ein Merowinger Kythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 69

Während sonst solche Gruppen von Kurzzeilen ziemlich sorg- fältig durch Sinnespausen in Absätze gegliedert wurden, kann ich weder innerhalb der 4 Kurzzeilen von no I u. III, noch inner- halb der 7 Kurzzeilen von no II regelmäßig wiederkehrende Sinnes- pausen erkennen. Ist das Regellosigkeit der Dhuoda oder der Rythmik, welche sie nachgeahmt hat?

Als Beispiel und zur Vervollständigung setze ich das Ge- dicht (no IV) 'De temporibus tuis' hierher, welches Traube weg- gelassen hat. Es steht in P ganz; das Fragment in Nimes (N) beginnt mit V. 28. Leider sind auch in diesem Stück mehrere Verse mir unverständlich geblieben.

IV. De temporibus tuis (Bondurand p. 225)

Quadrans in quatuor 19 non tärdat me meum iam habes annos et angüstiarum

3 lisque perdiictos. aegritüdo corpus

si pröles secundas 22 undique conterit: tot tempus haberet, istum tibi et fratri,

6 in siii personam ut prosit, coUegi.

illi alium Festinans, sciens

transcriberem libellum. me ad tempus praedictum

Et si täntum et aliud 27 pervenire non posse. tantum et medium velut melliiluum

11 dimidii tantum pötum favumqae

in ännis volventem 30 per mixtum in cibum speciem cerner em oris ut degustes,

14 tüam, fortiöra semper adörtor.

tibi in verbis Tempus namque ex quo

prolixis copularem. ad genitorem

Sed quia tömpus 35 tüum perveni resolutionis vel tüus ex nöbis

1 pour quadrantes Bond. ; vgl. p. 230 (II 14) quadrans quaternis computaris in annis, dann (II 18) annis praeteritis octo binis (bis Traube) 7 älium illi? 9 d. Ä. 16 + 16 -f 4 = 36 12 volventem Meyer, volvens ut P 16 copularem Bond., copulare P 20 ang. aegr. Meyer, aegr. ang. P 24 quod coUegi P, quod del. Meyer 26 vgl. p. 231 cum . . ad perfectum perveneris tempus mit V. 28 beginnt das Fragment in Nimes (N); während in P Alles als Prosa ge- schrieben ist, sind in N abgesetzte Zeilen; hier bei: Velut und In cibum 29 fa- visque N 31 ore? 31 utile gustes P 33 N hat abgesetzt bei: Tempus, Vel und Kalendis 33 s. Bondurand p. 52: (24 Juni 824) in Aquisgrani palatio ad . . tuum genitorem . . accessi uxor ; et . . (29. Nov. 826) . . tua ex me . . in sae- culo processit nativitas; p. 86 ex illo (patre) tuus in saeculo processit Status

70 Wilhelm Meyer,

in sa^culo proc^ssit ad p^nsum salutis

38 Status kal^ndis 47 scripta cognosce.

mensärum ciincta * *

feriintur in nöbis. 48 Et quid ibidem Ex primo namque gerätur, l^ge

42 huius versu lib^lli 50 capita versuum,

lisque ad ültimam ut ad ^a, quae sübtus

44 eiüsdem sillabam secuntur, facilius

cuncta* tibi 53 valeas ingredi.

Z. 39/40 verstehe ich nicht. Zu mensärum bemerkt Bondurand: Mabillon lit decembrium. II faut entendre: tertio kalendas mensis decembris. 40 zu in nöbis notirt Bondurand 'pour in isto libellö. N hat abgesetzt bei: Ex, üsque, Cuncta 44 syllabam P 45 cuncta tibi me>? N hat abgesetzt bei: Et und Ut 49 gerantur N 50 versorum P 52 sequuntur P

Item eiusdem. Hos versiculos siipra, cum* cunctis.

infra et sübtus, 6 et ut legas öre,

3 ad m^ntem corpüsque t^neas corde,

tuum ipsa dictavi 8 admonere non c^sso.

4 tuum: tibi? 5 cum ceteris cunctis? vgl. p. 231 finita sunt huius verba libelli, quae ut valui, animo libenti dictavi.

(Lateinische Gedichte des IS. Jahrhunderts mit altdeut- schem Zeilenbau). Die Beichte steht in einer Handschrift des 10. Jahrhunderts, welche wahrscheinlich aus St. Grallen stammt; Ratpert's Lied und Ekkehard's IV Übersetzung sind sicher in St. Grallen entstanden. Mit St. Gallen, der Geburtsstätte der mittel- alterlichen Gesangslyrik, ist also in auffallender Verbindung auch die merkwürdige Neuerung, daß lateinische Verse nach der deutschen Rythmik gebaut wurden.

Die Zeile, in welcher die Beichte und Ekkehard's lateinischer Text gedichtet sind, entzieht sich durchaus den Regeln und der Terminologie der mittellateinischen Rythmik: die Schlußkadenz und die Silbenzahl der Zeile ist freigegeben; exeant peccata und kalumnia super calumnia gelten als gleiche Zeilen. Aber jede Zeile enthält gleich viel Hebungen, d. h. mit dem rythmischen Wortaccent belegte Silben ; die Senkungen, d. h. die wenig betonten Silben, sind ganz freigegeben: sie können ganz fehlen, es kann 1 stehen oder es können 2 stehen (vgl. Seite 49, no 1 17).

Das Ergebnis ist zunächst ein erfreuliches. In den 88 Vier- hebern der Beichte treten 17 verschiedene Gestaltungen auf; mög- lich aber wären noch mehr. In diesen vielgestaltigen Zeilen hatten

ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 71

die altdeutschen Dichter ein prächtiges Mittel, die verschiedensten Grefühle nnd Leidenschaften auch durch die wechselnde Form ihrer Verse auszumalen.

Allein die Hebungslehre mit völliger Freiheit der Senkungen schuf auch Hindernisse. Wollte man eine bestimmte und charak- teristische Melodie mit Worten auskleiden, so mußte man der gleichen Melodie halber auf viele Freiheiten der Senkung ver- zichten und konnte von den vielen Spielarten des Hebungsverses nur wenige auswählen. Daß das möglich war, zeigt das Beispiel Ekkehard's, dem in dieser Beschränkung ziemlich sicher Ratpert vorangegangen war: hier finden sich nur 11 Spielarten des Vier- hebers.

Ein Hindernis für den Gresang war auch die Bildung des Schlusses ; da Wörter wie pater = patria (_^ i.) mit betonter Silbe schlössen, so fehlt dem Gesang der sinkende, trochäische Schluß (j- u) ; das ist unnatürlich. Anderseits gab es nur so viel Haupt- arten von Hebungsversen, als Hebungen in einer Kurzzeile ver- einigt werden konnten: also Zweiheber, Dreiheber, Vierheber. Vereinigungen von mehr als 4 Hebungen kann die menschliche Stimme nicht mit einem Athemzug sprechen, sie wurden also in 2 Halbzeilen von 2 oder 3 oder 4 Hebungen zerlegt. Jene 3 Hauptformen der Hebungsverse konnten dann erst durch die Senkungen in eine Menge von Unterarten zerlegt werden.

Diese abgeschlossene Formenwelt der Hebungsrythmik wurde dann sehr bekämpft durch die aufblühende mittellateinische und altfranzösische Rythmik, besonders durch die herrliche Gesangs- lyrik. Hier wurden die steigende und die sinkende Schlußkadenz genau unterschieden, und die Zahl aller Silben, also auch die der wenig betonten, genau beachtet. Der Keim der mittelalterlichen Gesangslyrik, die Sequenzen dichtung, war ein merkwürdiges Ge- bilde. Sie war, wie ihre Vorläuferin, die byzantinische Hymnen- dichtung, rein musikalischen Ursprungs und wollte zunächst nur in engster Anschmiegung eine Melodie mit Silben auskleiden.

Die stärker betonten Noten der Melodie wurden natürlich durch betonte, stärker accentuirte Wortsilben d. h. durch He- bungen gefüllt, die schwächer betonten Noten durch halbbetonte Silben d. h. durch Senkungen: in dieser Hinsicht entsprachen also die byzantische Accentdichtung und die lateinische Sequenzen- dichtung durchaus der deutschen Hebungstheorie. Anderseits wurde beim Sequenzenbau für jede Note eine Silbe gestellt, also hatten die sich entsprechenden Absätze der Sequenz gleich viel Silben: in dieser Hinsicht entsprach also die Sequenzendichtung der mittel-

72 Wilhelm Meyer,

lateiniscilen und der altfranzösischen Rythmik, welche die Silben abzählte. Wie bei aller Musik, so war es auch beim Sequenzen- gesang eine wichtige Sache, ob der Absatz sinkend oder steigend schloß: hierin stimmte also die mittellateinische und altfranzösische Rythmik durchaus mit der Sequenzendichtung überein, aber gegen die altdeutsche Art, welche immer mit einer betonten Silbe schloß.

Die immer stärkere Herrschaft des kunstreichen Gesanges und die Gleichheit der Silbenzahl, welche die herrschende mittel- lateinische und die einflußreiche altfranzösische Rythmik verlangten, geriethen in Kampf mit der altdeutschen R3rthmik, welche nur die Hebungen zählte, die Senkungen aber völlig freigab und eigent- lich eine sinkende Schlußkadenz nicht kannte.

Die deutsche Rythmik wich. Im Laufe des 12. Jahrhunderts näherte der deutsche Zeilenbau sich dem lateinischen und im 13. Jahrhundert kamen manche deutschen Dichter so weit, daß sie fast stets eine Senkung setzten, aber das Fehlen der Senkung, so- wie eine zweisilbige Senkung vermieden, und daß sie einen paroxy- tonen Zeilenschluß, wie mundus nicht mehr als 2 Hebungen (^-^), sondern als 1^/2 Hebungen (^u) verrechneten.

Dennoch gibt es noch einige lateinische Gedichte des 12., ja sogar des 13. Jahrhunderts, in welchen Freiheiten des altdeutschen Zeilenbaus angewendet sind. Solche lateinischen Gedichte sind natürlich in Deutschland entstanden und müssen durchaus volks- thümlicher Art sein.

Das ist zunächst der Ursprung der Unregelmäßigkeit, welche ich früher (Ges. Abh. I 249 254) behandelt habe. In vielen Ge- dichten, die in Vagantenzeilen geschrieben sind, ist bald der Kurz- zeile zu 7u>_, bald jener zu 6—0 eine Silbe vorgesetzt. Zeilen, wie Süscip^ discipulüm, wechseln mit Zeilen, wie Quem post di^rum circulum; dann Zeilen, wie In te peregrinüm, mit Zeilen, wie Re- mittes Socratinüm.

Allein wichtiger ist die Erkenntnis, daß noch im 12. Jahr- hundert ganze lateinische Gedichte nach deutscher Rythmik ge- baut wurden. Mich erlöste diese Erkenntnis von langer Qual. Für mich waren die Dichtungsformen der Cariniiia Buraiia no 17, 22, 51, 158, 182, 192 und 195 lange ein Räthsel (vgl. Ges. Abh. I 249): jetzt können wir nicht nur die Formen dieser Lieder be- greifen, sondern die Thatsache, daß noch im 12. Jahrhundert viele Freiheiten der deutschen Rythmik in diese lateinischen Verse her- über genommen sind, lehrt uns die echt deutsche Art dieser Lieder würdigen. Ich will deshalb diese Lieder kurz besprechen. Ich hoffe aber, daß wie aus den Zeiten des Anfangs im zehnten Jahr-

ein Merowinger Rythmus ii. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 73

hundert, so auch aus dieser Zeit der Blüthe noch manches Denkmal dieser merkwürdigen altdeutschen Rythmik in lateinischen Versen nachgewiesen werden wird.

Das Kreuzlied von 1146, Burana '^2 S. 24 Tides cum Idolatria' hat nur pedantisch wenig aus der deutschen Rythmik angenommen. Es besteht aus 2 bunt gemischten Zeilen: 1) zu acht Silben mit steigendem Schlüsse: 8 u_ (3,6 ist zuzusetzen: *ad' feces usque sceleris, nach Jes. 51, 17 und Ezech. 23, 24), und aus Zeilen zu 7 Silben mit sinkendem Schlüsse: 7 u (7, 3 qui et fibris non utuntur: 'qui' ist zu tilgen, schon des Hiatus wegen, der sonst in diesem Gredicht nicht vorkommt). Also hier ist nach deutscher Art nur der Schluß -i.A = -a.u:l gesetzt: Novissimüs fit primüs, Et primus fit novissimiis. Die Taktwechsel sind die in den lateinischen Rythmen gewöhnlichen. Es finden sich fol- gende Arten, welche alle auch 4 Hebungen ergeben:

1. u_u_u— u— : pugnavit teste gratiä 52

2. _uu u w— : princeps vÖcatur principiim: 9

3. _u uu u_: vite datür denariüs: 13

4. u— u u : in campo libertatis : 18

5. uu—u : petre collidit tüos 4

Burana no 17 S. 14 'In huius mundi patria' ist ofi'enbar

entstellt. Es hat schon zweisilbige Reime: allein es ist sicher in Vierhebern aufgebaut und zwar in solchen der freien Art mit vielen zweisilbigen Senkungen, wie Et infra cästrä cremantur, ob inmänitatem sceleris. Auch innerhalb der Zeile scheint öfter eine Senkung zu fehlen, nicht nur in der uns schon bekannten Weise, wie sed ista cum vönto , de cörde fermentüm, loricam pro alba, ut apri- frendentes; sondern auch in neuer, bisher noch nicht ge- fundener Weise.

Zunächst eine eigentlich regelmäßige Spielart, indem in der letztgenannten Zeilenart die anfangende Senkung wegbleibt (7, 5 und 7): quidäm* sunt cäni; quidäm* sunt fratres, dazu 2,11 qui eum dedit; vgl. unten (S. 74) Bur. no 182: höspes laudatür. Dann eine ganz neue Art, wo nicht die Senkung vor der 2. Hebung fehlt , sondern jene vor der 3 : et ömniä . vanitäs , pro infula * gäleäm ; cum spiritus cadit, invocä Christum.

Burana no 192 S. 73 'Aüdientes aüdiänt, Diu Schände vert al liber daz lant: Vierheber, auch mit zweisilbigen Senkungen und meistens mit steigendem Schlüsse. Zu notiren ist 1, 5 : quod velit- assümere; bedenklich 1,3: querens viles et tenaces; zu bessern 1, 8 : nu hin, nu hin, nu hin {add. nu hin).

74

Wilhelm Meyer,

Burana no 182 S. 242 'Hospes laudatur'. Erfreulich ist es endlich zu erkennen, daß dieses dem Inhalt nach echt deutsche Kiieiplied nicht trunkene Formen hat, sondern regelmäßige und echt deutsche (trotz 'Deu sal'). Es sind Yierheber. Aber, wohl einer drolligen Melodie zu Liebe, ist nur die Form mit sinkendem Schlüsse gewählt. Allein in Zulassung von zweisilbigen Senkungen (no 3—6) und in Weglassung von Senkungen nicht nur vor der 1., sondern auch vor der 2. und 3. Hebung (no 7 und 8) sind die Freiheiten der deutschen Rythmik wacker ausgenützt. Im 'Graudeamus' 1877 S. 31 sind alle Zeilen von Peiper auf 6 _u ab- corrigirt. Die 31 Vierheber bieten folgende Arten:

1. u u : Bächus ad amörem:

2. yj yj Kj : de vino m^liöri:

3. uu—u Kj : übi potus est venalis (2, 2)

4. _u

O. u u u

6. 7.

8.

u : iocüs est generalis (2, 1)

: hie est locus ännalis (5, 1. 4, 3. 10, 2)

u uu vj : proinde nön omittatür (9, 1)

u -u : et vina* portamus (1, 3. 5, 2. 6, 3. 7, 2. 10, 3)

u : höspes * laudatur (1 ; vgl. 'quidäm * sunt fratres'

in no 17, 7, 5 und 7 und in 2, 11)

10 9 1 1 3 1 5

1 Höspes laudatur, si abiinde datür, ut bene" bibatür

et hoc propere. R. Deü sat sit vobiscüm, ö pechärie! Modo bibite, sortes apponite! (habunde M)

2 Jöcus est generalis, ubi potus ^st venalis, quem v^ndit socialis

(nobis) feminä. Schmeller las Locus und än- derte genialis nobis setzte Schm zu.

3 Pinc^ma tiinc letatür. abiinde pröpinätür

de vino m^liori ätque l^niöri

^t hoc properö. M Mt'. habunde.

4 Bachus ad amörem instigat iüniörem, mente rigidiörem

et hoc propere.

5 Hie est locus annälis festiimque* natälis, ubi liberalis

est ista regulä.

6 Cum örgo salutamüs vinum, tünc cantamüs *Te d^üm* laudämns',

^t hoc propere.

7 Nös qui pröpinamüs et vinä* portdmus, prius nön bibamus,

dönec dicamus:

8 Bdchus ^st sudvis,

fit tarnen söpe gravi» bib^ntibus incaüte de inmöderdte. M liat hac

ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 75

9 Proinde non öbmittätur, 10 Ergo nös ludämüs, sed laüciüs bibatür! sortes proiciamüs,

dignus iam mittatür letanter* bibämüs

et hoc propere. et hoc propere!

pignus?, Schm. dignius.

Diese volksthümlichen Freiheiten der Vierheber wurden auch in andere Zeilen übertragen, welche der lateinischen ryth- mischen Dichtung eigen waren.

Bescheiden treten diese Freiheiten der deutschen Rythmik auf inBuran. nol58 S. 223 'Dira vi amoristeror'. Die 4 ersten Strophen, dann die 7. und vielleicht die 8. Strophe bestehen eigentlich aus je 4 Zeilen zu 8 u. Aber in diesen 20 Zeilen ist

3 Mal eine Senkung vorgesetzt:

conclüsi mentis te sigillö.

4 Mal steht eine zweisilbige Senkung nach der ersten, 1 Mal nach der zweiten Hebung:

igne ferventi suifocätus. et venereo axe vehor. Ebenso sind die 8 Zeilen der 5. und 6. Strophe, deren Vorbild der Siebensüber (7 u _) 'Virginale lilium' ist , nur mit bescheidenen deutschen Freiheiten belebt: 1 Mal ist eine Senkung vorgesetzt; dann ist zweisilbige Senkung gesetzt, 3 Mal nach der ersten und 1 Mal nach der zweiten Hebung:

amöre tüi vehitur.

telo necätur Veneris.

tiium presta subsidiüm.

Auch dem Gedichte Burana no 51 S. 145 Anni novi re- diit novitas liegt offenbar die Zeile 8 _u zu Grunde:

1. u_.u_u_u: breves dies prolongantür (3 Zeilen). Allein diese Grundform ist mit allen Freiheiten der deutschen Rythmik behandelt, so daß sie mitunter fast nicht mehr zu er- kennen ist. Hiat findet sich in den 28 Zeilen nicht. Zunächst ist der Zeilenschluß -i._ (antur) vertauscht mit dem nach deutscher Art gleichwerthigen ^ u jl (eritäs) , aber nur in der ersten Strophe :

2. u o_u_u_: subintrante lanuärio (5 Mal). Dann ist der regelmäßigen Zeile eine Senkung vorgesetzt, vor der regelmäßigen Zeile 2 Mal:

3. u u_w_u : Cupido faces instülavit,

vor unregelmäßigen Zeilen 4 Mal. Die Hauptrolle spielen z w e i- silb ige Senkungen; sie treten auf im ersten Fuß (no 4 und

76 Wilhelm Meyer,

no 5) 6 und 3 Mal ; im zweiten Fuß (no 6) 1 Mal ; im dritten Fuß (no 7. 8. 9) 2. 1. 1 Mal; endlich zugleich im ersten und im dritten Fuß (no 10) 4 Mal: 4. uu_u u : Venus me telo viUneravit

5. u uu_u_u : prestantior omni cr^atürä

6. _u uu u : nisi sanet me flös de spina

7. u u— wu : prüdens (5st multümque förmösä

8. u Kj yjyj u : anni növi rediit novitäs

9. u_u_u_uu : et idem velle. Väle flös florum.

10. uu u_uu : Licet äccr^scat dolor dölori.

Im Verse 4, 4 osculimi si sumat es ab ore scheint 'si' oder *os' zu tilgen, so daß die Zeile = no 4 oder no 7 wird.

Es bleiben 4 Zeilen in deren erster Hälfte mir eine Senkung unterdrückt zu sein scheint:

I5 2 hiemis * cedit asper itäs (vgl. no 8) 1, 6 mens estu* languet vario (vgl. no 2) 1, 7 pröpter pu-ellam quam diligo (vgl. no 8) 3, 6 non iüngar cariöri (vgl. no 1). Da dieses Gedicht so schwierig, aber seiner Formen halber wichtig ist, will ich es hierher setzen:

Anni növi rediit növitäs, hiemis cedit asperitäs; breves dies prölongantür, ^lemönta t^mperantür, 5 siibintrante Jänuariö. mens ^stu languet väriö pröpter puellam quam diligo.

2

Prüdens est multümque formösä, pülchrior liliö vel rösä; gräcili cöartatur statüra, prestantior omni cr^atürä; 5 pläcet plus Francie regina. michi mors est iäm vicfnä, nisi sdnet me flös de spina.

3

V^nus me t^lo vülnerdvit aüreo quöd cor p^netrdvit. Cupido fdces instilldvit, Amor amörem süperdvit

ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythinik in lateinischen Versen. 77

5 iuvencule, pro qua volo möri. non iüngar cäriori, licet accrescat dolor dolori.

4 Illius captus sum amöre, cuius flos ädhuc est in flore. dulcis fit läbor in hoc laböre. ösculüm si sümat [os] ab öre, 5 non tactu sanabor labiörüm, nisi cor ünum fiat duöriim et idem velle. Yäle, flos flörüm! In den beiden letzten Gedichten^) sind also die berüluntesten

1) Burana no 195 S. 253 'Cum animadverterem dicit C a t o' ist ungemein schwierig. Die sogenannte 4. Strophe ist ein selbständiges Gedicht, die vielleicht oft gesungene Formel eines poetischen Tischdankes, welchen man noch heutzutage singen könnte: Conventus iste nobilis summo patri et filio

letetur his conviviis et hospiti largissimo,

et mera mente gaudeat tali dicto nomine,

4 et dignas laudes referat 8 ut longo vivat tempore.

Das sind regelmäßige Achtsilber mit steigendem Schlüsse; denn in Zeile 5 war 'patri et' statt 'patris' (M = Münchner Hand- schrift) zu schreiben und in Z. 7 ist 'tali' = N. N. Der kurze Spruch läuft, wie das bei solchen Toasten gern geschieht, in einem Athem bis zum Ende. Der Reim ist noch nicht rein zweisilbig. Was vorangeht, scheinen 4 Strophen zu sein, welche aus je 8 altdeutschen dreihebigen Kurzzeilen zusammengesetzt sind. Ich wage eine Wiederherstellung:

1 Cum animadverterem dicit Catö. Quis me redärguit de peccato? Laudem et honorem canimüs nöstro hospiti, cui bönus est animus. 3 Laudem atque oder Laudem et honorem (omnes) canimüs.

2 Ergo, fratres, intelligite ^t ad öra pocula porrigite! 6t si aliquis inebrietür ex vobis, declinet seörsum a nöbis. 1 fratres karissimi int. M 3/4 das ßeimwort 'vobis' scheint zum Scherz umgestellt zu sein.

78 Wilhelm Meyer,

Zeilen der mittellateinisclieii Rythmik, 8 _ u und 7 u _ , mit den Freiheiten der altdeutschen Rythmik, besonders durch Zusatz von Senkungen, umgestaltet. Aehnlich haben in neuerer Zeit in die antiken jambischen und trochäischen Zeilen patriotische deutsche Dichter aus der altdeutschen Rjrfchmik zweisilbige Senkungen ein- geführt.

(Deutsch-lateinische Rythmik im Ende des Mittelalters).

"Wie oben (S. 72) gesagt kamen im Laufe des 13. Jahrhunderts einige deutsche Dichter so weit, daß sie auch in der deutschen Kurzzeile fast immer eine Senkung setzten und daß sie parxytonen Zeilenschluß nicht , wie früher , als 2 Hebungen verrechneten,

3

Et si aliquis debibat tunicam,

idem postea delüdat camisiäm.

et si aliquid plus de re sapitis,

denudetur 'a planta pedis usque ad verticem' capitis.

1 Et om. M 2 idem mn. M 3 plus däre sapit is? d. h. plus quam tunicam et camisiäm 4 die letzte Kurzzeile ist scherz- haft verlängert nach der wörtlich entlehnten Vulgatastelle Deut, 28, 35 = Job. 2, 7 = Jes. 1, 6.

4 Tunc eritis comites apöstolörüm, quia *in ömnem t^rram exivit sönus eörum öt in fines orbis t^rre vörba eörum'.

2 'in . . verba eorum' wörtlich entlehnt aus Psalm 18, 5 = Rom. 10, 10. Will man 4 gleiche Langzeilen herstellen, so kann man 'sönus eörum ^t in fines' als dritte Zeile abtheilen; das Reimwort 'eorum' wäre dann ähnlich, wie in der zweiten Strophe, versteckt. Doch zum Scherz paßt auch ein solcher Wechsel der Langzeilen, bei gleicher Zahl aller Kurzzeilen.

Das sicher in Deutschland verfaßte Gedicht Burana no 29 S. 34 'Anno Christi reparationis 1179' ist mir noch un- verständlich. Manche Stücke sind rein rythmisch, wie im Schluß der 1. Strophe zwei Vagantenzeilen; im Anfang der 3. Strophe = dem Schluß der 7. Strophe vier, Siebensüber mit dem Einschub Wichmannus = respirat; im Anfang der 7. Strophe sechs Acht- silber. Aber Anderes scheint deutsche Rythmik; so der Schluß: dnguem strävit, qui disseminävit discolum virus, quod infrigiddvit igniculum fidei quique cecdvit.

ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 79

sondern nur als IV2. Damit war auch hier der natürliche Wechsel von sinkendem und steigendem Zeilenschluß ermöglicht. Ander- seits verschoben sich die Verhältnisse; ein dreihebiger Vers mit paroxytonem Zeilenschluß (_ ^ u _ u oder u u _ u u) konnte nicht mehr als vierhebig gelten, da ja die letzte Silbe nicht mehr den Werth einer Hebung hatte. Vierhebig blieben natürlich zu- nächst die Zeilen mit steigendem Schlüsse: _u u u_ oder u u u_u . Aber etliche der späten deutschen Dichter thaten den fast logischen Schritt: wenn eine Senkung vor der ersten Hebung zugesetzt werden konnte, so konnte sie auch nach der vierten Hebung zugesetzt werden. Sie wechselten also als gleich- werthig die 4 Formen

7u_: _u u^ujL mit ir libes kiiischiköit.

8u_: u _u u_u^ er sprach: wilkömen reines väz.

8_u: u_u_ujLu reien treten unde springen.

9_u: u _u_u_ujLu da sach man tanzen ünde springen. Ich glaube nun nachgewiesen zu haben (Ges. Abh. I 252 bis 255), daß diese Gleichstellung vierhebiger Zeilen, die steigend schließen, mit solchen, die sinkend schließen, auch in späten la- teinischen Versen nachgeahmt worden ist. Also: 7 u Stilo licet rüsticö.

80— Ad laüdes ergo virginis. S —yj Simplex iüstus atque sänctus.

9 _u Ad terram ergo primo pöni. Diese völlige Gleichwerthung des steigenden und des sinkenden Zeilenschlusses ist schon in der deutschen Rythmik auffallend: Der lateinischen Rythmik aber widerspricht sie durchaus. Ich habe bis jetzt auch nur 2 Beispiele nachweisen können: sehr oft findet sie sich in der viel gelesenen Vita rythmica Mariae und etliche Male in lateinischen Dichtungen des Hugo von Trimberg um 1280, welcher jene Vita Mariae gern gelesen hat. Aber auch hier findet sich diese Freiheit nur im Schlüsse der ersten Hälfte der Vagantenzeile, also vor der Caesur der Langzeile. An dieser Stelle aber haben die mittellateinischen Dichter sich am ehesten ähnliche Freiheit genommen (vgl. Ges. Abh. I 177, 285, 336).

(Alliteration in lateinischen Versen des späten Mittelalters in England) Ob Engländer der angelsächsischen oder der mittel- englischen Zeit in lateinischen Rythmen den Zeilenbau ihrer ein- heimischen Dichtungen nachgeahmt haben, weiß ich noch nicht. Dagegen mit der Alliteration hat sich dieser Kreislauf im späten Mittelalter vollzogen. Stabreim und Endreim vereinigt, wie bei Aldhelm und Genossen (Monum. Epist. III 240):

80 Wilhelm Meyer,

Spissa statim spiramina duelli ducunt agmina.

Horum archon atrociter fumum verrens ferociter.

Unde Titanis torrida labuntur luminaria.

Neque guttae graciliter manabant sed minaciter.

Turbo terram teretibus grassabatur grandinibus.

Donec nimbo ac nubibus torve teguntur trucibus.

Statura valde stabilis, statu et forma agilis.

Rite reddens refugium robustum per suffragium. bringen des Guten zu viel. Deshalb theilen sich meistens die Wege. Die Deutschen haben schon zu Otfrid's Zeit der Alliteration auf immer den Abschied gegeben und den Endreim als gesetz- mäßigen Schmuck ihrer Verse angenommen und zu allen Zeiten festgehalten. Anders die Engländer ; sie hielten die Alliteration fest und kümmerten sich zunächst wenig um den Reim. Da aber in der altfranzösischen Dichtung der Endreim ebenso feste und nie fehlende Eigenschaft der Verse geworden war wie in der deutschen, und da im Laufe des 11. Jahrhunderts der Endreim ein nothwendiges Stück auch der mittellateinischen Rythmik geworden war, so konnte auch die mittelenglische Rythmik sich dem Reim nicht entziehen; der Reim wurde also ein wichtiges Stück auch der mittelenglischen Rythmik.

Der Eifer für den Endreim drängte nun in England zuerst die Alliteration weit zurück : allein patriotische Engländer nahmen sich ihrer an und verwendeten sie wieder eifrig in englischen Gre- dichten. Ja, es fanden sich welche , die sogar die Alliteration wiederum in lateinischen Versen anwendeten, oft neben dem End- reim, in quantitirend wie in rythmisch gebauten Versen; vgl. in Wright's Political Poems und Songs I 219 und in Political Songs 160: nie David dormit, Salomon silet, ac obit Obeth, mors sua me flere iam memorata facit. Ludert volentibus lüdens paro liram. de mundi malitia rem demonstro miram. nil, quod nocet referam, rem gestam requiram. Scribo novam satyram, sed sie, ne s^minet iram. Diese um 1300 entstandenen Verse sind mit Reim und Alliteration ebenso überladen wie die Aldhelms.

Die Verschiedenheit der Silbenzahl und die Alliteration, welche in der ältesten Zeit aus der lateinischen Rythmik in die nationale übergegangen waren, waren, wie gezeigt, im Verlauf des Mittel- alters aus der nationalen Rythmik, wo sie in Verbindung mit der Herrschaft der Hebungen eine große Rolle spielten, wieder an einigen Stellen in die mittellateinische Rythmik eingebrochen.

ein Merowinger Kythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. öl

Die mittellateinische Rythmik kam im 16. Jahrhundert außer Gebrauch: allein ihre Töchter bildeten sich immer kunstvoller aus. Die Rythmik des Mittelalters hatte eigentlich keine bestimmten Füße gebildet. Doch, wenn sie einmal in die Lage kam, Füße der antiken Dichtung nachzubilden, so hatte sie von jeher in die Stellen der vom Versaccent getroffenen langen Silben die vom Wortaccent belegten Silben gerückt. Das zeigt am besten die Art, wie der Schluß des Hexameters jl u u _^ u , f raude cavere, rjrthmisch nach- gebildet worden ist: Cessent immensi, capitulum tale, adv^rsis nocivos; Nicht das er from ist, slicht das do krom ist; Bot ye youre hedis, bare in thies stedis.

Als nun im 16. Jahrhundert die antiken Metra genauer studirt wurden und die Lust sich regte, sie genau nachzubilden, war es für die Deutschen und für die Engländer kein großer Schritt, daß sie sich entschlossen, überall mit dem Unterschied ihrer betonten und unbetonten Silben die antiken Füße von langen und kurzen Silben nachzumachen. Das Wesen ihrer Sprachen ermöglicht es ihnen, auch betonte Silben in Senkungen zu stellen und so z. B. drei lange Silben neben einander zu bringen, so daß sie die sonst einförmigen Jamben und Trochäen, Anapäste und Daktylen eben- falls, wie die Alten, durch Spondeen unterbrechen können, was z. B. die romanischen Sprachen nicht können, in denen deshalb, eine genaue Nachahmung der antiken Versfüße nicht möglich ist.

TJebersicht I Merowinger Rythmus über Fortunat: Text S. 32 Inhalt S. 34, Form S. 35—39 (Zeilengruppen S. 36, Zeilenbau S. 37).

II Die alten lateinischen Rythmen und ihr Einfluß auf die alten ger- manischen und romanischen Zeilen S. 39 45 (Reim, AlUteration, schwan- kende Silbenzahl; S. 44 Hebungen).

III Altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen S. 45 81 : Die Beichte 'Audi me deus piissime' S. 47 51. Ratpert's Lobgesang von Ekkehard IV übersetzt S. 51 58. Dhuoda's Verse S. 58—70. Gedichte des 12. Jahrhunderts S. 70 72: Burana no 22, 17 und 192 (S. 73), no 182 (S. 74), no. 158 u. 51 (S. 75), no 195 u. 29 (S. 77 Note). Deutsch-lateinische Rythmik im 13. u. 14. Jahrhundert S. 79. Alliteration in lateinischen Versen später Engländer S. 80.

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft.

Ueber Handschriften der Gedichte Fortunat's.

Von

Wilhelm Meyer ans Speyer, Professor in Göttingen.

Vorgelegt in der Sitzung vom 8. Februar 1908.

Diese Untersuchungen beschäftigen sich mit einigen Hand- schriften der Gedichte des Venantius Fortunatus und mit ihrem Verhältnis zu jenen Handschriften, welche Leo in seiner Ausgabe benützt hat (in den Monumenta Germ. Hist., Auetores antiquissimi tom. IV pars I 1881).

Ich bin ausgegangen von der londoner Handschrift (Ad = Brit. Mus. Additional 24193) und von der pariser Handschrift 14144, die von Leo mit Ä bezeichnet ist. Leo hat A für eine der besten Handschriften des Fortunat erklärt, Ad aber zählt er S. XIV tinter den Handschriften auf, von denen er sagt 'hos cum ipse inspexerim aut ab aliis descriptos atque excerptos habuerim, recen- sioni non adhibendos esse iudicavi'. Als ich fand, daß beide Hand- schriften allein den vorhin (S. 32) veröffentlichten Rythmus enthalten, begann ich an Leo's Urtheil über Ad zu zweifeln und ließ mich auf Untersuchungen' ein, deren Resultat ist, daß beide Handschriften Zwillingsschwestern sind, und daß von künftigen Bearbeitern des Fortunat beide Handschriften in gleichem Maße berücksichtigt werden müssen. Ich habe hierbei über die londoner Handschrift benützt Mittheilungen des Herrn J. A. Herbert, Bibliothekar des Brit. Museums, und des Herrn Dr. Walter Dolch über einzelne Stellen; dann habe ich die photographische Copie benützt von Carmen III 13, 7 30, 4; von V 1 § 4 (S. 102 Z. 14) 5, 4; endlich des Schlusses von XI 26, 2 ab.

Um diese spröden Untersuchungen für künftige Forscher etwas

Wilhelm Meyer, über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 83

nützliclier zu machen, habe ich noch einige anderen Handschriften hinzugenommen.

S, die aus Siegburg stammende, schon von Brower genannte und benützte Handschrift in Brüssel. Van den Gheyn, Catalogue des Manuscrits de la Bibliotbeque Royale de Belgique, II 1902 S. 292, sagt über sie: no 13 52 (5354 5361), parchemin; 90 foL; 27 : 20 cm. X Jh.; f. 1 67 Liber Fortunati = Migne 88 col. 59 362. Ich habe gefunden, daß diese Handschrift wenig interpolirt ist und zu den bessern Textesquellen gehört. Ich konnte die nach Gröttingen gesendete Hft an vielen Stellen ein- sehen. Es fehlt I 2, 10 *dam qui bis 13, 17 simulando' ; dann ist für das Carmen quadratum II 5 der Raum leer gelassen und statt dessen der Brief des Alcuin ^Elegio episcopo' eingeschrieben. Ebenso fehlt in S (f. 28 a) S. 112, 2 dis otii bis S. 115, 16 pro me.

H = Vatican Palatinus 1718, von Leo S. XIII beschrieben: Vatic. Palatin. 1718. membr. fol. s. XI continet carminum libros XI. Leo zählt auch diese Handschrift zu jenen, quos recensioni non adhi- bendos esse iudicavit. Ich habe gefunden, daß diese Handschrift aller- dings schon oft interpolirt ist, daß sie aber der von Leo benützten Handschrift R = Vatican. Regin. 329 nahe steht und oft besser ist als diese. Ich erhielt von Herrn Dr. Jacob Schwalm gütige Nachricht über einzelne Stellen; dann benützte ich die Photo- graphie von III 13, 17—111 29, 2 und von V 1 § 10 (S. 103, 20) bis 5, 20.

0 == Oxford Bodleianns: Summary 20620 = Auct. T. 2. 25 (Meerman. 554), in 4^ 166 fol. s. X/XI: 'probably once in the possession of St. Vincent's monastery at Metz' fol. 1—146 For- tunat's 11 Bücher mit Lücken, die im 17. Jahrh. ausgefüllt worden sind. Diese Handschrift ist von einem klugen Kopfe oft inter- polirt. Ich erhielt von Herrn Bibliothekar F. Madan gütige Nach- richt über viele einzelnen Stellen und benützte die Photographie von m 13, 39—27, 8 und von V 3, 1—5 § 2 (S. 108, 11).

2J = Paris 13048, f. 39^— 58^ Da diese Handschrift weit- aus die wichtigste ist, so habe ich nach einer 1902 von mir ge- machten Vergleichung all das hier nachgetragen, was in Leo's Ausgabe nicht notirt ist. Leo selbst sagt S. VIII: meum in usam accurate contulit et descripsit Rudolfus Peiper. ipse librum non vidi. Des wichtigen Neuen bringe ich natürlich nur wenig.

Dann habe ich Fortunat II 16 de s. Medardo verglichen mit zwei sehr alten Legendarien : mit Ä = Cod. latin. Monacensis

6*

g4 Wilhelm Meyer,

3514 saec. YII und mit K = Karlsruhe 136 aus dem 1. Drittel des 9. Jahrhunderts.

(Die Unterschrift des XI. Buches) Am verstümmelten Schlüsse des 11. Buchs der G-edichte steht in manchen Handschriften eine seltsame Unterschrift in verschiedenen Fassungen (s. Leo S. XV u. 270). Es liegt nahe, daß die Handschriften, welche diese Unterschrift in ähnlicher Fassung enthalten, sich nahe verwandt sind.

Diese Unterschrift lautet in der londoner Handschrift {Ad) fol. 158^ med. : explit | inquantu auctor habuit scriptu; Incüp. prologus. In der pariser Handschrift {A) füllen die Worte : nat aqua, expliö LiB. IN QUANTÜ AUCTOR HABUIT gerade die Zeile, dann folgt über das durch Linien begrenzte Zeilenende hinausstehend, ein gekrümmter Strich, durch dessen Kopf ein Querstrich gezogen ist. Da statt dieses Zeichens in der londoner Schwesterhandschrift scriptum steht, so ist klar, daß das pariser Zeichen dasselbe Wort sein soll. Es soll also ein kursives s mit Abkürzungsstrich sein; schon in den Urkunden des 6. Jahrhunderts findet sich ff für suprascript . .. In der pariser Handschrift folgt in neuer Zeile incpt prolog. de PRiviLEGio (s. oben S. 32). In der eigentlichen Unterschrift hat also die pariser Handschrift nur das Wort lib mehr. Daß dies hier fälschlich zugesetzt ist, beweist die folgende, zweite Fassung dieser Unterschrift, wo, wie in der londoner Handschrift, das Wort liber nicht vorkommt.

Diese andere Fassung der Unterschrift lautete ursprünglich: EXPUCiT m QUA^TTUM HABUIT AUCTOR usQUE FiNEM. So lautct dieselbe in H (Palat. 1718 f. 213»») und in M (Ambros. 74); in i^ (Vatic- Regin. 329 f. 123) ist geändert : actor und fine ; in D (Paris. 9347) ist HABUIT weggelassen. In der Oxforder Handschrift steht nur eine andere, neu fabricirte Unterschrift:

fortu versifici nati thomus explicit istic.

Also stehen die Handschriften A und Ad zusammen gegen HMDR:

EXPLIC. IN QUANTUM AUCTOR HABUIT SCRIPTUM. EXPLIC. IN QUANTUM HABUIT AUCTOR USQUE FINEM.

Leo hat die Unterschrift der londoner {Ad) und der pfiälzer (H) Handschrift nicht gekannt und von der Abkürzung von scriptum in der pariser Handschrift {A) nichts gewußt. Nach diesem un- vollständigen Material hat er (S. XV) geurtheilt : Fortunati Codices praeter E ad unum exemplar redeunt mutilum et corruptum sae- culo ut videtur octavo medio . . i. e. primis Carolingorum tempo- ribus ab interitu servatum. quod qui primus transcripsit cum

über Handschriften der Gedichte Fortunats. 85

novissimum libri Carmen fine carere sentiret compertumque haberet, plura quam sibi praesto essent poetae carmina extare, subscrip- tionem subiecit in AMDR servatam (in BL consulto inmutatam, in GGF sine consilio omissam): explicit in qvantvm habvit avctor vsQYE FiNEM. Bei dieser Auffassung ist 'usque finem' überflüssig und 'auctor' = exemplar, meum exemplar auctoris ist mindestens seltsam. Diesen Sinn hätte der Schreiber einfach geben können durch 'explicit in quantum habui scriptum' oder 'explicit in quan- tum habuit scriptor usque finem oder absque fine'.

Die beiden Handschriften A und Ad sind durchschnittlich besser als die Handschriften HMDR: deshalb hat die Unter- suchung auszugehen von der Fassung der Handschriften A und Ad.

Die Unterschrift explicit in quantvm auctor habuit scriptum steht ganz einzeln; ich kenne keine ähnliche. In quantum statt quantum, ähnlich unserm 'insoweit' statt 'soweit', wird schon der guten Zeit der lateinischen Sprache zugeschrieben, ist aber in der spätem Zeit eine gewöhnliche Ausdrucksweise (vgl. Handü Tur- selKnus 'in' Kap. IV § 53 = vol. III 1836 p. 332). 'Habuit scriptum' ist ein schwieriger Ausdruck. Ich finde keine andere Erklärung als 'scripsit, scripserat, scriptum reliquit'. Diese Unter- schrift ist ja sicher nach 590 und, da sie in der Urhandschrift aller uns erhaltenen verkürzten Fortunathandschriften gestanden hat, vor 750, also in der Zeit der merowingischen Sprachbarbarei verfaßt worden.

Wenn die Unterschrift bedeutet 'Hier endet das , was der Dichter geschrieben hat, oder, was er schriftlich hinterlassen hat' eine Erklärung, welche der Leo's fast entgegengesetzt ist , so fragt sich, was diese Constatirung hier besagen will.

Es müssen in der Geschichte der Fortunathandschriften be- sonders 2 wichtige Handschriften angesetzt werden: 1) jene Handschrift, in welche bald nach dem Tode des Dichters in Poitiers sämtliche Gredichte in 11 Büchern zusammengeschrieben wurden. Diese ursprüngliche und vollständige Sammlung der Gedichte ent- hielt also auch alle diejenigen, welche jetzt in den Hften der 11 Bücher fehlen, aber in der Handschrift Z" stehen. 2. Jene Hft, in welche zuerst die gekürzte Sammlung geschrieben worden ist, wo also von der ursprüngKchen vollständigen Sammlung viele Stücke weggelassen wurden, darunter auch all die Stücke, welche jetzt die Handschrift E allein bietet. Diese Verstümmelung kann in Poitiers geschehen sein, aber ebenso leicht auch an eiaem an-

86 Wilhelm Meyer,

dem Ort. Auf diese erste Handschrift der gekürzten Sammlung gehen alle erhaltenen Handschriften der 11 Bücher zurück.

In dieser ersten Abschrift der gekürzten Sammlung stand gewiß schon die Unterschrift, vielleicht auch der Rythmus. Der- jenige nun, welcher die ursprüngliche und vollständige Sammlung gekürzt, d. h. die sämtlichen jetzt nur in 2J erhaltenen und gewiß noch andere uns jetzt verlorenen Stücke mit voller Absicht weg- gelassen hat, derselbe Mann hat nicht am Ende eine Unterschrift zusetzen können 'Das ist Alles, was der Dichter hinterlassen hat*.

Es bleibt also wahrscheinlich, daß diese Unterschrift aus der ursprünglichen und vollständigen Sammlung in die gekürzte mit herüber geschrieben worden ist. Aber können denn diese Worte am Ende der ursprünglichen und vollständigen Sammlung der Ge- dichte Fortunat's einen vernünftigen Sinn gehabt haben? Ich glaube, dies durchaus bejahen zu dürfen. Aber, wie der Wortlaut dieser Subscriptio singulär steht, so ist auch ihre Ursache eine singulare.

In der Abhandlung 'Der Gelegenheitsdichter Venantius For- tunatus' (1901, von unsern Abhandlungen Neue Folge Band IV no 5) habe ich S. 27 und besonders S. 69 nachgewiesen, daß das

10. und 11. Buch der Gedichte erst nach dem Tode des Fortunat aus seinen Papieren zusammengestellt worden ist. Dabei hat man die intimsten Erinnerungen seines Lebens, die zärtlichen Billets an Radegunde und an Agnes, der Oeffentlichkeit übergeben. Man hat aber auch sonst ja Nichts umkommen lassen wollen; so hat man eine prosaische Expositio orationis dominicae (unvollständig!) und eine prosaische Expositio symboli aufgenommen; ja, man hat die vorgefundenen verschiedenen Entwürfe ein und desselben Ge- dichtes (in no X 6 ad ecclesiam Toronicam) zusammengepappt. Als diese Leute mit dem Zusammensuchen und Zusammenschreiben fertig waren, konnten sie ihrer Arbeit, d. h. dem jetzigen 10. und

11. Buch der Sammlung mit Recht die Unterschrift geben: 'Das ist Alles, was Fortunat schriftlich hinterlassen hat'.

Darnach stand diese Unterschrift schon unter der ersten, in Poitiers hergestellten vollständigen Handschrift der Gedichte des Fortunat. Dann wurde diese Sammlung in der seltsamen Weise gekürzt, welche wir mit Hilfe der Handschrift 2J nachweisen können. In der ersten castrirten Handschrift war die Unterschrift beibehalten. In den Abschriften, welche aus jener ersten Hand- schrift der gekürzten Sammlung stammen, hatte die Unterschrift verschiedenes Schicksal: in die londoner und in die pariser Hand- schrift ist sie ziemlich getreu übe . .i^egangen ; in einer andern Ab-

über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 87

Schrift, aus welcher die Handschriften HMDR stammen, waren die Worte 'auctor habuit scriptum' verändert zu 'habuit auctor usque finem' ; in den meisten Abschriften wurde die fast unver- ständlich gewordene Unterschrift ganz weggelassen.

Die Geschichte des Rythmus (oben S. 32) ist nicht sicher. Er ist wahrscheinlich schon in der ersten vollständigen Handschrift hinter der Unterschrift eingeschrieben worden, hat sich dann mit der Unter- schrift in die erste Handschrift der gekürzten Sammlung und von deren Nachkommen in die londoner und pariser Abschrift gerettet, während er in allen andern weggelassen worden ist. Er könnte freilich auch erst in den Ableger der gekürzten Sammlung einge- setzt worden sein, aus welchem die londoner und die pariser Handschriften zunächst stammen; allein wahrscheinlich ist das nicht, da dieser Ableger ebenfalls noch in Poitiers gelegen haben müßte. Wahrscheinlicher ist es, daß dieser Hymnus bald nach der Unterschrift in das erste vollständige Exemplar der Gedichte des Fortunat in Poitiers eingeschrieben worden ist, d. h. wahr- scheinlich ist dies Lobgedicht auf Poitiers und auf Fortunat kurz nach seinem Tode gedichtet worden.

Für die Genealogie der Fortunathandschriften lernen wir also : die londoner und pariser Handschrift (Äd und Ä) sind ganz nahe verwandt und gehen auf eine Stammhandschrift zurück, deren Text gut war ; anderseits gehen die Hften HMDR auf eine Stammhand- schrift zurück, deren Text schon umgearbeitet war.

Probestellen aus den 11 Büchern.

In der Subscriptio am Ende des 11. Buches ist die londoner Handschrift (Äd) der pariser (Ä) am engsten verwandt und ist etwas besser ; allein bei der seltsamen Ueber lieferung des Fortunat beweist eine Stelle nicht viel. Leo führt in der Einleitung (S. XVIII und XIX) eine Anzahl Stellen auf, mit denen er seine Lehre über das Verhältnis der von ihm benützten Handschriften belegt. Diese habe ich ausgelesen und aus den Handschriften Äd, H und 0 (s. S. 83) mir die Vergleichung dieser Stellen erbeten; dazu habe ich die Lesarten von S gefügt.

Nur die beiden Handschriften Ä und Äd geht Folgendes an. Zum Schluß des 8. Buches notirt Leo über Ä: explicit L. VIII, deinde hymnus Prudentii cathemer. 12, 49 156, deinde incipit L. IX. Ueber die londoner Handschrift Äd erhielt ich von Herrn Biblio- thekar Herbert folgende freundliche Nachricht: fol. 116^ . . unde feratis opes . uer. xni explicit liber octavvs. | Jam flos subit daui-

88 Wilhelm Meyer,

ticus (Prudent. i\ 49), Ende f. 118 iam nemo posthac mortuus (Prudent. v. 208.). explicit. incipit liber nonus. Ad chilpericum regem qnando synotus brinna cohabita est. Ordo sacerdotum ue- nerandeqne culmine christi. Ein Fehler beider Handschriften ist es ja, daß die Verse des Prudentius hier eingeschoben sind; allein Ad mit dem vollständigen Schlüsse ist doch besser als A, in welchem die letzten 52 Verse fehlen.

II 16, 43 incepit SH(CMDGLR): incipit Ad{FB<')'. incipit hinc A, Also hatte wirklich die Stammhandschrift von A und Ad den groben metrischen Fehler 'incipit'. Er ist in Ad treu abgeschrieben, in A durch Interpolation verdeckt. Da die Handschriften A und Ad mit den Hften F und jß" sonst nichts zu thun haben, so scheint das falsche 'incipit' Lesart der verkürzten Sammlung gewesen zu sein. Ist nun das richtige 'incepit' in SHCMDGLR alte TJeber- lieferung oder richtige Correctur?

III 2 § 3 (Z. 19) notirt Leo: placidus es C: placidus est BL, placidus DGRM^, placidu A, placid* M^; Ad hat ebenfalls nur placidu, S und H nur placidus.

III 4 § 7 (Z. 8) animi Ad{AC): amici S^H (reliqui Leo's, nostre amicicie S^).

III 4 § 12 (Z. 1) conlegistis: collegistis AC, collegatis MDBLG^, coUigatis B, conligatis G^. Ad hat coUigistis, H und S^ colle- gatis, S^ coUigatis.

III 6,47 clericus AdO{AC): clerus SH (relL). Also gibt Ad alte Ueberlieferung, 0 richtige Interpolation.

IV 1, 9 memorabile donum: ^A ante oculos habuisse videtur memorale (atque in P legitur memoliale); scripsit autem A niemo- raleque' : so sagt Leo S. XIX und er hat Recht ; denn Ad ist hier nicht interpolirt und bietet: memorale. Seltsamer Weise haben auch IX 12, 1 die Hften (ACPM^) memorale statt memorabile.

IV 25, 21 aeterna (CT): AdSH mit AMDGBLRF 'terrena'.

IV 26, 54 ecce (CP): esse AdSH {rell.)

V 1 § 7 (Z. 25) notirt Leo: post stoicam vulg.: post sthoi- cam C, potesthoicam A3IRD^, potest hoc iam D^BL. Ad und S bieten potest hoicam, H post (te über o) hoc iam.

VI § 10 (Z. 15) uestris litteris fiduciae pignus accepi Ad{AC)', 'litteris' fehlt in den übrigen Handschriften, auch in SH. Doch haben S{MB) wenigstens 'uestris' bewahrt; in H{BLR) ist 'uestrae' interpolirt.

V 6 § 1 (Z. 3) indulti (AdAC): indulgenti H{MDGBLR\ in- dulgentis 0; in /S fehlt S. 112, 2-115, 16.

V6 § 8 (Z.3) difficulter Ad{AC): difficultate HO(MDGBLR).

über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 89

V 6 § 8 (Z. 4) quo prodirem Äd(ÄC): quo proditorem H(MDGB\ quo proditore {LR); quod proditor e (nova) 0; S fehlt.

V 6 § 11 (Z. 20) uiscatura tendebar: uescatur tendebar C; die übrigen Varianten s. bei Leo; Ad und H haben uescata ten- debar = BM] uiscata tendebar ABL; 0 hat uersando tendebam.

V 6 § 16 (Z. 12) singuliue Ad{AC): singuli uel HiMDGBLR). In VI 1 haben statt der Namen Sigibercthns und Brunichildis

die Handschriften C und P gesetzt Chlothacharius und Bilichildis ; AdSHO gehen mit allen andern.

VI 1, 138 seruans (CP): seruiant Ad(A), seruat SH{MI)GR), sernet 0(BL).

VI 1*, 4 ingenium Brower: iterum AdSH (rell.), itnrum 0, hinc iterum (A).

VI 10, 67 sede Sapaudo: sedes apaudo (AC), sedes apaulo Ad, sedes aplaudo SH(MG^R), sedis aplaudo (Ven), sed esse plaudo (BL), s esse plaudo (D^) sede plaudo (D^).

VII 17, 3 pectore claudo : pectore laudo (C), pectore AdS(A3PV), pectore gesto HO{BGBLRF).

VIII 1, 17 nomine Ad{E,AGM): lumine SHO(DGBLR). Vin 1, 64 glorificanda Ad(AC): glorificante 2J , glorificata

SHO {rell).

VIII 3, 345 fructu meruit nee Ad{AG): meruit nee (fructu om.) S^H{3IBLRF), meruit modo haec nee S\D), meruit iam nee modo {G), meruit demum nee 0. (V. 347 lautet in 0: Omnis non validi est spes prorsns rapta doloris).

VIII 7, 4 aperta suis Ad{AC): perfecta suis {D) , *perfecta suis (üf), aperfecta suis S^, aper***ta suis /S^, perfecta (suis om.) E{GBLRF), perfectis 0 {Par. vulg.).

IX 2, 19 iustissima denique proles und y = Paris, lat. 4887 und Bern. 455): iustima denique proles ((7), iustissima {om. denique) proles {d und rell.) SH und {mit prolis) Ad, hi iustissima proles {R); Sicque dehinc iafeth iusti iustissima proles 0.

X7, 44 amor {C), amor* {A): om. AdS{P), opis H{MGBLRF), opus 0.

X 15, 7 solo: loco (C), iUo Ad{A), caelo SHO {rell.).

X 15, 8 ecce tuus: hoc tuus Ad(CM), hocque tuus {A), hicce tuus {Ven.), hoc tuus est HO{DGBLRF), hac tuus est S.

XI 8, 3 profecit S{DGL): proficit AdH{CPMBR), proficiat {A). XI 25, 13 quo AdHO {rell): quod S\MDBL) aquilo Ad

{EA^E = Laur. 45,26): aliquo SHO {rell).

XI 25, 20 horrificis AdO{UAE): horrendis S{MDGBL), horri- feris {R), horrisonis {F), horrus //.

90 Wilhelm Meyer,

Vollständige Vergleichung der Handschriften AdSHO zu den Gedichten III no 13— no 30 und V no 1 § 5— no 5. Die zu

einzelnen Stellen gegebenen Lesarten beweisen vollständig, daß die londoner Handschrift {Ad) der pariser 14144 {A) gleichsteht und bei der kritischen Bearbeitung der 11 Bücher des Fortunat in Zukunft berücksichtigt werden muß. Auch die andern Hand- schriften S' H und 0 sind hierbei gelegentlich beleuchtet worden. Doch solche Blendlichter geben nicht immer ein richtiges Bild; man muß auch die Handschriften in ihrer Häuslichkeit beobachten, wenn man sie allseitig richtig beurtheilen will. Deshalb habe ich zu etlichen Gedichten alle Lesarten der 4 von mir neu benützten Handschriften gegeben. Diesen habe ich stets die Lesarten bei- gesellt, welche zu der betreflPenden Stelle etwa Leo notirt hat; die übrigen kritischen Noten Leo's habe ich hier nicht angeführt. Um den Fortunatforschern schon jetzt etwas zu nützen, habe ich die 2 großen Lücken der Handschrift A ausgewählt: III 13, 39 26, 18 und V 1, 11—5 § 1 extr. (s. Leo S. V). Hierbei ergeben sich auch kleine Stellen (III 13, 5—39; in 26, 18-30, 4; V 1 § 5 § 11 , endlich V 5 § 2) , an welchen man auch die Hand- schriften A und Ad noch vergleichen kann. Diese 2 großen Partien sollen hauptsächlich die genauere Prüfung der 4 Handschriften ermöglichen.

in 13 S fol. 16\ 2. Spalte mettinsem SiADGBO') 1 ceruleo S 1 mosella (AJDG^BL): museUa S{CMRFG^) 5 in Ad {London BriL Mus. Addit. 24193) beginnt fol. 39^ 5 Hinc S{etc.): hie Ad 6 Inpauperiore S 7 mosellam Ad{ADG^BL): musellam S{CMRFG^) 9 frondata Ad allein 9 loco Ad{etc?j: locus S{MDG^f locos R) 11 deliciosus Ad(etc.): diliciosus S{C, dilitiosus B) 12 culpa S^ 12 ui discernis Ad^ (des Ad^) 12 at AdS\MDBLFG^): ad S\C, et AG^Ven, atque R) 13 ue- stitus Ad 15 amnes Ad(AC3P, omnes 6r*): vielleicht echte Lesart trotz der harten Construction. Um Metz strömt die Mosel 'seu qui Mettis adit de sale nomen habens' (VII 4, 16). 16 ponti- fices Ad 17 aetheriis S{APMDGLB'): aethereis Ad{CB'RF)

18 mit Stratus beginnt H (Palatinus 1718) pag. 37 18 leuat Ad{ACPG'): lauat SH(MDBLRF'G') 20 dulcis S' 28 blande S^ 29 opes H{R, om. F) 31 sacias S 31 quQrulum AdH 31 obliuiscetur Ad{F) 32 atriis, p über a, Ad 32 exsul S 34 tristitia Ad{P^3P) 35 illic, n über ic, Ad; iUic H 36 nihü Ä^ 36 inobs S{C) 37 melius: incelis H 37 quam: tua Ad HS (alle Leo's) (38 diffundis Ad: defundis A) 38 paradisus SH{AL): paradysus Ad(CPGBR, paradyssus M) 39 mit Culmina beginnt

über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 91

in 0 (Oxford, Bodlejana Auct. T, 2. 25) foL 37'' ; nach Culmina fehlen

in A zwei Blätter 39 uillice OH 42 aptatum (C) : optatnm

AdHO {Leo: rell), obtatum S extensos HO{etc.): extensus AdS-

(MBL) u. XLim AdS(MD): om. HO{etc.).

III 13a XIV (DG): keine Nummer AdSHO (rell. Leo) item

AdHO{etc.): om. S{DBLF) de coNvmo 0(F) 1 prosunt 0(BG''):

presunt Ad, praesunt SH{GPMBG^RF, christns L) 2 sacias S',

menbra 0 3 conuiuos S^ 4 cleare , co über c. Ad tj. im

AdSiGMB): om. HO(etc.).

III 13 b XY (G): keine Nummer AdSHO (rell. Leo) ad evndem

BL: EniSDEM AdH(CMDR), ad eiusdem S, eivsdem ad evndem (G);

dann ohne Item: ad epsvm episcopv de eadem re 0, peticio eivsdem

PANis IN MENSA F 1 ouis HO(etc.) i oues AdS\MBF) 2 panes

Ad u. II AdS(CMD): om. HO(etc.).

III 13 c XVI {G): keine Nummer in AdSHO (rell. Leo) in mens a:

NM H ETvs DicTVM om. 0{F, DicTVM om, L) 3 apelas Ad^, aepvlas

Ad^ u. mi AdSiMDG^): om. HO(etc.).

UI 13d XVII ((r); keine Nummer AdSHO (rell. Leo) Titel

in 0: DE copiA piscivjh svper mensam 2 Petri SHO(BDLG^F^):

et petri Ad(CMRF'Ven, *petri G') u. n AdBS(CMDG'): om.

HO(etc.).

III 14 xim AdS (etc. , xv D , xvm G^) : viii H, om. 0

GARENTINO S COLONIAE Om. H(B) AD CARENTINV EPISCOPV COLONIE

0(L und ohne coloniae F) 3 prefert Ad 5 creatus Ad, Cre- ator H 6 ignotus Ad(M^) 7 aiFectu AdSHO 7 astringis 0 8 nunquam 0 8 desociare H(C) 11 conplens AdH(CPM): com- plens S 13 sectator SHO. rell.: &^Qi^,t\xT Ad(FM'C\ sectetur C^)

15 mitis S\GVen): mihi AdH (rell. Leo)] placidusque mihi 0(L)

16 rapies Ad 18 letificas H 18 tristitia Ad(P^) 18 corde, e ^w a corr., Ad 18 tuo, o ex a corr., 0 19 cibus esse det esu. Ad] des, darüber et, S] es dasque esurientibus escam 0 19 Qsca H 21 innouas H 21 praecioso Ad, pcioso SO, petioso H 23 muneri S 23 capatia Ad 27 longeuo AdSHO 28 uer. xxyiii AdS{BM.\ xxiii M^): om. HO(etc.).

III 15 XV AdSH(etc. : xvi B, xvm G^) : om. 0 egidio S remrum H AD iGiDiVM remorvm episcopvm 0 (und so, doch ohne remorvm, LF) egidi S^ (P^M^) 4 Licudibus H, also war seine Vorlage in der Schrift von Corbie geschrieben, in der a tvie ic aussieht 5 exsi- stere S(MB) 6 quidquid (PMR): quiequid AdSHO(CGBL) 10 properis 0 10 urbe Ad 11 effulges SO(CBGLM^) : effulgis AdH(PM^BRF) 15 fundes, e aus i corr., Ad 17 haberis : alumn^ H 18 adest 0 20 satias HO: sacias AdS 20 greges, es aws

92 Wilhelm Meyer,

is corr., S{gregis F^C) 21 inplentnr H{CPMR): impl. ÄdSO 22 Delicias, el aus il, S (Dilicias B) 25 Heresis AdSH] Ira cadit heresis 0 25 fosti te H, in welcher Hft die alten Ligaturen für st und vi sehr oft nur mit st wiedergegeben sind; auch Ad ver- bindet hier fortite 26 atquiris H[C) 27 agros, os aus is, S; agros spinis 0 27 solente H 28 reges Ad 29 exsul S 30 recepit, ce ^u ci corr., Ad (recepit P) 30 tereuouente Ad, tere foTiente H (32 remouens neue Hand in 0) 32 amore dapes H 36 ritergis, e über rg, 1?; geris 0{P) 37 super om. H 38 uer. xxxvin ^c?«S: om. HO{etc. bei Leo: 'subscr. v. xxvm CDGM^, xxiir il/^' ist wohl xxvin Druckfehler für xxxvm.

III 16 XVI AdH{etc.): xv S (xvn D, xx G^): om. 0 nilarivm H; AD SANCTVM HYLARivM 0 2 absente Ad 4 nunquam 0 6 sintibi, noch ein t über n, ^fZ 6 cara S^O{G^F*): care AdH- {CMDBLRF^G') 6 praecor J.(^ üer. vi AdS(MDG): om. HO{etc.). III 17 XVII AdSH{etc. : xviii D^ , xxi G^) : om. 0 de berte-

CHRAMNO EPISCOPO S{eiC.) : DE BERTECRHÄNU EPM Ad, DE BEATE CHARÄNÜ EPM H; AD BERTIGRÄNV EPM 0, AD BEREHTRAMNVM (G , BERTRAMXVM L, BERTHERAMNVM F) EPISCOPVM GLF CVM ELEVARETVR S{CGB):

ELEUARBT AdII{M, ELAVARET R), CVM EVM LEVARET D CVRRV S{GB)

CVM &?5 curru om. LF, qvod ev levasset in cvrrv 0 1 galia ^rZ 1 reddam (M^R) : redam AdSHO (rell. Leo) 3 duplicib : ingo Ad 5 Iloc, v über o, Ad 6 menbra 0 7 bertechramni, i aus e, S; bastechramni H; bertegräni 0 8 conpraehente, den über nt, Ad 9 inplmnes H, implumes 0, inplumis AdS(MG, implumis C) 9 f^tus 0 10 pinnula S(CMI)): pennula AdHO(GBLF, penna ila R) 10 teget Ad 11 opima H 12 in (G^Ven): hin ((7), hinc AdSH{MDBLRFG'G^)'. hie 0 14 Inde H uer. xmi AdS{CMD)'. om. HO{etc.).

III 18 xvui AdSH{etc.: xiii M, xvn ^, xix D, xxn G^*): ow;. 0(RF) Item om. 0.; ad evnde epm de opvscvlis svis 0 1 sns- cepimi*s sisepi gramm. Ad 1 cartis 0{CGBL) 2 coturnato AdSHO{alle Leo's) 2 sopho AdSHO{alle Leo's) 5 plena 5

(pl*na D^) 6 ociana sponte ^ci 7 Nam ^dS tarn ^d'' 8 tro- iano II{D) ; traino, a über in, ^c? 9 Qd, mit Strich durch d (quod), 0 9 recitassis S{MFD, recitasse R) 9 in om. 0 11 compita AdHO{etc.): cöpeta S{BDLG^) 15 in wier cZ^r ZeiZe Ä^ 15 sillaba 0(C) 16 clada H, clauda 0 (doda D^jR) 17 uenerandae Ad^ 17 praece Ad 17 Noto i? 18 meo Ad 20 u. xx AdS{CDMG) : om. ITO.

III 19 xvim AdSHietc, xx D, xxin G^): om. 0(F) aobi-

über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 93

coLAM 0{CBLF): agrecolam AdS{MD, egrecvlam G): agregola H

(grecola B) episcopv cavillonense 0 5 dulcis Ad 6 i^e H fouet Äd{C) 7 partu Ad 7 bones S^ 7 höre H 9 s^nit S

10 effundit H{BL) u. x AdS(CMDG): om. HO(etc.).

in 20 XX AdSH(etc.: xv L, xxiiD): om. 0{F) bitvrigvm (BL):

BITURICÜ S, BITURIIJÜ Ad(CMD) , BITURIUM H{GR) , bitvricensiv 0,

tvrrem SH(CMD): turre Ad{GB) script. in tu. eins om. 0{L) 2 auarea dona offerant H 3 crysolitis AdH{CB) , chrisolitis 5, crisolitis 0{L) 3 salomonia AdHO^GBL)'. salamonia S{CMBRF)

5 sunt Ad 7 et : vt JB" 7 tu ist nach corda getilgt und vor corda iihergescliriehen Ad 7 coeques AdO^ coques H 8 siraptae S(etc.): syrapte AdH{M, seraptae BL)\ Par vidu^ merito qu^ 0; in 0 steht oft ivncta, ivngor, volat etc. u. vm S(GMDG): uer. viiii Ad, om. HO.

III 31 XXI AdS(etc.: xxii D, xxv G^): om. HO atque: et 0 APOSThOLicis AdH{GD, apostholecis M) domno Ad0{CDF), dom H:

DOMTN'O S(MG) PECULIATER Ad y PECVLIARI 0 dulci Om. 0 FAT

RIA viTO H PAPE AdH HUM H domino bis patri ausradirt in B\ kurze Titel: ad avitvm episcopvm L, ad a. e. arvernensem B 1 urbis Ad: orbis ^ifO (a?Ze coc?c?. Leo^s) 3 saluntur If 4 quis- que H(BLRFJyPG^): quaeque AdSO(CPM^DG^) 5 inmeritis 0^

6 Nemine nänpascens Ad 6 immemores sis Ad ; essis 5 7 gregis Ad{M'^) 8 bic 0 8 quoque cura 0{BLGF^): cura quoque Ad- SH(CPMDBF^) 8 tibi 0{G): tui AdSH (alle Leo's außer G)

11 agnes aut AdSH{CMDB): agnes simul aut 0 (aut agnes aut GVeti, laudem agnes aut BL^ agnes valet aut in ras, F) rade- gundis S{GLF): radegundes AdHO(CMDBB) 11 multiplici 0{GBLF); multipHcis SH{CMR), multiplices Ad{D) 13 feras 0 15 praecor AdSH uer. xvi AdS{OMDG, x i?); om. HO{etc.).

III 33 xxn AdSH(etc.: xxiii D, xxvi ö^^); om. 0 ad evndem (GBL): ITEM eiusdem AdSH{CMDB); item ad a.vitvm episcopvm i^, ad ipsv avitv arvernense episcopv 0 1 uenerand^ H 4 camona 5 5 inueniam, ut über in, H 6 trutinato SHO{etc.j strutinato D) : trociNato Ad (trotinato CPM}) 7 solua, a -s^w o corr.^ H uer. vm AdS{MDG): om. HO{etc.).

III 33* xxm H (xxvn G^)\ om. AdSO{etc.) item ad eundem epi- scopv 0 1 bonores 0 2 summa H 6 promptus AdS{etc.: prnmptus M): proptus H, promtus 0{RC^, prumtus P) 6 postio H 7 patri euigoraltere gentum H 8 quQ H 9 iugere sonaret ^/^iT, (iuge res. LR) 13 amore 0{R^F^) 14 agnas ^(^^ ujr. XVI SH{DGR): om. Ad0(etc.). III 38 xxm S(etc.: xxiv D): xxii Ad, om. HO uereduno Ad(etc.):

94 Wilhelm Meyer,

YEREDVNV H, VEREDVNV S EPISCOPO VEREDVNENENSE F, VIRDVNENSI EPO

0 (ad agericvm episcopvm Z , AD A. E. VEREDENSEM G) 1 uGredona AdS(DGBLF)'. ueriduna HO{CFMR) 1 clauderis H 1 urbe Ad, erbe H 3 giro 0 4 iusit Ä^ aiisit S"^ 6 festilitate H 6 metes H{BLRF): metis AdSO{CPMDG) 8 contupHcabit IT 9 archani 0(GBL) 9 referas ZT 9 penetrabat S 10 pacis ^(^^(C'Jf'ö^^) 10 pascis at ore 0 gregis Ad{B^) 11 prae- tiosius J.C?, preciosius SO 13 egregius S{M^DG) 13 babtis- matis 0 16 fugiet 0 16 arte /SO(eJ^c.) : arta Ad{BLR^ : alma F), asta iJ 17 auidQ 0 20 soHs ^(i 20 potTi*s H ^sca HO V. xxn (CD): ü. xi AdS{MGB; H hat ver Zin/rs ?;or item und xx recÄ^s am Band als Nummer von 23 a): om. 0{etc,). III 23* XXIV {GL): om. AdSHO{etc.) agerico AdS\etc.): agyeico

H(MB), AGIRICO S\D), ACERICO (C^) EPM H VEREDUNUM S ITEM

DE AGERICO EODEM B; ITE AD AQERICV VIRDVNENSE EPM 0, I. AD AG. EPI- SCOPVM (Z), I. AD EVNDEM (6r) 1 currum AdHO{etc.): cursum S{DBL) 3 uendicat 0 5 cbomsas 0 7 colent§ H 8 segites HS^- (CPMR) 8 festüitateiT 9 sterüis 0{etc.): sterelis AdSH{CPM) 9 freunde 0 10 iturae Ad 11 iUecebris 0 11 larciua Ad 12 bil jET 12 amor: amator H 14 menbra 0 17 seua sere- condi Ad, seua fere condi H 19 s (sww^) ^iZ>er (?er Zeile Ad^ 20 sie Qris Ad 21 doctilocum ^d\ doctelocum Ad^ ; Doctilum JT; Doct*loquum 0, e<;o o ^w e corrigirt zu sein scheint (doctiloquum BL) 21 fonde 0^ 22 et: Tt JE? sterüis jy(jP^) 23 misteria SO(CGB) 24 plebs : plus AdSHO {alle Leo's) 25 triumphans Ad 26 monitis AdSHO{etc.): monitus (CJf^) 26 praemat AdS 27 diliciis 6' (diUtiis B) 28 saciat ^(?fi', sciat H populus H 29 opem, 0 zu & corr.^ Ad 30 quidquid {PM^R): quicquid AdSHO- {etc.) 32 uota H uer. xxxn AdSH{CMJDR): om. 0{etc.). III 34 xxim AdS{etc.: xxv DZ): om. jffO ad uiro uenerabile Ad, ad venerabilem vmv 0 (uir. uen. om. LF) anfionem H{CG): ANEIGNE AdS{MDR) : amfione 0{BLF) prbm SO, presbiterum U(etc) : PRBO Ad, PRESBYTERO {MD) 2 praetiosa Ad, pciosa SO Die Verse 3 quem, 4 conspexi, 5 Anfion, 6 atque folgen sich so in AdHO{CPF)] dagegen 5 6 3 4 in S{DGBL); 3 und 4 fehlen nach Leo's Angabe in {MB); dagegen theilt auf meine Anfrage Dr. Schwalm mir mit, daß R {Vatic. Regin. 329) die Verse 3 4 5 6 in dieser Reihenfolge enthält. 4 lumine esse H 5 amphion 0 (amfion L) 7 quem- cuque H, quecunque 0 7 uideNS Ad 9 alloquio: sie Hn uno cod. Vaticano* teste Luchio, alloquium Codices quos vidi: so Leo; allo- quium AdSO : aUoquio H, also ist dies LuchVs Vnticanus 9 iocunda AdSHO und alle Leo'a 9 uoluptas 0 10 unianimes Ad{CPM^-

über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 95

DB): unanimes SEO(GBLM^) 12 manes Äd{GP): manens SEO- (MDGBLRF) 13 seneote ÄdH 14 Qui H 14 prestat H 15 promptus ÄdS(etc.): prumptus II{PMR, prump D), Promtus 0 15 redundas ÄdSHO 16 urbe (BL): orbe AdSHO(etc.) 17 hu- man? ÄdH 17 effers S 18 nnda Äd 19 effert 0{PMGBLC^- Yen) : offert AdSH{DF, effer C^ effere J?) 20 iuditio i? ü. xx AdH{CMGR): u. xxi S: om. 0(etc.).

III 35 XXV AdS{etc.: xxvi L): xv H: om. 0 abb ^6?, abbt H 2 iurae paternae Ad 2 reges AdS{CPM^I)B^): regis H{GLEF' M'^B^Ven): geris 0 3 quid 5^ 4 praece ^c? 7 optineat 0 8 relegis AdSO{PGF) : religis H{GMDBLR) 8 me Ä0(e2Jc., mis i^): ow. AdH(DR) memorale H uellis J.rf^ u. viii AdSH- {CMR): om. 0{etc.). III 36 XXVI AdSH{etc., xxvii X): ow. 0 ruccone Ad, rucone

S{R) DIACONÜ S{etC.)', DIACONE 0{LF), DIACON //, DIAO" Ad MODO:

POSTEA 0 PRBM SO (PRESBYTERVM BG^): PRBO AdH (PRESBYTERO

MG^R, PRBO RC) 5 Sequa nate AdH 5 brittanica Ad(B^) 7 subtrait H 9 sepe 0 15 estotemei >S'' 15 repraehende Ad 17 humana S 17 NÜet ^c?

18 mit ac. dorn, beginnt die Hft A wieder 18 nfo SO{ACMDGBL): Non ^c^(P), SCO i/{i?i^) üER. xvm AdSH(AMR, xxvm D): om. Oetc. III 37 XXVII AdSH(etc., xxviii DZ); owi. 0 ARchmiACONU Ad(C- DLVen, archidiacvm G): arcidiaconv ÄS(^ilf 7?) : archidiacone 0{F)

DE MELDVS H(CM^) : DE MELDIS AdSO{ABM\ MELLIS 2>, MEL i?) : MELDEN- SEM FVen, MELDiNSEM L, MiLDiHSiM G^, MiLDiHENSiM G'^) 1 uestris Ad 4 dulcis an. Ad{C) 5 prumptus (PM^R), promtus 0 5 saciare Ad u. viii AdSH{ACMDGR): om. 0(etc.) 8 mit habes ew<?e^ <Zt> a7^e Hand in 0.

ni 28 xxvm AdS(etc., xxix D): om. E{RF) diaconvm Ad"^-

{etc.): DiACON H: diaconem Ad'\F) 2 inexiguis S^ 2 coare S^ 2 ioliannis AdS\etc.): iohannes HS\BLG^) 2 haue .S^ 10 relegis AdS{ADGL): reHgis H{PMBF, regis i2) me AdSH{etc.'. om. R, add. B'D\ mis F) u. x AdHS{AMGR): om. (etc.). 111 39 xxvmi AdSH{etc: xxx DZ) anthimium J.(?Zr(e^c.) : antimivm >S(i4^), anthemivm {GVen) epm J.d^, (?aww getilgt diaconv Ad^S- (MJDGB): diacone Ad^H{ALRF) 2 amor: c?atwi^ endet p. 46 H

7 disce tota citus Ad 13 presens J.ci 15 praestis Ad{PM}) u. xvm AdS{ACMDG).

111 30 Dies Gedicht stellt auch in der Pariser Handschrift 13048 (2;) fol. 52 nach Appendix no 9 und vor XI 20, V. 6—8. Das notirt Leo S. VIII; da er aber S. 77 nicht die Varianten gibt , so notire ich sie. xxx AdS{etc. , xxxi DL) ; in Z steht nur

96 Wilhelm Meyer,

die gewöhnliche Formel: eiplicit item ALroo 2 amorae 2 3 Cö- arpe Ad 3 iter, i in corr.^ Ad 3 quo S 4 carpae H mit 4 iter endet föl. 46* in Ad

5 honus S(DG^) 5 nequQ 2J 6 patientur opes Z 7 sub- der^ 2J 8 mereantur S(DBL) 9 Quo sua . . colet seiet . . tener^

27 10 ieiunas erit quia 2J 12 mar§ 2J 13 rabi^ 27, rabiem SiBGLF) turbantQ Z 14 ill§ Z 15 qu§r§ns 2; 17 prelia . . quoqu^ car^ 27 18 proelia sum^ 27 19 amor§ u. ferr^ 27 20 abore S 21 u. 22 fehlen in 27; auf 20 folgt unmittelbar XI 20, 6 UER. xxn S{ACMDG): om. (cett.) habet versvs dcclxxxh

EXPLICIT LIBER TERTIVS INCIPIT LIBER QÜARTVS S{ADG): EXPLICIT LIBER IH HABENS VERSVS DCCLXXXH INCIPIT LIBER IV B

VI § 5 = Leo p. 102 Z. 15 = Ad f. 6P S f. 25^ 16 fructi- bus Ad 17 colloquii Ad 17 conmercium Ad{C), comnertium S{MR, commercium DB, commertium AL) 18 discrepanti Ad 18 praetium Ad ineptum AdS(ACMD , inemptum BLB) 19 restringitur S 19 infecit Ad 19 periodis Ad(LR)j perhiodis S{Ad) 20 epicherematibus Ad^(L) enthymemis Ad (en aus in corr.): inthymemis Ad\ACD)j inthimemis S{MR), intimemis (BL) 20 syUogismisque Ad%AB, sill. L): fiUog. Ad\GMDR), filog. S 20 quo laborat quadrus Maro, quo rotundus Cicero : daß diese Worte trotz des Spondeus im 3. Fuß ein trochaeischer Septenar sein können , habe ich nachgewiesen in Ges. Abhandlungen II 344 ffl. ; daß sie ein Septenar, also ein Dichter-Citat sein müssen, beweist der Schluß 'rotiindus Cicero'. Das ist kein rythmischer Schluß: aber Fortunat schreibt rythmische Prosa 21 aput S 21 illic (R) : illinc Ad{Aetc.), hinc S 21 deficillimum S 22 promptu AdS{ALM^) 22 compori S 22 quoniam: quo Ad, qm S 22 cole Ad 23 difundis Ad 23 propaginis AdS{DLR) falces S succidis, ci aus ce corr., Ad 23 uinitores Ad 24 modorante S 24 germinat -4c? 25 post sthoicam (C): potesthoicam -4<?/S(^Mi^D*, potest hoc iam B^BL) 26 peripatheticamque AdS(efc.) tirocinio Ad{eic.): tyr. {AL)] tirocinium ancipatum S{C) 27 exomet S\BL)

28 reflectis Ad(etc.): flectis (A) 29 nobis S 29 aristothelis S{AD): fristhothelis Ad 29 chrysippus (R): crysippus S{CDB), chryssippus (M), crisippus {AL), crisipphus Ad 30 opinioni AdS- {ACMDR) 30 Leo *nec legenti, dazu die Noten nee legen ti vulg. nee ligenti CM^D , negligenti ABLRW. nee legenti Ad', negle- genti S 30 agustinus quo Ad (ag. AL, quo alle Leo's) p. 103, 1 uisione Ad(CM'^, uissione M^)'. uisioni S{ADBLR) 2 tenatius Ad 4t cleantarum (0), cleentarum Ad{R), clientarum S{ADBLM}j

über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 97

clentarum M^) 5 autumo: autem o {alle Leo^s), aur o 5, ante 6 Äd qui ad S{etG.) : quid inquid Äd 6 egroto ÄdS 6 decubante Äd 7 aere S(D) 7 debiti repromisit (MBLA^) : deb&ire prom. AdS (debet ire prom. GBR, deb**reprom. J.^) 9 sacratissime Ad 10 adque S clementissimae (ACBL): clamantissim^ AdS(DB), amantissimae (M) 13 et redemptorem S(etc.): om. Ad{A) 14 di- lecto Ad\ delicto Ad^ (**lecto A^), delecto S\M') 14 probo S

15 uestris litteris Ad{A(J): uestris {ohne litteris) S{MB), uestrae {ohne litteris) BLR 15 accepi pietati {AGB): accipi pietati Ad{B), acc*pi pietati 5, accipipiaettati {M) , ac pietati (L), ac pieti {B) 17 domnum AdS{etc.): dominum {AB) 18 aput ;S 19 dimis- sisset S.

S. 103 Z. 20 mij5 prodiit Je^mn^ S, 71 in H 20 pras S 20 patronicorum jET (patrociniorum L) 21 & 1?^, ut JBT^ 21 aput fl" 22 commendati AdSH {alle Leo^s) sententiam H genitori Ad 23 tutore moniri Ad, tuta rem uniri H (ductore muniri L)

24 nach accedens fehlt 1 Blatt in A 25 praece Ad 26 sospes {BL): sospis AdSE(CMDB) 26 absentis SH: absentes Ad 26 uoto H 27 me celebris Ad : mecebris S, melecebris H 27 uestiua H 29 w. 30 sm(Z in Ad und H wie Prosa weiter geschrieben 29 nomine om. S\R) 29 nobis H{V) 30 praecare AdH"^ 30 ^((7Jf) haben u. ii : om. AdH{etc.).

V 2 Die Nummer II /e/iZ^ iw AdSH] Leo notirt nichts item

AD EUNDEM AdS{etC., ITEM Om. -B, EPISCOPVM odd, B\ ITEM EIUSDEM (r):

om. H 2 exciperitque ^(?, exciperit quQ ^ 3 senotiua, am Band serotina H 4 auriret Ad{CDV) 7 iUyricos Ad{CP): illiricos E(MGVBLB), hüiricos S (dyllyricos B) 7 scythicas Ad{CPLM^): scbyticas H (sthyticas B, schithicas G V, sebiticas B) : scbitcas S 9 matbeus SH{MDVBL) 9 aetbiopos S{GPDBLM'): aetbiopas H] aetbyopus Ad{M^) 9 adtemporat H 10 exbusto Ad{G^P, exbausto G^) 10 fundit: fudit AdSH {alle Leo's) 10 Bellica furor persidis H in der Zeile ; sonst sind oft in H erklärende Wörter übergeschrieben persydis Ad 12 uictati ara Ad, uicta ara H (uictara B) 13 perspicu H 13 bartbolomeo AdSH 14 exstat S 15 accelerans Ad{GB): adlecebrans H 15 prisci: sei H

16 excelente AdH{M) die Verse 17 u. 18 fehlen in H und B

17 plaudi Ad (laude M^G^V) 19 uirtutum S^ 21 queritis Ad, quirites H 22 gallisue basalus Ad{MG^): gallisuae basulus /S^ Salus /S^ (gallisu^ba salus D, galisueba s. P, gallisuerba s. 0), gallis uera salus H{BG^, gaUica uera s. BL) 23 Insul cum Ad 23 seuit Ad 24 qua H 24 festüitate H 25 Heli^ .4(^, hae- liae SH 25 arestis ^eZ 27 nemacent H (neu iacent P) 27

Kgl. Ges. d. Wisfl. Nachrichten. Philolog.-hiBtor, Elasae 1908. Heft 1. 7

98 Wilhelm Meyer,

tupidis Äd 28 font^ H 30 holeaster S 34 praeporat H 34 sinu S 36 huc S"^ 36 bona H 36 perit una HS{CMB\ perat una i^): peritnra {GVBL): poterit tina Ad 37 direxit om. S{V) 37 antes: escas H 38 praemens ÄdS^H 39 labrascam J.(il?- (GBLM^): lambruscam S{M^DRG^, lambrus G^^F) 39 inestem H 41 zezania AdH{CMDV^)'. zyzania 5, zizania (G^^Zi?) 43 und^ fehlen nur in H(und R) 45 septa SH 46 seru& S 47 subpor- tante ff(CFGR): supportante S(ML); subportanti Äd 47 trah& Ad 47 ipsae H 54 ut H^, et 77^ 54 seriiile H 54 bonae ^(i 55 fideli semen Ad 59 Audituris H 59 uoce 5 60 for- tnnata H 61 praecare AdH 61 uidea IZ^ 63 radegund^ AdSH 64 ut AdH: & 5(D) 64 scae Ad, sc§ If 66 conplaceant SH, coplaceant Ad 67 Adq: Ad 68 caesarii 55": cesarii Ad 68 arma J.c^ 69 antistes (GBL), antistis (SB), antestis AdHiCMRV) 69 lerini SH{etc.) : liriNi Ad 71 tuearis SH{etc.) : tueris J-df (tuaris D, tudearis C) 72 hae wwc? darüber sanctae uirgines H, hQ Ad (hae C) : haec S (und alle Leo^s außer G) 73 iNlustre Ad{etc,) : ülarum H 73 pulcro 5^ ü. Lxxmi AdSH(CMBV): om. (reliqui),

V 3 III AdS(etc.) : om. HO in 0 beginnt fol. 5^* mit ad cives etc.

TVEONICOS 0{etC., TVEONICYS M): TOEONICOS AdS, TORONICVS H{R) DE

GE. EP. AdSH: DE ADVENTV GREGORII EPISCOPI DIGNISSDII 0 2 presulis

0 5 ubis Ad, orbis H 7 solliciti*s Ad, sollicitus H 9 sacer- doti (BL): sacerdotii AdSHO{etc.) 9 reuerienter H 12 prebet 0 13 egidii AdSHO (alle Leo's) 14 radegundis AdO(M^): rade- gundes >S'5 (Leo's codd. außer M^) 15 sigibercthus S^H(V): sigi- berctus S\M), sigiberthus Ad(BGB, sigibercbus R), sigibertus (OL), sigebertus 0 15 brunicMldis AdO(MGVR, brunchildis B, brun- cbildes C): brunidis, hil ilber id, H; brunechildis S (brunehildis DL), 15 honore Ad(D^B^) 16 iuditio S 18 paradysiaco AdS- (CPGB), paradyssiaco H 20 rapidis Ad8H0(GVR) 20 dilace- randa O(G'BL): delaceranda AdSH(CPMDVRG^) 21 gubernat S^ 23 muneat Ad(]üP) 23 praetiosi ^(?, pr^tiosi H, preciosi 0 24 adque Ad 26 spetiosa ^c?^ 26 botro SO(etc.): butro ^d- (CPM"), bruto fl 29 excruciet SHO(GBLR): excru& Ad(CPMDV) 29 quam: quo 0 30 liniret ^c7(ilfS lenieret P) 30 Leniat ut flammam ferre petatur opem 0 31 uernante AdHO(CPBLR): uenerante S(MDV, ueniante G) 31 locandus 0^ 32 placito Ad 36 sidirios 0 36 chorus ^ci 37 astant 0(BR, asstant G) 39 agustinus Ad(CPLR) 40 Blasius If 42 uitale H u. xliui AdSH(CMD, Liv GF): om. 0(e^c.).

V 4 im AdSH: om. 0 ad gregorivm episcopvm (omissis reliquis L); 0 hat nur se^vvntve veesvs in lavde gregoru episcopi Item

über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 99

versus {om. B) natalicio S: natalicivm H{CM); nataliu, darüber ci, Ad\ (per compendium reliqui: Leo) gregori H(CM): gregorh ÄdS- (DGBR) cum bis dictum om. Ad{LO) antifona S{B\ antefana H{CME) MENSA S(CMDBG), mesa H (messa R, missa V) 1 gre- gorii Ad 2 Turonicum 0(Z): Toronicum AdSH\CPMDBG^, tor- nicum G^V) 3 priorum AdSHO (und alle Leos) 5 apostholicum H(CP) 6 domum H uer. vi AdSH(CMDG) : om. 0(etc.). V 5 V SH\ om. AdO eundem: ipsv gregoriv 0 iudeis AdO aruerxum AdS(CMDR): arvern (B), arumnum H (v = vm oder uer), arvernicv 0, arvernis (GV), om. (L) 1 apostholicis E(C), apostoK 0(R) 1 domno AdSHO(etc.): domino (GV) 2 pape jEf 2 optima ^(Z 3 adque Ad p. 108 Z. 1 occaNsionis Ad 1 inlate S, illate 0 compte ^cZlT, comte 0 2 saltim AdJSS\CBLR): psaltim (il/), saltem 0(G^), om. S\DG^) 2 comiter IT, comites ^c?, comiter ist in S starJc corrigirt, wohl aus communiter, was 0 hat 3 loculentia H 3 diligeres 0(BLM^G^): diligeris AdSH(CM^DG^B) deleres AdHO(BLRM^): deleris S(M^DG) 3 et ut: ut & 0 3 ipsi S(D) 4 quam reprobes fehlt nur in II(R) 5 faude H.

5 tor non: damit beginnt wieder A nom&ä H 5 me AdSH- 0(ACMBG^)\ inme (DG^BL) 5 f^nora ^(Z, foenora HO 6 pen- sare 0: pensaret AdSE(ACMBLRG^, inpensaret DF, impensaret G^) ; pensare bezeichnet vielleicht dsiS Abwägen der langen und kurzen Silben beim Bau der Distichen 6 illi preceps 0 6 ingrueret 0 7 Interim anhelanti 0; anelanti /S'(Z)F) 7 impliciter AdSH(CLG^), simpliciter O(G^) 7 expediti 0 8 deuotum H 8 reputaturi nescio Ad(etc., reputatur* M^, reputeturi B, reputetur G^): repu- tatur inertio S, reputatur (ur mit Abkürzung) urinesio S", reputetur nescio 0 8 tempore Ad 9 inungitur H 9 habet* 0 9 spa- cium HO 9 obsequüla Ad^SH(ACMDG'B) : obsequela Ad\BLG^), obsequi ita 0 10 morigera 0 10 deuote H^ 10 seruitute opto ut quod 0 10 in laude in laude H 11 canetur HO^ ca- natur 0^.

Die neu benützten Handschriften Ad^ S, H und 0 an und für sich und im Verhältnis zu den übrigen. Ad steht auch in den oben collationirten Partien eng zu A oder, wo dies fehlt, zu dessen nächsten Verwandten. Allein Ad ist offenbar sehr leichtsinnig geschrieben. Auf Dictat zeigen viel- leicht die zahlreichen falschen Worttrennungen, wie 23 a, 17 seua serecondi (se vase rec); 29, 7 disce tota citus (discedo tacitus). Der Schreiber hat den Sinn nicht beachtet oder nicht erfaßt; daher die zahlreichen Schreibfehler, welche diese Hft allein bietet;

7*

100 Wilhelm Meyer,

z. B. in m 13 : 9 frondata statt fundata, 13 vestitus statt vestitos, 16 pontifices statt pontificis; dann z. B. V 2, 55 fideli semen statt fidelis enim; V 4, wo im Titel eine Zeile (cum ant. die. rog. in m. dictum) weggelassen ist.

S, die brüsseler Handschrift aus Siegburg, schwankt an der Grrenze der nicht interpolirten und der interpolirten Handschriften, ähnlich wie bei Leo die Handschriften M und D. Da, ich die Handschrift S selbst habe einsehen können, will ich hier Stellen citiren, welche außerhalb der oben verglichenen Partien liegen. Dabei berücksichtige ich nur das, was die 1. Hand geschrieben hat.

An vielen Stellen stimmt S überein mit den Vorzügen oder mit den Fehlern der ältesten, noch nicht durchcorrigirten Hand- schriften. 3, 2 § 3 hat S mit allen Handschriften außer C eregit den rythmisch und inhaltlich richtigen Schluß 'vos . . humilitas quod er^xit' ; vgl. S. 49, 13 sie humilis es , ut habites erectus in caelis) 3, 6, 15 neu morbus inulceret ÄCP, nee m. inulceret S = M; nee m. inulneret R, nee m. uulneret DGBL, ne moribus uulneret F 8, 9, 9 /S hat mit ÄCMD das unverständ- liche 'latear' 8, 20, 9 reposcetur: das falsche 'reposcitur' steht in S'ÄCD 8, 21, 2 statt Sophocleo haben sopocleo D, sophoclepeo ACM^: sophoclypeo S In dem Panegyricus IX 1 hat S V. 67 mundo = ACM (mundos P) statt mundus; 110 proelii S = M^j proeli ÄCP statt proelia; 142 arma und 147 autem S mit Ä] 143 edomites tuearis S lückenhaft mit C (ed. tuaearis), P (eto- mites t.) und Ä (edomiit estuaeris), während DGBL 'saevos' und BF 'omnes' ergänzen. IX 7 steht am Schlüsse in S dieselbe Unterschrift ^Domine his annos', wie in AMD, und zwar in S wie in MD mit rothen Uncialen geschrieben. 10, 7, 12 hat S mit ACM}P praestit statt praestet; 16 S mit ACM^G^ parum staM patrum; 21 locat S, ebenso unverständlich locar ACM, loquar P, statt loca. 10, 12 d, 9 hunc vocem S mit ACMD. 10, 16, 7 haben S und CMG 'die mens' mit einer Lücke, welche in A wie kurz vorher in 10, 8 durch 'que', aber in BDLRF durch 'd. m. unde' gefüllt ist. 10, 19, 1 hat S wie AC3IG ad, was in DBLBF fehlt. 11, 9, 11 hat S mit ACDG cinctus. 10, 5, 7 redemptorem e caelo CFG; S hat im Text 'redemptorem' wie DBLBF, aber die- selbe Hand hat unten an die Seite geschrieben *uel redemptore e', was AM bieten.

An manchen Stellen stimmt S überein mit den Correcturen oder Conjecturen oder Schreibfehlern der jungem Handschriften. So hat 1, 16, 32 auch S das richtige 'sed dante'. 7, 6, 5 fehlt Talatina' in S wie in MDGBLRF. in 8, U, 15 fehlt allerdings

über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 101

'ergo' (ÄC), aber sonst ist richtig wie in DG^ 'redditus isti' er- halten, während B hat redditur i., MBL redditus iste, G^ redditns exsistens. 9, 1, 75 Lücke in ÄCPM, die mit 'et' gefüllt ist in S wie in DGBLEF] dann suebis ACPMR, dagegen sueuis S = BGBLF] ebenso 120 munera (falsch statt 'munere') S = BGBL. 9, 16 Die Unterschrift von C habet epistola versvs xx bietet nur S: habet epistola ista uersus XX. 10, 2 § 12, S. 231, 3 hat Ä = BGBLF fauorabilior ; die alte UejDerlieferung war : fauora debilior CÄMR 10, 6, 9 hat /S = BG almam . . aram. 10, 8, 29 /Sf = B^F prosperas integrum statt prospera sint regum. 10, 11, 34 hat S allein das richtige 'populus', während Leo notirt: populis codd. 11, 14, 3 haben ACM ungues, dagegen S = BGBLR das falsche utens. Hieraus erhellt, daß derjenige, welcher die Les- arten von MBG berücksichtigt, auch die von S berücksichtigen soll.

H In der pfälzer Handschrift sind viele Glossen übergeschrieben. Die Handschrift muß mit B nahe verwandt sein; denn z. B. läßt sie mit B allein Wörter oder Verse weg: so im Titel von 3, 14 das Wort 'Coloniae'; in V 2 die Verse 17 und 18, 43 und 44; in V 5 § 1 (S. 108, 4) die Wörter 'quam reprobes'. Manchmal stimmt sie mit der alten Ueberlieferung, wie sie V 2, 72 mit Ad und C 'hae' bietet; von 3, 23 ab schreibt sie auch unter jedes Gedicht die betreffenden Verszahlen. Seltsam ist, daß 3, 24, 9 U allein das richtige 'alloquio' bietet; denn sonst verrathen die eigenen Conjekturen nicht viel Scharfsinn. Neben vielen falschen Worttrennungen, wie 3, 22 a, 7 patri euigora Itere gentum statt patriae vigor altor egentum oder V 1 § 10 (S. 103, 23) tuta rem uniri statt tutore muniri, finden sich nicht wenige Interpolationen, wie 3, 13, 37 in celis statt melius; 3, 15, 17 alumn^ statt haberis; 3, 15, 32 dapes statt lares; 3, 23 a, 28 sciat statt saciat; V 2, 3 statt 'sementiva' im Text 'senotina' und von derselben Hand am Rande 'serotina' ; V 2, 73 illarum statt inlustre ; V 3, 40 Blasius statt Basilius. Seltsame Unbeholfenheit verräth es, daß die beiden alten Ligaturen für rt und für st vermischt sind und sehr oft st statt rt sich geschrieben findet.

0 Die Oxforder Handschrift ist ein Muster der durchcorri- girten Erlasse. Die Handschrift bietet viele der richtigen Cor- recturen, welche sich in den späteren Handschriften finden; so 3, 13a, 1 prosunt {BG"")] 3, 16, 6 cara (G^F^)\ 3, 21, 8 quoque cura {BLF^GVen)] beachtenswerth ist auch in demselben Verse tibi {G) statt tui. Wie gewandt und keck der letzte Ueberarbeiter war, zeigen manche Stellen; so 3, 14, 15 placidusque mihi; 3, 14, 19 cibus es dasque esurientibus escam ; 3, 15, 25 Ira cadit heresis ;

102 Wilhelm Meyer,

3, 15, 36 geris (P); 3, 20, 8 par viduae merito statt siraptae me- rito; die manclierlei Conjecturen gegen Ende von V 1 (S. 103); V 3, 30 Leniat ut flammam, ferre petatur opem statt Ignem ut leniret, tunc petebatur opem.

Die obigen Zusammenstellungen sind auch lehrreich für die TextgescMchte der Gredichte des Fortunat. Es ist ein mehr äußeres und besonderes Mißgeschick gewesen, daß die ursprüng- liche vollständige Sammlung, welche nach Fortunat' s Tod in Poitiers zusammengestellt worden ist, verloren ging und daß uns nur 2 Auszüge aus ihr erhalten wurden. Den einen, ziemlich willkür- lichen, kurzen und wiederum (nach Bl. 46) verstümmelten Auszug enthält die um 800 geschriebene Handschrift in Paris latin. 13048, Z. Aber immerhin enthält diese Sammlung fast ebenso viele sonst unbekannte als sonst bekannte Verse. Den andern Auszug aus der ursprünglichen vollständigen Sammlung enthalten die übrigen uns erhaltenen Handschriften. Diese Sammlung gibt im Grerüste der 11 Bücher und im Inhalt derselben gewiß weitaus den größten Theil der ursprünglichen vollständigen Sammlung wieder.

Aber unklar sind die Grrundsätze, nach welchen innerhalb der 11 Bücher Gredichte weggelassen worden sind. Unklar ist be- sonders das, was am Schlüsse geschehen ist. Das 26. Gedicht des 11. Buches bricht in dieser Sammlung mit dem 12. Verse ab; dann folgt in MDG {nicht in ÄdSHO * Ä rell) die Verszahl uer xn, end- lich die oben (S. 84 87) besprochene Unterschrift und in A und Ad der Rythmus (oben S. 32). Dagegen in der Hft Z folgen auf den 12. Vers des 26. Gredichtes noch 6 durchaus dazu passende und dazu gehörige Verse ; dann folgen unmittelbar noch die als Appendix no 10 31 bei Leo gedruckten 22 Gedichte, welche offenbar durch- aus zum 11. Buche passen und einst an dessen Schluß standen. Freilich, auch wenn die Sammlung Z, ganz gegen ihre sonstige Art, zwischen diesen 22 Gedichten kein einziges übersprungen hat, würde doch dieses 11. Buch die ganz ungewöhnliche Zahl von mindestens 48 Gedichten erreichen. Hat nun derjenige, welcher die ursprüngliche Sammlung gekürzt hat, mit Absicht nach dem 12. Vers des 26. Gedichtes abgeschnitten? Allein, so viel wir nach der Sammlung 2 urtheilen können, sind in der gekürzten Sammlung stets ganze Gedichte, nicht Theile von Gedichten, weg- gelassen worden. Müssen wir deshalb annehmen, daß in dem Exem- plar der gekürzten Sammlung, auf welches all unsere Abschriften zurückgehn, oder in der vom Kürzer benützten Abschrift der ur- sprünglichen vollständigen Sammlung die letzten Blätter abge-

über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 103

rissen waren? Allein woher stammen dann die Unterschriften und der angesetzte Rythmus, welche in den besten der erhaltenen Abschriften am Schlüsse des 11. Buches sich finden?

Die innere Textgeseliiclite der G-edichte des Fortunat ist ziemlich einfach. Entstanden und zuerst verbreitet sind ja diese Gedichte in dem Lande und zu den Zeiten, wo die größte Barbarei in Sprache und in Schrift herrschte. Wie eigentlich die mero- wingischen Schreiber ihren Handschriften gegenüber standen, ist mir noch nicht klar geworden. Sie haben selbst wohl wenig stu- dirt; sonst hätten sie sich dies Studium durch einige Sorgfalt beim Schreiben erleichtert. Schon die merowinger Schrift ist be- sonders häßlich. Dann scheint vielfach nach Dictat geschrieben worden zu sein von Leuten, welche weder Grammatik noch den Sinn des Diktirten verstanden und welche deshalb die Vokale und Konsonanten hinschrieben, die sie eben gehört zu haben glaubten. Dann scheinen die Handschriften selten von Gelehrten revidirt worden zu sein ^). Karl d. Gr. ergrimmte bei dieser Lesearbeit und gebot den Schreibern durch besondere Verordnung mehr Sorgfalt. Doch schon die Fortunathandscbriften zeigen, daß die alte Sorg- losigkeit bis weit ins 9. Jahrhundert hinein fortdauerte. Auch die Worttrennung, welche zum bequemeren Lesen eingeführt wurde, brachte in der Uebergangszeit manche Verwirrung; denn sie war, was wir aus den kritischen Apparaten nicht sehen, sehr oft falsch. Aber man kann aus discetotacitus eher als aus disce tota citus das zu Grunde liegende discedo tacitus enträthseln. Dieses Enträthseln der schwer verständlichen Handschriften muß damals in den lernenden und gelehrten Kreisen eine große Rolle gespielt haben. Fortunat's Gedichte wurden zur Zeit Karl's d. Gr. viel gelesen: aber wie lange mag ein Einzelner nachgedacht haben oder wie viel mag eine Gruppe von Studenten disputirt haben, was hinter einem Verse wie Nemine na pascens immemores sis ouem stecken möge, bis endlich Einem der Gedanke aufblitzte, daß es heißen solle: Ne minimam pascens immemor esses ovem. Nahe lag es, daß man eine andere Abschrift zu bekommen suchte (die Noten q. oder r. , d. h. quaere oder require aliud exemplar stehen am Rand vieler Handschriften), um die vielen Schreibfehler mit geringerer Mühe verbessern zu können.

1) Als Beispiel, wie man in diesen Zeiten mit Texten umging, gebe ich im letzten Abschnitt die Aenderungen , welche das Gedicht de s. Medardo (II 16) in Legendenhandschriften erlitten hat. Und dabei gebe ich mir die zwei Hand- schriften gemeinsamen Aenderungen, nicht die zahlreichen Fehler jeder einzelnen.

104 Wilhelm Meyer,

So entwickelte sich die philologische Thätigkeit der mittel- alterlichen Gelehrten. Wenn Einer durch Nachdenken oder durch Einsicht einer andern Abschrift die Fehler der ihm vorliegenden Handschrift erkannt hatte oder erkannt zu haben meinte, so war es natürlich, daß er das Gefundene in seinem Exemplar notirte, indem er entweder das Alte ausradirte und das Neue hineincorri- girte oder indem er das Neue an den Rand oder über das Alte schrieb. Mit der fortschreitenden Gelehrsamkeit und mit der Uebung im Versemachen stieg nicht nur die Gewandtheit, sondern auch die Lust zum Bessern. Die alte Orthographie wurde mo- dernisirt, so wurde antestis zu antistis und zuletzt zu antistes; Lücken wurden ausgefüllt; metrische Fehler beseitigt, oft durch Umarbeitung des Verses, und nicht verstandene Wörter wurden durch frei erfundene ersetzt.

Diese 2 Entwicklungsstufen der mittelalterlichen Textesgeschichte treten auch in den Handschriften der Gedichte des Fortunat zu Tage. Von diesen ist nur P, wie U, mit der Schrift von Corbie, also um 800, geschrieben. Diese Petersburger Handschrift ist auch die einzige, welche eine stark umgeordnete Auslese von Ge- dichten enthält. Alle andern Handschriften sind bereits in der Karolinger-Minuskel geschrieben. In der gemeinsamen Mutter- handschrift muß die Stichometrie eine große EoUe gespielt haben. Unter jedem einzelnen Gedicht war die Zahl der Verse notirt, und am Schluß des ganzen Buches die Gesamtzahl aller Verse. Zum Ersten notirt Leo bei I 1 ^suhscribunt vers. xxviii ÄCMDGR; versus nusquam computant BL\ Diese Vers zahlen sind auch notirt in Äd und S immer und in H von 3, 23 ab, nirgends in 0. Die Gesamtzahl der Verse des Buches findet sich jetzt noch notirt nur am Schlüsse von Buch I {CMDGV, om. relL), von Buch III (ÄDGB, om. rell.) und von Buch IV {ÄMDB, om. reih) : ebenso steht es in 5; von ÄdHO habe ich keinen Bericht.

Die frühere Stufe der Textgeschichte zeigt sich in den Hand- schriften CPÄ und Äd. Die Orthographie ist hier oft verwildert, die Worttrennung schlecht, plumpe Schreibfehler häufig. Die 2. Entwicklungsstufe, die kritische oder verschönernde Behandlung des Textes, tritt hervor in den Handschriften Leo's M'DGBLRF, und in SHO von den meinen. Natürlich sind viele dieser Besse- rungsversuche nicht gelungen oder unsicher, also Interpolationen zu nennen ; aber der gelungenen Correcturen finden sich doch ziem- lich viele. Alle aber, die gelungenen wie die nicht gelungenen Aenderungen in den Handschriften des Fortunat sind offenbar nur

über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 105

ex ingenio gemacht und ohne Benützung sonst nicht gekannter werthvoller Handschriften.

Leo hat über seine Handschriften also geurtheilt: (S. XVII) Inquirendum est, quibus codicibus maior debeatur jBdes. Atque omnium primum constat Codices quibus utimur ad quattuor exem- plaria redire, quorum primo (a) orti sunt AC (= Paris 14144 und 8312), quibus proxime accedit P (Petropolitänus F. XIV. 1), prope accedit 31 (Ambrosianus C. 74. sup.) ; altero (ß) DG (Paris. 9347 und Sangallensis 196), quibus accedit V (Vaticanus lat. 552); tertio (y) BL (Paris. 8090 und Laudunensis 469); quarto (d) RF (Vatic. Regin. 329 und Barberin. XIV. 94). Idem quem in enumeratione tenuimus ordo est integritatis et fidei. multo minus reliquis corruptus et unus non interpolatus a fuit, non paucis locis interpolatus /3, data opera pertractatus y, mixtae lectionis omnique fide carentis d. medium quendam inter a et /3 locum M tenet. S. XXI in aller Kurse: tantum AGF exemplari pristinae integri- tatis oriundos, deteriore sed non interpolato M^ magis magisque degeneratos tenemus DG, BL, BF. atqui cunctis inter se compa- ratis archetypus restituitur mutilus et corruptus; de integro car- minum corpore unus ad aetatem nostram deductus est 27.

Ich will nur aus der voranstehenden Collation zu III no 13 no 30 und zu V no 1 no 5 etliche Stellen herausheben, welche die Textesgeschichte illustriren können. Leo hat versucht, die späteren Handschriften in Gruppen zu gliedern, hat aber oft diese Gruppen wieder auflösen müssen. Ich begnüge mich hier die Stellen in 2 Abtheilungen zu sondern, je nachdem mir die späteren Aenderungen irrig oder richtig zu sein scheinen.

I Stellen, wo die alte Ueberlieförung richtig, die spätere unrichtig ist.

III 13, 9 loco Ad- rell: locos B, locus S'MBG^

III 13, 15 quam cingit murus et amnes Ad'ACM^j omnes G^: amnis rell. und Leo im Text. Der Plural ist wenigstens sachlich richtig,

III 13, 18 leuat Ad'ACPG'Ven.Fcorr: Isiusii SH' MDB LBF^G^.

III 18, 11 compita AdHO'rell: competa DG^BL,

III 21, 1 urbis Ad: orbis SHO und alle Handschriften Leo's,

III 21, 11 Agnes aut, wobei 1 lange Silbe fehlt oder 2 Imrze^ AdSH'CMDR: es ergänzen: aut GVen , laudem BL, ualet F, simul 0.

III 21, 12 multiplices Ad'D, multiplicis SHCMBj multiplici O'GBLF.

in 23, 16 arte SOrell: arta Ad{HyBLR\ alma F,

106 Wilhelm Meyer,

ni 23 a, 1 currum ÄdRO'rell.: cursom SDBL,

m 24 in ÄdHO'GPF und in B folgen sich die Verse 2. 3.

4. 5. 6; dagegen in SDGBL: 2. 5. 6. 3. 4; in 31 (nicht in B)

fehlen die V. 3 und 4.

in 24, 10 unianimes AdCFW-DB: unanimes SHOGBLMK III 24, 12 manes ÄdCP: manens SHO'IIDGBLBF. III 24, 19 effert 0'PMGBLCVen{B): offert AdSH'DF, III 25, 2 regens: reges AdS'CPM'DB': regis HGLBFISPB^-

Yen., geris 0.

III 25, 8 me SO'rell : om, AdHBB. UI 26, 18 nostro SOrell.: non Ad-P, sco HBF, in 30, 8 mereamur 2JreU. : mereantur SDBL. III 30, 13 rabie reJl, rabi§ 2;: rabiem SGBLF.

V 1 § 7; S. 103, 4 Cleantharum : cleantarum C, cleentarum Ad'B, clentarum M\ clientarum S'ADBLM^.

V 1 § 10; S. 103, 15 uestris litteris fiduciae Ad' AG; ohne litteris haben: uestris fiduciae S'MD, uestrae fiduciae H'B{L)B.

V 2, 22 ^um Text Gallisueba salus gibt Leo die Note: galli- sueba MG^] gallisugba D, galisueba P, gallisuerba G, gallisuera BG^, gallicauera BL. Ad bietet gallisue basalus; S^ gaUisuae ba- sulus {S^ basalus); H geht mit BG^ gallis uera salus.

V 2, 36 perit una SH'G3ID, perat una B, poterit una Ad: peritura GVBL.

V 2, 39 labruscam AdHGBLM': lambr. SM'DBGV.

V 2, 69 antestis AdH'CMBV: antistis SB, antistes GBL. vgl, z. B. 11, 25, 9 antestis ZA, antistis SMB, antistes GBLB,

V 2, 72 hae AdH'C: haec S und alle andern.

V 3, 31 uernante AdHOGPBLB: uenerante S'MDV, ueni- ante G.

n. Stellen, wo die spätere Ueberlieferung richtig oder mög- lich ist, also Correcturen.

m 13, 43 extensos HO'rell.: extensus AdUMBL.

III 13a, 1 prosunt OBG^: presunt Ad, praesunt SHCPM- DG^BF, Christus L.

m 13d, 2 apparet SHOBDLG'F': apparet et AdCMBF'- Ven{G%

ni 14, 13 sectator SHO'rell. : sectatur Ad'PM\C).

III 14, 15 mitis S'^'GVen: mihi AdH'rell., que mihi 0.

m 16, 6 cara S*0'G'F^: care AdS'HCMBBLBF'GK

III 17, 9 implumes 0, inplumes H'rell,'. inplumis AdSMG, implomis C.

III 17, 11 in G'Ven: hin C, hinc AdSH-rell., hie 0.

über Handscliriften der Gedichte Fortunat's. 107

III 18, 9 recitasses: recitassis SMFB,

in 21, 4 quisque H'BLRFM'G^: quaeque AdSOCFM^DGK

III 21, 6 esses HO'rell: essis ÄdS'CM^D.

m 21, 8 quoque cura 0-BLF^G{Ven): cura quoque AdSE'- CPMDEFK

III 22, 6 trutinato SHOrell: trotinato CPM\ trocinato Ad.

III 23, 6 metes H'BLRF: metis AdSOCPMBG.

III 23, 10 pascis Ad^S HO'rell.: pacis Ad^CM'G':

III 23a, 8 segetes AdO'rell: segites S^HGPMB.

III 23a, 9 sterüis O'rell: stereHs AdSHCPM.

III 24, 9 alloquio i7: alloquium AdSO' 'Codices quos vidi' Leo.

III 24, 16 urbe BL: orhe AdSHO'reU.

III 24, 19 effert O'rell: offert AdSH'BF.

III 30, 20 labore Z und AGBF: ab ore SCPM'B, algore Z, ab algore B. 'ab ore' scheint die alte Lesart der verkürzten Sammlung zu sein, und Labore' in AGBF glückliche Conjektur, die allerdings nahe gelegt war durch den vorangehenden Vers- schluß 'nescit se ferre laborem'.

V 1 § 5; S. 102, 18 inemptum BLB: ineptum AdS'ACMD.

V 1 § 6; S. 102, 20 syllogismisque ABAd"^, (siU.) L: fillogis- misque AdWMBB, filog. S.

V 1 § 8; S. 103, 7 debiti repromisit MBLA^: debetire pro- misit AdS'CBB,

V 1 § 11; S. 103, 26 sospes BL: sospis AdSHCMBB,

V 3, 29 excruciet SHOGBLR: excruet Ad'CPMBV.

II 14 De sanctis Agaunensibus Alte Lesarten und neue Conjecturen mischen sich oft seltsam. Ich gebe als Beispiel zu II 14 die hauptsächlichen Noten Leo's und die Varianten von S (Brüssel) und von Be = Berlin MS lat. theol. 78 fol. 67* saec. XII. Titel: acaunensibus ä; Be: ymnus Fortunati de eisdem martiribus 1 persequerentur Be'L (Conjecttir) 5 ductor Be'L (Correctur): doctor SrelL 6 fortes PG^'BeS^: fortis S'rell. 7 armasti BeG^ (wohl Correctur): arma et SrelL, armasset Ven. 7 dogmate AGMGBFVen{P).Be: dogmata SBBL 9 pectora Be 10 iugalis AG 12 heros APGBLFVen'Be: herus S'B, erus OMR 17 uirtus trabeata CPBL'Be{S) : u. ira beata A ; uirtus astra beata BMRF] auch S^, doch ist hier as ausradirt] super astra beata GVen] pius astra beata citirt Luchi 19 tecum Srell: ducum P, ducum mit der Variante tecum BL-^ regum Be (22 harena SBe, 23 pa- radysi S^Be^ 24 perhenne Be) cruciter /S^ am Ende uiR. xxx AMBG'S,

108 Wilhelm Meyer,

Zur Pariser Handschrift 13048 = 27.

Die Pariser Handschrift 2J, latin. 13048, ist die wichtigste Handschrift der G-edichte des Fortunat. Sie ist mit der Schrift von Corbie, also um 800, geschrieben ; die Worttrennong ist schon gut; Interpunktion findet sich nur in der Mitte des Pentameters. Was wir noch davon haben, besteht aus Anfang und Ende. Der Anfang ist enthalten in dem Quaternio f. 39 46 ; dieser Quaternio ist von einer 2. Hand durchcorrigirt , welche z. B. in den vielen von 1. Hand geschriebenen Endungen auf ae das a expungirt hat. Diese Lage bricht fol. 46^ unten ab mit 4, 24, 2 'redit'. Un- sicher ist, wie viel dann fehlt, ob ein, ob mehrere Quaternionen. Mit Bl. 47 beginnt eine neue Lage, welche nicht mehr auscorrigirt ist. Auf Bl. 47 beginnt der Phoenix des Lactanz ; auf der Rück- seite des 48. Blattes beginnen mit Appendix no 5 wieder Gedichte des Fortunat, welche offenbar den Schluß der Sammlung bilden. Während sonst die in 2 enthaltenen Gedichte bunt aus allen Büchern stammen, .aber aus dem 11. Buch bis dahin keine aufge- nommen sind, folgt fol. 52^ auf III 30 V. 20 plötzlich unmittelbar der 6. Vers des 20. Gedichtes des 11. Buches, und darnach folgen in fast ununterbrochener Kette die übrigen 7 Gedichte dieses 11. Buches. Das ist merkwürdig, zumal 2J noch weitere 22 Gedichte bringt, welche sonst unbekannt sind, aber ebenfalls alle an Radegunde und an Agnes gerichtet sind, also in dies 11. Buch gehören. Zu- nächst ist es wahrscheinlich, daß, wie jene 7 (no 20—26), so auch diese 22 in einer Reihe abgeschrieben sind, ohne daß dazwischen stehende weggelassen wurden. Aber weshalb sind aus der Ur- sammlung von XI no 20 ab diese 29 Gedichte so sorgsam herüber genommen, weshalb dagegen findet von den völlig gleichartigen Gedichten XI no 2 19 kein einziges sich in diesem Auszuge? Sollte schon die Vorlage der Handschrift U lückenhaft gewesen sein, so daß schon dort vor XI 20, 6 eine oder mehrere Lagen fehlten ?

Ich gebe hier nur Nachträge zu Leo's Noten. Die wenigen wichtigeren lasse ich gesperrt drucken. Die übergroße Masse von orthographischen Varianten theile ich mit, weil sie viel- leicht beiträgt zur Aufklärung der schwierigen Frage, wie die merowinger Schreiber sich zur Orthographie stellten. Hier zeigt sich eine interessante Spezialität. Die Vokale o und u, e und i werden hier nicht so oft vertauscht, wie sonst ; aber geradezu un- geheuerlich ist die Verwechselung von e, q und ae. Doch zeigt sich auch hier ein Weg. Verhältnismäßig selten steht e statt ae. Dagegen außerordentlich oft steht ae oder § statt e, aber wiederum

über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 109

mit der Beschränkung, daß dies fast nur dann geschieht, wenn das Wort mit diesem e endigt.

Also verhältnismäßig selten sind Schreibungen wie presens; ebenso sind auf einzelne Wörter beschränkt Schreibungen, wie praecor, quaerella, aesca; dagegen massenhaft finden sich Schrei- bungen, wie pedae, quoquae, nequae uellae, ferrae. An die Metrik wird hier nie gedacht. Diese Erscheinungen scheinen mir dafür zu sprechen, daß hier diktirt wurde, daß der Diktirende gerade die schließenden e eigentümlich aussprach und daß der Nach- schreibende von der richtigen Orthographie keine Kenntnis hatte.

Appendix 1 f. 39* incip opus fortun presbite. 6 m^sta 20 2 hat thoringa 24 orare ferrae Z^ 26 quae Z^ 32 fol 39'^] quae Z^-, mesta Z^ 34 illae Z^ 36 supersti sagor Z^ (-stes agor Z^) 47 tui Z 55 27 hat getrennt üix erat mit V. 65 beginnt fol. 40'' 90 praed^ Z^ 95 nur requiro (nicht require Z^) 97 bizanthion Z mit V. 98 beginnt fol. 40^ 107 transsissem Z 117 quaerulam Z^ 123 quur (cur!) differe, re zu ro cor/*., Z 124 germanu Z^ 124 alt a 27 128 atquae Z^ mit V. 130 beginnt fol. 4P 132 ledere 2;^ UO fehlt das Wort corpus 148 atquae2;^ 149 atquQ Z^ 150 istae Z^ 155 nequae Z^ 159 Dequae Z^ 159 tuis 2: mit V. 164 beginnt fol. 41^ 165 Z hat deutlich fran- corum 168 honorae Z^.

VII 11 im Titel statt provinciae hat pro Z^j pro™ Z!^ 8 27 hai deutlich negata 9 Z hat qui sibi.

Vn 13 4 adfectu Z\ affectu Z\

VIII 4 2 proemia Z^, pr^mia 27^ 3 lumina Z mit V. 6 beginnt fol. 42"" 17 ubi Z 18 atquae Z^ 19 luminae Z^

21 fulget Z^ 23 amorae Z^ 29 xpf 27, wie dies Wort stets mit lateinischen Buchstaben abgehürzt ist 35 quae Z\

VIII 1 1 ore 2;2 mit V. 2 beginnt fol. 42'' 2 Castiliusque Z 4 irriguis 2:^ 5 uterquae Z^ 10 clauae Z^ 12 gallica terra tenet Z: diese Lesart ist mindestens so gut wie *rura te- nent', also in den Text zu nehmen 14 urbae Z^ 16 quae Z^ 20 figida Z mit V 35 beginnt fol. 43'- 41 auch Z hat eusthochiam (s. Leo S. XVII) 45 quae Z^ 46 auch Z hat teclä 49 cor- porae Z^ 53 und 54 quicquid Z^ 54 quae Z^ 56 causs§ Z 61 aliter hat auch Z 64 quae Z^ 65 quisquae Z^ 67 dota remanentia Z mit V. 68 beginnt fol. 43^ 69 quoquae ZK

Appendix 2 1 quae Z^ 4 atquae Z^ 4 coeaeua Z 7persona2: 11 atquae Z^ 15 quae Z^ 20 quae Z^ 21 satur Z^ 26 consilium Z^ mit V. 30 beginnt fol. 44'- 31 ex- traemas Z^ 46 quod: quoq Z 50 orbae Z^ 60 atquae Z^

110 Wilhelm Meyer,

mit V. 63 beginnt fol. 44^ 63 usquae Z 65 parit U 66 illae U^ 69 ubiquae 2;^ 75 fidutia 2J^ mit V. 96 beginnt fol. 45'' 96 n^c 2J 100 U hat merllia, nicht merlliic ; das a von Corbie wird leicht als ic verlesen, wie man z. B. den Anfang des 13. Verses des nächsten Gedichtes Sic oder Sa lesen kann.

ippendix 3 2 hat im Titel adapraxh 8 uterquae Z^ 16 milici^que Z 22 dulcis amara Z mit F. 28 beginnt fol. 45^ 28 atquae Z^ 28 adderae U^ 36 amorae und illae Z^ 37 mequae 2J^.

II 12 VII 9 2 prompte Z^ Smiseratur^;^ miserator U^ mit V, 7 beginnt fol. 46'' 14 nectarii 2^ 20 nach suum hat H: Expl.

VII 18 1 totiens hat H 7 amiciciae H 17 achemeniis 2 mit V. 19 beginnt fol. 46^.

Appendix 4 im Titel nach dem rothen sigimuxdo (v"'^) steht schwarz: meautemmi 3 ego peliqnis U; ~ vielleicht von 2. Hand; p statt prae findet sich hier kaum 4 prumpta 2J^,

VII 30 im Titel sigimundo, v über o, 27; vgl. App. 4 7 co- hercent Z^ 12 meae. expl. U.

IV 34, V. 1. 2 Titel wie sonst in rothen Uncialen, dann das N bunt 1 dines fugienti ü 2 que 27 mit V. 2 'redit' endet BL 46 und eine Lage der Blätter; Bl. 47 beginnt mit 'Est locus' (Phoenix des Lactanz). Die folgenden Blätter sind nicht mehr von einer 2. Hand durchcorrigirt.

Appendix 5 fol. 48^ 6 ipsQ U 8 bonitat^ boans 2?

9 dignQ 2J 11 amor^ U 12 pauper^ 2J 12 ipsQ 27.

Appendix 6 3 f^tus 27; ebenso 4 musculus Z und 12 hie 27 mit V. 7 beginnt fol. 49" 8 ist^ 27 13 utrasquQ 2;.

Appendix 7 3 27 hat amantes, nicht amanter 5 benign§ 27

10 quQ und d^cus 27 16 detquae 27.

VIII 5 mit V. 5 beginnt fol. 49^ 10 amor^ 27.

VIII 8 6 retinebas 27 14 mequae 27 15 t^ 27 16 re- niderQ 27.

VIII 9 3 hodiQ 27 4 2] hat nur errabant 6 nub§ prementQ 27 mit V. 8 beginnt fol. 50\

rV 11 3 dot§ 27 7 laborQ 27 8 orb^ 27 16 moderamin^ 27 16 Ritae beneplacitas 27 17 callae 27 18 uultu 27.

n 10 1 salamoniaci memoraetur 27 mit V. 3 beginnt fol. 50^ 3 quaecumquae 27 14 arcQ 27 15 complet 27 16 atquQ 27 16 sin^ 27 19 adherens 27 20 ecclesie 27 22 compleuit 27 22 relegionis 27 22 opus: opes 27 25 honor^ 27 26 quo- quae 27.

über Handschriften der Gedichte Fortunafs. 111

IV 5 (dönoeum ZI im Titel) 2 tener^ 2J mit V. 8 beginnt fol. Öl*- nach V. 8 steht das in den Noten gedruckte Distichon (sapor^ Z!) = Appendix 32 9 mentae und nomin^ Z 11 quis- quae Z 12 ill§ Z 19 nobilitat^ Z.

IV 6 1 praemeret Z 7 pudorQ Z 8 sin^ fin§ Z 12 referr^ Z 13 auch Z hat recreans 17 qu^rellis Z mit V. 18 beginnt fol. 51^ 18 auch Z hat Postenebras.

Nach V. 18 folgt der in den Noten gedruckte Vers = Appen- dix 33 (miliciam und premia Z). Dann folgt unmittelbar IV 27, 21 und 22. 22 merear {nicht mereas) clausi quandoquQ Z.

Appendix 8 3 superessQ Z 4 fugient^ di^ ^ 8 gene- rassQ Z.

Appendix 9 im Titel hat Z dieectis ; es ist das seltsame üncial- D der Schrift von Corbie 3 que Z 4 ferrae Z 5 arborQ Z 7 namqu^ Z 9 criminQ Z 10 u^tus Z 13 depraecor Z mit V. 14: beginnt fol. 5J2^ 16 fae cela cunari Z 20 Z hat bibat 21 Z hat regat o. benignae 23 praeces Z 25 orbQ Z 27 an- tae Z 31 perficQ Z 33 ten^ Z 34 capae Z 35 utraequae und utrumquQ Z.

III 30 s. die Collation von Z s. oben S. 96. mit F. 8 beginnt fol 62^ auf V. 20 folgt unmittelbar XI 20, V. 6.

XI 30, 6—8 7 atqu^ Z XI 31 33, 2 ipsae Z 3

Qscam und quodcüqu§ Z auch 22* hat die Ueberschrift item aijud 1 uentrQ Z 4 Qsca Z 33 mit no 23 beginnt fol. 53f 5 cre- dit^ Z 6 facilae und dar^ Z 7 digitos Z 14 hec und scri- berQ Z no 34 2 hec Z 3 statt requiras hat Z spernas

4 amplos Z.

XI 35 7 caria cede uehor auch Z mit V. 11 beginnt fol, 53^ 14 unde Z 19 hunc Z 21 quae Z 26 assiduae Z 31 praecipuae Z 32 reuiderae quaeam Z.

17 2 flumiuQ fixe Z 9 martin§ Z mit V, 11 beginnt fol. 54\ XI 36 ich gebe zu no 26 die bei Leo nicht notirten Les- arten von Z, dann die Lesarten von S (s. S. 83) fol. 67* und mit V. 2 beginnend die von Äd (fol. 68* s. S. 82) fol. 158»» 1 pruinis

5 2 comes S^ 3 gele S^ 4 arboraeas Z 4 tetigit Äd^ (9 crist. auch ÄdS) mit V. 12 aqua enden Ad und S.

V. 13 illae Z 15 praecibus tind flectibus Z.

Appendix 10 3 redeunt^ notat^ Z 5 materquQ sororquae und 6 concaelebratae Z. App. 11 1 Hodi§, 3 ubiquae, 6

orae, 8 t^ et t^ 9 di^ noctuquae Z. 5 fol. 54^ App. 13 2 irae pedae ; 3 n§c, harundin^ ; 4 panderae ; 6 amor^ ; 11 trepidantae ; 14 orb^: Z App. 13 2 atquae; 6 d^cus; 7 piae, uiuerae; 10

112 Wilhelm Meyer,

uicae; 11 dulcedinQ ; 13 m§cum: U mit V. 13 beginnt fol. 65* 13 obteneat 2J App. 14 4 iurae senilae; 5 dulcae; 8 mnlti-

plicar^; 10 regionae: 2J App. 15 1 materquae sororquae U

App. 16 7 principe; 8 amor^; 9 qnoqu^ H 10 rapiar 2 App. 17 mit no 17 beginnt fol. 55^ 5 Hec longeua Z App. 18 1 orb^; 3 fort^, region^; 4 irae; 7 pector^ presens;

8 qae; 10 que; 12 quoqu^ E App. 19 3 und 4 prestet;

9 aesca: 2 6 dui 2: 13 fol. 56» 14 animas Z App. 20 6 noct^, diae : Z App. 21 3 uber^ ; 9 qu^ ; 10 opae ; 13 pr^cor : Z App. 22 1 presens ; 3 qu^ ; 12 dulcQ ; 14 lauar^ ; 19 longeua, mess^ ; 20 quQ : Z mit V. 9 beginnt fol. b6^ App. 23 2 pre- sente; 8 quQ; 9 fort^; 10 calent§; 11 qnoqu^; 16 fig^; 17 uolu^; 29 hec; 30 quoquae: Z 13 qm = quoniam mit V, 19 beginnt fol, 67* 22 corde Z 25 adta ala mos; ta ist ausradirt, doch stand es sicher da Z 30 me fehlt , doch hat Z memorare

App. 24 2 pector§; 3 murmor§; 4 ment^; 5 andir§; 7 sumerQ;

10 tacÜQ; 11 reddit^, dfie; 14 nequae uellae; 15 remear^; 16 uer- berQ uocq: Z 2 uerba dare Z.

App. 25 3 quae, redderg; 6 presentes, amorae: Z mit V. 4 beginnt fol. 57^ App. 26 5 dat^; 6 que: Z App. 27

9 pietat§ ; 12 que : Z App. 28 3 que ; 10 iuuar^ ; 12 leuae ;

13 utrisqu^; 14 atqu^: Z mit V. 10 beginnt fol. 58*.

App. 29 1 gurgitae; 10 celo; 13 caernerae, materquae; 16 fertae; 17 commendatae; 18 amorae: Z App. 30 3 que; 6 uentrae: Z mit V. 6 beginnt fol. 58^ App. 31 2 que, red-

derae Z.

Fortunat II 16 de S. Medardo, umgearbeitet in den Legendarien Wie die Grelehrten der Merowingerzeit mit

den Texten umgingen, will icb mit den Veränderungen illustriren, welche das große Gredicht des Fortunat über Medard (II 16) unter ihren Händen erlitten hat. Diese 166 Verse wurden auch in eine Sammlung von Legenden aufgenommen. So stehen sie in der mit Uncialbuchstaben geschriebenen und in's 7. Jahrhundert gesetzten Handschrift in München no 3514 (August, civitatis 14 = Ä) p. 239 'Item vita sancti Medardi episcopi', deren Collation Bruno Krusch mir überlassen hat. Dann steht dies Gedicht in der im ersten Viertel des 9. Jahrhunderts in Reichenau geschriebenen Hand- •chrift, Karlsruhe no 136 f. 26^ 'Fortunatus presbyter conposuit äc (hanc) uita uel actus sancti medardi episcopi', = Ä"; die ein- zelnen Distichen füllen je eine Langzeile; eine Vergleichung ver- danke ich Alfred Holder. Eine andere Abschrift nannte mir

' über Handschriften der Gedichte Fortimafs. 113

Krasch: in Paris Fonds Cluni no III, saec. XI. Endlich Ist die Abschrift, welche Leo mit Ba bezeichnet (S. 44: iternm legitnr in i^ = Parisinus lat. 8090, post carmen de laudibus Mariae f. 185^), auf diese Fassung zurückzuführen. Diese Abschrift scheint widerum nach dem echten Text des Fortunat etwas gereinigt zu sein; wenigstens notirt Leo aus Ba viel weniger Varianten, als A und K bieten.

Ich notire nur, was A und B gemeinsam haben oder was Ba (nach Leo's Noten) mit einer dieser beiden Handschriften gemeinsam hat; nicht notire ich die zablreichen Lesarten, welche nur 1 Hand- schrift bietet. Auch so bleibt eine Menge starker Varianten. Dennoch, so alt auch diese Ueb erlief er ung ist, mir wenigstens scheint keine einzige dieser Varianten richtig zu sein; alle also scheinen nur durch die Gedankenlosigkeit oder die Keckheit der merowingischen Schreiber herein gekommen zu sein.

3 oris: uris K, ures A, aruis Ba 9 tellore Z, tollore A 10 tenens KA 11 triumphis AK 12 dans AK 16 replet AKBa 20 carne salens AK 22 tuos: tibi AKBa 23 ducet AKBa 24 quod AK 27 cum ABBa] uitam AK 31 'causas p. latenter co(fd' Leo-, causas p. latentes AK 32 sedet oder sedit coäd.: redit AKBa 33 perfecto AK] uoto om. AK, furto Ba] quodam über der Zeile A 35 simel AK 36 foras etliche Hften und AK 43 incepit viele Hften, in*epit A^, incipit einige Hften und KA^ 44 cupit: uenit AKBa 45 sanctae AK 46 ductus AK 50 teneri AK 51 hyatum AKBa 53 apertas AKBa 55 Nihil ualet AK 58 sonum AK 59 Aedificat ade. AKBa damnat om, AKBa 61 absoluisse AKBa 61 amorem AK 62 ut: ne KBa, se(?) A^ 63 Incipiens AKBa] quaerolam Z", quae- solam A 67 composito: contemplatü /f, contemplatu A, prelato Ba 71 redire K, redi A^ Et sopor: Stupor AKBa 72 tuos AK 75 stupere KA^ 81 elefantum und possunt AKBa 82 rigidus AK 84 libicis AK 87 tot: ut AKBa 87 legatus AK 88 quo : que KA^, que A^ 89 Cu sole darentur K, Consolaretur A 89 stupuere AK 90 tinnierunt AK, tinnierant Ba] cum crep. : concrepuere AK 90 for^ K, fore A^, fores A^Ba 91 nimium AKBa 97 diues K, diuis A^ 101 crededit AK 107 Inclusus AK] digitus K 109 Secum nata: Seducta nam AK, Et ueterana Ba 112 tumolus A] tuü tumulü K 114 Disperata AK 115 umor: usus AKBa 119 incipit KBa 120 fuit: fascis AK, facis Ba 121 profugus K, profutus A^, profugis A^ 121 reddidit artus om. A 122 reddedit AK 123 puella AK 124 animum tribues AK] animo Ba 125 Disponsata AKBa

Kgl. Ges. a. Wiss. Nachricliton. Philolog.-histor. Klasso 1908. Heft. 1. 8

114 Wilhelm Meyer, über Handschriffen der Gedichte Fortunat's.

126 talamus AK 128 frneris AK uota tenenda AK, uota te- nendo JBa 129 honestum AKBa 131 Adquiret cunctus AK 138 perit: tulit KBa, tullit A 141 quanto AK 143 hunc: ut AKBa 146 tnnsus AK 147 Abstulit liinc criminis nitidus KBa und (crimenis nitedus) A 148 amat AKBa 151 solneret AK, solnerit Ba 152 caecus AK reuocata: rediuiua KABa 153 Tandem limate AKBa 155 flagrante: manente AK, manante Ba 157 uerbo qui AKBa 160 uide: fuit AKBa 161 In tua templa leuaait nimium AKj Haec tua templa leuat nimium Ba 162 In- sistens fuit operi prumptus AK 163 Culmina custodi: Requiem praestare AKBa 164 tibi: tua AKBa 165 parua AK.

Aporien im vierten Evangelium

n

Von E. Sehwartz

Vorgelegt in der Sitzung vom 21. December 1907

Nach der synoptischen Tradition ist lesus nur einmal nach Jerusalem gegangen; sein erster Aufenthalt dort war auch sein letzter, und es will nichts besagen daß die Kindheitsgeschichte Luc. 2, 41 ff. ihn als Kind mit seinen Eltern zur Paschafeier in die heilige Stadt pilgern läßt. Dagegen baut das vierte Evangelium lesu Wirken und Leiden ganz anders auf. Grieich zu Anfang er- scheint er zum Pascha in Jerusalem [2, 13. 23], hält sich eine Zeit lang in Tudaea auf [3, 22] und kehrt über Samarien, Vier Monate vor der Ernte' [4, 35], nach Galilaea zurück [4, 3. 43. 45]. Dann reist er zu einem nicht näher bestimmten Feste zum zweiten Male in die Hauptstadt [5, 1] , setzt darauf ich referiere nach dem Text über den See von Tiberias, kurz vor dem Pascha [6, 1. 4], und kehrt, auf wanderbare Weise, nach Kapernaum zurück [6, 24. 59]. Er 'wandelt danach in Galilaea', um vor den Juden sicher zu sein [7, 1. 9], geht aber doch zum Laubhüttenfest zum dritten Male 'hinauf [7,2. 10]. Während der Enkaenien (am 25. Kislev), im Winter, ist er noch da [10, 22] , zieht sich dann aber vor den Nachstellungen der Juden in die Peraea zurück, an den Ort Vo Johannes taufte' [10, 40]. Auf die Nachricht von Lazarus Krank- heit reist er mit den Jüngern nach Bethanien [11,1. 18], wandelt jedoch nach dessen Erweckung nicht öffentlich in ludaea, sondern geht mit den Jüngern nach Ephraim [11,54]. Sechs Tage vor

8*

116 E. Schwarte

dem Pascha [12, 1] kommt er nach Bethanien, am Tage danach zieht er in Jerusalem ein [12, 12]. Die Tage bis zur Passion werden nicht gezählt; diese selbst wird auf den Tag des Pascha gelegt.

Schon eine oberflächliche Betrachtung lehrt daß in diesem Aufbau allerlei sich nicht recht zusammenfügt. Der Anschluß von Cap. 6 an 5 ist so schlecht, daß immer wieder der Gedanke auftaucht durch Umstellung einen besseren Zusammenhang zu schaiFen; 7, 1 paßt sehr viel besser hinter Cap. 5 als hinter Cap. 6. Aber die Umstellungen bringen doch keine Heilung für all die Schäden, die ein aufmerksames Auge in immer größerer Anzahl entdeckt, je schärfer es hinsieht. In merkwürdiger Weise nimmt die Empfindlichkeit der Juden gegenüber Jesus zu, ohne daß das Evangelium ein Wort darüber verliert. Er provociert sie bei seinem ersten Auftreten durch die Tempelreinigung und den be- rühmten Spruch 2, 19 so stark wie es überhaupt nur möglich ist *) : sie antworten im friedlichen Disputierton, ohne irgend etwas gegen ihn zu unternehmen; nicht einmal das wird ausdrücklich gesagt, was alle Interpreten xatä t6 ötco7t6^svov ergänzen, daß aus Furcht vor den Juden Nikodemus Nachts zu lesus kommt. G-anz anders schätzen die Synoptiker jenen Spruch ein : Marcus [14, 58] und Matthaeus [26, 61] berichten daß er lesus beim Verhör vor dem Hohenpriester als ein Hauptpunkt der Anklage vorgehalten wurde, und suchen ihn als falsch zu erweisen ; Lucas [22, 66 ff.] läßt ihn fort, aus demselben G-runde, weil er lesus von dieser Blasphemie rein halten wollte. Dagegen ist im weiteren Verlauf des vierten Evangeliums für lesus schon das ein Grund ludaea, nicht nur Je- rusalem, zu verlassen, daß die Pharisaeer gehört haben, er habe mehr Jünger und taufe mehr als lohannes [4, 1]. Auf der zweiten Reise wird er wegen einer Heilung am Sabbat 'verfolgt' [5, 16] ; ja die Juden wollen ihn tödten [5, 18]. Doch wird diese Gefahr zunächst nicht ernsthaft genommen, taucht aber bei der dritten E-eise wieder auf [7, 13. 19], unvermittelt, als wäre im 7. Capitel von V8. 19 an die Situation die gleiche wie im 5. Die galilaeischen Wunder werden gezählt [1, 11. 4, 54], als wenn die 'vielen Zeichen', die er gleich am Anfang in Jerusalem tat [2, 23. 3, 2], für nichts zu rechnen seien; noch dazu ist der Ausdruck 4,54 tovto tcocXlv dsiksQOv 6ri(i£tov ixoCriöev 6 *Iri6ovQ iXd-osv ix tfjg ^lovdaiag stg xiiv

1) Das ist, wie manches andere auch, mit Recht von K. Schulz Zeitschr. f. ncut. Wiss. 8, 243 ff. hervorgehoben. Ich lege um so größeren Wert darauf mit ihm in Anstößen übereinzustimmen , als die liösung des johanneisrhcn Problems, die ihm vorschwebt, meinen Anschauungen dircct entgegengesetzt ist.

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raXdaiav ungeschickt, denn er heißt wörtlich, daß dies das zweite Zeichen war, das lesus nach seiner Eückkehr von Grälilaea in ludaea tat: so kanns aber nicht gemeint sein.

Das alles macht stutzig und regt zu Zweifeln an, ob dieser Aufbau eine in sich geschlossene Conception ist. Eine Stelle des 7. Capitels [3] bringt m. E. die Entscheidung. Die 'Brüder' sagen zu lesus : \iisxdßri%^i ivvsvd'ev xal vTtays eig v^v lovSatav, iva xal ot ^a- d'tjtac 60V d-£C0Q7](3(o6Lv TU EQyu 6ov ä jcoistg ' ovdelg ydg n iv TCQVTCtmc TCoist Kai ^rjtet avtb^) iv 7caQQr]6LccL slvai. 'Ziehe von hier fort nach ludaea': es ist nicht, wie es nach dem Folgenden scheint, von einer Reise zum Laubhüttenfest die Rede, sondern davon daß lesus den Schauplatz seines Wirkens oder um es grade heraus zu sagen, seiner Wunder nach ludaea verlegen soll. 'Die Jünger' sind ein falsches Explicitum. Es können nur die Jünger gemeint sein, die lesas in ludaea schon hat, und das giebt keinen Sinn. Denn wollte man sich auch auf 2, 23 berufen, so würde das nichts nutzen. Diese Gläubigen sind ja durch die vielen Zeichen bekehrt, haben also die Taten lesu gesehen. Man muß das verkehrte Subjekt fortdenken, dann treten die Juden, die aus triv 'lovöaiav ohne Weiteres ergänzt werden, an Stelle der Jünger, und der Sinn kommt heraus, den das Folgende verlangt: lesus soll sich öffentlich als Wundertäter zeigen um seine Gegner zu widerlegen. Im vorliegenden Text sind die leiblichen Brüder lesu^) diejenigen welche den Rat geben; nur auf sie paßt der erklärende Zusatz [7,5]: ov8\ yccQ ot ddElcpol avtov iitC^xevov sig avtov. Der Rat steht allerdings Ungläubigen schlecht an^); er kann ursprünglich nicht von Ungläubigen mit der Beziehung auf Gläubige, sondern nur von den Jüngern mit der Beziehung auf die welche noch nicht glauben, gegeben sein, und die ungläubigen Brüder s'ind nur hineingebracht um lesu Predigt gegen die Welt einen Anlaß zu schaffen : was sie am Schluß sagen [7, 4] : et xavra Ttotstg, cpaviQG)6ov ösavtbv xcbL 7cö6^(dl, ist eine schlechte Doublette dessen was vorher präciser gesagt ist. Jene Predigt aber sprengt den ursprünglichen Zusammenhang, der in 7, 3 noch deutlich hervortritt. Denn in ihr schiebt sich an Stelle des ^sxaßrjvccc die Reise zum Laub-

1) So ist mit BD für aMs zu lesen.

2) Sie kommen im vierten Evangelium nur noch einmal vor, in dem Flicken 2, 12, der für den Zusammenhang der Erzählung nichts bedeutet und wohl nur den Anschluß an Mt. 4, 13 herstellen soll.

3) Chrys. t. VIII p. 284c xat noicc, cprioiv, iimatCa IvxavQ'a] 7taQUY.aXov6i yag avxbv ^ccviLaxovqyfiGai , , . yial do-KSi: [ilv 'fj oc^LaOLS Sfjd'SV cpiXcov slvau

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hüttenfest; lesus will sie nicht antreten, weil seine Zeit noch nicht erfüllt sei, d. h. weil das Pascha noch nicht gekommen ist, an dem er sterben wird ^). Man wnndert sich darüber daß bei den beiden früheren Festreisen solche Erwägungen völlig aus dem Spiel bleiben ; noch seltsamer ist aber, daß lesus seine Weigerung gar nicht durchhält^), sondern doch zum Fest reist, und zwar heimlich [7, 10]. Auch darin ist er nicht consequent ; in der Mitte des Festes geht er in den Tempel und lehrt dort so öffentlich, wie nur möglich: das Motiv der heimlichen Reise ist zu nichts anderem da als den Widerspruch oberflächlich zu vertuschen, der zwischen der scharfen Abweisung der Brüder und der Festreise klafft.

Der Eat nach ludaea zu ziehen und dort öffentlich für seine Sache zu wirken, hat nur dann Sinn, wenn lesus bislang nicht dort gewesen ist. Das widerspricht aber der vorausgegangenen Erzählung, und der Widerspruch ist um so schwerer, als weder die wiederholten Festreisen lesu noch der Rat den ihm die 'Brüder' erteilen, irgendwie aus der synoptischen Tradition stammen, son- dern beides freie Erfindungen sind, bei denen am ersten einheit- liche und consequent e Durchführung zu erwarten ist. An einem wichtigen Punkte, da wo eine der schwersten Differenzen zwischen dem vierten Evangelium und der Überlieferung liegt, bricht das Gefüge seiner Handlung auseinander: um seine Einheit ist es geschehen.

Es ist nicht schwer zu sehen daß die wiederholten Festreisen das secundäre Motiv sind, das den ursprünglichen Aufbau zer- sprengt hat. Nur das erste der im Evangelium erwähnten Pascha- feste hängt mit der Erzählung selbst zusammen, und da ist der Zusammenhang mitsammt der Erzählung übernommen. 2, 13 23 sind wirklich nur ein schlechter Abklatsch der Synoptiker. Die scheinbar imposante Provocation der Juden, um so imposanter als lesus erst ein Zeichen in einem abgelegenen galilaeischen Dorf vollbracht hat, ist ein Stoß ins Leere, und die Erzählung so un- geschickt geführt, daß mit 2,23 ag ds riv iv totg 'hQoöolv^oig iv xm na6xa (oder iv tfjt ioQrfjv)^) neu eingesetzt werden muß.

1) Der Ausdruck 6 ifibg ytccigbg oihto) nsnl-^gcavai noch Mo. 1, 15. Mt. 26, 18. Im vierten Evangelium steht für xaigdg gewöhnlich mgcc: 2,4. 17,1. 12,23. 27. 13,1. 7,30. 8,20. Die Stellen sind wohl durchweg secundär; 2,4 ist der vorlie- genden darin verwandt daß lesus nur pro forma ahlehnt.

2) Chrys. t. VIII p. 280» sC yap iituör] b v-aiQbs o^co nagfjv , dicc tovxo oi}% &vißr], i%Qi)v ftTjdi oXog &vaßi]vai.

3) Die Doppellesung ist in der Ueherliefenmg zusammengelaufen; ähnlich 6, 1 ntQCCv xfii d-aXdoarig tijg FaXilaiag rf]g TißsQiddog.

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Das Gespräch mit Nikodemus wird so eingeleitet, als sollte es besondere Folgen haben; der vornehme Pharisaeer, der nächt- licher Weile zu dem G-alilaeer kommt, ist ja ein Bild das Prediger und Maler begeistert. Es bleibt nur bei dem poetischen Anlauf; lesus vergißt von 3, 13 an völlig den Besucher und redet ohne Rücksicht auf den oder die welche er vor sich hat ; wo Nikodemus bleibt und wie die Rede auf ihn wirkt, wird nicht gesagt.

lesus hält sich 3, 22 mit seinen Jüngern im iudaeischen Lande auf und tauft dort, d. h. er stiftet eine Gemeinde : nach 7, 3 soll er das erst vollbringen. Er rivalisiert mit Johannes, der in Ainon bei Salem ebenfalls tauft, und man muß nach 3, 26 annehmen daß beide nicht weit auseinander sind. Nach der Tradition aber liegen Ainon und Salem 8 Millien s. von Skythopolis, an der Grenze von Samarien und Galilaea, weit von ludaea fort [Eus. onom. p. 40, 1] ; der geographische Fehler ist mindestens ebenso stark wie die be- rüchtigte Verlegung von Bethanien in die Peraea [1, 28]. Aber auch einmal zugegeben daß der vierte Evangelist von Geographie nichts verstand, wozu freilich die raren Ortsnamen schlecht passen wollen, der Uebergang 4, 1 if. ist, rein sprachlich betrachtet, eine Ungeheuerlichkeit: cbg ovv syvco 6 ycvQiog on iJKovöav ot (^agiöatoi Ott, ^Irj6ovg TtXsLOvag ^ad-riräg itoiei xal ßctntClsi -Jj Icjccvvrjg^ Tcaitotys *Ir}6ovg avrbg ovk ißccTttL^sv aAA' ol ^ad-r^tal ccvtov, äg)7jxsv rriv 'Tov- daiav xal ocTCfjXd'sv TtdUv stg rriv rahXaCav. So ist überliefert ; die Varianten sind nichts als mehr oder weniger ungeschickte Ver- suche den Text von seinen Anstößen zu befreien. Zunächst hebt sich in dem Concessivsatz deutlich das Bestreben ab den Wider- spruch gegen die Synoptiker zu beseitigen, daß Jesus tauft. Frei- lich ist die Correctur lahm und müßte schon zu 3, 22 gesetzt sein ; das ist aber unterblieben um Johannes Rede für Jesus nicht un- möglich zu machen. Derartige Berichtigungen, die immer leicht auszuscheiden sind, kommen mehrfach vor ^). Aber die Entfernung dieses Zusatzes hilft der Stelle nicht auf. Woher plötzlich die Pharisaeer auftreten, weiß niemand zu sagen, und vor allem, was ist das für eine Rede die zunächst syvco 6 xvQcog setzt und in dem zweiten davon abhängigen Satz Iriöovg wiederholt? Das vierte Evangelium pflegt außerdem Jesus nicht 6 zvQLog zu nennen ; diese

1) 7, 22 wird der Satz Moovafjg diScoKSv v^lv tr]v nsgito^riv corrigiert : ov;^ oti Ix Tov MavGEoi? iariv, ccXX' fx räv TtcctSQcov. Dieselben Partikeln leitBn 6, 46 das Citat von 1, 18 ein, durch das 6, 45 näg 6 Scnovaag nccQcc tov nargög yiccl (lad-mv eQxsTcct ngbg ifis berichtigt werden soll: ovx ort xhv TtccveQa soqcchev rig, bI ^i] 6 (ov naqu tov -O-fo-D, ovtog eoqcchsv tov Ttarsga.

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Bezeichnung ist dem Verfasser des 21. Capitels [12] eigen, und er hat sie an den wenigen Stellen wo sie vorkommt^), eingeschmug- gelt. Streicht man syvG) 6 xvgiog ort, so wird der Temporalsatz in sich verständlich, aber zugleich ein Rest, der zum Folgenden nicht paßt. Der Uebergang ist also nur durch eine ungeschickte Erweiterung eines älteren Textes bewerkstelligt, der für einen anderen Zusammenhang geschrieben war.

Ungeschickt wie die samaritanische Reise eingeleitet wird, wird sie auch beschlossen: 'die Galilaeer nehmen lesus an, weil sie alles gesehen haben, was er zu Jerusalem am Feste tat: denn sie waren auch zum Fest gegangen [4, 45]'. Darüber muß sich ein Leser geärgert und an den Rand geschrieben haben: ambg'lriaovg i^aQtvQTjaev [Mc. 6, 4. Mt. 13, 57. Lc. 4, 24J ort TtQocpTJtrjg iv trjL idiai jcavQLdi ti^riv ovx aiei^ wobei er freilich TtaxQig als 'Vater- land', nicht, wie es sich gehört, als 'Vaterstadt' nahm. Diese Randbemerkung ist, mit einem sinnlosen yaQ versehen, in den Text geraten^). Wem das zu gewaltsam dünkt, der muß an- nehmen daß vor 4, 44 mehreres gestrichen und 4, 45 ein falscher Zusatz ist. Jung ist diese Erfindung auf jeden Fall. Sie bleibt ohne alle Folgen ; nirgendwo ist davon die Rede daß ganz Galilaea lesu wegen der Wunder die er tat, zugefallen sei, dagegen war 3, 22 erzählt daß er durch Taufen Anhänger gewinnt. Verdächtig- ist außerdem die allgemeine Erwähnung all der Wunder die Jesus am Fest getan haben soll. Das vierte Evangelium legt frei- lich großes Gewicht auf die Wunder; wie längst beobachtet, sind sie erheblich massiver als die der synoptischen Ueberlieferung ^).

1) 20, 18 ^QXBxai MaQiafi 7] MaydaXrivr} Scy/eXlovacc totg (icxd'rjTaLg ort £6qcc-kcc zov %vQiov xat xavxa unsv avzrji: die erste Hälfte in directer, die zweite in in directer Rede schließen sich aus. 11,2 nimmt in unerhörter Weise 12, 1 ff. vor- weg, vgl. Wellhausen 35. 6, 23 steht an einer Stelle die von Schwierigkeiten wimmelt: die Speisung der 5000 wird hier als Eucharistie hezeichnet, aber der dafür charakteristische Singular scpayov xov agxov stimmt nicht zu der aus den Synoptikern abgeschriebenen Erzählung. Ucbrigens wirft Irenaeus den Valentinianern vor daß sie lesus nicht yivQiog nennen wollten, 1, 1, 3 = Epiphan- 31, 10 p. 176^ : nach ihnen kam der Name der Achamoth als der eigentlichen Herrin der Welt zu [Iren. 1, 5, 3 = Epiph. 31, 18 p. 186^]. Sie sagten statt wQiog oaxTJQ: auch dieser Name steht nur 4,42 und 1 lo. 4, 14; letztere Stelle ist sicher interpoliert [vgl. Nachr. 1907, 366J.

2) Man kann die Einschaltung von 21,23 vergleichen.

8) Allerdings fehlen die Teufelaustreibungen [Bretschneider, Probabilia 119], aber nicht weil der vierte Evangelist dafür zu aufgeklärt war, sondern weil ihm diese Wunder zu leicht für lesus vorkommen. Teufel austreiben konnten die Jünger auch, wenns auch gelegentlich schwierig wurde, Mc. 9, 28 f.

Aporien im vierten Evangelium II 121

Aber die Wundertätigkeit lesu wird zu einzelnen scharf heraus- hobenen ccQsral ^eov, 'Heldentaten des Gottes', um antik zu reden, condensirt: sie werden gezählt, wenigstens am Anfang [2, 11. 4, 54], und dazu paßt das unbestimmte Gerede von den 'vielen Zeichen* nicht ; wo es vorkommt, bleibt es immer schattenhaft und ist ver- dächtig ^).

5, 1 wird das Fest nur allgemein bezeichnet ; von der Sorge, die 4, 1 Jesus aus ludaea, geschweige denn aus Jerusalem vertreibt, ist nicht mehr die Rede. Ich habe schon darauf aufmerksam ge- macht daß die Gefahr in die Jesus durch die Juden gerät, sich verflüchtigt, ohne daß ein Wort darüber verloren wird, und dann im Cap. 7 wieder auftaucht, ebenso unvermittelt, wie sie vorhin verschwunden ist : dazu tritt der gewaltsame Anschluß von 6, 1, der fast so klingt als läge der See von Tiberias in Judaea. Die Motivirung die 7, 1 steht, gehört eigentlich an den Anfang des Capitels, das vorausgeht. Auf die merkwürdigste Weise ist in 6, 4 eine Zeitbestimmung eingeschaltet : rjv öe iyyvs tb nddxa ri ioQzri tav 'lovdaicov: es scheint als sollte sie ebenso wie der ver- dächtige Vers 6, 23 die Speisung der Fünftausend als Eucharistie charakterisieren.

Durchweg erweisen sich die Uebergänge und Zeitbestimmungen die das Gerüst der Erzählung vom ersten Wunder in Kana bis zur dritten Reise nach Jerusalem zusammenhalten sollen, als schlechte und ungeschickte Flicken, die darum doch nicht beseitigt werden können : denn ohne sie stürzt die ganze Handlung zu- sammen. Daß die Reise zum Laubhüttenfest im 7. Capitel den Zusammenhang stört, ist oben schon nachgewiesen, und ebenso wenig tragen die Erwähnungen des Festes die in die Erzählung von dem Auftreten Jesu in Jerusalem eingestreut sind, dazu bei die Situation anschaulicher zu machen; im Gegenteil, auch sie ver- wirren nur. 'Jn der Mitte des Festes gieng Jesus in den Tempel

1) 2,23; im Folgenden taucht mit 'dem Menschen' ein anderer nicht mehr aufzuklärender Zusammenhang auf. 3,2.-6,2 ist nach den Synoptikern ge- macht, vgl. Mt. 15, 29 ff. Lc. 9,11. 7,31. 10,32 in scharfem Widerspruch zu 7,21. 11,47. 12,37. Es ist zu beachten daß die 'vielen Zeichen' nur in Reden und Motivierungen oder in dem eingelegten Raisonnement 12, 37 vor- kommen, niemals in der Erzählung selbst, wie oft bei den Synoptikern ; sie werden eben nach diesen vorausgesetzt und gehören in die festgeschlossene, sich bis zur Todtenerweckung steigernde Mirakelreihe des vierten Evangeliums nicht hinein. Chrysost. t. YIII p. 295 e bemerkt zu 7,31: Ttoaa arnisicc; xal iiriv xqCo. iqv üri fjLEia, tb Tov oi'vov v-cu xh tov TtKQKXvtLV,ov Y.cc\ xo xov vtov xov ßaadiyiov -aal ovSsv diJiyriaaxo tcXeov ö evayysXiati^s.

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und lehrte' [7, 14]; man kann Mc. 11, 27 fF. Mt. 21, 23 ff. Lc. 19, 47. 20, 1. 21, 37 als Parallele ansehn. Aber es ist doch seltsam, daß 7, 19. 25 das Motiv des 5. Capitels wieder auftaucht, während man zunächst annimmt, daß Jesus ruhig im Tempel lehrt. Nach 7, 32 schicken die Pharisaeer und Hohenpriester Büttel aus ihn zu ver- haften ; sie kehren 7, 45 ohne ihn zurück. Das muß an einem und demselben Tage gewesen sein, und doch steht 7, 37, also zwischen der Aussendung und der Rückkehr der Büttel, eine Tagesangabe, gleich als ob eine neue Erzählung einsetzte : iv 8s tfJL iöidtrii rjfiegai tr}L fisyciXriL rijs ioQtfjg eLötr]xei 6 'lr](30vg xal exQu^sv Xsycov. 10, 22 rückt die Zeit plötzlich kräftig vor, von Laubhütten zu den Enkaenien; aus dem Herbst ist Winter geworden. Aber lesu Rede biegt nach den ersten Worten 10, 26 in den Zusammenhang ein, in denen sich die Ausführungen über den Hirten und seine Schafe 10, 1 ff*, bewegen : wieder reißt eine Zeitangabe mit dem Wenigen, was an sie angeschlossen ist. Zusammengehöriges auseinander^).

Die Feste hängen nicht mit der Erzählung zusammen, sie siad ihr vielmehr aufgedrängt, und mit ihnen auch die von den Festen abhängige und durch sie angedeutete Chronologie, die die Wirk- samkeit lesu auf mindestens zwei Jahre ausdehnt. Mit dieser ein- gefügten Zeitrechnung verknüpft sich ein zweites, ebenfalls chro- nologisches Problem. Nach 8, 57 ist lesus, als er zum dritten Male nach Jerusalem kommt, nahezu 50 Jahre alt; anders kann 7Csvt7}xovta hl] ovjtG) BxBig nicht verstanden werden. Bei dem seltsamen ersten Auftreten lesu in Jerusalem scheint ein gleiches oder, wie ja auch billich, etwas geringeres Alter vorausgesetzt zu werden. Wenigstens liegt es sehr nahe die nicht ohne Weiteres plausible^) Bauzeit von 46 Jahren die die Juden dem Tempel zu- schreiben, als eine ungewollte, aber bedeutsame Anspielung auf lesu Alter zu verstehen; denn 'er redete von dem Tempel seines

1) Die Halle Salomos 10,23 ist aus der Apostelgeschichte bekannt; das 'Schatzhaus' 8, 20 dürfte eine schemenhafte Reminiscenz an Mc. 12, 41 = Lc. 21, 1 sein. Ungehörig ist auch G, 59 rctvxa slnEv iv GvvaymyfiL diSdoyuov iv Ka- (paQvciov(i. Wann ist er denn hineingegangen ? 6, 25 findet ihn 'die Menge' negav TTig ^aXdaaris ; 6, 41 tauchen plötzlich die Juden auf. Auch hier hat wohl Mc. 1,21. 6, 2 ff. Lc. 4, 16 ff. 31 ff. Mt. 13, 54 ff. eingewirkt; vgl. 6,42.

2) Origenes hat Recht, wenn er sagt [comm. in lo. 10,254] n&g tsaasgd- %ovxa xal V| hsaiv ML-noSofiijad-ai cpaoi thv vccbv ot ^IovScclol, Xiysiv ovn i%o^BVy bI Tfji taroQi'ai ^ara-noXovd'i^aoiisv. Der von mir unternommene Versuch die Bau- zeit historisch zu erklären [Abhdlg. VII 5,8], ist gescheitert; die Sache liegt einfach so, dafi sie nach dem angenommenen Alter Jesu fingiert ist.

Aporien im vierten Evangelium IT 123

Leibes.' Wie dem aber auch sein mag, daß 8, 57 im Widerspruch zu der berühmten Stelle Lc. 3, 23 lesu Alter nicht auf dreißig sondern fast fünfzig Jahre angegeben wird, das steht trotz allen harmonistischen Künsteleien fest. Das Gleiche berichteten die ^Presbyter' auf die sich Papias berief [Iren. 2, 22, 5]. Daß diese dafür wirklich den Apostel Johannes als Gewährsmann anführten, braucht man Irenaeus nicht zu glauben, und ich möchte auch nicht mehr so bestimmt wie vor Jahren behaupten daß diese Presbyter- überlieferung einfach auf die Stelle des vierten Evangeliums zu- rückläuft; es kann jedenfalls nicht bezweifelt werden daß die Meinung, lesus sei ungefähr 50 Jahre alt geworden, in Asien ver- breitet war. Sie hatte dogmatische Gründe, die nicht erraten zu werden brauchen: sie stehen bei Irenaeus [2,22]. Dieser gibt sich große Mühe die Angabe des Lucas mit dem vierten Evangelium zusammenzubringen; denn er kämpft gegen die Typologie der Valentinianer, nach der die 30 Lebensjahre lesu ein Symbol der 30 Aeonen waren ^). Das wirft ein Schlaglicht auch auf die Pres- byter des Papias, der in der Vorrede seines Werkes gegen die Gnosis polemisirt [Abhdlg. YII 5,11]: auch jene werden mit der 'Ueberlieferung' von den 50 Jahren gegen das valentinianische System haben kämpfen wollen. Wie die 30 Lebensjahre auf die Gesammtzahl der Aeonen, so wurde die Passion lesu im zwölften Monat seiner Wirksamkeit von den Valentinianern auf die Leiden des zwölften Aeon, der Sophia, bezogen ^). Augenscheinlich ist daraus daß bei den Synoptikern nur das eine Pascha der Passion vorkommt, abstrahirt daß lesu Predigt kein volles Jahr umfaßte; der Ansatz des Epiphanienfestes auf den 11. Tybi [6. Januar], der zu dieser Rechnung nicht stimmt, stand Yalentinus und seiner Secte noch nicht im Wege, andererseits stützten sie ihre Berech- nung durch die Weissagung les. 61, 2 [Iren. 2, 22, 1]. Auch gegen diese Typologie führt Irenaeus [2, 22, 5] das vierte Evangelium ins Feld, den Widerspruch gegen die Synoptiker verschweigend.

Nach der allgemein herrschenden Anschauung setzt die va-

1) Iren. 1,1,3 = Epiphan. 31,10 p. 176i> dia tovto rbv UatfJQa Xsyovaiv {ov8s yag hvqlov a'bxov 6vo(id^siv ^iXovGiv) tQidv.ovxa hs6i v,ata xo cpccvsgbv [iridev cnpfjrotTjxfWt, iTtidsLHvvvxa x6 [ivöx'^qlov xovxav xcbv Alcavayv. Ebenso 1, 3, 1 = Epiphan. 31, 14 p. 179d. 2, 22, 1.

2) Iren. 1, 3, 3 = Epiphan. 31, 14 p. 180c xb ds Ttsgl xbv dmdhaxov Almva ysyovbg Ttccd-og vno6ri^aCvEü%-ai Xsyova ... ort rwt dadsndxcoi. firivl 'mtc^Bv. iviavxm yccQ svl ßovXovxcci. ccbxbv fisxcc xb ßccnxiGfta avxov y,syir}Qvx^vai,.

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lentinianiscbe Gnosis das vierte Evangelium voraus*). Für die Schüler und Nachfolger des Meisters trifft das in der Tat zu: keine Spur deutet darauf hin daß die Valentinianer sich der ße- ception des Evangeliums widersetzten, im Gregenteil läßt sich trotz der dürftigen Ueberlieferung noch jetzt erkennen daß sie es rasch aufnahmen und für ihre Lehren verwerteten. Herakleon würdigte es eines ausführlichen Commentars, Ptolemaeos interpretierte den Prolog^), die Valentinianer der Excerpte des Clemens^) und Hip- polyts^) berufen sich wiederholt auf Stellen aus dem Evangelium. Dem ist aber nicht immer so gewesen.

Nach der ur christlichen Anschauung giebt es nur ein Evan- gelium von lesus Christus ; ob es mündlich oder schriftlich über- liefert wird, darauf kommt nichts an. Wird es in einem Buch zusammengefaßt, so erhebt dies regelmäßig den Anspruch ein in sich geschlossenes Ganze zu bieten: es will immer autonom sein, verweist nicht auf andere Darstellungen des Evangeliums und setzt sie nicht als bekannt voraus. Matthaeus schreibt nicht etwa ein Supplement zu Marcus, sondern ein neues und reicheres Evan- gelium in das er Marcus aufnimmt, um ihn überflüssig zu machen. Die Theorie die am Ende des zweiten Jahrhunderts aufkommt, daß das vierte Evangelium die drei anderen ergänzen wolle und

1) So schon Iren. 3, 11,7: hi autem qui a Valentino sunt, eo quod est se- cundum loannem, plenissime utentes ad ostensionem coniugationum suarum\ er verweist auf 1, 8, 5.

2) Iren. 1, 8, 5. Der Satz des Briefes an die Flora, in dem lo. 1, 1 citiert wird, ist schwer verdorben [Epiphan. 33,3 p. 217»]: m ys [ts?] xriv xov >i6a(iov öri^LiovQyiav IdCav [wessen?] Xiyu bIvui ats [td ts Petavius] Ttccvra Si wbrov ysyovivai xal Jjwpls avrov ysyovsv [so überliefert] ovSsv 6 ccnoaroXog Ttgoccnoats- Qi^oag X7}v ta)v tpsvdriyoQOvvTcov &vvn6atatov aotpCav xal ov (fQ-OQonoiov Q-iov, äXXa. Slhulov xal iiiao7tovi]Qov. Das letzte Kolon das mit xat eingeleitet wird, steht in der Luft , 6 ScnoaroXos ist nach constantem Sprachgebrauch Paulus, nicht lohannes.

3) 6, 7 wird die valentinianische Erklärung des Prologs entwickelt; sie stimmt im Wesentlichen mit Iren. 1, 8, 5 überein. Auf den Prolog beziehen sich auch 41 [lo. 1,9] und 45 [lo. 1,1: das doppelte yiyovBv statt iyevsro ist wegen der in der vorigen Anmerkung behandelten Stelle des Ptolemaeos zu beachten]; in der Parallelausführung Iren. 1, 4, 5 = Epiphan. 31, 17 p. 185« fehlt das Citat. 3 wird lo. 20,22 citiert; nebenbei gesagt ist 27 für ^(itpvxov fitvrii nach dieser Stelle ificpvaafiivri' zu schreiben. 23. 32 erscheint der Paraklet, vgl. Iren. 1, 4, 5 = Epiphan. 31, 17 p. 184c und die Aeonentafel 1, 1, 2 = Epiphan. 31, 10 p. 176». 26 wird lo. 10, 7 erklärt, Gl lo. 14, 6, 10, 30. 19, 34, 62 19, 37. 36, 65 2,28. 3,29, 73 10, 11.

4) 6, 35 wird 10, 8 citiert. Die Aeonentafel 6, 30 ist dieselbe wie bei Irenaeus.

Aporien im vierten Evangelium II 125

mit Absicht vieles auslasse was in diesen schon stehe, ist eine un- historische Erfindung : sie widerspricht der alten Weise von Grrund aus und wird durch das Evangelium selbst widerlegt; wenn jetzt in ihm die synoptische Ueberlieferung oft vorausgesetzt wird, so liegt regelmäßig secundäre Ausgleichung mit den Synoptikern vor, die nicht täuschen darf. Damit daß jedes geschriebene Evangelium die Einheit des in der Gemeinde lebendigen Evangeliums darstellen will, ist nicht gesagt daß jeder Evangelist den Anspruch erhob daß seine Darstellung die allein richtige und allein vollständige sei: wenn sie in der Form die Einheit des Evangeliums festhielten, so waren sie sich wohl bewußt daß ihre Bücher nichts als ein unvollkommenes Mittel waren das eine, unteilbare, lebendige Evan- gelium zu übermitteln: nur weil jede schriftliche Darstellung für unvollkommen galt, weil das junge Christentum keinen Qoran hatte wie der Islam, entstanden fortwährend neue Evangelien und wurden die vorhandenen neu bearbeitet. Die 'Schrift', die feststand, war das A. T. : Evangelien, Briefe, Apokalypsen waren ein Neuland, über das jeder der das Charisma spürte, seinen Pflug gehen lassen konnte. Andererseits zwang der Grebrauch in der Gremeinde immer wieder dazu das eine Evangelium in einem Buche zu suchen: die Gemeinde von Rhossos, die nur das Petrusevangelium benutzt, ist ein ebenso lehrreiches Beispiel wie die altsyrische Kirche, die an Stelle der vier Evangelien sofort eine Evangelienharmonie setzt und zäh an dieser festhält. Wenn Basilides seine ^E^rjyrjtixci zu 'dem Evangelium '[Eus. KG 4, 7, 7] schrieb, so war das urchristlich gedacht und der Singular berechtigt nicht dazu von einem Evan- gelium des Basilides in einem anderen Sinne zu reden als wie man von dem Evangelium lustins sprechen kann : er erklärte den evan- geKschen StoiF aus einer ihm speciell zugänglichen Tradition wie Papias die Aoyia xvQiaxd aus der Ueberlieferung der Presbyter, und nur die Willkür mit der er den Stoff ausgewählt haben mag und apokryphe Berichte verwertete, veranlaßte Origenes [hom. in Luc. 1] die Existenz eines svayyeXcov xatä Ba^iXsidriv zu behaupten : das ist schwerlich etwas anderes gewesen als die Textabschnitte die Basilides seinem Commentar zu Grunde legte.

Wie in allem, so nimmt auch in der Frage des Evangeliums Markion eine von der kirchlichen Entwicklung radikal verschiedene Stellung ein: er hat in der Tat aus dem Christentum eine Buch- religion machen wollen. Weil er das A. T., das den christlichen Gemeinden seiner Zeit als die Schrift galt, rücksichtslos jeden Compromiß ablehnend, verwarf, mußte er für die 'Schrift' einen vollwichtigen Ersatz schaffen und führte die Aufgabe mit der für

126 E. Schwarte

ihn charakteristischen Consequenz durch: die markionitischen Ge- meinden haben zuerst einen festgeschlossenen Kanon gehabt; er bestand aus einem Evangelium und den Briefen des Paulus, des einzigen Apostels der lesus verstanden hatte. Hier ist die Ein- heit des Evangeliums sehr viel mehr als ein formales Prinzip : das Evangelium der markionitischen Gemeinde beansprucht ausschließ- liche Geltung und erkennt kein anderes neben sich an.

Die Kirche hat es an litterarischer Polemik gegen die reli- giösen Neubildungen die sich aus ihr und neben ihr erhoben und sie zu zersetzen drohten, nicht fehlen lassen: aber diese Polemik ist es nicht gewesen was ihr den Sieg brachte, sie setzt sogar, wenn die spärliche und chronologisch unsichere Ueberlieferung nicht täuscht, mit voller Kraft erst ein, nachdem der Kampf ent- schieden ist. Ihre Waffe war dieselbe zu der sie in den späteren Jahrhunderten ihre Zuflucht genommen hat bis auf den heutigen Tag, die Organisation : durch die straffe Ausbildung des Episkopats, der durch die ßechtsfiction der apostolischen Succession legitimiert wird, hat sie ihre ins Wanken geratenen Glieder zusammengehalten, nicht durch dogmatische Argumente. Mit dem Instinct der Herr- schaft hütete sie sich davor sich von den Neuerern in neue, den Gemeinden ungewohnte Positionen drängen zu lassen, und so fiel es ihr nicht ein gegen den geschlossenen Kanon Markions einen neuen und rechtgläubigen aufzustellen. Sie wahrte der Tradition sehr entschieden ihr Recht neben dem Buch und hielt zäh an der Vielfältigkeit der schriftlichen Aufzeichnungen des einen Evange- liums fest: es wäre ja auch eine Torheit gewesen hier unificieren zu wollen und den Gemeinden die man zu halten sich bemühte, liebgewordene Bücher zu entziehen nur um dem einen Evangelium Markions ein kirchliches entgegenstellen zu können. Dagegen war es allerdings nicht mehr möglich der Vermehrung der schriftlichen Evangelien ruhig zuzusehen, seitdem die Gnosis ihre Geheim- traditionen auf mannigfaltige Weise in die evangelische Ueber- lieferung hineindestillierte. Dem gegenüber galt es Neues abzu- wehren und von dem schon Vorhandenen nach Möglichkeit das auszuscheiden, was den Haeretikern am ersten und leichtesten Vor- schub leistete. Das Kriterium des 'Apostolischen', das von der Gemeindevertretung erst auf die Gemeindelitteratur übertragen ist, wirkte bei dieser Auswahl als, ich möchte sagen, juristisches, keineswegs als historisches Prinzip : man stellte nicht kritisch den apostolischen Ursprung eines Evangeliums fest um es für den Ge- meindegebrauch zu sanctioniren, sondern man schrieb denen die längst recipiert waren und die man beibehalten wollte, apostolische

Aporien im vierten Evangelium II 127

Authentie zu, wenn es auch nur mit so gewaltsamen Fictionen möglich war, wie es für den der genau zusieht, bei allen drei Synoptikern der Fall ist.

Die Gnosis ist älter als das Christentum und mehr in es ein- gedrungen als aus ihm hervorgegangen, schließlich mit dem Erfolg daß sie in der Kirche aufgegangen ist. Dazu hat es einer all- mählichen Entwicklung bedurft, und der christliche yvcoötixög des Clemens hat eine Ahnenreihe gehabt, die immer mehr mit der nichtgnostischen Kirche convergierte. Es ist der Verlogenheit der Ketzerbestreiter zu verdanken, daß dieser Verkirchlichungsproceß der Gnosis sich in seinen einzelnen Stadien nicht mehr verfolgen läßt; selbst die Lehre die noch am besten bekannt ist, die valen- tinianische, ist ein wüster Trümmerhaufen der sich zu einem ver- ständlichen Bau nicht mehr zusammenfügen wül. Was Clemens und Origenes, die ihr nahe standen und sie wirklich kannten, an einzelnen, kostbaren Resten bieten, reicht grade aus um zu zeigen daß die s. g. valentinianischen Systeme bei Irenaeus und Hippolyt unlebendige Zerrbilder sind, die einzelne Speculationen in den Vordergrund schieben um den frommen Leser grauslich zu machen und das worauf es Valentinus und seinen Jüngern ankam, unter- drücken^). Die Ketzerbestreiter benutzen außerdem die reiche und mannigfaltige Entwicklung der Schule dazu um die verschie- denen Stadien perfide durcheinander zu werfen und von vornherein

1) Man vgl. z. B. die Kolle die das ovo^ia = vtog bei Valentinus selbst [Clem. Strom. 4, 90, 1] und in den Excerpten [82. 43. 26. 31 (leider arg zerstört, auch Iren. 1, 2, 5 = Epiphan. 31, 13 p. 178^ klärt nicht alles auf)] spielt: von diesem mystischen Aberglauben lassen die 'Mythologien' bei Irenaeus und Hippolyt nichts ahnen. Ebenso wenig von den 'Geheimnissen' der Taufe die von der Macht der Gestirne befreit [Exe. 78] und die Pneumatiker mit ihren Engeln [vgl. Herakleon bei Orig. in loann. 13, 324] zur Einheit bindet, wobei wieder der 'Name' eine Kolle spielt [Exe. 22. 36]: man muß hinzunehmen daß das aniq^Lu Siacpegov von der Achamoth als Abbild der Engel = cp&ta mit denen der Soter herab- kommt, concipiert wird [Iren. 1, 4, 5 = Epiphan. 31, 17 p. 185^] ; das Taufen ist aber tpcoriad-fivcct, und wie der Soter die Ttdd-ri der Achamoth für sich setzt, so befreit die Erleuchtung der Taufe den Menschen von den Leidenschaften [Exe. 41]. Auf die Aeonengenealogie mit der die kirchliche Polemik hausieren geht, kommt wenig an; viel wichtiger ist die ganz unphilosophische Psychologie im Zusammenhang mit dem Engels- und Teufelsspuk : der Inhalt der yv&aig ist nicht die Metaphysik an und für sich, sondern die mystisch fundierte Erlösung [Exe. 78] : S6TLV de ov Xovtqov ^lovov t6 iXsvdsQOvv, ccXXä xat 17 yv&aig xCvsg ^iisv, XL ysyovttfisv nov ^(isv, [T)]3rov ivsßX^&ri^Bv nov ansvöo^isv^ nodsv Xvxqov' fif-O-cu yivvriGig. xC avayivvTicig,

128 E. Schwartz

den Eindruck der Confasion zu erzielen ^), während umgekehrt die Polemik Plotins [30 = Ennead. 2, 9] den Beweis liefert daß sehr wesentliche Lehrstücke noch um 260 aufrecht erhalten wurden^).

1) Weil sich Irenaeus und Hippolyts Berichte nicht oder doch nur unbequem zu einer Paraphrase vereinigen lassen, gilt die Meinung, sie seien von einander 'unabhängig'. Das ist falsch: es sind nicht nur Coincidenzen da, sondern manches bei Irenaeus wird erst verständlich, wenn es in die Zusammenhänge des hippo- lyteischen Berichts eingeordnet wird. Bei Irenaeus ist das Ttdd-og der oberen Sophia, aus der die ^Ev&vfiriaLg resultiert, das 'Suchen des Vaters': rjdsXE ydg, CO? XiyovGL, iiiysd^og avtov yiutaXccßsLV [1, 2, 2 = Epiph. 31, 11 p. 177^]; nach Hippolyt [6, 30] will sie wie der 'Vater' ohne Syzygle zeugen, obgleich sie als weib- licher Aeon keine 'gestaltende Kraft' hat : ngoEßaXsv ovv rj SocpCa rovto fiovov oTtsg riSvvato^ ovaiav &iioQ(pov yiccl a%ata6v.sva6tov. Das ist genau die Variante die Irenaeus 1,2,3 [= Epiphan. 31,12 p. 177^] berichtet: ccSvvdraL xal ayiarccXrJTt- xai [nach 1,2,5 = Epiph. 31,13 pag. 178 ^ ist die av^vyiag cpvGig = ccysvv^tov y.ardXriipigl nqdyiiaxL ccvriiv knLXBiQr\acc6av rfxftv ovaiav diiOQcpov, oiav cpvGiv ißxsv %-riXsia t£y.Biv. Bei Hippolyt entsteht durch die Fehlgeburt der Sophia Unruhe unter den Aeonen [p. 276, 20] : nach Irenaeus ist die Sehnsucht der Aeonen nach Erkenntniß harmlos im Gegensatz zur Kühnheit der Sophia [1,2, 1 = Epiph. 31,11 p. 177»], trotzdem werden Christus und der h. Geist emaniert Tva [li] ofiOLoag ravtrii Tcd^m xig r&v Alcovav, . . üg nf}^iv xorl 6t7iQiy[ibv tov ÜXrigmiiatog, vip' a)v KataQtia&iivav rovg Alävag [1, 2, 5 = Epiph. 31, 13 p. 178c]. Um das zu verstehen muß der Parallelbericht bei Hippolyt suppliert werden. Durch Vergleichung mit Clemens Excerpten läßt sich aus Irenaeus ein zusammenhängen- des Stück ausscheiden, das durch Einlagen, die nicht kenntlich gemacht sind unterbrochen wird: 43—46 = Iren. 1,4,5 [= Epiph. 31,17 p. 184c— 185»]; 47 = 1,5,2 [= Epiph. 31,18 p. 186»]; 48 = 1,5,4 [= Epiphan. 31,19 p. 187» und ^- c], hier ist durch Irenaeus manches hineingebracht, was nicht hinpaßt; 50 = 1, 5, 5 [Epiph. 31, 19 p. 187c, d] ; 54 = 1, 7, 5 [Epiphan. 31, 23 p. 192c] ; 55 = 1, 5, 5 [= Epiph. 31,19 p. 187d]; 59 = 1,6,1 [= Epiphan. 31,20 p. 188«].

2) Ich sehe nicht, wie man bestreiten will daß die von Plotin bekämpfte Lehre in allen Hauptsachen valentinianisch ist. Aus der valentinianischen Gnosis stammen die Hypostasen des Novg und Aoyog [Plot. 30, 1], von denen der De- miurg und 'die Seele' d. h. die Achamoth verschieden sind [30, 6] ; die inivoicc [30, 1] ist wohl die "Evvoia = Ziyri bei Iren. 1, 1, 1 [= Epiphan. 31, 10 p. 175b], vgl. auch die Weiterbildung bei Ptolcmaeos 1, 12, 1 [= Epiphan. 33, 1] und die 'Ev'O-vfirjdtg der Excerpte [7]. Die Vermengung des planenden Nus und der welt- schafifenden Seele [30, 6. 10], d. h. die Identität der von der Sophia gezeugten 'JEv'O'v/ürjfftff = gleich Achamoth [vgl. 30, 11 ivvotiyLo] mit der 'äußeren', welt- schaffenden Sophia [vgl. z. B. Clem. exe. 47. Iren. 1, 5, 2], das atpdXina der Sophia, die Weltschöpfung in Folge der Erinnerung an das Pleroma [30, 4] sind specifisch valentinianisch [vgl. Iren. 1,5,1 = Epiphan. 31,18 p. 185«. Clem. exe. 33]; ja die bissige Frage des Philosophen xC ydq uv iavxi)i v.aX iXoyC^Bzo ysvia&ai in tov xoaiiOTtoifjaai', ysXorov yuQ xh '■Tva ri/ncotTo' xal [iBxacpBQOVxaiV dnb x&v &yaXfiaxo7toi&v x&v ivxavd-a [30,4 vgl. 11] findet ihre Erklärung in dem Fragment Valentins bei Clem. 4, 90, 1, wo die Sophia mit einem Maler verglichen, der Kosmos als das Abbild des Aeon (d. 1. nach der besseren, auch bei Ilerakleon noch befolgten

Aporien im vierten Evangelium II 1^9

So schwer es also ist Valentinus und seiner Schule ihre Stelle in der Entwicklung anzuweisen, so dürfte doch die Behauptung

Terminologie das was Irenaeus das Pleroma nennt) gefaßt wird: die Erhabenheit des Originals ist für den Maler der Grund es abzubilden, iva nfirid'fit dt övofiatog avTov. Die Pneumatiker, die Glieder der Sophia [30, 10], stehen höher als die vom Deniiurgen geschaffenen Gestirne [30, 5] vgl. 9], sie sind allein der Vorsehung unterworfen [30, 16 vgl. Exe. 74]. Die Unterschiede der Seelen [30,6] werden sorgfältig untersucht. Gemeint ist die bekannte Teilung in die 'drei Naturen', über die Valentinus ein eigenes Buch geschrieben hatte [Mercati rendiconti ser. II vol. 31, 1034]. Daß der Demiurg mit der Seele identificiert wird und ihre Leiden- schaften erhält [30, 6], zielt darauf daß der Demiurg, der 30, 10. 12 ausdrücklich erwähnt wird, psychischen Wesens und aus den Tua-ö-rj der Achamoth hervorge- gangen ist. Es finden sich ja kleine Differenzen mit den Berichten die über die valentinianische Gnosis erhalten sind, z. B. die zweite 'Seele', die aus den Elementen besteht [30, 5], die wohl auf den KoöfioyiQcctoaQ zu beziehen ist [vgl. Iren. 1,5,4 = Epiph. 31,19 p. 187» und Valentinus selbst bei Iren. 1,11,1 = Epiphan. 31, 32 p. 204^] und die TtuQOL'U'^GELg xal ävxCtvnoi yial ^istdvoiai [31,6]: diese kehren in einem gnostischen Tractat des Codex Brucianus wieder [C. Schmidt, TU N. F. 5, 61], brauchen aber darum der valentinianischen Gnosis nicht fremd zu sein, vgl. Iren. 1,5,6 = Epiphan. 31,19 p. 188» avxCxvnov rijg avoa 'E-uyilriaLug und Hippolyt. 6, 32 avodov xojI ^etccvoluv v.al dvva^Lv i/>v%tx^S ovaiag. Die schaffende Tätigkeit der Sophia ist ein 'Erleuchten der Finsternis' : in den Berichten wird sie aus der Lichterscbeinung des Soter abgeleitet [Iren. 1, 4, 5 = Epiphan. 31, 17 p. 184^ ff. Clem. exe. 40.41], und dieser selbst steckt deut- lich in 6 XoyLGfibg 6 tov tioGfiov, 17 yfj ccvtoig r] ^ivri Xsyo^evri, ysvofisvri VTtb x&v liSL^ovcov, ojg XsyovöLv avxoi' [30, 11], vgl. 30, 5 xi^vds xtiv yfjv kcciv^v . . . slg rjv di] ivxev&£v cctcbXsvgovxcil- xovxo Ss Xoyov slvai noßfiov. Die durch das vierte Evangelium veranlaßte Identificierung des Aoyog mit dem Scüxriq liegt be Herakleon [Origen. in loann. 6,108] klar vor; in den Excerpten des Clemens [26] steht eine Theorie, nach der das 'Sichtbare' lesu die Sophia ist, und die Ogdoas, in welche die Pneumatiker schließlich eingehen, ist die Syzygia der Sophia mit dem Soter [Iren. 1, 7, 1 = Epiphan. 31,21. Clem. exe. 64]. Mit der vXt] ri vXoxrig [30, 10] ist die ccamfiaxog vXr} Iren. 1, 4, 5 = Epiphan. 31, 17 p. 185a zu vergleichen; wenn bei Plotin [30, 11. 12] der Demiurg zuerst das Feuer schafft, so läßt sich das mit der Lehre bei Hippolyt 6, 32 Clem. exe. 38 zusammenbringen, daß er eine nvQw8r\g ovaCa ist. Die Lehre Valentins selbst und die einzelnen Stadien in der Entwicklui.g der Schule sind viel zu wenig bekannt, als daß um dieser kleinen Discrepanzen geleugnet werden dürfte, daß die von Porphyrius Vit. Plot. 16 genannten 'Haeretiker', gegen die nach C. Schmidt's richtiger Combination [TU N.F. 5, 31 ff.] Plotin seinen Tractat ÜQog xovg FvaöXLyiovg geschrieben hat, Va- lentinianer waren: darauf daß die von ihnen benutzten Apokalypsen auch bei anderen gnostischen Secten auftauchen, kommt nichts an; die Magie und die Exorcismen, die Plotin ihnen vorwirft [30, 14], sind allen Gnostikern gemeinsam, und auch die Valentinianer rühmten sich, daß ihr Tcvsvfia die 'Elemente und die Kräfte und die bösen Mächte' besiege [Clem. exe, 81]. Umgekehrt lassen sich aus Plotin wichtige Schlüsse für die Valentinianer seiner Zeit ziehen: sie polemi- siren gegen die heidnische Philosophie [30, 6] und hören doch bei den Piatonikern

Kgl. Ges. d. WisB. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft. 1. 9

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schwerlich auf Widerspruch stoßen, daß die metaphysische Specu- lation und das 'Mythologische' nicht das speciell für sie charakte- ristische ist. Man braucht nur Irenaeus Berichte über die Bar- belognostiker und die Ophiten zu durchblättern um zu sehen daß alles was dahin gehört, überkommenes Grut ist : Ogdoas, Aion, Ple- roma, die Syzygien, der Fall der Sophia, das Licht mit allem was daran hängt, der Demiurg u. s. w. u. s. w. sind Begriffscomplexe, die nur verständlich werden, wenn sie aus dem Rahmen der christ- lichen Ketzergeschichte herausgenommen und auf die weite Fläche, der orientalischen Mystik und Superstition projicirt werden, auf denselben Boden auf dem auch Mandaeer, Manichaeer, Sabaeer gewachsen sind. Der valentinianischen Gnosis eigentümlich ist daß sie dem Christentum selbst von allen gnostischen Secten am nächsten steht und alles daran gesetzt hat die Kirche zu erobern oder doch wenigstens darin zu bleiben ^). Sie hat, in scharfem Gegensatz zu Markion, das Gesetz nicht verworfen ^) ; ihr Demiurg ist nicht der Gegensatz zum 'guten Grott', sondern erlösungs- fällig ^); sie differenziert zwar zwischen den Pneumatikern und

[30, 10], wie Origenes, sie predigen die Askese, wie Origenes, kurz und gut, die Schule hat sich auf gleicher Linie mit der Großkirche entwickelt. Origenes Gönner Ambrosius war ja ursprünglich Valentinianer.

1) Iren. 3, 15, 2 hoc enim fictorum et praue seducentium et hypoeritarutn est molimen, quemadmodum faciunt hi qui a Valentino sunt, hi enim ad multitudinem propter eos qui sunt ab ecclesia, quos communes ecclesiasticos ipsi dicunt, inferunt sennones, per quos capiunt simpUciores et illiciunt eos simulantes nostrum tracta- tum, ut saepius audiant; qui etiam queruntur de nohis, quod cum similia nobiscum sentianty sine causa abstineamus nos a communicatimie eorum et cum eadem dicant et eandem habeant doctrinam, uocemus illos haereticos, et cum deiecerint aliquos a fide per quaestiones quae fiunt ab eis, et non contradicentes auditores suos fecerint^ his separatim inenarrdbile Plenitudinis suae enarrant mysterium. Den besten Commentar dazu liefert der Brief des Ptolemaeos an Flora [Epiphan. 33, 3 7].

2) Iren. 1,3,6 = Epiphan. 31,15 p. 181 d ov ^6vov Iv, x&v svayysXi-n&v xa Tä>v ScnoatoltHöav nsigöavtai, rag änoSsC^Bis icouCaav . . ., &XXä xal ^x v6(iov xali nQO(pritä>v.

3) Das tritt im Brief des Ptolemaeos an Flora besonders scharf hervor; er stellt gleich im Anfang die kirchliche und die markionitische Ansicht über das Gesetz als entgegengesetzte Verkehrtheiten einander gegenüber: der valentinia- nische Begriff des 'mittleren' Demiurgen hält die richtige Mitte [Epiphan. 33, 7]. Vgl. ferner Iren. 1,7,4 = Epiphan. 31,22 p. 192b.c^ Herakleon bei Origen. in loann. 13,422. Nach diesem ist lohannes der Täufer der Typus des Demiurgen, Origen. in loann. 6,199.200; demnach ist der Ausspruch Herakleons 6,108 zu verstehen und zu emendieren: 6 Adyog (isv 6 ZattriQ iotiv, qxovi] $\ ij iv r7> igrifiai, i] diä 'Icaccvvov <l>dCa<i> voovfiivri, nämlich der Demiurg, vgl. 6, 199 ToO HQoaimov toö dta xov 'Imdvvov voovfiivov , otexcci yccQ xbv äri(ii.ovQybv xoü

Aporien im vierten Evangelium II 131

Psychikem, läßt aber durch die Pneumatiker auch die Psychiker zur Vollendung gelangen ^), was doch nur heißen kann daß sie nicht ein Conventikel der Auserwählten, sondern die Kirche aller Gläubigen sein will, welche, wie später die des Clemens und Ori- genes, die Einfältigen und die Erkennenden, %C6tig und yvGi^Lq in sich schließt ^). Vor allem, und das ist vielleicht das Wichtigste,' die Gnosis Valentins ist alles andere als individualistisch, sondern gipfelt in der Idee der Kirche. Das önsQ^a diatpBQov darf nicht als die Summe der pneumatischen Individuen gefaßt werden, sondern als ein Ganzes, eine Einheit die nur in der irdischen Existenz in Einzelseelen zerfällt, aber aus einer himmlischen Einheit stammt imd bei der endlichen Rückführung in das Pleroma wieder zu einer Einheit wird^): die Pneumatiker sind die 'EKxXi]0La außer-

Tioa^ov sXdrtovci bvxa xov Xqlüxov tovto öfioXoysLV v,tX. Von dieser (fxavri = JrifiLovQyog heißt es dann bei Herakleon weiter [Orig. in loann. 6, 111] ti}v (p(üvr]v oIksloteqccv 0V6CCV t&i XoycoL Xoyov yivsed'ai (d. h. er wird zum teXstog und geht ins Pleroma ein), mg kccl tr]v yvvaiyia slg avdgcc [istaTL&sad-ca [Brooke, Texts and Studies 1, 4, 57 vergleicht mit Recht Exe. 21. 79]. Ebenso wird der 'Freund des Bräutigams' = lohannes d. T. [lo. 3, 29] bei Clem. Exe. 65 auf den Demiurgen gedeutet.

1) Iren. 1,6,1 = Epiphan. 31,20 rb ds '\pv%iY,6v ^ o Y.a.1 Ss^lov Ttgoaayo- Qsvovaiv [= Hippolyt. 6, 32 ; anders Exe. 34. 40. 43], ats fisöov ov tov rs Ttvsvfia- Tinov %al tov vXfKOv, i-KSLös %ö)^8rv OTtov ccv nccl tr}v TtQOG-AXiGiv TtoiriGTitai' xb Ö£ TtvsvfiatLKbv i'ii7ce7t8[iq)d'aL, OTtag svd'dds tai ibv^iY-cbi 6v^vy\v iiOQ(pcod"fiL 6vyb- ncnÖBvQ'Ev ccvrööL iv tr]L avaazQoqjfii. ticcl tovt' stvca Q'eXovgl rb aXccg "nccl rb (päg TOV yioG^ov ' k'dsi yccQ xGn i/)V%tHcot v,a.\ cciöd^rixmv ■ncceSeviidxcav . di^ o kccl KOöfiov v.a- xs6%svd6d'aL XsyovGLV ' xat xbv Zcoxfjga ds 87tl xovxo Tfccgaysyovevca xb 'x\}v%tY.6v, snsl ytccl avxE^ovGiov ißXLVj oitcag avxb 6co6r\L. 1, 8, 3 = Epiphan. 31,25 p. 195c grt 8s ovg i](isXXs eoDL^SLv 6 EcoxriQ, xovxcav xag d.naQ%ag ScvsXccßsv, UccvXov stgriKSvccL [Rom. 11,16] xojt SL 7} anaQxr} ccyicc, yi cclxb (fuga^i cc , anccQxrjv fisv xb Ttvsv^ta- xi'A.bv stgfjGd'aL 8i8d6v,ovxsg, q)VQCc(ici ds r]^äg, xovxegxlv xrjv ipvjjtTir]!' ^xx^Tjötav, rig xb tpvQayLU dvsiXT]cpsvai Xsyovßiv ccvxbv yiccl iv avx&i 6vvavE6xav,svai, snsidr] riv avxbg ^v(i7i [vgl. Clem. exe. 58]. Clem. exe. 56 xb (isv ovv nvsvficcxiyibv cpvesi a(OL^6[isvov , xb ds tpvxi'if'bv avxs^ovGLOv ov knixridsioxrixa s%si ngog xs ntaxiv ■nal cccpd'aQöiav xal ngbg ccTtLOXLCCv kccI q)%'0Qav ■naxcc xi]v ot-KStav aigsOLV, xb Ss vXiTibv (pvöSL ccnoXXvxai ... 57 yCvsrca ovv . . xov fisv ^ogcpmöig, xov Ttvsvficc- Ttxov, xov Ss fisxdd-soLg, xov ipvxiyiov, iyi dovXsCag slg sXsvQ'sqCav.

2) Iren. 1,6,2 = Epiphan. 31,20 p. 189^ snai8sv%'7\6uv 8s xa '^vxi'ncc ot ipV' Xiv-ol dvd'QcoTCOL ot 8l^ sgycDV kuI TtLGxscog ipiXfig ßsßaiov^svoL v.a.1 ^i} xrjv xsXsCav yv&aiv Exovxsg. slvai 8s xovxovg <xovg> dnb xf]g symXriGLag rjnäg Xiyovev 8C 0 Y,al rjiitv (isv Scvayuatov sIvccl x7]v ccya&r}v ngä^Lv dnocpaLvovxciV dXXcag yccg cc8vvcixov GcoQ'fivai a-bxovg 8s [ir} 8icc ngd^scog, dXXä Slu xb cpvGSL ■JtvsvficcxLTiohg slvai ndvxriL xs v.ul ndvxcog 6ai^ri6SG%'ai 8oyiiuxC^ovGiv.

3) Clem. exe. 36, wo ich für slGiovxsg vorschlage slg övxsg, statt des von Bernays vermuteten sr övxsg. Leider ist das Raisonnement durch eine Lücke

9*

132 E. Schwartz

halb des Pleroma, das öjtsg^a diacpsgov der Typus eines Aeon innerhalb des Pleroma ^) ; um diese 'ExocXrjßLa dreht sich im letzten Grande das ganze Drama der Sophia und der Achamoth, und der einzelne Pneumatiker hat Wert und Bedeutung nicht als die ewige, unzerstörbare Seele eines Individuums, sondern als Griied der 'Exxlriöia. Die altchristliche Mystik die die Gemeinde zum Leib des Herrn machte, ist in dieser Gnosis bis auf das äußerste po- tenziert^); das ist nur denkbar, wenn diese Gnosis entweder eine Kirche gründete oder die vorhandene anerkannte. Jenes ist aus- geschlossen durch die Inconsequenz daß auch die Psychiker erlöst werden können, obgleich sie der eigentlichen, durch ihr Wesen zur Erlösung praedestinirten 'ExxXri6icc nicht angehören. Also wollten Valentin und seine Jünger ursprünglich die 'ExxlriöCa der Auserwählten nicht absondern, sondern als Licht und Salz der Welt [Iren. 1, 6, 1 = Epiphan. 31, 20 p. ISS«'] in der Kirche die in der Welt nun einmal war, darin lassen, und dies Streben bleibt für die valentinianische Gnosis nicht minder charakteristisch, wenn die erstarkende Bischofskirche davon nichts wissen wollte und die 'Auserwählten' aus der Gemeinschaft ausstieß. Markion fand in der Kirche nicht was er suchte und verlangte, und gründete eine Gegenkirche ; von valentinianischen Gemeinden ist nie die Rede, und wenn die Intoleranz der Kirche die Anhänger Valentins viel- leicht hier und da dazu brachte sich zu Sonder Vereinigungen zu- sammenzutun, so waren das Erzeugnisse der Not, die das Urteil über die von ihnen gewollte religiöse und kirchliche Vermittlung zwischen Gnosis und Christentum nicht umstoßen können^).

zwiscLen ißanTioato 6 'Iriaovg und ro dcfiigiatov (iSQLß&fjvaL zerstört, aber der Schluß ist klar : i'vcc rj^isCg ot TtoXXol Iev ysvöfisvoi, ot ndvrsg tm sitl x&i 8i r}fjL&g fiSQLa&^evTL ccva'KQad'ööiisv. Herakleon bei Orig. in lo. 13, 341 mg noXX&v övxoav i^vxi'K&v rrjv ds (iiav Xiysi rrjv äqiQ'aQxov tfjg i%Xoyijg cpvötv xal (lovosiStj xal

£VL'K1]V.

1) Iren. 1,5,6 = Epiphan. 31, 19 p. 188» tb cnegfia . . . o Sr] xal ccvtö 'Ev-uXriGCtiv slvai Xsyovoiv, &vtCvvnov rfjg ävoo 'En-KXriöCccg.

2) Clem. exe. 26 xh dgcctbv xov 'Itjgov ii Zocpla xal i] ^ExtiXriaLa ij [^v cod.] xmv ansQfidxoiv x&v dLacpsgdvxcov rjv iaxoXCaaxo diä xov accg-nLOV^ mg (prioiv 6 0s6- doxog, vgl. 1 und Justins Auslegung [dialog. 54 p. 273*^. apol. 1, 32 p. 74»] von Gen. 49, 11. Darum muß lesus sich taufen lassen, vgl. Exe. 22 a. E., wo rjyt hvoCai xoij voxEQ^fiaxog die Achamoth bedeutet; vcxegrifia ist der Aeon Sophia, wie öfter in dem Bericht des Irenaeus über die Markosier [1, 16, 2 = Epiphan. 34, 12 p. 247d. 1, 18, 4 = Epiphan. 34, 17 p. 252»].

3) Damit soll nicht behauptet werden daß nicht schon vor Valentin andere Gnostiker ähnliches gewollt haben, im Gegenteü dürfte dieser Gesichtspunkt auf die gesammte Gnosis zutreffen, die von der Kirche noch als Haeresie empfunden

Aporien im vierten Evangelium II 133

Deutlich bildet sich dies Bestreben ab in ihrer Stellung zur 'Schrift', zur vorhandenen sowohl wie zu der die im Werden war ; sie stehen auch hier in diametralem Gegensatz zu Markion. Für sie fällt die Notwendigkeit einen eigenen Kanon zu bilden fort, da sie das A. T. nicht verwarfen und keine eigene Kirche organi- sierten; im Gegenteil wollten sie sich von der Kirche in der Frage nach dem Fundament des Glaubens nicht unterscheiden: sie behaupteten , wie die Kirche , im Besitz der apostolischen Tradition zu sein, und nahmen, wie die Kirche, das Recht in Anspruch die Ueberlieferungen an der Lehre des Herrn zu messen^). Der Unterschied von der Kirche lag darin daß die Tradition nur den tiXsioi in vollem Umfang zugänglich sein sollte ^) und behauptet wurde, der Herr habe sich den Pneumatikern und Psychikern nicht in gleichem Maße geoffenbart*): doch beweist Origenes, daß die kirchliche Interpretation wenigstens von dem

wurde und über die sie allein berichtet. Die genuin jüdische oder heidnische Gnosis ist von ihr ignoriert, weil sie ganz draußen blieb, und durch diesen histo- risch entstandenen und begreiflichen Mangel der Ueberlieferung ist die dogmen- geschichtliche Forschung zu dem Irrtum verführt die Gnosis aus dem Christentum erklären zu wollen, die religionsgeschichtliche zu dem anderen aus dem Gno- stischen auf das Christliche zu schließen.

1) Ptolemaeus an Flora [Epiphan. 33, 7 p. 222^] : ficcd^'^arii yag d'sov didovrog «1^5 xal rrjv xovxov aQ^riv rs v,a.l ysvvriGiv [des üTtiQ^a Siatpsgov oder der Pneu- matiker], ä^iovfisvri xfis ccicoetoXfKfis TtagaSoascog, rjv in diccdoxvs «c^i f}(i£LS naQEiXritpaiiBv (isrä xal rov ■KuvovCaai ndvTccg rovg Xoyovg xr]L xov acotfjQog rj^imv Siöaa-AaXlai und 3 p. 217^ nsQLlstnsr ai Ss riiitv a^Kod'SLai, rs rfjg ccfKporsQcav xov- Tcov [des Demiurgen und des 'Vaters des Alls'] yvmascog hcpfjvcci aoi -kuI cc-kql- ßcöGccL avxov x8 xov vofiov . . . «al xbv vofiod'sxriv [d. h. den Demiurgen], x&v qri%"r\6oiisvoiv rjfitv xccg dcnodsL^sig fx xwv xov öcaxfjQog rjfi&v Xoyav TtuQiöx&vxsg, Sl o)v (jlÖvov S6XLV anxaLGxcag inl xrjv ■KuxdXri'ipiv xav ovxcov bdriyBL6%'ai. Die Tradition wird an der Lehre des Herrn gemessen, und die Quelle dieser Lehre ist die Schrift: das ist, rein formal genommen, dasselbe Doppelprincip das auch die 'Großkirche' befolgt, und von der Methode z. B. des Papias die Herrensprüche durch Heranziehung von 'Ueberlieferungen' auszulegen, nicht verschieden.

2) Die in der vorigen Anmerkung angeführten Stellen zeigen das deutlich ; die Tradition war eine Geheimlehre die auf die Apostel zurücklaufen sollte. Vgl. Abhdlg. VII 5,11 «•'.

3) Clem. exe. 23. ISCag %v,u6xog yviogCtBi xbv tivqlov. Iren. 3, 2, 2. 1, 7, 3 [= Epiphan. 31, 22 p. 192»]. 1, 3, 1 [= Epiphan. 31, 14] ravra S^ (pavsg&g (isv (lii elQfiü%'ui diu xb fit} Ttdvxccg ^agsiv xr]v yv&üiv avx&v, (ivöxrigLcodmg ds vnb xov ZcoxfjQog 6iä naQaßoX&v (is^fivvad'ai xoig avvLsCv dwa^isvotg. Ptolemaeus an Flora [Epiphan. 33, 4 p. 218^] eacp&g . . slg xgCa Siatgov^svog 6 evfiTtag E%BLVog dsUvvxai vöfiog. Mavöicog xs yäg avxov nal xmv TtQsaßvxsQav «at ai)xov xov Q'sov tvpo|Lt«v voiio^ieCav iv ccvxm ccvxt} (isv oiv rj SiaigBGig xov av^TCavxog shsivov vofiov ads T](iLv SiccLQsd'SiGa xb iv avxöbi dXrid-sg &vaitB(payv,Bv.

134 E. Schwartz

zweiten Grrundsatz viel übemelimen mußte und die Differenz hier eine fließende war. So haben die Yalentinianer mit der Kirche gegenüber den Markioniten auch an der Mannigfaltigkeit der Evan- gelien festgehalten; die gelegentlich auftauchende Behauptung^) daß sie ein eigenes Evangelium 'der Wahrheit' gehabt hätten, will nur sagen, daß dies Evangelium neben den kanonischen gebraucht wurde, trifft außerdem höchstens für einzelne valentinianische Schulen zu, die wie die Marcosier besondere Conventikel bildeten, und wird durch den Bericht des Irenaeus nicht bestätigt, der über das Verhältniß der älteren Yalentinianer zum werdenden N. T. sehr interessante Aufschlüsse giebt.

Dieser Bericht nämlich enthält außer den Bruchstücken der Lehre, die Irenaeus mitzuteilen für gut befindet, einen Schrift- beweis, der zum größten Teile so geordnet ist, daß zu einzelnen xEcpdXaia die loci angeführt sind ; daß er in ivtbg und sxtbg Toi) nXr]Qa^atog zerschnitten und an zwei verschiedenen Stellen eingelegt ist [1, 3, 1—6 = Epiphan. 31, 14. 15 und 1, 8, 1 4 = Epiphan. 31, 24 26], bedeutet für das Granze nichts. Es wird nützlich sein eine Ilebersicht über den Bestand zu geben.

Iren. 1, 3, 1 [= Epiphan. 31, 14] = 1, 1, 3 [= Epiphan. 31, 10], Die 30 Aeonen: Luc. 3,23. Mt. 20,1 ff. Paulus: Eph.3,21. Die Formel bei der Eucharistie eCg xovg aicbvag x&v atcavcov [vgl. Didache 9. 10].

Iren. 1 , 3, 2 [ = Epiph. 31, 14]. Die Dodekas der Aeonen : Lc.

1] Iren. 3, 11,9 M uero qui sunt a Valentino . . . suas conscripHones pro- ferentes plura habere gloriantur quam sint ipsa euangelia, siquidem in tantum pro- cesserunt audaciae, uti quod ah Ms non dlim [= ov naXai] conscriptum est, Veri- tatis euangelium titulent, in nihilo cotiueniens apostolorum euangeliis, ut nee euangelium quidem sit apud eos sine hlasphemia. [Tertull.] adv. omn. haeres. 4 p. 221,11 Kroymann: euangelium habet etiam suum praeter haec nostra. Das wird auf die Offenbarung der 'AXri&sia durch die ZLyrj zu beziehen sein, auf welche sich die Marcosier beriefen, vgl. Iren. 1, 14, 1 = Epiphan. 34, 3 p. 236^. 1,14,3 = Epiphan. 34,5 p. 238^ avrän xr]v tstQWurvv stnsCv'&Blco Ss gol xal aitriv inidulai Tr}v 'AXr]d^siccv . . . . av dl fisrccgüLOv iyeiQag rb fqs SiavoCag vofifia zbv avtoysvv7]TOQC( xai TtatQodötOQcc Xoyov &nb arouccraiv 'AXrid'siag axovf.' p. 239^ ajg f-ßxaraqpßovrjrov rjy^aco tbv l6yov ov icnb aroficcTiüv rijs * AkriQ-eCag nv.ovaa?. 1, 14, 7 = Epiphan. 34, 7 p. 240^. 241b. i, 15, l = Epiphan. 34, 8 p. 242». 1, 15, 5 = Epiphan. 34, 11 p. 245». Nach Iren. 1, 20, 1 [= Epiph. 34, 18] führten grade die Markosier ihren Schriftbeweis zum guten Teil aus apokryphen und un- echten Büchern. Aus ihren Taufformeln und Taufceremonien, die Iren. 1, 21, 3. 4 = Epiphan. 34, 20 berichtet, darf man schließen daß die Secte sich, im Gegen- satz zu den eigentlichen Valentinianern, zu einer besonderen Organisation zu- sammengeschlossen hatte.

Aporien im vierten Evangelium II 135

2,42. Mc. 3,14 = Mt. 10, 1. Lc. 6,13 [ebenso die Markosier Iren. 1, 18, 4 = Epiphan. 34, 17 p. 252*']. Die übrigen 18 Aeonen (pavs- Qovöd^ai diä roi) ^stä xriv ix vsxgav ävdataöiv dsxaoxTCD ^riölv kiyeiv diaxexQKpBvdi avtbv 6vv toig ^ad^rjtatg. Hier tritt eine Tra- dition an Stelle der Evangelien; sie findet sich auch bei den Ophiten [Iren. 1, 30, 14]. Dann eine Bucbstabenspielerei : trj(6ovg) = 18. Die 10 Aeonen : L(rjöovg) == 10. Mt. 5, 18.

Iren. 1, 3, 3 [= Epiphan. 31, 14]. Das ndd-og des zwölften Aeon wird angedeutet durch den Abfall des ludas, der der zwölfte Apostel war, und weil im zwölften Monat die Passion stattfand ; denn 'sie wollen' [das ist Ausdruck des Irenaeus, der die Chrono- logie des vierten Evangeliums für die richtige hält] 'daß er während eines Jahres nach der Passion gepredigt habe'. Wie schon oben gesagt wurde, ist Iren. 2, 22, 1 zur Ergänzung hinzu- zunehmen: duodecimo mitem mense dicunt eum passum, ui sit anno nno post haptismum praedicans, et ex propheta temptant hoc ipsum eonfirmare; scriptum est enim tiocare annum domini accep- tum et diem retrihutiovis [les. 61,2], Mc. 5, 25 ff.

Iren. 1, 3, 4 [= Epiph. 31, 14]. Der Soter [besser der Christus] gleich dem All: Lc. 2,23. Paulus: Kol. 1,17. Rom. 11,36. Kol. 2, 9 [vgl. Clem. exe. 31]. Eph. 1, 10.

Iren. 1, 3, 5 [= Epiphan. 31, 15]. ZtavQog undVQog : Lc. 14, 27. Mc. 10,211). Mt. 10,34. 3,12. Paulus: 1 Kor. 1,18. Gal. 6,14.

Iren. 1, 8, 2 [== Epiphan. 31, 25] t6i^ xvqlov iv rotg 66xdrotg rov xöö^ov ;(j^(5i/oig di,ä rovto ikrikv^avai iitl tb Ttdd'og Xeyovöcv, tv' STtLdsi^fjL ro TtSQL xov £^;^aTov T&v JiG>V(ov yFyovbg TcdO'og. Das spielt auf die Formel iit iöxdrov xcbv xqovcov I Petr. 1, 20 (vgl. Hebr. 1, 4) an, die Brief stelle selbst ist nicht citirt.

Die zwölfjährige Tochter des Synagogenvorstehers Typus der Achamoth : Lc. 8, 42.

Die Erscheinung des Soter bei der Achamoth : Paulus : 1 Kor. 15,8. 11,10; zur Erklärung dieser Stelle wird noch Exod. 34,29 hinzugefügt.

Die Leiden der Achamoth : Mc. 15, 34. Mc. 14, 34 = Mt. 26, 38. Mt. 26, 39. XL sI'tcco, oi>k olda wird gewöhnlich auf lo. 12, 27 zurückgeführt, wo aber nur xl etitco steht, während o\)k olda we- sentlich ist: denn das Wort deutet auf die aTtOQLa der Achamoth. Außerdem wird, worüber noch mehr zu sagen sein wird, das

1) Mit dem Zusatz agag xhv gtuvqov, der dadurch als sehr alt erwiesen wird: er steht im Alexandrinus, der Syr. Sin. und Peschittha, auch in einigen Lateinern.

136 E. Schwartz

vierte Evangelium in dieser Sammlung von loci nirgends mit den anderen zusammen angeführt. So liegt hier wohl ein apokryphes Evangelium vor, auf das sowohl die Stelle des vierten als der valentinianische locus zurückgeht.

Iren. 1,8,3 [= Epiphan. 31,25]. Die drei Gattungen von Menschen, Hyliker, Psychiker, Pneumatiker: Lc. 9, 57.58. 61. Mt. 19, 20—22. Lc. 9, 60. 19, 5. Mt. 13, 33 = Lc. 13, 21. Paulus : 1 Kor. 15, 48. 2, 14. 15 [Hippolyt. 6, 34]. Eom. 11, 16 [Clem. exe. 58].

Iren. 1,8,4 [=^ Epiphan. 31,26]. Das Irren der Achamoth außerhalb des Pleroma und ihre Auffindung : Lc. 15, 4. 8 [ähnlich die Markosier bei Iren. 1, 16, 1 = Epiphan. 34, 12]. 2, 28. 29. 36—38.

Achamoth = Eo(pCa : Lc. 7, 35. Paulus : 1 Kor. 2, 6.

Die Syzygien im Pleroma : Ephes. 5, 32.

Dieser Schriftbeweis ist zwar von Irenaeus mit seiner Dar- stellung der valentinianischen Lehre verknüpft, steht aber tat- sächlich unabhängig neben ihm ; denn er setzt an manchen Stellen eine andere und zwar eine ältere Lehrform voraus. In dem Be- richt selbst [1,2,4 = Epiphan. 31,12 p. 178*] kommt, wie bei Hippolyt [6, 31] und Clemens an einer Stelle [exe. 42], nur ein "ÖQog vor, der verschiedene Namen hat; der Schriftbeweis unter- scheidet "ÖQog und Ztavgöq sehr bestimmt von einander [1,3,5 =: Epiphan. 31, 15] : xa^o fisv idga^si, not 6x7iQit,si, Exavgov elvai,, xa^b ö( iisgL^SL xal dLOQL^et, '^Ügov. Das war die ursprüngliche Lehre Valentins [Iren. 1,11,1 = Epiphan. 31,32 p. 204^] oder kommt ihr wenigstens näher : "Ogovg dvo vjtsd^sTO, iva ^Iv neta^v tov B\}d^ov xal xov loLTCov nir]QG)iiatog dioQ^iowa tovg yevvrixovg Ai&vccg äjcb tov äysvvi^rov üatgög, axegov 81 xov äcpogit^ovxa avxav xi^v fitjxdga [d. i. die Achamoth oder die 'äußere' Sophia] äitb xov nkri- ga^iaxog. Eine Spur der Differenzierung findet sich auch Clem. Exe. 22. Wenn in dem Schriftbeweis ferner [Iren. 1,3,4 s.o.] das alttestamentliche Citat Lc. 2, 23 näv äggev diavotyov ^rjxgav auf den Soter angewandt wird, 'der, indem er das All ist, öffnete den Mutterleib der Enthymesis des gefallenen Aeon, die aus dem Pleroma ausgeschieden war und auch die zweite Ogdoas heißt', so kann das nichts anderes heißen als daß der Soter die Frucht der Achamoth oder der 'äußeren' Sophia ist. Auch diese Lehre weicht fundamental von dem Bericht des Irenaeus ab, in welchem der Soter eine Emanation aller Aeonen ist [1,2,6 = Epiphan. 31,13], wie er bei Hippolyt [6, 32] gradezu 6 xoLvbg xov nlr^ga^axog xagitög heißt; dagegen steht sie wiederum der des Valentinus sehr nahe [1,11,1 = Epiphan. 31,32 p. 204^] xal xbv Xgiöxbv dl ovx anb

Aporien im vierten Evangelium II 137

t&v ev T&L UkriQGi^axi Aiavcov TCgoßsßXflöd-ai,, ccXlä vTtb tTJg ^rjtQog €^C3 ysvo^svrig y.axa xriv \Lvri\i'tiv [so ist nacli dem lateinischen Text zu lesen] röv kqslttövcjv cLTCoxsxvria^aL : im folgenden wird er auch ^männlich' genant^). Freilich hätte Irenaeus in dem Excerpt aus dem Schriftbeweis besser vom Christus, der ja auch in der ange- führten Stelle Ephes. 1, 10 genannt wird, statt vom Soter ge- sprochen, aber auch in dem Referat über Valentin stellt er dessen Lehre unpassend einer Theorie gegenüber, nach der Christus eine Emanation der Aeonen war, was nur vom Soter oder lesus be- hauptet wird, und braucht in der Erörterung von Lc. 2, 28. 29 [1, 8, 4] XQiOzog statt des für die Valentinianer dort allein mög- lichen SoiXYiQ oder Irjöovg. Die Verwechselung lag für den ortho- doxen Ketzerbestreiter nahe, dem die Differenzierung von XQL6x6g und 'Iriöovg natürlich ein Greuel war : außerdem sollen die Valen-

1) Am meisten berührt sich mit diesem ursprünglichen Stück der valentinia- nischen Gnosis das Excerpt aus Theodotos Exe. 32. 33, wo ebenso wie bei Va- lentin der Demiurg nach dem Christus als sein Typus von der Sophia emaniert wird [vgl. die secundäre Entwicklung dieses Theologems bei Iren. 1,5, 1 =Epiph, 31, 18 p. 185^]. Bernays hat mit Recht angemerkt daß der dort ausgesprochene Satz, der bei Irenaeus und Hippolyt spurlos verschwunden ist, oau Itl av^vyiag nQOEQXstaL, nX7iQo}[iatci sativ, 06a 8s anb svog, Btyiovsg, der echten und ursprüng- lichen Lehre Valentins angehört [Clem. ström. 4, 90, 2j. Christus ist das All, weil er ein Abbild des Pleroma ist, das die Achamoth in Erinnerung an dieses ema- niert hat, und beim Eingang in das Pleroma sich in das All auflöst. Mit den Stellen der Excerpte 32. 33 ovrog 81 yiccTaXsLipag rr}v (iritsga ccvsXd-oav eis rb TtX'qQcafia hQar7]d'ri [i'HQccd'ri Bernays] . . toig oXoig . . . [der Paraklet ist hier secundär eingetragen] und XgLarov tb ccvol-kslov cpvyovTog avataXivtog stg tb jriif- Qoa^a iyi vfjg firjtQcoLug [ysvoiiivovl kvvolug vgl. Valentin bei Irenaeus 1, 11, 1 = Epiphan. 31,32 p. 204c xbv 'Iriaovv tvots fisv ccnb tov av ax aXsvrog änb tfjg (JLTITQ bg avt&v evvavaxvd' svt og voig oXoig TcgoßsßXfjad'ab cpriatv, xovtB6ti xov ©sXrixov, nors 8e anb tov ava8 QUfiovxog sig xb UXi^Qajfia , X0VXE6TL xov Xqlgxov '. Ircuaeus hat den Aeon Theletos falsch aus seiner Aeonen- tafel [1, 1, 2 vgl. 1, 2, 2] eingemischt und daher die Praedikate die nach Ausweis der Excerpte alle dem Christus zukommen, unter zwei Subjecte verteilt. Daß der von der [äußeren] Sophia emanierte Christus seinerseits wieder lesus ema- niert ^1 £v8oyiiag x&v almvotv [vgl. Exe. 43], steht auch Exe. 23 [wo der Paraklet ebenfalls secundär ist]. 41 ; aus der Speculation daß der in das Pleroma auf- gelöste Christus lesus emaniert, ist die jüngere Lehre von dem ^oivbg xov nX-q- gmficcxog nccgnog hervorgegangen, die bei Irenaeus und Hippolyt vorliegt. Bei diesen sind Christus und der heilige Geist eine nachträglich von dem Nus oder dem Eingeborenen emanierte Syzygie [Iren. 1, 2, 5 = Epiphan. 31, 13 p. 178c. Hippol. 6,31]; bei Hippolyt ist das System insofern consequent weiterentwickelt als hier diese Syzygie erst die 30 Aeonen vollzählig macht [vgl. 6, 30], während sie bei Irenaeus überzählig ist, zum Zeichen daß in seinem Bericht Aelteres und Jüngeres durcheinander läuft.

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tinianer selbst den Soter lesus auch Christus genannt haben [Iren. 1, 2, 6 = Epiphan. 31, 13 p. 179^], wie die 'Ev^v^riötg der Sophia ebenfalls Sophia heißt.

Schon aus diesen Beobachtungen erhellt daß Irenaeus den Schriftbeweis der Valentinianer nicht selbst aus gelegentlich von ihnen angeführten loci prohantes zusammengestoppelt, sondern ihn schon als eine geschlossene Sammlung vorgefunden hat : er ist für den Kanon der Valentinianer sehr lehrreich. 'Der Herr und der ^ Apostel' : das sind die Elemente. Dieser ist allein Paulus ; die s. g. katholischen Briefe sind unbekannt. Jener wird, außer we- nigen Agrapha oder Apokrypha, von den Synoptikern vertreten; eine gewisse Vorliebe zeigt sich für Lucas, namentlich sind die ersten, noch von Markion verworfenen Capitel, stark benutzt. Da- gegen fehlt das 's^erte Evangelium. Das will schon an und für sich etwas besagen : wenn Tertullian [de carne Christi 19. 24] be- hauptet daß lo. 1, 13 ö g ovx. s^ ai^dtov ovde ix d'sXrj^arog öagxbg ovdh ix d^sXri^arog avögög, äkX ix %'sov iyevvi]^}] von den Va- lentinianern zu ot iysvvrjd'riöav verfälscht sei um einen Be- weis für das ensQ^ia dLa(p8Qov zu haben, so sollte man um so eher erwarten daß diese Stelle in dem reichen Apparat zu dem Ke- phalaion der 'drei Naturen' angeführt würde, als die von Ter- tullian für eine Fälschung erklärte Lesart die richtige ist, wie tixva d-sov beweist: die Fälscher sind diesmal orthodoxe Be- streiter der valentinianischen Grnosis gewesen und die von Ter- tullian und anderen Occidentalen vertretene Aenderung ^) verrät daß die Valentinianer die naheliegende Ausdeutung der Stelle wirklich vollzogen haben. Trotzdem stehen bei Irenaeus nur Stellen der Synoptiker um die Dreiteilung des Menschen als Lehre lesu zu erweisen.

Es ist aber nicht nöthig zu dem stets precären Beweis px silentio zu greifen : am Schluß des Schriftbeweises wird bei Irenaeus die valentinianische Deutung des iohanneischen Prologs in einer Weise angehängt, die keinen Zweifel darüber jläßt, daß sie ein Nachtrag ist, der nur dann Sinn hat, wenn in dem älteren und

1) Sie folgt einer Formulierung die lustin aus Gen. 49, 11 entwickelt [dialog. 54 p. 274»]: x&i S\ alfia rr}g avaq)vXfjg sCrtsiv xhv Xoyov Slcc [r^s] ri%v7\q dsSf]X(o-Kev 8tl alfia (liv ^%bl b Xg^atd^f &ll* o-ßx i^ äv^-gcoitov anigfiarogy ScXl^ i-K tfjg Tov &£ov dvvcH^scag, ov yäg xgonov t6 tfig &(i,7tfXov aly^a ovtt avd'gtonog iyivvriasvj ScXXa d'sog, ovtcag %al xb xov Xgiaxov atfia ov% i^ ävO-gcomCov y^vovg iosad^ai, &XX' ix ^eov dvvd(iso>g ngoefiijvvasv. Ebenso 63 p. 286<l. 76 p. 30 1*'. apol. 1, 82 p. 74b.

Aporien im vierten Evangelium II 139

schon vorliegenden Stellenapparat das vierte Evangelium nicht berücksichtigt war. Nachdem der gesammte Schriftbeweis zu Ende geführt, das letzte Kephalaion über die Achamoth abgehandelt ist, wird fortgefahren [1,8, 5 = Epiphan. 31, 27]: stt xs 7(Davvrjv . . öiddöxovöL xi]v TtQcjtrjv oydodda ^s^riwKSvai avtatg Xs^söl Is- yovTsg ovvcog und die erste Ogdoas. die den Anfang der Lehre bildet, aus dem Prolog des Evangeliums nachgewiesen. Ich will kein besonderes Gewicht darauf legen, daß die Art des Beweises hier eine andere ist : während sonst hinter der kurzen Angabe des Kephalaion die loci prohantes erst der Evangelien, dann des Paulus aufmarschieren, werden hier die Aeonen der Ogdoas in ein- gehender Interpretation aus den Worten der Schrift herausgeholt, so daß der Text das prius, die Lehre das posterius wird; um des Textes willen werden gegen die Ordnung der Lehre zuerst die zweite, dann die erste Tetras abgehandelt. Entscheidend ist erstens, daß dieses Stück des Schriftbeweises, wenn es gleichen Ursprungs mit den übrigen wäre, am Anfang und nicht am Ende stehen , und zweitens, daß das vierte Evangelium den anderen Evangelien beigesellt sein müßte, da das Schema welches den Herrn, d. h. die Evangelien, vor die Paulusbriefe stellt, ein ganz festes ist. Da bleibt nur der Schluß übrig, daß der Yalen- tinianer der die loci prohantes ursprünglich zusammenordnete, das vierte Evangelium nicht kannte und ein Späterer diesen Apparat aus dem vierten Evangelium ergänzte, nachdem dieses hervorge- treten und von den Valentinianern in Uebereinstimmung mit der Kirche recipiert war. Der Name dieses Späteren ist bekannt ; Ire- naeus hat ihn am Schluß [1, 8, 5] hinzugefügt : et Ftolemaeus quidern ita. Auf den ganzen Bericht darf die Notiz nicht bezogen werden, da er, wie wiederholt gezeigt wurde, aus verschiedenen Stücken verschiedenen Ursprungs besteht, Irenaeus ja auch der Lehre des Ptolemaeus noch einen besonderen Abschnitt widmet [1, 12, 1] ; die Interpretation des iohanneischen Prologs hat er in nicht unpassen- der Weise dem Schriftbeweis des älteren Valentinianers angefügt. Das vierte Evangelium verlängert durch die drei Paschafeste, die es erwähnt, lesu Wirken über ein Jahr hinaus. Es erhöht sein Alter von 30 auf beinahe 50 Jahre. Durch beide Abände- rungen der synoptischen Ueberlieferung, speciell des Lucas, ent- steht ein Widerspruch gegen den Schriftbeweis, sei es des Valen- tinus selbst, sei es der älteren Valentinianer, und dieser Wider- spruch ist denn auch von Irenaeus benutzt, der mit gutem Grrund das Tetraevangelium preist. Umgekehrt kennt der ältere valen- tinianische Schriftbeweis das ihm widersprechende Evangelium

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nicht. Mit zwingender Notwendigkeit springt der Schluß herans: die Festreisen und das höhere Alter lesu sind in das vierte Evan- gelium interpoliert um die Typologie des Valentinus unmöglich zu machen. Es läßt sich kaum bezweifeln, daß für diese Inter- polationen nicht der 'Presbyter' verantwortlich zu machen ist, da in den Briefen keine Spur von antignostischer Polemik zu ent- decken ist, sondern der spätere Interpolator, der das 21. Capitel schrieb und das Evangelium auf den Apostel lohannes stellte. Dieser hat die Bezeichnung 6 xvQLog eingeschwärzt, vielleicht mit antignostischer Spitze, dieser braucht 8, 58 das mystische iyät elya [vgl. Nachr. 1907, 360], und für diesen ist die mechanische, gewalt- same Art mit der er den Text umgestaltet, charakteristisch.

Wäre das vierte Evangelium Valentinus schon bekannt ge- wesen, so kann man zweifeln ob er die zwölfmonatliche Predigt und die dreißig Lebensjahre lesu zu Typen gemacht haben würde : im Schriftbeweis der Markosier, der wenigstens an einer Stelle [Iren. 1, 18, 3 = Epiphan. 34, 16 p. 252''] das vierte Evangelium voraussetzt, fehlen sie. Als es aber auftauchte, haben die Valen- tinianer sich durch die latente Polemik, die der letzte Bearbeiter hineingebracht hatte, nicht abhalten lassen es mit mindestens dem gleichen Eifer aufzunehmen wie die Kirche selbst, und ihre Specu- lationen in ihm nachzuweisen: Ptolemaeus und Herakleon genügen zam Beweis. Wenn die Ueberlieferung verstattete die Entwick- lung der valentinianischen Grnosis zu verfolgen, würde sich wahr- scheinlich herausstellen daß das vierte Evangelium die Lehre stark verändert und beeinflußt hat; jetzt läßt sich das nur an verein- zelten Spuren noch erkennen. So ist um des vierten Evangeliums willen der Paraklet mit dem Soter identificiert, aber, wie die Stellen [Iren. 1, 4, 5 = Epiphan. 31, 17 p. 184^ Clem. exe. 23] deut- lich zeigen, secundär und desultorisch. Er ist in die Aeonentafel aufgenommen [Iren. 1, 1, 2. Hippoljrt. 6, 30] : aber wer will be- haupten daß diese schemenhaften Namen der Dekas und Dodekas ursprünglich sind und schon Valentin es für nötig gehalten hatte, die 'Zehn' und die 'Zwölf in einzelne Namen aufzulösen? Daß in dem Bericht des Irenaeus der männliche Aeon der zweiten Syzygie nicht nur Novgj sondern auch Movoysvijg und apx4 "^^^ ndcvrav heißt [1, 1, 1 = Epiphan. 31, 10 p. 175»' und öfter], ist allerdings eine Frucht der valentinianischen Erklärung des iohanneischen Pro- logs; ebenso daß der 'obere' Christus die Aeonen lehrt daß sie den 'Vater' nicht sehen und hören können, es sei denn durch den Movoyev^g [Iren. 1, 2, 5 = Epiphan. 31, 13 p. 178^ nach lo. 1, 18] ; in der Parallelausführung Exe. 7 wird das Evangelium direct

Aporien im vierten Evangelium II 141

citiert. Aber grade hier weicht die jüngere Lehre von dem Meister völlig ab, der den Aeon welcher dem späteren Movoysvrig entsprach, UaxriQ nannte und Christus nicht vom Novg = Movo- ysvrjg und der 'Akri^sia, sondern von der Sophia selbst emaniert werden ließ [Iren. 1, 11, 1 = Epiphan. 31, 32]. Woher der Movo- ysvrig der Aeonentafel stammt, mag auf sich beruhen bleiben.

Der Eifer mit dem die jüngeren Yalentinianer das vierte Evan- gelium in ihre Speculationen hineinzogen, ist ein neues Anzeichen dafür daß sie sich der Kirche accommodiren wollten: wie sie früher mit der Kirche und gegen Markion an der Mehrzahl der Synoptiker festgehalten hatten, so ließen sie sichs jetzt mit der Kirche gern gefallen daß diese Zahl noch um eins vermehrt wurde. Wenn in einem Schriftbeweis der älteren Yalentinianer das vierte Evangelium fehlt, so kann der Grrund nicht der gewesen sein, daß der Meister es nicht anerkannte : schwerlich würden in diesem Falle seine Schüler sich solche Mühe mit seiner Deutung gegeben haben. Valentinus hat es eben nicht gekannt, während es selbst valentinianische Typologien voraussetzt. Also ist die letzte Be- arbeitung die das Evangelium erst weiten Kreisen der Christen- heit bekannt machte und es zuerst zu einer apostolischen Schrift erhob, erst nach Valentinus erschienen, in einer Zeit in der ein neues Evangelium schon apostolische Authentie sich zuschreiben mußte um sich durchzusetzen. In einziger Weise verstattet die Ueberlieferung hier einmal das Auftauchen einer kanonischen Schrift zu verfolgen.

In der Passionsgeschichte des vierten Evangeliums findet sich eine Correctur der synoptischen Berichte, für die kein plausibler Grund vorzuliegen scheint: lesus trägt sein Kreuz selbst bis zum Hinrichtungsplatz [19,17], während nach den Synoptikern der Kyrenaeer Simon dazu gepreßt wird [Mc. 15,21. Mt. 27, 32. Lc. 23, 26]. Diese Tradition war von Basilides zu einer doketischen Spe- culation benutzt^): nicht lesus, sondern Simon, dem lesus seine Gestalt gegeben habe, sei in Wahrheit gekreuzigt, während lesus als Simon den Kreuzigern zum Hohn dabei gestanden habe. Es

1) Epiphan. 24, 3 p. 70* ov%l 'Iriaovv cpccayicav Ttsnov&ivui, aXXcc Zl^covu rbv KvQTivaLOv, iTtsidi^nsQ iv t&t, anb 'IsQoaoXvfiav rbv -kvqlov s-ußaXXsöd-aL, mg %«t 7} aKoXov&^a tov svayysXCov, rjyyccQSvadv tiva 2L(iava KvQrivaiov ßccatd^ca tbv cxavQov . . . TiccL (priaiv insivov iv t&i ßaatcc^siv tbv otavgbv (isra(iOQ(paiyi£vca stg xb Eccvtov stdog v.al eccvrbv stg rbv Zificovcc xat Scvrl savtov TCccQccdsSca'nsvaL Si- ficovcc stg tb atavQcod"fivaL. s%sCvov ds aravQovfisvov sütt^tisl Karavti'HQvg aoQ<ztG>g ö 'Ir}6ovg KCctaysXmv rä>v rbv Zlificova aravQovvtcov. Iren. 1, 24, 4. [Tert.] adv. omn. haer. 1 p. 215,11 Kroym. Philastr. 32,6.

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sieht zum mindesten sehr so aus als wenn die Umgestaltung der Erzählung im vierten Evangelium diese Ketzereien ausdrücklich abschneiden sollte: sie kann ohne Schwierigkeit dem letzten Be- arbeiter zugewiesen werden. Die jüngeren Valentinianer haben ihrerseits wiederum gegen Basileides das vierte Evangelium um- gedeutet ^).

lustin nimmt dem vierten Evangelium gegenüber eine eigen- tümliche Stellung ein. Daß die eine Stelle der Apologie [1, 61 p. 94*], die immer als ein Citat daraus angeführt wird, nichts be- weist, ist schon oben [Nachr. 1907, 363] ausgeführt. Weil Johannes der T. nur im vierten Evangelium [1, 20. 25] ausdrücklich ableugnet der Messias zu sein, liegt die Versuchung nahe das Citat dial. 88 p. Slö*' auf es zurückzuführen: ovx si^l 6 Xgcötög, äXXä (pcovri ßocbvtog ' 7]^ei yäg 9 löxvQOxaQog ^ov, ov ovx slyX [ycavog vtco- Ö^iiata ßaötdöat. Aber jene Ableugnung steht auch Act. 13,25; der zweite Teil des Spruches weicht von allen kanonischen Evan- gelien ab, und die unmittelbar darauf folgende Einleitung des Taufberichts, die lesus als Zimmermann vorführt, enthält Ueber- lieferungen die nur in apokryphen Evangelien sich erhalten haben. So wird man doch bedenklich, nur um der wenigen Worte ovx SL^l 6 XQLöTÖg willen ein Citat des vierten Evangeliums anzusetzen. Die Heilung des Blindgeborenen ist dem vierten Evangelium [9] eigentümlich: im Plural wird sie von lustin zur Erklärung von les. 35,5 erwähnt^). Stutzig macht nur, daß apol. 1,48 p. 84*^

1) Clem. exe. 42 6 aravQbg tov iv nXriQaiiaxL "Oqov arifislov eanv [anders Valentinus, s. o.] xaQi^si yäg tovg aTtCatovg x&v marcbv, mg iyiSLVog xhv tioü^ov rov TtXriQoafiaTog. Sl^ o xal rcc anigfiata o'Irißovg 8iä xov arifiBLOv [^8id ist doppel- sinnig : mit dem sinnlichen Kreuz zusammengestellt bezeichnet es das Werkzeug, wenn es aber das symbolische Kreuz z='^OQog regiert, so steht es von dem Durch- gang durch den '^Ogog in das Pleroma, vgl. 26] inl x&v atfucov ßacxäcag sladysi, sCg xb nXr^Qufia (wftot yccQ xov anegfiaxog ö 'Iriaovg XsysxuL. yisqxxXi] ds 6 XQiaxog). od-sv el'gi^xaL og ov% ccl'gsi. xov cxavgbv wöxov Hai äxoXov d" s C fioi^, ov-K saxi fiov ScdsXffog [Mt. 10,38; &d£X(p6g = Mitglied der Gemeinde]. ^Q£v oiv [nämlich xbv axavgdv^ xb a&(ia [als Subject zu nehmen, Bunsen hat den Satz mißverstanden] xov 'Iriaov, otcsq o^oovaiov riv xf}i, 'ExxZrjfft'at. Mit anderen Worten : die Kirche, der Leib lesu, ist die Trägerin der Erlösung ; hinter dem mystischen Dampf steckt die Lehre der die Seligkeit verbürgenden Kirche.

2) Apol. 1, 22 p. 68b S [& cod.] Sh Xiyofisv jjoDlovff xal nagaXvxitiovg xal in yBvBxfjs nriQOvg [novrigova cod., schon von Stephanus verbessert] vyistg ninoi,ri%ivaL aixbv "Kai veiiQOvg &v£y£LQaiy Siiova roig vnb ^Aa-uXrjTtLOv yByevijad'aL Xsyofiivotg xal xavxa qpaffxftv dd^OfiBv. dial. 69 p. 295<1 6 Xgiaxbg og . . . xovg in yBVBxfjg xal nccxu xr]v aägna nriQOvg nal ncacpovg IdaaxOy^ xbv filv aXXso^ai,, xbv 8\ xal ic-KOVBiv, xbv d\ xal bq&v xuii> X6yaii uirtov noi,rjaag.

Aporien im vierten Evangelium II 143

diese Erklärung der Propheten st eile nicht durch ein Citat der 'apostolischen Denkwürdigkeiten', sondern der Acta Pilati belegt wird. Auf den ersten Blick könnte in dem Satz dial. 123 p. 353^ G)g ovv ocTtb tov ivbg 'laxcjß ixatvov xov aal ^löQariX iTCLxXrjd'svtog Ttäv yivog v^av 7CQO07]yÖQSvro 'laxaß xal ^lögai^l, ovTCjg xal rj^etg ccTcb tov ysvvr^Gavxog rj^iäg stg dsbv Xgiötov, ag xal laxhß xal löQaijX xal 'iovda xal 7co6riq) xal ^avid [lauter Typen Christi nach lustin], xal %'sov tsxva ah]d-tvä xaKov^sd^a xal iö^sv oC rag avxoXäg rof) Xqlöxov (pvkd66ovx6g ^) eine Reminiscenz an 1 loh. 3, 1 [vgl. loh. 1,12] zu stecken scheinen: l'dsxs Ttotajcriv äyditriv öedcjxev rj^tv 6 7tax7]Q, Lva xexva ^£ov xkrjd^&^sv^ xal ißfiev: aber der Begriff der Grottes- kindschaft beweist an und für sich nicht viel, um so weniger als er an beiden Stellen verschieden aufgefaßt wird, und slvat wird bei lustin auch sonst mit xaletöd'ai zusammengestellt; vgl. apol. 1 31 p. 73* vibv ^eov bvxa xal xexlruiivov. Die Juden wundern sich bei ihm baß darüber daß er die Christen Kinder Gottes nennt: er beruft sich in langer Auseinandersetzung^) auf Ps. 81,6. Den citiert auch lesus im vierten Evangelium [10, 34], erklärt ihn aber anders und giebt dem Baisonnement eine andere Spitze. Der be- rühmte Vergleich lesu mit dem Weinstock [loh. 15, 1] erscheint dial. 110 p. 337*' in so abweichender Form lesus pflanzt den Bebstock und das Schneiden der Beben ^) bedeutet die Martyrien , daß deutlich wird wie lustin nur den unmittelbar vorher ange- führten Psalmenvers [127, 3] zu Grunde legte und das Logion ignorierte. Seine Gedanken streifen das vierte Evangelium oft genug ; um so mehr wundert man sich daß er es nie citiert, wäh-

1) Vgl. Herakleon bei Orig. in lo. 20, 215 tQi%a)g Ssl ayiovst-v tfig y.uTcc ti-Ava övoficiOLCcg, Ttg&tov cpvGSL, Ssvteqov yvm^riLf tqlxov a^Cai . v.a.i (pvGsi fisv . . yvm^riL ds ota rb d'sXri^d tig itoi&v xivog dicc xriv icivtov yvmnr]v xb'A,vov £v,bCvov ov TtOLBi xb d'eXriuay ytalsitccL -nxl.

2) Er berührt dabei eine Differenz des jüdischen Textes von der LXX, trotzdem steht in der üeberlieferung die Stelle beidemal gleichlautend: die Juden sollen lesen [p. 353^] vyieig de ms ccvd-QcoTtOL ccTtoQ^vriiGv.Bxs yial mg stg x&v äQ%6v- xav TtLTtxsxSf die LXX dagegen tdov dij mg avQ-Qmitoi ccTtod'v^Lö'nsxs aal mg slg xmv ScQxovxmv niitxExe. Mit Maranus Einfall an der ersteren Stelle uv%'Q(onog zu lesen, wird nichts gebessert; aus dem Zusammenhang des Folgenden scheint mir hervorzugehen daß in dem 'jüdischen' Text xai mg elg xmv ccQxovxmv itCnxsxs fehlte. Es steht allerdings im masorethischen Text, aber der 'jüdische' Text Justins ist. eben nicht der hebraeische, sondern eine von der LXX verschiedene Version, keinenfalls Aquila.

3) 15, 2 v.al Ttäv xb yiagnbv cpBQOv, v.aQ'aCQSi avxo, i'vcc -AccQitbv TtXsLOva cpsgriL geht auf die Taufe, der folgende Vers rechtfertigt daß die Apostel nicht getauft sind, vgl. Nachr. 1907,345.

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rend ihm doch, wie sein Citat der Apokalypse verräth^), die apo- stolische Authentie imponiert haben und eine willkommene Stütze seiner Polemik gegen die Juden gewesen sein müßte : der Vorwurf ] den er den Juden macht [dial. 14 p. 231^] v^elg navta 6ttQXLXG>$ vEvoYJxate, kehrt ja im Evangelium wieder [8,15]; vgl. auch 136 p. 366*' mit 5, 23. 46. Er unternimmt den Schriftbeweis daß Christus der praehistorische Logos ist [dial. 61 p. 284*] : ^agtvQiov . . . v^iv . . . anb tav ygatpSiv daöca ort ap%i^v TtQO Ttdvxtov xg3V xttö- ftaroi' 6 dsbg ysyevvTjics övva^LV riva £| savxov XoyiXT^v, führt ihn aber ausschließlich aus Prov. 8 [p. 284<'ff.] ^j und belegt aus den ^apostolischen Denkwürdigkeiten', d. h. den Evangelien, nur den Ausdruck vibg d^eov [100 p. 327^]: aal vCbv d'sov y ey Quii^isrov avxbv iv rotg aTto^vri^ovsv^aöt xcov ocjtoexöXcov avxov £%ovxsg xal vibv avxbv Xeyovxsg, vsvorjxa ^sv ovxa xal Jtgb Tcdvxav TCOLrj^axcsv, ditb xov TtaxQbg dvvd^sL avxov xal ßovXr]i TtgosXd'ovxa. Der Beweis ist für ihn noch nicht durch ein kanonisches Evangelium fest- gelegt, so daß er ihn als ein freies Lehrstück ansieht, das allen- falls entbehrt werden kann [dial. 48 p. 267*^] : i]dri ^evxol . . ovx djtoXkvxai xb xovxov elvai Xgiöxbv xov ^eov^ sdv ditodEii^aL ^ij dv- vcj^aL ort xal TCQovjcfJQXSv vibg xov Jtoirjxov xcbv oXov xtsbg hv xal yayivvrixai dvd^QGinog dtä xrig jiagd-svov. Für die Typologie mit der er gegen die Juden streitet, ist die eherne Schlange am Kreuz ein sehr beliebtes Paradigma [Apol. 1, 60 p. 93*. dial. 91 p. 319*. 94 p. 324^. 112 p. 339*. 131 p. 361*] : daß Jesus im vierten Evan- gelium diese Auslegung sanctionirt [3, 14], wird nie erwähnt. Die Sabbathfeier der Juden wird 29 p. 246« [vgl. 23 p. 241*] mit dem

1) Dial. 81 p. 308» Mal Ttag* rjfiCv &vriQ tig, ai övofia 'ladvvris, slg x&v icnoaroXav xov Xqlcxov, iv ccTto-KaXvipsv ysvo^ivrii avx&i %ilia ixr\ noiriGELV iv 'IsQovaaXi](i xovg x&i rjfisx^QcoL Xqigx&i [im Gegensatz zum Messias der Juden] niaxBvGuvxag nQoscpritsvGS [Apoc. 20, 4if.]. Das mit Aplomb eingeführte Citat zielt gegen die nichtgnostischen Christen die den Chiliasmus leugnen [80 p. 306c].

2) Ebenso dial. 129 p. 359^ ; vgl. auch noch apol. 2, 6 p. 44^. Die Stellen sind darum so wichtig, weil sie beweisen daß die Logosspeculation nicht durch das vierte Evangelium aufgekommen ist ; der Aeon Logos bei Valentinus braucht also nicht daher zu stammen. Apol. 1, 46 p. 83« xbv Xqlöxöv . . . nQosiirivvoafisv Xoyov övxa ov n&v ysvog Scvd'Qdincov (iBxiaxs [vgl. 2, 8 p. 46c Si^ tb ^fiqyuxov Tcavxl yivBi &v^Q6)7t(ov cniQfia xoü X6yov. 10. 13 p. 51c] sichert die altkirchliche Auffassung von lo. 1,9 gegen die moderne sprachwidrige Interpunction, aber die Stellen treffen nur danfm zusammen, weil sie aus derselben Anschauung heraus geschrieben sind. So ist es auch aufzufassen, wenn dial. 32 p. 249^ und loh. 12,34 dieselbe Aporie von den Juden aufgeworfen wird; 12,37—41 sind im Ton kaum vom Dialog mit Tryphon verschieden. Vgl. auch 38 p. 256c mit loh. 8, 56 ff:

Aporien im vierten Evangelium 11 145

gleichen Beweis widerlegt wie loh. 5, 17 : 6 d'sbg x'^v avxiiv dioi- xfjöLv Tov x66^ov 6^0L(og xal sv tavtrii rtjt '^^eQav tcs itoCvitaL Tcad'diteQ Kai SV tatg alXaig ccTcdöaLg. Noch frappanter ist die Aehnlichkeit des Arguments von der Beschneidung am Sabbat zwischen dial. 27 p. 245* und loh. 7, 22 : ist es wahrscheinlich daß lustin an dem lesus des vierten Evangeliums ein Plagiat verübte statt sich auf seine Autorität zu berufen? Er hat gelesen daß lesus die Juden widerlegt, die 'nicht wissen was Vater und was Sohn ist' [apol. 1, 63 p. 95^. 96^], hier wenigstens erwartet man einen Hinweis auf die langen Eeden des vierten Evangeliums : aber es wird nur Mt. 11, 27 angeführt. Sollte ein christlicher Lehrer, der das vierte Evangelium für die Aufzeichnungen eines directen Jüngers, ja des Lieblingsjüngers hält, haben schreiben können [apol. 1,14 p. 61^]; ßQaxetg ds xal övvto^oi, JtaQ avtov koyoi ysyövaöLV?

Da lustin die Apokalypse als Werk des Johannes kennt, diese aber das auf den Apostel gestellte Evangelium voraussetzt, so kann er nicht darum von ihm geschwiegen haben, weil es zu seiner Zeit noch nicht existirte. Es ist auch schwer auszudenken daß er es nicht gekannt hätte, da ihm doch die Apokalypse in die Hände gefallen war, und so muß schon angenommen werden, daß er es nicht als authentisch anerkannte. Er schrieb und lehrte in Rom; der römische Presbyter Graius bestritt die Authentie so- wohl des Evangeliums wie der Apokalypse; die Differenz mit lustin erklärt sich daraus daß dieser dem Chiliasmus huldigte, Graius nicht [Eus. KGr 3, 28, 2]. In Rom ist das Conglomerat von Offenbarungen und Kirchenordnungen entstanden, das als Hirte des Hermas überliefert ist: in ihm wird das vierte Evangelium nie citiert^). Erst in der Greneration unmittelbar nach lustin drang das Evangelium, das in Kleinasien von den Christen von Anfang an enthusiastisch aufgenommen war, auch im Westen durch: die Bischofskirche, die Valentinianer und die Phryger be-

1) Von allgemeinen Anklängen abgesehen, die nichts beweisen, kann höchstens Sim. 9, 12, 3 als Parallele zu loh. 10, 9 in Frage kommen : ort in' iaxoircov x&v rjfiSQ&v zfjg avvtsXsCccg cpccvSQog iyivEto, Slcc xovxo v,aivr\ iysvsro 7} nvlri^ l'va ot (liXXovtsg ümL^EGd'aL öl avxfig slg xr}v ßaGLlsLCcv stösX&coGv xov &sov. Aber das Bild von der Thür braucht nicht aus dem vierten Evangelium entlehnt zu sein, be- sonders wenn der Vergleich mit der Hürde fehlt. Der Spruch Sim. 9, 12, 4 etg triv ßccöLXstav xov d'sov ovSelg stösXsvösxcci,, st ju-tj Xccßoi x6 övo^a xov vlov avxov [ähnlich Sim. 9, 12, 5. 8] hängt mit dem Taufritual zusammen, vgl. Sim. 9, 16, 2 &voiyKriv stxov dt vSccxog avcißfjvaL l'vcc ^coo7COLr}d'&6LV' o-ßx rjdvvavto yccQ aXXcog BlasXd'stv sig xrjv ßaeiXs^av xov &sov, st iii] xriv vmQcaaiv ccnsd'svto xf]g ^(ofjs avx&v und meine Bemerkungen [Nachr. 1907, 363] über lustin. Apol. 1, 61 p. 94». Egl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 1. 10

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mühten sich nun um die Wette es ihren Zwecken dienstbar zu machen. Nur das eine gelang ihm nicht, die alte Mannigfaltigkeit der Evangelien zu ersetzen und die Synoptiker zu verdrängen: die instinctive Politik der zusammenwachsenden Kirche vermied es auch in diesem Falle, wie in den meisten anderen, die Gregen- sätze durch eine streng principielle Lösung zu entfernen, sondern zog es vor das Alte zu schonen und das Neue nicht abzuweisen, damit der Grlaube im Ignorieren des Widerspruchs die complexio oppositorum lerne, ohne die Religionen die sich dogmatisieren, nie fertig werden.

Nach der Zeit in der lustins Schriften abgefaßt sind, wurden schon in der vorigen Mittheilung [Nachr. 1907, 369] als der ter- minus ante quem für das auf den Apostel Johannes gestellte Evan- glium die fünfziger Jahre des zweiten Jahrhunderts bestimmt. In der Zeit lustins war die Verfluchung der Christen nach dem Gebet officieller Grebrauch der Synagoge geworden ^) : darauf wird an drei Stellen des Evangeliums ^) angespielt, die jungen Ursprungs

1) Dial. 16 p. 234^ xara^üb/xfvot iv rat? cvvayayaig vfi&v rovg TtLGvsvovtccs knl rbv Xqi6x6v. 47 p. 266<i rovs iv ratg Gvvayayccig Y.axavaQ'syLatCGavxag xat Ticctccvccd'S^atL^ovtag tovg in' avtbv xovxov xbv Xqloxov moxsvovxag. 93 p. 321c. 95 p. 323t. 96 p. 323c. 108 p. 335«l. 133 p. 363c. 137 p. 366.^ ^irids ^ccgiaaCoig nu- &6^svoi didaö'm.Xoig xbv ßaailia xov 'logariX iTtLöKmiprixE Ttoxs, bnoLcc didda-KOvöiv Ol aQ%iavvdyo3yoi vfi&v (isxä x7]v 7tQ06Evx7]v. 39 p. 258«. Aus dieser jüdischen Ordnung ist die Sage entwickelt daß die Hohepriester nach lesu Auferstehung durch Boten die sie in die Diaspora sandten, die neue Secte verleumdet hätten: dial. 17 p. 234e. 108 p. 335c. 117 p. 345a. Die wirkliche Antwort der christ- lichen Gemeinden auf die Flüche der Rahhiner waren die Fastengebete beim christlichen Pascha für die irrenden 'Brüder aus dem Volke', vgl. Abhdlg. VIII 6, 109 f. 115.

2) Die Weissagung 16, 2 steht schon an und für sich in dem jungen Teil der Abschiedsreden, ist aber auch in ihn erst eingeschaltet nach Mt. 24, 10. Denn 16, 4 schließt xavxcc Sl v^itv nicht an, und 16, 2 setzt nach 16, 1 neu ein. 12, 42 Oficog fiivxoL y,al iv, xwv Scqxovxcov noXXol inlaxBvaav dg avxov, &XXct. Slcc xovg ^aQLGCcCovg ov% djfioXoyovv, l'va iii] 6c7C06vvdyoiyoL yevcavTat. ijyccnriaccv yäg xijv do^av x&v icvQ'Q&'Jtoiv (laXXov r/'-fp xr}v do^av xov dsov ist unmittelbar nach dem Predigtstück 12, 37 41 und vor einer brüsk einsetzenden Rede lesu eingeschaltet. Die dritte Stelle stammt aus der Erzählung vom Blindgeborenen [9, 22, 23] : xavxa sItcov ot yovevg uvxov, oxv icpoßovvxo xovg ^lovSaCovg' i]dri yccg GvvExiQ-eivxo ot 'lovdatoi Tva idv xig aixbv öiioXoyrJGrii Xqigx6v [d. h. sich zum Christentum be- kenne], änoGvvdymyog y^vr\xai' Siu xo^xo ot yoveig ccbxov elnccv oxi TjXt'Kiav ^x^tj aixbv iTCBQcox'^Guxs. Die Motivierung sagt zu viel: es war doch kein Bekenntnis zum Christentum, wenn die Eltern sagten daß lesus ihren Sohn geheilt hätte. So wird sie ein Zusatz sein, wie anderes in der Erzählung auch; das doppelte Verhör, die gelegentliche, nicht cousc(iuent durchgeführte Erwähnung des Sabbats

Aporien im vierten Evangelium II 147

sein dürften. Es läßt sich nicht mit Bestimmtheit beweisen, ist aber nicht unwahrscheinlich, daß der jüdische Haß erst nach der Katastrophe des hadrianischen Kriegs sich zu einer rituellen, feierlichen und allgemeinen Form verdichtet hat: die Gründung Aelias und das Verbot die Stätte, auf der Jerusalem gestanden hatte, zu betreten hat die Sonderentwickelung des Judentums er- heblich stärker gefördert als die Zerstörung des Tempels, die die enthusiastischen Hoffnungen fast mehr steigerte als vernichtete : im Jahre 70 trauerten die Christen noch mit den Juden, den ha- drianischen Vernichtungskrieg beklagen sie nicht mehr; ja die Vermutung Jülichers [Einleitung 385] ist gar nicht unwahrschein- lich, daß der nur lose im Context hängende Spruch loh. 5, 43 syc) il7]Xvd'a iv tG)L ovö^atL toi) TCatQÖg ^ov aal ov Xa^ßdvers ^s ' iäv ccXXog sX&rjL iv röt ovö^art xcbi IdCai, ixeivov ^iq^^söd'E auf Barkochba zielt, der die Christen, deren er habhaft werden konnte, hinrichten ließi).

Jedenfalls wird die letzte Ausgabe des Evangeliums nicht er- heblich vor 140 gesetzt werden können, wenn die Spuren der Po- lemik gegen Basilides und Valentin richtig gedeutet sind. Die ein- zig brauchbare Angabe über deren Zeit steht bei Clemens [ström. 7, 107 vgl. Abhdlg. VII, 5, 21] : MaQxccov xarä x^v avxriv avxotg [Basilides und Valentin] riXcmav ysvö^svog cog TtQsößvxrjg vscoxEQocg 6vvEyivExo : die valentinianische Gnosis ist nur als Gegensatz gegen Markion verständlich. Dieser war, als lustin die Apologie schrieb, also um 150, noch am Leben, hatte aber seine Kirche schon ge- gründet [apol. 1, 26. 58] ; Valentinianer und Basileidianer werden in dem nur wenige Jahre späteren Dialog [35 p. 253**] erwähnt, in der Apologie übergangen, weil dort [1, 26 p. 70°] auf das Werk Kaxä Tcaö&v xcbv aCgEöEav verwiesen wird. Wer Markions Haupt- wirksamkeit in den Anfang von Hadrians Regierung, Basilides und Valentin an das Ende dieser und in die ersten Jahre An-

[9, 14. 16], der Wechsel von ^aqiGatoi [9, 14—16] und 'lovSatoC [9, 18], der das Subject von 9,24 unbestimmt macht, all das spricht dafür daß 9, 13— 17 eingelegt sind; 27 bezieht sich auf 11. Uebrigens stehen 9,22 und 12,42 streng genommen zu der Weissagung im Widerspruch, und wenn man darüber hinwegsehen kann, so bleibt doch zu beachten daß die beiden erzählenden Stellen das Judentum der Synagoge in die Zeit Jesu und nach Jerusalem verlegen, wo doch der Tempel und nicht die Synagoge der Mittelpunkt war.

1) lustin. apol. 1, 31 p. 72e. Auf Barkochba geht auch vielleicht die Pro- phezeihung 16, 2 ccXX ^%stcci mga l'va n&g 6 ccTtoY.xsCvas v[i&g do^rii Xatgsiccv nqoacpbquv tön ^siöL, die auf heidnische Verfolgungen nicht paßt.

j[48 ^- Schwartz, Aporien im vierten Evangelium 11

tonins setzt, wird nicht weit am Richtigen vorbeigehn. Im letzten Grunde hatten also die Tübinger gar nicht so Unrecht, wenn sie das vierte Evangelium bis in die Mitte des zweiten Jahrhunderts hinabrückten ; erst damals hat es seine abschließende Gestalt er- halten und erst nach 160 äußert es in und außer der Kirche seine Wirkungen, dann allerdings kräftig und nach allen Seiten hin. Nur darf der gesammte Inhalt des Evangeliums keinenfalls so spät gesetzt werden; es ist ein aus mannigfaltigen Bestandteilen zusammengefügtes und zusammengeklittertes Buch, wie die er- zählenden Bücher der altisraelitischen Litteratur auch, eine Par- allele die alle beherzigen sollten, welche mit unlogischen Argu- menten und schlaffer Interpretation die unrettbar verlorene Einheit aufrechtzuerhalten bestrebt sind und bestrebt zu sein nicht auf- hören wollen.

Aporien im vierten Evang-elium III

Von E. Scliwartz

Vorgelegt in der Sitzung vom 22. Februar 1908

Die Erfindung der drei Festreisen lesu, die das vierte Evan- gelinm mit solcher Bestimmtheit von den Synoptikern scheidet, daß jede Harmonistik unmöglich wird, ist in der früheren Mit- teilung als ein secundäres, dem ursprünglichen Evangelium fremdes Product antignostischer Polemik nachgewiesen. Wenn der Rahmen unecht ist, braucht das Bild noch nicht condemniert zu werden j die Erzählungen können an und für sich zum ursprünglichen Be- stand gehören, auch wenn sie in eine falsche Chronologie gestellt sind. Hängen freilich eine Festreise und das was während ihr geschieht, so fest zusammen wie die erste mit der Tempelreinigung, dann muß beides, der chronologische Rahmen und die Geschichte, fallen, um so mehr als die Tempelreinigung aus den Synoptikern auf mechanische Weise transponiert ist. Daß das Gespräch mit Nikodemus überarbeitet ist, wurde für den ersten Teil, in dem wenigstens die Gesprächsform noch festgehalten wird, schon ge- zeigt [Nachr. 1907, 363]. Nach der zweiten verwunderten Frage TCcbg dvvatai xavra yBviöd-ai [3, 9] verschwindet der nächtliche Be- sucher, als habe er sich in Rauch aufgelöst, um 7, 50. 19, 39 als verschämter Anhänger lesu in Jerusalem wieder aufzutauchen. Dies Versanden der Erzählung macht es einerseits unmöglich zu erschließen wohin das Gespräch ursprünglich gehört, und würde andererseits zum Nachweis genügen, daß der zweite Teil des Ge- spräches [3, 10 21J nicht intakt geblieben sein kann , auch wenn dies nicht aus dem Inhalt der Rede lesu ein Gespräch ist es

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hiator. Klasse 1908. Heft 2. H

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nicht mehr ohne Weiteres feststände. Die Rede enthält vieles was im Mnnde lesu sich seltsam ausnimmt, aber sofort verständ- lich wird, wenn es in die Predigt eines christlichen Lehrers über lesus eingesetzt wird. Gleich im Anfang [3, 11] («fii^v a/Ln)i/ Af'yo 60L ort) o oüda^sv, XaXovfiev xcd o ioQoixa^sv, ficcQtvQOviiev xal t^v liUQXvQCav ij^G)v ov Xa^ßdvets ist das 'Wir' ein böser Stein des Anstoßes. lesus bezeichnet sich selbst nie mit dem s. g. Pluralis der Majestät oder gar des Schriftstellers [vgl. Nachr. 1907, 367], und kann doch nur sich selbst meinen [vgl. 3, 32. 8, 38], nicht etwa die Jünger mit einschließen. Denn wenn er behauptet von dem zu zeugen, was er weiß und gesehen hat, so kann er nur an das denken was er 'im Schoß des Vaters' [1, 18] erfahren hat, und er allein: nur er ist der eingeborene Sohn. Spricht aber ein christ- licher Missionar oder ein Jünger lesu, dann schiebt sich alles zu- recht : man braucht nur den Anfang des ersten lohannesbriefes zu vergleichen. Ein solcher kann auch sagen [3, 13] ovdslg avaßeßrixsv eCg xov ovgavöv [vgl. 6, 62], ei nij 6 ix roi) ovgavov xarccßdg, 6 vtbg tov dvd^Qajcov: Jesus selbst kann seine Himmelfahrt allenfalls prophezeihen, aber nicht im Perfectum als vergangen behandeln, ehe sie stattgefunden hat, und den Spruch nicht von der Himmel- fahrt zu verstehen ist nur möglich durch gewaltsame Verdrehung des Wortlauts. Im Folgenden ist der Text durch Parallelfassungen erweitert. V. 14. 15 hat wörtlich den gleichen Schluß wie Vs. 16 und ebenso sind V. 18 und 19 Formulierungen desselben Ge- dankens, die sich gegenseitig stören : denn einmal ist das Gericht durch den Unglauben am Einzelnen schon vollzogen [vgl. 5, 24 = 1 loh. 3, 14], das andere Mal besteht das Gericht darin daß lesus, als er in die Welt kam, bei den Meisten keinen Glauben fand [vgl. 1, 11. 16, 8 11]. Gemeinsam aber ist dem gesammten Rai- sonnement, daß ebenso wie Vs. 13 die Himmelfahrt, fast durchweg das Wirken und Leiden lesu als etwas Vergangenes hingestellt wird, wie schon die Praeterita und Perfecta [16 idcoxsv, 19 iXi^- kv&Ev . , xal riydiCTjöav, ^v\ verraten. Vs. 14 wird allerdings von diesem Vorwurf nicht getroffen; immerhin muß man darüber er- staunen daß Jesus am Anfang seiner Wirksamkeit seinen eigenen Tod am Kreuz auf einen Typus des A. T. zurückführt, beiläufig in so nachlässiger Form, daß nur ein dogmatisch gebildeter Christ das simple v^co^rivai, verstehen *) . kann : wie scharf und wuchtig heben sich bei den Synoptikern [Mc. 8, 31. Mt. 16, 21. Lc. 9, 22]

1) Das aramaeische D'^'^Ä tödten (Wellhausen Ev. Lc. 46) kann nicht darin stecken; dann müßte &Q&^vai dastehn.

Aporien im vierten Evangelium III 151

die Todesweissagungen heraus ! Endlich ist es unerhört, daß lesus sich selbst mit (pcbg in periphrastischer Rede bezeichnet ^). Setzt man aber das Granze um in eine Predigt die erweisen will daß trotz der Kreuzigung lesus . der Messias und der vom Himmel herabgestiegene Sohn Gottes ist, so erhält alles einen vernünftigen Zusammenhang, ja es ist nicht einmal eine triviale Predigt die herauskommt; denn die Art wie der jüdische Einwand daß der Messias als Richter kommen müsse und lesus das nicht gewesen sei, dadurch widerlegt wird, daß die historische Erscheinung in alttestamentlicher Manier als ein Grericht das die Greister scheidet, aufgefaßt wird, ist allerdings sehr eigentümlich. So räthselhaft

1) Bei den Synoptikern ist 6 vihs to-D av^gconov eine zwar nicht authen- tische, aber doch alte und häufige Selbstbezeichnung lesu; 6 vtdg ist selten [Mt. 11,27 = Lc. 10,22. Mc. 13,32]. Jene findet sich im vierten Evangelium oft: 3, 13. 8, 28 (12, 34 wird sie sonderbarer Weise von der 'Menge' vorausgesetzt, ob- gleich lesus sie ihr gegenüber vorher nicht gebraucht hat). 6, 27. 53. 62. 12, 23. 13,31; außer 6,27 spricht lesus stets von seinem Tode. 'O vtog bezeichnet den von sich redenden lesus 3, 17. 6, 40. 14, 13 ; 5, 19—23. 26 steht unmittelbar daneben [5, 24. 30 ff.] sonderbarer Weise die erste Person. 8, 36 ist einge- schoben; denn hier ist 6 vio? Selbstbezeichnung, während es 8, 35 der einfache Gegensatz zu 6 dovXog und ein Bild für die Gläubigen sein soll. In dem feierlichen Gebet lesu 17, 1 wechseln 6ov tbv vtov und 6 vtog: da nennt er sich auch selbst mit dem vollen Namen des christlichen Bekenntnisses ov aniatsiXccg 'Irioovv Xql- Gxov \Xql6x6v ohne Artikel!]. Die Formel 6 vibs tov d'sov brauchen die Synop- tiker nur in Bekenntnissen, so in dem des Petrus Mt. 16, 16 [kürzer und ohne 6 vLog Mc. 8, 29. Lc. 9, 20] oder nach dem Wunder auf dem See Mt. 14, 33. Dem steht gleich, wenn der Hohepriester beim Verhör Jesus fragt av sl 6 XQLötbg 6 vtbg tov svXoyritov [Mc. 14,61. Mt. 26,63; vgl. 27,40.43. Lc. 22,70], oder der Teufel bei der Versuchung den Beweis dafür verlangt [Mt. 4, 3. 6. Lc. 4, 3. 9] ; die Daemonen reden ihn widerwillig so an [Mc. 3,11 = Lc. 4,41. Mc. 5, 7 = Mt. 8, 29 = Lc. 8, 28]. Es scheint beachtenswert daß bei Marcus dies Praedikat lesus nur von Feinden, nämlich vom Hohenpriester und den Daemonen gegeben wird; bei Matthaeus und Lucas ist es schon Bestandteil einer Glaubensformel ge- worden, erscheint aber nur an Stellen in denen das deutlich hervortritt. In diesem Sinne kommt es auch im vierten Evangelium vor : 1, 34 [mit der alten Variante 6 itiXE'iitdg']. 49. 11,27 wo Martha ein christliches Glaubensbekenntnis ablegt, 20, 31 [tvcc 7t LGTEVTiTS OTL 'lijffo-ög iüTLV 6 XQißtbg 6 vibg tov -O-foü]; ebenso 1 loh. 4, 15. 5, 5. 10. 20. loh. 19, 7 ist nach den Synoptikern gemacht, vgl. Nachr. 1907, 358 ; 10, 36 gehört in den gleichen Zusammenhang. Man sieht wie un- passend 3, 18 lesus die Formel des Bekenntnisses zu ihm selbst in den Mund ge- legt wird ; 5, 25 steht in unversöhnlichem Widerspruch zu 5, 24 und ist ebenso wie 5, 22. 23. 27—29 [vgl. Wellhausen S. 13] ein Versuch die gewöhnliche Vor- stellung vom jüngsten Gericht dem Evangelium anfzuoctroyiren. Auch tbv vCbv tbv ^ovoyEvij 3, 16 [vgl. 3, 18] und 6 mv nagä tov Q-eov 6, 46 sind singulare Selbstbezeichnungen; der zuletzt angeführte Vers ist eine Randglosse, die den Widerspruch zwischen 6, 45 und 1, 18 hinauscorrigieren soll.

11*

152 E- Schwartz

es etscheinen mag, daß Fetzen einer solclien Predigt sich in das Evangelium verloren haben, so ist es doch nicht nur an dieser Stelle vorgekommen. 12, 37 41 ist ein ähnliches Stück mit diesmal sehr trivialem Inhalt in die Erzählung eingelegt; daß in dieser Weise ein Evangelist aus der Rolle des Erzählers in die des Lehrers fällt, der mit dem A. T. raisonnirend operiert, ist eben- falls singulär. Endlich hat man sich schon längst über die Rede des Täufers gewundert, der zuerst zwar noch sich selbst mit lesus vergleicht, dann aber, von 3, 31 ab, genau so redet, als sei er in alle Mysterien der Lehre vom Vater und vom Sohn eingeweiht. Allen diesen Stücken gemeinsam ist, daß die Situation in die sie hineingestellt sind, gänzlich ignoriert wird, auch 12, 37, wo ob- gleich keine Wunder erzählt sind, doch mit den Worten einge- setzt wird roöavta de a'bzov örjfiela TCSTtocrjxötog.

Durch die predigende Einlage ist das Nikodemusgespräch zer- stört und seines alten Schlusses beraubt ; der Torso läßt sich nicht mehr einfügen. Die zweite Festreise ist an die Geschichte von der Heilung des Kranken am 'Teich Bethesda' geknüpft; sie ge- hört zu den Stücken des vierten Evangeliums, die immer schwie- riger werden, je mehr man sich in sie vertieft. Es ist überflüssig daß Jesus fragt [5, 6] d-skscg vyirjg yevia&aL , wenn die Kranken darum in den Hallen liegen, um zur rechten Zeit die Heilkraft des Wassers zu benutzen; und was der Kranke antwortet, bedarf sehr der Erklärung; Vs. 4, der durch die lieber lieferung als ein Zusatz erwiesen wird, verrät daß man schon früh etwas vermißte. Man soll aus Vs. 7 erschließen daß immer nur einer in dem unruhig gewordenen Wasser Heilung findet: dafür müßte ein Grund an- gegeben werden. Für die Heilung durch lesus bedeutet die Wunder- kraft des Teiches nichts, und wenn der ganze Apparat einmal auf- geboten wurde, so sollte man wenigstens erwarten daß er Jesus den Anlaß zu einer Rede bot: dieser aber verliert kein Wort darüber. Es giebt eine intermittirende Quelle außerhalb Jerusalems an der Ostseite, die im A. T. Gi;toii, jetzt Marienquelle heißt und durch den berühmten, auf König Hiskia zurückgeführten unter- irdischen Tunnel mit dem Teich Siloah zusammenhängt. Vs. 7 läßt sich auf sie beziehen, aber nicht die Ortsangabe in Vs. 2. Der 'hebraeische' Name des Bassins ist verschieden überliefert. Für Bethesda treten die Syrer ein mit l^sxij^ Ä^^a, von den Griechen nur der Alexandrinus und geringere Hss. ; der Verdacht liegt nahe, daß das 'Haus der Barmherzigkeit' ein Versuch der Aramaeer ist einen in der griechischen Transscription unverständlichen Namen durchsichtig zu machen und daß dieser Versuch in die griechischen

Aporien im vierten Evangelium in 153

Hss. eindrang. Der Sinaiticns und Eusebius [Onom. 58, 21] lesen Brj^^a^a oder Brj^ad^a, was dasselbe ist; aucb BsXied-a d. i. Bsd^s&a in D ist nicht wesentlich verschieden, und Bij^öaiöa im Yaticanus und bei Hieronymus in der Uebersetzung des Eusebius dürfte eine zweite aramaeische Verdeutlichung neben Br^d-eöda sein. Mit dem Hügel Bsie^a^) bei los. BI 5, 149. 151.246 kann der Name nichts zu tun haben; es ist außerdem sehr unwahrscheinlich, daß man sich ge- rade den besonders hohen Hügel zur Anlage eines Schwimmbassins aussuchte. So wenig sich Brid^^ad'a erklären läßt , im ersten Teil ist Vr>2 nicht zu verkennen. Natürlich kann mit dem bei den Se- miten ungemein beliebten Wort eine Eallenanlage bezeichnet werden, die ein Bassin in sich schließt; wenn das aber umgedreht wird und der Teich 'Haus' heißen soll, so leuchtet das weniger ein. Es ist auch gar nicht sicher, ob der 'hebraeische' Name wirklich auf das Bassin zu beziehen ist. Im Sinaiticus stand ur- sprünglich sott ÖS SV Totg ^l£Q06oXv^OLg TCQoßatixrj xoXv^ßrjd-Qa Xsyo^svov [dafür gewöhnlich ri Xsyoiiavr] oder X.syo^svri] ^Eßgaiötl Brid-^ad-a, nivta axoäg £%ov6a. Im Wesentlichen muß Euseb das- selbe gelesen haben ^). Er [Onom. a. a. 0.] berichtet daß man zu seiner Zeit in Jerusalem einen Tümpel zeigte, dessen Wasser auf- fallend rot aussah; man erzählte, das käme von den Schafen die früher dort geopfert seien. Diese jCQoßartxrj xolv^ßtjd^Qa wurde mit Brjd-^ad^a identificiert; die fünf Hallen waren freilich nicht mehr da: Brj^ad^a JcoXv(iß7]d'Qa iv 'IsQovöaXyj^, i]tig söxlv t] TtQoßatLKr], itaXaiov 8 6Toäg siovöa. Es ist leicht zu sehen daß weder die Lesung noch die Localisierung richtig sein kann: eine Ansammlung von Eegenwasser dessen Farbe alles andere als einladend war, ist kein 'Bassin', in dem man untertauchen kann, um das 'Aufrühren' des Wassers einmal ganz bei Seite zu lassen, und der doppelte Name, der nicht auf Uebersetzung beruhen kann, erregt von vorn herein Verdacht. Der Vaticanus schiebt nach 'IsQoöokvfioLg ein STtl T^t: dann wird jiQoßatLxrjt xokv^ßrid-QaL Dativ. Das ist vor- trefflich, wenn man ro Xsyo^svov aus dem Sinaiticus aufnehmen und das Feminimum exovöä in sxov umsetzen "darf: dann kommt der in sich richtige Sinn heraus, daß Brjd-^ad^a die Hallenanlage neben 'dem Schafteich' bedeutet. Das falsche Grenus des Particips

1) losephus bezieht den Namen ausdrücklich auf den Hügel nördlich der Antonia: 5,149 Xocpov og ^aXsLtca Bs^sd'cc , 246 17 Bs^ad'a l6(pog. Zugleich be- zeichnet er damit das auf dem Hügel liegende Quartier und behauptet [5, 151], das Wort hieße ytaivt} noXtg (hebraeisch baji-O- ;täö'äs, syrisch bai^ä ^a-O-ä).

2) Wie es scheint, auch Kyrill von Jerusalem [homil. in paralyt. 2]; doch ist die Stelle unsicher überliefert.

154 E. Schwartz

entstand dadurch daß man den Namen auf den Teich bezog und xoXv^ßTl&Qtt in den Nominativ setzte. Dadurch wurde snl rrji, TtQoßatLxiji unverständlich, denn icvXrjL kann nicht ergänzt werden. Mit SV XYii TCQoßatLxrjL in N*^DA ist gar nichts anzufangen, ii tcqo- ßatiXT] kann doch nicht eine Oertlichkeit bezeichnen. Die Lesung einiger Lateiner in inferiore parte (der Stadt) ist wohl nur ein Gewaltstreich um für das unverständliche iv r^i jtQoßaxLxrjt irgend etwas einzusetzen ; aus demselben Grrunde ließen die Syrer es ganz aus. Als richtige Lesung kann nur stcI xyil Ttgoßarixfjt xoXv^ßrid-Qai, angesehen werden; will man t6 Xsyö^svov und sxov nicht aufnehmen, so muß man vermuthen daß ein Femininum wie oixLu oder ßwaycDyi] [Mc. 3, Iff., s. u.] gestrichen ist, um den Namen auf den Teich übertragen zu können. Er steht jetzt freilich durch Ys. 7 zu- nächst im Mittelpunkt der Handlung; aber es ist schon darauf hingewiesen, daß er danach verschwindet, und niemand kann leugnen daß die Erzählung erheblich besser wird, wenn die Hallen nichts anderes sind als ein Zufluchtsort^) für die Kranken und Krüppel, eine Art ospedale degli incurahili, und der Schafteich in erster Linie die Oertlichkeit bezeichnen soll. Vs. 7 ist dann eine se- cundär eingejäickte Erfindung, die die ursprüngliche Antwort des Kranken auf die nunmehr passende Frage lesu verdrängt hat; wahrscheinlich hängt mit dieser TJeberarbeitung auch die Zer- störung von Ys. 2 zusammen.

lesus heilt den Kranken am Sabbat, zum Aerger der Juden. Bei einer der synoptischen Sabbatheilungen sagt lesus nach Matth. 12, 11 tLg eözai £| vyLav ccvd^gcjTCog bg £%eL Ttgößarov ev, xal iäv i^TCeörii tovro totg 0ccßßa6Lv sCg ßöd-vvov, ovxl xqutt^ösl avtb xal iysQst] Ttööcoi, ovv diacpSQSL ccvd-QCDTtog Ttgoßdrov] Lucas setzt für die Grube den Brunnen [14, 5]: tLVog vfi&v mg^) -i) ßovg slg (pgiaQ Ttsösttat xal ovx svd'icog avaöTtdösv avtbv iv rj^egac rov 6aß- ßdtov; Sollte von diesen Berührungen ein Weg zum *Schafteich' im vierten Evangelium führen?

Nach den vorangehenden Untersuchungen ist lesus vor Cap. 7 nicht nach Jerusalem gereist. Also ist Cap. 5 von dem Inter- polator verstellt, wenn die Geschichte ursprünglich in Jerusalem spielte, oder die Erwähnungen von Jerusalem sind falsch und das Wunder gehörte auch im vierten Evangelium ursprünglich nach

1) Bri&tcc&a = fc<ino tT^a 'Winterhaus'? Hebraeisch ist ^yrm rT^S der Winterpalast, Jer. 36, 22.

3) So ist mit Matthaei und Lachmann unweigerlich für va zu lesen; vtdg ist sinnlos und vg geht nicht.

Aporien im vierten Evangelium III 155

Galilaea. Antike Erklärer identificierten es mit der Heilung des Paralytischen [Mo. 3, Iff. Mt. 12, 9 ff. Lc. 6, 6 ff.] in der Synagoge i). Thatsächlich schließt Marcus jene Erzählung mit den Worten [3, 6] xal E^sXd-övtsg oC QaQLöatoi, svd^vg fisrä tcbv 'HQcaidiav&v öv^ßovlLov sdcdovv xar' avrov OTCcog avtbv ä7toXs6(o6cv, ähnlich Mt. 12, 14. Das klingt lo. 5, 16 wieder : xal diä xovxo sdtcoKov ot 'lovdatoi xhv ^Itj- öovvj ort xavxa STtoCai sv öaßßdxcoL. Die Fortsetzung o ds aTCsxQL- vaxo avxotg schließt nicht an: wie paßt das 'Antworten' zum * Verfolgen' ? Die Antwort selbst 'mein Vater arbeitet noch immer ^), so arbeite auch ich' zielt auf den Vorwurf des Synagogenvorstehers Lc. 13, 14 f| rjiiSQai slölv iv alg dev igyci^eöd'ccL ' sv avxatg ovv iQI^HEVoi d'SQaTtsvsöd'S Kai n'^ xtjl ti^EQat xov (Saßßdxov und spielt in merkwürdiger Weise auf den Weltsabbat an, an dem alle Arbeit ein Ende hat. Damit soll 18 motivirt werden diä xovxo ovv nakXov e^tjxovv avxbv gl lovdcctoi ocTtoxxstvai, oxi ov ^6vov sXvsv xb ödßßaxov, äXlä xal JtaxEQa Idiov skEyEv xbv %-b6v^ töov iavxbv TtoL&v x&i d'sm. Woher sind aber die Juden die sonst sich im vierten Evangelium recht dumm anstellen, plötzlich so gescheit, daß sie das wahr- haftig dunkle Wort lesu gleich auf Gott beziehen? In der Rede lesu, die 19 wiederum mit einem formelhaften aiCEKQCvaxo ange- schlossen ist, ist jede Beziehung auf den concreten Anlaß aufge- geben ^). Den ursprünglichen Zusammenhang, der von Vs. 17 an zerbröckelt, zeigt vielleicht 6, 1 an. Es muß jetzt, wie schon gesagt [oben S. 115], baß verwundern daß lesus plötzlich von Jerusalem nach Galilaea verschlagen wird. Mt. 12, 15 wird an den oben aus Marcus mitgeteilten Schluß der Geschichte vom Pa- ralytischen angehängt: 6 8e 'Iriöovg yvovg (daß die Pharisaeer ihm nachstellten) ävEXG)Qr}6£v ekeI^ev. Damit wird Mc. 3, 7 ausgedeutet, wo 'der See' ausdrücklich erwähnt wird: koI 6 ^Irjöovg [tExä xav Had"rixG)v avtov äv8X(hQr}6Ev jcgbg xr^v d^ccXuödav, und diese Erwäh-

1) Chrys. t. VIII p. 2116 nvlg filp avv otovxai xovtov slvai xov iv x&i MuxQ-aC(oi -KS^fievov.

2) So wird sag uqxl auch 1 lo. 2,9 gebraucht: 6 Xsyav iv tm cpcoxl sivcct xal xbv &8£X(pbv avxov fiiaöäv iv xfji aytoxiau iaxlv aag ccqxl. Zur Erklärung vgl. lustin. dial. 23 p. 241» ogäxs oxl axoLxsCa [die Himmelslichter] ov% ccQysX ovds aaßßaxL^SL. 29 p. 246« %al 6 &sbg xrjv avxijv Sioitiriaiv xov Koa^iov 6[iot(og xal iv xavxriL xiji r}(iSQUi tcoiuxui [cod. itSTtoirixai] yiccd'ccTtSQ -Kai iv xccig ccXXccig ccTCccGccig. Philo leg. alleg. 1, 5 itavsxai ovdsTtoxs Ttoi&v 6 Q-Bog.

3) Man kann die Rede direkt an 17 anschließen, dann wird 19 einigermaßen verständlich. In ihr selbst finden sich Einlagen Vs. 22. 23. 25. 27 29, vgl. oben S. 151; Vs. 34, während erst Vs. 35 den richtigen Gegensatz zu 33 bringt; 41 44, die den Zusammenhang von 40 und 45 unterbrechen, lieber 43 vgl. S. 147.

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nung des Sees^) kann der Anlaß gewesen sein Cap. 6 an Cap. 5 anzuschließen, jedenfalls wird der jetzt unverständliche Anschluß verständlich, wenn die Geschichte von der Verletzung des Sabbats in Gralilaea spielt und die Erwähnungen Jerusalems und des Tempels secundär sind, wie es die Festreise sicher ist. In den Worten 5, 2 iötLv iv xotg 'IsQoöolv^oig ist das Praesens verdächtig. Die Apologeten haben Recht, wenn sie dagegen protestieren, daß das Tempus nicht scharf genommen wird: in solchen Zustandssätzen ist das nötig. Aber sie müssen dann auch consequent sein und aus dem Praesens den Schluß ziehen daß Johannes sein Evangelium vor 70 geschrieben hat, und die Erzählung von dem greisen Apostel der es in Kleinasien zur Ergänzung der Synoptiker verfaßt, keine 'Tradition', sondern eine Legende ist. Da sie dazu schwerlich Lust haben, dürfen sie nicht schelten, wenn eben das Praesens dem Interpolator gut geschrieben wird, der den Apostel Johannes zum Autor machte und die Reisen nach Jerusalem hineinbrachte. Er wird auch für Vs. 7 verantwortlich zu machen sein; ob er an die Gihonquelle gedacht oder irgend einen Anlaß im ursprüng- lichen Evangelium zu der Fiction benutzt hat, muß unentschieden bleiben. In Vs. 14 wird der Tempel erwähnt. Gewiß; aber die Erzählung ist von Vs. 13 an mehr als sonderbar. 'lesus bog aus, da viel Volks an dem Orte war'. Wo war viel Volks? Bei den Hallen? Schwerlich; dann hätten viele das Wunder gesehn nnd die Juden brauchten mit dem Geheilten kein Verhör anzustellen. Da wo die Juden den Paralytischen sein Bett tragen sehen? Es hätte doch gesagt werden müssen, daß lesus auch nach dem Wunder mit ihm zusammen blieb; gewöhnlich pflegt er in den Evangelien die Genesenen ihres Weges ziehen zu lassen, i^evsvöev verlangt eine Beziehung die angiebt wohin oder wovor ausgebogen wird: es steht nichts da. Die alten Syrer legen sichs so zurecht, daß lesus vor der Menge auswich^); bei Chrysostomus ^) taucht neben

1) Ein sicheres ürteU läßt sich nicht abgeben, weU, wie sich noch heraus- stellen wird, die Geschichte von der Speisung der Fünftausend sehr jung ist.

2) Syr. Sin. )p-* ;p o>l-,^«.\ Iä^soj ;d o^ jooj wOä. ^«»j \s^. Syr. Curet. \aj\j )aj3 ^^^^ ojZ.v^*A ]hs>o^ ;d o^ )ooj -*• n5.qa^ Vs^ oof. Man beachte die um- ständliche Umschreibung von i^ivBvasv^ bei der iv t&l rdnoai, benutzt wird: er entfernte sich von einem Ort zum anderen 'vor dem' oder 'wegen des Gedränges*. Das ist nicht Uebersetzung eines von der griechischen Ueberlieferung abweichenden Textes, sondern das Targum einer unverständlichen Stelle. Nebenbei gesagt, haben die antiken Ausleger und üebersetzer nicht an die Möglichkeit gedacht i^ivtvaev von iyivetv abzuleiten. Das Bild kommt nicht selten vor um das Ent- rinnen aus einer Gefahr zu bezeichnen, aber so viel wie ich mich erinnere, nie

Aporien im vierten Evangelium III 157

dem Ausweichen schon das Verstecken vor der Menge auf, für das er und Theodor von Mopsuhestia [p. 110, 20 if. Chabot] nach Grründen suchen. Die Peschitha wendet denselben Begriff anders: nach ihr versteckte sich lesus nicht vor, sondern unter der Menge ^). Die unklare Stelle wird noch unklarer dadurch daß sie den Satz 6 dl iad-elg ovx rJLdst xCg iöxiv nicht motivirt. Streicht man wegen des allerdings sehr auffallenden Praesens rCg eöttv als Wiederholung aus Vs. 12 und supplirt daß der Geheilte den Namen Jesu nicht wußte und auch nicht auf ihn zeigen konnte, weil er verschwunden war, so stellt sich dieser Lösung das was im jetzigen Text folgt, ent- gegen: nachdem lesus mit ihm im Tempel gesprochen hat, zeigt er ihn an ; er weiß also seinen Namen. Somit ist Vs. 13 unverständlich und die Scene zwischen lesus und dem Greheilten [Vs. 14. 15*] wird überflüssig^): für die allein ist aber der Tempel als Local bezeugt. Nach 7, 19 ff. soll allerdings das Wunder in Jerusalem geschehen sein: lesus setzt es sowohl wie die daran anschließende Verfolgung als bekannt voraus. Aber auch davon abgesehen daß der da- zwischen liegende Aufenthalt in Gralilaea ignorirt wird, so sind diese ßückverweisungen in Cap. 7 schon an und für sich ver- dächtig. Zu der Frage lesu [7, 19] tl ^is ^rjTstrs änoxrslvai ; liegt in dem dortigen Zusammenhang kein Grrund vor, so daß man es der Menge nicht übel nehmen kann, wenn sie darauf antwortet

isolirt, sondern stets in mehr oder weniger ausgeführten Metaphern. Menander 'ETtitQSTtovrss 355 xagiivta? i-uvsvsviiivcci fi . . . tb ^i] Sl' ifiov tavtl v.vv.&aQ'ai liegt wohl i'uvs'VEiv zu Grunde. Bei lustin dial. 9 p. 226 e steht iuvsvaavtsg sy- nonym mit vTtoxcogrJGccvvsg: so ists auch im Evangelium gemeint. ccTtsvsvas = &7ts6tri Ln' ccvTov [Lc. 4, 13] ebenda 125 p. 355».

3) T. VIII p. 2136 6 yag Iriöovg i^eyiXivEv öx^ov övtog sv tau. tOTteoL. ticcI tC d'qTtots t'yiQvipBv sccvTov 6 XQiötog-,

1) -oj JÄ^op jooj J^-.jj jk^ )>n^ o^ jooj wa^) Vs5^>i^Q*-..

2) Mit dem Spruch ^rjH^rt äiiägtccvs Iva fii] xslqov goC tl ysvritat soll man sich nicht zu eifrig abmühen. Er ist eine Reminiscenz an die synoptische Heilung des Paralytischen, vgl. Mc. 2, 5. Mt. 9, 2. Lc. 5, 20 ; die Heüung bei der dort die Sünden vergeben werden, ist als Taufe aufgefaßt, mit der nach altkirchlicher Praxis die Sünde aufhören soll, und ;tst()ov braucht nicht als strenger Comparativ genommen zu werden. Die jüdische Anschauung daß Krankheiten Strafen sind, die in Cap. 9, der Geschichte vom Blindgeborenen, von den Pharisaeern vertreten wird, ist 9, 2 unpassend den Jüngern in den Mund gelegt : gaßßsL, xig ^'fta^rsv, ovtog r\ OL yovstg avtov, tvcc xv(plbg yBvvri%^fiL] Die Alten heben mit Recht die Torheit der Frage hervor. Chrys. t. VIII p. 326^ E6cpccX[isv7i rj hQmt7\6Lg. nmg yag av ^fiagts nglv ri ysvvri&TjvaL ; Tt&g ds rmv yoveav ay^agtovrcov ccvzbg äv ixo- Idad-ri', n6&sv ovv •^Xd-ov STtl tr}v igdotriaLv rccvtriv; lesu Antwort paßt nicht zu vs. 4, der allerdings auch entstellt ist, s. u.

158 E. Schwartz

[7, 20] daLfiöviov ^x^ig ' rCg ös ^ritst anoxzstvaL ; Was lesus darauf erwiedert, ist keine Rechtfertigung seines Verdachtes; wer etwas nicht versteht, will darum noch nicht denjenigen über den er sich wundert, tödten. Während ev EQyov sitoii^öa xal jtävtsg d^av^d^evs wie ein schlechtes Fabricat nach 5, 20 aussieht und lesu Frage unpassend auf 5, 18 zurückschlägt, » würde öaL^iöviov sieig im Munde nicht der Menge, sondern der Juden [vgl. 8, 48] eine passende Er- wiederung auf die Scheltrede 7, 19 sein : ov Mcovafjg edcoxsv v^tv Tov vo^ov; xal ovddg i^ v^cbv tcolsl tbv vö^ov. Dies Thema wird durch die Aporie die lesus 7, 22 ff. den Zuhörern hinwirft, keines- wegs weitergeführt, sondern abgebrochen : damit daß er seine Ent- weihung des Sabbats damit entschuldigt, daß die Juden in einem bestimmten Fall dasselbe tun, begründet er die scharfe Anklage [vgl. Ps. 13, 3] nicht, daß sie alle das Gresetz nicht befolgen. Ferner ist in Vs. 22 so wenig Verstand hineinzubringen wie in Vs. 21, auch wenn, wie billich und notwendig, die mit ovx ort eingeleitete corrigierende Grlosse ausgeschaltet wird [vgl. S. 119]. Die Anfangs- worte diä Tovto lassen sich nicht ohne Gewaltsamkeit erklären^), und auch der Satz selbst MayiJöfjg dddcoxsv v^tv triv icsQiroyi'^v xal ev eaßLßdtcji 7tSQLt6^v£T6 ccvd-QcoTtov ist uulogisches Gestammel; es han- delt sich ja nicht um die Beschneidung im Allgemeinen, wie man nach dem Verbum dedcsxsv annehmen sollte [vgl. Act. 7, 8. Rom. 4, 11], sondern um das Gebot sie am achten Tage vorzunehmen [Gen. 17, 12. Lev. 12, 3], das eben mit dem Sabbat collidieren kann. Hier ist mit rohen und mechanischen Mitteln eingegriffen um an den verstümmelten Anfang diä rovro f^v Ttegizo^'^v den Vs. 23 [vgl. Lc. 13,16] anzufügen, d. h. die Rückverweisung auf Cap. 5. Mit Vs. 25 setzt ein neues Gespräch ein, dessen Anfang den Widerspruch zwischen Jesu Frage 7, 19 und der Wirklichkeit zu entfernen sucht, indem es den 'Behörden' eine Inconsequenz zu- schiebt. Es ist schlecht und ungeschickt geführt: denn während

1) Daher verbinden die Hss. z. Th. id-av(ia^ov dioc xovxo^ gegen den Sprach- gebrauch. Nur Mc. 6, 6 kommt xal id-ccviiaasv dicc xr\v icniaxCctv wbx&v vor, an einer verdächtigen Stelle: Mt. 13,58 läßt xal i^aviiaasv aus. Auch von der in- correcten Praeposition abgesehen, ist Slcc xovxo neben id-av(iatov falsch, weil es eine selbstverständliche Beziehung überflüssig hervorhebt. Wer die überlieferten Worte in irgend einer Weise erklären will, muß den ganzen Satz Slcc xovxo Tr}v Äf ptrojLtTjv , xal iv aaßßdxai 7iSQixe(iv£xs avO-gaTtov; als Frage nehmen und das mit xa^ eingeleitete Kolon einem Finalsatz gleichsetzen. Mehr als ein Not- behelf ist das aber nicht.

Aporien im vierten Evangelium III 159

die Jerusalemer ^) zunächst den Ausdruck äXtid-ag eyvcjöav^) brauchen, als sähen sie selbst in Jesus den Messias, bringen sie dann selbst ein Argument dagegen vor ^) und wollen ihn endlich greifen. lesus lehrt im Tempel schon 7, 14: wozu wird das 7,28 wiederholt, da doch nirgends steht daß er weggegangen ist? Da er auf die Worte der Jerusalemer antwortet, so müssen auch diese im Tempel ge- wesen sein; es liegt also nirgend ein Scenenwechsel vor. Das ganze Stück 7, 25 30 dient zu nichts anderem als, mit allerdings unzureichenden Mitteln, die vorher eingeschalteten Verweisungen auf Cap. 5 zu stützen und muß ebenso fallen wie diese auch.

Bei den Synoptikern gehen der Verhaftung lesu Nachstellungen der leitenden Kreise in Jerusalem voraus. Das Grewitter zieht sich allmählich zusammen. In der ältesten TJeberlieferung ist es das schroffe Auftreten lesu, das den Hohenpriestern und Schrift- gelehrten den Gedanken eingiebt ihn zu verderben, zuerst nach der Tempelreinigung [Mc. 11, 18], dann nach der Parabel in der den Juden die Ermordung der Propheten und des Sohnes Gottes deutlich vorgerückt wird [Mc. 12, 12]. Jenen Plan streicht Mat- thaeus und setzt den einfachen Aerger an die Stelle, den die Hohenpriester und Schriftgelehrten darüber empfinden, daß Jesus Wunder tut und Beifall findet [21,16]; Lucas macht die Nach- stellung zfl einer Folge von Jesu Lehrtätigkeit im Tempel [19, 47. 48]. Beim zweiten Mal gehen beide [Mt. 21, 45. 46. Lc. 20, 19] mit Marcus zusammen. Im ersten wie im zweiten Falle scheuen sich Hohenpriester und Schriftgelehrte vor der Masse [Mt. 11, 18 = Lc. 19,48. Mc. 12,12 = Mt. 21,46. Lc. 20,19]; zu beachten ist daß dies Motiv da wo es zuerst bei Marcus auftritt, ungeschickt eingefügt ist [vgl. Wellhausen, Ev. Marci 97].

An Stelle dieses klaren und einfachen Aufbaus ist im vierten Evangelium ein sinnloses Durcheinander getreten; immer von Neuem tauchen die Verfolger auf um sofort wieder zu verschwinden. 7, 30 fgTirow avTÖv itiK^ai xal ovdslg iitißalsv fV avxov rriv xstga

1) Diese Bezeichnung kommt nur noch Mc. 1, 5 vor.

2) Sollte 7, 48 schlecht copiert sein ? üebrigens kehrt die Verbindung syvcoaccv ScXrid-ä)s 17, 8 in dem jungen Gebet lesu wieder. Zu iarlv äXrid'Lvbg 6 itiiiipa? [is [7,28] vgl. 19,35. Apok. 3,14. 19,11. 6,10. Höh. 5,20.

3) Gewöhnlich wirds umgedreht : 8, 14 und besonders 9, 29 f. Eine dritte Argumentation steht 7, 41. 42, die 7, 52 wieder auftaucht. Sie polemisiert nicht gegen die Genealogien Jesu und die Geburt lesu in Bethlehem, sondern will beides andeuten ; die Juden verraten dadurch daß sie versuchen die 'Schrift' gegen lesus auszuspielen, ihre Unwissenheit.

160 E. Schwartz

ort ov7C(o iXrjXv^si. i^ aga avtov kehrt 8, 20 wieder. Obgleich 'die Stunde noch nicht gekommen war', wollen die Juden 8, 59 lesum steinigen : er versteckt sich und geht aus dem Tempel. Es scheint als hätten die Juden ihre mörderischen Absichten bald vergessen; denn als er den Blindgeborenen heilt, schelten sie zwar weidlich auf ihn, aber von Verfolgung ist keine Rede mehr; es sind sogar Pharisaeer bei lesus, die sich eine scharfe Rede von ihm ruhig ge- fallen lassen [9, 40. 41]. Zum zweiten Male wollen die Juden lesum steinigen [10, 31] : wie er ihnen entschlüpft [10, 39], wird so wenig gesagt wie das erste Mal. So wichtig dieser letzte Angriff ist, der Jesus veranlaßt Jerusalem, ja das ganze Land ludaea zu meiden und somit scharf in die Gresammterzählung des Evangeliums einschneidet, so verworren ist er motiviert. Die Juden sehen in dem Ausspruch lesu [10, 30] sya xal 6 Ttatrig sv iö^av eine Blas- phemie : 6v av&Q(D7tos hv noLstg ösavzbv d-söv [10, 33]. Das ist nur dann begründet, wenn sie aus dem Spruch die Metaphysik des vierten Evangeliums voll heraushören: sonst pflegen sie nicht so rasch aufzufassen [8, 27]. In seiner Rechtfertigung verschiebt lesus seinen Ausspruch wiederum dahin daß er sich den Sohn Gottes genannt habe [10, 36] ; daß die Juden selbst Gott ihren Vater ge- nannt hatten [8, 41], ist vergessen, vergessen auch die Frage der luden 10, 24, nach der man nicht erwartet daß sie so schnell mit dem Steinigen bei der Hand sind : 'wie lange spannst du uns noch* sind nicht Worte die feindliche Absichten verraten [vgl. auch 1,20 ff.].

Wie die Verfolgungen, so häufen sich auch die Versicherungen daß lesus Glauben fand, zu derselben schattenhaften Unbestimmtheit an. 7,32 + 7,45—52 scheinen einen leidlichen Zusammenhang zu ergeben; daß dieser durch die Zeitbestimmung 7, 37 unpassend unterbrochen wird , ist schon gesagt [S. 122] , außerdem paßt die Schilderung der Volksstimmung 7, 40—43 nicht zu 7, 32, mit dem doch die Erzählung von dem Vorgehn der Hohenpriester und Pharisaeer eingeleitet wird, die 7, 45 ff. fortgeführt werden soll. Sieht man in 7, 37—44 ein für sich stehendes Stück das durch den zur Formel gewordenen Vs. 44 ebenso wie 7,25—30 aus dem Zu- sammenhang hinausgehoben wird, so bleiben noch 7, 33 36 ^) übrig,

1) Zu dem Worte lesu [7,34] ^rjnjdeW fis xal oix svgifiaeTB, das nach alttestaraentlichen Mustern [vgl. z. H. Hos. 5, 6. Deuteron. 4, 29. les. 55, G] gebildet ist, tritt noch hinzn xal otcov sifil kym, vfisrg oi) dvvao&s iXd^eCv. £b kommt nicht viel darauf an daß 7,36 der Vers einfach wiederholt wird; wichtiger ist daB 7, 33 nicht von demselben Autor verfaßt sein kann,

Aporien im vierten Evangelium III - 161

in denen die Büttel ignoriert werden und die Juden weder an eine Verhaftung lesu denken noch an ihn glauben, der Gegensatz also der 7, 31. 32. 49 hervortritt und die Geschichte zusammenhält, sich in Nichts auflöst. Endlich ist es aber auch xmmöglich 7, 45 direct mit 7, 32 zu verbinden ; es muß doch irgend etwas dazwischen passiert sein»

An einer zweiten Stelle läßt sich deutlich erkennen wie der

der die Antwort der Juden erfand: vor dieser kann lesus eben nicht ange- geben haben 'wohin er geht', und die Juden hätten vielmehr fragen müssen, wer ihn gesandt habe. 8, 21 steht ein ähnliches Wort iyco vndyoi kccI ^ririjcsts fts y.al SV tfiL ccfiagtiLaL vfi&v ccTtod'avSLöd'S ' OTtov sycb vndyco , vfistg ov dvvccG^s sXd'SLv. Hier deuten die Juden ganz anders; die Deutung die lesus 8, 24 giebt, ist schon durch ort iym stfii verdächtig [vgl. Nachr. 1997, 360]. Daß die Juden so ähnliche Worte auf zweierlei Weise auslegen, ohne daß über diese Differenz etwas bemerkt wird, kann um so weniger ursprünglich sein, als lesus sein Wort an die Juden den Jüngern gegenüber wiederholt [13, 33] : xsv.vCa [vgl. Nachr. 1907, 365], hi (il-kqöv (isd'^ vfi&v slfiL ^rjTrjfffira fis xat, Kcc&oog slnov toig 'lovdccLOLg otL oitov iycb vTtdyco, vfisig ov dvvaoQ'S iX^etv, xal v[ilv Xiyco aqti. Welches Wort ist denn gemeint, 7,34 oder 8,21? Untersucht man die einzelnen Stellen genauer, so fällt zunächst auf, daß 7, 34 onov ü^iC für o-Jtov sym 'öndya [8,21. 13,33] steht; der futurische Gebrauch von onov sI^l, den Blaß [Grammatik § 56, 8] nicht erwähnt, kehrt 12, 26. 14, 3. 17, 24 wieder, an Stellen die sämmt- lich der Ueberarbeitung angehören [über 17, 24. 14, 3 vgl. Wellhausen 7ff. ; über 12, 26 s. u.]. Streicht man aber 7, 34^, so geht nicht nur die Congruenz mit 13,33 verloren, sondern lesus spricht dann, da 7,33 ein nach 13,33 gemachter Zusatz ist , eine bestimmte Todesweissagung nicht aus : er meint nur , ihr werdet nach dem Messias vergeblich verlangen, wenn ihr mich nicht annehmt. Die Deutung der Juden ist eine Prophezeihung wider Willen, die in Erfüllung geht. Auch 8, 21 ff. ist alles was auf den Tod lesu zielt, nicht ursprünglich: wenn lesus die Flucht nicht scheut [s. u.], hat es keinen Sinn daß er seinen Tod prophezeiht, und die doppelte Deutung ist, wie schon gesagt, unerträglich. Zu der Scheltrede, deren Reste in 8, 25 vorliegen , paßt nur iv tfjL cc^ccgTLai v(i&v dno%'avsT6^s [vgl. Levit. 26, 39], was 8, 24 nach der späteren christlichen Anschauung ausge- legt wird. Aber Jesus citiert doch 13, 33 die Prophezeihung seines Todes, die er vorher den Juden gegeben hatte? Es wäre sehr merkwürdig, wenn er beim Ab- schied von seinen Jüngern ein zorniges Wort das er den Juden einst zurief, wiederholt hätte, und das Citat ist sonderbar genug eingeführt. lesus kann zwar die Parusie verweigern, wie er es wirklich tut, aber unmöglich den Jüngern die Hoffnung abschneiden ebenfalls zum Vater zu gelangen; er weist ja selbst darauf hin daß in dessen Hause Platz für sie alle ist [14, 2 vgl. Wellhausen 11]. Man erwartet onov sydi vTidya, vfiscg ov övvaod's iX&SLv ccqtl: Origenes [comment. in loann. 32, 394] erzwingt diesen richtigen Sinn nach der Methode der altalexandri- nischen Homerphilologie durch eine unmögliche Interpretation. Wenn aber »tat vfiLv Xsyco fallen muß, so fällt auch das Selbstcitat. Die Todesweissagung ist aus dieser Stelle in 7,34. 8,21 hineingetragen, gemäß der Tendenz der Ueberarbeitung den Mißerfolg der ersten Reise zu beseitigen und lesus göttliches Vorauswissen der Zukunft zuzuschreiben.

152 ^- Schwartz

Glaube der Masse eingeschaltet ist. Nachdem eben die Juden ihren Unglauben und Unverstand an den Tag gelegt haben [8, 22. 27], schlägts plötzlich um : nach wenigen Versen in denen lesus nichts anderes sagt als was er im vierten Evangelium immer zu sagen pflegt, geht es weiter: tavta avtov XccXovvTog jcoXkol ini- 6T6v0av eis avtov sXsysv ovv 6 'Ir^öovg TtQog tovg TtemGtsvxötag amcbi 'lovdatovg [8, 30. 31]. Aber die Fiction daß lesus zu einem gläubigen Publicum redet, wird nur kurz festgehalten [8, 31. 32] ^) ; in dessen Antwort meldet sich nnverhüUtes Judentum an [8, 33], und nachdem Jesus das von ihm angeschlagene Thema versucht hat mit der Frage der Juden auszugleichen [8, 34. 35] ^), taucht ohne jedes Motiv der Vorwurf 'ihr wollt mich tödten' wieder auf [8, 37]. Mit der Behauptung der Juden [8, 39] 6 nav^Q rj^&v 'JßQad^ iezLv setzt das Gespräch neu ein : sie hat nur Sinn, wenn 8, 33. 37 nicht vorangegangen sind, und ebenso kann nach 8, 37 es nicht noch einmal heißen vvv de ^ritsits ^s änonxeivai. Das sieht sehr so aus als wenn der ganze Abschnitt der ein gläubiges Publicum voraussetzt, ein Fremdkörper ist, der nur mangelhaft und ober- flächlich dem Zusammenhang in dem er jetzt steht, assimiliert ist. Uebrigens läßt er sich nicht glatt entfernen, und das Gespräch verläuft auch nach 8, 40 keineswegs glatt und ohne Störungen. Die Antwort der Juden 8, 42 , die nichts anderes heißen kann als 'wir sind keine Götzendiener, sondern das Volk Gottes'^), paßt so wenig zu dem Vorhergehenden, daß Origenes [20, 128 fF.] auf den, allerdings abstrusen Einfall kam in ihr einen Zornes- ausbruch der Juden zu sehen, die durch das emphatisch zu nehmende riiLalg lesus als den Sohn nicht einer Jungfrau, sondern einer Hure hätten bezeichnen wollen. So verkehrt die Lösung ist, der Anstoß ist richtig; er wird noch vermehrt dadurch daß von der Abstammung von Abraham auf die von Gott übergesprungen und der grade Fortgang der Discussion damit gestört wird. Ueber die Ueberarbeitung von 8, 44 ff., die den Teufel an die Stelle Kains gesetzt hat, vgl. Wellhausen 19 ff.: hat lesus die Juden wirklich Kinder Kains genannt, so wird damit sein Vorwurf daß sie ihn tödten wollten, als ein echtes Stück seiner Rede erwiesen ; es fehlt nur die Erzählung dazu. 8, 48 und 52 sind Doubletten, die nicht

1) Da4S ist Origenes aufgefallen [comment. in loann. 20, 131]: &XX' iget tig Ott rcfvra ovtoo voov^isvcc oi Svvatai slvai qr^ucta r&v 7C£7Ciatev>i6ra>v wörmi 'lovdaCatv,

2) Ueber 8, 36 s. o. S 151.

8) Vgl. Deut. 23, 2 in der Auslegung die bei PhUo [de spec. leg. 1, 332. de conf. ling. 133. de mut. nom. 205] erhalten ist.

Aporien im vierten 'Evangelium III 163

neben einander stehen können; die erste Fassung ist die bessere, sie schlägt nur scheinbar auf 7, 20 zurück [s. o. S. 158], in "Wahr- heit fehlt ihr die Beziehung. Das Wort Jesu 8, 51, eine Umbildung der synoptischen Weissagung von der Parusie p\Ic. 9, 1. Mt. 16, 28. Lc. 9, 27], gilt wiederum nicht den ungläubigen Juden, sondern der künftigen christlichen Gemeinde; trjQstv ist in spezifisch 4o- hanneischer' Weise gebraucht [vgl. Nachr. 1907, 365]. Wie der Ausspruch durch nichts vermittelt ist, so muß man nach 8, 53 er- warten, daß Jesus von sich selbst, nicht von den Christen geredet hatte. Von dem polemischen Zweck der späten und jungen Schluß- verse 8, 57 59 ist schon die Rede [S. 122] gewesen: 8, 56 ist sinnlos. Denn nach ''äßgaäii 6 TCarr^Q v^av rjyakhccöaro Xva tdrii xriv rj^egav ti^v ifiTJv, was nur heißen kann ^Abraham freute sich darauf meine Zeit zu erleben', kann nicht fortgefahren werden xal sldsv xal exccgr^: man muß das Praesens erwarten, da lesu 'Tag' noch dauert. Sollen aber xccl sldsv xccl s%dQri auf ein Schauen des praeexistenten Christus gehen, worauf 8, 57 führt, so wiederholen sie riyaklidaato iva tdriL in gröberer und schlechterer Form. Der schlechte Ett der 8, 57 59 anfügen sollte, ist nicht zu verkennen, und ebenso wenig, daß die richtige Fortsetzung von 8, 56* durch den Zusatz zerstört ist. Ist man schon über die Pharisaeer, die plötzlich in der Um- gebung lesu auftauchen [9.40], verwundert^), so noch mehr dar- über daß die Parabel von der Herde plötzlich einsetzt, ohne jede Verbindung mit dem was vorangeht. Auch der vorläufige Abschluß des gesammten Redecomplexes über den Hirten 10, 19 21 stellt die Verbindung mit der Greschichte vom Blindgeborenen nur in unvollkommener Weise her; er operiert mit dem schematischen Motiv des ^iiö^a , das auch 7, 43. 9, 16 in secundären Partien ^) verwandt wird und ähnlich Act. 14, 4. 23, 7 vorkommt. Die Deu- tung der Parabel fehlt ; die Fortsetzungen von 10, 7 an passen nicht mehr dazu. Wellhausen [35] verlangt mit Blaß sy^ si^i 6 Tioiiiriv r&v Tcgoßdrav, Grewiß mit ßecht: nur so kommt der rich- tige Gegensatz zu 10, 8 heraus. In der Wiederholung 10, 9 syG> ei^i 1] Q-vQu' 8C s^ov sdv reg sC6sXd-r}L, ^cod-Yi^stau tritt die 10,7 noch verborgene Gleichung der Schafhürde mit dem Himmelreich an die Oberfläche und sprengt die Parabel vollends auseinander; außerdem stimmt der Anfang des Satzes nicht zum Ende xal slös- Xev0sxai xal s^slsvösxai xal vo^i^v sx}Q7]6sl. Die alttestamentliche

1) Sie sollen das Publicum für eine Rede büden, deren Gedanke in den jüngeren Abschiedsreden wiederkehrt, vgl. 15, 22. 24. 16, 9.

2) Vgl. oben S. 160. 146.

164 ^- ScLwartz

Wendung «ni »S*^, die in leichter Umbildung unverkennbar vor- liegt, wird technisch vom Führer und Herrscher gebraucht [Deut. 31,2. Jos. 14, 11. 3Kön. 3, 7], wie ja auch n^i in der alttestament- lichen Poesie durchweg den 7toi.^r}v lacbv bedeutet: das Subject dieses Satzteils ist also nicht der Christ, der durch lesus zur Selig- keit gelangt, sondern lesus selbst, der Hirte der führt und den Weideplatz findet für seine Herde. Von 10, 11 an schiebt sich an die Stelle des Gregensatzes zwischen dem Hirten und dem Ein- dringling, der gar kein Hirt ist, ein anderer^), der wiederum, wie der Vergleich Jesu mit der Tür, in die Parabel nicht aufgeht, derjenige nämlich zwischen dem echten Hirten und dem Mietling, der zwar als Hirt sich nicht bewährt, aber darum noch kein Dieb und Räuber ist: das Bild von der Hürde verschwindet um nur noch in einer jungen Zutat [10, 16 vgl. 17, 20] wieder zu Tage zu treten. Am Schluß endlich ist die 'theologische' Interpolation eines Bearbeiters zu constatieren, dem der Tod lesu in der Tat ein Aergemiß gewesen ist, weil ihm lesus zum allwissenden Grotte geworden war. Der ursprüngliche Wortlaut von 10, 17 kann nur gewesen sein: diä tovro {le 6 TtatrjQ ayccTcät, ort, iycj tid-ri^L x^v ifjv- X7]v ^ov und, sei es daran anschließend, sei es als parallele Fort- setzung von 10, 15: tavtrjv rijv ivtolrjv slaßov icagä tov Tcatgög ^ov. Aber auch nach dieser Säuberung bleibt die Todes Weissagung lesu der Parabel selbst fremd; sie gehört nur zu der zweiten Antithese zwischen dem echten Hirten nnd dem Mietling.

Die Deutung muß die beiden Gegensätze, die derselbe Schrift- steller nicht durcheinander geworfen haben würde, sorgfältig aus- einanderhalten ; weil ich es versäumte, bin ich selbst früher in die Irre gegangen. Für den guten Hirten, der für seine Schafe in den Tod geht, und den Mietling, der vor dem Wolfe flieht, so daß die Schafe zerrissen oder zerstreut werden, wird die Erklärung durch 1 loh. 3, 16 gegeben: iv xovxcol iyvaxa^sv xijv dyccTtrjv, otl ixstvog vTtSQ rin&v xriv ipvx'^v avxov i^riKsv xal rj^stg dcpsiXo^sv V716Q xG)v ocösXcpcbv xäg ipvxocg dstvai. lesus redet nicht zu den Juden, sondern wie in dem Abschiedsgebet und sonst noch oft genug, zu der zukünftigen Kirche und deren Hirten, die bei einbrechender Verfolgung nicht ausreißen sollen ^) ; die Stelle scheint den klein-

1) Die Differenz der beiden Gegensätze wird von Theodor von Mopsuhestia p. 227 Chab. sehr gut hervorgehoben. Ezechiel und der s. g. Tritojesaias würden statt des Hirten den Wächter einführen.

2) Im wirklichen Leben konnte gerade der Märtyrertod eines Bischofes für die Gemeinde verhängnisvoll werden, vgl. das Resumä das Euseb KG 4, 23, 2 von dem Brief des Dionys von Korinth an die athenische Gemeinde giebt. Cyprian

Aporien im vierten Evangelium III 165

asiatischen, monarchisclien Episkopat des zweiten Jahrhunderts vor- auszusetzen. Dagegen muß in der Parabel selbst eine Auseinander- setzung lesu mit den jüdischen Oberen stecken, in der er nachweist daß er kein Eindringling und Aufwiegler sei, sondern der rechtmäßige Führer und König des Volkes Gottes, der es aus dem Gresetz hinaus führt : nicht heimlich, auf verbotenen Wegen, sondern öffentlich sei er zu seinem Volke gekommen und wirke unter ihm. Wenn auch die Einzelheiten, sonderlich das scharfe Wort gegen die Vorgänger [10, 8] dunkel bleiben, weil die alte Fortsetzung der Parabel durch die verkehrte Grleichung der Hürde mit dem Himmelreich und die secundäre Antithese zwischen dem echten Hirten und dem Miet- ling zerstört ist, so darf man doch wohl diesen zu Tage liegenden Sinn der Parabel, der auf das synoptische Wort lesu bei der Ver- haftung zurückzulaufen scheint^), mit der Aufforderung welche 7, 3. 4 [vgl. S. 117] an ihn gerichtet wird, combiniren.

lesus ist dieser Aufforderung gefolgt und wirklich Öffentlich in Jerusalem aufgetreten: das große Wunder das er dort vollbringt, ist die Heilung des Blindgeborenen. So sehr die metaphysischen Erweiterungen der E-edestücke und die hineininterpolierte Fest- chronologie die ursprüngliche Erzählung verdunkelt haben, es schimmert doch noch durch, daß in ihr die gewöhnliche Ueber- lieferung von dem Wirken lesu in Jerusalem bis zum Beschluß des Synhedrions ihn zu verhaften umgebildet war; der Gegen- satz zwischen der empfänglichen Menge und den Oberen, die immer wieder einschreiten wollen und es doch nicht wagen, ist zwar durch die Ueberarbeitungen verzerrt und verdunkelt, aber doch nicht in vollem Umfange secundär, wie etwa das dürftige Auf- nageln der Reden auf Laubhütten und Enkaenien. Nach dem jetzigen Evangelium endet dieser Aufenthalt lesu mit einer Flucht. Das fällt nicht besonders auf, da das Motiv schon bei der ersten und zweiten Reise verbraucht ist, lesus außerdem heimlich nach Jerusalem geht und von vorne herein ankündigt [7, 8] daß 'seine Zeit noch nicht erfüllt ist'. Fallen aber die ersten beiden Fest- reisen als secundäre Verschiebungen fort, ist lesus nach Jerusalem

wußte was er tat, als er bei der decianischen Verfolgung sich in Sicherheit brachte ; nachdem die afrikanische Provinzialkirche fest organisirt war, hat er sich nicht gescheut, als unter Valerian die Verfolgung neu ausbrach, sein Leben für seine Schafe dahinzugehen.

1) Vgl. besonders Lc. 22, 52. 53 slnEv de 'Triaovg ngog rovg 'jtaQaysvofisvovs isr' avxov ScQXi-SQeig kccI ötQcctriyovg tov lsqov yial TcgsaßvrsQOvg 'cbg i^tl XTiiaTTjv [10,1.8] i^T^XQ-ars (isra (kuxcclq&v xat ^vXcov «a-^"' rjjjLsgccv övrog (lov (isd'* v(iä>v iv tm LSQcäL ov-K i^srsLvats tag %BtQag lit ifis, ScXX' avrri ^^^''V v^mv 7} caqu ticcl 7] i^ovüLa tov 6yi6tovg.

Kgl. Ges. d. Wies. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 2. 12

IßQ E. Schwartz

nicht als Festpilger gegangen, sondern als Prophet, als der be- rufene Hirte des Volkes, der öffentlich versucht sich durchzusetzen, dann kommt es einer Niederlage gleich, wenn er die heilige Stadt wieder verläßt um von den Juden nicht gesteinigt zu werden, und es tauchen aus dem monotonen Nebel der speculativen Reden lesu über den Sohn und den Vater und dem schemenhaften Wirrwarr der secundären Erzählungsmotive die Umrisse einer Dichtung auf, welche das Leben lesu als Tragödie nahm und ein vorläufiges Scheitern des Helden als retardierendes Moment benutzte um mit verdoppelter Kraft zur Peripetie auszuholen. Indeß würde diese Betrachtung kaum mehr Wert für sich fordern dürfen als die üb- lichen, mit Lust und Liebe stets von Neuem wiederholten homi- letischen Ausdichtungen des halb oder gar nicht verstandenen Textes, wenn sie nicht in der Lazarusgeschichte eine feste Stütze fände und diese den Beweis dafür lieferte, daß schon das ursprüng- liche vierte Evangelium den ersten und einzigen Aufenthalt lesu in Jerusalem zwar nicht um drei, aber doch um einen vermehrt hatte, der durch eine Flucht von dem letzten getrennt war.

Freilich bedarf die Lazarusgeschichte einer gründlichen Reini- gung um verständlich zu werden. Gleich der Anfang enthält ein ganzes Nest von Unmöglichkeiten. Eine Greschichte die in Bethanien spielt, kann nicht anfangen [11, 1] 'fjv Se ng aadsvav , Ad^aQos aTtb Bri^avCag^ und da die Krankheit das Hauptmotiv ist, das die Handlung in Bewegung setzt, kann sie nicht durch ein Participium das zum unbestimmten Pronomen tritt, ausgedrückt werden ; correct würde es heißen riv de zig Adt.aQog iv Bri^avCai ' og riöd-evrjösv. Noch sonderbarer ist daß Bethanien als das Dorf von Maria und Martha vorgestellt wird, von denen ein Leser des vierten Evangeliums nichts weiß, und vollends grotesk ist der Versuch, Maria durch den Hinweis auf eine Geschichte die erst später erzählt wird, zu einer bekannten Figur zu machen; vgl. Wellhausen 11,2, der auch an tbv xvqlov [vgl. S. 120] angestoßen ist. Niemand der den Anfang unbe- fangen liest, kann sich dessen versehen, daß Lazarus der Bruder der beiden Schwestern ist; diese zum Verständniß unentbehrliche Notiz hinkt in dem schlechten Relativsatz [11, 2j ^g 6 ädsX(pbg Adlagog rje^evsi nach, der '^ö^evsl ungeschickt wiederholt. Während in diesen beiden Versen mit einfachen Streichungen nichts auszu- richten ist, sondern man sich begnügen muß aus den Unordnungen auf eine Ueberarbeitung zu schließen, muß 11, 4 einfach ausgeschieden werden, da der Vers den erklärenden Zusatz riyana öh 6 ^Ttjöovs xtX. [11, 5] von dem Kolon 8r (piXstg [11, 3] trennt, das er erklären soll; außerdem geht erst 11, 6 die Erzählung 6g ovv iJTtovösv ort.

Aporien im vierten Evangelium III 167

cc6d^sv£i weiter : es kann also nicht aKovöas äh 6 'Irj6ovg vorangehn. Die Interpolation gehört zu den im vierten Evangelium häufigen Einschiebseln, die das göttliche Wissen lesu um die Zukunft in kleinlicher Weise betonen und damit der Erzählung alles Leben nehmen ^). Bei diesem verhältnismäßig unschuldigen Eingriff hat es aber die Dogmatik, die einen menschlichen lesus übel vertrug, nicht bewenden lassen. Die Chronologie der Wundergeschichte ist, wie Bretschneider [Probab. 79 ff.] bemerkt hat, mit einem ge- wissen Raffinement so angelegt, daß lesu Vorauswissen und Wunder- kraft im wunderbarsten Licht erstrahlen. Auf die Nachricht von der Krankheit wartet er zwei Tage, um so spät wie möglich zu kommen; er weiß daß Lazarus gestorben ist [11, 11 15], obgleich es nicht gemeldet ist, und freut sich daß er nicht da war, weil er so den Jüngern einen stärkeren Beweis des Glaubens liefern wird. Indeß haben diese scholastischen Hirngespinnste die ursprüngliche Erzählung nicht ganz überwuchern können: die Thränen lesu hat der Interpolator nicht zu streichen gewagt [11, 35], obgleich sie nicht mehr passen, wenn die Auf erweckung des Todten theolo- gisches Experiment wird, und der blasphemische Zusatz mit dem er den Dank Jesu an den Vater entstellt, ist leicht entfernt [11, 42] : natürlich ist dies Dankgebet einstmals sehr ernst gemeint ge- wesen. Als ursprünglicher Zusammenhang läßt sich erschließen, daß lesus auf die Nachricht von der Krankheit des Lazarus hin- geht um ihn zu heilen^). Die Jünger warnen ihn, als er sie auf- fordert wieder nach ludaea zu ziehen [11,8]: Qaßßei, vvv i^rjtovv öS Xid-daat, oC'Iovdccioi xccl ndkiv vndysLg ixst; Also ist er jetzt nicht dort, aber schon einmal dagewesen und vor den Juden geflohen: wenn die Stelle echt ist, beweist sie den früheren Aufenthalt. Auf die Warnung antwortet lesus mit einem Spruch der zwei.

1) Vgl. z, B. 9, 3 ; 9, 4 führt in einen ganz anderen Zusammenhang : die törichte Frage der Jünger [s. S. 157] soll wahrscheinlich nichts anderes bezwecken als das Orakel lesu einzuführen. 13,11.18: des göttlichen lesus ist es unwürdig den Verrat nicht genau vorher zu wissen. Die Entwicklung zum Weissagungs- beweis tritt 18, 9. 32 hervor, in etwas anderer Wendung 16, 1. 4. Auch die schon besprochene [vgl. S. 164] Interpolation in 10, 18 gehört in die gleiche dogmatische Sphäre.

2) Das Miß Verständnis der Jünger 11,12 ist albern: sie können doch nicht annehmen, als Jesus ihnen mitteilt, Lazarus sei eingeschlafen, das sei ein Kranken- bericht und er erzähle ihnen von seinem Befinden; ihre Bemerkung paßt auch nicht zu &IXCC TtoQSvofiaL i'va i^vTCvlaca avröv. Vs. 12. 13 sind ein Flicken der nach Mc. 5,39. Mt. 9,24. Lc. 8,53 gemacht ist; V. 11 ist wahrscheinlich älter, aber auch nicht ursprünglich.

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noch dazu unvollständig ausgedrückte Gedanken combiniert. In der rhetorischen Frage [11,9] ovxl öaöeyM agaC sC6lv tfjg rj^sgag; kann nur ein Hinweis auf das nahe Ende stecken ; die Parallelstelle 9, 4 scheint ebenso erklärt werden zu müssen, ist aber zerstört *). Da- mit ist der folgende Gegensatz von Licht und Finsternis verkehrt verkuppelt: idv ng TCeQLTtarfJL iv riji rifiSQai,, ov tcqoöxötctsl, ort ro q)G)g tov Y.öö^ov tovrov ßksTtst' iäv de rig nsQLTCarfJL iv tfJL vvxrt', TCQoßxoTCtsi, , Ott (p&g ovx ^6xLv SV avt&L. Man sieht es schon daran daß (pG)g ovx sönv iv avtGii auf das innere Licht geht und vorher ro (p&g durch den Zusatz tov xoeiiov tovrov auf das äußere Tageslicht bezogen ist. Was dem mißhandelten Satze zu Grunde liegt, verrät 1 loh. 2, 10 f. 6 äyccncbv tov ädsXcpbv avtov iv tai (patl liivei xal öxdv daXov iv avtcbi ovx €6tLv' 6 ds fiL6c)v TOV ädskopov avtov iv Ttjt öxottat, iötlv xal iv tfJL 6 xot Ca l TtSQLTCatst, xal ovx oldsv Ttov vitaysi^ ort rj 6xotia itv(pX(O06v tovg ocpd'aX^ovg a'ötov. Die wesentlichen Züge des Bildes sind auch in der Evangelienstelle da: das Wandeln in Licht oder Finsternis , das 'Anstoßen' , das dem öxdvdaXov entspricht ^) , die innere Dunkelheit: sie sind nur dadurch getrübt, daß Licht und Finsternis wegen der Anfangsworte in Tag und Nacht umgesetzt und so zu Zeitbegriffen geworden sind, die in den Spruch nicht passen^), und daß die ethische Anwendung auf die Bruderliebe

1) Der Plural rjfiäg, der unter keinen Umständen mit l'pya tov nsfiipccvtog (IS zusammengeht, spottet der Erklärung: er weist auf einen Zusammenhang der durch die Interpolation von 9, 2. 3 verloren gegangen ist ; vielleicht schloß lesus die Jünger mit ein, wie 11, 11. Vs, 5 erklärt das Bild von Tag und Nacht falsch und giebt den verkehrten Sinn daß lesus nur so lange er auf Erden wandelte, das Licht der Welt war. Das trifft nur dann zu, wenn unter tb (p&g tov KÖafiov die Wundertätigkeit lesu verstanden wird; es pflegt aber ethisch gemeint zu sein vgl. 8, 12.

2) Vgl. Rom. 14, 21 Iv c&t ö ädsXcpog aov TtgoayiOTtTSi. Dafür könnte auch ö-KavSaX^STUL stehen.

3) Ebenso ist 12, 35. 36 dadurch verwirrt, daß zugleich q)&g Periphrase für lesus sein soll, der von seinem Ende redet, und das Bild des 'Wandels in der Finstemiß' seinen Gegensatz, 'den Wandel im Licht' hervorruft: das hat aber nur ganz uneigentlich mit lesu Tod etwas zu tun. Die Ueberarbeituug verrät sich durch das schiefe scag tp&g ^x^ts 12, 35. 36 : mg läßt sich nicht be- friedigend erklären und ist ein Versuch sag zu verbessern, das verschiedentlich überliefert ist. Denn die zeitliche Beschränkung nimmt allerdings den Mahnungen ihre Kraft. Chrysostomus fragt mit Recht t. VIII p. 405^ notov ivTuvd-a Uyet. ytttiQOv; &Qa Tr]v nagovaav ^ariv anaaav ri töv ngb tov aravgov xq6vov \ Er er- klärt zunächst die Lesart nusTBvsTt nicht iiEQiTtaTBtTS, wie falsch in den Texten steht tatg zb (pa>g ix^TS und führt 12, 36, das er nicht erklärt, in der Form an

Aporien im vierten Evangelium III 169

weggelassen ist. Ursprünglich muß lesus gesagt haben daß seine zwölfte Stunde nahe, er wolle sich nicht mehr schonen, sondern der Gefahr Trotz bieten um des Freundes willen. Das reißt die Jünger fort: äycofisv xal rjustgy Xva aTtod-ccvco^sv ftfr' avxov [11, 16], sagt Thomas; die Worte hängen mit der Warnung der Jünger 11,8 unlöslich zusammen.

Wenn ich richtig vermutet habe [Nachr. 1907, 354] daß im ursprünglichen Evangelium lesus selbst den römischen Offizier der ihn gefangen nahm, bat, die Jünger ihres Weges ziehen zu lassen, so rückt*diese Entschuldigung ihrer Flucht mit den mutigen Worten des Thomas, die so ganz undogmatisch sind und eben darin die Bürgschaft der Echtheit besitzen, in überraschender Weise zu- sammen : sie haben mit ihrem Herrn und Meister in den Tod gehen wollen, und er selbst entbindet sie ihres Vorsatzes; ein Pascha- opfer genügt. Das ist allerdings eine Conception die aus der Speculation über die Einheit des Vaters und des Sohnes nicht ent- sprungen sein kann ; sie eignet sich auch nicht dazu in dem Apparat von Zeugnissen, von dem die Johannes briefe so viel Wesens machen, als eine Nummer neben anderen zu figurieren : hier hat ein Dichter geschaltet und gewaltet, der aus dem wunderbaren, durch be- sondere Gnade Gottes [11, 41] gewährten Sieg über den Tod die tragische Peripetie im Leben lesu gemacht hat. Das ist begreif- licher Weise anstößig geworden und übermalt, mehr als einmal sogar ; die Schichten lassen sich aber nicht mit Sicherheit scheiden ^) und die Analyse muß sich begnügen so viel Spuren des Ursprüng- lichen wie möglich aufzuzeigen.

nBQinaxiixs sv t&i cpoatt, so ist für das falsche slg xo cp&g der Texte zu lesen. In ähnlicher Weise stellt Aphraates p. ^»^ den überlieferten Text um : raaxsvsxs sag x6 qpcog txsxs tiqIv 6v.oxia v(i&g yiaxaXdßrii und nsQLTtaxsixs iv x&l cpcaxL, iva viol (fcoxbg TiXrid-iixs. Dagegen folgt er p. ^ dem vulgären Text, hat auch das sinnlose negntaxeCxs ohne Zusatz.

1) Ich habe oben schon vermutet daß Vs. 11 nicht ursprünglich, aber doch älter als 12 15 ist. 11,28 stimmt nicht zu der Unterredung lesu mit Martha und kann doch nicht echt sein, weil lesus schon 11, 17 am Grabe ist, s. S. 170 f. Das merkwürdige ivsßgLfi'^Gaxo xäi ytvsvfiaxt. xal ixdga^sv iavxov 11, 33 entspricht dem sxagdx&'ri x&i nvsvfiaxL 13,21. Diese Stelle gehört dem Bearbeiter an, der in sehr merkwürdiger Weise lesu Weissagung des Verraths zu einer eksta- tischen macht. In der Lazarusgeschichte läuft die Ekstase in die nüchterne Frage tcov xsd-SLKccxs cchxöv [11, 34] aus und wird zwecklos noch einmal wiederholt. Kein Interpret vermag dem singulären Ausdruck einleuchtenden Sinn unterzulegen ; es wird nur geraten und ergänzt. Die Deutung des Motivs ist eben unterdrückt, und da das Motiv selbst erst vom Bearbeiter herzurühren scheint, muß diese Streichung noch jünger sein.

170 ^' Schwartz

Eine Unordnung tritt sofort in der ersten Begegnung lesu mit den Schwestern hervor : Martha sagt zu Maria, daß der Meister sie rufe [11, 28], obgleich das nicht wahr ist und kein Grrund zu einer Kotlüge vorliegt. Beide Schwestern reden lesus mit genau denselben "Worten an [11, 21 = 32]. Maria erhält keine Antwort, die Worte sind bei ihr ein einfacher Gefühlsausbruch; bei Martha schließt sich eine Katechese an, die in ein Grlaubensbekenntnis ausläuft^): ein einheitlich concipirender und arbeitender Schrift- steller, der fähig und kühn genug war das Lazaruswunder zu er- finden, verfügt nicht über so geringe Mittel des Ausdruckes, daß er sich selbst ungeschickt] wiederholt. Nach 11, 17 findet Jesus den Freund schon vier Tage im Grabe liegen. Er ist also schon beim Grabe ; wer von außen her kommt, gelangt zuerst zur Nekro- pole, die vor der Ortschaft zu liegen pflegt. Je natürlicher und einfacher die Handlung hier vorbereitet wird, um so mehr erstaunt es daß im Folgenden die Oertlichkeit wieder ganz vergessen wird und ins Unbestimmte rückt ^): erst 11,34 ist die Scene wieder am Grabe. Das störende Element ist die Unterredung mit Martha; weil sie nicht an das Grab verlegt werden kann, verschiebt sie die Handlung von dem Ort an den sie gehört. Und das wirkt weiter. Es ist durchaus nötig daß die Juden am Grabe sind und das "Wunder sehen: sie gehen nach dem nahen Jerusalem [11, 18] zurück und erzählen es [11,46], worauf dann die Hohenpriester und Pharisaeer den verhängnißvollen Beschluß fassen. Jetzt muß die Anwesenheit der Juden in der seltsamsten und complicirtesten "Weise motiviert werden: weil sie meinen daß Maria zum Grabe geeilt sei um dort zu weiuen, laufen sie ihr nach [11, 31]. Ganz davon zu schweigen daß die zahlreichen Juden die den beiden Schwestern einen Condolenzbesuch machen [11,19] und dann teil- weise zu Denuncianten werden [11,46], eine wunderliche Erfindung sind, die wiederum von der kraftvollen Conception der ganzen Peripetie grell absticht. Das schiebt sich alles zurecht, wenn als

1) S. 0. S. 151. Die 'Auferstehung am jüngsten Tage' ist im vierten Evan- gelium überall verdächtig. 12, 48^ ist deutlich ein Zusatz zu 48», wo tbv %qC- vovru nicht futurisch ist, vgl. 3, 19 ff. , und ebenso verdirbt 6,39.40.44 %&yai icvaar^aa airbv iv r^i ioxätrii iifiigai, den Zusammenhang, der nicht vom Gericht handelt, sondern davon daß Jesus jeden der zu ihm kömmt, annimmt.

2) Das tritt 11, 32 grell hervor: rj ovv Magid^i, mg ^X-O-fr onov ^v ^Iriaovg, und ebenso 11,30 oihtat dh iXriXvJ&si 6 ^Iriao^s stg Tr}v %&iiriv, &XX* riv hi iv x&i x6no)i onov vnrivTr\aev cchT&t i} MaQ&a. Eine so gequälte Umständlichkeit stellt sich immer dann ein, wenn nicht ein Schriftsteller frei arbeitet, sondern ein Re- dactor einen gegebenen Zusammenhang umbiegt und verändert.

Aporien im vierten Evangelium III 171

ursprüngliche Erzählung angesetzt wird, daß Jesus gleich bei seiner Ankunft die Schwestern und die Juden am Grabe findet, hört daß Lazarus gestorben ist [11, 17] und nun nach der Grabstelle fragt [11,34]. Jetzt ist das Wunder bis zum Aeußersten gesteigert da- durch daß Lazarus schon vier Tage im Grabe liegt [11,17.39]; aber das ist verdächtig, weil es mit der absichtlichen Säumniß lesu zusammenhängt, durch die im jetzigen Evangelium die Erzählung so geschoben ist, daß lesus in unerklärbarer Weise um Lazarus Tod weiß, obgleich er nur von seiner Krankheit gehört hat, und das Wunder der Auf erweckung von vom herein arrangirt, indem er so spät aufbricht, daß er Lazarus schon todt finden muß. Ein- facher wirds und natürlicher, wenn lesus unmittelbar nach der Bestattung ankommt; dann ist die Anwesenheit der Juden sehr viel besser motiviert als durch die Condolenzbesuche am vierten Tage nach dem Tode. Die zweite Stelle die mit dieser Tage- rechnung operiert [11, 38 40], ist auch aus anderen Gründen ver- dächtig: das Motiv des s^ßQL^äad-aL wird grundlos wiederholt und 11, 40 ist eine Combination aus 11, 26 und der jungen Interpolation 11,4.

Zweifel über das Einzelne werden und mögen bleiben; das Wesentliche schimmert doch durch alle spätere Uebertünchung durch, daß die Auferweckung des Lazarus im ursprünglichen Evan- gelium die Tat lesu war, die ihm den Untergang auf Erden brachte. Um die Katastrophe tragisch zu motivieren, ist der Aufenthalt lesu in Jerusalem in zwei Abschnitte zerlegt und eine bedeutungs- volle Steigerung in das Handeln lesu gebracht : das erste Mal reist er hin um als Prophet zu siegen, das zweite Mal trotzt er der Gefahr die er während des ersten Aufenthalts heraufbeschworen hat, um den Freund zu retten.

Wie der zum Untergang des Helden drängende Lauf der Hand- lung es verlangt, schließt sich an das Lazaruswunder als unmittel- bare Folge die Beratung der Hohenpriester und Pharisaeer an. Sie stellt die von den K-ömem drohende Gefahr in den Vorder- grund. Davon findet sich bei den Synoptikern [Mo. 14, 1 f. Mt. 26, 3 ff. Lc. 22, 2] auch nicht die geringste] Spur; um so besser har- monirt dieser Zug mit der Verhaftung lesu durch die Cohorte [Nachr. 1907, 352], wenn auch die Zwischenglieder jetzt fehlen. Jetzt ist auch die Befürchtung des Synhedrions schlecht motiviert, ein Zeichen daß die Ueberarbeitung auch hier eingegriffen hat. Man mag darüber hinwegsehen, daß der allgemeine Ausdruck ovtog 6 ccvd'Qeojtog TtoXkä tcolsl ötj^sta [11, 47] den Eindruck nicht wieder- giebt, den ein so gewaltiges Wunder wie die Wiederbelebung eines

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schon Begrabenen machen mußte: aber was giengs die Römer an, wenn alle *an lesus glaubten' [1 1 , 48] ? An einer anderen Stelle [6, 15] entzieht sich lesus der Menge, weil er 'erkennt daß sie ihn entführen und zum König machen wollen'. Dort ist das Motiv schlecht eingeführt^) und verschwindet sofort wieder, hier ist ein ähnlicher Gedanke unentbehrlich: es ist unmöglich ihn xara 6iG)7C(o^£vov zu ergänzen, da auf ihm die ganze Berechnung der Zukunft und damit der Entschluß des Synhedrions selbst basiert. Es folgt auch nicht mit zwingender Notwendigkeit aus dem Grlauben der Menge, daß sie ihn zum König machen wollen: das vierte Evangelium pflegt zu behaupten, daß das Volk in lesus den Propheten sah, der da kommen sollte ^), und wenn schließlich die Hoffnung auf den künftigen Propheten, den Messias, den König des davidischen Reiches in einander laufen, so mußte doch an dieser Stelle grade die zur Tat übergehende Hoffnung des Volkes ausdrücklich aufgeführt werden, die den Römern Anlaß zum Ein- schreiten geben mußte. Loser als diese Bearbeitung liegen die Interpolationen auf, die in 11,49.51.52 von Wellhausen nachge- wiesen sind [25].

Wenn lesus wirklich mit seinen Jüngern, wie diese selbst sagen, den Todesweg mit der Reise nach Bethanien antrat, wenn der Beschluß aus politischen Gründen, also nach reiflicher Erwägung, gefaßt wird ihn zu tödten, dann muß die Kata- strophe die so sorgfältig vorbereitet wird, auch eintreten: die tragische Spannung darf nicht nachlassen. Aber wie oft im vierten Evangelium, scheint die Erfindung sich nicht auf der Höhe zu er- halten, sondern flattert flügellahm hin und her. 'lesus wandelte

1) Dafür darf man sich auf den Widerspruch von 6, 15 zu 6, 3 nicht be- rufen, wenn 6,3, wie Wellhausen [S. 18] meint, aus Mt. 15,29 eingelegt ist. Aber es bleibt merkwürdig daß die welche 'das Zeichen gesehen haben', womit die 5000 wunderbar Gespeisten nur schlecht bezeichnet sind, in lesus den kom- menden Propheten sehen und dieser sofort weiß daß sie ihn zum König machen wollen. Ein so wunderbares Vorauswissen darf nicht zu einem gleichgiltigen HUfsmotiv der Erzählung degradirt werden. Der Uebersetzer des Syr. Sin. hat die Incongruenz zwischen 6, 14 und 15 gefühlt und gestaltet daher den zweiten Vers um : xal ifisllov [ooof o^Hj] ocgnaj^siv ccitbv iva noLi^aansiv ßaodia '/ijtfoDg dl yvovg naxiXinsv airovg xai &vsxoiQriO£v [ndXiv ist ebenfalls mit Absicht weg- gelassen] sCg rb ögog airbg (lovog.

2) 7, 40 ^x toi) öxlov ovv ScyiovöavrBg r&v X6ycav xovrcov iXtyov ' ovxog iariv &Xrid^&g 6 «poqp^TTjs, vgl. 7, 52. 6, 14 ot ovv &v^Q(onoi löovxsg o ^noCriaiv ori- fttCoVj iXsyov oxi ovxog iaxiv ScXrid-ätg 6 ngocp-^xrig 6 igx^fisvog slg xbv yiöa^ov. Die Synoptiker bezeichnen lesus nicht als 'den' Propheten; in zwei Predigten der Apostelgeschichte [3, 22. 7, 37] dagegen wird Deut. 18, 15 angeführt.

Aporien im vierten Evangelium III 173

nicht mehr öffentlich unter den Juden, sondern begab sich von dort in das Land nahe der Wüste, nach der Stadt Ephraim^) und hielt sich dort mit seinen Jüngern auf [11, 54]. Also war Thomas Wort 11, 16 eitel Renommisterei und das Synhedrion sehr dumm; denn es läßt sich den gefährlichen Mann so leichten Kaufes ent- gehen, daß es den Befehl ergehen lassen muß seinen Aufenthalt zu melden, falls er zum Feste kommt [11,57]: schließlich scheinen die Pharisaeer gar an ihrer Absicht zu verzweifeln [12, 19] und man kann sich nur wundern, wie es überhaupt zur Verhaftung kommt. Umgekehrt kehrt lesus aus seinem Versteck 'sechs Tage vor dem Pascha' nach Bethanien zurück, als wenn es gar keine Gefahr für ihn gäbe, in schneidendem Gregensatz zu der früheren Fahrt dorthin, die durch die Warnungen der Jünger und die Worte

1) Die Ortsangabe macht Schwierigkeiten. Euseb [Onom. p. 90, 18. 86, 1] identificiert, wie die Mosaiktarte von Madeba, die Stadt Ephraim mit einem großen Dorf, das 20 Millien n. von Aelia liege, und stellt dies wiederum zu dem Artikel ^EtpQov [los. 15, 9] : an der Stelle des A. T. ist von Städten des Gebirges ynt:^ die Rede. Daneben führt er [28, 4] unter 'Acpga [= n"^B3? los. 18, 23 ; LXX 'Ieq)Qa&a] ein Dorf Alfpqaiyb (wohl 'Etpgaiii zu sprechen) 5 Millien ö. von Bethel auf. Da 'Ecpgav zum Stamme Inda, 'Jcpga zum Stamme Benjamin gehört, Euseb ferner von beiden Dörfern 'Ecpgccifi behauptet daß sie zu seiner Zeit exi- stirten, können sie nicht mit einander identificirt werden: Euseb bezog die Evangelienstelle auf das Ephraim das 20 Millien n. von Aelia lag, weil es das größere und bedeutendere war. Dasselbe erwähnt wahrscheinlich auch losephus BI 4,551; Paralip. 2, 13, 19 mag auf sich beruhen bleiben. Nun paßt aber zu diesem Ephraim der Zusatz iyyvg vfjg egruiov in keiner "Weise: 17 egriiios kann nur die 'Araba am unteren Jordan und dem todten Meere sein, und die ist weit weg. In dieser Wüste taufte nach den Synoptikern lohannes [Mc. 1, 4. Mt. 3, 1. Lc. 3,2]; sieht man 11,54 in slg 'Ecfgalfi Xsyoiisvriv noXiv einen verkehrten Zu- satz, dessen Sinn und Zweck freilich niclit aufgehellt ist, so kommt so ziemlich dieselbe Localität heraus wie die in der sich lesus vor der Reise nach Bethanien aufhielt [10, 40, vgl, 1, 28] ; dabei ist nur zu bedenken daß das vierte Evangelium lohannes d. T. nicht ausdrücklich, wie die Synoptiker, in die Wüste versetzt. Eine sehr merkwürdige Weiterbildung des geographischen Fehlers findet sich in der Lesart von D: &7t7jXd-sv sCg rrjv xcoqav ZuficpovQSLv iyyvg trig ig^^ov slg ^EcpQalfi Xsyofiivriv noXiv. Blaß will mit Resch unter SccficpovgsLv ein samarita- nisches 'j'^I^Bo verstehen, von dem niemand etwas weiß und das durch 4 Reg. 17 in keiner Weise bezeugt wird. Vielmehr ist 2a(i(povQSLv der vielfältig belegte aramaeische Name von Diocaesarea [vgl, die von Thomsen, Loca sacra 55 ange- führten Stellen], der Hauptstadt Galilaeas, deren Feldmark Euseb im Onomastikon oft zur Orientierung benutzt. Unter Atcpgai^ [28, 25 = D^^^Bn los. 19, 19] be- merkt er HOfl iati, yuaiiri 'AcpQuCa vvv yiccXovfisvri ccTtsxovaa Asysmvog iv ßogSLOLg liiXiOLg c: nach p. 70, 9 stieß die Feldmark von Diocaesarea an 'die große Ebene von Legio', d. i. die Ebene von Jezreel.

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des Thomas als eine besondere Tat gekennzeichnet wird. Während das Synhedrion den Beschluß den es 11, 47 ff. unmittelbar nach dem Lazaruswunder faßt, nicht ausführt und lesus entkommen läßt, stellen 12, 10 die Hohenpriester sogar dem auferweckten Lazarus nach: freilich verläuft auch diese Bosheit gänzlich im Sande.

Es ist wieder das gleiche Mißverhältniß : neben einer Er- findungskraft die das Lazaruswunder wagt und den Beschluß des Synhedrions politisch motiviert, steht ein Ungeschick die Hand- lung durchzuführen, das nicht einmal naiv genannt werden kann. Die altkirchliche Interpretation, die gegen Schwierigkeiten durch- aus nicht blind war, half sich über diese Fälle mit der Doppel- natur Jesu und der 'Torheit' der Juden hinweg: das Evangelium war für sie eine gegebene Grröße mit der sie fertig werden mußte. Trotzdem sind bei dieser Weise, die nach der Art der antiken Philologie svötdöstg und Xv6sLg praecis formuliert, scharfe Beob- achtungen — die] immer die Hauptsache] sind noch eher mög- lich und auch wirklich gemacht als bei der modernen Manier, die sich eine besondere, den Gresetzen des vernünftigen Denkens und Redens nicht unterworfene Psyche des Schriftstellers con- struirt und außerdem einer reinlichen Antwort auf die Frage ob der apostolische Ursprung des Buches fictiv ist oder nicht, mit allen möglichen Ausflüchten aus dem Wege geht: was man nicht versteht, soll Stil, Stimmung oder dgl. sein. Damit wird das d-av- ^d^SLv eingeschläfert, das ' Nicht verstehn', das die Frage scharf zu stellen wagt und aller Forschung Anfang ist. Die wissenschaft- liche Betrachtung muß an dem Widerspruch zwischen dichterischem Können und banalem Ungeschick anstoßen, der sich im vierten Evangelium nach der Sitzung des Synhedrions auftut. Man kann streiten wo die Ueberarbeitung beginnt und wo sie aulhört, der Versuch die Spuren des Ursprünglichen aufzudecken kann miß- glücken ; damit wird die Aporie selbst nicht aus der Welt geschafft und das Princip ihrer Lösung nicht aufgehoben, das neben der ursprünglichen Erfindung eine oder mehre Ueberarbeitungen postu- lirt, die schon darum ungeschickt sein müssen, weil sie in einen gegebenen Rahmen Dinge hineinpressen wollen, die nicht hinein- passen. Im vorliegenden Falle bekommt die Analyse von vorne herein dadurch eine bestimmte Richtung, daß der Einzug lesu in Jerusalem aus den Synoptikern stammt. Um ihn hineinbringen zu können, mußte lesus noch einmal wieder aus der Nähe Jerusalems entfernt werden, und das hat den ursprünglichen Aufbau der Hand- lung zerstört. Der Bericht über den Einzug selbst sieht durchaus

Aporien im vierten Evangelium III 175

wie eine verblaßte Copie nach den Synoptikern aus : eigentümlich ist ihm, daß das Volk lesus aus der Stadt entgegenzieht und ihn durch die Palmzweige [1 Makk. 13, 51] und den Zuruf als König begrüßt ^), bei den Synoptikern feiert ihn die Menge die mit ihm zur Stadt geht^). lieber den Bearbeiter der den Einzug hineinbrachte, ist dann noch ein späterer Interpolator gekommen, der hier wie in der Passionsgeschichte sich aussondern läßt. Bei den Synoptikern wird das Finden des Reittiers, auf dem lesus einzieht, ausführlich erzählt und an der Stelle wo es sich gehört, ehe der Zug beginnt. Hier [12, 14] wirds nur kurz angedeutet mit einem nackten svqcjv, und die Erklärung der Prophetenstelle 12, 16 ist nur für den Leser verständlich, der die Synoptiker kennt. Denn die Worte tote ifi- v7]6dTj6av (die Jünger) ötL tavta ^v iit' avtcbi yeyQa^fieva xal tavta inoLriaav ccvtm setzen voraus daß die Jünger nach lesu Anweisung das Eselfüllen gesucht, gefunden und ihm zugeführt haben ^) : davon steht aber im vierten Evangelium nichts. Grrade diese schatten- haften, schlecht skizzirten Reminiscenzen aus den Synoptikern sind für den Interpolator charakteristisch. Er hält auch im Folgenden, gegen den Bearbeiter, die synoptische Ueb erlief erung fest, daß die Menge mit lesus kam, und sucht zugleich, recht ungeschickt, den Anschluß an das Lazaruswunder herzustellen, indem er dies sowohl durch die einziehende Menge feiern läßt als auch für die Menge in der Stadt, die er dem Bearbeiter entnahm, zum Motiv der Ein- holung macht, was dann freilich sehr unpassend am Schluß steht: i^aQtvQsv ovv 6 o^log 6 hv fist avtov oxl [so D, Peschittha und die Lateiner] thv Ad^aQov i(p6vi]06v ix tov fivrj^SLOv xal i^ysigev avtbv ex vexQcov' 8iä tovto xal v7t7}vtT]6ev avtcbi 6 ox^os, ort i^xovöav rovto avtbv TceTtoLTjxevai, 6r]^etov. Es gab nun aber kluge Leute die merkten daß die Juden von Jerusalem [11, 19] und nicht die Menge die mit lesus zog, Zeugen des Lazarus Wunders gewesen waren, und daher ort in ots [»B] änderten, wobei denn cbv zu

1) In dem überlieferten Texte [12, 13] maccvva svloyri^svog 6 SQxofisvog iv dvofiari kvqlov yiccl [fehlt in D und bei den Syrern] 6 ßccGLXsvg tov 'iGQccqX hinken die letzten Worte verdächtig nach: sollte der Zuruf nicht ursprünglich einfach maavvci 6 ßccGiXevg tov 'l6Qui\X gelautet haben? Der Einschub stammt aus Mt. 21,9. Mc. 11, 9 und hat auch Lc. 19, 38 verunstaltet ; vgl. Wellhausen, Ev. Lucae 109.

2) Mc. 11,9 xal Ol TtQodyovrsg xal ot äyioXovd'ovvTsg b-hqcc^ov ' maavva v.xX. Ebenso Mt, 21,9. Lucas [19,37] macht anuv to nXfi%-og t&v iiccQ^rir&v daraus, zum Zeichen daß von einem Einholen lesu durch das Volk in Jerusalem bei den Synoptikern nicht die Rede ist.

3) Vgl. Mt. 21, 6 TtoQSvd'svTsg dh ot ficcd-Jirccl v.a.1 noiiqoavrsg %ci^6ig 6vvs- TK^ev avxotg 6 ^l7\60vg.

176 E- Schwartz

einem unklaren Part. Praet. wird und i^aQtvQSi sein Object ver- liert. Natürlicli wird durcli ein solches Mittelchen der ärgste An- stoß niclit beseitigt, daß das Motiv der festlichen Einholung, das am Schluß nachgetragen wird, die Erzählung selbst verwirrt, welche den Ton darauf legt, daß das Volk von Jerusalem in lesus den König sieht ^).

Der glänzende Einzug lesu in Jerusalem, der so grell mit dem Ende contrastierte, war eines der wirksamsten Stücke der synop- tischen Tradition. Es wurde dem vierten Evangelium verhängniß- voll, daß es ihn auslassen mußte um seiner Erfindungen willen: die Ueberarbeitung zwängte ihn wieder hinein und sprengte da- durch die straffe und geschlossene Conception; der wichtigste Factor der Peripetie, die Reise nach Bethanien um Lazarus zu retten, wurde entwertet und^nur das Wunder blieb übrig. Um des Einzugs willen ist auch die erste Reise nach Jerusalem ihres Charakters entkleidet. In dem Bewußtsein der Gremeinden saß die Vorstellung zu fest, daß lesu öffentliches Wirken in der heiligen Stadt mit dem Einzug begonnen habe, als daß die Erfindung sich hätte behaupten können, daß er schon vorher mit dem ausge- sprochenen Zweck hingegangen sei öffentlich zu lehren und zu wirken, aber den Juden habe weichen müssen. Dazu kam daß es wohl angieng den Tod, der zur Auferstehung führte, als ein doja- ö^fivai anzusehn, aber ein Mißlingen, eine Flucht der werdenden Dogmatik die einen Gott postulierte, mehr und mehr widersprach. Man wollte andererseits den ganzen Abschnitt, der von dem ersten Aufenthalt lesu in Jerusalem [7 10] erzählte, nicht missen, schon um des[ Wunders des Blindgeborenen nicht, und weil der Unglaube der Juden ein willkommenes Thema war. So wurde umredigiert: die Aufforderung an lesus nach ludaea zu gehn wurde den un- gläubigen Brüdern in den Mund gelegt, und die Aufforderung selbst dadurch entstellt, daß die Juden als Objekt von lesu Wirk- samkeit hinausgebracht wurden. lesus selbst lehnt die Aufforde- rung ab, seine Zeit sei noch nicht erfüllt : weil er nichts will, miß- lingt ihm nichts. Da nun aber die Reise nicht gestrichen wurde, so blieb nichts anderes übrig als den Widerspruch zwischen dem

1) Der alte syrische Uebersetzer hat die mannigfaltigen Schwierigkeiten des überlieferten Textes empfunden und hilft sich durch eine stark umgestaltende Paraphrase aus der Verlegenheit, die 6 öxXog 6 mv (isr a'bxov [12, 17] zum Sub- ject von inoiriaav [12, 16] macht und 6 öx^og 12,18 mit diesem identiticiert :

>^Q3o ]\.^ ;p loa-) ooo) ^^jüoj )oo^ opax? Jjuj ooj \anD o^ Oyiiix >Aoto

'jLO c&^qa; >^^ (H^ioU Q^oji >^0) \aa).

Aporien im vierten Evangelium III 177

was er erst sagt und nachher tut, dadurch auszugleichen, daß er 'heimlich' hingeht: die Erfindung ist so lahm, daß sie sofort zu Boden sinkt. Allem Anschein nach gehören diese Verschiebungen dem späten Interpolator an, der die antivalentinianische Chrono- logie durch die Festreisen hineingebracht hat.

Nicht so einfach, wie bei dem Einzug, liegen die Dinge in der Erzählung 12, 1 11, die dem Grastmahl im Hause Simons des Aussätzigen bei den Synoptikern entspricht [Mc. 14, 3 ff. Mt. 26, 6 ff. Lc. 7, 36 ff.]. In Ueb er einstimmung mit Marcus und Matthaeus, abweichend von Lucas, ist es unmittelbar vor die Passion und nach Bethanien verlegt, aber vor den Einzug, was damit zusammen- hängen kann, daß dieser eine secundäre Einlage ist. Der Anfang [12, 1] 6 ovv 'Irjöovg TtQO ^^ ij^sgav zov Ttdöx^ '^Xd'Bv slg Brjd'avCav, oitov ^v AdlaQog ov ijyetQSv sx, v6xqg>v ^Irjöovg verrät die Ueber- arbeitung ebenso wie die Flucht lesu 11, 54; ob die merkwürdig genaue Chronologie die im Folgenden nicht durchgeführt wird, mit der Fastenwoche zusammenhängt, läßt sich nicht mit Bestimmtheit ausmachen. Greschmacklos ist es daß der auferweckte Lazarus als Grast beim Diner eingeführt wird: ohne Zweck wird damit das schon hoch gespannte Wunder seiner Auferstehung über die Pointe hinaus gesteigert. 12, 10. 11 habe ich schon als eine müssige Er- findung gekennzeichnet, die ohne Folgen bleibt und bleiben muß: man male sich nur einmal aus daß Lazarus darum auferweckt wird um von den Hohenpriestern umgebracht zu werden. Endlich scheint 12, 9 mit der Interpolation 12, 17 zusammenzuhängen, vorausgesetzt daß Ott dort gelesen wird. Die Zeitrechnung geht ganz in die Brüche. Am Abend ist das Grastmahl, am folgenden Morgen zieht Jesus in die Stadt ein [12, 12] : wann sollen die Juden scharenweis nach Bethanien hinausgegangen sein, als sie hörten daß lesus dort war? Granz davon zu schweigen daß sie schon früher Grelegenheit hatten den vom Tode auferstandenen Lazarus zu sehen.

Man erfährt nicht, wo das Grastmahl stattfindet; es heißt ganz unbestimmt [12, 2] sTCotriöav avtciv dstjtvov ixet. Wenn die Inter- preten annehmen, es sei im Hause des Lazarus gewesen, ist es mehr als verwunderlich daß dieser als Grast hingestellt wird [12, 2] : 6 ÖS Ad^ttQog sig ^v x&v dvaxeL^svcav 6vv ccvt&l. Die aufwartende Martha ist wieder eine schattenhafte Reminiscenz aus Lc. 10, 40 ; endlich sollte jedem einleuchten daß die Greschichte von der Sal- bung ungeheuer verliert, wenn ihre Heldin nicht zum ersten Male auftritt, sondern schon längst mit lesus in Verbindung steht. Aus alle dem dürfte so viel als sicher hervorgehn, daß Lazarus mit den beiden Schwestern aus der Greschichte hinausgetan werden

178 E. Schwartz

muß; sie sind hineingesetzt, weil das ursprüngliche vierte Evan- gelium sie in Bethanien localisirte und andererseits die Synoptiker, wenigstens Marcus und Matthaeus, das Gastmahl bei dem die Sal- bung stattfand, nach Bethanien verlegten.

Die Greschichte selbst ist, trotz zahlreicher Anklänge, keines- wegs dieselbe wie bei den Synoptikern. Die Ausmalung daß an Stelle der scheltenden Jünger ludas Ischarioth tritt, ist lebendig und deutlich motiviert; sie bekommt auch dadurch eine besondere Bedeutung, daß die hier geschilderte Habsucht des Verräters an Stelle des 'Judaslohnes' tritt, der im vierten Evangelium fehlt. Er hat den Beutel auch an einer Stelle [13, 29] die, wie früher [Nachr. 1907, 343] gezeigt wurde, höchst wahrscheinlich zum ursprüng- lichen Bestand gehört. Ferner wiederholt sich der im N. T. sin- gulare Gebrauch von ßaßta^sLv = al'Qetv [12, 6] in einem Stück der Auferstehungsgeschichte [20, 15], das ebenfalls sehr echt aussieht. Im Ganzen betrachtet, weicht die Vorstellung daß lesus von einer Gemeinde begleitet wird, die eine Kasse hat, und daß es möglich war unter seinen Augen die Kasse zu bestehlen, sowohl von der synoptischen Ueberlieferung wie von den Speculationen des Be- arbeiters über Sohn und Vater so gründlich ab, daß es geraten ist hier wiederum eine Spur des ursprünglichen, kühn und mensch- lich erfindenden Evangelisten zu wittern. Auf ludas Schelten ant- wortet lesus [12, 7] : ag)£g avviiv iva eig rijv rjfiBgav xov ivtatpLccö^ov ^ov xriQYierit, avto ^). Das ist etwas ganz anderes als das was er bei Marcus [14, 8] und dem Sinne nach nicht abweichend bei Matthaeus [26, 12] sagt : 'sie hat mich im Voraus zur Bestattung gesalbt'. Wenn sie die Salbe aufbewahren soll, hat sie das Gefäß nicht wie bei jenen zerbrochen; sie kann überhaupt nur wenig davon ge- braucht haben , und die Combination aus Mc. 14, 3 und Lc. 7, 38, daß 'Maria lesu Füße mit einem Pfund Nardensalbe bestrich und seine Füße [zovg nodag ist zweimal gesetzt] mit ihren Haaren ab- wischte', ist schon darum verdächtig: die Aushilfe daß sie nicht alle Salbe verbraucht habe, widerspricht dem griechischen Wort- laut. Andere Anstöße kommen hinzu: das Abwischen der Salbe statt der Thränen und die unleidliche Wiederholung von tovg Tcööag, Hier liegt eine täppische Ausgleichung mit den Synoptikern vor,

1) Der folgende Vs. 8 tovg nrcaxovs yccg nccvroze ix^rs (jisd"' (avT&v, ifil Sh oi) ndvtots i%€tE ist ein junger Einschub aus Mt. 26, 11 [= Mc. 14, 6], der mit Recht in D und dem sinaitischen Syrer fehlt. Zum ursprünglichen Bestand gehört er keinesfalls; was er bei den Synoptikern motivirt, xC %6novs Teagsxfts tf/i yv- vai%C\ iqyov yuQ tiakbv ij^ydaato tig i(ii^ fehlte ja grade im vierten Evangelium.

Aporien im vierten Evangelium III 179

die ebenso wie die Einführung des Lazarus mit den Schwestern ein gut Teil der echten Greschichte zerstört hat. Was in ihr mit der Salbe wirklich geschehen ist , läßt sich nicht mehr erraten : vom Ursprünglichen ist nur r^ de oUCa ETtlrjQchd-i] ix tfjg dö^rjg rov livQov stehen geblieben^). Auch das Praeteritum in den Worten des ludas [12, 5] diä xC rovto t6 y,vQov ovx sjtQccd^rj tQiaxoöicjv di^- vccQLcov xal ido^ri Tcrcoxotg ist unpassend aus Mc. 14, 5. Mt. 26, 9 eingesetzt; es giebt nur dann Sinn, wenn die Salbe wirklich ver- schwendet ist: dem widersprechen aber die Worte lesu. In dem echten Evangelium muß natürlich die Weissagung lesu in Er- füllung gegangen sein; die Ungereimtheit daß die Weiber den schon begrabenen lesus salben wollen [Mc. 16, 1. Lc. 23, 56], sollte vermieden werden^). Die salbende Frau fehlt jetzt in der Schilde- rung der Bestattung 19, 39. 40: aber der starke Verbrauch von Aromata findet sich noch und fällt auf, wegen des Gregensatzes zu den Synoptikern. Was für eine Frau nun aber das ursprüng- liche Evangelium eingeführt und ob es sie benannt hat, das kann niemand mehr sagen.

1) Wilamowitz, Reden und Vorträge 204: 'Von dem ecliten Parfüm genügten auch dem Reichen wenige Tropfen, die man auf das Haar oder den Kranz oder das Busengewand goß.' Wenn das Salbfläschchen nur geöifnet oder nur wenig ihm entnommen wurde, hat es Sinn zu sagen 'das ganze Haus duftete danach'.

2) Auch das Petrusevangelium versucht über diese Inconcinnität durch um- ständliche Wendungen hinwegzukommen [50]. Es stand mit dem vierten Evan- gelium jedenfalls in einem Zusammenhang: lesus wird in einem Garten begraben [24 vgl. 19,41]; die Erscheinung am See von Tiberias, die im 21. Cap. erzählt wird, scheint eine Parallele gehabt zu haben [60]. 25 läßt sich mit 8, 28 ver- gleichen. Im Uebrigen ist aus den dürftigen Fragmenten der apokryphen Evan- gelien für das vierte nicht eben viel zu gewinnen. 1, 12. 21, 15 stimmen mit dem Hebraeerevangelium frg. 9.11 gegen Mt. 16,17; frg. 22 ist vielleicht mit 6,37. 17, 6. 9 zusammenzustellen. Merkwürdig ist die Ueberlieferung bei Hippolyt, Comm. Daniel 4, 60 tov kvqlov diriYov^svov xotg iia^r\tats nsgl xf)g iisXXovatjg rmv ayccov ßccailsLag mg slri svSo^og nccl ^avficcaf^ ^ ncctccTtXayslg 6 'lovSag inl xoig Xsyoiisvoig Iqprj 'xal vig aqa öipstccL travra'; 6 ds Kvgtog k'cpri 'ravra öipovtaL ot &^LOL y£v6(ifvoL. Sie wird wohl mit Recht mit den Presbytern bei Iren. 5, 33, 4, d. h. Papias, zusammengebracht: et adiecit dicens : 'haec autem credibüia sunt credentihus.^ et luda, inquit, proditore non credente et interrogante 'quomodo ergo täles geniturae [ysvvrjiiavcc] a domino perficientur?^ dixisse dominum: 'uidebunt qui uenient in illa\ 14, 22 fragt ludas 'warum willst du dich uns offenbaren und nicht der Welt' ? Die Frage liegt in der gleichen Sphäre wie bei Papias-Hippolyt ; es macht nichts aus daß das Evangelium durch den Zusatz ovx ^ 'iGy-ciQimtrig den s. g. ludas lacobi einführt. Der Anklang in den Aoyia 'Iriaov 7 [Preuschen, Anti- legomena 25] an loh. 8, 51 ist wertlos, da der Papyrusfetzen sich nicht mit Evi- denz ergänzen läßt.

180 E. Schwartz

Im ursprünglichen vierten Evangelium entspracli die erste, mit der Flucht endende Reise lesu nach Jerusalem [7 10] den synop- tischen Erzählungen von seinem dortigen Auftreten bis zur Ver- haftung. Danach ist anzunehmen daß bei der zweiten, die nach Bethanien gieng, dem Beschluß der Hohenpriester ihn zu tödten die Katastrophe rasch folgte. Jetzt ist der wichtigste Zug daß die Verhaftung Pilatus zugeschoben wurde, unterdrückt; was außer der Salbungsgeschichte und dem sicher eingelegten Einzug zwischen der Sitzung des Synhedrions und der Fußwaschung, dem letzten Ereignis vor der Grefangennahme, steht, sind durcheinander ge- worfene Trümmer, aus denen nicht einmal die Spuren eines Granzen zusammenzubringen sind. In dem kleinen Stück 11, 55—57 werden jüdische Landleute eingeführt die vor dem Pascha in die Stadt gehn um sich zu reinigen, die Syra Sin. fügt die genauere Zeit- bestimmung hinzu 'am Abend' ^) ; damit soll wohl die Verbindung mit 12, Iff. hergestellt werden: die Menge die am Abend nach Jerusalem kommt, sucht lesus vergeblich im Tempel und findet ihn in Bethanien. Obgleich die Bezeichnung der Tageszeit zu den targumartigen Zusätzen gehören wird, an denen die alte syrische TJebersetzung reich ist [vgl. Nachr. 1907, 350], so bleibt der Zu- satz doch im Sinn und Zweck des Textes; die Püger sind nur er- funden um die Menge zu schaffen, die nach 12, 17 [vgl. o. S. 175] bei lesus war. Daß sie zur ayveta vor dem Fest kommen, hängt mit der Tagezählung 12, 1 zusammen; das Fest allein genügt nicht damit sie schon sechs Tage vorher sich auf die Reise begeben. Was für eine ccyvsia eigentlich gemeint ist, ist keineswegs klar: die Reinigung für das Fest, von der die Interpreten reden, ist als stehender Usus keineswegs bezeugt, und unmöglich ist es nicht, daß das was die Apostelakten [21, 23 ff.] bei Gelegenheit des Pfingst- festes, an dem der Krawall gegen Paulus entstand, von Naziraeem erzählen, das Vorbild für das Motiv gewesen ist. Es verklingt so- fort, weil es nur ein Hülfsmotiv ist ; die secundäre Erfindung verrät sich auch darin daß 11, 56 nur eine müßige Wiederholung von 7, 11 ist, einer ebenfalls jungen Einlage; von 11, 57 war schon die Rede. Ursprünglich ist in der ganzen Episode nichts.

1) JAA ^=^Vo; \»s» joof jofo; das ist etwa xal ^v ianiga 8t^ iyy^g riv ^ ioQxri. Blaß übersetzt falsch xal ^v rj ioniga xöbv iyyvg iogt&v: ^ix*'«o kann uur Praedikat, nicht Attribut sein, und steht im Plural als wenn J»*^ = tu ä^vfia Subject wäre. Uebrigens ist die Stelle schwerlich intact, wahrscheinlich war ianiga ursprünglich Variante zu der Vulgata iyyvg na.a%u rmv 'lovSccicov, nnd diese Lesung ist, in verkürzter und schwankender Form, später eingetragen.

Aporien im vierten Evangelium III 181

Nach dem 'Einzug werden im jetzigen Evangelium hellenische' Eestpilger, d. h. Proselyten eingeführt, nicht ohne eine gewisse Feier- lichkeit: sie müssen erst angemeldet werden, als wäre lesus ein Bischof der nicht ohne Weiteres Leute empfängt, die nicht zur Cremeinde gehören. Und auch diese Ceremonie wird noch weiter complicirt. Philippus dessen Herkunft zum zweiten Male [vgl. 1, 44] genau angegeben wird, als solle er von einem anderen unter- schieden werden^), kann, wie es scheint, die Fremden nicht allein anmelden und wendet sich an Andreas, seinen Landsmann nach 1, 44. Das erinnert an die Stelle 6, 8, wo Andreas ausdrücklich als 'einer von lesu Jüngern' vorgestellt wird, während Philippus ohne jedes Epitheton auftritt. In der Erzählung von der Jünger- waJil ist er ebenfalls ein Anhängsel von Andrefas und Petrus [1, 44] 2). Die Apostelkataloge der Synoptiker [Mc. 3, 18. Mt. 10, 3. Lc. 6, 14] nennen ihn an fünfter Stelle , unmittelbar nach den beiden Brüderpaaren die als die eigentlichen Jünger des Herrn erscheinen und deren Berufung allein ausführlich erzählt wird. Ich muß es dahingestellt sein lassen ob die Versuche des vierten Evangeliums Philippus zu einer wirklichen Figur auszubilden mit dem Platze zusammenhängen, den er in den Katalogen der Zwölf einnimmt, will aber doch daran erinnern, wie ich es schon Öfter getan habe^), daß es unrichtig ist den Herrenjünger von dem Evangelisten und Diakonen zu trennen. Grade daß er als Mitglied der Sieben missionirte und sich einen Namen erwarb, hat ihm wahrscheinlich die bevorzugte Stelle in der Liste der Zwölf ver- schafft, und seine dvaKovCa scheint auch im vierten Evangelium eine Rolle zu spielen. "Wenigstens ist 12, 26 säv e^oC rt? dtaxovfli, i^ol ccxolovd-sitco das Wort dtaKoveZv so ungewöhnlich gebraucht, daß der Gredanke an den 'Diakon' Philippus Act. Ap. 6, 5 nicht abzuweisen ist, umso weniger als dort auch die 'Hellenisten' eine

1) Ethnika werden den Jüngern nie gegeben, auch bei den Synoptikern nicht. Nur der Verfasser des 21. Cap. [2] setzt zu Nathanael hinzu 6 ccnb Kava xfi? FaXilaCas. Damit soll wohl, in Ausdeutung von 2,1, die Scene l,45flf. nach Kana verlegt werden.

2) Es wiirde das noch deutlicher hervortreten, wenn es angienge Andreas zum Subject von bv^Cg-abi 1, 43 zu machen. Dafür spricht das Verbum vgl. 1, 41. 45 Philippus würde der einzige Jünger sein, den Jesus im vierten Evangelium beruft und der Zusatz 1, 44, der freilich besser vor v.ccl XsyBi, avr&L 6 ^Iriaovg stände. Was dagegen spricht: r^t incivQLOv rjd-BXriaBv i^Bldsiv bIs tr}v raXilaiccv [1, 43], ist kaum mehr als ein unglücklicher Versuch 1, 28 mit 2, 1 topographisch zusammenzubringen.

3) Abhdlg. VIT 5, 17. Nachr. 1907 (Chronologie des Paulus).

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phüolog.-histor. Klasse 1908. Heft. 2. 13

182 E. Schwartz

Rolle spielen ^). Ueber Znov sl^l iy6 vgl. oben S. 161 ; in dem Corrigierenden Zusatz iav tig ifiol diaxovrjt, tl^tjösl avtbv 6 natt^Q wird der Vater an die Stelle Jesu gesetzt, wie 16, 15 «^ 16, 14 und 16, 26. 27 r^ 14, 16.

Die mit Sorgfalt vorbereitete Situation die Jesus mit helle- nischen Proselyten zusammenbringt, wird nicht ausgenutzt; die ^Hellenen* verschwinden lautlos wie ein Gespenst, 12, 29 tritt der 'öxXog an ihre Stelle, vor dem Jesus sich 12, 36 versteckt. Das ist keine Erzählung die Sinn und Verstand hat; es ist auch nicht immer so arg gewesen. Der schöne Spruch 12, 24, der nicht aus 1 Kor. 15, 35 fP. erklärt werden darf, ist allerdings eine Prophe- zeihung der Weltkirche, die aus dem Tode Jesu sich erhebt, ebenso wie die Deutung die die Juden in ihrem Unverstand den Worten lesu 4hr werdet mich suchen und nicht finden', geben [7, 35 s. o. S. 161]. An diesen Spruch 12, 24, den Jesus nur von sich selbst sagen kann, sind die beiden Ermahnungen 12, 25. 26 gehängt. Von der zweiten war schon die Rede ; die erste ist aus den Synoptikern entlehnt. Mt. 10, 39 steht sie innerhalb der Rede an die Missionare : Missionare waren auch die Diakonen , auf die 12, 26 zu zielen scheint.

Wie schon gesagt, tritt 12, 29 eine Menge auf, von der man nicht weiß aus wem sie besteht und woher sie kommt. Sie bildet das Publicum in zwei Redecomplexen, die nicht mit einander zu- sammenhängen; die Fuge liegt zwischen 12, 31 und 32. Denn zu den beiden vvv paßt weder das an eine Bedingung^) geknüpfte Futurum iXxvöG) noch xayc), in dem deutlich das xaC steckt, das aus einem Allgemeinen eine specielle Anwendung zieht. Jesus weis- sagt nicht seinen Tod, sondern er erklärt: 'nur dann wenn ich sterbe, ziehe ich alle nach', ein Ausspruch der dem Jesus des Lazaruswunders und des Spruches 12, 24 wohl ansteht. Aber der Ausspruch ist entstellt: denn säv vflxo^cb ix tfig yrig ist, trotz der

1) Ob die eigentümlicne Art mit der Philippus 12, 22 Andreas unterge- ordnet und 6, 9 im Gegensatz zu diesem nicht als Jünger bezeichnet wird, mit seiner Diakonie zusammenhängt, wage ich nicht zu entscheiden. Aber zuzugeben ist daß an beiden Stellen einer von den beiden besser fehlt. Namentlich 6, 8 tritt das darin hervor, daß aitcäi, unklar ist: vorher redet nicht Jesus, sondern Philippus, und die Erzählung fließt besser, wenn man &7tB'>iQ£&ri wbx&i 6 ^iXCnnos 6, 7 unmittelbar mit 6, 9 verbindet. G, 6 ist eine törichte Glosse, die lesu All- wissenheit um jeden Preis aufrechterhalten will.

2) Das haben diejenigen gefühlt, die, wie die Syra Sinaitica [j )»] und Ori- genes , Zxccv für ^dv einsetzen. Die Correctur ist wertvoll ; denn sie verbietet idv mit laxer Interpretation gleich Ztav zu nehmen.

Aporien im vierten Evangelium III 183

unverständigen Glosse 12,33 was kommt auf die Todesart an? , eine scMeclite Periphrase für das was verlangt wird: iäv ccTtod-dvco. Sie steht mit der gleichen, unverständlichen Kürze auch 8, 28 : die alttestamentliche Typologie, die auch 3, 14 nur flüchtig angedeutet wird, kann von einem Schriftsteller der erzählen will, nicht zu solchen Brachylogien mißbraucht werden ; derartige Gedankenlosig- keiten verraten den Interpolator, dem das Ganze gleichgiltig ist. Dem Interpolator kommt auch die Torheit zu, der Menge ein so rasches und feines theologisches Verständniß zuzuschreiben, daß sie die wahrhaftig dunkle Metapher sofort vom Sterben gebraucht und noch dazu den Menschensohn hineinbringt, während lesus diesen Ausdruck noch gar nicht in den Mund genommen, sondern von sich in erster Person gesprochen hat: noch ärger ist daß dann nach der Bedeutung dieses Ausdrucks gefragt wird. lesus ant- wortet nicht darauf; über das was er sagt, vgl.^oben S. 168. Wie schon gesagt, steckt in 12, 32 wahrscheinlich Echtes und Ursprüng- liches, möglicherweise ist auch rjiietg rjxovaa^sv ^dvsc sig tbv aiava [12, 34] ein älterer E,est: weiter läßt sich, dank den Ueber- arbeitungen und Interpolationen, nicht kommen.

Die 'Menge' ist in diesen zweiten Redecomplex wohl aus dem ersten übertragen. Da sitzt sie in der Erzählung 12, 28 31 fest; diese ist freilich nur eine schlechte Weiterbildung von Lc. 22, 43, in der eine rein dogmatische Auffassung von lesu Tod grell her- vortritt. Er ist kein Erniedrigen, sondern Erhöhen ^), kein Scheitern, sondern Herrlichkeit [vgl. 13, 32. 17, 1. 5]. Nach diesem Dogma ist die Geschichte 12, 28 31 gemacht; charakteristisch ist ferner, daß die Offenbarung für lesus gar nicht nötig ist [12, 30 vgl. die oben S. 167 angeführten Stellen]. Wie der Interpolator auch sonst in Anmerkungen die er in die Erzählung einschaltet, söo^ccöd'ri ein- fach für den Tod setzt [7, 39. 12, 16], so bildet er den überlieferten Spruch [Mc. 14, 41 vgl. 26, 45] ^X^sv rj wga, idov ütagadidorai 6 vibg Toi) avd-gaTtov sig tag xstgag tcbv a^ccQtcoXcbv um zu [12, 23] iXyjXvd'ev r} coga tva do^aed^fii, 6 vibg tov ävd'QG}^ov : weil er an eine zu frühe Stelle der Handlung gerückt ist, muß er von lesus selbst wieder- holt werden [17, 1 ; vgl. auch 13, 1]. Unter dieser dogmatischen Uebermalung sind aber noch die Spuren einer älteren Erzählung zu erkennen, die mit der synoptischen Scene im Garten Gethsemane parallel lief: tccctsq, dö^aööv 6ov xo ovo^a [12,28] ist, wie 11,42,

1) Damit hängt wohl die schon erwähnte Brachylogie von vipoad-ijvca [3, 14. 8, 28. 12, 34 ; vtpa&a iyi rfjg yijs nur 12, 32] zusammen.

13*

2g4 E- Schwartz

die Correctur eines ganz anderen Gebets ^), das dem von Mc. 14, 35 berichteten entspricht. Es steht aber an verkehrter Stelle, nnd vollends ist nicht abzusehen, wie es mit der Einführung der Proselyten zusammengebracht werden kann: auf den Spruch 12, 24 kann es unmöglich folgen. So ist es vielleicht Einlage des Be- arbeiters, die von dem Interpolator erweitert wurde.

Daß 12, 37 43 ein Predigtstück schlecht eingeschaltet ist, wurde schon früher [S. 152] nachgewiesen. Auch die Rede lesu 12, 44 50 ist an dieser Stelle unmöglich : wie kommt lesus dazu zu 'rufen', nachdem er eben sich vor der Menge versteckt hat, und vor welchem Publicum predigt er? Der jüngsten Schicht gehört das Stück schwerlich an ; eine Interpolation , in 12, 48^, ist sicher nachzuweisen, vgl. oben S. 170.

Eine genaue Analyse der 'Abschiedsreden' überlasse ich Well- hausen, der an ihnen zuerst entdeckt hat, wie den Räthseln des vierten Evangeliums beizukommen ist. Nur einige Beobachtungen mögen hier Platz finden.

Wellhausen stützt seinen Schluß, daß 15 17 eingelegt sind, auf die Worte 14, 31 iysLQsad^s, ayco^ev evtevd-ev. Bei den Syn- optikern [Mc. 14, 42. Mt. 26, 46 ; bei Lukas fehlen sie] werden sie im Grarten, unmittelbar vor der Verhaftung, gesprochen, im vierten Evangelium sind sie vor den Grang zum Garten gestellt. Ob sie schon dem ursprünglichen Text angehören, kann ich nicht entscheiden; daß aber der echte Schluß der ältesten Abschiedsrede, die nicht sehr lang gewesen zu sein braucht, unmittelbar vor diesen Worten stand, läßt sich noch beweisen: der semitische Abschieds- gruß schimmert ja noch in sigilvriv a(piriHL vfitv [14, 27] durch, und das Schlußgebet in Cap. 17 ist deutlich die Doublette dazu, die das einfache Original übertrumpfen soll und sich nicht mit ihm verträgt.

Es genügt keineswegs die Capitel 15 17 auszuscheiden, da- mit die echte Abschiedsrede rein und ungetrübt hervortritt. Von ihr sind vielmehr nur Reste da, über denen mehr als eine spätere

1) Wie die Worte jetzt dastehn, muß man ndxBQ, g&g6v hs in rfis mgag xavxris [12,27] als den Inhalt von tC etna fassen, das zeigt &XXa diu tovto Tjld-ov slg xriv mgav xavxriv ; diu xoüxo widerstrebt der Erklärung ähnlich wie 7, 22 [s. oben S. 158] : doch ist es hier eher möglich mit dem Fragezeichen zu helfen, weil Tva a(o^m sich leicht ergänzen läßt. Das zweite Gebet [12, 28] «ar«^, d6^aa6v aov xb övo(ia giebt dann die berichtigende Antwort auf die mit &lXcc eingeleitete Frage. Die Valentinianer hatten eine Ueberlieferung nach der lesus sagte xai r/ bCtko^ oi}% olda [Iren. 1,8,2 = Epiphan. 31,25 p. 194^; vgl. S. 135]. Sie stammt nicht aus dem vierten Evangelium, sondern ist in ihm benutzt.

Aporien im vierten Evangelium III 18o

Schicht liegt. Die Störungen in 14, 3 ^) und 13, 34. 35 sind von Wellhausen erkannt [10. 14]; über 13,36 38 vgl. Corssen, Zeitschr. f. neutestamentl. Wiss. 8, 142; über 14,29 oben S. 167. 14, 30. 31 (von den Schlußworten abgesehen) stellen sich mit ihrer den Tod lesu im Voraus aufhebenden Dogmatik zu 12, 31. 10, 18. Schwierig- keiten machen die Zwischenreden der Jünger. Thomas fragt so, als wüßten die Jünger nicht, daß lesus zum Vater geht [14, 5] : er hat es auch noch nicht ausdrücklich gesagt. In 14, 4 ist ötcov vnayco ungehörig aus 14, 5 hineingetragen : das doppelte Object zu ol'dare ist schon sprachlich anstößig, und xal ol'öare rr^v odöv schließt, wenn man an die jüdisch-ur christliche Bedeutung von oöög denkt, die in 14, 2. 3 enthaltene Ablehnung der Parusie erheblich schärfer und praegnanter ab, als wenn f^v odöv durch das vorausgehende oTtov vTcdyw seines vollen Sinnes entkleidet wird. Daß Thomas diesen Sinn nicht gleich findet, ist ebenso passend wie daß lesus antwortet (14, 6] : iyio sl^l rj 6öög [xal i] «AtjO"£ta xal yj Joij] ^)* oifdslg BQxstaf, üt^bg tov TCcctSQa, et firj dt sfiov: es ist wohl zu be- achten daß er nicht von dem Wege spricht, den er jetzt zurück- legen wird, sondern von dem welchen die Jünger zurücklegen sollen. Dagegen fällt die metaphysische Speculation, die 14, 7 ein- setzt, aus dem Bilde : durch Jesus zum Vater gelangen und seine speculative Einheit mit dem Vater erkennen sind zwei verschiedene Dinge. Lediglich dies Thema wird in dem zweiten Grespräch mit Philippus ausgesponnen, das sich nicht mit 14, 7 verträgt, sondern 14, 6 in derselben Weise wie 14, 7 weiter führt ; also sind 14, 7 und 14, 8 10 Dubletten. 14, 10 läßt sich nur so verstehn, daß lesu Reden als ein Wirken des Vaters gefaßt werden : man könnte die zweite Hälfte mit 6 ds jtatrjQ iv e^ol svegyet paraphrasieren. Dieser Gredanke fiel so auf, daß er doppelt glossiert ist, erstens durch eine, den Jüngern gegenüber unpassende Wiederholung von 10, 25. 37. 38, und dann durch einen Hinweis auf die Wunder welche die Jünger nach Jesu Tod tun werden. Daß in der Frage des ludas [14, 22] eine den Presbytern des Papias bekannte Ueber- lieferung umgebildet zu sein scheint, wurde schon gesagt [S. 179]. Sie paßt nicht zum Vorhergehenden, wo Jesus von dem Gegensatz zwischen den Jüngern und der Welt nicht redet; das hat er 14, 17 und 14, 19 getan. Umgekehrt hinkt das Kolon welches das einzige 14,21 und 22 verbindende Wort s^tpavi^siv enthält: xccya

1) Nur muß auch der Finalsatz Tva onov sC^lI iym, nal vfisig '^ts fallen; er fügt sich in den Irrealis schlecht ein und kehrt 17, 24. 12, 26 wieder.

2) Vgl. Nachr. 1907, 3652.

186 E. Schwartz

äyuTnjaoy avzbv r.cX iiicpavCoa avrai iuavrov hinter der Sclilnßkotte in 14, 21* nach nnd sieht nach einem schlechten Verbindungsstück aus : i^fpavCöG) avtm iiiaircöv ist bedenklich unklar, weil es ebenso von der Parusie wie von einer geistigen Offenbarung auf Erden verstanden werden kann. Endlich antwortet lesus auf die Frage nicht, sondern wiederholt zunächst den Syllogismus von 14, 21* in verkürzter und verschlechterter Weise und springt dann zu einem Wir' über ^), das die Rede Grottes Lev. 26, 12 und das Wort lesu Mt. 28, 20 mit unzulässiger Kürze vereinigt, ganz zu schweigen von dem unverständlichen ütQog avtbv eXsvöonad^a. Auch dieser Vers ist ein Flicken: das 'Wir' ist nur aus einer Combination von 14, 18 ^QioiiKL TtQog v^ag, 14, 22 iiikXeig eiiq)avL^SLv öeavtöv und 14, 21 ayajctid-Tjöetai 'bno xov natQÖg ^ov erwachsen; 14, 24 enthält den richtigen Gegensatz zu 14, 21* ( TT^ptjcJft). So scheidet die Frage des Judas ebenso aus wie die des Phüippus ; die des Thomas scheint aus einem echten Kern erweitert zu sein. Auch nach Entfernung der störenden Zwischenrede des ludas mitsammt dem Kitt der daran hängt, bleibt das ganze Stück 14, 14 24 ein wirres Hin- und Herreden ; vergleicht man 1 loh. 3, 22 24, so erscheint alles wieder: die Gebete, das Halten der Gebote, die unio mystica und auch der Geist, der sich 14, 17 sammt den Anhängen 14, 18 20 so störend zwischen 14, 15 und 14, 21 zu schieben scheiat. Auch die Schlußreihe von 14, 21 kehrt dem Sinne nach 1 loh. 2, 5 wieder. Nur hängt 1 loh. 3, 22 f. alles gut zusammen , während die Ge- danken im Evangelium confus durcheinander laufen. Dort, im Brief, konnte der Schriftsteller sich frei bewegen; hier wollte er eine Vorlage überarbeiten und kam damit nur schlecht zu Stande.

Der Paraklet wird 14, 17. 15, 26. 16, 13 durch xo nvsv^a ti^g akri^sCag , 14, 26 durch Jtvev^a t6 äyiov erklärt. Nimmt man diese Gleichung mit der Bedeutung des Wortes jtaQcixXritog = aduocatus ^) zusammen, so ergiebt sich daß der Ausdruck zurückläuft

1) Es war schon den Alten verdächtig, D und Syr. Curet. setzen den Sin- gular dafür ein.

2) Philo gebraucht es nur appellativ = Fürsprecher oder einfach Beistand. Ohne Beistand, von sich aus erkennt Gott, daß er der Materie durch seine Gnaden- beweise [Qi^on] das Gute zuführen müsse, de opif. mundi 23. Der Hohepriester braucht den Beistand des göttlichen Wortes, dessen Träger sein loystov = itun ist, um für das Volk beten zu können, de uit. Moys. 2, 134. Beim Gebet um Sündenvergebung ist das Gewissen ein Fürsprecher, de spec. leg. 1, 237. Das Volk Israel hat drei Fürsprecher: Gottes Güte, die Frömmigkeit der Erzväter, die eigene Bufie, de exsecrat. 166. Im gleichen Sinne kommt auch naQaixrixi^s

Aporien im vierten Evangelium III 187

auf das Wort lesu, das bei Marcus in der letzten Rede vor der Verhaftung steht: kkI otav äycoöcv v^stg TtaQadidövtsg, [iri Ttgo^is- QL(iväts xC XaX}]6i]r£, äXX' b iäv doO'iJt v^lv sv ixsivrii tijL agcci,, rovto XaXstxs' ov yccQ iöts v^stg oC XaXovvtsg, äXXä tb Ttvsv^a ayiov [Mo. 13,11]: Matthaeus [10,20] und Lukas [12,12] rücken es früher. Diese Grrundbedeutung muß das Wort geprägt haben; sie tritt aber nirgend mehr rein hervor. Im ersten lohannesbrief [2, 1] ist es zwar noch rein appellativ gebraucht, aber ohne Be- ziehung auf den Greist : das Forum vor dem der TtagauXT^tog fungiert, ist dort kein weltliches, sondern Gott. Es ist schon oben auf die nahen Beziehungen hingewiesen, welche 14, 14 ff. mit dem ersten lohannesbrief verbinden : ich vermute daß nicht nur 14, 17, sondern auch ccXXov TtagdKXrjtov aus der geistigen Sphäre des Brief- schreibers, wenn nicht von ihm selbst herrühren. Denn ccXXov kann nur heißen 'außer' oder 'nach mir', und damit ist die Be- deutung von TCagaTcXritog zu derjenigen verschoben, die sich im Briefe findet: ursprünglich kann das aber nicht sein. Denn wenn auch im Verhältnis zur Gemeinde Christus und der Geist auf eine Linie gestellt werden können, ist darum doch nicht Christus in demselben Sinne aduocatus wie der Geist, und eben weil durch diese Verschiebung der Ausdruck an der Stelle die ihn einführt, unklar wird und die Beziehung zu seinem Ursprung verliert, ist anzunehmen daß auch hier nur das Wort selbst ursprünglich ist, dagegen nicht der Gedankenkreis in den es gestellt wird. Es ist gar nicht ausgemacht, daß schon das ursprüngliche Evangelium den Geist der in den Jüngern selbst ihre Sache führte, mit dem identificierte, der in der werdenden Kirche eine immer breitere und mächtigere Stelle einnahm : 'in meines Vaters Hause sind viele Wohnungen; ihr wißt den Weg: fürchtet euch nicht': das war dort Jesu Abschiedswort, und in dieser Richtung muß sich auch das was er vom Parakleten sagte, bewegt haben.

Schon bei der ersten Wiederholung [14, 26] ist aus dem über- tragenen Worte ein fester, durch den Artikel bestimmter Terminus geworden, 6 TcagdcxXritog. Auf irgend einen Gemeindebrauch weist das nicht, sonst müßte 6 TcaQccxXritog als Bezeichnung für den heiligen Geist unabhängig vom vierten Evangelium vorkommen und könnte der erste lohannesbrief die Metapher nicht so anders gewandt haben. Es muß sich also die Entwickelung vom bildlich gebrauchten Appel- lativ zu einem Nomen proprium des Geistes innerhalb des vierten

vor, de mut. nom. 129, vgl. de spec. leg. 2, 25. Mit dem Parakleten der Christen hat dies alles nur das Wort gemeinsam.

188 E. Schwartz, Aporien im vierten Evangelium III

Evangeliums selbst vollzogen haben, und zwar durch die Ueberarbei- tung : eine Metapher versteinert bei dem Schriftsteller, der sie original anwendet, nicht so rasch und leicht wie bei dem Bearbeiter, der sie vorfindet und aus ihr Capital schlägt. Schon 14, 26 ist 6 nagd- xXr^tos der Name des Greistes, der in der Gemeinde lebt und wirkt. Hier ist an die Ethik der Gemeinde gedacht: der Geist hält die Lehre ^), d. h. die Gebote lesu aufrecht, vgl. 1 loh. 3, 24. 15, 26 ist der Paraklet der Geist der für den christlichen Glauben gegen die Juden zeugt; in mechanischer Weise wird das historische Zeugnis der Apostel daneben gesetzt, wie in der Rede des Petrus Act. Ap. 5, 32. Derselbe Gedanke steckt auch in 16, 8 11 , nur ist er praetentiöser ausgedrückt, so daß der Geist zur geoffen- barten christlichen Lehre vom Tode Christi umgesetzt wird^). Dagegen tritt in 16, 13 das Pneuma der christlichen Prophetie unverkennbar heraus; an diese Stelle knüpft das montanistische Mißverständnis an.

1) Vgl. Abhdlg. VU 5, 122.

2) Der ganze Passus von 16, 4 ravra [allgemein, ohne bestimmte Beziehung auf das was vorhergeht] Ss vfitv i^ ccQXVS o^x slnov an ist eine erweiternde Aus- führung von 14, 25. 26 ; 14, 28 ist in 16, 7 zu dem Gedanken verschoben : 'ohne meinen Tod würdet ihr nicht die Träger der Offenbarung geworden sein'. Da schlägt schon die Lehre des zweiten Jahrhunderts von der apostolischen Autorität durch. Smauiövvr] und ngiOLg 16, 8 ff. sind eine Keminiscenz an np^lS und üDtDia des A. T. ; von dem jüngsten Gericht ist keine Rede, sondern von der Aufrichtung des Rechts durch den Messias, die nach den Juden erst kommen sollte und nach den Christen schon durch Jesus vollzogen war.

Das erste Gedicht der Carmina Burana.

Von

Wilhelm Meyer ans Speyer, Professor in Göttingen.

Vorgelegt in der Sitzung vom 22. Februar 1908.

Die berülimte Handschrift der Carmina Burana, die lateinische Handschrift 4660 in München, und Schmellers Ausgabe zeigen auf der ersten Seite eine feine Zeichnung , Fortuna in ihrem Rade ^), und dazu passende hübsche Verse. Da scheint feine Buchkunst mitgewirkt zu haben. Das kann auch der Fall gewesen sein. Aber dann ist es nicht der feine Sinn jenes Mannes gewesen, der in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts diese prächtige Lieder- sammlung sich zusammenschreiben ließ, sondern der Buchbinder oder sein Auftraggeber, welcher in den letzten Jahrhunderten die zerrissenen, verstümmelten und in Unordnung liegenden Blätter- lagen und einzelnen Blätter dieser Handschrift zu ordnen versuchte.

Die genauen Untersuchungen, welche ich in der Festschrift unserer Gesellschaft von 1901, in den Fragmenta Burana, über die Blätter und Lagen dieser Handschrift angestellt habe, haben er- geben, daß der jetzige Anfang der Handschrift nicht der wirkliche ist. Nach Schmeller's Vorgang habe ich festgestellt, daß im Anfange der Handschrift die ursprüngliche Folge der Blätter gewesen ist: Bl. 43—48, dann 1—42.

Am Rade sind 4 menschliche Gestalten mit den bezeichnenden Inschriften: Eegnabo . Regno . Regnavi. Aber bei der 4. Inschrift hat den Anfang *Ve ve misero' vor den Worten 'sum sine regno' sowohl der Zeichner in Schmeller's Ausgabe übersehen, wie alle diejenigen, welche die Handschrift nachverglichen haben.

190 Wilhelm Meyer,

Ich habe 1901 (Eragmenta S. 6) bemerkt: 'Der Anfang von BJatt 43 (bei Schmeller no 66 S. 37) enthält das Ende eines Ge- dichtes ; er lautete wohl ursprünglich 'cie nostrum fedus hodie' ; dann ist zum Anschluß an den Schluß von Blatt 42 'stu' die Silbe 'cie' in 'dio nostrum etc' geändert: ein Sinn wird so nicht ge- wonnen. Es fehlt also vor Blatt 43 der Anfang der Hand- schrift, eine oder mehrere Blätterlagen'.

Die Anfangssilbe von Bl. 43 hat man allgemein als 'dio' ge- lesen: ich sah, daß der senkrechte Strich des d spät zugesetzt sei und daß aucb das o nickt ursprünglich sei. Eine neue, korrekte Ausgabe der Carmina Burana müßte also mit einem Bruchstück und noch dazu mit einer unsichern Silbe beginnen : *c i e (?) n o s t r u m fedus hodie defedat et inficit- nostros ablativos qui absorbent vivos- moti per dativos movent genitivos. Ein solch häßlicher Anfang wäre eine Schande für eine so ge- schmackvolle Liedersammlung.

Ich freue mich, daß eine neue Ausgabe der Carmina Burana wenigstens vor einem so häßlichen Anfang bewahrt werden kann. Das obige Bruchstück interessirte mich. Es enthält eine Termi- nologie, in welche satirische Dichter des 12. Jahrhunderts öfter ihre Angriffe einkleiden. So heißt in dem heftigen Streitliede gegen die Curie Bur. no 19 die sechste Strophe: Si te forte traxerit Homam vocativns et si te deponere vult accusativus, qui (quo = ut?) te restituere possit ablativus, vide, quod fideliter presens sit dativus. Also vocativus = Vorlader, accusativus = die anklagende Gregen- partei, ablativus = der Geschenke verlangende Richter der Curie, dativus = der bestechende Angeklagte. In der berühmten Apo- kalypse (Mapes S. 10; Walther v. Chatillon ed. Müldener S. 24) wird in Str. 45 auch noch der Genitivus, meistens = Geschlechts- theil, hinzugefügt:

Decano precipit, quod, si presbiteri per genitivos seit dativos fieri, accusans faciat vocatum fieri, ablatis fratrihus a porta inferi. Da diese beiden Stellen mich ziemlich beschäftigt hatten, so hatte ich auch jenes Bruchstück im Anfange der Carmina Burana mir eingeprägt. Da fiel mein Auge in Walter Mapes (ed. Thomas Wright 1841) S. 227 auf die Zeilen : defectu pecuniae causa Codri deficit;

das erste Gedicht der Carmina Burana. 191

tale foedus liodie

defoedat et inficit

nostros ablativos,

quos absorbent vivos,

morti per dativos

movent genitivos. Damit war das Gredicht gefunden, von dem der Anfang der Carmina Burana einen traurigen Eest enthält. Aber es entstand eine neue Unklarheit. In den Carmina Burana sind die genannten Zeilen der Schluß des Gredichtes: dagegen bei Wright sind sie es nicht; 33 Kurzzeilen gehen ihnen voran, 20 folgen ihnen. Eine Vergleichung der 3 Handschriften schuf auch hier Licht. Die beiden Handschriften R und C enthalten die Strophen 12 3 4 und 5 in dieser Ordnung ; dagegen die Handschrift L enthält die Strophen 1, 4, 3, 2 und 6; es fehlt also in ß und C die 6. Strophe, in L fehlt die 5. Strophe, aber die 6. Strophe bildet, was wir brauchen, den Schluß des Gredichtes. "Weßhalb Wright diese Strophe vor die 4. und 5. gestellt hat, weiß ich nicht. Allein es ist klar, die Fassung dieses Liedes in den Carmina Burana war mit der Fassung in der Handschrift Lansdowne 397 nahe verwandt.

Das Gredicht 'Manus ferens munera' enthält eine halb satirische Klage über die Macht des Greldes, besonders vor Grericht. Dieser Inhalt paßt zu den vollständigen Gredichten, welche in den Carmina Burana folgen. Denn z. B. no 67 enthält den Vers 'regnat avaritia', no 68 'iuris libertas ancülatur, obsecundans pecuniae'. Dieser Stoff ist nach Art der Spruchdichtung behandelt; deßwegen fehlt es an einem deutlich sich entwickelnden Gredankengang der Strophen und deßwegen ist es schwierig zu entscheiden, ob die Ordnung der Strophen in EC (1. 2. 3. 4.) oder die in L (1. 4. 3. 2.) die richtige ist. Für die von EC könnte wenigstens ein rhetorischer Grrund sprechen: in der 1. Strophe wird die Macht des Greldes mit sechs- maliger Wiederholung des Wortes 'nummus' geschildert; darauf folgen 2 Strophen, von denen jede mit 'nummus' beginnt; die 2. schüdert besonders die Begünstigung des Eeichen, die 3. die Schädigung des Armen. Aber ich finde keinen Grrund, welcher für die Eeihenfolge der Strophen in L spräche.

Die Form der Strophen ist fein. Hiat innerhalb der Kurz- zeilen findet sich nur Z. 29 (nach der Münchner Handschrift); er findet sich auch nicht zwischen den Kurzzeilen. Der Reim ist zweisilbig; nur Z. 22 steht ein 'ötas' gegen 2 'itas'. Wiederholt wird der Eeim itur (Str. 2) in Str. 5: das ist aber Caesurreim. Die Strophe ist entwickelt aus der Vagantenzeile 7 u __ + 6 ^ u :

192 Wilhelm Meyer,

zuerst 6 Knrzzeilen zu 7 ^^, dann 4 Kurzzeilen zu 6 u. Diese Kurzzeilen sind zu Langzeilen verbunden : also 7u__a4-7u_c, 7u a + 7u_c, 7vj a + 7u-.c; dann nach einer Sinnespause : 6 ub + 6_ub, 6_ub-f6_ub. Die Sinnespause nach der ersten Halbstrophe ist nur in der 6. Strophe vernachlässigt.

1

Manus ferens munera pium facit impium. nununus iungit federa, nummus dat consilium. 3 nummus lenit aspera, nummus sedat prelium. nummus in prelatis est pro iure satis. 5 nummo locum datis, vos qui iudicatis.

2 Nummus ubi loquitur, fit iuris confusio. pauper retro pellitur, quem defendit ratio. 8 sed dives attrahitur pretiosus pretio.

hunc iudex adorat; facit quod implorat. 10 pro quo nummus orat, explet, quod laborat.

3 Nummus ubi predicat, labitur iustitia, et causam, que Claudicat, rectam facit curia. 13 pauperem diiudicat veniens pecunia.

sie diiudicatur, a quo nichil datur. 15 iure sie privatur, si nil offeratur.

4 Sunt potentum digiti trahentes pecuniam. tali preda prediti non dant gratis gratiam. 18 sed licet illiciti censum censent veniam.

clericis non morum cura, sed nummorum, 20 quorum nescit chorum chorus angelorum.

5 *Date, vobis dabitur' talis est auctoritas. sancti pie loquitur impiorum pietas. 23 sed adverse premitur pauperum adversitas.

quo vult ducit frena, cuius bursa plena. 25 sancta dat crumena sancta fit amena.

6 Hec est causa curie, quam daturus perficit. defectu pecunie causa Codri deficit. 28 tale fedus hodie defedat et inficit

nostros ablativos, qui absorbent vivos; 30 moti per dativos movent genitivos.

das erste Gedicht der Carmina Burana. 193

K = Brit. Museum Regius. 8. B. VI f. 18»; C = Cambridge Corpus

Christi College 177 f. 202», 2. Spalte L = Brit. Museum Lansdowne 397 f.

10b. R und L hat Th. Wright, Walter Mapes 1841 S. 226 zum Abdruck be-

nützt; C habe ich gefunden. RCL habe ich selbst 1906 verglichen und über L nachträglich freundliche Mitteilung von Prof. B. Priebsch in London erhalten.

I 1 inpium L 2 Munus L 2 nitigit statt iungit R 3 Munus L 3 lenit Meyer, levit Wright; in diesen Hften ist n und u kaum zu unterscheiden, munus sedat L Nummus und Munus wechseln, wie hier in L, so auch sonst; vgl. Carmina Burana no 19, Str. 9 und 10.

II steht nach IV + III in L 6 vgl. Bur. 19, 10, 7 ubi nummus loquitur; Mapes S. 223, 17 Cum nummus loquitur. 8 s ; (d. h. set) L 9 inplorat L

III steht nach I + IV m L 11 ubi loquitur L 12 cäm (causam) L, causa RC rectam facit curia L: recta seuicia R; cedit seuicia und recta mit anderer Tinte über cedit C 15 iure s; (set) L 15 afiferatur L

IV steht nach I in L 17 graciam L, grotii (?) R 17 vgl. Burana no 18,7: Ibi nemo gratus gratis, Neque datur absque datis Gratiani gratia. 18 s; (set) RL 18 illiciti RC, illicito und s über o L 18 census cens. L 19 cura s; L, cura fit RC 20 nescit om. L 20 thorum LC chorus: corus L, deus RC Wright

V fehlt in h 21 vgl. Lucas 6, 38 date et dabitur vobis; Burana 192,2, 3 date, vobis dabitur; sonst vcjl.' z. B. Bur. 19,16 Das istis, das aliis, addis dona datis; et cum satis dederis, querent ultra satis 21 tal mit Querstrich durch I {d. h. talis) RC, tale Wnght 22 danti pie? 23 s; R 24 vult {so daß man It als a lesen kann) R, vis und darüber vult C : una Wright 25 Vielleicht sancta et amena = das heilig geachtete und beliebte Gold schafft Einem selbst Heiliges (Weihen etc.) ; doch ist der Hiat bedenklich.

VI Diese Strophe fehlt in RC ; sie steht nach Str. II als letzte in L ; in der Hft der Carmina Burana, München Latin. 4660, beginnt Blatt 43 mit den Worten : cie (?) nostrum fedus hodie defedat et inficit nostros ablatiuos qui absorbent uiuos moti per datiuos mouent genitiuos. causa Codri: vgl. Bur. 2, 5, wo die Mahnung, mit üeberlegung nur Würdigen Geschenke zu geben, geschlossen wird mit den Worten: In te glorior, quia Codro Codrior omnibus abundas. Aber welcher Codrus ist das? Der sich opfernde attische König? oder der arme Schlucker bei luvenal 3, 203? oder ein Anderer? 28 tale L, nostrum Bur.

29 qui Bur-, quos L 30 moti Bur., morti L; vgl. Bur. 19,6 u. Apokalypse Str. 45 (oben S. 190). Der Sinn scheint zu sein: die bei uns lebenden Räuber (Ablativi) verschlingen Alle mit Haut und Haar, und durch Bestecher (dativi) bewogen treten sie thatkräftig (genitivi) für dieselben ein.

Lateinische Rythmik und byzantinische Strophik.

Von

Wilhelm Meyer aus Speyer Professor in Göttingen.

Vorgelegt in der Sitzung vom 21. März 1908.

Vor zwei Jahren habe ich die von Auspicius um 470 in Toni verfaßten rythmischen Jamben wieder herausgegeben und ihre Form besprochen (Nachrichten 1906 S. 192—229). Jetzt hat P. Maas in der byzantinischen Zeitschrift (XVII S. 239 245) meine Arbeit besprochen, hauptsächlich ausgehend von einem Vergleich dieser lateinischen Zeilen mit einigen Zeilen byzantinischer Strophen. Die von ihm dabei vorgebrachten Ansichten halte ich für unrichtig und die angewendete Methode für gefährlich; deßhalb wül ich sie hier besprechen. Ich füge einen, so viel ich finde, noch nicht ge- druckten, sehr alten Rythmus einer bemer Handschrift bei, dessen Achtsilber zu denen des Auspicius in bemerkenswerthem Gegen- satze stehen.

Früher war die Ansicht verbreitet : als der Wortaccent mächtig geworden sei, habe man angefangen, in die Vershebungen der ge- wöhnlichsten quantitirenden Zeilen Silben einzuschieben, welche mit dem Wortaccent belegt sind. So seien die rythmischen Zeilen entstanden, wie:

Quae tdli viro r^geris. Appar^bit r^pentina dies mdgna dömini. Als ich die Formen der rythmischen Dichtkunst untersuchte, sah ich, daß jener einfachen Theorie nirgends die Thatsachen ent- sprechen. Neben Zeilen, welche den Füßen der quantitirenden Schablone entsprechen, stehen, wenn es überhaupt möglich ist, oft ebenso viele, welche widersprechen. Viele deutsche Gelehrten

Wilhelm Meyer, lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 195

hatten sich geholfen durch Annahme der schwebenden Betonung, wornach man jedes lateinische Wort betonen kann, wie man will. Ich hielt mich an die feststehende Betonung der lateinischen Wörter und erklärte: die Zeilen der lateinischen Rythmik zählen Silben und achten auf eine bestimmte Schlußkadenz; außerdem werden noch einige allgemeine Regeln, je nach der Art und der Lebenszeit des Dichters, mehr oder minder genau befolgt : es wird Hiatus gemieden; es wird das gemieden, was ich daktylischen Wortschluß genannt habe (Auspicius S. 201), und endlich wird, außer durch est, nicht leicht der Zeilenschluß durch ein einzelnes einsilbiges Wort gebildet. Sind die quantitirenden Zeilen durch Caesur durchschnitten, dann wird auch das rythmische Nachbild genau in die entsprechenden Kurzzeilen getheilt und in deren Schluß werden die entsprechenden Kadenzen nachgebildet.

Im Allgemeinen werden Zeilen von mehr als 8 Silben in 2 Kurzzeilen zerlegt, Zeilen von weniger als 8 Silben werden nicht durch Caesur getheilt. In den Kurzzeilen von 4, 5, 6 und 7 Silben finden sich vor der Schlußkadenz all die möglichen Tonfälle: also z. B. von Siebensilbem mit steigendem Schluß (7 u _) zunächst die Schablone: Saxa növem flumina- Perdidisti nobile- Saeculi qui crimina; dann mit Taktwechsel: Quas ünda salsiflui- Subtilis in- genio ; endlich bei rohen Dichtem : Qui saeculi crimina ; damit sind die möglichen Variationen des Tonfalles erschöpft.

Die Zeilen von 8 Silben stehen auf der Grrenze. Die aus 4 Trochaeen bestehenden quantitirenden Achtsilber enthalten 4 sichere Vershebungen; bei ihnen lag der Gredanke an eine Caesur näher als bei den aus 4 Jamben bestehenden Achtsilbem, deren vierte Hebung die Schlußsilbe, also anceps war. Das tritt auch in den entsprechenden rythmischen Achtsilbem hervor. Die Acht- silber mit sinkendem Schluß im Psalm des Augustin zeigen alle möglichen Betonungen: Solet fratres conturbare- Quando retia ruperunt- lUi minantur de füste. Höminös miiltum superbi- Adda quod mnöcöns erat; Dixerunt maiöres nöstri- Non iüdic6s cönse- d^runt; Qui possent causam librorum. Iniquus pöpülüs ille. Da- gegen in dem schon von Beda citirten Hymnus Apparebit repen- tina dies magna domini ist die erste Halbzeile zu 8 ^ u regelmäßig zerlegt in 4_vj + 4_vj: Für obscura- völut nöcte. Dasselbe ge- schieht auch sonst in dieser Zeile außerordentlich oft. Da nun bei dieser Zerlegung der Wortaccent vollständig trochäisch sein muß, so haben Manche hier den Uebergang von den quantitirenden Püßen zu den rythmischen finden wollen.

Den jambischen Dimeter haben die alten Griechen gern in 2

J96 Wilhelm Meyer,

gleiche Theile zerlegt. Die späteren Lateiner gingen in Fragen der Caesur sehr selbständig vor. Von einer Caesur des lateinischen quantitirenden jambischen Dimeter^s hat bisher Niemand gesprochen. Kach meiner Theorie war im ryihmischen Nachbilde des jambischen Dimeters vor der Schlußkadenz, also vor der 5. Silbe, der Toniall frei gegeben. Möglich sind also nach meiner Lehre (vergleiche Seite 221) die Spielarten:

pater direjxit filium sonus magnns | intonnit quinto iam vojlatilia

miratur cun|ctus populus

quem Abraham | ut höspitem

de päradijsi gaüdiis

hoc totum figuraliter

Dann bei rohen Dichtem:

aridä paitent limina ibi patü|it trmitas. W. Brandes hat nun im Programm des Herzoglichen Gymnasiums in Wolfenbüttel 1905 die rythmische Epistel des Auspicius heraus gegeben, und hat dabei auch die rythmische Form eingehend untersucht. Es sind 41 ambrosianische Strophen. Brandes hat richtig hervorgehoben, daß unter den 164 Zeilen des Auspicius nur in 5 die 3. Silbe, aber in allen übrigen die 4. Silbe mit Wort- accent belegt ist. Daraus hat Brandes gefolgert, daß Auspicius mit Absicht die 4. Silbe betont habe, daß er überhaupt, außer dem ersten, die jambischen Füße des quantitirenden Vorbildes habe nachahmen wollen, daß also meine Lehre von dem Anfang der ryth- mischen Dichtkunst, von der bewußten Annahme des Silbenzählens, unrichtig sei. Anderseits fand Brandes nur wenig andere Strophen, deren Bau ihm dem Zeilenbau des Auspicius ähnlich zu sein schien, während die ganze übrige Masse zu meiner Lehre paßte; deßhalb construirte Brandes eine frühe Periode der rythmischen Dichtung, in welcher die Füße des quantitirenden Vorbildes nachgeahmt worden seien.

Alles geht hier aus von der richtig constatirten Thatsache, daß Auspicius fast immer die 4. Silbe accentuirt. Aber ich wies zunächst nach, daß Auspicius eine sonst ganz gewöhnliche Betonung der 4. Silbe vermieden hat; er hat nemlich nur die 2 Verse: Auspicius I qui diligo und Aut r^novds | aut superas, während sonst in diesen rythmischen Zeilen diese Bildung ganz gewöhnlich ist. Dann vereinigte ich die Beobachtung von Brandes und die meine dahin, daß Auspicius es gemieden habe, die 4. Silbe durch die Schlußsilbe eines Wortes zu bilden, ohne darauf zu achten, ob sie accentuirt sei oder nicht. Das führte mich weiter darauf, daß hier gemieden sei, die Zeile in 2 ganz gleiche Hälften zu zerlegen. So haben schon die alten Griechen und dann noch viel strenger

lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 197

die Roemer es gemieden, den Trimeter in 2 völlig gleiche Hälften von je 3 Jamben zu zerlegen und haben deßhalb die Caesur ein- geführt. Diese ist eine schwankende: entweder wird die erste Senkung der zweiten Hälfte noch mit der ersten Hälfte verbunden, oder die letzte Hebung der ersten Hälfte wird mit der zweiten Hälfte verbunden, also 3^ imd J2 oder 2J und J3 Füße oder, in Silben ausgedrückt, 7 + 5 oder 5 + 7 Silben : Amans iratus mülta mentitur sibi. Dasselbe war offenbar hier geschehen. Die 4 Jamben sind zerlegt in IJ + ^2 oder 2J + Jl oder ^ + 1 + Jl Füße oder in Silben ausgedrückt in 3 + 5 oder 5 + 3 oder 3 + 2 + 3 Silben. Es war zu vermuthen, daß dies Caesurgesetz schon von quantitirenden Dichtern befolgt worden sei, und beim Suchen fand ich wirklich, daß Prudentius in Peristephanon V unter 576 Zeilen nur 11 hat, welche nicht im 2. oder 3. Fuß trochäisch durch- schnitten sind. Daß Auspicius diese Caesur gesucht hat, wird auch dadurch bewiesen, daß er auch Verse gemieden hat, wie Tamen non generaliter, Quinto iam volatilia. Sie haben auf der 4. Silbe Nebenaccent und zerfallen nicht in 2 völlig gleiche Theile . aber sie sind caesurlos und werden deßhalb von Auspicius gemieden: Es hat also die, allerdings wenig verbreitete, Schullehre ge- geben, daß der jambische Dimeter durch Caesur getheilt werden solle. Diese Schullehre hat Auspicius gekannt und in seinen ryth- mischen Versen zu befolgen versucht. Seine rythmischen Zeilen bestehen also aus 2 Stücken von 3 + 5 oder 5 + 3 Silben; das erste Stück hat stets sinkenden, das zweite steigenden Schluß. Also bringt Auspicius folgende Zeilen : a) regelmäßige, b) unregelmäßige :

1. u_u, _u_u_: antiquis comparabili 14

2. u_u, _u, _u_: conlatus tänta gratia 42

3. u, u_u, _u^: mägnas caelesti- dömino 48

4. rv-»rN^u_u, _u_: religioni deditus 52

b. Zeilen ohne Caesur (Ausnahmen) :

5. u_u, u_v^_: erit credo velocius 5

6. u_u_, u_u-^: aut r^noväs aut süperas 2

7. _u, rvj, rv>»u_u_: tämen non generaliter 1

In den regelmäßigen Zeilen des Auspicius no 1 4 ist es unver- meidlich, daß die 4. Silbe mit Wortaccent, meistens mit vollem Accent, seltener mit ISTebenaccent, belegt ist; die Betonung der beiden ersten Silben ist frei gegeben. Daktylische Wortschlüsse, wie dridä patent limina erlaubte sich Auspicius nicht, da er nicht zu den rohen Dichtem gehört; die noch übrige Möglichkeit Ibi patüit trinitas erlaubte sich Auspicius noch weniger, da hier auch die Caesur gefehlt hätte.

Kgl. Ges. d. WisB. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft. 2. 14

198 Wilhelm Meyer,

So sind die Eigenthümliclikeiten der Zeilen des Auspicius er- klärt, völlig in Uebereinstimmung mit meiner Lehre über den Anfang der rytkmischen lateiniscben Dichtung. Die von Brandes construirte Vorstufe ist beseitigt und nichts widerspricht meiner Theorie, daß im 4. Jahrhundert lateinische Christen mit einem festen Entschluß der Quantität und ihren Füßen den Abschied gegeben haben und nur deren gewöhnlichste Zeilenarten nachgebildet haben, wobei sie auf die Zahl der Silben, auf etwaige Caesur und auf die Schluß- kadenz in Caesur- und Zeilenschluß achteten.

Brandes nennt S. 32 einige Hymnen, deren Zeilenbau mit dem des Auspicius in allen Punkten übereinstimme; ich will sie hier prüfen: lam lucis splendor rutilat (Daniel I 69): hat stets die richtige Caesur, doch bei Daniel sind es 12, ja bei "Werner (S. 107) gar nur 8 Zeilen. lam ter quatemis trahitur (bei Dan. I 81: 16, bei Dreves II 84: 32 Zeilen): 2 Zeilen ohne Caesur. Jesu nostra redemptio (Daniel I 63, Dreves II 49): in 20 Zeilen 2 3 Zeilen ohne Caesur. Mysteriorum signifer (Daniel I 104, Werner 144) : in 32 Zeilen 3 caesurlose. Hex aeteme domine (Dan. I 85 : 64 Zeilen); ich nehme nur die bei Werner 122 und Dreves II 47 gedruckten Verse 1 28 : darunter sind 7 caesurlose. Gegenüber der großen Masse der ambrosianischen Strophen kommen diese wenigen kaum in Betracht ; aber die Aehnlichkeit ihres Zeilenbaus ist zum Theil sehr fraglich.

P. Maas hat meine Untersuchungen besprochen in der byzan- tinischen Zeitschrift XVII S. 239. Ich will zunächst das vornehmen, was er über die lateinischen ßy^thmen selbst vorbringt.

Maas bringt zunächst (S. 240) die Grabschrift des 523 ver- storbenen Abtes Achivus von Acaunum mit dem Anfang 'Amore Christi fervidus' (vgl. Chevalier no 22931 Amore Christi fervidi und no 1010 Amore Christi nobilis). Es sind 4 Strophen, deren meiste Zeilen durch Akrostichon gebunden sind. Maas hat Recht, diese 16 Zeilen sind ebenso gebaut, wie die des Auspicius; sie haben alle die richtige Caesur, und der Vers 9 Benigna quies nunc verum Beatae luci transtulit ist verderbt ; es muß wohl 'nunc eum* corrigirt werden.

Dann meint Maas, außer den oben erwähnten von Brandes citirten Hymnen habe noch der um 550 citirte Hymnus 'Bis temas horas explicans' (Dan. I 23) sehr ähnlichen Zeilenbau. Das ist sehr unrichtig. Denn in diesen 32 Zeilen ist die Caesur oft verletzt, wie in den Zeilen 8 Prece mixta Davidicis; 14 Peccantibus dat veniam, 30 Oratio canentium; ebenso in Z. 9 18 21 22 25 und 32. Ja, mir ist es überhaupt fraglich, ob der Hymnus rythmisch sein

lateinische Kythmik und byzantinische Strophik. 199

will. Er ist nur dann rythmiscli, wenn man Alles rythmiscli nennt, was nicM quantitirend ist. Die SilbenzaM würde für quantitirende und rythmische Art passen; ja die Elision in 29 'Tunc enim deo accepta est' spricht für die quantitirende Art. Allerdings ist die Quantität oft stark verletzt, aber die Gresetze der Rythmik noch mehr. Man vergleiche die Schlüsse 9 di^m vere ; 11 cäntantes deo ; 17 desit tamen; 18 servis dei; 20 pra^dixit nöbis; 20 idto deo; 25 deo canät ; 31 id^m gerat : das sind unter 32 acht unry thmische Schlüsse. Mir scheint der Verfertiger dieser Zeilen sich mit dem bloßen Silbenzählen begnügt zu haben ; um die rythmische Schluß- kadenz bekümmert er sich nicht mehr als um die Quantität. Frei- lich wäre bei diesem Zeilenbau das Gredicht eine große Rarität.

Grleich hier bleibt mir unklar, wie Maas einen wesentlichen Punkt verstanden hat. Die eben besprochenen Hymnen sind es, in welchen außer der 6. auch die 4. Silbe den Tonfall des jambi- schen Schemas nachmalen soll. Diese Hymnen sind gewiß wenige. Nun sagt Maas S. 243 'Wenn von den späteren Dichtern wenige sich gar nicht um den Accent im Innern des Achtsilbers gekümmert haben (so der des Plangit, vgl. "W. M. S. 224) . .'. Also Maas meint, auch jene Dichter, welche sich um den Tonfall vor der 5. Silbe des Achtsilbers nichts gekümmert haben, seien nur 'wenige'. Da aber die Anzahl der rythmischen ambrosianischen Strophen eine gewaltige ist Brandes S. 32 nennt sie 'geradezu ungeheuer- lich' — , welcher Art sind denn nach Maas' Vorstellung jene Tau- sende von Strophen, die von der ungeheuerlichen Menge übrig bleiben, wenn wir die von ihm genannten beiden, nur 'wenige' Hymnen umfassenden Grruppen abziehen? Ich kann nicht finden, wie beschaffen Maas dieselben sich vorstellt. Das ist aber sehr wesentlich. Für mich liegt nemlich die Sache so : ich habe einst sehr viele Gredichte in ambrosianischen Strophen geprüft, aber überall gefunden, daß vor der Schlußkadenz, d. h. hier vor der 5. Silbe kein bestimmter Tonfall beobachtet wurde. Das stimmte mit dem, was ich in andern rythmiscjien Zeilen gefunden hatte, und darnach habe ich meine Regel formulirt. Jetzt ist nach- gewiesen, daß bei Auspicius und, wenn's nicht Zufall ist, in den 3 Strophen von 'lam lucis splendor' und in den 4 Strophen der Grabschrift des Achivus in der Regel die 4. Silbe betont ist, also uur die 2 ersten Silben frei gegeben sind: doch diese Eigenthüm- lichkeit erklärt sich vollkommen daraus, daß in diesen Strophen der Achtsilber durch Caesur getheilt ist. Nun mag man ja noch sechs Mal so viel Gedichte finden, in welchen diese Caesur beob- achtet ist, immerhin bleibt nach meiner Ansicht die Menge, in

14*

200 Wilhelm Meyer,

welcher der Dichter nm den Tonfall im Innern der Zeile sich nichts gekümmert hat, wie jener des schönen Gredichtes Plangit cor meum misere, eine gewaltige. Maas aber sagt, diese Dichter seien nur wenige. Was also meint er von seiner 3. Menge, einer gewaltig großen, welche ja beim Abzug jener beiden wenige Nummern zählenden Grruppen für ihn übrig bleibt?

S. 240/241 bespricht Maas jene 5 Verse des Auspicius, in welchen die 3. Silbe accentuirt ist und nicht die 4., wie Erit cr^do velöcius oder Quam si forte improvidus. Er sagt dabei: 'Wenn am Versschluß V. 135 üt simul zweifellos Proparoxytonon ist (obwohl W. M. das nicht notirt), kann dann nicht si forte ebenfalls pro- paroxytonisch gelesen werden? Und können nicht auch enim, tibi und credö so gut enklitisch sein wie im Grriechischen yag 6ol und (fi]lin Und muß quidquid unbedingt auf dem ersten quid betont werden? Ich stelle diese Fragen, weil Meyer sie nicht gestellt hat'. Auf diese Fragen habe ich schon so oft geantwortet, daß es mir zuwider ist, noch einmal darauf zu antworten. Sie bejahen, heißt die rythmische Dichtkunst zu dem Messer ohne Klinge machen, an dem der Grriif fehlt. Was den Zeilenschluß *üt simül' betrifft, so habe ich öfter (z. B. Gres. Abh. II 7 und II 365 Note) darauf hingewiesen, daß im Zeilenschluß ein jambisches Wort mit vorher gehendem einsilbigen Worte hie und da von rythmischen Dichtem als Proparoxytonon gebraucht worden ist. Dazu mögen auch Ver- bindungen wie attamen, insimul, etenim, necubi sie ermuthigt haben. Eine andere, abscheuliche Betonung entstände bei siforte, erit credo. Aber hat Maas denn nicht gesehen, daß diese Zeilen mit eben dieser falschen Betonung Cuiquidquid | tribueris erst recht falsch würden, da sie die Zeilen in 2 völlig gleiche Theile zerlegen, was Auspicius ja meidet.

S. 241 heißt es bei Maas: 'Meyer erklärt die Regulirung der Accente als eine unbeabsichtigte Folge davon, daß Auspicius einer- seits die Formen _uu|rs->u_uu und r^u__uu|_uw, anderseits jede 'Caesur' hinter der Herten Silbe gemieden hat, beides auf Grund von Schulregeln, die er von seinem quantitirenden Vorbild, den jambischen Dimetem (des Prudentius u. a.), hinüber genommen habe'. Dann 'Gegen Meyer's Hypothese scheint zu sprechen, daß Auspicius (und in einigen Punkten auch seine Nachfolger) mehrere tiefeingreifende rythmische Regeln ganz sinnlos und mechanisch durchgeführt haben müßten, wenn sie sich wirklich "nicht um den Wortaccent im Innern gekümmert hätten". Besonders die ausnahms- lose Vermeidung der Formen uu|j-u_uu und Ou uv^j uu fordert eine Erklärung aus dem thatsächlich empfundenen ßythmus

lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 201

(so schien auch Meyer, Gres. Abhandlungen I 269 zu denken); und die Thatsache, daß die Formen _ u | u ^ . . . da zugelassen sind, wo _ u «^ I . . . gemieden wird, läßt vermuthen, dsß zweisilbige Paroxy- tona an den betreffenden Versstellen sich dem Rythmus weniger stark entgegenstemmen, als die ersten zwei Silben eines Pro- paroxytonon's'.

Die meisten dieser Worte beziehen sich darauf, daß auch Auspicius das vermieden hat, was ich daktylischen Wort- schluß nenne, d. h. daß er Verse, wie Aridä patent limina ge- mieden hat ; (die andere Sorte Ibi patüit trinitas mußte er meiden, weil sie caesurlos wäre ; s. oben S. 197). lieber den daktylischen Wortschluß habe ich oft genug und auch in der Abhandlung über Auspicius S. 201 gehandelt. Es ist nun einmal so: schon Plautus meidet in den Jamben und Trochaeen die 2 letzten Silben von cörpörä Senkung bilden zu lassen, und bis ins 13. Jahrhundert meiden die anständigen rythmischen Dichter in Sieben- und Acht- silbern solch daktylischen Wortschluß. Eine 'Erklärung aus dem thatsächlich empfundenen Rythmus' finde ich für meine Person darin, daß in Zeilen, wie Fortissimüs sapiens- Qui ömnia cöndidit, die Stimme nach fortissimüs und omnia abschnappt, während sie in den Zeilen Et fortis 6t sapiens- Omnia qui cöndidit bequem dahin gleitet: und das soll doch im Innern einer Kurzzeile ge- schehn. Doch ich will diese Ansicht Niemanden aufdrängen: ich constatire nur die Thatsache, daß die anständigen rythmischen Dichter in Sieben- und Achtsilbern den daktylischen Wortschluß gemieden haben, wie sie, in ähnlicher Weise, Hiatus oder ein- silbigen Zeilenschluß gemieden haben.

Die übrigen Worte von Maas berühren kurz die Caesur des jambischen Achtsilbers. Das war in meiner Untersuchung ein Hauptpunkt. Prudentius hat sich gewiß nichts gekümmert um den Fall der Wortaccente im Zeileninnem, und dennoch hat er es ge- mieden, den Vers in 2 völlig gleiche Theile '0 praepotens | virtus dei' zu zerlegen, und hat deßhalb den Fuß vor oder nach der geo- metrischen Mitte durch Caesur durchschnitten, genau wie er dies im Senar gethan hat: Minister- al|taris dei, Fias deo|rum- pontifex; Servire- sanjxit- omnia. So hat der quantitirende Dichter genau denselben Accentfall in seinen Versen, wie der rythmische; ja er accentuirt die 4. Silbe noch etwas häufiger als der rythmische. Das ist ihm sicherlich ohne seine Absicht passirt. Nun will Auspicius rythmische ambrosianische Zeilen und Strophen machen und dabei die Caesur a la Prudentius festhalten. Er bildet also 2 Stücke zu 3 und 5 oder zu 5 und 3 Silben, schließt nach seiner

202 Wilhelm Meyer,

Vorlage das erste Stück stets mit sinkender, das zweite mit stei- gender Kadenz. So haben es alle rytlimisehen Dichter gemacht, in einfachen wie in zusammengesetzten Zeilen; so ist z. B. auch der rythmische Fünfzehnsilber (8 u + 7 u _), der rythmische as- klepiadeische Alexandriner (6 u _ + 6 u _) entstanden. Maas

nennt dies Verfahren 'ganz sinnlos und mechanisch', Grut, er möge uns ein anderes, ästhetischeres Verfahren angeben, wie jene ryth- mischen Zeilen gebildet worden sind, wobei er Silbenzahl, Caesur und Kadenz in Caesur- und in Zeilenschluß bei Seite läßt!

Maas handelt viel vom alternirenden Rythmus, d. h. von dem regelmäßigen Wechsel von Hebung Senkung Hebung Senkung und so fort. Er ist fascinirt von diesem alternirenden Rythmus, 'der der Menschheit seit Ewigkeit im Blutlauf und im Schritt pul- sirt' (S. 245). Ich bescheide mich mit dem Grebiete, das ich kenne; aber da kann ich nur sagen: Gott sei dank, daß die mittellateini- sche und die romanische Rythmik diesen alternirenden Rythmus nicht als Prinzip angenommen haben. Maas citirt (S. 241) mich selbst, wo er von der 'entscheidenden Rolle' spricht, 'die der alter- nirende Tonfall in der gesammten mittellateinischen und romani- schen Metrik spielt (vgl. W. Meyer, Ges. Abh. I 181 „Der herr- schende Rythmus ist stets trochäisch oder jambisch" also rich- tiger: altemirend)'. Allein Maas dürfte nur das Blatt umdrehen und könnte da lesen: 'in Wahrheit sind nur die Silben gezählt, d. h. unter Beobachtung des gesetzmäßigen Schlusses je 5 6 7 8 Silben in die Zeile gestellt, wie auch Aedilwold vor dem Jahre 706 . . seine Achtsilber (8 u ) selbst charakterisirt : carmen non pedum mensura elucubratum, sed octonis syllabis in uno quolibet versu conpositis . . caraxatum' ; und 3 Jahre später habe ich diese Frage eingehend behandelt (Ges. Abh. II 134/136).

Die Sache ist eigentlich einfach. In der Aussprache der alten Griechen und Römer bekämpften sich 2 Mächte, die Quantität und der Wortaccent ; zwischen keyovöi,, Xiyete ; f^cerant, fäciunt, facite, war ein großer Unterschied. In den Versen herrschte die Quan- tität vor, aber der Accent störte stets die Zirkel der Quantität. Bei den Deutschen und den Engländern haben die Stammsilben einen Charakter indelebilis; sie können ja in die Senkung kommen, allein zwischen Falsche Falschheit und Fälscheid bleibt doch ein mächtiger Unterschied. Dagegen im Mittellateinischen und im Ro- manischen herrscht nur 1 Macht, der Wortaccent, und es ist theils unmöglich theils schwierig, 2 oder 3 betonte Silben neben einander zu bringen, d. h. für die Dichtung gibt es da wohl Daktylen und Anapaeste, Jamben und Trochäen, aber keine Spondeen.

lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 203

Wie sollten nun daktylische oder anapaestische Zeilen ryth- miscli nachgebildet werden ? Mischte man zweisilbige Füße zwischen diese dreisilbigen, so waren das keine Daktylen oder Anapäste, sondern Trochäen oder Jamben. Es blieben also nur Reihen vo^ reinen Daktylen oder Anapästen. Also etwa:

WdXs Tov dvÖQa dsd tov TtoXvtQOTtov ööttg roöoihovg tOTtovg difiXd'6 Ttügd-Tjöag rrig Tgoiag rrjv svdo^ov jcöXiv. 'Arma nunc cano virümque qui Troicis primus ab oris profugus fato Italiam venit et litus Lavinum.

Rhangabis sah sich gezwungen, so den Homer zu übersetzen. Ich frage nicht darnach, wie es in dem Kopf der Leute stände, welche 6 bis 7 Hunderte solcher Zeilen mit deutlicher Stimme vorgetragen anhören müßten: aber sicher ist, daß das nicht die antiken Hexa- meter wären. Deutsche und Engländer können hier überall rechte Spondeen einmischen:

Pflückt es des Oelbaüms Frucht, nie schlummert es unter dem

Palmbaum. Bis Klopstöck naht und die Welt fortreißt in erhabener

Odenbeflüglung.

So verbot sich den mittellateinischen und den romanischen Dichtern von selbst die Nachahmung daktylischer oder anapästi- scher Zeilenarten. Neben einigen gemischten Zeilen (der asklepia- deischen, der sapphischen) blieben also als Vorbilder für Nachah- mungen hauptsächlich jambische und trochäische Zeilen der quan- titirenden Poesie. Aber bei dem Mangel an Spondeen würde auch hier die unendliche Kette von alternirender Hebung und Senkung bald Langeweile und Gähnen erwecken: Gallia est omnis tres in partes separata, quarum linam colunt Belgae, äliam nunc Aquitani, tertiam hi, qui ipsörum Imgua Belgae, nostra Gälli appellantur. Solche Monotonie kann man in Gebeten, Bußpredigten und ähn- lichen Gedichten eine Zeit lang alä charakteristisch sich gefallen lassen :

Dies irae, dies illa Quantus tremor est futurus,

solvet saeclum in favilla, quando iudex est venturus,

teste David cum Sibylla. cuncta stricte discussurus!

Lacrimarum fluit rivus, sed pluralis genitivus

quas effundo fugitivus nequam nimis et lascivus

intra cetum semivivus mihi factus est nocivus. tuus quondam adoptivus;

204 Wilhelm Meyer,

Das ist der von Maas gepriesene altemirende Rythmus. Damit mag man ein kurzes Bußgebet ausmalen, aber die ganze Dicbtung eines Volkes läßt sich nicht in solche Ketten legen. Ich kann nur wiederholen: Gott sei Dank, daß die rythmischen Dichter von vom herein die Nachahmung der quantitirenden Vorbilder auf die Schlußkadenz beschränkt haben, daß sie aber vor dieser nur Silben gezählt haben. Die lateinischen haben dadurch die Abwechselung einsilbiger und zweisilbiger Senkungen ermöglicht ; sie haben ferner diese dichterische Prosa durch Vermeidung des Hiatus und des daktylischen Wortschlusses wohlklingender zu machen gesucht. Wozu solche Regeln, wenn, wie Manche meinen, diese Zeilen nach dem Tonfall der Schablone recitirt werden sollten?

So steht es im Bau der Zeilen, welche in kleineren oder größeren Reihen zum Aufbau von Gedichten verwendet worden sind, die ich deßhalb gleichzeilige genannt habe. Aber in der Gesangslyrik der alten Griechen, der Byzantiner und der Mittellateiner wird auf das Innere der Zeilen und insbesondere auf die Vertheilung der einsilbigen und der zweisilbigen Senkungen genau geachtet. Hier ist ja Mischung und fortwährende Abwech- selung der Hauptreiz. Wohl malt Aeschylus den zornigen Trotz des Prometheus mit Reihen stürmischer Anapäste, und ähnlich der Byzantiner die verzweifelte Klage der Hinterbliebenen am Grabe von Vater oder Mutter, und der lateinische Dichter des 10. Jahr- hunderts malt den Marschschritt der Truppen Otto 's hauptsächlich mit Trochäen:

His incensi- bella fremunt: arma poscunt- hostes vocant: signa secuntur- tubis canunt: clamor passim oritur: et milibus- centum Theutones- inmiscentur. Allein in der Regel sind in den kunstvollen Strophen der altgrie- chischen, der byzantinischen und der mittellateinischen Gesangs- Ijrrik einsilbige und zweisilbige Senkungen in den verschiedenen Arten, wie sie in Zeilen von 4 5 6 7 und 8 Silben möglich sind, bunt gemischt zu finden und sind dann diese Kurzzeilen zu verschie- denartigen Langzeüen und diese Langzeilen zu verschiedenen Ab- sätzen vereinigt, welche endlich das Gebäude der so mannigfaltigen Strophen vollenden. Hier gebietet nur der Wohllaut, welcher in der Seele des Dichter-Sängers regieren soll, den bei der Findung der Wort^ und der Töne zugleich das musikalische und das gei- stige Empfinden treiben. Das ist das unvergänglich Schöne an den Schöpfungen der altgriechischen, der byzantinischen und der mittel- lateinischen Gesangslyrik.

Damit hat aber eine ambrosianische Zeile oder Strophe

lateinische Kythmik und byzantinische Strophik. 205

und ihr rythmisclier Abklatsch nichts zu tun. Der jambische Dimeter ist im 4. Jahrhundert nach Christus bei den Lateinern Mode geworden, und Prudentius und Ambrosius haben ihn häufig verwendet. Damit war sein Glück gemacht. Er wurde bald rythmisch nachgebildet, wohl schon etliche Zeit vor Auspicius, welcher in Toul im 470 seine simple Epistel in ambro sianischen Strophen schrieb. Jahr- hunderte lang wurden nun quantitirende oder ryiihmische ambro- sianische Zeilen und Strophen verfaßt. Die Zeile ist auch in

fremde Sprachen übergegangen und ist da sehr verschieden behan- delt worden. Die G-ermanen haben sich die 4 Hebungen her- ausgeholt und haben die Zeile immer mit einer Hebung geschlossen ; die Senkungen haben sie nach Gutdünken behandelt. Ich wun- dere mich eigentlich, daß die Vermittlungsgriechen, d.h. die in TJnteritalien wohnenden griechisch sprechenden römisch-katholischen Christen, welche z. B. lateinische Heiligenlegenden übersetzt haben, nicht auch diese Strophe nachgemacht haben, die doch für die Li- turgie und für das Lob von Märtyrern und Heiligen privilegirt war. Ihre Sache wäre es dann gewesen, wie sie die Zeilen bauen wollten; wichtig wäre dafür z.B., ob sie die offizielle Melodie einer quantitirenden lateinischen Strophe als Ausgangspunkt gehabt hätten, oder solche Sprechverse, wie Auspicius sie fabrizirt hat.

(Die byzantinische Strophiic und die ambrosianische rythmische Zeile und Strophe). S. 241 erklärt Maas: 'Wir können durch

Vergleich einer mittelgriechischen Form jeden Zweifel über den alternierenden Charakter jenes Achtsilbers (des Auspicius) be- seitigen'. Dann führt er an, daß in einer byzantinischen Strophen- form, von der er 74 Exemplare kenne, der 4. Absatz aus folgenden 4 Zeilen gebildet ist:

NB(p8kai v7to6Tg(o6ats vcbta tm STtLßaCvovn ' ccld^riQ s^svtQSTiLöd-ritL x(p öiä 60V bdevovxL. Femer führt Maas einzelne Vorkommnisse dieser Zeile an: 1 Mal eine Gruppe von 4 solchen Achtsilbem, 1 Mal eine Gruppe von 6 und 7 Mal Gruppen von je 2 solchen Achtsilbem; endlich weist er auf den politischen Vers, dessen erste Halbzeile durch einen solchen Achtsilber gebildet ist. In all diesen Zeilen sei die 4. und die 6. Silbe accentuirt.

Maas schließt nun: 'Kein anderes metrisches Gebilde taucht an so vielen Stellen in der mittelgriechischen Metrik auf, wie eben jener altemirende proparoxytonische Achtsilber'. 'Da nun zur Er- klärung des altemirenden Tonfalls in den griechischen Formen sich keine von einer fremden Metrik äußerlich übernommene Schulregel

206 Wilhelm Meyer,

und kein Zufall verantwortlich machen läßt, wird man auch bei Auspicius nicht ausschließlich mit diesen beiden Faktoren rechnen dürfen, vielmehr annehmen, daß er sich absichtlich einen solchen antiken Vers zum Muster genommen hat, der auch für das der Quantität verschlossene Ohr einen wohlklingenden Rythmus ergab'.

Jemand könnte fragen, wie konunt der simple Auspicius in Gallien zu dem Zeilenbau der byzantinischen Strophik. Maas hat auch dies bedacht und antwortet: 'In Grallien und in der Krim taucht um das Ende des 5. Jahrhunderts dieselbe aus zwei alter- nierenden proparoxytonischen Achtsilbem bestehende Langzeile auf, beidemal als erste Zeugin für eine unter vollem Verzicht auf die Quantität den Accent im Innern regulirende Verskunst. Man wird versucht, in dieser Versform einen besonders naheliegenden Aus- druck des 'expiratorischen' Prinzips zu suchen. Mit zwei Faktoren hatte diese Metrik zu rechnen, mit der hochbetonten (resp. neben- betonten) und der unbetonten Silbe. Aus dieser Zweiheit ergab sich ganz von selbst der altemirende Rythmus, der der Menschheit seit Ewigkeit im Blutlauf und im Schritt pulsirt. Vier solcher Takte das ist der alternirende Achtsilber; vier solcher Verse das ist die Strophe des Auspicius und die Periode des Romanos. So mögen die gleichen Resultate in letzter Linie einer einzigen gleichen Ursache entsprungen sein, nemlich dem gleichzeitigen Wandel der beiden nah verwandten Sprachen vom quantitirenden zum expiratorischen Prinzip'.

Welch complicirte Theorie für welch einfache Sache! Pru- dentius, Ambrosius und die andern Dichter von quantitirenden jambischen Achtsilbem und von ambrosianischen Strophen existiren nicht für Maas. Allein sie haben existirt, und nach ihnen sind noch Hunderte von quantitirenden, Tausende von rythmischen ambro- sianischen Strophen verfaßt worden. All diese Tausende betonen nicht regelmäßig die 4. Silbe; sie sind also nicht nach dem von Maas mühsam herausgesuchten byzantinischen Muster gebaut. Nur in den 41 Strophen des Auspicius und in vielleicht 20 Strophen anderer lateinischer Dichter findet sich die 4. Silbe regelmäßig accentuirt. Wie schon Beda, so nennen alle Neuem auch all diese rythmischen Strophen ambrosianische, d. h. Nachahmungen der quantitirenden ambrosianischen Strophen, und ich bringe zur vollen Erklärung der Eigenthümlichkeit des Auspicius das Gesetz der Caesur, welche in der Geschichte der lateinischen Metrik eine so große Rolle spielt: all das ist für Maas gleichgiltig oder sinnlos und mechanisch.

Ich könnte damit schließen. Doch da Männer, welche wie

lateinische Kythmik und byzantinische Strophik. 207

P. Maas ihre ganze Kraft diesen Dingen widmen, so irr gehen, scheint die Klarstellung noch einzelner Punkte nützlich zu sein. 1) Es ist natürlich, daß in jeder Strophik die Zeile zu 8 Silben mit jambischem Tonfall ziemlich oft vor- kommt. Zuerst zur Zeile selbst. In den fein gebauten Strophen der Byzantiner wird allerdings ein Unterschied gemacht, ob eine Zeilenstelle mit vollem Wortaccent oder mit Xebenaccent belegt ist. Die Zeilen

Tfj t,dh] ßvd'it,6^Bvoq ä^Ccog EdsiXCaöa werden meistens unterschieden von Zeilen, wie

"Ov et TCQOfpfixai nal Mcoöfjg Msöövav syQaijjav svqcov. Die ersten nennen sie proparoxyton, die letzteren oxyton. So viel ich noch weiß, habe ich als Erster diese Feinheit notirt (Ges. Abh. II 54 und 209). Maas nennt die byzantinische rythmische Ideal- zeile, von welcher auch Auspicius angesteckt sein soll, 'alternirende proparoxy tonische Achtsilber', und allerdings sind die von ihm S. 242 angeführten byzantinischen Achtsilber alle proparoxyton. Allein Maas sagt (S. 242) selbst, sein Achtsilber bilde auch die erste Halbzeile des politischen Verses, und von dem weiß er besser als ich, wie oft er oxyton schließt:

Ov iiijv dl yQttfofisv ccTtXag tag ke^si,g öCxa 6ti%aiv, slg dexaTCEvts övXXaßäg rbv örcxov jcsQLTtXs^cj. Auch nach seiner Theorie über den Ursprung dieser vierhebigen Zeile hat Maas keinen Grrund den oxytonen Achtsilber auszu- schließen. Also mußte er wenigstens für den griechischen Acht- silber seine Benennung erweitern^). Hinweisen will ich schon hier, wie verschieden der strenge Bau der strophischen Zeilen ist von dem laxen Bau der zu gleichzeiligen Gredichten verwendeten (s. unten S. 210).

Die byzantinischen Strophen sind, wie oben S. 204 ausgeführt, zusammengesetzt aus den Kurzzeilen von 4 5 6 7 oder 8 Silben. Die Spielarten, welche diese Silbenzahlen je nach der Anwendung von einsilbiger oder zweisilbiger Senkung und von steigendem oder sinkendem Schlüsse ergeben, sind nicht viele. Es ist also nicht zu wundern, wenn auch der jambisch betonte Achtsilber, einzeln oder in Grruppen, in der byzantinischen Strophik nicht selten vorkommt. In der altgriechischen Strophik sind die jam-

1) Maas gibt viel auf Terminologie. So ist er auch unzufrieden mit meinem Gebrauch des Wortes Rythmus und rythmisch. Ich begnüge mich damit, den Theoretikern der Zeit zu folgen, welche die schönen von mir behandelten Formen geschaffen hat. Sie unterschieden dictamen prosaicum metricum rythmicum, und auch ich bin mit diesem Unterschiede bis jetzt gut ausgekommen.

208 Wilhelm Meyer,

bischen Dimeter häufig, und, wenn Maas meine Gres. Abh. II S. 87 citirte, so konnte er kurz vorher S. 66 aus dem Carmen Buranum citirt lesen:

Invideo, dum video. sie capi cogit sedulus me laqueo virgineo cordis venator oculus. Endlich noch eine Note. Maas hebt öfter das hohe Alter der Strophen des Auspicius hervor ; schon um 470 sei hier regelmäßig die 4. Silbe accentuirt oder 'könne die Regulirung des Wortaccents über den letzten Hochton hinaus bis ins Innere des Verses ver- folgt werden'. Das begründet er (S. 245) mit dem besondern "Wesen dieser Zeile; sie sei wohl ein besonders nahe liegender Ausdruck des 'expiratorischen' Prinzips. Denn 'die zwei Faktoren dieser Metrik, die hochbetonte und die unbetonte Silbe', seien hier zu einer 'Zweiheit' vereinigt, aus der sich 'ganz von selbst der alternirende Eythmus ergab, der der Menschheit seit Ewigkeit im Blutlauf und im Schritt pulsirt. Vier solcher Takte das ist der alternirende Achtsilber; vier solcher Verse das ist die Strophe des Auspicius und die Periode des Romanos'. Maas kann nichts dagegen einwenden, wenn ich in dieser poetischen Begründung den Schluß ändere zu 'das sind die vier Zeilen des Augustin :

Custos noster, deus magne, tu nos potes liberare ä pseudoprophetis istis, qui nos quaerunt devorare'. Auch hier stehen vier Zweiheiten von betonten und unbetonten Silben; diese Zeile kann also beanspruchen, ein Erstgeborner des expiratorischen Prinzips zu sein so gut wie der Vers des Auspicius. Wir finden ihn sogar lOO Jahre vor Auspicius, im Psalm des Augustin. Allein mit der 'Regulirung des Wortaccents über den letzten Hochton hinaus bis ins Innere der Zeile' steht es hier sehr übel: alle die von mir oben S. 195 angeführten Verletzungen des alternirenden Rythmus sind bei diesem Erstgebornen des expira- torischen Prinzips in Fülle zu finden und bestätigen meine Regel, daß in diesen Zeilen vor der Schlußkadenz d. h. hier vor der 6. Silbe die Accente tanzen können wie sie wollen. Erst das Vor- gehen einer andern Schule von Rythmikern, welche auch in diesen Achtsilber eine Caesur einführten, allerdings einer Diärese, die den Vers in 2 gleiche Theile zerlegt: Apparebit | repentina, brachte hier Uebereinstimmung der Wortaccente mit der Schablone zu Stande. Während die Caesur des rythmischen Achtsilbers mit steigendem Schlüsse kaum beachtet wurde, wird der Achtsilber mit sinkendem Schlüsse bis ins 13. Jahrhundert in der Regel in 4 u -f 4 _ u zerlegt. Er entspräche also viel mehr den An-

lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 209

Sprüchen, welche Maas an seinen Erstgebornen des expiratorischen Prinzips stellen muß.

2) Die Zeilen der byzantinischen Rythmik können überhaupt nichts beweisen für den Innern Bau ähn- licher Zeilen der lateinischen Rythmik, und am aller- wenigsten können dies die Zeilen der byzantinischen Strophik. Die lateinische Metrik geht von der Zeit des Augustus ab ihre eigenen Wege und kümmert sich nichts mehr um die griechische. Sie schafft sich Gesetze über die Caesuren, über den Bau der Caesur- und der Zeilenschlüsse, welche mit denen der Grriechen nichts zu thun haben. Am einfachsten läßt sich das am Bau des Hexameters erkennen. Die rythmische Dichtkunst der Grriechen und der Lateiner hat denselben Ursprung, Silbenzählen und regu- lirten FaU der Accente in Caesur- und Zeilenschluß. Allein sonst trennten sich die Wege. Die Byzantiner gingen fast ganz auf in ihrer Strophik, welche des feinen Gresanges halber die Betonung der Kurz Zeilen fast bis auf jede Silbe regeln mußte. Die Lateiner kümmerten sich nichts um diese Strophik. Denn die quantitirende Polymetrie des Prudentius, Ausonius oder Boetius und Anderer, wobei hie und da sogar schüchterne Versuche neuer Strophen ge- wagt wurden, hat nichts zu thun mit der byzantinischen ryth- mischen Strophik, sondern erklärt sich als Weiterentwicklung der Polymetrie, wie sie bei Petron und bei Terentianus Maurus zu Tage getreten war.

Wie wenig die lateinischen und die griechischen Rythmiker sich um einander kümmerten, mag das Beispiel des rythmischen Satzschlusses beweisen. Um dessen Ursprung zankt man ja noch sehr. Doch die Formen des griechischen und des lateinischen ryth- mischen Satzschlusses, welche ich festgestellt habe, werden ziemlich allgemein anerkannt. Auf der einen Seite ist klar, daß der eine dem andern nachgeahmt ist ; aber auf der andern Seite sind starke Unterschiede ebenso klar. Diese sind auch ganz natürlich, da die Betonungsverhältnisse der beiden Sprachen verschieden sind, wie ja das Lateinische Oxytonon nur als Nebenaccent kennt.

Damit aber könnte Maas nicht verteidigen den Unterschied zwischen dem 'alternirenden proparoxytonen Achtsilber' und der Zeile des Auspicius und weniger Grenossen. Ich habe reichlich nachgewiesen, wie natürlich und wie oft mit dem schablonen- richtigen jambischen Tonfall der rythmischen Achtsilber es sich vereinigt, daß die 4. Silbe betonten Wortschluß bildet : Ac fortiter | sententias. Das wird durch die von Maas S. 242 citierten byzan- tinischen Verse bestätigt: in den citierten 29 Versen findet sich

210 Wilhelm Meyer,

die 4. Silbe folgendermaßen betont: sig ovgavovg \ ccvidQa^s: 4 Mal; xal sxXavösv \ änivavxL : 4 Mal ; xat iv avxa \ svXöyr^öa : 3 Mal (dazu kommt noch 2 Mal die Form : cpcsviiv äyaXXcdöecjg). Diese 15 oder 17 Verse entsprechen alle dem rythmischen Idealvers des Auspicius, welchen Maas construirt hat: allein sie widersprechen alle dem wirklich von Auspicius gebauten Verse. Auspicius bildet, wie S. 196/7 nachgewiesen ist, nicht die 4. Silbe durch Wortschluß : das geschieht aber hier in 15 Versen von 30. Um diesen bösen Widerspruch zu beseitigen, wäre Maas gezwungen, anzunehmen, daß Auspicius außer dem Idealvers noch eine 'Schulregel' befolgt habe; nemlich, daß Auspicius es gemieden habe, den Achtsilber in 2 völlig gleiche Theile zu zerlegen. Aber das wäre nicht einmal die Kehrseite der Medaille, sondern fiele mit meiner Erklärung zusammen: eben, um diese gleiche Theilung zu vermeiden, ist die C a e s u r eingeführt worden. Ferner, Verse wie qxDvriv ayakXLdöscog, quinto iam volatilia, haben auf der 4. Silbe Nebenaccent. Dennoch sind sie von Auspicius gemieden. Das erklärt das Caesurgesetz. Wenn Maas auch eine andere Eegel dafür wüßte, immerhin kämen wir auch bei seiner Führung dabei an, daß Auspicius 'tief eingreif ende rythmische Regeln ganz sinnlos und mechanisch durchgeführt habe'.

3) Der Bau der Strophenzeilen hat nichts zu thun mit dem Bau der gewöhnlichen Zeilen, welche in langen Ketten zu einem (gleichzeiligen) Gedichte verwendet werden. Jene sind Gesangesabsätze und können bis zu jeder einzelnen Silbe herab durch die Melodie beherrscht sein (vgl. oben S. 207); dies sind zunächst Sprechverse und sie müssen, schon damit langweilige Einförmigkeit vermieden werde, Abwechselung im Tonfall ermöglichen. Schon in der altgriechischen Metrik habe ich den lyrischen, den tragischen und den komischen Trimeter unterschieden, ebenso in der byzantinischen Rythmik den Zeilenbau der gesungenen strophischen Gedichte von dem der meistens gesprochenen gleichzeiligen Gedichte.

Auch hier genügt ein Beispiel. Oben (S. 208) habe ich 4 Acht- silber aus der kunstreichen Strophe eines Carmen' s Buranum ge- druckt: sie haben mit der kleinen Ausnahme 'cordis venator ocu- lus' reinen jambischen Tonfall. Dann hat um 1020 Ekkehard IV. den deutschen Lobgesang des Ratpert ins Lateinische übersetzt (Müllenhoff s Denkmäler no XII) und dabei mit seinen lateinischen Worten möglichst eng der dulcis melodia sich angeschmiegt. Die kunstreiche Strophe besteht aus 5 Langzeilen, von denen die ersten 4 schließen mit einer Kurzzeile zu 7 oder zu 8 Silben. Von diesen 68 Kurzzeilen haben 29 den Tonfall: Est mihi magnum gaüdiumi

lateinische Kythmik und byzantinische Strophik. 211

38 den Tonfall: Quam sanctum misit Grällum: also 67 Zeilen mit durchaus reinem, jambischem Tonfall ohne jeden Taktwechsel. Das ist längst erkannt (s. Gres. Abh. I 182 Note und 239): allein Nie- mand bat gewagt, die Tausende der übrigen freien Achtsilber und Siebensilber nach diesen lyrischen Zeilen reglementiren zu wollen, wenn sie auch in denselben Zeiten und Gregenden gedichtet waren. Und nun soll die Accentuirung einiger lyrischen Strophenzeilen, welche in Byzanz gedichtet sind, beweisen für die Accentuirung weniger lateinischen Zeilen, welche mitten in der Entwicklung der lateinischen Dichtungsformen stehen und deren eine Eigenthümlich- keit mit einem so gewöhnlichen Hilfsmittel der lateinischen Metrik und Rythmik, wie es die Caesur ist, reichlich erklärt werden kann? Eine solche Methode der wissenschaftlichen Forschung ist unerlaubt.

Persönliches.) Die Herbeiziehung der byzantinischen Strophik zur Erklärung der lateinischen Zeile des Auspicius ist für P. Maas der Kernpunkt seiner Arbeit gewesen ^). Er spricht im Anfang dieses Theiles auch von 'W. Meyer, der seine einst bahnbrechenden Forschungen zur mittelgriechischen Metrik leider seit zwanzig Jahren liegen gelassen und, wie es scheint, sogar vergessen hat'; und seine ganze gegen mich gerichtete Arbeit schließt Maas mit den Worten : 'Es genüge, wieder einmal darauf hingewiesen zu haben, daß die mittelgriecbische Verslehre von der mittellateinischen lernen kann und umgekehrt'. Das ist we- nigstens deutlich.

Zunächst glaube ich, oben genügend bewiesen zu haben, daß in diesem Falle nicht ich geirrt habe, und daß ich mit Recht die byzantinische Rythmik unbeachtet gelassen habe, weil ich daraus in diesem Falle nichts habe lernen können.

Auf die andere Vorhaltung, daß ich die Forschungen über mittelgriechische Eythmik seit 20 Jahren leider habe liegen lassen.

1) Maas verwirft auch meinen Satz, daß das große Uebergewicht, welches die schlecht pronunzirenden Provinzialen im römischen Kaiserreich erlangt hatten, den üebergang von der complicirten quantitirenden Aussprache zur einfachen accentuirenden veranlaßt habe ; ebenso den andern, daß das Aufblühen der silben- zählenden christlichen Dichtung bei den Syrern griechische und lateinische Christen veranlaßt habe, die quantitirenden Füße aufzugeben und das Prinzip der Silben- zählung anzunehmen. Nun, ich kann mich zufrieden geben, daß Maas für das Gebiet der byzantinischen Strophendichtung, welches auch er gründlich durch- forscht hat, syrischen Ursprung zugibt, und daß auf dem Gebiet der lateinischen rythmischen Dichtkunst, deren Anfang ich eifrig und möglichst unparteüsch stu- dirt habe, ich bis jetzt keinen stichhaltigen Grund gefunden habe, der gegen syrischen Ursprung spräche.

212 Wilhelm Meyer,

will ich antworten, weil dabei die Geschichte dieses Zweigs der Literaturgeschichte etwas beleuchtet wird. Um 1880 verkehrte ich in München viel mit dem jungen Krumbacher, der viel mit Keugriechen umging. Zuerst machte ich ihn aufmerksam auf die münchner Handschriften des griechisch-lateinischen Gesprächbüch- leins des Dositheus. Dann vertiefte ich mich selbst in das Studium der byzantinischen Rythmik. Ich fand hier, was ich sonst in der byzantinischen Literatur vermißt hatte : eine von Herzen kommende und zu Herzen sprechende Lyrik. Das Verständnis mußte ich natürlich mühsam erringen. Oft war ich empört über die ent- setzliche, unkritische Arbeitsweise Pitra's, mit dessen Ausgabe des Tropologiums (= I Band der Analecta sacra spicilegio Soles- mensi parata, 1876) ich hauptsächlich zu arbeiten hatte (vgl. Ges. Abh. I 21). Dabei las ich mit Sehnsucht von den Romanoshand- schriften in Patmos, deren Spur Pitra aufgefunden hatte. Kurz darauf wurde berathen, welche Preisaufgabe von der Zographos- Stiftung aufgestellt werden solle. Da kam mir der Gedanke, es solle die Erforschung jener Handschriften in Patmos gefordert werden ; dabei dachte ich natürlich an Krumbacher. Der Gedanke war gut und hat schon gute Früchte getragen. Als nun Krum- bacher mit seinen Abschriften nach München zurückgekehrt war und die Ausarbeitung mit Eifer begann, was sollte ich da thun? Was die Handschriften Neues bieten, zeigt ja P. Maas selbst: S. 242 kennt er von einer Strophenart, die ich in der schlechten Ausgabe Pitra's nur in 18 Strophen studiren konnte, aus Krum- bacher's Schätzen 74 Strophen. Ein Konkurrent Krumbacher's konnte und wollte ich nicht sein. Ich habe also in jenen Jahren, die ohnedies die härtesten meines Lebens gewesen sind, die weitere Forschung auf dem Gebiete der byzantinischen Strophik aufgegeben und auch mein Handexemplar Pitra's Krumbacher überlassen. Ich denke, dies Vorgehen ist verständig gewesen. Ohnedies zog mein Herz mich wenig zur byzantinischen Literatur, die ja nur geringen Einfluß gehabt hat auf die westeuropäische Kultur, son- dern viel mehr zu der mittellateinischen, aus deren Geist und Gemüth wir geboren sind. Dann hat der kraftlose Boden der byzantinischen Kultur nur die weißen Rosen der liturgischen Gesangslyrik getragen; dagegen das kraftreiche Neuland der mittellateinischen Gesangsdichtung hat auf allen Gebieten, auf denen des Menschen Fühlen und Denken waltet, in Religion, Staats- und Privatleben einen ebenso üppigen und mannigfaltigen Rosenflor hervorgebracht, wie einst die altgriechische Gesangs- dichtung. Diesem wichtigen Stoffe habe ich in den letzten 25

lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 213

Jahren die Zeit und die Kraft gewidmet, welche andere Pflichten mir übrig ließen, und ich glaube, dabei meine Schuldigkeit gethan zu haben.

Ein Rythmus über die Personen der Trinität. Der folgende \E,ythmus steht in der Berner Handschrift no 611 auf fol. 80^ + 81* eingeschrieben von einer Hand des 8./9. Jahrhunderts. Ich habe ihn vor etwa 20 Jahren abgeschrieben; leider habe ich jetzt weder die Handschrift selbst einsehen, noch zu civilen Preisen eine Photographie erhalten können. Ich gebe hier den Text der Hand- schrift mit der von mir eingesetzten Interpunction. Manches Citat danke ich der Hilfe des Kollegen Bonwetsch.

1 Agiusque igneus Spiritus sanctissimus, 3 antequam fierit mundus patri aequalis filius : trinum refulgens unicus, 6 omosyon kyrius. 1 Agius atque igneus?, so daß V. 4 Vater und Sohn umfaßt, oder Agius atque ingenitus?, Beiwörter des Vaters. 3 fieret 6 homousios, consubstantialis.

2 Bene caeli speciem, terrae potestas feceret 9 foueas aquas gurgites, tenebras densas repellens. collectae aquae miriter 12 arida patent limina. 6 ffl. Bene (dei) potestas fecerat caeli speciem et terrae foveas {= abyssi faciem?) etc? 6 vgl. Gen. 1, 1 creavit coelum et terram 7 vgl. V. 15 maris terraeque speciem 10 Gren. 1, 2 tenebrae erant, 4 divisit lucem a tenebris 11 miriter = mire, mirabiliter? 11/12 vgl. Gren. 9/10 congregentur aquae (maria) ^ . et appareat arida (terra); also ist aquae Genitiv.

3 Clara luce in primitus, firmamentam in postmodum, 15 maris terraeque speciem tertia fixisti diem, sidera quarto incoans, 18 quinto iam volatilia.

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. KI. 1908. Heft 2. 15

214 Wilhelm Meyer,

Vgl. G-en. 1, 3 5 fiat lux . . dies unus ; 6 8 fiat firmamen- tum . . dies secundus; 9 13 terram . . maria . . dies tertius; 14 19 luminaria . . dies quartus; 20 23 volatile . . dies quintus. 13 claram lncem? 14 vgl. V. 52 in postmodum 15 vgl. V. 7 caeli speciem 16 tertio f. die ? 18 volatilia hahen viele TJeher- setjsungen statt volatile (Vulg.)

4 Die sextoque bestias, iumenta atqne pecora 21 regem terraeque hominem plasmasti ad imaginem; dedisti ei similem: 24 Eva prodit ex latere. Vgl. Gren. 1,24 31; besonders: 25 .. bestias iumenta; 27 creavit hominem ad imaginem suam; 28 dominamini; 31 dies sex- tus. Gren. 2, 18 adiutorium simile sibi, 20 adiutor similis eins i 22 aedificavit costam, quam tulerat de Adam, in mulierem.

6

Ecce gustando uetita de paradysi gaudiis 27 eiecti foras tribulant. spinis gignent arida. sequitur culpa noxia 30 in filios et filias. Vgl. Gren. 3, 18 spinas et tribulos (terra) germinabit tibi; 3, 23 paradiso voluptatis ; 3, 24 eiecitque Adam 27 trihulare kommt auch intransitiv = tribuJari vor 28 corr. spinas gignunt»

6 Funera crescent nimium usque tempus diluuii. 33 mundum sensit naufragium. Corpora mersa gigantum. arca seruasti spiritus 36 intra undarum ictibus. 31 corr. crescunt. Sollten hier gemeint sein die allmählich sich häufenden Todesfälle, die in Gen. V 6, 8, 11, 14, 17, 20, 27, 31 mit mortuus est bezeichnet sind? oder sollte Gen. IV, 23/24 gemeint sein ? 33 corr. mundus 34 Gren. 6, 4 gigantes erant 35 corr. servati (sunt) ? fpöf hat die Hft ; Vielleicht ist zu ver- gleichen Gen. 7, 15 bina ex omni carne, in qua erat spiritus vitae. Oder ist zu interpungiren : arca (arcam?) servasti, Spiritus, intra

lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 215

u. i. ?, mit Bezug auf I Petri 3, 20 in diebus Noe, cum fabricaretur arca, in qua pauci id est octo animae salvae factae sunt per aquam.

7

Gentium augens numeros

fili Noe per partibus. 39 turrem super bi aedificant

nisi caeli cacumina.

quem summa dei trinitas 42 ibi confundens lingüas. Vgl. Gren. 9, 1 Benedixit deus Noe et filiis eins et dixit eis: Crescite et mxdtiplicamini et replete terram; 10, 32 hae lamiliae Noe iuxta populos et nationes suas. Ab bis divisae sunt gentes in terra post diluvium. 37 corr, augent. 38 = per partus. 39 vgl. Gren. 11, 4 faciamus . . turrim, cuius culmen pertingat ad coelum; 5 descendit dominus . .; 7 venite igitur, descendamus et confundamus ibi linguam eorum. Ob hier der Wechsel von descen- dit und descendamus als Andeutung der Trinität gefaßt worden ist ? Sie spielt von hier ab die Hauptrolle. 40 nisi : corr. usque, oder nisi = enitentes ad? 42 zu confundens gehört linguas] also kann man nicht etwa quam schreiben und es mit confundens ver- binden wollen. Es ist möglich, daß confundens (erat) = confundebat sein soll. Aber was soll dann aus 'quem' werden?

8 Hoc totum figuraliter in patriarchae usui 45 ilex Mambre promeruit. trinitas pia damit, quem Abraham ut hospitem 48 pedes lavit parapside. Vgl. Gren. 18, 1 4 Apparuit ei dominus in convalle Mambre sedenti . .; 2 cxmique elevasset oculos, apparuerunt ei tres viri . .; 3 et dixit: domine, . . ne transeas servum tuum; 4 sed afferam pauxillum aquae et lavate pedes vestros et requiescite sub arbore. Statt convaUis wird in älteren Uebersetzungen ilex oder quercus genannt. Diese Stelle wird für die Trinität ausgedeutet, weil der Singular und Plural wechselt. 44 usui = usu oder visu ? 45 ob promeruit = prompsit ? 46 vgl. V. 83 ibi patuit trinitas.

9 I(n) Sodomae interitum pater direxit iilium 51 simulque sanctum spiritum

15*

216 Wilhelm Meyer,

in postmodum signiferum pater in arce resedens, 54 per ipsos iubens homines. Zn vergleichen ist das 18. Kapitel der Genesis, wo der Wechsel des Singulars und des Plurals auf die Trinität ausgedeutet wird: V. 20 dixit dominus ; 21 descendam et videbo ; 22 converteruntque se et abierunt Sodomam, Abraham vero adhuc stabat coram domino ; 33 abiitque dominus, postquam cessavit loqui ad Abraham. Kap. 19,

I Yeneruntqne duo angeli Sodomam; 13 coram domino, qui misit nos, ut perdamns illos. Darüber sagt schon Augustin, de Trinitate

II 12 § 22: Quas duas personas hie intelligimus ? Patris et filii, an patris et Spiritus sancti, an filii et spiritus sancti? Hoc forte congruentins, qnod ultimum dixi. Missos enim se dixerunt, quod de filio et de spiritu sancto dicimus. 52 in postmodum: vgl. Y. 14 52 was soll 'signiferum' bedeuten? Etwa, daß in den folgenden Strophen von den Personen der Trinität besonders der h. Greist eine Rolle spielt? oder ist igniferum zu schreiben?

10 Calor ardens in herimo nusquam consumpsit flammeos. 57 Moyses uocatus famulus ab igne et spiritu, ut nuda planta graderet 60 terraque sancta tangeret. Vgl. Exod. 3, 1 Moyses . . ad interiora deserti venit . . 2 ap- paruitque ei dominus in flamma ignis de medio rubi ; et videbat, quod rubus arderet et non combureretur . . ; 4 dominus . . vocavit eum de medio rubi . . , 5 Ne appropies huc ; solve calceamentum de pedibus tuis ; locus enim, in quo stas, terra sancta est . . , 7 ego sum deus patris tui; deus Abraham, deus Isaac et deus Jacob. 56 flammeos = inflammatos, ardentes ? 57 vgl. Hebr. 3, 5 Moyses fidelis erat . . tanquam famulus 59 = graderetur terramque sanctam.

11 Lustratus in enigmate ut erat possibilitas, 63 in holocausti uictimas consume . . sacrificia natura eins ignia 66 adflatu purgans omnia. 64 nach consume scheint fint getilgt zu sein: consumens? Ich glaube nicht, daß hierher gehören die von Augustin de Trüiit.

lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 217

II 15 § 26 angeführten Stellen der Exodus : 19, 18 Sina autem mons fumabat totus, propterea quod descendit in eum deus in igne und 24, 17 Aspectus maiestatis domini tanquam ignis ardens super verticem montis coram filiis Israel; vielmelir scheint die Strophe auf Lev. 9 sich zu beziehen, wo V. 12 Aaron 'immolavit et holo- causti victimam' ; 23 'Apparuitque gloria domini omni multitudini. 24 et ecce egressus ignis a domino devoravit holocaustum et adipes qui erant super altare'. Sollten weiterhin die Sühnopfer des alten und des neuen Testamentes verglichen werden, wie dies im 9. und 10. Kapitel des Hebräerbriefs geschieht? 61 Instratus = ge- schaut oder gesühnt? in aenigmate; oh = Num. 12,8 palam et non per aenigmata; 1 Cor. 13, 12 per speculum in anigmate? Dies würde dafür sprechen, daß lustratns nt erat possibilitas' das un- vollkommene Anschauen Gottes (Exod. 33, 20) bezeichnet. 63 victima? 66 ob nach Joh. 20, 22 'Insufflavit et dixit: Accipite spiritum sanctum' ?

12

Maria princeps uirginum sacrum audiuit niincium, 69 quod de sancto spiritu impletum esset uterum uirtutemque altissimi 72 nascere dei filium. 69 Matth. 1, 18 in utero habens de spiritu sancto 71 Luc. 1, 35 Spiritus sanctus superveniet in te et virtus altissimi obum- brabit tibi . ideoque et , quod nascetur ex te sanctum , vocabitur filius dei. 70 uterum = uterus? 72 nasceret activ?

13 Nee non Esaias placitae diuinus iuris cecinit 75 spiritum sanctum nuntians repletum Christum dominum. Jesu in templo religens 78 inter doctores floruit. Gremeint ist wohl die von Matth. 12, 18 citirte Stelle: ut adimpleretur quod dictum est per Isaiam prophetam (42, 1) di- centem : Ecce puer mens , quem elegi . . . ponam spiritum meum super eum. 73 placita divini iuris? 75 spiritu sancto? 77/78 wohl nach Luc. 2, 46 : invenerunt illum in templo sedentem in medio doctorum, audientem illos et interrogantem eos.

218 Wilhelm Meyer,

14

Ora ingressus fluninm,

nt incoaret baptisrntim. 81 pater de caelis loquitur

in columbae speciem.

ibi patuit trinitas 84 diuinaque snbstantia.

Vgl. Matth. 3, 16 ßaptizatus Jesus confestim ascendit de aqua . . et vidit spiritum dei descendentem sicut columbam. Et ecce vox de coelis dicens: hie est filius meus dilectus; äbnlich Marc. 1, 10 u. 11; Luc. 3, 21 (descendit spiritus sanctus corporali specie sicut columba in ipsum); Job. 1, 32 79 ora = ex ora? oder *orans' nach Luc. 3, 22 : Jesu baptizato et orante apertum est coe- lum? 80 baptismum. 82 specie? 83 vgl. V. 46 trinitas pia claruit.

15

Promittensque discipulis

Jesus in euangeliis : 87 nisi ego abier o,

paraclytus non ueniet.

ipse docebit omnia, 90 suggeret mirabilia.

Job. 16, 7 si non abiero, paraclitus non veniet ad vos ; 14, 26 Par acutus autem spiritus sanctus, quem mittet pater in nomine meo, ille vos docebit omnia, et suggeret vobis omnia, quaecunque dixero vobis.

16

Quibus euolutis circulis

post quinquaginta diebus 93 apostolorum cordibus

repleuit abundantius.

repleti sunt spiritos 96 et profetarunt plenius.

91 corr. Qui vgl. Lev. 25, 30 anni circulus fuerit evolutus 92 Act. 2, 1 cum complerentur dies Pentecostes 93 = corda? 95 fpöf Codex ; repleti sancto spiritu ? vgl. Act. 2, 4 et repleti sunt omnes spiritu sancto 96 Act. 2, 18 effundam de spiritu meo et prophetabunt ; 19, 6 venit spiritus sanctus super eos et loquebantur linguis et prophetabant.

lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 219

17 Resedit super singnlis in bipertitis Unguis; 99 domum ignis apparuit; sonus magnus intonuit, loquunturqne magnalia; 102 gentes reciperunt gratiam. 97 Act. 2, 3 apparuerunt illis dispertitae linguae tanquam ignis seditque super singulos eorum 99 Act. 2, 2 (sonus) replevit totam domum, ubi erant sedentes domum = in domo? 100 Act. 2, 2 f actus est repente de coelo sonus, tamquam advenientis Spiritus vehementis 101 Act. 2, 11 audivimus eos loquentes nostris unguis magnalia dei 102 Act. 11, 1 gentes receperunt verbum dei; 2 Cor. 6, 1 gratiam dei recipiatis.

18 Sancta crescens ecclesia multiplicatas lingüas. 105 ad turrem ßabyllonicam ira turbavit labia, uirtutem sancti Spiritus 108 recipitque humilitas 103 crescens sfatt crescit; multiplicatis unguis? 105 vgl. V. 42, dann Gen. 11, 9 vocatum est nomen eins Babel, quia ibi con- fusum est labium universae terrae 105 der Gedanke ist nicht übel : die Vielspracbigkeit der Apostel gewinnt Gläubige, aber der Thurmbau ist durch Vielsprachigkeit verhindert worden. Bei Babel hat Gottes Zorn die Redegabe der stolzen Menschen verwirrt: jetzt hat der h. Geist den demüthigen Dienern Christi Redegabe verliehen. Also ist zu bessern: virtute sancti spiritus recipit (re- cepit) quae (d. h. labia) humilitas.

19 Tantaque dona spiritus miratur cunctus populus : 111 Arabae Maedus Prosylitus Judaeus atque Barbarus Romani atque advenae 114 Scythae et Assyrii. 109 Act. 2, 4 Spiritus sanctus dabat eloqui illis 110 Act. 2, 7 = 12 stupebant et mirabantur omnes 111 Act. 2, 9ffl. : Medi . . et advenae Romani. Judaei quoque et Proseljrti Cretes et Arabes. Colos. 3, 11 : ubi non est Gentilis et Judaeus, circumcisio

220 Wilhelm Meyer,

et praeputimn, Barbari et Scythae. Nur die Assyrii kommen im N. Testament nicht vor.

Die Sprache dieses Rythmus ist fast barbarisch. Wohl nicht zn bezweifeln sind die seltsamen Formen oder Bedeutungen, wie: 11 miriter. 12 in primitus. 13 und 51 in postmodum. 45 pro- meruit. 36 intra undarum ictibus. 38 per partibus {statt per partus). 44 in patriarchae usui. 59 graderet. 70 uterum {statt uterus). 72 nasceret. 98 cordibus replevit. In diesen Zeiten sind von den Fehlern der Verfasser oft schwer zu trennen die Fehler der Abschreiber; doch glaube ich, daß hier ziemlich viele Fehler des Abschreibers vorliegen, die also gebessert werden müssen: 3 fierit, 13 clara luce, 28 spinis gignent, 31 crescent, 33 mundum, 37 augens, 60 terra sancta, 75 spiritum sanctum, 91 quibus, 104 multiplicatas linguas. Eigenthümlichkeit des Verfassers zu sein scheint die Auslassung von 'est' beim Particip, sowohl 85 promittens und 103 crescens, wie 57 vocatus und 79 ingressus.

(Der Inhalt) H. Hagen hat im Katalog der bemer Hand- schriften das Stück überschrieben : 'Sententiae ex libris sacris pe- titae a littera A incipientes usque ad litteram T, rythmice com- positae. Der Verfasser will, wie mir scheint, schildern, wie im alten und im neuen Testament die Personen der Trinität, bes. der h. G-eistj hervorgetreten sind. In den Strophen 2 6 kann ich diesen Faden nicht finden ; sonst aber liegt er deutlich vor Augen. Betrachtet man das Schriftstück als summarische Ausführung jenes Thema'Sj so ist es für seine Entstehungszeit nicht verächtlich.

Die Form dieses G-edichtes ist ebenso roh wie die Sprache. Es finden sich hier etwa 97 Achtsilber mit steigendem Schlüsse (8 u _), 5 mit sinkendem (8—^); außerdem 8 Siebensilber (7 u_.) und 3 Neunsilber mit steigendem Schlüsse (9 u _). Wir haben also hier ein neues Beispiel jener merowingischen lateinischen Rythmik, wo die gesetzmäßige Silbenzahl verletzt werden konnte (vgl. meine Abhandlung 'Ein Merowinger Rythmus über Fortunat, in diesem Bande S. 37/39). Aber die wichtige Frage, ob auch weniger Silben genommen wurden als das Schema verlangte (vgl. S. 38), scheint dieser Rythmus bejahend zu beantworten. Denn gesichert scheinen hier die Verse zu 7 u _ : 2 spiritus sanctissimus, 7 bene caeli spe- eiem, 28 spinas gignunt arida, 58 ab igne et spiritu, 69 quod de sancto spiritu, 82 in columbae specie, 114 Scythae et Assyrii; be- denklich ist nur der 8. Siebensilber: 95 repleti sunt spiritu). Auffallend wenige sind die Neunsilber: 39 turrem superbi aedi- ficant; {in 91 quibus evolutis circulis ist wohl qui zu schreiben)^ 102

lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 221

gentes receperunt gratiam, 111 Arabae Maedus Prosylitus. Dazu kommen als schlimmere Verletzungen der Regel 5 Achtsilber mit sinkendem Schlüsse (8_u): 3 anteqaam fieret mnndus, 10 tenebras densas repellens, 16 tertio fixisti die, 34 corpora mersa gigantum, 92 post quinquaginta diebus. Bleibt noch V. 1 Agiusque igneus als unsicher bei Seite, so sind unter den 114 Zeilen 97 Achtsilber mit steigendem Schlüsse übrig. Die Frage ist nun, wie diese Acht- sLlber gebaut sind.

Diese 97 Achtsilber mit steigendem Schlüsse sind so gebaut wie es die allgemeine Regel mit sich bringt; d. h. der Accentfall^ der letzten vier Silben ist gebunden, dagegen der Accentfall der ersten 4 Silben ist frei gegeben: patri aequa|lis filius; es treten also alle möglichen Accentfälle ein (vgl. oben S. 196). Ich scheide 4 Hauptgruppen

1) jambischer Accentfall: u_u^w_u_: miratnr cunctus populus 35

Hoc totum figuraliter. In filios et filias (6 Mal). V. 86 Jesus in evangeliis.

2) unsicherer Anfang: r^r\^u-z-u_^u_: apostolorum cördibns 10

Et prophetarunt plenius. Nee non Esaias placita. 8) die erste Senkung zweisilbig :_uu_u_u-_: pater direxit filium. 32

Fünerä crescent nimium (11 Mal). V. 18 Quinto iam vo-

latiHa. 4) die zweite Senkung zweisilbig: _u_uu_u_: sönus magnüs

intonuit. Ibi patüit trinitas (Y. 6 u. 83). 20

Bei der 3. und 4. Art sind besonders die Unterarten zu notiren , in welchen die beiden Silben der Senkung den Schluß eines Wortes bilden (daktylischer Wort Schluß, siehe oben S. 195 u. 201), wo also die gewöhnliche Regel, welche solchen Wortschluß verbietet, verletzt wird. Es sind 11 der 3. Art und 2 der 4. Art:

_uu, _u_u-^: fünörä crescent nimium 11

-_u_uo, _u_: 83 ibi patüit trinitas, 6 hömoüsiös kyrius 2

Von diesen 97 Achtsilbern beginnen 35 mit einer Senkung, 52 mit einer Hebung. Das ist, wenn für die 4 ersten Silben keine Regel gilt, ziemlich natürlich. Denn, da etwa die Hälfte der dreisilbigen lateinischen Wörter auf der ersten Silbe Accent hat hömines fülgurat, die zweisilbigen aber alle magnus laüdat, so beginnen in jeder lateinischen Prosa mehr Wörter mit accentuirter Silbe als mit nicht accentuirter.

Von Caesur hat natürlich dieser Mann nichts gewußt. Von den 97 Zeilen haben 67 sinkenden Einschnitt nach der 3. oder 5.

222 Wilhelm Meyer, lateinische Rythmik und byzantinische Strophik.

Silbe; die 4 Verse 18 86 90 und 83 hätten keine Caesur; in 6 Zeilen bildet die 4 Silbe steigenden, in 18 sinkenden Wortschlnß (in filiös et filias, magnns sönus intonuit) : also liegt Alles so, wie es der Zufall bringt.

Der innere Bau dieser Achtsilber ist also weit verschieden von dem Zeilenbau bei Auspicius. Diese Verschiedenheit ist aber nur dadurch bewirkt, daß dieser Dichter 1), wie fast alle, nichts wußte von Caesur, und daß er 2) daktylischen Wortschluß nicht gemieden hat.

Strophen und Reim Die Zeilen sind in Gruppen von je 6 zusammengestellt, was sich sonst selten findet. Bestimmte, regel- mäßig wiederkehrende Sinnespausen innerhalb dieser sechszeiligen Gruppen kann ich nicht nachweisen ; doch spricht der Reim dafür, daß je 2 solche Kurzzeilen eine Langzeile bilden sollen. Der Reim oder vielmehr die einsilbige Assonanz in diesem Gedicht ist auffallend stark. Ohne Assonanz ist eigentlich nur die 13. Strophe. Oft haben 5 oder 4 Zeilen die gleiche Assonanz und nur 1 oder 2 Zeilen sind regellos. Oft assoniren je 2 Kurzzeilen; so in Str. 3 : us xmi ; iem iem ; ans a. Str. 4 : as a ; inem inem ilem re. Aehnliche Paare, wie 8,5/6; 9,5/6; 10,5/6; 15, 1/2 5/6; 17: ulis uis, uit uit, ia iam, sprechen dafür, daß der Dichter je 2 Kurzzeilen zu einer Langzeile zusammengefaßt und wohl auch zusammengeschrieben hat.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL

Von

P. Kehr.

Vorgelegt in der Sitzung vom 20. Juli 1907.

Im dritten Heft unserer Nachrichten von 1905 habe ich bereits eine erste Serie von Nachträgen zu den Papsturkunden Italiens veröffentlicht, der ich jetzt eine zweite folgen lasse. Ich brauche hier nicht zu wiederholen, was ich damals ausführte: schwerlich wird das Material jemals vollständig erschöpft werden, und ver- einzelte Findlinge werden immer wieder an den Tag kommen. Von andern Stücken sind die bisherigen Drucke so schlecht oder so unvollständig oder auch so unzugänglich, daß es sich empfiehlt, auch sie in diesen Nachträgen zugänglicher zu machen.

So ist diese Gruppe von 43 Papsturkunden zusammengekommen, die sich alle auf Mittelitalien beziehen. Den Benutzern der ersten drei Bände der Italia pontificia werden sie, denke ich, will- kommen sein.

Zu ihrer Erläuterung habe ich wenig zu sagen.

Aus Florenz biete ich ein Privileg Honorius' II. (n. 4) für die Badia di Leno bei Brescia, mit deren Ueberlieferung es be- kanntlich sehr schlecht bestellt ist. Jene Urkunde ist aus einem Kopialbuch von Leno von 1540 entnommen, das der Direktor der Nationalbibliothek Morpurgo jüngst auf dem Hökermarkt fand. Aus dem Florentiner Fonds von Camaldoli steuerte Prof. L. Schia- pareUi ein Mandat Honorius' II. (n. 5) und ein Privileg Celestins IL (n. 9) bei; aus demselben Fonds biete ich ein Privileg Clemens' III. für Arezzo (n. 35). Ein Streifzug in das erzbischöfliche Archiv in Florenz brachte außer einigen Urkunden für das Priorat von S. Andrea di Mosciano noch ein interessantes Ineditum Clemens' m.

224 P. Kehr,

für Ripoli (n. 38) an den Tag. Aus den Strozzipapieren der Na- tionalbibliothek kopierte ich selbst Lucius' III. Privileg für das Kloster S. Salvadore di Spugna, das in einer seltenen Monographie von Morozzi gedruckt ist. Gedruckt sind auch bereits die beiden Mandate Alexanders III. für Passignano (n. 16. 18), allein die Lettere von Fedele Soldani, in denen sie stehen, sind nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien so selten, daß ich geglaubt habe, sie zugänglicher machen zu sollen. Dieselbe Erwägung hat mich veranlaßt, die aus den Archiven der Yallombrosaner stam- menden Urkunden n. 7. 8. 10. 14. 17. 39. 43 noch einmal zu drucken. Ich habe seiner Zeit von ihrer Wiedergabe abgesehen, weil ich sie in dem Bullarium Vallumbrosanum gedruckt fand, das 1729 Ful- gentius Nardi, einst Prior von S. Trinita in Florenz, herausgegeben hat. Das Buch ist nicht nur Jaffe und Loewenfeld, sondern auch den Geschichtsschreibern der Yallombrosaner unbekannt geblieben, und es scheint in der Tat eine litterarische Seltenheit ersten Ranges zu sein. In Rom sind nur zwei Exemplare vorhanden, das eine im Yallombrosaner Archiv von S. Prassede, das andere kaufte ich jüngst bei einem Antiquar in Bologna für ein par Soldi. In der Nazionale von Florenz fand ich ein drittes Exemplar, ein viertes im Yallombrosanerkolleg von S. Giuseppe in Pescia. Also glaube ich recht zu tun, wenn ich auch diese Stücke im Anhang folgen lasse.

Aus Arezzo stammt eine Urkunde Lucius' III. (n. 28) und eine Celestins III. (n. 42), auf deren Druck wir seiner Zeit verzichteten, weil sie im II. Band der Documenti par la storia della citta di Arezzo nel medio evo von Ubaldo Pasqui ihren Platz finden sollten. Allein dessen Erscheinen steht leider noch immer in weiter Ferne.

Aus Volterra bringe ich einen Nachtrag: das oft zitierte, aber niemals gedruckte Diplom Urbans III. (n. 33).

Aus Sie na habe ich noch sechs, allerdings schon sämtlich bekannte Urkunden genommen, von Anastasius lY. (n. 11) aus dem Fonds von Monte Amiata, von Alexander III. (n. 22. 27) aus dem Archiv von S. Agatä zu Asciano und aus dem Fonds von S. Agostino, von Clemens III. (n. 34. 36) für die Kirchen S. Nicolo in Montieri und S. Pietro in Sovana, von Celestin III. (n. 41) aus dem Fonds von S. Maria degli Angeli. Zu den Seneser Urkunden gehört auch das Privileg Hadrians lY. für San Lorenzo dell' Ardenghesca (n. 12), das Dr. Hessel unter den Urkunden von S. Salvadore di Reno im Staatsarchiv zu Bologna fand.

Eine stattliche Serie von Urkunden lieferte das Kapitelarchiv

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 225

in Prato (n. 2. 6. 23. 26. 27. 30. 31. 32. 40). Sie wieder ent- deckt zu haben ist das Verdienst von Fr. Carlesi, der aucli mir ein freundlicher Führer gewesen ist. Aber sein Buch Origini di Prato hat schwerlich in Deutschland Verbreitung gefunden. Es ist einer jener wohlgemeinten Beiträge zur Lokalgeschichte, welche mehr aus der Heimatsliebe als aus dem historischen Ingenium des Autors entspringen. Diese Prateser Urkunden hat Dr. Fr. Bal- dasseroni in Florenz nochmals kollationiert.

Pisa spendete noch drei Urkunden (n. 1. 19. 25), von denen die letzte ein bisher ganz unbekanntes Privileg Alexanders III. für die Kirche S. Christina ist. Bei Pisa, in der Certosa von Calci, befindet sich bekanntlich das Archiv von Grorgona. Doch fand sich eine zu Grorgona gehörende Urkunde auch noch im De- partementalarchiv von Ajaccio (n. 15).

Alle diese Stücke beziehen sich auf Toscana; ich drucke sie, um die Benutzung des jetzt erscheinenden dritten Bandes der „Italia pontificia" zu erleichtern.

Dazu biete ich noch unbedeutende Nachträge zu Band I und II. Im Bd. I unter S. R. E. cardinales hatte ich zu n. 11 (p. 7) ein Privileg Urbans II. gesetzt, das wir auszugsweise in einei^ Hand- schrift der Vallicellana besitzen. Es ist für die Greschichte des Kardinalkollegiums so wichtig, daß ich es gerne abdrucke.

Zu Band 11 (Latium) gebe ich noch vier Stücke, nämlich Alexanders III. Reskript J-L. 12724. 12725 (vgl. p. 96 n. 49), das oft zitiert, aber nie ganz gedruckt ist, dann das für die Topo- graphie der Tuscia Romana sehr wichtige Privileg Alexanders III. für S. Giusto di Toscanella J-L. 13038a (vgl. p. 199 n. 2), femer ein kleines Privileg Hadrians IV. für S. Sisto in Viterbo, das jüngst Prof. Pietro Egidi unter den Farneseurkunden des Staats- archivs in Neapel auffand (vgl. p. 210), endlich ein Mandat Clemens' III. an den Erzpriester von Civita Castellana (vgl. p. 185 n. 1), das mir Comm. Griocondo Pasquinangeli mitgeteilt hat.

226 P. Kehr,

Alexander IL nimmt die Kanoniker der Kathedralkirche S, Maria in Pisa in den apostolischen Schutz und bestätigt ihr den Besitz,

Lateran 1065 Fehmar 7,

Orig. Pisa Ar eh. capitolare (Nr. 152).

Die Urkunde steht auch in üghellVs Sammlung Privilegia ponti- ficum varia, s, XVII, cod. Vat. Barb. 8222 (XL 19, olim 3640), bei Ottavio Angelo D'Abramo Pisanae primatialis dignitatum ac pra£ben'- darum omnium descriptio II p. 71, und im Auszug in Onofrio Pan- vinio's Scheden Vat. Arch. Mise. Arm. XI t. 34 f. 20 und Arm. XV t. 128 f. 177. Sie ist registriert von üghelli ^ III 412; ^ III 360; Pflugk-Harttung Iter p. 198 n. 141; J-L. 4562. Der Teoct wieder- holt in der HauptscLche Victors IL Privileg J-L. 4841.

ALEXANDER EPISCOPVS SERVVS SERVORVM DEL KA- RISSIMIS m CHRISTO FILnS NOSTRIS CANONICIS SANCTE DEI GENITRICIS ET| [ perpetu^ uirginis MARIE uobis uestrisque suc- cessoribus in perpetuum. Instis et rationabilibus petitionibns be- niuolus debetur consensus. Qu^ enim diuin^ | religioni nichil au- ferunt, in futurum autem utilitati hominum multum conferunt, profecto concedenda et expetenda sunt. Quapropter notum esse | uolumus Omnibus Christi fidelibus presentibas scilicet et futuris, qualiter fratres Pisanensis ^cclesi^ de canonica sanct^ Dei genitricis MARIE, sicut prediximus, | nostram adierunt clementiam, rogantes nostr^que patemitati humiüter supplicantes , quatinus ipsos cum bonis predict^ canonici iure pertinentibus sub tutelaim apostolicQ | defensionis, dato eis nostro priuilegio, susciperemus. Quorum pe- titioni beniuolentia ipsius apostolicQ sedis, cui Deo auctore licet indigni presidemus, annuentes, eosdem | fratres sub nostram de- fensionem suscepimus datoque priuilegio omnia h^c bona tam in decimis quam in prediis, quQ eadem prescripta canonica tunc iure tenuit uel in futuro | iuste acquisitura erit, auctoritate Dei sancti- que PETRI concessimus et confirmauimus, quatenus nostra fulti auctoritate de die in diem in melius proficiant et de uirtute in | uirtutem securius ascendant. Super h§c nero pacem, quietem et securitatem eidem prenominat^ canonici bonisque suis cupientes, statuimus et confirmauimus ipsa eademque | auctoritate Dei sancti- que PETRI et nostra, ut nulla persona parua seu magna audeat uel presumat uim, dampnum uel molestiam ullam inferre aut mo- lestare uel quicquam de | bonis suis absque legali iudicio aut ca-

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 227

nonicali usnrpare. Quod si quis, quod non optamus, hnius nostr^ concessionis et confirmationis priuilegium infringere presumpserit | nostriqne mandati immemor dampnum uel molestiam eis''^ aut de bonis predict§ canonici quicquam sibi usurpauerit, nisi resipiscat dignaque emendet satisf actione, uin|ciilo anathematis innodetur. Qui uero custos et obseruator extiterit, apostolica benedictione repleatur et misericordiam a domino Deo consequatur. |

R.

Datum Lateranis septimo idus febraarii per manus Petri sanct§ Romanae ecclesi^ subdiaconi atque bibliothecarii, anno IUI ponti- ficatus domni ALEXANDRI papQ II, inditione III.

B.

3.

(Fälschung),

TJrban IL befiehlt dem Volk von Bisantium (d. i. Prato), zum Kreuzzug einen Führer nebst 30 Edlen zu senden.

Lateran 1093 Februar 24.

Historia di Prato scritta da M. Alessandro Guardini a. 1560 (ed. Carlesi Origini della cittä e del comune di Prato. Prato 1904).

Ed. Carlesi l. c. p. 184. Die ganz abstruse Fälschung hat wohl Guardini selbst auf dem Gewissen. Er fabelt auch von einer Indulgenz Felix' IV. und von einem Aufenthalt der Päpste Marcus und Sergius in Bisantium, d. i. Prato, Der Text ist übel, Zur Sache vergleiche Italia pont. III 135 sq,

Urbanus papa secnndus.

Dilecte fiK*), salutem et apostolicam benedictionem. Omnibus Christi fidelibus conuenit pro piae deuotionis affectn omne prae- stare auxilinm et uolentes ex munere nostri pastoralis officii ope- ribus satisfacere piis, et maxime pro filiae Sion et iHius Terrae sanetae recuperatione per nos et sedem apostolicam nuper ten- tanda, precibus et meritis dilecti filii nostri Petri eremitae, ad id

pro exhortatione omnium beUantium deputati ad

rendum nostrum ac sanetae matris ecclesiae inimicum, qui eam indigne occupat. Nos tamen confisi prius in maxima Dei et domini nostri lesu Christi benignitate et deinde rerum gerendarum ex-

a) aus der Vorurhunde ist zu ergänzen intulerit. 6) filie.

228 P- Kehr,

perientia, omnium Christi nomen pia deuotione portandnm, ad illius professione facientium et ciuitatem sanctam Hyerusalem eius- que districtum ab atroce eximere hoste atque liberare cupientium, qua in urbe beata carnis conditor pro peccatis nostris misericor- diter crucis patibulo ac mucrone lanciae diuo(?) uulneratus atque suspensus est. Quapropter uos omnes de consilio populi et liber- tatis praestantes, cuius curam et gubernium gerentes"), ad hoc pium opus rogamus et benigne in Domino hortamur, quatenus deputetis iuxta nostrae mentis desiderium ducem per uos eligendum, qui secum deinde eligat auctoritate nostra apostolica triginta nobiles ac probos iuuenes suosque conciues ad hoc utiles pro substentatione classis Terram sanctam uersus bellantes eorom sumptibus, quanto eins ducat, armis et aliis ad similia spectantibus et pertinentibus ad ciuitatem Viterbiensem per totum mensem martii proximi fu- turi. Et nuUi ergo hominum liceat eundem ducem eiusque milites quoquo modo uexare, molestare, perturbare et iter eisdem impedire sub excommunicationis latae sententiae poena.

Datum Romae apud Lateranum sub anno a natiuitate Domini MXCIll, die uero XXTTTT februarii, sub anulo piscatoris, pontifi- catus nostri anno VI.

In tergo: Dilecto populo filio nostro Libertatis de Bisantio Thusciae Pistoriensis.

3.

Urhan II. erläßt über die Rechte der Kardinäle ein Edikt,

(1088—99). Auszug im Cod. Vallicell. C 24, s. XVI, f. 198'.

Die Handschrift enthält eine historische Zusammenstellung über die Kardinäle, welche einem älteren Vaticanus entnommen sein soll. Hier stehen die bekannten Urkunden Johannes' VIII. J-E. 3366 und Alexanders IL J-L. 4736, worauf dann diejenige TJrhans IL folgt (vgl, Italia pontif. I 6 sq.). Der ganze Aufsatz verdiente wohl noch eine genaue Untersuchung.

Item Urbanns 11. presbyteris cardinalibus. Clerici diaconi- arum, quibus diaconi non praefuerint, ad scrutinia cum capellanis conveniant. Quia, ut decessor noster Pelagius scribit, anilantem

süperb. ... et desperatis mentibus doctrina sine po-

testate contemnitur ^), mansuro in perpetuum decreto sancimus, ea

a) stau geritis? h) die Stelle ist stark zerstört utid kaum wiederherzu-

stelien.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 229

uos auctoritate et dignitate precellere, ut in hac urbe E-omana, cuius tituli et diaconiae et parrocliiae et parrochianorum paeni- tentiae per singulas regiones et suburbia nostris olim decessoribns ab apostolicis eorumque successoribus delegatae sunt, iuxta con- cilium Neocaesariense, in quo de catbedralibus presbyteris agitur, nulli presbytero in praesentia cuiuslibet uestri absque nostra per- missione liceat sacra missarum solemnia celebrare nee generaliter baptismatis fontes, paschae scilicet seu pentecostes, sicut usque ad hoc tempus urbis huius consuetudo se habuit, absque nostra permissione uel uicini cardinalis audeat consecrare. Addentes etiam hoc, ut clerus cuiusque diaconiae, his exceptis, quibus car- dinales diaconi praefuere, ad peragenda scrutinia et baptismata iuxta decessores nostros Alexandrum et Grregorium irrefragabiliter cum capellanis omnibus debeant conuenire.

4.

Honorius IL nimmt das Kloster S. Salvadore di Leno unter dem AU Tedald in den apostolischen Schutz und bestätigt die Besitzungen und Beeilte. (1125).

Privilegi concessi alla hadia di S. Leno a. 1540 f. 46' Firenze Bibl. naz, (Nuovi acqiiisti n. 14) aus notarieller Abschrift^ wie es scheint, von 1280.

Vgl. Gott. Nachr. 1903 S. 555 Nr. 3 Beg. aus dem Kopialbuch von Leno s. XVI f. 14 im Kapitelarchiv des Lateran.

Honorius episcopus seruus seruorum Dei. Dilecto filio Tedaldo monasterii Leonensis abbati eiusque successoribus regulariter substi- tuendis in perpetuum. Pi^ postulatio uoluntatis effectu debet

prosequente compleri, quatenus et deuotionis sinceritas laudabiliter enitescat et utilitas postulata uires indubitanter assumat. Tuis igitur, dilecte in Domino fili Tedalde abbas, petitionibus annuentes, «ancti Saluatoris monasterium, cui Deo auctore pr^sides, sicut a pr^decessoribus nostris in tutelam et protectionem apostolicQ sedis susceptum est, nos quoque suscipimus, quod uidelicet monasterium a. Longobardorum rege Desiderio in honorem domini Saluatoris et beati Benedicti patris nostri ^dificatam cognoscitur. Statuimus ^nim, ut nulli ecclesiastic^ seculariue persona liceat districtum ullum in locis quibusquam ipsius monasterii seu placitum absque abbatis licentia facere seu fodrum vel mansiones exigere. Abbas -autem, ubicunque per eadem loca uoluerit, mercatum nemine con-

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 2. 16

230 P- Kehr,

tradicente constituat uel Qdificet districtnmque seruorum sen libe- rorum teneat nee episcoporum quenqnam in pr^fato monasterio dicionem aliquam habere permittimus et missas publicas pr^ter abbatis uoluntatem illic agere probibemus. Confirmamus igitur eidem uenerabili monasterio possessiones priorum temporum, id est plebem sancti loannis, ecclesiam saneti Petri in Summo lacn, Campilione, Materno, Patinole, Cauunno, Cubiato, Grusiago, Casa- nona, Solarium in Brixia cum broilo usque in uiam orientis, cum ecclesia sancti Benedicti in Verona, Dale, Mucianum"), Paonem, Castrum nouum cum ecclesia sancti Andr^Q, Milcianum, Groteningum cum ecclesia sancti Petri, sanctam Mariam in Mauriaticam^^, Vsti- lianum, Curtem ruptam, Flexum, Fontanellam, Bucellanum, Turri- cellam, Carpenetulum, Gambaram cum ecclesia sanct^ Mari^, et aliam sancti Petri, et castrum Turricelle cum ecclesia sancti Andr^^, Pancianum cum ecclesia apostolorum Philippi et lacobi et cum plebe sanct^ Maricj et sancti Sebastiani, decimam etiam ad idem Pancianum pertinentem, sanctum Vincentium, Fontanam latam, Cassium cum pertinentiis suis, Montem longum cum perti- nentiis suis, ecclesiam sancti Greorgii in Pontremulo'^), Talauumum, uillam Laudem cum duabus partibus de Arcole. Pr^terea qu§- cunque pr^dia, qu^cunque possessiones uel catholicorum regnm uel aliorum fidelium legitimis oblationibus in pr^senti uestro mo- nasterio pertinent siue in futurum largiente Domino pertinere contigerint, firma tibi tuisque successoribus et illibata permaneant. Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat idem monaste- rium temere perturbare aut eins possessiones auferre aut ablatas retinere, minuere uel temerariis uexationibus fatigare, sed omnia integra conseruentur, eorum, pro quorum sustentatione et guber- natione concessa sunt, usibus omnimodis profutura. Decimas atque primitias pr§decessorum nostrorum autoritate monasterio uestro concessas nullatenus deinceps ab episcopis uel episcoporum mi- nistris permittimus usurpari. Cbrisma, oleum sanctum, consecra- tiones altarium siue basilicarum, ordinationes monachorum siue c^terorum clericorum totius abbati^, qui ad sacros faerint ordines promouendi, a quo malueritis catbolico accipiatis antistite. Ob- eunte te, nunc eins loci abbate uel tuorum quolibet successorum, nullus ibi qualibet subreptionis astutia seu uiolentia pr^ponatur, nisi quem fratres communi consensu uel fratrum pars consilü sani- oris secundum Dei timorem et beati Benedicti regulam elegerint;

a) am Rande wiederholt von anderer Handr Dale. Mucianum.

b) am Bande S. M. Muratica. c) am Bande Fontremulum.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 231

electiis autem ad Romanum pontificem consecrandus accedat, qui profecto potestatem habeat castella et ecclesias faciendi, ubicunque uoluerit in terris ad pr^fatum monasterium pertinentibus. Pi- scarias ad ipsum monasterium pertinentes in fratrum usus omnibus modis confirmamus, nt nulli facultas sit eas inuadere aut quibus- libet occasionibus alienare. Vos igitur, filii in Christo dilecti, ut hac semper gratia digniores censeamini, Dei semper timorem in uestris cordibus habere satagite, ut quanto a secularibus tumul- tibus liberiores estis, tanto amplius placere Deo totius mentis et anim§ uirtutibus anheletis. Si quis igitur in crastinum archiepi- scopus aut episcopus, imperator aut rex, princeps aut dux, comes, uicecomes, iudex aut ecclesiastica qu^libet secolarisue persona hanc nostrQ constitutionis paginam sciens contra eam temere uenire tentauerit, secundo tertioue commonita, si non satisf actione con- grua emendauerit, potestatis honorisque sui dignitate careat re- amque se diuino iudicio existere de perpetrata iniquitate cogno- scat et a sacratissimo corpore ac sanguine Dei et domini redemp- toris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo examine districte ultioni subiaceat. Cunctis autem eidem loco iusta ser- uantibus sit pax domini nostri lesu Christi, quatenus et hie fruc- tum bon§ actionis percipiant et apud districtum iudicem pr^mia Qtern^ pacis inueniant. Amen. Amen. Amen.

E. Ego Honorius catholic^ ecclesi^ episcopus ss. BV.

Dat E,oman<^ ecclesi^ cancellarii, IUI

, incarnationis dominier

Honorii secundi pape anno primo.

Honorius II. heauftragt wiederholt den Bischof Petrus von Chiusi, die renitenten Mönche von Vivo zum Gehorsam des Camaldulenser- prior s Johannes und zur Annahme der Pegel von Camaldoli zu be- wegen. Lateran (1126) März 17.

Kopie saec. XII Florenz Ärch. di stato (Camaldoli 1143 marzo 17).

Bas Stück enthält den Bericht über die Streitigheiten mit Kloster Vivo in der Diözese Chiusi, worüber Mittarelli Ann. Camald. III 60, der sich an Baroncini's Exzerpte hielt, zu vergleichen ist. Da findet sich auch das Reskript Honorius' IL und Celestins IL definitive Entscheidung kopiert, die mir bei meinen Nachforschungen in Florenz entgangen waren. Ich verdanke ihre Mitteilung unserm Freunde und

16*

232 P- Kehr,

Kollegen Prof, L. SchiaparelU, Das Jahr 1126 ergibt sich aus der Begierungszeit des Priors Johannes von Camaldoli, der im September 1126 Kardinal von Ostia ivurde (cf. Mittarelli III 43).

Honorius episcopus seruus seruoram Dei. Yenerabili fratri P. Clusino episcopo salutem et apostolicam benedictionem. Super fratribus illis monacbis de Vivo miramur admodmn et grauamur, quoniam per litteras nostras et per te atque per alios fratres totiens moniti, ad dilecti filii nostri I. Camaldulensis prioris redire obe- dientiam noluerunt, sed in sua potius proteruia contumaciter per- senerant. Quocirca fraternitati tuQ iterato iniungimus, ut eos adhuc diligenter monere non desinas °^, quatenus ad eiusdem subiectionem et obedientiam redeant et seenndum beati Benedicti regulam e.t seeundum generalem formam et institutionem Deo acceptQ congre- gationis Camaldulensis deinceps uiuant. Quodsi etiam modo con- tempserint, sciant se ab exeommunicationis uinculo nullatenus ab- solutes. Dat. Lat. XVI kal. aprü.

a) desinat.

6.

Innocenz H. nimmt die KollegiatkircJie S. Stefano in Prato unter dem Propst Bdeprand in den apostolischen Schutz, verbietet ohne des Propstes und seiner Nachfolger Erlaubnis in der Parrochie eine Kirche zu errichten^ bestätigt die Zehnten und die Sepultur und andere Vor- rechte. Lateran 1133 Mai 21.

Kopie im Ms. Concessioni giurisdizionali dei sommi pontefici etc, s. XIV ex. [B] und Kopie im Ms. Bolle e indulti pontificii; de^ creti vescovüi $. XVI sq. [CJ, beide Prato Ar eh. capitolare.

Edd. Uglwlli ^ III 331 = Migne Patr. lat. CLXXIX 177 n. 134. Begg. J. 5450. J-L. 7618. UgJielli's Text ist unvollständig. Ich gebe daher die bei ihm fehlenden Unterschriften aus C, da auch die Kopie s. XIV nicht vollständig ist. Vgl. Italia pont. III 136 n. 2.

Innocentius episcopus seruus seruorum Dei. Dilecto filio Ilde- prando preposito ecclesie sancti Stepbani de Prato eiusque suc- cessoribus canonice substituendis in perpetuum. lustitiae et

rationis ordo.

R. Ego Innocentius catholic§ ecclesiq episcopus ss.^^ BV. t Ego Grulielmus Penestrinus episcopus ss.*

a) 88. fehlt hier und in der Folge.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 233

f Ego Johannes Hostiensis episcopus ss.

f Ego [Conradus]^) Sabinensis ecclesie episcopus ss. f Ego Johannes tit. sancti Grisogoni presb. card. ss. f Ego Gerardus tit. sanete Crucis presb. card. ss. f Ego Anseimus presb. card. tit. <^) sancti Laurentii in Lucina ss. f Ego Martinus presb. card. tit. sancti Stephani in Celio monte ss. t Ego Lucas presb. card. sanctornm lohannis et Pauli ss.

f Ego Eomanus diac. card. , sanete Marie in Porticu ss.

t Ego Gregorius diac. card. sanctorum Sergii et Bachi ss.

t Ego Guido diac. card. sanete Marie in Via lata ss.

t Ego Oddo diac. card. sancti Georgii ad Velum aureum ss.

f Ego Guido diac. card. sanctorum Cosm^ et Damiani ss.

Dat. Lat. per manum Aimerici sanete Romane ecclesie diaconi cardinalis et cancellarii, XII kal. iunii, indictione XI, incarnationis dominice anno MCXXXIII, pontificatus uero domni Innocentii pape II anno IUI.

h) Lücke im Text c) tit. fehlt.

Innocenz II. nimmt die Klöster S. Michaelis de Plaiano und S. Michaelis de Salvenero unter den Äebten Matiriis und Hugo in den apostolischen Schutz und bestätigt ihnen Besitz tmd Rechte und die Vallombrosanerregel. Lateran 1189 Mai 25.

Cornelii Margarini Thesaurus historicus vol. III f. 173 Born Vat. Ar eh. Arm. LIV t. 8 ex registro congregationis Vallis Umbrosae in TJrbe fol. 84.

Das Chartular von Vallomhrosa, das sich noch im 19. Jahrhundert in S. Prassede in Born befand, ist verschollen, vgl. Italia pontif. I 50; III 86. Unser Privileg für die beiden Vallombrosanerhlöster in Sar- dinien Jcamiten auch noch die Vallombrosanerschriftsteller Vinc. Nan- nini, Ambr. Genovini und Fulg. Nardi; cf. Italia pontif. III 87. Die von Nardi im Bull. Vallumbr. p. 14 gedrucMe Urkunde ist Jaffe- Loewenfeld entgangen,

Innocentius episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Mauro monasterii s. Michaelis de Plaiano et Ugoni cenobii s. Mi- chaelis de Saluenero abbatibus eorumque successoribus regulariter substituendis in perpetuum. Desiderium, quod ad religionis pro-

234 P. Kehr,

positum et animarum salutem noscitur pertinere, animo nos decet libenti concedere et petentium desideriis congruum impertiri suf- fraginm. Eapropter, dilecti in Domino filii Maure et Ugo abbates, uestris rationabilibus postulationibus clementer annuimus et mo- nasteria saneti Michaelis de Plaiano et beati IVIichaelis de Salue- nero, quibus authore Domino pr^sidetis, apostolic^ sedis priuilegio communimus. Statuentes, ut quascunque possessiones , quQCunque bona eadem monasteria iuste et canonice possident aut in futurum concessione pontificum, liberalitate regum uel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis prestante Domino poterunt adipisci, uobis uestrisque successoribus iirma et illibata permaneant. Huic quoque decreto adiicimus, ne nnquam uos uel successores uestri absque licentia Vallis Umbrosani abbatis, qui pro tempore fuerit, ad episcopale officium pr^sumatis accedere, ne forte bona eorumdem monasteriorum seruorum Dei usibus deputata hac occasione aliquod exterminium patiantur. Prohibemus etiam, ne archiepiscopo aut episcopo licentia pateat absque Vallis Umbrosani abbatis con- cessione monachos inde toUendi ad aliud officium promouendos aut aliqua de causa, inuito eodem abbate, quemlibet de fratribus ipsius loci ad aliam ecclesiam transferendos. Si quis sane fratrum eorumdem locorum ad regimen alterius ecclesi^ fuerit assumptus, in monasteriis ipsis nullam ulterius habeat potestatem, nisi qualem pr^decessores sui inibi habuerunt, qui pr^fuere ecclesi§, ad quam fuerit ipse translatus. Obeuntibus uero uobis aut uestrorum quo- libet successore, nullus ibi qualibet surreptionis astutia seu uio- lentia pr^ponatur, nisi quem abbas Vallis Umbrosanus secundum Dei timorem elegerit ordinandumque pr^viderit. Liceat etiam uobis uestrisque successoribus atque fratribus clericos cuiuscunque ordinis de quolibet episcopatu ad uos transire uolentes cum rebus suis propriis ad conuersionem suscipere et absque aliquorum epi- scoporum aut aliarum personarum contradictione monasticum habitum iuxta sanctorum patrum regulas ei tradere. Nihilominus etiam eo- rumdem locorum fratribus sit facultas, tarn monachos quam con- uersos, clericos uel laicos, liberos aut seruos eidem monasterio sub- ditos iudicare absque prohibitione uel molestia cuiuslibet eccle- siasticQ aut secularis etiam potestatis. Porro ordinationes mona- chorum uel clericorum, qui ad sacros gradus fuerint promouendi, et aliqua ecclesiastica sacramenta a quocumque malueritis catho- lico suBcipietis episcopo, nullusque episcoporum abbates aut mo- nachos uel sacerdotes in dictis monasteriis aut ecclesiis sibi sub- ditis constitutos pr^sumat excommunicationi aut interdicto subii- cere aut qualibet occasione suspendere, nisi forte abbas uel pr§-

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens 11. 235

latus, qui pro tempore fuerit, in eorumdem correptionem delin- quentium negligens apparuerit et in eorum regulari castigatione defecerit. Pr§terea decimas uel primitias labomm, quos propriis manibus sumptibusue colligitis , eas etiam , qu^ a diocesanis epi- scopis uobis concessa sunt uel in posterum concedentur, nos quoque uobis authoritate apostolica confirmamus. Liceatque omnibus qui- buscunque placuerit, tarn in uita quam in morte, monasterio uestro suas oblationes offerre, testamenta facere, et corpora inibi sepelire. Statuimus insuper, ut nullus episcoporum in eisdem monasteriis missas audeat celebrare, nisi forte ab abbate uel fratribus eorum- dem locorum inuitatur. Ad h^c firmiter interdicimus , ut nemo unquam quocunque tempore pr^fata monasteria a regimine uel gubernatione Vallis Umbrosani abbatis tentet subtrahere uel au- ferre. Saneimus etiam, ut ordo monasticus, qui seeundum normam fratrum Vallis TJmbros^ in eisdem monasteriis noscitur institutus, ibidem perpetuis futuris temporibus firmiter obseruetur. Decer- nimus ergo, ut nulli imperatori seu regi, nulli episcoporum aut curatorum, nulli prorsus aliqua dignitate predito fas sit eadem mo- nasteria temere perturbare aut eorum possessiones auferre uel ablatas retinere, minuere seu quibuslibet uexationibus fatigare, sed omnia integra conseruentur, eorum, pro quorum gubernatione et substentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura. Si quis autem in futurum huius nostr^ constitutionis paginam sciens contra eam temere uenire tentauerit, secundo tertioue commonitus, nisi pr^sumptionem suam condigne correxerit, honoris et dignitatis su^ periculum patiatur atque a sacratissimo corpore et sanguine domini nostri lesu Christi alienus fiat atque in extremo examine district§ ultioni subiaceat. Conseruantes autem h^c eiusdem domini nostri lesu Christi et beatorum Petri ac Pauli apostolorum eins benedictionem et gratiam consequentur. Amen. Amen. Amen.

Ego Innocentius catholicf ecclesi^ episcopus ss.

Ego Greraldus presb. card. tit. sanct§ Crucis in Hyerusalem ss. Ego Anseimus presb. card. tit. sancti Laurentii in Lucina ss. Ego Lucas presb. card. tit. sanctorum lohannis et Pauli ss. Ego Martinus presb. card. tit. s. Stephani in .Coelio monte ss.

Ego Gruido sanct^ Romano ecclesi^ indignus sacerdos ss.

Ego Gregorius diac. card. sanctorum Sergii et Bacchi ss.

Ego Otto diac. card. sancti Greorgii ad Velum aureum ss.

Ego Guido diac. card. sanctorum Cosme et Damiani iuxta templum Romae ss.

Ego Ribaldus diac. card, sancte Mari§ de Porticu ss.

236 P- Kehr,

Datum Laterani per manum Aimerici S. R. E. diacoiii cardi- nalis et cancellarii, VIII kalendas iunii, indictione II, incarnatio- nis dominier anno M^.CXXXVIIII, pontificatus nero domini Inno- centii II anno X.

8. Celestin 11. nimmt das Kloster VaUomhrosa unter dem Aht Gualdo nebst allen ihm unterworfenen Klöstern in den apostolischen Schutz und bestätigt die ihm von Victor 111., Gregor Vll., ürban IL, Paschal 11, und Innocenz II. verliehenen Freiheiten und Rechte.

Lateran 1144 Februar 15.

Cornelii Margarini Thesaurus historicus vol. 111 f. 187 Rom Vat. Arch. Arm. LIV t. 3 ex registro congregationis Vallis Umlrosa£ de Urbe fol. 40.

lieber die Ueberlieferung s. Italia pontif. III 91 n, 15. Jaffe- Loeicenfeld 8469 citiert die Urkunde aus Franchi Hist. del patriarcha S. Giovangualberto p. 292, der aber auch nur ein Regest bietet. Ge- druckt ist sie in Nardi's Bull. Vallumbr. p. 18 {niit XVI kal. martii).

Celestinus episcopus seruus seruorum Dei. Dilecto filio Gualdoni VaUis Umbrosano abbati einsque successoribus regulariter substitu- endis in perpetuum. Apostolici moderaminis dementia conaenit religiosas diligere personas "^ et eorum loca pia protectione nrnnire. Dignum namque et bonestati conueniens esse cognoscitur, ut qui ad ecclesiarum regimen assumpti sumus, eas et ab improborum hominum nequitia tneamur et apostolic§ sedis patrocinio foueamas. Hoc nimirum charitatis intuitu, dilecte in Domino fili Gualdo abbas, tuis rationabilibus postulationibns annuentes, Vallis Um- brosannm monasterium, cui Deo autbore pr^sides, cum omnibus monasteriis sibi subiectis, sub apostolic^ sedis tutela et protectione suscipimus et scripti nostri pagina roboramus. Statuentes , ut omnis immunitas, omnis libertas, qu^ a pr^decessoribus nostris f^- licis memoria Victore, Gregorio VII, Urbano, Pascbale et Inno- centio Romanis pontificibus pr^fato monasterio concessa est, futuris perpetuo temporibus firma tibi tuisque successoribus et Vallis Umbrosanae congregationi et illibata permaneant. Pr^terea quas- cunque possessiones, qu^cunque bona iam dictum monasterium iuste et legittime possidet aut in futurum conce«sione pontificum, lar- gitione principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis pre- stante Domino poterit adipisci, quieta uobis et integra conser-

a) personas fehlt]

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 237

uentur. Porro fructuum uestrorum decimas, quas ubilibet propriis sumptibus laboribusue coUigitis, absque episcoporum contradictione uel episcopalium ministrorum seu etiam plebanorum xenodochio uestro reddendas possidendasque sancimus. Sane nulli omnino hominum liceat conuersos aut monacbos iam dicti monasterii seu etiam totins congregationis ausu temerario capere uel captos re- tinere seu aliquibus fatigationibus infestare. Liceat etiam uobis clericos e seculo fugientes seu laicos ad conuersionem absque cuius- libet interdictione suscipere, et qui se decreuerint in uestro cimi- terio sepelire, et tarn ipsorum quam c^terorum fidelinra oblationes sine aliarum ecclesiarum pr^iudicio recipere, nisi excommunicationis uinculo fuerint innodati. Decernimus ergo, ut nulli omnino homi- num fas sit idem monasterium temere perturbare aut ei subditas ecclesias uel possessiones auferre, minuere seu temerariis uexatio- nibus fatigare, sed omnia integra conseruentur, eorum, pro quorum substentatione et gubernatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua apostolic^ sedis autboritate. Si qua igitur in po- sterum ecclesiastica secularisne persona banc nostr§ constitutionis paginam sciens contra eam temere uenire tentauerit, secundo ter- tione commonita, si non satisfactione congrua emendauerit, po- testatis honorisque sui dignitate careat reamque se diuino iudicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissimo cor- pore ac sanguine Dei et domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo examine districte nltioni subiaceat. Cunctis autem eidem loco iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, quatenus et hie fructum bone actionis percipiant et apud districtum iudicem pr^mia ^tern^ pacis inueniant. Amen. Amen. Amen.

Ego Celestinus catholic§ ecclesi^ episcopus ss.

Ego Corradus Sabinensis episcopus ss.

Ego Albericus Hostiensis episcopus ss.

Ego Stephanus Pr^nestinus episcopus ss.

Ego Petrus Albanensis episcopus ss. Ego Petrus card. presb. tit. sanct^ Susann§ ss. Ego Guido presb. card. tit. sancti Grrisogoni ss. Ego Ranerius presb. card. tit. sancte Prisc§ ss. Ego Groizo presb. card. tit. sancte C^cili^ ss. Ego Thomas presb. card. tit. Vestin^ ss. Ego Guido presb. card. tit. sancti Laurentii in Damaso ss. Ego Arimbertus presb. card. sancte Anastasi^ ss. Ego Manfredus presb. card. tit. sancte Sabin^ ss.

238 P- Kehr,

Ego Gregorius diac. card. sanctorum Sergii et Bacchi ss.

Ego Guido diac. card. sanctorum Cosm^ et Damiani ss.

Ego Guido in Romana ecclesie indignus minister altaris ss.

Ego Rodulfus card. diac. sancte Luci^ in Septasolis ss.

Ego lohannes [Paparo] diac. card. sancti Adriani ss.

Ego Hugo Roman^ ecclesi^ diac. card. sanct^ Luci^ in Or- phea SS.

Ego Johannes diac. card. sanct^ Mari^ Nou§ ss. Datum Laterani per manum Gerardi S. R. E. presbyteri car- dinalis ac bibliothecarii, XV kalendas martii, indictione VII, in- camationis dominier anno M.CXLIU, pontificatus uero domini Cq- lestini pap^ secundi anno primo.

9.

Celestin U. entscheidet den Streit zwischen dem Prior Azzo und den 'Brüdern von Camaldoli einerseits und dem Frim- Bonus und den Brüdern von Vivo andererseits und ordnet ihr Verhältnis.

(Lateran 1144 Februar 23).

Kopie saec. XII Florenz Ar eh. di stato (Camaldoli 1143 marzo 17).

BisJier war nur die an den Prior Bonus von Vivo gerichtete Gegenurhunde Celestins IL J. 6017: J-L. 8497 bekannt. Aus ihr kann auch mit aller Sicherheit das in dem Camaldoleser Exemplar fehlende Eschatokoll genommen werden. Deren Abschrift verdanke ich L. Schiaparelli (vgl. Nr. 5). Vgl. Italia pontif. III 179 n. 15.

Celestinus episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis A. Camaldulensi priori eiusque fratribus salutem et apostolicam bene- dictionem. Apostolice sedis amministratione nobis a Deo con-

cessa compellimur, religiosorum fratrum scandala de medio tollere et eorum paci et tranquillitati paterna sollicitudine prouidere. Ideoque controuersiam, qu^ inter uos et religiosos fratres de Viuo diutius agitata est, auditis hinc inde rationibus et diligenter in- quisitis, communicato fratrum nostrorum consilio, hoc ordine duxi- mus decidendam. Quia igitur locus ipse fere a principio sue fun- dationis per Camaldulenses fratres in religione profecisse digno- scitur, ut uinculum caritatis inter uos conseruetur, statuimus, ut prior, qui in eodem loco pro tempore fuerit ordinandus, de ipsa congregatione, si idoneus ibi repertus fuerit, secundum beatiBene- dicti regulam a fratribus eiusdem loci eligatur; electus autem infra XL dies Camaldulensi priori de ordinis obseruantia obedientiam cum omni humilitate promittat. Si uero, quod absit, ibidem ido- neus repperiri non poterit, a fratribus de Viuo de congregatione

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 239

Camaldulensi , sicut predictum est, secundum regulam eligatur. Cum autem prior et fratres Camaldulenses ad Viuum uenerint, in choro, in refectorio et dormitorio tamquam fratres communiter recipiantur, atque prior tarn in capitulo quam in aliis precipuum locum teneat et qu§ in ordine corrigenda fuerint, rationabili pro- uidentia corrigat et stabilienda stabiliat. Prior uero de Viuo ad annuum capitulum Camaldulensium fratrum uadat et tamquam unus ex maioribus prioribus eiusdem congregationis tam in loco quam in aliis honoretur. Si uero ipse et fratres sui aliquando Camaldulam uenerint, tam in cboro quam in aKis communiter re- cipiantur et honeste tractentur. Breuia etiam mortuorum fratrum utrimque secundum consuetudinem Camaldulensis congregationis recipiantur et diuina pro eis obsequia celebrentur.

10.

Eugen III. nimmt das Kloster Vallambrosa unter dem Aht Gu- dldo sammt allen ihm unterworfenen Klöstern in den apostolischen Schutz und bestätigt die von Victor IL, Gregor VII., ürban II., F aschal II. und Innocenz IL verliehenen Freiheiten und Rechte.

Marturi 1147 Januar 23.

Cornelii Margarini Thesaurus historicus vol. III f. 214 Rom Vat. Ar eh. Arm. LIV t. 3 ex registro congregationis Vallis ümbrosae de TJrbe fol. 49.

Die Abschriften von Nannini, Genovini, Nardi u. s. w. lasse ich bei Seite; sie ergeben keine ivesentlichen Varianten. Der Text folgt dem Privileg Celestins IL (oben Nr. 8). Gedruckt bei Nardi Bidl. Vallumbr. p. 20; citiert von Jaffe-Loewenfeld 8995 aus der Pariser Coli. Baluze. Vgl. Italia pontif. III 91 n. 16.

Eugenius episcopus seruus seruorum Dei. Dilecto filio Gual- doni Vallumbrosano abbati eiusque successoribus regulariter sub- stituendis in perpetuum. Ad hoc nobis a prouisore omnium bo- norimi Domino cura commissa est, ut religiosas diligamus personas et beneplacentem Deo religionem studeamus modis omnibus propa- gare et uenerabilia loca cum ipsis personis diuino famulatui man- cipatis pia protectione munire. Eapropter, dilecte in Domino fili Gualdo abbas, tuis rationabilibus postulationibus annuentes, Yal- lumbrosanum monasterium, cui Deo auctore presides, cum omnibus monasteriis sibi subiectis sub apostolic^ sedis tutela et protectione suscipimus et scripti nostri pagina roboramus. Statuentes, ut

240 P- Kehr,

omnis immnnitas, omnis libertas , que a predecessoribus nostris felicis memoria Victore, Gregorio VII., Urbano, Pascale et Inno- centio Romanis pontificibus prefato monasterio concessa est, futuris perpetuo temporibus firma tibi tuisque successoribns ac Vallnm- brosanae congregationi et illibata permaneant. Preterea quas- cmnque possessiones , qn^cumque bona iam dictum monasterium iuste et legitime possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis pre- stante Domino poterit adipisci, etiam quieta uobis et integra con- seruentur. Porro fructuum uestrorum decimas, quas ubilibet pro- priis sumptibus laboribusue colligitis, absque episcoporum contra- dictione uel episcopalium ministrorum seu etiam plebanorum xeno- dochio uestro reddendas possidendasque sancimus. Sane nulli omnino hominum liceat conuersos aut monachos iam dicti monasterii seu etiam totius congregationis ausu temerario capere uel captos retinere seu aliquibus infestationibus fatigare. Liceat etiam uobis clericos e seculo fugientes seu laicos liberos ad conuersionem abs- que cuiuslibet interdictione suscipere et, qui se deuouerint, in uestro cimiterio sepelire, et tam ipsorum quam ceterorum fidelium oblationes sine aliarum ecclesiarum pr^iudicio recipere, nisi ex- communicati uel interdicti fuerint. Decernimus ergo, ut nulli om- nino hominum fas sit idem monasterium temere perturbare aut ei subditas ecclesias uel possessiones auferre, minuere seu temera- riis uexationibus fatigare, sed omnia integra conseruentur, eorum, pro quorum substentatione^et gubernatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua apostolicQ sedis auctoritate. Si qua igitur in posterum ecclesiastica secularisue persona hanc nostr^ constitutionis paginam sciens contra eam temere uenire tentauerit, secundo tertioue commonita, si non satisfactione congrua emenda- uerit, potestatis honorisque sui dignitate careat reamque se diuino iudicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissi- mo corpore ac sanguine Dei et domini redemptoris nostri Jesu Christi aliena fiat atque in extremo examine district^ ultioni sub- iaceat. Cunctis autem eidem loco iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, quatenus et hie fructum bon^ actionis perci- piant et apud districtum iudicem prqmia ^tern^ pacis inueniant. Amen. Amen. Amen.

Ego Eugenius catholicQ ecclesi^ episcopus ss.

Ego Theodouuinus sancte Rufin^ episcopus ss.

Ego Albericus Hostiensis episcopus ss. Ego Guido presb. card. tit. sancti Grisogoni ss. Ego Ubaldus presb. card. tit. sanctorum lohannis et Pauli ss.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 241

Ego Odo diac. card. sancti Greorgii ad Velum aureum ss.

Ego Johannes diac. card. sancte Marie Noue ss.

Ego Hiacintlius diac. card. sancte Marie in Cosmedin ss.

Dat. apnd Marturam per manum Gruidonis S. R. E. diaconi cardinalis et cancellarii, X kal. februarii, indictione X, incarna- tionis dominice anno MCXLYI, pontificatus uero domini Eugenii III pape anno secundo.

U.

Anasfasius IV. erneuert den zwischen Eugen HL und dem AU Bainerius von Monte Amiata über das Kastell Badicofani abge- schlossenen Vertrag. Lateran 1153 Oktober 23.

Kopie von 1249 Aug. 3 Born Vat. Arch. Arm. C fasc. 27 n. 1 [BJ. Kopie im Botulus saec. XIII Siena Arch. di stato (1050 agosto 6). C. Fatteschi Exemplaria instrumentorum ac diplomatum . . in tabulario coenobii s. Salvatoris Montis Amiati existentium vol. II p. 317 n. 340, Born Bibl. Vittorio Emanuele cod. 215 (cod. Sessor. 2119).

J-L. 9749 cit. nach J. v. PflugJc-Harttung Iter p. 247 n. 468. Die Kopie im Vaticanischen Archiv ist die bessere; sie gibt auch allein das vollständige Eschatokoll. Der Text selbst ist eine ivört- liche Wiederholung des Privilegs Eugens III. von 1153 Juni 20 J-L. 9732, und ist dann wieder von Innocenz III. 1198 Juni 10 erneuert worden. Vgl. Italia pontificia III 242 n. 17.

Anastasius episcopus seruus seruomm Dei. Dilecto filio E,ai- nerio abbati monasterii ") sancti Saluatoris de Monte Amiato sa- lutem et apostolicam benedictionem. Rerum gestarum series

ideo litterarnm fidei commendatnr, ne ipsarum ueritas in posterum memorie subtrahatur. Qualiter igitur consentientibus fratribus tuis monacis atque conuersis et uassalHs commissi tibi monasterii propria et spontanea uoluntate tua, in presentia fratrum nostrorum episcopornm et cardinalium, integram medietatem castri Radecofani predecessori nostro beate memorie Eugenio pape eiusqne cathoUcis successoribus et beato Petro sancteque Romane ecclesie, cni licet inmeriti largiente Domino deseruimus, in perpetuum locasti, con- cessisti*^ et instrnmenti pubHci pagina roborasti, quemadmodum

ä) monasterii fehlt in B. b) concesisti B.

242 P- Kehr,

in eodem autentico instrumento continetur, presentis scripti serie precepimus annotari. Tu siquidein, dilecte fili''^ in Domino Raineri abbas, integram predicti castri medietatem cum dimidia in integrum parte totius curtis eins, cum tenimentis suis et burgo de Calemala, bandis, placitis, districtu et omni honore ipsius*^) castri, omnia in integrum, pro medietate ipsi suisque catholicis successoribus lo- casti et concessisti, exceptis antiquis possessionibus , que etiam tempore comitum per speciales et proprios ministros monasterii tenebantur et custodiebantur ad usus fratrum ibidem seruientium, et feudis et libellariis, que similiter nomine tantum monasterii detinebantur , reseruato etiam monasterio saneti Saluatoris iure ecclesiarum, quod in eis habet, in burgo quoque de Calemala red- ditus panis et uini, qui de agris et uineis soluitur, pensiones etiam monasterio tuo integre reseruando. Omnes autem homines ipsius castri nobis nostrisque catbolicis successoribus contra omnes ho- mines fidelitatem iurabunt; tibi quoque abbati tuisque catholicis successoribus fidelitatem facient, sie tamen, ut, si quando tu uel successorum tuorum quilibet preter tenorem hac cartula compre- hensum castrum ipsum nobis nostrisque catholicis successoribus sancteue Romane ecclesie aufferre tentaueritis uel castrum ipsum uel quamlibet partem eins cuiquam in feudum uel quolibet alio modo concesseritis aut concessum seruaueritis et requisiti infra tres menses non emendaueritis , a fidelitate tua sint soluti et ca- strum ipsum in ius beati Petri et sancte Romane ecclesie deuol- uatur. Si uero nos uel successorum nostrorum quilibet tibi uel successorum tuorum alicui uel monasterio soluere designatum censum cessauerimus uel custodiam uestram nos uel eustodes nostri eiece- rimus et infra tempus subscriptum non emendauerimus, tunc a fide- litate nostra nostrorumque successorum soluantur. Ad inditium autem, quod castrum ipsum monasterii saneti Saluatoris iuris et pro- prietatis semper existat, ad uestimenta monachorum nos nostrique successores tibi tuisque successoribus et monacis, qui pro tempore ibi fuerint, sex marcas puri argenti annis singulis in mense madio pro pensione persolaemus. Hoc autem duxisti adnectendimi, ut castrum ipsum per eustodes proprios nostros nostrorumque succes- sorum, assumptis secum duobus uel tribus custodibus tuis tuorum- que successorum semper teneatur, per quos et per alios homines ipsius castri et a nobis nostrisque successoribus, sicut quod iuris beati Petri existit, monasterium ipsum cum bonis suis a prauorum hominura incursibus defendatur, nec'^ ab eisdem fraudulenter-^ nee

c) filii Ä d) issius B. e) ne B. f) fradulenter B,

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 243

malitiose perturbetur et ipsum castrum in alicuius alterins dominio uel potestate siue custodia nullo umquam in tempore transferatur et omnes custodes nostri uel nostrorum successorum, qui ibi pro tempore fuerint, quod tibi et monasterio in ipso castro reseruatum est, tibi tuisque successoribus conseruare iurabunt. Si uero su- pradictus census aliquo casu per tres annos solutus non fuerit et nos siue successores nostri ter requisiti et in quarto anno in^^ in- tegrum persolui non fecerimus siue etiam custodes monasterii uestri ab hominibus nostris de castro eiecti fuerint et infra tres menses, postquam''^ tertio requisiti fuerimus super adiecto tempore ad iter faciendum et ad custodiam monasterii opportune reuocan- dam sine utriusque partis malitia sufiiciente restituta non fuerit, hec locationis cartula de cetero uiribus careat. Si quando etiam nos qualibet ex causa castrum ipsum ad manus nostras retinere noluerimus, ipsi monasterio uestro absque inpensarum recompen- satione restituemus, eo tamen tenore, ut quandocumque nos uel successorum nostrorum catbolicus quilibet castrum ipsum ad manus nostras reuocare uoluerimus, simili tenore absque omni contra- dictione et inpensarum restitutione nobis restituatur.

R. Ego Anastasius catbolice ecclesie episcopus ss. BV.

f Ego Hugo Hostiensis episcopus ss. t Ego Guido presb. card. tit. sancti Grrisogoni ss. f Ego Hubaldus presb. card. tit. sancte Praxedis ss. f Ego Manfredus presb. card. tit. sancte Sauine ss. f Ego Aribertus presb. card. tit. sancte Anastasie ss. f Ego lulius presb. card. tit sancti Marcelli ss. f Ego Gruido presb. card. tit. Pastoris ss. f Ego Astaldus presb. card. tit. sancte Prisce ss. f Ego Johannes Paparo sancti Laurentii in Damaso presb. card. ss. f Ego Centius presb. card. tit. sancti Laurentii in Lucina ss. f Ego Henricus presb. card. tit. sanctorum Nerei et Achilei*^ ss.

f Ego Oddo diac. card. sancti Greorgii ad Velum aureum ss.

t Ego Gruido diac. card. sancte Marie in Porticu ss.

f Ego lacintus diac. card. sancte Marie in Cosmedin ss.

f Ego Oddo diac. card. sancti Nicolai in carcere Tulliano ss.

Dat. Laterani per manum Rollandi sancte Romane ecclesie presbyteri cardinalis et cancellarii, X kal. nouembr. , indictione prima, incarnationis dominice anno M^.C^.L^.III, pontificatus uero domni Anastasii pape IUI anno primo.

g) in fehlt in B. h) posquam B. i) Archilei B.

244 P. Kehr,

13.

Hadrian IV. nimmt das Kloster S. Lorenzo alV Änso (delV Ar- denghesca) unter dem Abt Johannes nach dem Vorgange Celestins II., Lucius' IL und Eugens HL in den apostolischen Schutz und bestätigt die namentlich aufgezählten Besitzungen^ den Zehnten und das Auf- nahmerecht j gegen jährlicJie Zahlung von zwei Luccheser Schillingen,

Lateran 1157 April 22,

Orig. Bologna Arch. di stato (S. Saluadore).

Die Abschrift verdanke ich Herrn Prof. A, Gaudenzi. Das Kloster DelV Ardenghesca (vgl. Repetti Dizionario 1 4) Jcam 1440 durch Eugen IV. an die regulierten Chorherren von S. Salvadore in Bologna, deren Sitz in Siena die Kirche S. Maria degli Angeli war. Während hier die andern ürJcunden des Klosters blieben, bis sie in das Staats- archiv von Siena kamen, ward die Urkunde Hadrians IV. offenbar als eine Art von Rekognitionsurkunde im Hauptarchiv der Kanoniker von S. Salvadore aufbewahrt, aus dem sie in das Staatsarchiv in Bologna gelangte, wo sie Herr Dr. A. Hessel auffand. Der Text ist eine ziemlich wörtliche Wiederholung der Vorurkunden Celestins IL J-L. 8439, Lucius" LI. J-L. 8631 und Eugens LIL J-L. 8791. Vgl. Italia pontificia III 266 n. 4.

ADRIANVS EPISCOPVS SERYVS SERVORVM DEI. DILECTIS FILIIS lOHANNI ABBATI MONASTERII SANCTI LAVRENTH IVXTA FLVVIVM QVOD«) ANSO DICITVR SITVM«) EIVSQVE FRA- TRIBVS TAM PRESENTIBVS QVAM FVTVRIS REGVLAREM VI- TAM PROFESSIS IN PERPETVVM. | Religiosam nitam eligen-

tibus apostolicum conuenit adesse presidium, ne forte cuiuslibet temeritatis incursus aut eos a proposito reuocet aut robur, quod absit, sacre religionis infringat. Qno|circa, dilecti in Domino filii, uestris instis postulationibus clementer annuimus et predecessorum nostrorum felicis memorie CELESTINI, LVCII et EVGENII Roma- norum pontificum uestigiis | inherentes, prefatum beati LAVRENTTI monasterium , in quo diuino mancipati estis obsequio , sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti priui- legio communimus. Statuenjtes, ut quascumque possessiones , que- cumque bona idem monasterium impresentiarum iuste et canonice possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum uel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis prestante

a) sie.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens n. 245

Domino poterit adipisci, firma uobis uestrisque successoribus et illibata permaneant. In quibus hec propriis dnximus exprimenda nocabulis: ecclesiam | sancte Trinitatis de [Orjgia^^ et hospitalem domum eiusdem loci cum omnibus suis pertinentiis, ecclesiam de Monte Sizi cum omnibus suis pertinentiis et quod iuste tenetis | in ecclesia de Stiliano, ecclesiam de Modani cum omnibus suis per- tinentiis, castrum de Ciuitella cum suis appenditiis et cum duabus ecclesiis in ipso | constructis, ecclesiam uidelicet sancti Sebastiani infra castellum positam, ecclesiam sancti Martini^) extra castellum sitam, duas portiones de ca|stello et curte Montis uiridis, ecclesiam de Signano et tres portiones ipsius uille, ecclesiam sancti Donati cum rebus ad ipsam pertinentibus, ecclesiam sancti Bartbolomei de Lam|pognano cum ipsa uilla, ecclesiam sancti Anastasii et ipsius castri duas partes, ecclesiam sancti Andree de Suuarella cum ipsa uilla, ecclesiam sancti Laurentii et eiusjdem castelli duas partes. Decimationem allodii in*^^ eiusdem monasterii, quod in Senensi episcopatu situm est, quemadmodum a Senensibus episcopis bone memorie lobanne uidelicet | et Radulfo uobis concessa est, simüiter confirmamus. Concedimus etiam nobis, ut, si aliqua libera persona siue in uita siue in morte uestro monasterio se | conferre uoluerit, recipiendi eam absque alicuius contradictione liberam habeatis fa- cultatem, saluo tamen iure matricis ecclesie. Decernimus ergo, ut nulJi omnino hominum | liceat supradictum monasterium temere perturbare aut eins possessiones auferre uel ablatas retinere, mi- nuere seu quibuslibet uexationibus fatigare, sed illibata | onmia et integra conseruentur, eorum, pro quorum gubernatione et susten- tatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua sedis apo- stolice auctoritate et dyocesanorum episcoporum | canonica iustitia. Ad indicium autem huius a sede apostolica percepte protectionis duos Lucensis monete solidos nobis nostrisque successoribus annis singulis persoluetis. | Si qua igitur etc, Cunctis autem etc, AMEN. AMEN. AMEN. |

E,. Ego Adrianus catbolicQ Qcclesi§ episcopus ss. BV. f Ego Grregorius Sabinensis episcopus ss. f Ego Manfredus presb. card. tit. sancte Sauine ss.

f Ego Octauianus presb. card. tit. sancte Cecilie ss.

V) Or scheint von späterer Hand ausradiert zu sein. c) Martini stand

sicher ursprünglich da, ist aber dann durch Basur von ti ganz undeutlich ge- worden, ohne daß die Absicht des Korrektors (Materni?) klar wird. d) sie.

Kgl. Ges. d. Wies. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse. 1908. Heft 2. 17

246 P- Kehr,

f Ego lohannes presb. card. tit. sanctomm Siluestri et Martini ss. i f Ego Odo diac.*) card. sancti Georgii ad Velum auremn ss.

f Ego Rodulfas diac. card. sancte Lncie in Septasolis ss.

f Ego Gruido diac. card. sancte Marie in Porticu ss.

f Ego lacintus diac. card. sancte Marie in Cosmydin ss.

f Ego Ardicio diac. card. sancti Theodori ss.

f Ego Boso diac. card. sanctomm Cosme et Damiani ss.

f Ego Albertus diac. card. sancti Adriani ss.

Dat. Lat. per manmn Rolandi sanct§ Romane ecclesi^ presby- teri cardinalis et cancellarii , X kal. maii , indictione V , incar- nationis dominice anno M^.C^.L^.VII^, pontificatus uero domni ADRIANI pape III anno tertio.

B.

e) diaconus diaet Or.

13.

üadrian IV. bestätigt dem Erzpriester Pepo und den Kanonikern von S. Sisto in Viterbo das Statut des Bischofs Genso von Tosca- nella über die Zehnten und Oblationen,

Anagni (1159) August 5.

Kopie von 1280 Neapel Arch. di stato (Fergamene Farnesiane).

In dem Fonds von S. Sisto, der sich im Archiv der Farnese in Neapel befindet (vgl. Gott. Nachr. 1901 S. 211), fand P. Egidi noch ein kleines Privileg Hadrians IV., das M. Klinkenborg seiner Zeit entgangen war. Ich teile es hier nach der Abschrift EgidVs mit. Vgl. Italia pontif II p. 210.

Adrianus episcopns semus seruorum Dei. Dilectis fiüis Pe- poni arcbipresbytero et ceteris canonicis ecclesie s. Xisti salutem et apostolicam benedictionem. Ea que a uenerabilibus fratribus nostris episcopis rationabiliter statuuntur, in suo debent statu persistere et, ne processu temporis alicuius temeritate turbentur, fanore nostro ea conuenit et anctoritate firmari. Eapropter, di-

%

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 247

lecti in Domino filii, petitioni nestre benignum impertientes assen- smn, quod uenerabilis frater noster Gr. Tuscanensis episcopus super decimationum prouentu et oblationibus tarn niuorum quam mor- tuorum parrochie uestre rationabili prouidentia statuit et in scripto eins dicitur contineri, auctoritate apostolica confirmamus et pre- sentis scripti patrocinio communimus. Nulli ergo omnino hominum liceat hanc paginam nostre confirmationis infringere uel ei aliqua- tenus contraire. Si quis autem hoc attemptare presumpserit, in- dignationem omnipotentis Dei et beatorum Petri et Pauli aposto- lorum eins se nouerit incursurum.

Dat. Anagnie") non. augusti.

a) Ang.

14.

Alexander III. nimmt das Kloster S. Maria di Bibbona unter dem AU Martin nach dem Vorgange B.adrians IV. in den apostoli- schen Schutz, bestätigt die namentlich aufgeführten Besitzungen, die von Bischof Galgan von Volterra verliehenen Zehnten, unterwirft es dem päpstlichen Stuhl und verleiht die freie Wahl des Bischofs für die bischöflichen Leistungen, die Sepultur, das Wahlrecht und Freiheit von Interdikt gegen einen jährlichen Zins von ewei zweipfündigen Wachsherzen. Benevent 1168 Mai 20.

Orig. Florenz Arch. di stato (Vallomhrosa) . C. Margarini Uiesaurus historicus vol. III f. 828, s. XVII, Born Vat. Arch. Arm. LIV t. 3 (aus dem verlorenen Begistrum Vallis ümbrosae f. 85 elie- mals in S. Prassede in Bom). (Nannini) Bullarium Vallumbro- sanum vol. I p. 172, s. XVIII, Pescia Collegio di S. Giuseppe. (Genovini) Liber bullarum a. 1704 f. 65 ebenda. Privilegia con- gregationis Vallumbrosanae f. 24', s. XVIII, ebenda. Nardi Memorie Vallmnbros. vol. p. 291, s. XVIII, ebenda.

Die Urkunde, deren Vorurkunde Hadrians IV. nicht erhalten ist, ist gedruckt bei Nardi Bull. Vdllumbr. p. 38, der aber den alten Titel s. Marie, quod apud Mansium situm est durch s. Mariae, quod apud ßibbonam situm est willkürlich ersetzt hat. Aus Nardi resp. Nardi' s Quelle citieren die Urkunde Tamburini De iure abbatum, Sarnelli Memorie de' vescovi di Benevento p. 98, Lami in Hodoe- poricon II (Bei. erud. 1741) p. 360. Aus Sarnelli J-L. 11402. Kdltenbrunner in Wiener SB. XCIV 668 n. 7623a gab ein neues Begest mit der richtigen Adresse aus dem Original, und da Loewen-

17*

248 P- Kehr,

feld nicht wußte, daß es sich um dieselbe UrJcunde und um das gleiclie Kloster handelte, notierte er sie noch einmal unter J-L. 11403. üeber die Abtei S. Maria del Mansio oder Masio oder auch Abazia di Bib- bona , vgl, Bepetti Dizionario I 6, Obwohl sie ein zinspflichtiges Schutzkloster des h. Stuhles war, wie aus dem Privileg Alexanders III. hervorgeht, steht sie nicht im Cencius. Vgl. auch Italia pontif. III 294.

ALEXANDER EPISCOPVS SERVVS SERVORVM DEI. DI- LECTIS FILIIS MARTINO ABBATI MONASTERII SANCTE MARIE QVOD APVD MANSIVM SITVM EST EIVSQVE FRATRIBVS TAM PRESENTIBVS QVAM FVTVRIS REGVLAREM VITAM PROFESSIS IN PERPJßTVTM. I Religiosam tiitam eligentibus apostolicum

conuenit adesse presidium, ne forte cuiuslibet temeritatis incursus aut eos a proposito reuocet ant robur, quod absit, sacre religionis infringat. Eapropter, | dilecti in Domino filii, uestris iustis postu- lationibus clementer annuimus et prefatum monasterium, in quo diuino mancipati estis obsequio, ad exemplar predecessoris nostri felicis memorie ADKIANI PAPE | sub beati Petri et nostra pro- tectione suscipimus et presentis scripti priuilegio communimus. Statnentes, ut qnascumque possessiones, quecumque bona idem mo- nasterium impresentiarum iuste et canonice posjsidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum uel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis prestante Domino poterit adipisci, firma uobis uestrisque successoribus et illibata permaneant. | In quibus hec propriis duximus exprimenda uocabulis: ecclesias sanc- torum Petri, Hylarii, Romani et Christ ofori infra episcopatum Lu- canum cum cimiteriis et oblationibus seu ceteris ad eas pertinen- tibus bonis, | ecclesias quoque sanctorum Christofori et Cerbonii infra Vulterranum episcopatum cum omni iure et actione sua uobis uestrisque successoribus regulariter regendas semper ac dis- ponendas possidendasque firmamus. Decimas | uero a Gualgano Vulterranensi episcopo canonice uobis concessas et scripti sui mu- nimine roboratas, quemadmodum in eins scripto autentico contine- tur, auctoritate sedis apostolice uobis nichilominus confirmamus. | Statuentes preterea, ut idem cenobium cum monachis et omnibus ibi Deo seruientibus ab omni secularis seruitii sint infestatione securi omnique grauamine mundane oppressionis remoti, in sancte religionis obseruatione | persistant, nee ulli aHi nisi Romane et apostolice sedi, cuius iuris ipse locus est, aliqua teneantur occa- eione snbiecti. Crisma quoque, oleum sanctum, consecrationes alta- rium seu basilicarum et ordinationes | clericorum a quocumque malueritis suscipietis episcopo. Sepulturam quoque ipsius loci li-

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 249

beram esse concedimus , ut eomm deuotioni et extreme noluntati, qui se illic sepeliri deliberauerint, nisi forte excommunicati uel interdicti | sint, nuUus obsistat, salua tarnen iustitia parrochialium ecclesiarum, de quibus mortuorum corpora assumuntur. Obeunte uero te, nunc eiusdem loci abbate, uel tuorum quolibet successorum, nullus ibi qualibet surrep|tionis astutia seu uiolentia preponatur, nisi quem fratres communi assensu uel fratrum pars consilii sani- oris secundum Dei timorem et beati Benedicti regulam de suo uel de alieno, si oportunum fuerit, coUegio prouiderint eli|gendum. Electus autem ad sedem apostolicam benedicendus accedat. Ad hec adicimus , ut nulli episcoporum facultas sit , monasterium uestrum uel monacbos seu etiam clericos uestros et ecclesiarum uestrarum nisi pro euidenti et manifesta culpa | interdicto subicere aut excommunicationis sententiam in eos promulgare. Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat supradictum monasterium temere perturbare aut eins possessiones auferre uel ablatas | reti- nere, minuere seu quibuslibet uexationibus fatigare, set illibata omnia et integra conseruentur , eorum, pro quorum gubernatione et sustentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua sedis apostolice auctor|itate et in predictis cappellis dyocesanoram episcoporum canonica iustitia. Ad indicium autem percepte a E,o- mana ecclesia libertatis annuatim cereos duos duarum librarum nobis nostrisque successoribus persoluetis. Si qua igitur etc. Cunctis autem etc. AMEN. AMEN. AMEN. |

R. Ego Alexander catholice ecclesie episcopus ss. BY.

f Ego Hubaldus Hostiensis episcopus ss.

f Ego Bernardus Portuensis et sancte Buiine episcopus ss. f Ego Hubaldus presb. card. tit. sancte Crucis in Jerusalem ss. f Ego lobannes presb. card. sanctorum lohannis et Pauli tit. Pa-

macbii ss. f Ego lobannes presb. card. tit. sancte Anastasie ss. f Ego Tbeodinus presb. card. sancti Yitalis tit. Vestine ss.

f Ego lacintus diac. card. sancte Marie in Cosmydyn ss.

f Ego Ardicio diac. card. sancti Theodor! ss.

f Ego Manfredus diac. card. sancti Greorgii ad Velum au-

reum ss. f Ego Hugo diac. card. sancti Eustachii iuxta templum

Agrippe ss. f Ego Petras diac. card. sancte Marie in Aquiro ss.

Dat. Beneuent. per manum Grratiani sancte E-omane ecclesie

250 P. Kehr,

subdiaconi et notarii, XTTI kal. iun. , indictione I, incarnationis dominice anno M^C^L^XyilP«), pontificatus uero domni ALEXAN- DRI*) pape III anno Villi.

B. dep.

ä) M^'.C^'.LXVIII® auf Rasur und von späterer Hand nachgezogen, h) ebenso ALEXANDRI.

15.

Alexander HL bestätigt dem Kloster des h. Gorgonius (auf der Insel Gorgona) die von dem Biscltof Tedald von Mariana geschenkte Fieve S. Maria de Capella.

Benevent (1168—69) Mai 19,

Orig. Ajaccio Archives departementales de la Corse (Gorgonne H 1. 21). Notarielle Kopie von 1503 Feh. 3 ebenda (H 2. 85).

Die Abschrift besorgte Dr. H, Niese. Citiert von v. Pflugh- Harttung Iter p. 268 n. 596. Danach J-L. 11537. Die im Text angezogene Urkunde des Bischofs Tedald von Mariana für den Abt Sigismund von Gorgona trägt die Daten 1126, non. april., ind. 6.

ALEXANDER episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Gr. abbati et fratribus monasterii sancti Grorgonii salutem et | apo- ßtolicam benedictionem. lustis petentium desideriis dignum est nos facilem prebere consensum et | uota, que a rationis tramite non discordantj effectu sunt prosequente complenda. Eapropter, | dilecti in Domino filii, uestris instis postulationibus grato con- currentes assensu, plebem sancte | Marie de Capella, cum omnibus pertinentiis suis a bone memorie Ted(aldo) quondam Maranensi episcopo I sub statuto censu duodecim denariorum per annos sin- gulos exsoluendo canonice monasterio uestro con|cessam, sicut in autentico scripto exinde facto contineri'dinoscitur, uobis et per uos eidem mona|sterio auctoritate apostolica confirmamus et pre- sentis scripti patrocinio communimus. Statuentes, | ut nulli om- nino hominum liceat hanc paginam nostre confirmationis infringere nel ei aliquatenus contraire. Si quis autem hoc attemptare pre- sumpserit, in|dignationem omnipotentis Dei et beatorum Petri et Pauli apostolorum eins | se nouerit incursurum. Dat. Beneuent. XIIII kal. innii. |

B. dep.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens 11. 251

16.

Alexander 111. befiehlt den Mönchen^ Prioren, Priestern, Kon- versen und Patronen des Klosters PassignanOj dem neugewählten unp von ihm bestätigten Abt Jacob von Vallombrosa die schuldige Oboedienz zu leisten und mr Wiedereinsetzung des Abtes Lambert von Pas signano Hülfe zu leisten, Benevent (1169) Februar 17.

Orig. Florenz Ar eh. di stato (Passignano 1255 febbrajo 17).

Ed. Soldani Lettera sopra il monacato di S. Gregorio VII p. 65 Vgl. Davidsohn Forschungen 1180 n. 56 zu 1169 (vgl. auch S. 105) und Italia pontif. 111 106 n. 8.

[Alexajnder episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis monachis, prioribus, presbiteris, conuersis | [et patjronis monasterii de Passignano in tmitate ecclesie consistentibus salutem et aposto- licam I [benedictionem]. Certa uobis significatione presentium inno- tescat, quod nos mnltis argnmentis et | [injdiciis eognoscentes, qnod dilectns filius noster lac(obus) nunc Vallimbrosanus abbas ad I [hon]orem Dei et Romane ecclesie ac nostrum imanimiter et concorditer ftiisset electus, nee | [illjud detestabile et profanum sacramentum fecisset, ipsam in plenitudinem gratie nostre | [r]ece- pimus et electionem eins auctoritate duximus apostolica confir- mandam. Inde | est quod per apostolica uobis scripta precipiendo mandamus, quatinus eidem lac(obo) | tamquam abbati [et] magistro uestro debitam obedientiam et reuerentiam exlii|bentes, ei ad resti- tuendum dilectum filium nostrum Lambertum abbatem monasterii | uestri et in alüs, sicut conuenit, unanimiter assistatis et ita ad hoc efficien|dum cum eo pariter diligentem et sollicitam operam adMbere curetis, quod | religio et discretio uestra uideatur exinde commendanda. Dat. Beneuenti | XIII kal. mar. |

B. dep.

17.

Alexander 111. nimmt die Kirche S. Trinitä di Alfiano unter dem Prior Gregor in den apostolischen Schutz, bestätigt die Regel von Vallombrosa, die namentlich aufgeführten Besitzungen und Zehnten^ und verleiht das Begräbnis-^ das Aufnahme- und das Wahlrecht mis Zustimmung des Abts von Passignano.

Cornelii Mar gar im Thesaurus historicus vol. 111 f. 344 s. XVll Bom Vat. Arch. Arm. LIV t. 3 aus dem verlorenen Begistrum Valli*f

252 P- Kehr,

Umhrosae f. 88, ehemals im Archiv von S. Frassede in JRom [CJ. (Nannini) Bull. Vallumhrosan. t. I p. 181, s. XVIII ^ Fescia Colle- gio di S. Giuseppe aus dem gleichfalls verlorenen Frotocollum I f. 8. 0 Genovini Liher hullarum von 1704 f. 69 ebenda. Frivilegia congregationis Vallumhrosan. s. XVI II f. 25 ebenda. Auszug in Ughelli's Monumenta varia sacra s. XVII f. 208, cod. Vat. Barb. 3221 (XL 18, olim 3689),

Ed. Nardi Bull. Vallumhr. p. 40 [NJ. Die Besitzungen sind Hospitale, quod est iuxta castrum q. d. Montone, molendinum de ßiloco"^ cum uinea, silnam^^ de Mazzano, molendinTim'^) de Bozzone cum terra contigua. Zur Sache vgl. Italia pontif. III 222 n. 2.

Alexander episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Grre- gorio priori ecclesi^ sanct§ Trinitatis de Alphiano eiusque fra- tribus tarn pr^sentibus quam futuris canonice substituendis in per- petuum. Quotiens illud a nobis.

Ego Alexander catholic^ ecclesi^ episcopus ss.

Ego TJbaldus Hostiensis episcopus ss.

Ego Bernardus Portuensis et*^^ sanct§ RufinQ episcopus ss.

Ego Oddo Tusculanus episcopus ss. Ego Johannes presb. card. sanctorum lohannis et Pauli tit. Pa-

machii ss. Ego Hdebrandus *^ basilicQ XII Apostolorum presb. card. ss. Ego lohannes presb. card. tit. sanct§ Anastasi^ ss. Ego Albertus presb. card. tit. sancte Laurentii in Lucina ss. Ego Gruilielmus presb. card. tit. sancti Petri ad Yincula ss. Ego Boso presb. card. sanct^ Pudentian^ tit. Pastoris ss. Ego Petrus presb. card. tit. sancti Laurentii in Damaso ss.

Ego lacinctus-'^ diac. card. sanct^ Mari^ in Cosmedin ss.

Ego Ardicio diac. card. sancti Theodori ss.

Ego Manfredus diac. card. sancti Greorgii ad Velum au- reum ss.

Ego Ugo diac. card. sancti Eustachii iuxta templum AgrippQ^) ss.

Datum Tusculani *^ per manum Gratiani *) S. R. E. subdiaconi et notarii, octauo idus maii, indictione ni*\ incarnationis dominic^ anno M^.C.LXXI, pontificatus uero domini Alexandri pape III anno XIL

a) Diloco N. h) sylua C N. c) monendinum C. d) presbiter

et C; presb. card. N. e) Adobrandus C; Aldobrandus N. f) Hiacyn-

thus N. g) Agippe C. h) Tusculi CN. t) Gregorii CN.

k) m C, cwr. aus IUI; 4^".

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 253

18.

Alexander 111, bestätigt den Schiedsspruch der Prioren von S, Fier Scheraggio und S. Jacopo (in Florenz) in der Streitsache zwischen dem Kloster S. Michele di Poggio di S. Do7tato in Siena und dem Abt von Vallombrosa und dem Kloster Passignano,

Anayni (1174) März 30.

Kopie s. Xlll Florenz Arch. di stato (Passignano 1255 marzo 30 als Alexander IV).

Ed. Soldani Letter a sopra il monacato di S. Gregorio ¥11 p. 66. Vgl. Davidsohn Forschungen 1 184 n. 70 zu 1176 März 30 und Italia pontif. 111 108 n. 18.

Alexander episcopus seruus seruornm Dei. Dilectis filiis ab- bati, priori et ceteris fratribus, monacliis, clericis et conuersis mo- nasterii de podio sancti Donati,Senensis salutem et apostolicam bene- dictionem. Ex litteris dilectorum filiorum nostrornm sancti Petri de Scaradio et sancti lacobi priorum, quibus causam, que inter uos et Vallenbrosanum abbatem et abbatem et fratres Passinianenses super subiectione et libertate uestri monasterii uertebatur, de as- sensu partium commiseramus , euidenter nobis innotuit, quod, cum ipsi predictum Vallenbrosanum abbatem legitime citassent, eo suum iudicium recusante subire, possessionem monasterii uestri predicto Passinianensi abbati et monasterio suo in dispositione et ordina- tione eiusdem monasterii uestri, salua questione proprietatis, ad- iudicarunt. Unde nos sententiam eorundem iudicum«) ratam ha- bentes et firmam eamque auctoritate apostolica confirmantes, per apostolica uobis scripta mandamus et in uirtute obedientie preci- pimus, quatinus predicto abbati de Passiniano, sicut magistro et prelato uestro, debitam obedientiam et reuerentiam inpendatis et eins monitis et mandatis in bis, que Dei sunt, deuote et humiliter pareatis , ut sicut obedientie filii obedientie uideamini sequi uir- tutem. Si qui autem ex uobis iam dicto abbati contumaces fuerint uel rebelies, sententiam, quam ipse in eos propter hoc canonice de- derit, nos auctore Domino ratam et firmam habebimus eamque fa- ciemus usque ad dignam satisfactionem inuiolabiliter obseruari. Dat. Anagn. III kal. april.

a) iudicium.

254 P- Kehr,

19.

Alexander IIL nimmt die Kirche der h. Maria in Bisa unter dem Erzbischof Huhald nach dem Vor gange Innocenz^ IL, Eugens III., Anastasius' IV, und Hadrians IV. in den apostolisclien Schutz und bestätigt ihr die genannten Besitzungen, Ffarrlcirchen und Kapellen.

Anagni 1176 April 11.

Orig. Pisa Ar eh. di stato (Atti pubblici).

Die Urkunde steht auch kopiert im Kopialbuch von Pisa s. XVI f. 78 Rom Arch. Vat. Arm. XXXII t. 16, ivoraus sie Contelori Bidlae et brevia Alexandri III., ebenda, Mise. Arm. VII t. 127 ab- schrieb. Von den Vorurkunden ist nur Innocenz IL von 1137 März 5 J-L. 7830 erhalten, diejenigen Eugens IIL, Anastasius' IV. und Ha- drians IV. sind nicht auf uns gekommen. Deshalb rechtfertigt sich die volle Wiedergabe des Textes. Die Urkunde erwähnt Mattei Eccl. Pis. hist. I 238. Sie ist registriert von J. v. Pflugk-Harttung Iter p. 279 n. 658, Gott. Nachr. 1897 p. 209 n. 11 und J-L. 12693.

ALEXANDER EPISCOPVS SERVVS SERVORVM DEL VENE- RABILI FRATRI HVBALDO PISANO ARCHIEPISCOPO EIVSQVE SVCCESSORIBVS CANONICE SVBSTITVENDIS IN PERPETWM. | Fratres nostros episcopos, qui sunt in partem soUicitudinis euo- cati, et illos precipue, qui honestate, prudentia et religione pol- lere noscuntur, ampliori nos conuenit caritate diligere et eos in sinn I sacrosancte Romane ecclesie specialius confouere, quatinus studiosius commisse sibi ecclesie negotia peragere possint, cum se cognouerint apostoKce sedis patrocinio familiarius communiri. £a- propter , uenerabilis frater Hubalde | archiepiscope , tuis iustis postulationibus benignum impertientes assensum, ad exemplar pre- decessorum nostrorum felicis memorie Innocentii, Eugenii, Anasta- sii atque Adriani Romanorum pontificum ecclesiam beate Dei ge- nitricis semperque uirginis Marie , cui Deo auctore preesse dino- sceris, cum omnibus") ad eam pertinentibus sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti priuilegio com- mnnimus. Statuentes , ut decime Pisani episcopatus , que | tibi competunt, secnndum sanctomm canonum instituta in tua et suc- cessorum tuorum dispositione consistant. Honestas quoque per- sonas in episcopali sede ac prefata beate Dei genitricis Marie ecclesia iaxta sanctiones canonum I ordinäre et ibidem canonicos

a) Omnibus auf Rasur.

Nachträge zu den Papstirrkunden Italiens II. 255

statnere et que ibidem fuerint corrigenda canonice corrigere seu alias plebes ael capellas tuas disponere nichilomiiius habeas facul- tatem. Decernimus etiam, ut quascumque possessiones, | quecum- que bona prefata beate Marie ecclesia in presentiarum iuste et canonice possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum uel principum, oblatione fidelinm seu aliis iustis modis prejstante Domino poterit adipisci, firma tibi tuisque successoribus in perpetuum et illibata permaneant. In quibus hec propriis du- ximus exprimenda uocabulis : uidelicet eastrum et curtem de Nu- bila, eastrum | et curtem de Lorentian(a), eastrum et curtem de sancta Lucia, eastrum et curtem de Monte Caluo, tres partes castri et podii de ripa Stricaria, nouem partes de quattuordecim partibus castelli et curtis Belo|ra et Boueclo, quintam partem curtis et castri de Segalari cnm omnibus aliis, que inibi habes, quicquid habes in Donnoratic(o) et in curte eins, quicquid habes in Castagneto et in curte eins, quicquid habes in | OHueto et in curte eins, et quicquid habes in curte de Bulgari, duas partes castri et curtis de Plumbin(o), placitum et fodrum de Vico, campum qui sancte Marie dicitur iuxta plebem et eastrum ipsius loci, cur- tem de I Blentina, placitum et fodrum sancti lohannis de Vena, placitum et fodrum de plebe de Cascina, placitum et fodrum de Silualonga , Gunfum nouum et uetus , placitum et fodrum de Buiti, placitum et fodrum de E,asinian(a) , placi|tum et fodrum de Vada, eastrum et curtem de Lari, medietatem castri et curtis de Ceule, medietatem castri et curtis de Lucagnan(o), placitum et fo- drum de Pustignan(o)j quicquid habes in Furcule et in | curte eins, quicquid habes in Casa noua et in curte eins, et eastrum de Laua- ian(o) cum curte eins, quicquid habes in Mastin(o} et in curte eins, quicquid habes in Strido et in curte eins, eastrum episcopi de Calci cum | curte sua, curtem de Pappian(a) cum suis pertinentiis, curtem de Auane cum morlo et bouario et aliis suis pertinentiis, tumulum ab Arno nsque ad stagnum, a terra filiorum Dodonis et Castagnolo usque ad mare et | a Coltano usque ad ^) mare, Tertiam in stagno positam, eastrum et curtem de Liuorn(a), eastrum et curtem de Vsiliano positum prope Kesinam, medietatem castri et curtis de Colliule, eastrum et curtem de Riojcauo, terram Vber- tingam, quartam partem totius terre filiorum Cantarucii, duas partes insularum, Palmaiole uidelicet et Cerui, possessiones quoque Baldinelli et filii Thocculi atque Sorelle, ecclesie tue concessas. Preterea plebes prefate Dei | genitricis ecclesie pertinentes tibi

b) vor ad ein Wort durch Masur getilgt.

256 P- Kehr,

tuisque successoribus nichilominus confirmamus, plebem uidelicet de Caicinaria cum capella sancti Angeli de Traualda, capellam de Rapida cum capella de Planethule et omnibus aliis capellis 1 eidem plebi pertinentibus, plebem de Buiti cum capella sancti Marci de Submonte et omnibus aliis suis capellis, plebem de vico Ausu- rissule cnm omnibus suis capellis, plebem sancti lohannis de Vena cum omnibus suis capeUis, plebem de Cascina | cum omnibus suis capellis, plebem sancti Cassiani cnm omnibus suis capellis, plebem sancte lulie cum omnibus suis capellis, plebem sancti Laurentii de Curte cum omnibus suis capellis, plebem de Calci cum omnibus suis capellis, plebem de Ascian(oj cum omnibus suis ca|pellis, plebem de Massa Zucculi cum capella sancte Agatbe de Clatri, capella sancti Prosperi de Bozano, capella de Balbano et aliis omnibus capellis suis, plebem de Auane cum omnibus suis capellis, plebem de Pugnan(o) cum capella de Laian(o) et omnibus aliis | suis capellis, plebem de Riulo , plebem de Arena , ecclesiam sancti Nicholai de Paratin(o), plebem de Liuorna, plebem de Larzenth cum omnibus suis capellis, plebem de Limon(a) cum omnibus suis capellis, plebem sancti Laurentii in Platba cum omnibus suis capellis, plebem | de Scutrian(a) cum omnibus suis capellis, plebem de Camaian(o) cum omnibus suis capellis, plebem sancti Angeli cum omnibus suis ca- pellis, plebem de Pomaria^^ cum monte Vaso et omnibus capellis suis, plebem de Rasignan(o) cum omnibus capellis suis, plebem | de Yada cum omnibus capellis suis, plebem de Ripalbella cum ecclesia sancte Perpetue et territorio sancti Cassiani de Molazan(o) et om- nibus aliis capellis eidem plebi pertinentibus et Pinistellum. Ut autem ad complementum securitatis | seu corroborationis horum omnium nichil uobis desit, cuncta, que in territoriis predictarum plebium seu etiam intra terminos plebium infra positarum, uide- licet plebis de Morrona, plebi s de Paua, plebis de Aqui, | plebis de Suuiliano, plebis de Triana, plebis de Miliana, plebis de Tri- pallo, plebis de Gello in Collin(is), plebis de Bibona, plebis de Paratino, iure proprietatis ad prefatam Pisanam ecclesiam perti- nent, auctoritate '^^ apostolica confirmamus, | saluo nimirum iure beati Petri et sancte Romane ecclesie. Nulli ergo omnino homi- num liceat predictam Pisanam ecclesiam temere perturbare aut eius possessiones auferre uel ablatas retinere, minuere seu quibus- libet uexatiojnibus fatigare, set illibata omnia et integra conser- uentur, eorum, pro quorum gubernatione et sustentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura. Si qua igitur in futurum eccle-

e) Pomaria z. 2 h. auf Rasur. d) corr. aus apost. auctoritate.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 257

siastica secularisue persona hanc nostre | constitutionis paginam sciens contra eam temere uenire temptauerit , secundo tertioue commonita, nisi presumptionem suam digna satisfactione correxerit, potestatis honorisque sui dignitate careat reamqne se diuino iujdicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissimo corpore ac sanguine Dei ac domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo examine districte ultioni subiaceat. Cunctis autem | eidem loco sua iura seruantibus sit pax domini nostri lesn Christi, quatinus et hie fructum bone actionis perci- piant et apnd districtum iudicem premia eterne pacis inueniant. AMEN. AMEN. AMEN. |

R. Ego Alexander catholice ecclesie episcopus ss. BV. f Ego Hubaldus Hostiensis episcopus ss. f Ego Bernardus Portuensis et sancte Rufine episcopus ss. f Ego Johannes presb. card. sanctorum lohannis et Pauli tit. Pa-

machii ss. f Ego Albertus presb. card. tit. sancti Laurentii in Lucina ss. f Ego Gruillelmus presb. card. tit. sancti Petri ad Yincula ss. f Ego Boso presb. card. sanct^ Pudentiane tit. Pastoris*) ss. f Ego lohannes presb. card. tit. sancti Marci ss. f Ego Theodinus presb. card. sancti Vitalis tit. Vestine ss. f Ego Manfredus presb. card. tit. sancte Cecilie ss.

f Ego Petrus presb. card. tit. sancte Susanne ss.

f Ego lac(intus) card. sancte [Majrie in Cosmidyn ss.

f Ego Cinthyus diac. card. sancti Adriani ss.

f Ego Hugo dyac. card. sancti Eustachii iuxta templum

Agrippe ss. f Ego Labor ans sanct§ Mari^ in Porticu diac. card. ss. f Ego Raynerius diac. card. sancti Georgii ad Velum au-

reum ss.

Dat. Anagnie per manum Grratiani sancte Romane ecclesie subdiaconi et notarii, III^ idus aprilis, indictione Villi, incarna- tionis dominice anno M°. C^. L^XXYP , pontificatus uero domini ALEXANDRI pape tertii anno septimodecimo.

B. dep.

e) tit. Past auf Rasur.

258 P. Kehr,

30.

Alexander III. bestätigt den zwischen dem Edlen Philipp de Marano und dessen Söhnen und dem Aht und den Mönchen von Sub- iaco abgeschlossenen Vergleich über das Lehen Jenne.

Anagni 1176 Juli 11.

Orig. Subiaco Ar eh. di S. Scolastica (I n, 3). Inseriert in Alexander IV. 1257 März 9 Orig. (I n. 63) und 1260 Sept. 9 Orig. (I n. 79) und JReg. Alexandri IV. a. VII n. 28 Paris Bibl. nat. lat. 4038 B. Bullarium Sublacense descr. per P. B. Cherubinum Mirtium a. 1623 f. 53 und f. 101' Subiaco Arch. di S. Scolastica (VI n. 15). Contelori, Bullae et brevia Alexandri III, s. XVII ^ Rom Vat. Arch. Mise. Arm. VII t. 127 (drei Kopien). C. Mar- garini Thesaurus hist. s. XVII t. III f. 373 und t. V f. 85 ebenda Arm. LIV [t. 3. 5 = Cod. Vat. lat. 7157 s. XVII f. 72. Reg. bei Massarelli Miscell. t. I f. 32 San Severino Bibl. comunale (ex re- gistro Alexandri IV.) und Galletti Miscell. t. IV Cod. Vat. lat. 7925 f. 98'.

Regg. Belisle in Bibliotheque de Vecole des chartes XXXVIII (1877) p. 110 aus Reg. Alexanders IV; Allodi La cronaca Sublacense del P. B. eher. Mirzio p.270; v. PflugJc-EarUung Iter p. 280 n. 661 (aus Orig.) und n. 662 (aus Vat. 7157) ; Federici Boc. n. 221 in I monasteri di Subiaco t. II (Roma 1904); J-L. 12724 und 12725. Bie UrJcunde, die für die Geschichte von Subiaco und die Ge- schichte der Feudalherren der Campagna im XII. Jahrhundert be- sonders wichtig ist, ist so oft abgeschrieben^ und registriert worden wie wenige, aber niemals im Wortlaut veröffentlicht. Ich trage ihn also hier nach. Zur Sache vgl. P. JEgidi in Monasteri de Subiaco t. I 107 und Italia pontif III 96 n. 49.

ALEXANDER episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis nobilibus tiiris Philippo de Marano et R. et B. filiis eius salutem et apostolicam benedictionem. Cum inter uos et abbatem et

fratres Sublacenses grauis | fuisset qnestio suborta, talem cnm eis in presentia nostra concordiam et compositionem fecistis, uidelicet quod abbas de auctoritate; nostra et assensu capitnli sui uobis Gennam**) et feodum | lohannis Rolandi uel cambium pro eo, si uolueritis, dedit et concessit, tali quidem tenore quod duo milites de hoc iurati intra spatium duorum mensium sine fraude arbitra- buntur, si propter | Pontiam super ''^ Gennam**^ et feudum lohannis

a) z. Th. auf Rasur. b) auf Rasur.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 259

Rolandi aliquid debeat predictus abbas addere et, si arbitrati fne- rint aliquid esse addendum, quantum arbitrium eorum dictauerit, addet. | Vos uero supradicta a monasterio suo in feudum tenebitis iuxta tenorem illmn, secundum qnem Pontiam tenere debuistis, re- tentis et seruatis abbati et fratribus ecclesiis, deci|inationibiis et mortuariis et data publica, quam abbas cum eo modo et mensura faciet, in qua dolus et immoderantia esse non uideatur, preter quam in alia abbatia; quam siquidem | datam tu, fili Ph., uel uos, filii R. et B., coUigetis et abbati uel cui preceperit assignabitis ; de qua tamen uobis assuetam assisam monete hominum uestrorum dabit et uos | guerram et pacem ad mandatum abbatis predicti monasterii facietis; abbas autem non auferet uobis predicta feuda sine forisfacto et eo iudicato, | unde uos terram perdere debeatis, unde uos per pugnam defendere non possitis, id est de uita, de menbris, de mala captione, de amissione terre siue | de recupera- tione et aequisitione, et si consilium suum panderitis, unde aliquod istorum ineurrere debeatis. Si quando uero de supradictis, que sie distineta | sunt, abbas uos appellauerit et uos per pugnam defen- dere uolueritis, abbas inde curiam tenebit ad usum et consuetu- dinem bone et legalis curie; uos autem pre|scripta feuda tenebitis et utemini communiter uel diuisim et post mortem tuam, fili Ph., uos, filii R. et B., eadem feuda habebitis, prestita fidelitate mo- na|sterio et abbati. Sane si quolibet tempore iam dicta feuda tu, fili Pb., aut uos, R. et B., aliquo casu perdideritis, abbas uos ipsa recuperare iuuabit et recuperata | restituet. Vos uero fidelitatem monasterio iurabitis. Ut autem hec compositio futuris temporibus inuiolabiliter obseruetur, eam auctoritate apostolica con|firmamus et presentis scripti patrocinio communimus. Statuentes, ut nulli omnino hominum liceat banc paginam nostre confirmationis infrin- gere | uel ei aliquatenus contraire. Si quis autem hoc attemptare presumpserit, indignationem omnipotentis Dei et beatorum Petri et Pauli apostolorum eins se nojuerit incursurum.

R. Ego Alexander catholice ecclesie episcopus ss. BV.

f Ego Hubaldus Hostiensis episcopus ss. ■j- Ego lohannes presb. card. ss. lobannis et Pauli tit. Pama[chü] ss. f Ego Albertus presb. card. tit. s. Laurentii in Lucina ss. f Ego Boso presb. card. s. Pudentiane tit. Pastoris ss. f Ego lohannes presb. card. tit. s. Marci ss. f Ego Theodinus presb. card. s. Yitalis tit. Vestine ss. f Ego Manfredus presb. card. tit. s. Cecilie ss. f Ego Petrus presb. card. tit. s. Susanne ss.

260 P- Kehr,

f Ego Iac(inctus) diac. card. s. Marie in Cosmidjm ss.

f Ego Cintliyus diac. card. s. Adriani ss.

f Ego Hv.*) diac. card. s. Eustachii iuxta templtun Agrippe ss.

f Ego Laborans diac. card. s. Mari§ in Porticn ss.

f Ego Raynerius di[ac. c]ard. s. Greorgii adVelum anrenm ss.

Dat. Anagnie per mannm Grratiani sancte Romane ecclesie subdiaconi et notarii, V id. iul., indictione Villi*, incamationis dominice anno M^.C^.LXX^.VI^, pontificatus uero domni Alexandri päpe III anno XVII^

B.

c) auf Rasur von lac.

31.

Alexander HL nimmt das Kloster San Giusto bei Toscanella unter dem Abt Bonatus na^h dem Vorgange Lucius' IL. in den apo- stolischen Schutz und bestätigt die Begel, die namentlich aufgeführten Besitzungen und Rechte. Lateran 1178 April 2,

Fei. Contelori Cameralia vol. S., s. XVLL, Rom Vat. Arch. Arm. XXXVI L t. 17 p. 30 ex lihro iurium abbatiae s. Anastasii ad Aqitas Salvias.

Der Liber iurium des Klosters SS. Anastasio e Vincenzo (Tre- fontane) bei Rom, aus dem Contelori schöpfte, ist leider verloren. Aus derselben Quelle entnahmen Panvinius (R&m Vat. Arch. Mise. Arm. XL t. 34 f. 32), Massarello (San Severino Bibl. comunale vol. I f. 32') und Contelori (Rom Vat. Arch. Mise. Arm. VII t. 127) die Unterschriften und die Datierung. Nach Massarello habe ich Gott. Nachr. 1898 S. 511 n. 6 das Formular gegeben. Aber die Urkunde ist für die Lohalgeschichte des römischen Tusciens und als die einzige er- haltene ältere Bulle für das Kloster des h. Justus so wichtig ^ daß •der Abdruck des ganzen Wortlauts erwünscht ist. Sie ist auch citiert von J. V. Pflugk-Harttung Iter S. 283 n. 680 und danach bei J-L. 13038 a. Vgl. auch Ltalia pontif II p. 199.

Alexander episcopus seruus seruornm Dei. Dilectis filiis Do- nato abbati monasterii sancti lusti, quod prope Tuscanensem ciui- tatem situm est, eiusque fratribns tarn praesentibns quam futuris regulärem uitam professis in**) perpetuum. Religiosam uitam

eligentibus apostolicum conuenit adesse praesidium, ne forte cuius-

a) in feHU.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 261

libet temeritatis incursus aut eos a proposito reuocet aut robur, quod absit*), sacrae religionis infringat. Eapropter, dilecti in Do- mino filii, nestris iustis postulationibns clementer annuimus*^^ et prefatum monasterium, in quo diuino mancipati estis obsequio, ad exemplar predecessoris nostri felicis memoriae Lucii papae sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti priuilegio communimus. Inprimis siquidem statuentes , ut ordo monasticns, qui secnndum Deum et beati Benedicti regulam et in- stitntionem Cisterciensiam fratrum in eodem loco noscitur insti- tntus, perpetnis ibidem temporibns inniolabiliter obseruetur. Pre- terea qnascunque possessiones, quaecunque bona idem monasterium impresentiarum iuste et canonice possidet aut in futurum conces- sione pontificum, largitione regam uel principum, oblatione fide- lium seu aliis iustis modis prestante Domino poterit adipisci, firma uobis uestrisque successoribus et illibata permaneant. In quibus haec propriis duximus exprimenda uocabulis : castrum uidelicet iuxta monasterium situm, eiusdem sancti lusti uocabulo nuncupa- tum, cum terris, uineis, pratis, molendinis, siluis et aliis pertinentiis suis, in ciuitate Tuscanensi casas, uineas, terras, quae iuris eiusdem monasterii esse noscuntur, in ciuitate Castrensi ecclesiam sancti Mamiliani de Ponte cum omnibus pertinentiis suis ^), in castro Cor- neto ecclesiam sancti Nicolai ^) et ius, quod habet in ecclesia sancti Andrej et sancti Laurentii et sancti Martini et sancti Secundiani iuxta mare, et partem de portu et quicquid iuris habet in castro Corneto de intus et foris, in casis, casalinis, uineis, ortis, pratis, siluis, terris cultis et incultis, aquis et molendinis, in ciuitate Centumcellensi'^^ ecclesiam sancti Andrej cum casis, terris, uineis, siluis, molendinis et aliis pertinentiis suis, in ciuitate Vetula^) ec- clesiam sanctae Fermettae^) cum pertinentiis suis, in castro Or- clano *) ecclesiam sanctae Agathae cum casis, uineis ^\ terris, siluis

b) esset. c) communimus. d) Centucellensi. e) domeis.

1) Das Kloster S. Mamiliani de Ponte lag, soviel wir wissen, nicht in der Stadt Castro, sondern im Comitat von Castro. Danach wird statt in ciuitate Ca- strensi zu lesen sein in comitatu Castrensi. Vgl. Leos IX. Privileg für das Bis- tum Castro von 1053 April 14 (Nachr. 1900 S. 144 n. 4) und Innocenz' II. Ur- kunde für S. Mamiliano J-L. 8098. Das Kloster war dem h. Stuhl zinspflichtig (vgl. Cencius ed. Fabre-Duchesne I 57).

2) Auch die Kirche S. Nicolai de Corgneto steht im Cencius (I 56).

3) Sowohl der NameVetula wie der der Heiligen scheinen verlesen zu sein. Vetula ist wohl zu emendieren in Vetralla.

4) Orcle, jetzt Castello d'Orchia oder Norchia.

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse 1903. Heft 2. 18

262 P- Kehr,

et aliis pertinentiis suis, in arce Rispampin^-^ ecclesiam sanctae Mariae cum pertinentiis suis^), in Castello nouo ^) ecclesiam sanctae Mariae cum casis, uineis, terris et siluis, in castello Bulzi^) eccle- siam sancti Siluestri cum pertinentiis suis, apud castrum sancti Laurentii iuxta lacum ecclesiam sanctae Mariae in Thorano cum pertinentiis suis, arcem Montis loguli iuxta fluuium Agonem cum pertinentiis suis, in castello Quintignano casas, uineas, terras, sil- uas, et terras in castro Planzano^^ et Euglano atque Arnena^), casas, uineas, siluas et terras iuxta fluuium Rispampinae, hospitale cum ecclesia sancti Leonardi cum omni pertinentia sua. Decemi- mus ergo, ut nuUi omnino hominum liceat supra scriptum monaste- rium temere perturbare aut eins possessiones auferre uel ablatas retinere, minuere seu quibuslibet uexationibus fatigare, sed illibata omnia et integra conseruentur, eorum, pro quo r um gubernatione et sustentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua sedis apostolicae auctoritate et Tuscanensis episcopi tam in con- sueta pensione quam in aliis iusticia et reuerentia. Si qua igitur etc. Cunctis autem etc.

Ego Alexander*) catbolicae ecclesiae episcopus ss. *)

Ego TJbaldus Ostiensis episcopus ss. Ego lobannes presb. card. sanctorum loannis et Pauli tit. Pa-

macbii ss. Ego Boso presb. card. sanctae Pudentianae tit. Pastoris ss.*> Ego Viuianus presb. card. tit. sancti Stepbani in Coelio monte ss.

Ego lac(inctus) diac. card. sanctae Mariae in Cosmedin ss.

Ego Ardicio diac. card. sancti Theodori ss.

Ego CintMus diac. card. sancti Adriani ss.

Ego Rainerius diac. card. sancti Georgii ad Velum aureum ss.

Dat. Lateran, per manum Albert i sanctae Romanae ecclesiae presbyteri cardinalis et cancellarii, IIII non. aprilis, indictione XI, incarnationis dominicae anno M^.C^.LXX^VIII^, pontificatus uero domini Alexandri pape III anno XVIIII^\

f) corr. aus oder zu Rispampini. g) Lesung unsicher. h) Alexander papa. t) 88. fehlt hier und weiterhin. k) ich stelle die in der Kopie verwirrte rich-

tige Bähenfolge der Kardinalunterschriften stillschweigend wieder her. l) die

Zahlen in der Datierung sind korrigiert; sie waren zuerst auf Alexander IV. bezogen.

1) Die Rocca Respampani hat in der Geschichte jener Gegend eine Rolle gespielt. Jetzt liegt sio in Trümmern (cf. Campanari I 172 flF.).

2) Castellum novüm weiß ich nicht zu deuten.

3) Bulzi ist das alte Vulcia am Fiorafluß.

4) Von diesen Orten sind Piansano und Arlena wohlbekannt.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 263

Alexander III. nimmt die Pieve S. Ägatä zu Asciano in den apostolischen Schutz und bestätigt die Besitzungen und Rechte.

Lateran 1178 April 22.

Orig. Asciano Arch. della Frepositura.

J-L. 13053 nach Wiener SB. XCIV 675 n. 8588 a. Vgl. Italia pontif. III 195 n. 1. Bas Original 'kopierte Br. F. Schneider.

ALEXANDER EPISCOPVS SERVVS SERVORVM DEI. DILECTO FILIO RODVLFO PLEBANO PLEBIS SANCTE AGATHE EIVSQVE SVCCESSORIBVS CANONICE SVBSTITVENDIS IN PERPETYVM. | EiFectum insta postnlantibus indujgere et uigor equitatis et ordo exigit rationis , presertim quando petentium uoluntatem pietas adiuuat et ueritas | non relinqnit. Quocirca, dilecte in Domino fili plebane, tuis iustis postulationibns clementer annuimns et pre- fatam plebem, cui Deo anctore preesse | dinosceris, sub beati Petri et nostra protectione suscipimns et presentis scripti priuilegio communirnns. Statuentes, ut quascumque possessiones, quecnmque bona I eadem plebs impresentiarum iuste et canonice possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum uel principum, oblatione fidelium seu | aliis iustis modis prestante Domino poterit adipisci, firma tibi tuisque successoribus et illibata permaneant. In quibus hec proprüs duximus exprimenda uoca|bulis: ecclesiam sancti Bartholom[ei], ecclesiam sancti Saluatoris, quas babetis in castello de Sciano , ecclesiam sancti Leonardi , Oratorium sancti Nicbolai, ecclesiam | sancti Ypoliti, ecclesiam sancti Angeli de coUe Daujeno, ecclesiam sancti Petri de Fontodori, ecclesiam sancte Marie de Monte Mori, ecclesiam sancti lobannis de Monte | Grun- teri, ecclesiam sancti lusti, ecclesiam sancti Tbome de Retessa, ecclesiam de Monte Fianci, ecclesiam sancti Andree de Fabro, ec- clesiam sancte Majrie de Grossennano, ecclesiam de Bacoleno, eccle- siam sancte Marie de Finerri, ecclesiam sancti Prosperi, ecclesiam sancti Petri in Guarazano, ecclesiam sancti Seuejri, ecclesiam sancti Andree, ecclesiam sancti Laurentii, ecclesiam de castello de Serris, ecclesiam sancti Geminiani de Castello ueteri, ecclesiam sancte Ma|rie, ecclesiam sancti Fabiani de castello Rodulfi, ecclesiam sancte Marie de Gagio, ecclesiam sancti Angeli de Terentino cum perti- nentiis earum, ius, quod babetis | in ecclesia et in populo de Monte [u]eco, molendinum, quod babetis in flumine Buceri, et omnes terras et uineas et siluas, quas rationabiliter babetis in toto | pleberio uestro. Sepulturam quoque parrocbianorum uestrorum liberam

18*

264 P. Kehr,

uobis esse concedimus, ut eorumdem parrochianorum deuotioni et extreme uoluntati, | qui apud plebem uestram elegerint sepeliri, nisi excommunicati uel interdicti sint, nullus obsistat, salua tarnen iustitia illanim | capellarum, a quibus mortnorum corpora assumun- tur. Preterea ordinationes ecclesiarum uestrarum et decimas ple- banatus uestri, ut eas rationabiliter possidetis, uobis et | ecclesie uestre auctoritate ap[ostoli]ca confirmamus. Decemimus ergo, ut nuUi o[imim]o hominum liceat supradictam plebem temere pertur- bare aut eius pos|sessiones auferre uel ablata retinere, minuere seu quibuslibet uexationibus fatigare, sed illibata omnia et integra conseruentur, eorum, pro quorum gubematione | et substentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua sedis apostolice auctoritate et dyocesani episcopi canonica iustitia. Si qua igitur in futurum | ecclesiastica secularisue persona hanc nostre constitu- tionis paginam sciens contra eam temere uenire temptauerit, se- cundo tertioue commonita, nisi presumptionem suam | congrua sa- tisfactione correxerit, potestatis honorisque sui dignitate careat reamque se diuino iudicio existere de perpetrata iniquitate cogno- scat et a sa|cratissimo corpore ac sanguine Dei et domini redemp- toris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo examine di- stricte ultioni subiaceat. Cunctis autem eidem loco | sua iura ser-' uantibus sit pax domini nostri lesu Christi, quatinus et hie fructum bone actionis percipiant et apud districtum iudicem premia eteme pacis I inueniant. AMEN. AMEN. AMEN. \

E,. Ego Alexander catholice ecclesie episcopus ss. BV. f Ego Hubaldus Hostiensis episcopus ss. f Ego Johannes presb. card. sanctorum lohannis et Pauli tit. Pa-

machii ss. f Ego Boso presb. card. sancte Pudentiane tit. Pastoris ss. f Ego Petrus presb. card. tit. sancte Susanne ss. t Ego Viuianus presb. card. tit. sancti Stephani in Celio monte ss. f Ego lac(inctus) diac. card. sancte Marie in Cosmidyn ss. f Ego Ardicio diac. card. sancti Theodori ss. f Ego Cinthjnis diac. card. sancti Adriani ss.

f Ego Laborans diac. card. sanct^ Mari^ in Porticu ss.

f Ego Rainerius diac. card. sancti Greorgii ad Velum aureum ss.

Dat. Lateran, per manum Alberti sancte Romane ecclesie pres-

byteri cardinalis et cancellarii, X kal. maii, indictione XI, incar-

nationis dominice anno M.C.LXX^VIII^, pontificatus uero domini

ALEXANDRI pape IH anno XVim.

B. dep.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 265

33.

Alexander III. erJclärt die ürhinden , durch welche die Parro- chianen der Kirche S. Stefano in Prato hei Gelegenheit von Land- Verpachtungen sich den benachbarten Klöstern verpflichten mußten^ sich daselbst begraben zu lassen^ für ungültig.

Lateran (1166—79) März 17.

Kopie im Ms. Bolle e indidti pontificii; decreti vescovili s. XVI sq. Prato Arch. capitolare.

Ed. Carlesi Origini di Prato p. 152 n. 12 {mit X kal. aprilis). Reg. bei Ughelli ^ III 333. Vgl. Italia pontif III 139 n. 21.

ALEXANDER episcopus seruus seruomin Dei. Dilecto filio Pratensi preposito salutem et apostolicam benedictionem. Signi- ficatum est nobis ex parte tua, quod per monasteriorum circuin- stantium circa terras tuas parrochianis tuis aliquo locationis titulo concedat''^ ab eis instrumentiiin exigunt et reeipiunt, quo idem parrocbiani obligantur apud prescripta monasteria sepeliri. Ideoque postulasti ecclesi^ tu^ contra buiusmodi grauamina prouideri, Nos itaqne attendentes, indignum esse et rationi omnino contrarium, ut sepultur^ taliter comparentur, tuis iustis postulationibus benignius in- clinati, similia instrumenta, ne de cetero fiant, districte probibemus et facta auctoritate apostolica irritamus. Nulli ergo omnino bo- minum etc. Dat. Lateran. XVI kalen. aprilis.

a) die Stelle ist ganz verderbt.

34.

Alexander IIL nimmt das Kloster San JBartolom£o di Sestinga unter dem Abt Panerius in den apostolischen Schutz und bestätigt ihm die Besitzungen und Rechte, vornehmlich die Exemption, gegen einen Jahreszins von 1 Byzantier. Lateran 1179 April 24.

Kopie saec, XIII Siena Arch. di stato (S. Agostino di Siena).

Die Urkunde ist bereits in der Schrift von St. Bertolini Esame di un libro sopra la Maremna Senese p. 218 gedruckt, doch tvieder- hole ich sie , da jene selten ist. Umsomehr als das Regest bei Jaffe- Loewenfeld 13168 nach Kaltenhrunner in Wiener SB. XCIV 675 n. 8630 a sie irrig dem bekannten Kloster S. Bartolomeo in der Diö- zese Penne zuschreibt, während es sich um das Kloster S. Bartolomeo

266 P- Kehr,

di Sestinga in der Diözese Grosseto handelt. Das Privileg ist eines der umfayigreichsten Klosterprivilegien und auch Urchenrechtlich wichtig. Vgl. Italia pontif. III 264: n. 2.

Alexander episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Ra- nerio abbati sancti Bartolomei^^'de Sextinga eiusque fratribus tarn presentibus quam futuris regulärem uitam professis in perpetuum. Quotiens illud a nobis petitur, quod religioni et honestati conuenire dignoscitur, animo nos decet libenti concedere et petentium desi- deriis congruum suffragium impertiri. Eapropter, dilecti in Domino filii, uestris iustis postulationibus clementer annuimus et ecclesiam sancti Bartolomei'*^ de Sextinga, in qua diuinis estis obsequiis man- cipati, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus ^^ et pre- sentis scripti priuilegio communimus. Statuentes, ut quascumque possessioneSj quecumque bona idem monasterium in presentiarum iuste et canonice possidet aut in futurum concessione pontificum <^^, largitione regum uel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis prestante Domino poterit adipisci, firma uobis uestrisque successoribus et illibata permaneant. In quibus hec propriis duxi- mus exprimenda uocabulis : locum ipsum, in quo prefatum monaste- rium situm est cum omnibus pertinentiis suis, sancti Martini et sancti Cerbonii de Caldana cum omnibus pertinentiis suis, sancte Marie de Cese cum omnibus pertinentiis suis et ecclesiam sancti Simonis et lüde de Colonna cum suis pertinentiis, sancte Reparate de Tosi cum omnibus pertinentiis suis, sancti Supercii cum perti- nentiis earundem. Ut autem iuxta''^ normam uestre professionis diuinis obsequiis liberius uacare possitis, simili modo sancimus, ut cuiuslibet ecclesie sacerdoti nuUam iurisdictionem, nuUam potesta- tem aut auctoritatem , excepto dumtaxat Romano pontifice, in uestro monasterio liceat uendicare, adeo quod ut, nisi ab abbate*> eiusdem monasterii fuerit inuitatus, nee etiam missarum soUemnia ibidem audeat celebrare. Interdicimus etiam, ut nulli'') episcopo licentia^) pateat, sacerdotes eiusdem cenobii*^ monachos*) siue con- uersos*^ distringere uel excommunicare aut diuinum eis officium prohibere; quos etiam ab omni pontificali sinodo liberos et abso- lutes manere decemimus. Omne preterea, quod Albertus prede- cessor tuus a Johanne ^^ abbate sancti Pancratii de Luto rationa- biliter permutando accepit et possidet, eidem monasterio auctori- tate apostolica confirmamus et presentis scripti pagina communimus.

o) Bartalomei. \h) subscipimus. c) principium. d) iusta. c) abate. f) nullum. g) licentiam. K) vorher getilgt monasterii. i) monacos.

k) canonicos. /) louanne. ,

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 267

Porro locum ipsum ab omni iugo quarumlibet potestatum tarn epi- scoporum quam marchionum, comitum quoque aut uicecomitum, ca- staldionum ceterorumque Longobardorum uolumus omnino esse quietnm, nullusque eorum in possessionibus prefato cenobio perti- nentibus iudicium aliquod placitumue tenere aut districtionem*"^ facere qualibet occasione presumat"^, sed potius tam hec quam alia, que ad ius eiusdem monasterii spectare noscuntur, in tua suc- cessorumque <*) tuorum libera potestate^^ ac dispositione consistant. Concedimus insuper eidem uenerabili loco decimationes atque pri- mitias de suis omnibus siue de preceptalibus siue de aliis, que nunc habet uel inantea poterit adipisci. Liceat quoque uobis cle- ricos et laicos*?^ e^"^ seculo fugientes liberos et absolutos absque alicuius contradictione ad conuersionem recipere et in uestra eccle- sia retinere. Obeunte uero te nunc eiusdem loci abbate uel tuo- rum quolibet successorum*^, nuUus ibi qualibet subreptionis'^ astutia seu uiolentia preponatur, nisi quem fratres communi consensu«) uel fratrum pars consilii sanioris secundum Dei timorem et beati Be- nedicti regulam prouiderint eligendum; electus autem ad Romanum pontificem benedicendus accedat. Crisma uero, oleum sanctum, con- secrationes altarium seu basilicarum, ordinationes "^ presbyterorum, diaconorum aut aliorum tam de monacbis"'^ quam de conuersis*\ qui ad sacros gradus fuerint promouendi, siue a sede apostolica siue ab aliquo catholico suscipietis episcopo, qui nostra fultus auctori- tate quod postulatar indulgeat. Et si aliquando quempiam de nostris episcopis siue de aliis, prout uobis congraentius uisum fue- rit, ad sacrum ministerium celebrandum uel consecrationem aliquam exbibendam inuitare ad uestrum monasterium uolueritis, absque*') alicuius contradictione '^ id ipsum faciendi habeatis liberam facul- tatem. Sepulturam insuper ipsius loci liberam esse decernimus "^ ut eorum deuotioni et extreme uolnntati, qui se illic sepeliri deli- berauerint, nisi forte excommunicati uel interdicti^) sint, nuUus obsistat. Decernimus") ergo, ut nulli omnino hominum liceat pre- fatam ecclesiam temere perturbare aut eins possessiones auferre uel ablatas retinere, minuere seu quibuslibet uexationibus fatigare, sed illibata'^) omnia et integra conseruentur, eorum, pro quorum gubernatione ac sustentatione concessa sunt, usibus omnimodis pro- futura, salua nimirum in omnibus apostolice sedis auctoritate.

m) dixtrictionem. n) presumit. o) successorum. p) potestatem.

q) folgt getilgt nochmals et laicos. r) et. s) subcessorum. t) sub-

rectionis. u) consensu fehlt. v) folgt etiam, w) monacis. x) cano-

nicis. y) asque. z) contradictionem. a) decreuimus. b) interdictu.

c) illibatus.

268 P- Kehr,

Ad indicium autem percepte huius a sede apostolica protectione bizantium unmn annis singnlis nobis nostrisque successoribus per- soluetis. Si qua etc. Cunctis autem etc. Amen. Amen. Amen.

R. Ego Alexander '^^ catbolice ecclesie episcopns ss.'^ f Ego Hubaldus Hostiensis episcopns ss. f Ego lobannes presb. card. sanctomm lohannis et Pauli tit. Pa-

machii-^) ss. f Ego Petrus presb. card. tit. sancte Susanne ss. f Ego Petrus presb. card. tit. sancti Grrisogoni^) ss. f Ego Cintius presb. card. tit. sancte Cecilie'*^ ss. f Ego Arduinus'2 presb. card. tit. sancte Crucis in*) lerusalem ss. f Ego lacintus diac. card. sancte Marie in Cosmidin^ ss. f Ego Ardicio"*) diac. card. sancti Theodori**) ss. f Ego Laborans diac. card. sancte Marie in Porticu ss. f Ego Gratianus diac. card. sanctorum Cosme et"^ Dami-

ani ss. f Ego Johannes diac. card. sancti Angeli ss. t Ego Matheus diac. card. sancte Marie Noue ss.

Dat.^) Lateran, per manum Alberti sancte Romane ecclesie presbyteri cardinalis et cancellarii, octauo kal. madii, indictione XII, incarnationis dominice anno M.C.LXX.VIIII, pontificatus uero domni Alexandri pape III anno XX.

d) Alexader. e) ss. fehlt. f) Pamachii fehlt. g) Crisocconi.

Ä) Cicilie. t) Arduuinus. k) in fehlt. l) Cosmidum. m) Ardignus.

n) Teoddoni. ö) et fehlt. p) data.

35.

Alexander III. nimmt die Kirche S. Christina in Pisa unter dem Presbyter Rainer nach dem Vorgang Eadrians IV. in den apo- stolischen Schutz, bestätigt ihr die Besitj^ungen j namentlich die von seinem Vorgänger Hugo gebaute Kirche der h. Maria Magdalena und verleiht das Begräbnisrecht für ihre Parrochianen.

Lateran 1179 Juni 18.

Abschrift von Franc. Bonaini in dessen Copie di diplmni Pisanij Pisa Arch. di staio.

Bonaini fand die Urkunde im Archivio Eoncioni in Pisa, wo überhaupt Materialien aus dem Kapitelarchiv von Pisa hingekommen

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 269

sind. Denn S. Christina in Kinzica gehörte dem Kapitel, wie aus dessen Privilegien und aus der Bulle Alexanders III. selbst hervorgeht. Die Abschrift verdanke ich Prof. Cl. Lupi. Vgl. Italia pontif. III 352.

' Alexander episcopus seruus seruorum Dei. Dilecto filio Rai- nerio presbitero sancte Christine, que in ripa fluminis Arni in ci- uitate Pisana sita est, eiusque successoribus canonice substituendis in perpetuum. Quotiens illud a nobis petitur, quod religioni et honestati conuenire dinoscitur, animo nos decet libenti concedere et petentium desideriis congruum impertiri suffraginm. Eapropter, dilecte in Domino fili, precibus dilectorum filiorum nostrorum ca- nonicorum Pisane ecclesie , ad quorum ins et proprietatem com- missa tibi ecclesia beate Christine pertinere dinoscitur, inclinati, ad exemplar felicis memorie predecessoris nostri Adriani pape, eandem sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et pre- sentis scripti priuilegio communimus. Statuentes, ut quascumque possessiones , quecumque bona eadem ecclesia in presentiarum inste et canonice possidet ant in futurnm concessione pontificum, largitione regum uel principum, oblatione fidelinm seu aliis instis modis Deo propitio poterit adipisci, firma tibi tuisque successoribus et illibata permaneant. Preterea supradictorum filiorum nostro- rum postulationibus annuentes, rationis etiam intuitu prouocati, ecclesiam beate Marie Magdalene, quam in proprio fundo commisse tibi ecclesie atque in ipsius parrochia propriis expensis bone me- morie Hugo, predecessor tuus, construxisse dinoscitur, tibi et per te memorate ecclesie beate Christine ac tuis successoribus, qui pro tempore regimen ecclesie sancte Christine a supradictis filiis nostris canonicis habuerint, auctoritate apostolica confirmamus, et eandem capellam sancte Marie ad ecclesiam beate Christine, tamquam ad matrem filia, decernimus pertinere, salua Pisani archiepiscopi ca- nonica reuerentia et canonicorum Pisane ecclesie iustitia et obe- dientia. Porro sepulturam sepedicte ecclesie, uidelicet sancte Christine, liberam esse sancimus, ut quicumque parochianorum tu- omm illic sepelliri deliberauerint, eorum deuotioni et extreme uo- luntati, nisi forte excommunicati uel interdicti sint, nullus ob- sistat, salua nimirum iustitia matricis ecclesie. Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat prefatam ecclesiam temere per- turbare aut eins bona uel possessiones auferre seu ablatas retin ere, minuere aut aliquibus uexationibus f atigare , set omnia integra conseruentur, eorum, pro quorum gubernatione et sustentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua nimirum apostolice sedis auctoritate et predicti archiepiscopi canonica iustitia. Si qua

270 P. Kehr,

igitur in futurum ecclesiastica secularisue persona hanc nostre constitutionis paginam sciens contra eam temere uenire tempta- uerit, secundo tertioue commonita, si non satisfactione congrua emendauerit, potestatis honorisque sui dignitate careat reamque se diuino iudicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissimo corpore ac sanguine Dei et domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo examine districte ultioni subiaceat. Cunctis autem eidem loco sua iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, quatinus et hie fructum bone actionis percipiant et apud districtum iudicem premia eterne pacis inueniant. Amen. Amen. Amen.

E,. Ego Alexander catholice ecclesie episcopus ss. BV.

f Ego Hubaldus Hostiensis episcopus ss.

f Ego Theodinus Portuensis et sancte ßufine episcopus ss.

f Ego Petrus Tusculanus episcopus ss.

t Ego Berner edus Prenestinus episcopus ss. f Ego Johannes presb. card. sanctorum lohannis et Pauli tit. Pa-

machii ss. f Ego Johannes presb. card. tit. sancte Anastasie ss. t Ego Johannes presb. card. tit. sancti Marci ss. f Ego Petrus presb. card. tit. sancte Susanne ss. t Ego Viuianus presb. card. tit. sancti Stephani in Celio monte ss. f Ego Cinthius presb. card. tit. sancte Cecilie ss. f Ego Hugo presb. card. tit. sancti Clementis ss. f Ego Arduinus presb. card. tit. sancte Crucis in Jerusalem ss. f Ego Matheus presb. card. tit. sancti Marcelli ss.

t Ego lacintus diac. card. sancte Marie in Cosmidin ss.

f Ego Ardicio diac. card. sancti Theodori ss.

f Ego Laborans diac. card. sancte Marie in Porticu ss.

t Ego Grratianus diac. card. sanctorum Cosme et Damiani ss.

t Ego Johannes diac. card. sancti Angeli ss.

t Ego Rainerius diac. card. sancti Adriani ss.

t Ego Matheus sancte Marie Noue diac. card. ss.

f Ego Bemardus diac. card. sancti Nicolai in carcere Tulli- ano SS.

Dat. Laterani per manum Alberti sancte Romane ecclesie presbiteri cardinalis et cancellarii. XJIJJ kal. iulii, indictione XU*, incamationis dominice anno MCLXXVJIJJ^, pontificatus uero do- mini Alexandri pape JII anno XX°.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 271

26.

Alexander III. verleiht der Kirche S, Stefano in Prato nach dem Beispiel seiner Vorgänger die Befugnis, von den Einwohnern des Territoriums von Prato alle Pfarrrechte zu verlangen und be- stätigt ihr die genannten Kapellen und die alten Gewohnheiten.

Tusculanum (1170 80) Oktober 1.

Kopie im Ms. Concessioni giurisdizionali dei sommi pontefid etc. s. XIV ex. n. 1 Prato Arch. capitolare. Der Anfang fehlt.

Ed. Carlesi Origini di Prato p. 145 n.3 als Urkunde Innocenz' II. zu 1138—1142. Vgl. Italia pontif. III 139 n. 22.

ecclesiastica sacramenta et spiritualia benefitia suscipiunt, decimas Tiel oblationes seu publicas penitentias circumposite ecclesie non recipiant nee de hiis, que ad ius parrocbiale eiusdem plebis uestre pertinent, se intromittere audeant; id ipsum ad exemplar eoram anctoritate, qua fungimur, prohibemns et uobis et plebi uestre de consueta apostolice sedis dementia concedimus et indulgemus, ut uniuersi, qui in territorio uestro babitationem continuam babent et a uobis ecclesiastica sacramenta et spiritualia benefitia iugiter suscipiunt, uobis de iure parrocbiali respondere debeant et decimas et oblationes suas et cetera ad ius parrochiale pertinentia in in- tegrum soluant. Dignum namque est, ut iuxta Apostolum quibus spiritualia seminatis, ab eisdem camalia metatis. Ad hec uniuer- sas cappellas ecclesie uestre subiectas cum omni iure et integri- tate, in qua eas habetis, uobis et eidem ecclesie uestre auctoritate apostolica confirmamus. Quas uidelicet propriis duximus expri- mendas uocabulis : cappellam sancte Marie de Castello, cappellam sancte Trinitatis, cappellam sancti Petri, cappellam sancti Salua- toris, cappellam sancti Marci"), cappellam sancti Tome, cappellam sancti Petri de Insula, cappellam sancte Lucie, cappellam sancti Bartolomei, cappellam sancti Petri de Figbine , cappellam sancti Vincentii , cappellam sancte Marie de Ribaldo , cappellam sancti Martini de Paparino, et quidquid iuris et reuerentie in cappella sancti Martini de Surgnian(o) et in cappella sancti Michaelis de Cerreto habetis. Antiquas uero et rationabiles ^) consuetudines, quas hactenus habuistis, uobis nichilominus auctoritate apostolica confirmamus. Decemimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat

a) Marcii. h) honorabiles.

272 P- Kehr,

hanc paginam nostre protectionis et confirmationis infringere nel ei aliquatenus contraire. Si quis autem hoc*^) attemptare presum- pserit, indignationem omnipotentis Dei et beatorum Petri et Pauli apostolorum eius se nouerit incursurum. Dat. Tusculan. kal.

octubris.

c) hec.

27.

Lucius III. verbietet nach dem Beisxnel Alexanders III. den Bau einer Kirche oder eines Oratoriums im Kastell von Frato ohne ErJauhnis des Diözesanhischofs und des Propstes und der Kanoniker von Frato. Velletri (1182) November 26.

Oriy. Frato Arch. capitolare.

Ed. Carlesi Origini di Frato p. 153 n. 13. Vgl. Italia pontificia III 140 n.23.

LVCrVS episcopns seruus seruorum Dei. Dilectis filiis . . pre- posito et canonicis Pratensibus salutem et apostolicam bene- dictionem. | Ex autentico scripto felicis recordationis Adriani

pape predecessoris nostri nobis innotuit , quod priiuilegium mo- nasterio de Gargnano ab eo collatum reuocans auctoritate aposto- lica interdixit, ne quis monasterium transferret aut etiam capellam sine conscientia et assensu abbatis Vallembrosani conjstrueret infra castrum. Clericis quoque Pratensibus, qui tunc erant, per aposto- lica scripta mandauit, ut, si quis | monasterium in alium locum transferret uel capellam in castro predicto construeret et ammo- nitus non cessajret, a diuinorum ofj&cio[rum celejbratione desisterent nee diuina in castro permitterent celebrari. Inde est, quod | eius uestigüs inherentes, prohibitionem iam dicti predecessoris nostri auctoritate apostolica innouajmus et auctoritate presentium inhi- bemus, ne quis ecclesiam uel Oratorium infra castrum | predictum sine assensu episcopi diocesani et uestro de nouo construere aliqua occasione presumat. | NuUi ergo omnino hominum liceat hanc pa- ginam nostre prohibitionis infringere uel ei | ausu temerario con- traire. Si quis autem hoc attentare presumpserit, indignationem omni Ipotentis Dei et beatorum Petri et Pauli apostolorum eius se nouerit incursurum. Dat. Velletr. VI kal. decembris.

B. dep.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 273

38.

Lucius III. bestätigt dem Propst Freslyter und dem Kapitel von Areszo die Schenkungen tind Verleihungen der Bischöfe Theohald, Helmpert, Arnold und Constantin, die Freiheiten, Immunitäten und Hechte. VeUetri (1182—83) April 4.

Orig. Arezso Ar eh. capitolare (fi. 455). Vgl. Italia pontif. III 159 n. 9.

J-L. 14747 nach dem Citat hei Kaltenhrunner in Wiener SB. XCIV679 n. 9509 a und Fflugh-Harttung Iter p. 296 n. 760. Der Text eeigt AnUänge an die Urkunde Anastasius' IV. J-L. 9815.

LYCIVS episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Pre- sbitero preposito et capitulo Aretino salutem et apostolicam bene- dictionem. Ea, que a prelatis | ecclesiarum prouisione rationabili statuuntur, sedis apostolice conuenit auctoritate firmari, ne super bis materia contenjtioiiis emergat, que a bono caritatis initmm ba- buerunt. Eapropter, dilecti in Domino filii, uestris iustis postn|- lationibus grato concurrentes assensu, donationes, concessiones, con- firmationes etiam super ecclesiis et aliis rebus, sicut antecesisoribus uestris a bone memorie Tbeobaldo, Helperto, Alberto, Arnaldo et Constantino episcopis Aretinis rationabiliter "^ concesse sunt, | et que in priuilegio bone memorie leronimi quondam episcopi uestri legittime continentur, libertates preterea et immunitates ab | impe- ratoribus seu marchionibus ecclesie uestre indultas, antiquas et ra- tionabiles consuetudines uestras hactenus obseruatas, uobis uestris- que I successoribus auctoritate apostolica confirmamus et perpetuo manere decernimus illibatas. Decimationes etiam ex terra illa, quam uos, | canonica sancti Donati, ex donatione imperatorum, marcbionum et alioram Dei fidelium iuste et sine controuersia pos]- sidetis aut in futurum iustis modis prestante Domino poteritis adipisci, presentis scripti patrocinio roboramus. | Ordinationem in- super, custodiam et alia, que predecessores tui, fili preposite, a tempore locundi prepositi in plebibus, | monasteriis, canonicis et capellis de Scianinga, Berardinga et Berardisca et aliis Aretine diocesis canonice babu|erunt , oblationem etiam altarium ecclesie sancti Donati letaniarum, sicut in scripto Arnaldi et Constantini Aretinorum episcopo|rum rationabiliter continetur, electionem quo- que archidiaconi et primicerii, sicut a prefato ler(onimo) quondam

a) corr. aus rationabiliter Aretinis.

274 P- Kehr,

episcopo I uestro canonice statTitmn fxiisse dinoscitur et in scriptis eins continetur expressum et hacteims est obser|natiiiii, donationem etiam, quam Willielminiis de Subiano et filius eius, uxoribus eorum assensum prebentibus, et quantum ad | eorum iura spectauit, ex in- tegro largientibus, de Tum, de Subiano et alüs eorum possessio- nibus uniuersis in eodem Castro et | eins curte, in Nussa, Castellione et eorum pertinentiis et alüs locis fecerunt , cum Deo et ec- clesie uestre sua et se obtulerunt, | sicut in instrumentis exinde confectis legittime continetur, castrum preterea, quod Saxetum uulgariter nominatur, | sicut ipsum rationabiliter et sine contro- uersia possidetis, cum eins curte, ecclesiam de Radicata cum Om- nibus pertinentiis eins, | ecclesiam de Cruci cum omnibus perti- nentiis eins, castrum insuper, quod Toppole dicitur, cum ecclesia et uilla de Varrazano et | omnibus pertinentiis eorum, sicut ex concambio et transactione pro Modiona uobis a Camaldulensi uenit, sicut instrumenta | legittime^) continent et bactenus est obseruatum, uobis uestrisque successoribus auctoritate apostolica confirmamus. Nulli ergo omnino bomijnum liceat banc paginam nostre confir- mationis infringere uel ei ausu temer ario contraire. Si quis autem hoc attemptare | presumpserit, indignationem omnipotentis Dei et beatorum Petri et Pauli apostolorum eins se nouerit incursurum. Dat. Velletri II non. aprilis.

B. dep.

b) le I legittime.

39.

Lucius 111. nimmt das Kloster S. Salvadore di Spugna unter dem Äbt Maurus in den apostolischen Schute, bestätigt die Regel 'S. Benedicts, die genannten Besitzungen und die bereits von Leo IX. und Alexander II. bestätigten Zehnten, das Präsentationsrecht und andere Rechte. Anagni 1183 November 23.

Kopie s. XVII in Carlo sen. Strozzi Spoglio SS 1240 p. 230 Florenz Bihl. nazionale Magliah, XXXVII 307.

Ed. F. Morozzi Memorie di istoria ecclesiastica civile e letteraria di Colle di Valdelsa. Sezione I: Istoria della badia di S. Salvadore di Spugna (In Firenze 1775) p. 55 n. 1 „da tin manoscrUto antico di un Ser Gio. Bardi da Colle, la quäle egli la trascrisse in fondo di un Libro di statuti di detta cUtä di Colle, e che di presente esiste presse i Sigg. Bardi di Colle da S. Caterina." Danach cUiert von Bavidsohn Forschungen zur älteren Geschichte von Florenz I 185

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 275

n. 74. Da diese Schrift von Morozzi sehr selten, in Deutschland wohl ganz unbeJcannt, sein Äbdruch auch recht schlecht ist, die Ur- kunde aber andererseits einige Wichtigkeit hat leider sind die im Text erwähnten Privilegien Leos IX. und Alexanders II. nicht auf uns gekommen , so gehe ich sie nach der Abschrift Strozzi's und dem Druck von Morozzi, dessen Quelle wir vergeblich gesucht haben, neu heraus. Vgl, Italia poniif. III 309 n. 4.

Lücius episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Mauro ab- bat! monasterii sancti Saluatoris in Spongia, quod in Volaterranensi episcopatu apud Else flnuium sitnm est, eiusqiie successoribus re- gulariter substituendis in perpetuum. Religiosam uitam eligen-

tibus apostolicnm conuenit adesse presidium, ne forte cuiuslibet temeritatis incursus aut eos a proposito reuocet ant robur, quod absit, sacr^ religionis infringat. Eapropter, dilecti in Domino filii, uestris iustis postnlationibns clementer annuimus et prefatnm mo- nasterium, in quo dinino estis obs^qiiio mancipati, snb beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti prinilegio com- munimus. Inprimis siqnidem statuentes , ut ordo monasticus , qui secnndnm Deum et beati Benedicti regulam in eodem monasterio institntus perpetuis ibidem temporibus inuiolabiliter obseruetur; preterea quascumque possessiones, quecnmque bona idem monaste- rium in presentiarum iuste et canonice possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione [regum uel prineipum, oblatione fidelium seu alüs iustis modis prestante Domino poterit adipisci, firma uobis uestrisque successoribus et illibata permaneant. In quibus hec propriis duximus exprimenda uocabulis: In episcopatu Vulterranensi ecclesiam sanct^ Mari^, que est iuxta monasterium, castellum Piticcianum, quod CoUe uocatur, cum ecclesiis et suis appenditiis, cappellam sancti Martini, que est in fundo monasterii, de qua quinque solidos percipitis annuatim, ecclesiam sancti Mar- tialis, salua iustitia plebis Els^, ecclesiam sancte Mari§ in Monza- nello, ecclesiam sancti Nicolai in Lano, et quicquid habes in curte de Castro Stagi^ , ecclesiam sancti Laurentii in Cerreto, ecclesiam sanctorum loannis et Pauli, ecclesiam sancti Cerboni in Cemiano, castrum Falsini cum ecclesia, quod translatum est in castrum Bel- forte, ecclesiam sanct^ Mari§ in Comacle, possessiones, qu^ sunt iuris monasterii in curte de Vlignano; in episcopatu Pistoriensi monasterium sancti Fabiani cum omnibus pertinentiis suis, ecclesiam sancti Martini in Sorniac, ecclesiam sancti Andrej in Grello ; in Florentino episcopatu ecclesiam sancti Laurentii in Sabiano, eccle- siam sanct^ Mari^ in Curte noua', ecclesiam sanct^ Martin^ in

276 P- Kehr,

Ponte Ormo; in episcopatu Senensi qnartam partem de curte de Siticclo ; in episcopatu Grossetano ecclesiam sanct^ Sicntere *), eccle- siam sancti lacobi et sancti Filippi . . ., ecclesiam sancte Luci^ in Grosseto ; in Suanensi episcopatu ecclesiam sancti Cipriani, eccle- siam sancti Saluatoris, ecclesiam sancti Reguli in Malliano, eccle- siam beati Abrae patriarche iuxta Marta cum omnibus pertinentiis earum. Decimas etiam, primitias et oblationes, quas felicis recor- dationis Leo et Alexander pape, predecessores nostri, uobis et mo- nasterio uestro scripti sui munimine confirmarunt, ad exemplar ip- sorum uobis et ei dem monasterio confirmamus. Liceat etiam uobis in parrochialibus ecclesiis, quas tenetis, sacerdotes eligere et epi- scopis, in quorum parrochiis site sunt, presentare, quibus, si ido- nei fuerint, episcopi curam animarum committant; huiusmodi sacer- dotes de plebis quidem cura eis respondeant, uobis autem pro rebus temporalibus debitam subiectionem exhibeant. Prohibemus quoque, quod in Castro de Colle aut in aliis fundis ipsius monasterii nul- lus ecclesiam uel Oratorium construere uel cimiterium facere abs- que uestro assensu presumat. Interdicimus etiam, ut nee tibi nee alicui successorum tuorum castrum ipsum de Colle, quod etiam antiquitus Piticcianum uocatum est, fas sit, absque Romani ponti- ficis licentia dare, uendere, commutare seu quolibet modo ab eo- dem monasterio alienare. Obeunte uero te nunc eiusdem loci ab- bate uel tuorum quolibet successorum, nullus ibi qualibet subrep- tionis astutia seu uiolentia preponatur, nisi quem fratres communi consensu uel fratrum pars consilii sanioris secundum Dei timorem et beati ßenedicti regulam prouiderint eligendimi. Crisma quoque, oleum sanctum, consecrationes altarium, benedictionem abbatis seu monachorum ordinationes, qui ad sacros ordines fuerint promouendi, a diocesano episcopo suscipiatis, siquidem catholicus fuerit et abs- que prauitate seu exactione aliqua uoluerit exhibere; alioquin ca- tholicum quemeumque malueritis episcopum adeatis , qui nimirum nostra fultus auctoritate quod postulatur indulgeat. Sepulturam preterea ipsius loci liberam esse decernimus , ut quicumque se illic seppeliri deliberauerit, nisi forte excommunicati uel interdicti fuerint, eorum deuotioni nullus obsistat. Monasterio etiam sancti Fabiani de Prata, quod uestro monasterio subiacet, sepulturam concedimuSj sicut iam hactenus habuisse dignoscitur, salua in utro- que'') iustitia matricis ecclesi^. Addentes etiam prohibemus, ut nulli episcopo liceat in uestro monasterio preter abbatis assensum mis- sas publicas celebrare, ne fratrum quieti et religioni officiat po-

a) sie. b) utraque.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 277

pularis accessus. Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat prefatmn monasterimn aut ecclesias uestras indebitis exactionibus fatigare seu uestras possessiones auferre uel ablatas retinere, mi- nnere aut quibuslibet uexationibus perturbare "), sed omnia integra conseruentur, eorum, pro quorum gubernatione ac substentatione concessa sunt usibus omnimodis profutura, salua sedis apostolicae auctoritate et diocesanorum episcoporum canonica iustitia et re- uerentia. Si qua igitur in futurum ecclesiastica secularisue per- sona hanc nostram constitutionis paginam scienter contra eam te- mere uenire tentauerit, secundo tertioue commonita, nisi reatum suum congrua satisfactione correxerit, potestatis honorisque sui careat dignitate reamque se diuino iudicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissimo corpore ac sanguine Dei et domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo exaniine districtae ultioni subiaceat. Cunctis autem eidem loco sua iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, quatenus et hie fructum bone actionis percipiant et apud districtum iudicem praemia aeternae pacis inueniant. Amen. Amen. Amen.

R. Ego Lucius catholicQ ecclesi^ episcopus ss.

Ego Theodinus Portuensis et sanctf^ Rufin§ sedis epi- scopus SS. Ego Henricus Albanensis^^ episcopus ss. Ego Joannes presb. card. tit. sancti Marci ss. Ego Petrus presb. card. tit. sancte Susann^ ss. Ego Viuianus tit. sancti Stephani in Celio monte presb. card. ss. Ego Laborans presb. card. sancte Mari^ Transtiberim tit. Ca- lixti SS.

Ego lac(intus)''^ diac. card. sancte Mari^ in Cosmedin ss. Ego Ardicio diac. card. sancti [Theodori] ss. Ego Gratianus sanctorum Cosme et Damiani diac. card. ss. Ego Gerardus sancti Adriani diac. card. ss.

Dat. Anagni^ per manum Alberti sanct^ ßoman^ ecclesi^ pre- sbiteri cardinalis et cancellarii, Villi kal. decembris, indict. II, incamationis dominic^ anno MCLXXXIII, pontificatus uero domni Lucii pape III anno III.

d) Von hier bis amen folge ich Morozzi's Text. b) Albanus. c) la-

cobus.

KgU Ges. d.|Wi88. Nachrichten. PhUolog.-hist. Klasse. 1908. Heft 2. 19

278 P- Kehr,

30.

Lucius 111. bestätigt die Entscheidung Alexanders III. in der StreitsacJie zwischen dem Propst und den Kanonikern von Prato und dem Plehan der Kirche des h. Justus über die Kappelle des h. Ja- cobus. Verona 1184 Juli 25.

Kopie im Ms. Concessioni giurisdizionali dei sommi pontefici etc. s. XIV ex. n. 6 Prato Ar eh. capitolare.

Ed. Carlesi Origini di Prato p. 154 n. 14. Vor Urkunde ist Alexanders IIL Privileg von 1171 Oktober 22 J-L. 11907. Vgl. Italia pontif. UI 140 n. 25.

LVCIYS episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Plebano preposito et canonicis Pratensibus salntem et apostolicam bene- dictionem. Quemadmodum equitatis uigor expostulat et iustitie integritas persuadet, quod prolate'') ad sedem apostolicam contro- uersie rationabili iudicio terminentur, ita quoqne necessarium est et accommodum rationi, ut postquam^^ terminate fuerint ac decise, ne uel processu temporis dilabantur a memoria posterorum uel pro instrumentorum defectu in recidiue contentionis scrupulum ualeant postmodum^) deuenire ,. litterarum iidei commendentur. Dignum namque est, ut, si forte ullo tempore per calumpnantium insidias aliqrdd motum fuerit questionis, secutura posteritas pre manibus babeat quod requirat. per quod uidelicet aduersariorum calumpnias et questiones excludat. Ex priuilegio sane felicis me- morie Alexandri predecessoris nostri comperimus, quod, cum Ro- landus et Ubaldus concanonici uestri et 0. plebanus sancti lusti pro controuersia, que uertebatur inter uos et plebanum ipsum super cappella sancti lacobi in territorio '^^ uestro fundata, in eins fuissent presentia constituti, predicti concanonici uestri iudicialem senten- tiam allegarunt, quam sancte recordationis predecessor noster Inno- centius super ipsa controuersia dederat, et confirmationem etiam, quam pie memorie predecessor noster Eugenius papa fecerat, alle- garunt. Plebanus uero, quod eadem cappella in fundo plebis sue coDstructa fuerit, et quod ad ordinationem suam specialiter perti- neret, ex sententia maxime bone memorie Attonis quondam Piste- riensis episcopi constantius allegauit. In fundo siquidem ipsius plebis eam esse constructam recognouerunt idem concanonici uestri, set dixeront, quod esset eadem cappella in plebis uestre territorio*'^

a) perlate. 6) posquam; posmodum. c) teritorio.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 279

sita. Unde predictus A. predecessor noster, rationibus Line inde anditis et cognitis, sententiam Innocentii, sicut a prefato prede- cessore nostro Eugenio confirmata fuerat, de fratrum suorum con- silio confirmauit et tarn eidem plebano qnam successoribus eins et plebi super hoc duxit silentium imponendum, hoc eis, secundum quod canonum statuta precipiunt, reseruato, ut uacante predicta cappella sacerdotem inueniant et uobis representent, qui, si idoneus fnerit, inuestituram cappelle et curam animarum de manu uestra recipiat et uobis de spiritualibus obedientiam et reuerentiam, sicut faciunt cappellarum uestrarum ceteri cappellani, promittat et in Omnibus deuote exibeat; illis uero de temporalibus debeat respon- dere, et eadem cappella, quemadmodum statutum est, plebi uestre tamquam matrici ecclesie in omni iure parrochiali, sicut relique cappelle uestre, subiecta permaneat. Nos igitur ipsius Alexandri predecessoris nostri uestigiis inherentes, conti rmationem et diffi- nitionem eins, sicut in suo priuilegio continetur, ratam habemus eamque auctoritate apostolica confirmantes, presentis scripti patro- cinio communimus. Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat hanc paginam nostre confirmationis infringere uel ei ausu temerario contraire. Si qua igitur in futurum ecclesiastica secu- larisue persona hanc nostre confirmationis paginam sciens contra eam temere uenire tentauerit, secundo tertioue commonita, nisi presumptionem '^) suam digna satisfactione correxerit, potestatis honorisque sui dignitate careat reamque se diuino iudicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissimo corpore ac sanguine Dei et domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo examine districte ultioni subiaceat. Cunctis*) autem uobis iusta seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, quatinus et hie fructum bone actionis percipiant et apud districtum iudicem premia eterne-^ pacis inueniant. Amen. Amen. Amen.

R. Ego Lucius catholice ecclesie episcopus ss. BY.

t Ego Henricus Albanensis episcopus ss.

f Ego Theobaldus^^ Hostiensis et Velletrensis episcopus ss. f Ego Johannes tit. sancti Marci presb. ca^d. ss. t Ego Laborans presb. card. sancte Marie Transtiberim tit. Ca-

lixti ss. f Ego Hubertus presb. card. tit. sancti Laurentii in Damaso ss. t Ego Pandulfus presb. card. tit. basilice XII Apostolorum ss.

t Ego Ard(icio) sancti Teodori diac. card. ss.

f Ego G-ratianus sanctorum Cosme et Damiani diac. card. ss.

d) presuntionem. e) cuntis. f) ecterne. g) Leobaldus.

19*

280 P. Kehr,

f Ego Soffredus sancte Marie in Via lata diac. card. ss. f Ego Albinus sancte Marie Noue diac. card. ss

Dat. Yerone per manum Hugonis sancte Romane ecclesie no- tarii, VIII kal. angnsti*\ indictione secunda, incamationis dominice anno M^CMiXXXTIII, pontificatus uero domni Lucii pape III anno III®.

h) agusti.

31.

TJrhan III. bestätigt das Abkommen in der Streitsache /zwischen dem Propst und den Kanonikern der Pieve S. Stefano in Prato und dem Kloster S. Maria di Grignano über den Bau einer Kirche.

Verona (1186—87) Mai 21.

Kopie im Ms. Bolle e indulti pdntificii; decreti vescovili s. XVIsq, Prato Arch. capitolare.

Ed, Carlesi Origini di Prato p. 156 n. 15, Vgl, Italia pontif, III 140 n. 26.

Urbanus episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis prepo- sito et canonicis plebis sancti Stephani de Prato salutem et apo- stoHcam benedictionem. Ea, qu^ super ecclesiarmn ") litigiis con- cordia uel iudicio statuuntur, firma uolmnns et inconcussa manere et, ne processu temporis in recidiu^ contentionis scrupnlum quali- cmnque*^ temeritate deueniant, mandari scriptur^ et apostolic^ bullQ munimine roborari. Intelleximus autem ex quoÜam scripto autentico, quod nobis*^ foit ex parte uestra exhibitum, quia, cum inter uos et monasterium sancte Mari^ de Grignano super fanda- tione cuiusdam ecclesi^ et quibusdam aliis controuersia uerteretur, ea fuit postmodum, arbitris concorditer ab utraque parte electis, amicabili transactione finita, quam compositionem, sicut rationa- biliter facta est et ab utraque parte recepta et suprascripto ''^ au- tentico continetur, ratam habentes auctoritate apostolica confirma- mus. Nulli igitur etc.

Dat. Verone XII kal. iunii.

a) cartarum. h) quali. c) notom. d) infrascripto.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 281

33.

Urhan JH. bestätigt die Entscheidung Alexanders 111. in der Streitsache zwischen dem Propst und den Kanonikern von Prato und dem Pleban der Kirche des h. J^istiis über die Kapelle des h. Jacohus.

Verona 1187 Februar 26.

Kopie im Ms. Bolle e indidti pontificii; decreti vescovili s, XVlsq. Prato Ärch, capitolare.

Regg. bei Ughelli ^ 111 335 und bei Carlesi Origini di Prato p. 166 n. 16. Gan^ nach der Voriirhmde Lucius' 111. von 1184. Juli 25 (Nr, 30). Vgl. Italia pontif. 111 141 n. 28.

Urbanus episcopus semus seruorum Dei. Dilectis filiis Ple- bano preposito et canonicis Pratensibus salutem et apostolicam benedictionem. Quemadmodum eqnitatis uigor expostnlat et

institi^ integritas persuadet, quod prolat^ ad sedem apostolicam controuersi^ rationabili indicio terminentur, ita quoque necessarium est et accommodum rationi, ut postquam terminat^ faerint ac decisQ, ne uel processu temporis dilabantur a memoria posterorum uel pro instrxunentorum defectn in recidiu^ contentionis scrupulum ualeant postmodum deuenire, literamm fidei commendentur. Dignum namque est, ut, si forte nllo tempore per calumnantium insidias aliquid motum fuerit questionis, secntura posteritas pr^ manibus habeat quod requirat, per quod uidelicet aduersariorum calumnias et qnestiones excludat. Ex prinilegiis sane felicis memoria Ale- xandri et Lucii pape, pr^decessorum nostrorum, comperimus, quod, cum Eolandus et Ubaldus concanonici uestri et 0. plebanus sancti lusti pro controuersia, qu^ uertebatur") inter uos et plebanum ipsum super cappella sancti lacobi in territorio uestro fundata, in eins fuissent presentia constituti, predicti concanonici uestri iudi- cialem sententiam allegarunt, quam sancte recordationis predecessor noster Innocentius papa super ipsa controuersia dederat, et confir- mationem etiam, quam pi^ memorie predecessor noster Eugenius papa postmodum fecerat, allegarunt. Plebanus uero, quod eadem cappella in fundo plebis su§ constructa fuerit, et quod ad ordina- tionem suam specialiter pertineret, ex sententia maxime bon^ me- morie Attonis quondam Pistoriensis episcopi constantius^^ allegauit. In fundo siquidem ipsius plebis eam esse constructam recognouerunt iidem canonici uestri, sed dixerunt, quod esset eadem cappella in

a) uertebat. h) constatius.

282 P. Kehr,

plebis uestr^ territorio sita. Unde pr^dictus Alexander predecessor noster, rationibus hinc inde auditis et cognitis, sententiam Inno- centii, sicut a prefato predecessore nostro Eugenio confirmata fu- erat, de fratrum suorum consilio confirmauit et tarn eidem plebano quam successoribus eius et plebi super hoc duxit silentium impo- nendum, hoc eis, secundum quod canonum statuta pr^cipiunt, re- seruato, ut uacante predicta cappella sacerdotem inueniant^^ et uobis representent, qui, si idoneus fuerit, inuestituram cappelle et curam animarum de manu uestra recipiat et uobis de spiritualibus obedientiam et reuerentiam, sicut faciunt cappellarum uestrarum cfteri cappellani, promittat et in omnibus deuote exibeat; Ulis uero de temporalibus debeat respondere et eadem cappella, quem- admodum statutum est, plebi uestr^ tamquam matrici ecclesi^ in omni iure parrochiali, sicut reliqu^ cappell? uestr^, subiecta per- maneat. Nos itaque ipsorum Alexandri et Lucii pr^decessorum nostrorum uestigiis inherentes, confirmationem et diffinitionem ipsam, sicut in eorum priuilegiis*') continetur, ratam habemus eam- que auctoritate apostolica confirmantes, presentis scripti patrocinio communimus. Decernimus ergo etc. Si qua igitur etc. Cunctis autem etc.

R. Ego Urbanus cathoKc^ ecclesie episcopus ss. "^ Sequuntur suhscriptiones cardinalmm.

Dat. Verona per manum Alberti sancte Roman^ ecclesie pre- sbiteri cardinalis et cancellarii, quarto kal. martii, indictione^^ quinta, incamationis dominic^ anno M^.C^LXXX^.VI^, pontificatus uero domni Urbani pap^ tertii anno secundo.

c) inueniat. d) priuilegio. e) ss. fehlt. f) inditione.

33.

Urhan III. bestätigt dem Bischof Hildebrand von Volterra nach dem Vorgänge Innocenz' IL und Alexanders III. die Besitzungen, die Kirchen und die Grenzen des Bistums.

Verona 1187 September 21.

Orig. Volterra Arch. vescovile.

Die Urkunde ist oft cUiert (vgl. J. 9973. J-L. 16002). Den vollen Text verdanke ich der Güte des Kanonikus Mariani in Vol- terra. Vgl. Italia pontif III 286 n. 29.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 283

Urbanus episcopus seruus seruorum Dei. Yenerabili fratri Hildebrando Vulterrano episcopo eiusque successoribus canonice substituendis in perpetuum. Cum omnibus ecclesiis et personis

ecclesiasticis debitores ex apostolice sedis auctoritate ac beniuo- lentia existere debeamus, illis tarnen personis, que beato Petro et sancte Romane ecclesie specialius adherere noscuntur, propensiori nos connenit affectionis studio prouidere et ecclesiis sibi a Deo commissis suam iusticiam conseruare. Eapropter, uenerabilis in Christo Hildebrande frater episcope, tuis iustis postulationibus clementer annuimus et predecessoris nostri felicis memorie Inno- centii et Alexandri Romanorum pontificum uestigiis inherentes, ecclesiam Yulterranam, in qua auctore Deo preesse dinosceris, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti priuilegio communimus. Statuentes, ut quascunque possessiones, quecunque bona in monasteriis, ecclesiis, castris, uiljis, siluis, ui- neis, terris cultis et incultis, domibus seu aliis rebus eadem Yul- terrana ecclesia in presentiarum iuste et canonice possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum uel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis prestante Domino poterit adipisci, firma tibi tuisque successoribus et illibata permaneant. In quibus hec propriis duximus exprimenda uocabulis : cenobium scilicet sancti lusti, monasterium de Cerreto, monasterium de Pu, liciano cum ecclesia sancti Mariani, Muccbium, Spongiam, Coneum, Serenam, Masium, Sarium, ecclesiam sancti Dalmatii, ecclesiam sancte Marie de Monte Scudario, Corniam, Morronam, monasterium sancti Cassiani in Carisio, plebem sancti Greminiani et capellam sancti Ste- phani, plebem de Nera, plebem Montis Vultrarii, plebem sancti Yppo- liti, plebem de castello Scodepernine, plebem sancti lusti, plebem de Molli, de Monte, de Tocle, de Multiciano, de Lugriano, de Cluslino, plebem sancti Pauli, de Lame, de Yto, de Sorsciano, ecclesiam Montis Scalocchi, de Monte Donico, de Casula, de Publico, de Morba, de Comessano, de Lustiniano, de Micciano, de Silano, de Querceto, de Caselle, de Yslaito, de Casale lustuli, de Paratino, de Casallia, de Strido, de Paterno, de Riuo alto, capellam de Rocha, plebem de Paua, de Urciatico, de Gabreto, de Fabrica, de Pezzola, de Pino, de Yillamagna, de Rignano, de Toiano, de Coiano, de sancto Regulo, de Clanne, ecclesiam sancti Yictoris, plebem de Piscignano et de CoUe. Quas nimirum plebes cum capellis et rebus ad ipsas pertinentibus , quemadmodum Yulterrane ecclesie iuris esse no- scuntur , tibi tuisque successoribus confirmamus. Insuper etiam confirmamus tibi et successoribus tuis Casalliam de ualle Else, Monte Grabrum, Rucignanum cum tota curia sua, Montem Castel-

284 P- Kehr,

lum, medietatem Agnani. Nichilominus confirmamus tibi tuisque successoribus ciuitatem VTilterranam cum pertinentiis suis, Montem Vultrarium, sanctum Geminianum, Ulignanum, Pulicianum, Cati- gnanum, Gambassum, Colle Musculi, Montem acutum cum capella intus posita, Casulam, Mentianum, Montem Alcinum, Frosinam^ Cluslinum, Monterium, Fosinam, Saxum, Montem Cerbuli et quic- quid iuste possidetis in locis inferius positis, uidelicet Gerfalc, Trauali, Stagia, Castilione, Montecastelli, Licia, Silano, Rignanum. Villam, Sarazano, Libiano, Micciano, Bibone, Casalliam, Gellum, Gabretum, Lanera, Lemele. Termini autem ipsius episcopatus bis finibus distinguntur: ab Elsa usque ad mare et a termino, qui est iuxta Siticchium, et ab alio, qui est prope Sofficillum, et ab alio, qui est prope Tocchi et Sancta, sicut erat usque ad sanctum Cas- sianum in Carisi. Adicimus etiam, ut in ecclesiis, in quibus ius optines patronatus, contra rationabilem consuetudinem absque con- scientia tua nullus eligi debeat in prelatum, neque in episcopatu tue sine tua uel tui catholici successoris assensu de nouo ecclesia seu Oratorium fabricetur, priuilegiis dilectis filiis nostris Hospi- talariis et Templariis ab apostolica sede indultis suam obtinentibus firmitatem. Decemimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat pre- fatam ecclesiam temere perturbare aut eius possessiones auferre uel ablatas retinere, minuere seu quibuslibet uexationibus fatigare, sed omnia integra conseruentur, eorum, pro quorum gubematione ac sustentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua sedis apostolice auctoritate. Si qua igitur in futurum ecclesiastica secularisue persona hanc nostre constitutionis paginam sciens contra eam temere uenire temptauerit, secundo tertioue commonita, nisi reatum suum congrua satisfactione correxerit, potestatis honorisque sui dignitate careat reamque se diuino iudicio existere de perpe- trata iniquitate cognoscat et a sacratissimo corpore ac sanguine Dei et domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo examine diuine ultioni subiaceat. Cunctis autem eidem loco sua iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, qua- tenus et hie fructmn bone actionis percipiant et apud districtum iudicem premia eteme pacis inueniant. Amen. Amen. Amen. R. Ego Urbanus catbolice ecclesie episcopus ss. BV.

f Ego Henricus Albanensis episcopus ss.

t Ego Paulus Prenestinus episcopus ss.

t Ego Theobaldus Hostiensis et Velletrensis episcopus ss. I Ego Petrus de Bono presbiter cardinalis tit. sanote Susanne ss. I Ego Laborans presbiter cardinalis sancte Marie Transtiberim tit. Calixti ss.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 285

-j- Ego Melior presbiter cardinalis sanctorum lohannis et Pauli tit.

Pamachii ss. t Ego^Adelardus tit. sancti Marcelli presbiter cardinalis ss.

f Ego lac(intus) sancte Marie in Cosmidyn diaconiis cardi- nalis SS.

t Ego Grratiamis diaconus cardinalis sanctorum Cosme et Damiani ss.

f Ego Octauianus sanctorum Sergii et Bacbi diaconus car- dinalis SS.

f Ego Eollandus sancte Marie in Porticu diaconus cardi- nalis SS.

f Ego Petrus sancti Nicolai in carcere Tulliano diaconus cardinalis ss.

f Ego Radulfus sancti Georgii ad Velum aureum diaconus cardinalis ss.

Dat. Yeron. per manum Alberti [sancte Romane ecclesie pre- sbyteri cajrdinalis et cancellarii, XI™*> kal. octobr., indictione sexta, incarnationis dominice anno M^.C^.LXXXVII"'*' , pontificatus uero domni Urbani pape III anno secundo.

ß.

34.

Clemens III. nimmt die Kirche S. Niccolö dt Montieri unter dem Prior Suauizo in den päpstlichen Schidz und bestätigt die Besitzungen,

Pisa 1188 Januar 20.

Siena Bihl. comunale cod, C IV 3 f. 87 : Kopie von der Hand JBenvoglientis, nach dessen Angabe sich das Original damals im Besitz des Colonello Citerni befand. J-L. 16138 nach v. Pfhtgk-Harttung Iter p. 313 n. 864. Vgl. Itcdia pontif. III 297 n. 5.

Clemens episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Suauizo priori ecclesie sancti Nicholai de Monterio eiusque fratribus tarn presentibus quam futuris canonice instituendis in perpetuum. Quotiens a nobis petitur, quod religioni et honestati conuenire ui- detur, animo nos decet libenti concedere et petentium desideriis apostolicum sufFragium impertiri. Eapropter, dilecti in Domino filii, uestris iustis postulationibus clementer annuimus et ecclesiam beati Nicholai, in qua diuino estis obsequio mancipati, predecessorum nostrorum sanct^ recordationis patris et predecessoris nostri Eu- genii, Anastasii, Adriani et Alexandri Romanorum pontificum

286 P- Kehr,

uestigiis inherentes, sub beati Petri et nostra protectione snscipi- mus et prqsentis scripti priuilegio communimus. Statuentes , ut quascmnque possessiones, quecumque bona eadem ecclesia in presen- tiarum iuste et canonice possidet aut in futurum concessione pon- tificum , largitione regum uel principum . oblatione fidelimn seu aliis iustis modis prestante Domino poterit adipisci, firma uobis Tiestrisque successoribus et inlibata permaneant. In quibus h^c propriis duximus exprimenda uocabulis : apud Trauale capellam sancti Michaelis et capellam sancti Siluestri cum pertinentiis suis, capellam sancti Michaelis de Bolago cum pertinentiis suis, capellam sancti Nicholai de Viniali cum pertinentiis suis, capellam sancti Andree de Rocca cum pertinentiis suis, quicquid contingit uos de Castro Girfalci in curte et in omnibus, quae sub terra uel super terram sunt ex dono Ranieri comitis, medietatem quoque deci- marum eiusdem loci, quam bone memoria Rogerius quondam Vul- terranus episcopus pia uobis donatione concessit scriptique sui munimine et assertione firmauit, terras quoque et uineas, quas habetis apud sanctum Geminianum, terras item et uineas, quas habetis apud Senam. Prohibemus etiam, ne ulli episcopo liceat eamdem ecclesiam illicitis exactionibus aggrauare. Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat prefatam ecclesiam temere perturbare aut eins possessiones auferre uel ablatas retinere, min- uere seu quibuslibet uexationibus f atigare, sed") illibata et integra conseruentur, eorum, pro quorum gubernatione ac sustentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua sedis apostolice auctoritate et diocesani episcopi canonica iustitia. Ad indicium autem hnius a sede apostolica percept§ protectionis uos uestrique successores nobis nostrisque successoribus aureum unum annis sin- gulis persoluetis. Si qua igitur in futurum ecclesiastica secularisue persona hanc nostre constitutionis paginam sciens contra eam te- mere uenire temptauerit, secundo tertioue commonita, nisi presum- tionem suam congrua satisf actione correxerit, potestatis honoris que 8ui dignitate careat reamque se diuino iudicio existere de perpe- trata iniquitate cognoscat atque a sacratissimo corpore ac sanguine Dei et domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo examine diuine ultioni subiaceat. Cunctis autem eidem loco sua iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, qua- tinus et hie fructum bone actionis percipiant et apud districtum iudicem premia eteme pacis inueniant. Amen, Amen. Amen.

a) sed fehlt.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 287

R. Ego Clemens catholice ecclesie episcopus ss.^^

f Ego Theobaldus Hostiensis et Velletrensis episcopus ss. ^> f Ego Laborans presb. card. sancte Marie^ Transtiberim tit. "^ Ca-

lixti ss. ^) -j- Ego Melior presb. card. sanctorum lohannis et Pauli tit. Pa- macbii ss. *^

f Ego lacinctus sancte Marie in Cosmidin diac. card. ss.

f Ego Gratianus sanctorum Cosme et Damiani diac. card. ss.

f Ego Octauianus sanctorum Sergii et Baccbi diac. card. ss.

f Ego Petrus sancti Nicholai in carcere Tulliano diac. card. ss.

f Ego ßadulfus sancti Georgii ad Velum^^ aureum diac.card. ss.

Datum Pisis per manum Moisis Lateranensis canonici uicem agentis cancellarii, XIII kal. februarii, indictione VI, incarnationis dominice anno MCLXXXVII, pontificatus uero domini Clementis anno primo.

h) SS. fehlt. c) titulo. d) Vellura.

35.

Clemens III. bestätigt dem Bistum Arezzo unter dem Bischof Amedeus nach dem Vorgange Paschais II. und Iladrians IV. die Besitzungen und Bechte. (1188 März 21).

Kopie s. XIII in. Florenz Ar eh. di stato (Camaldoli s. XII

n. 8).

Die Kopie ist unvollständig. Von den Vorurhunden ist die Pa- schals II. J-L. 6477 erhalten^ die Hadrians IV. aber verloren. Dieses und ein ebenfalls verlorenes Privileg Celestins III. tviederholte Inno- cenz IIL 1198 März 16. Die Datierung 1188 März 21 fand U. Pasqui in einem Katalog von 1535. Vgl. Itcdia pontificia III 156 n. 49.

Clemens episcopus seruus seruorum Dei. Venerabili fratri Amedeo Aretino episcopo eiusque"^ successoribus *). In eminenti apostolice sedis disponente Domino specula constituti etc. Eapropter, uenerabilis in Christo frater Amadee episcope, rationabilibus tuis postulationibus gratum impertimur consensum et Aretinam eccle- siam, in qua beati martyris Donati sacrosanctum*^) corpus^) requie-

ä) suisque. b) zu ergänzen etwa canonice substituendis in perpetuum.

<j) sacrasanctum. d) corpus fehlt

288 P- Kehr,

scere creditnr, cui Deo auctore preesse dinosceris , ad exemplar predecessorum nostrorum Pascalis pape secundi et Adriani pape IIII*) sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et apostolice sedis priuilegio communimus. Statuentes , ut quascuinque possessiones, quecmnque bona eadem ecclesia impresentiarum iuste-''^ et canonice possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum seu aliis iustis modis prestante Domino poterit adipisei, firma tibi tuisque successoribus et illibata permaneant. In quibus hec pro- priis duximus exprimenda uocabulis: monasterium saneti Saluatoris Camaldulensis , monasterium de Pratalia , monasterium de Rota, monasterium Berardingorum^^, monasterium Siluemunde etc, et omnes ecclesias, quas dicta monasteria possident*) in diocesi Are- tina. In uniuersa igitur Aretini episcopatus parrochia episcopalis officii debita exhibenda uobis et exigenda concedimus, ut in eccle- siis seu monasteriis correctiones seu dispositiones iuxta*) mode- ramen canonice sanetionis et regularis institutionis exhibeatis. Prohibemus quoque, ne uUi fas sit intra diocesim Aretine ecclesie ecclesiam seu Oratorium sine tuo uel successorum tuorum assensu de nouo construere, saluis priuilegiis apostolice sedis. Decernimus*) ergo, ut nulli omnino hominum liceat prefatam ecclesiam temere perturbare uel eius'^ possessiones auferre uel ablatas retinere, minuere seu quibuslibet uexationibus f atigare, salua in omnibus sedis apostolice auctoritate.

e) HI. /■) iuste impresentiarum. g) Berendigorum. K) possedent.

i) iusta. Ti) decernibus. l) eas.

36.

Clemens III. nimmt die Kirclie von Sovana unter dem, Prior Bainer in den apostolischen Schutz, bestätigt ihr die Besitzungen^ und verbietet dem Bischof von Sovana und seinen Nachfolgern, ohne offenkundigen und triftigen Grund die Kirche und die Kleriker zu exkommunizieren oder mit dem Interdikt zu belegen,

Lateran 1188 April 5,

Orig. Siena Ärchivio di stato (Riformagioni Balzana).

Vgl. Italia pontif. III 354 n. 2.

CLEMENS EPISCOPVS SERVVS SERVORVM DEL DILECTIS FILIIS RANERIO PRIORI SOANENSIS ECCLESIE EIVSQVE FRA- TRIBVS TAM PRESENTIBVS QVAM FVTVRIS CANONICE SVB- STITVENDIS IN PERPETVVM. | Monet nos apostolice sedis, cui

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 289

licet immeriti deseruimus, auctoritas, pro statu omnium ecclesiarum pronida circmnspectione satagere et, ne malignorum rapinis uel mole- stiis exponantur, apostolicum ipsis patrocinium impertiri. Eapropter, | dilecti in Domino filii, uestris iustis postulationibus clementer annui- mus et prefatam Soanensem ecclesiam, in qua diuino estis obsequio mancipati, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti priuüegio | communimus. Statuentes, ut quascumque possessi- ones, quecumque bona eadem ecclesia in presentiarum iuste et cano- nice possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum uel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis | modis prestante Domino poterit adipisci, firma uobis uestrisque successoribus et illibata permaneant. In quibus hec propriis duximus eiq)rimenda uocabulis: locum ipsum, in quo prefata ecclesia sita est, cum Om- nibus pertinentiis suis, plebem Soanensem | cum omnibus pertinen- tiis et redditibus suis tam in decünis quam in aliis, ecclesiam sancte Christine, que est iuxta ciuitatem, molendina de Calesina, molendinum Ariminis fluminis, uineam de Altaiola, et quicquid in ciuitate uel extra habetis, plebem in Pitiliano sitam cum terris, | uineis, decimis et redditibus omnibus et pertinentiis suis, et decimas eiusdem castri, terras, quas dedit uobis Iffo pro anima sua, terras, quas dedit uobis Gaidolfus in Baranello et Olliano, terras, quas dedit uobis Gotifredus citra Calesinam fluuium, terras, | quas dedit uobis Anseimus Rainerii, terras, quas dedit uobis Bonizo in Supano, terras, quas dedit uobis Eurardus notarius, terram, quam dioce- sani episcopi iuxta eandem ciuitatem uestre ecclesie concesserant, ecclesiam sancti Martini in Coronzano cum omnibus pertinentiis | et redditibus suis, ecclesiam sancti Georgii in Perticie sitam cum omnibus pertinentiis suis, possessiones, quas Gezo pater lohannis episcopi cum una domo in ciuitate dedit ecclesie uestre, duos mansos in Ilci, uineam et terram in Piano Soanensi, ecclesiam sancte Crucis de | Meleto cum omnibus pertinentiis et redditibus suis, et quicquid habetis in plebeio de Corano, ecclesiam sancte Crucis de Monte Ventozo ^) cum omnibus pertinentiis et redditibus suis, arcem Tedulam cum ecclesia et omnibus pertinentiis et reddi- tibus suis I tam iu decimis quam in aliis, ecclesiam sancte Crucis de sancto Prognano cum omnibus pertinentiis et redditibus suis, et quicquid habetis in eodem Castro, tertiam partem castri Montis Marani, quicquid habetis in ecclesia sancti Laurentii | eiusdem castri, et quicquid habetis in ecclesia sancti Blasii, ecclesiam sancte Barbare cum omnibus, que in Castro et extra castrum habetis tam

1) Monte-Vitozzo, vgl. Eepetti Dizionario III 557.

290 ^- Ke^^'

in ecclesiis quam in omnibus aliis possessionibus et decimis et red- ditibus suis, bospitale de balneo Su|anensi cum omnibus pertinen- tiis suis, plebem de Monte Paonis cam capella et omnibus perti- nentiis et redditibus suis et eiusdem castri decimas, decimas de Vicerano, decimas de Monte Orzari, et quidquid habetis in plebe et capella eiusdem castri | et in omnibus pertinentiis de curte Montis Paonis, ecclesiam sancti Martini de Malliano cum omnibus pertinentiis et redditibus suis, tres albergarias in ecclesia sancti Saluatoris de Malliano cum omni iure, quod ibidem habetis, plebem de Tricosto | cum capella et omnibus pertinentiis et redditibus suis tarn in decimis quam in aliis et quicquid in Castro et extra habetis, ecclesiam sancti Sixti in campo Albignano cum omnibus pertinen- tiis suis, ecclesiam sancti Saluatoris de Massiliano cum omnibus | pertinentiis et redditibus suis, ecclesiam sancti Andree de Manzi- ano cum pertinentiis suis et ecclesiam sancti Angeli iuxta idem castrum cum pertinentiis suis, et quicquid infra et extra castrum habetis, plebem de Saturnia cum omnibus pertinentiis suis, mo- lendi|num de balneo Suanensi , piscariam , quam habetis apnd Orbetellum, molendinum in aqua predicti balnei, quod dedit uobis Dosiuna de Monte Morilli et possessiones alias pro anima sua et uiri sui et filiorum et parentum suorum in Soana, in Piano Soa- nensi, in Monte Marano, | in Genesta et aliis locis, et quicquid habetis in Piano Soanensi et in plebeio eiusdem Plani et in Atri- ana, in Catabio, in ualle Pratali, in Camplano, in Contenzosa, in Casale, in Bovecano, in ripa G-rondinaria, in Celasano, in Genesta et in Scanzano | et in plebeio de Ballatori, et quicquid in aliis locis habetis. Antiquas quoque et rationabiles consuetudines et libertates, quas hactenus habuistis tarn in electione clericorum quam in aliis, ratas habemus, easque perpetuis temporibus | illi- batas permanere censemus. Interdicimus etiam , ut non liceat Suanensi episcopo eiusque successoribus in uos uel ecclesias aut clericos seu deuotos uestros excommunicationis, suspensionis aut interdicti sententiam sine | manifesta et rationabili causa proferre. Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat prefatam eccle- siam temere perturbare aut eius possessiones auferre uel ablatas retinere, | minuere seu quibuslibet uexationibus fatigare, sed omnia integra illibataque seruentur , eorum, pro quorum gubematione ac sustentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua sedis apostolice | auctoritate et diocesani episcopi canonica iustitia. Si qua igitur in futurum ecclesiastica secularisue persona hanc nostre constitutionis paginara sciens contra eam temere uenire temptauerit, ] secundo tertioue commonita, nisi reatum suum con-

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 291

grua satisfactione correxerit, potestatis honorisque sui careat digni- tate reamque se diuino iudicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissi;ino corpore ac sanguine Dei et domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo exa- mine districte ultioni siibiaceat. Cunetis autem eidem loco sna iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, | quatinus et hie fruetum bone actionis percipiant et apud districtum iudicem premia eterne pacis inueniant. AMEN. AMEN. AMEN. |

E. Ego Clemens catholice ecclesie episcopus ss. BV. f Ego Theobaldus Hostiensis et Yelletrensis episcopus ss. [f] Ego lohannes presb. card. tit. sancti Marci ss. [t] Ego Laborans presb. card. sancte Marie Transtiberim [tit.]"^

Calixti ss. f Ego Albinus tit. sancte Crucis in Jerusalem presb. card. ss. f Ego Melior presb. card. sanctorum lohannis et Pauli tit. Pa-

machii ss. f Ego Petrus presb. card. tit. sancte Cecilie ss.

f Ego Petrus tit. sancti Clementis presb. card. ss. t Ego Rodulfus tit. sancte Praxedis presb. card. ss. f Ego Alexius tit. sancte Susanne presb. card. ss.

f Ego Petrus presb. card. tit. sancti Petri ad Vincula ss.

f Ego lacinctus diac. card. sancte Marie in Cosmydyn ss. t Ego Gratianus sanctorum Cosme et Damiani diac. card. ss. f Ego Oct(auianus) sanctorum Sergii et Bachi diac. card. ss. f Ego Soffredus sancte Marie in Via lata diac. card. ss. f Ego Bobo sancti Greorgii ad Velum aureum diac. card. ss.

f Ego lohannes Felix diac. card. sancti Eustachii iuxta

templum Agrippe ss. t Ego lohannes sancti Theodori diac. card. ss. f Ego Bernardus sancte Marie Nou^ diac. card. ss. f Ego Grregorius sancte Marie in Aquiro diac. card. ss.

Dat. Lateran, per manum Moysi sancte Romane ecclesie sub- diaconi uicem agentis cancellarii, non. aprilis, indictione sexta, in- carnationis dominice anno M^.C^.LXXXVIII^, pontificatus uero do- mini CLEMENTIS pape III anno primo.

B. dep.

a) Der Schreiber vergaß tit., setzte aber die Abkürzungszeichen darüber.

292 !*• Kehr,

87.

Clemens III. nimmt den Ärchipresbyter Emnanus von Civita Castellana in den apostolischen Schutz und verleiht ihm das RecJU an den apostolischen Stuhl zu appellieren. Lateran 1189 September 13.

Summarium a, 1759 feb. 1 mim. XIV: Restrictus facti et iuris (de Ute inter capitulum Civitatis Castellanae et capitulum Hortae). (Eomae typis Bernabo 1759),

Die üeberlieferung von Civita Castellana ist bekanntlich ganz zu Grunde gegangen; vgl. Itdlia pontif. II 184 sq. Besser steht es mit der Üeberlieferung des benachbarten Orte, mit dessen Diözese Civita Castellana durch Eugen IV. 1437 vereinigt wurde, was zu einer großen Fehde über die Präcedenz zwischen den Kapiteln der beiden Katliedralkirchen Anlaß gab. Aus diesem Frozeß stammt die oben angeführte Prozeßschrift von 1759, der wir die einzige ältere Papst- urkunde für Civita Castellana verdanken. Unser Gönner Comm. Giocondo Pasquinangeli hat das Original Clemens' III. an Ort und Stelle vergeblich gesucht.

Clemens episcopus seruns semorum Dei. Dilecto filio Romano archipresbytero Cinitatis Castellanae salutem et apostolicam bene- dictionem. Sacrosancta Eomana ecclesia deuotos et humiles filios ex assuetae pietatis officio propensius diligere consueuit et, ne pranorum hominum molestiis agitentnr, eos tamqnam pia mater protectionis suae mnnimine confouere. Qaapropter, dilecte in Do- mino fili, deuotionem, quam erga beatum Petrum et nos ipsos ha- bere dignosceris, attendentes, personam tuam cum omnibus bonis tam ecclesiasticis quam mundanis, quae in praesentiarum rationa- biliter possides aut in futurum iustis modis praestante Domino poteris adipisci, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et praesentis scripti") patrocinio communimus. Statuentes, ut, si in aliquo te grauatum persenseris, libere tibi liceat sedem apostolicam appellare. NuUi ergo etc. Si quis autem etc. Dat. Lateran, id. sept. pontificatus nostri anno secundo.

a) praesentibus scriptis.

88.

Clemens III. nimmt da^s Kloster in Ripoli nach dem Vorgange Paschais IL in den apostolischen Schutz, bestätigt die Regel des h. Benedikt und die namentlich aufgeführten Besitzungen und Rechte.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 293

Orig. Florenz Arch. arcivescovile.

Die Kopie verdanJce ich Prof. Luigi SchiapareUi in Florenz, der das Stück trotz seiner Irregularitäten als ein sicheres Original he- zeichnet. Jedenfalls ist es ein unausgefertigt gebliebenes Stück, wie wir solche mehrfach haben. Es fehlen sowohl die Unterschriften der Kardinäle und die Datierung ivie die Bidle. Der Grund ist ziemlich deutlich. 1188 ivar das Kloster S. Bartolomeo a Ripoli an Vallom- brosa übergeben worden, während der Abt sich i7i Born ein nach dem Vorgange Faschals IL die Benediktinerregel und damit die Unab- hängigkeit bestätigendes Privileg zu holen versuchte. Dies blieb dann aber unatis gefertigt. Später ivurde das Stück einer Durchkorrigier ung unteru'orfen, wahrscheirdich um als Konzept für ein neues Privileg zu dienen. Zu Bipoli vgl. Italia pontif. III 41 sq.

CLEMENS EPISCOPVS SERVVS SERVORVM DEI. DILECTIS FILIIS ABBATI RIPVLENSIS MONASTERII QVOD SECVS FLO- RENTIAM SITVM EST EIVSQVE ERATRIBVS TAM PRESENTIBVS QVAM FVTVRIS REGVLAREM VITAM PROFESSIS IN PERPE- TVVM. I Quotiens a nobis petitur quod relig[io]iii et honestati

conuenire dinoscitur, animo nos decet libenti concedere et peten- titim desideriis effectam congruum impertiri. Eapropter«), dilecti in Domino | filii, uestris iustis postulation[ibu]s clementer annuimus et predietnm monasterium Ripulense, in quo diuino estis obsequio mancipati, ad exemplar felicis recordationis PASCHALIS pape pre- de|cessoris nostri^^ snb beati Petri et nostra protectione suscipi- mus*^^ et presentis scripti priuilegio commnnimus. Inprimis si- quidem statu entes, ut ordo monasticus, qui secundum Deum et beati | Benedicti regulam in eodem monasterio noscitur institutus, perpetuis ibidem temporibus inuiolabiliter obseruetur. Preterea quascumque possessiones, quecumque bona idem monasterium in presentiarum | iuste et canonice possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum uel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis prestante Domino poterit adipisci, firma uobis | uestrisque successoribus et illibata permaneant. In quibus bec propriis duximus exprimenda uocabulis : castrum Ripulense, in quo

a) Effepropter Or. ; p ist corr. aus c ; der Schreiher begann also mit Effec- (tum), vergaß aber Effe in Ea zu corrigiren. b) ad exemplar nostri ist

von der zweiten Hand durch Punktierung getilgt. c) dazu von der zweiten

Hand über der Zeile et ab omni inpetitione et requisitione diocesani episcopi cum Omnibus ad eundem monasterium pertinentibus capeilis necnon [nenn] et cuntis pertinentiis eximimus.

Kgl. Qea. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 2. 20

294 P- Kehr,

prefatum monasterium sitmn est cum omnibus pertinentiis | suis, ius patronatus, quod habetis in ecclesia sancti Donati in Citille et in ecclesia sancti Stephani de Vntignano, ecclesiam sancti Mar- cellini cum omnibus pertinentiis suis, curtem de Grigoro, curtem de Grello*'^, curtem de | Sala iuxta plebem sancte Marie de Anti- nula cum pertinentiis earum, curtem*) de CoUina, que dicitur Lu- zuli, cum Platano et Quintulo et cum omnibus earum pertinentiis*), curtem de Vzano | cum ecclesia sancti Martini et omnibus perti- nentiis suis, curtem de Clanti, curtem de Campi cum omnibus per- tinentiis earum, curtem de Pagnano et terram de Sinea cum om- nibus earum [ pertinentiis, curtem'^ de Monte Morello, curtem de Somaria et de loco Faito cum omnibus pertinentiis earum-'^, curtem de Tribio, curtem de Paterno cum omnibus earum pertinentiis, possessionem | de Fiessa cum appenditiis suis''^. Et quecumque iura et consuetudines rationabiles in ecclesia sancti Petri de Palco a quadraginta annis hactenus habuistis, uobis nichilominus confir- mamus. Liceat quoque uobis | clericos uel laicos e seculo fugientes liberos et absolutes ad conuersionem recipere et eos absque con- tradictione aliqua retinere. Sane decimationem de proprietatibus et possessionibus | monasterii, sicut hactenus per Florentinum et Fesulanum episcopos habuistis, etiam in posterum uos habere con- cedimus. Cum autem generale interdictum terre fuerit , liceat uobis I clausis ianuis, non pulsatis campanis, exclusis excommuni- catis et interdictis, suppressa uoce diuina officia celebrare*). Se- pulturam preterea ipsius monasterii liberam esse | concedimus. ut eorum deuotioni et extreme uoluntati, qui se illic sepeliri delibe- rauerint, nisi forte excommunicati uel interdicti sint, nullus ob- sistat, salua tamen iustitia illarum ecclesiarum, | a quibus mortu- orum Corpora assumuntur. Crisma quoque, oleum sanctum, conse- crationes altarium seu basilicarum, ordinationes monachorum uel clericorum, qui ad sacros fuerint ordines promouendi, liceat uobis | a Florentino suscipere*) episcopo, siquidem catholicus fuerit et gratiam atque communionem apostolice sedis habuerit et ea gratis et absque prauitate aliqua uobis uoluerit exhibere; alioquüi liceat uobis, quemcumque | malueritis, adire antistitem, qui nostra fultus

d) curtem de Gello von der zweiten Hand durchstrichen. e) ebenso curtem pertinentiis. f) ebenso curtem pertinentiis earum. g) dazu von

der zweiten Hand über der Zeile et portum de Arno. h) hier fügte die zweite

Hand über der Zeile hinzu Libertates etiam et inmunitates antiquas et rationa- biles consuetudines in uestro monasterio actenus obseruatas ratas habemus easque perpetuis temporibus illibatas permanere sancimus. i) liceat suscipere auf

Basur.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 295

auctoritate quod postulatur impendat *). Obeunte uero te nunc eiusdem loci abbate uel tuorum quolibet snccessorum, nuUus ibi qualibet | subreptionis [a]st[utia] seu niolentia preponatur, nisi quem fratres communi consensu uel fratrum pars consilii sanioris secundam Bei timorem et beati Benedict! regulam prouiderint | eligendum. Pa[ci quoque et trjanquillitati uestre paterna in po- sterum sollicitudine prouidere uolentes, auctoritate apostolica pro- hibemus , ne quis infra fines domorum uestrarum furtum rapi- namue comjmittere, ignem [apponere], hominem capere uel inter- ficere seu aliquam uiolentiam temere audeat exercere. Decernimus ergo etc. Si qua igitur etc. Cunctis autem etc. AMEN. AMEN. AMEN. 1

R. Ego Clemens catholice ecclesie episcopus ss. BV.

k) hier schaltet die zweite Hand ein Ad hec nulli episcopo fas sit in uos excommunicationis uel interdicti sententiam promulgare, ut qui in filios speciales Eomane sedis estis assumpti, nullius alterius iudicium temere subbeatis.

39.

Celestin III. nimmt nach dem Vor gange Gregors VII., Urbans II., Füschals IL, Innocenz^ IL, Alexanders III. das Kloster des h. Michael in Passignano unter dem Alt Albert in den apostolischen Schutz und bestätigt die namentlich aufgeführten Besitzungen , die Wahl des Bischofs für die bischöflichen Leistungen, das Aufnahmerecht, die freie Septdtur und das Wahlrecht.

Rom S. Peter 1191 Juli 26.

Kopie s. XIV Florenz Arch. di stato (Badia di Ripoli) [B] = Chartular von Ripoli s. XVLLI ebenda (Conv. soppr. 224 cod. 211) p. 205. Cornelii Margarini Thesaurus historicus Vol. III f. 519 Rom Vat. Arch. Arm. LIV t. 3 aus dem verlorenen Registrum Vallis Umbrosae f. 174, ehemals im Archiv von S. Prassede [M] = Kop. s. XVII— XVIII im cod. Vat. lat. 7157 f 66. - (G. Nannini) Bullarium Vallumbrosanum t. I s. XVIII f. 263 Pescia Collegio di San Giuseppe; Genovini Liber bullarum a. 1704 f. 130 ebenda; Pri- vilegia congregationis Vallumbrosanae s. XVIII f. 48 ebenda.

Ed. Nardi Bull. Vallumbr. p. 77. Regg. Kaltenbrunner in Wiener SB. XCIV 691 n. 10310a. Pflugk - Harttimg Iter p. 323 n. 924. J-L. 16732. Bie Urkunde folgt wörtlich dem Privileg Alexanders III. J-L. 14053 (ed. Gott. Nachr. 1904 S. 177 Nr. 24). Vgl. Italia pontif. III 113 n. 42.

296 P- l^ehr,

Celestinus episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Al- berto abbati monasterii sancti IVIichaelis archangeli de Passiniano'*^ qnod est sitmn in loco, qui dicitnr Passinianus *^, eiusque fratribus tarn presentibus quam futuris regulärem uitam professis in perpe- tuum. Officii nostri nos admonet.

Ego Celestinus catholice ecclesie episcopus ss. BV.

f Ego Albinus Albanensis episcopus ss.

f Ego Octauianus Hostiensis et Velletrensis ''^ episcopus ss.

f Ego Johannes Penestrinus '^^ episcopus ss. f Ego Pandulfus presb. card. basilice XII Apostolorum ss. t Ego Petrus presb. card. sancti Petri ad Vincula tit. Eudoxie*^ ss. f Ego lordanus'^ presb. card. sancte Pudentiane tit. Pastoris ss. f Ego lohannes tit. sancti Clementis card., Tuscanensis episcopus ss. t Ego Rufinus^^ tit. sancte Praxedis card., Ariminensis episcopus ss. f Ego Romanus tit. sancte Anastasie presb. card. ss. t Ego Gruido presb. card. sancte Marie Transtiberim*> tit. Ca-

listi*^ SS. t Ego lohannes tit. sancti Stephani in Celio monte presb. card. ss.

f Ego Gregorius sancte Marie in Porticu diac. card. ss.

f Ego Grregorius sancte Marie in Aquiro diac. card. ss.

f Ego Grregorius sancti Greorgü ad Velum aureum diac. card. SS.

t Ego Nicholaus*^ sancte Marie in Cosmidin'^ diac. card. ss.

f Ego Gregorius sancti Angeli diac. card. ss.

Dat. Rom. apud sanctum Petrum per manum Egidii sancti Nicolai in carcere Tulliano diaconi cardinalis, VII kal. augusti"»), indictione Villi, incarnationis dominice anno millesimo centesimo nonagesimo primo"^ pontificatus uero domini Celestini pape III anno primo.

a) Pasingano B. b) Passingnanum B. c) Valetren B. d) Praenesti- nus M. e) Teudoxi^ M. f) Joannes M. g) Refinus B\ Rofinus M.

h) Trastiber B. i) tit. Calisti fehlt in M. k) Nicolaus M. l) Cos-

medin M. m) agusti B. n) MCCXI, der Rest fehlt in M.

40.

Celestin III. nimmt die Kirche S. Stefano in Prato nach dem Vorgange Innocene' II. und Lucius' HL in den apostolischen Schutz und bestätigt die namentlich aufgeführten Besitzungen, Zehvten und Hechte. Rom S. Feter 1191 August 31.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 297

Kopie im Ms. Concessioni giurisdizionali dei smmni pontefici etc, s. XIV ex. [B] und Kopie im Ms. Bolle e indidti pontificii; de- creti vescovili s. XVI sq. [CJ, beide Prato Ar eh. capitolare.

Ed. Carlesi Origini di Prato p. 157 n. 17. Reg. bei üghelli ^ III 335. Die angezogenen Vorurhunden sind Innocenz' II. Pri- vileg von 1133 Mai 21 J-L. 7618 und Lucius' III. Bidle von 1183 Februar 12 J-L. 14839. Vgl. Italia pontif. III 141 n. 29.

Celestinus episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis . . preposito ecclesie sancti Stephani de Prato eiusque fratribus tarn presentibus quam futuris canonice substituendis in perpetuum. Effectum iusta''^ postulantibus indulgere et uigor equitatis et ordo exigit rationis, presertim cum petentium uoluntatem et pietas adiuuat et ueritas non relinquit. Eapropter, dilecti in Domino filii, uestris iustis postulationibus clementer annuimus et felicis recordationis Innocentii et Lucii predecessorum nostrorum E-oma- norum pontificum uestigiis inberentes, prefatam ecclesiam sancti Stephani de Prato, in qua diuino mancipati estis obsequio, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti priuilegio communimus. Statuentes, ut quascumque possessiones, quecumque bona eadem ecclesia in presentiarum iuste et canonice possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum uel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis prestante Domino ^^ poterit adipisci, firma uobis uestrisque successoribus et illibata permaneant. In quibus hec propriis duximus exprimenda uocabulis : ecclesiam sancte Marie in Castello cum suis pertinen- tiis, ecclesiam sancte Trinitatis cum suis pertinentiis, ecclesiam sancti Petri in porta Fura ^^ cum suis pertinentiis, ecclesiam sancti Yincentii, ecclesiam sancti lacobi , ecclesiam ^'^ sancti Tome cum pertinentiis suis, ecclesiam sancti Marci cum suis pertinentiis ''^ ecclesiam sancti Saluatoris cum suis pertinentiis, ecclesiam sancte Marie de Ribaldo cum suis pertinentiis, ecclesiam sancti Martini cum suis pertinentiis, monasterium sancti Martini de Coiano cum suis pertinentiis , ius quod habetis in monasterio sancti Fabiani, ecclesiam sancti Bartholomei de Coiano cum suis pertinentiis, ec- clesiam sancte Lucie cum pertinentiis suis, ecclesiam sancti Petri de Figlino cum suis pertinentiis, ius quod habetis in ecclesia sancti Michaelis *) de Cerreto, ius quod habetis in ecclesia sancti Petri de

a) iuxta BC. h) Deo C. c) in B korr. in Fuia oder Furia?

d) ecclesiam pertinentiis fehlt in C. e) Michelis B; Micheliis C.

298 P- Kehr,

Insnla, ius quod habetis in ecclesia sancti Martini de Sorniana, ins quod habetis in ecclesia de Fabbio-'^, ius quod habetis in eccle- sia sancti lohannis de Pistoria. Presenti quoque priuilegio duxi- mus statuendum, ut nulli parrochianos uestros ad officia dinina recipere liceat , qnamdiu a uobis fuerint excommnnicationis nel interdicti sententia condempnati. Statnimus insuper, ut in parro- chia eiusdem ecclesie, uobis inuitis et contradicentibus, nulli om- nino hominum liceat ecclesiam construere aut aliquam super hoc iniuriam inrogare, saluis tarnen priuilegüs Romanorum pontificum. Decimas itaque eorum, qui ad uestram ecclesiam iure parrochiali pertinent, absque alicuius contradictione uobis haberdas concedimus. Prohibemus etiam, ut nullus interdicti seu excommunicationis sen- tentiam absque iusta^) et rationabili causa in uos uel ecclesiam uestram audeat promulgare. Crisma uero, oleum sanctum, conse- crationes altarium seu basilicarum, ordinationes clericorum, qui ad sacros ordines fuerint promouendi, a diocesano suscipiatis epi- scopo, siquidem catholicus fuerit et gratiam atque communionem apostolice sedis habuerit et ea uobis gratis et absque prauitate aliqua uoluerit exibere; alioquin catholicum, quem malueritis, ad- eatis antistitem, qui nostra fretus auctoritate quod postulatur in- dulgeat. Sepulturam preterea ipsius loci liberam esse decernimus, ut eorum deuotioni et extreme uoluntati, qui parrochiani uestri censentur et se illic sepelliri deliberauerint, nullus obsistat; quam utique uobis et ecclesie uestre auctoritate apostolica confirmamus, ita quidem quod, si ad aliquam religiosam ecclesiam elegerint se- pelliri, canonica uobis in testamento portio reseruetur. Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat prefatam ecclesiam temere perturbare aut eins possessiones auferre uel ablatas retinere, min- uere seu quibuslibet uexationibus fatigare, set omnia integre con- seruentur*\ eorum, pro quorum gubernatione ac sustentatione con- cessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua sedis apostolice auc- toritate et diocesani episcopi canonica iustitia. Ad uestre autem deuotionis inditium et percepte huius ab apostolica sede protectio- nis uos unum aureum nobis nostrisque successoribus statuistis annis singulis soluturos. Si qua igitur in futurum ecclesiastica secularisue persona hanc nostre constitutionis paginam sciens con- tra eam temere uenire tentauerit , secundo tertioue commonita, nisi reatum suum condigna satisfactione correxerit, potestatis ho- norisque sui dignitate careat reamque se diuino iudicio de perpe- trata iniquitate cognoscat et a sacratissimo corpore ac sanguine

f) Fabio C. g) iuxta BC. h) reseruentur BC.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 299

Dei ac domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo examine districte ultioni subiaceat. Cunctis autem eidem loco sua iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, qua- tinus et hie fructum bone actionis percipiant et apud districtum iudicem premia eterne pacis inueniant. Amen. Amen. Amen.

R. Ego Celestinus catholice ecclesie episcopus ss. BV.

f Ego Albinus Albanensis episcopus ss.

t Ego Octauianus Hostiensis et Velletrensis episcopus ss.

f Ego Johannes Prenestinus episcopus ss.

f Ego Petrus Portuensis et sancte ßuffine episcopus ss, f Ego Johannes Felix presb. card. tit. sancte *) Susanne ss. f Ego Romanus tit. sancte Anastasie presb. card. ss. f Ego Guido presb. card. sancte Marie Transtiberim *) tit. Ca-

lixti SS. f Ego Hugo presb. card. sancti Martini tit. Equitii ss. f Ego Cinthius tit. sancti Laurentii in Lucina presb. card. ss.

f Ego Grherardus sancti Adriani diac. card. ss.

f Ego Grregorius sancte Marie in Porticu diac. card. ss.

f Ego Grregorius sancte Marie in Aquiro^^ diac. card. ss.

f Ego Gregorius sancti Georgii ad Velum aureum diac. card. ss.

f Ego Lotarius sanctorum Sergii et Bachi diac. card. ss.

f Ego Nicolaus sancte Marie in Cosmydyn diac. card. ss.

f Ego Gregorius diac. xiard. sancti Angeli ss.

Dat. Rome apud sanctum Petrum per manum Egidü sancti Nicolai in carcere Tulliano diac. card., 11 kal. septembris, indictione nona, incamationis dominice anno M^.C^.XC^.I^, pontificatus uero domni Celestini pape III anno primo.

i) sancte fehlt in B. 1c) Trastibi B. l) Agurro B.

41.

Celestin 111. nimmt das Kloster S. Lorenso delV Ardenghesca unter dem AU Stramho in den apostolischen Schutz und bestätigt ihm die Besitzungen und Rechte. Lateran 1194 April 17.

Orig. Siena Arch. di stato (S. Maria degli Angeli).

J-L. 17086 nach Wiener SB. XCIV 698 n. 10461a. Vgl. Italia pontif. III 267 n. 7,

300 P- Kehr,

CELESTINVS EPISCOPVS SERVVS SERVORVM DEI. DI- LECTIS FILIIS STKAMBO ABBATI MONASTERII SANCTI LAV- RENTII IVXTA FLVVIVM QVOD«) ANSO DICITVR SITVM EIVSQVE FRATRIBVS TAM PRESENTIBVS QVAM FVTVRIS REGVLAREM VITAM PROFESSIS IN PERPETVVM. | Quotiens ülud a nobis

petitur, quod rationi et honestati conuenire uidetur, animo nos decet libenti concedere et petentium desideriis congruum impertiri suffragium. Eapropter, dilecti in Domino filii, uestris | iustis postulationibus dementer annuimus et predecessorum nostrorum felicis memorie EVGENII, ADRIANI, ALEXANDRI et LVCII Eoma- norum pontificum uestigiis inherentes, prefatum monasterium, in quo diuino | mancipati estis obsequio, quod specialiter beati Petri iuris existit, sub eiusdem beati Petri et nostra protectione susci- pimus et presentis scripti priuilegio communimus. Inprimis siqui- dem statuentes, ut | ordo monasticus, qui secundum Deum et beati Benedicti regulam in eodem monasterio institutus esse dinoscitur, perpetuis ibidem temporibus inuiolabiliter obseruetur. Preterea quascumque possessio|nes, quecumque bona idem monasterium in presentiarum iuste et canonice possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum uel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis pre| staute Domino poterit adipisci, firma uobis uestrisque successoribus et illibata permaneant. In quibus bec propriis duximus exprimenda uocabulis : ecclesiam sancte Trinitatis de Orgia et hospitalem domum | eiusdem loci cum omni iure suo^ ecclesiam de Monte Sitii cum omni iure suo, et ins, quod habetis in ecclesia de Stilliano, ecclesiam de Modani cum omni iure suo, castrum de Ciuitella cum suis appenditiis et cum tri|bus ecclesiis in ipso constructis, ecclesiam uidelicet sancti Sebastiani infra castrum positam cum omni iure suo, plebem sancte Marie de Monte, quam uenerabilis frater noster Bonus Senensis episcopus uobis concessit, sicut in | instrumento eiusdem episcopi continetur, eccle- siam sancti Materni extra castrum sitam, duas portiones de castello et curte Montis Viridis cum ecclesia ibidem posita, ecclesiam de Signano et tres portiones ipsius uil|le, ecclesiam sancti Donati cum omni iure suo, quicquid iuris habetis in ecclesia de Brenna et in hiis, que^^ ad ipsam ecclesiam spectant, ecclesiam sancti Bartholomei de Lampugnano cum ipsa uilla, castrum de Balagaio cum 1 ecclesia ibidem posita, ecclesiam sancti Anastasii et ipsius castri tertiam partem, ecclesiam de Litiano cum omni iure suo, ecclesiam sancti Andree de Suuarella cum ipsa uilla, ecclesiam

a) sie. b) quicquid hiis que auf Rasur.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 301

sancti Laurentii et eiusdem castelli | duas partes, ius, quod habetis in plebe Montis Godani cum medietate eiusdem castri, decimationem omnem totius allodii, quam idem monasterium iuste et rationabi- liter habet tarn in episcopatu Se|nensi quam in Vulterrano et Gros- setano, uobis etiam concedimus et confirmamus. Sane ordinationes monachorum uel clericorum, dedicationes ecclesiarum et conse- crationes altarium a diocesano suscipietis episcopo, siqui|dem catho- licus fuerit et gratiam atque communionem apostolice sedis habuerit et ea gratis et absque prauitate aliqua uobis uoluerit exhibere; alioquin liceat uobis, quemcumque malueritis, adire antistitem, qui I nimirum nostra fretus auctoritate quod postulatur indulgeat. Liceat quoque uobis clericos uel laicos e seculo fugientes liberos et absolutes ad conuersionem recipere et in uestro monasterio abs- que con|tradictione aliqua retinere. Prohibemus insuper, ut nulli fratrum uestrorum post factam in loco uestro professionem fas sit de claustro absque licentia abbatis sui, nisi obtentu artioris reli- gionis, discejdere; discedeintem uero sine communium litterarum uestrarum cautione nullus audeat retinere. Sepulturam quoque ipsius loci liberam esse concedimus, ut eorum deuotioni et extreme uoluntati, qui se illic se|peliri deliberauerint , nisi forte excom- municati uel interdicti sint, nullus obsistat, salua tarnen iustitia illarum ecclesiarum, a quibus mortuorum corpora assumuntur. Ad hec presenti pagina inbibemus, ut | nullus infra parrocbias ecclesi- arum uestrarum ecclesiam uel Oratorium eine uestro et diocesani (piscopi assensu de nouo hedificare presumat, saluis priuilegiis Romanorum pontificum. Obeunte uero te, nunc eiusdem | loci ab- bate uel tuorum quolibet successorum, nullus ibi qualibet subrepti- onis astutia seu uiolentia preponatur, nisi quem fratres communi consensu uel fratrum pars consilii sanioris secundum Dei timorem et beati Bene|dicti regulam prouiderint eligendum. Prohibemus autem, ut nullus episcoporum illicitas exactiones eidem monasterio de ecclesiis pertinentibus ad ipsum imponat uel noua et indebita grauamina ei uel ecclesiis suis | audeat irrogare. Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat prefatum monasterium temere perturbare aut eins possessiones auferre uel ablatas retinere, minuere seu quibuslibet uexationibus fatigajre, sed omnia integra conseruentur, eorum, pro quorum gubernatione ac sustentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua sedis apostolice auctoritate et in supradictis ecclesiis diocesanorum episcoporum canonica | iustitia. Ad indicium autem percepte huius a sede aposto- lica libertatis duos solidos Lucenses nobis nostrisque successoribus annis singulis persoluetis. Si qua igitur in futurum ecclesiastica

Kgl, Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Kl. 1903. Heft 2. 21

302 P- Kehr,

seculariöTie persona haue | nostre constitutionis paginam sciens contra eam temere uenire temptauerit, secundo tertione commonita, nisi reatum sunm congrua satisfactione correxerit, potestatis hono- risque sui dignitate careat reamque | se diuino iudicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissimo corpore et sanguine Dei et domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo examine districte ultioni subiaceat. | Cunctis antem eidem loco sua iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, qua- tinus et hie fructum bone actionis percipiant et apud districtum iudicem premia eterne pacis inueniant. AMEN. AMEN. AMEN. |

R. Ego Celestinus catholice ecclesie episcopus ss. BV.

f Ego Albinus Albanensis episcopus ss. f Ego Octauianus Hostiensis et Velletrensis episcopus ss. f Ego Johannes Prenes tinus episcopus ss. f Ego Petrus Portuensis et sancte Rufine episcopus ss. f Ego Pandulfus basilice XII Apostolorum presb. card. ss. f Ego Petrus tit. sancte Cecilie presb. card. ss.

f Ego Johannes tit. sancti Clementis card., Viterbiensis et Tusca-

nensis episcopus ss. f Ego Hugo sancti Martini tit. Equitii presb. card. ss. f Ego Johannes tit. sancti Stephani in Celio monte presb.

card. SS.

f Ego Soffredus tit. sancte Praxedis presb. card. ss.

t Ego Bemardus sancti Petri ad Vincula presb. card. tit. En-

doxie SS. f Ego Johannes tit. sancte Prisce presb. card. ss.

f Ego Grratianus sanctorum Cosme et Damiani diac. card. ss. f Ego Grregorius sancte Marie in Porticu diac. card. ss.

f Ego Gregorius sancti G-eorgii ad Velum aureum diac.

card. SS. f Ego Lotarius sanctorum Sergii et Bachi diac. card. ss. f Ego Bobo sancti Theodori diac. card. ss. t Ego Petrus sancte Marie in Via lata diac. card. ss. f Ego Cencins sancte Lucie in Orthea diac. card. ss.

Dat. Lateran, per manum Egidii sancti Nicolai in carcere Tulliano diac. card., XV kal. maii, indictione duodecima, incar- nationis dominice anno M^.C^.XC^.IJIJ^, pontificatus uero domni CELE8TINI pape JII anno quarto.

B. dep.

Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 303

43.

Celestin III. überträgt dem Bischof von Florenz die zwiscJien dem Bischof von Arezzo und den Hospitalitern von Ponte Volle schwebende Streitfrage. Lateran 1195 April 27.

Kopie von 1197 Februar 17 Arezzo Arch. capitolare (n. 467).

J-L. 17 225 nach dem Zitat von Kaltenbrunner in Wiener SB. XCIV694 n. 10528a. Zur Sache vgl. auch J-L. 17312 und Italia pontif III 157 n. 53 und III 167 n. 4.

Celestinus"^ episcopus seruus seniorum Dei. Venerabili fratri Florentino episcopo salntem et apostolicam benedictionem. Vene- rabilis frater noster Aretinus episcopus transmissa nobis queri- monia demonstranit, qnod olim Fesulanus ^^ episcopus ad presentiam nostram accedens, litteras a nobis ueritate tacita nomine bospitalis de Ponte Vallis in suum graue preiudicium inpetrauit, ut uidelicet ipsis bospitalariis fabricandi ecclesiam in proprio fundo facultatem liberam preberemus et tarn hospitale quam ipsam ecclesiam sub speciali protectione Romane ecclesie, duos solides Luccane monete ad indicium libertatis percepte nobis et Romane ecclesie annis singulis persoluendo, recipere ^eberemus. Verum quia ex eo non credebamus, quod Aretina ecclesia sui iuris dispendium sustineret, intellecto postmodum per iam dictum episcopum, quod idem hospi- tale a prima sui fundatione in diocesi sit Aretina constructum et ei diocesana*') lege subiectum et ecclesiam habet antiquam, a qua consueuerunt habitatores illius ecclesiastica recipere sacramenta, cognoscentes nos, si que dicnntur uera sunt, circumuentos '^^ uene- rabili fratri nostro Castellano episcopo causam ipsam duximus*^ committendam. Sed idem episcopus, sicut ex litteris eins accepimus, circa plurima occupatus, causae decisioni non potuit intendere memorate. Inde est quod fraternitati tue per apostolica scripta precipiendo mandamus, quatinus inquiras de propositis sollicite ueritatem et, si tibi de assertione pre[f]ati episcopi-^ Aretini suffi- cienter constiterit, non obstante quod per huiusmodi circumuenti- onem auctoritate illarum litterarum circa constructionem noui ora- torii et hospitalis exemptionem factam^) cognoueris, hospitalarios illos episcopo Aretino et ecclesie baptismali *), sicut ab antiquo, subiacere decemas et sibi ut hactenus debere in spiritualibus et temporalibus respondere. Nichilominus quicquid in iuris preiudi- cium eiusdem Aretini episcopi circa ipsum Oratorium attemptatum

a) Celestinus seruus, b) Fesolanus. c) diocesiana. d) cir-

cumuentus. e) diximus. f) episcopi fehlt. g) factum. h) batismali.

304 P- Kehr, Nachträge zu den Papsturkunden Italiens n.

reppereris, auctoritate apostolica sine appellationis obstaculo non differas vacuare et facias qnod super his auctoritate nostra sta- tueris, per censuram ecclesiasticam inuiolabiliter obseruari, nullis litteris obstantibus harum mentione non habita a sede apostolica impetratis.

Dat. Lateran. V kal. maii pontificatus nostri anno quinto.

48.

Celesün III. bestätigt das Abkommen in der Streitsache ^ivischen dein Abt Martin von Vallmnbrosa und dem Abt Bonitius von S. Be- nedetto in Piacenza über das Kloster des h. Jacobus in Turin,

Lateran 1196 Januar 13.

Cornelii Margarini Tliesaurus historicus Vol. III f. 564 Renn Vat. Ar eh. Arm. LIV t. 3 aus dem verlorenen Begistrum ValUs Unv- h'osa£ f. 200 j ehemals im Archiv von S. Prassede in Born.

Bas BesJcript steht auch in den Manushripten von Nannini, Ge- novini und Nardi und ist gedruckt von F. Nardi im Bull. Vallumbr, 1). 82. Vgl. Italia pontif. III 96 n. 37.

Celestinus episcopus seruus seruorum Dei. Dilecto filio Mar- tino abbati Vallis umbrosae salutem et apostolicam benedictionem. Frustra imponeretur litibus finis et emergentium negociorum iurgia sopirentur, si qu^ bene decisa sunt negocia et iudicio uel concordia proinde terminata, alicui de facili reuocare liceret et questionum decisiones rationabiles irritare. Peruenit siquidem ad audientiam nostram, quod, cum inter te nomine Yallisumbrosani monasterii et dilectum filium B. abbatem sancti Benedicti de Placentia super monasterio de Taurino questio uerteretur; et fuit per dilectos filios magistrum Gualzonem canonicum ecclesi^ Cremonensis et magistrum Aliotbum de uoluntate partium compositione amicabili terminata et ad petitionem dicti abbatis de Placentia sedis apostolicae literis communita. Verum quoniam super eadem compositione literas confirmatorias, sicut dicto abbati sancti Benedicti concessQ sunt, tibi postulas assignari, ipsam, sicut sine prauitate qualibet facta est et ab utraque parte recepta, auctoritate presentium confir- mamus et presentis scripti patrocinio communimus. Nulli ergo hominum liceat hanc paginam nostrQ confirmationis infringere uel ei ausu temerario contraire. Si quis autem hoc attentare pr^- sumpserit, indignationem omnipotentis Dei et beatorum Petri et Pauli apostolorum eins se nouerit incursurum.

Dat. Laterani idus ianuarii pontificatus nostri anno quinto.

Zur Geschichte des Athanasius VII

Vop E. Schwartz

Mit einer Tafel Vorgelegt in der Sitzung vom 30. Mai 1908

Im Winter 1904/5 habe ich in diesen Nachrichten eine Reihe von Mitteilungen veröfFentlicht , in denen ich mich bemühte das Fundament für die Greschichte der kirchlichen und kirchenpoli- tischen Streitigkeiten des 4. Jahrhunderts neu zu legen und die Ueberlieferungsgeschichte der zahlreichen und ausgiebigen Urkunden aufzuhellen, welche jene Geschichte zu einem historischen Object von einzigem Reiz machen. Trotz den Schwierigkeiten die das mangelhaft veröffentlichte, einer philologischen Behandlung noch nicht unterzogene Material bereitete und obgleich mir die Zeit fehlte zu reisen und die Hss. persönlich zu durchforschen, hoben sich die Reste der litterarischen Polemik, denen der größte Teil jener Urkunden die Erhaltung verdankt, und die ungemeine Wich- tigkeit der großen und alten Sammlung der Concilskanones deut- lich heraus. So ließ sich wenigstens ein Arbeitsprogramm für den oder besser die Forscher entwerfen , denen die bis zum Ueberdruß discutierten dogmengeschichtlichen Speculationen nichts sagen und die danach verlangen unmittelbar aus den Documenten die Mächte kennen zu lernen, die in der lebendigen Greschichte ihr Spiel getrieben haben und durch die ja auch die dogma- tischen Formulierungen viel mehr als durch die dialektische Entwicklung der Ideen wenn man hier von Ideen reden will bestimmt sind. Daß ich mit der historischen Ausdeutung der Urkunden, deren Ueberlieferung ich untersuchte, hier und da

Kgl. Ges. d. Wiss. Kachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 3. 22

306 E. Schwartz

schon begann, war durch die philologische Pflicht das zu verstehen, was man liest, begründet. Nachdem ich in dem zuletzt erschienenen Stück [VI, Nachr. 1905] die Documente des arianischen Streits bis zum nicaeni sehen Concil zusammengestellt hatte, mußte ich ab- brechen, teils um anderer Arbeiten willen, besonders aber weil der Kampf mit dem Mangel an kritisch brauchbaren Texten aussichtslos wurde. Ohne eine neue Ausgabe des Gelasius, die es ermöglicht die Briefe xmd Edicte Constantins zu interpretieren, ohne einen sicheren Text der originalen lateinischen Kanones des oecidenta- lischen Concils von Sardica, ohne eine Vergleichung der Theodo- rethss. wenigstens für die durch ihn erhaltenen Urkunden war in das Grestrüpp nicht einzudringen, das die Geschichte der nach- nicaenischen Kirchenpolitik Constantins und seiner Söhne über- wuchert, dank der modernen Nachlässigkeit und Indolenz, die Athana- sius Pamphlete für lautere Wahrheit nimmt und des naiven Glaubens lebt daß die Distinctionen der Photinianer, Homoeer, Semiarianer, Macedonianer, Eunomianer usw. usw. in dieser Zeit der einzige Gegenstand sei, der den Schweiß der Edlen verdiene. So habe ich mich entschließen müssen abzuwarten bis Loeschcke seine Aus- gabe des Gelasius vollendet und ich mir die nöthigen Collationen und Photographien zum Theodoret verschafft habe; durch Turners liebenswürdiges Entgegenkommen sind mir die Kanones von Sardica vor Kurzem zugänglich geworden: die Hoffnung daß die Ueber- lieferung der s. g. Fragmenta historica des Hilarius aufgeklärt wird, ist zu gering, als daß es sich lohnte die Fortsetzung der Arbeit von dem Erscheinen der Wiener Ausgabe abhängig zu machen. Nur um den Artikel Eusebius in der Pauly-Wissowaschen Encyklopaedie fertig zu stellen, nahm ich, so gut es gieng, die Arbeit wieder auf und versuchte ein Bild der Kirchenpolitik Con- stantins zu zeichnen, das nicht anders als skizzenhaft ausfallen konnte. Wenn ich jetzt die unterbrochene Heihe der Mitteilungen fortsetze, so bin ich dazu gezwungen durch einen Angriff der die Methode und die Problemstellung schwer bedroht, ohne die m. E. auf diesem Gebiet nicht vorwärts zu kommen ist, und der anderer- seits so sehr darauf verzichtet neues Material ins Feld zu führen, daß er sofort abgeschlagen werden kann. Wenn nicht ein autori- tativer Name hinter ihm stände und es auf diesem Gebiet mehr urteilsfähige, historisch und philologisch geschulte Arbeiter gäbe, würde ich eine Antwort für überflüssig gehalten und dem sach- kundigen Publicum das Urteil über den von mir nicht provocierten Angriff überlassen haben; wie nun einmal die Dinge liegen, muß

zur Geschichte des Athanasius VII 307

icli das Meinige tun um den Fortschritt der wissenschaftliclien Arbeit zu sichern.

Der Gregenstand des Streites ist das nur in syrischer Ueber- setzung erhaltene Schreiben einer Synode von Antiochien an Alex- ander von Constantinopel, das ich in der VI. Mitteilung zur Ge- schichte des Athanasius [Nachr. 1905, 271 ff.] veröffentlicht habe. Am Eingang sind die Namen von 56 Bischöfen als Absender ge- nannt; an der Spitze steht ein Eusebius, der weder Eusebius von Caesarea noch Eusebius von Nikomedien sein kann ; meiner dort geäußerten Vermutung nach ist Eusebius von Isaura gemeint, der auch in Nicaea anwesend war. Wie es sich für ein Synodal- schreiben gehört, reden in der Regel die Bischöfe als Gesammtheit in der ersten Person des Plurals, nur in dem kurzen Passus am Anfang, in dem erzählt wird wie die Synode zusammenkam, tritt ein *Ich' auf, aller Wahrscheinlichkeit nach jener Eusebius, der an der Spitze der Namenreihe aufgeführt ist. Er berichtet nach Antiochien gekommen zu sein und dort eine arge Unordnung ge- funden zu haben ; um dieser zu steuern habe er Bischöfe der Nach- barprovinzen Palaestina, Arabien, Phoenicien, Coelesyrien, Kilikien, Kappadokien veranlaßt dorthin zu einer Synode zu kommen. Da von dem Bischof von Antiochien, der rechtmäßiger Weise eine solche Synode hätte berufen müssen, mit keinem Worte die Rede ist, der berufende Bischof vielmehr ein Fremder gewesen sein muß, der aus eigenem Antrieb die Synode zusammenbrachte, so bleibt nur die Annahme übrig, daß der antiochenische Stuhl damals va- cant war.

Das 'Ich' redet nur so lange bis die Synode zusammengetreten ist, von da an geht die Verantwortung von dem Einzelnen auf die Synode selbst über. Sie stellt fest daß sie eine arge Vernach- lässigung des kirchlichen 'Gesetzes' und der Kanones in der an- tiochenischen Gemeinde vorgefunden hat, weil in diesen 'Gegenden' keine Synoden der Bischöfe haben abgehalten werden können. Mit anderen Worten: die Kirche hatte sich in Antiochien noch nicht wieder reorganisiert, nachdem sie durch eine heidnische Verfolgung in Unordnung geraten war, und es war, bis die Synode berufen wurde, nicht möglich gewesen die Bestimmungen der Kirchenzucht, die besonders eingeschärft werden mußten, von neuem zusammen- zustellen. Die Kanones von Ankyra und Neocaesarea, ja auch die nicaenischen führen ja unmittelbar in die Reorganisationsarbeit hinein, die die Bischöfe nach der Verfolgung Maximins und den Chicanen des Licinius in Angriff nahmen. Bei diesen letzten An- griffen der Kaiser gegen die Kirche war eben das Wichtigste, das

22*

308 ^- Schwartz

freilich über dem blutigen Glanz der Martyrien gewöhnlich über- sehen wird, das Bestreben die Gemeinden führerlos zu machen und zu desorganisieren; es war zunächst durchaus nicht erfolglos, schlug aber nachher ins Gegenteil um, weil der Kampf vom Staat aufge- geben wurde und die Kirche nach 315 oder gar 323 ihre Insti- tutionen mit einer Freiheit ausbauen konnte, wie nie zuvor.

Nach dem Anfang des Schreibens, der zu den Verhältnissen unmittelbar nach Licinius Sturz vortrefFKch paßt ^) , muß man erwarten daß die plötzlich zusammengerufene Synode einige Ca- pitel des Kirchenrechts, die in Antiochien besonders in Vergessen- heit geraten waren, in Kanones formulieren wird. Das geschieht zunächst nicht, sondern es wird als erster und wichtigster Gegen- stand die Excommunication die der alexandrinische Bischof Alex- ander über den Presbyter Arius und Genossen verhängt hat, auf die Tagesordnung gesetzt ; daraus daß diese Geschäftsordnung aus- drücklich motiviert und beschlossen wird, ist ersichtlich daß die Symode nicht zur Beratung von Glaubens-, sondern von Disciplinar- fragen einberufen war. Nach langer Debatte wird eine sxd-eöig niörecog angenommen, die von theologisch und dialektisch geschulten Männern aufgesetzt ist : sie ist eine, z. Th. wörtlich übereinstimmende Erweiterung des Credos das Alexander von Alexandrien in seiner Encyclika, in dem tö^og den er zur Unterschrift verschickt hatte, und in dem Schreiben an Alexander von Constantinopel^) formuliert hatte: wie in jenen, so fehlt das nicaenische Schlagwort öfioovöiog auch hier vollständig, nicht einmal ovöia oder vTtoettteig kommen vor. Alle 56 im Eingang genannten Bischöfe nehmen die sx^eötg an; hingegen treten drei dagegen auf, Theodot von Laodikeia in Syrien, Narciß von Neronias in Kilikien und endlich kein ge- ringerer als der Kirchenhistoriker Euseb von Caesarea. Sie werden überführt Ajianer zu sein; d. h. ihre Einwände werden von der Synode als Beweis arianischer Denkweise angesehen ; sie selbst haben sich zu den Formeln des Arius nicht bekannt, sonst würde die Synode das ausdrücklich bemerkt, ihr Urteil auch nicht bedingt ausgesprochen haben. Sie kündigt ihnen nämlich zwar die Gemein- schaft auf und fordert auch Alexander auf keine iTtiCtokal xolvcjvlxccl an sie zu richten oder von ihnen anzunehmen, hütet sich aber wohl die Excommunication formell auszusprechen, sondern läßt den drei

1) Constantin im Brief an Alexander und Arius [Euseb. Vit. Const. 2, 66] : rbv HOLvbv r^f ol-Kovfievris ix&gbv i^sXmv, og rccCg isgais vfiöäv avv6doi,g tijv Scd-e- lutov iavrov yvAfiriv dcvrioxricev. Vgl. Vit. Const. 1, 51, 1.

2) Es sind Nr. 13—15 in der von mir Nachr. 1905, 265 ff. aufgestellten Liste.

zur Geschichte des Athanasius VII 309

Bischöfen die MÖgliclikeit auf einer 'großen' Synode in Ankyra, die offenbar demnäclist zusammentreten soll, Buße zu tun.

Ich habe die Synode auf den Anfang des Jahres 325 gesetzt, in die Zeit die der nicaenischen unmittelbar voraufgeht. Licinius Verbot Synoden abzuhalten [s. o.] ist noch in frischer Erinnerung, Der arianische Streit ist im vollen Gange, aber der nicaenische Terminus 6^oov6Log ist noch nicht in das Credo aufgenommen. Daß die Synode welche der Kaiser berufen hatte um den Streit zu entscheiden, erst nach Ankyra geladen und dann im letzten Augen- blick nach Nicaea umbestellt wurde, steht durch das Schreiben Constantins fest, das in die Kanonessammlungen Aufnahme ge- funden hat und von mir Nachr. 1905, 289 mitgeteilt ist. Endlich muß grade in dieser Zeit der Stuhl von Antiochien vacant ge- wesen sein. Denn in dem Exemplar seines to^og, das Alexander an Melitius den Bischof von Sebastopolis in Pontus schickte, teilt er am Schluß die zustimmende Unterschrift des antiochenischen Bischofs Philogonius mit; in Nicaea unterschrieb als Inhaber des Thronos Eustathius, der frühere Bischof von Beroea. Es muß also Philogonius kurz vor dem nicaenischen Concil gestorben sein ; da Chrysostomos [t. I p. 498*^] als officiell gefeierten Tag seines Todes oder seiner depositio, was kaum einen Unterschied macht, den 20. December angiebt, so ist der 20. December 324 der ter- minus post quem für die Synode, als tenninus ante quem ergiebt sich das Datum der nicaenischen Synode, der 19. Juni 325 pSTachr. 1904, 396 ff.] von selbst.

Es ist ein lebendiges, farbenreiches Bild das dieser Synodal- bericht aufrollt. Von den polemischen Declamationen des Atha- nasius, der grade vom nicaenischen Concil nichts Thatsächliches erzählen will und nur dogmatische Entrüstung produciert, sticht er durch die actuelle Unmittelbarkeit ab, und wenn er hierin mit den Erlassen Alexanders, besonders mit dem Schreiben an den Namensvetter in Constantinopel zusammentrifft, so ergänzt er ihn in wertvoller Weise dadurch daß er zeigt wie in den östlichen Provinzen der orientalischen Dioecese die Dinge lagen; vor allem bietet er den Schlüssel zum Verständniß der Haltung die Euseb von Caesarea in Nicaea einnahm. Aber man will sich nun einmal nicht daran gewöhnen in dem arianischen Streit und der nicae- nischen Entscheidung lediglich einen politischen Kampf um die Macht zu sehen, bei dem der Kaiser die Hauptrolle spielt, und unter dem Druck des einseitig dogmatischen und dogmengeschicht- lichen Interesses ist den Kirchenhistorikem die Fähigkeit abhanden gekommen durch aufmerksame Interpretation den Urkunden ge-

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schichtliches Leben zu entlocken : man kommt aus dem altgewohnten Jonglieren mit den Grlaubensformeln nicht heraus und die Vor- stellungen von den kirchlichen Parteien conser vieren immer noch die Schemata der Ketzerhistorie. So ist es nicht wunderbar daß die kirchengeschichtliche Forschung an dem Fund, den sie bei einiger Sorgfalt und Sprachkenntnis längst hätte machen können und sollen, achtlos vorübergieng und von dem neugefundenen, um- fangreichen Actenstück nicht weiter die Rede war. Jetzt aber hat Hr. Harnack es für nötig gehalten das Stillschweigen zu brechen. In einer Mitteilung der Berliner Akademie vom 14. Mai d. J., also von autoritativster Stelle aus, erklärt er die gesammte Ur- kunde für eine Fälschung. Sie muß ihm einen höchst üblen Ein- druck gemacht haben, denn er wird nicht müde die voll gefüllte Schale seiner Verachtung über sie auszugießen. Gleich im i^nfang, ehe er irgend einen Beweis vorgebracht hat, verkündet er in triumphirendem Sperrdruck [S. 478] : das Stück ist eine grobe Fäl- schung ohne jeden geschichtlichen Wert, und nachdem er mit tempe- ramentvoller Rhetorik seine Beweise oder das was er dafür hält, hat sprechen lassen, bildet ein zweiter Posaunenstoß, ebenfalls gesperrt, einen eiFectvollen Abschluß [S. 483]: es ist das stümper- liafte Machverk eines späten Fälschers, der, selbst geschichtlich ganz unwissend , seinen Lesern alles bieten zu dürfen glaubte. Mir bleibt diesem Lärm gegenüber nichts anderes übrig als an wissenschaft- liche, für die Sensationen der Polemik nicht empfängliche Leser zu appellieren, die sich durch Hrn. Harnack s Vernichtendes Urteil' nicht abhalten lassen das Document gründlich zu studieren und den beiden Angeklagten, nämlich dem der die Fälschung begangen haben soll, und mir der sie in Curs gesetzt hat, ein unparteiisches Gehör zu schenken. Von einem Neudruck der Urkunde selbst sehe ich um so mehr ab, als sie in der von Prof. Schultheß ver- anstalteten und in wenigen Wochen erscheinenden Ausgabe der syrischen Kanonessammlungen ohnehin zum zweiten Male publi- eiert werden wird.

Wer ein Document als gefälscht nachweisen will, hat zunächst die Ueberlieferung zu untersuchen; Hr. Harnack beschränkt sich auf die wegwerfende Bemerkung [S. 489]: nur in einer syrischen Handschrift versteckt ist sie (die Fälschung) auf uns gekommen. Da er unmittelbar vorher gesagt hat daß andere fraudes Syrorum mehr Erfolg als diese gehabt haben, scheint er den Fälscher für einen Syrer zu halten, aber doch wohl für einen der griechisch, nicht syrisch schrieb: wenigstens citiert er stets nur meine griechische

zur Geschichte des Athanasius VII 311

TJebersetziing ^) , nie den syrischen Text. Um hier keine Unklar- heit zu lassen, stelle ich. zunächst ausdrücklich fest daß das Synodal- schreiben mit allem was daran hängt, aus dem Griechiscken über- setzt ist. Das beweisen, von dem ganzen tenor der Sprache und des Satzbaus abgesehen, so unsemitische Wendungen wie ^äC^ Ji,AOÖ*,^^>, jLojiyojJ^ woij o6» = sig Ti]v 'Avxio%8cov^ 6 xi]g AkoÖlkscov oder das häufige K-^ = ts: am Anfang der kritiscben Bemerkung über das Fehlen von o^oovöLog im S3modalschreiben [279, 8] steht J^^ *l ^j jijj , deutlich = ^rjtriTEov ds. Nach der sxd^sötg Ttiörscog wird fortgefahren [*277, 10] : : h\\\ » colli ^^i-o (lcn\n>ot "^^w^o» Jjo» ^yiN> iJ^o*-D iUDOjQJaflD oC^^o. Äoa^fiolU J^^t^ bedeutet wört- lich 'sie wurde vorher gesetzt', kann aber nur heißen 'sie wurde vorgelegt': beide Bedeutungen vereinigen sich in TtQoersd-r}-). Da- nach ist derselbe Ausdruck auch in der Parallelstelle 275, 10 zu verstehn , während 278, 4 ngoKSifisva mit ^aäoH! jo^j ^:^ot wiedergegeben ist.

Die Urkunde stammt aus dem Rechtsbuche das in dem be- rühmten Cod. Parisin. 62 aus dem 9. Jahrb. zusammengestellt ist. Ueber die Bestandteile der Hs. ausführlich zu handeln ist noch nicht an der Zeit: dazu sind die Quellen des griechischen wie des von diesem abhängigen syrischen Kirchenrechts noch zu wenig durchforscht. Man hat sich eben immer nur um die dogmatischen

1) Wobei es nicht ohne Mißverständnisse abgeht, an denen mein Griechisch trotz seiner Unvollkomraenheit unschuldig ist. In dem Schreiben heißt es [p. 274, 6] : )*jJLa ioDQÄj .^«JüDo jooj .'^««■iY» )l)*,waD::ij -ö) '^ä Mv-^-» •^^*>s?° JI^No*^ ^u«*^«,) iooj lA:i^X)j ^6^ :o^ ^\:i |oo) wD^jljdo : ^^xi^ftODj yJÜj) ^ |M.;oz>j iop> :)jQji50 ^o< JloVJLjj J&.*:iö*iä |5>or>or>.2)j? ^ojqjqqd .«.yMi?. Ich übersetze die Stelle so: svQO(isv 7ioXXr\v atcc^iav jw-aAtcr-ö"' ort iv TtoXXoig kniXntBv [vgl. Basü. ep. 54 p. 148^ kmXsXoCitaöiv Xomov ot xcbv TtarsQcov -nccvdvsg^ yial -nurscpQOvrjd'ri 6 E-K-uXriaLa- üTiKOS v6i).os v-cu Ol yiccvovsg iv tau ^sta^v xqÖvchi v% ccv&QoiTtcüv (oder ivLcov) yioa^LTicbv yial Ttccvtag yiaxaniTtccvrai , diori v,Ev.mXvxo STtioyiOTtcov 6v- vodov avvax^fjvca iv tols tcav (isq&v tovtcov roTCoig. Daraus liest Hr. Harnack [S. 481] den Unsinn heraus , daß die traurigen Zustände in Antiochien durch das Verbot der Weltleute (Welth er r scher) , eine Synode abzuhalten, hervorgerufen seien, indem er ^20\:^^x>; y^jü) ;d in den folgenden Satz mit j w.6^ zieht, der durch einen mit o eingeleiteten Hauptsatz deutlich abgetrennt ist, und unter avdgsg 'Koain'noL Weltherrscher versteht. Das ist um so lustiger, als er mir viel eher hätte vorwerfen können daß die Ableitung des seltenen Particips ^xN\i^ von Jxä^i. nicht sicher ist ; das Ethpaal der Wurzel )cl!o^ heißt gewöhnlich äii(id^sLv, rjßäv und unmöglich ist es nicht , daß im griechischen Text etwas wie ^jr' ivLOJV vsaTsgiarcöv dastand.

2) In ähnlicher Weise ist in den Kephalaia zu den Osterbriefen des Atha- nasius nQ06ni(iq)d'ri 'er wurde geleitet' sinnwidrig mit »jAonJ )0jO übersetzt, vgl. Nachr. 1904, 343.

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Formeln gekümmert und die historisch viel wichtigeren Fragen des Rechts nnd der Rechtsqnellen in sträflicher Weise vernach- lässigt; ist doch über die griechischen kanonischen Hss. so gut wie nichts authentisches bekannt. Allerdings wird die Unter- suchung dadurch empfindlich erschwert, daß die griechischen Texte wenigstens des Hauptteils, der Concilskanones, auf einer jüngeren Redaction beruhen und die älteste Ueb erlief er ung durch die la- teinischen und syrischen Uebersetzungen vertreten wird. Jene werden jetzt von Turner in einer monumentalen Ausgabe, die leider nur langsam voranschreiten kann, musterhaft ediert; diese, die bis jetzt zum größten Teil überhaupt noch ungedruckt waren, sind auf meine Veranlassung mit Unterstützung der Gresellschaft von Prof. Schultheß herausgegeben und werden binnen Kurzem der allgemeinen Benutzung zugänglich sein. Ich muß mich hier auf das Notwendigste beschränken, das aber hinreichen wird um zu zeigen daß die Ueberlieferungsgeschichte des von mir veröffentlichten Synodalschreibens auch nicht im mindesten den Verdacht einer Fälschung nahe legt.

Den Kern der griechischen und syrischen Kirchenrechtsbücher bilden die Kanones der Concilien. Es ist durch Maaßens ausge- zeichnete Untersuchungen so gut wie festgestellt daß eine Samm- lung der Kanones von Nicaea, Ancyra, Neocaesarea und Gangra durch Hinzufügung der Kanones von Antiochien, Laodicea und Constantinopel noch vor dem chalcedonischen Concil zu einem Corpus canonum ausgestaltet wurde. Dies ist schon im 5. Jahrh. ins Syrische übersetzt und zwar mehrfach. Die chalcedonischen Kanones sind erst später hinzugewachsen, wie sich schon darin verrät daß sie nur einmal übersetzt zu sein scheinen. An diesen Kern setzen sich zwei Grruppen von Rechtsquellen an: erstens die 8. g. kanonischen Briefe und zweitens die s. g. apostolischen Kanones mit anderen mannigfaltigen Compilationen , die regelmäßig durch die Fiction apostolischen Ursprungs legitimiert werden; diese letztere Gruppe ist dann wiederum in den orientalischen Kirchen zu besonderen Corpora ausgestaltet ^), während in der griechischen Kirche die junge Ueberarbeitung der s. g. Didaskalie und jene Compilationen zu den s. g. apostolischen Constitutionen vereinigt wurden. Im Ganzen betrachtet, ist diese Rechtsüberlieferung von Fälschungen frei geblieben; was von der Art vorkommt, wie die secundären nicaenischen Kanones, ist stets schon durch die sich abzweigende und absondernde Ueberlieferung verdächtig, und die

1) Ich verweise dafür auf Baumstark, Oriens christ. 1, 98 fF.

zur Geschichte des Athanasius VII 313

'apostolischen' Kirchenordnungen sind so wenig Fälschungen im eigentlichen Sinne, wie die Lehre der zwölf Apostel, die ja auch nnr eine Kirchen Ordnung ist ^).

Der Cod. Paris. 62, den Hr. Harnack am Eingang seiner Mit- teilung mit einigen Trivialitäten abfertigt, gehört nicht zu den ältesten syrischen Rechtsbüchern, ist aber von allen das gelehrteste. In der ältesten syrischen Kanoneshandschrift [Brit. Mus. add. 14528, aus dem Anfang des 6. Jahrb.] fehlen die 'apostolischen' Bestandteile noch ganz ; sie enthält nur die Kanones von Nicaea bis Chalcedon. Später wachsen jene 'apostolischen' Bestandteile hinzu; im Cod. Brit. Mus. 14526. Yat. 107. 127 [vgl. Baumstark, Or. Christ. 1, 132 f.] findet sich außer den apostolischen Kanones noch ein Stück des bekannten, auch griechisch erhaltenen Parallel- textes ^) zu Const. apost. 8, 27 34. 42—46. 32 und eine ßecension der tit^oi^) (einer sachlich geordneten Uebersicht über die Ka- nones, die sich schon in der ältesten Hs. findet), die die apostolischen Kanones hineingearbeitet hat. Die pariser Hs. enthält die gleiche Recension der rtrAot und die apostolischen Kanones, diese aber als achtes Buch der zliaxd^sig aito^xokcov duä KXrj^svTog. Das ist der syrische s. g. Oktateuch der 'apostolischen' Ordnungen, eines jener oben erwähnten orientalischen Corpora, über das ich mich begnügen muß hier auf Baumstark, Or. christ. 1, 101 if. nebst der dort an- geführten Litteratur zu verweisen. Von Buch 1 3 und 6 dieses Oktateuchs das vierte, fünfte und siebente*) fehlen ganz giebt die Hs. nur Auszüge; sie stehen nicht mit dem achten zu-

1) Auch die Pastoralbriefe und große Stücke des TIoLfiijv müssen so aufge- faßt werden; nur spielen hier die litterarischen Formen des Briefes und der Apokalypse modificierend hinein. Dagegen ist die Vereinigung der Paraenese mit den Bestimmungen über die Disciplin und die Charismen oder die kirchlichen Aemter uralt und allen Kirchenordnungen gemeinsam.

2) Er ist am besten von Funk herausgegeben [Didascalia et Constitutt. Apostol. 2, 72 if.]. Daß er darin einen Auszug aus dem achten Buch der apost. Constitt. sieht, ist m. E. ein Irrtum, der schon durch die Sonderüberschriften des Paralleltextes widerlegt wird. Dagegen wird man ohne die Annahme nicht auskommen, daß die orientalischen Versionen dieses Textes auf Exemplare zurück- gehn, die nach den apostolischen Constitutionen ergänzt und corrigiert sind. Eine Gesamtausgabe der orientalischen Corpora ist ein dringendes Bedürfnis, aber in den Originalsprachen, nicht in Uebersetzungen.

3) Aus der Zusammenordnung der beiden Stücke erklärt sich daß in ara- bischen Sammlungen die apostolischen Kanones xitXol genannt werden [Riedel, Kirchenrechtsquellen d. Patriarchats Alexandrien 158. Baumstark, Oriens christ. 1, 113].

4) üeber seinen Inhalt vgl. Baumstark, Oriens christ. 1, 120 f.

314 ^- Schwartz

sammen, worin sich noch deutlich ausprägt daß die apostolischen Kanones selbständig überliefert und erst nachträglich in jenen Oktateuch aufgenommen sind. Außerdem fügt die Hs. von 'aposto- lischen' Stücken noch zwei hinzu: ein Excerpt aus der 'Lehre des Addai' und die unschätzbare, vornicaenische Grundschrift der apostolischen Constitutionen, die s. g. Didaskalia. Man sieht schon an dieser Grruppe, wie sich der Sammler der die Hs. zusammen- stellte, bemüht hat das Material zu vermehren und wie er auf wertvolle und alte Stücke fahndete. Von Falschem und Spätem ist nichts darunter; denn wenn auch jener Oktateuch erst im 8. Jahrh. redigiert sein kann, so ist das Material das er enthält, durchweg erheblich älter. Endlich ist alles ausnahmslos aus dem Griechischen übersetzt.

Dann folgt in der Hs. der Kern des Kirchenrechts, das Corpus canonum der Synoden von Nicaea, Ankyra, Neocaesarea, Gangra, Antiochien, Laodikea und Constantinopel in einer besonderen, von den übrigen syrischen Hss. abweichenden Uebersetzung, die sich, im Gegensatz namentlich zu der ältesten Kanoneshandschrift [Brit. Mus. add. 14528], bemüht den griechischen Text so genau wie möglich wiederzugeben: auch darin verrät sich der gelehrte Cha- rakter der Hs. Gegenüber den anderen syrischen Hs. enthält der pariser Codex noch das antiochenische Synodalschreiben, um das es sich handelt, und einen Bericht über das nicaenische Concil, der, in kürzerer Fassung, auch bei Gelasius 2, 27 und in lateini- schen Kanonessammlungen ^) [Maaßen S. 39] vorliegt. Der Bericht steht nach dem Symbol und vor den Kanones; mit ihm haben das Datum und der Brief Constantins über die Verlegung der Synode von Ancyra nach Nicaea, die vor das Symbol gestellt sind, nichts zu tun.

Da in den älteren griechischen Hss. des Corpus canonum, wie sie den Syrern noch vorlagen, die Kanones von Chalkedon fehlten, so sind schon in denjenigen syrischen Kanoneshss., die damit beginnen am Anfang apostolische Bestandteile hinzuzufügen, zwischen Con- stantinopel und Chalkedon andere Kanones eingeschoben, für die ich einstweilen auf die Beschreibung des Cod. Mus. Brit. 14526 in Wrights Catalogue 2, 1035 verweise: auch in dieser Abteilung

1) Er findet sich auch in den koptischen Stücken auf denen Revillout seine wirren Phantastereien über das alexandrinische Concil aufgebaut hat [Rev. des quest. histor. t. 15, 329 ff. und Le Concile de Nic^e, ein ebenso weitschweifiges wie

inhaltloses Buch]. Der Schluß des Berichtes über das Pascha ist griechisch von

Pitra, Spicil. Solesm. 4, 541 herausgegeben.

zur Geschichte des Athanasius VII 315

ist im Cod. Paris. 62 das Material gewaltig vermelirt, und zwar durchweg um alte und wertvolle Stücke. Zwischen Constantinopel und Chalkedon sind eingeschaltet:

Zwei Kanones des ephesischen Concils, nach der gewöhnlichen Zählung der 7. und 8., während die Grruppe des Cod. Mus. Brit. add. 14526 nur den 7. enthält.

Das karthagische Concil der 87 Bischöfe [Cyprian. ed. Hartel 1, 435ff.J mitsammt dem 70. 71. und 64. Briefe Cyprians. Nach Ausweis der Subscription sind diese Stücke im Jahr 998 sei. = 687/8 aus der griechischen Uebersetzung des Originals ins Syrische übertragen ; in griechischen Hss. haben sich von dieser Ueber- setzung nur das Concil und ep. 70 erhalten.

Die mit dem antiochenischen Synodalschreiben verbundenen Kanones, über die noch ausführlicher zu handeln sein wird.

Ausgewählte Aussprüche aus den Ignatiusbriefen, welche die G-eltung von Kanones haben. Das ist ein Versuch die Sitte der kanonischen Bischofsbriefe bis an die apostolische Zeit heranzu- rücken: dabei sind, was wohl zu beachten ist, nur die echten Briefe benutzt.

Der Brief des alexandrinischen Bischofs Petrus über die lapsi^ eine Reibe von Kanones enthaltend. Die syrische , nur in der pariser Hs. erhaltene Uebersetzung giebt den Text besser und vollständiger als die griechischen Hss. Vgl. Nachr. 1905, 166 ff.

Die yäTtocpdösLg xavoviKaC des alexandrinischen Patriarchen Ti- motheos [nur 1 ^15]. Sie finden sich auch in der Grruppe des Cod. Mus. Brit. add. 14526 und sind in die älteste syrische Kanones- handschrift [Cod. Mus. Brit. add, 14528] von späterer Hand, außer- halb der Reihe, eingetragen.

Das Credo des orientalischen Concils von Sardica und die Kanones des occidentalischen. Die unorganische Verbindung der beiden Stücke erklärt sich aus der s. g. Sammlung des Theodosius Diaconus, über die ich Nachr. 1904, 357 ff. ausführlich gehandelt habe. Dort folgen aufeinander:

13. Das Credo der orientalischen Synode von Sardica; der la- teinische Text stimmt mit dem syrischen, den ich aus den Cor- recturbogen der Schul theßschen Ausgabe kenne, gegen Hilar. de synod. 34 und [Hilar.] frg. bist. 3 über ein.

14. Die, nur in der Sammlung des Theodosius Diaconus er- haltene, Notiz über die von den Orientalen aufgestellte Ostertafel ; sie kehrt in der syrischen Hs. wieder [Nachr. 1905, 379], während die Ostertafel selbst, die ich Abhdlg. VIII 6, 121 ff. herausgegeben und erklärt habe, von dem Syrer weggelassen ist.

316 E. Schwartz

15. Das Schreiben des Hosius und Protogenes an den römischen Bischof lulius : fehlt im Syrer.

16. Die Encyclika des occidentalischen Concils : im Syrer steht nur die Ueberschrift , in der die Provinzen aufgezählt werden, deren Bischöfe an der Synode teilnahmen.

17. Die Kanones des occidentalischen Concils. Sie waren ur- sprünglich lateinisch abgefaßt; auch die Form daß jeder Kanon als Antrag eines mit Namen genannten Bischofs erscheint, ist abendländisch, wie die zahlreich erhaltenen Acten von afrikanischen Synoden beweisen. Wenn nun auch diese Kanones in das alte griechische Corpus canonum nicht aufgenommen sind, so müssen sie doch früh ins Griechische übersetzt sein, und der Syrer stimmt mit der Sammlung des Theodosius Diaconus darin überein, daß beide den griechischen, nicht den originalen lateinischen Text vor- aussetzen.

Diese Zusammenstellung lehrt unwiderleglich, daß im Cod. Par. 62 das griechische Original der genannten , nur lateinisch er- haltenen Sammlung excerpiert ist. Daß diese griechische Acten- sammlung auf ein Buch zurückgeht, das 367/8 veröffentlicht wurde und später von Suzomenos benutzt ist, habe ich a. a. 0. bewiesen. Obgleich der Compilator des Rechtsbuches den Fehler begangen hat das Credo der orientalischen mit den Kanones der occidenta- lischen Synode zusammenzukoppeln, so tritt doch auch hier wieder hervor, ein wie altes und exquisites Material ihm zu Gebote stand.

Den Abschluß dieser Abteilung der Hs. bilden kanonische Briefe des 4. Jahrb., die auch in griechischen Kanoneshss. auf- treten: Athanasius an Amun [Pitra, iur. ecclesiast. Graec. mon. 1, 567 f.], Basilius an Paregorios [Pitra 1, 605 = Bas. ep. 55], an die Chorepiskopen [Pitra 1, 608 = Bas. ep. 53], an Diodoros [Pitra 1, 602 = Bas. ep. 160], und die ersten drei kanonischen Briefe an Amphilochios [Pitra 1, 576 ff.] in eigentümlicher Anordnung [I = 188. 217 von can. 56 an; II = ep. 199; III = ep. 217 bis can. 55].

Auf das was auf die chalcedonischen Kanones folgt, brauche ich hier nicht einzugehen : es hebt sich schon aus dem was ich mitgeteilt habe, deutlich genug heraus, mit welch rarer Gelehr- samkeit der Compilator das Corpus canonum zu der eigentümlich- sten Kanoneshandschrift die wir überhaupt besitzen, umgestaltet hat. Es spricht nicht gegen die Echtheit des antiochenischen Synodal- schreibens, daß es nur in einer syrischen Handschrift [S. 489] er- halten i.st; denn diese eine Handschrift ist eben eine Leistung einzig in ihrer Art und reich an Unicis. Sie enthält keine Fäl- schung im echten und eigentlichen Sinne des Wortes, und macht

zur Geschichte des Athanasius VII 317

jedem der sich ernsthaft mit ihr beschäftigt, nicht den Eindruck als könne sie die Ablage rungs statte für das Product eines Igno- ranten gewesen sein, der, ^selbst geschichtlich ganz imtvissend, seinen Lesern alles bieten zu dürfen glaubte'. Dinge die solche Kraftworte verdienen, dürften in den kanonistischen Handschriften griechischer und syrischer Sprache überhaupt nicht so leicht zu finden sein, am allerwenigsten aber in dem Rechtsbuch des Cod. Par. 62, das ebenso wie die Briefe des trefflichen Araberbischofs Greorgios dem historischen Sinn der Syrer ein glänzendes Zeugnis ausstellt und dazu ermuntert der syrischen Ueberlieferung ein gewissenhafteres Studium zuzuwenden, als Hr. Harnack es für der Mühe wert zu halten scheint.

Die Handschrift ist ein Eechtsbuch: sie will Ordnungen und Kanones oder was diesen gleichwertig ist, zusammenstellen. Wie sie das griechische Original der Sammlung des Theodosius Diaconus lediglich um der Kanones von Sardica willen excerpiert, so teilt sie auch das Synodalschreiben von Antiochien nur darum mit, weil im Zusammenhang damit Kanones überliefert waren. Auch um diese Tatsache der Ueberlieferungsgeschichte hat sich Hr. Harnack nicht weiter gekümmert; wenn er sich darauf beruft daß die Ka- nones noch nicht gedruckt sind [S. 481], so wußte er daß ich die Photographien besitze [Nachr. 1905, 280], sie hätten ihm selbst- verständlich zur Verfügung gestanden, falls er sie verlangt hätte. Es mußte ihn stutzig machen daß Kanones die schon Basilius be- kannt sind, mit einer Fälschung die er ins 6. oder 7. Jahrh. [S. 488] setzt, durch die Ueberlieferung zusammenhängen; wenn es ihm glückte den Zusammenhang zu sprengen oder auch die Kanones als gefälscht nachzuweisen, so gewann er weitere, schwer für seine These ins Gewicht fallende Argumente, und umgekehrt hat doch woh] jeder der ein unbekanntes Actenstück findet und herausgiebt, das Recht, von seinen Kritikern zu verlangen daß sie alles ohne besondere Schwierigkeiten zugängliche Material sorgfältig durch- prüfen, ehe sie ihm vorwerfen, er habe sich von einem unwissenden Fälscher düpiren lassen.

Auf den Synodalbrief folgen in der pariser Handschrift zwei Notizen, die ich Nachr. 1905, 279 mitgeteilt habe. Die erste lautet :

{KA.»t^ \\o^ ifiD09QJa£D; ötlo:^ o^^o :^o) 3{ oYi^:>lo o:»]^ ösj^\

318 E. Schwartz

jiiQJLo .. jLuLJt^9 JL3onnn*o>? ^ochS '^N ö^^t^Jl^o : J^JLLpli JL^o^u^Jl^^

^ Griechisch etwa: ^Eniöxsilav öe tcsqI TYjg avtfig vjtod'descDg

atftä dt itSQOv yga^^iaTog xal JtQog tovg X7]g 'haXCag snLdxonovg xovg vno rbv r^g ^syd^rfg ''Paßrjg d-QÖvov aal inoLi^öavto xaxatvot TtQog f^v 6VV080V syyQacpov aTtöxQLöLv övvttd^s^Bvriv naöi rolg M avxfig G}Qi6^evotg slts tceqI niöxsGig ehs negl ixxkr}öLa6ti,xG)v xavdvav' iv ^t xal avtol diatd^avteg STts^ipav Ttgbg zavxriv xf^v ayCav 6vvodov xi]v iv ^AvxLO%eiai 6vvrid^QOL0^£vriv xal öl avxf]g TCQog ndvxag xovg xfig \4.vaxokf}g sitLöxonovg xb xavövag' ovötvsq xal avxovg ygohl^G) 601 iv xavxriL xy]i ßißkai ^lax bXiya^ Iva xal avxovg ^dd-ricg.

Die Notiz ist nicht von dem syrischen Uebersetzer oder gar dem Schreiber der Handschrift verfaßt, sondern ebenso aus dem Griechischen übersetzt wie das Synodalschreiben selbst; das be- weist schon ^o v!® ^^ *^^^ *^^^' -^^ ^^^ ^^^^ ^^°^ Griechen der das Synodalschreiben von Antiochien auffand und der Ver- gessenheit entriß, nicht nur das an Alexander von Constantinopel geschickte Exemplar des Synodalschreibens vorgelegen, sondern noch ein zweites das an den römischen und die ihm unterstellten Bischöfe Italiens gerichtet war; ich erinnere daran daß auch Alexander von Alexandrien die Excommunication des Arius und seiner Ge- nossen dem römischen Bischof anzeigte [Nachr. 1905, 271]. Dies Exemplar stimmte mit dem an Alexander von Constantinopel ge- richteten wörtlich überein ^), enthielt aber mehr : es müssen Ka- nones darin gewesen sein, denen der römische Bischof mit oder im Namen der italischen CoUegen zustimmte. Denn außer den beiden Exemplaren des Synodalschreibens lag jenem Griechen noch ein drittes Actenstück vor, eben die römische, das Credo und die Ka- nones gutheißende Antwort, die ebenfalls Kanones, 25 an der Zahl, enthielt, die von den in Antiochien versammelten Bischöfen an alle Collegen in der Dioecesis Oriens mitgeteilt werden sollten*).

1) Ein gutes Beispiel solcher identischen Exemplare von Synodalbriefen, die trotz wörtlicher üebereinstimmung neben einander in Actenpublikationen mitgeteilt wurden, bietet Athanasius in der großen Apologie [37 ff.] : da teilt er zunächst das Exemplar der Encyclika mit, das die occidentalische Synode von Sardica au den alexandrinischen Clerus richtete, und dann das welches an die Bischöfe in Aegypten und Libyen adressiert ist.

2) Danach nahmen die Abendländer an daß die antiochenische Synode länger zusammenbleiben würde, oder sie haben, was mir wahrscheinlicher ist, die Ant- wort auf das Synodalschreiben an die Synode adressiert, aber dem Bischof von Antiochien geschickt mit der Bitte es in der Dioecesis Oriens zu verbreiten.

zur Geschichte des Athanasius VII 319

Wäre der Synodalbrief eine Fälschung, so müßte der stumpfsinnige Ignorant dem Hr. Harnack sie zuschreibt, nicht nur das an Alex- ander von Constantinopel adressierte Exemplar, sondern ein ganzes Actenfascikel fabriciert haben, ohne jede Notwendigkeit: denn den Zweck den Hr. Harnack ihm unterschiebt, erreichte er durch das Synodalschreiben allein. Die Fälschung rückt außerdem in einer für die These von Hm. Harnack sehr bedenklichen Weise zurück : sie liegt nicht nur vor dem syrischen Uebersetzer, sondern auch vor dem Griechen der das Actenfascikel in irgend einer Publication auftrieb und das Synodalschreiben zu der kanonischen Synode von Antiochien stellte, als Anhang zu deren Kanones. Das war ein Irr- tum, wie es ein Irrtum war, wenn in derselben Hs. das Credo der orientalischen mit den Kanones der occi dentalischen Synode von Sar- dica zusammengestellt wurde; aber beide Irrtümer sind in völlig gutem Glauben begangen und rechtfertigen nicht im geringsten den Verdacht der Fälschung ; die in der Hs. enthaltenen Actenstücke der Synoden von Sardica sind ja von unbezweifelbarer Echtheit. Hr. Harnack setzt sich über all diese, höchst einfachen und naheliegenden Erwägungen hinweg [S. 485] : unter solchen umstünden hat es natürlich [!] gor kein Interesse das zu untersuchen, was in der 'Historischen Notiz' noch hinzagefiujt worden ist. Entweder ist der Fälscher selbst ihr Verfasser oder ein Späterer, der die Fälschung geglaubt hat. In beiden Fällen ist die ^Notiz\ die von einer Korre- spondenz der Synode mit den italienisc/ien Bischöfen und von 25 Ka- nones fabelt, gleich ivertlos. Die Korrespondenz und die Kanones sind übrigens [!] dem nachgebildet , was sich auf einer späteren an- tiochenischen Sgnode wirMich zugetragen hat und allgemein bekannt war. Zunächst gilt doch den gelehrten Klerikern gegenüber, die redlich die Ueberlieferung gesammelt und das Ihrige dazu getan haben, daß sie nicht verloren gieng, die alte Juristenregel quiuis praesunmtur boniis, und es steht einem Historiker schlecht an da wo er auf Spuren von Urkunden, auf Actenregesten stößt, diese in die Rumpelkammer zu werfen ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Wenn das Synodalschreiben wirklich eine so offen- kundige Fälschung wäre, wie Hr. Harnack seinen Lesern ein- zuschärfen nicht müde wird, dann wäre es seinem Scharfsiifh ein leichtes gewesen die evidenten Indicien der Fälschung auch in diesem Regest zu finden und den naheliegenden Einwand zu be- seitigen, warum denn der Fälscher auf den sonderbaren Einfall kam in der unverfänglichsten Weise, ohne jede Tendenz, ohne jeden sichtbaren Zweck über ein ganzes, mit dem Synodalschreiben zusammenhängendes Actenfascikel zu berichten. Fälscher, vor

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allem ein geschichtlich so unwissender Fälscher wie derjenige sein soll, mit dem Hr. Harnack die kirchenrechtliche Litteratur be- reichern möchte, pflegen mit einfachen Regesten nicht so leicht ^u prunken, oder wenn sie es tun, sich so zu compromittieren, daß sie sicher zu fassen sind. Ist nun aber nicht 'der Fälscher', sondern einer der an die Fälschung glaubte, der Verfasser der Notiz, dann müßte dieser dumme Geselle und nach Hrn. Harnack muß er sehr dumm gewesen sein, wenn er auf die Fälschung hin- einfiel — noch immer so viel Schlauheit und Bosheit besessen haben, daß er auf die Fälschung an die er glaubte, eine zweite drauf setzte, an die er nicht glaubte, weil er sie selbst begieng, eben- falls ohne jeden Sinn und Zweck. Ob solche Möglichkeiten einen wissenschaftlichen Beweis vertreten können, mögen ruhig denkende Leser, die sich durch Hrn. Harnacks Beispiel nicht verleiten lassen die Notiz ungeprüft zu verdammen, selbst entscheiden; sie werden sich auch sagen, daß wenn ohne zureichenden Beweis so sinnlose Fälschungen, wie sie Hr. Harnack sich construiert, der urkunden- reichen Ueberlieferung des 4. Jahrh. zugetraut werden müssen, wir am besten tun die historische Forschung über diese Zeit über- haupt aufzugeben. Von was für einer späteren antiochenischen Synode Hr. Harnack im Schlußsatz redet, ist mir dunkel geblieben, und diesmal habe i c h kein Interesse daran zu untersuchen was für ein quid pro quo hier zu Grunde liegt.

In einer zweiten Notiz, die auf die erste oben mitgeteilte folgt, werden Bedenken ausgesprochen, nicht gegen die Echtheit des Synodalschreibens, sondern dagegen ob es wirklich zu der kanonischen Synode von Antiochien gehöre, also nachnicaenisch sei :

OLAj^li 6i^} yOJöt ^ 3( r^cHiY» ]^A^ (JL^bo :ooof ^o^^j jjlnii^»

ooot ^ot>^^i Griechisch: ^rjtrjtaov dh icag xarä ^AqbCov ocal t&v avtai, ö^o- döl^ov ayovi^ö^svoL ov fis^vr^vtat rov o^oovöCov dvö^atog ovxoi ol ayioi xal zf^g ähfisCag vnsQ^axoL iTtCöxojcoL , xatrot vGtsgov iysvovto xf^g ayCag kv NixaCai CvvöÖov xal ol 7cXei6tOL ai)tG)v ^0av kv xolg ixsiös öwax^-stöLv. Daß von den 56 im Anfang des Synodal- schreibens genannten Bischöfen die meisten auch in Nicaea waren, konnte der bloßen Namenreihe nur ein gelehrter Mann entnehmen, der die nicaenischen Subscriptionen kannte, und diese haften in der Ueberlieferung an den Kanones. Nun enthalten bekanntlich

zur Geschichte des Athanasius VII 321

die griechischen Kanoneshss. keine Namenlisten {mehr, haben sie aber in der älteren Zeit gehabt, wie die lateinischen und syrischen Uebersetzungen beweisen. Der Verfasser dieser Notiz kann also so ganz jungen Datums nicht sein. Ob er aber mit dem Grriechen identisch ist, der jenes Actenfascikel auffand und in das Corpus canonum hineinbrachte, ist zweifelhaft: es kann hier ebenso gut die Randbemerkung eines gelehrten Lesers vorliegen, der das Synodalscbreiben schon hinter den gewöhnlichen antiochenischen Kanones las und mit vollem Recht das nicaenische o^oovöiog vermißte. Er muß sich trotz seiner Grelehrsamkeit mit mir in das Loos finden, daß er nach Hrn. Harnacks Urteil zu den Lesern des Actenstücks gehörte , denen ein unwissender Fälscher alles zu bieten wagte.

In der oben mitgeteilten ersten Notiz verspricht derjenige der das Actenfascikel der antiochenischen Synode in das Corpus canonum eingefügt hat, die 25 abendländischen Kanones an späterer Stelle nachzutragen^). Tatsächlich erscheinen auch nach den Cy- prianstücken Kanones in der Hs., die nach der lieber schrift und Unterschrift eben jene sein sollen, die in dem Brief der italischen Bischöfe an die Collegen in der Dioecesis Oriens abgeschickt waren:

Grriechisch etwa : "Srt cckXoi xavövsg e^ 67CL0toXf}g tfjg jtaQ ^ItaXCccg TCQog tovg rfjg ^AvaroXfjg eTCiexoTCovg yeyQa^^svrig' oltcsq ine^cpd'Yi^av vito tßbv hv ^Avrio%sCai övvrjy^svcov 67fL0KÖ^(ov:

TsXog ra)v e%Kaids7ca xavövcov r&v sx rfjg STaötolfjg trjg %aQ* ''ItaXCag ysyQa^^evrjg TtQog tovg trjg 'AvatoXfjg STtcaxoTtovg :

Die Kanones aber, die von dieser Ueber- und Unterschrift ein- gerahmt werden ^), können nicht diejenigen sein, die von Rom nach

1) Die Anrede im Singular wjJL >^o^ ^jj jbn*) kehrt wieder in der Einleitung zu der Uebersetzung der Cyprianstücke [Lagarde, reliqu. iur. ^tv> 14 ff.]: da ist es bezeugt daß sie dem griechischen Original entlehnt ist [Lagarde reliq. iur. gr. 37, 23]. Da die Kanones des Synodalschreibens in der pariser Hs. auf die Cyprianstücke folgen, so ist es wohl möglich daß die Ueber lieferung des an- tiochenischen Actenfascikels mit dem der griechischen Cyprianübersetzung zu- sammenhängt, doch muß hier weitere Aufklärung abgewartet werden.

2) Sie werden binnen Kurzem in der Schultheßschen Sammlung veröffentlicht werden, die Correcturabzüge haben mir schon vorgelegen.

Ktrl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 3. 23

g22 E- Schwartz

^ntiochien geschickt wurden : es sind nicht 25 , sondern 16 , wie die Sabscription bemerkt, und sie sind orientalischen Ursprungs, denn sie operieren fortwährend, wie ich schon Nachr. 1905, 280 •bemerkte, mit den Kategorien der TtQoöxXahytsg, axQo&^svot,, vtco- TcizTovreg, die dem Occident fremd sind [vgl. über sie Nachr. 1905, 171]. Da nun die Ueberschrift am Schluß, im Widerspruch mit sich selbst, behauptet daß die Kanones von den in Antiochien ver- sammelten Bischöfen geschickt seien, so sind die 16 Kanones nicht die welche von Eom nach Antiochien, sondern die welche mit dem Synodalschreiben von Antiochien nach Rom geschickt wurden: sie sind auf derselben Synode festgesetzt, die Tbeodot, Narciß und Euseh provisorisch die Gremeinschj^ft aufkündigte. Die Verwirrung in der pariser Hs. ist ebenso zu erklären, wie die welche auch die Actenstücke von Sardica dort betroffen hat: bei dem Excer- pieren des Actenfascikels der antiochenischen Synode sind dem Compilator die Rubriken durcheinander geraten, die Ueberschrift der 16 Kanones zeigt das ja durch ihren Tenor selbst an.

Wie ich Nachr. 1905, 280 kurz bemerkte, haben diese Ka- nones schon Basilius vorgelegen, als er den dritten kanonischen Brief an Amphilochius [217] schrieb^). Der große Kirchenrechts - lehrer will in diesen Briefen ausgesprochener Maßen die Tradition sammeln; was er selbst hinzutut, sind Ableitungen und Correc- turen nach allgemeinen Rechtssätzen und Analogien-). Auch für die 16 Kanones läßt sich der stricte Beweis führen daß sie für Basilius die Tradition vertraten, die er gelegentlich nach seinen Rechtsgrundsätzen umgestaltete.

Bei ihm hat der Kanon über die Vielweiberei [ep. 217 can. 80] diese Form: ri^v de jcoXvya^Cav ol natSQsg äne6i(07cri6av a)g xtrivcbdri xal TcavTsXäs äXXoxQiav xov ysvovg tmv ävd-QcoTicüv ^), fi^tv dh TtccgC-

1) a t der antiochenischen Kanones = Bas. ep. 217 can. 65 74. ta = 75. 76; i^ = 77. 78; iy. i^ = 79. 80; t7. iq = 82. 83. Der 84. Canon der Ausgaben ist mit Recht in der pariser Hs. nicht beziffert: er ist keine Satzung, sondern eine Schlußbetrachtung.

2) Ich verweise auf meine Bemerkungen Nachr. 1905, 170, wo ich auch die wichtige Stelle aus dem ersten kanonischen Brief an Amphilochius [188] ange- führt habe: yCyvstai, rj^iiv ÖLÖda-naXog i) tcsqI xb ScnoyiQivead'ai, (isgiiiva.. ScfiiXsi xal vvv, ovöinots Xaßovrsg iv tpgovtidi zcc insQat'^ficcTd aov, ijvayyidadififisv ini- axs^aa&UL ^ngißdas xal ei' ti xi tj-kov aafi sv n ag ä x&v ng sa ßvx eq oaVf &va(jLvriad'fivai xal xcc av yy evi) ^v ^ S i8 cc%%^r\ii ev ^ nag' eavxmv im- XoyCaaad^ai. Meine Mahnung an die Rechtshistoriker diesen Briefen ihre Auf- merksamkeit zu schenken, ist bis jetzt ungehört verballt.

3) Wenn die Polygamie ein viehisches Laster genannt wird, so ist natürlich

zur Geschichte des Athanasius VIT 323

draTKi TcXeov n TtOQVsCag stvcci t6 a^äQtf]^a. di' o svXoyov tovg toiOVTOvg vTCoßdXlsöd-ai, tolg xavööL^ dfiXov ort iviavtbv jtQoöxXav- öavtag xal {ovo ccxQoaöa^svovg xal} ^) ^v tqlöIv vitOTteöovrag^ ot^rca ösxTovg alvai. Der 14. Kanon der pariser Hs. hat an Stelle von xovg xoiovxovg ^on wjjj Ji*viNS^ ^ )jlv>vo»y> ^*üj)J d. h. etwa rovg ix zav Xaixcbv 7ti6tovg [= Laien die nicht mehr Katechumenen und zur Communion zugelassen sind] roiovrovg und bringt am Schluß wichtige, bei Basilius fehlende Zusätze: ^ooop o.,q,»^*Njp ^ ^^i

o(^^ »ft<^vKi % ^NxgiJ ^^^a^t-o vP^^'^'^W' ^ "^^^ ^^ ^^^ *' v?^^^^

.^©♦-JLu ^NoaN jl^t^ 11^ ^ ^y^h^ si d' ex xCbv xXriQLxav slsv^ lisxä xov ex xcbv tcqoxsqov ßad'^cjv Tteöstv diTtXaöia^Eßd-ca hit^ avxolg oXog 6 xov xavövog XQ^'^^S' ^^ ^^ ^^^ ^^ ^^^ lsqco^evcjv [d. h. den Presbytern], exßlrjd-rjxcjöav xfjg sxxXrjöCag itdvxa xov xQOvov ^£%Qt xs- Xsvxfjg xov ßiov. Basilius hat die verschärften Strafbestimmungen gegen den Klerus, die diesem gemäß dem sittlichen Empfinden der alten Kirche eine in Rechten und Pflichten hervorragende Stellung anweisen, gestrichen, weil sie dem Rechtsatz ne bis in idem wider- sprechen, den er nicht müde wird einzuschärfen: die Strafe der Aus- stoßung aus dem Klerus darf für dasselbe Vergehen nicht mit anderen combiniert werden. Die juristisch correctere Anschauung lag in dem älteren Kirchenrecht unvermittelt neben jener anderen, die von dem dem mehr gegeben ist, auch mehr verlangt: Basilius sucht die juristische Analogie straff durchzuführen und arbeitet damit die privilegierte Stellung des Klerus scharf heraus, vgl. ep. 188 can. 3 äQ^alög eöxi, xavcov rovg äitb ßaQ-^iov jtSTtxcjxoxag xovxcdl ^övcoi, XG)L XQÖTtcoi xfjg xoXccöscog vTtoßdXXsöd'ai' ccxoXovd"ri6ccvxG)v, cDg ofjLtat, xwv i^ ccQx^g xg)l v6[icol exsCvcoL xcbi ovx exö ixt^ös ig dlg inl xb avx6^\ xal öi exigav 8e atxiavy oxl ol ^hv iv xg)l Xaixcbi ovxsg xdynaxL^ exßsßXri^ivoi xov xÖTtov xcbv Ttiöxav, TcdXiv sig xbv ä(p^ ov 6^87ts6ov XÖTtov dvaXafjißdvovxaL, 6 dh didxovog [von dem Diakon ist speciell in dem Kanon die Rede] ana^ e%ei diagxf] x^v dCxriv

die wirkliche Vielweiberei gemeint, nicht die mehrmalige Wiederverheiratung, die im griechischen Kirchenrecht nach Analogie von öiyccfiicc, rgiycciiicc usw. auch TtoXvyaiiicc heißt, vgl. Basil. ep. 188 can. 4. ep. 199 can. 50: correcter lautet der Ausdruck im 3. Kanon von Neocaesarea : nsgl xcbv TtXsiatoig yccfiotg TCSQtTCLTttovToav.

1) So ist nach dem antiochenischen Kanon zu ergänzen : die Stufe der ä%QooapisvoL wird in den griechischen Bußregeln nie übersprungen.

3) Nahum 1, 9 nach den LXX, die entweder einen falschen Text voraus- setzen oder falsch übersetzen. }-|12 ü^^ü^ti Dipn ifh heißt etwas ganz anderes, vgl. Wellhausen, kleine Propheten 159.

23*

324 E- Seh wartz

Tilg xad'aLQBöecDg ' cog ovv ovx ä7todLdo^8vr]g avtcbt rijg dLaxovCag, knl tavtrjg ^ötrjöav novrjg rrjg sxöiKijöSiog. ep. 199 can. 32 ol n)v jtQog d'dvaxov a[LaQtCav cc^aQtdvovtsg xXtjqlxoI tov ßad-^ov xaxdyovxai^ *%fig xoLVCovCag de tav kaixcbv ovx i^e^Qyovrai' ov yuQ ixd ixi^esig dlg enl avrö. ep. 217 can. 51 rb xatä rovg xXT]Qixovg dÖLo- Quötag ol xavövsg s^sd^evro xsXsvöavrsg fiCav enl tolg TtaQaneöovöLv OQi^söd'cci XLiLOQiav ^ xr)v 8X7txcoöLV xfjg vTtrjQSöLag , stxe iv ßad^^ac xvyxdvoiBv ehe xal axeigod-excot vTtrjQSölai jTQoöxaQXSQotsv.

Der 81. Kanon des Basilins fehlt in den antiochenischen Ka- nones. Aus guten Gründen ; er ist von Basilius hinzugefügt wegen einer actuellen Veranlassung : bei einer persischen Razzia waren viele als G-efangene weggeschleppt und zum Abfall gezwungen, die nach der Freilassung zurückgekehrt, wieder um Aufnahme nach- suchten^). Am Ende des Briefes benutzt Basilius dasselbe Er- eigniß zu einer Bußpredigt, die die Kanones wirksam abschließen soll: st yaQ ^i] STCaCdsvösv rj^äg (poßeQcc xov xvqCov ^rjöa ai trjkLxavxai TcXriyccl elg al'öd^rjöLV ri^ccg ijyayov öxi ötä xtjv ävoiiCav rjfiav iyxaxeXiTtsv rj^äg 6 xvQiog xal TtUQsdcjxsv elg %£lQCcg ßaQßdgov xal äitriypti aix^dXcoxog elg xovg noXe^iovg 6 Xabg xal Ttageödd-rj xfji ÖLaöTtOQäL, dioxL xavxa ixöX^cov ol xb ovo^ia xov Xqlöxov itegiipe- QOvxsg, ei ^rj eyvcoöav ^rjöe övvf^xav oxl did xavxa ijXd'ev ecp rj^äg 'fl OQyri xov d^eov, xCg tj^iv xoivbg ngbg xovxovg loyog] Mit dieser eigenen Bußpredigt setzt er eine Betrachtung fort, die er aus den Kanones des antiochenischen Synodalberichts entlehnt hat; denn was in dem fälschlich s. g. 84. Kanon des Basiliusbriefes vor den eben ausgeschriebenen Worten steht, findet sich auch in der syrischen Uebersetzung der Kanones als Schluß [fol. ITS' der pa- riser Hs.] : Ttdvxa da xavxa ygdcpo^ev o^öxe xovg xagitovg doxL^d^eöd-ac xf^g ^lexavoCag. ov ydg Jtdvxcog xCbi xqovoi xgivo^ev xotavxa, dXXä t&L tgoTCGOL xfjg iiextvoiag ngocexo^ev. iäv öh öveajcoöJtdöxcag ixaöL x&v idtiDV ed^&v xal xaig ridovaig xfjg öagxbg [läkkov dovXeveiv d'sXcoöiv rj XG)i xvgCcoi xal xriv xaxä xb evayyehov ^o'^v fti) xaxade%(ovxai^ ovdelg rj^tv ngbg avxovg xoivbg Xöyog [es ist zu beachten, wie Ba-

1) 'ETtSLÖTj 8^ TtoXloi iv rfii x&v ßaQßdgoai v.axa8Q0^fii naQfßriaav rijv elg Q'sbv nCaxLv, ogyiovg id-viyiovg inLxsXsaavxsg xcfi Sc&Sfiucov xiv&v ysvadfjievOL x&v iv xotg sl8oiX<BC>oig xoig (layLnotg TCQoasvsx&Bvxav wbxotg, ohxot. xcera rovg ^'drj nagä x&v Tiaxigcav ijfi&v i^svsx&ivxag "Kuvovag oinovofisiad'oiaav. Aus den Götzentempeln der Magier' ergiebt sich daß es sich um einen Persereinfall handelt: da er rasch vorübergieng und der ßotensturm alles Interesse absorbierte' ^st er nicht in die historische Ueberlieferung gelangt. Nach Hrn. Harnacks Recept müßte allerdings der Brief des Basilius atlietiert werden, weil er eine geschicht- liche Thatsache enthält, die mr wissen müßten, wenn sie geschehen wäre [S. 482].

zur Geschichte des Athanasius VII 325

silius diese Worte in seiner eigenen Schluß predigt wiederholt] ii^slg yäg ev Xam äiteidst Kai avxiXEyovti dsöiddy^B^u ccKovsiv oxl ecji^cov (ja)L^6 ti)v ösavtov ^v^riv (j^irida ötriig Kai öv^- 7C tt Q a Iri ^(f) %" rii g)^) [Gren. 19,17]: ^ri xovvvv xarade^co^sd'a övva- TtöXXvöd-at, totg rotovrocg [Gen. 19, 15]. Passender kann ein Synodal- brief der Kanones enthält, nicht abschließen. Die Ermahnung an die Bischöfe die Bußzeiten nicht mechanisch aufzulegen, sondern unter Umständen, wenn gute Früchte der Buße zu sehen sind, ab- zukürzen — nebenbei gesagt ein vorzügliches Mittel die discre- tionäre Disciplinargewalt des Bischofs der Gremeinde gegenüber zu stärken und zu steigern kehrt in den Kanones von Ancyra [5. 7. 9. 16] und Nicaea [12] wieder und der scharfe Schluß verrät daß die Gremeinde für die die Kanones ursprünglich erlassen sind, arg desorganisiert und in Gefahr war in die 'Gewohnheiten', d. h. ins Heidentum zurückzufallen. Nun beginnt aber das erhaltene Exemplar des antiochenischen Synodalbriefs mit beweglichen Klagen über den Verfall der Kirchenzucht in Antiochien; ja es läßt sich noch eine besondere Beziehung nachweisen, die den Eingang des Synodalbriefs mit dem Schluß der Kanones zusammenkettet, so daß klar wird wie das Synodalschreiben, das Hr. Harnack für eine stumpfsinnige Fälschung hält, und die Kanones denen er seine Be- achtung versagt hat, ein untrennbares Ganze bilden. Der Einberuf er der Synode giebt als sein Motiv an [274, 3] : : IJLs^jb V-s^ U^V ^ {)^i,*»v> wOt ii~*w-o! Jv^o^iioö vTtb TtoXkcbv yäg dixaicjv övvoizstrai rj Ttolig. Für Hrn. Harnack [S. 479] ist der Zusatz etwas [!] unverständ- lich, d. h. weil er ihn nicht versteht, soll der Leser an der Echtheit der ganzen Urkunde zweifeln. In Wahrheit ist das Sätzchen sehr leicht zu verstehen: 'weil noch viele fromme Leute in Antiochien sind, hielt ich es für meine Pflicht in außergewöhnlicher Weise eine Synode zusammenzurufen um wieder Ordnung in die Gemeinde zu bringen'. Wenn nun die frommen Leute dCzaiOL genannt werden, so gehört nicht viel Stilgefühl dazu um zu merken daß der Mann in alttestamentlicher Manier redet; man braucht auch nicht lange zu suchen um die Stelle zu finden, an die er gedacht hat: es ist Gen. 18, 23 if., die Fürbitte Abrahams für Sodom: ^ij öwaitoXs- öYiig dUaiov ^stä äösßovg xtX. Die Synode hat das Ihrige getan um zu verhüten daß die 'Gerechten' mit den Ungerechten zu Grunde gehen, und versichert nun am Schluß, daß wenn ihre Satzungen nichts helfen, kein anderes Mittel bleibt als sich von den laxen

1) >^lLo \l^L Do. Basüius hat das Citat gekürzt.

326 E- Schwartz

und unverbesserlichen Gemeindemitgliedern loszusagen: wiederum treten Wendungen auf, die bis aufs Wort aus der alttestament- lichen Erzählung von Sodom, diesmal aus der Rede der Engel an Lot, entnommen sind und somit auf den Beginn des Schreiben^ zurückgreifen.

Es ist bewiesen daß die 16 Kanones auf derselben Synode beschlossen sind, welche das Schreiben erlassen hat, und in einem zweiten Exemplar dieses Schreibens mit ihm vereinigt waren; es ist ferner bewiesen daß die Kanones mit dem Schluß des Synodal- schreibens von Basilius in dem dritten kanonischen Brief an Amphilochius benutzt sind. Dieser Brief ist nach der pontischen Reise des Basilius geschrieben, die durch ep. 216 auf das Jahr 376 festgelegt ist [vgl. Nachr. 1904, 371]. Daraus geht hervor daß die Kanones mitsammt dem Synodalschreiben älter als 376 sind: die Urkunde hat die Prüfung der Ueb erlief erungsgeschichte glänzend bestanden.

Das zweite Erfordernis, das von dem wissenschaftlichen Nach- weis einer Fälschung verlangt werden muß, ist die Untersuchung der Form in der die Urkunde abgefaßt ist: auch über dies Er- fordernis setzt sich Hr. Harnack hinweg. An der Spitze des Schreibens steht der Name des Adressaten ; durch ihn und die Grußformel sind die Namen der Absender eingerahmt. Hr. Harnack behauptet allerdings, daß die Namen sofort auf die Adresse ohne Gruß folgen \ S. 479] ; das verrät aber nur das Maß von Sorgfalt, mit dem er das stümperhafte Machwerk des späten Fälschers [S. 483] gelesen hat. Denn der Gruß ^ »«vnN JL;.^aA = ^v xvqCcol xaCgsiv steht hinter den Namen deutlich da, ist auch in meiner Pnblication nicht etwa durch Versehen ausgelassen. Durch die Namenliste selbst wird die Echtheit des Documents verbürgt; sie ist sogar der stärkste, jedem Zweifel entzogene Beweis dafür. Es giebt in der publicistischen und kirchenrechtlichen Litteratur des 4. Jahr- hunderts eine stattliche Reihe von solchen Listen: keine einzige ist gefälscht, sie sind ausnahmslos die wertvollsten historischen Documente, freilich ebenso ausnahmslos, wenn man von der nicae- nischen Liste absieht , nur in unvollkommener Weise oder über- haupt noch nicht publiciert und niemals wissenschaftlich behandelt- Durch das Corpus canonum sind aus dem 4. Jahrhundert erhalten die Listen der Concile von Nicaea, Ancyra, Neocaesarea, Gangra, Antiochien und Cunstantinopel. In der jüngeren Recension des Corpus canonum, die in den griechischen Hss. vorliegt, sind diese Listen meist weggefallen; sie stehen aber in den lateinischen und, am besten und correctesten, in den syrischen Uebersetzungen, die

zur Geschichte des Athanasius VII 327

ans der älteren Redaction des Corpus übertragen sind*). Als Beispiele von Listen die mit den Actenpublicationen der Pübli- cistik zusammenhängen, aus denen auch das Actenfascikel der antiochenischen Synode ursprünglich stammt, führe ich auf:

Die Unterschriften des alexandrinischen und mareotischeh Xleras unter der Encyclika Alexanders, von Athanasius als Bei- läge tu de decrcüs Nicaenae synodi veröffentlicht, vgl. li'^achr. 1904, 391 ff. 1905, 265. 295 ff.

Die Liste des melitianischen Klerus , die Melitius nach dem nicaenischen Concil Alexander von Alexandrien übergab: Äthan, apol. c. Arian. 71.

Die Namen der Bischöfe die auf der occidentalischen Synode von Sardica anwesend waren oder ihren Beschlüssen durch nach- trägliche Unterschrift beitraten: Athanas. apol. c. Arian. 50. Dazu gehören die Unterschriften unter den Briefen derselben Synode und des Athanasius an den mareotischen Klerus, die durch die s. g. Sammlung des Theodosius Diaconus erhalten sind , vgl. Nachr. 1904, 381.

Die Namenliste des orientalischen Concils von Sardica: [Hi- larius] frg. hist. 3.

Die Unterschriften unter dem Synodalschreiben von Ankyra: Epiphan. 73, 11.

Die Unterschriften der Synode von Seleukeia in Isaurien: Epiphan. 73, 26.

Die Adresse und die Unterschriften des von Athanasius an die Paulinianer in Antiochien geschickten Tomos: Äthan, opp. t. 1, 770. 776.

Zum Schluß mag noch auf die interessante Notiz hingewiesen werden über die Subscriptionen des antiochenischen Concils von 379, die sich in Nr. 3 der s. g. Sammlung des Theodosius Diaconus nach 6 vollständigen Unterschriften findet [Nachr. 1904, 363]: si- militer et alü CXLVI Orientales episcopi suhscripserunt, quoriun sub- scriptio in authentico hodle in archiuis Romanae ecclesiae tenetur.

In all diesen Listen ist auch nicht die geringste Spur einer Fälschung zu entdecken ^) ; Fehler der Ueberlieferung sind keine

1) Vgl. die Notiz in der isidorischen Version [Turner, eccles. occid. mon. iur. antiquiss. 2, 1, 48] : conuenerunt autem in synodum memoratam Ancyrae [et] Caesareae quorum nomina et loca [das trifft nur für die Synode von Ancyra zu] in greco sermone continent ur.

2) Es geht jetzt allerdings die Rede um, daß die nicaenischen Listen nach- träglich von Athanasius auf deüi s. g. Concü von Alexandrien zusammengestellt

328 E. Schwartz

Fälschungen. Umgekehrt finden sich in den wirklichen auf das 4. Jahrh. bezüglichen Fälschungen wie sie sich an das Nicaenum an- gesetzt haben, nirgend Namenlisten : vor so gefährlichem Beiwerk nahmen sich die Fälscher in Acht, hatten auch gar kein Interesse dafür. Es wäre einfach beispiellos, wenn ein obscurer, unwissender Scribent ein von ihm fabriciertes Sjmodalschreiben mit einer Liste von 56 Bischofsnamen ausstaffiert hätte. Die äußere Form der

seien. Das ist ein von RevUlout [s. o. S. 314] in die Welt gesetzter Unsinn, der sich Punkt für Punkt widerlegen läßt. Er behauptet 1) daß jener a. a. 0. erwähnte historische Bericht über das nicaenische Concil das Protokoll jenes alexandrinischen Concils sei, was nirgend auch nur mit einem Worte überliefert ist ; er ist überhaupt kein Actenstück und verfolgt wesentlich den Zweck zu entschuldigen daß in der Liste des ersten oekumenischen Concils verhältnismäßig so wenig occidentalische Bischöfe stehen; 2) daß diese vonRevillout erschwindelten Acten des Concils von Alexandrien mit dem Synodikon des Athanasius identisch seien, in dem nach Socrat, 1, 13, 12 die nicaenische Liste stand. Das ist einfach haarsträubend; wie soll der röfiog einer Synode das Synodikon eines einzelnen Bischofs genannt werden? Gar nicht davon zu reden daß es eine absurde, durch keine Ueberlieferung oder auch nur Analogie zu stützende Vorstellung ist, daß eine Synode die Namenliste einer längst vergangenen publiciert. In Wahrheit ist das Synodikon des Athanasius eine Interpolation im Text des Sokrates [Nachr. 1904, 398] , mit der man endlich aufhören sollte Unfug zu treiben. Die Räubergeschichte endlich, daß die Arianer die Acten des nicaenischen Concils verbrannt hätten [Le concile de Nicee 6], läuft auf die erschwindelte lateinische Correspondenz zwischen Athanasius und dem römischen Papst Marcus, dem Nachfolger Sylvesters, zurück [Athanas. opp. t. 2, 665]; alles nötige hatte Hefele schon im Jahre 1851 [Theolog. Quartalschr. 1851, 43] darüber gesagt. Es ist mir unbegreiflich wie ein Forscher von dem Range Geizers Revillouts dilettantisches Geschwätz hat ernst nehmen können : die Stellen die er über das s. g. Concil von Alexandrien [p. XLIX] vorführt, bedeuten nichts weiter als daß 362 in Alexandrien das nicaenische Symbol für gültig erklärt wurde, was gegenüber der constantinopler Synode von 360 sehr nötig war; übrigens war das Concil von Alexandrien alles andere als oekumenisch und hatte keine andere Tendenz als in das antiochenische Schisma einzugreifen und die Meletianer zur Gemeinde des Paulinus hinüberzuziehen. Wenn Geizer schließlich verlangt [p XLVII], die Liste hätte wie die Subscriptionen der späteren Concilsacten nach dem hierarchischen Range geordnet werden müssen, so vergißt er dabei 1) daß die Metropolitanverfassung 325 noch in der Entwicklung war und 2) daß die nicaenische Liste nicht mit den Concilsacten der späteren Zeit, sondern mit den Synoden des 4. Jahrh. und mit dem Usus der Kanoneshss. verglichen werden muß. Da ist in den Subscriptionen nie die hierarchische Ordnung beobachtet, sondern entweder gar keine das ist das gewöhnliche oder die geographische. So ordnet Athanasius z. B. die Beitrittserklärungen zum Concil von Sardica [apol. c. Arian. 50], 80 sind die Subscriptionen der Kanones von Constantinopel, ja noch von Chalkedon geordnet. Die nicaenische Liste ist genau so authentisch und ebenso unter kaiserlicher Autorität publiciert wie das Symbol und die Kanones auch; sie verlangt dringend einen sorgfältigen, historischen und geographischen Commentar.

zur Geschichte des Athanasius VII 329

Liste ist tadellos. Daß die Namen mit der Adresse und dem Grruß verbunden sind, hat seine Analogie in den Schreiben der antioche- nischen Synode gegen Paul von Samosata [Eus. KGr 7, 30, 2], der Synode von Gangra, des athanasianischen Tomos an die Antiochener; bei der kanonischen Synode' von Antiochien steht in der syrischen Uebersetzung die die alte Anordnung am treuesten erhalten hat, das Schreiben voran, dann die Namen an der Spitze der Kanones. Auch der üccident liefert Beispiele für diese Art: so Cyprian ep. 70 oder die Ueberschrift der Schreiben welche die römische Sy- node der 93 Bischöfe von 372 erKeß [Nachr. 1904, 362 fF.]. Die Bischofssitze sind weggelassen: grade das ist der ältere Usus der erst allmählich verdrängt wird und immer wieder auftaucht. Sie fehlen ebenso in den Adressen der Synoden gegen Panl von Samosata und von Grangra, sowie der Briefe des afrikanischen Concils aus dem 3. und des römischen aus dem 4. Jahrhundert, die eben erwähnt sind, in den Unterschriften des Concils von Neocae- sarea und des occidentalischen Concils von Sardica nur in den Grrüßen die dem Brief der Synode an den mareotischen Klerus angehängt sind, sind auch die Thronoi z. Th. mit aufgeführt sowie in denen der späteren, 'semiariani sehen' Synode von Ankyra. Am Ende der Einleitung des antiochenischen Synodalschreibens giebt der Einberufer die Provinzen an, aus denen Bischöfe zur Synode gekommen sind: auch das entspricht dem Stil der älteren Synodalbriefe des vierten Jahrh. Die langen Aufzählungen von Provinzen in den Adressen des occidentalischen [Äthan, apol. c. Ar. 86] und orientalischen [[Hilar.] frg. bist. 3] Concils von Sardica sind bekannt, ebenso die recht renommistischen in der Adresse des Tomus ad Antiochenos; am Schluß der Namenliste des ka- nonischen Concils von Antiochien steht, nach der syrischen Ueber- lieferung ex ÖLcccpögcov STcaQii&v^ UvQiag Koili]g, ^OLvCxrig, HaXai- ötCvrig, ^AgaßCag, MsöOTioza^iag^ KUixCag, ^löavQiag, in den Schreiben der Synoden von Ankyra [Epiphan. 73, 2] und Seleukeia [^piphan. 73, 25] ist ein allgemeines ex dtaq)6Qcov eitaQxicbv an Stelle der Namen getreten.

Hr. Harnack hat die, allerdings von vornherein vergebliche, Mühe gescheut auch die Namenliste im Einzelnen als das stümper- hafte Machwerk eines späten Fälschers nachzuweisen , obgleich man meinen sollte daß ein Fälscher des 6. oder 7. Jahrhunderts, der von Chronologie keine Ahnung hatte [S. 488], auf einem so gefähr- lichen Terrain wie eine Liste von nicht weniger als 56 Namen ist, mit Leichtigkeit ertappt werden könnte. Er sagt nicht einmal ausdrücklich, daß die Liste gefälscht sei, sondern schließt daraus

330

E. Schwartz

daß nach meinen Zusammenstellungen 49 (richtiger 48, s. u.) von den 56 Bischöfen auch in Nicaea waren, daß das Synodalschreihen das Nicaentim voraasetzt [S. 483. 482J. Den Schluß verstehe ich nicht; es liegt doch auf der Hand daß eine Synode die wenige Monate vor der nicaenischen in der östlichen Reichshälfte tagte, im Wesent- lichen von Bischöfen besucht gewesen sein wird, die auch an jener teilnahmen. Wenn Hr. Harnack etwa meint, die Liste sei aus der nicaenischen entlehnt, so spricht dagegen erstens, daß die Rechnung nicht aufgeht ; denn 8 ^) Namen fehlen dort, darunter zwei, Moqimu -- ein arabischer Name den ein Fälscher des 6. oder 7. Jahrh. wahrhaftig nicht erfunden haben kann und Alexander^), die auch in den Subscriptionen des kanonischen Concils von Antiochien erscheinen, und 5 harmlose Namen, Irenaeus, Rabbula, Irenicus, Avidius und Terentius, von denen namentlich Rabbula nicht nach Fälschung aussieht. Zweitens braucht man sich nur die kleine Mühe zu machen und ilie Liste des antiochenischen Synodalschreibens mit der nicaenischen zusammenzustellen um zu sehen daß jene nicht aus dieser abgeschrieben sein kann. Damit sich jeder sofort ein Bild von dem Sachverhalt machen kann, setze ich die Liste des Synodalschreibens mit den Nummern der nicaenischen Sub- scriptionen und den Provinzen her:

Evösßiog

190 Isaurien

FQTjyÖQLog

^2 i Phoenici

Evördd^tog

50 Syrien

Mdyvog

^Aiiq)Cov

84 Kilikien

nixQog

28 oder 69

Baöetavog

54 oder 71

Aovylvog

27 Palaestina

ZrivößLOs

51

Syrien

MaviXLog

64 Syrien

JIinsQLog

57

Moxi^og

2^aXafidvrig

56

Idyaniog

177 Isaurien

1) Hr. Harnack zählt 7, aber nur, weil er meine Zusammenstellungen nicht sorgfältig nachgeprüft hat, s, u.

2) In der syrischen Liste steht

Nach constantera Gebrauch der Liste wird neben dem Thronos auch die Provinz angegeben, umgekehrt ist Uirgog IIaXuiaxCvr\g Unsinn. Da Petros in Nr. 28 der nicaenischen Liste als Bischof von Nikopolis in Palaestina aufgeführt wii'd, ist zu emendiren:

Auch Moqimu entbehrt in der antiochenischen Liste des Thronos; er und Alex- ander werden Chorepiskopen gewesen sein.

zur Geschichte des Athanasius VII

331

MaxsdövLog

JTccvkog

Baööiavög

UdksvKog

2J(07catQog

^AvxCoxog

MaxaQLog

'Idxcjßog

^Ekkccvixog

Nixr]tccg

!^QX£^ccog

MaxQtvog

FsQ^avög

^AvatoXtog

Zcotlog

KvQiXlog

UavUvog

^AixLog

McoöTig

Evördd-Log

Ake^avÖQog

90 Kilikien

31 oder 66

54 oder 71 Syrien

68 Syrien

76 Arabien

80 Mesopotamien

21 Palaestina

79 Mesopotamien 44 Phoenicien 87 Kilikien 58 Syrien 29 Palaestina

22 Palaestina 49 Phoenicien 61 Syrien

183 Isaurien 89 Kilikien 34 Palaestina 86 Kilikien 65 Syrien

Eigrivatog

"PaßßovXag

JJavXog

AovTCog

Nixö^axog

0LX6^£vog

Md^L^og

MaQtvog

EvcpQavtLov

TaQXcovdi^avrog

Elgrivixog

nixQog

nriydöLog

Ev^v^iog

^döxXriTtiog

'Alcpsiog

Bdööog

FegöviLog

^HsviLog

lAvCÖLog

31 oder 66

72 Arabien 65 Syrien 30 Palaestina 23 Palaestina 59 Syrien

91 Kilikien

28 oder 69 70 Syrien 95 Kappadokien 37 Palaestina 53 Syrien

62 Syrien

63 Syrien

92 Kilikien

Tsgavtiog

Der Fälscher müßte mit geradezu teuflischer Schlauheit sich die ISTamen aus den nicaenischen Subscriptionen herausgepickt und dann durcheinander geschüttelt haben, damit ein solches Verhältnis herauskommt. Dabei ist zu beachten daß es durchaus das Gre- wöhnliche ist, wenn solche Listen sich um die Ordnung nach Pro- vinzen nicht kümmern: diejenigen welche die Thronoi mit aufFühren^ wie die der kanonischen Synoden von Ankyra und Antiochien oder die des orientalischen Concils von Sardika oder des Concils von Seleukeia erfreuen sich der buntesten geographischen Unordnung. Schließlich scheitert jeder Versuch die Liste für eine nach den nicaenischen Subscriptionen fabricierte Fälschung auszugeben an dem achten der dort fehlenden Namen, an Lupus. Mit diesem in der östlichen Reichshälfte gewißlich seltenen Namen in der Kirchengeschichte des 4. Jahrh. kommt er meines Wissens sonst nicht vor kann nur der Bischof von Tarsus gemeint sein, der auch an den Synoden von Ankyra und Neocaesarea teilnahm. In Nicaea unterzeichnete an seiner Statt Theodorus ^). Man kann

1) Diesen Sachverhalt hatte ich schon Nachr. 1905, 287 auseinandergesetzt, ohne viel Wesens davon zu machen. Hr. Harnack hat entweder über die Beob- achtung hinweggelesen oder geglaubt sie nur dadurch widerlegen zu können, daß er über sie schwieg.

332 E. Schwartz

gar nichts anders als scUießen daß Lupus zwischen den Synoden von Antiochien und Nicaea gestorben ist : aus der Namenliste läßt sich der schlagende Beweis führen, daß die Synode vomicaenisch ist. Athanasius führt in dem Rundschreiben an die aegyptischen und libyschen Bischöfe [8] die Ealikier Lupus und Amphion (von Epiphania) unter einer langen Reihe von orthodoxen Bischöfen auf: wo soll Lupus, der nicht in Nicaea war, seine Orthodoxie bewährt haben, wenn nicht auf der Synode von Antiochien?

Die Adresse des Synodalschreibens lautet: Jojto ja .»nS

6/Lio^u;^cöt ddskg)col xal övkleirovQ'yüi ^Ale^dvÖQcai. Dazu bemerkt Hr. Hamack [S. 479] : Dieses o^oiljvxcot findet sich auch in dem echten Schreiben des Alexander von Alexandrien an diesen Alexander von Bijzanz. Die Bemerkung scheint sehr überflüssig, soll aber wohl auf die These vorbereiten [S. 486] , daß der Fälscher seiner Fäl- schung die beiden Schreiben Alexanders von Alexandrien zugrunde gelegt und sie hauptsächlich nach ihnen construiert hat. Das tut sie nun freilich nicht, denn o^öipvxog gehört zu den stehenden Phrasen der Anrede, aus denen auf fälschende Imitation zu schließen eine Absurdität ist. Philogonios von Antiochien nennt in seiner Unter- schrift den 1 6 flog Alexanders toi) dsönörov xal o^otfjvxov ^ov 'AXs^dvÖQov [Nachr. 1905, 267], Alexander von Thessalonich redet Athanasius mit oiiöjjjvxog övlXsLtovQyög an [Äthan, apol. c. Ar. 66], die kanonische Synode von Antiochien adressiert totg xat'' iitaQyiav o^ofvxocg xccl äyCoig evXksttovQyolg und ähnlich die spätere Synode von Ankyra KVQioig tL^Kotdtoig xal o^oiJjvxoLg evlXsLtovQyotg zoig ev OoLVixrii. Die kaiserliche Kanzlei hat die Anrede recipiertr Constantin schreibt an Alexander und Arius mit der, der Wirklich- keit freilich nicht sehr entsprechenden Periphrase [Eus. Vit. Const, 2,68, 2] TCQog Trjv o^öjjjvxov v(ig)v dyxivoiav.

Es ist Hm. Hamack sehr ärgerlich daß an der Spitze der Namenliste ein Eusebius steht, mit dem er nichts anzufangen weiß. Meiner Vermutung daß es der aus den nicaenischen Subscriptionen bekannte Eusebius von Isauropolis sei, stellt er die kategorische Behauptung entgegen [S. 487]: Das hann natürlich [diese Partikel pflegt Hr. Hamack mit Vorliebe zu gebrauchen, wenn er sich den Beweis ersparen will] nicht sein. So verfährt kein Fälscher; er braucht einen illustren l^amen ! Nach dieser Logik würde der Fälscher sich kaum die überflüssige Mühe gemacht haben 56 keineswegs illustre Namen an die Spitze seines Machwerks zu stellen; statt aber auch nur einen Augenblick an seiner These irre zu werden, zimmert Hr. Hamack folgenden Cirkelschluß zusammen: das Docu-

zur Geschichte des Athanasius VII 333

ment ist gefälscht, also darf kein obscurer Name am Anfang stehen; es steht aber ein solcher da, also ist er falsch. Ich und hoffent- lich alle unparteiischen Leser werden umgekehrt schließen: weil ein gänzlich unverfänglicher Name an der Spitze steht, ist aus ihm für den Beweis der Fälschung nichts zu holen, und wenn Hr. Har- nack den Namen wegbringen muß um seinen Beweis der Fälschung überhaupt aufbauen zu können, so taugt eben dieser Beweis nichts. Ihm ist allerdings mit einem Schlage Mar geworden daß Eustathius an den Anfang gehört, und die Adresse zu lesen sei tcbi äyicoi Kai ofto^v^coi ddsX(pa)L äyaTtr^rcbi xal CvXXaurovQym ^AXei^dvdQcoi {tm) svösßsl Evördd-iog ktL Das ist eine Conjectur nicht zum syrischen Text, sondern zu dessen griechischem Original oder vielmehr im günstigsten Falle zu dem Text aus dem die griechische Hs. welche der Syrer übersetzte, abgeschrieben ist : denn in dieser selbst muß nach dem Zeugnis des Syrers Evösßiog gestanden haben. Nun pflegt man solche Eingriffe sich nur zu erlauben, wenn der Beweis der Corruptel mit Evidenz geführt ist, und mindestens den Leser darauf aufmerksam zu machen daß man nicht einen wirklich vor- handenen, sondern einen supponierten Text corrigiert; aber auch von solchen philologischen Pedanterien abgesehen, ist es mit der Klarheit die Hm. Hamack mit einem Schlage gekommen ist, nicht weit her : warum schließt er denn den Artikel vor svösßet in eine mehrdeutige Klammer ein? Wenn er schließlich mir den Rat erteilt den Text in derselben Weise zu verbessern, so muß ich mir das mit Entschiedenheit verbitten: ich weiß zwar selbst am besten, wie mangelhaft meine griechischen TJebersetzungen sind, aber einen so groben Schnitzer begehe ich nicht, wie der ist den Hr. Harnack in die Adresse hineinbringt. In den Briefen des 4. Jahrh. ist die ältere Form, die Titel oder Höflichkeit s anrede hinter den Namen setzt*), zwar noch nicht ganz verdrängt, tritt aber doch hinter der jüngeren Weise zurück die Praedicate der Anrede vor den Namen zu stellen ^) : dagegen ist es unmöglich

1) Z. B. Athanas. apol. c. Arian. 78 und 79 ^lavCan ^LOvvaLcot, tcbi Iccfi- ngordtaa K6(iritL. Dionys von Alexandrien im kanonischen Brief an Basileides JiovvGios BaGilsLÖriL xm ccyccTtrit&L ^ov vtcbi "KuI icdsXcp&i ovXXsLtovQyüL yial d-aoTtQBTtai. So hat Lagarde [reliq. iur. eccl. p. 55, 6] richtig ediert; Feltoe [Dionysius of Alexandria p. 94] durfte das in einigen, nicht allen Hss. über- lieferte Kai vor övXXsLtovQy&L nicht aufnehmen. Zu dieser Form gehört auch das schematische ccyaTiritotg ccdsXcpots oder nvQioLg tLfiicoTdtoig, das hinter den Namen [Brief des lulius von Rom, Äthan, apol. c. Arian. 21] oder der Collectiv- anrede eingeschaltet wird [Äthan, apol. c. Arian. 1. 37. 57. 77].

2) Die Beispiele sind massenhaft: ich führe nur einige an, die mir grade am Wege liegen und in die gleiche Sphäre gehören wie das antiochenische Synodal-

334 ^ Schwartz

durch den Namen, wie Hr. Harnack es tut, die Praedicate in zwei Teile zu zerschneiden. Denn dadurch wird das was hinter dem Namen steht, zum individuellen Beinamen, dem directen Gregensatz des allgemeinen, dem Stande geltenden Höflichkeitspraedicates ; es ist platterdings unmöglich daß ein einzelner christlicher Bischof den Beinamen Plus offiziell geführt hätte wie weiland der Kaiser Antoninus. Wäre die von Hm. Harnack construierte Anrede überliefert, so würde sie entweder zu corrigieren sein oder für die Schreiberei eines Illiteraten zu gelten haben oder das stümper- hafte Machwerk eines Fälschers verraten: derartiges aber über einen übersetzten, gänzlich unversehrten, der Corruptel in keiner Weise verdächtigen Text hinweg in ein zu erschließendes Original hineinzukorrigieren, ist ein unerhörter Gewaltstreich.

Ich hatte angenommen daß der an der Spitze der Liste stehende Eusebius die Synode einberufen und geleitet hat und mit dem identisch ist, der am Eingang des Schreibens in erster Person redet und motiviert daß die S3mode überhaupt stattgefunden hat. Denn sie war ungewöhnlich, weil sie nicht von dem antiochenischen Bischof, sondern von einem Fremden berufen war. Das folgt alles einfach und ungezwungen aus dem Text und stimmt mit der anderweitig feststehenden Tatsache überein, daß damals der anti- ochenische Thronos vacant war. Hr. Harnack vermag sich freilich den Vorgang nicht vorzustellen [S. 485] : diese Art wie die Synode zasanmiengekonimen sein und tvie ein obskurer Mann hier das Wort geführt haben soll, ist ebenso unglaithlich, um nicht zu sagen, unmög- lich, u'ie alles [!] übrige. Gewiß, eine gewöhnliche Synode wie sie in den Compendien der Dogmengeschichte zu Dutzenden figurieren, war die antiochenische von 325 nicht. Aber die Zeit war unge- wöhnlich, die Gemeinden mußten sich von dem Druck der letzten

schreiben. Briefe des Arius Epiphan. 69,6 = Tbeodoret 1, 5, 1 tivg^ai nod-si- votdcrcaL, Scv^Q^nav <9"fov niat&i dg^odd^coL Evasßicoi ; des Arius und seiner An- hänger Epiphan. 69, 7 = Äthan, de synod. 16 (iwuccgiaL ndnai xai i7ti6%6'jtaii rjfimv 'JXs^ccvSqcol] des Eusebius von Nikomedien Theodoret. 1,6,1 t&i dsanoTrii fiov JJavXCvwi ; Alexanders von Alexandrien Nachr. 1905, 266 [aus dem Syrischen übersetzt] xmi Ssan6triL xai avXXsixovQycäi (lov biLoipv%(ai MeXitCon, Theodoret. 1, 4, 1 rc6i tifiKOTcHxcoi, &8sX(pä)i xal öfioxpvxan 'AXs^ccvdgaii', Alexanders von Thessa- lonich Atlianas. apol. c. Ar. 66 xvp/wt ScyanriTm vtcöi xal 6iio\l)vx(ot ffvXXBirovgy&L ^A^avaala>L ', der Synode von Konstantinopel Theodoret. 2,28 xvp/coi rtfitcoTarcot iniaxoTiai rfig 'AXe^avSgsiag reaygyioat ; der Synode von Alexandrien Theodoret. 4, 3, 1 [Athana^ius t. 1, 780 läßt die Ueberschrift weg] tot s'bXaßsardTiot, xal (pdav&gio- notuxaii. iVTtxTjr^t Avyovaxai 'laßiavän] des ancyrenischen Klerus von der Partei des Marcellus Epiphan. 72, 11 xoig aCösöiiiaytdxoig xal ccyiaxccxoig imcKOTtoig xoig iv JLonaiaagBCai hntgogia^doiv hn%g xfig sig xbv a(oxf)ga t)(i&v '/»jffoCv Xgiaxbv 6gd'od6^ov nCcxeoig.

zur Geschichte des Athanasius VII 335

Jahre unter Licinius erst wieder sammeln, der arianische Streit wühlte die Kirche immer tiefer auf, es war das Unerhörte ge- schehen daß ein Kaiser, der das seit einem Menschenalter geteilte Reich wieder vereinigt hatte, der im vollen Glanz des Sieges und der Machtfülle strahlte, die eben noch chicanierten, gradezu ver- folgten Bischöfe zu einer Synode einlud, wie sie die Kirche allein nie hätte zusammenbringen können ; einem solchen Ereignis müssen alle mit fieberhafter Spannung entgegengesehen haben, vor allem die Anbänger des alexandrinischen Stuhls, da die einzige Aeußerung Constantins , die bis dahin vorlag , der Brief an Alexander und Arius [Eus. V. Const. 2, 64 ff.], durchaus nicht zu Gunsten jenes ausgefallen war, Unter solchen Umständen ist es schon glaublich daß ein orthodoxer Heißsporn die Gelegenheit wahrnahm und durch eine rasch zusammengerufene Synode ein fait accompli schuf. Man vergesse nicht, wie frei die Ordnungen der Kirche damals noch waren; die Kanones von Nicaea und Antiochien lehren ja jeden der Augen hat zu lesen, wie sich erst in der vom Staat aner- kannten Kirche die festen Regeln der Metropolitanverfassang her- ausgebildet haben. Noch in Basilius Zeiten sind tumultuarisch zu- sammenberufene Synoden durchaus nichts Ungewöhnliches , und vollends vor Nicaea wird rechtlich jeder Bischof, wenn man von den exceptionellen Verhältnissen in Aegypten absieht, zu einer Synode haben einladen können; es kam nur darauf an, ob die övXkeixovQyoC es für nötig und gut hielten zu kommen, und daß die Beschlüsse anderwärts nicht auf Widerstand stießen. Also unglaublich ist von dem was aus dem Synodalschreiben sich über die Einberufung der Synode ergiebt , gar nichts , unglaublich ist höchstens die Sicherheit mit der Hr. Harnack sie für unmöglich erklärt, obgleich über die kirchenrechtlichen Grundlagen der vor- constantinischen Bischofssynoden nichts gearbeitet ist und niemand bis jetzt daran denkt daß das überhaupt ein Problem sein könnte. Endlich pflegt es im Großen und Ganzen doch einer Urkunde zur Empfehlung zu gereichen, wenn sie nicht Trivialitäten enthält, die jeder sich ausdenken kann, sondern Ueberraschungen bringt und Verhältnisse voraussetzt, die unsere historischen Anschauungen corrigieren und lebendiger machen. Wo sollen wir denn hin- kommen, wenn bei jedem neuen Fund der nicht ein wertloser Fetzen ist, gleich der träge Ruf erschallt 'unglaublich, unmöglich !', statt daß man sich daran setzt das Alte und Vorhandene zu revi- dieren, ob da wirklich schon alles so fertig und in Ordnung ist, daß das Neue mit sattem Behagen weggeworfen werden kann. Ob nun jener Eusebius wirklich aus Isauropolis war oder

336 E. Schwartz

nicht, davon hängt für die Echtheit der Urkunde nichts ab. Grewiß ist die Praemisse meiner Vermutung, daß der wirkliche oder, was auch möglich ist, nominelle Führer der antiochenischen Synode auch in Mcaea gewesen sein müsse, zwar wahrscheinlich, aber doch nicht so gewiß, daß sie einen zwingenden Schluß ver stattete. Ich will hier nur betonen, weil Hr. Harnack es verschweigt, daß außer Euseb noch zwei Isaurier in der Namenliste erscheinen, Agapios von Seleukeia [Nie. 177] und Kyrill von Umanada [Nie. 183], ferner daß in der Aufzählung der Provinzen es ausdrücklich heißt [p. 274,1] JLuoo^JLdJLoA) ^öt ^ ^*i»jjl »sjo [= xai iviovg räv iv KamtaSoKiai] , während nur ein kappadokischer Bischof, Eupsychios von Tyana, in der Liste steht. Da liegt die von mir geäußerte Vermutung allerdings nahe, daß Isaurien mit Kappa- dokien zusammengefaßt wird, und Hr. Harnack konnte sich die entrüstete Anmerkung [S. 485^] sparen: aber Isaurien ist in der Liste der Provinzen, aus denen Bischöfe sii der Synode nach Antiocliia gel'mmnen sind, überhaupt nicht genannt!

Ich habe schon darauf hingewiesen daß die antiochenische Synode unter dem Druck der Erwartung steht, was die große, vom Kaiser nach^Ankyra ausgeschriebene Synode bringen würde. Das verrät sich in ihren Beschlüssen. Sie kündigt zwar Theodot, Narciß und Euseb die Gremeinschaft auf und warnt Alexander von Constantinopel davor mit ihnen zu correspondieren , aber sie spricht die Excommunicationsformel nicht aus und gestattet ihnen auf der bevorstehenden Synode Buße zu tun. Es erschien den frommen Vätern doch gefährlich der Entscheidung des Kaisers gar zu entschieden vorzugreifen, der sich so energisch um die Kirche kümmerte ; sie begnügten sich damit die Gegner durch ein Praejudiz zu schädigen, wollten aber keine Uiteile fällen, die definitiv nur durch die kaiserliche Synode ergehen konnten. Daß ein so kostbares Stück lebendiger Greschichte, das die constantinische Zeit drastisch illustriert, nicht von einem Fälscher und nun gar von einem Fälscher des 6. oder 7. Jahrhunderts erfunden sein kann, sollte jedem Historiker sofort einleuchten: Hr. Harnack läßt alle Künste seiner Dialektik spielen um folgenden Unsinn zu beweisen ich bin vorsichtig genug seine eigenen Worte genau herzu- setzen [S. 482]: also steht es so: unser [!] Synodalschreiben will vor- nicaenisch sein, enthält aber durch die Erwähnung der bekannten Synode von Ancyra als noch zukünftig einen ganz groben historiscJien Verstoß; denn hiernach müßte unser Schreiben vor da^ Jahr 315 fallen, in welchem doch von Arianismus noch keine Rede war. Zu- nächst wird decretiert daß eine Synode die noch nicht abgeJmlten

zur Geschichte des Athanasius VII 337

istj nicht die ^große und heilige' genannt tverden kann. Warum denn nicht? Wenn der Kaiser eine Synode von Bischöfen beruft, so ist ihre Rechtsgrundlage gegeben; das ist ein kirchenrechtlicher Satz den die Politik Constantins schon im Occident aufgestellt und nachher auch im Orient durchgeführt hat und der bis tief ins Mittelalter hinein seine Gültigkeit behielt. Existiert eine Synode aber rechtlich von dem Zeitpunkt an, in dem sie der Kaiser berufen hat, so steht nichts im Wege ihr die Devotions- praedicate zu gewähren; ja es ist sogar höchst unwahrscheinlich daß die Bischöfe in Antiochien, denen alles daran liegen mußte den Kaiser auf ihre Seite zu bringen, so schlechte Politiker ge- wesen sind, daß sie der vom Kaiser geladenen Synode, einem, wie ich nicht unterlasse zu betonen, im Orient noch nicht dagewesenen Novum, die gewöhnlichen Ergebenheitsfloskeln versagten. Nach Hrn. Harnack ist es ferner unwahrscheinlich daß 'die große und heilige Synode von Ancyra' eine andere sein soll als die durch ihre Kanones allgemein bekannte. Also, wird weiter geschlossen, kann das Synodalschreiben nur diese meinen; weil es aber zugleich von der Synode von Ankyra so redet, als wenn sie erst bevorstände, begeht es einen groben historischen Verstoß ; also ist es gefälscht. Erst wird willkürlich etwas supponiert, das nur in einer Fälschung vorkommen kann, und dann die Fälschung gefolgert; jeder der den Text verstehen und nicht von vornherein verdammen will, wird umgekehrt schließen daß mit der großen und heiligen Synode von Ankyra eben nicht die durch ihre Kanones allgemein helmnnte ge- meint ist, um so weniger als diese ausschließlich durch das Corpus canonum bekannt ist und in allen Texten dieses Corpus aus- drücklich angegeben wird daß die Kanones von Ankyra vor den nicaenischen erlassen sind ^). Hr. Harnack behauptet selbst daß

1) Griechisch [Pitra iur. eccl. mon. 1,441]: Kavovsg t&v iv 'Ayavqai avvsX- ^ovtcov ^ccuccQLcov ■nccrsQOüv, oi'tivsg TtQoysvsatSQOL ^isv slolv x&v iv NfnaiccL ehte- Q'ivtGiv y.ccvovcov, dsvtSQSvovOL ds dtcc rrjv tfjg oCyioviisvinfig gvvoSov avd'svtiav. Syrisch [nach der ältesten Hs., die die im Jahr 501 angefertigte Uebersetzung bietet] : oy>>cy)JL); ^jJ yY>.y6 )jqic ^o^ . j^^Vjo ^yonv \joso jVoailr^; ^oiopoGo;

. ).n.t'^; Prisca [Turner 2, 1, 19] isti canones priores quidem sunt Nicaenis cano- mbus expositis: sed tarnen Nicaeni primo scripti sunt propter auctoritatem sanctae et magnae synodi quae facta est in Nicaea. Isidorische Version [Turner a. a. 0. 48] isti quidem canones seu regulae priores sunt Nicaenis: sed ideo Nicaeni canones priores scripti sunt propter auctoritatem magni et sancti concilii apud Nicaeam hahiti. Dionysius Exiguus I [Turner a. a. 0. 49] : canones Anquirani priores quidem sunt Nicaenis: sed ideo Nicaeni praelati sunt propter auctoritatem ipsius uenerandi concilii. Dionysius IT: istae regulae priores quidem sunt Nicaenis:

Kgl. ües. ä Wiss. Kachrichten. Philolog.-hist. Klasse. 1908. Heft 3. 24

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der Fälscher eine Kanonessammlung 'besessen' hat [S. 488]: nnn gut, dann wußte er daß diese Synode vornicaenisch war und konnte nicht auf die horrende Dummheit verfallen sie in seiner Fälschung als zukünftig zu behandeln und sich zugleich, wie Hr. Harnack meint [S. 483], auf das Nicaenum zu beziehen.

Doch das sind alles nur dialektische Quälereien, mit denen Hr. Harnack dem unschuldigen Text blödsinnige Aussagen abpreßt: sowie man sich klar macht daß die kanonische Synode von Ankyra nur durch das Corpus canonum, also nicht allgemein kein Kirchenhistoriker erwähnt sie bekannt ist und von einer Ur- kunde nicht verlangt daß sie nur Dinge berührt, die uns durch die Zufälligkeiten der Überlieferung nahe liegen, ist alles plan und in Ordnung: nach dem Synodalschreiben steht eine große Synode in Ankyra bevor, der die Bischöfe eine besondere Autorität beimessen. Nun habe ich ein zweimal publiciertes , aber gänzlich vergessenes Schreiben Constantins hervorgezogen [Nachr. 1904, 348. 1905, 289], in dem eine Synode die nach Ancyra berufen ist, nach Nicaea verlegt wird; da der Kaiser in Aussicht stellt der Synode persönlich beizuwohnen, kann nur das große nicaenische Concil gemeint sein. Die antiochenische Synode muß andererseits aus den schon entwickelten Gründen kurz vor dem nicaenischen Concil zusammengetreten sein. Ich half mir also nicht mit der Annahme, wie Hr. Harnack sich auszudrücken beliebt [S. 482], sondern schloß, was jeder andere auch getan haben würde xmd tun muß, daß die in dem Synodalschreiben erwähnte Synode von Ancyra mit dem ursprünglich nach Ancyra berufenen Concil, das später in Nicaea zusammentrat , identifiziert werden mu£. Hr. Harnack nennt diesen Schluß ein wahres Nest von Umvahr schein- lichkeiten und Gewaltsamkeiten, hält es aber doch für geraten das Fundament des Schlusses zu beseitigen und erklärt auch jenen Brief Constantins für gefälscht. Wann diese zweite Fälschung entstanden sein, ob der Fälscher des Synodal Schreibens auch für sie verantwortlich gemacht werden oder auf sie hereingefallen sein soll, das sind Fragen über die sich den Kopf zu zerbrechen Hr. Harnack seinen Lesern überläßt. In Wahrheit kann von Fälschung hier ebenso wenig die Rede sein wie bei dem Synodal- schreiben: der Brief Constantins ist durch das Corpus canonum felsenfest bezeugt. Die jüngere griechische ßecension und die

sed ideo Nicaenae prius scriptae sunt propter audoritatem eiusdem magni sanctique concilii congregati apud Niceam. Die Vorbemerkung hat offenbar in keinem Exemplar des griechischen Corpus canonum gefehlt.

zur Geschichte des Athanasius VII 339

lateinischen Uebersetznngen lassen ihn weg: aber sämtliche drei Recensionen des syrischen Textes enthalten ihn, und die kleinen stilistischen Varianten welche die jüngste und bis jetzt allein ge- druckte, die des Cod. Paris. 62, eingetragen hat um sich genauer an den griechischen Text anzuschließen, beweisen daß auch diesem Uebersetzer der griechische Text noch vorgelegen hat. Die älteste Hs., der Cod. Brit. Mus. add. 14528, enthält nach der Subscription ^) eine Übersetzung des Corpus canonum, die in Hierapolis im Jahre 812 sei. = 500/1 angefertigt ist; Wright vermutet daß auch die Hs. im selben Jahr geschrieben ist. Sie geht also auf einen griechischen Text zurück, der zwischen 451, dem Jahr der Synode von Chalkedon, und 501 zusammengestellt ist. Ich setze aus der Schultheßschen Ausgabe [p. 1] die Fassung dieser Hs. her:

)J^>^1 ^^ ^^oi JL3onnh*o>i^^>^>aoo .axsU jLjoJ^^^9 {J^t^ Jl.«.o.Ai:a^ JLjLu Jjjj ''^u^o jUj J^aäjl JL^^ja» ^^u^o . ^U JL3o)o(? lloHlj JLo;jto JLüi ^o^S )jL^9Q.^ l}Oi ^^».^^^ : ioot{ K*jL^x^VA t!®^? ^^^! jLdlajto

IbLa^t {9Ka^9 wo^a JLa^i^^^o t-o ^^^»^o) ^ 'iiv» ^ "^olo . ^o 1 alt

^OOt^ ^^(! J^J^? {^l^ i^jyU^^ J^r^} JLotol |iJ99 y.^^J^h<J tV^( ^^t^^

Griechisch ^) : Tb ^ridsv s^s bislv 0 av ti(iL6tsQov ^i ilol ^) tfi($ d-soösßsCag, Ttavxl dfj^ov elvai vo^i^cj. STtsl dh tijv r&v eitiöKoitcov

1) Wright, Catalogue p. 1032: :|Kilo <^>jlIo J)» ^jqäd M j^^:^^ QxJb.ÄJLJ

■ffioi. tcr>?NS? j'tOQ^lUo JIÄ120JL Mji^ :JM-.j20 yvO^vi^

2) Hr. Harnack giebt den Text nur in meiner griechischen Uebersetzung, die er [S. 489] Betroversion nennt. Das soll und kann sie nicht sein; denn aus einer ärmeren Sprache läßt sich das in einer reicheren verfaßte Original nicht reconstruieren. Dagegen ist die Uebersetzung ins Griechische das einzige Mittel einem des Syrischen Unkundigen syrische Texte zugänglich zu machen, vor allem wenn sie aus dem Griechischen übertragen sind. Man scheute sich doch früher nicht, in solchen Fällen das Latein zu nehmen, und wie viel leichter zu hand- haben und im Ausdruck präciser ist das Griechische! Lagarde hat den richtigen Grundsatz scharf formuliert [ßeliq. iur. eccles. LV]: omnino non id egi ut eam

24*

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övvodov iv ^AyKVQai T-^g FaAaTtag ysveöd-at tcqötsqov 0we(p(X)vi]d-rj [oder ix{^rj(pC6d^rj oder dietcix^rij das lateinische constitutum est liegt zu Grmnde], vvr tcoIX&v avsxa xaXbv elvav söo^sv Xva iv NixaCai rijt r^g Bid-vvcag 7c6Xsl evvaxd^rji, ölötl ts inCßyiOTtoi ot ix xrjs ^IzaUaq xal XGiv XoLTtGiv rfig EvQcoJtrjg fiSQcbv sg^ovraL, xal dtä rriv xulrjv tov asgog XQKöLV, hl de xal iv iyco syyvdsv ^saxiig a xal xoivovbg zcbv yerTj- öoyiivtov. diä rovro yvogC^ca v^tv, ädsXcpol äyaitriroC^ Ttdvtag v^&g eig ti^v sigri^ivriv noliv, Tovtiöri 6' slg Nixaiav, dcä öTtovdfig id^BXsLv s^E 6vva%xtrivaL. sxaötog ovv v^cbv xo 6v^g)8Q0v dscjQ&v, mg tcqo- sCgrixa, öJCSvShm ccvsv xcvbg ^sXXy^öecog xa^ioag ild-atv, Xva %'saxrig xav y6vrj6oiisv(OV avxbg iyyvd'sv ysvrixai. 6 Q'sbg vfiäg dLa(pvXd^SL, dd6X(pol dyanrjxoL.

Auf das Schreiben folgt das Edict Constantins gegen Arius, an dessen Echtlieit kein Zweifel möglich ist, da Kaiser Theo- dosius II es citiert [vgl. Nachr. 1904, 388 nr. 25] ; beide Urkunden stehen an der Spitze des Corpus canonum und unmittelbar vor dem nicaenischen Symbol. Die jüngere Recension des Cod. Paris. 62 läßt das zweite Document weg, stellt aber das erste ebenfalls vor das Symbol, es durch einen knappen Text mit dem Datum verbindend. Das ist freilich secundär, wie auch die Ueber- schrift des Kaiserbriefes dort secundär ist, aber zugleich lehrt die Ueberlieferungsgeschichte in diesem Falle deutlich, daß eine Ur- kunde darum noch lange nicht gefälscht ist, wenn sie eine jüngere Ueberschrift trägt. Denn daß ein griechischer Kanonist, der bald nach dem chalkedonischen Concil ein Corpus canonum neu zusammen- ordnete, an die Spitze keinen gefälschten Brief Constantins gestellt haben kann, versteht sich von selbst, ganz abgesehen davon daß Fälschungen auf den Namen Constantins , die älter als 500 sind, meines Wissens überhaupt nicht existieren. Einen Zweck der Fälschung weiß Hr. Harnack nicht anzugeben. Was er darüber vorbringt [S. 490] : dagegen lag es in späterer Zeit [wann ?] nahe, solche Begehungen (zwischen den Synoden von Ancyra und Nicaea) ^u konstruieren, weil in den Kanonessammlungen die Kanones von

orationis formam indagarem quae posset ex auctorum calamis exiisse, sed ut aliis uiam commodiorem redderem qua ad natiuam horum Hbrorum integritatem cognos- cendam possent peruenire.

3) Wörtlich iv totg ötpQ^uXiiotg (tov. Aber es ist mir fraglich ob die con- stantinische Kanzlei sich eines solchen Semitismus schuldig gemacht haben würde ; er kann der ältesten, das semitische Idiom leidlich bewahrenden Uebersetzung angehören und in den späteren stehen geblieben sein; ich erinnere mich bei der Leetüre der Correcturbogen von Schultheß' Ausgabe öfter auf solche Fälle gestoßen zu sein.

zur Geschichte des Athanasius VII 341

Ancyra und Nicaea zusammenstanden, ist schwer zn verstehen. Was heißt 'Beziehungen 'konstruieren'' und wie soll mit einem so vieldeutigen, nichts besagenden Ausdruck eine Fälschung bewiesen werden? Ein Corpus Canonum, das Fundament des Kirchenrechts, wird doch nicht von jedem hergelaufenen Tagedieb zusammen- gestellt, sondern von Leuten die von der Sache etwas verstehn; seit dem 4. Jahrh., längst ehe das große Corpus Canonum existierte, waren in der östlichen Reichshälfte die Kanones von Ancyra, Neocaesarea und Gangra mit den nicaenischen vereinigt ^) , durch kurze Vorbemerkungen war jeder Leser der Kanones über das chronologische Verhältnis dieser Synoden zu der nicaenischen unterrichtet : wie soll da ein Kanonist auf den albernen Gedanken kommen, einen von jeder dogmatischen oder geschichtlichen Ten- denz freien Brief Constantins zu fälschen, nur um unfaßbare und undefinierbare Beziehungen zwischen den Synoden von Ancyra und Nicaea zu konstruieren? Daß der Kanonist der den Kaiser- brief in das Corpus aufnahm, die Adresse wegließ, ist nur natür- lich. Selbstverständlich hatte jedes Exemplar das in der Kanzlei ausgefertigt wurde, eine besondere Adresse je nach der Provinz in die es geschickt wurde. Nun kommt es wohl vor daß ein Publicist der zu polemischen Zwecken kaiserliche Schreiben und Edicte veröffentlicht, die Spezialadresse des von ihm benutzten Exemplar es gewissermaßen zur Beglaubigung hinzufügt , wie z. B. Athanasius über das constantinische Edict gegen Arius, das er der Schrift de decretis Nicaenae synodi beilegte, den Vermerk setzte avtcyQacpov g)v exo^Löav Uv/xlT^nog xal FavöevtLog iiayiöXQLavoC [Nachr. 1904, 393], um zu beweisen daß ein offizielles Exemplar des Edicts im alexandrinischen Patriarchat lag. Aber für den Compilator des Corpus canonum fielen solche Erwägungen weg; er hätte die allgemeine Geltung des Kaiserbriefes nur verdunkelt, wenn er die spezielle Adresse eines einzelnen Exemplares hinzu- gefügt hätte. Es ist ferner naiv zu verlangen [S. 490] daß Constantin die sachlichen Gründe für den Zusammentritt des Concils in der Ein- ladung hätte angeben müssen. Das konnte erstens schon in der Einladung nach Ancyra geschehen sein, die in dem Brief der das Concil nach Nicaea verlegt, vorausgesetzt wird, und zweitens ist es durchaus fraglich ob Constantin, der ein Meister in der Politik des Versteckens, Spannens und Ueberraschens war, sich dazu her- beigelassen hat über die Gründe weßhalb er die Synode berief,

1) Schon die Ballerini wußten das, und Maaßen hat es denn in glänzender \yeise bewiesen, Gesch. d. Quellen d. canon. Rechtes 78 ff.

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vorher etwas zu veröffentliclieii : die Bischöfe kamen auch ohne das, wenn er sie rief. Was Hr. Hamack mit der Behauptung beweisen will, daß wenn das Concil wirklich nach Ancyra ausge- schrieben wäre, wir es ivissen müßten [S. 482] , bekenne ich nicht zu sehen : wag wissen wir denn über diese Zeit, es sei denn durch Urkunden ? Soll das Geklätsche Rufins , den die Grriechen nur zu sehr benutzen, an deren Stelle treten? Euseb schreibt keine Greschichte sondern einen Panegyricus, in dem er weglassen konnte was ihm beliebte; Athanasius hat nur polemische, nie historische Zwecke verfolgt, und wenn Sokrates, Sozomenos, Theodoret es für überflüssig hielten anzumerken daß das nicaenische Concil zuerst nach Ancyra berufen war, soll das ein Grund sein eine Urkunde aus der wirs lernen, für gefälscht zu erklären? Das wäre eine Methode das geschichtliche Material zu verringern, die das histo- rische Studium außerordentlich vereinfacht: es würde freilich auch nichts mehr dabei herauskommen.

Hr. Hamack läßt mich hart an [S. 489] daiß ich aus den Worten des Briefes bestimmt geschlossen habe, das nicaenische Concil sei von Konstantin zuerst nach Ancyra berufen worden. Diese Aus- legung, behauptet er, ist nur eine der beiden Möglichheiten. Die Worte bedeuten viel wahrscheinlicher [!] , daß , nachdem schon früher in Ancyra eine Synode gehalten ivorden sei, nunmehr eine solche in Nicaea stattfinden solle. Wenn ich Texte interpretiere, so bemühe ich mich nach den Gresetzen der Logik und der Sprache heraus- zubekommen, was sie heißen müssen, nicht was sie viel ivahrscliein- licher heißen können. Im vorliegenden Falle ist jede andere Aus- legung als die meine unmöglich. Im Original heißt es . . K^aCvjt (ootlj: das syrische Imperfect im abhängigen Satz bedeutet stets die relative Zukunft und kann niemals etwas schon Greschehenes bezeichnen. Das genügt um Hr. Hamacks viel wahrscheinlichere Möglichkeit ein für alle Mal zu eliminieren. Außerdem, was sollen denn alle die Motive die nachher in dem Briefe für Nicaea an- geführt werden, anders als begründen daß das Concil besser in Nicaea als in Ancyra stattfinden werde? Wenn der Brief von einem Concil reden soll , das schon längst in Ancyra abgehalten ist, so wird er zum Geschwätz nicht eines Fälschers, sondern eines Irrsinnigen.

Der Cr rund um dessentwillen der Kaiserbrief in das Corpus canonum aufgenommen ist, läßt sich mit Händen greifen: in ihm wird das angekündigt was nach Ausweis seines Wortlauts in der früheren Berufung des Concils nach Ancyra gefehlt haben muß, daß der Kaiser dem Concil persönlich beiwohnen und an ihm teil-

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nehmen werde. Das hatte rechtliche Bedeutung; aus dem Brief ging authentisch hervor daß über der oekumenischen Synode die kaiserliche Autorität stand, so gut wie das Edict Constantins -gegen Arius die theoretisch gefaßten Anathematismen der Synode zu einem gegen eine bestimmte Person gerichteten Staatsgesetz macht. Zugleich beweist der Brief, daß der Kaiser die Synode zu einer oekumenischen stempelte; denn er kündigt das Erscheinen der Bischöfe aus Italien und den anderen Ländern Europas an; thatsächlich kamen ja auch die Abgesandten des römischen Pabstes und Bischöfe 'aus den anderen Ländern Europas' ^) nach Nicaea. Es ist also vollständig motiviert, daß grade dieser Kaiserbrief durch das Corpus canonum erhalten ist, und der Kanonist der ihn darin aufnahm, war alles andere als ein Ignorant; er wußte sehr genau was er tat.

In Wahrheit steht die Sache also so, daß das Synodalschreiben von Antiochien eine große Synode in Ancyra ankündigt, die nach urkundlichem Zeugnis niemals stattgefunden hat, sondern nach Nicaea verlegt wurde. Es ist absolut undenkbar daß ein Fälscher eine so actuelle Beziehung ersonnen hat; er müßte ein wahres Wunder von historischer Gelehrsamkeit gewesen sein und damit eine Eigenschaft besessen haben, die Hr. Harnack ihm, dem Ge- schöpf seiner eigenen Phantasie, am allerwenigsten hat mitgeben wollen.

Die auf der antiochenischen Synode versammelten Bischöfe kannten die Encyclika, in der Alexander von Alexandrien die Excommunication des Arius und seiner Presbyter angezeigt, und den Tomos ^) den er überall hin verschickt hatte und aus dem einiges in einer syrischen Sammelhandschrift erhalten ist [vgl. Nachr. 1905, 266 ff.]. Wie dessen Bruchstücke lehren, hat Alex- ander in dem Brief an seinen Namensvetter in Byzanz sein früheres

1) Sie stehen in der nicaenischen Liste am Schluß [Nr. 204 220] unter den Kubriken Evgmnri dav,ia Kalaßgca MvoCa [== Moesien] ^AcpQi%'^ [politisch giebt es den Continent Africa nicht] MwnEdov^cc Jccgdavia 'A%aia SsGöaXicc TLawovCa FaXXCat Fox^-Ca BoönoQog. Die Teilung des Reichs unter die Söhne Constantins darf nicht in die frühere Zeit projiciert werden; es muß ferner immer wieder eingeschärft werden daß Makedonien Thessalien und Achaia im vierten Jahrh. zum Occident gehören: auch Sardica lag, als das Concil dort stattfand, im Gebiet des Constans, nicht des Constantins, was nicht zu übersehen ist.

2) Die beiden Schriftstücke scheinen auf der Synode verlesen zu sein [p. 275,6] )cixj >^ö^ ^^ p; im-^W? |o>oocY>«g>j ffionjcTn-^W ^ ^j ^p.J^QDJj ^o^ ^)o jfio.,»^ .^jj : ^DQ-ij £Tt de Y,al xa vnb 'AXs^dvÖQOV xov 'AXs^ccvSQSLas ikia-ao- itov v,axcc xcbv ^bx' 'Aqslov Ttgax^Bvxa etg xb fieoov rjvtyyf.ccfisv.

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Elaborat stark benutzt, und so dürften aucli die Uebereinstimmungen welche die exd-söig TtCötscjg des Synodalscbreibens mit diesem Brief aufweist, auf den Tomos zurücklaufen. Am Anfang des Schreibens citiert der Verfasser die ersten Worte der Encyclika; das ist eine im Altertum ganz gewöhnliche Form des Compliments, über die Hr. Harnack sich nicht zu erstaunen brauchte [S. 479]; für das Höflichkeitscitat ist es bezeichnend, daß die Uebereinstimmung sich nur auf wenige Worte beschränkt '). Um die sxd^eöLg TtCötscag aufzusetzen, bedurften die Bischöfe, deren größter Teil von den pseudophilosophischen Finessen der Praeexistenzlehre sicherlich nichts verstand, 'gebildeter' Männer, umsomehr als die Intelligenz es war, die aus wohlerwogenen Grründen den Kampf gegen die hierarchische Machtpolitik des alexandrinischen Patriarchats auf- genommen hatte ^). Wie einst der dialektisch und theologisch

1) Die Encyclika beginnt svbg Gmfiarog övtog vflg Kccd-olviifig i-K-ulriaiag ivToXijg ts o^CTig iv Tcetg %'siaig ygacpaig [Ephes. 4, 3 ; daher stammt auch ?v G&iia] xtiqblv zhv avvdsGiiov ri)g ofiovo^ccg xat slQ'^vrig, ScnoXovd'ov icTV ygcicpsiv rj^iäg 'Kai arificcLvsiv äXXriXoLg xa nuQ ittdatOLg yiyvoiisva, tva e'Cxs nd6%Ei eIxe %aCQEi sv {isXog, i) üvii7tdaxo}(iEv ?) avyxccLQcafiEv dXXi]Xoig. Dagegen das Synodalschreiben (ungefähr, der Wortlaut im Einzelnen kann nicht verbürgt werden): Evbg ümiiaxog övxog ti]g Ticid'oXL'iifjg yiaxcc ndvxa xonov i-n-uXriötag , xäv iv diatpogoig xonoig möiv at x&v Gvvayay&v ß^rivccl [Anspielung auf die g%t\v7] xov ficcQxvgiov des A. T.] yiccd-ci- TtEQ (ieXti xov oXov Gm^uxog ^ SotoXov&ov egxiv xal xfji GfjL dyccnrii yvaiG%'f)vai xa vn ifiov XE v.a.1 x&v EvXaßEGxccxav &dEXcpä>v rjfimv x&v öfioipvxcov v.al gvXXeixovq- y&v yiEY.LV7iiiiva xe yial nEngayfiiva, tva kccI gv mg uv Ttagoav iv nvEvfiaxi yiOLvfji GvXXaX'^Griig ri^tv xal xotr^t ÖLCcxa^riLg nsgl vcp TjfL&v vyi&g xe xal naxä xhv i'A'AXriGiuGxiv.ov v6(iov oQicd-Evxa XE -Kul TtQax^Evxa. Nach dem Citat biegt der Verfasser sofort in die spezielle Situation ein und sein devoter Ton sticht merklich von der selbstbewußten Kürze des alexandrinischen Patriarchen ab; ein Fälscher bringt so feine Nuancen nicht heraus. Übrigens ist der einleitende Gedanke Gemeingut; elegant, wie immer, wird er von Basilius in dem Brief [161] formuliert, in dem er dem zum Bischof von Ikonium ordinierten Amphilochius Glück wünscht : inEidr} 8e Etg Xabg nävxsg ot slg Xqigxov rjXni'KOXEg -Kai (iia iv,-)iXr\GCa vvv of Xqigxov, xav iy, diacpogtov xoncav nQOGayoQEvr\xcci^ x^^9^^ "^^^ V ^ccxglg xai EiicpQuC- vExai xatg xov nvgiov oUovoiiiaig xal oix i\yELxai evu ävdga i^rifti&Gd-ai, ScXXcc 9C ivbg i%iiXriGCag oXag nQOGELXr\(pEvai.

2) Daher der Wutausbruch des Patriarchen in dem Brief an Alexander von Byzanz [Theodoret 1,4,41]: ot yuQ xara x%g &E6xrixog xov vtov xov &-eov naga- xa^diiEvoL ovSe xccg xccd"' ijii&v &xciQCGxovg nagoiviag nagaixovvxai XiyEiv ot ys O'bÖE x&v &Qxci^(ov xiväg Gvy^qCvEiv tavrotg &^lovglv oiSh olg rjfJLEig i-K naiSav d}(iiX'qGa(isv SiSaGHaXotg i^iGovcd^ai ävExovxai, &XX* oidl x&v vvv navxaxov gvXXei- xovgy&v xiva Etg (i&xqov aocptag [wohl verdorben] rjyovvxai, (lovoi Goq>ol xal <ix- xi^fiovEq xal doyfidxmv evqexuI XiyovxEg eIvul xal avxorg dnoyiEyiaXvcpd'ai fiövoig antQ oi)dBvl x&v hnb xbv ijXiov irtgoai itstpvuEv iXd'ELv slg ivvoiav.

zur Geschichte des Athanasius VII 345

geschulte Presbyter Malchion den Bischöfen die den Thronoi von Alexandrien und Eom Trabantendienste leisteten, die dogmatischen Waffen hatte liefern müssen um den Bischof von Antiochien zu stürzen ^) , so waren es wieder XoyioL avögeg die den Synodalen in Antiochien das Vertrauensvotum zimmerten, das den Sieg des alexandrinischen Patriareben auf der bevorstehenden Synode ver- bürgen sollte. Es waren wahrscheinlich Presbyter, wie jener Malchion, jedenfalls keine Bischöfe; in dem Falle wäre ihre An- wesenheit nicht besonders hervorgehoben ^), und xivlg äöskfpol loyioL ist keine Bezeichnung für Bischöfe die selbständig ein Glaubens- bekenntniß aufsetzen können. Das Synodalschreiben betont aus- drücklich daß es geistliche, theologisch durchaus zuverlässige Männer gewesen sein, die das Credo vorgelegt haben [p. 275, 10]:

i|ot ooot ^..^ot)^ ^)(JLaajo9) ^ <».**><=^i JL^tJd^ ji^ju^'t-o {i^OL:»']^ jLuo;^; das ist etwa: £6xlv ovv tj TCiöttg rj itQotsd^stöa olov^) vji^ avÖQcav 7tvsviiarixS)v xal ovg ccvd-ig ov dCxatov vo^C^siv Kaxä öccgxa t^riv i) voetv, aAA' iv nvsviiari talg rCbv d'SOTCvsvörcov ßtßkicov kyiaig yQa(patg övvrjöKrjöd^aL, 7]ds xrX. Es ist evident daß mit diesen Prae- dicaten eben jene Xoyioi ävögeg beehrt werden, deren Anwesenheit bei der theologischen Disputation wenige Zeilen vorher als etwas besonders Wichtiges hervorgehoben ist; eine Synode und nun gar die berühmteste von allen, die oekumBnische Synode von Nicaea,

1) Eus. KG 7, 29, 2 fiaXiGra 8'avtov [Paul von Samosata] svQ"vvccg iTti- ■KQVTtto^svov ÖLt^ksy^sv MaX^LüDV, ccvr}Q rd ts äXXa Xoy log xat aocpLOtov tä>v in *AvtLO%BLaq 'EXXrivL'u&v naiSEvxriQtcov diatQißfjg ngosarmg [d. h. er vertrat als Schulleiter einen von der Stadt Antiochien angestellten Redelehrer], ov (ir]v äXXcc "Kai di* vnsQßdXXovaav r-^g stg Xqiötbv TCiatscog yvriGLOxrixa TtgsaßvrsQi'ov xfig avxod'i naqoiY.Cag rj^Lcofievog' ovxog ys xoi i7tLGriiiSL0V(iEV(ov xaxvyQcccpoiv f^'^xriGLV ngog ccvxbv ivoxriGdusvog^ t^v kul stg dsvgo (psgofiEvriv i'a^sv, ^ovog l'öxvaev x&v dXXtov yiQvip£vovv bvxa xal dnaxr\Xbv cpcoQ&Gca xbv dv&Qconov. Als Euseb diese Stelle schrieb, ahnte er nicht, daß er sich einmal selbst von solchen Xoyioi ävdgsg würde examinieren lassen müssen, und nach dem Synodalschreiben [p, 277, 16flf.] hats er ihnen auch sauer genug gemacht.

2) P. 275,3 ^) UxA» ^)j ^) JIo^.vo-> -Jj-M^J ^JLÖIj p is^ ^j = kccI Si] stg fv avvccx^svxsg, nagovxav x«l [durch den syrischen Text sicher bezeugt] xiv&v ccdsXq)cav Xoyitov [auch dieser Ausdruck ist sicher].

3) Von zweiter Hd. übergeschrieben; richtiger wird )o^ ergänzt.

4) j ^) steht im Syrischen da : ich hätte es in meiner früheren Uebersetzung nicht unterdrücken sollen, da dadurch das Folgende den Sinn eines Praedicats zu einem bekannten, w^eil schon erwähnten Subject erhält. Es ist ein neuer Beweis dafür daß die Zahl wm^aJl interpoliert ist.

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kann so nicht geschildert sein und wird es nie. Aus dem bei- gegebenen Fascimile der Hs. kann sich jeder überzeugen daß die Zahl .juaü. am Ende der Zeile hinter JLijuo'j nachgetragen ist; sie paßt nicht zn j y^l [= olov, cjg av] und würde das syrische Aequi- valent des griechischen Artikels verlangen, das in der sehr wörtlich übertragenden pariser Hs. nicht weggelassen zu werden pflegt und in diesem Fall ohne grobe Schädigung des Sinnes nicht wegge- lassen werden kann. Die Zahl ist ein recht unüberlegter Zusatz des Schreibers der Hs., der daraus daß das Synodalschreiben zu der kanonischen Synode von Antiochien gestellt ist und gegen die Arianer polemisiert, verkehrter Weise schloß daß die STcdsöLg niörscog die für die xcct^ f'lo^i^i/ antiarianische gilt, nämlich das Nicaenum, gemeint sei. Der Verfasser der Schlußnotiz, der sich drüber wundert daß in dem Credo das öjMoovetog fehlt, hatte sehr viel mehr Urteil als dieser von einem Augenblickseinfall irrege- leitete Schreiber, der immerhin noch so gut gezogen war, daß er seine Interpolation nicht direct in den Text zu setzen wagte.

Ich hatte den äußeren Thatbestand und den inneren Zusammen- hang für so klar und evident gehalten, daß ich ohne meine Leser mit langem kritischen Grerede aufzuhalten, die Zahl als interpoliert wegließ. Hr. Harnack dagegen hoift hier ein Indicium der Fälschung aufstöbern zu können, läßt den ganzen Zusammenhang der Stelle, der interessant genug ist, unerörtert und behauptet [S. 482], das Synodalschreiben berufe sich Hipp und Mar auf das Glaubenssymbol der 318 Bischöfe , d. h. der Väter von Nicaea. Die Emphase mit der diese Erkenntnis vorgetragen wird, ist unange- bracht: weder von Bischöfen noch von Vätern steht etwas da. Es ist Hrn. Harnack auch nicht ganz geheuer bei der Stelle, und er trägt in einer Anmerkung [S. 483^] nach : wenn daher [!] die Zahl interpoliert sein sollte, so ist sie eine sachlich richtige Inter- ptolation. Mit solchen dialektischen Zwickmühlen, die den Gegner unter allen Umständen ins Unrecht setzen sollen, ist in der wissen- schaftlichen Textkritik nichts anzufangen: ein und dasselbe Wort kann nicht einmal eine richtige Lesart vorstellen, die sachlichen Unsinn ergiebt, und ein andermal für eine Interpolation gelten, die sachlich richtig sein soll, sondern ist entweder echt oder falsch. Ist, wie ich nachgewiesen habe, das Synodalschreiben echt, dann ist kein Wort mehr darüber zu verlieren, daß die Zahl 318 eine törichte Randbemerkung ist. Ist es unecht, so steht so viel fest daß es vornicaenisch sein will; Hr. Harnack giebt das selbst zu [S. 482]. Dann müßte der Fälscher sein ganzes Kunststück dadurch zu nichte gemacht haben, daß er die Zahl 318, an der auch der

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dümmste Mönch das Nicaenum erkannte, so plump und ungeschickt wie nur möglicli in den Text zwängte. Wie Hr. Harnack das glaubhaft machen will, ist mir dunkel. Er construiert ja freilich einen späten Fälscher der in dogmaticis nicht ganz ungebildet ist [S. 488 'J, V071 Chronologie keine Ahnung hat [S. 488] und, seihst ge- schichtlich ganz unwissend^ seinen Lesern alles bieten zu dürfen glaubt [S. 483], ich will auch nicht bestreiten daß ein derartiger Homun- culus eines gewissen Interesses nicht entbehrt; daß es aber einen Fälschungsbeweis nicht empfiehlt, wenn ein solches Grebilde pro- duciert werden muß um ihn aufbauen zu können, dürfte nicht zu viel gesagt sein.

Da die interpolierte Zahl 318 nur ein mangelhaftes Indicium für die Anklage ist, die Hr. Harnack gegen die Urkunde richtet, wirft er ihr außerdem vor [S.483] daß sie den polemischen Schluß des Nicaemims vortrage ^ also das Nicaenum voraussetze. Es wird gut sein die Stellen selbst zu confrontieren. Die berühmten Anathema- tismen des Nicaenums lauten: xovg ds Xeyovtag ort ijv Ttots ots OVK rjv, xal tcqiv yevvrid^rlvav ovk r]Vj Tcal ort eh, ovx övxov sysvsro, i) £| stSQag vTtoöTciöscog t) ovöCag q)döxovtag slvcci, -J) tqstctov tJ ocXXoLCJtbv xov vlbv tov dsov, xovtovg ccvad'S^ati^eL rj ayia xad-oXiTir) nal äitoßtoXiKYi ixKXriöia ^). Dagegen giebt das antiochenische Synodal- schreiben die Anathematismen nicht geschlossen, sondern unter- bricht sie durch ein Raisonnement : scheidet man dies aus, so bleibt übrig [277, 3] i;^S. ^/v^i^o ^i^.>opoo ^V^öt^ ^qjö^ ^^^^V^ul^ t-^

)J wOto)^( \kj.^^ JL^t ^(9 Q^o :{lo^:^w» oNna. wOtoK.»( )iy wot (jua^uui^jLM das ist etwa: ävad'siiatit.ovxag ezsivovg ot Xsyovöiv r) vo^it,ov(jtv r\ KYiQvttovöiv xov vihv xov ^Bov xxiöxbv rj yevrixov tJ jtOLT/xbv xal OVK äXri^Cbg yavvrixbv dvai rJ ort i]v oxs ovx ijv . . . . jtQoöexi de xäxeCvovg ot xrii avxe^ovöiCQL [sichere Uebersetzung] %'bXyi^sl avxov axQsnxov sivai avxbv rjyovvxccL aöTtSQ xal ot Ttagd- yovöiv ix xov u?) ovxog xrjv yivviipiv^ xal ^i] cpvösi axgsTtxov xaxä xbv TtaxEQa. Die Passus sind sich ähnlich, was nicht wunderbar ist, aber mit nichten identisch, und nichts hindert in den antioche-

1) Die üeb erlief erung im Einzelnen schwankt, die wichtigste Variante ist der Einschub von ?) v,Ti6t6v vor ?) xQBntov. Es ist nicht nötig die Frage hier im Einzelnen zu discutieren; sie läßt sich auch ohne neues handschriftliches Material nicht entscheiden.

348 E. Schwartz

nischen Anathematismen eine Vorstufe der nicaenisclien zu sehen; der Umstand daß in jenen ovöCa und vn66xa6ig fehlt, spricht sehr vernehmlich dafür. Zugleich ist zu beachten daß der 'freie Wille* im Nicaenum fehlt und in dieser scharfen Formulierung wenigstens auch bei Alexander ^) nicht vorkommt ; er ist ein Zusatz den die Theologen der antiochenischen Synode dem einfachen atgeittov ocal ävaXXoLwzov des arianischen Bekenntnisses [Epiphan. 69, 7 p. 732^. Äthan, de synod. 16] zu polemischen Zwecken angehängt haben: die nicaenischen Anathematismen schließen sich mit ihrem r) tQsntbv ri äXkoKoxov an die Formeln Alexanders an. Das arianische Be- kenntnis ist auch in sofern benutzt, als die beiden Praedikate axQSTttov xal ävaXkoLcotov auch dem Vater [p. 275, 14] zugesprochen werden, wie dort [Epiphan. a. a. 0. p. 732*^]; damit ist das was Hr. Harnack von monophysitischen Spuren vorbringt [S. 488], er- ledigt. Von irgend einer Evidenz daß die Bannformeln des Syno- dalschreibens die nicaenischen voraussetzen und vor ihnen undenkbar sind, finde ich keine Spur, und Hr. Harnack glaubt im Grunde anch nicht daran; denn er läßt sich an einer anderen Stelle dazu herbei [S. 484] anzunehmen, daß die Glauhensdeclaration doch [!] älter als das Nicaenum sein könne, tvenn sie auch in ihrem polemischen Schluß nahezu [!] mit ihm identisch ist.

Auf die Prüfung der Ueberlieferungsgeschichte und der Form des von ihm hart angeklagten Documents hat Hr. Harnack, wie schon gesagt, stillschweigend verzichtet. Dagegen hält er es für nötig ^/^r^?^ Anlaß und ihre Motive zu entziffern und meint daß das in hohem Maße möglich sei [S. 486]. Nachdem ich nachgewiesen habe daß die Urkunde echt ist, könnte ich streng genommen es mir ersparen, auch diesen Teil der Anklage zu widerlegen; ich will aber ein Uebriges tun und mich auch darauf einlassen.

Drei Bischöfen, Theodot, Narciß und Euseb wird in dem Synodalschreiben die Gremeinschaft vorläufig aufgekündigt. Auf drei Bischöfe ist der alexandrinische Patriarch in seinem Brief an Alexander von Byzanz sehr übel zu sprechen [Theodor. 1, 4, 37] : xal ovx otd' ÖTtcog iv UvQLttL x^LQOxovYid^ivxeg sjtiöxojtoi XQetg diä xb 6vvoa- vstv avxolg snl xb x^^QOV v7tsxxdov0L , Ttegl av i] xgCßig avaxsLöffG) xfii vfiexigai öoTniiaciai [d. h. Alexander und den Bischöfen oder

1) In der Encyclika stellt er als arianisches Dogma hin: SC 3 xal xQ^nvös iöTL xal &XXoia)Tbg tr\v (pvaiv tb? xal ndvta xu Xoyiyicc. Das führt er im Brief an Alexander von Byzanz weiter aus [Theod. 1, 4, 11]: xal q)aalv whxbv xganxf^s ilvat (fvaeag &QSx^g xe xal xax/a? iTtiSs-uxL'uov und [a. a. 0. 13] Slu xgdnoiv inifiiXBiav xal aa-nrioiv iii} xQsnoiisvov inl xb ;i;eripoi/.

zur Geschichte des Athanasius VII 349

Klerikern denen er den Brief mittheilen soll ; er ist wie äyaTcritoC in dem Gruß am Schluß zeigt, an mehrere gerichtet, und die Adresse muß von Theodoret ungenau wiedergegeben sein]* ol' [von hier an hat Hr. Harnack das Citat nicht mehr mitgeteilt] tag ^hv Tov öcjzriQlov Tcdd-ovg taTCSivaöscog xe xal K6vd)66(X)g xal T^g xaXov^s- vr}g avTov ntcoxsCag xal g)v s7tL%tii]tcog [sTtixrijtovg die Ausgaben] 6 &coxi]Q dl rj^äg avsds^ato, cpcsväg diä [ivTJ^rig sxovtsg TcaQatCd'Svtai, BTtl 7CaQayQa<pf]i tilg ccvcod^sv xal äQ%y]^sv avvov ^sötr^tog, r&v de tTjg (pvöLKTJg avtov do^rig rs xal svysvsCag xal nagä tobt, itatgl /iovijg 6rinavtiXG)v koyav STtikri^iLovsg ysyövaöcv. Hr. Harnack meint [S. 486], daß vielleicM wegen dieser Stelle drei Bischöfe in der Fälschung excommimiciert iverden . . . der Falscher setzte Theodotus von Laodicea, Narcissus von Neronias und den berühmten Eusehkis von Caesarea ein. Der nur auf die Zahl basierte Zusammenhang ist recht vage, und löst sich gänzlich auf, wenn man nachforscht, wer die drei Bischöfe sind, die Alexander im Sinne hatte. Frei- lich erklärt Hr. Harnack [S. 486] : welche Bischöfe Alexander ge- meint hat, tveiß man [!] nicht, und ist auch gleichgültig. Wenn Hrn. Harnack die historisch accurate Interpretation eines unmittelbaren, lebendigen geschichtlichen Documents gleichgültig ist, so bin ich der letzte der ihn in seiner Indifferenz stört: nur soll er nicht behaupten daß das was er nicht weiß, man nicht wisse. Wer jene drei Bischöfe sind, steht schon in dem Fundamentalwerk zu lesen, das jeder ernsthaft zu nehmende Forscher zunächst nach- schlägt, in den Memoires pour servir a l'histoire ecclesiastique des alten Lenain de Tillemont [t. VI. p. 734^] : Paulinus von Tyrus, Euseb von Caesarea und Patrophilos von Skythopolis. Sie hatten, wie Sozomenos in einem ausgezeichneten, aus der Actensammlung des Sabinus geschöpften Bericht erzählt ^), auf Ansuchen des Arius

1) 1, 15, 11 f., nachdem über die 'bithynische' Synode berichtet ist: mg ds ovdsv 7\xtov itttQcc yvmiiTiv ccbtocg ixojQSL r} otcovSti, 'AXe^ccvSqov ^t] sL'kovtos [das geht auf den Tomos Alexanders]," TtQSößsvsrca 6 "JgsLog TtQog IlavXtvov tbv Tvqov inLCKonov Hat EvGsßiov tov UaiicpiXov iTtLtQonsvovta X7]v i-nytlriaLUV Tijg sv Ua- XaiGxCvTii KccLGccQSLag xal TLaxQOcpiXov xbv U'nvd'OTtoXsag yiccl s^aixst a^cc xoig dcficp' ccvxbv inixgccnrivaL b-h-uXtigicc^siv xbv (isx' avxov Xabv mg tcqoxbqov x7]v xä>v itQsa- ßvxBQcav xd^Lv inixovxag [da die bithynische Synode ihre Rechtgläubigkeit aner- kannt hatte, waren sie rechtlich noch Presbyter und verlangten ihre Functionen ausüben zu können], slvcci yciQ iv 'AXs^ccvdQSLui s'^og, "nad-ansQ v.al vvv, svbg övxog xov "ncixä ttccvxcov ima-noTtov, xovg TtQSoßvxsQovg IdCai tag i-a-uXriOLCcg v.axEXBiv xal tbv iv wbtccig Xccbv avvccysiv. dl 8\ xal aXXoig sniGv.önoig iv JJuXaiGtCvriv cvvEX&ovteg iipricptoccvxo xfii 'Agsiov cilxr\6si, nccQa-KsXsvcdfisvoi avvdystv fisv avxovg gmngoxsQOv, vnotsxd%%ai de 'AXs^dvÖQcoL v,ccl ccvxißoXstv dsl xfjg Ttgbg avvbv

350 E- Schwartz

eine Synode nach Caesarea in Palaestina berufen und die recht- liche Consequenz des Beschlusses der früheren, von dem niko- medischen Euseb nach seiner Stadt geladenen Synode gezogen, auf der ein von Arius vorgelegtes Glaubensbekenntnis [Nachr.

dgrivris xal v-oivcavCas iL£xs%nv. Vorzügliches, aus localer Kenntnis geschöpftes [vgl. Nachr. 1905, 258. 165] Detail giebt Epiphanius [69,2], der natürlich die eigentümliche Institution des alexandrinischen Presbyteriums im Ganzen nicht begriflfen hat. Dagegen hat Eutychius einen ausgezeichneten Bericht über das Recht der zwölf Presbyter den Bischof zu ordinieren, erhalten ; ich setze ihn her, da er vergessen ist [p. I0 der Ausgabe von Cheikho ; die correcten Formen, die die strenge Grammatik verlangt, corrigiere ich nicht hinein]: ^i^ .,L

!^^Lä^. Jd l^.jy^ xi^-^vLaj^ x^i^ .Lo^ a^^j J^ ^.«-V.^ O^^^"^' Imi^^m^

\3\ Lvoaj! ^i^ b£5i^^J:u]l 'w.**»Jül j^j|_j^OLkaj ^^\ ^yt «-U »Jb Ji^a iüJUJlüi^

0 > > 5

^ßJaJ\ _^äLöl ^ iOäL«^ yo*^! L5y^^ »^jJ^^^ LwwJül. -De^* Evangelist Marcus setzte mit dem Patriarchen Ananias 12 Presbyter ein, die um den Patri- archen waren, und wenn der Patriarch mit Tode abging, dann wählten sie einen von den 12 Presbytern aus, und die elf übrigen Presbyter legten ihre Hände auf sein Haupt und erteilten ihm den Segen und setzten ihn zum Patriarchen ein. Dann wählten sie einen hervorragenden Mann aus und nahmen ihn als Presbyter unter sich auf an Stelle dessen der Patriarch geworden war, damit es wieder zwölf seien. Und die Ordnung der Presbyter in Alexandrien, daß sie die Patri- archen aus den 12 Presbytern wählten, dauerte bis in die Zeit des Patriarchen Alexander, der auf der Synode der 318 war; er schaffte die Wahl des Patriarchen durch die Presbyter ab und bestimmte daß, wenn der Patriarch sterbe, die Bischöfe sich versammeln und den Patriarchen wählen sollten. Und er bestimmte wiederum, daß wenn der Patriarch sterbe, sie aus einer beliebigen Stadt einen hervorragenden Mann wählen sollten, sei es aus jenen 12 Presbytern oder einen anderen, so daß sie den der ihnen gefiele, zum Patriarchen bestellten. So vmrde die alte Ordnung daß die Presbyter den Patriarchen wählten, abgeschafft und die Wahl des Patri- archen gieng auf die Bischöfe über. Sieht man von der vermutlicli fictiven Zahl zwölf ab, so liegt im Uebrigen die Entwicklung des alexandrinischen Episkopats

zur Geschichte des Athanasius YII 351

1905, 260] als rechtgläubig gegenüber der Encyclika Alexanders anerkannt war. Wie der alexandrinische Patriarch auf diese Synode mit seinem Tomos geantwortet hatte, so replicierte die Synode von Caesarea auf den Tomos wiederum damit daß sie Arius und den Presbytern die ihm anhingen, das alte Recht der alexan- drinischen Presbyter ausdrücklich bestätigte in ihren Presbyterial- kirchen selbständige Gremeindegottesdienste abzulialten. Mit diesem Synodalbeschluß ausgerüstet, kehrten Arius und seine Presbyter nach Alexandrien zurück und predigten dort in ihren Gemeinden; das sind die 'Räuberhöhlen', über die sich der Patriarch in dem Brief an Alexander von Byzanz beklagt [Theodoret 1, 4, 3]. Aus dem was er über die drei Bischöfe vorbringt, geht außerdem hervor daß die Synode ihre dogmatische Stellung durch Bibelstellen zu begründen versucht hatte; Alexander warnt deutlich den Klerus von Byzanz davor sich durch die Beschlüsse und Briefe dieser Synode irreführen zu lassen. Als er diesen Brief schrieb, war von einer kaiserlichen Synode noch keine Rede; durch deren Be- rufung wurde die Situation wesentlich verändert, und die Beschlüsse welche die antiochenische Synode gegen ihre Mitglieder Theodot, Narciß und Euseb faßte, von denen Narciß gar kein syrischer Bischof war, haben mit den drei syrischen Bischöfen, gegen deren Unterstützung des Arius Alexander erheblich früher protestiert hatte, unmittelbar nichts zu tun.

Hr. Harnack muß zugeben daß Theodot von Laodicea und Narciß von Neronias Gresinnungsgenossen des Euseb waren ; sie seien aber neben ihm fast [!] ohslnire Leute gewesen [S. 486]. Also [!], fährt er fort, darf man sagen ^ daß sich die Fälschung gegen Eusehius richtet. Meines Erachtens darf man das grade nicht sagen. Tendenziöse Fälschungen lassen ihre Absichten deutlich erkennen , und wenn Euseb und Euseb ausschließlich discreditiert werden sollte, so stumpfte der Fälscher die Pointe, oder wie Hr. Harnack sich ausdrückt, das AJmmen seiner Erfindung dadurch ab,

klar vor Augen. Ursprünglich gah es in Alexandrien mehrere Gemeinden, jede unter einem eigenen Presbyter; daher das Recht der Presbyter in ihren Kirchen Gottesdienst zu halten. Diese bestellten sich einen Vorsteher. In den Bischofs- listen des Euseb ist sehr oft [KG 5, 9. 22. 6, 2, 2. 35. 9, 6, 2] von den Gemeinden Alexandriens im Plural die Rede. Aegypten wurde kirchlich wie politisch als Xmga der Hauptstadt angesehen. Bis ins dritte Jahrhundert hatten die Bischöfe als primi intet' pares nichts zu sagen ; dann schufen Demetrius und Heraklas die Bistümer außerhalb Alexandriens [Eutych, p. <\^'] und haben mit deren Hülfe die Macht des Presbyteriums gebrochen.

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daß er dem Object seines Hasses zwei Leidensgenossen mitgab und in keiner Weise dafür sorgte daß Euseb als der Führer und Anstifter hervortrat; an der einzigen Stelle an der die drei ge- nannt werden [p. 277, 13], steht er grade an letzter Stelle ^). Grar nicht davon zu reden daß dem Fälscher, dessen entsetzliche histo- rische Ignoranz Hrn. Hamack so ärgerlich ist, nicht zugetraut werden kann daß er zwei fast obshure Leute ausgrub um sie mit dem berühmten Euseb zusammenzukoppeln und dadurch nichts anderes erreichte als daß er sein Machwerk noch schlechter machte als es unter allen Umständen werden mußte. Gewiß, Euseb ist oft genug des Arianismus geziehen worden. Die Hss. der KG- sind reich an ungnädigen Randbemerkungen; am ergötzlichsten macht sich die fromme Wut eines Schreibers im Codex Vaticanus 399 (einer Abschrift von A aus dem XI. Jahrh.) fol. 204 Luft: xaVov XagrCov : xaAa ygci^ara : xaxbg BQsnx&g (= alQSttxbg) Evöeßiog üafi- q)LXov. Ein unwissender Fälscher brauchte noch nicht einmal, wie die Väter des zweiten nicaenischen Concils von 787, die Correspondenz des Eusebius aus der Publicistik des vierten Jahrhunderts hervorzusuchen , um ihm wegen seines 'Arianismus' eins auszuwischen; es genügte irgend eine Hs. der Kirchen- geschichte vorzunehmen und die mit warnenden Marginalien ver- zierten Stellen, vor allem des ersten Buches, auszuziehen: dann hatte er Material genug. Nun ist aber in dem Synodalschreiben der Schriftstellerei Eusebs mit keinem Worte gedacht ; er ist in ihm ein Bischof wie die andern auch. Das ist wiederum ein Zeichen der Echtheit; Fälschungen die einen anerkannten Schriftsteller an- greifen wollen, pflegten grade die litterarische Seite seiner Tätigkeit vorzunehmen, weil sie dafür ohne Weiteres auf das Interesse des großen Publicums rechnen können. Wenn außerdem der Fälscher das in der Kirche bestehende hohe Ansehn des Euseb ruinieren [S. 487] wollte, so hat er es so dumm angefangen wie nur irgend möglich. Abgesehen davon daß er nicht ihn allein, sondern noch zwei andere

1) Es ist sehr wahrscheinlich daß sie nach der Anciennetät geordnet sind. Theodot erhielt den Thronos von Laodikeia während der Verfolgung [Eus. KG 7,32,23]; als Euseb ihm die PE und DE dedicierte [Pauly-Wissowa, RE 6, 1389], nahm der laodicenische Bischof schon eine angesehene Stellung in der Kirche der Dioecesis Oriens ein: der Mann war alles andere als obskur. Der an zweiter Stelle genannte Narciß von Neronias erscheint schon in den Subscrip- tionen von Ancyra und Neocaesarea; Euseb, der als Bischof die Festpredigt bei den Enkaenien der tyrischen Basilika gehalten hat, die erst mehrere Jahre nach dem Sturz Maximins [313] gefeiert sein können [Pauly-Wissowa, RE 6, 1376], hat jedenfalls erst nach der Verfolgung den Thronos von Caesarea bestiegen.

zur Geschichte des Athanasius YII 353

dazu aufs Korn nahm, hing er den dreien nicht etwa ein recht- schaiFenes, gründliches Anathema an, sondern begnügte sich mit einer provisorischen Aufkündigung der Gemeinschaft, erzählte auch nicht einmal, was mindestens zu verlangen war, daß nach Ablauf der Bußfrist, auf der angekündigten großen Synode die drei Böse- wichter excommuniciert seien. Endlich motiviert das Synodal- schreiben die über die drei Bischöfe verhängte Strafe damit daß sie das von der Synode aufgestellte Glaubensbekenntnis nicht hätten annehmen wollen. Wenn der Fälscher dies Bekenntnis fabri- ciert hat, dann hat er seine Sache nicht nur bei den Wissenden bös compromittiert : grade für einen ungebildeten Orthodoxen des 6. oder 7. Jahrh. ist ein gegen Arius gerichtetes Credo, in dem das o^oovöiog fehlt, im höchsten Maße anrüchig, und wenn ein- gewandt wird, daß der Fälscher die historische Treue habe wahren wollen, so besaß er ja nach Hrn. Harnack [S. 483] nicht die geringste Unterscheidung in henig auf das, tcas vor und was nach Nicaea geschehen istj und glaubte seinen Lesern alles bieten zu dürfen. Wiederum also offenbart sich die Fälschungshypothese als ein wahres Nest von ünivahrsclteinlicJikeiten und Geivcdtsanikeiten, um mit Hrn. Har- nack [S. 482] zu reden.

Es kommt aber noch besser. Durch eine schon besprochene Oonjectur bringt Hr. Harnack Eustathius an die Spitze der Namen- jiste und fährt dann fort [S. 487]: er ist bekanntlich [!] von Euse- biiis von Cäsarea und seinen Freunden ein paar Jahre nach dem Nicänimi auf einer Synode zu Antiochien abgesetzt worden {s. Schrat. I, 24l cum parfdl.) .... Eustathius ist als der Präses der Synode und als der Verfasser des Synodalschreibens anzusehn; nur [!] auf ihn paßt die hohe Stellung, die der Leiter der Synode und der Schreiber des Synodalbriefs einnimmt, und die ganze Fälschung hat also Märlich dl] den Ztveck, der historischen Absetzung des orthodoxen Eustathius [urch den heterodoxen Eusebius diesem Skandalon der Kirch9i[u geschichte! dreist eine erlogene Absetzung des Eusebius durc- Eustathius entgegenzusetzen. Dies ganze Gebäude steht und fällt mit der Conjectur die für den tadellos überlieferten ersten Namen der Liste EvösßLog in das Original der syrischen Uebersetzung (tm) svösßst einzuschwärzen sucht; da sie als unmöglich erwiesen ist, stürzen die weiteren Constructionen zusammen. Sie sind auch in sich verkehrt. Hr. Harnack weise doch einmal eine einzige Fälschung nach, die für eine wirkliche Absetzung nach ein paar Jahrhunderten durch eine fingierte Hache nimmt. Das ist von vorne herein ein unmöglicher Gedanke; es kommt hinzu daß in dem ganzen Schreiben von einer Glorificierung des Eustathius,

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Kl. 1908. Heft 3. 25

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die doch nacli dem supponirten Zweck der Fälschung notwendig angenommen werden muß, nicht ein Hauch zu spüren ist: kein Leser der Fälschung konnte durch sie für das Andenken des Eu- stathius begeistert werden, auch dann nicht, wenn er wirklich an der Spitze der Liste stand. Und was für ein Publikum setzt denn dieser 'unwissende' Fälscher voraus? Ein PubKcum das im 6. oder 7. Jahrh. noch wußte daß Euseb der Hauptschuldige an der Absetzung des Eustathius gewesen war, es so genau wußte, daß der Fälscher es über diese Untat in keiner Weise zu orien- tieren brauchte ? Er hatte ja nach Hrn. Harnacks schmeichelhafter Charakteristik keine Ahnung von Chronologie nnd glaubte seinen Lesern alles bieten zu dürfen ^ brauchte sich also nicht zu genieren nnd konnte von der Absetzung des Eustathius ruhig reden , ob- gleich sie später war als die provisorische Excommunication Eusebs. Ich vermag mir allenfalls vorzustellen daß der Fälscher Synodal- acten fabricierte, die klärlich zeigten mit welcher Niedertracht der böse Euseb den guten Eustathius zu Falle zu bringen ver- suchte und dabei selbst in die Grube fiel; das hätte eine pseudo- historische E-ache abgeben können; wie ihn aber der von Hrn. Harnack 'entzifferte Anlaß' dazu gebracht haben soll ein Mach- werk auszusinnen, in dem Eustathius keine Eolle spielt und Euseb weder als der einzige noch als der absolute Bösewicht erscheint, das mir auszumalen fehlt mir die Phantasie.

Uebrigens konnte der Fälscher auf den Gedanken Eustathius an Eusebius zu rächen, nur dann verfallen, wenn die Ueberlieferung daß Enseb an der Absetzung des Eustathius schuld sei, so fest stand und so allgemein verbreitet war, daß im 6. oder 7. Jahr- hundert jeder davon wußte und daran glaubte, wie etwa an Arius Tod in der latrina publica zu Constantinopel und was dergleichen Histörchen mehr sind. Ich hatte allerdings in meiner Mitteilung [Nachr. 1905, 281], z. Th. nach den Ballerini, vermutet daß Euseb auf der Synode die gegen Eustathius berufen war, eine Hauptrolle spielte, auch meine Gründe dafür angegeben: Euseb steht als erster in der Reihe der Bischöfe die das kanonische Concil von Antiochien unterzeichnet haben, und ich identificierte dies Concil sowohl mit dem das Eustathius absetzte, als dem an das Constantin den von Euseb Vita Const. 3, 62 mitgeteilten Brief richtete. Den Fälscher können diese Gründe um so weniger bewogen haben Euseb um des Eustathius willen zu grollen, als sie verkehrt sind, wie ich selbst eingesehen und öffentlich ausgesprochen habe [Pauly- Wissowa, RE 6, 1417]. Ist nun aber Eustathius nicht auf der kanonischen, von Euseb an erster Stelle unterzeichneten Synode

zur Geschichte des Athanasius YII 355

von Antiochien abgesetzt, so fällt der Hauptgrund fort, um dessen willen Euseb für die Absetzung des Eustathius verantwortlich gemacht werden kann, und wenn Hr. Harnack behauptet, ^beJcannt- Vidi sei das der Fall, so findet dies den Beweis bequem ver- tretende Adverb in der Ueberlieferung keine Stütze. Es wird nützlich sein sie vorzulegen.

Sokrates [1, 23] knüpft an ein Citat von Euseb. Yita Const. 3,23 ein Regest an über eine Sammlung von Briefen, in der die Bischöfe über das nicaenische Schlagwort o^oovöiog disputierten: es muß sich um eine zu polemischen Zwecken veranstaltete Sammlung han- deln, vgl. Nachr. 1905, 258. Er teilt darin Excerpte aus Briefen mit, in denen sich Euseb und Eustathius befehdeten. Diese Ex- cerpte übernimmt Sozomenos [2, 18, 3. 4] ohne die Briefsammlung zu erwähnen; er hat sie aber, wie es seine Gewohnheit ist, nachgeschlagen und daraus die Notiz entnommen daß Eusta- thius die vornicaenische Synode von Caesarea angegriifen habe [2, 19,1]: wie viele behaupteten, sei das der wahre, also ofiiciell nicht angegebene Grund der Absetzung des Eustathius gewesen. Auch Theodoret kennt die Sammlung und excerpiert daraus einen polternden, historisch unbrauchbaren Bericht des Eustathius über das nicaenische Concil [1,7, 18 ff.].

Unmittelbar auf jenes Regest folgt bei Sokrates [1 , 24] der Bericht über die Synode von Antiochien, die Eustathius absetzte. Er ist nur lose mit dem Vorhergehenden verknüpft: das Subject des ersten Satzes övvodov ovv sv ^AvtioiEiai Ttonjöavtsg xad'aiQovöLv Ev6tdd-i0v ag 2Jaßs?.Xiov ^äXXov cpQOvovvxa t) aiteQ rj sv Nixaiat övvodog sdoy^aTiöev kann weder auf Euseb noch auf Eustathius bezogen werden, die allein vorher genannt sind, sondern ist ganz allgemein. Wie wenig Sokrates daran denkt Euseb die Schuld an jener Absetzung zuzuschieben, verrät er dadurch daß er sich ausführlich mit der Widerlegung einer Behauptung beschäftigt, die der Antinicaener Georg von Laodikeia aufgestellt hatte, daß der wegen seiner Orthodoxie bekannte [Athanas. apol. de fuga 3. hist. Arian. 5] Bischof Kyros von Beroea, der Nachfolger des Eustathius auf seinem früheren Thronos, ihn auf der Synode angeklagt habe : in dieser Widerlegung kommt Euseb nicht vor. Jenes Regest also steht nicht in engem Zusammenhang mit dem Bericht über die Synode, sondern ist von Sokrates an diese Stelle gerückt, weil es ihm zu der Absetzung des Eustathius am besten zu passen schien. Sozomenos, der in viel höherem Maße pragmatische Allüren hat und von historiographischer Technik etwas weiß, zieht aller- dings ein Excerpt aus der Briefsammlung in den Bericht über die

25*

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Synode hinein; aber auch er behauptet nicht daß Eustathius seine Angriffe gegen Euseb habe büßen müssen, sondern die welche er gegen Euseb, Paulinus und Patrophilos [d. h. die Synode von Cae- sarea s. o.] richtete, nennt also andere Genossen des Euseb als die welche in dem Synodalschreiben vorkommen, das nach Hrn. Harnacks Meinung 'klärlich' zur Rache für die Absetzung des Eustathius gefälscht ist.

Thatsächlich wurde Eustathius nicht um des Dogmas willen abgesetzt, sondern aus disciplinären Grründen: man warf ihm an- stößigen Lebenswandel vor. Sokrates und Sozomenos geben das nur widerwillig zu; aber die orientalische Synode von Sardica spricht es deutlich aus ^). Cons tantin hat zu der Excommunication der Bischöfe ein Relegationsurteil hinzugefügt, das er nach per- sönlichem Verhör ergehen ließ^); nach Athanasius [Hist. Arian. 4] diente als Vorwand, daß er die Kaiserinmutter Helena beleidigt habe ^). Von einer Schuld Eusebs redet Athanasius nicht, obgleich

1) Sokr. 1, 24, 1 übg fiev ovv ZLveg q)U6Lv , ^t' aHag ovx ccyad'äg altCag (nicht wegen sabeliianischer Anschauungen), q>ccvsQä)g yäg ovyi eIq-^kccgi. tovxo ds inl Ttdvtcav sload'aaL tmv yiad'aiQoviiivcov noistv ot iniayionoi,, %atriyoQOvvtsg (ihv ■Kai aösßsiv XByovtsg f tag ds altiag rfjg &asßsiag ov TCgoarid'EVTSg. Folgt die oben erwähnte Widerlegung des Georg von Laodikeia; Kyros habe Eustathius nicht als Sabellianer angeklagt. Dann der Abschluß: soi-nsv ovv EvardQ-iov Si* ETEgag xaO'rjipTjö'ö'at TtgocpäaEig. Sozom. 2, 19, 1 xb (iev alrid'Eg, mg noXvg e'xel 2.6yog, xa^ort ttJv ivNiyiaiaL ncötiv EmfiLVEi -aal tovg ccficpl xbv EvGEßiov tiai IJavXtvov xov TvQOv knCoKonov -Kai UaxQOcpiXov xov Z-nvd'OTtoXEag, av xrjL yviofiriL ot &va X7]v %(o \== in der Dioecesis Oriens] lEgEtg eTtiovxo, oicc ys xd 'AgEiov (pgovovvxag ansaxgE- q)txo y,al cpavEgag diißaXXE , 7cg6cpa6iv di tag ovx oüiaig ngd^EöL xr]v tEgoaövvi^v atßxvvag icpagdd-ri. [Hilar.] frg. bist. 3, 27 in den Motiven der Verdammung des Hosius : quod c&nuixerit in Oriente cum sceleratis ac perditis .... sed et Eusta- thio [eustasio Hs.] et Quimatio [d. i. Kviidxiog vgl. Äthan, apolog. de fuga 3. bist. Arian. 5. Tom. ad Antioch. p. 770] adhaerebat pessime et carus fuit, de quorum uitae infamia turpi dicendum nihil est: exitus enim illorum eos omnibus declarauit.

2) Euseb Vita Const. 3, 59 dnEXoyEtxo [Constantin] 8i ojv ngbg avxovg [an die Antiochener] ^ygatpsv mg xov xijg axdasag [des späteren Aufstands in Anti- ochien ; vgl. Kscp. | ÜEgl xf}g iv ^AvxioxEiai 8i E'öardd^Lov xagax^g] alxCov Sia-nri- xoüjg a'bxbg eIt\.

3) Die Kaiserinmutter war eine eifrige Verehrerin des 310 hingerichteten Märtyrers Lucian [Philostorg. 2,12]; Constantin gab dem bithynischen DorfDre- pane, in dem er begraben lag, Stadtrecht und den Namen Helenopolis [Sokrat. 1, 17, 1. Hieronym. ol. 276, 2]. Nach Lucian aber redeten sich Euseb von Niko- medien und Arius GvXXovv,iaviaxaC an [Epiphan. 69, 6 = Tbeodoret. 1, 5, 4] ; um. lekehrt war er Alexander von Alexandrien und seinen Parteigenossen gründlich gvehaßt [Theodoret. 1, 4, 36].

zur Geschichte des Athanasius VII 357

er im Uebrigen ihm alles andere als wohlgesinnt war. Zu beachten ist übrigens, daß Athanasius erst in seinen späteren Schriften Eustathius als Märtyrer der Orthodoxie feiert; das occidentalische Concil von Sardika, das Asklepas von Graza und Marcell von Ancyra rehabilitierte , erwähnt Eustathius überhaupt nicht. Man wagte damals noch nicht gegen das Urteil Constantins zu protestieren ^). Tritt schon in der ältesten und besten Ueberlieferung bei Sokrates und Sozomenos Euseb keineswegs deutlich oder aus- schließlich als der Urheber von Eustathius Absetzung hervor, so gilt das gleiche von den späteren, tendenziösen und legendarischen Entstellungen. Philostorgius , der den disciplinaren Grrund der Absetzung und die Verbannung durch den Kaiser richtig erwähnt ^), behauptet daß er durch eine von dem nikomedischen Euseb dorthin berufene Synode ebenso wie Alexander von Alexandrien abgesetzt sei: was in dieser Nachricht Wahres steckt, ist noch nicht auf- geklärt. Sie ist von Theodoret [1,21] mit der älteren Ueber- lieferung zu einem albernen Roman combiniert, in den vielleicht auch eine Verwechslung der antiochenischen Synode, die Eustathius absetzte, mit der Enkaeniensynode unter Constantius [341] hinein- spielt : der nikomedische Euseb, den er schon unter Constantin Bischof von Constantinopel werden läßt, reist mit seinem Spieß- gesellen Theognis von Nicaea nach Antiochien, hält dort mit den 'Arianern' Euseb von Caesarea, Patrophilos von Skythopolis, Aetios von Lydda, Theodot von Laodikeia und anderen eine Synode ab und setzt mit Hülfe einer gedungenen Dirne die Verurteilung des Eustathius durch ^) , die der von den Gegnern betörte Kaiser be- stätigt. Hier ist Euseb von Nikomedien der treibende Mann: die von Theodoret aufgezählten 'Arianer' dürften aus dem Katalog den er 5, 7, 1 aufstellt, entnommen sein.

1) Der Legende daß er von lovian zurückgerufen sei [Sokrat. 4, 14, 4 = Sozom. 6, 13, 2], liegt der Gedanke zu Grunde, daß ein kaiserliches Urteil nur von einem Kaiser aufgehohen werden könne. Wenn bei Hieron. uir. ill. 85 ad~ uersus Arianorum dogma multa componens sub Constantio [Variante : Constantino] principe pulsus est in exilium die Lesart Constantio richtig ist, sollte mit dieser Correctur der Geschichte Constantin von dem Vorwurf, den orthodoxen Metro- politen von Antiochien verbannt zu haben, befreit werden: es ist dieselbe Tendenz wie die um derentwillen Rufin das Concil von Tyrus, das Athanasius absetzte, unter Constantius setzt.

2) 2, 7 tbv 'AXs^ccvÖQS^ag ^AXi^avÖgov Hccdslstv ts v.ul ccTtoyiTiQv^ccGd^at . . . ccXXa Tiul Evatdd'iov tbv ^Avtioxstccg , naidCayn]? fii^^iv v.al alaxQ&S rjdovfjg ccno- Xavaiv atxiuv iTtLygaipccfi^vovg- cpvy7]v <d'> uvt&i ßccaiXs^g stLfi'^üccto dg xriv iöTtegav [isd'OQiov Ttoiriadfisvog.

3) Die Geschichte war schon Hieronymus [adv. Ruf. 3, 42] bekannt.

358 ^- Schwartz

So viel ist deutlich : die Verfälschung der Tradition kehrt ihre Spitze nicht gegen Euseb von Caesarea. Zur Zeit des Johannes Chrysostomus gehört Eustathius mit Philogonius und Meletius zu den Bischöfen deren Andenken ofiiciell gefeiert wurde : in der Predigt die jener auf ihn hielt, heißt es nur ganz allgemein, daß die Ketzer ihn vertrieben hätten [t. 2 p. 607^]. Ebenso beschränkt sich Hieronymus [de uir. ill. 85] auf die kurze Notiz daß er wegen seiner Schriften gegen das arianische Dogma hier lebt die Er- innerung an seine polemischen Briefe noch fort ins Exil gejagt sei. Nach alle dem lag im 6. oder 7. Jahrh. auch nicht die mindeste Veranlassung vor, seine Absetzung an Euseb von Caesarea zu rächen : niemand konnte damals auf den Gedanken kommen darum eine ganze Synode zu fälschen, und niemand würde die Fälschung verstanden haben.

Einige Zeit nach der Absetzung und Verbannung des Eusta- thius brach bei Gelegenheit einer Sedisvacanz ^) in Antiochien ein Aufstand aus, der gefährliche Dimensionen annahm und nicht nur die christliche Gemeinde in zwei Parteien spaltete, sondern auch die Municipalbeamten und die Garnison ergriff. Offenbar ist von den Anhängern des Eustathius der Versuch gewagt ihn von neuem auf den Thronos zu erheben; man behauptete, das kaiserliche Ur- teil sei nicht zu Recht ergangen-). Constantin griff sofort ein, sandte einen Comes hin und schickte ein scharfes Schreiben an die Gemeinde. Nun wollten sich die Parteien auf Euseb von Cae-

1) Fest steht durch die Subscription unter dem Tomos Alexanders [Nachr. 1905, 267. 270] und die nicaenische Liste, daß Eustathius auf Philogonius folgte, ferner daß Paulinus den Thronos von Tyrus mit dem von Antiochien vertauschte [Euseb. c. Marcell. 1, 4, 2] , aber sechs Monate danach starb und durch Eulalius ersetzt wurde [PLilostorg. 3, 15], endlich daß Euphronios' Nachfolger Flaccillus war, der am tyrischen Concil 335 teilnahm [Theodoret. 1, 22, 1. Äthan, apol. c. Arian. 87]. Es ist also verkehrt, wenn Theodoret 1, 22, 1 Paulinus ausläßt und Eulalius unmittelbar auf Eustathius folgen läßt, richtig dagegen daß er die Ab- lehnung Eusebs mit der durch Eulalius' Tod entstandenen Sedisvacanz verbindet. Stärker verwirrt ist die Reihe bei Hieronymus [ol. 277, 1] : Philogonius Paulinus Eustliathius, nach dessen Verbannung die 'Arianer' Eulalius Eusebius Euphrouiua Flaccillus; da ist Paulinus fälschlich zu den Orthodoxen gerechnet und vor ICustathius gestellt, ferner Euseb mit aufgezählt, obwohl er nie Bischof von Antiochien gewesen ist. Die sicheren Daten schieben sich nur durch die An- nahme zurecht, daß an Stelle des abgesetzten Eustathius Paulinus trat, Eulalius ihm succedierte und nach dessen Tode der Streit ausbrach, der mit der vom Kaiser befohlenen Wahl des Euphronius endete.

2) Daher versicherte der Kaiser in dem ersten, ungnädigen Schreiben an die Gemeinde ausdrücklich, daß er Eustathius persönlich verhört habe, s. o.

zur Geschichte des Athanasius VII 359

sarea einigen^); auch eine S^mode die, wahrscheinlicli wegen der Bischüfswahl, tagte, stimmte zu-). Aber Euseb war klug genug sich mit der Ehre zufrieden zu geben und den exponierten Posten unter Berufung auf den 15. nicaenischen Kanon abzulehnen; Con- stantin, der an dem Entschluß schwerlich ganz unschuldig war? verwarf den Vorschlag ebenfalls und nominierte die Presbyter Euphronios aus dem kappadokischen Caesarea und Greorgios aus Arethusa: jener wurde gewählt [Euseb. Vit. Const. 3, 59 ff.]. Daß aus dieser Geschichte keine Fälschung gegen Eusebius, am aller- wenigsten das antiochenische Synodalschreiben erwachsen konnte, ist ohne Weiteres klar.

Da das Document als echt erwiesen ist, so ist damit ein Maß gewonnen, an dem sich die Vollständigkeit und Zuverlässigkeit der erzählenden Ueberlieferung prüfen läßt. Fällt diese Prüfung für die antiken Kirchenhistoriker nicht unbedingt günstig aus, so spricht das noch lange nicht gegen die Echtheit des Documents: im Gegenteil, es müßte mit wunderbaren Dingen zugehen und würde gradezu verdächtig sein, wenn eine so umfangreiche Ur- kunde so mannigfaltigen Inhalts glatt und restlos in das schon Bekannte aufgienge. Hr. Harnack fragt allerdings mit Emphase [S. 484] : von einer solchen Synode sollten Eusebius, Athanasius, So- Icrates, So^omenus, Theodoret schlechterdings nichts berichten? Wenn es Hrn. Harnack lediglich darauf ankam mit der Aufzählung mög- lichst vieler ISTamen eine rhetorische Wirkung zu erzielen, hätte er Kufin und Gelasius nur gleich mitnennen sollen: auf sachkundige Leser werden freilich weder die fünf noch die sieben Namen be-

1) Brief Constantins an die Gemeinde [Eus. Vit. Const. 3, 60, 3]: öfioXo'y& yccQ ccvsyvGjyisvca tcc vTtOfivqiiata ev olg lafiTtgacs svcpriybCaig ts Kai ^agrvQLUig als ft's Evasßiov slariv^yAaaQ'S ETtLO-aoTtov i]dri Kcciaagsayv bvta . . . amgav v^äg syasifisvag avtbv acpstsQL^ofisvovg. Die Eingabe [libellus'] der Antiocbener muß die Antwort auf das erste, ungnädige Schreiben des Kaisers gewesen sein : natür- lich meinte man in Antiocbien, daß Euseb bei Hofe persona grata sei. Die letzte Ausgabe der Kirchengeschichte mit den ausgiebigen Huldigungen an den gott- geliebten Kaiser war ja längst erschienen.

2) Es hat viel für sich, diese Synode mit derjenigen zu identificieren , deren Kanones in das Corpus aufgenommen sind. Denn in deren Subscriptionen steht Euseb von Caesarea an der Spitze, dem der Kaiser nach der Ablehnung ausdrück- lich befahl an der Synode teilzunehmen [Eus. Vit. Const. 3, 61, 3] ; dagegen fehlt der Bischof von Antiocbien, dessen Name unbedingt zu erwarten ist: die Synode fand also während einer Sedisvacanz statt. Die einzige Schwierigkeit ist nur, daß Aetios von Lydda, der sicher auf der Synode war [Brief Constantins bei Eus. Vit. Const. 3, 62], in den Subscriptionen, so weit sie mir bekannt sind, nicht er- scheint; freilich sind die lateinischen Listen noch nicht zuverlässig publiciert.

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sonderen Eindruck machen. Denn sie wissen daß Euseb, Atlia- nasius und E-ufin von den drei Fortsetzern Eusebs benutzt sind und Sokrates wiederum für Sozomenos und Theodoret die Grund- lage bildet, die scheinbar also weitverzweigte Ueberlieferung sich bei näherem Zusehen sehr vereinfacht. Je einfacher aber eine Ueberlieferung ist, um so mehr Lücken wird sie aufweisen.

Euseb hat aus guten Gründen darauf verzichtet die letzte Ausgabe seiner Kirchengeschichte mit einer Schilderung der ersten oekumenischen, unter dem Vorsitz des Kaisers abgehaltenen Sy- node zu krönen: ihm ist der arianische Streit und seine Ent- scheidung die böseste Erinnerung seines Lebens gewesen. In dem panegyrischen ßuog Constantins konnte er Nicaea nicht übergeLn, aber die Form die er für sein Buch gewählt hatte, gab ihm das Recht das Licht genau auf die Stelle fallen zu lassen, die in voller Helligkeit strahlen sollte, und die Schatten wegzuretouchieren. So hob er das heraus, was in der Tat von der größten geschichtlichen Wichtigkeit war, daß bald nach der großen Verfolgung, unmittelbar nach den Chicanen des Licinius, nicht mit Erlaubnis, nein auf Befehl des Kaisers die größte und glänzendste Bischofs Versamm- lung zusammentrat, die die Christenheit je gesehen hatte, daß der Kaiser an allen Beratungen teilnahm und persönKch die Ent- scheidung herbeiführte; er hob zweitens hervor daß die Glorie, mit der Constantins Sieg über Licinius die Kirche umgab, getrübt wurde durch den unseligen Zwist der Christen untereinander und daß die Weisheit des Kaisers es war, die diesen Streit schlichtete. Es waren nicht bloß rhetorische, sondern auch sehr politische Gründe die ihn veranlaßten grade diese Seiten hervorzuheben. Er schrieb die Vita Const. Ende 337, als die rechtswidrige Aufhebung der Relegation des Athanasius durch den jüngeren Constantin schwere Kämpfe in Aussicht stellte und Euseb dringend wünschen mußte daß Constantins gegen den ehrgeizigen und streitlustigen Patriarchen den Frieden wahrte. Die wohlberechnete, aufs sorg- fältigste abgewogene Darstellung wollte er nicht dadurch stören, daß er das längst vergessene, von der Sonne der kaiserlichen Gunst überstrahlte Mißgeschick erzählte, das ihm und zweien seiner Freunde durch eine Ueberrumpelung seiner Gegner zugefügt war; an diesem Verschweigen konnte und kann niemand etwas Wunder- bares finden.

Euseb hielt es für nötig sich seiner Gemeinde gegenüber zu rechtfertigen daß er das Nicaenum mitsammt den Anathematismen unterzeichnet hatte: der Brief ist lange nachher von Athanasius in der Schrift über die Beschlüsse der nicaenischen Synode publi-

zur Geschichte des Athanasius VII 361

eiert nnd dadurch in die Kirchenhistoriker gelangt. Auch die Häupter der antialexandrinischen Partei, Euseb von Nikomedien und Theognis von Nicaea, hatten solche Schreiben an ihre Gemeinden erlassen [Brief d. Eus. und Theognis Grelas. 3, 11 = Mon. sacra et pro f. bibl. Ambros. 1, 143. Socr. 1, 14, 3. Soz. 2, 16, 4]. Nach Eusebs Darstellung legte er schriftlich der Synode das Taufbekenntnis der Gemeinde von Caesarea mit einer am Schluß angehängten, persönlichen Erklärung vor: es wurde vom Kaiser und auf seine AuiForderung von der gesammten Synode als rechtgläubig aner- kannt. Damit war der provisorische Beschluß der antiochenischen Synode aufgehoben, und das hatte Euseb allen Grund seiner Ge- meinde mitzuteilen. Den feinen Hohn daß er jenen Beschluß, den natürlich weder er noch seine Gemeinde je anerkannt hatten, überhaupt als nicht existierend behandelte, wird man in Caesarea verstanden und gewürdigt haben. Andererseits erklärt die provi- sorische Aufkündigung der Gemeinschaft durch die antiochenische Synode die sonst räthselhafte Thatsache, wie grade Euseb von Caesarea, der weder die eine noch die andere Partei führte, dazu kam sein heimatliches Taufbekenntnis mit einem persönlichen Schluß vorzulegen : er mußte gegenüber dem Urteil der antioche- nischen Synode seine Rechtgläubigkeit beweisen. Die neugefundene Urkunde widerspricht also keineswegs dem sehr wenigen , was vorher über den Verlauf der nicaenischen Synode bekannt war, sondern klärt den wichtigsten und urkundlichsten Bericht darüber in einer so überraschenden und lebensvollen Weise auf, wie es bei einer Fälschung nie möglich gewesen wäre^).

Athanasius ist nie ein Geschichtsschreiber gewesen und hat es nie sein wollen: er war ein Politiker und griff zur Feder nur, wenn er politische Gründe hatte. Wenn er zu erzählen scheint, ist er in Wahrheit Publicist und ein Publicist, der zwar schlecht und formlos schreibt, aber die Thatsachen mit raffinirten Sach- walterkniifen zu gruppieren und zu verschieben versteht. Er macht sich nichts daraus über seine Zänkereien mit den Meli- tianern Bogen voll zu schreiben und für Lappalien, auf die ge- schichtlich nichts ankommt, einen nngeheuren Apparat aufzubieten; andererseits ist er über die wichtigsten Dinge so schweigsam wie nur je ein Diplomat. Ueber das nicaenische Concil berichtet er nie; in der ganzen Schrift die er darüber verfaßte, steht nichts

2) Ich habe dies alles schon in Kürze in der RE 6, 1412. 1414 auseinander- gesetzt; aber Hr. Harnack scheint diesen Artikel grundsätzlich ignoriert zu haben.

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als dogmatische Polemik ; das Historische soll der Leser den Acten- stücken entnehmen, die er, in sehr geschickter Auswahl, beilegte [vgl. Nachr. 1904, 391 ff.]. So wird er seine Gründe gehabt haben, wenn er die antiochenische Synode mit gänzlichem Stillschweigen übergieng, wie er ja auch die Anfänge des arianischen Streits niemals dargestellt hat. Da er sich sorgfältig hütete dem An- denken Constantins zu nahe zu treten und auf jede nur mögliche Weise bestrebt war, den Kampf den der Kaiser grade nach dem nicaenischen Concil gegen ihn und seinen Vorgänger geführt hatte, in Vergessenheit zu bringen, paßte es ihm den Triumph zu ver- schweigen, den Cons tantin den drei ^Ariane rn' , die von der an- tiochenischen Synode 'verurteilt waren, in Nicaea bereitet hatte: verpflichtet war er als Publicist nicht, alles zu erzählen was er wußte. Daß die antiken Kirchenhistoriker seinen Pamphleten ver- trauten, ist ihnen nicht zu verdenken; daß aber die moderne For- schung es noch nicht fertig gebracht hat sich von dem Bann seiner Publicistik freizumachen und die Urkunden nicht unbefangen zu deuten sich bemüht, sondern sie nur in dem falschem Licht sieht, das er über sie ausgießt, oder sie gar verwirft, wenn sie ihn widerlegen, das ist ein Zeichen, wie wenig sie im Grunde über Tülemont hinausgekommen ist.

Sokrates schreibt im ersten Buch nur Rufin, der wertlos ist, Euseb und Athanasius aus ; was er hinzusetzt, ist wenig und wird noch weniger, wenn Unbrauchbares, wie die Reste einer kurzen Kaisergeschichte oder die auf mündlicher Ueb erlief erung beruhenden Legenden von den Novatianern Akesius und Eutychianus [1, 10. 13] abgezogen werden. Das wertvolle historische Material reduciert sich dann auf eine Sammlung von Briefen des Ar ins (richtiger der Arianer) und Alexanders [1, 6, 41] und das Buch des Makedonianers Sabinus über die Synoden; und auch dieses Material ist nicht aus- genutzt; denn die Briefsammlung wird nur einmal erwähnt und aus Sabinus nur eine Stelle über das nicaenische Concil citiert [1, 8, 26. 9, 28], die den wackeren Kirchenhistoriker weidlich ge- ärgert hatte. So steht bei ihm über den arianischen Streit und das nicaenische Concil so gut wie nichts das nicht bei Autoren, die noch vorhanden sind, zu finden wäre. Die Einleitung [1.5] scheint unter dem Einfluß der Briefsammlung zu stehen [vgl. den Brief des Arius Epiphan. 69, 6. Theodor. 1, 5] ; nach einigen Re- miniscenzen [l, 6, 1. 2] aus Eusebs Vit. Const. [2, 61, 4. 5] folgt die aus der Actenbeilage zu Athanas. de decret. Nie. syn. entlehnte Encyclika Alexanders, an die sich wiederum ein Stück aus Euseb [Vit. Const. 2, 61, 5. 62, 1] anschließt, untermischt mit Trivialitäten

zur Geschichte des Athanasius VII 363

Über Euseb von Nikomedien. Die Melitianer werden nach Atha- nasins [apolog. c. Arian. 59] skizziert und daran der schon er- wähnte, ausdrückliche Hinweis auf die Briefsammlung angeschlossen; aus Euseb [Vit. Const. 2, 63 ff.] stammt der Bericht über Con- stantins Versuch zu vermitteln; daß der von Euseb [Vit. Const. 2, 63] nicht mit Xamen bezeichnete Vertrauensmann des Kaisers Hosius von Corduba war, scheint Sokrates aus Sabinus entnommen zu haben. Dann geht er sofort zur Berufung des nicaenischen Concils über [1, 8]. sich durchweg an Euseb anschließend sowie an den Brief des Euseb an seine Gemeinde, den er bei Athanasius fand. Außer ein paar Einlagen aus Rufin und der trivialen Nennung von drei Arianern' [1, 8, 13] findet sich von wichtigen Zusätzen nur das Citat des Sabinus [1, 8, 24ff.]; auf diesen dürfte auch die Stelle über die Bischöfe die Arius Absetzung nicht unter- schreiben wollten, zurücklaufen [1,8, 31. 32], wo Sokrates nicht scharf genug zwischen den dem Symbol angehängten Anathema- tismen und der gegen Arius persönlich gerichteten Verdammung unterscheidet. Das 9. Capitel ist mit Urkunden angefüllt, die alle aus Athanasius und Euseb entlehnt sind; die Legenden in 1, 10 und 13 sind schon erwähnt; 1, 11, 1. 2 und 1, 12 stammen aus Rufin: nur der Ursprung der Greschichte über Paphnutius 1, 11, 3 ff. ist unbekannt, sie ist jedoch ohne Frage apokryph. Zum Ab- schluß bringt Sokrates die Namenliste und das Datum der Synode nach einem Exemplar des Corpus canonum [vgl. Nachr. 1904, 395 ff.].

Sozomenus fußt durchweg auf Sokrates, er hat nur den einen Vorzug daß er das Synodenbuch des Sabinus viel stärker heran- gezogen hat; aus diesem stammt der ausgezeichnete Bericht über die Anfänge des arianischen Streits [1, 15], der bis zur Synode von Caesarea hinabgeführt ist. Was dann folgt, ist meist durch Vermittlung des Sokrates aus Euseb entnommen ; nur darin ver- räth sich die gelegentliche Heranziehung des Sabinus, daß Sozo- menos den Brief Constantins an Arius und Alexander [1, 16, 2] fälschlich von Hosius Sendung [1, 16, 5] trennt; durch die zwei Gewährsmänner hat sich eine Doublette in die Erzählung einge- schlichen. Wie Sokrates, geht auch er sofort zum nicaenischen Concil über: das Material ist dasselbe wie dort, nur Rufin ist etwas stärker herangezogen, was den Wert der Darstellung nicht erhöht.

Als Sammler wie als Schriftsteller steht Theodoret weit unter den beiden Vorgängern. Doch muß zugegeben werden daß er das Material nicht unerheblich vermehrt hat. Vor allem hat er aus der Briefsammlung sehr wertvolle Stücke mitgeteilt [1, 4 6], nichts

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dagegen aus Sabinus; die Anordnung des Sokrates, nach der auf Hosius Sendung nach Alexandrien sofort das nicaenische Concil folgt, kehrt bei ihm wieder. Ueber die Synode selbst bringt er außer dem was er bei Sokrates fand, und einem Excerpt aus Athanasius epist. ad Afros zwei Neuheiten. Erstens die Notiz daß Eustathius, der Metropolit von Antiochien, das Concil mit der Begrüßungsrede an den Kaiser eröffnet habe. Das ist falsch ; nach Eusebs ausdrücklichem Zeugnis hielt der Metropolit der Provinz, in der die Synode stattfand, Euseb von Nikomedien, die Rede [vgl. RE 6, 1413]. Das zweite ist ein Excerpt aus einem Briefe des Eustathius [1, 7, 18—8, 5], der wohl zu der von Sokr. 1, 23, 6 ff. geschilderten Sammlung gehört: es enthält eine grob entstellte Schilderung der Scene in der Euseb von Caesarea sein Credo vor- legte.

Man sieht : das Material das die Trias der orthodoxen Kirchen- historiker herbeischafft, ist im Grunde dürftig. Die Compilation nun gar des Gelasius enthält zwar sehr Wertvolles, ist aber so urteilslos zusammengestoppelt, daß gegen kein Document das dort fehlt, ein Vorwurf erhoben werden kann, und in dem seltsamen Gemisch von vorzüglichen Nachrichten und tendenziösen Ver- drehungen, das Philostorgius zusammengebraut hat, wird man um so weniger verlangen einen Hinweis auf die antiochenische Synode zu finden, als das Werk nur in Excerpten erhalten ist.

Schließlich ist noch eins zu erwägen. Die Kirchenhistoriker schöpfen im Wesentlichen aus der Publicistik die die kirchlichen Streitigkeiten des 4. Jahrh. in reichem Maße erzeugt hatte; weil die antike Sitte, im publicistischen Kampf Urkunden und Briefe zu veröffentlichen, damals kräftig auflebte, ist die Geschichte jener Zeiten ungewöhnlich reich an Documenten. Neben der publicisti- schen steht aber noch eine andere , nicht minder wichtige Ueber- lieferung, die der Rechtsbücher. Von der wissen die Kirchen- historiker so gut wie nichts: sie kennen z. B. die Synoden von Ancyra, Neocaesarea, Laodicea überhaupt nicht, geben nicht an, welche antiochenische S3niode die Kanones beschlossen hat: auch die Kanones von Sardica erwähnen sie nicht. Von dem wichtigsten Document des melitianischen Streits, dem kanonischen Brief des Petrus von Alexandrien, haben sie keine Ahnung. Nun hat es aber durchaus den Anschein daß die antiochenische Synode dieser Ueberlieferung ihre Erhaltung verdankt. So erklärt es sich auf ganz natürliche und einfache Weise, daß sie in die tralaticische Kirchengeschichte nicht gekommen ist; die Thatsache daß ein so wichtiges Moment des arianischen Streits so völlig aus der Tra-

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dition verscliwand, beweist zugleich, wie lückenliaft, wie zufällig zusammengestoppelt das Material ist, das für die YorgescMclite des nicaenisclieii Concils vorliegt, und daß es wahrhaftig nicht ge- raten ist dies Material durch grundlose Athetesen noch weiter zu schmälern.

Wenn dies Ergehnis (daß nämlich die Synode in Antiochien kurz vor der nicaenischen stattgefunden und das was im Synodal- schreiben steht, beschlossen hat) richtig ist, so bedeutet es einen totalen Umsturz unserer Vorstellungen von der Vorgeschichte des nicaenischen Konzils [S. 477]. Ich hoffe daß Hr. Harnack das für kein Unglück hält; keine Combination schöpft das geschichtliche Leben aus, und neue Funde haben es nun einmal an sich, daß sie Aufklärung an Stellen schaffen, wo man es nicht erwartet hat. Die Unlustgefühle die der Zusammenbruch einer fable convenue hervorzurufen pflegt, gehn die Wissenschaft nichts an, und am allerwenigsten gehört es sich eine Urkunde anzuklagen, weil sie so unehrerbietig ist moderne Hypothesen nicht vorauszusetzen. Wenn das Synodalschreiben nicht zu der 'origenistischen Mittel- partei' passen will [S. 477. 484] , nun gut , dann werfe man das Schlagwort weg: es wird ihm niemand eine Thräne nach- weinen. Hr. Harnack wundert sich daß man in Syrien so orthodox gewesen sei, ivo noch [!] in den dreißiger und vierziger Jahren der Se- miarianismus herrschte und man sich über den Irrglauben der Majorität daselbst so bitter beklagte ! [S. 484]. War denn der Semiarianismus, um ihn einmal als geschichtliche Realität zu acceptieren, eine den Syrern angeborene Eigenschaft? Oder steht es überhaupt auf derselben Linie, wenn vor Nicaea, als es kein oekumenisches Credo gab, 56 Bischöfe für den Bischof von Alexandrien gegen den auf- sässigen Presbyter und seinen Beschützer, den Bischof von Niko- medien Partei ergreifen, und wenn unter Constantius versucht wird die Homousie zu beseitigen, die Constantin in Nicaea dem gesammten Orient aufoctroyirt hatte? Seit dem Sturz Pauls von Samosata ist von Selbständigkeitsgelüsten des antiocheni sehen Metropoliten nichts zu spüren; Eustathius ist sogar ein fanatischer Anhänger Alexanders gewesen. Daß eine in Antiochien abgehaltene Synode, die es überhaupt mit dem alexandrinischen Patriarchat hielt, aus dessen officiellen Erlassen^) das Attribut ^eoxo'nog ent- nahm, hat nicht das mindeste gegen sich : oder soll Nestorius eine

1) Vgl. den Tomos Alexanders Nachr. 1905, 266; daß der Ausdruck nicht etwa hineininterpoliert ist, beweist der Brief an Alexander von Byzanz, Theodoret 1, 4, 54.

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Praeexistenz vindiciert werden? Die große Aenderung tritt ein durcli den Sturz des Eustatliius, als Paulinus, Euphronios, Flac- cillus Metropoliten wurden: da ist Antiochien die Hochburg des Kampfes gegen Alexandrien geworden, und da werden die Formeln Lucians wieder hervorgeholt, von dem Alexander schreiben konnte [Theodoret. 1, 4, 36]: ccTCoövvd'ycoyog sfiscvs xQLcbv STtLöxoTtcjv [von Antiochien, denn er war antiochenischer Presbyter] nokveteig %q6- vovg^ und dessen Verehrerin, die Kaiserinmutter Helena, von Eustathius beleidigt sein sollte. Constantin hat Eustatbius rele- giert, er hat Euphronius und Georg, den späteren Bischof von Laodikeia, den Alexander und Athanasius ingrimmig haßten [Nachr. 1905, 264], als Candidaten für den Thrones vorgeschlagen: die kaiserliche Politik, in der Hauptstadt der Dioecesis Oriens ein Bollwerk gegen die alexandrinischen Herrschaftsgelüste zu schaffen, zeichnet sich scharf und deutlich ab und ist von Constantius weiter geführt. Das sind die harten "Wirklichkeiten die den Gang der Dinge bestimmt haben, nicht so unklare Gebilde, wie ein spezifisch syrischer 'Semiarianismus'.

Mit den beiden Documenten, dem Brief Constantins der die oekumenische Synode von Ancyra nach Nicaea verlegt, und dem antiochenischen Synodalschreiben , sind historische Maßstäbe ge- wonnen, an denen gemessen zu werden allerdings gar manche Darstellung des nicaenischen Concils nicht verträgt. Aber das Geschäft die 'moderne Litteratur' von der neugewonnenen Position aus zu betrachten reizt mich nicht, und ich schätze die Verpflich- tung höher ein zum Schluß den unparteiischen Leser darüber zu orientieren, wie sich die Erkenntnis von dem geschichtlichen Ver- lauf der Dinge ohne und mit jenen Documenten gestaltet. Dabei wird sich herausstellen daß sie nichts von dem umstürzen, was sich durch historische Ausdeutung der Urkunden auch ohne sie gewinnen läßt, daß sie aber diesen Gewinn erheblich ergänzen und vermehren.

Der arianische Streit war ursprünglich eine Episode des Kampfes den der alexandrinische Episkopat seit Demetrius gegen die überlieferten Vorrechte der Presbyter führte. Mit diesem Gegensatz verquickte sich nach und nach der in der origenischen Zeit noch schlummernde Antagonismus der in heidnischer Wissenschaft gebildeten Presbyter und Lehrer gegen den Episkopat, der in der Stadt sich, auf die mit den Almosen zusammenhängenden Massen- organisationen stützte und im Lande die von ihm erst creirten Bischöfe von Gemeinden in der Hand hatte, in denen Bildung kaum vorhanden war. Heraklas und vor allem Dionys waren noch

zur Geschichte des Athanasius VII 367

Origenes würdige Schüler, Dionys außerdem ein Meister der Feder, seinem Klerus überlegen im besten Sinne des Worts. Und doch Latte er nicht nur unter den Verfolgungen der Staatsgewalt zu leiden ; schon zu seiner Zeit brachten diese die extremen Fanatiker in die Höhe, denen der Bischof eher zu viel als zu wenig Bildung hatte. Das wurde in der großen diocletianischen Verfolgung noch schlimmer ; zu ihren bösesten Wirkungen gehört das erschreckende Sinken des geistigen Niveaus in der gesammten Christenheit und in Alexandrien besonders, da die Centren der Cultur in solchen Zeiten am schwersten betroffen werden: welch ein Absturz ist es von der glänzenden Schriftstellerei des großen Dionys zu der stilistischen Unfähigkeit des Athanasius, und wie lange dauert es, bis, fern von Alexandrien, die Kappadokier und Antiochener der Kirche wieder Männer stellen, die nicht bloß eine kirchliche, son- dern vor allem eine geistige Elite sind! Der Sturm der Ver- folgung hatte eben die Talente hinweggeraift oder vom Klerus ferngehalten oder ihre Ausbildung gehemmt. Um so unbequemer wurden die überlebenden Helden der Verfolgung, die naturgemäß den Glaubensfanatismus weiter schürten, auch über die Zeiten hin- aus, wo er eine nuthwendige Waffe gewesen war. Es ist bezeich- nend daß die Melitianer dem Patriarchen den Streit mit Arius aufnötigten und daß dieser den intelligenten, hochgebildeten Pres- byter für den leichter zu besiegenden Gregner hielt : von Alexander an hat das alexandrinische Patriarchat grundsätzlich gegen alles was von Bildung und Wissenschaft nicht nur im Klerus, sondern in Alexandrien überhaupt noch vorhanden war, gestritten; Atha- nasius, Theophilus, Cyrill, nicht die arabischen Chalifen haben, um bequemer herrschen zu können, aus der alten Stätte antiker Wissen- schaft eine geistige Wüste gemacht.

Schon der Streit des Demetrius mit Origenes hatte die Kirche weithin aufgewühlt; aber der Wind der den großen Presbyter von Alexandrien losriß, trug auch den Samen seines Greistes über die Grenzen Aegyptens , das damals noch kirchlich ebenso wie politisch ein Reich für sich war: von Caesarea aus, dem neuen Wohnsitz des Origenes , wurden Palaestina und Kappadokien Pflanzstätten des origenischen Christentums. Die Verbindung mit dem alexandrinischen Presbyterium , in dem Origenes fortlebte, blieb im dritten Jahrhundert lebendig und trieb neue Schößlinge; Pamphilus ist in Alexandrien gebildet und von Alexandrien aus erhält der Thronos von Laodicea in Syrien immer wieder Bischöfe, die auf ihre wissenschaftliche Bildung stolz sind. Es sah eine Weile so aus, als sollte in Antiochien sich ein neuer Mittelpunkt

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bilden; aber die Origenianer fühlten sich in ihrer Macht so sicher, daß sie selbst mithalfen Paul von Samosata zu stürzen und die schnelle Blüte zu knicken. Doch müssen diese Gegensätze, weil sie nur Schul- und nicht Machtgegensätze waren, sich bald ge- mildert haben: im arianischen Streit stehen Lukianisten, Schüler des Pamphilus, alles was an eine christliche Wissenschaft glaubt, zusammen um die Selbständigkeit des alexandrinischen Presbyters gegen den Patriarchen zu schützen; sie ahnten die Gefahr die da heraufzog.

Allerdings spielte auch die große Politik mit hinein. Als der Streit ausbrach, war die Kirche von ihrem letzten Gegner befreit; Constantin ließ von vornherein keinen Zweifel darüber daß er die Kirche nicht nur tolerieren, daß er sie vielmehr zur Mitherrschaft berufen wollte. Und nnn erhob sich die Frage, welche der beiden Parteien den christusliebenden Kaiser in die Hand bekommen würde. Es ist zweifellos der Ehrgeiz des Euseb von Nikomedien gewesen, des Bischofs der kaiserlichen Residenz, der die Opposition gegen das alexandrinische Patriarchat zn einer Partei zusammen- schloß, mit der er zu siegen und zu gewinnen hoffte, und umgekehrt war der Patriarch der Weltstadt nicht gesonnen seinen Anteil an dem Regiment das der Kaiser der Kirche zuwies, mit christ- licher Bescheidenheit zu bemessen.

Der Kaiser war beiden Parteien mehr als gewachsen. Er ließ den Streit sich kräftig entwickeln und trat, als er endlich eingriff, sehr überlegen als Friedensstifter auf. Durch seine Waffen, so schreibt er an Alexander und Arius, habe er die Welt von einer bösen Wunde geheilt und geeinigt, jetzt setze er sich die Aufgabe aller Völker Eifer für das Göttliche zu einem Sinn zu- sammenzufassen '). Für dies Bestreben rechne er auf ihre Mit- wirkung und sei schmerzlich dadurch enttäuscht, daß sie wegen einer törichten und unnützen Streitfrage nicht nur selbst in Un- frieden geraten, sondern den Zwist auch unter die Laien getragen hätten, die unter keinen Umständen mit dergleichen Dingen be- helligt werden dürften, die sie ja doch nicht verstehen könnten. Sie sollten sich schleunigst vertragen; es sei ja gar nicht nötig daß einer seine dogmatische Ansicht aufgebe ; die könne jeder für sich behalten, wenn nur die Religion des Gesetzes [lex = Christentum, wie oft in constantinischen Schriftstücken] unerschüttert bliebe. Als

1) Eu8. Vit. Const. 2, 65 rriv anävzoiv xiäv id-vibv nsgl vb d'siov ngd^BOLv [— propositum, in gutem Griechisch müßte es ngoa^gsaiv heißen] etg [aö codd] ^Uxv s^£<og avGxaaiv sv&aai.

zur Geschichte des Athanasius VII 3B9

Lohn der Versöhnung stellt er schließlich seinen baldigen Besuch" in Alexandrien in Aussicht.

Dem Scheine nach stellte der Kaiser sich über die Parteien; in der Sache unterstützte er Arius. Denn er behandelt ihn, den Presbyter, durchaus auf gleichem Fuße mit dem Bischof; es ist keine Rede davon daß er diesem irgend ein Recht über den Pres- byter einräumt: die Excommunication des Arius durch die von Alexander berufene Synode wird erwähnt, aber die rechtliche Consequenz nicht gezogen. Damit erkannte der Kaiser die privi- legierte Stellung der alexandrinischen Presbyter an, und das will umso mehr sagen, als die Synode von Caesarea kurz vorher das gleiche getan hatte und Arius auf Grrund dieses Synodalbeschlusses nach Alexandrien zurückgekehrt war [Nachr. 1905, 291].

Die Intervention des Kaisers fruchtete nichts ; der dogmatische Streit mußte ausgetragen werden. Früher schien es so als sei nunmehr die oekumenische Synode nach Nicaea berufen. Schon im Occident hatte Cons tantin mit der rücksichtslosen Verwegen- heit die den genialen Despoten charakterisiert, alle Traditionen des Kaiserregiments damit durchbrochen, daß er der mächtigsten Organisation des Reichs, die seine Vorgänger sich abgequält hatten zu zertrümmern, nicht etwa bloß gestattete ihre Angelegenheiten durch Versammlungen ihrer Führer zu ordnen ; nein er hatte beim Donatis tenstreit selbst die Synode berufen, es offen documentiert daß eine Bischofssynode für ein kaiserliches consüium anzusehen sei. Wenn dies schon etwas Neues, Ungeheures war, so erst recht, als der Alleinherrscher eine oekumenische Synode berief. Der Gedanke taucht schon in dem Brief an Alexander und Arius auf; da redet der Kaiser noch von der Hoffnung mit Hilfe der orien- talischen Bischöfe den Donatistenstreit beizulegen [Eus. Vit. Const. 2, 66]. Jetzt trat das umgekehrte ein: die Bischöfe der Oikumene wurden herangeholt um den Streit zwischen dem alexandrinischen Bischof und dem alexandrinischen Presbyter zu schlichten.

Umsonst war der Despot nicht so kühn die Synoden der Kirche zu einer Staatsaction zu erheben. Er tat zwar so als sei er nichts weiter als ein demütiger Zuschauer und Handlanger bei der Ar- beit der heiligen Männer ; in Wahrheit hat er jede Synode die et berief, nach seinem Willen gelenkt. Die Spannung mit der die Parteien der Synode entgegen sahen, kann man sich nicht groß genug vorstellen, und sie verlief, dank der Führung des Kaisers, anders als man nach dem Anfang erwarten mußte. Sie war nach Nicaea berufen, in die Kirchenprovinz des Euseb von Nikomedien; dieser begrüßte den Kaiser. Aber der Ausgang bedeutete alles"

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse. 1908. Heft 8. 20

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andere als dessen Sieg. Die arianischen Formeln wurden ver- urteilt; umgekehrt setzte der Kaiser persönlicli durch, daß nicht das Credo Alexanders sanctionirt wurde, sondern führte etwas für den Osten ganz Neues ein, die occidentalische Einheit der Substanz des Vaters und des Sohnes. Daß dabei Hosius sein Berater war, daß er durch ihn wnßte, der Occident würde eine solche Formel bedingungslos annehmen , ist eine Vermutung die ohne Weiteres einleuchtet.

Daß Constantin hier zuerst und in schroffster Weise den Grrundsatz durchführte, der für seine Kirchenpolitik immer das oberste Gresetz geblieben ist, sich niemals mit einer kirchlichen Partei zu identificieren, ließ sich immer schon erkennen. Er brachte es durch die Einführung der Homousie in das Symbol dahin daß weder Alexander noch Euseb von Nikomedien in Nicaea siegten; wenn die Alexandriner sich nachträglich den Sieg zuschrieben, so taten sies mit schlechtem Gewissen und nur aus Politik: der Kaiser hat sie außerdem ihres Sieges nicht froh werden lassen. Den Presbyter ließ Constantin zunächst fallen um ihn bei passender G-elegenheit wieder hervorzuholen.

Wenn sich die großen Linien auch heraushoben, so blieb im Einzelnen doch vieles unklar. Man verstand vor allem die Rolle nicht, die Euseb von Caesarea spielte, auch nicht die Härte des Kaisers gegen Arius, die mit dem Brief an ihn und Alexander auffallend contrastiert; warum endlich wurde die Demütigung Eusebs von Nikomedien dadurch noch verschärft, daß sie in seiner eigenen Provinz sich abspielte? Da treten nun die beiden Ur- kunden ein. Der Kaiser dachte zunächst nicht an eine Synode beider Reichshälften, sondern, wie es scheint, nur der asiatischen Provinzen ; er berief sie nach Ancyra, in den Bischofssitz Marcells, eines der wütendsten Gegner des Arius und aller die es mit ihm hielten. Damit ist nicht gesagt daß Constantin Alexander den Sieg zuwenden wollte. Was er plante, läßt sich nicht erraten, aber es darf allerdings vermutet werden, daß die Anhänger Alexanders aus der Wahl Ancyras zum Ort der Synode schlössen daß der Kaiser zu ihren Gunsten entscheiden würde; einige Heiß- sporne in Syrien und den benachbarten Provinzen hielten jetzt den Augenblick für gekommen rasch ein Praejudiz zu schaff'en. Sie benutzten die Sedisvacanz in Antiochicn um eine Synode zu- sammen zu bringen, die über Disciplinfragcn beraten sollte, und setzten, als sie zusammengetreten war, sofort den arianischen Streit auf die Tagesordnung. Ofi'enbar war die Sache gut in- ßceniert; mit imposanter Majorität wurde ein Glaubensbekenntnis

zur Geschichte des Athanasius VII 371

das dem Alexanders so ähnlich sah wie ein Ei dem anderen, an- genommen, und den drei Gegnern, die sich in die Löwenhöhle gewagt hatten, die Gremeinschaft gekündigt, freilich nur provisorisch. Grar zu offen durfte der Respect vor der bevorstehenden kaiser- lichen Synode nicht verleugnet werden, obgleich der Sache nach dies improvisierte Concil der vom Kaiser in die Wege geleiteten Entscheidung in kühner, um nicht zu sagen, unverschämter Weise Vorgriff.

Der Gegenzug des Kaisers blieb nicht aus. Er verlegte zu- nächst die Synode nach Nicaea; damit war documentiert daß der Metropolit der Residenz noch lange kein todter Mann war und der Kaiser jede Yorausberechnung seiner Gnade oder Ungnade zu vereiteln verstand. Gleichzeitig wurde der Gedanke einer oekumenischen Synode jetzt ausgeführt; eine solche hatte die Autorität, die genügte um die antiochenischen Beschlüsse igno- rieren zu können. Endlich erklärte der Monarch an den Be- ratungen teilnehmen zu wollen, wiederum ein unerhörtes Novum, für das auch im Occident kein Praecedenzfall vorlag. Das war klar: der Kaiser wollte die Kirche zur Einheit zurückzwingen und zwar so daß das Verdienst der Einigung ihm zufiel.

Das Concil trat in Nicaea zusammen. Durch die antiochenischen Beschlüsse war der Streit verschlimmert ; die Excommunication von drei Bischöfen, darunter einem Metropoliten, wurde damals nicht so leicht genommen, wie in den Zeiten von Constantius und Valens. Hier griff der Kaiser gleich zu Anfang ein: Euseb von Caesarea wurde von ihm persönlich rehabilitiert, seine beiden Leidensge- nossen natürlich auch. Aber der Kaiser war weit davon entfernt, darum nun auch Arius zu schützen: er hatte zu wenig Macht hinter sich, wie die antiochenische Synode gezeigt hatte, und zu- gleich mag Hosius den Kaiser darüber aufgeklärt haben, wie ge- fährlich eine Entscheidung für die Formeln des Arius im Westen wirken würde. So gab er den Presbyter preis, weil sichs nicht lohnte ihn zu halten. Dagegen wollte er dem alexandrinischen Patriarchat keinesweges zu einem glänzenden Triumph verhelfen; das ging schon darum nicht, weil er dann die ordnungswidrige antiochenische Synode, die seine Pläne durchkreuzt hatte, im Grunde approbiert hätte. Unter diesen Umständen blieb für den Herrscher der Welt und der Weltkirche nichts anders übrig als die Formel des Occidents durchzudrücken, der am Streit gar nicht teilge- nommen hatte. Daß den wenigen, die überhaupt vom Dogmatischen etwas verstanden, dies blutsauer wurde, rührte den klar rechnenden Despoten nicht: er wußte genau, daß die Kirche die er an der

26*

372 ^- Schwartz

Grlorie seines Sieges hatte teilnelimen lassen, der er eine Mani- festation ihrer oekumenischen Ausdehnung und ihres politischen Ansehns verschafft hatte, an die drei Jahre früher niemand zu denken wagte, daß diese Kirche ihm den Wunsch nicht versagen würde ein Wort in das Credo aufzunehmen, das sich schließlich zurechtdeuten ließ. Und die Bischöfe taten ihm den Willen; es glückte ihm auch nach kürzerer oder längerer Zeit nicht nur Euseb von Nikomedien , sondern auch Arius selbst in die Kirche zurückzuführen. Als Athanasius sich hartnäckig weigerte den verhaßten Presbyter aufzunehmen, holte der Kaiser langsam, aber sicher zu dem Schlage aus, der den Stuhl des h. Marcus bis in die Grrundfesten erschüttern sollte ; zehn Jahre nach dem nicaenischen Concil wurde Athanasius in aller Form Rechtens von einer großen Synode in Tyrus abgesetzt und vom Kaiser relegiert. Er hatte auf der ganzen Linie gesiegt; die Kirche war ein ohnmächtiges Werkzeug in seiner Hand; nichts bezeichnet seine diabolische Politik, nie eine Sache zu voller Entscheidung zu bringen, besser als daß er das alexandrinische Patriarchat vacant ließ. Kaum war er todt, da ließ Gonstantin der jüngere Athanasius zurück- kehren ; es war ein arger Recht sbruch und eine schwere Beleidigung nicht nur für Constantius, sondern auch für die Bischöfe die in Tyrus das Urteil gefällt hatten. Sie wehrten sich nach Kräften, brachten es auch fertig daß Athanasius das Feld räumte; aber sie verdarben ihre Position dadurch daß sie nun den Versuch machten das nicaenische Symbol wegzuschaffen. Bei den Bischöfen ist das begreiflich; die Wesenseinheit des Vaters und des Sohnes widerstrebte nun einmal der Entwicklung die die Theologie im Osten genommen hatte, und man kann es den Männern die in Nicaea das sacrificium intellectus hatten bringen müssen, nicht verdenken daß sie die aufoctroyirte Formel abzuschütteln ver- suchten. Dagegen war es ein schwerer politischer Fehler daß Constantius, statt sich auf den Kampf gegen den unbotmäßigen alexandrinischen Patriarchen zu beschränken, sich in den dogma- tischen Streit hineinziehen ließ und sich einer Partei auslieferte; damit gab er das Spiel aus der Hand.

Ich bin am Ende. Hr. Hamack prophezeit [S. 478] daß das 1905 zuerst publicierte antiochenische Synodalschreiben sich des Liclvts nicht lange erfreuen wird. Ich fühle mich zu sehr als pro- fanen Menschen um den Propheten ins Handwerk zu pfuschen und begnüge mich daher die Tatsache zu constatieren , daß es Hrn. Hamack nicht gelungen ist die beiden Urkunden , das Synodal- schreiben und den Brief Constantius über die Verlegung der oeku

zur Geschichte des Athanasius VII 373

menischen Synode von Ancyra nacli Nicaea, in das verdiente Dunkel [S. 478] zurückzubef ordern , aus dem ich sie seiner Meinung nach nicht hätte hervorziehen dürfen, wenn ich meine wissenschaftliche Reputation nicht aufs Spiel setzen wollte. Er hat sich grade darüber recht deutlich ausgesprochen: die folgenden Ausführungen werden zeigen^ daß die Beobachtungen^ ivelche gegen die Echtheit sprechen, offenkundig sind; ja sie liegen so sehr an der Oberfläche des Problems, daß man sich tvundert, wie sie einem Kritiker entgehen konnten [S. 478]. Das ist die Sprache mit der die Zunft den Bönhasen hinausweist. Sie setzt mich weder in Schrecken noch in Erstaunen. Die Erkenntnis hat sich eben noch nicht durchgesetzt und wird es auch sobald nicht tun, daß all das Fachwerk von Kirchengeschichte, Dogmengeschichte, Kaisergeschichte, christlicher Literaturgeschichte und profaner Literaturgeschichte, Kirchenrecht, Symbolik usw. usw. nur vermorschte und verfaulte Bretterzäune sind, die den Zugang sperren zu der einen und unteilbaren Er- kenntnis des geschichtlichen Lebens, mag es sich in den Individuen oder in den Institutionen, in den Ereignissen oder in der litte- rarischen Produktion abspielen. Es ist noch immer Mode das orientalische Material gleichmütig zu ignorieren; was 'nur syrisch' erhalten ist, kann man ungestraft verachten. Im wissenschaftlichen Betrieb sind Sprachgrenzen eine angenehme Sache, weil sie bequem sind: es ist ja auch schließlich einerlei, ob die Uebersetzungen oder die Originale nicht verstanden werden. Fast keine Urkunde des 4. Jahrh. ist so ediert daß die oft sehr mannigfaltige, früh divergierende Ueberlieferung vollständig und gesichtet dem Be- nutzer vorläge, die ßeconstruction der Sammlungen in denen die Documente zuerst publiciert sind, kommt über den Anfang nicht hinaus , weil mit den verlotterten Texten nichts zu machen ist ; die Composition der athanasianischen Schriften, die unmittelbar in die historischen Fragen hineinspielt, ist und wird nicht unter- sucht; wie sollte sie auch, wo die wichtigsten Handschriften noch so gut wie unbekannt sind? Niemand denkt daran auch nur zu fragen, wie denn das Corpus canonum, wie die Sammlungen der kanonischen Briefe zu Stande gekommen sind ; von einer geschicht- lichen Ausdeutung der Kanones ist überhaupt nicht die Rede ; den großartigen Untersuchungen mit denen die Ballerini, Maaßen, Turner die occidentische Ueberlieferung der Quellen des Kirchenrechts auf- gedeckt haben und weiter aufdecken, steht auf griechischem Boden, für die Originale, nichts gegenüber. Was selbstverständlich sein sollte: daß ohne eine archivalische Ordnung, ohne eine strengphilo- logische Durcharbeitung des gesammten publicistischen und kirchen-

374 E. Schwartz zur Geschichte des Athanasius Yll

rechtlichen Urkundenschatzes eine Greschichte dieser Zeiten gar nicht geschrieben werden kann, ist eine rare Weisheit, die taube Ohren findet, wenn sie überhaupt gepredigt wird. Da wills nicht viel bedeuten, wenn ein wichtiges, weithin aufklärendes Dokument bis vor drei Jahren in dem Versteck einer syrischen Handschrift, von keinem 'Kirchenhistoriker' behelligt, geschlummert hat und nachdem es, ans Tageslicht getreten, eine Gefahr für die fable convenue über das nicaenische Concil geworden ist, dem Anathema verfällt und für so vogelfrei erklärt wird, daß es von dem der ohne Angabe der Gründe es verdammt, wohlwollend heißt, er habe fast recht daran getan [S. 478]. 'In keiner Gilde kann man sein, man wisse denn zu schultern fein; . . . das was sie wissen, läßt man gelten; was sie nicht wissen, muß man schelten. Althergebrachtes weiter führen, das Neue klüglich retar- dieren: dann werden sie dir zugestehn, auch nebenher deinen Weg zu gehn'.

Notiz über eine Streitschrift des Herrn Ter-Mikaelian.

Von

F. C. Andreas.

Vorgelegt in der Sitzung vom 11. Juli 1908.

Der armenische Archimandrit Nerses Ter-Mikaelian, Mitglied der Edschmiatsiner BruderscLaft, hat der Gresellschaft eine Bro- schüre zugeschickt, die den Titel führt „Prof. Dr. F. N. Finck und seine Kritik über ,Das armenische Hymnarium' " und sich gegen die im Märzheft der Gröttingischen Gelehrten Anzeigen für das Jahr 1906 (S. 239— 249) erschienene Besprechung des Herrn Finck wendet. Der Verfasser der Antikritik wirft Herrn Finck vor, ;,aus seiner Kritik eigentlich eine konfessionelle Streitschrift ge- macht zu haben " und von seinem katholischen Standpunkte aus bei der Besprechung einer wissenschaftlichen Arbeit Haß und Ver- bitterung gegen ihn, den Verfasser, und einige andere Mitglieder der Edschmiatsiner Bruderschaft zum Ausdrucke zu bringen." An diese allgemeinen Vorwürfe schließt sich der Versuch, die einzelnen von Herrn Finck in seiner Besprechung gemachten Ausstellungen zu widerlegen.

Weder hier noch dort ist Herr Ter-Mikaelian glücklich ge- wesen. Denn wer die Besprechung des Herrn Finck liest, sieht ohne weiteres, daß sie mit vollster Unbefangenheit und entschie- denem Wühlwollen geschrieben ist. Von einer katholischen Ten- denz, die an sich bei einem Manne wie Finck ausgeschlossen ist, findet sich auch nicht die leiseste Spur. Ebenso sind die Ausstel- lungen in einem ruhigen und sachlichen Ton gehalten, und wo ge- tadelt werden mußte, ist der Tadel in eine milde Form gekleidet und an ihn ein Wort der Aufmunterung geknüpft.

376 F. C.Andreas, Notiz über eine Streitschrift des Herrn Ter - Mikaelian.

Liegt der allgemeine Charakter der Fincksclieii Kritik auch für den klar zu Tage, der den armeniseken Studien ganz fem steht, so wird der Fachmann allein entscheiden können, ob es Herrn Ter - Mikaelian in seiner Antikritik gelungen ist, die von Herrn Finck gegen seine Arbeit erhobenen Einwürfe als Irrtümer nachzuweisen. Eine sorgfältige Prüfung hat mir hier ergeben, daß Herr Ter -Mikaelian in keinem einzigen Punkte gegen Herrn Finck im Recht ist. So unterliegt es z. B. keinem Zweifel, daß in dem Bericht des Kyriakos von Grandsak über die von den Übersetzern des 5. Jahrhunderts herrührenden Teile des Hymna- riums der Ausdruck up^ng uiJh'blrßni^, den Herr Ter -Mikaelian mit aller Heiligen " übersetzen will, nur die ihm von Herrn Finck gegebene Bedeutung des Allerheiligenfestes haben kann, die allein in den Zusammenhang paßt. Und wenn Herr Ter-Mikaelian Herrn Finck vorwirft, „Hymnen zur Greburt Christi" übersetzt zuhaben, anstatt „Hymnen der Geburt Christi", weil im Armenischen der Grenetiv stehe („ der Text ist einfach genetiv ") , so beweist das nur des Herrn Ter-Mikaelian ungenügende Kenntnis des Deutschen.

Ein weiteres Eingehen auf den Inhalt der Broschüre ist nicht nötig. Das Vertrauen, das die engeren wie die weiteren Fach- genossen in die Unbefangenheit und Sachkenntnis des Herrn Finck setzen, wird durch sie in keiner Weise berührt.

Cod. Paris, syr. 62

E. Schwarte, Zur Geschichte des Athanasius VII

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Zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens.

Von

Wilhelm Meyer aus Speyer, Professor in Göttingen.

Vorgelegt in der Sitzung vom 11. Juli 1908.

I

Versus Pagani Bolotini de falsis heremitis, qui vagando discurrunt.

Unter diesem Titel hat eine Hand des 13. Jahrhunderts in die lateinische Handschrift 8483^) in Paris auf den Blättern 112* 114* 388 Hexameter eingeschrieben. Dies G-edicht ist in der Hi- stoire litteraire de la France XI (1759) S. Iffl. besprochen, wo auch 55 Verse ^) daraus abgedruckt sind, allerdings mit lächerlichen Fehlern.

Paganus ist kein besonderer Dichter. Die einzelnen Aus- drücke sind oft stumpf und der Aufbau des Ganzen ist wenigstens mir nicht klar geworden.

Die von Paganus gewählte Form der Dichtung ist mehr auf- fallend als schön. Er schreibt Adonico metro, 'quod dactylo spon- daeoque constat', wie Ordericus Vitalis, Historia ecclesiastica V 2 (ed. Prevost 1840 II p. 311) von einem Epitaphium sagt, welches beginnt : Hie iacet Hugo * Lexoviensis * clarus honore.

1) lieber die ganze Handschrift handelt B. Haureau, Notices et Extraits, I 1890 p. 357—387. Jeder Vers des Gedichtes beginnt mit einem großen Buch- staben.

2) In der Histoire litteraire sind gedruckt die Verse: 1—26, 33—38, 195 205, 327—338.

K?l. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolo g.-histor. Klasse 1908. Heft 4. 27

378 Wilhelm Meyer,

und welches wahrscheinlicli von demselben Pagamis gedichtet ist,

d. h. das Gedicht besteht aus fünfsilbigen Kurzzeilen _uvj

Daß je 3 derselben eine Langzeile d. h. einen Hexameter bilden sollen, geht daraus hervor, daß die 15. Sübe anceps ist und daß von V. 21 ab je der 3. Adonier reimt'):

Hec nova nostro ' pessima tabes * fluxit ab evo nostraque tali' commaculantur tempora nevo. Natürlich tritt nach jedem solchen Reimpaar Sinnespause ein. Dagegen in den Versen 1—20 sucht der Dichter noch nach der Reimform. So könnte man die Verse 8 und 9 (ebenso 1 und 2, 4 und 5, 10 und 11) auch also drucken:

(8) Plus et habundans* pauper habetur.

Jam pnto verum* (9) quod perhibetur:

Pectus avarum' non miseretur. Anch die Regeln des Reims sucht sich der Dichter. In den genannten dreigeteilten Hexameter paaren finden sich unvollkommene Reime: 1/2 andus, ictus, osns; 4/5 entur, antur; 10/11 arus, agnus; dann in 16/17 atem:urbem; 18/19 utis : osis. Erst von V. 20 ab ist der Endreim regelmäßig zweisilbig. Selten steht nur ein- silbiger Reim (23 25 35 39 139 169 195 203? 289 303 315 321 337) oder nur zweisilbige Assonanz (53 65 163? 179? 275 309 325). Dagegen findet sich noch ziemlich oft die Reimfülle, daß 4 oder gar 6 Hexameter hinter einander mit demselben Reim endigen; vgl. 67/70 73/6 77/80 87/90 197/200 201/4 229/32 233/6 249/52 297/300; 127/32 175/80 205/10.

Dieses Suchen und Schwanken in der Reimkunst hat in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wenig Auffallendes, da damals der zweisilbige Reim noch etwas Neues war und auch z. B. der Primas einzelne Leoniner und Paare von Caudati gemischt hat.

Der Inhalt ist es, der dies Gedicht wichtig macht, nicht die Schönheit der Darstellung oder der Dichtungsform. Zuerst ist der Verfasser und die Zeit des Gedichtes festzusetzen. Ordericus Vitalis (ed. Prevost III 435 ; s. nachher) sagt ausdrück- lich: Paganus, Camotensis canonicus, cognomento Bolotinus, pul- chrum Carmen Adonico metro nuper edidit. lieber diesen Paganus habe ich keine andere nützliche Notiz gefunden. Die Bezeichnung 'Carnotensis canonicus' ist mit dem Verse 25 zu verbinden: Hec mala pestis . . graviori pondere nostram deprimit urbem. Orde- ricus hat seine Notiz im Jahre 1135 geschrieben (p. 444 Jam fere

1) Gewöhnlich sind diese künstlichen versus Adonici reicher gereimt: vgl. meine Gesammelten Abhandlungen I 91.

zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 379

37 anni sunt , ex quo (a. 1098) Eodbertus . . Cistertium incoluit). Das Gedicht ist also kurz (nuper) vor 1135 verfaßt. In V. 293 306 wird von Hugo, der 1109 1121 Bischof von Nevers gewesen ist, wie von einem niclit mehr Lebenden gesprochen. Also ist das Gedicht zwischen 1121 1135 verfaßt. Die Verse 195/6 lauten: ISTovimus omnes hanc novitatem religionis : prima duobus terque decenis venit ab annis, d. h. wir alle haben diese Neuerung erlebt; der Anfang geschah vor dreimal zehn + 2 == vor 32 Jahren. Das ergibt, daß der erste der Orden, welche Paganus bekämpft, kurz vor 1103 ge- gründet worden ist. Wie viele Stellen des Gedichtes zeigen, hatte dieser Orden helle Kleidung. Der 1095 entstandene Orden von Fontevrauld kann nicht gemeint sein; denn in ihm hatten die. Frauenklöster die Herrschaft über die Männerklöster, worauf im Gedicht niemals angespielt wird; dann hatten die Mönche dieses Ordens noch schwarze Kleidung. Es bleibt nur der Cister- cienser Orden, welcher 1098 gegründet ist. Denmach hat Paganus dies Gedicht im Jahre 1130 in Chartres verfaßt.

(Inhalt) Ich habe nicht wiedererkennen können, in welcher Weise Paganus seine Gedanken gegliedert hat. Doch sind vor- erst 2 kleinere Teile des Ganzen sicher zu erkennen :

I In V. 59—84 (240) verteidigt Paganus den Stand der Welt- geistlichen, der Clerici, welchem er selbst angehört, gegen AngrifiPe.

II Dann in V. 1 93 222 verteidigt Paganus die Monachi nigri d. h. die Benediktiner gegen die AngriiFe, welche von den Neuerem auf sie gemacht werden.

III Gegen wen ist nun die übrige Hauptmasse des Gedichtes gerichtet? In der Histoire litteraire XI p. 2 ist gesagt: Ordric Vital, qui fait Töloge de cette piece ä l'occasion des Cisterciens, semble insinuer, qu'ils en etoient le principal objet. Dann wird der oben citierte 196. Vers 'Prima duobus terque decenis venit ab annis' citirt, aber mit dem schlimmen Verderbnis : Prima decennis atqite duobus {= 12) venit ab annis ; dann wird auf diese Fälschung hin argumentirt, daß die Cistercienser, welche 12 Jahre nach der Gründung des Klosters noch auf das eine Kloster beschränkt waren, nicht der Gegenstand dieses Gedichtes sein könnten. Also : Apres une lecture attentive, nous avons reconnu, que cette piece ne con- cernoit, que diverses sociötes d'Hermites, qui s'eleverent en France vers la fin du onzieme siecle et qui n'avoient rien du commun avec r ordre de Citeaux. Dazu wird notirt , daß es überall in Frankreich solche societes d'Hermites gab ; 'Saint Bernard de Tiron en trouva dans le Poitou vers l'an 1100, auxquels il se joignit;

27*

380 Wilhelm Meyer,

S. Robert de Moleme ä Colan dans le Tonnerois, et ä Hauz dans le pays de Troye ; le bienheureux Robert d' Abriselle, dans le foret de Craon'. All das beruht auf der Fälschung der Zahl 12 statt 32. Ordericus Vitalis lobt das Gedicht des Paganus ; als Historiker und Nachfolger des Paganus hat er seine Besprechung sachlicher und besser geordnet; doch kann er uns zum Verständnis des Pa- ganus führen. Ordericus^) spricht zuerst allgemein: (p. 434:)

1) Prosareim und rythmische Verse bei Ordericus Vitalis. Ordericus hat seine 13 Bücher durchaus in Reimprosa geschrieben. Das zu wissen ist oft nützlich, besonders für die richtige Gliederung der Sätze: aber ich kann nicht finden, daß Jemand dies notirt hat. Delisle, welcher in Prevost's Ausgabe (Band V S. XLffi.) den Stil des Ordericus bespricht, bemerkt, daß Orde- ricus gern Verse in das Werk gemischt hat. Diejenigen, welche Delisle auf- zählt, sind alle Hexameter oder Distichen. Sie sind wechselnd gereimt, bald ein- silbig, bald mit zweisilbiger Assonanz, bald mit zweisilbigem Reim, entsprechend der Zeit bis 1140. Im Annuaire - Bulletin de la Societe de l'Histoire de France 1863 II p. 1 13 hat Delisle aus einer Hft in Alen^on (no 1 fol. 30) 258 ryth- mische Fünfzehnsilber in dreizeiligen Strophen gedruckt, welche dort von der Hand des Ordericus eingeschrieben sind. Delisle beweist, daß sie auch von ihm verfaßt sind. Der Reim schwankt auch hier: z, B. ura- ima* ula oder ules: eres - ipes. Riat ist nicht selten. Die erste Halbzeile zu 8 u ist fast immer geteilt zu 4_u-|-4 u; also ist S. 3 zu teilen Nunc ad mödum senescentis vacuatur viribus {nicht ädmodum). Doch sind sicher die Ausnahmen : S. 7 Ossibus nervis compactum; Post novem menses materna; S. 8 Ira fraus atque cupido; S. 13 Virgines electae dei und Quatinus inferni poenas. So mögen auch die Verse echt sein, welche durch leichte Umstellung regelmäßig gemacht werden könnten: S. 5 Nam dei plebs; S. 7 Velut lac matris; S. 8 Postquam sum puer; S. 11 Qui primus haberis. Die zweite Halbzeile muß 7 Silben zählen. Zu bessern sind also die Halbzeilen : S. 7 deum unanimes (unianimes?) und S. 7 deus tuus unigenitus {tilge tuus?). S. 4 findet sich die seltene Bildung des Schlusses: vapuläbunt fn Stige. Sehr häufig ist hier der Taktwechsel: S. 7 post cärnis di- vigia {bessere: diiugia); 2 Mal mit dem sonst gemiedenen daktylischen Wort- schluß: S. 9 felicltßr d^cora und S. 11 victöribüs glöriam.

Auffallend wäre es, wenn Ordericus zwar diese rythmischen Fünfzehnsilber gedichtet, aber in seine Historia keine rythmischen Zeilen eingesetzt hätte. Doch er hat es getan: freilich haben die Herausgeber diese Verse als Prosa gedruckt. Im 9. Buch Kap. 15 (Band IH S. 605) besteht der Gesang der Muhamedanerinnen aus genau denselben Zeilen (15), wie die oben besprochenen Gedichte, ebenfalls in dreizeilige Strophen gegliedert; der Anfang lautet:

Machometi deo nostro dignas laudes pangite victimasque immolate cum iocundo crusmate, ut vincantur pereantque formidandi advenae. Der Zeilenbau und der Reim haben die gleichen Eigentümlichkeiten. Ein anderes rythmisches Stück fand ich, beim Durchfliegen der Bände, in der Einleitung zur Erzählung dieses Kreuzzuges. Das 1. Kapitel des 9. Buches schließt mit 18 Zeilen zu 8 u, welche beginnen und schließen mit den Versp^aren:

zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 381

passim construuntur coenobia novisque ritibus variisque scbema- tibas peragrant orbem cucullatorum examin«. Hiermit sind sicher die Angehörigen mehrerer Orden bezeichnet, und doch wird von Allen gesagt 'Albedine in habitu suo praecipue utuntur' oder 'ni- gredinem . . moderni tanquam ob maioris iustitiae ostentationem ahiciunt, inusitata quoque pannorum (p. 435) sectione suorum ab aliis discrepare Siip^etunt. Dann aber (p. 435) wird zweitens zu- gesetzt 'plures eis hypocritae seductoriique simulatores per- miscentur, ut lolium tritico, und unser Paganus wird speziell dafür gelobt, daß er 'palliatas horum hypocrisi superstitiones subtiliter et copiose propalavit'. Ordericus selbst will 'palam enucleare, qualiter et a quibus antiqui schematis mutatio nuper coeperit pul- lulare, quoniam posteris lectoribus hoc autumo gratum iore\ Wie macht er dies? Er gibt zunächst die Greschichte des Cister- cienser Ordens bis auf seine Zeit d. h. bis 1035 (S. 435 445), wobei S. 436 und 444/5 die Eigentümlichkeiten dieses Ordens geschildert werden, welcher Benedicts Regel 'ad litteram' befolgen wollte.

Dieser ausführlichen Behandlung des Cistercienser Ordens folgen (S. 446) die Worte : Multi ex eorum fönte sitientes hsmser unt et inde plures rivuli per diversas Galliarum regiones derivati sunt- novae institutionis aemulatores dispersi simt] in Aquitania* in Gasconia et Hibemia mixti bonis hypocritae proced«;^^; candidis seu variis indumentis amicti homines illudiint et populis ingens spectaculum eiüciunt. veris dei cultoribus schemate* non virtute* assimilari plerique gesiiiint suique multitudine intuentibus fasti- dium ingevitnt et probates coenobitas, quantum ad fallaces homi- num obtutus attinet, despicabiliores fsiciunt.

Dann wird berichtet von Andreas aus Vallombrosa, der in Frankreich ein Kloster gründete und viele Brüder gewann. Dann wird von der frommen Tat eines Ritters erzählt. Hierauf (p. 448) wie Bernhard: in praedio Camotensis ecclesiae cum fratribus

In desertis Idumaeae

ad te clamo, Jesu hone . .

Regi regum laus aeterna

Sit per saecla sempiterna. Die im I. Bande eingesetzten Strophen auf Apostel : I 286 Andreas, 303 Jacobus, 805 PMlippus, 321 Thomas, 335 Matthaeus, 345 Simon und Thaddaeus, welche in rjthmischen Senaren gedichtet sind, sind beachtenswert, da der Strophe Andreas noch 4 Senare folgen, welche bei Mone III no 666 fehlen; ebenso folgen der Strophe 'Jacobe' 5 und der Strophe '0 Thoma' 4 neue Senare. Vielleicht finden diese Zusätze sich in den Quellen, welche Chevalier im Repertorium hymnologicum zu den einzelnen Initien notirt.

382 Wilhelm Meyer,

quibusdain constit/^ et in loco silvestri' qui Tiron dicitur* coeno- bium in honore sancti Salvatoris construxif^ (1109). Illuc multi- tudo fidelium utriusque ordinis abunde conflux/^; . . singulis artes* quas noverant legitimas in monasterio exercere praecep/^ ... (p. 449) In brevi consurrexit monasterium nobile.

Dann wird berichtet, wie Vitalis bei Savigni ein Kloster gründete um 1109; (p. 449) ritus Cluniacensium vel aliorum, qui monacbilibus observantiis iamdudum mancipati fuerant, imitatus non €st\ sed modernas institutiones (p. 450) neophytorum* prout sibi placuit* amplexatus est. Viele bekehrte er durch seine ge- waltige Beredsamkeit zur Buße. Sein Nachfolger "(p. 451) et ipse immoderatis adinventionibus studu/^ durumque iugum super cer- vices discipulorum aggregavi/.

Ordericus beschließt seine Darstellung dieser Neuerungen mit den Woiiien: Notitiae posterorum haec annotavi de modemis praeceptor^6//s, qui novas traditiones priscorum praeferunt patrum Tiiibiis^ aliosque monachos secidares vocitant ac veluti regulae prae- varicatores temere condemnant. Studium et rigorem eorum consi- derans illos magnopere non vitupero : attamen maioribus et probatis patribus non antepono . . . Columbanus . . (p. 452) monachilem re- gulam edidit primusque Grallis tradidit. Seine zahlreichen Schüler, vortreiFliche Bischöfe und Aebte, wurden dann mit dem h. Maurus und dessen Grenossen bekannt et ab ipsis . . sancti normam susce- pere Benedicti.

Die Abhandlung des Ordericus 'de modemis praeceptoribus' beginnt S. 435 und schließt S. 451 52. Er, der Benediktiner, liebt diese Neuerer nicht sehr. Doch gesteht er in der Einleitung (S. 435) 'voluntaria paupertas mundique contemptus* ut opinor* in plerisque fervet ac vera religio', und im Schlüsse (p. 451) : 'Studium et rigorem eorum considerans* illos magnopere non vitupero: at- tamen majoribus et probatis patribus non antepono. Dem Orde- ricus sind also die Cistercienser nicht die einzigen Modemi, aber die hauptsächlichen. Von den minder bedeutenden nennt er Andreas von Vallombrosa, Bernhard von Tiron und Vitalis von Savigni. Aber wiederholt (S. 435 und 446) spricht Ordericus von den zahl- reichen hjrpocritae seductoriique simulatores, welche mit jenen weißgekleideten Modernen sich vermischen, populis ingens specta- culum efficiunt suique multitudine intuentibus fastidium ingerunt.

Paganus wird von Ordericus ausdrücklich deshalb gelobt, weil er 'palliatas horum (d. h. hypocritarum seductoriorumque simulatorum) hypocrisi superstitiones subtüiter et copiose pru])a- lavit. Ordericus trifft damit den wirklichen Inhalt des Gedichtes,

zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 383

mehr als vielleicht Paganus selbst zugegeben hätte. Das ist wohl so gekommen.

Bei der Schilderung der mächtigen religiösen Bewegung dieser Zeiten zählen wir meistens nur die einzelnen neu entstandenen größeren oder kleineren Gemeinschaften auf, welche sich neue Satzungen gaben. Aber wie uns die Zeugnisse des Paganus und noch mehr des maßvollen Ordericus beweisen, muß damals ge- schehen sein, was fast natürlich war. J ene schwärmerische Mensch- heit wurde von dem Gedanken, daß man Gott in anderer und in strengerer Weise sich weihen und opfern könne und solle als die Benediktiner es taten, wie von einer geistigen Epidemie ergriffen, und außerhalb der uns genannten mönchischen Vereinigungen müssen sich noch Tausende auf eigene Faust ihre neue Lebensweise zurecht gemacht haben. Es war natürlich, daß auch diese alle nicht den schwarzen Habit der Benedictiner trugen und daß sie alle Genüsse des irdischen Lebens zu fliehen vorgaben. Neben einer kleinen Zahl origineller Köpfe war die Hauptmasse dieser geistigen Einsiedler Schwärmer oder Betrüger.

Die Masse dieser im Lande herumziehenden Phantasten konnte allerdings sehr lästig werden. Gegen sie wollte Paganus zunächst losfahren. Aber diese Schwärmerei war es doch, aus welcher schon im 11. Jahrhundert in Italien und in Südfrankreich die neuen Orden hervorgegangen waren; mit dieser Schwärmerei hingen zusammen die aufblühenden Orden von Grandmont, von Cisteaux, die Karthäuser usw. Neues kann sich nicht zur An- erkennung durchringen, wenn nicht an dem Alten Manches zu tadeln ist. Der Cistercienser Bernhard von Clairvaux hatte um 1125 Vieles am alten Benediktiner Orden getadelt, der Clunia- censer Petrus Venerabilis hatte dagegen seinen Orden verteidigt. Diese hochstehenden Geister hatten die Polemik in der würdigen "Weise geführt, welche von ihnen zu erwarten war. Paganus aber scheint mir ein Polterer und ein ziemlich unklarer Kopf gewesen zu sein. Er nennt keine Namen, weder von einzelnen Personen, noch von Orden. Doch zeigt Vieles, daß er die ganze Masse der Orden angreift, welche nicht Benediktiner waren, nicht etwa nur jene Auswüchse der großen Bewegung, einzelne Personen oder kleine Gruppen, welche Ordericus als hypocritae oder simulatores ausdrücklich absondert. Für eine solche Scheidung ist Paganus zu leidenschaftlich. Er spricht V. 34 : tot oriri religionum monstra videmus; V. 35 stellt er der nigra vestis der Benediktiner als Neuerung nicht nur die vestis Candida, sondern auch die tertia mixtim texta (== tincta) gegenüber; V. 50 greift er an novarum

384 Wilhelm Meyer,

religionum traditiones ; V. 197 wird die ganze Masse der moderno tempore entstandenen Orden dem ordo nigrorum monachornm d. h. den Benediktinern gegenüber gestellt und angegriffen. Daß nicht ,eine einzelne Schaar oder Klasse angegriffen wird, zeigt endlich die Art, wie V. 196 die Grründung des Cistercienser Ordens als Anfang der ganzen unheilvollen Entwicklung bezeichnet wird:

195 Novimus omnes hanc novitatem religionis: prima duobus terque decenis venit ab annis. Paganus hat also die ganze moderne Bewegung im Mönchs- leben angegriffen und dabei selbstverständlich den wichtigsten Teil derselben, den glänzend aufblühenden Cistercienser Orden nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr ihn hauptsächlich eingeschlossen; aber wir dürfen doch auch zur Erklärung von V. 26, daß diese mala pestis . . graviori pondere nostram deprimit urbem (d. h. Chartres) an den Orden von Tiron denken, der sich nach Orde- ricus (III S. 448) Worten in diesem praedium Carnotensis ecclesiae niedergelassen hatte, während eine bedeutende Cistercienser Nieder- lassung nahe bei oder in Chartres um 1130 nicht nachzuweisen ist. Der blinde Eifer des Paganus scheidet aber nicht in der neuen Bewegung den berechtigten oder wenigstens guten und wohlmeinenden Teil von den Betrügern oder Betrogenen. Nur ein Mal, in den V. 309 316, leuchtet die Erkenntnis dieses Unter- schiedes durch, besonders:

313 Non reprobamus* sed veneramur religiöses, non veneramur* sed reprobamus luxuriöses.

315 Absit, ut illos ore procaci dedecoremus,

quos et honestos et quasi sanctos non dubitamus. Doch in der großen Masse der übrigen Verse wird kein Unter- schied gemacht. Die Zahl der falschen Brüder, hypocritae oder Simulator es von Paganus (V. 12 40 154 173) und von Ordericus (S. 435 und 446) genannt, scheint, wie gesagt, eine ungemein große gewesen zu sein; sie hingen ja unstreitig mit dem Aufkommen der bedeutenden Orden, wie dem des Cistercienser Ordens, inner- lich zusammen und trugen zumeist auch ähnlich gefärbte Kleidung : deshalb wurden sie allesamt von Paganus behandelt und bekämpft, nach dem Satze 'Grleiche Kappen, gleiche Brüder'.

Bedenkt man dies blinde Vorgehen des Paganus, dann drängt sich eine weitere Vermutung auf. Er legt Einem der Angegriffenen eine heftige Schmährede gegen die Kleriker in den Mund und fährt dann weiter:

83 Ista docendo nos inhonorat pseudopropheta, qui reputatur vestibus albis anachoreta.

zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 385

Später wird die Masse der Gegner, der hypocritae, mit der Frosch- plage in«Egypten verglichen, welche der Sünden halber jetzt ge- sendet sei :

163 Militat isto tempore magnus pseudopropheta

atque suorum discipulorum falsa moneta (monela?). Dann wird das 6. Kapitel der Apokalypse citirt:

167 Mistica quarti claustra sigilli dum reserantur, temporis huius pseudoprophete significantur.

173 Intimus exit (equus) pallidus: hie est ypocritaram.

179 Decolor hec gens pallida vultu iure notatur. Mit diesem pseudopropheta scheint Paganus eine bestimmte Persönlichkeit gemeint zu haben. Wie er in maßlosem Eifer über die ganze moderne Bewegung im Mönchstum ein falsches Urteil gefällt hat , so , glaube ich , hier über den bedeutendsten Führer derselben, über Bernhard von Clairvaux. Bernhard mischte sich, voll religiösen Eifers, in viele kirchliche Streitigkeiten Frankreichs und hatte es auch gewagt, die Anklagen der Cistercienser gegen Mißstände in dem Benediktiner Orden öffentlich vorzutragen. Es wäre also nicht unbegreiflich, daß Paganus in seinem blinden Eifer ihn als Pseudopropheta in der oben genannten Weise angegriffen hätte.

Das Gedicht des Paganus ist also nicht ein klares und zuver- lässiges geschichtliches Zeugnis, sondern ein Stimmungsbild: mitten in der schwärmerischen Umgestaltung des Mönchtums poltert ein verärgerter und ziemlich kurzsichtiger Weltgeistlicher gegen die Neuerung. Der Hauptwert des Gedichtes besteht darin, daß Or- dericus es citirt und seine eigene Schilderung dieser Verhältnisse (Buch YIII Kap. 26 und 27) mit Rücksicht auf dies Gedicht ge- arbeitet hat. Interessant scheint besonders die Frage, ob das da- malige Aufkommen der großen und kleinen neuen Orden, von denen wir wissen, wirklich begleitet gewesen ist von dem Auf- treten so vieler Schwarmgeister und Betrüger, wie dies aus Pa- ganus zu schließen ist und wie Ordericus ausdrücklich sagt. Es scheint fast natürlich, daß jene große Bewegung von solchen Wellen begleitet war. Diese 'falsi heremitae, qui vagando discurrunt' wären ebenfalls zu der damaligen Landplage, zu den Vaganten, zu rechnen, welche Alles eher waren, als das, wofür sie jetzt in Deutschland gewöhnlich gelten, als die Dichter der weltlichen la- teinischen Lieder nach Art der Carmina Burana. Die zahlreichen von Synoden und Concilen gegen die Vaganten gefaßten Beschlüsse beweisen, daß ein großer Teil derselben nicht dem Laienstand angehört hat.

386 Wilhelm Meyer,

Versus Pagani Bolotini '^

de falsis heremitis. q?d vagando discurruwt.

Ordinis expcrs ordo nefar^dw^, pellib«<5 agni

2 cum sit amict^<65 vult reputari religiös ^^5.

3 Nee tamen actis religionem testificatur *. Horrea* -penus' archa re-plentur, res cum^date

5 multiplica?zt?/r, multiplica>?tes nee sat^r/'antwr.

Nwllaq^/e ])roTsns cotidiani copia qi/estus 7 immoderatos pectoris eins tempe?'at estus.

Plus et habu«daj/s pauper habetur. isan puto yerum, 9 qi(od perhibetwr: -pect'is avaru/» non miseret«*r. Da»/pnat avaros, cum sit avar^/«. dulcia fatwr, 11 cum sit awar^s, corde lupin»^* vestib/^5 a^gnus.

Sic Simulator religionis dum tunicat«<r, 13 religioso vestib^<5 atris assimilat/(r.

Sed Sacra nob?5 e.^se videt»r pagina testis,

15 q^uod pia reddit vita hesitum- non nigra vestis.

Ja,mque solut/<5 menieqiie preceps ad levitate/Ji

17 claustra relinqi(e;?s sepe vagawdo circuit erbe;;«.

Q^uique lege??do sive doce/?do verba salutis

19 fra/ribus intus coinm.od.us esset religiosis:

20 hu7ic modo frustra detinet extra ca?^6^a fore«sis. Hec nova nostro pessima tabes flux?Y ab evo

22 nostrsique tali co?>/mac^dant^/r tem-pora nevo;

Inc^ue ruinas ecclesi&rum tarn maledictum. 24 t&mque nocivu;« no.sfra dederunt secMla ra/>mum.

Hec mala pestis isim p>öpe totum poUuit orbew, 26 sed graviori pondere nö.s/ram deprimit urbe/«.

Nobilitate^)/' nullus honorat nee probitatewi

P = Codex Parisinus lat. 8433 s. XIII fol. 112», 1. Sp. 12. Zeile. Die auffälligen Reime der ersten 20 Verse sind S. 378 besprochen. 3 Reim und Sinn lassen vermuten, daß nach V. 3 ein Vers ausgefallen ist 5 multiplicantes M (== W. Meyer): multiplicantis P, multiplicatis n. saturatuc^ifts^. lit 6 quae- stus : victus Hist. 10 dapnat P 11 amarus M: auarus P 12 sie: in P ein f, an dessen Kopf ein c sitzt; sit Hist, 12/13 scheint zu sagen, daß auch diese Leute zwar helle Kutten, aber schwarze Tuniken hatten. In diesen Tu- niken scheinen sie oft aufgetreten zu sein, denn sie werden in dem Gedicht oft tunicati genannt; vgl. V. 274. lieber die früheste Tracht der Cistercienser vgl. Dolberg's Arbeit im 14. Hand (1S93) der Studien und Mittheilungen aus dem Bened. und Cisterc. Orden 14 Si sacra Hist. 17 reliquit und urbes Hist. 17 orbem M {vgl V.25): urbem P 22 beginnt fol. 112'» 2. Sp. 24 ramnum vgl. Judic. 9, 14 und Psalm 57, 10

zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 387

28 nvILsique morum gratia co)deyi utilitatem.

Q?d saa servant sind et avari vix comede^^tes, 30 qwi coace/va?2t publica passim lucra seq^^(9wtes:

Sint licet isti cowcubitores Bjtque scelesti, 32 tempore nos^ro religiös! sxni et honesti.

Jam quia finis tem-poris instei, ne dubitem?<5, 34 cu?n tot oriri religionu/w mo;?stra videm^/5.

Ca/?dida nigris* nigra sit albis emula vestis, 36 tercia mixtiyy^ texta videtur sa;2c^ior istis;

Et, quasi pa?2nus religionem contersit ulla»?, 38 sie fugit unus' q?/a/;i tulit alter* ferre cuculla^».

Hec q^itasi q^nedsun recia nobis decipiendis 40 i/^sidiatrix hypocritarum t^rba tetendit:

Ut ({uasi tales intus honestos esse putemus, 42 qwos i^a viles exteriori veste videmus.

Tonsus ad aures usq^ne supremas fro>^te pate?^ti, 44 cui nite^ ut nix Candida cervix ore rube??ti,

Tarn sinuosa tamq^e rotu?2da veste togat?k9, 46 quiqwe cot?(rnis ore repandis est hontrat»«:

Bestia taL".s crediti^r arta?» dncere vitam? 48 sed parasitum res probat istum* iion her^^mita^^i.

isTam YSigKS omnes circuit urbes et regiones, 50 dando novar»/» reli(gi)onum tradit/ones;

Arte maligna decipiendo simpliciores 52 iperqiie favores exteriores ambit honores.

Si tarnen illi clam s^bigendi copia det^r, 54 esse nefandi crinii??is actor non reyereiur.

Qluod nee honestas n?dlaq«e viriiis hiinc comitat^r, 66 ebrietates cotidiane testificantur.

Spe^Tiit egentes nee sua cuiq^'a//^ parti(ci)pat?/r, 58 cum satis ill/5 paupmorem se fateat'rr.

Clencus illi sordet et ip.^?/m da^^pnat et odit, 60 sed, manifeste dum min^ö^ audet, clawc^lo rodit:

Qwaliter, inquit, vivere possit religiosus 62 moUibiis utens rebus* habu>2da??s * deliciost^s?

Curve potestas traditur istis hec animarum,

28 morum gratia ist sehr unsicher; auf m folgt eine Ligatur, eher oc oder ot als or, und darüber ein horizontaler Strieh. Dann folgt g; dann 1, oben mit Querstrich, unten mit einer Zunge, so daß 1 vom 1. Schreiber zu r geändert zu sein scheint; endlich a; also hat wohl der 1. Schreiber gloria zu gratia geändert. 31 celesti P 35 fit? 41 putetwr ist zu putemus gebessert 46 Schnabel- schuhe? 50 relionum P 56 fol. 112 b. 1. Sp. 57 parcipattfr P

388 Wilhelm Meyer,

64 qi/os prope nullo tempore tangit cura. suSirum?

Insuper' Siuteni quani hene vivant, fine probatnr, 66 cum moriti/ri se monacandos tunc fateantur.

Rec agit m nos urbis amator, non heremita; 68 SIC fremit in nos non Helizeus* sed G-yezita.

Judicat in nos, q^tiem sua da/>ipnat pessi/z^a vita: 70 nam vel adulte^r clam reperit//r vel sodomita.

Sed q^iwd honesta»* laudeq^/e dignum iwn dubitatifr, 72 subprimit illud, quod bona cleri nemo loq?/at^(r.

Ordinis, inqwit, reg^da nosiTi sola tenetur; 74 ip^a beate premia vite sola meretur.

Altior ista* sa;?c/ior ista nulla uidet?<r. 76 q?d volet ergo salvificari, nos imitet^/r.

Mane refectis pocwla nohis dant^^r a,qi(B.yuni] 78 cepa* legnmen dona ministrant deliciar^<m.

Strata parant?<r fragmi;?e culmi vel palear«^»*, 80 solaqwe nobis- cognita fiunt lustra iersi,nim.

Clericus Siutem premia vite non hrtWtiunis * 82 carnib?<.s utens vinaq/re Sorbens est Epic»rus.

Ista docewdo nos i;?lionorat pseudop/opbe^a, 84 qwi reputatwr vestib^<5 albis anachoreta.

Sed fateat^<r, cur ita fumu/;« diligit urbis 86 seqwe potentuwi gaudeat iv^t^-rponere t'^rbis.

Cwria, credo, dat michi cenas uberiores 88 atqwe Falerni nobilioris mille colores;

Dona potentum caria eoniert atq^<e favores; 90 nee sibi tales prebuit unq^aw« silva sapores.

Dicat et istud, veste s«b alba q/^a Tatione 92 tam spaciose timpora cingi^ iorma, corone.

Hoc tarnen ipsi/m nos manifeste scire fatem^tr, 94 scilice^ ut sie simpliciores deciperem/^r,

Utqwe videntes exteriorem simplicitate/^r 96 iwteriorem non pavitare^it impietatem.

Hoc tarnen unwn qiiero supremu/;/, cur fam?Jatus, 98 quem sibi defert ianior etas, est i/a g/atus?

Nam generale//^ ia.m movet istwd s//.spic/onem,

65 probätur P 66 confiteantwr ist von 1. Hand zu tc fateantwr ge-

ändert 59-66 Angriif auf die Clerici: 67—72 Kritik desselben-, 73—82 Eigenlob: 83— (90) Kritik desselben 86 diligat? 87 seque M: sedque P 87 michi P: sibi? 90 fol. 112 b. 2. Sp. 92 tam M: nam P 94 am Rande sind in P die Worte sciUcet ut sie etc wiederholt^ von anderer Hand ; vgl. V. lOS 94 deciperentur ? vgl. 133 96 pauitaret P

zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 389

100 cum vehementer ledere possit religionem.

Junior, inq^it, quem leviorem reddidit etas, 102 nos imitando vult levitati ponere metas.

Laxa mYenius, s^irituslis nescia doni, 104 his documewtis mawcipat aTiiis religioni;

Doctaqi^e no^^ro vivere sancte discip?/latu' 106 po5^ea Christi fervida perstat suh fam^datu.

Sic iwhonest?Y5 fallit honestos arte loquendi, 108 sed la.tet intus prava voluwtas crunen agendi.

Cnius habenas dum hene nescit iam moderari, 110 non pudet illum tiiri^iter istis associari.

His comitat^(5 vivit oberrans ordi/?e n^dlo, 112 seque tuetwr vestib«/s albis atq^^e cucullo.

'Rusücus omwis, quo sua possit salva tueri, 114 veste s?(b alba religiosus qiierit ha^eri.

Sic decet istu?w talis amict^<5 religionis* 116 sicut asellu?>i, cum tegeretur pelle leonis.

Qluem prius he/bis pascere crudis silva solebat 118 nee saciari posse sec^i^^do pane dolebat:

Iste potentuw? collateralis co?^siliator 120 iuraqi^e tractans fit quasi pnnceps et dominator.

Cum prius esset bestia simplex bic idiota, 122 huic modo currens ob via plaudit regio tota.

Deliciose fercula mense dum t»iplicant«<r, 124 dw)i melioris splendida vini pocula dantur,

Dum favet illi curia, dum sie cslvus habetur: 126 liiiquere silvas' ire per urbes d?dce videtur.

Conciliorum p^rvius hospes tempus odorat, 128 ntqtie vide;i vel nova possit scire, laborat.

Dum quasi sanctiim. quilibet illu>n presul honorat, 130 bubo diumus cor tenebrosum veste colorat.

Vina refutans raro cibat^^r* raro saporat: 132 üetihus undans per pavime/«tum strahis adorat.

Ista videntes i;2sipientes decipiuntur, 134 qtd novitatuM precipitanter laude feruntwr.

Tale sepulchrum sorde repletu^/i dum venerawtitr, 136 ordine digimm pontificali vociferantur.

100 uehemewtur P 108 agendi aus agenti corr. in P; am Band hat eine andere Hand wiederholt die Worte: sed latet intus 111 Vgl. V. 1 Ordinis

expers 112 seque M: neqwe P 114 vgl. V. 1/2 118 Horaz Ep. 2, 1, 123

vivit siliquis et pane secundo 124 fol. 113» 1. Sp. 129 adorat honorat P

390 Wilhelm Meyer,

Sicqtte s?/bmt/ans für in honores ecclesi&mnf, 138 gaudet acervis accumulandis diyicia.rum.

Terq^iie rapinas iste manut»5 fit Briareus, 140 pactaqwe frangens nee bfne co>?staA?s est quasi Prothews.

Namq2re prioris ponere queTÜ vellera vite, 142 ut neque vict^^s^' sed neque vestes sint h«?remite.

Jamq?/e perhorrens asperitates ciliciorum* 144 linea vestit levia ivatrunci more Buorum.

Qluique cavebat vespere fontis sumere potu;/i: 146 nocte Falernuw tercio poscit iam bene notu»^.

Q?/i vigilabat mm prope nona noctis ab hora : 148 mxno, temulent?(5 s^^rgit ad hi;>mos luce decora.

(plaque miselli curvns aselli terga premebat, 150 vix quoque plantas poplite flexo fune regebat:

Magnani^lor/<»^ iam faleratns sessor eqiior^r»^, 152 iam pede tenso plana p<?rerra??s c?^rrit agrorw/w.

Vique ^Mdirmn oimi^ia celet spnrciciarum, 154 hie aliorum fit pa^er et dux ypocritarum.

Eece per orbem m^ddplicata messe honorum^ 156 hec inmiicus semiwa sparsit zizanioram.

No5^raqwe nobis ecee novellas et veteranas 158 misit Egipt»^ de tenebroso flumi«e ranas.

Flumi^za * fontes sta??gna palades rana replevit ; 160 iam super ipsas iwjproba mey?sas scandere suevit.

Hec super omwes pessima nobi.s plaga videt^t/-, 162 haneq^e reatws ult?o no5^ri digna meret^ir.

Militat isto te?><pore magn/rs pseudoprophe^a 164 atq«e s^iorum discipulor^f;;^ falsa moneta.

Nune manifeste prospieiamus, quid supev ipsis 166 Sacra Johannis verba 'pro-phetent Apocalipsis.

Mistiea quarti claustra sigilli du^» resera?2t?tr, 168 tew?poris huius pseudop>ophe/e sig/^^^eantur.

Primi(s equori*;» venerat albi*5 : sacra novorum 170 tempore primo milia signans Chrfs^/colarwm.

Tost Tufus exit: te/><pora signans martiriorMW?. 172 post niger exit: te>/ipora signa;?s scismaticorum.

149 curvus M; curnis P 152 perherrans P 157 vgl Exodus 9 Nraq; P; nostraque versteh ich nicht 158 fol. 113», 2. Sp. 164 monela?

166 Apok. 6, 2 equus albus ; 4 equus rufus ; 5 equus niger ; 8 ecce equus pallidus et qui sedebat super eum, noraen ille mors, et Infernus sequebatur eum et data est Uli potestas super quatuor partes terrae, interficere gladio, fame et morte et bestiis terre.

zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 391

Ultimos exit pallid'^^" : hie est ypocntarwm, 174 iusta sudLnon q<fos male ducit mors Siniumrum.

Q^ne qiiia sem-per presidet illis et dominatur, 176 restat, nt ardens Inferus illos hire sequB.tar.

Ir/ft'?Tis ardens penaq?/e perpes hos comitat2tr. 178 ne locus nllus diffugiendi iam videat^^r.

Decolor h.ec gens pallida yultnni iure notatwr, 180 interioTi p^rdita morbo sive reatu.

Mors ({uia sempe/- corpora reddit pallida, iure 182 ferre videtur preuia mortis signa iuiure.

N^c color ullus cougrmt illis apcius isto, 184 q?fos loca mortis pallida tolleizt iudice Chr^5^o.

Ip^a prophe^e pagina nobis testifica^^^r, 186 hanc quia plagam tam dmturnsim nemo seqiiSiiur.

'E.ec mala radix ex Phariseis orta videtur, 188 g^rmi^xe cnius centuplicato terra repletur.

Pnmit?^s illi nulla nocendi co^fsa patebat; 190 nam s^/b abisso tempore prisco tecta latebat.

'^ed modo vires illa resumens tota revixit. 192 sicque fut^^>iim Christus in isto t^^^^pore dixit.

Ip5a moderwo iem-pore Tnenies dmn viciavit, 194 nobilis- ordo religionis degeneravit.

"Novim^f^ om;?es hawc novitate/^^ religionis : 196 prima duob^fs terq^ue decenis veni^ ab annis.

Ordo nigroru;yi iam monsLchontm wilis habetur, 198 sanctsi({ue claustri vita q^db^^sdam laxa videt?<r,

Ut ^enedicti reg^da sancfi non reputetur, 200 dum cihus istis formaq?/e vestis dispar habetur.

His heremite t^rpiter aude^zt ponere crime/* 202 ocia claustri* mandere pisces atqi^e sagimew.

Hinc manifeste possum^fs horuni noscere crimen, 204 dum sibi quermit ex alieno crimi;?e laudem.

Hec tamen illis obicientes decipiuntur. 206 sed qtäa clandi carcere claustri non paciunt^<r,

179 uulf = vultum P; ob vultu? 184 tollent = recipient? 185 pro- phetae = Johannis? 192 fol. 113^ 1. Sp. 196 der Beginn des Cistercienser Ordens wurde auf 1098 angesetzt. Prima decennis atque duobus venit ab annis Hist. 202 den meisten Mönchen war es verboten sagimen = sagina , Bratenfett^ zu gebrauchen ; vgl. Du Gange VI p. 22: a carne sagimine et a caseo et ob omni pingui pisce abstinere debes. Das galt besonders für die Cistercienser. 205 P hat decipientes und darüber obic, Beides von 1. Hand. Hist.: Hie tarnen illi decipientes decipiuntur.

392 Wilhelm Meyer,

Nec diuti^^Tias aspentates exptriuntur, 208 qwas ben^ norunt, qni studiose claustra secimim'.

Religiosis ocia claustris nulla smunttir', 210 namque vel orant vel sacra patrum scripta legantur,

Kec per amorem dum cor aduruwt atq^/e saginant, 212 dulcia su^«mi nfctaris Ulis mella propinawt.

Talia fluxas ocia curas menie ^epellu/^t. 214 hec c^iioque sentes iam fruticantes inde revellu/^t.

C/arnis et bestes, celica semper q^i specwlantwr, 216 pinguib?/5 escis aut preciosis non saciantwr.

Qwicqnid in escis esse videtur deliciosum, 218 qwando retractant, ad qiiod banelawt, est onerosum.

Experimewtis nee retinentwr deliciarwm, 220 hec Si.nim&rum dampna videntes esse susirum.

Fit monacborwwi gloria maior, dum potuerwwt 222 et iamen escis prorsus ab istis abstinuerwwt.

Ast heremite deteriores i>^veniuIltur, 224 qtd nee babentes" se^^ cupientes ista seeuntur.

Omnihus istis iwgluvies est tanta cihorumj 226 nt manifeste sit deus ipsis venter eorum.

Sicut avaros grandis acervus diviciarnm, 228 haut sec^^5 istos afiicit esus delicisirimi,

Si iamen. ilKs arida pisces silva negavit 230 nee preciosi vina saporis cella paravit,

üt eibus arens et labor art^/5 extenuavit: 232 gens nova sese civibus urbis notificavit.

Q^e nova spargens dogmata prave tradic?onis 234 miscuit inins triste venenum p^rdicionis.

No5^cT, ut aiunt, nullius ordo perdicionis, 236 seJ laicalis forma videtur cowdicionis.

Qwos TL\si quedam pontificalis titrba foveret, 238 rwsticus ordo talia nunq^mm bella moveret.

^ed quia pars hec utra^y^^e cöwsors esse videtur, 240 iam duplicatum clericus bestem iure veretwr.

207 mit nee = auch nicht beginnt der Nachsatz 214 fruticantes M, frutiantes P 218 retractant M, retractat P; wenn sie über ihre Ideale (ad quod anhelant) nachdenken 221 potuerunt frui istis et tarnen 226 fol. 113 b 2. Sp. 231 et cibus?; doch bleibt der Sinn der Verse unklar 235 dasselbe B,eimwort 2 Mal hinter einander zu gebrauchen, ist fehlerhaft. In V. 235 scheint perdicionis durch ein Wort = dignitatis, severitatis ersetzt werden zu müssen, 237 und

nachher: die hier erwähnte Gunst der Bischöfe geht wohl auf die Cistercienser, welche nur mit Erlaubnis der Bischöfe Klöster gründeten und ihrer Jurisdiction sich unterwarfen. 240 d. h. die bischöfliche Curie und diese heremitae.

zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 393

Q?d simidata»i dum foris offe/'t religionem, 242 ardet in omnem cor q?<asi fornax ambitiösem.

Iste vorando quando per urbes transiit istas, 244 pisce comesto non ssiiiirsitus suxit aristas.

Obrata passim stirpit^<5 omms silva videt^^r, 246 utq?(e loc?^stis sie heremitis terra replet?<r.

N^//2C aper- ursus* caprea* cervus non agitant^ir, 248 cum neqiie silve, q^^as coluerunt, isveniant?tr.

Nu^2C heremitis po^^tificalis me^zsa repletwr; 250 küs comitat^(5 religiosus presul ha^etifr.

Per tunicatos pojitificatws cwra tenetwr, 252 ordi?«e dignus vel reprobawd^^s q^äsq^^e videtwr.

Per tunicatos dantwr bonores ecclesiari^m ; 254 uncZe videt?<r precipitari stat?^5 esirmn.

Sed licet istos iurha, pote^^tum sie venereti^r, 256 tocius bui^^s fruct^^s honoris Tdivus habetur.

Nam qusisi fum^^5 preterit hui^(5 glöria vite, 258 qwam male q^^erunt hi tunicati, non heremite.

Sic et honores preripientes atq^^e favores 260 undiqwe, gaudent ferre cucullas m^ddcolores!

Dum monsLchontm sanctsi vigebat vita priorwm, 262 nulla cuculle sola fiebat *mentitiorum.

Omnibus idem* non fuit ulli discolor usus, 264 nee variato vellere traxit stami>^a fusus.

Urbis honores dona potewtum n^dlws amabat: 266 qi/isqwe labori* fletib^^s" imnis iwvigilabat.

Carcere silve quisq^te reclusum se coibebat 268 nee nisi ioniem vespere iantum quisq'^e bibebat.

Sed modo nos^ri semper in aula sunt heremite, 270 desidiose vana sequentes ocia vite.

Novimws istos ventris amieos atqite eibori^m, 272 iwrequietos, more vagantes achefalorwm.

Qwosq^fe vagando per regiones ire videmus, 274 non heremitas* sed tunicatos e^se putemus.

Hos prius herbas reieientes aique legumen* 276 iste culine nidor herilis traxit ad urbem.

247 Nunc M: hc = hunc P 252 videtur wohl = iudicatur per eos 260 fol. 114a 1. Sp. undiquewM^ mit V. 259 Verbunden werden 262 mrirörum = mentitiorum P; mentio *orum? 266 imnis M: ignis P; vgl. 148 surgit ad himnos 267 silue aus siluis corr. P 272 sind hier Insekten gemeint, welche des Kopfes beraubt hin und her fahren?

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse. 1908. Heft 4. 28

394 Wilhelm Meyer,

JJiqne seq?/^^^tis vulnera fiunt causa doloris 278 pnmaqwe culpe causa videtur postmoris:

Sic tunicatis urbe receptis ista secuntur, 280 ({uod modo cives ypocritales esse feruntur.

Possit ut hospes religionis laude notari, 282 omnihus istis officiose vult famwlari.

Tunc piperati piscibus assis accum^/lanh/r, 284 queqtie redundant nectare puro poc?da da,nUir.

Q?dcqwid agat^(r reb/(5 in istis immodcrate, 286 impius hospes cwwputat Siciiim pro pietate.

See? super omwes hec nova res est: esse gulosum 288 et tarnen ipsum velle videri religiosum.

Arte coquorum res pr^ciose quando pßra??tur, 290 deliciosis* non heremitis danda videntt<r.

Non heremite prebeat hospes ferenda, per que, 292 si caro q?(€rit luxi/riari, peccet uterque.

TJgo Nivernis religionis laude iprohsitiis 294 ex heremita sumpsit honore??^ powtificat?/^.

Huwc heremite visere midti sepe solebawt, 296 aurib?<s eins deposituri, si quid ha&ebant.

Hos bene clausos in penet>«li sem-per hahehsit, 298 nee idsi solis religiosis porta patebat.

His adaqwati pocwla vini eowficiebat 300 nee precioso pa^cere quemqumti pisce volebat,

Ne cibtts ullum postea islis sollicitaret, 302 dum sibi caules Sitqiie legamen silva pararet;

Ut nicbil illic post nocit^^rwm discere possewt, 304 preter id, usu cotidiano qiwd didicissent.

Hec ut llonest^fS• non ut avarus* presul agebat. 306 namq«<e saluti sie a.nhnaLTum proficiebat.

Om?^ibus ergo sie heremitis est miserendum 308 nee quasi corvus detineatar proprer edendum.

Hoc heremitas tempore mwltos esse videmus,

278 d. h. (culpa) culpe 283 so M: P hat piperatis und escis, das von

1. Hand zu assis corrigiri ist 293 Hugo, welcher ex eremita Bischof in Nevers geworden ist, wird 1109—1121 angesetzt. Ich dachte daran, ob Hugo vorher Cistercienser gewesen sei. Doch P. Gregor Müller, Herausgeber der Cistercienser Chronik, bemerkte dagegen mit Recht, daß 1109 die Abtei Citeaux noch allein stand und solchen Mangel an Personal hatte, daß die Erwählung eines der Mönche zum Bischof sehr auflfällig gewesen und gewiß berichtet worden wäre. 294 fol. 114»

2. Sp. 300 pascere M: parcerc P 303 discere M: dfe (dicere) P 808 ne?

zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 395

310 nee tarnen omnes religiöses esse fatemur:

Nee ({uia vestes extenores vilificemus, 312 sed quia gratam religione?;? me^^tis hahemus.

Nöw reprobam?(S sed veneramwr religiöses, 314 nee venersunur' sed reprobamus luxwriosos.

Absit, nt illos ore proeaci dedecoremi^c«?, 316 q?/os et honestos et qwasi sawc^os non dubitamws.

Utilis arbor fruetibzis ipsis notificatwr: 318 sed sine fruetu* digna ruina* iure crematMr.

Jam sapientifcwj deeiperentwr eorda virorwm, 320 sed probat illos et manifestat {rnchis eorum.

^on in aeutis uva rubetis viwdemiatt^r, 322 spinaq/<e üeiis eäere dulees n^dla videti/r.

Rec sine fruetu spina per orbe>/* frnetifieavit ; 324 iam rubM,9 ad se cnneta trahendo nos laceravit.

Speniiti^r omwis vita priorum, dum nova surgit' 326 tot?(5 et orbis "post heremitas esse cue«*rrit.

Munieipales Sitqiie potentes hos wenersiniur -, 328 vulgus adorat; iam quia saneti eoneelebrantur.

S^ tarnen horum vita vel actus disenciatur : 330 non erit illis mentis honestas, quanta putatnr.

Sepe videntur eo?^lacrimari cum tribulatis : 332 sed faeit istud gratia lueri* non pietatis.

Scripta legentes : que didicerunt, non imitantnr ; 334 recta docentes : que docuerunt, non operantur.

Fluxa voluptas * laus popularis * grandia dona : 336 hec erit illis ultima merces atque Corona,

Non babituris, que sicierunt, gaudia saneti, 338 dum perituri gaudia querunt emolumenti.

311 Non? 318 fruetu M, fructus P 323 fructificavit ist irrtümlich ge- setzt statt fruticavit (V. 214) 326 esse P: ecce? 328 fol. 114 b 1. Sp. 328 iam quasi? 329 Si Bist: sed P 331 cowtribulatis P, cum tr. M 337 saneti sanctorum = coeli.

28*

396 Wilhelm Meyer,

II

De mutatione mala ordinis Cistercii.

Das folgende Gredicht steht in der Handschrift des Britischen Museums, Cotton Julius A VII f. 88^ bis 90^ Es ist im 14. Jahr- hundert eingeschrieben mit der speziell englischen rundlichen Cursivschrift ; charakteristisch ist, daß statt der horizontalen Ab- kürzungsstriche ein dicker Punkt steht, von dem nach rechts eine dünne Linie ausgeht, welche sich dann nach links wie ein Halb- kreis über dem dicken Punkte wölbt.

Der Dichter ist ein Engländer gewesen; er war nicht nur gelehrt, sondern besaß dichterische Begabung. Das Cistercienser- kloster, dem er angehörte, lag nicht sehr weit von London (V. 176). Entstanden ist das Gredicht wohl im Ende des 13. Jahrhunderts, da gerade in dieser Zeit das Vorausverkaufen der Wolle im Cen- tralkapitel des Cistercienserordens öfter besprochen worden ist. Auch die hübsch erfundene Strophenform spricht gegen spätere Entstehungszeit.

(Inhalt) Der Dichter klagt, daß in England (V. 5 nostris in partibus) der Cisercienser Orden verfalle; der gute alte Greist sei gewichen, hauptsächlich der Eifer für Entsagung und freiwillige Armuth. Infolge dessen blühten die andern Orden weit mehr. An diesem Verfall sei besonders der große Besitz schuld. Zu junge Leute würden Mönche und Würdenträger im Orden, zu Ungebildete würden Laienbrüder. Hochmuth und Wohlleben seien deshalb an die Stelle von Demuth und Entsagung getreten. Besonders werde Viehzucht betrieben. Dabei hätten sie neulich, als durch Seuchen viel Vieh gestorben war, die Wolle von noch nicht geborenen Schafen schon auf Jahre hinaus um geringen Preis verkauft, aber bei ihrem Aufenthalt an der Londoner Messe dies Geld rasch ver- braucht. Grott möge dies Klagelied in ein Freudenlied verwandeln ! Der Dichter ist offenbar kein Freund der großartigen landwirt- schaftlichen Tätigkeit gewesen, wodurch die Cistercienser dem nördlichen Europa ähnlichen Segen gebracht haben, wie die Schulen der Benedictiner dem ganzen Europa. Grelingt es, unter den eng- lischen Cisterciensern am Ende des 13. Jahrhunderts eine derartige Discussion nachzuweisen, dann wird man diesen geistreichen Mann unter den Gegnern der praktischen Richtung und imter den eifrigen Verfechtern von Comtemplation und Askese suchen müssen.

(Die Wollverkäufe der englischen Klöster.) Die 16. Strophe, welche vom Verkauf der Wolle handelt, bietet große sachliche Schwierigkeiten; deshalb muß ich auf diese Verkäufe

zwei Gedichte z. Geschichte d. Cistercienser^ Ordens (11 De mutatione mala). 397

etwas eingehen^). In England hauptsächlich wurde sehr viele Wolle für die Ausfuhr producirt und zu den bedeutendsten Pro- ducenten gehörten die Klöster, besonders die Klöster des Cister- cienser und des Praemonstratenser Ordens. Deshalb kamen nach England Käufer aus vielen fremden Ländern, besonders aus Italien. Aus vielen praktischen Gründen war es für diese vom Festland kommenden Großhändler sehr erwünscht, wenn ein Kloster auf eine bestimmte Zahl von Jahren sich verpflichtete, ihm jährlich eine bestimmte Zahl von Säcken Wolle oder auch die ganze sich ergebende Wolle zu einem bestimmten Preise zu liefern; auch für die Klöster war es vorteilhaft, im Voraus des Käufers sicher zu sein. Es lag kein Grand vor, in einem solchen Fall den Preis für den Sack Wolle deshalb niedriger zu setzen.

Dagegen bürgerte sich eine andere Sitte ein. Durch Kriegs- steuern oder durch Brand usw. wurden die Klöster oft plötzlich zu bedeutenden Leistungen gezwungen. So wurde es Sitte, daß bei dem Abschluß größerer Verträge der Art von der ganzen erst im Lauf der Jahre fälligen Kaufsumme sogleich ein beträchtlicher Teil als Angeld ausgezahlt wurde. Dieses Angeld wird fast bei allen Verträgen erwähnt (vgl. die lange Reihe bei Pagnini, della decima II 324). Es war eine gefährliche Sache, gleich beim Abschluß eines solchen Vertrags die ganze erst im Lauf mehrerer Jahre fällig werdende Summe auszuzahlen. Whitwell p. 10 sagt: It was worth the foreign merchant's while to pay a large sum as eamest, or even to pay the whole price in advance (see below, p. 25). Doch in dem S. 25 erwähnten Falle handelte es sich nur um 1, kurz darauf fällige Wolllieferung. Dagegen registrirt der Calendar of Close Roll Edward I, vol. I p. 354, folgenden Ver- trag von 1276 : der Abt von Fountains verpflichtet sich, 1277 und 1278 je 17 Sack WoUe zu liefern, 1279 und 1280 je 14 Sack. Tor

1) Die Bestimmungen der General - Kapitel des Cistercienser Ordens über Wollverkauf hat Dolberg 'Cistercienser Mönche und Conversen als Landwirte und Arbeiter' (in den Studien und Mitteilungen aus dem Benedictiner- u. d. Ci- stercienser-Orden XIII, 1892, S. 219) zusammengestellt. Den Wollverkauf der englischen Klöster bespricht^ R. J. Whitwell 'English Monasteries and the Wool- trade in the 13 th Century' (in der Vierteljahrschrift für Social- und Wirthschaftsgeschichte II 1904 S. 1—33, besonders S. 10 11 25 28 29 33); dann Adolf Schaube 'die Wollausfuhr Englands vom Jahr 1273' (in derselben Viertel- jahrschrift VI 1908 S. 39—72 und 159—185; besonders S. 170—175). Auf Whit well's und Schaube's Arbeiten hat mein Kollege Walther Stein mich aufmerksam gemacht; er bemerkte auch, daß solche Ankäufe auf Jahre hinaus bei der Hanse verboten waren.

398 Wilhelm Meyer,

this wool the merchants have paid before hand at London 697^2 marks . . , receipt of which the abbot and convent acknowledge ; für den bedenklichen Fall, daß das Kloster die Wolle nicht liefert, werden natürlich besondere Cautelen geschaffen.

Das in Südfrankreich beschließende Greneralkapitel des Cister- cienser Ordens hatte natürlich für den englischen Wollhandel wenig praktischen Sinn und urteilte mehr nach religiösen Gesichts- punkten. In den Statuta selecta (Marlene et Durand, Thesaurus novus anecdotorum, B. IV 1717) wird schon im Jahre 1157 (no 19) und 1214 (no 4) der Handel mit Wolle untersagt (lanas emere ut carius vendant), wobei 1214 ausdrücklich die fratres de Anglia als derartige Spekulanten genannt werden; 1181 (no 10) wird der Vorverkauf nur für 1 Jahr gestattet. Dies Verbot wird noch 1277 (no 21) einfach erneuert. Dagegen in den beiden folgenden Jahren werden bedeutende Freiheiten gewährt: 1278 (no 5) und 1279 (no 1): lanae poterunt vendi ad terminos longiores et maior quantitas pecuniae quam valeant uno anno recipi (d. h. woM: es darf ein größeres Angeld genommen werden als ^ine d. h. die erste Jahreslieferung wert ist), dum tarnen in aliis usibus quam in solvendis debitis a quacumque persona ordinis expendi minime praesumatur.

Einen interessanten Zusatz bietet die Fassung im Nomasticon Cisterciense (Solesme 1892) p. 453: Poterunt lanae nostrae vendi ad terminos longiores, non tamen carius propter hoc, et maior quantitas pecuniae recipi quam valeant uno anno, dum tamen in aliis usibus dicta pecunia poni quam in solvendis debitis a qua- cumque persona ordinis minime praesumatur. Hieraus erhellt, was begreiflich ist, daß die großen Klöster, wenn sie sich auf Jahre hinaus banden, dafür auch etwas mehr per Sack sich zahlen ließen. So wohl erklären sich die in einem Vertrag von 1291 (Calendar of Close Roll Edward I, vol. III p. 193) festgesetzten Preise: paying for the first three years 18 marks Sterling for each sack of good wool* 14 marks of each sack of medium wool and 10 marks for each sack of lock-wool, and for the following ten years 21 marks for a sack of good wool" 14 marks for each sack of medium wool and 13 marks for each sack of lock-wool. So begreift sich, weshalb das Generalkapitel ausdrücklich ver- boten hat 4anas emere ut carius vendant'. Denn wenn, wie im erwähnten Fall, der Käufer sich verpflichtet all the wool of the house of Pippewell abzunehmen oder wenn er auf Jahre hinaus zur Abnahme bestimmter Massen der oft berühmten Klosterwolle sich verpflichtet und dafür einen hohen Preis zahlt, so lag für die

f

zwei Gedichte z. Geschichte d. Cistercieaser Ordens (II De mutatione mala). 399

Klosterleute die Versuchung nahe, fremde und billig gekaufte Wolle unterzuschieben, also einen Betrug zu begehen.

Wie oben gesagt, ist die Verfügung des Greneralkapitels von 1277 sofort durch Beschlüsse von 1278 und 1279 abgeändert worden. Das hat wohl die energische Einsprache der englischen Mitglieder des Greneralkapitels bewirkt. Denn durch jene starken Correcturen von 1278 und 1279 wurde das Ordensrecht dem in England all- gemein giltigen Handelsgebrauch für Wo 11 verkaufe ziemlich nahe gebracht. Dieser Grebrauch war also folgender : die großen eng- lischen Klöster verpflichteten sich gegen Grroßhändler oder deren Vertreter auf eine Reihe von Jahren (bis zu 14 finden sich ge- nannt) hinaus, ihnen jedes Jahr entweder ihre ganze Wolle oder eine bestimmte Zahl Säcke von ihrer Wolle zu einem im voraus bestimmten Preise zu liefern; dieser Preis war meistens etwas höher als der gewöhnliche. Der Käufer zahlte meistens beim Ab- schluß des Vertrages einen beträchtlichen Teil der im Lauf der Jahre sich ergebenden Summe im Voraus als Angeld; sehr selten zahlte er schon beim Vertragsabschluß den ganzen Preis für alle in den künftigen Jahren zu liefernde Wolle.

Schwierig ist es, mit diesem allgemein giltigen Grebrauche bei Wollverkäufen in England die Worte des folgenden Gredichtes zu vereinigen (Str. 15/16) : Et statim successere Pestes * agri steri- litas et pecorum mortalitas ; et ceperunt egere. Tum stulti sta- tuere lanam vendi pre manibus de nondum natis ovibus et pretium sumpsere decem pro centum fere. Quod querendo Londoniis et nundinarum feriis parumper expendere; retrorsum abiere. Pre manibus ist = before band, in advance ; vgl. Murray, New English Dictionary I 764 "prae manibus used in ME as = 'before band', in anticipation". 'Querendo' verstehe ich nicht; es kann ja gleich 'querentes' sein. Doch weder querentes = lamentantes noch quaerentes gibt mir einen genügenden Sinn; man erwartet ein Wort, wie morando. Oder könnte expendere = expenderant ge- dacht sein: 'nach einem Käufer in London auf der Wollmesse suchend hatten sie fast so viel Geld schon verbraucht'? Dann gehört quod sowohl zu quaerendo als zu expendere. 'Parumper' scheint zu bedeuten 'in kurzer Zeit'. Zunächst ist sicher, daß diese Mönche ihre Wolle auf Jahre hinaus verkauft haben, und daß sie für alle die einst zu liefernde Wolle gleich jetzt schon den ganzen Verkaufspreis erhalten haben. Daß deshalb ihnen für den Sack weniger gezahlt wurde als sonst gewöhnlich, das ist begreiflich; aber die Angabe des Gredichtes, 'decem pro centum' d. h.

400 Wilhelm Meyer,

nur ein Zehntel des gewöhnliclien Preises hätten sie erhalten, ist ungeheuerlich.

Eine andere Schwierigkeit ist folgende: in den Strophen 3—9 wird die Cisterciensis Religio angesprochen, wird ihr der Nieder- gang des Ordens vorgehalten und geschlossen mit der xlufforderug V. 99: si nosti causam, dicas. Die Eeligio antwortet mit den Strophen 10—18; sie schiebt die Schuld auf (V. 100) die ampla nimis possessio etc. All ihre Anklagen sind allgemein; sie sind durch V. 5 'nostris nunc in partibus' auf die englischen Cister- cienserklöster beschränkt, aber sie können durchaus nicht auf ein besonders Kloster bezogen werden. Zuletzt wird die Vorliebe für Viehzucht geschildert V. 163: spem totam posuere in brutis ani- malibus, bobus equis et ovibus, quibus abundavere. Auch diese Worte passen auf die englischen Cistercienserklöster im Allge- meinen. Aber die unmittelbar folgende Schilderung des Woll- verkaufs kann nicht allgemein gemeint sein. Denn die Wolle verkaufenden Cistercienser Klöster in England waren viele (wie schon die von Schaube S. 174 und 175 erwähnten Verzeichnisse derselben beweisen), und, wenn auch London schon damals ein be- deutender Handelsplatz war, so hatte es doch nicht ein Monopol für den Wollhandel, sondern die Mönche lieferten ihre Wollballen in den nächsten Exporthafen. Also konnte kein vernünftiger Mensch sagen, in einem Jahre der Not seien die Aebte der eng- lischen Cistercienserklöster nach London auf den Wollmarkt ge- kommen und hätten da auf mehrere Jahre ihre Wolle verkauft, ßich sogleich den Preis für die ganze Wolle auszahlen lassen, aber einen so niedrigen, daß er von den Reisekosten fast ganz ver- schlungen worden sei.

Der entrüstete Dichter übertreibt ja offenbar (decem pro cen- tum, de nondum natis), allein seine Worte als für den ganzen Orden giltige historische Angabe gefaßt würden einen Unsinn er- geben. Ich fasse die Entwicklung der Gedanken so : der Dichter, überhaupt ein Gegner der erwerbenden, besonders der landwirt- schaftlichen Tätigkeit der Cistercienser, tadelt zuletzt, daß die englischen Cistercienser sich zu sehr mit Viehzucht abgäben. Nun war ihm ein krasser Fall zu Ohren gekommen : daß ein Kloster in seiner Not seine Wolle sehr ungünstig verkauft habe und daß die betreffenden Mönche nur wenig Geld ins Kloster gebracht hätten ^).

1) Es ist möglich, daß der Dichter falsch berichtet war, und daß diese Mönche nur ein Angeld (decem pro centum) erhalten und dies für Bezahlung einer dringenden Schuld oder für notwendige Ankäufe in London verwendet hatten.

zwei Gedichte z. Geschichte d. Cistercienser Ordens (II De mutatione mala). 401

Diesen Einzelfall schiebt der Dichter als hochrhetorischen Schluß an das Ende seiner düsteren Schilderung, ohne ihn als Einzelfall zu bezeichnen. 'Stulti' in V. 171 kann ja Beides bezeichnen, so- wohl Thoren (= aliqui stulti) als 'die Thoren' (= hi stulti, welche ich bisher geschildert habe).

So ist wohl dieser schwierigste Teil des Gredichtes zu ver- stehen. Aber offenbar war der Dichter dagegen, daß sein Orden sich besonders mit Viehzucht befaßte und mit Wollverkäufen viel Geld verdiente. Da nun in den Generalkapiteln von 1277 1279 über diese Wollverkäufe der englischen ElÖster lebhaft verhandelt wurde, so ist wahrscheinlich unser Gedicht in der Zeit dieser er- regten Discussion entstanden.

Die Formen des Gedichtes passen in den Schluß des 13. Jahr- hunderts, da sie noch ziemlich feine sind. Das Gedicht ist aus 2 Zeilen aufgebaut: dem Achtsilber mit steigendem Schlüsse, 8u_, und dem Siebensilber mit sinkendem Schlüsse, 7 _ u. Diese beiden Zeilen haben den gleichen rythmischen Bau der ersten 6 Silben, d. h. es werden die Silben nur gezählt und der daktylische Wort- schluß ziemlich gemieden.

In den 97 Zeilen zu 8u_ und in den 100 Zeilen zu 7_u ist die 6. Silbe stets betont, also die 5. unbetont. In den 4 ersten Silben ist die jambische Schablone eingehalten in etwa 56 Acht- silbern und in 76 Siebensilbem : dum verus ciiltor nominis , ni- grescit nitor clarus. Taktwechsel ist also zugelassen in 41 Acht- silbern und in 24 Siebensilbem ; davon sind auf der 1. und 3. Silbe betont 34 Achtsilber und 13 Siebensilber: dülcis ordo Cistercii, aquam vörtis in vinum; auf der 1. und 4. Silbe betont sind 7 Achtsilber und 3 Siebensilber : metis de magnis prediis, decem pro centum fere. In 8 Siebensilbem ist es unsicher, ob die 3. oder die 4. Silbe Nebenaccent hat: 81 (cives et palatini), 118 (cepi in- placitare), 141, 152, 166; dann in 66 paüperes devenere, 80 rhe- tores et divini, 158 filii consumpsere ; wird in den 3 letzten Versen die 4. Silbe accentuirt, so tritt daktylischer Wortschluß voran (paüpSres), der sonst in dem Gedicht sich nicht findet; deshalb ist wohl die 3. Silbe mit Nebenaccent zu betonen: paüperes devenere.

Hiate finden sich in den 197 Zeilen in mäßiger Zahl: 3 starke, wie 70 si causa egestatis, 86 qui facti mundo exules, 118 cepi inplacitare; 11 leichte: vor et 4, ex 1, es 1, in 8; dann 1 nach tn und 1 nach de.

(Strophen) Diese Achtsilber und Siebensilber werden in einfacher Weise zu Strophen zusammen gestellt. Von den 18 Strophen ist eine, die 17., unvollständig, 14 sind elfzeilig, 3 sind

402 Wilhelm Meyer,

zwölfzeilig. Die 14 Strophen haben das Schema: 8 u_aa 7 _ubb, 8u_cc 7_ubb, 8u_ee 7-^ub; die 3 Strophen, die 10. 15. und 16., haben am Schlüsse 7—ubb. Eine so aus Paaren von stei- genden Achtsilbern und Paaren von sinkenden Siebensilbern auf- gebaute Strophe ist mir sonst nicht bekannt geworden : der Dichter scheint sie selbst erfunden zu haben. Auch für die merkwürdige Tatsache, daß in 3 Strophen am Schluß eine Zeile zugesetzt ist, welche in 14 Strophen nicht steht, kenne ich keinen zu ver- gleichenden Fall. Man sollte nach der 4. und nach der 8. Zeile jeder Strophe stärkere Sinnespausen erwarten, so daß die Strophe in a + a + b geteilt wäre. Allein ich finde keine Regel- mäßigkeit der Sinnespausen ; der Dichter scheint an gesangsmäßige Recitation seiner Strophen nicht gedacht zu haben. Besonders seltsam ist, daß V. 167 und 168 zusammenhängen.

Der Reim ist stets zweisilbig (außer o4 35 religio : video) und stets rein. In den Strophen 15, 16 und 17 haben alle Sieben- silber den gleichen Reim ere.

De mutac/one mala ordinis Cistercii.

1 2

Dulcis ordo Cistercii, Beata es Burgu»dia,

duduw ca^dens ut lilii ubi pafris pr^sencia

flos marcoris ignar?(5, suos se/ vat insontes.

4 deo et mundo carws, 15 et utina/;< trans mowtes

heu no5^ris nunc in partib?/^ gubernet et in Grrecia

ölet vilis homhiihus i'ratres, et ne in Francia

et deo fit amarus. fraus faciat effro^^tes!,

8 nigrescit nitor clar^/5 19 q^^a fallit Demofontes

et ha^itus et nominis, iam Phillidem in Anglia.

dum verus cultor ordinis su«t testes monasteria 11 hie reperitur rarus. 22 tam eis quam ultra montes.

13 patris d. h. des Abtes im Staramkloster Cisterz 19 Auf der Heim-

fahrt von Troia schloß Demophon in Thracien mit Phyllis einen Liebesbund; dann verließ er sie und sie tödtete sich ; vgl. Ovid. Her. H. Mit Demophon müßte die verführende Habsucht gemeint sein.

zwei Gedichte z. Geschichte d. Cistercienser Ordens (II De mutatione mala). 403

Heu, qua«? male preposteras, duduwi transcendens ceteras, Cistersiensis vita!

26 q^<am sanctus cenobita 'Bened.ictns instituit et in Bemardo claruit

tot signis redimita.

30 in Rahma laus audita de te et mu/^do celebris fusca latet in tenebris

33 et pene nunc oblita.

6 Paupertas volu^ztaria, non coacta miseria,

novit deo placere 59 per viam vite vere. neqi/e plebis abiectio, set -proceruni electio

sancti -patves fuere, 63 q^d te primu»? sanxere; qui, spreta muwdi gloria, se negawtes et omnia. 66 pauperes devenere.

0 preclara religio, in te vincit, ut video, caritatem cupido,

37 castitatem libido. spes cedit avaricie. non est, qwi dieat hodie 'in dLotnino confido'.

41 abicitur formido. memewto : mujzdu;;^ tempseris ! amas tamew et tempneris,

44 ut ab Enea Dido.

5 (fol. 89-) De virtute in viciu»/ tendis, dum vellus oviuwi

transmutas in lupinum 48 et lana fit ut linuw«. manna in esum carniu»i, et olus in cow vivium,

aq«am vertis in vinum, 52 et iTigns in caminum ac IdjhoTem in ociu»?, et totum in cotitrarium

55 rescriptu?;i ßernardinum.

In niu?2do q^d nil ha&uit, vellet tarnen n?c potuit,

non est egenus gratis.

70 si caussi egestatis hie monachus efficit?(r, heatus num putabit^<r

pretextu paupe/tatis?

74 no^^ vox est veritatis?: heatus paupe^* sipiriin, neque victu vel hafeitu,

77 ^et cui Christum est satis.

En sophiste* gramatici* iuriste* diale(c)tici

rethores et divini*

81 cives et palatini et, (\iioi(]iioi mu??dum fugiuwt, te tempnuwt et deveniunt Minores* Jacobini

85 et frö^res Aug^fstini, qui* iaeti mundo exules* pape fiunt et presules

88 et principu?n vicini.

42 Citat aus der Regula? 60 = plebei abiecti, sed proceres electi; vgl. 12, 2 u. 4 68 = qui tarnen habere vellet (voluit) 75 Matth. 5, 3 beati

pauperes spiritu. 79 dialetici Hft 84 Jacobini d. h. Dominicani (Jacobitae).

404

Wilhelm Meyer,

9 Discerpunt hii: tu g^^nninas, Tili colligu>it: tu seminas,

hii rosas: tu Urticas, 92 hii vites: tu miricas. metis de magnis prediis: metuwt et de inediis

hii pa>?es et tu micas. 96 habuwdant: tu mewdicas; pinguescuwt ex iwopia: marcescis tu ex copia.

99 si nosti causam, dicas. 10 Ampla nimis possessio et reru^i delectacJo

fecerunt s«i?erbire (f. 89^) me et plura sitire. invaluit ambicio. evanuit devoc^o,

et cepi lascivire* 107 delicias glutire. surrepsit vana gloria. hinc (m)cepi celestia

paulatim fastidire* 111 de bonis resilire. 11 Abcessit a me sanctitsiS' pax* amor et fidelitas,

et cepi trans volare 115 ad foru/;i seeklare, qedcquid vidi* desiderans, facta. domM6' exasp<?rans, cepi implacitare 119 vicinos et gravare, exosos htt2;ens pauperes et öolum inter proceres 122 me putans sine pare.

12 S[c]ensatos a me repuli et plebeis mefis] co^tuli, insipienter egi. 126 plebis abiectos [e]legi et hominum obp>obriuw« ; et SIC in exterminiu/>i

precipita??s inpegi. 180 ex premissis coUegi: religionis gloriam no« posse per insaniawi 133 et ydiotas regi. 13 Fit monachus de puero, conYersiis de gar eifere,

et hii mei magnates 137 mox fiuwt et [subito] pri- dum paer puerilia, [mates ;

vult garcio scurilia.

tum domi<6- potestates 141 ha6ent ad volu?2tates Daxmz niztet (?) cellerarius, frer folet grangiari«5, 144 sol fa sunt claustriuates»

14

Et hii non ipenitencie causa,' set indigencie

tunc ad me (con)venerawtr

148 qiwd bene probaveruwt. dum cucullawi pro sacculo* palefridum pro baculo

intrantes mutaveru)^t :

152 colla mox erexer?*nt, auru?« meum in scoriam et fama//i in infamia;/^

155 mutantes transtulenmt.

89 discerpere gebraucht die Vulgata vom zerreißenden und fressenden Tieri hier scheint es zu bedeuten: Früchte abbrechen und pflücken. 92 vgl. Plin. 24 myricen . , vulgus infelicem arborem appellat, quoniam nihil ferat 103 scitire Bft. 109 cepi Hft. 123 Scensatos Hft 124 meis Bft. 126 elegi Hß. 137 subito Hft. 142—144 diese zum Teil französischen Verse habe ich nicht

zwei Gedichte z. Geschichte d. Cistercienser Ordens (II De mutatione mala). 405

15 Qwod patres pridem strenui qwesierawt, fatui

filii conswn-psere. 159 nam pigri noluere arare neque fodere, laborawtes (f. 90*) in bibere tarn hyeme quam vere. 163 spem totam posuere in brntis SinimBlihns, bobw5* eqwis et ovihus,

qidhus habu>?davere. 167 Et statim successere 16

pestes* agri sterilitas et pecorum mortalitas, et ceper^mt egere. 171 tum stulti statuere lanam vendi pre ma>2ibus de nondum natis ovihus,

et -precimn suw^psere 175 X pro C fere. qwöd q^(erendo Londoniis et nundinarwu feriis

parumpcr expendere. 179 retrorsum abiere.

17 Dum Christi ^atTimoniwn agewtes mercimoniuwi *

in nichil redigere, 183 premissa patuere. et seq?(itur cowclusio: sie periit religio; 186 res sim?d periere.

18

Eeligio mmc conqueritur

auxiliuwi dei implora>^s:

Si fas, hunc psalmuwi deseram

^Miserere', naw^ miseram

me dat dum 'dealbabor' 190 'ysopo et mundabor' *et asperges me' 'domme' meo regnawt in ordi/?e,

in nichilum dilabor. 194 set deam deprecabor, ut 'dealbabor' deleat et det, Salomo^ ut redeat: 197 aut nu^^q^mm relevabor. Amen.

verstanden; es gibt ein von sol fa gebildetes Zeitwort. 147 venerunt Hft. 158 vgl. Isaias 1, 22 argentum tuum versum est in scoriam.

161 = in bibendo 167—179 siehe S. 399 nach V. 183 scheinen 4 Zeilen ausgefallen zu sein. 187 in dieser Strophe sind Stellen des 50. Psalmes benützt: 1 miserere mei deus, 9 aspergas me^ hyssopo ^et mundabor. lavabis me et super nivem dealbabor. V. 188—192 'dum dat . . et regnant' scheint Vordersatz, 193 Nachsatz 196 Salomon scheint = sapientia zu sein.

Quondam fuit factus festus ein Gedicht in Spottlatein

herausgegeben

von

Wilhelm Meyer ans Speyer

Professor in Göttingen. Vorgelegt in der Sitzung vom 25. Juli 1908.

Die Verfasser der Epistolae obscnrornm virornm verspotteten die von ihnen verhöhnten Universitätsleute des alten Schlages auch dadurch, daß sie dieselben sehr unbeholfenes Schülerlatein schreiben ließen. Dies Mittel, Menschen oder Dinge nicht nur durch den Inhalt und die Gedanken der Rede, sondern schon durch die sprach- liche Form zu charakterisiren , findet sich in der antiken griechi- schen und lateinischen Literatur verhältnißmäßig selten angewendet. Die Griechen der älteren Zeit haben ernsten lyrischen Dichtungen oft den dünnen Schleier dorischer Dialektformen übergeworfen, epischen einen Anflug homerischer Formen; doch die Herrschaft der xoLvti hat auch diese Unterschiede meistens verdrängt. Die Deklamatoren, welche in den Wirthsgärten Roms das Volk unter- hielten, haben gewiß oft gespottet über die Typen von Bauern, welche aus den verschiedenen benachbarten Landschaften in Rom auftraten und haben gewiß dabei auch deren Dialekt nachgemacht; allein die uns erhaltene Literatur folgt durchaus den späten Griechen, und außer dem Punier, der bei Plautus einige Verse in punischer Sprache spricht, ist mir keine ähnliche Sprachmalerei erinnerlich. Aus dem klassischen Alterthum haben also die Ver- fasser der Epistolae obscurorum virorum ihr Stilmittel nicht geholt.

Im lateinischen Mittelalter sind in der gothischen Zeit Mac- caronigedichte nicht selten, d. h. Gedichte, in welchen mit den lateinischen Kurzzeilen solche in deutscher, französischer oder eng-

Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein. 407

lischer Sprache gemischt sind oder wo in den lateinischen Text nur einzelne Ausdrücke aus einer solchen nationalen Sprache ein- gesetzt sind. Doch das hat mit jenem Kunstmittel wenig zu thun. Wie bei Plautus der Punier, so tritt in einem Weihnachtspiel des 12. Jahrhunderts einer der Könige aus dem Morgenlande mit seiner Heimathsprache d. h. mit einem Kauderwelsch auf.

Näher steht dem stilistischen Kunstgriff der Epistolae der Kunstgriff, welcher in den beiden hier zu besprechenden Gredichten angewendet ist. Beide schildern Scenen des niedrigsten Mönchs- lebeas in der niedrigsten Sprache; alle Gesetze der Declination und Konjugation und natürlich noch mehr die Gesetze der Syntax sind hier verhöhnt : tua frater, tuus mater, tuum pater ; ego stabat ; bipsi; irascatus ad priorum dixit usw usw. Das Latein der

Epistolae ist viel besser. Dies ist schlechtes Schülerlatein und zwar deutscher Schüler. Es wimmelt einerseits von den beim Unterricht unvermeidlichen technischen Ausdrücken, anderseits von Germanismen. Schon diese letzteren zeigen, daß das Latein der Epistolae in seinen Einzelheiten deutsches Fabrikat ist. Das

wichtigste der beiden folgenden Gedichte, der Streit des Prior's und des Mönchs, ist fremden, wahrscheinlich englischen Ursprungs : allein es war weit verbreitet. Ich habe bis jetzt 2 englische, 1 französische und je 1 süddeutsche und schlesische Handschrift des 14. und des 15. Jhdts gefunden, und sicher werden noch manche Abschriften desselben auftauchen. Deßhalb kann leicht dies Gedicht die Verfasser der Epistolae zur Wahl jenes stilistischen Kunst- mittels veranlaßt haben. Wie dort Mönche im jämmerlichsten Mönchslatein sich zanken über ihre Angelegenheiten , so schreiben hier altmodische Gelehrte, die Eeinde der Humanisten, im schlech- testen deutschen Schülerlatein über das, was sie lieben und hassen.

(Inhalt) Es zanken sich der Prior und einer seiner Mönche, canon genannt (wohl eine Abkürzung, vgl. 17, 1 Nunc tu es cano- nizatus). An einem Festtage, wohl Ostern, trinken der Abt

und der Prior mit einander. Der gutmüthige Abt will auch dem Convent für die Plage des vielen Singens und Betens in der letzten Zeit einen guten Trunk geben lassen ; doch der Prior wider- spricht (Str. 1—7).

[In der Hft H sind hier 2 Stücke eingeschoben : 1) (Str. 67—78) wird der Disput des Abtes und Priors und ihr sinnloses Saufen geschildert, 2) (Str. 79 87) wie, darüber benachrichtigt, der Bischof und seine geistlichen Räthe verhandeln, aber nur milde strafen.]

Der Canon hört zu und macht dem Prior Vorwürfe über seine Härte (Str. 8—14).

408 Wilhelm Meyer,

Der Prior hält dem Canon vor, wie gut Essen und Trinken er jetzt habe und welcher Tropf er früher als Schreiber gewesen sei. (Str. 15 19). [In der Hft H folgt noch eine kleine Fort- setzung der Strafpredigt (Str. 88—94), und damit endet diese Handschrift.]

Ergrimmt schildert der Canon, welch schimpfliches Leben der Prior früher geführt habe und wie hochmüthig er im Kloster ge- worden sei. (Str. 20—28).

Der Prior hält dem Canon vor, welcher Hungerleider er früher gewesen sei. (Str. 29 ffl.). Nach Str. 36 läßt die Hft B mit

einigen Sehlußstrophen (96 98) den Streit unversöhnt schließen und endet damit. Dagegen in den beiden Hften C und M (und W) geht der Zank noch viel weiter (Str. 37 66). Zunächst schimpft der Prior weiter über die Familie und über die frühere armselige Lebensweise des Canon (Str. 37 49).

Dagegen prahlt der Canon mit seiner guten Abkunft und seinem früheren eleganten Leben (Str. 50—62).

Endlich bittet der Prior den Canon um Entschuldigung. Beide versöhnen und küssen sich (Str. 63 66).

(Verfasser) Das Gedicht ist spätestens in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden, da die Harleyer Handschrift (H) in dieser Zeit geschrieben ist. Da aber diese Handschrift schon einen stark veränderten Text bietet, so kann das Gedicht schon im 13. Jahrhundert entstanden sein. Die Heimath des Ge-

dichtes ist gewiß England, wo im 13. und 14. Jahrhundert Humor und Satire eine Heimath gehabt zu haben scheinen wie in keinem andern Lande. Denn als Name des Klosters werden (Str. 1,3) in der Hft C Leycestris und in H Glowcestrus genannt, also leib- haftige Namen, während in der französischen Hft B Clocestum steht und in der süddeutschen M Cocletestus, also nur ein undeut- liches Echo der englischen Namen. Zu England paßt auch die Cervisia frumentea (18, 2). Nur in der Handschrift C finden sich einige englische Wörter: 23, 3 groyvum; 25, 1 caytyff; 33, 3 watty mentum; diese beweisen also nur die Heimath dieser Abschrift.

Handschriften und Ausgaben Schon die Inhalts-

übersicht hat gezeigt, wie verschieden die einzelnen Handschriften sind. Das ist natürlich. Denn wenn schon Romane, wie der von Alexander oder von Apollonius, in den Hften außerordentlich ab- weichende Texte aufzeigen, weil die Schreiber diese Texte als freies Gut ansahen, das sie nach ihren eigenen Kräften verschönem durften, wenn aus denselben Gründen auch schon in alter Zeit die Texte von Predigten und von Heiligenleben stets verschönernd

Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein. 409

Timgearbeitet worden sind, wie viel mehr Freiheit erlaubten sich die Abschreiber mit diesem burlesken Texte! Es ging damit, wie mit den spaßhaften Greschichten , welche Jeder, der sie weiter er- zählt, anders erzählt.

So steht es in den Hften dieses Gredichtes. Außerordentlich viele Ausdrücke sind geändert ; Strophen sind weggelassen , zu- gesetzt, umgestellt. Ja, ganze Partien sind zugedichtet. So sind z. B. in M die Strophen 31 36 zwischen die Strophen 19 und 20 umgestellt ; in H sind nach der 3. Strophe 20 Strophen und nach der 18. Strophe 6 Strophen zugesetzt. Und vielleicht ist in C und M (und W) die ganze Masse der Strophen 37 66 spätere Zu- dichtung. Diese Verhältnisse machen die Herstellung einer Aus- gabe sehr schwierig, doch sie erschweren wenig das Urtheil über dies Denkmal der mittellateinischen Literatur. Denn der Geist, welcher hier den Grundstein gelegt hat, ist derselbe, welcher daran weiter gearbeitet hat: der derbste Mönchshumor.

Von den Abschriften sind offenbar sehr viele verloren ge- gangen oder mir unbekannt geblieben. Denn ein Stammbaum der Hften läßt sich noch nicht aufstellen. Stimmen z. B. C und M in der Masse der Strophen mit einander überein, so gehen sie in vielen Einzelheiten auseinander und die eine Hft geht mit dieser, die andere mit jener anderen Hft. Ich suchte die Ausgabe so ein- zurichten, daß zunächst die mehreren Fassungen gemeinsamen Strophen hervorträten, dann die Eigenthümlichkeiten jeder Fassung leicht erkannt würden, damit neu gefundene Hften rasch beurtheilt werden können.

H = Harley 913 f. 10^-12*. Diese Hft des Britischen Mu- seums ist in der 1. Hälfte des 14. Jhdts geschrieben. Sie enthält viele lateinische und englische Q-edichte. Besonders die letzteren, die sogenannten Kildare-Gedichte, sind schon oft besprochen; vgl. zuletzt Bonner Beiträge zar Anglistik, Heft XIV, W. Heuser, die Kildare-Gredichte , 1904. Unser G-edicht zählt in dieser Hft 43

Strophen, von denen nur 15 in anderen Hften vorkommen, 28 zu- gedichtet sind. Der Text ist ziemlich genau abgedruckt von Wright, Beliquiae antiqaae I 1845 p. 140.

C = Cambridge, Trinity College 0. 9. 38, fol. 14^—16% XV. Jahrb., hoch aber schmal, schlecht erhalten. 62 Strophen. Diese Hft steht der Hft M am nächsten.

M = München Clm 19685 (Tegernsee 1685), in 4' saec. XV, fol. 112*— 113^. Diese in Deutschland geschriebene Hft bietet

60 Strophen. Die Strophen 31—36 sind nach Str. 19 gestellt. Sonst steht diese Hft der Hft C nahe.

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichteu. Fhilolog.-histor. Klasse 1908. Heft 4. 29

410 Wilhelm Meyer,

B = Besancon latin 592, in 4^^ saec. XV, fol. 9=*— 10% in 2 Spalten geschrieben. Diese Fassung (35 Strophen) eilt schon

nach Str. 36 mit den 3, wohl hinzugedichteten Strophen 96—98 zum Schlüsse.

W = Breslau, Universitätsbibliothek, Collect, ad histor. Siles. IV Q 132*^ fol. 75% geschrieben im 17. Jahrh. Nur 12 Strophen; von diesen finden sich 4 (no 99 102) in keiner andern Hft; von den 8 übrigen finden sich 2 (42 und 53) in dem großen Theil, den nur die Hften C und M erhalten haben. Dieser Text ist gedruckt von H. Palm in den Abhandlungen der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. philosophisch -historische Abtheilung, 1862, Heft II S. 96 ; dann (von ßud. Peiper) im Gaudeamus (Teubner 1877) S. 191.

(Form) Interessant ist die Strophenform. Ein berühmtes Gedicht beginnt mit der Doppelstrophe

a b

Verbum bonum et suave, Per quod Ave salutata

personemus illud Ave, mox concepit fecundata

per quod Christi fit conclave virgo, David stirpe nata,

virgo' mater* filia. inter spinas lilia.

So sind es 3 Strophenpaare , also a + b, c + d, e-f-f. Die Melo- dien von a, c und e sind verschieden, die von a = b, von c = d, von e = f. Solche Gedichte habe ich Melodie-Sequenzen genannt. Die Siebensilber des 1. und des 3. Paares reimen auf ia, die des 2. Paares auf ium. Die Entstehung dieser Doppelstrophe ist ein- fach. In einem Paar trochäischer Septenare : 8 u4-7w b, 8 u -f7u-b, z.B.

Stabat mater dolorosa, dum pendebat filius

Cuius animam gementem pertransibat gladius,

wurde das Stück zu 8 u verdreifacht : 8 ^ aaa -f-7u b; 8 u ccc + 7u— b; vgl. meine Ges. Abhandlungen 1322.

Diese berühmte Sequenz wurde parodirt, so daß statt der Maria der Wein gegrüßt wurde. Die ursprüngliche Fassung dieser Parodie zählt 8—9 einfache vierzeilige Strophen, deren 1. Strophe z.B. heißt:

Vinum bonum et suave, bonis bonum, pravis prave, cunetis dulcis sapor, ave, mundana laetitia. Die spätere verkürzte Fassung beginnt z.B.: Ave color vini clari,

Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein. 411

dulcis potus non amari ,

tua nos inebriari digneris potentia. Die Strophen laufen einzeln dahin; von Paarung ist keine Hede mehr. Fast alle Strophen haben den Schlußreim ia; nur selten findet sich ein Strophenschluß auf ulum.

Unser Streit des Priors und Canon's und die folgende Klage der Bettelmönche haben genau dieselbe Strophenform und genau denselben durchlaufenden Reim der Siebensilber auf ia wie die Wein-Parodie. Wahrscheinlich wurden sie auch in derselben Me- lodie gesungen. Ganz seltsam ist, daß die 52. Strophe in den beiden sie bietenden Hften C und M 1 Zeile zu 8 u mehr zählt, dann die 51. Strophe nur in C, nicht in M.

Zeilenbau Die Silben zahl wird selten verletzt : Str. 21 , 3 evangelistas CM, angelistas B; 45,3 apostolorum C, postolorumM; 58, 1 caligas C , calces M ; 65, 2 quamdiu C, quantum M 65, 3

nunquam faciam C {anders M) ; nur in C finden sich : 49, 2 et super omnes; 55, 1 sum de sanguine; 6*2, 3 quod non surgere; 63, 1 gra- tias ego ; und die ganze Strophe 66. Nur in H findet sich : 68, 1 estne aliquid; 93, 3 et sie pardonem; nur in W: 102, 4 usque ad diem claria. Merkwürdig ist, daß der Achtsilber regelmäßig in seine 2 Hälften 4 u -f- 4 u zerlegt ist. Ausnahmen finden sich nur: 2, 1 abbas est sedere sursum CMBW; 24, 3 minus eciam por- tare M (anders B). Der erste Viersilber schließt Str. 10, 3 nur in C und M fälschlich steigend 'in lagere', in H und B sinkend. Hiate finden sich in den 102 von mir hergestellten Strophen etwa 18 : also sind sie ziemlich gemieden.

Von den Handschriften B C H und M habe ich Photographien benützen können, deren Herstellungskosten die Gresellschaft der Wissenschaften bestritt. Die Handschrift W habe ich verglichen. Bei der Zusammenstellung des Textes legte ich die Handschriften C und M zu Grunde und benützte die Handschriften H B und W zur Ergänzung.

29^

412

Wilhelm Meyer,

1 (Cl. Ml. Hl. Bl. Wl) Quondam fuit factus festus et vocatus ad comestus abbas prior de Leycestris cum totus familia.

1 factus fuit M ; erat sanctus festum B ; Erat quondam dies f. W 2 et : quo W 2 venerunt C 2 comestum B, commestus CH 3 de om. M, ad B 3 leycestris C, cocletestus M, glowcestrus H, clocestum B ; ibat prior cum claustralis W 4 cum : et MW tota BW 4 familia a a a , dazu ein Sclmörlcel wie etc. ; so am Schluß jeder Strophe in W (der weitere Zusatz in Palmas Abdruck 'et tota familia' steht nicht in W)

2 (C2. M2. H2. B2. W 3) Abbas est sedere sursum et prioris iuxta ipsam. ego miser stetit dorsum inter rascabilia.

1 a. ire sede s. H 2 ipsum CH : rursum

2 priorum M MBW 3 miser C

pauper M, semper H, tristem B, om. W 3 vgl, 4, 3/4 u. 78, 3 3 stetit C, stavi H, sedit W 3 ad deorsum MW, a deorsum B 4 sum inter BM 4 rascabilia C,

rascalilia H, rascalia B, scabellia M, iuve- nilia a a a etc W

3 (C3. M3. H3. B3) Vinum venit sangoinatis ad prioris et abbatis. nicbil nobis paupertatis,

sed ad dives omnia. Nach Str. 3 folgen in H

4 (C4. M4. B4) Abbas bibit ad prioris, prior vero totum horis. ego pauper stabat foris,

nil habens delicia.

[5 {in M folgen sich no Abbas dixit: ut senectus ego bipsi cum affectus. vadi queri promtum lectus,

ubi sum iacencia.]

6 (C5. M7. Bö. W4; Dixit abbas serviatis: date vinum nostris fratris. bene legunt et cantatis

ad nostra solempnia.

7 (C 6. M 5 und 8. H 25. Dixit prior ad abbatis: bene bibunt, habent satis. non est bonum ebriatis,

eant ad claustralia.

1 V. vetum B

3 nil M

4 diue M

die Strophen 67 87

3 nobis : illis ?

trinkt zu 2 et p. retro totis B

1 = H 67, 1

prioris totis boris M

3 ego: nobis MB 3 statuat M

4 diuicia C; cum magna tristicia B 4, 7, dann diese Strophe = M 4. 5. 6)

Diese nur in M stehende StropJie scheint gefälscht zu sein , denn auch die folgende Strophe beginnt mit Dixit abbas 3 = vado quero? vgl. 67, 2—4 in H)

1 adseratis M, ad servantis B 2 datis MB 2 vinus B 2 uostri M 3 legit MB 4 noster sollemnia B 4 in istura festalia M vgl. 67, 2 (H) date vinum ad maioris. W 4 lautet : Dixit abbas ad pri- oris: Detur vinum iunioris, qui laborant in choralis et matutinalia a a a etc.

B6. W5)

2 b. bibis B, b. bibit M 8, ecce rubent W 2 habet M 8 2 habes modo, bibe satis H ; cum sis abbas, bibis satis M 5 3 de- briatis B 3 nos non debet {oder decetj ebriatis M 5 4 so C; vadant ad clau- stralia a a a etc W ; vadant ad inclaustria B; ibunt (nos ibunt M 6) in claustralia M

5 und 8; ire post in claustria U

Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein. 413

C m. 1: lliirmur canonis ad prior is:

8 (C 7. M 9. H 26. B 7. W 6)

Unus C a n 0 iuniorum , l canon minorum B cano de maiorum H

hnrniQ Ipp+iiq pf pptifornm ^^ canonicorum C 1 Erat quidam iunio-

ponus lectus et^ cantorum, ^-^ ^ 2 lector et c. H, cantor et lecto-

irascatus ad prior um mm MB 2 habens bonum rationis W

dixit ista folia: Ir'^w«*'"'.^ •. ^^P^^'^f Y / ^.^'**

lolia HB, et d. ita f^ C ; de hec formalia a

a a etc W; d. hec välia (verbalia?) M

9 (C 8. M 10. H 28. B om.)

Vos abbatis et prioris, l Vos : 0 H 1 priore H 2 bibit M

bibis totnm de liquoris. ^ *®**°^ ^ ^i^oris M 2 nichil datis de

nicliü vobis de pudoris, ^^^"^'' ^ ^ ^"" "'* ^"^^' ^- ^^^^^^ ^

-, . , TT * töi (tantum) M . 4 tu es avaricia H

sed totmn de gulia.

10 (C 9. M 11. H 27. B 8)

Prior, vos non intendatis, statt Prior scheint M zu bieten: Qr

«„o-K.+,.^ ..n,^,.. lo-k^^o^.,-^ 2 sumus: nos sunt C 3 in legitis et c.

in legere et cantatis B 4 istis B 4 festalia HB, paschalia

per ista festalia. ^ ^ ^" ^'*^^ solempnia M

11 (C 10. M 12. H 29. B 11)

Vos nee nobis nicbil datis l Et vos nobis C; Ad nos autem ni. M

nee abbatis permittatis, ^4^"" fkZTJ s. 0 ' T^'^t

facit nostris sociatis H 4 suam B, tua M

sua curialia.

13 (C 11. M 13. H 30. B 9)

Qui stat, vide ne cadatis. **» M ist zuerst Str. 13 Propter, dann 12

multnin pnim r^p Tirela+i^ ^^^ geschrieben; dann hat die erste Hand

muitmn enim ae preiatis durch Zeichen sie umgestellt. 1 videt MH,

sunt deorsum descendatis vidat B 2 multos U, multas B, (= multi)

propter avaricia. derunt?r'' "' ^'P'^''^^^'' ^' ^^ ^^''^''" 18 (C 12. M 14. H 31. B 10)

Propter cordis strictitatis l tristitatis M 2 s. d. sedem dignitatis

sunt de sede degradatis ^' sunt superbi descendatis HB {vgl. 12,3)

et Sic propter parcitatis ^ "* P/"P*t' '"^"^ ^' ^^ ^ varmi^t^^ H

T , .. 4 perdere H

perderunt magnalia.

14 (C 13. M 15. H 32. B 12. W 10)

Pogo, deus maiestatis, l Precor deum m. W 2 uos HW

«■■-■,• -««o -p^^u r.i. ««^«^,-« 2 facit B 2 qui de nichil vos er, C

qui nos fecit et creatis, ^ 3 ^^i quod MB 3 hunc M 3 vinum:

ut hoc vinum, quod bibatis, iustum C 3 hec vinus quam B 4 posset

possit vos stranffuHa. f . t,'*^^?^^'}?.^ ^\ strangularia M, strang-

^ 00 o yvo oi;x«,iigixj_La,. ^^^^^ g. ^^^ ^^^^^ strauguria a a a etc W

C m. 1 : Frior dixit ad canonus :

15 (C 14. M 16. H 33. B 13)

Ad hoc verbum prior cursus 1 li^nc M 1 sursus C 1 Ad hec

furabatur sicut ursus. ^^^^ irascatus B 2 furebatur C 2 fu-

414

Wilhelm Meyer,

unus vice atque rursus momordavit labia.

riebat s. catus B 3 unu at (autem) atque M ; unam vicem H ; semel atque iteratus B 4 momordivit B, momordebat M

16 (C 15. H 34. M 17. B 15)

1 canone ausgewischt, darüber monache

von anderer Hand H 2 tace miser g. C

2 uiUs H 3 quand. M 3 de : cum MB 4 fuit tibi HM

Tandem dixit ad canone: miser vile garcione, quondam discus de pulmone tibi fuit gaudia.

17 (C 16. H 35. M 18. B 17) Nunc tu es canonizatus et de nichil elevatus : sicut regem vis pascatus

et in maior copia* In C folgt C 17 = no 33

18 (C 18. H36. M19. Habes iustam et micheam et cervisiam frumenteam, unde reges posset eam

bibit cum leticia.

1 tu: cum B 1 canonicatus MB

Die letzte Silbe der Zeilen 1 2 3 ist in B so gekürzt, daß man atis lesen sollte 2 de vili M 2 eleuatis H 3 Velud M; bis in die vis C. 4 esse cum delicia C

B18)

1 iustam {mensura vini) Meyer: iustum HB , iuxtam M ; miceam B. 1 H. nuches (miches ?) et iusteam C 2 et om. M ; se- ruisiam H, seruiceus C, ceruistam M, clusa B 2 farmenteam B 3 regis H ; 3 Quod rex possit bibit eam C 4 bibit ad deli-

cia M, in festo natalia C

Nach Str. 18 folgen in H als Schluß die Strophen H 37—43 = no 88—94

19 (C 19. M 20. B 16)

1 fuas . . scribas C 2 pennas cibas C 3 cum om. M 3 aquis ranas, dann um-

gestellt, M: vinas aquam B, rana aqua C 3 bibas 0 4 et: vel C

Quando fuis pauper scribis et lucrabas penna cibis, tunc cum ranas aquis bibis

de fons et de fluvia. Nach Str. 19 folgen in M die 34 36 35

30 (C20. M27. B19) Canon dixit: nunc irabor, vitam tuam recordabor.

tu es unus dealbabor nee habes sciencia.

31 (C 22. M 28. B 20) Secularis quando fuis, sotulares super tuis evangelistas quater suis,

sie vadens per hostia. 23 {C 21. M 29. B 21) Cum non habes, unde victus, dealbabor fuis dictus, ollam aque benedictus

spargens per boscaria.

Strophen M 21—26 = no 31 32 33

1 cano M 2 vita tua C

3 unum M 4 non habens C

3 Psalm 50, 9 lavabis me et super nivem dealbabor

1 Scolaris M Die 2. und 3. Zeile sind in C umgestellt 3 angelistas super suis B

1 Tunc M aquas b. C pro bucolicis rochia C

2 fuas C 3 spergens 4 spergis M ; spargens B; per domos in pa-

Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein.

415

33 (C 23. M 30. B 22) Tunc letabas et coiifortas, quando dabas tibi tortas. f panis ac[ue contra portas

in die dominicia.

U (C om. M 31. B 23) Tota die stas cantare et in festis mendicare minus eciam portare

nichil vel aqualia. 35 (C 24. M 32. B 24) Prior factus nunc de gromo te tendebas sanctus homo. confudisti ista domo

per tua superbia. 26 (C 33. M 33) Nudus nates huc intrasti, totam domum istud vasti, donans eis quos gignasti

filios et filia.

37 (C 25. M 34. B 25) f Non est magis gravitate quam sit unus paupertate abbas prior vel prelate

inter bona socia.

38 (M 35) Manducaris aucas vinum : nobis tanquam peregrinum] nichil nisi disciplinum

dabas in capituLia.

39 (C 26. M 36. B 14) Ad hec prior tacuebat. movens testam nil loquebat. vellet, sed non potuebat

propter iracundia. 30 (C27. M37?) Tandem dixit ad canone: nil plus babes racione. siluisti de sermone propter verecundia. 3 = siluisses?

In B folgt B 26 = no

1 confortabas B 2 dabas tibi B, da-

bant t. C, t. dabas M 2 torcas B, tartas C 3/4 so M\ palus q. {quia) aquam por- tas i. d. domiuicis B ; Modo groyuum (= grief?) nobis portas per mala fortunia C

2 meditare B 3 ebenso imver-

ständlich B : nigrum panis et por- tare. oh potare?

in C fehlt Z. 2; dagegen' steht vor Z. 1 Quondam caytyff (caitiff = cattivo) et non homo Prior etc 1 prior MC : canon B 1 nunc : sie C 2 tenebat B 3 confu- sus es in i. d. M, es confusus isto d. B

1 wiä' (nudis?) vates M 2 to- tum M = vastasti? 3 dabas eos que g. M 4 filias e. f. C

1 es maior B 2/3 quam quod

un. pravitate fiat prior C 2 unum M 3 prior vel CB : priorum M

ob = peregrinis . capitulo ?

disciplinam . .

1 hunc M 1 Longue tempus tac. B 2 testam: labia C 3 volet M, volans B 4 iracundia M

M 37

Tandem dixit cum rampone: si non taces mementone, dicam tuam vitam omne ad totum sodalia.

95

416

Wilhelm Meyer,

31 (C 29. M 21. B 27) Miser norme recordabas, quando olim tibi dabas offas" pisas* micas' fabas

per misericordia.

32 (C 30. M 22. B 28) Extra portam iuxta vicos iacuebas cum mendicos ; ego tibi fac amicos

in hac monasteria.

33 {C 17. M 23. B 29) Tunc tu fuis macilentum, nunc tu habes de pulmentum grossas boccas * duplex mentum

atque ventris pinguia.

34 (C 31. M 24. B 30) Ad nos venis cum precatus, ut intrares monastratus. hec deberes recordatus,

ut esses bumilia.

35 (C om. M 26. B 31) Preter omnes tu loquare, tanquam doctor te monstrare, propter legit et cantare

nimis es superbia.

36 (C J28. M 25. B 32) Nunc te mando, quod tu taces. nicbil nobis iam loquaces. vel tu potes tantum faces,

quod te semper odia. in B bilden die 3 Strophen des Gedichtes.

37 (C 32. M oni.) Ego semper laboratis, ut tu esses claricatis;

sed tu nunquam vis discatis, ut esses sapientia.

38 (C 34. M 38) Veniasti cum burdone, super pedem nichil pone, funem habens loco zone

minorum similia.

1 tu non M, numquid ß 2 qua nos B 3 ossas micas pisas M,

pissis ossas nuchis B 4 pro M

1 Contra portas M 4 hanc M

2 iacuisti C

1 Qui tunc B, Postquam C 1 eras B 1 ad nos ventum C 2 nimis habes C,

nunc habebas B 3 grossas buflfas B,

grossum genas M 3 duo mentum M;

wattymentum C = wadded mentum, aus- wattirt? 4 ventrem C

1 deprecatus M M, nostri status B

1 Propter B

2 monestratus 3 hunc M

3 legis B

4 et B

1 so B; Hunc demando M; N. t. laudo C 2 so M; neque michi plus 1. B; ab

hiis verbis contumaces C 3 so C, doch

tamew statt tantum; posset modo t. f. M; carte modo t. f. B

B 33 34 35 = no 96 97 98 den Schluß

1 Ad nos venis cum bordone M

2 pedes M

3 cordam habes longo z. M

Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein.

417

39 (C 35. M 39)

Tu pergisti villam villam aspergendo aque stillam super illum super illam querere cibaria.

40 (C 36. M 40) Reputabas te pro vates, comedebas inter cates: nunc es factus ut abbates

non nostro consilia.

41 (C 37. M 41) Servus foit tuus frater et ancüla tua mater; latro fuit tuus pater

portans tympanistria. 43 (C38. M42. W7?) Teste Jesu valde bone nuUam habes racione; nunquam scisti legem pone

usque mirabilia.

43 (C 39. M 43) Tu non fuis claricatus nee in arte sophismatus; nicMl verum tu probatus

per tua scolaria.

44 (C 40. M 44) Tu ubique truantasti et a scolis recedasti; super equam equitasti

cum vili capistria.

45 (C 41. M 45) E/ibaldorum tuum genus, vanitate totus plenus. apostolorum duodenus

voco testimonia.

46 (C 42. 31 49)

Non es talis, qualis credes. in scarleto nunquam sedes. sed perones super pedes et cum nuda tibia.

1 Tu tristasti istam v. M

4 querens ibi c. M 1 per M

3 nunc priorum nee abbates M

4 reputans consilia 31

1 Servum M. M häuft den Spott: 1 tua frater, 2 tuus mater, 3 tuum pater

4 timpan. M

M : 2 nuUum, 3 sciuis Jn W steht 1 Audi me, tu prior bone, 2 tu es nnum Clopione. 3 tu non nosti legem pone 4 neque mirabilia a a a etc.

1 claricatus (vgl. 37, 2. 53, 1 : cle- ricatus M 2 sophizatus M

3 nuUum v. M

4 per: cum M

1 truätasti = trutanasti ? ; Perubique traus- sviastw M 3/4 semel equam ascendasti in V. c. M; es scheint eine Schulstrafe bezeich- net zu werden ; vgl. M in 46, 3 ; dann Str. 56.

2 vanitati totum M

3 postolorum M. d. = duodecim?

2 instar leos M 3 perones

Meyer ^ pirones C 3/4 semel equam nudis pedis scandis in vituperia M {vgl, 44, 3)

418

Wilhelm Meyer,

47 (C 43. M. 46) Vestimenta tua novi. non valebant testa ovi. ibi solent vermes fovi.

sunt et signa alia.

48 (C 44. M 47) Tuus lectus est caprarum et de pellis vitularum. ibi Stratum valde parum,

nullus pannus linea.

49 (C 45. M om.)

Tu vis velle commendasti et super omnes iudicasti. quare vis sie exaltasti,

cum non sumus paria? C m. 1 : Resjjondit canon ad prioris :

50 (C 46. M 48) Dixit canon ad priore: Semper vadis per errore. pone manum super ore

pro Jesu Calvaria!

51 (C 47. M 50) Meum retro denudasti, me cum cato sociasti et, quod parvus sum, loquasti; in hiis totum blasphemasti

per tua mendacia.

53 (C 48. M 51) Ego natus sum de milis. pater mens vir gentilis. mater mea non est vilis, bibens mustum in Aprilis

et in tota Maya. 58 (C 49. M 52. W 8) Ego fui claricalis plus quam tu vel centum talis. ego legi Juvenalis

in scolis gramaria.

54 (C 50. M 53) Disputavi cum philosis * Jacobinis et nodosis

1 Vestimentum tuum M 2 testa ovi (Eierschale) C: unum ovi M 3/4 ibi bene solent fovi vermes ac putredia M

1 Tuum M

2 pelle M 3 stramen M; paraü M 4 nullum pänis (darunter steht palmis) lintya M

1 ßespondens cano priori M

2 errori M

3 ori M

4 per M

2 cato (vgl. 40,2): katho M

3 quod per vos sum C, cum parva sim M 3 loquasti M, leuasti C 4 der Vers fehlt in M 5 fingis per

m.

X

1 Sciunt gentes plas de mülis M

2 quod de patre sum g. II

3 mens mater n. e. v. M

4 b. vinum M 1 milis C = militibus?

1 fuit W 1 claricalis (vgl. 37, 2. 43, 1) C: clericalis MW 2 pl. q. vobis duo t.

M ; fuit quoque monachalis W 3 legit W 4 gramalia M ; scholis in Germania a a a etc. W

1 = philosophis? 2 Jacobinis = Dominicanis 2 Augustinis et

Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein.

419

Augustinis Carmelosis, sed habens victoria.

55 (C 51. M om.)

Sum de sanguine Salomonis atque plenus racionis. veiiter mens in sermonis eructabit labia.

56 (C 52. M 54) Super equam me imponis, qni cum comes et baronis eqnitavi equis bonis.

minquam habes talia.

57 (C 53. M 55) Palefridis equitavi, multos ictus sustinavi, totum mundum decoravi

per mea milicia.

58 (C 54. M 56) Meas caligas de burneto, sotulares de corneto (?), mea roba de scarleto

totnm cum silvestria (?).

59 (C 55. M 57) Meus lectus curiale, totum factus de sendale: miser, nunquam habes tale,

sed de canavasia.

60 (C 56. M om.)

Sub te parum pulvis stramen absque omni lintheamen: nobis ita loquis tamen, ut fuis in gloria.

61 (C 57. M om.) Postquam ordos tu intrasti, ciphos multos vacuasti. nichil verum tu discasti

nisi de glotonia. 63 (C 58. M om.) Quia tantum bibuisti, ventrem tuum doluisti, quod non surgere potuisti

usque dies claria.

nod. M 3 Carmelitis et monstro- sis M 4 sed om. M

V. 3/4 sind mir unklar. Statt in kann man ancb vi lesen. Benützt scheint Psalm. 118, 171 eructabunt labia mea hymnum

1 inponis M ; vgl. Str. 44, 8

2 barronis M

3 equitabam M

4 tu nunquam habens t. M

1 Parafredus M

3 totus mundus M

4 pro M

(M 56) Meus calces de corneto (?), meus roba de burneto, meus toga de scarleto,

forneto (f um ita?) de varia.

1 Mea M 2 sendale (cendale

Meyer: sandale C, sindone M 3 habens M 4 d. h. canevas ;

caiiauiasia C, caiia sacia M

1 pulvis = pulvereum?

4 fuis = fuisses? 1 ordinem

3 == didicisti

4 = glutonia.

4 vgl. 102, 4 usque ad diem claria

420

Wilhelm Meyer

C ni. 1: Prior consentit canoni

68 (C 59. M 58) Prior dixit: gratias ego usque modo corde tego. quod non feci, modo lego : volo pacem facia.

64 (C 60. M 59) Ergo tu me osculabis? quorum fratres tu fidabis, quod tu michi condonabis?

faciamus venia. (2 = quoram fratribus fidem dabis) C m, 1: Et canon priori:

65 (C 61. M 60) Placet michi, quod tu dixi. ego semper, quam diu vixi, nunquam faciam tibi rixi,

sed semper concordia. C ni. 1: Hie invicem concordant:

66 (C 62) Tunc bibunt vinum sanguinatns, quod sunt oculi lacrimatus, et riserunt pre gaudiatus

et totus mutant in bordia.

(M 58) Dixit prior ad canego : graves corda modo tego. male dixi, te supplebo,

ut nos pacem facia. (M 59) Dixit cano ad prioris : ergo tu me osculabis? coram fratres perdonabis

istud iracundia?

Prior tunc (?) ad cano dixit M

2 e. s. quantum uixit II

3 n. t. facem rixit H

4 concordia. Amen. Ende von M

Schon der sclüeclite Zeilenhau zeigty daß diese Strophe ein Zusatz ist.

Amen. Explicit. Ende von C

Uebersicht der einzelnen Handschriften und Abdruck der Strophen, welche nur in ^iner Handschrift (H oder B oder W) enthalten sind, no bezeichnet meinen Text.

C = Cambridge, Trinity College 0 9, 38 fol. 14». C(1234567 Canon: 8 9 10 11 12 13 Prior; 14 15 16 17 no 1 1 2 3 4 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 38

C j 18 19 Canon: 20 21 22 23 24 25 26 Prior: 27 28 29 30 31 no 1 18 19 20 22 21 23 25 27 29 30 86 31 32 34

C I 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 Canon: 46 47 no [ 37 26 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51

48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 Prior: 59 60 Canon: 61 62 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66

no [

M = Monaceiisis 19685 (Tegemsee 1685) f. 112=' MI12 3 45 6789 Canon: 10 11 12 13 14 15 16 Prior: 17 no 1 1 2 3 4

(7»>) 5 6 7' 8

9 10 11 12 13 14 15

16

Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein.

421

M [ 18 not 17

I

no [

19 20 21 22 23 24 25 26 Canon: 27 28 29 30 31 32 33 18 19 (31 32 33 34 36 35) 20 21 22 23 24 25 26 M I 34 35 Prior: 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 Canon: no I 27 28 29 30 38 39 40 41 42 43 44 45 47 48

48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 Prior: 58 Canon: 59 Prior: 60 50 46 51 52 54 54 56 57 58 59 63 64 65

Hll nol 1

H = Harlejanus 913 fol.

2 3 2 3

67 (H 4)

Abbas bibit ad prioris: date vinnm ad maioris. possit esse de minoris, si se habet gratia.

68 (H 5)

Estne aliquid in currino? immo certe plenum vino. ego tibi nunc propino de bona concordia.

69 (H 6)

Non est bonum sie potare, et conventus nichil dare, quia volunt nos clamare durum in capitula.

70 (H 7)

Surge, cito recedamus : hostes nostros relinquamus et currino iam parcamus. ibimus in claustria.

71 (H 8)

Post completum redeamus et currinum combibamus atque simul conletamus

in talis convivia. 73 (H9) Dixit abbas ad prioris: tu es homo boni moris, quia semper sanioris

micbi das consilia.

10*

1 = 4,1

vgl. 6, 2 date vinum nostris fra- tris und 87, 2 date micbi de liquoris. vgl. 87, 4 si babebit gratia.

Ist in der Handschrift unten an der Seite nach Str. 71 ergänzt, doch mit deutlichen Zeichen , wie zu stellen. Wright hat diese Zeichen übersehen und diese Strophe nach no 71 gedruckt. 1 = 70, 3 und 71, 2 currino ist ein Wort heltischen Stamms = Faß.

volunt (will) clamare = claraabunt?

precamus Wright

422

Wilhelm Meyer,

73 (H 10)

Post completum rediere et cnrriimm combibere; potaverunt usque flere propter potns plnrima.

74 (H 11)

Prior dixit ad abbatis: ipsi babent vinum satis. vultis dare paupertatis noster potus omnia.

75 (H 12)

Quid nos spectat paupertatis ? habet parum* babet satis, postquam venit non vocatis ad noster convivia.

76 (H 13)

Si nutritum esset bene, nee ad eibus nee ad cene venisset pro marcis dene nisi per precaria.

77 (H 14)

Habet tantum de hie potus, quod conventus bibit totus et cognatus et ignotus de egris servisia.

78 (H 15)

Abbas vomit et prioris. vomis cadit super floris. ego pauper stfeti foris. et non sum (cum?) leticia.

79 (H 16)

Rumor venit ad antistis, quod abbatis fecit istis. totum monstrat ad ministris, quod fecit convivia.

80 (H 17)

Hoc est meum consulatis, quod utrumque deponatis et prioris et abbatis ad sua piloria.

[vgl. no 4 (und no 2, 3/4) abbas bibit ad prioris. prior vero totum horis. ego pauper stabat foris ml habens delicia.]

administris ?

c. = consilium?

Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein.

423

81 (H 18) Per lioc erit castigatis omnis noster subiugatis* prior* clerus et abbatis,

ne plus potent nimia.

83 (H 19) Absit, dicit alter clerus, quia bibit parum merus, quod punitur tarn severus per noster consorcia.

83 (H 20)

Esset enim bic riotus. quod pro stultus hornm potus snstineret clerus totus pudor et scandalia.

84 (H 21)

Volnnt omnes quidem iura, quod per meum forfectura alter nullus fert lesura, sed pro sua vicia.

85 (H22)

Sed sie instat in privatis: bis sex marcas det abbatis, prior denis, et est satis, ut non sit infamia.

86 (H 23)

Placet boc ad nos antistis: dent ad presens nummos istis. sed si potant, ut audistis, nunquam habet supera.

87 (H 24)

Dixit abbas ad prioris: date micbi de liquoris. Status erit melioris,

si habebit gracia. H 1 25 26 Canon: 27 no( 7 8 10

88 (H 37) Nullum carnes commedatis neque pisces perfruatis, lactem quoque denegatis:

sie te facit sobria.

at Wright

1 H (liic, hec?) H; riotus = riotta?

= privilegüs? = prior denas?

vgl 67,2

hebit H;

vgl

: 67, 4

28 29 30 31 32 Prior:

33 34 35 36

9 11

12 13 14

15 16 17 18

424

Wilhelm Meyer,

89 (H 38)

Nulluin tibi sit tabellum neque tibi sit scabellnm; mensa tibi sit patellum, non Habens mappalia.

90 (H 39)

Super .terram sie sedebis nee abinde removebis; velis nolis sie manebis in hee refeetoria.

91 (H 40)

Post hee dies accedatis ad prioris et abbatis; disciplinas assumatis; fac flectamus genua.

93 (H41) Sic devote prosternatis ac deinde lacrimatis, dorsum nudum extendatis. caret te leticia?

93 (H 42)

Ibi palam confiteris, quod tu male delinqueris, et sie pardonem consequeris in nostra capitula.

94 (H 43)

Tunc proinde tu cavebis

malum loqui; sie tacebis.

prelatores non spernebis

contra tuum regula.

ironische Frage

et del?

= prelatos?

B = Besan^on 592 fol. B I 1 2 3 4 5 6 7 Canon: 8 9 10 11 12 Prior: 13 14 15 16 17 no| 1 2

no [

2 3 4 6 7 8 10 12 13 11 14 15 29 16 19 17 18 Canon: 19 20 21 22 23 24 26 26 Prior: 27 28 29 30 31 18 20 21 22 23 24 25 27 95 31 32 33 34 35

B I 32 33 Canon: 34 Abbas 35

not 36 96 97 98 95 (B 26)

Tunc iratum est priore die Strophe ist wohl nach Str. 29

et minantes loquit ore. gemacht

Quondam fiiit factas festus, ein Gedicht in Spottlatein. 425

sed balbucum pre timore responduit talia.

96 (B 33)

Juro dei per sanctorum, non es dignus sociorum nee intrare noster chorum, cum sis puericia.

97 34) Canon dixit irascatus:

de prioris non curatus ? = non curabo und non loquar

et cum eo non loquatus nunc et in perpetua.

98 35)

Ad hec abbas contristatis dixit: prior, non curatis! non est nostre regulatis bec et hiis similia.

W = Breslau, Univ. -Bibliothek, Collect, ad histor. Siles. IV Q. 132*' fol. 75* (17. Jahrb.): Cantus hiulcus de abhate hono sed jpriore inhiimano erga fratres.

2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 99 2 6 7 8 42 53 100 14 101 102

99 (W 2)

Festum erat hoc abbatis, qui tractavit omnes gratis dixitque ad invitatis: laeta sint solemnia aaa etc.

Wf 1 no[ 1

100 (W 9) Bibe frater ad priore cessabitque a livore. infundatur de liquore,

et erit concordia aaa etc.

101 (W 11) Abbas erat bonus homo,

sicut succus est in pomo: sucus Peiper

bibant omnes hac in domo

haustum cum laetitia aaa etc.

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Kl. 1908. Heft 4. 30

426 Wilhelm Meyer,

102 (W 12) Post haec omnes bibierunt ^et in vestes dormierunt, matutinas neglexerunt

usque ad diem claria a a a etc. ad om. Peiper ; vgl. 62, 4 us-

que dies claria.

n

Das Gedicht: Sermo noster audiatis.

Der niedrige, derb - bximoristisebe Ton des bisher behandelten Gredichtes 'Qnondam fnit factns festus' paßt trefflich zur Bildung und zum Geschmack des 14. und des 15. Jahrhunderts. Ich wundere mich eigentlich, daß nicht viel mehr derartige Dichtungen wieder aufgetaucht sind als die folgende, mit der genannten eng ver- wandte, ja ihr nachgeahmte.

In der Breslauer Universitäts-Bibliothek liegt eine Sammel- iandschrift IQ 466 , welche einst Nicolaus von Kosel besaß, der 1414 zu Czasla in den Franziskaner Orden trat. Diese Hand- schrift, über welche Heinr. Hoffmann in seiner Monatsschrift II S. 738 Nachricht gegeben hat, enthält böhmische, deutsche und lateinische Lieder. Aus ihr hat Wattenbach in seiner Jugend auch das folgende Lied abgeschrieben, und nach dieser Abschrift ist es 1861/2 zwei Male veröffentlicht worden: 1) von Feifalik in den Wiener Sitzungsberichten 36 (1861) S. 179; 2) von H. Palm in den Abhandlungen der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. phüosophisch-historische Abtheilung. 1862, Heft II S. 80. Herr Bibliothekar Dr. Molsdorf hat gütigst für mich noch einmal die Handschrift mit den Drucken verglichen.

Zweifellos ist dies Gedicht unter dem geistigen Einfluß des 1. entstanden. Denn der Inhalt und die Form sind die gleichen. Dort zanken sich Prior und Mönch um Essen und Trinken, hier schildert ein Bettelmönch, wie sie hungern und frieren müssen und dabei mißhandelt werden. Dort wie hier ist dieselbe Strophen- form angewendet , je 3 gleich gereimte Achtsilber mit sinkendem Schlüsse, denen ein Siebensilber mit steigendem Schlüsse folgt, der in allen Strophen ebenfalls mit ia schließt. Das Spottlatein ist das gleiche; die Deklinations- und Conjugations-Endungen und die Casus werden hier mit dem gleichen Hohne vertauscht wie dort. Auffallende Germanismen finde ich hier nicht; das Stück kann

Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein.

427

also aucli von einem Bökmen oder Polen fabrizirt sein. Ich gebe in der 2. Spalte eine Umschrift, wie der Verfasser wohl ge- schrieben hätte, wenn er nicht eben Spottlatein hätte schreiben wollen.

Der Versbau ist ziemlich zerrüttet, ob durch die Schuld des Verfassers oder die der Abschreiber, ist schwer zu sagen. Statt

8 Silben mit sinkendem Schlüsse haben: V. 67 zehn Silben; V. 19 30 50 53 54 (all diese fangen mit et an) und V. 26 und 58 haben

9 Silben; V. 23 46 und 66 haben nur 7 Silben und V. 73 gar nur 6 Silben. Anderseits haben die Verse 64 und 72 statt 7 Silben deren 8. Durch ein 4silbiges Wort oder eine 4silbige Wort- gruppe ist der Schluß des Achtsilbers stets gebildet: nur nicht in 58 laicus se magis irabit und nicht in 70 estis qui nostrum fau- torum. Von den 20 Siebensilbern haben 7 Taktwechsel, wie' V. 28 quod dentes concucia, 32 iratus familia. Hiate fand ich 8, also ziemlich wenige. Auch der zweisilbige Reim ist stets rein; nur in V. 27 reimt frigus auf icus.

Sermo noster audiatis. quid petimus, faciatis, quod vos deus assumatis 4 ad celestem curia.

Sermonem nostrum audiatis! quod petimus, faciatis, ut vos deus assumat

ad celestem curiam!

Quando erit in adventus, noster male stat conventus. nichil habet comcdentus, 8 sed habet miseria.

Quando erit in adventu, noster male stat conventus, nicJiil habet comedendum, sed habet miseriam.

Quidam iacet in fornacis sed hoc loquit salva pacis totum nudus, sine bracis, 12 quod est mirabilia.

4 nie iacet paradisum et ad fornax habet visum. si videres, esset risum; 16 non sunt lectistemia.

Quidam iacet in fornace sed hoc loquor salva pace totus nudus, sine bracis, qiiod est mirabile.

nie iacet paradisum (?) et ad fornacem habet visum. si videres, esset risus; non sunt lectistemia.

4 curiam C cod.

30=

428

Wilhelm Meyer,

Dum pro panis vadit edes, omnis habet nudos pedes, et se ad lapis multum ledes,

20 quod erit flebilia. 6 Et si ultra succursabit, canis ipsum momordabit. laicus nichil non dabit.

24 0 magna tristicia! 7 Quando exit super vicus, nullum videt suum amicus. ipsum mordit magnum frigus,

28 quod dentes concucia.

Dum pro pane vitdit ad aedeSy omnis Imbet nudos pedes et se ad lapides midtmn laedit; quod erit flehile.

Et si idtra airret, canis ipsum mordebit. laicus nichil dahit.

0 magna tristicia!

Quando exit per vicos, nullum videt suum amicum, ipsum mordet magnum frigus, ut dentes concutiat.

Et si stubam quis intrabit et se ad fornax calidabit, ipsum extra pepulabit

32 iratus familia. 9 Nolo furem. quod hie stabis? quod tu nobis nil furabis! vel ego te verberabis

36 usque ad sanguinea. 10 Et sie exit confundatus. sibi pauper nil non datus. canis currit cum latratus,

40 quando vadit hostia. 11 Si se unus infirmabit, alter eum consolabit, super eum mendicabit

44 panis et cervisia. 12 Bone frater, cum te stabo. quid non vis, tibi dabo, si vis panis, aportabo

48 et aquam de flu via.

Et si stubam quis intrabit et se ad fornacem calidabit, ipsum extra pulsabit irata familia.

Nolo furem! quid hie stas? ne nobis quid fureris! vel ego te verberaho

usque ad sanguinem.

Et sie exit confusus. ei pauperi nihil datur. canis currit cum latratu, quando vadit ad ostia,

Si quis inßrmatur, alter eum consolatur, pro eo mendicabit

panem et cerevisiam.

Bone frater, tecum staho quidvis tiln dabo, si vis panem, apportabo et aquam de fluvio.

24 nil non Cod; sibi non Palm; vgl. V. 38 46 quid modo vis? 48 flu- mine Cod., fluvia Palm-, vgl. Quondam fuit (S. 414) 19, 4 de fons et de fluvia.

Quondara fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein.

429

13

Quando simul sedent isti

et non habent quid comedisti,

magni cantant, parvi tristi

52 flent propter esuria. 14 Et quando magnum est scolare et vadit inter populäre, ipsum omnes inclamare:

56 tu es partecaria. 15 Et si parum respondabit, laycus se magis irabit; tale verbum sibi dabit:

60 vadis ad discolia. 16 Sanete deus trinitatis, tu scis omnis cogitatis. nos nil eis faciatis,

64 tarnen nos semper odia. 17 Hoc credere potuetis. nam semper extra metis posuerunt nostrum habitetis

68 extra cimiteria. 18 Sed vos boni dominorum, estis que nostrum fautorum, ad vos mittit clericorum

72 rogando vestra gratia. 19 Quid vos nobis datis, quod libenter comedatis, et, si datis de hoc satis,

76 erimus leticia. 20 lam volumus appendare nostrum magnum sigillare, ut vos nobis boc credare,

80 quod non est fallacia. 56 Palm: partecarius ein Bettler particula); Schmeller I 406: Gaben, 'ich hab mir viel Partecken ersungen'.

Quando una sedent isti et non habent, cßiid comedant: magni clamant, parvi tristes (?) flent propter esuriem.

Et quando magnus Scolaris vadit inter popidum, ipsum omnes indamant: tu es partecarius.

Et si paulum respondehit, laicus magis irascetur; tale verbum ei dabit:

vadis ad dyscoliam (?).

Sanctae deus trinitatis, tu scis omnes cogitatus. nos nil eis facimus;

tarnen nos semper oderunt.

Hoc credere potestis. nam semper extra metas posuerunt nostras Jiabitationes extra (iuxta?) cimiteria,

Sed vos boni domini, estis qui nostri fautoreSj ad vos mittunt clerici

rogantes vestram gratiam.

Aliquid vos nobis date, quod libenter comedamus, et, si datis de hoc satis, erimus in leticia»

lam volumus appendere nostrum magnum sigillum, ut vos nobis credatis,

quod hoc non est fallacia. um ein Stückchen Brot (partyka polnisch Almosen in Geld u. Speisen. Hans Sachs 60 morositatem ? 73 Quid nos nobis Cod.

Weitere Beiträge zu Menander.

Von

Friedrich Leo.

Vorgelegt am 19. August 1908.

A. Körte hat soeben in den Berichten der K. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften (phü.-hist. Kl. LX S. 87 ff.) die Ergebnisse seiner Nachprüfung des Menanderbnches von Aphro- ditopolis veröffentlicht. Man erfährt daraus vor allem, daß Le- febvres Lesung im allgemeinen zuverlässig, der Text des Papyrus also wirklich, und zwar besonders iq den Tetrameterscenen, sehr corrupt ist. Vieles neue hat Körte hinzufügen, vielfach die Grund- lage der Herstellung breiter und sicherer geben können. Ich be- handle hier einige Stellen, an denen ich meine weiter gekommen zu sein; hoffentlich werden sich diese Versuche bei der nächsten Prüfung des Papyrus nützlich erweisen.

Ich beginne wie Körte mit der UeQixsiQo^evri. Der Aktschluß, der den Anfang des bei Lefebvre hinter die Za^ia geratenen Fragments bildet, kommt jetzt richtig heraus. Daos hat gesagt V. 345 (75) ') 6 xQotfinois ^rjtr]Tsog. Dann hat Körte gelesen (S. 94) die Versanfänge 346 (76) . . sqytog, wozu er bemerkt, daß der Buch- stabenrest vor s von x, X, d, Xi aber nicht von y herrühren kann, daß vor s zwei, höchstens drei Buchstaben fehlen, daß ays mit dem Raum, aber nicht mit den Buchstabenspuren vereinbar wäre; und 347 (77) svxulqov. Es ergibt sich, daß jemand aus dem Hause oder die herangekommene Herrin dem Daos zuruft: eXje ovTog avthv r\riv ta]xC6tt]v,

1) Ich citire nach Lefebvre und füge van Leeuwens Zahlen, wo sie ab- weichen, in Klammern bei.

Friedrich Leo, Weitere Beiträge zu Menander. 431

«fang du ihn so scliaell da kannst', und daß Daos mit den Worten abgeht :

svd'dds svxaiQOV sivuL (paiv8^\ cjg^i^ol öoKst. ivd'dds bedeutet also 'hier, wie die Dinge liegen' und ist in der Handschrift richtig seiner Person zugeteilt.

V. 356 (85): Moschion will trotz der gnten Botschaft ver- zweifeln :

rig s6oii[at, tCg;] ßCos] iiaXi^d'^ [o n, Jas, XGiV TCdvtCJV CCQSÖKSi 6[oL y8^] B7tCßks(p\ v[7Csq)vy6v. ^) ccQa ro (ivXcod-QSLv Kgatiötov] Dies ist nur ein Versuch, von sicißlscp ausgehend, das Lefebvre und Körte gelesen haben. Daos darauf :

£tg . . A . . . ovto(5\ cpSQOiisvoq ri[i . . ^ridsy .... ^vy .... Er spricht beiseit:

SL3 [ro] l[riQSlv (paCvBxai curoöl (pBQOiievog i^«'[t^'*] iirjdsv [ovv 6]^vv[rsog. Mit der Partie 362—374 (91—103), von der Körte S. 97 unter allem Vorbehalt eine Abschrift gibt, ist noch nichts zu machen; 363 SKÖoCrig, 367 slt s^s ravt, 369 toiag, 370 stQ^^vr} geht alles so nicht. Zu emendiren ist 370 (99) itp^ olg sXqyiks xovtoug (so schon Eermes XLIII 147 A.). Vielleicht 372 (101):

rccvta ^Bvtoi qp[ry](?^V svxd-co \%a\8\s ysvBöd'ai, 0v^q)OQcc^), das letzte nach Ua^. 264 aXlä tarn eviov ysvsöd'ai ^v^cpsgovra. V. 382 glaubt Körte etwa TCEQißaXovd' s . . . qccös zu erkennen; vielleicht STteöJca^s (Plat. Krat. 420* STtiöTta acpodga triv iljvx'tjv). V. 389 (118)iF. stellen sich bei Körte folgendermaßen dar: TtSQt^svsiv doKOvöC ^oC [(?]£ : Kai Ttokqv^ö ovK st^' DCYjdrjg . ntaiö av\t\alg \ovv\ itaQOvta ^ svd'äds. ay]6 ds vvv rofc[o]t>ro Xiy^ £'A['9']öv : !ßg bgag, ävaöXQBcpcß. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß in den beiden ersten Versen zwei leichte Schreibfehler zu corrigiren und sonst alles in Ordnung ist, nur daß ovx vom Ende des Verses in den Anfang des nächsten gezogen worden (so Robert, dergleichen ist öfter geschehen):

M. Kai 7CoO'ov/i£[0'' ^ yccg] ovjc' e^^tt' ccYiÖYig . [eJ^TCa^ avratg [xal] jtaQÖvta ^ ^v^dds]

1) Körtes Xesung: Jas t&v Ttdvrcov agsatiSL g . . . . inißlscp. y Unter der Yoraussetzung, daß mit y die Zeile wirklicli zu Ende ist, finde ich nichts.

2) GYXOCa.A Körte.

432 Friedrich Leo,

V. 383 (112) stellt ovx aridrig, gjq ^'ot[x£]i/, at'ft' iöstv ovo' svt[vx£t]v in der Handschrift. V. 399 (128) berichtet Daos: ag yäg eld-cav elyca Jtgbg rijv (iritSQcc, Zti ndcgsL u. s. w. Die Participialconstruc- tion ist bekannt aus Homer und der Tragödie ^) ; in der Komödie: Eubnlos frg. 120 K. Ix^vv Ö* "OiariQog se&iovt^ eiQrjxe itov xiva tcbv l4xcci'G)V ; ^)

Die Verse 404—411 (133-140), deren Abschrift Körte S. 101 gibt, klären sich auf; Moschion schwankt wieder zwischen Ver-

1) Z. B. Soph. El. 676 d-ccrovr 'Ogiatriv vvv ts yial ndXai Xsyco, Oed. C. 1580 Xs^ag OlSCnovv 6X(oX6xa, vgl. Plat. Gorg. 48 i^^.

2) In V. 391 (120) schreibt Körte wohl richtig xovtC für roLovto. Er be- merkt dazu: 'an dem Daktylus würde ich keinen Anstoß nehmen, denn V. 42 i tcoqvlSlov tQiGcid'Xiov zeigt, daß Menander ihn ebenso gut wie Epicharm und Aristophanes (vgl. Wilamowitz, Isyllos S. 8) im Tetrameter gelegentlich zugelassen hat.' Es ist ein Irrtum, daß die von Wilamowitz angeführten Trochäen die Zu- lässigkeit eines 'Daktylus', wie es der in xoiovxo X«'y' ^X&mv ist, beweisen. Epi- charm hat hierfür etwas zu bedeuten, wenn es sich um Aristophanes, aber nicht (wie man aus der ersten Leetüre Menanders lernt), wenn es sich um Menander handelt. Aristophanes hat in trochäischen Systemen drifioeicc und öslvoxsqov und (wenn das richtig ist, woran ich wie andre aus Gründen des Inhalts zweifle) in einem Tetrameter xrjv ytetpaX'qv, ein choriambisches Wort wie jene und wie Me- nanders noQvCdiov. der Gebrauch ist also genau derselbe und aus denselben Gründen wie der von *Avxiy6vri im tragischen Trimeter. Es gibt aber noch zwei Tetrameter bei Aristophanes: Eq. 319 vi] dia %a^\ xovx'' tögccas xavxov^ wo vi] dla nur im Ravennas steht, also nicht einmal überliefert ist (xal vi\ Ji'a im Venetus und sonst, da nämlich der Vers mit xat anfing), und Thesm. 1156, wo den Glauben an ölcc xbv ysXcov zu verlangen eine ziemlich starke Zumutung ist. Porson hat beide Verse emendirt; wenn beide mit dem 'Daktylus' richtig sein sollten, so hätte sich Aristophanes noch gelegentlich etwas gestattet wie Euripides, wenn er IlvXcidrig mit dem Versictus auf der letzten ins Innere des Trimeters setzte. Einen 'Daktylus' aber wie ihn Körte in xoiovxo Xey iXd-mVj in cprifiL ys ^-^ (S. 101), in vaxsQOv ^^dyysXXe (S. 125), in TtoXXa. ys' vvv y^iv (S. 131, dies im Trimeter) für möglich hält, gibt es bei Menander nur in Corruptelen und falschen Conjec- turen. Ebenso ist es mit dem Trimeter, obgleich bei Aristophanes die ein oder zwei kurzen Endsilben in der zweiten und vierten Senkung legitim sind. Menander hat das entweder aufgegeben oder aufs äußerste beschränkt, wie ich schon Nachr. 1907 S. 318 bemerkt habe. Die überlieferten Fälle (außer den dort besprochenen) sind frg. 462, 3 (wo nicht olov xa rrjötcorixa xuvxl ^bvvöqlu bei Athenaeus steht, sondern xu [i^v vria.y und nicht xcc vriaiaxiTici, sondern (ilv vr\Gaicc zu schreiben ist), 474,2 (wo der metrische Fehler doppelt ist), 481,11 (wo ngiöxog &jtfXd"^g nur Variante ist), 498, 2 [vagna xig hXov xb degfia, Dobree stellt aus sprachlichem Grunde um), 584, 10 (mit Elision, Meineke nimmt am Ausdruck Anstoß), 544, 4 (<Taxx^l' statt ffax/'oi'), 710,2 {ng&xov iniav.inxovy Meineke TTpcota), 849 (corrupt). Der Trimeter der Komödie ist nicht der archilocliische, sondern der volks- tümliche. Epicharms Trimeter steht Archilochos näher als der der attischen Komödie (Sieckmann de com. att. primordiis S. 21 f.); der Tetrameter des Ari- stophanes steht Archilochos näher als der Epicharms. Wie weit sich der Trimeter

Weitere Beiträge zu Menander. 433

zweiflung und Selbsttäuschung, dann zieht er Dans zur Rechen- schaft. Dieser hat gemeldet, daß die Mutter ihn fortgeschickt hat : ßccdi^s, Ttacdiov

SKTtoöav. [M. cckrjd^sg ; rjöri] itdvx^ a\y\YiQ7ta0z'' sk ^s6ov. ^) ovx £ft'] a'^' o['t'J'9-[£];/, Ttagövra ö' iqdi[iC8L,] ^aönyia.^) 405

tovto cpTJJöcxi ^ol; yeloLOv. J. rj ^sv ovv ^njtrjQ M tl qpr^g; TOdf 7t07}6^ cc]7cov6ai' aVT[7]V (pr]]6L TtQDCy^ ^ ov% svsx^ i^ov ] ^) 6v ÖS TÖO-', G}]g ^8Jt£Lxag ild^slv JtQÖg ^\ A. iyh d' slgriKci 6oi wg 7t£7C£i]x' sXd'stv ixsCvfjV] xbv ^^itöllco, ^yo) ^hv ov. *) M. 7toXXaxo]v do[Kstg 6]og)[G)]g ^oi) %oXv 'Kaxail)sv8e6[^' ayav. ^) 410 og ys xal rrjv ^rirsQ^ ccvrb'jg ravra öv^7Cs[7tSiX£]vai^) aQTicog scprjöd'a, tavtrjv svd^dö^ vitod'S^aöd'^ i^ov £V£xa. z/. rovO"', ogag^ scpriv ; vai, ^vtj^ovsvcj. V. 406 habe ich ysXotov dem Mosehion gegeben, das scheint mir notwendig. Moschion bezieht sich auf Daos' Versicherung V. 354 (83) xal 7t8JC£ix^ avTTjv ^ev sXd-stv ösvq^ dvaXdyöag Xöyovg avQiovg, tYjv 6riv ÖS ^YjrsQ^ ditodeieöd-ai xal Ttoslv Ttdvd-' ä 60i doKst (Körtes Lesung S. 95). 411 der Plural ravta, weil im folgenden das s^ov £V£7ca vom vjtodE^aöd'ciL ausdrücklich gesondert wird (413 xal öoksIv eveyC i^ov Ool tovto Tcgdttsiv]).

V. 418 (147) ff. hat Körte gelesen:

tvxbv l'öcog ov ßovlstm II ... . d[6a\i ö' f'l [£\7ti8Qo^fig tavd-\ ^tg stvxsv, dkl'' d^iol %[Q6teQov'\ sidsvat 6\ dxov6a[i] xd Tcagd öov t[e\ ^) vyi /iCa.

Menanders von dem des Aristophanes entfernt hat, bedarf genauer Untersuchung; von dem leichter zu übersehenden Tetrameter Menanders ist es klar, daß er eine Strenge der Form ausgebildet zeigt, die Aristophanes noch fremd ist. Besonders tritt dies in der Anwendung der Diärese hervor, vgl. Nachr. 1907 S. 336 und unten S. 440 A. 1.

1) Körtes Abschrift:

KnOAöN XNANT' A . HPnACT' eKMGCOY

iivriqnaGx ergänzt Körte, d-ituvta wäre metrisch nicht gut.

2) . . . O . APO C . NnAPONTAC HAI MACTiriA:

Das 0 ist in der Note angegeben, 'was auf [(y]qp[o]^()o['y]g führen würde'. Ich finde überhaupt keine Möglichkeit mit AP zu ergänzen.

3) V. 406 fehlen zu Anfang nach Körte nur 6, V. 407 nur 7 Buchstaben.

4) Ergänzt von Körte.

5) YAO .... 00 . eMOYnOAYKATAYeYAGC

Robert hat (nach Lefebvre) ergänzt: \tioXv xaroc '\ps\v8i)[ß 6\o(p{o? av,] noXv -naxd tpsvdog [XeysLv]. Sudhaus Rhein. Mus. LXIII 288 hat doyiSLg.

6) Zu Anfang fehlen nach Körte nur 17 Buchstaben. Die Ergänzung etwa wie Sudhaus S. 288.

7) y[£] die Handschrift.

434 Friedrich Leo,

Zu ergänzen ist offenbar u[ot cpQJdöaLi sie will nicht, daß du micli zum Boten und Vermittler machst, du sollst von ihr hören (ra arap' avTf}g) und sie von dir. Die Ausdrucksweise ist in ähnlicher Art concis wie Za^. 20. Das Folgende gibt Körte so :

ov yaQ ojg avkJYizQtg ovö^ ag TtOQvCöiov rgiödd^Xiov

de^etat. M. d-sXs]ig keysiv fiot, z/af, xC iidliv ; z/. öokl ....

. . . . ot . . [60t]Cv, oiyiaL * xaxaXü^oncev OLxCav,

Ol) q)kvccQ[G), TÖv t'] iQaoztjv. st 6v TQslg i] XBXxaQag

)]^]BQag ßo . Xel, TtQoöi^ai ooC xig' dvexoLVOvio ^loi 425

tou]t axovöuL yaQ E[^h djst vvv. M. tiov 7isdt]6ag xaxa[k]L7t[cjv,

z/]a£, nsQLTcaxety [7toe]ig ^le itSQiTilax^ov noXvv xuva]

Die Rede des Daos hat, wie es zwischen diesen beiden zu gehen pflegt, auf Moschion Eindruck gemacht ; das liegt in seinen Worten V. 422 (151): nicht fragend, sondern (mit Sudhaus und Robert) öoxelg ksyecv ^oi z/a£ xi TtdXiv. Daos benutzt den Vorteil und fordert ihn zu weiterer Ueberlegung auf: doxt^aöov a)ö\ ÖTtoiöv iöxiv. Der folgende Gredanke muß sein : 'sie hat doch gewiß nicht ohne Grund Haus und Liebhaber verlassen' ; das ganz notwendige 'nicht ohne Grund' muß in ov (plvag liegen: ov (plvagovöa oder (pXvdQcp (wie öTtovörj u. dgl.). Daraus folgt : 'laß ihr Zeit, wenn du sie drei oder vier Tage in Ruhe läßest, wird sie dir gehören'. Zu ßg . Xsl bemerkt Körte, daß für B auch 0, für O auch A ge- lesen werden kann und daß vor dem X ein oder zwei Buchstaben fehlen. Hiernach darf man nicht an Tcavöei oder cpsv^ei ^), das den Gedanken einfach ausdrücken würde, sondern ernstlich nur an ßovXsL denken. Glykerion xaxaXiXoiTCs xijv oixCav xal xov bqdl0X)]v^ 'wenn du nur drei oder vier Tage lang dasselbe tun willst ': zu ßovXei muß verstanden werden xaxaXsiitsiv xrjv oixCav xal xi^v eQCD^evriv. Es ist mir sehr wahrscheinlich, daß Menander das ge- wollt hat; natürlich unterstützt das rid^og den Ausdruck, das zögernde Sprechen des Daos, der einen Wutausbruch fürchtet. Daß der Gedanke kein andrer war, zeigt das Folgende klärlich. Zunächst lügt Daos: 'sie vertraute es mir selber an', bisher hat er das verschwiegen, 'jetzt mußt du es wissen' (nicht 'ich'): dxov- fsai ydg 0[e d]st vvv. Dann bricht Moschion in Klagen aus : tcov jiedr]6ag xaxaXCitG)] 'wo soll ich sie festbinden, ehe ich sie verlasse?* d. h. wer gibt mir Sicherheit, daß sie nicht während der Zeit davongeht? 'es ist ein langes Herumwandem, auf das du mich

1) Oder atB7.Bt mit Sudhaus Rhein. Mus. LXIII 286. Mit seiner und Roberts Auffassung der Stelle treffe ich zusammen.

Weitere Beiträge zu Menander. 435

schickst'. Die Situation ist ähnlich wie im Ennuchus : 181 ego impetrare nequeo hoc ahs te, hiäuoDi saltcm nt concedas solnni, 187 riis ibo, ibi Jwc me maceraho hiduom, der TtsQiTtarcbv 629 ff. Das G-anze also:

ov yäg ag avXrjtQlg ovd^ cjg Ttogviöiov tgtödd-Xiov

rjkd's. M. vvv dox£\tg Xeyeiv f*ot Jäb n itdliv. J. 8o7ii\ßc(,i5ov

G}8\ bit^ollov s6t]Lv ' ot^iaL, TcaraXekocTCsv ol%iav

ov q)XvdQ[a} xov t'] SQaöTrjv ' sl 6v rgslg iq tszraQag

il^BQag ßovlsi, TCQOöst^st öoC xig. dvsxoivovrö iioi 425

TO-ör' ccnovöai ydg 6[8 8\8l vvv. M. itov jcsdr^öag ^atakiTCco,

z/a£ ; TtsQLTCccTslv Ttostg iie TtSQiTcatov Ttokvv tiva.

Moschion läßt sich überreden, ruhig ins Haus zu gehn und sich zu verhalten wie er nachher in seinem Monolog erscheint, mit der Absicht, sich auf einige Tage wieder zu entfernen. ^) Dann kommt aber Polemon mit seiner Belagerung dazwischen.

Wichtig ist, nachdem Sudhaus, van Leeuwen (in der 2. Auf- lage) und Robert den Polemon aus seiner ersten großen Scene (447 ff.) gestrichen und Sosias dafür eingetauscht haben, daß Körte (S. 105) am Rande von V. 453 (183) IIO erkannt hat, wo Polemon an Myrrhines Tür klopft. Der Anfang der sehr schlecht erhaltenen Scene (Körte S. 106) läßt sich herstellen. Körte gibt Folgendes:

ocvd^QcoTts xaxööat^ov, rC ßovXsi ; tC yccg €[x^]tg ',

svTsvdsv sig rvxöv dXlä xC . . oXov . ig^) 455

d7tovev6i]öd'£ Ttgbg d'sl&v] . . . s(.isß s%Siv yvvalxa Ttgbg ß[ia]v x . xvg . xoXiiäxe %axaKX£i6avx\e\g : Gig xi . . STiLövxocpavxElg o6x[i]g [s]l 6v tco .

.»)

')

V. 455 gehört offenbar noch dem Oeffnenden. Der Apostroph nach l wird, wie ihn Körte als zweifelhaft bezeichnet, eine Täuschung

1) Moschions Frage V. 430 ccösl] auf die Daos antwortet yiccl ^dXcc,

bedarf noch der Ergänzung, icpodt ov% bqag fi £%ovxa geht doch wohl auf die gemeinsame Keise (Körte hat gelesen '^%biv tb, wenn mit Recht, so würden sowohl der Infinitiv als der Artikel in der Diärese Corruptel beweisen).

2) Der Apostroph nach X zweifelhaft, statt v auch ql oder gri möglich (Körte).

3) 'Am Schluß des Verses ist /x nicht ganz sicher und statt ß auch q mög- lich' (Körte).

4) 'Der letzte Buchstabe ist o oder g' (Körte).

436 Friedrich Leo,

sein, denn als INTomen bietet sich [ötJoAov und als Verbum [a]r()[£r£ '). Am Schluß von V. 456 erscheint so deutlich eX?.sß[oQ]t ^) und paßt so gut in den Zusammenhang, daß darauf nicht zu verzichten * ist, obgleich der Vers eine Pluralform nicht verträgt; man muß also : hinter dscbv ansetzen. Die Ergänzung von 457 ergibt sich ohne weiteres, die von 458 wenigstens dem Sinne nach {re%vG)iLBvou ist für den angegebenen Raum zu lang) ^). Ich lese also :

z/. avd^QcoTce xaxodai^ovj %i ßovlsi ; rt yäg £%si$ ; ivrev%^ev eig xv^öv aXXa xC \px\6Xov [a]l'(>[£T£] ; M. a7iovhv6r[Q%E icgog d^e&v ; z/. [i)] 8Xksß[oQ]i[ag] ; ^) M. s%eLv yvvalxa TCQog ßCav x\o\)\ kvq\Cov\ xoX^axs xaxaxXsLOavxeg ; z/. mg xC \xB%VG}iiBvoi ; imövxocpccvxslg, oöxtg sl 6v, n6[Qi(pavG)g.

V. 472 (201) vielleicht:

&07C6Q %aQ^ riiilv ovöav si oc[Qi]v6Lg Tcdkai.^) V. 485 (214) hat die Handschrift

. ... ITC oliB^^" ov xb hbX^^l b<5x\ ivd^ccÖB. Wenn der Raum für ob xaxBX]L7C oder b^^ oltibV^itC nicht ausreicht, so ist das V bX\i%(bv) mit der z. B. V. 388 (117) und 'Etiixq. 280 erscheinenden unrichtigen Apostrophirung (vgl. Körte S. 110).

In der Ila\iia wird zuerst die übel zugerichtete Stelle V. 101 ff. durch die neue Lesung gefördert.^) Aus Körtes Angaben geht folgendes hervor:

{[^'jötd' anqiß&^g jcdv]xa Ttal jib fia[L

oxL MoexCcüvdg [ieiiv^] ort övvoiad-a 6v

1) Es ist kaum anders möglich, als daß auf q noch einige Buchstaben folgten. aroXov algsiv ist aus der Tragödie bekannt; dergleichen hat sich nun viel bei Menander gefunden. Daß Polemou nicht allein kommt, zeigt sowohl diese Scene (von 447 an) als der (von Körte S. 109 nicht richtig aufgefaßte) Schluß von 478 an.

2) M und AA sind in der Handschrift oifenbar leicht zu verwechseln, 8. z. B. Körte S. 97 zu V. 362.

3) Antiph. frg. 5 K. (hg St} av xC noiHv Swccfisvog;

4) schol. Ar. Vesp. 1489 in xov iXltßogov xai ilXsßogiäv, r6 iXXeßogov Siiod^ai, tag KctXXCag (pr\GCv. Meineke II p. 742. Kv.FfjQag 2 icXV 7] nagatpQOvstg \

5) V. 465 (194) ist mit naidagiav oder 716Xtccq£(ov in der Handschrift corrupt.

6) V. 70. 71 sind in van Leeuwens Fassung (71 nach Crönert) gut; Körtes ngbg ^B&v ist wie V. 93 itgbg tfig *EaxCug gegen den Gebrauch der Formel. V. 90 ist dii vüv nagafit'vsiv nicht annehmbar. V. 109 ist nicht ^ Xiye das Wort, auf das Daos änoXfoXa rufend davonläuft, sondern ijdri ye.

Weitere Beiträge zu Menander. 437

7C . . caö^ t.L vvv avtrj tgscpsi : ^)

. . (.) SCpi] (.) OCJIX^ CCTtÖKQiVai tOVXO ftOi *

^(^[i'og] iötCv ; : s a xaXlu Xavd-avsiv.^) 105

Parmenon sagt V. 306 röv evdov a^oXöyijxs xovxo tig, das kann er wohl aus den Worten des Alten gefolgert haben, aber wahr- scheinlicher ist, daß dieser es vorgegeben hat ; also xal jts[(pQa6r i]^oC. In der Handschrift stehen o und a einander in der Form sehr nahe, sie werden beständig verwechselt. Was in V. 103 stand, entspricht wahrscheinlich den Worten Parmenons Y. 304 ro TtaiddQiov el6f\X%'8v eug triv olKiav f^v rj^stSQav yjvsyTi' ixelvos, ovx iy6. Die Ergänzung ist hier wie im folgenden unsicher, aber alles fügt sich nun doch besser zusammen:

^. syayid^ ccTcgißag itdvra Kai 7i^q)Qa6T' f'Jftot,

ort Mo6%iG3v6g iönv, ort ßvvoiöd-a öv,

7i[G>g] di6x[oiiiöd'ri, diä 't\i vvv avxr\ xgscpSL.

n. [xig] scprj [xdd^ ; J. ovdsCg^ ä]Xl^ aito'HQivai xovxo ^loi '

xCvog B6xCv ; II. £\y rdd' otd]a, xdXXa Xav%'dvsiv. 105

Zu 104 vgl. 157 xC Tcoovöav ; Ovdsv, dXX' sxstg xb %aidCov. V. 159 hat seine Lösung gefunden:

X. oxi tovt' dvsiX6^7]v, dtä xovxo] xal ^/. xi xa^]

diä xovxo. Nur muß wohl das erste diä xovxo auch Antwort des Demeas sein :

X. ort xom dv£tX6^rjv; A. diä xovxo. X. xaC z/. xC xaC]

öiä rovro. Er wendet an was er sich V. 139 vorgenommen hat: sxeig ös jtQOcpaöiVj oxi xb Ttatdiov dvsiXsx^ * i^cpaviörjg yäQ äXXo ^rids ev. Terenz hat eine ähnliche Stelle Menanders so übersetzt (Eun. 184): T. jjrofedo non plus h'idiiom aut P. aut nil moror. V. 166 f.:

f'Z^t]? T^ä öccvxfjg Tidvxa' TtQoöxC^rnii 6oi

.... d'^agaTtaCvag^ XQVöC ' £K xfjg oixiag

CCTtid^i. '

Vor d- fehlen nach Körte nur 4 oder gar 3 Buchstaben, aber die Ergänzung vlöv ist nach jtQoöxid-rj^i nicht richtig. Die jcdvtcc sind das Kind (172 vibv TCSTtorjKag, Ttdvx £%£ig) und das Kleid, das sie anhat (162 f.); er gibt ihr dazu die alte Dienerin (157 s%sig ro

1) 'Am Anfang könnte man lesen 'jt\aX'\cci qv,, aber auch anderes, z. B. 7i[aL]dLqv ist mit den Resten vereinbar'. Körte.

2) 'ri[vog] scheint mir möglich'; der Buchstabe vor rccUcc 'sieht wie ein o oder allenfalls cc aus'. Körte.

438 Friedrich Leo,

Tcaidiov, rrjv yQavv), die auch V. 87 als ihre Helferin erscheint; natürlich nicht die alte Amme des Moschion (16 ff.), denn wie sollte Demeas die Freigelassene verschenken dürfen, nnd wie sie aus dem Hause jagen, ohne den Zuschauern ein Wort davon zu sagen? Zu ergänzen ist wohl: [tadC' ^]sQa7taivagj xQvöCa.

V. 211 stürzt Nikeratos aus seinem Hause: zJt]^ea, öwiötaxai ijc' i^8 xal TtdvösLva Ttotsl TtQayi.iad'' t] XgvöCg : sie wiegelt die Frauen auf und hält das Kind fest, 215:

ov %Q0i\ße6^ai xa (pr]6Lv, (oörs ^lij d'av^a^^ iäv

avx6%eiQ avtf}g yivcoiiai . J. tTjg yvvaiKog avxoiBLQ ;

N. Ttdvxa yäg 6vvoidev avxiq. Daß das nicht richtig ist, hat van Leeuwen gesehen, der rijg yv- vaixog noch zu den Worten des Nikeratos zieht und avxri für Lefebvres ohne Zweifel unrichtiges avxi] setzt. Der Anstoß liegt darin, daß Mkeratos sagt, er wolle die Chrysis ermorden, und Demeas darauf: 'du willst deine Frau ermorden?', denn nur das kann xfig yvvccLKÖg bedeuten (235 xi}v yvvalK' äito'KxevG) ei6i6v). avxfjg xfig ywaiKog mit Bezug auf Chrysis läßt sich aber nicht verbinden; und övvoidsv verlangt eine deutlichere Beziehung. Es ist ZQ lesen:

&ÖXS ßij d-av^a^^ eäv

aifXÖxsiQ avxfjg yivG)nai xTjg yvvatxög (r'). z/. avxöxsi'Q',

N. Ttdvxa yäg övvoidev avxfj. Nun kommt Chrysis mit dem Kinde; nach Demeas' erstem 6l6c3 xQSxe (224) bleibt sie noch auf der Bühne, da Nikeratos sie ver- folgend ihr den Weg verlegt. Demeas stellt sich zwischen beide; Nikeratos (226): zfrj^ea, ixTtodhv äjtsX^s. Demeas (229) dXXä xvnxr^- öeig IIB] Nikeratos (wie Körte van Leeuwens Conjectur bestätigt gefunden hat): ayoys. Darum schlägt aber Nikeratos nicht zu, es kommt überhaupt zu keiner Prügelei zwischen den beiden alten Herren, das setzt das Folgende außer Zweifel. Demeas ruft der Chrysis zu: ^äxxov dCfp^^dgri^i 6v, dann erst als Antwort auf iyoye dem Nikeratos (230):

dlXä ^Yjv ^[ccyG)]y[s'\,^) und wieder der Chrysis: (pevys, xqslxxcov bgxC ftov, denn nun hält er den Nikeratos fest und Chrysis rettet sich in Demeas' Haus. Die folgenden Verse setze ich her, wie sie sich nach Körtes Lesung (S. 119) darsteUen:

N, TiQÖxsQog a7cx[si] ^ov 6v vvvC' xovx^ iyh iiaQxvgo^iai. jj. OYA'€ OpP . . yvvaixa Xa^ßdvsig ßaxxriQCav ' ^)

1) 'Zwischen x und y fehlen eher 4 als 3 Buchstaben' Körte,

2) 'Zwischen (yböl und ywatyia fehlen 9—10 Buchstaben, deren drittletzter ziemUch sicher P war, vor diesem zwei runde Buchstaben (0, C, €, 0)'. Körte.

Weitere Beiträge zu Menander. 439

. . . ädi]Keig^) N. övxoipavreig. z/. xal 0v yccQ. N. TtaiöCov ov ÖLÖco]g inoi', zJ. ysloiov rot'/idi/; N. aAA' ovx sön 0Öv.

' CJVd-QCJTtOL ^). N. XSXQaX^L. 235

Dies aittELv (231) ist die erste Berührung, Nikeratos will ihn darum verklagen; Demeas hält ihm entgegen, daß er sich selbst eines Vergehens schuldig macht. Darauf Nikeratos: 6oKog)avr£lg 'du willst denunziren', Demeas: }cal 6v yocQ, wie dein iiaQtvQSöd-ai be- weist. Was Demeas dem Nikeratos vorwirft, zeigt die erhaltene zweite Hälfte des Verses klar; die Ergänzung ist gegeben, sobald man sieht, daß OYA' für CYA' verlesen ist^):

6v d' i[jt^ sXsv]^SQ[av] yvvcclTCa ka^ßocvsig ßaxrriQiav' ^ yä^] adixstg.

Die Ergänzung gibt eine schöne Probe auf die Zuverlässigkeit von Körtes Beurteilung der halbzerstörten Reste*). Der Doppel- punkt am Schluß von V. 234 läßt annehmen, daß dXX' ovx a6ti ööv nicht ohne Antwort bleibt; und der Hilferuf cbvd-Qco^oi allein ist grade genug, um mit xixQai^i abgetan zu werden. Also etwa :

[z/. Xal ^CCX\ N.] OJV^QGiTlOL.

V. 306 liest Körte xav svdov caiioXöyrjxs rovro tig 7cd[XaL. Aber TtccXaL paßt nicht zum Perfect. 7ta[Q6v] ? V. 309 :

riTtSLXfjÖS IIOL

öty^etv [s^' cog] ^dd-r}[L ti '] diatpegsli, ] (>V ^)

ddixcjg [Ttadsiv] tcöt' rj dixaicog.

1) Tür otov ä8i]'iiSLg (van Leeuwen) reicht der Raum zur Not.' Körte. Aber olov ist nicht richtig, da vor övitocpccvtsig nur die Tatsache adiTisig betont werden darf.

2) 'Vor atvd^QOTtoL fehlen 6, höchstens 7 Buchstaben, davor (das heißt doch wohl vor covd'QcoTtoL) Apostroph und eine Hasta, die von einem M oder auch N stammen kann' Körte, der l'dets /x] covd'QcoTtoi, vorschlägt.

3) Ebenso gleich nachher V. 263 CYA' Lefebvre für OYA'- Körte S. 90 : *C wird gern zum fast geschlossenen Kreis, so daß es leicht mit 0 verwechselt werden kann.'

4) Demeas droht dem Nikeratos mit einer öiytri ccUlccs oder ygcccpi] vßgscos, die es in Athen sogar wegen Mißhandlung von Sklaven gab (Dem. 21, 46 ff.; Hyperides frg. 120 Bl. e^saav ov ^6vov vTtsQ x&v sXsv&sqcov, ccXXä -nal idv tig Big SovXov ü&ficc vßQLar], ygcccpäg sivai %axk tov vßQiöccvtog). In Xcc[ißccvsig ßa-n- triQiccv liegt das äg^siv %biq(üv ccdLKcov (Arist. rhet. 1402 » 1 t) sl' tig (paii] tb xvnxBiv xovg sXsvd'egovg vßgiv sIvccl' ov yäg Ttdvtcog, aXX' otccv ccgxv X^i'Qoav

5) Nach dLaq)egs[L ds ti bleibt nach Körte 'noch gv oder gi und davor eine Lücke von 1—2 Buchstaben'.

440 Friedrich Leo,

Die Lücke in V. 310 scheint sich genau zu füllen durch die von

Herrn stud. 0. Wiebe gefundene Fassung dLaq)8Q6[L d' ovSs y]Qv,

vgl. frg. 364 dia(pSQet XaigBcpcovro^ ovdl ygv. Freilich kann dann

intt^rii TL nicht richtig sein ; vielleicht ötL^siv [^s ^e]^ad'r][xa)s, nach

van Leeuwen.

V. 320 hat Körte gelesen (ich setze die von ihm zur Wahl

gestellten Buchstaben nach Studemunds Weise darüber):

Aie AH ovt og xaxa^svsLV ^oy A600AI d67]6sraL

Es scheint daß die Handschrift mit van Leeuwens Emendation ftov' vd^aÖL übereinstimmt {AI ^= N).

V. 329 hat Körte gelesen:

d^v^id^atL . . . . at ävdittetai d^vy,at 'Htpatörov ß(at. Er glaubt die Corruptel der zweiten Vershälfte durch Streichung von ^v^ax' zu heben (obwohl er bemerkt, daß d^v^ia^ia und d'v^ata nebeneinander stehn können, und auf die Stele von Lykosura Dittenb. Syll. 939 hinweist) ; aber ccvdjtTsd'' 'HcpaC<5tov ßia ist keine 'tadellose' Vershälfte ^). Ich vermute, daß das Greschriebene be- deutet :

d-v^Ltt^d XL \^v^^d t' dvdjcxsxai d-v^d r' 'Hcpaißxov ßCac und daß sich durch Streichen des doppelt geschriebnen Wortes und Zurechtrücken von xt das Richtige ergibt:

d^v^Ca^^ dvdjtxsxaC xi d"v^d 0"' ^HipaCöxov ßCm.

Im letzten erhaltenen Verse (341) hat Körte .... rat gelesen, aber ol'xsxat paßt kaum; Roberts xdvxa yäg yCvexai füllt den Sinn und den Raum.

Zu den 'Entxge^tovxss, die überhaupt besser erhalten sind, habe ich nur wenige Bemerkungen. V. 280:

TtQÖXSQOV aXsCvriV l\xvg SÖxCv, AßQÖXOVOV,

evgco^sv ' iitl xovxg) d' i^oy öv vvy . ga . . . Körte bemerkt, daß statt ipLov auch f/Aot zu lesen möglich, daß das g fast sicher ist. Er ergänzt xgdxsi, nicht recht verständlich ; was es bedeuten könnte ('ich stehe dir zur Verfügung'), paßt nicht, da Onesimos, wie die Antwort der Habrotonon zeigt (oi>x ctv dwaCfiriv), von dieser etwas bestimmtes verlangt hat. Er hat

1) Menanders erhaltene Tetrameter haben ohne Ausnahme die Diärese nach dem zweiten Metron, und zwar nie mit proklitischera Wort vor der Diärese; auch nicht mit Synalöphc außer den 3 Versen frg. 879 SclXcc x&v %Qriox&v ^%8i riv inifieXsiav xal d^sög , 924, 3 dt« ^aldvTTis Sit} x6itov rtv , ohxos iavai fAOi ßcctos und nBQLn. 405 (134) oben S. 433.

Weitere Beiträge zu Menander. 441

V. 275) gefragt : rC iqyi noslv k^s vvv ; Sie hat geantwortet : 'das ist deine Sache, ich rate dir aber, dem Herrn mitzuteilen was ich dir eben erzählt habe'. Darauf Onesimos : 'das möchte ich nicht, ehe wir die Mutter entdeckt haben', Eni xovtg) d' i^ol 6v vvv [(p\Qd[6ov], nämlich xC xQV ^oslv. Er wiederholt seine Frage mit einer Einschränkung: 'unter dieser Voraussetzung antworte mir', darauf sie: 'das kann ich nicht, denn ich finde, daß man zuerst den Vater ausfindig machen muß'.

Die in dem Fragment NT enthaltene Scene kann ich auch nach Körtes Bemerkungen auf S. 130 nur als einen Dialog des Smikrines und Onesimos ansehn ^), worin Robert mit mir überein- stimmt. V. 529 (370) wird durch Körtes Lesung gefördert:

d[La]6x£ddv x . og

Aber die Ergänzung diaöxsddvvve' 6 oxvog mit der Uebersetzung 'jetzt ruinirt das Zögern der Gäste den Kochkünstler' gibt keiaen möglichen Ausdruck. Das Verbum geht offenbar auf das Greld, dissipat rem familiärem: vvv ^Iv ovVf ovx oiö' oncag, dLa6x6ddv[vv6' ao]x[v]og. Vorher geht (526):

O. TCoixCXov

aQL6xov a.Qi[6]x{&niB]v. g) XQiödd'XLog

kyh xaxä jtoXX . . . Körte bemerkt ausdrücklich, daß die beiden X in 528 (369) deut- lich sind. Ich wage die Vermutung, daß Smikrines ausruft: ö xQLödd^Xiog By6^ xaxa7t6XX[vg. Das Verbum gebildet wie xaxano- Xavco. Onesimos fährt ruhig fort, wie wenn er trösten wollte: vvv ^£v ovv u. s. w., aAA' iäv utdXiv , wodurch er auch nichts für Smikrines Tröstliches einleitet.

Der bisher unangreifbare Vers 387 (403) klärt sich durch Körtes Lesung auf. Onesimos V. 383 (399): vTCoiiaivs^' ovxog, vij xhv 'AjcöXXco, [laCvsxtti, und weiter 385 (401):

thv d£07t6xrjv Xdya) Xagiötov %oAi)

niXaiva ngoöJtsjcxcjxsv rj xoiovxoy ^) %

ri . %QavxL6 . . . . <J . . . yaXXoysyov ^).

Hier haben wir die axQd neben der iisXacva %oXyi. Nicht unmög- lich ist ^ Gi%Qdv, aber wahrscheinlich gehört ^ an den Schluß des vorigen Verses (s. o. zu Usg, 390):

1) Hermes XLIII 131 A.

2) So Lefebvre, Körte bemerkt, daß mit toiovxo jetzt der Papyrus aufhört.

3) 'Statt 7} auch y oder n möglich', Körte, ysyov am Schloß gibt Lefebvre, Körte sagt nur : 'ich lese t] . xQf^vtLg . ... 6 ... v aXXo\

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Hefk 4. 31

442 Friedrich Leo, Weitere Beiträge zu Menander.

rj tOLOvtov^ rj [G)]xQoiv Tig [äva6e]6[si,xs]v. äkX o yiyov^ kQG)\. Das Verbum scheint zu viel Raum einzunehmen, es kann durch ein anderes ersetzt werden. Der Zweifel, ob es die dunkle oder die blasse Gj-alle sei^), geht auf die wechselnde Gesichtsfarbe des Charisios: 6 8' [hg %vxvä\ ^XXarxs xQ6iiax\ avSgsg, ovd' sItcsiv xaXöv (392).

Dies ist weniges von dem was Körtes Revision der Hand- schrift ergibt. Die Hoffnung besteht weiter und vsdrd von Körte selber ausgesprochen, daß weitere Bemühungen erfahrener Papyrus- leser die Grrundlagen des Textes noch sicherer befestigen werden.

1) Vgl. z. B. Galen nsgl x&v nsnovd: xonav III 9 (VIII p. 178 K.) : xal 8ia xovxo TJ)s cpQSvtxiSog 7) liiv xig iaxt fiSTQiaxBQa, xr\v yivsatv k% xfjg mxQ&g e%ov6u %oXfigy ij di xig acpoSgoTsga, trig ^avd"fis hyyovog vTtdgxovaa ' Y.ui xig alXri %"riQica8r\g xs xal fislayxoh'ni] 7taQaq>Q00vvri yCvsxaij v,axonx'riQ'BCar\g xijg lav-ö"^? %oZ^s.

Zu Tacitiis' De origine et situ Germanorum.

Von

Leo Meyer.

Vorgelegt in der Sitzung vom 21. März 1908.

Nachdem Tacitus in seiner kleinen Schrift über Land und Leute Germaniens in zwei Capiteln das Grebiet der Chatten allerdings in sehr wenig klarer und nichts weniger als präciser "Weise umgrenzt und dann noch der Bevölkerung selbst wegen ihrer Kriegstüchtigkeit und ihrer Tapferkeit ganz besonderes Lob gespendet hat, fährt er im zweiunddreißigsten Capitel folgender Maßen fort: Proximt Chattis certiim jam alreö Rhenum qviqve terminus esse sufficiat JJsipi ac Tencteri colunt.

Diese Stelle ist in mehrfacher Hinsicht von ganz besonderem Interesse. Sie liefert den bestimmten Beweis, daß Tacitus, als er seine kleine Schrift über Germanien verfaßte, das germanische Land aus eigener Anschauung durchaus nicht kannte. Denn man kann mit Bestimmtheit aussprechen, wenn er das germanische Land ge- kannt hätte, so würde er auch den Rhein gekannt haben. Wenn er aber den Rhein wirklich gekannt hätte, so würde er über ihn nicht in so thörichter Weise geurteilt haben, wie er in den oben angeführten Worten es gethan.

Wo soll denn der Rhein noch nicht ausgereicht haben, eine Yölkergrenze zu bilden? Giebt es doch Flüsse von allerb eträcht- lichater Größe, die gar keine Völker gegen einander begrenzen, und auf der anderen Seite auch ganz kleine Flüsse oder Bäche, die zwischen großen Ländern Grenzen bilden? Wo will man am Rheine von seinem Ausflusse aus dem Bodensee bis zu seiner Mün- dung eine Stelle bezeichnen, wo er nicht ausreiche, eine Grenze zu bilden? Man darf es hier einmal aussprechen, daß eigentlich

31*

444 ^®o Meyer,

alle rein geographischen Angaben unseres Tacitus mehr oder weniger unklar und nicht von sehr hohem Werte sind. Wie weit aber Tacitus in dieser Hinsicht geradezu bis zu ganz absurden Aeuße- rungen sich zu verlieren im Stande war, dazu bietet er ein ganz frappantes Beispiel schon in seinem ersten Satz: Germania .... ä Sarmatis Däctsqve miduö iiietü aut montibus separätur. Dem gegen- über sagt er im Schlußkapitel, daß er in Bezug auf die Peukinen, Yeneten und Finnen im Unsichern sei, ob er die Genannten zu den Grermanen oder Sarmaten rechnen solle. Wer fürchtet sich denn nun vor einander, die Peukinen vor den Sarmaten oder vor den Germanen und so fort? Die gegenseitige Furcht kann hier eben so wenig als Grenze gelten, als „Gebirge", von denen als wirklich völkerbegrenzenden hier gar keine Rede sein kann. Das za Grunde liegende Thatsachliche ist, daß Tacitus über das Ost- gebiet Germaniens gar nicht oder nur ganz schlecht unterrichtet war.

Die oben angeführten ganz mißrathenen Worte beruhen auf einem besonderen Mißgriff. Tacitus kannte Germanien nicht aus eigener Anschauung, das ist der Eindruck, den auch jeder unbe- fangene Leser seiner kleinen Schrift ohne Weiteres empfangen muß. Wohl aber hat Tacitus als fleißiger ernster Forscher, wofür sich uns überall bestimmte Beweise bieten, alles was zu seiner Zeit über pas germanische Land und seine Bewohner bereits in schriftlicher Darstellung festgelegt war, mit Umsicht benutzt.

Es ist durchaus noch nicht bis ins Einzelnste und Kleinste untersucht, weihe bestimmten Quellen Tacitus bei der Abfassung seiner kleinen Schrift über die germanische Welt benutzt hat.

Zu diesen Quellen aber gehört vor allem auch die bekannte kleine geographische Schrift Pomponius Mela's. Bei ihm heißt es (3, 2) Rhenus Älpibus decidens prope ä capite duös lacus efficit, Vene- tum et Aörönum (in welche zwei Theile sich nach alter Anschauung der Bodensee zerlegt), mox diu solidus et certö alveo lapsus haud procul ä man hüc et illüc dispergitur .... Hier bezieht sich das diu solidus et certö alveo lapsus auf vorheriges Durchfließen des Bodensees, bei dem ein deutliches und bestimmtes Flußbett natür- lich aufhörte, während Tacitus sein certum jani alveo Rhenum sich offenbar erst an einer viel tieferen Stelle des Rheins vorstellt.

Eine andere Stelle, die deutlichen Zusammenhang mit Mela zeigt, findet sich ganz am Schluß der Germania, wo es heißt: cetera jam fähulösa : Hellusios et Etionäs ora hominum voltüsqve, Cor- pora atqve artns ferärum gerere. Bei Mela heißt es 6, 56 : alias ?w- snlae videntur . ... in Jus esse Oeonäs .... esse eqvints pedihus

zu Tacitus* De origine et situ Germanorum. 445

Hippopodas. Auf dieselbe Quelle weist Plinius 4,95; feruntur et Oeonae in qvis . . . aliae in qvibus eqvtnis pedihus homines nascantur Hippopodes appelläti. "Wahrsclieiiilicli liegt beiden Pytbeas zu Grunde, den Plinius unmittelbar vor jenen Worten nennt und auch unter den Grewährsmännern seines vierten Bucbes neben Mela aujfführt. Von den Monstern („Pferdehuf er") welche bestimmt zu benennen hat Tacitus vermieden.

Die einzige bestimmte Anführung in Tacitus' Schrift über Germanien mit Nennung des Gewährsmannes findet sich zu An- fang des achtundzwanzigsten Capitels; sie lautet: validiores ölim GaUorum res fuisse sumnius auctor divus Julius trddit. Sie ist aus Caesars Gallischem Krieg (6, 24. 2) entnommen, wo die betreffenden Worte lauten: ac fuit anteä tempus, cum Germdnös GalU virtüte superärent. Es ist charakteristisch für Tacitus, daß er den von Cäsar ausgesprochenen Gedanken in völlig eigene Worte umge- gossen hat.

Daß der Anfang von Tacitus' kleiner Schrift Germania omnis ä Gallis RaeUsqve . . . separdtur ganz unter dem Einfluß von Cäsars (Gall. 1, 1) Gallia est omnis dtvisa in partes tres entstanden ist, liegt auf der Hand.

Eine weitere Stelle, deren Inhalt aus Cäsar entnommen ist, ist die (Capitel 2), die sich auf die Herkunft des Namens Ger- ■manen bezieht. Der Name sei neu, sagt Tacitus, und erst vor nicht sehr langer Zeit beigelegt, weil die, die zuerst über den Rhein gegangen und die Gallier vertrieben haben und jetzt Tungern heißen, damals den Namen Germanen gehabt haben. Das Gebiet der Tungern, von dem Tacitus hier spricht, ist den Römern zuerst durch Cäsar, der aber die Tungern selbst noch nicht nennt, be- kannt geworden. Er berichtet (2, 4, 1 und 7), wie er weit in den Nordosten Galliens vorgedrungen und dort von remischen Gesandten erkundet habe plerösqve Belgds esse ortös ab Germdms Bhenumqve antiqvitus trdductös propter loci fertilitdtem ihi consedisse GalldsquCy qvi ea loca incolerent^ expidisse. Ihm wird dann über die einzelnen Völkerschaften mitgetheilt, wie viele Streitkräfte zu stellen sie sich bereit erklärt, und da heißt es zum Schluß Condrusös Ehuro- nes, Caeroesös, Paemdnos, qvi ünö nomine Germdni appellantur, arhi- trdri ad qvadrdgintd milia. Was Tacitus dann noch hinzufügt über die weitere Ausbreitung und Verwendung des Namens Germanen, darf wohl als seine ganz eigene Combination gelten.

Weiter sind hier noch die Schlußworte des einundzwanzigsten Capitels anzuführen, victus inter hospites cömis, die für sehr unbe- quem gelten, von Lachmann durch Conjectur von ihrem natürlichen

446 ^^^ Meyer,

Sinn weit abgebracht, von Zernial aber frivoler Weise einfach ge- strichen sind. Schon Selling (f 1835) hat erkannt, daß die frag- lichen "Worte auf dem Schluß des dreiundzwanzigsten Capitels, sechsten Buches, beruhen, wo Cäsar sagt: Msqce (d. i. hospitihus) omnium doniüs patent victusqve communicdtur. Tacitus hat darnach gebildet: ricfiis infer Iwspites commänis (letzteres hat die Ueber- lieferung zu comis entstellt). Grastgeschenke, sagt Tacitus, sind bei den Grermanen nicht üblich; was aber an Lebensmitteln vor- handen ist, das wird mit dem Grast getheilt.

Wo sich's überhaupt um die Quellen von Tacitus Ausführungen über die germanische Welt handelt, da bleibt immer von ganz be- sonderer Wichtigkeit, was der ältere Plinius an einer Stelle seiner Naturgeschichte und zwar im 45. Capitel des siebenundreißigsten Buches mittheilt. Während es im Allgemeinen sehr deutlich ent- gegentritt; wie nur sehr mangelhaft Tacitus über den Nordosten Germaniens unterrichtet ist, fällt es sehr auf, wie sich plötzlich ein helles Licht über das Bernsteingebiet an der Ostsee ausbreitet. Tacitus lehnt sich hier ganz an den Bericht des älteren Plitiius. Dieser aber schöpft aus einer ganz bestimmten Quelle. Er be- richtet ridit eqvcs Bomänus ad id (gemeint ist suclnimi „Bern- stein") comparandum missiis ah Jüliänö cürante gladiätörii(m mnnus Neronis principis, qvin tt commercia ra et lifora peragrävit . . . Alsa ein bestimmter römischer Ritter ist unter Nero in das Bemstein- gebiet geschickt und hat die wichtigsten Nachrichten darüber heim- gebracht.

Zahlreiche einzelne Ausdrücke, wie advehi rüde bei Plinius und r>!de Icgitur bei Tacitus machen den Zusammenhang der beiden Schriftsteller noch ganz deutlich, insbesondere aber thut es das tibereinstimmende Eingehen auf die Entstehung des Bernsteins. Bei Plinius heißt es argüniento sunt qvaedam intus trälücentm, td forniicae adicesqve et lacertae, qvae adhaesisse musteö nön est dubium et inclusa dürescente eödem renuinsisse, bei Tacitus aber: qvi terrena utqve etiain völucria animälia pleruniqve Interlücent, qvae impUcätOt hnniore mox dürescente mäterid clüduntur.

Eine weitere Mittheilung, die auf einen nahen Zusammenhang zwischen Plinius und Tacitus hinweist und die wir hier zum Schluß noch anführen, bezieht sich auf die ursprünglichen Geschlechter (j/cnera) der Germanen, wobei doch auch beachtenswerte Verschie- denheiten entgegen treten. Plinius (4, 99) zählt fünf Geschlechter der Germanen {Gcrmdnorum gencra qvinqvc), der Reihe nach: Vandili Ingvaeones proximi autem Khenö Istvaeones inedi- tcrränei Henninonis Feudni^ denen im Einzelnen noch Unter-

zu Tacitus' De origine et situ Germanorum. 447

abtheilungen zugefügt werden. Tacitus (Germ. 2) kennt nur die drei mittleren, die er als proxwii Oceanö Inr/aevones, mcd'u Herrn l- nones und ceterl Istaevones näher bezeichnet. Man darf wohl be- haupten, daß die kleinen Abweichungen, die Tacitus hier zeigt und die doch wohl von ihm selbst herrühren, das medü „die mitt- leren" an Stelle von mediterrdnei „im Innern des Landes woh- nend^^j und dann das ganz unbestimmt abschließende ceterl durch- aus keine erwünschte Klarheit in die Verhältnisse bringen. Die deutsche Geschichte nun gar in diese mythische Gesellschaft hin- einpressen zu wollen, wird immer ein ganz bedenkliches und will- kürliches Unternehmen bleiben.

Tacitus baut über den angeführten Geschlechtern noch einen Stammbaum auf, von dem weder Plinius noch sonst irgend ein anderer alter Schriftsteller etwas weiß. Er weist zunächst auf drei Brüder, die in gothischer Form etwa Iggvja^ Jstra und Äir- mina gelautet haben mögen, die als Söhne eines Mannus bezeichnet werden, der selbst ein Sohn des Tnisto, falls diese Form wirklich als die richtige gelten darf, genannt wird, als dessen Mutter schließlich die Erde bezeichnet wird.

Von dieser ganzen Geschichte hat Pomponius Mela nichts als den Namen Herminones, der 3, 32 in diesem Zusammenhang ent- gegentritt: in eo (das ist longo superBUö) sunt Cimhrt et Teutoni, idträ idtimt Germäniae Herminones, was nur noch neue Schwierig- keit bringt.

An zahlreichen anderen Stellen, wie noch kurz angeführt sein mag, weist Tacitus auf seine Gewährsmänner, doch ohne sie mit Namen zu nennen und ohne daß auch wir sie anzuführen im Stande wären. So heißt es 8, 1 : m emoriae pro d itur qväsdam acies incUnätäs jam et labantes ä feminis restitütds ; 3, 1 : fuisse apud eös et Hercidem m emorant; 43, 18 : deos interjjretdtiöne Römdnd Casto- rem FoUücemqve m emorant-, 3, 10: et JJlixen qvidam opinan- tur ... adisse Germdniae terräs ; 4, 1 : ipse eorum opiniönibus accedo qvi ... arhitrantur ; 33, 2 : nunc Chamdvös et Ängrivariös im- migrdsse narr dt ur; 34,9: superesse adhüc Herciäis columnds fdma volgdvit] 2,18: qvidam, ut in Ucentid vetustdtis, plüris deö ortos . . . affirmant] 27, 11: haec in commune de omnium Germanorum origine ac mörihus accepimu s.

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers aus dem Ende des 13. Jahrhunderts.

Von J. Jak. Werner.

Vorgelegt in der Sitzung vom 26. Juli 1908 von Wilh. Meyer.

Die Handschrift D. lY. 4 (früher E. III. 5) der Basler Univer- sitätsbibliothek ^) , auf welche nach Pertz ^) Holder - Egger ^) die Aufmerksamkeit gelenkt hat, ist gegen Ende des 15. Jh. aus ver- schiedenen Pergamenthandschriften des 13. und 14. Jh. zusammen- gestellt worden. Beim Einbinden wurden zwischen einzelne Teile unbeschriebene Pergamentblätter eingeschoben, die z. T. wieder entfernt wurden: es fehlen: Blatt 3 (hinterer Teil des um das Doppelblatt 1 2 gelegten Doppelblattes), die Doppelblätter 28 und 38, 65 und 66, 91 und 92.

Ein auf der innem Seite des vordem Deckels aufgeklebtes Papierblatt enthält neben dem Namen : Basilea, eine etwas jüngere Besitzangabe: Ex libris Bibliothecae Academi^ Basiliensis. 1559.

Die gleiche Hand (also wohl der Klosterbibliothekar), welche im 15. Jh. die Blätter 1 122 numerierte, schrieb auf die Rück- seite des ersten unbezeichneten und die Vorderseite des Blattes 1 ein ausführliches Inhaltsverzeichnis (Contenta in hoc libro: Chro- nica ab Adam usque ad electionem et consecrationem summi ponti- ficis fol. 1 u. s. w.). Vielleicht aus gleicher Zeit, aber von anderer Hand, stammt der Pergamentstreifen auf der Außenseite des hintern

1) Für freundliches Entgegenkommen bin ich Herrn Oberbibliothekar Dr. C. Chr. Bernoulli zu großem Dank verpflichtet.

2) Archiv VII S. 626—628.

3) M. G. SS. XXXI. S. 266 ff.; N. Archiv XXVII S. 502—504.

Kgl. Ges. d. Wiss. NacLrichten. Philolog.-hist. Kl. 1908. Heft 5. 32

450 J- Ja^- Werner,

Deckels mit dem kurzen Verzeichnis : Chronica quedam ; Item ordo statutionum (lies: stationum) ; Item über qui dicitnr provintialis ; Item veteres hystorie ; Cum aliis in principio libri signatis. Q. 12. Auf Blatt l'", welche Seite einst aufgeklebt war, also die Vorderdecke der ersten Handschrift gewesen zu sein scheint, schrieb eine Hand des ausgehenden 13. Jh. : Fratris Petri de May. valet XI f. Die Blätter messen 245 x 180 mm und sind fast durchweg in zwei Spalten geschrieben: Die Lineatur wechselt in den verschie- denen Teilen von 30 bis 54 Zeilen. Man kann folgende selbständige Teile unterscheiden:

I: Doppelblatt 1—2: Erste Hälfte des 13 Jh. II: 4 37: drei Quaternionen , je auf der letzten Seite be- zeichnet: 11: 1°"; 19: 11^«; 27: I1P^ Die fehlenden Blätter 28 und 38 scheinen das äußere Doppelblatt der vierten Lage gebildet zu haben: 36 ist ein einzelnes Blatt. Die Cronica apostolicorum et imperatorum, die fol. 4—20 füllen, hat Holder-Egger M. G. SS. XXXI. S. 266 iF., herausge- geben. Der Rest dieses Teiles zeigt, wie aus den von Holder- Egger mitgeteilten Rubriken hervorgeht, große Verwandt- schaft mit dem 11. und 12. Ordo Romanus. Vgl. Jos. Kösters, Studien zu Mabillons römischen ordines (Diss. Münster 1905) S. 46 ff. und S. 87 ff. Im Provincialis ist bemerkenswert, daß die Bistümer der Diöcesen Canterbury und York zweimal aufgeführt werden; beim zweiten Mal werden die angrenzenden Bistümer genannt. III: 39—50 (6 Doppelblätter): fol. 39'^: Incipit Betel pro- logus Magistri Everardi de Heisterbach: Exi parve liber . . . 502 Verse : Geschichte der Stadt Jerusalem nach der Bibel in zwei Büchern, fol. 45*^: Incipit Gruiardinus:

Care nepos, tibi quod sequitur mea cura ministrat, . . . Vgl. Gruiardinus. Bruchstücke eines lat. Tugendspiegels . . . hg. V. J. Werner (S. A. aus Roman. Forsch.) Erlangen 1908. IV: 51 62: Verse auf Papst Innocenz IV. und Kaiser Frie- drich IL s. N. Archiv XXXII. S. 591—604. 63—68 unbeschrieben; das Doppelblatt 65/66 fehlt. V: 69 80: Sechs Doppelblätter, in zwei Spalten zu je 49 Zeilen beschrieben. Die einzelnen Stücke sind meist durch eine leere Zeile von einander getrennt und zudem fast immer durch rote oder blaue Initialen oder § kenntlich gemacht, s. S. 452 u. folgende. VI: 81: Bruchstück: Lateinische Sprüche.

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 451

VII: 82—89: Quaternio saec. XIV beginnt:

quod ad penas venio mortis infinite | . . . Schluss: nisi hie promiserit satisfactionem = Vers 35 ff. der Dispntatio mundi et religionis des Gui de laMarche. Die Personenbezeichnungen papa, religio, mundns stehen in kleiner Schrift am Rande. Fast immer sind die Langzeilen durch einen schiefen Strich in zwei Halbverse geteilt ; große Anfangsbuchstaben finden sich gewöhnlich je bei der zweiten Langzeile, während die Strophen durch § geschieden sind. An vielen Stellen sind die Lesarten dieser Hft dem Texte bei Haureau Bibl. de Tee. des chartes XLV (1884) S. 1—34 vorzuziehen; z. B. S. 10 per nos für pueros, ire für vie, nolis für noli. S. 11 substratum für subjectum. fol. 86^^^: (Versus medicinales) :

[E]xperimenta notes minime reprobanda legenti .... für Ueberschriften und Initialen ist bei jedem der 88 Ab- schnitte = 330 Verse Raum gelassen. Leyser, bist, poetar. medii aevi, S. 2076 weist davon 68 Kapitel in einer Helm- stedter Handschrift nach.

90 93: unbeschrieben; das mittlere Doppelblatt 91/92 fehlt. VIII: 94—105: (Flores Alexandri metrice).

E(i) mihi, non tutum est, quod ames laudare sodali, . . . Reichhaltige Blütenlese aus klassischen und mittelalter- lichen Dichtern, die anderwärts unter verschiedenen Namen wie Poleticon, Flores u. ä. vorkommt (vgl. Ysengrimus, hg. V. E. Voigt. S. XI— XIII; auilelmi Blesensis Aldae comoedia ed. Lohmeyer, S. 41 44; Claudiani carmina recens. Birt, S. CLXXVI). Leider enthält unsere Hft nur die drei Namen Ovid, Alexander, (= Alexandreis) und Pamphilus, so daß bis jetzt nicht alle Verse identi- fiziert werden konnten. Da diese Sammlung aus mehreren zusammen gearbeitet zu sein scheint, so übertrifft sie die genannten an Ausdehnung: sie bietet z.B. auch einige Verse aus Abälards Carmen ad Astralabium. IX: 106—117: 6 Doppelblätter s. XIV: fol. 106— 113^ Vanitas omnis homo ... ist wie der Index vorn angibt eine expo- sitio super ecclesiasten.

fol. 113^^: Rex nobilis diffensator et rector . . . Brief des Saladin an Kaiser Friedrich L, etwas abweichend vom Text inN. A. XI S. 575—577. vgl. daselbst XXXIII S. 538 note 3. 114'^: Perfectis licet repetere sua simpliciter . . . allerlei theologische Notizen.

32*

452 J- J^^- Werner,

X: 118 122: zwei unbeschriebene Doppelblätter, in deren Mitte ein Blatt (120) mit verschiedenen Prologen (Hierony- mus, Gregorius 1111°^, Albinus) zum ecclesiastes einge- I klebt ist.

Die Sammlung V scheint von einem Kleriker herzustammen, der fremde und eigene Verse aufzeichnete. Neben bekannten, weit- verbreiteten Gredichten wie Taurum sol intraverat, 0 mores per- ditos, Yolo virum vivere u. a. finden sich solche, in denen persön- liche Verhältnisse des Dichters berührt werden. Dieser muß gegen Ende des 13. Jh. am Hofe des Bischofs von Basel sich aufgehalten haben und gehörte wohl zu dem Kreise ^) , in dem sich Konrad von Würzburg bewegte. Personen, die als Gönner der Dichtkunst einen Namen haben, werden angebettelt, wie der Domcantor Die- trich (am Orte) und Johannes von Wilon ; Danksagungen und Lob- sprüche werden an den Bischof von Basel (Peter Reich) und einen sonst unbekannten Juristen und Ratsherrn Aegidius gerichtet. Aus den spärlichen Angaben in den Gedichten läßt sich nur wenig über die Person des Verfassers entnehmen. Er hat in Rappolts- wiler (jetzt: Roppenzweiler im Elsaß) die Kaplanei des h. Mo- randus, eines bekannten burgundischen Heiligen erhalten, wird aber im Genuß derselben eingestellt: infolge seiner Armut, wie er vorgibt: sum modicus quia re. Die Verse über eine Feuers- brunst in Breisach legen die Vermutung nahe, daß der Verfasser zu dieser Stadt in gewissen Beziehungen gestanden habe. Da die Anwendung der verschiedenen poetischen Formen, wie sie diese Gedichte zeigen, zu dem Beruf eines magister paßt, ist man versucht, den Verfasser für einen Kleriker anzusehen, der neben seinem Amte lateinische (und deutsche) Verse fabrizierte and rezitierte, um sich leichter durchs Leben zu bringen. Der Zeit nach könnte es der als Minnesänger bekannte Schulmeister Walther von Breisach ^) sein; doch ist bis jetzt sein Aufenthalt nur in Breisach (c. 1256—1269} und Freiburg (1291—1303) nach- gewiesen. Die Handschrift lag zur Zeit des Flacius Illyricus im Basler Predigerkloster ; es könnte also ein Insasse dieses Klosters

1) Vgl. darüber: W. Wackernagel, Ritter- und Dichterleben Basels im Mittel- alter (= kleinere Schriften. I. S. 299); J. Bächtold, Geschichte der deutschen Literatur in der Schweiz, S. 126 und 133; Anmerkgn. S. 3G; Rud. Wackernagel, Geschichte der Stadt Basel. I. S. 91.

2) Frdr. Pfaff, Der Minnesang im Lande Baden (Neujahrsblätter der bad. bist. Komm. 1908) S. 16.

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 453

der Verfasser sein , zumal dort die Poesie eine Stätte ^) gehabt zu haben scheint.

Die Sammlung enthält über 50 Stücke, von denen ungefähr ein halbes Dutzend aus z. T. älteren Quellen schon bekannt war. Unter den ungedruckten Versen sind weder formell noch inhaltlich so bemerkenswerte Stücke, wie sie sich in den bekannten Samm- lungen mittellateinischer Gredichte finden. Leider sind die Hexa- meter der gesuchten Eeime wegen oft schwer oder gar nicht ver- ständlich ; zudem sind ihre Beziehungen meist recht dunkel. Doch scheint man darunter Anfänge oder Eeste einer poetischen Bearbei- tung der Taten des Königs Rudolf von Habsburg erkennen zu dürfen, die leider zu gering sind, als daß sie irgend einen Schluß ge- statten, in welcher Weise der Dichter den Plan ausgeführt hat oder auszuführen gedachte.

Neben rythmischen Zeilen schreibt der Dichter meist gereimte Hexameter und Distichen ; er verbrämt sie mit Akrostich und Te- lestich besonderer Art (No. VI VIII, XVI) und versucht sich auch in kunstreicheren Formen (No. XVII). Aber fast immer merkt man, welche Mühe ihm das Suchen nach den Reimworten verursacht: doch sind seine zweisilbigen Reime durchweg rein. Freiheiten wie sie sich der geistreiche Primas herausnehmen durfte (s. Wilh. Meyer, Nachrichten 1907 S. 138, 143), kommen selten vor; ein- mal reimt er in einem Paar unisoni XI 8: gerit: obedit; XLI 11 gessit: nescit darf kaum als unreiner Reim bezeichnet werden. In den einzelnen Stücken, die allerdings meist kurz sind, wird man höchst selten den gleichen Reim wiederholt finden LXV 10: certe : per te = 27 : certe : aperte. Im Schluß der Hexameter stehen nicht übermäßig viele vier- und fünfsilbige Wörter; ein- silbige sind ziemlich selten : IV 6 : quare : quia re ; VI 5 : com- plete : e te; VII 4: te do : edo. Vor der Caesur findet man in

der Hälfte der Verse die Form uu | | , doch ist auch

I I ziemlich häufig. Der Caesur Verlängerung (ectasis),

die durch den leoninischen Reim verursacht wird , geht er nicht aus dem Wege, und zwar sind die vokalisch auslautenden Formen auf -a und -e nicht seltener als die consonantisch schließenden vor beginnendem Vokal. Elision kommt nicht vor ; Hiate finden sich nur an kritisch unsichern Stellen. Das sog. s impura bewirkt bei ihm nicht Positionslänge; er bemüht sich deshalb nicht, es nur nach Worten zu setzen, die auf lange Vokale ausgehen, -ndö ^) braucht er einigemale

1) W. Wackernagel, kleinere Schriften. I. S. 295.

2) Wilh. Meyer, Gesammelte Abhandlungen zur mittellateinischen Rythmik (1905) I. S. 76.

454 J. Jak. Werner,

auch im zweiten (IX 3, XLTI 3) und vierten Fuße (VIII 8). In den rythmischen Gedichten arbeitet er mit den bekannten und beliebten Zeilen, die er in einzelnen Fällen zu neuen Strophenformen zu- sammenzustellen sucht (No. XX, XXV, XXXI). Freilich läßt sich hier ein gemeinsamer Verfasser nicht so sicher wie bei den dakty- lischen Gredichten nachweisen; für die S. 452 genannten ist der frühere Ursprung schon durch ihr Vorkommen in älteren Samm- lungen sicher gestellt.

I. fol. 69^11 (d.h. 69'«^to, I.Spalte, I.Zeile)

Alma redemptoris mater, que pervia celi porta manes

Porta quidem celi, que iugiter Ezechieli In te visa fuit clausa, deo patuit.

et Stella maris, succurre cadenti! 5

Ut de peccatis veniam, mater pietatis, Possit habere suis vocibus ille tuis, surgere qui curat, populo, tu que genuisti

luri virgo parens camis non ordine parens

Expers ipsa paris absque dolore paris 10

natura mirante tuum sanctum genitorem

Presignat digne rubus incombustus in igne Omine te miro: mater es absque viro. Virgo prius et cet.

6 Ut te de 13 Omne Die berühmte Antiphon des Hermann Contractus (Anal. hym. 50 =: Hymnographi Lat. II. S. 317) mit Distichen tropiert; die leo- ninischen Reime sind zweisübig und rein.

IL fol. 69'^»*

a. Gygas nature gemine a patre sine semine.

ex virginis, non femine, procedet alvo,

a. Ut radius de lumine 5 sacri flatus alumine divinitatis numine in carne salvo.

b. Nos de hoc puerperio,

divino quod misterio 10

die coletur crastino, benedicamus dominol

Poetische Versuche imc[ Samraliingen eines Basler Klerikers etc. 455

1 Vgl. geminae gigas substantiae in dem Hymnus Yeni redemptor gentium, V. 15; usiae gigas geminae, Dreves Anal. hymn. 20 n. 140, 4, 1. 3 et 6 alumine, vielleicht = alimonia Wie der Schluß zeigt, ein Ruf für den Abend vor Weih- nachten in dreiteiliger Strophe: auf zweimal drei Zeilen von 8 Silben mit stei- gendem Schluß und einem Fünfsilber mit sinkendem Schluß folgen vier Acht- silber mit steigendem Schluß. Die Reime sind zweisilbig (innerhalb der einzelnen Teile meist dreisilbig) und rein; Taktwechsel zeigen Zeile 1, 6 und 11; Hiatus findet sich nicht innerhalb der Verse, wohl aber V. 9 Vokalauslaut vor h.

Prothoplasti reatus cessavit expiatus, est deus quia natus hac Sacra die

III. fol. 69' 121

a. Non consuetudinali 5

more, sed speciali ex alvo virginali; ergo Marie

b. Ipsins matri concinamus

ore laudes ymnisono ! 10

iubilose benedicamns et incarnato domino! Ein ähnlich gebauter Weihnachtsruf. Drei Siebensilbner und ein Fünf- silbner, die sinkend schließen, bilden die beiden Stollen; der Abgesang besteht aus zwei Teilen zu je 9 + 8 Silben. Die Reime sind (mit Ausnahme von 10 und 12) zweisilbig und rein ; im Innern der Verse steht kein Hiatus ; Taktwechsel haben V. 1. 6.

IV. fol. 69^^128

Conqueror ecce, deus, tibi, quod princeps Basilens

Grratum propositum vertit in oppositum: Nam mibi post mella fei subtribuendo capella,

Qua prius instituit, me modo destituit. Causam scire puto quam pandam murmure muto 5

Destituor quare: sum modicus quia re. Essent divicie mihi presidiumque sopbye:

Litem prosequerer, ius quoque consequerer. Sed quoniam desunt bec, iura minus mihi presunt:

Sic vinci merui, spem quoque deserui. 10

Prebuit antistes hos successus mihi tristes,

Spes quibus interiit et mea res periit. Quando relaxavit, sua litera quod reprobavit,

Latum consilium sustulit auxilium. Huius dedecoris mendam nisi tollat, honoris 15

Immemor esse sui creditur atque frui Moribus ingratis, qui signum mobilitatis

Ostendent in eo. Propterea moneo

456 J- J^^- Werner,

Eins virtutem, iuxta quam quero salutem,

Ut ius inspiciat et mihi proficiat. 20

V. für mihi ist immer m geschrieben 7 psidiumq, s aus d corr. conse- queret 14 concilium. Der Dichter, vom Bischof von Basel einer übertragenen Pfründe beraubt, klagt über diese Zurücksetzung ; ihre Ursache sieht er in seiner Armut, die ihm nicht gestattet, sein Recht vor Gericht zu verfechten; er ver- sucht es deshalb mit einer Appellation an die Gesinnung des Bischofs. In Nr. LIV wendet sich der Dichter nochmals an die Güte seines Herrn, obwohl ihm die Furcht die "Worte raubt. Dort wird auch die Kaplanei genannt, um die es sich handelt.

V. fol. 69-^° 1

Barbara queqne caret titulis, quibus nrbs ea claret, Anterior rima cui nomen prebet et ima,

Sede resignita catbedrali genteque; Tita

Incola tranquilla snus utitur omnis in illa,

Lis quia submota per pacis federa tota 5

Est domino dante sibimet, quam moverat ante: Ammodo leta manet, pax lesam dum modo sanet. V. 2 Ueber rima die Glosse i. e. linea. Die Stadt Basel (Basilea civitas ergibt das Akrotelestich) wird beglückwünscht wegen Wiederherstellung des Friedens. Die Verse beziehen sich vielleicht auf die 1286 von König Rudolf angebahnte und durch den Bischof Peter Reich befestigte Schlichtung der Partei- streitigkeiten. S. H. Boos, Geschichte der Stadt Basel im Mittelalter (1877) I. S. 86. Vgl. auch XV.

VI. fol. eo'^us

E^cipe mente bona, tibi que fero metrica dona, Gloria non fesse laudis solet in quibus esse; Inclite iure baro, tibi pollens dogmate claro Discutis in lite causarum singula rite;

Ius quia complete decreti pullulat e te, 5

Dicta reservanti corisentur (?) fore tanti,

Omnia dulcoris fomes ut sint cordis et oris; Consilio procerum gravis experientia rerum

Te vetat exclusum, quod et est te sepius usum. Ordinibus retro visis hoc anteque metro 10

Riga tuum nomen prior explicat, ima sed omen. 1 Eccipe met'or dono 7 über fomes die Glosse: i. e. nutriraentum. Egi- d i u 8 , doctor decretorum, der Empfänger dieses Lobspruches läßt sich im Basler Urkundenbuch nicht nachweisen. Nach V. 8 f. scheint er ein angesehenes Mitglied des Rates gewesen zu sein; doch geht aus dem Gedichte nicht hervor, welche Dienste (V. 9) er dieser Behörde geleistet hat.

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 457

Vn. fol. 69'^n2o

Corporeas metas tua gaudens conpleat etas ! Arte nota fete vir, ut Mc tibi nomino tete

Nomine secreto, non carminis ordine spreto.

Thema mihi te do, dum quid tibi forsitan edo. Optima si rite tibi do preconia yite, 5

Rebus ab biis mestus ire te non gravet estus; Donec enim cista mea mens est sospes in ista, Ingenio stringam, te carminibus quoque pingam. Egregias laudes laudo, meruisse quod audes,

Teque sub biis laudo, quem totum pectore claudo. 10 Rarius binc miram tua mens sibi colligat iram, Immo productum gaudendi det tibi fructum,

Cum laudes mille tibi concinat ille vel ille. Ecclesie mute cum sis vox primula tute

Maiori festo, paciens laudabilis esto, 15

Et fac, secrete, pie vir, quod postulo, lete!

2 nota ist Verbum: nimm wahr! arte fetus ist kein geschmackvoller Aus- druck. 14 Sit zu sis corr. Den Gegenstand, um den der Dichter den als Gönner der Dichtkunst bekannten Domkantor (V. 14) Dietrich a fine anbettelt, wagt er nicht im Gedicht selbst zu bezeichnen ; er versteckt seine Ritte (secrete quod postulo) kunstvoll in das Akrostisch : Cantor Dietrice, me letifica pie veste

VIII. fol. 69^^1137

lungat, ut opto, bona cum sorte deus tibi dona

Ob meritum, lete tociens mihi quod fluit e te:

Huius enim funis vi me tibi stringis et ynis;

Ad dandum munus varium mihi promptus es ynus. Non tamen illud idem facio tibi quod queror idem 5 Nee scio, ni mente, grates tibi reddere lente

Exiguas more mimi, qui Carmen ab ore

Suscitat in summis modulando, datis sibi nummis.

Ein in anständigem Ton gehaltenes, in einen Glückwunsch gekleidetes, Bettelgedicht. Das Urkundenbuch der Stadt Basel erwähnt II S. 75, 13 für 1274 einen Johannes quondam de Wilon und seine Witwe; einen andern, wohl deren Sohn, II S. 227, 27 für 1282. Es ist hier wohl der ältere gemeint, der vielleicht identisch ist mit dem von Konrad von Würzburg genannten Johannes von Wil (Wyhlen liegt im Großherzogtum Baden). Vgl. Bächtold, Gesch. der deutschen Liter. in der Schweiz, S. 125. Der schon oft beschenkte Dichter bedauert, nur in Versen seinen Dank darbringen zu können; er scheint (V. 7) sich ausdrücklich von den fahrenden Künstlern unterscheiden zu wollen.

IX. fol. 69'^n46

Maguntine, stüum, cum sis mihi, presul, asilum, Dirigo iure meum modo pre cunctis iubileum

458 J- '^^^- Werner,

Applaudendo tibi verum, quia vix ea scribi

Possent ad plenum, que consnevere serennm

Reddere te, princeps; augentur namqne deinceps, 5

Vt tibi collatus testatur pontificatus.

Ergo tibi scripsi breve quid, ne detur eclipsi

lllud idera ceptum; cur finem snmat ineptum?

E tanta laude merito, pater inclite, gaude!

Id, quod honoris habes, numquam simoniaea labes 10

Polluit obscena; tua mens rationis habena

Se refrenavit, quod ei non appropiavit,

Justicia teste quam persequeris manifeste:

Semper enim tu ius fovisti, nee scelus. Huius

Causa virtutis auctor deus ipse salutis 15

Te sublimavit et honeste pontificavit

Cläre metropoli: laus binc et gloria soli

Te sublimanti sit iugiter altitonanti!

5 princeps über der Zeile zugesetzt 13 quam pro persequeris Begrüßung des neugewählten Erzbischofs von Mainz, dessen Tugenden durch diese Erhöhung die verdiente Belohnung erhalten haben. Es kann dies nur der am 15. Mai 1286 ernannte Heinrich von Isny, vorher Bischof von Basel, sein.

X. fol. 69^1^«

Menbra regi capite lex sanxit gentis avite;

Hie sacer ordo litus promit contraria ritus:

Pes Caput ascendit, testudo sub etbera tendit,

Cum renuente statu se non trabat illa volatu:

Prob dolor! elati, pocius servire creati, 5

Seeptrigeri temere renuunt se iussa tenere.

1 sancxit 6 Septrigeri Die Leoniner zeigen zweisilbigen reinen Reim, einmal Caesurverlängerung in offener Silbe (V. 1); st bewirkt nicht Positions- länge (V. 4). Auf welche Partei (bischöfliche oder königliche) dieser Spruch ge- münzt ist, bleibt unklar.

XI. fol. 69^^28

§ Aula referta bonis, opulentis inclita donis, Vultu diffuso, letare! dolore retuso Principe de tali virtute nitente reali, Qui decus est cleri cinctus dyademate veri. Miti civilis, sed hero fore novit herilis, 5

Principibus festus armorum fwlgura^ estus, Hostica castra terit, vi temptat et ardua querit; Non tarnen arma gerit, sibi militis ensis obedit;

Poetische Versuche und Sammlungen eines Baslers Klerikers etc. 459

Asperat hos donis, seges hec hiis apta colonis;

En Ciceronis opes promit fortesque Canopes 10

Vincit in ingenio: pluit hec donaria Clyo.

1 epulentis Vgl. Ovid. met. XIV 272 : Diffudit vultus 3 vielleicht regali zu bessern 6 falgur ad 10 canopos; gemeint sind die Weisen Aegyptens.

Es scheint ein Glückwunsch von Hofbeamten zu sein; doch ist nicht er- sichtlich, ob die Huldigung dem Bischof von Basel oder einem anderen Prälaten gilt.

XII. fol. 69^133

§ Quos sine frande putat istic, mea musa salutat, Musa iocosa satis humili mitlsque beatis, Invida displosis, satis ac austera dolosis. Metri flecto stilum querens pietatis asilum. Principis ad caltum virtutum ^cemate /"ultum 5

Spondet sponsa thorum, perpes cui gloria; morum Gratia coniurat, secam que vivida durat; Demonstrat fructus a tanto presule ductus, Quis sit, si queris, nee in hiis plus certificeris; Quem reputo dignum proprio pro nomine signum. 10

XXIII. fol. 70^17

Curritur hie, munus bravii sed suscipit unus; Qui metra mellita lingua dictante polita StiUat et obscenam reliquorum qnamque camenam Estimat, inde dator metri cen versiculator Grandiloce spirans et totus in aere girans 15

Posset ab imbelli circi statione repelli, Ni dornet ora rato linguam stringente lupato: Obmit unda. ratera, nee sustinet anchora vatem Na2(fragio tactum, tumidis aquilonibus actum. Nil bonitatis ago, donec furit illa vorago; 20

Kepressi citharam nee laudis quero thiaram. Lex equitis dura vigilique coercita cura: Ut loca non mntet, quamvis victoria nutet.

2 mitique 5 cemate cultum 10 am Rande : Verte folium sequens et con- cinna : Curritur hie etc. (fol. 70^ 1 7). 11 Nach I. Cor. 9, 24 : omnes quidem cur- runt, sed unus suscipit bravium ; vgl. N. A. XXXII. S. 598. V. 221 ; auch Sextus Amarcius III 559 f. paraphrasirt diese Stelle des Korintherbriefes. 14 datur Hft, dator Wilh. Meyer 17 lingua; vgl. Prudent. Psychom. 191: frenarier ora lupatis; Theodulf. II 117 (P. Lat. Carol. I, S. 454): Cuius lingua operis propra est frenata lupatis. 18 umbra zu unda corr. 19 Nafragio ; Naufragio tactum auch LIV 13; für beide Stellen schlägt Wilh. Meyer iactum vor.

Scheint einen großmäuligen Versschmid, der über andere herzufahren liebt, zu verspotten. Das gleiche Thema liegt auch dem folgenden Stück zu Grunde.

460 «J^- J3,k. Wer n er,

Xni. fol. 69^1**

Qui tua metra facis, demens, verbis sab opacis, Uteris glosa, qua clarifices onerosa Verba, quibus sensus non est; viciis reprehensus Talibus es merito; Collum subpone perito! Quid vis de Remo, cum tu de rege B9bemo 5

Dicere proponis; vetat illud vis rationis. Talia finxit anus; qui crederet, ergo profanus Esse videretur, quia, quod lupus bec loqueretur, Vocibus humanis fore fabula constat inanis. Quis valet hoc scire, quod debeat * * * * * 10

U 0

2 honerosa 5 behemo 7 g, nicht g Leider entbehrt der vielver- sprechende Anfang (Verspottung eines schwülstigen Epikers) einer Fortsetzung.

XIV. fol. 69^n6

Salve!, flos cleri, quo vult Basilea foveri Principe sinceri cordis cultoreque veri: In te mitis beri virtus solet usque videri; Non in te queri scelus aut fraus volt nee baberi Mite cor Assueri manet et tibi pectus; Omeri 5

Laus tibi preberi decet, hanc scis ipse mereri. ÜSTon parcens eri mihi, queso, velis misereri: Spes quit adimpleri mea per te, non removeri.

3 Iure 5 et schiebt Wilh. Meyer ein Begrüßungsgedicht an den Bischof von Basel, in welchem der Dichter in kunstvoll gereimten Versen (16 Reime auf -eri) sich dessen Mildtätigkeit empfiehlt.

XV. fol. 69^ni5

Urbs iocundare Basilea! Salus vigilare Conspicitur certe simul ac Fortuna super te, Cum tuus effectus sit alumpnus, qui bene rectus Noscitur, bic princeps; ipso mediante deinceps Bella profanabis civilia, fedus amabis, 5

Et Concors vives: clerus cum milite cives Unum semper erunt, partes quibus ante fuerunt. Ergo letemur omnes letique precemur, Ut tam sincerum series longinqua dierum Hunc comitetur herum, pia sors et copia rerum! 10

1 Crbs Irrtum des Rubrikators. Auf die Wahl des Bischofs von Basel, jedenfalls Peter Reich von Reichenstein, der gleich nach seiner Wahl sich be- mühte, die Parteistreitigkeiten beizulegen. Vgl. zu V. Die acht leoninisch ge- reimten Hexameter werden durch 2 Unisoni wirkungsvoll abgeschlossen.

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 461

XVI. fol. 69^' «26

Plus metra significant hec in se, quam tibi Dicant: Est tibi tranquilla virtus probitatis et lila

Te fovet et lenit, a qua tibi gloria Yenit.

Kes per inexpletas te nostra quidem probat Etas Esse pie mentis, pietatis opus quia Sentis. 5

Petrus Reich von Reicheusteiu, aus einem Ministerialengeschlecht stammend, war Archidiaconus in Basel und seit 1278 zugleich Dompropst von Mainz. Nach vergeblichen Bemühungen um das Erzbistum Mainz wurde er 1286 Bischof von Basel.

XVII. fol. 69^ "32

Vestre persone, cui verba salubria mando,

Hoc metrum pando ceu vernanti ratione,

Notus ut inde forem, quod duxi scribere vobis

Theutonicisque probis vestrum captando favorem.

Sed minus huic bleso, quia curto tempore cudi 5

Sensu nempe rudi, clementer parcite, queso!

Absint insidie! contra quas non bene staret;

Nam tutore caret, qui polleat arte sophye.

Hec reliquis debet preferri natio digne,

Cui tam presigne nomen Germania prebet; 10

Nam quasi Grermani, cum sit Germanica dicta,

Federe constricta non vi terretur inani.

Hoc sermo quippe, quem moverat Israbelitis

Temporibus litis, probat allegantis Agrippe,

Imperio quando frustra cepere re^uti 15

Sueta fraude citi sibi ferre tributa negando.

Huius mota malis, velud in Josephe reperitur,

Quo bene colligitur, fuit allegatio talis :

Quo ruitis stulti? vestri nondum bene nostis

Quis sit mos bostis, vesano dogmate /"ulti. 20

Gens Germanorum, que robore mentis babundat, ^

Fortes ut fundat gaudens e cede virorum.

Non est vincenda, si vos parere velitis

Ecce meis monitis, potius sed permetuenda;

Contemptrix mortis, quia cedere respuit unquam, 25

Deficiet numquam sub inique turbine sortis;

Nee fovet exanimes; hec cum sit plena vigoris,

Nescia terroris, datus est Eenus sibi limes.

'462 '^' J*^- Werner,

Renenses quare plermnque solent alieni

A fluvio Reni nos nostratesque vocare. 30

Ne merear cerni lucem sermone tenere,

Postquam gaudere soleant brevitate moderni,

Versibus biis binis sed laude data prius ipsi:

Istud cui scripsi, quod metro sit volo finis. 34

8 poUeät 15 reuicti 16 sciti 20 sulti Hft, fulti Wilh. Meyer 27 34 fit. Eine Lobrede auf die Deutschen, in der besonders ihre Tapferkeit und Todesverachtung hervorgehoben wird. Vgl. Josephus, de hello jud. II. 16 ; Spiritus autem maiores corporibus gerentes et animam quidem contemptricem mortis, indig- nationes autem vehementiores feris, nunc autem limitem Rhenum habent. S. das Zitat in XXXVIII. Aus der nicht leicht zu handhabenden Form dieser cruciferi oder serpentini (vgl. Wilh. Meyer, Ges. Abhdlgn. z, mittellat. Rythmik (1905) I S. 84) erklärt sich die sonst nicht so häufige Caesurverlängerung : 12, 23 (-a); 10, 13,32 (-e). Die Reime sind zweisilbig; wiederholt sind: -ando 1/2 und 15/16; -itis 13/14 und 23/24.

XVIIL fol. 70'i'8

Abluo, firmo, cibo, piget, uxor, ordinat, ungit : Hec sunt ecclesie Septem sacramenta vocata.

Merkvers, der bei Haureau, Notices et extr. IV. S. 194 in abweicbender Form gedruckt ist. Hierauf folgen 3 ähnlicbe Merk- verse, die durcb vorangescbriebenes vacat getilgt sind; es sind:

a) Septem sunt casus, quibus bec transactio nulla 3 Verse. Schluß: 'coniux, alimenta'.

b) Error, condicio, votum . . . ; über die Ehehindernisse , ge- druckt bei Haureau N. et e. IV S. 192.

c) Si vacat Imperium, si negligit aut dubitetur, Si subsint omnes, si consuetudo probetur,

Connexum faciunt, sine re (Hft: sinire) sub presule stetur.

XIX. fol. 70'"»

Ave virgo gloriosa, | celi iubar, mundi rosa, |. . . . supernorum civium.

Je die erste Halbstrophe (I VIII) der bei Kehr ein, Lat. Seq. No. 275, Mone, Lat. Hymnen No. 531 (IL S. 318) gedruckten Sequenz ; hat in III 2 fälschlich lucis statt maris.

XX. fol. 70' 1*7 L Senescentis et delire

lire cordas renovo, novo cantu volens expedire

dire mentis socia; ocia

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 463

circa Syon presides

bene tibi provides. II. Equitatur aliquando, tuta loca peragrando

III. Capellanis prelatorum maior quies clericorum,

IV. Cantes, legas et alleges, non sis notus apud reges,

V. Et si Maro vel Lucanus, vulgo presul est humanus;

VI. Ergo cautus sis, Homere! mores eius reverere,

si des, adde propera opera!

5 quando iubet dominus; minus grando, nix et glacies, acies sagit^arum ingruit: ruit mors per gravia avia et inermcs obruit. 10

thorum prebet palea; ea quorum penas video; ideo retrabam obsequia, quia opes temere emere

pondus, est non gloria. 15

leges salutiferas feras,

eges circa presules, ex?<7 es; nisi quibus servias, fias Chodri socius, contempleris per vias. canus sive iuvenis manus fert ad loculos, oculos reconformat munere, ere replet dexteram, exteram gentem doctus colere. 25

mere tibi predico; dico:

here! cuius lateri at^eri

non te diu perferet; feret egros sospites, hospites suos numquam deseret. 30

ocms

venis,

20

Form: Grundlage der Strophe ist der trocbäiscbe 15-silbner; Eeiche Reime der durch die Melodie hervorgerufenen echoartigen Wiederholungen verzieren die Siebensilbner und verknüpfen die einzelnen Zeilen. Jean de Garlande in seiner Ars rithmica 400 ff. (bei Giov. Mari i trattati medievali di ritmica Latina 1899. S. 48) nennt dieses Kunststück repetitio immediata und fügt bei: quidam gaudent tali rithmo, qui suum volunt ingenium experiri. Ob nicht diese gekünstelten Eeime den Einfluß Konrads von Würz- burg verraten ? vgl. Bartsch, Deutsche Liederdichter^ S. LXIII. Taktwechsel kommt nicht vor ; die Achtsilbner zerfallen regelmäßig in 4_u + 4— u. Zwischen den Zeilen, besonders dem Echo, ist der Hiat häufig ; im Innern findet er sich V. 14 quia opes. Zweimal steht schließendes -m vor anfangendem Vokal: 8, 13.

464 J- J^^- Werner,

Der Inhalt ist nicht recht klar: es scheint ein Selbstbe- kenntnis des Dichters zu sein, daß der Herrendienst gefahrvoll und undankbar sei und nur die epischen (historischen) Dichter Geld und Gunst erlangen.

Zu 1 verweist Wilh. Meyer auf Her. Sat. II, 5, 71 : senem delirum. 2 4 ist eine humoristische Wendung des bekannten und viel- fach variirten Spruches Bis dat qui cito dat, den z. B. Guiardinus 168 zu Prompta placere scias, tarda sapore carent umgebildet hat. 8 sagitarum 10 inermis 13 ratraham 16 leges habe ich nach Anleitung des Reimes eingeschoben. 17 exides 19 Codrus ist seit Juvenal (3, 203) der Typus des armen Schluckers; Wilh. Meyer zitirt Nachrichten 1908 S. 193 aus den Carm. bur. II Str. 5: quia Codro Codrior omnibus abundas ; vgl. Alanus de planctu nat. (ed. Wright S. 473) et Codrus abundat egeno. 27 mores fehlt ohne Bezeichnung einer Lücke, ateri 28 perfert. 29 fert.

XXI. fol. 70'-n24

MoUis seu dura res quelibet est peritura:

Ergo procura felix, homo, regna futura,

Que sunt mansura, que meta sunt caritura.

Observa iura! placato deum prece pura!

Sit procul usura! pro victibus excole rura! 5

Nee facito plura! sie regnabis sine cura.

Die leoninisch auf -ura gereimten Hexameter (Tiradenreim) haben viermal Caesurverlängerung, resp. syllaba anceps in der Caesur; so wird der Hexameter gewissermaßen in zwei gereimte Kurzzeilen zerlegt.

XXII. fol. 70'"3i I. 0 mores perditos et morum federa!

Non curant superi, quid agant infera;

Sinistre manui mentitur dextera.

Nee carent fraudibus fraterna latera. IL Die, mater unica! die, Fides, filio! 5

Die, ubi habitas in hoc exilio?

In imis vallium et montis cilio.

In casis pauperum, an regum soKo? IIL A primo generis humani stipite,

A mundi finibus exempla sumite, 10

A celi cardine, a terre limite:

Nusquam tuta fides; experto credite. IV. Hoc ultrix fidei incumbens gladio

Elissa cecinit mortis conpendio;

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 465

Pudori consulens et vite tedio 15

Luctantem animam iuvit incendio. V. Olim res fidei, mmc umbra colitur;

Olim sola fides, nunc et frans fallitur: Nam doli macHna dolo repellitur; In dolo dolns est et dolo toUitnr. 20

VI. Sit ergo fraudibus hec meta gaudii! Sit hec sceleribns summa stipendii! Mundanos devorent hostiles gladiil Nee mundo serviant solares radii! finita est.

Haureau hat Bibliotheque de l'e'c. des eh. 47 (1886) S. 92 die 4 Strophen der Pariserhft Lat. 3549 saec. XII./XIII. fol. 168r zum Abdruck gebracht. Mit 5 Lesefehlern wiederholt Dreves Analecta hymnica 21 S. 124 den Text aus der gleichen Hft. Madan hatte Bibl. de l'e'c. des eh. 46 (1885) S. 584 das Gedicht in der Oxforderhft Bodl. Addit. A. 44 fol. 65^ nachgewiesen. Sechs Strophen bietet die Baslerhft, die meist vor jede zweite Zeile § setzt. Eine Melodie ist nicht überliefert.

1 0 fehlt B 4 latere B 5—8 nach 12 P 5 Die mater filio, die sodes unico P 6 sie ubi P 7 an imo P et] an P 8 In] an P 9, 11, 10, 12 vor 5—8 P 11 celi] solis P cardines B 13—16 fehlen P 13 fide B incumbit 0 17 nunc] B 18 et] est P sed nunc fraus 0 19 et doli machina dolus P 20 et dolus tollitur P 21—24 fehlen PO.

Für den Nachweis der Zitate: 12 aus Verg. Aen. 4, 873 und 11, 283; 16 aus Yerg. Aen. 4, 695 = Lucan. Phars. 3, 578 und der Lesarten aus 0 bin ich Prof. Wilh. Meyer zu Dank verpflichtet.

XXIII. fol. 70^17 Curritur hie . . . s. No. XII V. 11-23.

XXIV. fol. 70^131 Taurum sol intraverat . . . Die von W. Wattenbach in

der Zeitschr. f. deutsches Alterth. 18 (1875) S. 127—136 abgedruckte Streitrede zwischen Ganymedes und Helena über die beiden Arten der Liebe. Der Text dieser Hft enthält neben vielen Fehlern und Lücken mehrere gute Lesarten ; an manchen Stellen stimmt sie mit den Lesarten von "Wattenbachs R = Cod. Yat. Christ. 344 überein. Nach den größeren und kleineren leeren Stellen in der Hft zu schließen scheint die Vorlage defekt gewesen zu sein. Ob in- oder im-, con- oder com-, -ti- oder -ci- in der Hft steht, merke ich nicht an.

1, 1 Maurum 2, 2 leue ; oft läßt sich nicht unterscheiden ob u oder n gemeint ist. 2,4 adeptus 4,2 allisisse 4,3 tales deos (= R) fama est formas 4,4 mirabatur 4,4 parem 5, 2 neque 5, 3 Phebe litiget, litiget et 6, 1 thoris 6, 3 phi-

Kgl. Geti. d. Wiss. Kacbiichton. Philolog.-hietor. Klasse 1908. Heft 5. 33

4ßß J. Jak. Werner,

gius[!], aber 8,3 Phrigius 6,4 fatetur fehlt; leerer Eanm dafür. 7,3 petitur 7,4 si 9,4 bona facie 10,3 terminant

11.3 Lora 12, 2 De secreto 12;2 cogitat = R 12, 3 Prolem

13.1 Comes erat = R Nach 13,2 eine Zeile leer 13,3 mis- cet = R 13,3 inpares, das e zerkratzt. 14,2 nature 15, 3 Mirum 16, 3 deos hec (durch Compendium) v. o. iam. c.

16. 4 et illa r. videt 17, 4 superbi 18, 1 intro inferuntur 18, 4 regias = RV 20, 2 vor 20, 1 21, 1 docenti 21,4 blande

22.2 Adhuc virgoprepudens 23,1 P. coma libera nexu 23, 1 —4 haben die gemeinsame Endung -ari 23, 4 paulum = R 25,1 longiore 25,2 hincethincremovet = B 25, 3fa- cilis similis 25, 4 für das fehlende Ventura ist Raum gelassen 26, 1 undique superos =^ R 26, 2 Phebum c. Jovem 1. (= RV) 27,1 Jupiter 27, 3 de phrigio 28,1—4 gemein- same Endung -erit 28,3 primitus in c. e. = BV 28,4 ocu- los curia = R 29,1 Heus = R 29,2 nach 29,3 = RV 29, 2 invidens 29, 4 non fehlt 30, 1 liberos liberis 30, 4 opti- matibus 31,1 decus est d. 31,2 nach 31,3 31,2 occidit 32, 1 vor reparari undeutliches Zeiches für et oder p 32, 3 per- turbari = B 32,4 In me facit sentio 33,2 mutuo feminam amplexu = R 33, 3 nat. nexu 34, 1 debent 34, 4 coin- quinari 35, 2 uirum 35, 2 iungit amor lectus = R 36, 1 cum durch das Compendium für con ausgedrückt. 38, 1 duxit inde- corum 38, 2 forme sir. honestate 38, 3 geniale = ßV 40, 3 fehlt, Zeile leer 41, 1 ascendit = R 42, 2 Vos 42, 3 dimitat

42, 4 hoc hoc 43, 4 fehlt 44, 2 videat 44, 3 Quod se =

RV 44, 3 ingerunt 44, 3 usurpat etas 44, 4 puericio Mit 44,4 schließt fol. 71''", auf fol. 71^i' beginnt 66, 1—67,4 worauf noch 8 Zeilen (s. no. XXVII 1—8) folgen; dann scheint der Schreiber den Irrtum (er hatte wohl ein Blatt = 2 x 42 Zeilen überschlagen) eingesehen zu haben : er fährt weiter mit 45, 1 Die . . . 45, 1 ateratur 45, 3 ventus, falsches Compendium der Endung 46,2, 3, 1, 46, 1 cum virginis decor evanescit = RV 46, 4 fehlt 47, 2 Et subesset inguini mulieris c. 47, 3 iudice 48, 3 fehlt, leerer Raum dafür gelassen 49, 3 loqui = R 50 turpiter = BV 50, 2 hie fehlt 51, 1 Oo 51, 3 studeant 51, 4 Meretrix iam 8. t. impune f. 52, 3 ubi tune fehlen, ist Raum gelassen. 52, 4 thaide, auch im folgenden immer th- 52, 4 sapina 53, 2 Quid 54, 3 referat 54, 4 Sitis 55, 2 balfimum 55, 3 Quarum 56, 1 Jupiter medius 56, 2 ad hec se 56, 2 4 scheint die Vorlage am Ende der Zeilen ein Loch gehabt zu haben, da die Schlußworte verti (-t ist da) prefert it und stertit fehlen 66; 4 litigat ac

Poetische Versuche und Sanimlnngen eines Basler Klerikers etc. 467

57, 1 Venus vestra 57, 3 Dum 58,^ Fetens antrum 58, 3 fehlt 60, 1 res est 60, 2 amata = B 60, 3 sed non erit nostra lex per 61, 1 prodit 61, 3 cum te subdit maribus h. inp. 61, 4 perdis pura 61, 5 hominis ibi fit = E 62, 1 In auditu 62, 2 robur 63, 3 non res inq. 63, 4 loquor 64, 1 refert equidem = R 64, 1 4 haben die gemeinsame Endung -iscit 64, 2 iam agnosco

64.3 Ergo nova 65,2 chorum virginum virgo 66,1—67,4 irr- tümlich nach 44,4 66,2 Approbat coniugium 67,4 hoc si fecero, wie Wilh. Meyer, Ges. Abh. 1 S. 277 vorgeschlagen hat

67. 4 Sit.

XXV. fol. 72^1*

I. Post hiemis rigorem et senium

movemur ad amorem et ocium: ver adest ad honorem dans lilium, calor äuget calorem venerium.

Vulnus habet remedium 5

apud alium; Sed hoc est incurabile, nee medico curatur, et numquam est sanabile, ni medica tangatur. Una tantum pre ceteris esset curatrix vulneris; 10

et sie par essem superis sanus a plaga Veneris. n. Una placet amanti pre omnibus,

sed non furi precanti pro precibus, neque faveret danti nee dantibus; 15

hec non sunt ei tanti pro talibus. Non movetur muneribus neque precibus. Hec sola spernit munera quod raro solet esse et mavult propter cetera quam propter hoc subesse. 20 Una tantum (u. s. w.) III. Parem pars occidentis non hahuii,

sensus humane mentis obstupuit, mutatis elementis apparuit, vultus dei viventis resplenduit.

Parem nuUum adhibuit, 25

parem renuit. Hec parem nullum recipit, nuUi vult iungi par^ et sie amantem recipit, quasi nolit amari.

Una tantum pre ceteris (u. s. w.)

33*

468 J^^- Werner,

Form: Die Stropte ist zusammengesetzt ans 1) vier unter sich reimenden Sieben silbnern mit fallendem Schluß, je verbunden mit einem Viersilbner mit steigendem Schluß (Wilh. Meyer, Ges. Abhdlgn. z. mittellat. Rythmik I S. 313): 4 x (7-^ua + 4u_b). 2) Mit den Viersilbnern reimen die zwei folgenden Zeilen von 8 und 5 Silben: 8u_b + 5u_b. 3) Den Abschluß bilden zwei aus 8u_c -f 7_ud unter sich reimende zusammengesetzte Zeilen (W. Meyer, a. a. 0. I 316). Hiat findet sich 13 pre omnibus, zweimal -m vor vokalisch anlautendem Wort (V. 8 und 25), ebenso zweimal zwischen den Halbzeilen (V. 1 und 2). Takt- wechsel kommt in den 18 Zeilen zu 7 _ u neunmal vor , in den 9 Zeilen zu 8u_ dreimal (immer in der gleichen Zeile der Strophe); auch der aus 4x8u_eeee bestehende Refrain weist 3 Takt- wechsel auf. Das gleiche E-eimwort haben V. 14 und 18; aber V. 14 gibt keinen ordentlichen Sinn.

V. 21 nach non ist inde multo gravius durchstrichen. hü'it Ob V. 24 das von mir eingeschobene resplenduit das richtige ist? die Hft hat keine Lücke angezeigt. V. 27 iungi parem habe ich nach dem Reimwort der folgenden Zeile geändert.

XXVI. fol. 72' 128

I. Reverendi iudices! quorum habet cura et stare pro legibus et tueri iura; Res est, quam dicturus sum, cunctis profutura et neglecta cunctis est eque nocitura. II. Licet sit quibuslibet onerosa satis, 5

satis tamen continet hec pars honestatis; cum res ergo tanta sit, vos, qui iudicatis, vestram audientiam inihi concedatis! m. Breviter edisseram rem modumque rei:

cum nisi per Tetidem feritas Liei 10

superari nequeat, voluere dei, ut Thetis coniugio iungeretur ei.

IV. Justum est, ut coeant Thetis et Lieus, ut deae temperie temperetur deus;

probo, quod legitimus sit hie himeneus : 15

sed hoc adversariws inprobab?^ mens.

V. Est in Bachi viribus parum immorandum: cunctos Bachus efficit promtos ad pugnandum;

4 est neglecta Hft sed negl.? Wilh. Meyer 5 honerosa 8 m' zu m corr. 14 ut deus 16 aduerearis 16 inprobabw abgekürzt geschrieben.

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 469

mulieres etiam cogit ad prostandum;

Bacho turpe nichil est, nichil est infandum. 20

VI. Bachus amat iurgia, ^achus odit pacem

et confert civilibus animum andacem.

Dens hie de timido faeit contumacem ;

nee Lombardus ebrius metuit limacem. VII. Deus hie letificat animum humannm 25

et inermis hominis armat ipse mannm;

et simplex canonicus putat se decanum,

qnociens incorporat vinum veteranum. Vin. Diu inter principes lis est conversata,

sed versata tociens non est terminata: 30

ergo 5it in medio iterum prolata,

ut in hanc sententiam proferatur rata: IX. Frenum nescit ponere sue Bachus ire,

quia per illicitum multos cogit ire;

est ergo consilium honestatis mire, 35

quod hwic malo poterit modum reperire. X. Si vos Bacho Thetidem iungere velitis,

Thetidis moUicie Bachns erit mitis.

Placet hoc consiliam omnibns peritis,

placet laicalibns, placet heremitis. 40

XI. Et nos decet emulos esse Lonbardorum,

qni precellunt omnibus vilitate morum:

s^ exemplo singnli viverent eorum,

de ferratis Optimum haberemus forum. Xn. Omne, quod superfluit, illis plus est gratum, 45

quia tantum hauriunt vinum adaquatum:

amant, ut sint ebrii; sed mos est, ablatum

purum ventri trudere vinum faleratum.

XIII. Talis inter monachos mos est usitatus,

quod, si vacet cathedra sive prioratus, 50

in primis considerant, quis sit plus inflatus

XIV. Istud ergo nemini mirum videatur, si chiphus ad oculum vino inpleatur,

19 zu prostandum vgl. Guiardinus 346: Ipsaque Penelopes hac (i. e. ebrie- tate) duce Thais erit. 21 Pachus odit 22 Os hie = Omnes hie 29 versata Hft hec lis est versata? Wilh. Meyer 31 fit 32 hac sententia? Wilh. Meyer 36 hinc 37 tethidem 40 lacialibus 41 At non? Wilh. Meyer 42 Novati, Attraverso il medio evo. S. 141 f. zitiert unter anderm aus Jacques de Vitry fol- gendes: Lombardos avaros, malitiosos et imbelles 43 sie 47 mox?

470 ^- '^^^- Werner,

et quod mensa variis cibis oneratur : 55

nam vere salvabitur quisquis erit satur. XV. Hoc modo sc tendere iactant ad virtutem et preponunt anime corporis salutem accincti potentia ad inplendam cutem: quam mihi si replea?jt, ego non refutem. 60

Form: Die bekannte Vagantenstrophe von 7w— x-f6 üb hat auf 60 Zeilen 14 Taktwechsel in 7u , darunter aber nur einmal mit dreisilbigem Wort 59: accincti. Jede Strophe hat besonderen zweisilbigen Reim. Elision findet sich nicht; Hiate kommen vor V. 29, <43> und 54 und in der Caesur V. 31 und 59; viermal findet sich -m vor anlautendem Vokal (V. 8, 13, 17, 22), zweimal vor h- (1, 25).

Inhalt: Das beliebte Thema, über welches sowohl der Primas Hugo von Orleans (s. Wilh. Meyer in Nachr. der Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1907 S. 149 f.) wie "Walter Mapes (ed. Wright S. 87—92 : Dialogus inter aquam et vinum) Verse gemacht haben, wird hier in einer fingierten Gerichtsrede zu behandeln versucht; leider hat sich der Dichter von V. 41 ab zu Abschweifungen verleiten lassen, die nicht zur Sache gehören.

Einzelnes: V. If. Vielleicht Anlehnung an Verg. Aen. 7, 443: cura tibi divum . . . templa tueri. 12 Vgl. Carm. bur. 179,5 S. 241: Dea deo ne iungatur. 24 Anspielung auf das hin und wieder unter Ovids Namen überlieferte Spottgedicht de Lombarde et Lumaca, das Fr. Novati in Attraverso il medio evo (1905) S. 119—151 mit Anmerkungen herausgegeben hat. 52 Die Hft hat kein Zeichen der Lücke. 57 sese 60 repleat.

XXVII. fol. 71^19. foi. 72rn38

I. Dudum felix modo miser id quod eram defleo ; Olim dives modo pauper quod amisi doleo. Illum statum sie mutatum memorate teneo, Yite finem destinatum evenire timeo. H. Olim census, forme, sensus erat mihi copia, 5

Tanto gravat, que nunc instat, artius inopia; Nam quo maior, quo fecunda fuit illa gloria, Tanto minus est agenda Uliiis memoria. in. 0 quam dura blandimenta sortis sunt et aspera,

Que tunc nuta,i et plus mutat, cum promunt?^r prospera ; 10 Nova placent, cum iam vacent, que fuerunt vetera: Est deiectus et despectus vetus inter cetera. IV. 0 miranda et nefanda vite huius novitas,

Que captata et amata plus quam morum probitas. Nova redit, et iam cedit veterum auctoritas ; 15

Silet verax, vincit mendax, locum habet falsitas. V. 1—8 sind durch Irrtum in das Gedicht XXIV geraten; s. daselbst 44,4. 5 vor census ist se ausradirt. 6 arxius (r und -us durch Abkürzung) 7 illis (is durch Abkürzung) 10 micat llft, nutat W. Meyer; promüt. 14 captatur et amatur? Wilh. Meyer.

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 471

V. Virtus abit, honor fugit, regnant hiis contraria; Venit dolus, redit scelus et frans multipharia : Amor brevis, fides levis est et momentaria, et verorum amicorum non sunt tria paria. 20

VI. Natus patrem, nata matrem machinata fallere:

Omnes fallunt, omnes malunt fraude quam nil agere. Omnes credunt, si non ledunt, ociosi vivere; Hec pro certo et experto mihi possunt credere. VII. Gloriosam domum unam dudum notam babui 25

Et magistram domus huius non pro iure colui: Si quid illi displicebat, miro modo dolui; Eins Votum mihi totum conplacere volui. ^ * ^ Vin. Invidere cepit quidam sue matris filius,

Machinator sub occulto sibi ipsi conscius 30

Rem paravit venenosus perturbare nequius; Cuius vita est iam scita, sed scietur plenius. IX. Si quis ortum scire velit, Bachus illum genuit; Mater Venus hunc in curiis annis VIII tenuit; Sciens mala prefutura, ei?^s ortum tacuit, 35

Sed nunc satis per immensum facinus innotuit. * * * X. Tutus loquor nee timesco, quod me vincat ratio: Si quid novit, quo me ledat, proferat in medio, Et ad causam iudicandam testis adsit conscio; Si quis nostrum reus erit, dignus sit supplicio. 40

XI. Si decretum sit conpletum, quid certemus viribus? Vel concessum sit, quod armis dimicemus paribus. Victor ero, sicut spero, divis adiuvantibus Et si cedo, me concedo duris mori legibus. XII. Si loquamur et agamus arte dialectica 45

Et interdum disseramus, quid agat gramatica, Et queratur, quid dicatur color in rethorica, Respondebis: „bibo", „bibis" et de arte bachica. ^ * * XIII. Huc inclines et auscultes, cara mihi domina!

Condescendas et attendas, que sint hec certamina. 50 Tandem per te leniorem, sicut scis, contamina. Hunc elide, iustum vide, causam nostram terminal

18 venit doctus dolus, aber doctus gestrichen. 19 est fehlt. 21 machinatur? Wilh. Meyer 22 fraudem? Wilh. Meyer 32 vitä 35 prefutura ist wohl pleo- nastische Neubildung 35 eis 38 Si quis? Wilh. Meyer. 42 fit 45 dyaletica 52 eUd-

472 J- J3,k. Werner,

XIY. Servum tuum ne repellas nee contempnas amodo, Qui de tuo tamquam suo gratuletur conmodo. Tibi vivo, tibi plaudo, semper nitor, quomodo 55

Landes canam et depromam carmine multimodo. XV. Silet musa, cessat dextra, dicit carta: gaudeas!

Quidquid agas, quidquid dicas, velle bonum habeas! Dia vivas ! leta fias ! quidquid vis, obtineas ! Et conpleto fine leto sine fine valeas! 60

53 nee repellas contempnas, aber repellas getilgt. 54 te zu de corr. gratulatur? Wilh. Meyer.

Es scheinen entweder Bruchstücke aus einem größeren Ganzen oder An- fänge zu einem solchen zu sein. Die rythmische Form ist nicht sehr sorgfältig gehandhabt, da in der oft durch Reim markierten Neben-Caesur nach der vierten Silbe einige Hiate vorkommen.

XXVIII. fol. 72^1*2

I. Volo virum vivere viriliter; diligam, si diligor equaliter: sie amandum eenseo, non aliter, hae in parte forcior quam lupiter.

Nescio procari 5

eonmercio vulgari, amaturns forsitan volo prius amari. IL Muliebris animi superbiam gravi supercilio despiciam,

nee maiorem terminum subiciam 10

neque bubus aratrum prefieiam. Displieet hie usus in miseros diffusus. ma?o ludens plaudere quam plangere delusus. m. Que cupit ut placea^, huic placeam; 15

ipsa prior faveat, ut faveam; non ludemus aliter Jianc aleam, ne se granum reputet, me paleam. Pari lege fori deserviam amori, 20

ne prostemar inpudens femineo pudori. IV. Liber ego liberum me iactito casto pene similis Ypolito ; nee me vineat mulier tam subito, ut seducat oculis ac digito * * * 25

2 si diligar Bu 4 Interpunktion nach Wilh. Meyer 5 precari 8 Mulieris Bu 14 ma ludens Hft plaudens ludere Bu 15 placeä zu placeat corr. 16 prius prior, das erste gestrichen prior ipsa Bu 17 aus Carm. bur. eingeschoben.

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 473

19 pani. 23 pene fehlt Bu, fore in Bu am Rand von anderer Hand 24 non me Bu 24 vineit, über das zweite i ist a geschr. In den Carmina hur. n. 139 S. 210 ist die 4. Strophe vollständig; es folgt sogar noch eine weitere, als Palinodie. lieber den Bau der ersten 4 Zeilen dieser Strophe 4x7u x-f-4*-' a handelt Wilh. Meyer, Ges. Abhandlgn. I. S. 306. Der 6. Vers hat gegenüber dem fünften (6-^u) eine Vorschlagsilbe; s. a. a. 0. I 251. Die 7. Zeile ist eine Verbindung von 7u [-7 ^ ohne Reim V. 11 Parallelen zu diesem Sprüch- wort verzeichnet Wilh. Meyer, Nachrichten 1906. S. 61 , dem ich auch für die Mitteilung der Lesarten aus Bu (= Cod. Lat. monac. 4660) verpflichtet bin V 21 inprudens; Wilh. Meyer weist hin auf das Wortspiel in inpudens pudori.

XXIX.

fol. 72^""

I.

n.

ni.

IV.

V.

VI.

dulci Progne modulo ferit vocis iaculo

fons a dextris murmurat et ver fontem -pur^ursit

relabor medullitus langTiet milii spiritus

dum Uli commisceor transcendisse videor

nescis, quia legitur: semper caris agitur

[leerj 0 zoi ca ziace

Dum flosculum tenera lactant veris ubera, dulcem mulcet aera, philomena sydera. Eram vacans ocio sub olive pallio; aquarum suspirio, flore multiphario. Dum Acres inspicerem, aurem cantu pascerem, in amorem veterem: et cor bibit venerem. Dum contemplor uterum et recordor uberum, et semel et iterum : gazas regum veterum. Si te miles equitat, amor me nobilitat; omnis amans militat, et in castris babitat. Ut autem non besitem, an diligas equitem,

[leer] sine tibi militem.

IG

15

20

24

3 pgne. 8 preparat d. h. re und ra durch Abkürzung 15 commisseor. 19 legitur fehlt, ohne Lücke. Das von Mone im Anzeiger f. Kunde der deutsch. Vorzeit VII (1838) Sp. 291 aus der Hft. v. St. Omer 351 (715) saec. XIII abge- druckte Gedicht gewinnt durch die Baslerhft nicht viel an Verständnis. Der Zu- sammenhang zwischen der 4. und 5 Strophe ist nicht bloß durch die eine in unserer Hft fehlende Strophe, die vor der 4. in der Hft St. Omer steht, unter- brochen: im ersten Teil schwelgt der Dichter in lachender Frühlingslandschaft in der Erinnerung an die frühere Liebe. Die Zeilen zu 7 ^ haben 8 Taktwechsel ; darunter 7 aquarum, 11 reläbor.

474 J- J*^- Werner,

XXX. fol. 72^081

I. Ordinarat ab eterno patris prescientia visitare de superno natos in miseria. II. Sed cum venit plenitudo temporis sab gratia, inclinatur altitudo, ut exaltet vilia. m. Intrat aulam virginalem dei sapientia; 5

formam sumpsit corporalem, non relinquens propria. IV. Parit ergo stella solem, quo relucent omnia; admirandam cunctis prolem viri profert nescia. V. Nata gignit genitorem estque nati filia;

virgo parit: contra morem tanta est potentia. 10

VI. Celebremus voto pari Christi na^alicia, ut cum ipso gloriari possimus in gloria. 1 rdinarat, Initiale 0 fehlt. 3 con durch Compendium , verbessert von Wilh. Meyer, der auf Galat. 4,4: cum venit plenitudo temporis, misit dcus filium suum verweist. 11 nalicia. Weihnachtslied in trochäischen Tetrametern, die insgesamt auf -ia reimen ; die 8 u reimen paarweise unter sich und haben Nebencaesur nach 4 u, doch ist sie reimlos. In den 7 ^ findet sich 1 Hiat (V. 10) und ein Taktwechsel (V. 12); einmal -m vor Vokal im Innern des Verses (V. 12).

XXXL fol. 72'"^«

A. Ia. Lege dura mortis dire

dolens deus interire genus Ade miserum,

Ib. Dei splendor, verbum patris

illibate semper matris fecundavit uterum :

II. Christi natalicia 5

vocawt nos ad gaudia: gaudeamus!

B. '

Celicus, unicus, beUicas gigas arce patris mittitur; clauditur, nascitur Christws alvo matris: Nato dato filio plaude gaude concio! 10

C. Primus homo corruit, quia nos perdiderat; sed secundus diluit, primus quod comwdserat; eins culpam diluit, dolens quod perierat, et nos vite reddidit, primus quo5 abstulerat. D. Ia. Secretorum conscius 16

mittitur inferius angelus ad virginem

1 ege ohne Initiale L. 6 vocat 8 ;upo. 9 a nato. 12 comiserat. 14 quod Hft, quos Wilh. Meyer 15 Secretorum conscius ist auch der Eingang einer andern cantio nach Chevalier, Rep. h. 33424 (Mitteilung von Wilh. Meyer).

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 475

Ib. Regis ferens nuncium;

denegantera vitium sie aifatur humilem: II. Virgo, vale! gentium

paritura gaudium, 20

dei patris filium,

deum et non alium.

E. I. Rimetur mens hominis

de scripturis intimis, quod completur hodie; n. Dum nostra miseria 25

miranda maneria relevatur hodie;

III. Adam pane vescitur

et sudor detergitur sui vultus hodie;

IV. Eva parit puerum

neque dolet uterum, sed exultat hodie; 30

V. Serpens magis callidus

eunetis animantibus suifocatur hodie; VI. Gladius versatilis

toUitur a ianuis paradysi hodie;

VII. Noe pro diluvio 35

clauso foris ostio archam intrat hodie.

E. I. Res iocosa, quod hec rosa sine succo floruit; novum mirum: virgo viram sine viro genuit. Hec est luna, de qua deus verus sol emicuit; hec est una, per quam reus suscitari meruit. 40

II. Hec est mater, per quam pater deus suis profuit; hac de matre deo patre deus nasci voluit; hac medela de tutela nostra sors non timuit; in ruina medicina nobis hec consuluit.

a.

Mirum posse deitatis : 45

mire deus potestatis

vas non fregit castitatis;

per descensum maiestatis opposito conmercio fit gratie: se filie cubiculo piaculo mundi deus humanavit. 50

H. Misterium mirabile, 19 vale wegen des Hiatus für das sonst in der Anrede an Maria gebrauchte ave ! 33, 34 Vgl. Gen. 3,24 : coUocavit ante paradisum ... et flammeum gladium atque versatilem 36 hostio 49 oppositorum Hft; opposito Wilh. Meyer; die Verse sind unverständlich.

476

J. Jak, Werner

n.

III

IV.

miracalum peratile divina mens disposuit: Constabilis, inlabilis,

eternus, inmutabili^ lumen in testa latuit. I. Mundus reformatur, 55

exul revocatur, hostis inpugnatur, fides roboratur. K. Eia! gaude Syon filia!

fidelium ecclesia 60

natum veneretur!

nature vis miretur, quo federe

fit in puerpere triclinio

nova dispensatio nuptiarum.

L.

Vident terre termini nocte terminata salutare domini:

Ros de celis cecidit; terra fecundata fructum suum edidit.

M. Tribus uni rerum principio gratuletur fidelis unio, resignata felici patrie non meritis, sed dono gratie.

N. Florem parit virga Jesse: deus homo fit ens esse; fit eternus temporalis et inmensus fit localis.

65

70

75

0.

Delictis hominis in aula virginis Non fit introitus non facit coitus

80

submtrat virgmem; assumit hominem per viri coitum; talem introitum, Hie mortis poculum gustat pro populo a morte populam solvi^ hoc poculo 0! Christus moriens nobis compatitur, nos solvit paciens, nuncius moritur, mors morte noxia V. Parit hec filium patris consilio;

patris cowsilium erat cum filio sine distancia.

54 inmutabili 62 natuare. 77 Elictis 79 per virum. 82 solum 84 nunc eius m, mors m. n. ? Wilh. Meyer 86 com filium.

regis potentia.

sed virtus regia.

pietas nimia.

85

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 477

VI. Hec orbis oculum parit miraculo;

uere miraculum : hoc enim oculo relucent omnia.

P.

I. Virgo parit filium

in natura geminum, 90

in persona unicum; nee conceptus virginem nee assumens hominem ledit, sed originem mutat humanitatis. II. Landes demus melicas :

hostis per exuvias 95

est ditata civitas; canle ovis redditi^r, dragma restituitur, sancius reficitnr, non merito sed gratis.

Q.

la. Vergente mundi vespere

sol nascitur de sidere, dum virgo fecundatur. 100

Ib. Ros cernitur in vellere,

fruetus in virge germine, dum verbum humanatur, IIa. Par pa^ri sapientia

ex informi materia pene primordialis IIb. Potenter formans omnia, 105

confederans contraria nature coequalis.

* 94 mellicas. 96 reddita zu redditur corr. 99 Anfang einer Sequenz bei Kehrein, Lat. Sequenzen Nr. 252 103 pari, corr. Wilh. Meyer 106 contraria. Eine Reihe von längeren und kürzeren Weihnachtssprüchen in wechselnden Rythmen; einzelne nähern sich der Form kurzer Sequenzen in der Stabat mater Strophe. Aus je 5 jambischen Sechssilbnern (u ) bestehen die Strophen in V. 77—88, die alle durch den Reim -ia der Schlußzeile gebunden sind. Wilh. Meyer macht aufmerksam auf die dort vorkommende Spielerei, daß kreuzweise in den Reimsilben die gleichen Worte, aber in anderm Casus, gesetzt sind.

XXXII. fol. 73-- "*i

Spes promissa lupo de gutturis osse remoto : Hanc sibi subtraxit et ei se nil dare dixit. Sit non illa mea, quia res incepta peracta. Est finis libro; nam si quid dat mihi presto Frater Cünradus, non fiat in hoc mihi surdus: 5

Spes promissa mea ne sit sua conscia lesa. Si vacuus fuero per fratrem, non ego spero.

4 iam? Wilh. Meyer. Vielleicht Begleitschrift zu einer Handschrift, die be- stellt war: Der Schreiber bittet um die versprochene Belohnung. Ob unter dem Frater Cuonradus der Camerarius (1269 1285) und Decanus Konrad Golin zu verstehen ist, bleibt unsicher. Im Gegensatz zu andern Stücken haben diese Verse mit Ausnahme von V. 7 einsilbigen Reim.

478 J- ^^^' Werner,

XXXin. fol. 73^^»

I. BoreaK sevicia dulcis concentus avium

Sopitur in tristicia, decor et florum suavium Aret brumali glacie; liiis solare tristiciis Me, virgo vernans facie! n. 0 noxialis socius, Amor! numquid remedium 5

Habes, ut tollas ocius mei laboris tedium? Corda languescunt saacia: precor, assit concordia! dolenti fer solacia! III. Rubentis oris osculis, cuius transfigor iaculo,

locnndor plus quam flosculis sub amoris signaculo. 10 In mei cordis domina, cuius cano preconia, Salutis florent omnia. 1 Borealis. 3 tristiciis hält Wilh. Meyer für sehr bedenklich 10 flos- culus, das letzte u zu i corr.

Die gleiche Strophe (7 jambische Achtsilbner mit der gleichen Reimbildung) zeigt das Liebeslied Carm. bur. No. 165 S. 228. In den 12 vorderen Kurzzeilen kommt 4 mal Taktwechsel vor ; die 9 hintern haben ohne Ausnahme Taktwechsel ; beide ohne damit daktylischen Wortschluß zu verbinden. Die gleiche Zeilenzahl, aber nur zwei Reime haben die Strophen des politischen Liedes Rex et sacerdos prefuit in Anal, hymnica 21 No. 243 S. 173.

XXXIV. fol. 73^1»*

0 Magdalena! margaritis bona Christi, Que Septem plena viciis peccando fuisti; Graudia quinque tibi debent premaxime scribi, Que, dum vixisti, pro Christo promeruisti. Christus mundavit te rore sue pietatis, 6

Spiritus afflavit, qui donat premia gratis. Lazarus in fremitu tibi germanus redivivus Prodiit ex gemitu penarum iam modo divus. Prima resurgentem salvatorem meruisti Cernere, nolentem se tangi, cum voluisti. 10

Cum super etAra lesus mieuit, loca sola petisti, Potus ac esus multis annis renuisti. Crederis angelicis ibi cetibus usa fuisse, Laudibus i/mnidicis simul ipsis intonuisse; Tandem munita celesti pane migrasti 16

Et margarita celestis ad astra volasti, In quibus es iuneta genitori cunctipotenti Secula per cuncta semper sine fine manenti. 1 0 vorgeschrieben, doch B rubriziert. 0 Maria Magdalena Hft, von Wilh.

Meyer corr. 6 q = que 10 Ev. loh. 20, 17: Dicit ei lesus: Noli me tan-

gere 11 etra. 14 puidicis Hft, ymnidicis Wilh. Meyer.

Unter den verschiedenen Hexametern, aus denen diese Lobrede auf Maria

Magdalena besteht, finden sich 2 leoninische (V. 3, 4) und IC coUaterales , über

Poetische Yersuclie und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 479

•welche vgl. Wilh. Meyer Ges. Abhdlgn z. mittellat. Rythmik I. S. 83. Aus der nicht häufigen, also nicht leichten Form erklären sich die langen Wörter am Schluß der Verse (drei fünfsilbige und 5 viersilbige).

XXXV.

fol. 73^132

Maria Magdalena! der gottes minne plena! Ich bitte dich, vrowe here! durch dirre vröden ere, der ich dih nu ermanet han, dastu den bresten sehest an, den ich an miner sele trase,

swa ich mih alle mine tage

han wider got verschuldet;

das ich gegen im gehuldet 10

von diner bette werde,

siit do er dir uf erde

so gross gnade hat gegeben

vnd dort mit im das ewig leben. 14

Dieses Gebet ist das einzige deutsche Stück der Hft.

XXXVI.

fol. 73'

I. Ave! maris Stella! divinitatis cella!

genitrix II. Hodie salvator et angelorum sator

nascitur

III. Umbra vetustatis, enigma, cecitatis

Israel

IV. Eigor perit legis,

cum pro peccato gregis

populus V. Virgo singularis! Maria, Stella maris

virgo castitatis, radix sanctitatis, eterne claritatis!

mitis et devotus in ludea notus et languet ut egrotus.

transiit in lucem, profert virga nucem, dat ex Egypto ducem.

pastor immolatur, hostia mactatur, in tenebris salvatur.

10

15

salu5 in procella! regalis puella dominum pro nobis interpella! 20

10 enigma aus Dreves, norma Hft 11 virgo 18 salus aus Dreves, salva Hft. 20 pro nobis dum, doch corr. Von Dreves Anal, hymnica 20 No. 187 S. 143 aus einer jüngeren Hft mit Refrain abgedruckt. Chevalier Repert. hymnol. No. 1891 zitiert noch einen Druck bei Klemming, Hymni, sequentiae ... II. S. 13 15. Daß die drei leoninischen Hexameter

Plasmator rerum, fons lucis, origo dierum,

pro nostris natus peccatis, passus, humatus,

surgens scandisti celum, qui pneuma dedisti. in der Basler Hft mit Unrecht hier angehängt sind, ist offenbar ; woher sie stammen, ist mir unbekannt.

480 '^' '^^^' Werner,

XXXVIL fol. 73^° »5

I. Quod in ligno Moysi aqua dulcoratur, vel ligno oeneus serpens elevatur, quod in vase vitreo passus inmolatur, quod in solitudine hircus destinatur. II. Quod Elie vidua duo ligna legit, 5

quod Sampson Gasensulis portas nocte egit, quod idem mandibula mille viros fregit, quod laternis Madyan Gedeon subegit. III. Quod leptlie in filia vicit preliantes,

quod Raab in coccino salvat explorantes, 10

quod signantur per thau literam gementes, quod relicta lab^a lob sunt circa dentes. 2 eneus 3 viteoli 10 Jos. II 6: operuitque eos stipula lini 11 Sig- natur 12 labya zu labia corr. Es ist durchaus unklar, zu welchem Zwecke diese in der sog. Vagantenstrophe aufgezählten biblischen Beispiele zusammen- gestellt wurden.

[XXXVin.] fol. 73^n28

Dicit Josephus: virtutem et magnitudinem corporum Germa- norum sepe vidistis, Spiritus autem maiores corporibus gereutes et animam quidem contemptibilem (Hft: cond.) mortis, indignationes (Hft: indignatio nos) autem vehementiores feris, limitem Renum habent. ... die in XVII 21 f. berührte Stelle in Josephi bell. jud. IL 16,4.

XXXIX. fol. 73^1188

0 Maria! mater pia morte sua; prece tua

salvatoris! summi roris hunc implora, quod in hora

madens vellus, fons novellus mortis dire parcat ire, 10

et conclusus, quo est fusus ne dampnemur, ut meremur, deus homo, qui de domo 5 sed adiuti simus tuti servitutis vi virtutis per te, pia o Maria!

nos redemit, cum nos emit

1 0 mater pia Maria 2 summis 9 § Hunc Oratio in achtsilbigen Zeilen mit Binnenreim; diese Caesur hindert Taktwechsel; Wilh. Meyer weist darauf hin, daß in ungewöhnlicher Weise fast alle Zeilenenden dem Sinne nach eng mit dem Anfang der nächsten Zeile verbunden sind, d. h. die Caesur die Sinnes- pausen bezeichnet. Hiat hat V. 4.

XL. fol. 73^ "48

I. Estatis indicium et veris inicium nunciant delicium

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 481

migret estivale.

per tempus vernale.

septentrionale.

per rosas suaves.

frugibus propicium, cum sol ad solsticium Caumatis flagicium, gelu precipicium et nivis supplicium pruineque vicium sustinent exicium Flavit auster lenius et fugavit plenius frigus irrefrenius II. Bemissis frigoribus estivis temporibus rident prata floribus irrigata roribus, odora odoribus Cantuum clamoribus clangunt sub tenoribus campi cum nemoribus, gaudent in arboribus murmurum dulcoribus Agri virent semine; meror sit in nomine ! incitantur femine, ne sint viris graves. III. ßedit cum familia ver linquens exüia, Tempe sit sub tilia: viole et lilia plus quam mille milia Celi volatilia, terre gressibilia, maris aquatüia et vegetabilia sentiunt auxilia In cuius presentia quanta sit potentia, terre nunc nascentia

10

15

20

festivantes aves.

25

30

sumunt incrementum.

35

solis et fomentum.

5 migrat? Wilh. Meyer 6-

prebent argumentum. 39

9 vgl. die Stelle aus der nach dem 148 Psalm

gedichteten Sequenz Cantemus cuncti (Kehrein, Nr. 44) : cauma, gelu, nix, pruinae . . 28 relinquens 34 stellt Wilh. Meyer vor 33 38 psentia vor potentia, doch gestrichen. Bemerkenswert ist V. 3 der Singular delicium ; auch V. 7 gelu als <Jenitiv. Die drei Teile der Strophen sind je durch den Reim der Schlußzeile gebunden. Die siebensilbigen Zeilen 7 u ) sind in den ersten vier Silben frei, nur die drei Reimsilben werden gleich akzentuiert. Es ist die Vagantenzeile,

Kgl. Oes. d. WiBS. Nachrichten. Fhilolog.-histor. Klasse 1908. Heft 5. 34

482 J- *^*^- Werner,

deren vorderer Teil 2x5 und 3 mal wiederholt wird. 2 Taktwechael in 6 u V. 10 und 18.

XLl. fol. 74'-i26

Adventate citi! cytoas tangendo periti Decantate melos! pia pulsent Organa celos In landem geniti patris de virgine miti, In qua natura cecidisse stupet sua iura, Integra dum prolem gignit, vitrum quasi solem. 5

Partus inauditus ! nee eget ratione peritus, Quomodo vel quare sie virgo queat generare. Fabro nature fidi hec generatio eure; Quam dat et enumerat, sibi ius speciale reservat. Yirgo parens patris, lactis libamine matris 10

Obsequium gessit, matrum sed cetera nescit. Mater et absque pare natum devota precare, Ut lumen veri miseris timet misereri Et pia stirps Jesse devotis semper adesse. 14

1 cyceras 4 quo 8 finit 9 für enumerat wünscht Wilh. Meyer ein Yerbum wie observat V. 12 ist der Ablativ pare durch den Reim geschützt. 13 an Stelle des unverständlichen timet wünscht Wilh. Meyer ein Wort im Sinne von faveat. Der lebhafte Anfang dieses Weihnachtsgedichtes wird durch die Lahmheit der nachfolgenden Verse fast bis zur Un Verständlichkeit abgeschwächt.

XLII. fol. 74'-i*»

§ Aulica turba vacat, epulis genialia placat; Gaudet et edilis, sibi se conformat erilis; Pastor alendo gregem superam vult pandere legem: Exempli rore, doctrine pascit odore

Dans geniale bonum manus hec triplex pia donum. 5

Presul ave mitis! stillans donaria vitis. Late diffusa, nullo livore retusa, Assidue crescit, eclipsim laus tua «iescit; Tendit ad alta nimis, cultrix fore spernit in imis, Ignoraws levum: sie vivida durat in evum. 10

5 bonum : manus hec tr. pia donüm. das (d. h. exemplum, doctrina, largitio) ist die fromme, dreifache Schaar der (christlichen und priesterlichen) Gaben. Wilh. Meyer. 8 cressit .... uescit 10 Ignoras

Es scheint ein Gratulations- und Dankgedicht der Hofbeamten eines geist- lichen Herrn (Bischofs) zu sein.

XLm. fol 74'"»

Aspice devote, crucifixi sanguine lote, Effigiem Christi! quam cernere vix meruisti, Et reminiscaris, ut semper eam verearis Sicut Veronica, summi rectoris amica, Ut te conservet, ne tu venias, ubi fervet 6-

Ignis sulfureus, quem possidet ordo letheuB,

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 483

1 Asspice 4 ammica 6 lechirus, us abgekürzt. Ist wohl als Inschrift zu einer Passionsdarstellung gedacht.

XLIV. fol. 74^ n 8

Profero, nee scitis, quis sit, quem denoto, Mitis: Re tarnen abstante dubia retro lucet et Ante. Est minus elatus, tamen inclytus, omme (jratus, Prospera fortuna quia secum permanet üna. Omnia supremo concludo carmine: Nemo 5

Se valet equali similare statu bene Tali.

In probitate quidem constans non deficit Idem; Turpia devovit, quia turpis non fore Novit.

Ut probo, se munde conservat in omnibus : ünde Sit, rogo, longevus dominus, non est quia Sevus ! 10

3 omne 9 mundo zu munde corr. Das in V. 2 angedeutete Akrostich und Telestich Prepositus Maguntinus geht auf den Dompropst von Mainz und zwar wohl auf Peter Reich von Reichenstein, der diese "Würde 1275 1286 be- kleidete. Wenn die Worte Est minus elatus (V. 3) auf seine Bemühungen um den bischöflichen Stuhl in Basel sich beziehen, so fällt die Abfassung dieser Verse in die Jahre 1274 75, nachdem er 1274 zum Bischof von Basel gewählt aber nicht bestätigt worden war. Vgl. J. J. Merian, Geschichte der Bischöfe von Basel (1862) IL S. 46.

XLV. fol. 74'-°»»

Non ego formicas imitor, que tempore spicas Estivo servant victumque sibi coacervant, Vt valeant yeme bene vivere: non ita de me Permanet; immo secus, quia consumpsi quasi cecus Res estate meas festas ducendo choreas. 5

Sic, cum frigus erit, mihi nam suftstancia deerit; Pauper et absque cibo nates operire nequibo: Frigoribus densis incedam more Gralensis, Yel sicui Scotus nudus genitalia totus. Hac tanta clade socius sum parque cicade, 10

Que tempus mestum non prevenit, immo per es tum Cantat secura, non curaus dampna futura; Quando redit bruma, latet infelix sine pluma In gelido lecto mendicans paupere tecto. Cunctis personis ego vilior et rationis 15

Expers sie egi: Catonis dogmata fregi Hoc versu spreto : que sunt aversa caveto! Irrationalis scurre sum iure sodalis, Qui bibit et iurat: pereat, qui crastina curat! 19

5 ducende 6 mihi cum s. deerit, schlägt Wilh. Meyer vor. sustancia Vers 8 und 9 verstehe ich nicht ; 9 für das hftliche sum* vermutete Wilh. Meyer sicut.

34*

484 ^- *^*^- Werner,

Vgl. Carmina bur. S. 234: No. 174,12: Schuch! clamat nudus in frigore; Ysen- grimus I. 890: Clunibus impendet Scotia tota meis ; Hugo Primas X 50 (Wilh. Meyer in Nachrichten der Ges. der Wiss. zu Göttingen. 1907 S. 140): Telemaco, qui vix tegit inguina sacco. 17 supto Vgl. Cato, disticha I 18: Cum fueris felix, quae sunt adversa, caveto. Wllh. Meyer verbindet die in der Hft durch § als selb- ständig bezeichneten Verse 18 f. mit den vorhergehenden. 18 scurte. Schlußsatz auch Carm. bur. p. 240. Durch diese Beichte, die auf die bekannte Fabel von der Ameise und der Cicade anspielt, sucht der Dichter seinem Gönner eine Gabe abzulocken. V. 3, 10, 12 und 13 haben sog. Caesurverlängerung oder syllaba anceps.

XLVI. fol. 74''°3ö

§ Porto dei donisl tantum superest rationis, Ut gravis esse volo, sensu fruar hoc ego solo: Frigoris ob gwerram calidam volo pascere terram; Si mendico fame, quod frigus sit procnl a me! 1 ob in Farce zu ändern? Porro (= procul a) d. donis t. s. rationis, W.Meyer 2 guis, für ut guis wünscht Wilh. Meyer ein Wort auf . . gius , das hungrig oder warm bedeutet. 3 gram.

XL VII. fol. 74'°*2

§ Ergo pater mitis, virtutum strennua vitis, Nobilis Henrice, benedic mihi, dulcis amice! Tu vas virtutum; tua me benedictio tutum iteddet, quod vere poterit mihi nemo nocere; Ut vivas sospes, ne me premat hostis et hospes; 5

Quo vis me mural mea mens tibi supplicat uni. Nil aliis quero, de te solo bona spero: Non est corde dolus, qwfo tu dominus mihi solus. 6 num'i 7 sola 8 q, = quam Hft; quia Wilh. Meyer. V. 7 und 8, die durch § als besonderes Stück bezeichnet sind, hat Wilh. Meyer an das vorher- gehende Stück angeschoben. Möglicher Weise gehören XLVI und XLVII mit XLV zusammen. Diese Bitte scheint an einen hohen Geistliehen, vielleicht den Bischof Heinrich (1275—1286) gerichtet gewesen zu sein; allerdings war dieser seiner Herkunft nach kein nobilis, sondern der Sohn eines Handwerkers in Isny.

XL VIII. fol. 74^ ^2

inticipata nimis nova lex, etatis ab imis Transiit ac^utum medium quasi bona solutum: Quando facit saltum, cum vix puer esset, in altum Transvolat annorum, non tempore sed vice morum. Strennuus Eaeides, animosus in omne Pelides 6

Grandeat ausore simili sibi vel potiore; Belliferis rixis prudencia cedat Ulixis. Flet magnus Macedo, si forcia Cesaris edo; Ille potens princeps potuit maiora deinceps. Sic, que quisque sibi gaudet per singula scribi, 10

Omnia solus habet nee adhuc caligine tabet

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 485

Indolis expleta; quam tu vix ipse poeta, Spiritus ut detur, solum tunc quando veretur Clarus in orbe comes, per debita carmina promes. Forsan Homere, Staci, Naso, luvenalis, Horaci, 15

Quisque laborares, dum metra tibi fabricares Consona materie de pectore philosopbie Cuncta ministranti. Nee me tarnen estimo tanti, Unde mihi nomen tantum, que stella, quod omen Hoc dabit astrorum, qui vix sum fex aliorum? 20

Sint centum mille, non suffieit iste nee ille. Ergo duci nostro rudis et sine sceinatis ostro Si male presumo ceco ceu volvere fumo Thema superpingue gracilis sub ruwine lingue Balbuciendo viro * ^ veniale requiro. 25

Da veniam, tutor viduarum, sole statutor Sanetarum legum; dignare, püssime regum, Parcere scribenti fateor, nimis alta petenti Nobilium gesta; tum hac solummodo presta: Vela fer et remum, ne mergar, ut inde Boemum 30

Conflictum tangam, modico quoque carmine pangam. 2 accutum bona unrichtig. Anticipans animis nova rex etatis .... quasi bonaso lutum, quando f. saltum. versucht Wilh. Meyer und verweist auf Plin. nat. bist. YIII. 40 4 uite 8 Cesaris, auf Rasur stehen C und a 11 salus 13 Wilh. Meyer vermutet videtur oder feretur. 14 crimina 15 stari 16 Qui- que? Wilh. Meyer 21 id; corr. Wilh. Meyer 22 stomitis zu stematis corr. ; scematis Wilh. Meyer seu ; corr. Wilh. Meyer 24 runie 25 Lücke im Text angegeben. 29 hoc? Wilh. Meyer 30 feret ; fer et Wilh. Meyer 31 crimine. Die nur teilweise verständlichen Verse scheinen die Einleitung zu einem Versuche zu sein, den Kampf des Königs Rudolf mit dem Böhmenkönig dichterisch darzustellen. In das gleiche Gebiet gehören auch die folgenden Verse, die ein Lob Rudolfs durch den Hinweis auf eine Prophetie enthalten, worin er als pro- videntieller Nachfolger Friedrichs IL bezeichnet ist.

XLIX. fol. 74^"*

Metriiicis nodis vel plaudere carminis odis Nescio Ridolfo, musico neque ducere sol fo Audeo sceptrigerum, tot per momenta dierum Optatum mundo, nee enim perfectus habundo, Delfire, musarum tam larga messe tuarum. 5

Quam nequit audacis lux visere ^«/cticoracis, Phebe, tuos radios, tam mens mea tangere dios Gestus non audet: nichilo vicinia gaudet De titulis huius, audito nomine cuius Surgitur a sompnis, stupet orbis et intremit omnis 10

486 J- Jak. Werner,

Pontus, terra, polus, quia subingat omnia solus.

Hie est rex ille, quam psalmodia Sibille

Virtutis tante iam dudum precinit ante; ^ Hie est Augustus, pro cnius culmine iustus

Ille deus cell, sibi qui pietate fideli 15

Omnia procurat, vult, quod sine principe durat

Tempore non modico decus imperii. Friderico

Debita solvente, nee successore regente

Sceptrum regale, regnum vacat imperiale:

Sed vacat, ut melius de stirpe parentis alius 20

Provideat terre pereunti mole guerre

Et pacis pro re disponat liberiore

Cursu nature meritum tante geniture.

Si tempus detur, potior res omnis habetur. 2 dicere? Wih, Meyer 3 septrigerum 5 Delfite 6 uicti coracis. 7 duos 8 nichüominus, abgekürzt geschrieben 12 psalmodie.

L. fol. 74^°»

§ Non humanatur verbum, non enucleatur

Sol maris ex Stella, mox quando laborat Apella; Sed pro velle patris radix Davitica matris Germinat in calamum; sibi prepara^ inclita ramum, PuUulet unde rosa non absque mora speciosa. 5

Floruit interea seges a lolio pharisea Et bene productum profert ficulnea fructam Non sine dulcore gustantis et uberiore Delectamento visus, suavi quoque vento Naris et olf actus et adest armonia tactus. 10

Res miranda magis, quod in omnibus undique sagis Omnis sensus amat; ratio velut arbitra clamat, Esse reri (?) verum fallax concordia rerum. Sensibus acceptum ratio sibi causet ineptum, Ac e converso ; quo litis turbine merso 16

Degenerare quidem fructus maturior idem A sapido nescit, radim scemate creseit Flosculus a vite sub aromate stirpis avite. Roscidior quanto plus fronduerit, mage tanto Deficiunt grata mihi verba vel appropriata 20

Continuare virum; subit hoc mirabile mirum. Die durch § getrennten Verse 1—5 und 6 ff. vereinigte Wilh. Meyer 2 applla 4 prepara 5 spaciosa. 6 pharisea nimmt Wilh. Meyer = separata 14 causat? Wilh. Meyer 17 radi9 stemate; corr. Wilh. Meyer 19 freduerit; corr. Wilh. Meyer 20 f. appropriata. Continuare virum subit . .? Wilh. Meyer. Der Inhalt dieser Verse ist durchaus unklar; der Anfang scheint sich auf die Geburt Jesu zu beziehen, während in den letzten Versen auf persönliche Dinge angespielt wird.

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 487

LI. fol. 74^° 31

Cum pertractare cupitis nova vel recitare, iVunc audite nova, que sunt novitate iocosa: Sunt simul ecce pares doctrinis quinque scolares. His servit servus ignorans esse protervus. Hie, velud est moris, solitis deportat in horis 5

Libros, ut fatur quorum gravitate gravatur. It, redit et currit, facit et pos^ facta recurrit, Ut mos servorum semper solet esse proborum. Dum sie servivit, perpulcra puella cupivit nium; flamma furens mox eius corda perurens. 10

Hec, quid agat, nescit; fervens in amore calescit, Rem secretorum nulli denudat amorum. Est timor, ista pater eius vel conscia mater Percipiant; unde 5^milis (fuif) hec furibunde: Ardens igne perit; toto conamine querit 15

Ignes ardoram tacite relevare suorum. Tandem surrexit, illum de mane respexit Libris sudantem, quoque magno fasce gementem. Pallescit plorans, tristatur et ingemit orans, Ut conburatur onus boc, quo sie oneratur. 20

Hec, dum tam sevis torquetur sepe querelis, Uli dat nutum secreto lumine tutum. Hie venit, bec fatur, quia flagrans sie cruciatur, Dicens : „o Symon! quis tanto turbine demon Fallit te stultum, in cunctis maxime cultum, 25

Ut sie servires et tanto fasce perires; An nescivisti, mihi quod tantum placuisti, Que te ditare valeo {quoque} semper amare". Hie venit et crura levat iUi\ mox sine cura Libros deiecit et, quod voluit, cito feeit; 80

Et, dives factus dominantis amoris ob actus, Sprevit cunctorum consorcia mox famulorum: Ivit mox dexter biis, quis fuit ante sinister.

1 Nam 2 Hüc; hec? Wilh. Meyer ; hinc ? 7 Id p9 11 i amore 14 funilis hec; furit hatte ich beigefügt, was Wilh. Meyer änderte. 17 Tantü 18 Wilh. Meyer beanstandet den ungenauen Reim, wie auch in V. 21 und 24 20 honus honoratur 21 torqueretur 26 sevires 28 quoque habe ich zur Ergänzung ^es Verses nach V. 18 eingeschoben; W^ilh. Meyer schiebt volo ein. 29 ei, darüber illi. Es ist schade, daß diese Erzählung so farblos ist und weder Zeit noch Ort irgendwie angedeutet werden. Trotzdem halte ich das Stück nicht für eine bloße Schulübung über ein gegebenes Thema, sondern für einen versifi- -zierten Bericht über ein wirkliches Ereignis.

488 ^' *^*^- Werner,

LH. fol. 75'!»«

sunt versus . . . : Non concordamus ... 5 leoninisclie Verse mit Tiradenreim über die Pabstwahl, gedruckt N. Archiv der Ges. f. ä. deutsche Gesch. 33 S. 536.

LIK fol. 75^122

Item hec est epistula . . . : Orbis princeps . . . ein Brief Frie- drichs von Thüringen an König Enzio vom J. 1270 über den be- absichtigten Zug nach Italien; gedr. N. Archiv. 33. S. 556 538.

LIII. fol. 76^124

§ Non reor effosse terre fieri loea posse, Des nisi maturum, princeps, ibi surgere murom. "Woher dieses Orakel stammt, ist mir unbekannt.

LIV. fol. 75^1"

Ut tibi laus, princeps, vigeat, Yelut ante, deinceps

Retribuente deo semper in ore meo, Snpplicis ad vota, pie, sint tua viscera mota

Et non despicias, quin mihi subvenias. Nam mihi sunt bella snper ipsa mota capella, 5

Quam tua dapsili/as contulit et bonitas, Sancti Morandi de Rapolzwilre; iuvandi

Antidotum quero: si dabis, ultor ero Heu! vis illate mihi; sed, si deseror a te,

Nescio quid faciam; turbine deficiam. 10

Hac mihi fortuna causa spes est, quod et una

Non inimica fuit, me tibi qnod tribuit. Suscipe naufragio me tactum litore dyo, Ut grates tibi det, qui pia facta videt; Nee sine verba dare ventis nee litus arare, 16

Sed me soleris: sie mihi portus eris, Consüiumque ratum super ablatis mihi /atum,

0 pater et domine! supplico stare sine! Si ratione precum non stet tua gratia mecum,

Intrabit vocum lacrima multa locum. 20

Estimo plura fore, que sunt excussa pavore: Nam mihi cum subeunt, ore quidem pereunt. 1 uult an 6 dapsilidas 11 Ob in etwas anderes steckt als causa? 12 que? Wilh. Meyer 13 iactum? Wilh. Meyer, was er auch XII 19 vor- schlägt; dyo (= dio) gibt keinen Sinn; Dido? Wilh. Meyer. 15 Ovid. her. II 25: ventis et vela et verba dedisti 15 Ovid. trist. V. 4, 48: nee sinet ille tuos litus arare boves. 17 latum aus ratum corr. Eindringliche Wiederholung der schon No. IV ausgesprochenen Bitte um Wiedereinsetzung in den Genuß der Kaplaneipfründe in Roppenzweiler im Elsaß.

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 489

LV. fol. 75^"i

Non ego rege satus fueram patre rege beatus, Anglia me generum sibi iunxit in ag(/ere rerum. Annos ter senos numeraram, nee bene plenos: Solvitur iste Status; Eeni me sorbsit hiatus. Hartraann, König Rudolfs Sohn (geb. 1263, als Rudolf noch nicht König war) , durch Vermittlung des Bischofs Heinrich von Basel verlobt mit Johanna, der Tochter des englischen Königs Eduard I., ertrank im Alter von 18 Jahren auf einer Fahrt rheinabwärts in der Nähe von Breisach am 20. Dezember 1281 und wurde im Basler Münster neben seiner kurz vorher verstorbenen Mutter begraben; vgl. M. G. SS. XVII. 284 u. 302; Mart. Gerbert, Crypta nova San Blasiana. S. 115; Monuments de l'hist. de l'anc. evechä de Bäle p. J. Trouillat. II. S. 346. J. J. Merian, Geschichte der Bischöfe v. Basel (1862) II. S. 56 nennt ihm 22 jährig. Wilh. Meyer hat gesehen, das diese vier Verse ein Epi- taph für sich bilden und in der Hft zu Unrecht mit den folgenden verbunden sind. 2 agere 4 re nim.

LVI. fol. 75^ n 5

Est iter ad metas mortis sie volvitur etas, Proh dolor et rursus nnlli fit a&inde recursus. Mentis in offensa sollers reminiscere, pensa, Qno^ bona fortuna soli mandaverit una. Stirpe nitente satus, opibus, patre rege beatus, 5

Delicüs plenis annis adolevit amenis. Instar erat f/oris, stelle dos concolor oris. Anglia spe nuptus reg«i vovit sibi fructus; Arrisit vernum capiti dyadema paternum. Eloridus hiis cunctis, tarn re quam spe sibi iunctis, 10 Plus quam mortalis celsis fluitabat in altis; Mors set iniqua, bonis oblatis totque coronis Invida, declinat hec prospera, queque ruinat: Vorticibus Reni decor oris mersus ameni Sorte novercante redit in cinerem, cinis ante. 15

2 ad inde 4 Quod Der Dichter verbindet mit Vorliebe dem Reim fortuna : una, s. XLIV 4, LIV 11. 6 amoris zu amenis corr. 7 foris 8 regi

9 vernus = heimisch? 11 ob celsus? altis verstößt gegen den Reim; ob alis?

LVII. fol. 75^1121

Dum mea me mater gravido gestaret in alvo,

Quid pareret fertur consuluisse deos. Pbebus ait: mas est; Mars: femina; Iimo: neutrum.

Cumqne forem natus, hermapbroditus eram. Querenti letum dea sie ait : occidet armis ; 5

Mars: cruce; Phebus: aquis. sors rata queque fuit.

490 J- Jsik- Werner,

Inminet arbor aquis ; conscendo ; labitur ensis. Quem tuleram mecum: labor et ipse super.

Pes ramis hesit, caput insilit amne, tuliqne

Femina mas neutrum flumina tela crucem. 10

Zu dieser Fassung der Baslerhft füge ich die Varianten aus der Hft C 148 saec. XIII. fol. 23fn der Zürcher Stiftsbibliothek (auf der Kantonsbibl.) 1 geni- trix Z gravida Z 3 uinoque B (so!) Juno Z 4 Et cum sum genitus Z er- mofridicus B ermafraditus Z 6 scis B 7 Arbor obumbrat aquas Z 8 mecum] casu. Z 9 hesit ramis Z insidet Z 10 mas] vir Z Als Ver- fasser der in zahlreichen Hften, die Ilaureau, Les raelanges poet. d' Hildebert (1882) S. 146 verzeichnet, verbreiteten Verse hat L. Traube 0 Roma nobilis S. 21—23 = Abhdlgn. der philos.-philol. Kl. der K. bayer. Ak. XIX (1892) S. 317—319 den Matthaeus Vindocinensis erwiesen, nachdem Haur^au a. a. 0. 147 das auch in die Anthol. Lat. rec. Riese No. 786 (II S. 253) = Poetae Lat. minores rec. Baehrens. IV. S. 114 aufgenommene Gedicht dem Mittelalter, resp. Hildebert oder Matthaeus von Vendöme zugesprochen hatte. Vgl. auch Carlo Pascal, Poesia Lat. medievale (1907) S. 64.

LVllI. fol. 76'^^^

Falsus adulator non est reputandus amator:

Ergo de tali tibi precaveas animali. Omni cautelii tua secretalia cela. Rumor de veteri. (soviel).

LIX. iol. 75^118«

Aureus in lano numerus clavesque novantur . . . Einzelne Verse (1, 3, 6 U.S.W.) aus dem weitverbreiteten Computus ecclesi- asticus, der z.B. mit dem Commentar: Licet modo in fine tem- porum plures constet haberi Codices, qui de hac arte calculatoria . . . in der Hft C. 172 saec. XIV der Zürcher Stiftsbibliothek (auf der Kantonsbibl.) fol. 22"'- 37^ sich findet.

LX. fol. 76^18

Cum in principio cecidisset dyabolus, ira repletus contraxit uxorem Maliciam nomine, de qua habuit X filias primas. Prima vocata est Symonia, quam desponsavit clericis. Secunda Yypocrisis, quam claustralibus desponsavit. Tercia Rapina, quam militibus desponsavit. Quarta Usura, quam burgensibus desponsavit. Quinta Dolus, quam menatoribus desponsavit. Sexta Sacrilegium, quam agricolis desponsavit. Septima Fictum servicium, quam famulis; Oetava Superfluitas, quam dedit mulieribus.

Nonam et decimam ?2oluit dare propriis maritatis, quia eas plus ceteris diligebat, et dedit eas omni humano generi in uxores.

1 uxuorem 7 metricibus 10 Octavä. 11 voluit; corr. Wilh. Meyer; maritis? Wilh. Meyer.

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 491

Weitverbreitet wie die Legende von den vier Töchtern Gottes ist die Legende von den Töclitern des Teufels, deren Zahl aber verschieden angegeben wird. Vgl. Hanreau, Journal des savants 1884. S. 225 und Notices et Extr. IV. 135—137; Florü. G-otting. No. 1 in Eoman. Forsch. III. S. 283; Matheolus , Les lamentations par Van Hamel I (Bibl. de l'ec. des h. et. ; sc. philol. et hist. fasc. 95) V. 1674—79.

LXI. fol. 76^' I '8

Gaude mater luminis | . Sequenz von 4 Doppelstrophen mit dem Refrain: Maria; gedruckt bei Kehrein, Lat. Sequenzen No. 303 S. 227; Mone, Lat. Hymnen No. 584 (IL S. 398). Ab- weichungen von Kehreins Text: 1,2 numis 2,1 regina 3 Tu vir- tutum ... 4 Plena dei . . . ; also Eeihenfolge wie in Cod. Lat. Monac. 11004 und S. Gall. 546. 5,2 mater 8 Ut nos suo tua prece collocet in solio : Maria !

LXII. fol. 76'i2»

I. Salve virgo Davidis!

salve virgo nobilis!

cuius par t US admirabilis. IL Salve mundi spes et domina!

salve virtutum cellula! 5

salve paradysi ianua! HI. Salve /*orma pudicicie!

Salve norma iusticie !

salve mater misericordie ! IV. Tu, castitatis lilium, 10

profudisti filium

miseris in auxilium. V. Tu, filia lerusalem,

progenuisti in Bethlehem

gloriosam progeniem. 15

VI. Tu firmata in Syon

virga florens Aaron,

madidum vellus Gedeon! Vn. Tu satis expresse

stirps es illa lesse, 20

digna dei mater esse. VIII. Tu porta, que soll domino pa^uit.

/iortus, in quo deitas latuit:

Stella, que solem seclis attulit.

492 J- J^k- Werner,

IX. Tua sunt ubera vino redolencia, 25

candor lac et lilium,

odor üoreni vincit et balsamum. X. Te expectant delicie,

te laudant adolescentule,

te sponsus vocat in meridie. 30

XI. nie tuus unicus,

ille tnus dilectissimus

cipri ftotrus et mirre fasciculus. XII. Yeni, veni, filia,

intra nostra cubilia! 35

XIII. Surge, surge. propera! fugit hiemps, floret vinea.

XIV. Vox tua vox turturis, forma desiderabilis.

XV. Tu, mater dei et hominis, 40

confer opem miseris! consolare flebiles sublevando debiles! nostraque tibi preconia

sint laus et perhennis gloria! amen. 4

7 norma 20 est 22 paruit 23 ortus 27 florens Hft; corr. Wilh. Meyer 33 poteus 40 Tu] Non. An Ausdrücke des hohen Liedes anklingendes Marienlied in freien Rythmen.

LXIII. fol. 76'°'*

I. Honestatis et honoris fructu fecundissima !

IIa. Gloriosa virginalis forma pudicicie!

nnitas primordialis, reparatrix gratiel

celesti milicie nos quandoque collocari 5

fac semperque delectari vultus tui specie. IIb. 0 regina! celi digna presidere solio,

Clemens, mitis et benigna, tuo nos presidio

superno convivio dignos fore nos dignare 10

teque pio collaudare conregnantem filio.

3 unica pr. rep.? Wilh. Meyer. 7 0 fehlt 10 feri. Marienlied, bestehend aus einer einleitenden Zeile (8 u -f 7 <-> ) und zwei Strophen, deren Grundlagen auch die beiden Teile des trochäischen Tetrameters sind: die 8 u reimen je zu zwei Zeilen, die vier 1 <j weisen in jeder Strophe nur je einen Reim auf ; Taktwechsel zeigen am gleichen Orte beide Strophen (4, 9).

LXIV. fol. 76'°28_79Tni&

Heu! quam sunt stulti miseranda fraude sepulti . .

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 493

Schluß: Sic ego missus ei sum pietate dei.

Finito libro reddatur gloria Christo.

663, z. T. lückenhafte Verse aus der dem Hildebert von Lavardin beigelegten Vita Mahumetis. Migne P. L. 171, 1345—1356.

LXV. fol. 79^° ^5

Volveris et volvi non cessas; gaudia solvi Precipis in lacrimas 'FoTÜina u u; opimas Res veniens ftindis, sed . . . retundis, Tota mali plena, facie ridendo serena, Arma doli condens, dum fallax optima spondens 5

Pessima persolvis; ad luctum cuncta revolvis, Rebus ab antiquis fueris cum semper iniquis Exagitata maus et in omnibus exicialis. Exempli novitas per res monstratur avitas.

§ Troia iacet certe, steterat que florida, per te. 10

Troie flamma, cinis, fera depopulatio, finis Exstitit interitns, per vulnera multa petitus.

§ Inclita Cartago, quam flamme dira vorago Fortiter inpegit et eam sub fata coegit Per tunc florentis Romane prelia gentis: 16

Diruta Cartago fuit exemplaris imago, Quam fueris dura veniens cito, mox abitura.

§ Victrix terrarum, domitrix generalis earum, Roma diu leta thesauris, plebe repleta, Ne non agnosset, tua quid currens rota posset, 20

Tristis, inops facta ferro flammaque redacta Turpiter in cineres, miseri fati fuit heres. Sed quid per veterum trahor h.ec exempla dierum? Omnia turbasti loca, tempora cuncta notasti Fraude, nee horrescis, nee adhuc, fraudosa, quiescis. 25 Ecce recens pestis, nova, quod sis perfida, testis Exclamat certe, proh! iam demonstrat aperte Bris ach, castrorum decus et locus ille locorum, Castrum pre castris radians quasi lucifer astris; Cuius adhuc sedes per fumantes docet edes, 30

Quis Situs atque status fuerit suus, ante negatus Vrbibus et villis; tantus decor haut fuit illis, Huic urbi quantus; si vellem dicere, tantus Exstitit aut talis, non possem dicere qualis; Dicam, quod potero: minus ecce per omnia uero. 35

In 2 und 3 ist Raum für fehlende Worte offen gelassen ; for . , ist wohl zu Fortuna zu ergänzen, wie V. 20 zeigt. 7 iniquis, am Rande: i. e. indebitis. 25 adhuc fraudare quiescis? Wilh. Meyer.

494 '^- Ja-k. Werner,

§ Urbs antiquorum fait hec antiqua virorum,

Urbs harlungorum, domus hec insigois eonim, Magnatum tan tum, mag>2orum quippe gigantum, Nobilium terre, quos nee discordia guerre Terruit aut ensis ; qnorum quia fama / orensis 40

Est et vulgaris, nichil hinc, mea Musa, loquaris ! § Est notum notis, vicinis atqae remotis,

Quo/ bona vicinis Bris ach dedit et peregrinis: Tanto fervore studii multoque labore

Tot simul expendens bona, non sua com^woda pendens, 45 Sola sed adiutrix multorum promptaque tutrix, Dum, quod sint tuti, multorum cauta saluti Providit caute, redimens convicia naute Et ratis infestam stratam multisque molestam Reno spumante nauta remo titubante. 50

Sic in aque fortis cursu dispendia mortis Provida dampnavit: fr acta rate qui modo navit, Transeat in reliqwum nil hie passurus iniqwum. § Die, Fortuna levis! velox ad tristia quevis,

Quid meruit triste, mala que meruit locus iste, 65

Quem sie punisti, quem flamme seva dedisti? § Et tu, flamma! furens vastatrix, tanta perurens Menia, tot rebus inimica, boni speciebus Invida, structorum destructrix, summa laborum Perdicio, datrix fletus, simul extenuatrix 60

E/Crum tantarum, curtatrix diviciarum, Usibus humanis primo data, siene profanis Signis degeneras, ut tollere singula queras, Que per se nata fuerant, aut arte notata. § Urbs Brisacensis, cuius fuit omnibus ensis 65

Hostibus hostilis et in ipsos ipsa virilis, Fervens, intrepida, sed amicis optima, fida, Constans et lenis, dum laxis vixit habenis, Omnia cunctarum retinens bona deliciarum: Ecce! iacet floris heu nunc oblita prioris. 70

38 magorum. 40 sorensis 43 Q/ = Quod 45 comodo 53 reliqü nil . . . iniqü 61 Quorum, dann Quo gestrichen und darüber Re geschrieben. 64 no- vata? Wilh. Meyer.

üeber diese Feuersbrunst, die nach den Worten des Dichters (V. 80) sehr bedeutend gewesen sein muß, habe ich nichts finden können; so bleibt es sehr ungewiß, ob sie mit den Kriegen Rudolfs in Verbindung gebracht werden darf, besonders da keine Anspielung darauf gemacht ist. Für die damalige Bedeutung der Harlungenstadt spricht die Kühnheit des Dichters, der sich nicht scheut,

Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 495

dieses Brandunglück mit der Zerstörung der berühmtesten Städte Troja, Carthago und Rom zu vergleichen. Auch von der in V. 48 if. erwähnten Flußkorrektion ist nichts weiter bekannt.

LXVI. fol. SO'-"

Zwischen V. 35 und 36 des vorangehenden Stückes stehen computus -Verse nebst Erläuterungen für die Jahre 1269 1318 zur Angabe der Sonntagsbucbstaben und des Abstandes von Weih- nachten bis Sonntag Invocavit, d. h. (nach G-rotefend, Zeitrechnung I S. 99) bis zum ersten Fastensonntag oder sechsten Sonntag vor Ostern. Eine Fortsetzung dieser Versus circulares, aber ohne Angabe der betreffenden Jahre 1304 1372, findet man auf fol. M'" der aus verschiedenen Teilen saec. XI XIV bestehenden Hft C. 172 der Stiftsbibliothek in der Kantons- (Universitäts-) bibliothek in Zürich. Damit diese scheinbar tiefsinnig klingenden Verse nicht auch Andere in Verlegenheit bringen, möge die ganze Reihe folgen: Anno ÜPCC^LX^IX« Flos equitando

M^CC^LXXP Delevit Babilonigenas armeia gentes M<^CC^LXXV^ Fructificat dubius cito Betlehemitis alumpnis 1*280 Flebilitatis egestati dea consociatur 1284 ^^mbiguis Gad ferramentis extrue tunbam 1288 Belligeros animos generaliter ebrie datas (1284 lies:) 1294 Consiliando beatis Gob famularis egenis (1289 lies:) 1299 Diripiendo bibentibus arida glorificaris 1304 Forcia debet conmunicari belliger arma 1308 !''ebricitans eo dinumerare Cacuminus abba 1313 Gramaticis foliis en combinabo boantis 1318 Altisonantia Gallicus Ebul di(ssociavit).

LXVII. fol. 80'- II

§ Sponsa mihi cara! pro te crucis huius in ara Plector morte gravi: sunt testes lancea, clavi. Aufschrift für einen Crucifixus.

LXVIII. fol. 80''ii^2

Ve! qui predaris! restat, quod idem paciaris: Si predo fueris, preda faturis eris. u. s. w. 107 meist durch § als einzeilige und zweizeilige Sprüche ge- kennzeichnete Verse, die im nächsten Heft der Romanischen For- schungen zum Abdruck gelangen sollen, wofür sie seit mehr als einem Jahr gesetzt sind.

Alphabetische Reihenfolge.

NB. Mit * sind diejenigen Stücke bezeichnet, die mit annähernder Bestimmtheit

als Erzeugnisse des Basler Klerikers angesehen werden können.

Abluo, firmo, cibo XVIII. Adventate citi* XLI.

496 J- JaJ^- Werner, Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler etc.

Aestatis indicium XL.

Alma redemptoris mater I.

Anticipata nimis* XL VIII.

Aspice devote* XLIII.

Aula referta bonis* XI.

Aulica turba vacat* XLII.

Aureus in lano LIX.

Ave maris steUa XXXVI.

Ave virgo gloriosa XIX.

Barbara quaeque caret* V.

Boreali saevitia XXXIII.

Caelicus unicus* XXXI B,

Conqueror ecce deus* IV.

Corporeas metas* VII.

Cum pertraetare* LI.

Delictis hominis* XXXI 0.

Dudum felix, modo XXVII.

Dum flosculum tenera XXIX.

Dnm mea me mater LVII.

Ergo pater mitis* XL VII.

Est iter ad metas* LVI.

Excipe mente bona* VI.

Eia! gaude Syon filia XXXI K.

Falsus adulator* LVIII.

Elorem parit virga XXXI N.

Flos equitando LXVI.

Gaude mater luminis LXI. Gigas naturae geminae* IL

Gloriosa virginalis* LXIII.

Heu! quam sunt stulti LXIV.

Honestatis et honoris LXTIL

lungat, ut opto, bona* Vni. Lege dura mortis dirae* XXXI.

Maguntine! stilum* IX.

Maria Magdalena XXXV.

Membra regi capite* X.

Metrificis nodis* XLIX.

Mirum posse deitatis* XXXIG

Mollis seu dura* XXI.

Mundus reformatur XXXII.

Mysterium mirabile* XXXIH

Non concordamus LIL

Non ego formicas* XLV.

Non ego rege satus* LV.

Non humanatur verbum* L.

Non reor effossae* LIII.

0 Magdalena XXXIV.

0 Maria mater pia XXXIX. 0 mores perditos XXII.

0 quam dura XXVII.

Orbis princeps, quos LH*.

Ordinarat ab aeterno* XXX. Plasmator rerum, fons XXXVI n. Plus metra significant* XVI. Porto dei donis* XLVI.

Post hiemis rigorem XXV.

Primus homo corruit* XXXIC. Profero, nee scitis* XLIV.

Protoplasti reatus* III.

Qui tua metra facis* XIII.

Quod in ligno Moysi XXXVII. Quos sine fraude putat* XII. Res iocosa, quod hec rosa XXXIF. Reverendi iudices XXVI.

Rimetur mens hominis* XXXIE. Salve! flos cleri* XIV.

Salve! virgo Davidis* LXII. Secretorum conscius* XXXID. Senescentis et delirae* XX.

Spes promissa lupo XXXII.

Sponsa mihi cara* LXVII.

Taurum sol intraverat XXIV. Tribus uni rerum XXXIM

TJrbs! iocundare* XV.

Ut tibi laus, princeps* LIV. Vae! qui praedaris LXVIII. Vergente mundi vespere* XXXIQ. Vestrae personae* XVJl.

Vident terre termini XXXIL. Virgo parit filium* XXXIP. Volo vir um vivere XXVIIL

Volveris et volvi* LXV.

Aporien im vierten Evangelium IV

Von

E. Schwartz

Vorgelegt in der Sitzung vom 4. April. 1908

Dnrcli die in Cap. 7 stehen gebliebene Aufforderung, lesus solle naeb ludaea übersiedeln, und durch die Lazarusgeschichte sind wenigstens die großen Linien der Handlung für das ursprüngliche vierte Evangelium gegeben; trotz allem Schwanken im Einzelnen hat die Analyse ein Ziel auf das sie zusteuern kann. Für das Vorspiel der Tragoedie die mit der Eeise nach Jerusalem einsetzt, liegt die Sache übler: hier schreitet die Handlung noch nicht consequent fort, und es wollen sich die Motive nicht entdecken lassen, durch die die einzelnen Scenen verbunden werden, man kann nicht von einer Scene auf die andere schließen. Das macht jede, auch in noch so bescheidenen Grrenzen sich haltende Reconstruction der ältesten Form des Evangeliums unmöglich, und die Versuchung liegt nahe, ermüdet und mutlos das kritische Messer aus der Hand zu legen und diese Partien in der Verwirrung und Unordnung zu lassen, der sie durch die lieber arbeitung verfallen sind. Aber die Aufgabe wissenschaftlich zu interpretieren bleibt bestehen, auch wenn die Fragmente, welche eine solche Interpretation auslöst, sich nicht zusammensetzen lassen, und die These daß jede Aus- legung des vierten Evangeliums, die nur mit einem Verfasser rechnet, sich unüberwindliche Schwierigkeiten schafft, weil sie die vorhandenen Schwierigkeiten nicht sieht oder sehen will, diese These muß auch für die Strecken bewiesen werden, wo der Be- weis einstweilen sich über die Negation, über die Behauptung daß

Kgl. Ges. d. Wi88. Nachricbten. Fhilolog.-histor. Klasse. 1908. Heft 5. 85

498 ^- ScLwartz

das was da steht, von einem Verfasser nicht geschrieben sein kann, nicht hinauswagen darf. Denn in der neutestamentlichen Exegese, vor allem in der des vierten Evangeliums, sind das Be- wußtsein alles verstehen zu müssen und die Zuversicht alles ver- stehen zu können noch immer so stark, daß wieder und wieder am Object demonstriert werden muß, wie viel richtiger und nütz- licher für die Wissenschaft es oft ist auf die Erklärung zu ver- zichten als sie zu erzwingen.

Die Greschichte von der Speisung der Fünftausend [6] ist wohl dasjenige Stück des vierten Evangeliums, das am stärksten mit den Synoptikern übereinstimmt, auch im Wortlaut ; nur darin tritt eine Differenz hervor , daß lesus selbst die Brode verteilt [6, 11], während bei den Synoptikern durchweg [Mc. 6,41. 8, 6. Mt. 14,19. 15, 36. Lc. 9, 16] die Jünger die Verteilung besorgen. Ferner sammeln hier die Leute selbst [Mc. 6,43. 8,8. Mt. 14,20. 15,37; nur Luc. 9, 17 hat das unbestimmte Passiv] die Ueberbleibsel in Körbe, so daß das Wunder der Speisung sich einfach fortsetzt: sie werden nicht nur satt, sondern sie tragen noch etwas fort [^^av]. Im vierten Evangelium [6, 12] giebt lesus den Jüngern den Befehl die Reste der Brode zu sammeln, mit der ausdrück- lichen Motivierung Lva ftij ti aTtöXrjtca, als wenn es mit den Broden für die er das Dankgebet gesprochen hat, eine besondere Be- wandtnis hätte. Andererseits spiegelt sich in der Verteilung der Greschäfte eine Rangordnung wie dieser Geschäfte selbst, so auch der sie verrichtenden Subjecte ab. Das Bild der kirchlichen, vom Bischof und seinen Diakonen abgehaltenen Eucharistie taucht auf ; die Brode sind heilig und es darf nichts von ihnen umkommen^).

l) Tertullian. de cor. 3 eucharistiae sacramentum . . . omnibus mandatum a domino . . . nee de aliorum manibus quam praesidtntium sumimus. Dem wider- spricht Cyprian. de laps. 25 calicem diaconus offeire praesentibus coepit nur scheinbar : vgl. constit. apost. 8, 13 a. E. xal 6 fisv iTtiayiojtog ÖLdoToa tijv tcqoö- tpoQCiv Xeycav ... 6 ds ÖLayiovog ■natexstco tb TtotriQiov v.aX inididovg Xsyito). Vgl. auch die s. g. Kanones des Basilius 99. 100 [Riedel, die Kirchenrechts- quellen des Patriarchats Alexandrien 277. 278]. Dagegen verteilen bei lustin [apol. I 65 p. 97e] die Diakonen auch das Brod. Der Interpolator des vierten Evangeliums plaidirt also für den Brauch der dem Bischof die Verteilung des Brodes reservierte. Auf den für das vierte Evangelium charakteristischen Zug daß lesus den Jüngern befiehlt die v.Xd6iiata zu sammeln, fällt das richtige Licht durch die Bestimmung der apostolischen Constitutionen a. a. 0. orav ndvrsg (isra- XdßcDCL xal näaai [vgl. im Evangelium 6, 12 cb? Si ivsnXi]a^7iauv], Xccßovrsg ot Sid'Kovot. TtBQiaosvoavTa slacpsgiraauv stg tcc naOToq^ÖQia. Die Superstition die verbot daß etwas von dem Brode umkomme, wird nicht selten bezeugt: Ter- tullian. de cor. 3 calicis aut panis etiam nostri aliquid decuti in terram anxie

Aporien im vierten Evangelium IV 499

In den Eeden lesii vom Brod des Lebens sind die Anspielungen auf die Eucharistie seeundär [vgl. Nachr. 1907, 363J^); in der Ge- schichte von der Speisung der Fünftausend sitzt die Parallele mit der Eucharistie fest: also ist diese ihrem ganzen Umfange nach eingefügt, und der Verdacht den die starke Anlehnung an die Synoptiker erregen muß, nicht umsonst. Sie ist schlecht einge- führt; 6,3 ist Copie von Mt. 15,29, über 6,2 vgl. oben S. 121; am übelsten wirkt daß die wüste Gegend nicht erwähnt wird, in der sich die Menge angesammelt hat [Mc. 6, 31. 8, 4. Mt. 14, 13. 15. 15,33. Lc. 9,12], und damit die Motivierung des "Wunders weg- fällt: wenn es freilich ein Typus der Eucharistie sein sollte, ist es begreiflich daß dieser Zug nicht mehr wesentlich erschien. Man

patimiir. Origen. in Exod. hom. 13, 3 nostis qiii diuinis mysteriis Interesse con- suestis, quomodo cum suscipitis corpus domlni, cum omni cautela et ueneratione seruatis ne ex eo par<u>um quid decidat, ne co?isecrati muneris aliquid dildbatur. Kanon des Hippolyt 29 [Riedel, a. a. 0. 219]: der welcher die Mysterien austeilt, und die welche sie empfangen, sollen scharf aufpassen, daß nichts auf die Erde falle, damit sich nicht ein böser Geist dessen bemächtige. Kanones des Basilius 97 [Riedel 275] : die Presbyter welche an dem Leibe Christi communiciren lassen, und die Diakonen und die ganze Gemeinde vor ihnen sollen aufpassen daß nichts von den Mysterien auf die Erde falle und so ein Gericht auf ihnen ruhe. Ebenda 99 [Riedel 277]: beim Zerbrechen soll nichts davon zur Erde fallen. Sehr genau und rituell Kyrill von Jerusalem [cateches. mystagog. 5, 21] : Ttgoaimv ovv fii] tstafbivoLg xol? tcoi^ xBiqmv KaQTtotg TtQOGSQXov (irids diriiQri^svoLg xoig dccKrvXoLS, älXa trjv dcgiatsgäv Q-qovov noiriGag ttjl ds^iäi dtg nsXXovaiqL ßaaiXia vno8i%E6%'Cii %al •üOiXdvccg xr]v TtaXdfiriv 88%ov tb 6a>[i(x rov Xgiötov STtiXeycov tb cc(i'i]v. [ist ccöcpccXsLccg ovv äyidßag tovg 6q)d-ccX}iovg, tfjL S7tcc(pf]i, rov ccyiov em^atog (iSTCcXdfi- ßccvs, TtQOGBxcov [IT] itagaTtoXeGYiLg xi i% xovxov avxov. otzsq yccQ iäv ccjtoXsöriLg, xovxoL mg dnb oI-abCov dfjXov oxi BQri^m&rig fisXovg. st-Tts yccQ fiOL' sl' xig gol ^öcotis ip'^yiiccxci xQvaCov, ov-n ccv fisxä rcdcrig aarpccXsLag iyiQccxsig, q)vXaxx6[i8vog [iri xi avxav 7tciQa7toX£6r\ig v.a.1 ^miiav v7toöxf]Lg ; ov tzoXX&l ovv ^äXXov cc6g)ccX£6XEQ0v xov xqv-

gCoV 'ACil Xl^'COV XL^LaV XL^LmXEQOV 8La6V,0Ttri6£ig V7t8Q xov [IT] IpLXCiV 601 EV,7t£GBLV\

Bei dieser Gelegenheit will ich nicht versäumen auszusprechen daß ich den räthselhaften Vers loh. 13, 10 6 XEXov^hog ovv, b'xel %?£tav vLtpccG&cci,, ccXX' k'axcv ytad-ccgbg oXog nicht mehr für den Rest einer älteren jetzt zerstörten Erzählung halten kann, wie ich Nachr. 1907, 347 vorschlug, sondern in ihm eine Anspielung auf die Tradition erblicke, die Tertull. de coron. 3 erwähnt: ex ea die [der Taufe] lauacro quotidiano per totam hebdomadem ahstinemus.

1) Ich hätte nur mit 6, 60 ff. nicht so schonend umgehen sollen. Das ganze Stück bis zum Schluß ist eine secundäre Interpolation. Denn es wird die Deu- tung des Lebensbrodes von der Eucharistie vorausgesetzt [6, 63] und, was beson- ders wichtig ist, die nicht ursprüngliche Vereinigung der Reden über das Brod mit denen über die Berufenen [6, 64. 65]. Es sollte das Zeugnis des Petrus hin- eingebracht werden, das bei Lucas [9, 18 f.] unmittelbar auf die Speisung der Fünftausend folgt.

35*

500 E. Schwartz

wird einwenden, daß lesu Reden von dem wahren Brode ihren Anlaß verlieren, wenn die Geschichte fällt. Es muß aber doch erstaunen daß in diesen Reden nur das Manna ^) und nicht die fünf Brode mit denen eine solche Menge wunderbar gespeist ist, das Gegenstück zu dem wahren Brode sind, und wie kann die Menge sich von lesus ein Zeichen erbitten [6,30], dieselbe Menge ^) die eben wegen 'des Zeichens das sie gesehen hatte', was, nach dem vorliegenden Text wenigstens, nur die Speisung sein kann, lesus für 'den Propheten' erklärt hat, der 'in die Welt kommen soll' [6, 14]. lesus greift nur am Anfang seiner Reden auf das Wunder zurück [6, 26] : ^rjrsltE ^e ovx ort etders örjfista, aXX^ ort itpdyste ix r&v ccqtov xal exoQtaöd'rjts: die Scheltworte passen zu der Frage des Volkes 6, 30 in keiner Weise, sind auch an und für sich unmotiviert; daß die Menge ihm nachgelaufen wäre um sich noch einmal von ihm füttern zu lassen, geht aus der Erzählung wahrhaftig nicht hervor ^). Bedenklich machen muß auch der Plural öri^staf der auf 6,2, aber nicht auf 6, 14 zurückschlägt.

1) Das himmlische Brod das Israel in der Wüste aß, als es noch jung war und in der Zucht stand, wird schon Deuteron. 8, 3 mit dem 'Wort' parallelisiert, das 'aus dem Munde Jahves ausgeht'. Es ist nicht eigene Weisheit, sondern die Tradition der jüdischen Exegese, wenn Philo [qu. rer, diu. her. s. 79. 191. de congr. erud. gr, 170. de fuga et inuent. 138. de mut. nom. 259] es mit dem &ELog löyog, d. h. der Offenbarung , oder der coqjia, d. h, der von Gott dem Menschen gegebenen Weisheit die die Offenbarung annimmt, identificiert ; daß er dabei einen Paragraphen der stoischen Logik anbringt [leg. alleg. 2, 86. 3, 175. qu. det. pot. ins. 118], ist eine Renommisterei, die für den Sinn der Allegorie nichts ausmacht.

2) Chrysost. t. VIII p. 262^ oidsv tovrav &vc(L69-riT6TEQOv, o'bdev ccXoymrsQOV xov arifisiov övtog iv ötpd'ccXfiois ccvtcbv m, w? o'ödsvbg yEyovoTog, ovrcog ^Xtyov

3) lohannes Chrysostomos construirt sich ein gutmütiges, leichtsinniges Völkchen zurecht, das nur dem Augenblick lebt und deßhalb einmal durch ein scharfes Wort zurechtgerüttelt werden muß [t. VIII p. 256c] : a^iov de xal h- xBvQ^Bv 6vvidBiv TTjv sijyioXov avx&v yrtJbju-Tjv. ot yug Xiyovtsg 'ovtog iariv 6 ngo- q>r]tTig\ ot anovddt^ovxBg ccQTidaca xal noifjoaC ßaGiXea, Evgovrsg avxov oiSev xoiovxov ßovXsvovxai, ScXXa xb d'aviicc ^v.ßaX6vxeg, eng iyoayE olfica, o'^xart Xoinbv vn^Q xä)V TtQOXBQcav d-aviid^ovOL. ölcc xovxo dga ins^'^xovVj ßovXofisvoi naXiv xga- ni^rig &noXavBiv, oTag xal tiqoxbqov und p. 258^ xb srpotfrjv^ff %al Xbiov oi nctv- xaxov %QriaLyi,ov, &XV ^axiv Bxb xal xoü 7cXr]%XL%axBQ0v Öbi x&i SiSaayidXmi. Das ist antike exegetische Technik bester Art, die den Widerspruch scharf beobachtet ; die unwissenschaftliche Lösung wirkt angenehmer als in den XvoBig der 'OfiriQL'ucc irixrniaxu, weil der gewiegte Prediger sie aus seinem Leben und seinem Publicum nimmt; er schildert ja deutlich sein eigenes antiochenisches Publicum, das durch die Schelte des Predigers aas seinem gutmütig animalischen Dasein aufgeschreckt werden soll.

Aporien im vierten Evangelium IV 501

Also ist die einzige Stelle die eine Verbindung zwischen dem Wunder und den Eeden herzustellen scheint, durch Ueberarbeitung entstellt und so ihrer Beweiskraft beraubt; es muß dabei bleiben daß die zu einem Typus der Eucharistie umgebogene Greschichte von der Speisung secundär mit den Reden lesu vom wahren Brode verbunden ist. Damit ist allerdings der Einwand daß dann diese Reden des Anlasses entbehren, nicht vollständig widerlegt; er er- zwingt vielmehr den Schluß daß die Greschichte die jetzt dasteht, an die Stelle einer anderen getreten ist, deren Reste in 6, 14. 15 vorliegen ; daß diese Verse zu dem Vorhergehenden nicht passen, ist schon bei anderer Gelegenheit [vgl. oben S. 172] be- merkt. Was nun aber dagestanden hat, läßt sich aus diesen Resten nicht entnehmen; sie sind zu dürftig und harmonieren auch mit einander nicht.

Bei Marcus [6, 45 ff.] und Matthaeus [14, 22 ff.] folgt auf die Speisung das Wunder auf dem See von Tiberias; der Verdacht liegt nahe daß wie jenes erst secundär in das vierte Evangelium eingetragen ist, das Grieiche auch von diesem gilt. Hier trat aber eine Schwierigkeit ein. Bei den beiden Synoptikern steht jedes Wunder für sich; wo das Volk bleibt, nachdem es von lesus ge- speist war, interessiert sie nicht und braucht sie nicht zu inter- essieren. Sollte indeß die Speisung der Fünftausend den geschicht- lichen Hintergrund der Reden Jesu über das wahre Brod bilden, so mußte eben das Volk das gespeist war, das Publicum für diese Reden sein. Dann wurde das Wunder auf dem See unbequem, da es lesus von seinem Publicum entfernte, und der oder die Be- arbeiter sahen die undankbare Aufgabe vor sich, die Menge eben- falls über den See hinüber zu transportieren. Was jetzt dasteht, ist ein wirres Conglomerat von sprachlichen und sachlichen Un- geheuerlichkeiten. Zwischen 6, 22 und 23 fehlt die Verbindung, und der Satz mit ors 6, 24 drückt dasselbe noch einmal aus, was 6, 22 schon gesagt war. Wie das Volk am folgenden Tage sehen ^) soll, daß am Tage vorher nur ein Schiff dagewesen war und nur die Jünger, nicht aber lesus dies benutzt hatten, hat noch kein Exeget plausibel zu machen verstanden und wird es nie fertig bringen; man kann es Blaß nicht übel nehmen daß er seinen In- spirationsglauben dadurch rettet, daß er dem Evangelisten das

1) Ein einziger Lateiner liest cum scirent. Mag das nun auf Verwechselung von ddms und Idmv beruhen oder überlegte Correktur sein, jedenfalls taugt die Variante nichts: woher soll denn das Volk wissen daß lesus nicht mitfuhr, wenn es bei der Abfahrt der Jünger nicht dabei stand?

502 ^- Schwartz

mißlungene Cuncept streng und gründlich corrigiert '). Es sind hier zwei Versuche ineinander geschoben :

I II

6 ox^og 6 e6triXG)g jcsqocv t7]g ^a- ttjl iTtavQiov akla ^Xdsv TtXoiaQia

Xdöörig eidov ort TtXoiccQiov aklo ix Tcßagcccdog iyyvg rov röitov

ovK tjv exsl et ^r^ ev xal ort ov ozov ecpayov xov cicQtov ev%(XQi6xii\-

övvsLörlXd^sv Totg ^ad^rjrcctg avtov öccvtog rov xvqCov ' öra ovv elöev

6 ^Irjdovg slg tb Tckolov äXlä ^6- 6 o^Xog ort 'Irjöovg ovx sdriv ixsl

voL OL ^a&riral avtov ccTtflXd'ov. xal ovds ol ^a&riral avtov, eveßriöav

^Xd^ov elg Ka(paQvaovyL ^ritovvtsg avtol elg TtXoiccQia xal i]Xd^ov

tbv ^Iriöovv xal evQovtsg avtov xtX. TCSQav tf^g d^aXdöörig slitov avt&t,' Qaßßscj TCots ä)ös ysyovag',

1) Die Abschreiber und Uebersetzer sind ihm vorangegangen, doch nur bis zu einem gewissen Grade. Als Beispiele stelle ich K und D neben einander, ohne Orthographie und bloße Schreibfehler zu berücksichtigen :

K D

[22] tfJL InavQiov 6 öxXog 6 sßtcag Tfsgav [22] rijt ijtccvQiov 6 öx^og 6 sötTi'ncog rfjg ^aXdoarig sldsv on nXomQiov aXXo ntgav xfig Q'aXd66r\g sldsv ort TcXotccgiov ovv. Tiv SV.SI d 117] fr 8v,slvo stg o iva- aXXo ovv, riv ivsL sl (li] fv stg o iv^ßricav ßriaav ot ficcd^Tal rov 'Iriaov, vccl oxi ol iia&rital xov [aus avxov durch Rasur oi) övvsXriXvQ'si avxotg 6 'Ii]6ovg slg xb corrigiert] 'IriGov kccI oxi ov cwEiaiiX^ev TtXoLOv, aXXä iiovoi ot (lad-rixccl avxov. xotg fiad-Tixaig avxov 6 'IViOovg stg xb [23] STtEXQ^ovxav ovv x&v tiXolcov ev, Tl- nXoLov, ccXXa [lovov ot (la&rixal avxov ßsQiddog iyyvg ovarig, onov xal e'q)ayov ä7tf]X^ov, [23] aXXtov nXoLagiav iX^ov- ccQxov EvxaQLOX'^öavxog xov vvqioVj [24] xcov i% TißsQiddog iyyvg xov xonov onov val tSovxsg oxi ovv rjv ivst 6 'Iriaovg scpayov xov ägxov. [24] oxs ovv siÖEv ovds ot [Ltt^rixaC^ Scvsßriaav Etg xb tiXolov b b^Xog oxl 'Iricovg ovv SGxiv ivst ovSe Hxl. ot iia&rixal avxov, ^Xaßov iavxoig nXoi-

ccQia vxX. K bringt den Hiat zwischen 6, 22 und 23 hinaus, aber nicht die Dublette 6, 22~24; xb nXotov 6, 24 ist wohl nur Versehen. Dagegen läßt D durch die Wiederholung ot (lad^rixal xov 'Iri6ov [oder einfach a-örov] und xoig fiad-rixaig avxov noch er- kennen daß der Relativsatz der ev erklären soll, eine Glosse ist; die Schwierig- keit die in aXXa rjXd^Ev TiXotagia liegt, ist doppelt gelöst : einmal durch Umsetzung in den gen. abs., bei der nur ovv nicht, wie es nötig gewesen wäre, an den An- fang von 6, 23, sondern von 6, 24 gestellt ist, und dann durch die Variante ^Xaßov iavxotg nXoidgia [ohne Artikel], welche die Streichung von 6,23 voraussetzt: jetzt ist nur E'hxctQi^atriGavxog xov vvqCov weggelassen. Leider ist die Syra Sin. an diesen Stellen so zerstört, daß sich nicht mit Sicherheit eruieren läßt, wie sie sich den Text zurechtgelegt hat: sie scheint die Dittographie 6,22—24 durch Entfernung des Satzes mit oxe 6, 24 beseitigt zu liaben. Die Syr. Cur. hat die Glosse zu eI iiri ev, läßt dagegen &XXa—&7tfjXd-ov aus; der Hiat zwischen 6, 22 und 23 wird durch eine Uebersetzung beseitigt, die zu para- phrasieren gefährlich ist: o)*-© . . jjuaö? ^Lj #00 . . . )|**j. f^xaptartjffavros xov %vq{ov fehlt wie in D. In der Peschittha steht sUsv und die Glosse von 6,22

Aporien im vierten Evangelium IV 503

Das Volk fuhr also in der einen Fassung nicht zu Schiff, sondern gieng um den See herum. In der anderen Fassung ist an Stelle dessen die geschmacklose Erfindung getreten, daß die ge- sammten Fünftausend in Schiffen hinüberfahren; der Relativsatz 07C0V xvQLov wird außerdem durch scpayov tbv ccqtov und durch tov KVQiov als jung gekennzeichnet, und endlich ist hier die Frage 6, 25 nicht mehr begründet, da das Volk bei der Abfahrt der Jünger nicht dabei ist, sondern nur bemerkt daß lesus sowohl wie die Jünger nicht mehr da sind. Es ist aber nicht möglich die Fassung II mit einem glatten Schnitt zu entfernen: mit der Zeit- bestimmung geht der Anschluß ans Vorhergehende verloren. Auch bleiben noch andere Anstöße übrig, die in die erörterte Zerlegung in zwei Versionen nicht ohne Weiteres aufgehn. Die Ortsbe- stimmung 6, 25 TCSQav TTJg d'aXdöörjg ist nach slg Kag)aQvaov^ [6, 24] überflüssig, ja verwirrend. Vorher [6,17] ist gegen die doppelte Angabe jtSQav trjg d-ald^^rig elg KacpaQvaov^ nichts zu sagen, um so mehr gegen die unbestimmte Angabe 6, 21 izl trjg yfjg elg i]v vTcfjyov: warum nicht einfach etiI tijg yijg oder der Stadtname? Daß vTcdyeiv 'fortgehen' in singulärer Weise gebraucht wird um den Kurs einer Seefahrt anzugeben, will ich nur nebenbei er- wähnen. Da nun die Localisierung der folgenden Reden lesu in der Synagoge zu Kapernaum [6,59; vgl. Mc. 1,21] ein falscher Einschub ist [vgl. S. 122], so werden auch die ausdrücklichen Er- wähnungen des Namens 6, 17. 24 verdächtig. Ferner ist die Er- zählung des Wunders selbst durchaus nicht in Ordnung. Man mag den Satz 6, 17 xal s^ßdvtsg slg tcXoIov tjqxovto Ttegav trjg d-a- Xd^örig dadurch erträglich machen, daß man tjqx^'^'^o als Tempus der unvollendeten Handlung faßt, obgleich diese Deutung durch die Angabe des Ziels der Fahrt so gut wie unmöglich wird und jeder Leser auf den Gedanken kommen muß, die Fahrt sei schon beendet : unmöglich wird gerade bei dieser Auslegung die Situations- schilderung die unmittelbar folgt: xal öxoticc ijörj iysyövsi xal ovitco iXfilvd'st, JtQog avtovg 6 ^Irj^ovg. Denn wenn '^'^;^oi/to die noch an- dauernde Fahrt beschreibt, kann dazu die Bestimmung nicht hin- zutreten, daß 'lesus noch nicht zu ihnen gestoßen war', die außer- dem eine Verabredung zwischen lesus und den Jüngern voraus- setzt, von der im vierten Evangelium nichts steht. Nach den

hat die Form sC (ir] hsivo [ohne sv das auch bei einem Lateiner fehlt] etg o ivi- ßriaav oi [lad-riraL, das nachher durch roLg yi,a^ritatg ccvtov aufgenommen wird; ccXXä—ccTtfjXd-ov fehlt wie in der Syr. Cur. Von 6, 23 an stimmt sie mit B ; nur yvird am Anfang von 6,23 ^j eingeschoben.

50^ E. Schwartz

Synoptikern [Mc. 6,45. Mt. 14,22] läßt lesus die Jünger voraus- fahren; interpretiert man rJQxovto xegav Trjg d'aXdöörjg nach dem Wortlaut und stellt den Zustandssatz auf die Zeit ein, in der die Jünger angekommen sind, so ist ein richtiger Zusammenhang her- gestellt, der dann freilich einen anderen Verlauf des Wunders fordert als den der bei Matthaeus und Marcus berichtet wird: lesus kann die Jünger nicht auf dem Wasser eingeholt haben, sondern kommt erst über den stürmischen, schon dunkelen See, als sie schon am Lande sind. Man beachte daß der Schluß der Gescbichte nicht nur sprachlich, sondern auch sachlich anstößig ist; wo bleibt denn lesus selbst, nachdem das Schiif plötzlich ans Land gezaubert ist?^) Mit der Fassung I würde sich diese Er- zählung des Wunders vereinigen lassen. Nach alle dem neige ich zu der Annahme daß derselbe Bearbeiter der die zur Eucharistie umgewandelte Speisung der Fünftausend einführte, auch das See- wunder in einer neuen Form eingesetzt hat und ein späterer Inter- polator dieses wiederum mit den Synoptikern in Uebereinstimmung zu bringen versuchte [6, 19. 20 = Mc. 6, 48—50. Mt. 14, 25—27]. Das Abenteuer mit der Samariterin hat durch den Nachweis daß die Festreisen die vor Cap. 7 fallen, unecht und das Ver- bindungsstück 4, 1—3 überarbeitet ist, seinen Platz verloren: wo es im ursprünglichen Evangelium gestanden, was es dort bedeutet hat, ist um so schwerer zu sagen als es, auch abgesehen von der falschen Einordnung, in seinem eigentlichen Bestände nicht unver- sehrt geblieben ist. Der Brunnen Jakobs , eine tiefe Cisterne [4,11], wird noch jetzt s. von Sichem an der Straße die von ludaea nach Samarien führt, gezeigt : das scheint sehr vernehm- lich dafür zu sprechen, daß lesus wirklich von ludaea kommt und nach Norden zu wandert. Es tauchen aber bei näherem Zusehen allerhand Schwierigkeiten auf. Was heißt 4, 7 yvvij ix Tjjg Za- ^agiccg? Die Stadt liegt weit ab, nicht nur von dem Jakobs- brunnen sondern auch von dem Feld bei Sichem, das Jakob seinem Sohne loseph schenkte^). Ebenso ungereimt ist es, den Namen

1) Lauteten die letzten Worte ursprünglich a'b&eag iyhsro [lesus] inl ti)s yfis f ^ff T^v 'bnfiy Bv, so verschwindet der Anstoß den vnfiyov jetzt bereitet.

2) Gen. 48, 22. los. 24, 32. Gen. 33, 18 f. Nach diesen Stellen erklärte Hie- ronymus [quaest. in Gen. 66, 6] Sychar [4, 5] für eine Corruptel aus Sychetn ; die Syra Sin. setzt denn auch p^Jüt ein. Theodor von Mopsuhestia paraphrasiert [p. 94 Chab.]: qjo^ . p>-^« j-*,dä^? )^\o .^^^^ .viüi i-vo^XM .)-•;»*.? jKWcL jJL) OfVS .o>CPO.\ .300X. jooj 30^-j l^-voj Ixüt '»-sx = ^p^ftat sig nöXiv Tfjg Zanagiag X€yo[iivriv Zvxuq tcXtiolov tfjg Timfirig "KaXovusvrig Zvxsfi' xovxo yuQ xb övofia xfig %i»fji,r]is r^v idoKSv 'la%6i§ ^laaricp xm vim wbxov. Vgl. außerdem Eus. onom.

Aporien im vierten Evangelium IV 505

vom Lande za verstellen: die Oertlichkeit soll ja in Samarien liegen; was hat es dann für einen Sinn zu sagen 'es kam ein Weib aus Samarien nach Samarien' ? Die Samariterin soll in der nahen Stadt Suchar^) zu Hause sein; es fällt auf daß sie aus der Stadt zu einer Cisterne an der Heerstraße läuft, während die Gegend um Näbulus [= Neapolis = Sichem] durchaus nicht quellenarm ist. Offenbar hängen 4. 5 und 4, 12 mit einander zusammen : der Leser soll annehmen daß die Cisterne auf dem Jakobsfelde lag. Es ist nur übel daß 4, 12 ro cpgeag und 4, 6 Ttriyrj ^) xov ^Iccxcjß steht; 7ti]y7j bedeutet im Griechischen immer die natürliche Quelle, im Gegensatz zu xqtjvti, dem laufenden Brunnen der Wasserleitung, und zu (pQsccQ, dem gegrabenen Brunnen oder der Cisterne: wenn Theodor von Mopsuhestia bemerkt daß ^rjyr] hier für (pgeag steht, so beweist das zwar, daß er gut aufgepaßt hat, bringt aber den Widerspruch nicht weg. Und dieser Widerspruch steckt auch in der Rede der Samariterin 4, 11 f, verborgen : es ist unlogisch zu sagen: 'du kannst nicht aus der Cisterne schöpfen, weil du ohne Zieheimer nicht an das Wasser kommst; woher hast du das Quell- wasser von dem du redest?' Aus einer Cisterne ist mit oder ohne Eimer überhaupt kein Quellwasser zu holen. Ich muß mich damit begnügen auch diesen Widerspruch zu constatieren, es kommen noch mehr.

Die Samariterin hält lesus für einen Propheten [4, 19], weil

p. 150, 1 ZvxBfi T] Tial ZUiiLa ri xal JSccXrifi. ndXig 'laHcoß vvv Bgr^io?. SsUvwai ÖE 6 tonog SV nqoaoxBiois [d. h. in den Gärten vor der Stadt, nicht in den 'Vor- städten'] Niag noXscog [der von Vespasian gegründeten Colonie Flavia Neapolis], tvd^a xat ö xd(pos dsUvvtaL xov 'Io36r\(p. Gen. 33, 18 f. übersetzen die LXX das verdorbene QD® ^"^"^ Oblö lp5?^ i^l'»'! -^cu ril^sv ^laiiaß stg ZccXr]^ TtoXiv Ztm'fiav. Ich bin in Versuchung gewesen dies UaXrifi mit 3, 23 iv Alvcov syyvg xov ZccXsifi zu combinieren, es will nur kein glattes Resultat dabei herauskommen. Daß lesus in Samarien getauft hätte, ist eine undenkbare Erfindung; eher ließe sich aus- tifteln daß ursprünglich nicht lesus nach Samarien, sondern die Samariterin zu lesus nach Galilaea kam [4, 7 sqxbxkl yvvi} i-K xfjg Sa^ctQCag'], und nicht er, sondern sie um einen Trunk bat. Aber diese Fäden sind zu fein gesponnen um zu halten, und mit unbewiesenen Möglichkeiten ist nichts gewonnen.

1) Die Tradition glaubt sie in 'Ain 'Askar [Heerquelle] wiederzufinden; ob mit Recht, ist sehr problematisch. Sichem, nicht Samaria-Sebaste, war der Mittel- punkt der Samaritergemeinde [Wellhausen, israel. Geschichte 194] : noch die arabischen Geographen [Igta^ri 58. Ihn Xauqal 113] wissen zu berichten daß es Samariter nur in Näbulus gebe.

'2) Das Fehlen des Artikels ist ein Semitismus der im vierten Evangelium sehr auffällt.

506 E. Schwartz

er ihr auf den Kopf zu sagt was sie früher getan hat ; das ver- kündet sie auch in der Stadt, mit der Vermutung, lesus möchte der Messias sein [4, 29]. Dann kann ihr lesus nicht unmittelbar vorher gesagt haben, er sei der Messias ^) : 4, 25. 26 sind eine se- cundäre Einlage, die ohne Weiteres entfernt werden kann. Ick fürchte, es steht mit 4, 22—24 nicht besser. Die Verse setzen 4,21 nickt fort, sondern sind eine Doublette zu ihnen, wie schon die Wiederholung von sQ%ExaL ojqo, anzeigt; sie müssen außerdem ganz jung sein: es ist gerade für das vierte Evangelium unerhört daß lesus sich zu den Juden rechnet, die 'wußten was sie anbeteten' [4, 22]. Das giebt er sonst nie zu , und hier wird ihm dies Lob der Juden auch nur in den Mund gelegt, um den auch in der Formulierung rein dogmatischen^) Satz anzubringen r] öatrjQia ix tG)V \[ov8aiG}v 66z LV.

Uneckt sind ferner alle Stellen an denen die Jünger vor- kommen. Der Causalsatz 4, 8 et yccQ ^ad-rjral ccvrov ajtsX7]Xvd'£L6av etg rriv noXiv, tva rQoq)äg äyoQdöcoGiv begründet nickt, daß lesus die Samariterin um einen Trunk Wasser bittet; der Uebersetzer der Syra Sin., mit der die Syra Cur. übereinstimmt, kat es ge-' sckeiter gemacht als die spintisierenden Exegeten, und den fehlenden Zusammenhang durch eine umstellende Paraphrase hergestellt, so daß auf iid rijL Ttrjyfji, [4,6] folgt: %al ol ^ad-ijtal avrov ayoga- 6(o6iv und dann nachgetragen wird oJ^ ^^ oo» ^o (= xal öt' ixa- %^bIexo 6 xvQtog), coQu fjv mg sxtr]. Eben dieser Nachtrag verrät den corrigierenden Eingriff in die Ueb erlief erung. Wie die Jünger vor dem Gespräch mit der Samariterin weggeschafft sind, so mischen sie sich auch nicht ein, als sie wiederkommen und sehen daß lesus mit ikr sprickt [4, 27]. Nack 4, 31 füllt das Grespräck lesu mit den Jüngern die Zeit aus, welcke die Samariter ge-

1) Chrysostomus hat die Inconcinnität bemerkt [t. VIII p. 195^] : cyioTtsi n&g avver&g Xiyu. oi) yäg ilits ^ösvts, idsts xhv Xqigx6v\ ulXa xai avtr] fiera cvy- v,araßccas(og, fisd"^ rjg y.cil 6 XQiarbg ccvrrjv iaay^vevasv, iTCian&tai xovg ävögccg . . . (i'q XI ovxog iaxiv 6 Xg^axog; oga nccXiv aocpiav noXXrjv yvvai-Kog. o^xs &7(£(pT]vaxo auifcbg o^xb iaiyriasv.

2) Rom. 9, 5 i^ ^v 6 Xgiaxbg xb xara Gagucc. i] acorriQLa bedeutet nichts anderes als den gekreuzigten und auferstandenen Christus, und kommt aus guten Gründen in dieser emphatischen Bedeutung in den Evangelien nie vor, am aller- wenigsten im Munde lesu. Auch 6 6a)xi]Q xov ^oofiov steht nur 4, 42 ; vgl. Nachr. 1907, 364. üebrigens ist wohl zu bedenken, daß die ältesten Ketzer, Simon Magus und Dositheus, Samariter waren : die Pointe des Gegensatzes in 4, 22 zielt viel- leicht auf sie. In 4, 23. 24 schwankt die Ueberlieferung sehr stark.

Aporien im vierten Evangelium IV 507

brauchen um den Weg von der Stadt zu lesus zurückzulegen. Aber 4, 39 schließt mit 4, 30 nicht zusammen ; die Erzählung springt zurück und erreicht erst 4, 40 den Anschluß. Es geht nicht an etwa 4, 39 zu streichen ; denn 4, 41 [jtoXXaL TtXsiovg 87tC6tBv0av\ weist darauf zurück. Nun ist allerdings das ganze Stück 4, 39 42 ein schlechter und junger Flicken ; 4, 39 wiederholt 4, 29 und von 4, 42 war schon die Rede [vgl. S. 506^] : aber 4, 30 muß stehen bleiben , schon wegen der Aufforderung der Samariterin 4, 29 ÖEvts l'dsts ävd^QcoTtov, og SLJtsv iioi Ttccvra a £7tOLrj6a. Man er- wartet daß sich zwischen den Samaritern und Jesus ein Gespräch entspinnt, sonst steht ihr Auszug aus der Stadt in der Luft ^) : es kommt aber nicht dazu und die magere Interpolation 4, 39—42 ist kein Ersatz dafür.

Das Gespräch mit den Jüngern zerfällt in zwei Teile, 4, 31— 34 und 4,35—38, die nicht mit einander verbunden sind. Im ersten Teil ist der Anschluß an die Situation gewahrt; der überlieferte griechische Text bietet an und für sich keinen Anstoß. Um so räthselhafter ist die zweite Hälfte des Gesprächs; hier hat die Uebermalung arg zerstört und die neuen Zusammenhänge die sie schaffen wollte, nur in sehr unvollkommener Weise zu Stande ge- bracht. Man erkennt das am besten an dem Schwanken der alt- kirchlichen Exegese. Sie ist sich zwar darüber einig 4, 38 unter 'denen welche sich gemüht haben', die Propheten und Gerechten des A. T. zu verstehen ^) ; aber während Origenes und Chryso- stomus die welche sich mühen, 'mit dem Säenden' 4, 36 identificieren und auch bei diesem an das A. T. denken, deutet Theodor von Mopsuhestia ihn auf Christus, den 'Schnitter' auf die Apostel: daß Christus in den Aposteln fortwirke, sei ein Beweis für seine

1) Die Syr. Sin. liest 4, 31 lio^A >^o^x3i. ^^qijJjj w^o^o^^yM oooj ^x-^o, ebenso, mit nur formalen Abweichungen die Syr. Cur. Es wird also iv töbi fisra^v weg- gelassen und fiEd'' 71H&V zu (pdys hinzugefügt. Daß die Jünger lesus auffordern mit ihnen zu essen, kann auffallen, weil er das immer tut, ferner ist iv t&v lisTcc^v, wie Blaß bemerkt, im N. T. eine Singularität. Ich bin in Versuchung gewesen den syrischen Text für alt zu halten und ot (iccd-ritccL als Zusatz zu fassen : dann schließt 4, 31 unmittelbar an 4, 30 an und die Samariter bitten um die Tischgemeinschaft, die Jesus höflich abweist. Obgleich ich nach wie vor die Vermutung für mehr als discutirbar halte, habe ich sie in die Anmerkung ver- wiesen, weil im vierten Evangelium die Syrer so frei mit dem Text umgehn , daß es nicht ungefährlich ist aus ihren Varianten weittragende Schlüsse zu ziehen.

2) Origenes comment. 13, 325 f., der außerdem noch in Anlehnung an He- rakleon die Engel hineinbringt; Chrysost. t. VIII p. 198». Theodor. Mops. p. 104 Chab,

508 E. Schwartz

Kraft [4, 37]. M. E. haben jene Recht, schon darum weil sie die Deutung nicht zu verschieben brauchen, sonderlich aber wegen 4,37. Chrysostomus faßt Xoyog = Sprichwort [t. VIII p. 198»]: fiB^vtirm Ö6 xal Xöyov TtccQOi^iadovg TtSQKpsQo^avov TCccgä TtolX&v. iv yäQ tovtcoL, (prjöCv, 6 Xoyog iötlv [6]^) äXri^Yig ort akXos e6xIv 6 6 7tBiQ(x)v Kai äXXog 6 d'sgC^cov. ravra ds sXeyov et ::toXXoC, eiTtote ccXXot ^hv tovg Ttövovg vjtB0Tt]öav, aXXoi öa tovg xuq- novg iÖQBTtovto , Tcal XsysL ön ovxog 6 Xoyog evtavd^a ^dXiöxa xriv aXri%^ELav b%bl, inovriöav (ihv yccQ oC jCQOcpfixai, v^stg de xovg xaQ- TCovg xovg ix xav exetvcov Ttövov d^äöds .... ijtSLÖrj yag e^eXXs kiyeiv Ott ccXXog söTtetgs xal aXXog ^egiisi, Xva fiTjxig . , djtsöxsQfiöd'ai xovg TtQOcprixag vo^C^rii xov ^i6d^ov, ^evov xv Xiysi xal ^agado^ov xal xolg ai6d't]X0ig ov öviißalvov, dXXä xcbv TCvsv^axixcbv e^aiQSXov ov, SV ^6v yaQ xotg jcgay^aCu xolg atö&rixolg, eäv 6v^ßi]i bxsqov öTCstQUL xal BXEQov ^sgCöai^ ov% b^ov %aCQ0v6LVy dXXä dXyov6iv ol öTCscgavxsg axs ixegoig xa^övxsg^ %aCgov6i de ol d'sgi^ovxsg ^övol' evxav^a de ovx ovxcog, dXXä xal ov ^itj d-egi^ovxeg aTteg eöTceigav, o^OLCog xotg a^cböL xaCgov6iv' o^ev öfiXov ort xal avxol xoivcovovGi xav ^löd'av. Dieser Sinn kann aus dem einfachen äXrid-Lvog nicht herausgeholt werden, auch ist ydg dann unmöglich. Vor allem aber gebietet der feste Sprachgebrauch der Briefe und des Evangeliums [vgl. Nachr. 1907, 365] ev xovtoi mit özl zu verbinden, während Chryso- stomus ort auf 6 Xoyog bezieht. Theodor versteht unter 6 Xoyog die Predigt lesu, den Samen den er ausstreut, seine Gnade ^), und das ist im Wesentlichen richtig, so singulär der Sprachgebrauch ist : ich habe nichts dagegen, wenn jemand den Logos des Prologs hier wiederfindet. Der Logos ist wahr insofern er zwei Zeugen hat [8, 17] ; aber diese beiden Zeugen können nicht Christus und die Apostel sein deren Zeugniß ist eins , sondern die Pro- pheten und das Evangelium [5, 39. 46]^ die beide 6 Xoyog xov ^eov [10, 35] sind.

Man hüte sich davor sich bei dieser Erklärung zu beruhigen: sie kann dem Text nur abgezwungen werden, und er ist erst durch

1) Die Erklärung zeigt daß er icXri^rig als Praedikat nahm, der Artikel also fehlen muß, wie in kB, Ebenso interpretiert Theodor so als wenn aXri^ivog Praedikat wäre, obgleich in seinem Text die Lesung der Syrer jv»jlj )fc\» steht, die dem uerbum ueritatis der Lateiner genau entspricht. Für o Xoyog d ccXri^ivös lassen sich als älteste Zeugen nur DA anführen.

2) P. 104, 1 bsS}^ |i.i) ^j ,^ ^) . \li^ Ä^Jv-)^ )lQiä4J ö>v^ Äj ;*^ )jo>3 >9rii. K^oj- )U— o(iD \iOf = iv tovTcoi yäg xal fj Tr)g jja(nro? ScX'^d-sicc fiaXLara driXoiJtaif (in diä toü oniQuatog ov ianBiqa, toaavxriv dvvcc(iiv dedana v^i^iv.

Äporien im vierten Evangelium IV 509

die Bearbeitung so verdreht und verrenkt, daß der angegebene Sinn lierauskommen soll. Formell ist zunächst anstößig daß der Numerus 4, 38 plötzlich wechselt oder , wie mans auch nehmen kann, daß nicht schon 4, 36. 37 die Plurale stehen, die wegen des viiEtg 4, 38 nötig sind. Sodann zwingt die Fassung von 4, 38 eycD ccTisörsika vy^äg allerdings dazu unter den Angeredeten die 'Apostel' zu verstehen : aber was soll der Aorist, was das Perfectum eiöeXri- Xvd-ats bedeuten? Die Mission beginnt ja erst nach der Auf- erstehung, und von einer Aussendung der Apostel durch lesns wird im vierten Evangelium nichts berichtet; sie wird hier in un- zulässiger Weise nach den Synoptikern vorausgesetzt. Endlich ist es nach alttestamentlichem ^), im N. T. fortlebendem ^) Sprach- gebrauch alles andere als lobenswert, wenn jemand erntet, was ein anderer gesät hat: das tun Tyrannen und Feinde. Statt die Worte zu drehen und zu wenden, wobei man im besten Falle die Absicht des Ueberarbeiters errät, muß man auf diese sprachliche Thatsache den Finger fest drauflegen und schließen daß vyslg ur- sprünglich nicht die Apostel bedeutet haben kann, das ohnehin falsche eye) aTci^tsiXa vyäg also ein secundärer Zusatz ist. Das reimt sich nun aber mit den übrigen Anstößen zusammen, welche die Erwähnung der Jünger in der Geschichte bereitet: sie müssen hinausgetan werden. Das Motiv von 4, 8 ist aus Lc. 9, 52 enttehnt. Mit wem redet nun aber lesus? Wenn man aus 4,30 die Consequenzen zieht, mit den Samaritern. Sie hatten das Gesetz Mose angenommen und wollten doch keine Juden sein: dafür ist ccXkoL xsxoTCLccKcc^Lv Tcal v^Big alg thv xÖTtov avrav elosXriXv^ats ein passender Ausdruck. Vom christlichen Standpunkt aus konnte gegen die samaritanischen Urketzer dasselbe gesagt werden. Wie dem aber auch sein mag: zu dem Zustand der 4,38 geschildert wird, bildet 4, 36 den Gegensatz, den die Ueberarbeitung durch die dogmatische These 4, 37 vergeblich zu vertuschen sich bemüht hat. Das Normale ist daß der Schnitter seinen Lohn bekommt [lacob. 5, 4] und dem der gesäet hat, d. h. dem Herrn des Ackers, die

1) 'J)u sollst säen und nicht ernten' ist eine Drohung lahvehs für 'du ver- lierst deine Ernte an den Feind' Micha 6, 15 [vgl. Iliob 31,8]; umgekehrt schwört lahveh les. 62, 8 : Hch ivill dein Korn nicht wieder deinen Feinden zum Fräße geben, und die Fremden sollen deinen Most nicht trinlcen, um den du dich ge- müht: die es eingebracht haben, sollen es essen . , . und die ihn gelesen haben, sollen ihn trinken. Aehnlich 65, 21 f.

2) Mt. 25, 24 eyvcov es ort eytXriQos st av&QOinog, ^SQ^^av oitov ovv, ^aitsiQag yiccl Gvvdyoiv 0%'bv ov diS6v,6Q7ti6u$, Aehnlich in der Parallelstelle Lc. 19,21.

-510 E. Schwartz-

Frucht in die Scheuer bringt: dann freuen sicli Säemann und Schnitter. Das ist jetzt verdreht und unverständlich geworden durch den Zusatz slg ^corjv alcoviov und dadurch daß dem Bilde von der Ernte die Deutung auf die Mission aufgezwängt ist, nach Mt. 9, 37 = Lc. 10, 2. Darum ist r^dri hinzugefügt, um die ganz all- gemeine Sentenz zu einer metaphorischen Schilderung der Gegen- wart umzuprägen; so wird der richtige Gegensatz zwischen den allgemeinen Singularen 4, 36 und den auf bestimmte historische Verhältnisse weisenden Pluralen 4, 38 gestört. Auch 4, 35 muß fallen. Der Vers bezeichnet deutlich die bevorstehende Mission, aber grade der futurische Sinn der in dem Bilde von den schnitt- reifen Feldern liegt, reimt sich nicht mit dem abgelohnten Schnitter und dem Einbringen der Frucht; das geschieht doch, wenn die Ernte nicht mehr bevorsteht, sondern schon vorbei ist. Der Be- arbeiter konnte eben den ihm gegebenen Wortlaut von 4, 36 in den Zusammenhang nur gewaltsam hineinbringen, und hat anderer- seits das Bild das ihm 4, 36 an die Hand gab, nach einer anderen Richtung gewandt. Während lesus im Voraus weiß daß die Mission, die Bekehrung zum Glauben an ihn, nahe bevorsteht, ahnen die Jünger davon noch nichts: das ist der Gedanke der zu Grunde liegt, aber ungeschickt ausgedrückt ist ; denn in Palaestina dauert die ganze Vegetationsperiode nur 4 Monate. lesu Rede soll an die gegenwärtige Situation anknüpfen, und so wächst aus der Metapher von der Ernte eine jener schlechten und confusen Zeitbestimmungen heraus, in denen die TJeberarbeitung des ur- sprünglichen Evangeliums am deutlichsten zu Tage tritt.

Das Füllstück 4, 43 45 hängt mit den Festreisen zusammen und ist schon besprochen [S. 120]. Es folgt das Wunder vom Sohn des Königischen [4,46 54], das der Geschichte vom Sohne des Hauptmanns zu Kapernaum bei Matthaeus [8, 5 13] und Lucas [7, 1 10] entspricht. Sie steht dort unmittelbar nach der Bergpredigt und ist das erste Wunder in der Reihe ^). Wenn es also im vierten Evangelium [4, 54] ^) als das zweite bezeichnet wird, so ist die Zählung nicht müssige Spielerei, sondern ausdrückliche Polemik gegen Lucas oder die Vorlage des Matthaeus und Lucas: die Zählung ist außerdem alt, da sie die erste Reise nach Jeru- salem ignoriert [vgl. 2, 23. 3, 2. 4, 45] und die Geschichte nahe an die der Hochzeit von Kana heranrückt. Es ist jedenfalls zu be-

1) Ueber Mt. 8, 1—4 vgl. Wellhausen, Ev. Matth. 35.

2) Ueber die verkehrte Fassung vgl. S. 116 f.; ursprünglich mußte es ein- fach beiBen iv raliXaCui.

Aporien im yierten Evangelium IV 511

acliten, wenn auch noch keine ausreichende ^Erklärung dafür zu finden ist, daß die Tätigkeit lesu in Kana beginnen soll und nicht in Kapernaum, wie die synoptische Tradition, historisch gewiß richtig berichtete : daß die Erwähnungen von Kapernaum in Cap. 6 alle secundär sind, wurde schon oben nachgewiesen. Wie bei Lucas, fehlt auch im vierten Evangelium die antijüdische Pointe die die Geschichte bei Matthaeus erhält; gegenüber der synoptischen Darstellung ist das Wunder vor den Glauben des 'Königischen' geschoben. Ungereimt ist daß der Glaube dem Königischen zweimal kommt: 4,52.53 sind ein Zusatz, wie das absolut ge- brauchte STCLötsvösv verrät, das so steht, als wäre er mit seinem Hause [vgl. Act. 16, 15. 31] zum Christentum übergetreten: das Datieren nach Stunden scheint eine Eigentümlichkeit des Inter- polators zu sein ^). Ebenso sind 4, 48. 49 interpoliert : der zweite Vers wiederholt 4, 47, was nur dann aus der Situation interpretiert werden dürfte, wenn die Wiederholung ausdrücklich gekennzeichnet wäre, und der erste enthält eine Abweisung die durch nichts motiviert ist und nach der Jesus gar nicht handelt^). Ein solches grund- und zweckloses Anfahren wird ihm im vierten Evangelium mehr als einmal zugeschrieben, regelmäßig so, daß es den Zu- sammenhang der Eede oder Handlung unterbricht, wie 6,26 [s. o.] und 7,6 8 [vgl. S. 117J. Am ärgsten^) geht es bei der Hochzeit

1) 1,39 ist die Stundenangabe hinter ri]v r]^EQav e'aeCvtiv geradezu sinnlos; ähnlich steht sie 4, 6 nicht bei dem Ereignis das die Handlung in Gang bringt, sondern bei dem Zustand der sie einleitet. Am ersten läßt sich noch 19, 14 verteidigen.

2) H. J. Holtzmann merkt mit Kecht an daß arifiSia -nccl rsQuta nur hier im vierten Evangelium vorkommt. Es ist das alttestamentliche D'^nS'a'^, tl'^ni^ ; lesaias [8,18. 20,3] braucht es von wirklichen Vorzeichen wie es auch Sap. Sal. 8, 8 steht; die in Exodus [7, 3] und Deuteronomium [4, 34. 6, 22. 7, 19. 26, 8. 29, 2] sehr häufige Beziehung auf die aegyptischen Plagen und das Wunder im rothen Meer findet sich meines Wissens zuerst lerem. 32 [39], 20 : Moses wird als Werk- zeug Jahvehs genannt Deuter. 34, 11. Sap. Säl. 10, 16: analog Hehr. 2,4. cnniBta 'AUL ttQava als Beglaubigung eines Propheten Deuteron. 13, 2 : nach dieser Stelle ist Mc. 13,22 = Mt. 24,24 gemacht, danach wiederum 2 Thess. 2,9. Im guten Sinne redet Paulus von den 'Zeichen und Wundern', die den göttlichen Beruf des Apostels erweisen [Rom. 15, 9. 2 Kor. 12, 12], und mit gleicher Bedeutung ver- wenden es die Apostelakten sehr häufig, auch in der Erzählung [2, 43. 4,30. 5,12. 6,8. 14,3. 15,12]. Dagegen kommt es außer der einen Stelle im vierten Evan- gelium von Wundern lesu nie vor.

3) Die Redensart tt ii^ol nccl aoC [2, 4] darf nicht metaphysisch mißverstanden werden. Sie entspricht dem hebraeischen ^'^ 'ib STD mit dem eine Bitte oder AufiTorderung abgewiesen [2 Reg. 16,10 = 19,23. 4 Reg. 3,13], eine feindliche

512 E. Schwarfz

zu Kana her [2, 4. 5], wo auch eine ähnliche Wendung wie 7, 6 gebraucht wird : hier liegt ebenfalls secundärer Einschub vor. Die Mutter lesu gehört in das Wunder nicht hinein: sie ist in den Anfangssatz [2, 1] störend eingeschaltet ^), und es ist einfach un- begreiflich, wie sie den Aufwärtern den Befehl geben soll ihrem Sohn zu gehorchen^); ein geladener Grast kann sich vom Diener etwas bringen lassen, aber nicht ihm einen Herren setzen. Uebrigens sind die Diakonen ebenfalls verdächtig. Sie erscheinen nur da wo ihnen die Mutter lesu befiehlt [2, 5], und in einer schleppenden Parenthese [2, 9], die sie als Eingeweihte charakterisiert, fehlen aber da wo das Wunder selbst erzählt wird: da steht nur das allgemeine avtolg, das ebenso gut von den Grasten selbst verstanden werden kann. Ich möchte vermuthen daß die Diakonen in dieser Greschichte ein Typus der christlichen Diakonen sind, die bei der Eucharistie den Kelch zu reichen pflegten [vgl. S. 498]: nur so vermag ich zu erklären daß von ihnen mit solchem Nachdruck gesagt wird : 'sie wußten woher der Wein kam'. Dann bietet sich auch eine Möglichkeit 2, 4 ovtcg) i]X6i rj coqu ^ov zu verstehen : der

Maßregel für unberechtigt erklärt wird [lud. 11,12. 2 Paralip. 35,21 = 1 Esr. 1,24]: es bedeutet 'laß mich in Ruhe'; 4 Reg. 9,18 Dlblöbn ^b TTü = 'was Tcommst du mir mit dem Friedensgruß ?^ Im Aramaeischen wirds ebenso gebraucht; die Daemonen bitten lesus sie in Ruhe zu lassen: tC rjiiiv xal coij 'Iriaov Na^a- QTivi; [Mc. 1,24. 5,7 = Mt. 8,29 = Lc. 8,28]. So stammelt in den Persern des Timotheos [162] der gefangene Phryger in gebrochenem Ionisch iym fioi aoi Xü5? xat XL 7tqayiia\ das ist nichts anderes als rC ifiol y.al aot 'laß mich unge- schoren'. Durch die aramaeischen Sklaven, die Zvqoi, ist die Redensart ins Vulgärgriechische gekommen; bei Epiktet ist sie nicht selten [2,19,16. 1,1,16. 22, 15. 27, 13], der klassischen Sprache dagegen fremd.

1) Blaß [p. XV der Ausgabe] hat den Anstoß vorzüglich formuliert : uulgata lectio non solum mairem lesu ante ipsum facit inuitari, quod utdeo explicari posse, sed etiam amhiguitate quadam laborat, cum rjv het post iv Kccva rf^g raXiXaCag ad Cana potius refertur quam ad yccfiog.

2) Nach dem recipierten Text [= t<»B] xal vatSQ-^auvrog oi'vov Xiyu 7} jU'^ttjp tov ^IriGov xrX. lassen sich 2, 3 5 nicht glatt ausscheiden. Das würde zwar zur Verteidigung der Interpolation nicht ausreichen, es muß aber angemerkt werden, daß der absolute Genetiv nicht fest überliefert ist. Die Lesung von K xal olvov ov-K il%ov, ort GvvsxBXio^ 6 olvog tov yd^ov, die auch durch die Lateiner be- zeugt ist [vgl. cod. Corbei. et uinum non habehant, quoniam consummatum est uinum nuptiarum\ läßt die Interpolation scharf hervortreten, weil nunmehr olvov üix ^xovaiv lästig wiederholt wird, und enthält zugleich das allgemeine Subject, das mit wbrotg 2,7.8 wieder aufgenommen werden kann: bei dieser Gestalt des Textes fallen 2,3—5 ohne jede Schwierigkeit fort. D und die alten syrischen Uebersetzungen fehlen leider zu der Stelle.

Aporien im vierten Evangelium IV 513

Hinweis anf den Tod soll andeuten daß das Wunder nur ein Typus der den Tod lesu feiernden Eucharistie ist.

Die Stellung der Jünger zu lesus ist im vierten Evangelium merkwürdig unklar, wenn man sie mit der synoptischen, nicht durchweg geschichtlichen, aber durchsichtigen und leicht auf Gre- schichtliches zurückzuführenden Tradition vergleicht. Scharf heben sich in ihr die beiden Brüderpaare, Petrus mit Andreas und die Söhne Zebedaei heraus; sie sind die nächsten Genossen lesu, die gleich am Anfang [Mc. 1,16—20. Mt. 4, 18 22] gewonnen werden. Dazu gesellt sich eine unbestimmte Anzahl von Anhängern [^a- d'riraC]j in deren Mitte sich lesus bewegt, denen der weitaus größte Teil seiner Reden gilt, und mit denen er schließlich nach Jeru- salem zieht. Daß die Zwölf, d. h. die Vorsteher der christlichen ürgemeinde in Jerusalem', in die evangelische Geschichte nach rückwärts projiciert sind, läßt die Ueberlieferung jeden noch deut- lich erkennen, der nicht mit Willen sich die Augen zuhält: die Aussendung der Zwölf zur Mission [Mc. 3, 13—19. 6, 7—13. Mt. 10. Lc. 6, 13—16. 9, 1 6], zu denen bei Lucas [10, 1 24] noch die Siebenzig hinzutreten, sind ebenso ein vaücinium ex euentu, wie das Orakel über das Martyrium der Zebedaiden [Mc. 10, 35—45. Mt. 20, 20 28] ; in dem Bekenntnis des Petrus zu lesus dem Messias [Mc. 8, 27—30. Mt. 16, 13—20. Lc. 9, 18—21] spiegelt sich die Offenbarung des Auferstandenen, die ihm zu Teil geworden war und das erste Eundament der christlichen Gemeinde gebildet hatte. Von alle dem hat das vierte Evangelium nur unordentlich hin und her geworfene Trümmer, die sich zu keinem Bilde zusammen- fügen. Seine ursprüngliche Erzählung hat das Verhältnis lesu zu den Jüngern eigenartig gestaltet : in der Lazarusgeschichte und bei der Verhaftung ist er ihr Führer, dem sie folgen bis in den Tod und der ihnen den Tod ferne hält; Thomas [11,16. 14,5] scheint besonders hervorzutreten, ferner ludas der die Kasse führt, wenn auch die Erzählung von seinem Anteil an der Ver- haftung verloren ist. Zweifelhaft muß bleiben ob die Eeste eines Gespräches lesu mit den Jüngern, die jetzt in die Reden vom Lebensbrod eingeschaltet sind, zum ursprünglichen Bestände gehören^). Die Zwölf sind nur durch die Ueberarbeitung hinein-

1) 6, 37—39». 43. 44». 45. Der Gedanke liegt zu Grunde, daß die christliche Gemeinde jedem offen steht; er paßt auffallend gut zu den eucharistischen Ge- beten der Apostellehre [9, 3] und kann also mit der Umwandlung der Speisung der Fünftausend in einen Typus der Eucharistie zusammenhängen. Es ist nur

Kgl. Ges. d. Wlßs. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 5. 36

514 E. Schwartz

gekommen [Naclir. 1907, 352]; ebenso das Bekenntnis des Petrus [6, 68. 69]. Ueberkaupt sckrumpft die Rolle die Petrus im vierten Evangelium spielt, gewaltig zusammen, wenn die überarbeiteten Stellen fortfallen [13, 6. 7. 24. 14, 36-38. 18, 10. 12-27. 20, 2 10; ferner das letzte Capitel]: es bleibt so gut wie nichts übrig, und Thomas ist mindestens ebenso wichtig als er. Die Versuche Andreas zu einer selbständigen Figur zu machen sind mißglückt und offensichtlich secundär, von dem 'anderen ludas' [14, 22] zu schweigen [vgl. S. 185] ; der 'Lieblingsjünger' ist eben- falls als Zutat erwiesen [Nachr. 1907, 342 ff.]. Tn den eingeschal- teten Abschiedsreden tritt wohl ab und zu, meist aus synoptischen Parallelen entlehnt, der Apostelberuf der Jünger hervor^): aber eine ausdrückliche ocTtoöroXrj ist dem vierten Evangelium fremd ^). Von den Abschiedsreden abgesehen, spricht lesus nur ganz selten mit ihnen : sein Publicum sind im jetzigen Evangelium die jüdischen Gegner, nicht die Jünger. Dagegen muß ihr Unverstand öfters herhalten um einen Weissagungsbeweis daran zu explicieren ^).

Dies muß man sich vor Augen halten, wenn man an die Analyse der Jüngerwahl im vierten Evangelium herangeht. Man hat von jeher angenommen daß der eine von den beiden lohannes- jüngern die zu lesus übergehn, darum nicht genannt werde, weil in ihm der Lieblingsjünger stecke und dieser als Verfasser des Evangeliums im Dunkel bleiben wolle. Da nun aber die Gestalt des Lieblingsjüngers und ihre Identificierung mit dem Apostel und Evangelisten Johannes zwei verschiedenen Schichten der Bearbei- tung angehören, so könnte erst die jüngste Redaction dies Ver- steckspiel hineingebracht haben: es ist aber nicht nötig das Ver- schweigen des Namens in dieser Weise zu deuten*). Denn umge-

merkwürdig, daß das Bild vom Brode nicht, wie in j.^nen Gebeten, in diesen Ge- dankenkreis mit hineingezogen ist; außerdem wechselt das Publicum 6,41. So yage ich keine sichere Entscheidung.

1) 18, 16 [= Mt. 10, 24. Lc. 6, 40]. 20 [= Mt. 10, 40]. 15, 27. 17, 18. 20. 21. Die Stellen fallen aus dem Zusammenhang der Abschiedsreden heraus, am deut- lichsten 17, 18.20.21, die dem in 17,22.23 ausgesprochenen Gedanken vorgreifen: der Widerspruch liegt darin daß die ältere Ueberarbeitung in 15—17 Jesus zur künftigen Gemeinde reden ließ, die jüngere die 'Apostel' hineinbrachte im Gegen- satz zur Gemeinde [17,20].

2) lieber 4,38 vgl. oben. 8) 2, 22. 12, 16.

4) Auch der 'Lieblingsjünger' hat von dem der ihn erfand, keinen Namen erhalten, vgl. Nachr. 1907, 362. Vortrefflich bemerkt Chrysostomus [t. VIÜ p. 107c]: Tivog ovv tveyisv xai rb xov tregov ovn iyvwQiGsv livo^w, rivtg tpaat-

Aporien im vierten Evangelium IV 515

kehrt ist die Art sonderbar, mit welcher derjenige der genannt wird, Andreas, als Bruder des Simon Petrus eingeführt wird [1,40], ehe dieser in die Handlung eintritt^). Es wird eben vor- ausgesetzt daß jeder Leser weiß wer Petrus ist; diese dem Stil der Evangelien zuwiderlaufende Manier ist immer ein Kennzeichen der Interpolation aus den Synoptikern. Im Folgenden wird ein leidlicher Zusammenhang hergestellt, wenn man in Vs. 43 ri^iXriaev i^sXd-eiv slg xriv raXilaCav ;cat und xal Xeysi axoXovdsi fiot als Zusätze entfernt [vgl. S. 181^ und Blaß p. XIV]: dann wird An- dreas Subject auch zu dem zweiten evqCöxel [1, 43] und TtQcbtov [1,41]^), das jetzt unverständlich ist, erhält seine Beziehung. Bis zum ursprünglichen Evangelium dringt man freilich auf diese Weise nicht vor. Was lesus zu Petrus sagt [1,4'2], ist eine schlechte Copie des berühmten Ausspruchs bei Matthaeus [16,17.18], die nicht einmal direct, sondern durch Vermittlung des Hebraeerevan- geliums zu Stande gekommen zu sein scheint: die unselbständige Einlage verrät sich schon durch das Futurum, das ungeschickt auf

Siä t6 avtbv sivai xov ygäcfovta xbv 'r]v,oXovQriv,6ta [so Theodor von Mopsu- hestia p. 52, 20 ff.] * xivbs 8b ov% ovr©?, äXV ort, i^scvog ovxl t&v sitiariiiaiv r^v. ovdev ovv nXiov tcbv avccynaCav Xeysiv ixQijv' tC yag öcpsXog in tov ^ad'Btv insi- vov ti)v TtQOoriyoQLav, STtsl ovds xcov sßdo^'^yiovta ovo Xsyai tu 6v6[Laxci. Der in der antiochenischen Rhetoren schule gebildete Presbyter kennt das hellenische Stilprincip, mit Eigennamen zu sparen. Den Hellenen würde das Gewimmel von Namen in den historischen Büchern des A. T. oder bei den Geschichtsschreibern des Islam arg barbarisch erschienen sein.

1) Die syrischen Uebersetzer haben die Inconcinnität gefühlt und zu be- seitigen versucht. Die Syr. Sin., von der die Syr. Cur. nur unbedeutend abweicht, schreibt ^(i«%j| oo^o >9^^X2a.; ^o^cl^j joo^ o^:ojl ,gDa«y| ^a«; . w.o^o«JäS.i. >^o^ ;o «^o o^ '♦»jo liOQ- OCH3 -o<Qu*j >(;).\v^a\ )^» d. i. v.a.1 stg i^ insLvav xcöv fta-ö-TjTöv ^loa- dvvov ^AvÖQEccs övo^cc ccvxcbL ' äSsXcpbg Zli^avog, ovxog 6 'Avdqiag bqai SifKova xbv aSsXcpbv avtov sv £v,elv7\l xf}i riiiiqui v,(u Xsysi avxm. Mit dieser Fassung ist die umständliche Vorstellung des Andreas vermieden und das vorangestellte ud£Xq}bg Ztnavog erträglicher geworden, weil es als Apposition in die Erzählung selbst eingefügt ist. Wenn der gescheite Uebersetzer die Apposition adsXcpbg ZC^avog ganz gestrichen und das überlieferte ovxog nicht seinem neugebüdeten Satze accommodirt, sondern es ebenfalls entfernt hätte, wäre eine tadellose Er- zählung herausgekommen, aber so weit wagte der Mann sich von der üeberlie- ferung nicht zu entfernen.

2) Diese Lesart ist durch K^'B bezeugt. Die Syrer lassen es weg, weü sie es nicht verstanden; einige Lateiner setzen es = ngaC mane. D fehlt zu der Stelle. TCQcbxog liest K : das ist wohl nicht Angleichung an ovxog, sondern eine Aenderung, die dem Petrus findenden Andreas lesus der Philippus findet, entgegen- stellt. Die künstliche Erklärung die ich früher [Abhandl. YII 5, 48] von TtQ&tog gegeben habe, stammt noch aus der Zeit in der ich an die Einheit und Ursprüng- lichkeit des vierten Evangeliums glaubte.

36*

516 E. Schwartz

jenen Ausspruch hinweist, und die arge Verschiebung die den Grund weshalb lesus Petrus den Felsen nennt, das Bekenntnis zum Messias^), gar nicht Petrus selbst, sondern Andreas zuweist: wie entwertet ist dies erste Bekenntnis zu Christus im Vergleich zu den Synoptikern! Philippus kommt eben so schlecht weg wie der Apostelfürst: auch wer den überlieferten Zusammenhang von 1,43 für richtig hält, muß sich wundern wie rasch und mager er abgespeist wird. Am breitesten und eigentümlichsten ist die G-eschichte Nathanaels erzählt, den nur das vierte Evangelium kennt ; obgleich er durch diese Einführung besonders ausgezeichnet wird, tritt er später nicht wieder auf; denn 21, 2 zählt nicht. Sein Bekenntnis wird dadurch bewirkt, daß lesus ihm eine Tat- sache mitteilt, die er auf natürlichem Wege nicht erfahren haben konnte: er hat Nathanael unter dem Feigenbaum sitzen sehn, als Philippus ihn herzurief, und sagt ihm dies, ehe Philippus es ihm melden konnte ^). Daran erkennt Nathanael den 'König Israels', d. h. den Messias und bestätigt damit das Lob das lesus ihm beim ersten Sehen zu Teil werden läßt: er ist ein Israelit ohne Falsch, der sich nicht sträubt seinen König anzuerkennen. Das Gegen- stück zu diesem echten Israeliten ist die Samariterin, die lesus als Propheten begrüßt [4, 19], nachdem er ihr gesagt hat wie viel Männer sie gehabt hat und daß sie jetzt eine Concubine ist. Diese scharf und praecis concipierten Geschichten von den aQstaC lesu werden nur verdorben, wenn sie allegorisiert werden: grade weil sie von den Wundern der synoptischen Tradition so völlig ab- weichen, so frisch drauf los fabulieren, sind sie für den Dichter des echten vierten Evangeliums charakteristisch. Er war nicht, wie jetzt behauptet wird, ein schlechter Erzähler, sondern ein aQataXoyog allerbester Art ; daß die Bearbeiter von dem Geschichten- kranz, den er kunstvoll geflochten, nur kümmerliche, zerfetzte Reste übrig gelassen haben, ist nicht seine Schuld. Philippus sitzt in der Geschichte unlöslich fest; er wird damit als eine Figur des echten Evangeliums erwiesen, womit natürlich nicht gesagt

1) Das aramaeische Wort (isaaiag für xQf-^^og ist in der altchristlichen Litteratur verpönt : es kommt im ganzen N. T. nur hier und 4, 25, einer sicher jungen Stelle, vor. Vielleicht geht es hier, ebenso wie Kricp&s für nirgog [Mt. 16, 18], auf das Hebraeerevangelium zurück.

2) Vorzüglich erklärt Chrysostomus [t. VIII p. 1 18»] sC fisv yag stns ii6vov ^ngb tov ^CXinnov iXdsiv ngbs gb sldöv ae, xav vTtoaTttEvd^ mg aixhg cti)thv &neataXy,0Dg nal oidsv fiBycc Xiya>v vvv d\ rwt xov x6nov sinsCv^ v.ad'' ov diitgißs qxovovfisvog nagu tov ^iXinnov, xal rov divdgov ti]v ngoariyogCav xal xfig Sia^ X(^S(os TOV -naiQdVf Scvaii^iGßrjtTiTOv xriv ngoggriaiv ^dsi^ev ovaav.

Aporien im vierten Evangelium IT 517

ist, daß alles was von ihm bericMet wird, echt wäre; am aller- wenigsten können die mageren und confusen Verse 1, 43. 44, durch die Philip pus Bekenntnis [1, 46] nicht motiviert wird, die anschau- lich dargestellte Greschichte einleiten. So bleibt nur diese für das echte Evangelium übrig: 1, 40 44 sind secundär und niemand kann erraten, was und wie viel sie verdrängt haben. Nur ist wohl zu beachten daß das Bild Nathanaels , der ruhig unter dem Feigen- baume sitzt, d. h. das friedliche Leben genießt, wie der alttesta- mentliche Jude es sich wünscht und von dem messianischen Zeit- alter erhofft, und nun plötzlich aus dieser Behäbigkeit hinweg^) zum Jünger berufen wird, in raffiniertem Gregensatz zu dem synop- tischen Bilde von den Fischern erfunden ist, die Jesus von ihren Netzen wegruft : es ist nicht grade wahrscheinlich daß der Dichter des vierten Evangeliums eine schlechte Copie der synoptischen Berufung von Petrus und Andreas neben seine eigene Erfindung setzte. Dagegen ist der Schluß [1, 50. 51] der Geschichte höchst wahrscheinlich ein Zusatz der eine Anspielung auf den Anhang der Yersuchungsgeschichte bei den Synoptikern enthält [Mc. 1, 13. Mt. 4, 11] : wozu kündigt Jesus diese Angelophanie an, wenn gar nichts daraus wird?

Nach dem jetzigen Text sind die ersten beiden Jünger lesu von Johannes zu ihm übergegangen; vielleicht hat Lc. 7, 18 eingewirkt. Die Frage ob dieser sonderbare Zug dem ursprünglichen Evangelium angehört, läßt sich von der anderen, weiter reichenden nicht trennen, wie im vierten Evangelium und seinen Bearbeitungen das Verhältniß lesu zu seinem Vorgänger aufgefaßt ist. In der syn- optischen Ueb erlief er ung sind noch deutliche Spuren davon vor- handen, daß die christliche Urgemeinde eine Concurrentin der älteren Secte der lohannesjünger gewesen ist, von der sie so wichtige Dinge wie das Gremeindegebet [Lc. 11,1. 5,33] und das Wochenfasten [Mc. 2, 18ff. Mt. 9, 14ff. Lc. 5, 33ff.] entlehnte, selbstverständlich erst nach dem Tode lesu, da er zu seinen Leb- zeiten keine Gremeinde gestiftet hat. Daß lesus selbst die lohannes- taufe empfangen hat, darf schon darum nicht bezweifelt werden, weil es den Christen bald sehr anstößig wurde, daß ihr Christus sich der Taufe zur Vergebung der Sünden unterzogen haben

1) Vgl. 3 Reg. 5, 5. Micha 4, 4. Zacharias [3, 10] schüdert die messianische Zeit mit den Worten: jenes Tages, sagt Jahveh Zehaoth, ladet ihr einander ein unter Weinstoch und Feigenbaum: es sieht fast so aus, als protestiere das vierte Evangelium gegen diese Prophezeihung, wenn es Nathanael unter dem Feigen- baum wegrufen läßt, i^^p heißt rufen und einladen.

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sollte ^). Aber er taufte nie ; die christliche Taufe ist erst durch eine Combination der lohannestaufe mit der Proselytentaufe ent- standen ^). Um dieser Entlehnungen willen und weil die That- sache daß lesus dem Ruf des Johannes zur Taufe gefolgt war, sich nicht fortbringen ließ, ist sehr früh Johannes Verkündigung daß der Messias vor der Türe stehe, zu einer Weissagung umge- deutet, die auf lesus zielte: der Täufer selbst hatte den von den Juden erwarteten Messias, der das Grericht bringt, im Sinne gehabt. Freilich sind die Spuren des Ursprünglichen nicht ganz verwischt ^) ; auch ist wohl zu beachten daß die Stelle von dem 'Prediger in der Wüste' bei den Synoptikern außerhalb der Erzählung steht*). Die zweifelnde Anfrage des Täufers, ob lesus 'der sei der da kommen solle' [Mt. 11, 3. Lc. 7, 19], paßt schlecht zu der Rolle eines prophetischen Zeugen für lesus den Messias, und dieser Ver- such ihn mit lesus zusammenzubringen schließt streng genommen die Umdentung seiner Predigt aus. Es mangelt also in der synop- tischen Ueberlieferung nicht an Widersprüchen, aber es sind Wider- sprüche die nicht gegen, sondern für die Ueberlieferung zeugen, weil sie aus der lebendigen Entwicklung herausgewachsen und re- flectirender Kritik oder überlegter Darstellungskunst nicht zum Opfer gefallen sind. Mit den Incongruenzen und Inconcinnitäten des vierten Evangeliums steht es anders: sie sind nicht Flecken und Male einer Tradition, die mit dieser weiter gegeben werden, und haften nicht am Object, sondern an dem schriftstellernden Subject, lösen sich auch nicht durch historische Betrachtung des Geschehenen auf, sondern führen in die Gregensätze hinein, die sich in der den Anfängen schon femstehenden Reflexion und Spe- culation über lesus herausbildeten. Die Behauptung daß Jesus selbst getauft habe [3, 22], ist eine so kühne Negation der Ueber- lieferung, daß die Ueberarbeitung versucht hat sie hinauszu-

1) Vgl. Mt. 3, 14 ff. Hebraeerevangel. 3. Wellhausen, Ev. Mt. 7.

2) Der Gedanke daß durch die Taufe die vor ihr begangenen Sünden ab- gewaschen werden, entstammt der lohannestaufe; dagegen ist der altchristliche Name der Taufe, qxotLafiög, der ursprünglich den Katechumenenunterricht be- zeichnet haben wird, jüdischen Ursprungs; vgl. lustin. dial. 122 p, 351» (die Juden reden) ot) ytgbg xhv vofiov XsyeL %ccl rovg (pari^oiievovg vtc* a-öroiJ; ovxoi Sb daiv OL TtQoariXvtoi. Zu Grunde liegt les. 49, 6, wo Israel die Heidenmission zugewiesen wird.

3) Mt. 3, 11. 12 = Lc. 3, 16. 17. Wellhausen, Ev. Mt. 6.

4) Mc. 1, 1.2 scheint gradezu ein alter Zusatz zu sein; Mt. 3,3. Lc. 3,4 6 sind auch der Form nach eine Anmerkung zum Text. Bekanntlich ist die lesaias- Btelle abgeändert, damit %vqCov [= rilST^] auf lesus bezogen werden kann.

Aporien im vierten Evangelium IV 519

corrigieren ^) : beides spricht vernehmlich dafür daß hier ein Rest des ursprünglichen Evangeliums vorliegt, das die Tradition mit dichterischer Freiheit umgestaltete. An Stelle der schüchternen Versuche der Synoptiker die Zwölf, das Vorstehercollegium der 'Urgemeinde, in die Zeit lesu zurückzuprojicieren , ist hier mit radikaler Vergewaltigung der TJeb erlief erung die Erfindung ge- treten, daß lesus selbst bei Lebzeiten die christliche Gremeinde gestiftet hat: nur das kann der Sinn der von ihm selbst voll- zogenen Taufe sein. Es harmoniert gut dazu, daß diese Gemeinde auch schon eine Kasse hat [12, 5. 13, 29 ; vgl. oben S. 178]. Im jetzigen Evangelium werden der taufende lesus und der taufende Johannes als Concurrenten dargestellt, und man sollte erwarten daß ein Poet der davor nicht zurückschreckte lesus die Taufe seiner Gemeinde zu vindicieren, diese Concurrenz mit kräftigen Strichen zeichnen würde: aber die Erwartung täuscht, wie ge- wöhnlich im vierten Evangelium, und die Erzählung stolpert un- klar und verworren voran, um bald im Sande zu verrinnen; denn die christliche Predigt in die jetzt alles ausläuft [3,31—36], ist kein echter Schluß einer Erzählung [vgl. oben S. 152]. Diese selbst zerfällt in zwei Teile, die schlecht mit einander verbunden sind. Der zweite [3, 26 30] umfaßt ein Gespräch der Johannes- jünger mit ihrem Meister, das in sich zusammenhängt und richtig fortschreitet; Johannes gesteht seine Inferiorität offen ein. Da 3,29 das synoptische Wort Jesu Mc. 2,19. Mt. 9,15. Lc. 5,34 benutzt ist, darf man schließen daß die dortige Rede Jesu über die Johannes] ünger zu einem Gespräch des Johannes mit seinen Jüngern über Jesus umgebildet ist : 3, 29 taucht eine typische Wendung der Johannesbriefe auf [vgl. Nachr. 1907, 364]. Zu dem Gespräch selbst paßt nun aber der einleitende Vers nicht [3, 25] : eyivExo ovv ^YJrrjöLg sk xg)v ftaO'T^röv ^Icodvvov ^stä ^lovöccCov TtsQl xad-aQia^ov. Der Jude tritt überhaupt nicht mehr auf ^), und von

1) 4,2; vgl. S. 119. Es ist auch absichtliche Correctur, wenn die Syr. Sin. 3,22 dLSTQißsv Mal distQißsv ^et avtmv übersetzt; damit wird 4,2 vorbereitet.

2) Die antiken Correcturen suchen die Numeri auszugleichen, indem ent- weder 'lovdcciov in 'lovdaioov verwandelt [K Syr, Cur.] oder sv, rä>v (iccd-riratv 'ladvvov mit ^iA*ci*j ^C5jo»*icJ^JL ^ »^A = <svl> ix tcöv fta-O'rjrcov 'latccvvov [Syr. Sin. Pesch.] übersetzt wird. Das bringt den eigentlichen Anstoß nicht fort ; aber auch die moderne, von großen Philologen vorgeschlagene Vermutung ^lovSaiov in 'Iriaov zu ändern hilft der Stelle nicht auf: warum wird von dem Gespräch nichts berichtet? Es bleibt nach wie vor dabei, daß die Kede der lohannesjünger nur den Erfolg Jesu bei dem Volk, aber nicht die Disputation mit den lohannes- jüngern zur Voraussetzung hat.

520 ^- Schwartz

der Reinigung ist weiter keine Rede. Außerdem widerspricht die Angabe der lohannesjünger daß alle^) jetzt zu lesus giengen und sich von ihm taufen ließen, der Schilderung von Johannes Tätigkeit am Anfang des Abschnitts [3, 23] xal TcaQsyLvovvo xal ißaTttC^ovro: mit Recht hebt Bretschneider [Probabilia 47] hervor, daß der Johannes der 3,21 30 spricht, mit dem Taufen aufhören mußte, sobald lesus selbst angefangen hatte zu taufen. Somit ist das Gespräch 3, 26 30 ein Zusatz des Bearbeiters, der die echte Fortsetzung von 3, 25 verdrängt hat. Es ist aber überhaupt sehr die Frage ob auch in dem ersten Teil des Abschnitts der Täufer Johannes ursprünglich ist. Nach den Synoptikern trat Jesus erst öffentlich auf, als Johannes in den ICerkern des galilaeischen Te- trarchen Antipas verschwunden war [Mc. 1, 14. Mt. 4, 12], und der ausdrückliche Protest des vierten Evangeliums [3, 24] gegen diese Ueberlieferung dürfte demselben Jnterpolator angehören, der auch die übrige Chronologie zu verantworten hat: daß die Erzählung der Synoptiker von der Verhaftung des Johannes ohne Weiteres vorausgesetzt wird, ist ein schwerer Verstoß gegen die Autonomie des Evangeliums und schon darum verdächtig. An das Taufen Jesu schloß sich im ursprünglichen Evangelium eine Disputation zwischen ihm oder seinen Jüngern und einem Juden über 'Reini- gung' : nicht in ^lovdaiov [3, 25] , sondern in 'Icsccwov steckt der Fehler, und die Ortsangabe^) die wir nicht besser identificieren können als einst Euseb [vgl. S. 119], bezieht sich auf das Taufen Jesu, nicht das des Johannes. JJeber 3, 22 vgl. S. 119.

Nach 10,40 taufte Johannes am ö. Ufer des Jordans, in der Peraea ^j. Das hängt mit der Flucht Jesu zusammen , welche zwischen der ersten und zweiten Reise des ursprünglichen Evan- geliums liegt und von der er nach Judaea zurückkehrt: Bethanien lag an der Straße die von Jericho herkam, und auch nach der synoptischen Tradition passierte Jesus auf der letzten Reise nach

1) Daher setzt die Syr. Sin. 3,26 für ndcvxsg ein noXXot.

2) Der Causalsatz otl vdarcc noXXa tjv i%sC ist sonderbar. Er soll jetzt wohl motivieren, daß Johannes nicht mehr [vgl. 10,40] im Jordan tauft, leistet aber nicht was er soll, denn so tief waren die Quellen doch nicht, um wie im Jordan, darin unterzutauchen. Sollte das Sätzchen ursprünglich nur Alvmv = IjW^'P erklären oder ist es aus dem Namen erschlossen?

3) Durch den Zusatz tb nQ&rov ist die Stelle mit 8, 23 verklammert, aber das Folgende zeigt daß es sich um den einen und bestimmten Schauplatz von lohannes Tätigkeit handelt, und der war am unteren Jordan.

Aporien im vierten Evangelium IV. 621

Jerusalem die Peraea^). Weil nun lesus von dem 'Ort in der Peraea, wo Johannes taufte', nach Bethanien reiste [11, 1. 18], hat ein Interpolator, der von der Geographie Palaestinas auch nicht die geringste Vorstellung hatte und 11, 7 ayco^sv etg rr)v ^lovdaCav verkehrt mit Mc. 10, 1. Mt. 19, 1 combinierte, wo die Peraea zu ludaea gerechnet wird, die sinnlose Ortsbezeichnung 1,28 erdacht: tavxa SV Br^d^aviuL iysvsto jtegav tov 'logddvov otcov rjv 6 ^ladvvrjg ßaztiicov, die man weder mit Origenes und der Syra Sin. durch die Conjectur BriQ^aßagcc-) noch durch die Erfindung eines homo- nymen Bethanien, die Origenes unmöglich macht ^), beseitigen soll. Die Erzählung fährt 10, 41 fort : viele kamen zu Jesus und sagten ort ^Icodvvrig iisv ör^^etov STCOLrjösv ovdav, Ttävta ös o(?a sijtev 'lcodvvi]g TtSQl Toi'Tov, dXrid^T] rjv. In dieser Fassung ist der Gregen- satz schief. Er konnte lauten daß Johannes zwar kein Zeichen getan, aber richtig von Jesus prophezeit hätte: dann mußte ^isv bei öYi^elov stehen, und der Name des Johannes durfte nicht wieder- holt werden. Und was soU denn all das sein, das Johannes über Jesus gesagt hatte? Etwa 3,27 36? Wenn die Leute in der Peraea das sofort begriffen, müßten sie von einer singulären Grlaubenskraft gewesen sein. Nach dem Wortlaut erwartet man vielmehr, daß dem ^Icodvvrig ^ev im ersten Gliede im zweiten ein 6v de entspricht: 'Johannes hatte keine Wunderkraft, wohl aber du', oder wie immer man das formulieren will. Weitere Ver- mutungen über das was einst dagestanden hat, sind unzulässig; nur das darf man ahnen daß in der ursprünglichen Fassung das im ersten Glied enthaltene ungünstige Urteil über Johannes durch das zweite nicht wie jetzt abgeschwächt, sondern verstärkt war. Es fehlt nicht an Spuren die in die gleiche Richtung weisen. 5, 32 f. macht Jesus zunächst von dem 'Zeugnis' des Johannes ein großes Wesen*), dann folgen aber merkwürdige Worte [5,35]: exslvog rjv

1) Mc. 10,1.46. Mt. 19,1. 20,29. Lc. 9,52. 17,11 stehen zu 18,35. 19,1 im "Widerspruch, vgl. Wellhausen, Ev. Lc. 46.

2) Origenes [comm. in loh. 6, 204] bezeugt daß Brid-avCai in so gut wie allen Hss. stehe, auch schon von Herakleon gelesen sei. Ob er selbst Brid-aßccga con- jiciert oder es in einer Hs. schon gefunden hat, wofür G%s8bv iv tc&gi roig ccvTLyQdtpoig spricht, sagt er nicht; keinenfalls stammt die Lesung j'Qv J^*:^ in der Syr. Sin. aus ihm, sondern beide sind unabhängig von einander der Tradition gefolgt, die lohannes, wie es nahe lag, an einer Furt des unteren Jordan locali- sirte [Orig. 205] : dsiKwod-ai 8s Xayovai Ttaga TfJL öx^rii tov ^loQÖdvov xk Bt]- d-aßuQcc, evd-cc iötoqovglv xbv 'ladvvriv ßsßccjtTL-nevaL.

3) A. a. 0. dn' ovös ofimvvfiog tfji Bri%-avCai xditog iaxlv nsgl xbv 'logddvriv.

4) Die lahme Correktur 5,34 gehört in die Kategorie der Stellen die ich S. 167 behandelt habe.

522 E. Schwartz

6 Xvxvog 6 xttiö^svog xal (paivav, vfistg dl rid-slrl^ats ayalXiad-rjvm jCQog cjQccv iv rat (pcozl avtov. Auch hier ist der Gegensatz schief: niemand will nur 'zeitweilig' an einer Sache stolze Freude emp- finden, und daß ein Licht brennt und leuchtet, versteht sich von selbst. Dagegen kommt ein passender Sinn sofort heraus, wenn man jtQog coQav ins erste Glied stellt: 'ihr habt euch an lohannes gefreut, obgleich sein Licht nur für eine Weile leuchtete'. Das 'Verlöschen des Lichts' ist ein nicht seltenes alttestamentliches Bild für den Untergang, und Philo stellt mit jüdischer, nicht griechischer Metapher den Leuchter der Sonne entgegen [qu. rer. diuin. her. s. 89] : tov yccQ ^v%^g o^^arog ßgaivtatri ^otga ol xatä tb öcj^a otp^aliioC' xo ^sv yaQ soLxev riXCai^ kvxvovxoig da ovtoi ^sXercjöLv s^aTtTsöd^ai ts xal ößsvvvöd^at. Der Sinn ist deut- lich: 'lohannes ist verloschen wie ein Licht; er war nicht der wahre Prophet, das bin ich'. Damit ist die Position welche die synoptische TJeberlieferung gegenüber dem Täufer einnimmt, wesentlich verschoben : ist er dort aus dem Prediger des jüdischen Messias zu einem Vorläufer des wahren Messias oder zu einem geworden, der mehr ist als ein Prophet, so wird er hier aus- drücklich ausgeschaltet; der Stolz der Juden auf ihn hat sich als eitel erwiesen. Es ist nicht nötig und nicht richtig, hinter dieser veränderten Auffassung Polemik gegen die lohannesjünger zu wittern, die grade an den entscheidenden Stellen des vierten Evangeliums nicht vorkommen und 3, 25, wie schon gesagt, ver- dächtig sind. Das Andenken des Täufers lebte auch in der rein jüdischen Ueberlieferung fort, die eine schwere Niederlage des Herodes Antipas zur Strafe für seine Hinrichtung stempelte {loseph. AI 18, 116 ff.], und die scharfen Urteile des vierten Evan- geliums könnten an und für sich ebenso gut gegen die Hoch- schätzung des Täufers bei den Juden ^) wie gegen die lohannes- jünger gerichtet sein. Tatsächlich streitet es gegen die christliche Tradition, die sich in den Synoptikern niedergeschlagen und Jo- hannes Auftreten an die Spitze des Evangeliums gestellt hatte; diese Verknüpfung wollte das vierte Evangelium als lesu nicht würdig lösen, wie es ihm ja auch die Taufe vindiciert hatte. Die Unebenheiten und Störungen die es verhindern diese Polemik deutlich zu erkennen, sind nachträgliche Correcturen die den Widerspruch gegen die Synoptiker abschwächen sollen: auch diesmal hat die originale Umdichtung des vierten Evangeliums sich gegen die Wucht der Ueberlieferung nicht durchsetzen können.

1) So schon Chrys. t. VIII p. 73».

Aporien im vierten Evangelium IV 523

Wer die Erfindung wagte, daß lesus selbst taufte, und dem entsprechend den Täufer Johannes als eine ephemere Erscheinung hinstellte, der das Ansehn nicht verdiente, dessen er sich bei den Juden erfreute, der kann für das Problem das die überlieferte Taufe Jesu durch Johannes der ältesten Christenheit aufgab, nur die radikale Lösung gefunden haben, daß er diese Taufe strich. Zwar scheint sie im jetzigen Text vorhanden zu sein. Die Er- zählung 1, 19 34 ist dem Anschein nach in drei Abschnitte zer- legt: das Grespräch des lohannes mit den Priestern und Leviten [19—23], dessen Fortsetzung mit den Pharisacern [24 28], und die Taufe am Tage danach [29 34] ; sie entsprechen dem lesaias- citat, das bei den Synoptikern [Mc. 1, 2. Mt. 3, 3. Lc. 3, 4] den Tauf bericht einleitet, der darauf folgenden Rede des lohannes an die Juden [Mc. 1,7.8. Mt. 3,7-12. Lc. 3,7— 17] i) und der Taufe selbst [Mc. 1,9-11. Mt. 3,13—17. Lc. 3,31.22]. Nur ist diese Trichotomie so mangelhaft durchgeführt und widerspricht der Er- zählung selbst derartig, daß es unmöglich ist sie für ursprünglich zu halten: sie ist vielmehr nachträglich eingeflickt um eine not- dürftige Concordanz mit den Synoptikern herzustellen. Obgleich der schlecht stilisierte Satz xal ccns^raX^evoL ri^av sk rav CDa^t- 6aLcov [1, 24 vgl. Mt. 3, 7] andere Unterredner einführt^), also etwas Neues einleiten soll, lauft das Grespräch des ersten Abschnittes ruhig weiter: die Frage der Pharisaeer 1,25 setzt das voraus, was lesus den Priestern und Leviten geantwortet hat. Wollte man annehmen daß die Pharisaeer ja von Anfang an dabei ge- wesen sein könnten und nunmehr die Unterredung weiterführen^),

1) Speziell aus den Synoptikern entlehnt ist 1,26 mit Ausnahme der Worte (leaog vfi&v 6xriv.SL ov vfisig ovk ol'dats. Ich will die Gelegenheit benutzen um einen Irrtum zu verbessern, der mir S. 142 untergelaufen ist: lustin. dial. 88 p. 316« ist einfach eine Combination von Mt. 3, 11 und Lc. 3, 15.

2) Origen. in loann. 6, 49 iydi d' oaov iy. tfig Xi^sag sati GTOxdßaa&ccL^ etTtoiii av xQCtr\v slvai ^aqtvQiav [außer 1, 19 ff. und 1, 15 ff.] xov Ttgbg xovg ccTtoaxaXivxag ano xä>v ^ccqiGaCav Xoyov.

3) Origenes kennt diese Ausrede nicht; er redet deutlich von zwei Sen- dungen [in loann. 6, 50] : 8vo äitoöxoXcu yivovxcci Ttgbg xov ßccTtxLax-^v, fiicc [isv ccTTo ^IsQOGoXviicov vTto 'lovöaLcov nsiiTCovxcov tsQELg y-ccl AsvLxag . . . , sxiga dl ^ccql^ cccCcov cc7to6xeXX6vx(ov xat Tcgbg xrjv ysysviqfisvriv Sc7t6yiQL6iv xotg uqbvöiv v-al ÄEvCxaig inccTtoQovvxav. Er denkt sich also daß die Priester und Leviten mit lohannes Antwort zurückkehrten und nunmehr die Pharisaeer eine neue Gesandtschaft abschickten: auch das hätte natürlich gesagt werden müssen. Von einer ähn- lichen Auffassung geleitet übersetzt die Syra Cur. oj\ ^'♦»Jo oooj ^i^a^oo, als hätten die Juden in Jerusalem eine zweite Gesandtschaft geschickt. Die jüngere, schon Chrysostomus bekannte üeberlieferung der griechischen Hss., die Peschittha

524 E- Schwartz

SO ist zu erwidern daß das etwas deutlicher hatte gesagt werden müssen. lieber die ungebeuerliclie Ortsangabe 1, 28, die offenbar den zweiten Abschnitt abschließen soll, ist schon das Nötige be- merkt; die unmittelbar folgende Einleitung zur Taufe ist in ver- dächtiger Weise aus 1,35.36 wiederholt. Im Taufbericht selbst oder dem was ihn vertreten soll, muß das doppelte xdya ovx riLÖeiv ttvtov um so mehr auffallen, als auch ^AO^oi/ syb iv vöan ßuTtrL^cjv [1, 31] dem auf das zweite xocya ovx iJLÖsiv avrdi/ folgenden 6 Tts^tl^ag ft£ ßantilsiv ev vdazi entspricht und 1, 33^. 34 nur eine Aus- führung von 1, 32 sind. Die Doublette ist von Usener bemerkt [Weihnachtsfest 54 f.]; sein Versuch zwei Erzählungen herauszu- schälen ist allerdings daran gescheitert, daß er nicht alle Schwierig- keiten gesehen hat. Zu denen die ich schon hervorgehoben habe, kommt schließlich noch die Inconcinnität des Anfangs [1, 19] : xal avxYi B6tlv 1] ^ttQtvQCa rov ^lodvvov ' ors dniöxsiXav JtQog ccvtbv oi ^lovdatoL fj 'IsQOöoXviicov IsQstg naX AsvCxag^ Xva sqcot'^öcoölv avtbv '6v Tig sV ] xal G)iioX6yrj6£v xal ovk rjQvt^öato, xal cj^ioXöyrjöEv oti, iyca OVK sl^l 6 XQL6t6g. Ich habe die richtige und notwendige Interpunction wieder eingeführt, die den ersten Satz als eine An- kündigung von der Erzählung absondert, so daß diese, wie es sich gehört, mit dem Temporalsatz beginnt ; die gewöhnliche Auffassung die ors mit dem Demonstrativsatz verbindet, wird schon dadurch widerlegt, daß es dann zum mindesten rjv statt eötC heißen müßte. Nun ist allerdings richtig daß bei correcter Interpunktion der Temporalsatz ohne Apodosis im Sande verläuft; das beweist um so weniger gegen sie, als xal cj^oXoyrjasv xal ovx i]QVTfi6aro xal G)^oX6yri66v ohnehin unsinnig ist; daß in einzelnen Hss. und Ver- sionen das zweite xal a^oloyriasv gestrichen ist, ist Correctur und eine schlechte Correctur. .Denn sie beseitigt nur den einen, sofort in die Augen springenden Fehler der Wiederholung, aber nicht den anderen daß nach dem, durch die Negation des Gegenteils noch besonders hervorgehobenen a^oXöyri^Ev ein positiver, nicht ein negativer Objectsatz verlangt wird ^). Es ist also xal aiioXöyrjösv ort iyco ovx si^l 6 Kgiötög eine Einlage, die die alte Fortsetzung des Satzes mit or« zerstört oder unklar gemacht hat. Auf die Geschmack-

und die Lateiner schieben ot vor &7ts<stalfisvoi> ein um die beiden Gesandtschaften in dne zusammenzuschieben: das ist eine durchsichtige Correctur.

1) Die Syra Cur. übersetzt daher xal wfioXoyriasv xal o^x rjQvi^aaTo mit yojo -jojo. Auch Origenes stößt sich an der negativen Antwort auf die Frage cv zCg ü comm. in Joh. 6, 56. Die Correctoren welche xa/ vor dem zweiten co/io- loyriaBv strichen, sind dem Echten am nächsten gekommen : dadurch wird wenigstens der Temporalsatz richtig abgegrenzt.

Aporien im vierten Evangelium IV 525

losigkeit das von den Christen umgestaltete lesaiascitat, das die Syn- optiker von sich aus der Erzählung einfügen, lohannes direct in den Mund zu legen, will ich nur kurz hinweisen ^). Er kann zu den Juden nicht eher sagen [1, 26] ^eöog v^av ött^xst ov v^stg ovk oidats, als bis ihm bei der Taufe geoiFenbart war, wer dieser Unbekannte war: was er 1, 30ff. erzählt, muß zeitlich dem Gespräch mit den Pharisaeern vorangehen. Dem scheint 1, 29 zu widersprechen; denn daß lohannes lesus zu sich herankommen sieht, klingt so stark an Mt. 3, 13 an: röts TtaQ ayivst ccl 6 ^Ir}6ovg cctco rfig FaXikcciag stiI rbv loQÖccvr}v TtQog rov ^I(occvv7]v tov ßaTtTLöd-fivac vn* avtov, daß der Leser meinen muß, lesus kommt zur Taufe ^). Der Vers ist jedoch mitsammt dem Folgenden verdächtig und vielleicht erst bei der letzten Ueberarbeitung zugesetzt; das ganze Stück 1, 28 30 läßt sich entfernen als ein mißlungener Versuch nach der synop- tischen Ueb erliefe rung die Taufe lesu von der Predigt des Täufers zu trennen. Jene rückt dann um so deutlicher in die Vergangen- heit, und was die Rede des lohannes an Zusammenhang durch die Aussonderung des trennenden Einschiebsels gewinnt, das vermehrt zugleich den schweren Anstoß daß die Taufe nirgendwo deutlich erzählt, sondern nur vorausgesetzt wird. Man soll bei der Epi- phanie des Greistes, die lohannes 1, 32. 33 andeutet und die den wesentlichen Inhalt seines 1, 19 pomphaft angekündigten Zeug- nisses bildet, an die Taufe denken, und alle Interpreten sind dem Wink gehorsam gefolgt: sie hätten sich nur klar machen müssen daß ein volles Verständnis der Stelle nur dann möglich ist, wenn die synoptischen Berichte hinzugezogen werden. Damit ist aber ein stilistisches Grundgesetz der Evangelienschriftstellerei verletzt,

1) Ohne große Mühe läßt sich die Trichotomie beseitigen und ein fort- laufender Text in folgender Weise herstellen: (19) xai avtrj iarlv i] (laQxvQia TOV 'Icodvvov. ots anioxHlav ngog avxov ot 'IovScclol i^ ^IsgoGolvfiav lagstg kccI AsvLtccg i'vcc iQcoti^GcoGLv avxov 'cv xl<s fl'; mccI miioXoyriosv v.a.1 ovv. rjQvqöaxo (sc. xig ^v), (21) TiQcoxriGav avxov 'rt ovv; 'HXiag fl'; xat XiysL 'o^x f^/Ltt'. '6 TtQocprlxrig sl ov ; xal ccTCsxQLd'ri 'ov [das ist nach Mc. 6,15. Lc. 9, 7 f. ge- macht]. (25) yial 7]Q6ixr\6av avxov kul scTtav avxa>L 'rt ovv ßaTtxi^sig, d ov ov% sl 'HXiag ovSs ö ngocp-^xrig^ ; (26) äni:V.QL^ri avxotg 6 'Icadvvrig Xiycov ^^soog vft&v tfrijHft ov ov-K ol'daxs (31) %aycb ovyi i]l8elv avxov, dXX' i'va q)av£Q(üd'fJL xmi 'JoQar]X, diä xovxo rjX&ov eya sv vdaxi ßanxc^cov' [man beachte wie durch die Streichungen Kayo)— avxov in den richtigen Zusammenhang rückt und 8ia xovxo— ßa7txt^(üv zur praecisen Antwort auf die Frage 1, 25 wird], xat ifiagxvQTiosv Io)dvvT]g [jetzt wird die Ankündigung von 1, 19 erfüllt] Xiyoiv ort ts^iaiiat ro 7CV8v(ia "Kaxaßaivov wg Ttsgioxegav e^ ovgavov y.al Sfisivsv in* avxov.

2) Durch die erweiternde Doublette {1, 33. 34 soll vielleicht ifiaQxvQriosv 'Icadvvrig die scharfe Beziehung auf 1, 19 verlieren und so verstanden werden, als sei das Zeugnis bei oder unmittelbar nach der Taufe abgelegt.

526 E. ScTiwartz

wie um so mehr betont werden muß, als die landläufige Exegese grade solche Stilregeln, die keine bequeme Entschuldigung für Inconcinnitäten und Incongruenzen liefern, zu ignorieren gewohnt ist. Jedes echte, nicht durch Correcturen entstellte Evangelium muß gewissermaßen autonom sein ; es kann andere Evangelien be- nutzen, tut es sogar in der Regel, aber es muß sie dann in sich aufnehmen und darf sie nicht einfach voraussetzen.

Die Vermutung daß das ursprüngliche vierte Evangelium die Taufe lesu durch Johannes nicht kannte oder richtiger nicht kennen wollte, hat sich bei eingehender Prüfung des Textes bewährt. Wiederum ist die synoptische TJeb erlief erung später ein- gedrungen und hat die straffe Logik der ursprünglichen Erfin- dungen zerstört. Sie hat dabei eine eigentümliche Form ange- nommen insofern als die Handlung der Taufe vollständig ver- schwindet hinter dem Zeugnis des Johannes,^) das gegen alle Ueberlieferung ins Ungeheure gesteigert ist. Während nach der ältesten Tradition ; die bei Marcus [1,10] und Matthaeus [3,16] noch deutlich erhalten, bei Lucas [3, 21 f.] freilich schon verdunkelt ist, lesus allein den Greist auf sich herabsteigen sieht, wird in der Ueberarbeitung des vierten Evangeliums Johannes zum bewussten Träger dieser Offenbarung; dort ist die Taufe, weil lesus durch sie zum Messias berufen wird, im vollen Sinne der Anfang des Evangeliums, hier bildet sie nur den Rahmen für ein prophetisches Zeugnis das in dem dogmatischen Beweisapparat für lesus Christus eine besonders vornehme Stelle einnimmt; dadurch daß es vor den Juden abgelegt wird, wird die Schuld ihres Unglaubens we- sentlich vermehrt [5,31 33].

Für das Zeugnis des lohannes von lesus ist es, da er den Vorgang bei der Taufe erzählt, nicht nötig daß lesus selbst dabei ist; es wäre sogar für die Erzählung selbst besser, wenn er fehlte, und die Stelle welche ihn am deutlichsten mit dem Täufer zusammenbringt [1,29], ist spätester Zuwachs. Trotzdem scheint die Erinnerung an die Synoptiker so stark gewirkt zu haben, daß lesus doch an die Stelle gebracht ist, 'wo lohannes taufte'. Es ist unnatürlich n86os vnäv 6r)]Kei nicht concret zu verstehen, und wenn sich auch 1, 29 ausscheiden läßt, so doch nicht das Original dazu 1, 35.36, das zugleich die Ueberleitung zur Jünger wähl bildet. Es liegt in der Linie der Auffassung von dem Täufer, die die Bearbeitung im Gegensatze zum ursprünglichen Evangelimn durch-

1) 3, 26 wird nur das Zeugnis, nicht die Taufe erwähnt : op 7]v iibtu öoü Ttiqav xov ^logduvoVf wt t6 (iE^aQrvgri'KaSi l'Ss ovtos ßccnxi'^H.

Äporien im vierten EvaHgelium IV 527

führt, wenn sie ihm eine christliche Metapher, die erst nach lesu Tod Sinn hat, in den Mund legt und diesem Ausspruch eine so wunderbare Wirkung zuschreibt, dass zwei seiner Jünger sofort zu lesus übergehn^). Echt kann dieser sonderbare Einfall nicht sein. Die Geographie geht völlig in die Brüche. Um von 1, 28 abzusehen, muß man sich Johannes am unteren Jordan denken, in der Peraea [3,26. 10,40], nicht weit von Jerusalem [1,19]. Ist es schon sehr sonderbar gesagt daß lesus von dort 'nach Galilaea hinausziehen wollte' [1, 43] , so ist es einfach Unsinn , wenn er jetzt wo er doch von Galilaea weit weg ist, drei Galilaeer aus Bethsaida zu Jüngern gewinnt und 'am dritten Tag' von wo an soll gezählt werden? eine Hochzeit in Kana mitmacht. Hier treibt dieselbe Ignoranz ihr Wesen wie 1,28. Ich kann es auch nicht anders als ungeheuerlich finden daß lesus während er bei lohannes weilt, in der Wüste [1, 23], die Jünger auf ihre Bitte mit in seine Wohnung nimmt. Hatten sich dort Gasthöfe etabliert um die Scharen aufzunehmen, die zu lohannes hinausströmten? Ursprünglich können die Fragen der Jünger und lesu Antwort 1, 38 f. nur gestellt und gegeben sein an dem Ort wo lesus wirklich seinen dauernden Wohnsitz hatte; beide dürften ein Rest der echten Erzählung von der Jüngerwahl sein, der jetzt dadurch un- gereimt geworden ist, daß die Ueberarbeitung die Jüngerwahl mittelbar an den von ihr geschaffenen Ersatz für den Taufbericht anschloß. Hier wirken die Synoptiker, vor allem Marcus [1,16 ff.] nach. Dagegen fehlt die Versuchung, ebenso wie alle Heilungen von Besessenen, und ist nur durch eine schwache Andeutung er- setzt, die an die Jüngerwahl angehängt ist; s. o.

Daß das von Gott eingegebene Zeugnis des lohannes zum dog- matischen Beweis des Christentums gehört, wird im Prolog gra- dezu gesagt [1,6 f.]: iyavsro äv&QCjTCog ccTceöraXuevog Ttagä ^eov^ ovo^ia avxcii 'Icoccwrig' ovtog fjXd^sv elg ^aQxvQiav ^ Iva ^ccQtvQrJ6ric jcsqI xov cpozog^ Iva Ttdvreg 7tL6tev0(ü6 iv öl avrov: das ab- solute Tti(5xEVHv ist zu beachten. Der Gedanke kehrt in gezwun- gener Fassung 5, 34 wieder : 'ihr habt zu lohannes gesandt und er hat für die Wahrheit gezeugt, iyh ös ov nagä äv^Q&Ttov xriv ^agxvQtav ^a^ßdvco, äXXä xavxa Xsyco^ Iva v^stg öad^r^xe , d. h. des Beweises aus dem Zeugnis des lohannes bedarf lesus nicht, da er stärkere Beweise hat, aber die Juden die auf lohannes stolz gewesen sind [s. o.], sollen sich durch ihn überzeugen lassen. Bei

1) Die Syra Cur. sucht wiederum durch ein Targum die Seltsamkeit des Textes abzuschwächen, indem sie vor lös 6 cc^ivos tov dsov einschiebt Ja**jüd jo».

528 E. Schwarfz

Marens , und wenn man die Geburts- und Kindsheitgeschicliten, wie billich, bei Seite lässt, auch bei Matthaeus und Lucas beginnt das Evangelium mit dem Auftreten des Johannes; der Anfang jenes oben ausgeschriebenen Satzes im Prolog des vierten Evan- geliums sieht auch so aus, als sollte er die Erzählung mit Wucht einleiten. Aber schon 1, 7 beginnt das Raisonnement, das auf die Abstraktionen der vorhergehenden Verse zurückläuft, und gar 1,8 wird durch das negative Urteil die Spannung des Lesers enttäuscht. Zwischen 1. 8 und 1, 9 klafft es : denn zu ^v cpag dlr}d'tv6v fehlt das Subjekt, und Johannes verschwindet zunächst. Die Ankündigung 1, 19 xal ccvrrj iözlv i] ^ccQtvQia tov 'Icodwov will den verlorenen Faden wieder aufnehmen ; aber es geht nicht an, sie ohne Weiteres auf 1, 6 ff. zu beziehen , als sollte das dort angedeutete Zeugnis des Täufers nunmehr nachgetragen werden: ein anderes Zeugnis desselben Täufers drängt sich dazwischen, das schon vorher [1, 15] berichtet ist. Um die Verwirrung voll zu machen, erscheint dies Zeugnis noch einmal, in der Erzählung die den Taufbericht der Synoptiker ersetzen soll [1, 30] *). Es sollte einfach zugegeben werden daß das kein ursprünglicber, von einem Schriftsteller ver- fasster Text sein kann. Blaß hat wenigstens das Verdienst, der Schwierigkeit offen ins Auge gesehen zu haben; er wußte nur so zu helfen , daß er 1 , 15 strich. Aber 1 , 16 schließt mit Nichten an 1, 14 an, wenn die älteste und best bezeugte Lesart ort ix TOV TtXrjQcb^iatog avtov rj^slg Tcdvtsg sXccßo^sv beibehalten wird ; daß Blaß die jüngere Correctur xaC aufnehmen muß, um den Zu- sammenhang zwischen 1, 14 und 1, 16 herzustellen, empfiehlt seinen Vorschlag nicht. Das stärkste Gegenargument aber wird durch die Wiederholung 1 , 30 geliefert. Stellt man beide Fassungen nebeneinander :

1,15 1,30

ovtog ^v bv siTtov 6 onCöG) {lov ovxog l6tiv vitsQ oh iya sItcoV iQXOfisvog e^TCQOöd^ev ^ov yeyovev, 6%i6G) ^ov egiaxai dv^Q bg ^/i- otL TtQ&tög [lov Tjv 7tQo6&tv fiov yByovsv, ort TCQ&TOg

flOV ^v

so zeigt sich daß der Spruch 1,30 sprachlich glatter ist, da das anstößige Imperfect ^v in iöti corrigiert ist : dagegen verschlechtert die Angleichung an Mc 1,7 = Lc. 3, 16 igietau 6 löivgorsgog nov dnCöcj fiov den Sinn, indem nunmehr zwischen dem futurischen Sinn von £^;i;£Tat und dem praesentischen Perfect yiyovsv ein Wider-

1) Chrysost. t. VIII p. 72« noXvg iaxiv ovtog 6 i'ixxyyBUariis &v<a xal xaro rbv ^Icadvvriv atg^tpav xal r^v (laQTVQ^av aiytov 7(oXXa%oi nsQitpBQcav.

Aporien im vierten Evangelium IV 529

Spruch entsteht, der nur durch gewundene Deutungen beseitigt werden kann. Das spricht vernehmlich dafür daß diese Fassung eine jüngere Doublette ist, die das in 1,15 vorliegende Original oberflächlich verbessern möchte, und dies Resultat wird ferner dadurch bestätigt , daß 1 , 30 in einer Versreihe vorkommt , die schon oben als jüngster Zusatz erwiesen wurde. Umgekehrt be- weist die Wiederholung, daß 1 , 15 ovr og ^v ov slitov die älteste erreichbare Lesart ist. Das ist darum nicht gleichgiltig, weil die Variante ovtog ^v 6 siTtav durch die erste Hand des Vaticanus, den ältesten Corrector des Sinaiticus und Origenes [Hautsch, de evangeliorum codicibus ürigenianis 38] vortrefflich bezeugt ist und die Construction so stört, daß man versucht wird, den Grrund- satz auf sie anzuwenden, daß die schwerer verständliche Lesart als die überlieferte zu gelten hat. Die Doublette in 1, 30 ver- bietet das und zwingt in 6 elicav eine Correctur zu sehen , die sei es das Imperfect ^v sei es das Zurückgreifen des Johannes auf einen nicht berichteten Ausspruch beseitigen sollte; sie griff wohl ursprünglich weiter und hatte xccl KsxQays Xeycov entfernt. Als dies wieder eindrang und durch omog ^v 6 slnav in unerträglicher Weise von dem Ausspruch selbst getrennt wurde, entstand die dritte im Altertum nachweisbare Lesung: ovrog ^v 6 6%C(Sg3 iiov eQxo^isvog , bg e^TCQOöd'sv ztX.: sie steht im Sinaiticus von erster Hand, und ihr folgen Euseb [de eccles. theol. 1, 20, 30] und Theodor von Mopsuhestia [p. 38, 11 Chab.].

Wie der Ausspruch des Täufers jetzt dasteht, macht er ihn zum Zeugen für die Praeexistenz Christi. Das ist noch sehr viel mehr als die Verwandlung des synoptischen Taufberichts in das Zeugnis des Johannes; es sollte einleuchten daß diese nicht mehr emphatisch als das Zeugnis des Johannes eingeführt werden kann, wenn jenes, das eine viel tiefere Einsicht in die christliche Dog- matik verrät, vorangegangen ist. Der Ausweg 1, 15 zu entfernen ist versperrt; mit einfachen Mitteln ist hier überhaupt nichts zu machen: denn der ganze Vers hält einer scharfen Analyse nicht Stand, er ist das Resultat einer IJeberarbeitung. Um von den Praesentia des Einführungssatzes nicht zu reden, die so aussehen, als sollte nicht ein lebendiges Wort , sondern das Citat aus einer Schrift folgen, so entzieht sich zunächst das Jmperfect ^v der Erklärung, wenn es Johannes in den Mund gelegt wird: man er- wartet ovrog ^v bv sItcsv ^Icoccvvrig, womit ich natürlich nicht be- haupten will daß dies die ursprüngliche Fassung gewesen sein müsse. Das Wort des Täufers endlich selbst bekommt erst dann Sinn und Verstand , wenn der Causalsatz ort TtQ&tög [lov ^v wegge-

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse 1903. Heft 5. 37

530 ^' Schwartz

lassen wird: erst dann treten die beiden Bilder in den rechten Gregensatz zu einander : 'der der hinter mir geht , ist mir voran gekommen'. Nicht aus einem metaphysischen Grunde; ein solcher Gedanke hätte mit 6 ÖTtLöco fiov egxo^evog Tcgatog ^ov rjv leichter und schärfer ausgedrückt werden können; sondern der Täufer will einfach sagen: lesus der später auftrat als ich, hat mir den Erfolg weggenommen, er tauft mehr als ich. Nur auf diese Weise kommt das praesentische Perfect zu seinem Recht, dessen Schwierig- keit die antike Interpretation ehrlich und richtig empfindet, wenn sie eingesteht daß es nur als Perfect der Weissagung verstanden werden kann^). Wenn so die Umdeutung in ein Zeugnis für die Praeexistenz Christi entfernt ist , rückt der Ausspruch des Jo- hannes in Zusammenhänge deren Spuren auch an anderen Stellen aufgedeckt sind und die dem ursprünglichen Evangelium zuzu- schreiben darum nicht zu kühn sein wird , weil sie weit von den Synoptikern abführen. An Stelle der Taufe lesu durch Johannes muß es Aussprüche des Johannes selbst gesetzt haben, in denen er lesus größeren Erfolg selbst zugab : damit sollte der Stolz der Juden auf ihn widerlegt werden. Weiter läßt sich nicht vor- dringen, vor allem nicht ahnen, wie der echte Evangelist die Stellung die Johannes selbst zu Jesus einnahm, geschildert hatte: nur das kann mit einigem Schein angenommen werden daß auch er wie die Synoptiker mit dem Bericht über Johannes das Evangelium begann.

Durch IJeberarbeitung ist auch das was auf das 'Zeugnis' des Johannes 1, 15 folgt, zerstört. Jch habe früher [Nachr. 1907 , 367] mich mit Origenes und Theodor von Mopsuhestia ^) dafür erklärt daß die Rede des Täufers weiter läuft, und kann auch jetzt noch Origenes nicht tadeln, wenn er wegen der Partikel ort diese Inter- pretation für die allein zulässige erklärt [Comm. in Joann. 6, 34] : ävayxalov ös xal ovzcog dieXey^ai 63g ßsßLaönsvriv xal ävaxoXovd^ov xriv Ex8o%riv [die 1, 16 ff. dem Evangelisten giebt]* ndvv yäg ßiaiov oleö^at ai(pviöiov olov ei axaigog dLaxÖTCxeöd^aL zbv vov ßanxLörov Xöyov vnb xov k6yov xov ^a^tjxov, xal navxl xm xal ixcl noöbv äxoveiv

1) Chrysost. t. VIII p. 7G» %al ttcos, q>ri6Cv , d thqX tfjg hcpccvascag rfjs slg Scvd-Qmnovg 7]v xal rrjg iisXXovorig tipEG^ccL Ttap' ccitiov do^rig d Xoyog, t6 firidina xiXog alXricpbg wg '^dri ysysvrifiivov X4yti\ ov yäg eins 'ysvi]a£Tcci\ ccXXa yiyovsv. ort ^Q-og xovxo xotg ngocpriTSvovöLV ava^iv iaxLv cos tisqI ysyevrifiivav TtoXXaxov nsgl x&v (isXX6vx(ov dLuX^ysad-ai. Ebenso Theodor. Mops, p. 39, IG ff.

2) Chrysostomus durfte ich nicht anführen; er sagt t. VIII p. 79» aus- drücklich tb yccQ ix xov 7tXriQ&(iatog a'öxoi) ijfietg nüvxsg iXdßo(i£v oi xov nQOÖQOiiov iaxl (ij(icCf &XXä xov fia^'i^roi».

Aporien im vierten Evangelium IV 531

6v^g)Qcc6S(Dg Xsyo^evcov BTtLöxaiiivcoi, 6aq)£g xb tov slq^ov rfjg XE^sog. Andrerseits muß zugegeben werden daß es unmöglich ist mit ihm und Theodoros rj^etg Ttävtsg auf die alttestamentlichen Propheten zu beziehen, in die sich Johannes d. T. mit einschließt : dem wider- spricht SK TOV 7tXriQ6^atog , da die Offenbarung des A. T. doch eben nicht 'aus der Fülle' ergieng, sondern nur ein Abbild dessen war, das da kommen sollte. Die Worte setzen allerdings den Sinn von 1,14 fort; aber und das muß immer wieder ent- schieden betont werden sie schließen nicht an , und über die widerspenstige Causalpartikel ist nicht hinwegzukommen. Sie ist auch nicht die einzige Schwierigkeit. Das Imperfect sXdßo^sv paßt nur, wenn unter tj^stg die persönlichen Jünger lesu ver- standen werden; dann rückt der Satz auf eine Linie mit der Interpolation [Nachr. 1907, 367] in 1, 14 xal id-eccöd^sd^a xr]v dd|av &>g ^ovoysvovg TtccQa naxQog^ die söxrivcoösv iv rj^itv unzulässig ver- engt : das Gegenbild der exrjvy] des alten Bundes ist das 'neue Volk' , die christliche Gemeinde , nicht nur die welche Jesus mit Augen sahen. Umgekehrt fügt sich der Zusatz von ndvxsg nur dann glatt ein, wenn Vir' die Gemeinde bedeutet, um nicht an den allgemeinen Sinn zu appellieren, der sehr verbessert wird, wenn das 7cXy]Qai^a Christi und seine Gemeinde die sich ent- sprechenden Glieder des Gedankens sind. Das reicht alles hin um eine Ueberarbeitung zu erweisen, die das was sie vorfand, gründlich zerstörte und doch keinen klaren Gedanken zu Wege brachte : weiter vermag ich zunächst wenigstens nicht vorzu- dringen. Dagegen steht fest daß mit xal xccqlv dvxl x^ptrog ein Zusatz eingeleitet wird , der ebenfalls der Ueberarbeitung zuge- schrieben werden kann, keinesfalls aber ursprünglich zu dem Satz gehört hat: denn an das allgemeine Object von sXdßo^sv ^ das wegen sk xov JtXriQa^axog suppliert werden kann , darf nicht mit xac ein bestimmtes angeschlossen werden, und die Uebersetzer die dies xaC häufig weglassen , verraten ein feineres Sprachgefühl als die Interpreten die sich damit abquälen oder darüber schweigen. Warum jetzt die antike Exegese aufgegeben wird, die unter der einen Gnade das Gesetz , unter der anderen lesus Christus ver- stand, sehe ich nicht ein. Wie mich Wellhausen überzeugt hat, wird x^Q^'S ^od «AtjO-ft« hier in einem jüngeren, dogmatisch-christ- lichen Sinne gebraucht als vs. 14, wo es dem alttestamentlichen T\"üi<^ "lOn zum Mindesten sehr ähnlich ist: dort sind es Eigen- schaften des fleischgewordenen Wortes Gottes, hier ist es der Doppelausdruck für ein Concretum, das von Christus der Welt gebrachte Heil. Daß ein und derselbe Schriftsteller zwei so

37*

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wichtige Begriffe kurz hinter einander, ohne jeden Uebergang, in total verschiedener Ausprägung gebraucht haben sollte , ist un- glaublich. Daß der 'Eingeborene' nur in wenigen, jungen Stellen vorkommt, ist früher bemerkt [Nachr. 1907, 364*].

Der Prolog ist schon in der alten Kirche zu einem geheimnis- vollen Tempel geworden, in dem die Dogmatik in philosophischem Pomp thronen sollte. Es liegt mir fern mich in diese Mysterien einzudrängen, die Deutung und Verständnis zugleich heischen und zurückstoßen; mir kommt es lediglich darauf an zu zeigen daß die wirklichen Räthsel anderswo liegen, als da wo die Dogmatik sie sucht. Dabei muß ich freilich voraussetzen daß das Ziel ist zu verstehen was der oder die Verfasser der von den Exegeten zerquälten Verse haben sagen wollen, und nicht etwa loci prohantes für irgend eine Metaphysik ihnen entnommen werden sollen. Auch hier ist es vor allem nötig die Risse und Sprünge des Gredanken- ganges mit rücksichtsloser Schärfe aufzudecken statt allen Scharf- sinn aufzubieten, damit unter allen Umständen irgend ein Sinn herauskommt, auch da wo des Exegeten erste und nächste Auf- gabe ist einzugestehen daß ein Sinn nicht vorhanden ist. Mit 1, 14 setzt wuchtig und paradox der Gredanke ein , der die Ver- kündigung von lesus Christus enthält: Tcal 6 koyog Cccq^ iysvsro xal e0X7]V(o6sv sv ruilv TtXrjQrig x^Qitog Kai älri^'Biag. Das steht gegenüber dem Beginn des Granzen, dem Anfang wo das Wort bei Gott ist und alles erschafft: die nachdrückliche Wiederholung ovxog ^)v SV ccQxfjg itgog xov &e6v zielt wohl auf Prov. 8,30 und will sagen daß die weltschaffende Weisheit zur Seite Gottes eben das Wort [*^1^] war. Störend und verwirrend drängen sich zwischen diese beiden Pole der Speculation über das Wort alle die Stellen, die die Epiphanie des Wortes auf Erden schon vor- aussetzen und damit die Kraft des Satzes lähmen, der 1,14 das Herabsteigen des Wortes in sichtbarer Gestalt als das Neue, als die größte Tat des Wortes die seit der Weltschöpfung geschehen, einführt. Dieser Vorwurf trifft zunächst 1, 11 und 12. 13; ferner 1, 5 Tial (pag ev tfJL ökotCccl (paCvsi xal 17 öxoria avtb ov xaze- Xaßev: die Worte können nur auf Christus bezogen werden, den der Tod nicht überwältigt hat und der in der Gemeinde fortlebt. Auch dem Satz 1 , 9 ^v (man soll ergänzen 6 Xöyog was freilich weit entfernt ist) q)&g rb aXri^Lvov^ o (ptoxClei ndvta av^-ganov igXoyLBvov eig töv KÖöfiov ^) wird nur diese Deutung gerecht , weil

1) Es sollte zugegeben werden daß iQx6fisvov stg rhv ^6afiov nur auf nuvra ävd-Qanov bezogen werden kann: das verlangt die Sprache unbedingt. Die alt-

Aporien im viertea Evangelium IV 533

sie allein den Wechsel von Imperfect und Praesens erklärt: 'das auf Erden erschienene Wort war das wahre Licht das jeden Men- schen der geboren wird [vgl. 16, 21], erleuchtet'. Die Anspielung auf die berühmte Stelle über Israel les. 49, 6 tritt deutlich hervor, und im Gregensatz zu dem jüdischen Sprachgebrauch , nach dem die Proselyten durch das Gresetz erleachtet werden ^)5 nimmt die neue Religion alle Menschen in Anspruch. Es ist an und für sich möglich die folgenden Worte [1, 10] sv rm xöe^coc tjv Tcal 6 xö^^og di" avrov eyevsro xal 6 Koößos ccvrbv ovk Jyva auf das Wort zu beziehen, das vor der Epiphanie Christi in der Welt war, nämlich im Gresetz und den Propheten. Aber die Beziehung ist nicht klar, und sowohl 1,9 wie 1,11 müssen dazu verführen auch hier an das fleischgewordene Wort zu denken; freilich wird dann der Gedankenzusammenhang durch %al 6 koö^os öl ccvtov sysvsto ge- stört. Daß die Stelle über Johannes [1, 6 8] den Zusammenhang unpassend unterbricht, wurde schon gesagt; auch sie versteht unter (pag nichts anderes als den auf Erden erscheinenden Jesus Christus und ist mit Rücksicht auf 1,5 stilisiert, wird also von demselben Urteil wie dieser Vers getroffen.

Damit dürfte der Nachweis geführt sein, daß der Prolog des echten und originalen Zusammenhangs entbehrt. 1, 14 wird das Erscheinen lesu auf Erden als die Epiphanie des göttlichen Wortes hingestellt, trotzdem setzen die Antithesen und Bilder, die vor- hergehen, nicht nur diese Epiphanie, sondern das gesamte Werk lesu mitsamt seiner Gremeinde voraus und überwuchern das ein- fache und kräftige Widerspiel zwischen dem weltschaflenden und dem auf Erden erschienenen Wort. Daß dies Widerspiel ein ge-

kircliliche Exegese hat es auch nicht gewagt dem was nun einmal dasteht, eine unmögliche Deutung aufzuzwingen: zu der, recht unvollständigen, Sammlung der Zeugnisse bei Tischendorf hat Resch [TU 10, 4, 55] Hippol. 5, 9 p. 172, 13 hinzu- gefügt; außerdem können noch angeführt werden Clem. exe. ex Theod. 41. Ter- tuUian. adv. Prax. 12 p. 246, 9 Kroym. und von späteren Äthan, c. Arian. 1, 43. Festbriefe 3 p. 29 Cureton. Erst bei Theodor von Mopsuhestia taucht der Versuch auf, BQxoiisvov auf t6 cpmg zu beziehen ; zu der modernen Erklärung die in uner- hörter Weise i]v und ig^o^srov zusammennimmt, hat auch er sich nicht verstiegen. 1) Vgl. oben S. SIS^ und Philo de fuga et inu. 139. de spec. legg. 1, 288, wo die 'Weisheit' die jüdische JTJ2Dn ist, wie stets bei ihm; leg. alleg. 3, 167 gjco? ipvxfjs TtaiSsLcc [ = "^DIÜ] '■> ^^ opif. mundi 31 aogcctov xojI voritbv (p&g instvo &SLOV Xoyov yeyovsv ftxcbv rov diEQ^rivsvoccvros X7]v yivsGLv ccvtov , der Schwulst bedeutet nichts anderes als daß das Gesetz, die Thora das 'Licht' ist. Sap. Sal. 18, 4 tovg vtovs gov, öl av i](isXXsv rb äcpQ'aQXOv vo^ov tpms tm ccC&vl

534 E. Schwartz

woUtes gewesen ist, verrät die Thatsache daß der Name 6 Xoyog nach 1,1 erst 1,14 wiederkehrt: in den Zwischenstücken ist er durch (p&g verdrängt. Der Uebergang steckt in 1, 4 und soll durch den MittelbegrifF der goij zu Stande kommen, tut es aber nicht. In der zweiten Hälfte des Verses sind zwei periphrastische Bezeichnungen Christi nebeneinander gestellt; das Imperfectum zwingt auch hier an den Christus zu denken^ der auf Erden 'war' : der an und für sich mögliche, echt jüdische Gedanke daß das welt- schaffende Wort dasselbe ist wie das das die Menschen erleuchtet, konnte nicht in die Vergangenheit, sondern nur ins Praesens oder das Futur der Vergangenheit gesetzt werden. Im Anfang des Verses steckt das wirkliche, mit unseren Mitteln nicht zu lösende Räthsel des Prologs. Die Citate die von Tischendorf und Resch [TU 10, 4, 52] in reichlicher Menge , wenn auch nicht vollständig ^) gesammelt sind, lassen keinen Zweifel darüber aufkommen daß die gesamte alte Kirche 1, 3 in der Fassung gelesen hat : ncivta di ccvtov eyevero xal ^captg avtov iyevsvo ovds ev. In der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts hat die Polemik gegen die Pneu- matomachen die Interpunktion aufgebracht, ^) von der nur Lachmann sich zu emancipieren gewagt hat : xal xcoqIs avtov iysveto ovöe sv b yeyovsv. Sie ist falsch ; erst die sich versteinernde Trinitätsdogmatik hat das in der älteren Exegese noch lebendige Sprachgefühl abge- stumpft, das davor warnte das scharf betonte ovde ev vom Ende des Satzes wegzubringen durch einen Zusatz, der an und für sich leer ist und zum mindesten hv yeyovsv hätte lauten müssen^).

1) Wichtig ist ein heidnisches Zeugnis, das des Neuplatonikers Amelius bei Eus. PE 11, 19, 1 tial ovtog ccqcc t]v 6 X6yo£ v.a^' ov ia\ övta yivofisvcc iyC- vsTO , ag av v.ccl 6 'HgatiXeLrog Sc^imaeisv, y-ccl vi] dC ov 6 ßägßaQog cc^lol iv xfji xfig &QXVS rä^SL ts v.aX cc^lccl Ha&iatri'iiotcc Ttgbg &sbv sivai -nal &s6v slvat' dt' ov 7tdv&^ änXüg ysyevfjö&ai ' iv cot tb yevo^svov ^mv -aal ^(üi}v kccI ov Ttecpvn^'vat, xal slg ta G&yLccta TCiTttsiv nal oägv-a ivSvad^svov cpavtd^saQ'ai avd-Qconov xt/1.

2) Vgl. vor allem Chrysost. t. VlII p. 35» oi yäg di] xt]v xsXsCav axiyiiriv x&t oiSe 8v iTtid^-^aofiev yiaxä xovg aiQBXL-novg' 1-hhvoi ya^» ßovX6[i£voL xb Tcvsv^a nxiaxbv elnsLVf (pccalv oysyovsvivavx&L, ^wrj ^v: daß so zu interpungicren ist, lehrt die folgende Auseinandersetzung, vgl. namentlich p. 35* sl 8h i] ^ai] 6 Xöyosy 3 Se yiyovEv iv avrooi, ^ai} tJv, ccbxbg iv ccvx&l nal dt' eavxov yiyovs yiaxcc xr]v ScväyvcoaLv xavxriv und p. 3Ge bI yccg xb cp&g xb &XTid'ivbv ö vt6g iaxiy xb dh q)mg xovxo ^(ari ^v, r} öh ^ojtj y^yovBv iv avx&i, dvdyKri nccaa xovxo GvvEVixQ-fjvai xara xriv itisCvaiv ccvccyvaxsiv. Theodor von Mopsuhestia erwähnt außerdem noch die Lesung [p. 26, 19 ff.] : %cö(>ts a'bxov iyivsxo oifSs 'iv o ytyovEv iv avzüi : sie ist na- türlich ebenso verkehrt wie cbSe 'iv o yiyovEv, verrät aber eine richtige Empfindung dafür daß man wohl sagen konnte 'der Logos war Lebend aber nicht 'in ihm' oder 'durch ihn war Leben'.

3) Der Sprachgebrauch von o^dl «ff und oidl %v lä6t sich in der Komoedie

Aporien im vierten Evangelium IV 535

"Wenn die neueren Exegeten sicli darauf berufen daß ö yiyovsv iv avtm ^a)Y) ijv sicli nicht deuten läßt, ist dagegen zu bemerken daß aucb SV avxCbi ^coii r^v schief und nichtssagend ist und der Sprung von dem weltschaffenden Wort auf das in der "Welt erschienene Licht der Menschen nach wie vor bleibt : es wird also durch die sprachwidrige Interpunktion nach o yiyovsv nichts gewonnen. Allerdings wird jeder der die Versuche der jüngeren Yalentinianer, des Clemens und Origenes u. a. mit den "Worten ö yiyovsv h av- tcot ^(DYi Yiv fertig zu werden vorurteilslos durchmustert, durch eben diese Versuche bestätigt finden , was er sich von vornherein hat sagen müssen : daß die Worte sich nicht befriedigend erklären lassen und auch die alte bis ins zweite Jahrhundert zurücklau- fende Conjeetur die wegen yiyovsv rjv in iörcv änderte, vergeblich war. Es hilft kein Drehen und Wenden: hier hat ein Ueberar- beiter einem überlieferten Wortlaut einen neuen Sinn aufzwingen wollen, indem er ihn teilweise änderte und teilweise stehen ließ, und es ist aussichtslos das Ursprüngliche wiedergewinnen zu wollen. Nur unsicher läßt sich ahnen was der TJeberarbeiter meinte , da er seine eigenen Worte mit fremden vermischt hat: ich möchte glauben daß die Deutung bei Clem. exe. ex Theod. 19 dem Rich- tigen am nächsten kommt ^).

verfolgen; ich bringe folgende Stellen zusammen: Krates 14. Kratinos 302, Aristoph. Frö. 928. Plut. 138. 1115. 1182. Plat. 52. Theopomp. 14. Antiphan. 85. Eubulos 9. Nikostratos 30. Amphis 20. 44. Anaxilas 22. Aristophon 3. 9. 10. Alexis 25. 27. 48. 110. 125. 146. 219. 220. Klearchos 3. Dionysios 5. 7. Xenar- chos 7. Philemon 4, 11. 71. 91. 97. 117. 123. 134. Diphilos 71. 94. Menander 2a(i. 140. 'Enitg. 69. 99. 193. 243. 307. 516. nsQi%. 59. frg. 4. 51. 65. 130. 169. 418. 466. 535. 547. 571. 746. Apollodor 6. Philippides 16. Hegesippos 1. 2. Euphron 12. Baton 2. Straton 1. Poliochos 1. ine. 108. 189. Dazu kommen ein paar Stellen aus Herondas erstem Gedicht [43. 45. 48]. Wer die Stellen durch- sieht, wird finden daß ovds ev sehr häufig am Ende des Satzes oder Satzteiles steht, dagegen sehr selten einen Relativsatz neben sich hat und diesen stets in der Form daß das Relativpronomen im partitiven Genitiv des Plurals steht: Amphis 20 firids 'ev nliov av ßovXstcci, ÖQav. Philemon 123 = Strat. 1 ovds %v 03V av liyriL 6vvCr\iiv. Etwas anders ist Philemon 117 ovv. sar^ ovds sIs ai ^rj Y.av,6v XI yiyovEv.

1) XBV.VOV tov iv tavxoxriti loyov 6 öcorrjQ sl'Qritai * Siä tovto sv ccQXV f- 7iv 6 X6yog xal 6 Xoyog rj v Ttgbg tbv d'sov o yiyovsv iv avtoa, ^at] satLV, ^(oi] Se 6 ytvQLog. xal 6 Uccvlog [Eph. 4,24] evdvacci tbv -Aaivbv a.vQ'Q (üitov tbv KccTcc d'sbv -KViod' svtcc, OLOV stg ccvtbv TtLötsvöov tbv vTcb tov &80V v.atcc d-Eov, tbv iv ds&L Xoyov, v,tia%-ivtcc. Er versteht: 'Jesus Christus = ^(ori ist durch den Logos geworden,' und das ist allerdings die Deutung die am nächsten liegt. Es stört nur das Neutrum und daß Christus hier unmittelbar und unvermittelt nach der Weltschöpfung eingeführt wird.

536 E. Schwartz

Ans diesen Tatsachen läßt sich so viel schließen daß die Identi- fication des weltschaffenden Wortes mit lesns Christus nicht erst durch die letzte Ueberarbeitung in das vierte Evangelium ge- kommen ist; eine andere Frage ist ob sie dem ursprünglichen Evangelium angehört. Es hilft nicht weiter, daß in der übel zu- gerichteten Stelle 4, 37 der Logos noch einmal vorzukommen scheint , und 10, 35 wird grade auf lesus der Name nicht oder wenigstens nicht ausdrücklich übertragen, so daß auch diese Stelle sich nach keiner Seite hin verwenden läßt. Doch verdient es Be- achtung daß der Interpolator des ersten lohannesbriefs den Aus- druck koyog nur als Citat braucht und daß ferner die gesamten Abschiedsreden, die zum größten Theil der Ueberarbeitung ange- hören, mit dem Namen nicht operieren, während umgekehrt der Prolog, von den erweislich jungen Stellen 1,14 und 1,18 abge- sehen, nicht von Sohn und Vater redet: daß Xoyog und vlös corre- late Begriffe sind, muß dem Text des vierten Evangeliums wie er nun einmal geworden ist, untergelegt werden. Es nimmt dieser Beobachtung nichts an Grewicht, daß die dazu nötigen Mittelbe- griffe leicht und zwanglos aus der jüdischen Speculation entnommen werden können, und sie legt die Vermutung nahe, daß allerdings der ursprüngliche Evangelist an Stelle des Jesus den die Taufe durch Johannes zum Messias machte, das fleisehgewordene Wort setzte, dessen aQStai zu erzählen er unternahm.

Wie dem auch sein möge, die Tatsache bleibt von größter Bedeutung , daß an der Spitze eines kanonisch gewordenen Evan- geliums ein Begriff stand, der zu metaphysischen Constructionen direct herausforderte und denn auch wirklich das Tor geworden ist, durch das die philosophierende Dogmatik in die Kirche einzog. So bereitwillig ich zugebe daß diese Dogmatik große Anleihen bei der griechischen Philosophie gemacht hat und daß die Ausdeu- tungen des Logos unendlich viel Hellenisches enthalten, um so energischer muß ich dagegen protestieren, daß der Name und Be- griff selbst aus der griechischen Metaphysik hergeleitet wird: er ist und bleibt im Kern und Wesen jüdisch. Im vierten Evan- gelium heißt Xöyog Wort und nicht Denken oder Vernunft; das hält der spätere Interpolator noch fest^): das Wort hat die Welt geschaffen, wie in der Weisheit Salomonis ^) , und es war bei Grott

1) Vgl. mit 1 loh. 1,1 tov Xdyov tijg ^afjg 6, 63 (rjliara a iym XsXd- Xri%a vfi,iv, Ttvsviid iariv xal ^a-q iariv.

2) 9, 1 6 TCOLTJoae ndvxa iv X6ym cov. Daneben, nach den Proverbien,9, 9 ftcra aov ii oo(fCa rj dövCu tu iQya cov nccl nagoiicu ots inoietg xbv 'K6ciioVf xat

Aporien im vierten Evangelium IV 537

wie die Weisheit der Proverbieii; die Speculation ist in eclit jüdischer Weise aus der Exegese erwachsen, durch Combination von Gren. 1 und Proverb. 8. Kein griechischer Philosoph konnte auf den Gedanken verfallen daß das Denken Fleisch wurde , er würde auch nie den Ausdruck 6ccq^ eysvsto gebraucht haben um die Epiphanie des Göttlichen zu bezeichnen ; dem Juden der ge- wohnt war das 'Wort des Herrn' als eine lebendige Eealität zu empfinden, dem das Gresetz und die Propheten als Reden Jahvehs galten, lag der Grlaube an eine leibliche Erscheinung dieser Kraft Gottes durchaus nicht fern.

Man hat versucht den alexandrinischen Eabbiner Philo zu einem griechischen Philosophen zu stempeln , der den Logos des vierten Evangeliums aus der hellenischen Speculation hergeholt habe , und man hat , in dem richtigen Gefühl daß jener flache Schwätzer es nicht verdient zum Träger eines der bedeutungs- vollsten Processe in der Geistesgeschichte erhoben zu werden, zwischen dem philonischen und johanneischen Logos eine Scheide- wand aufrichten wollen. Beides ist verkehrt. Der Logos Philons und des vierten Evangeliums ist der Herkunft nach derselbe, wenn auch die schließliche Prägung des Begriffs bei beiden verschieden ist ; aber die Herkunft ist nicht die stoische oder platonische oder irgend eine griechische Philosophie, sondern die jüdische specula- tive Exegese. Das muß besonders für Philo sehr bestimmt be- hauptet werden. Aus dem Talmud läßt sich freilich der Beweis nicht oder doch nur sehr partiell führen; denn der Talmud lehrt nun einmal für das vorhadrianische Judentum blutwenig, weil er die hellenischen Bildungselemente denen gegenüber das Judentum des 1. nachchristlichen Jahrhunderts noch weitherzig war, ab- sichtlich ausstößt: wer aber auch nur mit so geringer Kenntnis des A. T. wie ich sie besitze , Philo selbst liest und sich um die Darstellungen seines 'Systems' nicht kümmert, der ist über die Fülle der Berührungen und Beziehungen überrascht, die Philo mit den späteren Teilen des A. T. verbinden. Von griechischen Philo- sophemen findet sich nur Einzelnes , das aus dem Zusammenhang gerissen ist; die Fetzen platonischer, stoischer, neupythagoreischer, skeptischer Doctrin, so wertvolles sie ab und zu erhalten haben, widerstehen hartnäckig dem Versuch sie zu einer einheitlichen Lehre zusammenzuordnen. Kratzt man aber die philosophische Tünche ab, entschließt man sich in den griechischen Termini nichts

iTtiatafievT) xC ccgsarbv iv öcp&ccXfiOLg cov -aal xi svd'es ^v ivxoXaig 6ov : die Weis- heit ist zugleich ethische und kosmische Potenz.

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anderes als die dünne Hülle zu sehen, durch die die jüdischen Vorstellungen durchschimmern, dann schwinden die Widersprüche und Ungereimtheiten und das Bild des Juden tritt hervor , dem alle Philosophie doch nur eins von den Mitteln ist, das Gesetz zu commentieren oder als höchste ethische Offenbarung zu preisen. Philo ist der charakteristische Typus des Rabbiners der mit seiner philosophischen Bildung prunkt, aber beileibe auf die Rolle nicht verzichten will, der gesetzestreue Lehrer der Gemeinde zu sein: von einer Aufklärung die das Ritualgesetz auflöst , will er nichts wissen, weil das dem Ansehn bei der Gemeinde schadet ^), und die Renegaten die das Gesetz und den Glauben an den Vorzug des auserwählten Volkes bestreiten, ^) verfolgt er mit demselben Eifer wie ein orthodoxer Sadducaeer. Von dem Vorrang seines Volkes denkt er sehr hoch: es ist von Gott eingesetzt als Hoherpriester der für alle Völker betet um Segen und Gnade ^) : die Fürbitte der Synagoge für den Kaiser schimmert durch. Ihm ist auch die richtige Deutung des 'Gerechten' auf Israel^) keineswegs unbe- kannt; trotz aller Spiritualisierung melden sich in de praemiis et poenis [163 ff.] die Hoffnungen des Deuterojesaias auf eine Wieder- vereinigung der 'Zerstreuten' deutlich an , und der echte Jude verrät sich in dem Gedanken des unerbittlichen Gerichts, das den ungerecht Bedrückten hilft, ^) in der Lehre vom 'Rest der Frommen^,

1) De migr. Abrah. 89 stoL tiveg ot tovg qritovg vofiovg cvfißoXa vo7]x&v nQCcy[idx(ov v7toXa(ißdvovrsg tu [ihv ayav rjnQißcooav, rav dl QUid-v^ag mliyrngriöccv ' ovg iiBfitpaCfiriv av fyays Tfjg EvxBQBiag. bSbl yccQ ccfi^otegcov iTti^sXrid^fivcii, ^riti^' asas rs tmv Sc(pavä)V ccyiQLßsorBQccg %al raniBiag t&v cpavBQ&v avBTttXrinxov. . . . 90 6 LBQog Xoyog SiddayiBi, XQriüxfig vnoXriipBcog TtBcpQOvxLHBvccL xal (iridBv x&v iv xotg t^Böi XvBiv, a d-BOTtiaioi tial (iBi^ovg dvÖQBg ?) v.ced'' Tjfta? mgiaar ... 93 ccXXä XQV TCfVTa [ibv üm^axL Boiv-ivui vofii^fiv, ij^vxfjt, Sb iKtcrcc ' cÖgubq ovv Gm- ftaros, iTtBiSr} ipvxfig iaxiv olttog, Ttgovorixiov, ovxm -nal xäv Qr]x&v vofiav IniyLB- XrixBov ' (fvXaxxo^Bvav yccQ xovxcov dgidriXoxBQOv kSckbivu yvcoQia&^aBxat, mv bIciv ovxoL öviißoXa, ngbg x&i v,al xäg &7t6 x ibv tcoXX&v ^BfitpBig nal -kccxti- yoglag &7t od iSgaa-nB iv.

2) Vgl. de confus. ling. 2. qu. rer. diuin. her. s. 81. de mut. nom. 60.

3) De Abrah. 98 og [Abraham] ovn ^^ibXXbv ÖXiyav Scgid^^bv vt&v . . yBvv&v, &XX' oXov Bd-vog xal id^vibv xb d'BocptXBaxaxov o fiOL douBt xijv vtiIq Ttavxbg &v- d-Qa)7t(ov yivovg tBQoaavvriv %al TtgotprixBiav XaxBiv. Vit. Moys. 1, 149. Vgl. Ps. 71 (72).

4) De praem. et poen. 125 yiB(paXr]v fiiv xov dv^gartBiov yhovg BOBG&aC <priai xbv anovSttiov stx b av S q a b tx b Xa 6v.

5) De migr, Abr. 225 oi) yccg igrifiCa ys t&v ßori9'Tiü6vxa)v xotg nccgaonov- dovfiBvoig iaxLV, &XXä xav oi(ovxai xivBg ^ olriaovxai (i6voVf ScTtBXByx^VOOvxuL dh TÄt Bgycai ipBvSoSo^ovvxBg. ^axiv ydg, ?axiv i^ (iioojtSvrigog xai ScfiB^Xtiixog xal ddiKOviiBvoav dgcaybg itnagccCxrixog dCuri.

Aporien im vierten Evangelium IV 539

um deren willen Grott seine G-nade auch den Unwürdigen schenkt ^). Die Vergeltung auf Erden ist ein Problem dem kein Jude aus dem Wege gehn konnte; und wenn es bei Philo auftaucht^), so ist es ein Symptom dafür daß er trotz aller angelernten Philo- sophie doch Jude geblieben ist. Eindringlich schärft er die Pflicht des Dankgebetes ein, das zugleich das Bekenntnis zu dem einen Grott ist, der Himmel und Erde geschaffen und dem der Mensch alles verdankt ^) : wer sich selbst und seine Vernunft für die Ursache der Werte hält, alles für eigenen Besitz und nicht für Grottes Eigentum erklärt, ist ein arger Sünder ^) ; er wird nicht müde vor (piXavtia und olri^ig auf das eindringlichste zu warnen ^). Man erkennt welch centrale Stellung für das Judentum ausserhalb Jerusalems das dankende Bekenntnis zu Grott dem Schöpfer ge-

1) De special, leg. 2, 47 mit deutlichem Anklang an les. 42, 3. de sacrif. Abel et Cain 124. de migr. Abr. 124.

2) De special, leg. 1,313 f. de gig. 56 ^rcog sl-aog iöoxQovLovg eIvccl rovg vTtccLTLOvs [die Sünder] tm navaocpcoi ytal TtQOcprJTriL ; de opif. mundi 80 f.

3) De plant. 126 SKccGTri fiev ys t&v ccQsrmv iati XQfjiia ayiov, Bv%ccQi6tCa 8e vTtsgßuXXovTcos ' ^saL 8s ovn i'vsari yrriGicog EvxccQißrf]6ai öl ' wv vofii^ovOLV ot noXXol ■ncctccG'nsv&v ccvad-ri(idtcov %-v6iSiV . . . ccXXa. dC inaLvcov xat v^vcov : die darauf folgende Parabel ist echt jüdisch, de agr. 172. de somn. 2, 268. de sobr. 58. qu. d. s. imm. 7 tlvl sv%aqi6trixiov aXXan nXj]v &£a)L\ de migr. Abr. 25. Man beachte besonders den universalen Inhalt der EvxaqiGxCcc, de spec. leg. 1,210 f. qu. d. s. immut. 107. leg. alleg. 3, 78. svxaqiGxBiv EloiioXoyst6%-ai = Gott be- kennen leg. alleg. 1,82. 2,95. de ebr. 117 tiiiTiaai TtgsTtovrag tb ov [= T\^'n^] 8lcc tov 6ccq)eaTaTcc m^oXoyri'asvcii oxi d&QOv saxLv ccvxov xods xb nav. Ygl. Sap. Salom, 8, 21 yvovg oxi ovv, aXXoig bgo^ch iyzgux-^g, iäv [ir] 6 d'sbg 8m, xal xovxo S'tjv (pQ0vri6E(ag xb siSsvcct xCvog rj x^Q'-?- lÖ, 28 8eL cpd'dvsLv xbv ^Xiov sn sv-

XCCQlÖXtaV 60V.

4) De opif. mundi 169 b8sl xb xav av&'QmTtcov yevog, sl xrjv &q[i6xtov6ccv BfisXXE SCuriv vTCo^EvEiv, r}cpccvi6&cii 8LCi xT]v Ttgbg xbv EVEQyExr\v yiaX acoxiiqa &Ebv ccxaQiaxLav. de sacrif. Abel, et Cain 2. 54. leg. all. 3, 30 f., wo die Gottlosen in epikureischen Formeln reden, de poster. Cain 36 ist der mißverstandene Satz des Protagoras hineingezogen, de somn. 1, 244 ^dxatog oaxLg firj Q'e&i, cxriXtiv avaxC^riGLv, aU' euvx&i. de agr. 171. de poster. Cain 115. 175. de Cherub. 64 f. 71. leg. all. 3, 195. de fuga et inu. 199.

5) De congr. erud. grat. 130 at {ipvxcd) . . . ^aviiä^ovaai xbv 8i86vxa yta-nbv (ii'yiöxov, q)iXavxiccv, ayuQ-m xeXelcoi,, &£06£ßELai, Siad-ovvxai. de posterit. Cain 21. de agr. 173 8Lä cpiXavxiccv . . . ovx vTtofievovöL xbv (piXoSagov yiccl xeXe6(p6qov &Ebv cci'xiov ccTtocpTjvcci x&v dyccd-äv. de conf. ling. 128. qu. deter. pot. ins. sol. 32 if. paraphrasiert die Raisonnements die das A. T. den Gottlosen in den Mund legt; Philo gleicht sie den Sophisten, was nicht täuschen darf, vgl. auch leg. alleg. 3, 231. de migr. Abr. 74. leg. all. 1, 49 (pCXavxog kccI aQ-sog b vovg oCofiEvog i'aog Etvai Q'E&i. oi'riGLg de Cher. 57. de spec. legg. 1, 10. de poster. Cain. 46 xatr' ccQExfig tfjXov [d. h. aus Frömmigkeit] cxiXXovxEg savxovg dnb oiSovarig o^asa^.

540 Schwartz

Wonnen hat. Es ist das öv^ißoXov in dem sich die Juden aller Orten zusammenfinden, das ihnen bis zu einem gewissen Grade den Tempelcultus ersetzt, und die Kirche ist auch darin die Erbin der jüdischen Gemeinde, daß sie bei ihrer Gemeindefeier der Eucha- ristie die bevorzugte Stelle einräumt, die dem Ganzen den Namen gibt; im Dankgebet der Meßliturgie lebt der echtjüdische Brauch fort bis auf den heutigen Tag. So sehr übrigens der Alexan- driner Cultus und Tempel spiritualisiert : ihm ist doch der Hohe- priester, der Vertreter der Theokratie, die höchste Erscheinung des Heiligen auf Erden ^); zu der sinnlichen Pracht des Lobge- sangs den lesus Sirach auf den Gesalbten Israels anstimmt, kann er sich aus inneren und äußeren Gründen freilich nicht mehr er- heben, aber bei den Allegorien mit denen er den Hohenpriester umkleidet, kommt es mindestens ebenso auf die exceptionelle Stellung an, die er ihm durch jene anweist, als auf die Deutungen selbst.

Machtens die Worte allein, so könnte man schon versucht sein Philos ethische Begriffe aus der hellenistischen Philosophie herzuleiten: er redet oft von svdai^ovi'a und aQStaC, die vier Tugenden der Stoiker mit ihren Definitionen, die aXoyoi og^av = Tccid-ri, die seit dem 5. Jahrh. v. Chr. in Umlauf befindlichen Sche- mata der Erziehungslehre, (pvöig ccöxrjeig ^dd"r}6ig, und vieles andere machen sich breit genug. Wer sich durch diesen Flitter nicht blenden läßt und schärfer zusieht, merkt bald, daß das alles nur oberflächlicher Bildungsstolz ist ; im Grunde rührt sich , immer wieder durchbrechend, die Moral des Judentums. Gelegentlich liegt stoisches und jüdisches dicht nebeneinander ^) , so daß man sieht wie der Rabbi unorganisch die angelernte griechische Defi- nition auf das Jüdische draufgeleimt hat; es fehlt aber auch nicht an Stellen, wo eine Summe reinjüdischer Moralgebote ^) zusammen-

1) De somn. 2, 185 ff. de fuga et inu. 108.

2) Als Beispiel möge genügen leg. alleg. 1, 87 6cnovs(ir]ri')ti] t&v xar a^i'av iötlv ^ dinaioavvT] xal rfVaxrai o^xe ytara xbv liaxriyoQOv o^xs xaros xbv anoXo- yovtiEvov, ScXXcc -kuxcc xbv diyiaax^v. utaTceg ovv 6 ÖLyiaaxrjg o^xs vi-nfioaC xivag TCQO'^iQrixai, 0^X8 noXifiTjauL tiai xai. ivavxKod^fjvai , yvmfiriv öh cc7tocpTivcc(ievog ßQaßsvsi xb 8C%aioVy ovrw? 17 dinaioavvri oiÖEvbg ovaa ccvxCdinog änoviyiti xb xdr &ziav ituHaxat, ngäyiiaxL. Die stoische Definition die wie gewöhnlich auf ältere schon im 4. Jahrb. nachweisbare Anschauungen zurückläuft, ist hier zu der jüdischen Auffassung verdreht, die bei der Gerechtigkeit immer an den Richter, uämlich Gott denkt: in dem Schlußsatz kann Gott einfach für ÖL-KaioavvTi ein- gesetzt werden.

3) De post. Cain 181 xmag yovimv, iTtifieXsiav yvyaixos, naCScov <iyö)yag, jjpijactff djÄf/A^TTOVs oUsxav [les. Sir. 7, 20 ff.], knixQonr]v oUiagy noXeag [d.h.

Aporien im vierten Evangelium IV 541

geordnet ist: ja die Art wie der fromme Jude sich in der Welt benehmen soll, weiß Philo ähnlich wie lesus Sirach zu schildern *) ; es war offenbar ein stehendes Thema der Weisheitslehrer. Frömmig- keit und Nächstenliebe zu coordinieren ist jüdisch, wie das Al- mosen -), das bei Philo nicht fehlt ; der Unterschied freiwilliger und unfreiwilliger Sünden^) ist ein Problem der jüdischen Ge- rechtigkeit , die immer nack der Rechtfertigung vor Grott strebt, sowie Buße und Umkehr kein griechisches Moralgebot ist, am aller- wenigsten wenn sie das Correlat zur göttlichen Gnade ist*), Es liegt weit von jeder hellenistischen, auch von der platonischen Ethik ab, die svösßsLa für die vornehmste und erste Tugend^) zu erklären, und Philo bestimmt die svöai^ovca ^), für die er das Wort

der Gemeinde] TtgocraGLav, ßsßaLojGiv vo^av, qpvAaxrjv i&av , ttjv ngog TtQEoßvri- Qovs aidco, X7]v TtQos tovg tsvsXsvTij'noTag svcpri^LCCv [les. Sir. 7, 23. 8, 7], ti]v ngog rovg ^cüvvag ^oivcoviav, ti]v Ttgog &slov iv Xoyoig xal tgyoig svGsßsLuv. Aehn- lich qu. d. s. immut. 17. de mut. nom. 40. 226 ; vgl. auch de ebr. 17 ff. [Eltern- liebe, Almosen, Erfüllung des Ritualgesetzes].

1) De fuga et inuent. 29 ff., ein Stück das von Philos sonstigen ethischen Auseinandersetzungen sehr absticht, aber echt jüdische Anschauungen aufweist; vgl. les. Sir. 14,13. 29,1. 10. 34, 16 ff. 25 ff.

2) De Abr. 208 r^s avriig (pvGsmg iariv svGsßf] ts sIvul v.cn (piXdvQ^Qa'itov. Ueber Almosen vgl. außer den S. 540^ angeführten Stellen de agr. 90 5iv «x tfig ot'A.Cag LTtTcav ^hv ccyUcii Kcctevaxri^svcov ccsl nqo^QXOvxai, ccvd-gmjtcov ds snoiievcov ovds Big BQdvov slg STtccvoQd^aaiv evSsCctg^ ov daQsäv slg TCBQiovaCav svQiß'nofisvog. Philo braucht iXsri^oavvri aus Gründen des Stils nicht, sondern ersetzt es durch tgavog, dagscc, xaqtXBaO'aL.

3) De opif. mundi 128. de sacrif. Abel et Cain 48. quod det. pot. ins. sol. 97. qu. d. s. imm. 128. de conf. ling. 178.

4) De somn. 2, 292 ccAoXav.svxai v.a,l ccdB-Adatan XQV^dfisvoi 6V(ißov?.(ot fisra- voiai, xriv tXsco xov övxog [== niiT^] Svva^iv s^sviieviadfisvot nccXivoÖLCcig avxl ßsß-qXcav isgatg, ccfivriGxiciv svqt^govxui, navxsXf]. 1, 91. qu. det. pot. ins. sol. 95. Cherub. 2. leg. alleg. 3,211. de post. Cain. 178. leg. all. 3,106 dsiTivvvxog xov tsQOv Xoyov oxL ovde xotg cciiaqxdvovGiv BvQ^vg ini^Biaiv 6 ^«o?, ccXXcc dtdaat %q6vov Big (iBxdvoiav. Echt.jüdisch auch qu. det. pot. ins. sol. 146 i-nBXBvaiifv [das phi- lonische Wort für 'beten'] ovv xov d^Bov ot cvvBidriGBi x&v ot-nBLav ccdL-iirifidxoiv iXByxofisvoL yioXdoKL ^äXXov fjnäg t) nagBivai.

5) De opif. mundi 154 xrjv p,Byi6xriv x&v dQBx&v &B06BßBiccv. de Abr. 60 i^Btvog xoLvvv BvGBßBiag, ccQBxiig '^^'S ccvaxdxfo yiccl fiByiaxTig, ^riXaxr^g ysvoiisvog ianovdaGBv BTtBG&at O'fcot nal 7iaTa7t£Ld'r]g Bivai xoig 7CQ06tccxTO[iBvoig vn' avxoVj eine den Griechen gänzlichj fremde Bestimmung der BvoBßBia. Cherub. 107 xb öovXbvblv d^BcäL fiByLOTov u^xw^- ^^ sacrif. Abel et Cain 37 ist der stoische Ttovog auf die niJl'' tli^ THIÜ = ^BQccTtBicc xov &bov bezogen, und das jüdische , Gefallen vor Gott' geschmacklos mit der stoischen Tugend combiniert: ttjv ngög Q'sbv '/.aX ccQBxriv ccQB'aKBiav.

6) De poster. Cain 12. 185 ^bov xi^av yial xijg XsLxovQyiag avxov nsQii- XBoO^cci' nriyj] yccQ Bvdainovtug xal ßiov fiaHQattovog i]Sb. qu. d. s. immut. 118 cct

542 E. Schwartz

der hellenisti sehen Philosophie entlehnt, nicht gemäß dieser , son- dern nach Deuteron. 30, 20. Gottesfurcht und Grottvertrauen, das als Grlaube und als Hoffnung erscheint '), sind alttestamentliche Tugenden, die in dem stoischen niva^ ccqstcjv keinen Platz haben, aber darum nicht weggelassen werden dürfen, wenn von der philonischen Ethik eine richtige Vorstellung gegeben werden soll. In der griechischen Philosophie ist es seit den Rationalisten des vierten Jahrhunderts Brauch geworden die Postulate und Con- flicte der Ethik auf die Figur des Weisen zu projicieren, die ur- sprünglich wenigstens ein paedagogisches, nicht ein philosophisches Ideal war ; mit anderem stoischen Inventar hat der alexandrinische Rabbiner auch den öocpog übernommen, ihm aber doch einen Rock angezogen, der von dem XQißav des Originals recht verschieden ist. Eines stoischen Weisen Sache wäre die Buße nicht gewesen ^), und wenn die hellenistische Thesis d avvTtagxTov rj 6oq)ia , von Philo bejaht wird, weil es keinen sündlosen Menschen gebe^), so würde diese Motivierung von keinem griechischen Philosophen ac- ceptiert sein: schon der Ausdruck avvjtaLTiog paßt nur auf den jüdischen Gerechtigkeitsbegriff. Es ist deutlich der 6og)6g zum Frommen geworden, und sein stoischer Gegensatz, der c<(pQ(ov, zum Gottlosen*): im A. T. sind Torheit und der ethische Un-

7CQ0£LQri(i£vat, agstciL, xo av&Qconov [= Xoyiyiovl slvai^ xh di-naiov slvai, xb xi- Xsiov ilvaiy xb &8äit. svccgsaxf^Gui onsg ineLdr} xat xBXsünraxov fiv xal Zqos xijg cc-KQag svdai[iovLCig , icp' anuGiv [= zuletzt] ü'Q7\xaL. de opif. 172 wer sich zum Monotheismus bekennt, fiuKagiccv v.al svdcci'fiovcc ^arjv ßi(o6sxaL 86yfia6Lv [d.h. den Geboten] svGsßsiag y.ccl ooioxrixog %ccQcc%%^Btg. Die Gotteskindschaft erscheint de sobr. 56 ö ^xav xbv v.Itjqov xovxov tvequv Öqojv ccv&Qanivi^g Evöamoviccg 7iQosX't]Xv9'S ' fiovog yuQ svysvrjg uxs Q'sbv iTtiysyQccfifiEvog naxsga nal ysyovoig elanoirixbg avTÄi liovog vioff, vgl. Sap. Sal. 2, 13. 16. 18. 5, 5.

1) De plant. 88. 92. de poster. Cain 26. de Abr. 7. 268. qu. det. pot. ins. sol. 138. leg. all. 3,228. de conf. ling. 31. de migr. Abr. 43. 132.

2) De fuga et inuent. 157 xb (isv (iriSev cciiuqxslv I'Slov &£ov ^ xb ds fisxcc- voitv aotpov.

3) De mut. nom. 36 ovxl "ncel (ibxqi- vvv xmv cpiXocotpiai xsxsXsaiiivav slai rivBg, OL XiyovGiv 6c.vv7tciqv.xov bivul cocpiav, insiSi] v.al xbv aotpov; ^riösva yccQ Sc7t ScQxfig ccv&Q(o7toiv yBvscsiog äxQi xov itagovxog ßi'ov xara xb nuvxBXBg &w- naCxLOv vo^iia&fivaL' hccI yuQ ädvvccxov bIvccl &v8qI Q-vr\xiüi cdifiaxL ivSBÖBfiBvov Big unav B'bduiiLovfjßai, [vgl. Sap. Sal. 9, 15]. Zum Sprachgebrauch von vnccixiog und &vvnaCxiog vgl. de opif. mundi 151. qu. det. pot. ins. sol. 97. de gig: 56. de somn. 2, 73. qu. d. s. immut. 61.

4) De conf. ling. 162. 196 f. de Cher. 121. de conf. ling. 119 xbv xQÖnov x&v &(p{}6v(üv Siaavviaxriaiv, dl naixoi [iByioxav ini-KQBiiaiiBvav cöx &d'qX(og ScXX* i% xov (puvBQOv noXXcLv.i.g xlikoqi&v ScSl-kbiv ofiag oiv. 6-iivov6i. qu. d. 8. imm. 68. de post. Cain 179 Q'BotpiXrig bvxV . . ^v ovöbvI x&v atpQovav f^BCxt. Tcoiijaaad'ai,

Aporien im vierten Evangelium IV 543

glaube an Gott der theoretisclie steht überhaupt dort nicht zur Discussion identische BegriiFe. Das will beherzigt sein, wenn die philonische öo^ia richtig verstanden werden soll : sie ist nüDn und n^n, das moralische^) Wissen von Grott, seiner Einzig- keit, seiner Allmacht und seinen Geboten und keine theoretische Wissenschaft im griechischen oder modernen Sinne.

Freilich sucht man nach den D^Tcn der Psalmen bei Philo vergeblich; von deren Hoffnung und Verzweiflung, von der Qual und dem Jauchzen dieses Glaubens an den Gott Israels weiß seine flache Seele so wenig wie sie je den Freiheitsstolz der hellenischen Philosophen im Kern begriifen hat. Es ist ganz richtig: obgleich in manchen philonischen Schilderungen der alttestamentliche \^ und 2^tJ^ unschwer zu erkennen sind^), ist ihm, im Ganzen ge- nommen, der jüdische Gegensatz der Frommen und Gottlosen zu der aus der stoischen Ethik entlehnten Antinomie von Vernunft und Lust geworden und damit aus der Gemeinde und dem Volk in die Seele des Einzelnen verlegt. Der platonisierende Dualismus zwischen Geist und Materie, der bei Philo neben jener Antinomie herläuft, wirkt ebenfalls dahin daß ihm sowohl jener aus der Ge- schichte Israels und der Juden hervorgewachsene Gegensatz wie der damit organisch verbundene zwischen dem gedrückten Volke Gottes und der triumphierenden Weltmacht zu psychologischen Trivialitäten verdampfen. Und doch wäre es ein folgenschwerer Irrtum, wollte man die Formen die er seiner Predigt von der Flucht aus dem Gewordenen zum Seienden, von der Unterdrückung der Leidenschaften gegeben hat, für die These verwerten, daß die griechische Philosophie in der philonischen Ethik des Judentums Herr geworden sei. Weltflucht und Apathie sind ihm nicht das

rrjv l'diov 7]8ovj]v avxo fiovor &riQCö(i8vcov, xk S'aXXa TtXaxvv ysldixci ^ccl %Xivriv voni^ovxav: das sind die Qi^b der Psalmen.

1) De poster. Cain 136 wird cocp^a dsov mit 6 ccQsxris Xoyog identificicrt und der oi'riaig, dem eitlen Vertrauen des Menschen auf sich selbst, entgegenge- stellt, de mut. nom. 2G0 xi]v ovqccviov oocpLccv, rjv avoj&sv tTttTCi^nsi xatg i'fiSQOv ccQsx^g ixovocctg ipvxcci^s o (pQovi^öscog svd^riviccv v,ul 8vsxT]Qtav txiav. Das 'Suchen Gottes' ist die Hauptsache, und dieses 'Suchen' wird rein moralisch gefaßt: leg. all. 3, 47 eI t^xiig Q'eov^ m SidvoLUy B^BX%'ov6a ccnh eavxfjg avu^rixei . . . . sl ds ^i^xov6cc svQi]6£Lg dsov, adjiXov . . . i^ccgyiSL fisvtOL Ttgbg ^exovglccv ccyccQ'oiV xal tpiXbv xo ^rixELv [Lovov asl yaq ut inl Y-aXcc oQficcl "nav xov xtXovg ccxvx(ö6ij xovg XQOiiiivovg 7tQOEV(pQaCvov6iv.

2) Qu. det. pot. ins. sol. 34. de mut. nom. 103. de conf. ling. 48. 117. qu. rer. diu. her. s. 201 dicaiQLvavxog . . . xov ^socptXovg xolg oöCovg, dt ^iöciv cc^svS&g, unb t&v ccvoct'av, oV xsd-vrjyiaaL nqbg ccX'^&siccv, Xoyia^iav.

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absolute Ziel, das um seiner selbst willen anzustreben ist, sondern sie laufen am letzten Ende auf die ^BQCLTCEia ^eov hinaus'), auf die n'^n'i ri^ r'Tiö des A. T., und ihr Lohn ist nicht die hellenische evdai^ovCa, sondern die Ekstase die im Gebet mit Grott verkehrt und von ihm Offenbarungen empfängt''^). Damit werden die Be- rufe des Leviten und Propheten^) von Philo in ideale Höhen

1) Wie die jüdischen und stoischen Moralpraedicate zusammengekoppelt werden, zeigt z. B. qu. rer. diu. her. s. 203 vnb tov (piXoTtccd-ovg %al äd-iov rb iy-agcctlg kul ^socpiXeg ysvog ovyiir si'aas 8Loayis6&cii., wo noch die Verfolgung der Frommen durch die Gottlosen, ein typischer Zug des jüdischen Empfindens, hin- zukommt, leg. alleg. 3,212 6 a&sog Kai (fi.X7]dovog rgonog. de gig. 43 yi.aXbv fir} XiTtotwuryaui, ^sv tf]g tov d'sov td^scog . . ., ccvTO^oXf]aaL ds ngbg xriv ävuv- ÖQOv xorl 7isyiXaa(iiv7iv rjdov^v. de migr. Abr. 21 t6 i[i7iaL^SLv ini&v^Lotv xal Tcdvtcov TtaQ-av ccfistQicag, rb (poßsLcd-ai tbv &£6v. de congr. erud. gr. 80 cpi- XoaocpLa f-yv-gätudv [iev yaotgogj syv.Qdt£iccv 8s t&v ^srä yaöTsga, iynQccTSiccv 8s v,al yXmttrig ccva8iSäGv.si. xavta Xsystca ^sv slvai 8i avrcc aiQStd^ öSfivorSQa 8h (paCvoiv ccv, s C &SOV tL(irjs nal agsa-nsiccg svs-ku i^tiT tiS svoito. de ebr. 69 oacc oUsia kccI cpCXa ti]L 6aQ-AC, dnov,67ttov6i [die Priester] xfig 8iavoCag sav- x&v, svTtQsntg slvai vo^i^ovxsg xoig %SQansvxaig xov fiovov aocpov ysvrioo^svoig Tcdvxav 06a ysvsaiv siX7i%sv, dXXoxQiovßQ^ai 'Aal näaLV ojg s^^goig "Aal 8vafi£vs6- xdtoig nQ06q)SQsa&ai, vgl. de somn. 1,218. leg. alleg. 3,11 XQStg ^aiQovg, co '^vxVi xovtsaxL xbv xqi^sqfj %q6vov GvfiTtavxa ificpavi^g icsl yCvov &sm, fir} xb Q-fjXv atc9-7}xbv nd&og scpsX-AO\isvri, ccXXu xbv ccv8qslov Kai KagxsQi'ag dGtiriTrjv Xoyie- libv iy.d^v{iL(ö6a : das dreimalige Erscheinen vor Jahveh, d. h. die drei Jahresfeste sind ein Dienst Gottes und dieser Dienst wird zur Apathie spiritualisiert. Vgl. auch de somn. 1, 232 xoig doomdxoig v.al &SQa7tsvtQLCLv avxov ipvxaig : die Attribute be- dingen sich gegenseitig. Gottes Gnade ist nötig um sich vom Irdischen loslösen zu können: de ebr. 145 dvsv d'siag x^gitog dfL'qxavov rj Xntoxav.xi]Gai xa Q'VJixa ^ xotg dcpd^dQxotg asl nagafistvai. leg. alleg. 3, 136 8si: xbv vtcsq ScQSxf]g novov fi^ suvxfjL "jtQOßdysLv xr\v ipvxriv, dXX' d(psXsLv dcp' savxfjg xal ^sül ccvsvsynstv, 6(io- Xoyovauv oxl ovx V i(>X'"S avxijg ov8s i] 8vvaiiig nsQLSitOL7]üS xb %aX6v , dXXä 6 %al xbv SQcoxa x^Qi^occt^^vog.

2) Vgl. leg. all. 3, 42 ff. ; die Exegese der dort angeführten Stellen faßt die Ekstase als die Ekstase des Gebets.

3) Qu. rer. diuin. her. s. 259 navxl cccxslol 7tQ0(pi]xstav 6 tsgbg Xoyog [Gen. 20, 7] iiaqxvgsi' TtQocprixrig yciq 1'8lov (isv ov8lv drcocpd'syysxai, ccXXoxgia 8s ndvxa vnrixovvxog txsgov qpavAcoi 8'' oi) &t^ig sgiirivsL ysvsaQ^ai 9sov^ moxs yivgitog Hox^rigbg 0'{}8slg iv&ovciai, ^6vai 8s GotfCa xavx' ^(pagfioxxsi, insl xal (lovog ögyavov dsov iaxiv , rix^tov y,gov6iisvov yial nXrixxofisvov dogdxiog vn* a'btoü. Vgl. auch ebenda 69. Sehr viel häufiger spricht er von den Leviten, den 'Dienern' und 'Betern'; die Levitenstädte sind ein Sinnbild der Weltflucht, die wiederum

dem heiligen Dienst gleichgesetzt wird, de sacr. Abel et Cain 120 ^sgunsCag 6 Asvi iaxl GTiiisiov ... 6 KSXQ^lliBvog dgsxfjt xtXsiai Asvi . . . xi)g 8s xsXsiöxritog 8siyiia Ivugyiaxaxov ngoGtpvya ysvsG&ai ^sov %axuXi,'3i6vxa xijv x&v iv ysviasi TCgayyLuxsiav, qu. det. pot. ins. sol. 02 xotg xug yvwyiag tsgaxdxoig AsvCxaig . . . Siv . . TiX^gog . . , (lövog d^LOXQic^g b 87i(iiovgyügj tat TtgoanscpsvyuGiv t-ntxai yvijGioi, yiu] ^sgdnovvsg uItoü yiv6(ievoi, xb €piXo8sanoxov 8iä xf/g Gvvexovg vnrigsGiug

Aporien im vierten Evangelium IV 545

hinaufgeschraubt, jener noch mehr als dieser, obgleich man er- warten sollte daß dem von der individualistischen Philosophie des Hellenismus inficierten Rabbi die auf der Persönlichkeit ruhende Prophetie näher lag als der Stand der Leviten; es ist derselbe innere Widerspruch wie der daß er das Judentum als höchste Philosophie glorificiert und doch nie im eigentlichen Sinne Propa- ganda für das jüdische Gresetz treibt. Wer Philo in die Gre- schichte der griechischen Philosophie einreiht, vermag mit diesen Widersprüchen nicht fertig zu werden; vom Boden des Judentums aus gesehen, lösen sie sich leicht und einfach auf. Zwischen der das jüdische Leben beherrschenden Hoffnung auf eine Zukunft die des auserwählten Volkes würdig sei, und den realen Verhält- nissen in denen die Juden unter der directen oder indirecten römischen Herrschaft leben mußten, bestand eine ungeheure Span- nung, mit der jedes jüdische Empfinden in irgend einer Weise fertig zu werden genötigt war. Es muß in Alexandrien Kreise gegeben haben, die diese Spannung so zu lösen suchten, daß sie die Formen und Riten der nationalen Religion streng festhielten, aber die Leiden und Schmerzen der zugleich nationalen und reli- giösen Hoffnung dadurch los wurden, daß sie den Inhalt der über- lieferten Religion aus der den Juden feindlichen Welt in das spirituelle Gebiet transponierten. Als Hebel dienten ihnen viel- fach philosophische Formeln, die überall bereit lagen; die philo- sophierende Allegorie ist in Wahrheit nicht aus dem Bestreben entsprungen irgend eine philosophische Lehre mit der Bibel aus- zugleichen, sondern aus dem Sehnen und Trachten jene Spannung zwischen religiöser Hoffnung und geschichtlicher Wirklichkeit auf- zulösen, die an und für sich die von Tempel und Cultus entfernt wohnenden Juden der Zerstreuung noch stärker mitnehmen mußte als die Palaestiner und Jerusalemer, denen der Schein der Theo- kratie immer noch sinnlich vor Augen stand. Daß nicht nur hellenistische Philosopheme , sondern auch orientalische, bis jetzt nicht sicher zu fassende Theosophien bei dieser Spiritualisierung mitgeholfen haben, soll, solange das Mittel nicht als Ursache an-

xal T^ff T&v ijtiTQanevrav ocov,vordtrig iytiSsiKVvusvoi (pvXccni'ig. de fug. et inu. 88 slg rag ccnovsfirid-siaccg Aevitaig [lövoig n6Xug (psvysiv Sis^gritca iidvv ngoarj- novrag- aal yccg ot AsvLtccL tgoTtov rtva givyddsg eIgiv, 8vsv.a ccgsönsiccg d'sov yovsig Tiul rs-Kva -iiccl Scd£Xq)ovg xat nccGuv rr^v &'vritr]v üvyysvsiccv ditoXslontorsg. Diesen idealen Levitenstand fand Philo verwirklicht bei den jüdischen Asketen in der Nähe Alexandriens, die er daher auch ^sgccTtevtccL und hirai nennt. Er schloß sich ihnen nicht an, weil die alexandrinische Judenschaft ihn nicht losließ, de special, legg. 3, 1 ff. Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. PhUolog.-bist. Klasse. 190S. Heft 5. 38

546 ^- Schwartz

gesehen wird, gerne zugegeben werden. Specifiscli jüdiscli ist nun wiederum, daß dieser eben geschilderte Proceß sich nicht so sehr in den Individuen als in Gremeinden oder richtiger Conventikeln vollzog, wie in jenen Therapeuten, deren Schilderung bei Philo den Modernen darum so anstößig und sonderbar erscheint, weil sie von dem Irrtum nicht loskommen in Philo einen individuellen philosophischen Denker zu sehen. Man braucht nur die Schilde- rung des Paschafestes der Therapeuten zu lesen um sofort zu be- greifen daß es sich um eine jüdische Sondergemeinde handelt; daß in diesem Conventikel die Thora spiritualis tisch ausgelegt, die dem damaligen Judentum keineswegs fremde Askese hochgesteigert wurde, ist nichts wunderbares, sobald man die Schilderungen die das N. T. und losephus von den palaestinischen Juden geben, nicht generalisiert und sich der aus Philo zu gewinnenden Erkenntnis nicht verschließt, daß es in der alexandrinischen Judenschaft Kreise gab, die in eigentümlicher, aber doch immerhin noch jüdischer Weise ihr religiöses Leben gestalteten. Aus diesen Kreisen stammt der philonische Spiritualismus. Mögen immerhin seine Kenntnisse der hellenistischen Schulphilosophie etwas gründlicher sein als die der Therapeuten, mag diese nähere Verbindung mit dem Griechen- tum ihn zum Schriftsteller gemacht haben die ganze Denk- weise ist nicht sein persönliches Eigentum, und er hat für sie nicht einmal einen besonders tiefen und kräftigen Ausdruck ge- funden. Weil sie einem Conventikel angehört, pflegt sie keinen Individualismus, fühlen sich die Therapeuten den Leviten näher als den Propheten ; über dem weltfremden Spiritualismus ist ihnen der Eifer abhanden gekommen das Licht des Gesetzes in der Welt zu verbreiten und so der nationalen Hoffnung Israels zu dienen: sie wollen diese Hoffnung ja nicht mehr haben.

Nachdem der Boden geschildert ist, auf dem die philonischen oder richtiger die von Philo zu Papier gebrachten Exegesen der Thora gewachsen sind, kann die Betrachtung sich dem viel be- rufenen Logos und seinem Wesen und Ursprung zuwenden ohne von vorne herein auf einen falschen Weg zu geraten: es wird jetzt einleuchten daß es verkehrt ist bei der Analyse dieses Be- griffs vom Griechischen auszugehen und das Jüdische zu ignorieren. Die Speculationen über die göttlichen Kräfte sind nicht aus einer philososophischen Theologie hervorgegangen, sondern aus der Superstition des späteren Judentums, die den Gottesnamen nicht in den Mund zu nehmen wagte: Gott hat keinen Namen, sondern nur seine Kräfte^), und es entspricht dem schwankenden Wesen

1) De mut. nom. 11 tJv ovv &yi6Xov&ov rb iiriS' övo^tcc nvQiov iyti(pri(iia9^fjvai

Aporien im vierten Evangelium IV 547

dieser Kräfte daß sie zahlreiche Namen tragen^) und in keiner Weise von einander abgegrenzt sind. Im Grunde sind es eben immer Manifestationen Gottes von ebenso unendlicher Mannigfaltig- keit, wie seine Allmacht unendlich und unbegrenzt ist. Wie in der jüdischen Speculation ^)5 werden auch bei Philo die Kräfte der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit auf verschiedene Namen Gottes zurückgeführt und wenn er einmaP) die ^vi^^ri, das Ge- denken Gottes die Kraft nennt, aus der das Dankgebet und das Loblied Gottes hervorgehen, so wird das erst verständlich, wenn man bedenkt daß die Späteren den 'Namen seiner Heiligkeit' [ütä ItJ'lp] mit dem *i"Ülp ^DT identificieren : das 'Gedenken' haftet am

SvvkgQ-ul x&i övtL TtQog ccX7]d'SLccv. leg. alleg. 3, 207 SiKorag ovSslg ö(ivv6L kcct^ uvTOv, oti ys ov Ttsgl xfig cpvascog avxov diayv&vat, dvvcctai, &XX' ccya'jt7\x6v, säv <xara> xov övo^ccxog avxov dvvrid'ä>}isv, OTtsg r]v xov eQ(iriv8cog Xoyov ovxog yag rj^äiv x&v axsX&v av sl'r] &s6g, xStv da aocpöbv xal xbXbCcov d Tcq&xog. de plant. 86 cci . . . TtQoaQtjöSig xäg tvsqI xb 6v i[iq)ccLvov6L dwccfieig. Daß die ganze Lehre von den göttlichen Kräften keine philosophische, aus Schlüssen aufgebaute Theorie, sondern superstitiöse Theosophie ist, verrät sich in der Heimlichkeit mit der Philo sie umgiebt: de sacr. Ab. et Cain 60 KS-nQvcpd-aL dsc xov lsqov Ttsgl xov ccysv^xov accl x&v dvvd^sav avxov ^vaxriv Xoyov, iitsl dsLcov TtaQaytaxa&T^Y.riv OQyLcav ov navxog iaxi q)vXd^aL. 131 aidsrai ds xig >ial xoiovxog iv ccTtOQQi^xoLg Xoyog, ov d-noaLg TtgeoßvTSQcov TcaQav.axaxC^EöQ'ai %Qr] vscdXSQcov mxa iTticpQcc^avxag: es folgt die Lehre von der wohltätigen und der strafenden Kraft, die unmittelbar mit den Namen Gottes zusammenhängt, s. u. De Cher. 27 behauptet Philo gar, diese Lehre durch persönliche Offenbarung erhalten zu haben, obgleich er sie sicher schon überkommen hat.

1) De somn. 2, 254 x&v TtoXvcavoiicov xov övxog Svvd^sav. de conf. ling. 146 xov TtQcoxoyovov avxov Xoyov, xov ayyeXcav TTQEGßvxaxov, cbg av dgxdyysXov, no- Xvcovv[Lov vTtdgxovxa ' v.ui yap dqxri xal övo^a d'sov -aal Xoyog xal 6 %ar' slv,6va dvd-Qconog Kai 6 dgöbv, ^lagariX, TtQoaayoQSvsrai. leg. alleg. 1, 43 xr]v (iSxdgaLOv tial ovgdvLov cocpiav TtoXXoLg övoiiaßL TtoXvcovv^ov ovßav dsd'qXcoy.s nal yäg ägX^v Kai SLKova v.al ogaaiv ^sov x£xZ7j%£ : vgl. leg. all. 2, 86 rj aocpca xov &£ov , . . ^v dyigav v.aX TtgoaxLöxriv h^iEv dno x&v iavxov dvvdfiscov.

2) Vgl. Siegfried, Philo 213 f. Das Buch giebt, so ungeschickt es disponiert und geschrieben ist, eine sehr viel richtigere Vorstellung von dem philonischen Denken als der straff aufgebaute Abriß Zellers III 2, 385 ff.

3) Philo erzählt de plant. 127 f. die jüdische Parabel von der Entstehung der Psalmen zum Lobe des Schöpfers und schließt sie mit den Worten: x6 ndfi- Hovoov %al v^vaidov dvacpavfjvaL ysvog sk [iiäg dtj x&v nsgl avxov öwdybEmv Ttagd-^vov fivrifirigj rjv MvrifioGvvriv ^tagaxgsTtovxsg oi TtoXXol [soll heißen, die heidnischen Griechen; der Rabbi vermeidet den gehässigen Ausdruck xa sO-i/rj] xo^vo^ia KaXovöiv. Die Mutter der Musen ist nur von außen, obgleich in diesem Fall nicht ungeschickt, hineingetragen; in iivruLri steckt "ID'lp IDT = "MSlp DIU Vgl. Olshausen zu Ps. 30,5.

38*

548 E. Schwartz

Namen nnd zum Namen Gottes bekennt sich^) der Jude In der Eucharistie und im Psalm. Vor allem aber ist es unmöglich die Lehre von den Kräften von der Angelologie zu trennen. Wie sich ans superstitiösen Gründen im A. T. die Offenbarung durch den nirri ^^blß an Stelle der directen setzt, ist bekannt: Kräfte und Engel sind dasjenige am göttlichen Wesen, das von den Menschen erfaßt werden kann, daher, für Philo ^) wenigstens, identisch. An zahlreichen Stellen^) nennt er die Engel köyoL d-sov: darunter können nur 'Eeden' verstanden werden*), nichts anderes; die Engel sind eben Manifestationen Jahvehs^) und Jahvehs Wort ist eine Manifestation von unmittelbar concreter Realität. Philo deutet selbst an daß er die Gleichung äyysXoL = koyoi %^bov übernommen

1) Vgl. de migr. Abr. 56 rov 8s (isyB&ovs xal nX'^&ovg toav ^aX&v &Q%i\ %al riXog r) ädidetaxog nsQu Q-eov iivr]iir\.

2) De conf. ling. 174 f. f'crrt 8\ xal xaroc xov Scega il)vx&v Scßco^aTcov tspco- tuTog xoQog önocdbg t&v ovqccvlcov ayy sXovg tag i})vxccg tccvrag el'(oQ-s v.ccXslv 6 &EG7CL(oiSbg X6yog. iidvt' ovv tbv ctqaTov [i5ü] succGrav iv xatg ocQ^iotrov' aaig diansKOG^rnisvojv tcc^BGiv vTCrigitriv v-oi Q'SQan£vxr\v slvca aviißeßri'AS rov Slu- tioG^'^aavTog r]ys[i6vogj ai xa^iaQ%ovvxL 'Autä 8C%r\v v,a.l d'SGfibv tTtsrai Xinota^i'ov yuQ ov d-sfiig äX&vaC Ttors tb ^slov GTQcitsvfia [vgl. les. 45, 12. 48, 13]. ßccGLXsi dh xcctg iavtov dvvdfisGLv [der Doppelsinn von 'Truppen' und 'Kräften' ist beabsichtigt] i^TTgsneg öhlXslv ts yiai xQfjß^f^i' ^Qbg rag t&v xolovtcov TtQccy- ficcTcav vTtriQSGiagy olgtcsq ccq^ötzsl ^i] vnb ^ovov n^yvvG&ai &80v. Kürzer de opif. mundi 46. Es ändert an der GesamtaulFassung nichts, wenn de spec. legg. 1,66 die Engel wiodid.v,ovoi der göttlichen Kräfte genannt werden.

3) Die Engel Gen. 19 bezeichnet er de fuga et inu. 144 mit rovg tsgovg xal &[iidvTovg Xoyovg, ebenso de somn. 1,70 die von Gen. 18, 1,147 die der Jakobsleiter, de sobr. G5 6 rrjv Tcgbg iiäQ^ ndXriv ysyvfivuGiisvog 'Iwutoß, ScyyeXoig dcXsiTtTUig, Xoyoigj ;u(>a>|Li£i;os. de migr. Abr. 173 6 tno^LBvog &Em yicctu tccvccyyiaCov cwodoLTtogoig %Qr]taL xoig a.v.oXov&OLg avxov Xöyoig, ovg övond^SLv fd-og dyyeXovg.

4) De somn. 1,115 f. ij dGnritiyij] SidvoLcc . . . orai; iisv sv^pogfii xai ngbg tb w}}og ai'qritui^ tatg dQxsxvrcoig -nai ocGafidroLg dv.tLGi tfjg XoyiKTjg Ttriyijg, tov ttX£G(p6Qov &SOV, TtSQiXd^TtstaLj oxav 8\ v.axaßaLvr]L xal dcpogfiL, tatg iv.iCvüiV ilnoGiv, Scd-avdxoig Xoyoigj ovg v.ciXs£v k'&og ccyyiXovg. 8l' o -kuI vvv cpriGLV [Gen. 28,11] Scn'^vxriGs xonai' k'dv yag 6 ^Xiog. oxccv yäg xrjv '\})vxi]v dnoXC- TKöGiv at xov &£ov u'öyaC, di' &v GatpEGxaxcci, cct xibv ngay^dxcov yCvovxai xara- Xi^^Biiy ScvatiXXsi tb devxBgov xal da&svtcxegov Xoyav, ov-hsxl Ttgayfucxav (psyyog. Der Gegensatz Ttguyiiaxu und der Plural beweisen daß unter Xoyoi, Reden zu verstehen sind.

5) Vgl. z. B. de Abr. 115 &yysXoi . . . tsgal xal ^sicci <pvGBig, vnoSid-Kovoi %ul vTcagxoi xoü ng&xov d-soü, 8l wv olcc ngtaßsvxuiv oaa av Q^fX-^crit x&i yivH rifiöav ngo^saniauif öiuyyiXXu. Die Frage, ob die Engel eine eigene Persönlichkeit haben, würde Philo für töricht oder lästerlich erklärt haben: wenn sie Gottes Willen verkünden, sind sie eben 'Reden Gottes', nicht mehr und nicht weniger.

Aporien im vierten Evangelium IV 549

hat ^) : thatsäcUicli nennt die salomonisclie Weisheit [18, 15] den Engel der die aegyptische Erstgeburt tödtet, 'das allmäclitige Wort Gottes'. Ist der Logos Grottes nacli Philo ''^) also der 'älteste der Engel', so kann das nur bedeuten daß er das 'Wort Gottes' ist und nicht das immanente stoische Weltgesetz. Und dieses 'Wort Gottes' ist bei ihm ebenso wie in der Weisheit Salomonis [9, 1] und dem vierten Evangelium dasjenige das die Welt geschaffen hat^). Man lasse sich durch die Verquickung mit den platonischen Ideen nicht irre führen*). Wie völlig Philo in der jüdischen Speculation stecken geblieben ist, verrät nichts mehr als die Ver- mischung und Vertauschung des göttlichen Worts mit der gött- lichen Weisheit^). Für denjenigen der die philonischen Begriffe auf Plato oder die Stoa oder alle beide zurückführen will, bleibt diese Identification ein unentwirrbares Räthsel, und die Versuche seine Exegese systematisch darzustellen, sind grade an dieser Klippe gescheitert. Dem Juden ergiebt sich von selbst aus der Combination von Gen. 1 und Prov. 8 die Identität des Wortes das das Licht ins Dasein rief, und der Weisheit die vor allen Creaturen bei Gott war ^) und an deren schaffendem Spiel er seine Freude hatte, und dies vor weltliche Dasein der Weisheit dürfte die Speculation des xo^^ios voritög erzeugt haben: die platonischen Ideen sind nur Etikette.

Die Vereinigung von Wort und Weisheit setzt sich in der philonischen Ethik fort. Ganz natürlich : denn die göttliche Offen-

1) Vgl. ov$ sd-og dvofid^SLv ayyiXovg de migr. Abr. 173. de somn. 1,115.

2) Vgl. z. B. die oben [S. 547 ^J angeführte Stelle de conf. ling. 146.

3) Qu. d. s. immut, 57 didaai Xoyojt xQot^^vog vnriQBtrii dcoQS&v, Sa -aal xov KOG^ov Elgycc^sro. Das Wort Gottes kann als v7tr\QBtrig gefaßt werden, nicht das Denken, vgl. de sacrif. Ab. et Cain 8 8ia qrnLaxog xov alxCov [= Gottes] iiBxa- viGxcixai [Moses, nach Deut. 34,5], di' ov v.al 6 aviinccg yioa^og idri^LovQysLto, Lva nccd'riig oxi xov 60(pbv L6Öxt[iov xdffjtKat 6 d'sbg r^yEnccL, xSn avxcbi Xoyoa v,a.X xb Tt&v sgycc^ofiEvog xal xbv xilsiov aitb täv TtSQiysLcav ävdyav mg eccvxov.

4) Die Exegese von Exod. 33,18 identificiert die Sö^a xov dsov [= ^I^D] mit den Kräften = nii^l3i : de spec. legg. 1, 45 dö^ccv öijv sIvccl vo{il^co xäg tcsqI ßs SoQV(poQOvGag dvvd^sig, av dicccpevyovacc rj 'Kaxdlriipig «%(>t xov Ttagovxog ov (iL'KQbv ivegyd^sxaL fioL nod-ov xfig dLccyvmaeag. Dieser rein jüdische Begrijff wird dann in grotesker Weise mit den platonischen Ideen gleichgesetzt, weil auf die göttlichen Kräfte das zutrifft, was die Platoniker von den Ideen aussagen : daß sie nämlich, selbst unsichtbar und unsinnlich, der sichtbaren Welt Bestimmtheit und Gestalt gegeben haben.

5) Leg. all. 1,65 x^g xov d-sov cotpt'ccg- ^ $e ioxLv 6 d-sov Xoyog. Andere Stellen bei Zeller III 2, 420\

6) Vgl. z. B. de ehr. 30 f., wo Prov. 8, 22 direct citiert wird.

550 ^- Schwartz

barung ist die Quelle der Lebensweisheit, und umgekehrt kann die Weisheit nicht zur Offenbarung in Widerspruch geraten ^). Philo hat hier die Gelegenheit benutzt den stoischen oQ^bg Xöyog xfjg (pvöecjg anzubringen^), indem er, wie nicht selten, (pvöLg für ^eög braucht'): achtet man darauf wie er den jüdischen Begriff

1) Das Beste darüber hat R. Smend in der Einleitung zum lesus Sirach gesagt [XVIIIJ : die Weisheit bedeutete für die Israeliten und Juden niemals reine Erkenntnis, sie war vielmehr die Erkenntnis von Gut und Böse, d. h. vom Nütz- lichen und Schädlichen. In diesem, Sinne war sie auch Speculation über den teleologischen Zusammenhang der Welt, aber zunächst war sie Lebensiceisheit . . . Aus der Energie, mit der die Einzelnen eine übermenschliche Lenkung ihrer Schicksale forderten, erwuchs eine für die Folgezeit bedeutsame speculative Idee, übrigens fast die einzige, die das A. 2\ kennt. Die Lehre, die man zum Leitstern des Lebens nahm [das Gesetz], erschien auch als die Macht, die das Lebensglück ihrer Jünger schuf [d. h. als die Weisheit]. Sie sollte identisch sein mit der großen Teleologie, die die gesamte Welt durchwaltete und durch die das All einst von Gott erschaffen war. Es entspricht diesem Durcheinandergehn von 'Wort' und 'Weisheit', wenn Philo bald diese zur Quelle jenes macht, bald umgekehrt: de somn. 2, 242 xarftcyt ds möJtSQ ccjtb jrrjy ^g trig GotpCag itota^ov tgonov 6 d'SLog Xoyog. de fuga et inu. 97 tbv ävavdta) Xoyov Q-eiov og aotpiag iarl Ttriyq.

2) De opific. mundi 143 6 tfjg cpvGEag oQ&bg Xoyog, og -kv qlcot sgai. y.Xi^aEL TtQoaovoiid^ETaL dso^og, vo^og &si^og cov. de spec. legg. 1,191. uit. Mos. 1, 48. de spcc. legg. 2, 29 6 r^g (pvGscog ÖQ^'bg Xoyog . . . i-nTQScpSL Ttorifioig ö6y' fiaöiv, a TicciSsia %al 60(pia %oQriyovaLv. Daß unter den Ttörifia Soyfiava die Thora zu verstehen ist, zeigt besonders deutlich die Stelle über die Sabbatsvor- lesung in der Synagoge de spec. legg. 2, 62 avanintaxuL xaig sßS6{iatg [ivgicc xara nuGccv tcoXlv ÖLSaayiaXsLa (pQovriaeag v.cd GcocpQOßvvrig xal dvögsLug xal di,y.aioGvvrig xal twv äXXav dQ8t(bv, iv olg ol iisv iv ytoo^ai, nad^L^ovrca avv tjov- %Cai, xd mxa dvaQd-ia-KOxeg fisxd TtQoaoxfjg Ttdong ^vsiia xov diijjfjv X6y<ov Ttoxi^KoVy dvaaxdg Si xig x&v i^TCSigoxdxcav vcpriyBixai, xd dqiaxa kccI gvvoCgovxu olg .dnug 6 ßiog iTfLÖmasL ngbg xb ßsXxLOv.

3) Vgl. qu. rer. diuin. her. s. 114flf. 182 17 xov x&v d-voL&v aifiaxog i6ri diavoiLT] riv 6 dgxiSQSvg Mcovafig cpvaEi [!] 8L8aav.dXoiL xqriGdyLivog dvivsiyLB. de agr. 8 wird Gen. 1,28 paraphrasiert mit dem Satz xovxov (den Menschen) yd^ dqxovxa r} q>vGLg 8bv8q(ov xe xal ^caiav xa>v dXXav ogu &vr}xdj dvta^ dndvxav dvEÖEi^Ev. de opif. mundi 133. de sacrif. Abel et Cain 93 ^vQia r]^Lv rj cpvGig iTCißdXXovxa dvd-QmTtcov yivEi dEÖcoqrixcii, u)V dfiixoxog dndvxcav IgxIv ccvxi], ysvEGLv dyEvrixog ovacc, tQoq)7]v xQO(pf]g ov ÖEoiievri, a^^riGiv iv öiiolcol fiivovGcc %xX. : die Negationen mit denen sonst Gott aus der Welt hinausgeschoben wird, werden hier der Natur gegeben. Durch diese Identification bringt der Rabbi es fertig den jüdischen Gehorsam gegen das Gesetz mit dem ethischen Princip der Stoa zusammenfallen zu lassen: de migr. Abr. 127 f. Xsysxcci, 8h i^f^g [Gen. 12,4] ort inaQ Erd-ri Ußgaafi yiad'aTt eq iXdXriGEv ctvx&i yivgiog. xovxo 8e Igxl xh Ttagd xoig dgiaxa (piXoGocprjaaGLv di86(iEvov xiXog, xb d%oXov^(og xfii cpvGEt. ^ijv' yCvETCti di, oxav 6 vovg slg xt)v dqBxfig dxgccnbv iXd^av xar' üxvog dgd^ov X6yov ßaCvrii Mxd em]xai d-E&ij x&v ngoaxd^Eoav wOxov 8icciisiivri(iBvog xal ndcctg &bI xal •ndvtaxoi ?gyot^ xs xal Xöyag ßEßat.ov[iEvoe.

Aporien im vierten Evangelium IV 551

des iDTa [= TCccLdeicc] hineinmengt ^), wie er Qij^a und Xoyog zu- sammenstellt-), wie gar nicht selten für den Singular die Plurale Xoyoi eintreten^), die sich mit der stoischen Weltvernunft unbe- dingt nicht vertragen, dann kann man sich der Erkenntnis nicht verschließen daß auch hier nicht die stoische Philosophie, sondern der jüdische Offenbarungsglaube zu Grrunde liegt. Das 'Wort Grottes' ist das Gesetz ; wenn Philo in stoischer Terminologie von dem alle vernünftigen Wesen verbindenden Weltgesetz redet*),

1) Vgl. die oben angeführte Stelle de spec. legg. 2,29; ferner de ebr. 143 voiiov Tial itKiSeCag. qu. det. pot. ins. sol. 16 dv' ccycayfjs vofiLfiov iq ■nccl Ttaidsv- 6scog dQd'Tjg. de somn. 2, 71 tä>v itaidsCtis •aal GocpCag ^saQri^drcav. 73 tccLs Ttca- Seiag vTtod'ijyiaig.

2) De poster. Cain. 102 rr/v ßciaiXi'iir]v yovv tavxriv ödov, ^v cclrid'i] hccI yv^CLOv tq)a[isv slvca cpiloGotpiav, 6 vo^og [der Pentateuch] hccXsl d^sov qf^ia v.cu Xoyov. Nach Deuteron. 8, 3 wird de fug. et inu. 137 das Manna gedeutet als Qfin,a Q^Eov xal Xoyov dscov, ebenso leg. alleg. 3, 173.

3) Besonders deutlich ist der Wechsel des Numerus, obgleich der Begriff der gleiche bleibt, de somn. 1, 68 Xoycoi, %'sCoii xcc ccgiara vcpriyovfiivcoi yiccl oacc ngoacpoQcc xotg yiaigotg, ccvccSidccG-KOVTi. ov yag ä^imv 6 d-ebg stg cclcQ'tiölv £q- XSöd'at, tovg sccvrov Xoyovg iTCLnovQLccg svs-kcc tcbv cpiXccgstcov a'jtoGtsXXsL, vgl. Sap. Sal. 16, 1 1 slg vitoiivriaiv r&v Xoyiav 6ov ivsyisvtQL^ovto xat o^Bcog disocoi^ovto . . . Hat yccQ ovts ßotdvT] oi;r£ (idXccy^ia id'EQccnevasv ccvtovg, aXXcc 6 abg, hvqlSj Xoyog 6 Ttdvta twfievog. qu. det. pot. ins. sol. 13 tovg iBQOcpavTr\%hxag Xoyovg fihv d-£ov, voiiovg ds ävd'QoJTtav d'SocpiXaVy ähnlich leg. all. 3, 204. de migr. Abr. 47 TOvg tov d'sov Xoyovg ot xQ^f^i^ol cpcotbg TQOTtov oQcaiiEvovg ^irivvovaL [Exod. 20, 18] . . , STtEiS'^TtSQ . . . T]v . . . (piyyog ccQEtfjg xb TtEQiavyeatcctov, XoyiTiiig ccdtacpo- Qovv Ttriyfjg. de conf. ling. 81 votitccig ccgExatg ag XaXEt 6 &Ebg ccdiacpoqoveag Xoyoiv QeCcov [die 'intelligiblen Tugenden' sind einfach die Gebote Gottes], qu. d. s. immut. 83 [lovädag [iev ovv d^Qatovg 6 &Ebg XuXel' ov yccQ iariv 6 Xoyog avtan ysycovbg ccsQog TtXfj^ig [stoische Schuldefinition], ccvaiMyvv(iEvog aXXon tb mccgaTtccv ovÖEVLf ccXXcc dacoiiaxög xe v.cu yv^vog, ccdiacpOQ&v fiovddog. Die Praeexistenz kommt dem Plural ebenso zu wie dem Singular: de poster. Cain 89 tovg d' oQovg tovtovg ovx V ■accd'' r](iäg yEVECig EatriOEVy dXX' ot Ttgb rjfiav xal navxbg tov yEmdovg TtQEüßvtEQoi XoyoL %al Q'eloi. Nur weil er das Wort Gottes ist, kann der Logos = tli'll gesetzt werden : de somn, 2, 223 tr]v nXriqri %ccqLt(üv diad-^-urjv Eccvtov, voiLog d' ^6tl yiccl Xoyog t&v övtcov 6 TtQEoßvtcctog, vgl. 237. qu. det. pot. ins. sol. 68 in der Exegese von Deut. 33, 10 xat Xoyav %ccl di,ccd^7]%rig ^sov (pvXa^ 6 äatSLog ECtiv.

4) De migr. Abr. 130 ist die stoische Definition von vo^iog auf das mosa- ische Gesetz übertragen : vo^og ovöev dga iq Xoyog Q'ELog TtQoatdttcov a dst ■accl DCTtccyoQEvmv a ^rj XQV [vgl. Arnim, frgm. Stoic. 2, 1003. 3, 314], dtg (iccQtVQEt cpdö- v,oiv Ott idi^ccto ccTtbt&v Xoycov «-üto v vd/*ov [Deuteron. 33, 4]. de poster. Cain 185 tb &vd-Qm7tcov yivog vnb v6(iov cpvöEcog ÖLdcca-no^Bvov aQEtrig [verdorben] d-sbv tifiäv yial tfig XEitovqyCag ccvtov itEgiEXEC^cci : das 'Naturgesetz', das den Dienst Gottes befiehlt, ist das mosaische ; drastisch zeigt das die Stelle de ebr. 37 MoiViSEOig . . . tdg ts TtQOGtd^sig -acd tovg tsQOitdtovg vo^iovs ävadLÖdanavtas . . .

552 E. Schwartz

meint er die jüdische Thora. Man soll nicht vergessen daß er die Bibel an unzähligen Stellen^) 6 leQos loyog nennt; der Sprach- gebrauch würde allein zum Beweis dafür genügen, daß die vom griechischen Standpunkt aus orientierten Darstellungen des philo - nischen 'Systems' das Wesentliche übergehn und um der helle- nistischen Tünche willen den jüdischen Untergrund ignorieren.

Zum Lobe das Philo dem Hohenpriester singt, gehört daß er ihn dem göttlichen Wort gleichsetzt; die Analyse der Allegorie zeigt unwiderleglich, daß Xöyog auch hier Rede bedeutet^). Nach der philonischen Manier, die alle heiligen Institutionen und Ereig- nisse in die Seele des Menschen projiciert, ist der Hohepriester, psychologisch gefaßt, das Grewissen, und das Grewissen ist ebenso wie der Hohepriester der köyog d-elog, derjenige nämlich den Grott in den Menschen sendet, als solcher auch ein Engel der den Men-

TtuQsX&ayv 6 do-nrißioocpog ^lod-OQ . . . vofiovg svavriovg rocg rfjg cpvösoag ava-ygatpEi. qu. det. pot. insid. sol. 52 [lccqxvqu 8s fiov tau Adycot i] cpvaig ■nal xa a.v,oXov%^ oig avTfjv vsvofiodsTrid-evTa, dt-SigritciL yag Gafp&g xat ccvrL-HQvg ovrag, folgt Exod. 20, 12.

1) Vgl. z. B. leg. alleg. 3, 36. 106. 118. 162. qu. rer. diuin. her. s. 95. 185. 207. 259. de congr. erad. gr. 85. de somn. 1, 53. de spec. legg. 1, 215. 2, 23. 80. de migr. Abr. 83 wird Moses gradezu nach Exod. 4, 15 f. mit 6 d-siog loyog be- zeichnet : 7] ovx OQ&g tovg sitaoidovg -nal (pagiiwuevtag avTi6oq)i6TSvovtag x&i %BCoii /loycot; Da er der Triiger der Offenbarung ist, so ist das nur consequent, aber mit dem s. g. Logos der aus der griechischen Philosophie stammen soll, hat das alles nichts zu schaffen.

2) De fuga et inu. 108 Xiyofisv yccQ xbv icQxi^QSu ovv. a.vQ-QOi7tov, ciXlu Xoyov %'tiov slvai, Ttdvxcov, ovx ^v-ovolcov iiovovj aXXcc xat catovacav ocSiHri[icix(ov ccfiixoxov ' o^xe yccQ snl TtaxQij x&i vm, o^xs inl ^tixqc, xTjl cclad-'^aei^ qprjfftv ccvxbv Mayvajjg [Lev. 21, 11] dvvaod-ai jiitati'tö'O'at, dioxi^ oi^icci, yovscov cccpd^ÜQxtov xal xad'aQaxdxav iXux^v, nccxQog fiev dsov^ og xat x&v övfincivxav iaxl nccx-qg, (irixQog Ss aoqiCag^ di* r\g xa oXa ^Xdsv slg yivsciv [vgl. qu. det. pot. ins. sol. 52 ft'. de migr. Abr. 102 ff.]. In der bei Philo sehr häufigen Trichotomie vovg Xöyog aia- &riaLg bedeutet Xoyog stets die Rede, das gesprochene Wort : de congr. erud. grat. 99 ccTib x&v xar' ai'G&riGiv xo Y,aXibg aiad-avsad-ccif ccnb xüv -nccxa Xöyov xb ev Xiynv, &nb x&v naxcc vovv xb sv diavosLad'ai. de mut. nom. 56. de Abrah. 29 f. de poster. Cain 55 ; de migr. Abr. 2 ff. wird nach dieser Trichotomie vom mensch- lichen vovg und X6yog auf Gott = 6 x&v oXav vovg und den Logos Gottes ge- schlossen, der also nur Gottes Wort bedeuten kann. Uebrigens war diese Drei- teilung in der jüdischen Exegese schon vor Philo heimisch: de somn. 1, 118 hioL dh ^Xlov fiiv VTtoxoTtTjöavxtg stgfjad'ca vvvl avfißoXiyi&g aCad-riaiv xs xal vovr, xa VBvofiioiitva xa-O"* 7}[i&g ccbxovg flvai, ytQm^QLUf xonov Ss xbv d'siov XoyoVy ovxoüs i^eös^uvxo [Gen. 28,11]' &7Ci^vxriasv 6 &aii7itr}g idywt d^siat Svvxog xov d^vrixov «al &v&Q<o7t£vov (fiyyovg. Hier tritt scharf hervor wie Sinne und Geist des Menschen der Offenbarung des göttlichen Wortes entgegengesetzt werden, lieber xÖTtog = Gott vgl. Siegfried, Philo 202 ; die Valentinianer haben ihrem Demiurgen 4^ jüdischen Namen gegeben.

Aporien im vierten Evangelium IV 553

sehen geleitet^). Der Begriff des göttliclieii Wortes und der gött- lichen Rede scMägt auch hier immer wieder durch, und das ist für Verständnis und Ableitung wichtiger als die ab und zu auf- tauchende Identification des Gewissens mit dem stoischen Xoyt^iiög und ÖQd-bg Xoyog^).

Philo erwähnt ältere jüdische Exegeten die unter die Gnaden- geschenke Gottes die Verwandtschaft des Menschen mit dem gött- lichen Logos rechneten^). Das klingt an die stoischen Sätze an, daß dem Menschen dasselbe Praedicat Xoyixög zukommt wie dem Kosmos *) ; es ist auch richtig daß Kleanthes und Poseidonios diesen

1) In der Exegese von Num. 35, 25 wird de fuga et inu. 117 ausgeführt: cpvai- ntoTccTT] 7tQod-B6fiLa v,ad-68ov (pvyadav b tov ocQxt£Q£cog iarl ^dvcctog. Ecog pilv yccg 6 isQüotatog ovxog loyog ^j}i v.cd tcsqlsgtlv iv ipvxrii, äiJir\%avov tQonr]v ciY.ov6iov Big ccvtfiv v.axsl%'8Lv . . . iäv ds aTto&dvriL . , . , yidd'odog svQ-vg dCdoxai totg Bv.ovaCoig 6(pdX[iccaLV . . . yEQag yccQ i^aLQStov 6 ccfiLUvrog aQXiSQSvg, elsyxog, fx (pvcecog kekccq- TCtotcci tb (iridiTCor' slg avtbv Ttagads^ccad-ccL torrgv yvm^r]g oXCoQ'oiv [bXiöQ'Ov codd., vgl. qu. d. s. immut. 130]. qu. det. pot. ins. sol. 146 iv.etsvGiiisv ovv xbv dsbv ot 6vv£LdT]6£i xa)V OLTiELcov a.8iV,7\\idxoiV 8Xsyx6(i£VOL yioXdaca fi&XXov 7}(iäg i) TCUQBivai' TtccQslg fiBV ydg ovv.ixi xov i'Xsco dovXovg eavxov, ysvsGScog ös x-qg dvriXBOvg ccTtEQydas- xccij -KoXd^ojv ÖS iTtiSL-Kcbg XE yiccl Tigdiag dxE XQ^^'f^bg mv Eitavoq^-caGEtai d^ccQX'q- liccxa, xbv 60}cpQ0VL6xriv eXsyxov, xbv eccvxov Xoyov, Eig xijv didvoiav Ev-Tti^ipag^ Sl' ov dvaco7t7]aceg v.al dvEidiaag TtEgl mv E7tXriii[LEXr\6Ev, avxj]v tdasxaL. qu. d. s. immut. 134 [Exegese von Lev. 14, 34 ff.] Eoog ^iev yaQ 6 Q-ELog Xoyog Eig xrjv tpvxijv 7]\ia}v nad-dnEQ XLvd EßxCav ovk cccpiv.xai, ndvxa uvxfig xa EQya dvvTtccLxia . . . oxccv 8s EiüEXd'riL ö lEQEvg övxag eXEyxog stg ij^äg (ogtieq cpcoxog xig avyi] ■na&ciQmxdxri, XTiVLTiavxa yvcoQL^o^Ev xa. ivccTtoyiEifiEva rj^icov ovv. Evayi] xf]v ipvxfjt ßovXEVfiaxcc nal xhg EniXriTtxovg xort vnaixCovg TtQd^Eig, cctg dyvoiai x&v ov[i(pE- QOVTCüv EV£XEiQOv(iEv. 182 iXsyxov Xoyog 8' iaxl d-SLog, dyyEXog ':to8riyExä>v -aal xa iv Ttoölv dvaoxiXXoiv, l'va ditxaiGxoL 8id XEcacpogov ßatv(o[i£v xrjg 68ov [Ps. 90, 11 f.], vgl. de migr. Abr. 174. de mut. nom. 116.

2) Qu. d. s. imm. 50. de sacrif. Ab. et Cain 51.

3) Bei der Erörterung des tralaticischcn Zetema, warum der Mensch zuletzt geschaffen sei, bemerkt er de opif. mundi 77 XEyovauv ovv oi xotg vo^oig sni tcXeov E(ißad'vvavxEg yial xa xar' avxovg ag evv fidXiöxa (lExd Ttdarig i^ExdaEag cc%QißovvxEg [d. h. die allegorischen Erklärer, vgl. de somn. 1, 102] oxl xfig avxov avyysvELCcg fi£xa8ovg ö ^sbg av&QOJTtat. xfjg XoyiKf]g, ^xig ccQiaxri 8coQ£äiv riv, ov8e x&v dXXcov £(pd'6vr]aEv, dXX' mg otusioxdxcoi v,al cptXxdxcoi ^mioii xa iv yioGfiat Tcdvxa 7tQOT]xoL{idoaxo, ßovXriQ-Elg ysvofiEvov avxbv (irjSsvbg dnoQfi6ai xöbv Ttgog xb ^Tjv v.al xb ev ^fiv.

4) Arnim, frg. Stoicor. 1, 110—114. 2,528. 633—645. 3,334. 370. Kaiser Marcus 2, 16 xiXog Xoyiyimv ^wLoav xb STCEcd'aL xcoi xf]g TtoXstog xal noXixsCag tijg TtQEößvxdxrig Xoyoav iial ^eö^&l. 5, 27 6 Scctficov ov iyidöxcoi Ttgoaxdxriv y.al r}yE[i6va 6 Zsvg e8(üv.£v dnoöTtaa^ci eccvxov ' ovxog Si iaxiv 6 indaxov vovg %al Xoyog, vgl. 6, 35. 4, 16. 7, 9 Xoyog -noivbg Ttdvxcov xav voEQmv ^mav. 7, 53 xara xbv KOivbv Q'EOLg y.ccL dv^QmTtoig Xoyov. Epiktet. 1, 3, 3 6 Xoyog Tial ri yvm^ri yioivbv Ttqbg xovg d^EOvs.

554 E- Schwartz

Zasammenhang des Menschen mit dem göttlichen All religiös und ethisch ausgenutzt haben. Aber man übertreibe die Aehnlichkeit nicht: der stoische icoö^og Xoyvxög, der Menschen und Grötter zu * einer Ordnung umfaßt, ist von dem göttlichen Logos mit dem nach dem alexandrinischen Eabbiner der Mensch verwandt ist, sehr weit entfernt. Denn diese Verwandtschaft wird vermittelt durch den Geist, den Grott dem Menschen bei der Schöpfung eingeblasen hat^): wie die rTQDn, so wird auch die n^'n'i nT\ mit dem Logos identificiert -). Mit dem Gedanken daß der Geist Gottes in allen Menschen ist, operiert schon die salomonische Weisheit: t6 acp^uQ- xov 60V Ttvevfia [12, 1] ist die der hellenischen Philosophensprache angeglichene Umschreibung von D'^'^n niSIDS [Gen. 2, 7], die Ttvorj und Ttvsv^a gleich setzt. Eben dieser Anklang und die religiöse Aus- deutung des Satzes zeigen daß das stoische Ttvsvna fernzuhalten ist: das ist überall, nicht im Menschen allein und nicht einmal auf das organische Leben beschränkt.

Gewiß ist ein Unterschied zwischen dem T\Mr^ "im des A. T. und dem Xöyog d^stog des Rabbiners, und es soll gar nicht geleugnet werden daß die philosophische Bildung des Exegeten diesen Unter- schied erweitert und vertieft hat. Aber erstens hat sie nicht allein dazu mitgewirkt, sondern mindestens ebenso sehr die im Schoß des Judentums, vom Hellenischen ganz unabhängig ent- standene superstitiÖse Speculation, die Gott ängstlich mit immer dichterem Geheimniß umgab und so seine Kräfte und Manifesta- tionen selbständigem "Wesen entgegentrieb, und zweitens folgt aus gelegentlichen Berührungen die Philo zwischen der um die Bibel sich rankenden Speculation und seinen philosophischen Kenntnissen herzustellen sucht, noch lange nicht, daß der 'Logos' aus der grie- chischen Philosophie stamme und diese dazu helfen könne die

1) De opif. mundi 144 avyysvqg xs xal &y%i6'7toQog a>v xov ^ysfidvogj ats dt] noXXov Qvsvtog sig avtbv rov d'SLOV TivsvfiaToc,, Ttdvra v,al Xiyuv xal nQuxxBiv ioTtovda^sv sig &q bo%b lav xov Ttax gbg -nal ßaa lX sag, dies Ziel ist speciell jüdisch, leg. alleg. 1, 37 xqIu yccQ dvcci ösl, t6 i^nveov, x6 dsx6(i8vov, xb iiLTtveofiEvov xb fiev ovv iimveov iaxlv ö d'sdg, xb 8e dexoiiBvov 6 vovg, xb ds ilinvsoiisvov xb nvtvyia . . . n&g av ivoriasv 7} tj^vxi] Q'b6v^ st (li} iviTtvsvas xal ippaxo a'bxfig naxa. 8vvu\liv\ qu. det. pot. ins. sol. 80 nach Anführung von Gen. 2, 7 Sia xovTOv Ttagiatäg oxi Ttvsvfid ioxiv rj ipvxijg oiaCa.

2) De plant. 18 äXX' ot [isv äXXoi xi)g ald'SQiov (pvösag xbv rjfiitSQOv vovv (lOiQccv elndvxeg slvai^ avyyiveiav &vd-Qo}7to}L Ttgbg uid-ega ovvfjipav 6 ds fi^yctg Matva^g oidsvl x&v ysyov6xa>v xi^g Xoymi^g ipvxf)g xb slSog mnotoiGsv, ScXX* sItibv wbxijv xov d-eiov xal &oQdixov 7tvBv(jucxog i%BCvov dd'Kifiov elvai v6(iLa(ia, Gjjfisiad'iv xal xvntoQ^lv acpQayCdi, d^eov, ^g 6 ;uapaxT»j(> iaxLV ö äiSiog Xoyog' ivBnvsvas yd(f tpriüiVf b ^tbg eig xb ngoamnov avxov nvoi]v ^(öaccv [Gen. 2,7].

Aporien im vierten Evangelium IV 555

Rätsel des Begriffes zu verstehen. Vielmehr wird der Logos erst räthselhaft, wenn er hellenisch gefaßt wird. Die stoische Lehre kennt wohl den, schon vor ihr vorhandenen, oQd-bg löyos ; sie nennt auch den praedestinirten Causalnexus und das rationale Sitten- gesetz Xöyogj aber, wohlgemerkt, nicht ohne einen determinierenden Zusatz ^). Zu Grunde liegen die Sätze daß der Kosmos ein XoyLxbv ^cbiov ist und daß das Sittengesetz für alle ?.oyLKcc tßia gültig ist; man muß 'Vernunft' oder 'Denken' übersetzen, nicht 'Eede'. Wenn Xöyog absolut gebraucht wird, liegt mehr oder weniger deutlich eine Rückbildung aus dem Adjectiv Xoyixov vor ^) ; auch hat der Begriff der aXoya Ttd^ri dazu geführt daß Xoyog in der stoischen Pathologie eine wichtige Rolle spielt ^). Einen göttlichen

1) Arnim, frg. Stoic. 1,493 tb fisv ovv TtccGxov bXvcci x7]v anoiov ovöCav^ t7]v vXriv, tb noiovv xbv sv avxfit Xoyov^ tbv ^sov. 537 [Hymnus des Kleanthes] Gii ov yiatsvd'vvEig v.oivbv loyoVj og dtcc Ttdvtmv cpoitäi, inyvvfisvog fieydXoig ^l- KQOug TS cpdscoi . . . ads yccQ stg ff Ttdvra Gw^Q^ozccg iad'Xcc v.av,0i6iv, too^' 'ivcc yiyvsöd'ai Ttdvrcov Xoyov aisv iovta, ov cpEvyovzBg i&aiv oaoi d'vr]ta)v na-noi si6i, Sva^OQOi, oi' t ccyaQ-ihv fisv dsl v.tfi6iv Ttod-eorrsg ovt' eaoQmCL Q'sov yiOivbv vofiov

O^tS ■kXvOVÖLV, WL %BV TtuQ'OlLBVOl 6VV V&l ßlOV 86%'Xbv e'xOLSV. 2, 913 SlllCCQllEVTl

iarlv 6 tov KOGfiov Xoyog ?) Xoyog t&v sv tau '/.oöiicoi nqovoCai diomov^svcov ?) Xoyog xa-ö"' ov tcc ybsv ysyovotu ysyovs, ta 8s yivo^sva yCvstai, tk 8\ ysvri66(isva ysvi]6stcci. 915 stfiaQ^Evri . . , Xoyog 'iiccd'\ov ö yioöiiog dis^dystcci. 937 ovd'sv yciQ S6XLV ccXXcog xmv v,atu fiSQog ysvsad'ai ovSs xovXdxiaxov ?) v.axä xi]v y.olvt]v cpvGLv 'Kccl yiccxa xbv s-KSivrjg Xoyov, vgl. 1181. 1176 xavxa ccnovi^bExai v.ccxä xbv xov dibg Xoyov i]X0L STtl •üoXdöSL ?) yiax' dXXriv s^ovadv Ttmg itqbg xa oXa o£-AOvo^iav. 528 6 KOGiiog olov sl noXig saxlv £% &£cbv yiccl ccv&QooTtcov övvsöxcbacc, xööv ^sv d-Ecöv xr}v rjyEfiovLCCv E%6vxoiv, xav <5'' av^-QüoTtav vTtoxExay^svcov. %oivoivCav 5' vndQXEiv TtQog dXX'^Xovg diä xb Xoyov {LStE%SLv, o? ^6ti cpvGSL v6(iog. 370. 373. Kaiser Marcus 4, 29. 6, 58. 4, 46. 5, 32. 6, 1. 5. 7, 10. 10, 7.

2) Vgl. Kaiser Marcus 4, 4 st tb vosgbv tj^ilv yioivov, -aoI b Xoyog y.ccQ'' ov Xoyiv,OL EG^Ev, noLvog' EL tovxo, ticd 6 7tQ06xav,XLV.bg xcbv 7tOL7]XEcov 7] ^i] Xoyog tioivog' EL xovxo, Ticcl 6 vo^og yioivög' sl xovxo, itoXtxaC eg^ev st xovxo, itoXixEv- [laxog XLVog yLExi%oiLEv ' sl xovxo, b yioa^og mg av sl TtoXig egxl. 6, 23. Epiktet. 3, 24, 7 (vorher ist von den uXoya ^cotoj die Rede) r][LLv ovv Xoyog STtl dxv%iai x«l yiayiodaLiiovLCCL dsdoxai vTtb x&v ^saiv;

3) Nach Zeno war das ndQ-og rj dXoyog v.cil rcagcc (pvoiv i/jv^ijs ■aCvriGig [Arnim, frg. Stoic. 1, 205]. Da nun aber die orthodoxe Stoa, wie Chrysipp sie ausbildete, von einem irrationalen Seelenteüe nichts wissen wollte und die Leiden- schaften als Krankheiten des Denkens faßte, mußte sie dXoyog näher definieren: es sollte gleich ditELd-rig '^<öi Xoyai [frg. Stoic. 3, 377. 389. 462. 478] oder aTtE- axgaii^Evog xbv Xoyov [475. 476. 479] sein. Natürlich ist Xoyog auch hier die 'Vernunft'; es ist consequent, wenn den Kindern die ndd-r} abgesprochen werden, da sie xbv Xoyov fi'^Ttco avintEnXiJQaKsv [477] ; und auch dieser Xoyog ist von dem nicht verschieden, y.ccd'' ov Xoyi%oi söfiEv: Chrysipp sagt wörtlich [390] xov Xo- ymov ^miov cpvaLv E^ovxog TtqoGXQfjG^ccL stg Ev,cc6xa xcbi XöycoL v.al vnb xovxov

556 E. Schwartz

Logos der von Gott zur Mensclilieit die Brücke schlägt und zwischen beiden steht, kennt die Stoa nicht und kann sie nicht kennen, weil sie einem strengen Rationalismus huldigt und von der menschlichen Vernunft ausgeht um zur Vernunft des Alls zu gelangen. Da- gegen pflegt Philo den Logos durch einen Zusatz mit Bestimmtheit als den göttlichen zu bezeichnen: so verschieden diese Zusätze im Einzelnen sein können, sie fehlen höchstens dann, wenn sie sich ohne Weiteres aus dem Zusammenhang ergeben. Auch dies hat seinen guten Grund: denn die jüdische Speculation gilt weder der Vernunft noch dem Wort an sich, sondern dem Wort Gottes, das unmeßbar hoch über dem menschlichen Wort und der menschlichen Vernunft steht. Etwas anderes ist es mit der Weisheit; die JilSDn ist ursprünglich nicht bei Gott, sondern beim Menschen zu Hause und ist lediglich darum zu Gott in den Himmel versetzt, damit zwischen Religion und Lebensweisheit kein Conflict entsteht, oder wie es auch gefaßt werden kann, weil aus dem Jahveh der seinem Volke Befehle giebt, der Weltschöpfer geworden ist. So kennt das Judentum nur eine Rede Jahvehs, nicht das Wort an und für sich, dagegen eine Weisheit, die zwar bei Gott ist, aber eines genetivischen Zusatzes nicht bedarf um eine Realität zu sein.

Erst die christliche Speculation hat den absoluten, zusatz- losen Logos eingeführt. Schwerlich hat das vierte Evangelium damit den Anfang gemacht; unzweifelhaft aber hat sein Prolog das Meiste dazu getan daß 'das Wort' an und für sich ein meta- physischer Begriff wurde, und die moderne Dogmengeschichte der griechischen Philosophie, die den Logos in der Stoa und bei Philo sucht, hat in unbewußter Erinnerung an den Anfang des vierten Evangeliums ein jüdisch-christliches Theologem in die griechische Philosophie verschleppt, in die es nicht gehört. Die Worte jenes Anfangs ev ciQxi]L i]v 6 Xoyog xal 6 Xoyog rjv Tcgbg tbv ^eov sind so gefaßt, daß sie die längst im Judentum vollzogene Identification des göttlichen Worts und der Weisheit voraussetzen, und es kann sein daß die von Anfang an selbständige Weisheit dazu beigetragen hat auch das Wort zu verselbständigen. Allzu viel Gewicht möchte ich aber auf diese Construction nicht legen ; im Wesentlichen kann der Proceß der den Logos aus einem der Stütze durch Attribut öder Genetiv bedürftigen Appellativ zu einem für sich stehenden Eigennamen machte, nur so verlaufen sein, daß er diese Realität

nvßsQV&o^ai, noXlatiis &noatQig>ead^aL aixbv riiiäg, äXXrii ßiaiotsgai (pogcct %q(o- liivovs. Bei Epiktet [3,24,108.4,11,26.33.7,38] und Kaiser Marcus [8,40. 5, 9. 10, 12. 12, 31] sind diese ethischen Folgerungen beliebt.

Aporien im vierten Evangelium IV 557

von der liistorisclien Realität lesu erhalten hat. Ein merkwürdiger Sprach bei Marcus [13, 31], auf den mich Wellhausen aufmerksam gemacht hat, weist den Weg: 6 oi)Qccvbg xal r] yfi naQBXsv6ovxai, OL de koyoi ^ov ov 7caQskEv6ovrai. Die Gebote des Herrn sind ewig; was die jüdische Speculation von dem mn"^ in*! behauptet hatte, gieng auf sie über, erhielt aber einen neuen Sinn und eine neue Kraft: aus dem unvergänglichen Worte des Herrn wurde das Wort das von Anfang an war, ehe der Herr im Fleisch erschien. Damit trug lesus seinen Beruf in sich und erhielt ihn nicht erst durch die Taufe und die Herabkunft des Geistes: das vierte Evangelium zieht aus der Speculation die Consequenz für die Erzählung und setzt die Praeexistenz des Wortes und seine Menschwerdung an Stelle der Taufe lesu durch Johannes. Wenn das ewige Wort einmal erschienen ist, hat die Wiederkehr des Messias keinen Sinn mehr: die Hoffnung auf die Parusie wird in dem Spruch bei Marcus unzweideutig für überflüssig erklärt. Im vierten Evangelium geht lesus zum Vater um nicht wiederzu- kehren: denn seine Jünger wissen den Weg, d. h. die Gebote die zum Vater führen, und es ist genug, wenn er ihnen den Parakleten sendet, zum Beistand gegen die Gottlosen, die den Frommen der neuen Gemeinde so feindlich sind wie denen des ehemals auser- wählten Volkes. Das hängt alles so wohl in sich zusammen, daß nichts dagegen spricht den Logos eben so wie den Parakleten dem ursprünglichen Evangelium zuzuschreiben ; freilich haben die Ueber- arbeitungen beide Begriffe erweitert, verschoben und verdunkelt, lieber das ursprüngliche Evangelium als Ganzes zu urteilen ist schwer, wenn nicht unmöglich ; nur zu oft bleibt die Scheidung zwischen der Grundlage und den Schichten der Ueberarbeitung problematisch, und vor allem ist ein wichtiger Maßstab damit ver- loren gegangen, daß sich nicht oder doch nur zum sehr kleinen Teil ausmachen läßt, was gefehlt, welche Stücke der Ueberlieferung der Verfasser verworfen hat. Eins nimmt den betrachtenden Blick sofort gefangen und überwiegt zunächst jede andere Wirkung : die Rücksichtslosigkeit mit der der überlieferte Stoff gestaltet wird, die ungeheure Kühnheit der Erfindung, die nichts unange- tastet läßt. Hier wird nicht zusammengetragen was die Gemeinde in wenig bewußtem, naivem Schaffen zu der Erinnerung der Jünger an den Herrn hinzugetan hatte ; hier wächst keine Tradition weiter, die wenn sie auch nicht das Geschehene festhält, doch selbst ein lebendiges Geschehen ist: ein gewaltsam concipierender , höchst individueller Dichter treibt sein Wesen, der von den ccQSTaC seines Gottes ein ganz [neues Lied anzustimmen sich unterfängt. Von

558 ^- Schwartz

den Hoffnungen der ältesten Zeit will er nichts wissen ; sein lesns ist nicht der mißhandelte, von seinen eigenen Jüngern verlassene, einer schmählichen Strafe verfallene Knecht Jahvehs, sondern ein Held, der den Feind, die Juden, mutig aufsucht und heroisch in den Tod geht, freiwillig auf den Schutz der Seinen verzichtend. Von Anfang an manifestiert er sein göttliches Wesen; solche Wunder wie bei der Berufung Nathanaels, auf der Hochzeit zu Kana, das Herausholen des Lazarus aus dem Grrabe stechen mit ihrer handgreiflichen Uebernatürlichkeit grell ab von der Reserve mit der die synoptische TJeberlieferung die von lesus vollbrachten Heilungen darstellt. Und doch verrät sich der Dichter darin daß er die GrÖttlichkeit seines Helden nicht dogmatisch steigert und das Menschliche zu seinem Rechte kommen läßt, so sehr daß die Bearbeiter daran Anstoß nahmen und die kraftvolle Zeichnung des Originals zu schablonisiren versuchten. Er muß in einer Zeit geschrieben haben, die von den Anfängen schon recht weit ablag, und doch noch so früh, daß er es wagen konnte die synoptische TJeberlieferung bei Seite zu schieben und die Göttlichkeit lesu in eine Poesie eigener Art, frei von dogmatischer Grebundenheit, um- zusetzen. Grade das Poetische legt die Vermutung nahe daß er von hellenischem Wesen mehr als einen Hauch verspürt hatte; dagegen ist das in dem man gewöhnlich das deutlichste Symptom des 'Hellenismus' erblickt, der Logos, ein untrügliches Zeichen jüdischen Denkens.

Der vierte Evangelist hat, wie jeder andere Evangelist auch, 'das Evangelium' aufzeichnen wollen, und würde in noch ganz anderem Maße als diejenigen seiner Genossen welche sich mehr oder minder an die synoptische Ueberlieferung hielten, den Gedanken von sich gewiesen haben, daß er bloß ein Supplement schreibe und nur mit anderen Evangelien zusammen gelesen und verstanden werden könne. Seine Schuld war es nicht, wenn die Synoptiker sich ihm zum Trotz behaupteten, und man muß sich einmal aus- malen wie die Vorstellungen der Gemeinde von Jesus sich gestaltet haben würden, wenn dieser Poet siegreich das Feld behauptet hätte, um an diesem einen Beispiel zu begreifen daß das Christen- tum bis ins zweite Drittel des zweiten Jahrhunderts hinein eine Bewegung der unbegrenzten Möglichkeiten war. Ist es schon wunderbar daß ein solches Evangelium entstehen konnte^ so ist es noch viel wunderbarer daß es sich erhielt und für so wert- voll galt, daß man ihm eine Form gab, in der es neben den Syn- optikern stehen konnte. Ich vermute daß seine Wunder es ge- rettet haben; diese kräftigen Beweise für die Göttlichkeit lesu

Aporien im vierten Evangelium IV 559

wollte man behalten, auch um einen hohen Preis. Den praeexi- stenten Logos ließ man sich gefallen; er gab eine geheimnißvoll imposante Einleitung ab, die freilich stark erweitert und verbogen wurde: der jüdische Begriif war den Christen fremd geworden, und so ist es gekommen daß im Evangelium selbst der Logos jetzt isolirt daliegt wie ein von den Schmelz wassern zurückgelassener erratischer Block, die jüngere christliche Metaphysik hingegen den stehen gebliebenen Eest benutzte um an den Piatonismus anzu- knüpfen.

Es ist ebenso unmöglich das vierte Evangelium in der Gestalt in der es kanonisch geworden ist, als das einheitliche Werk eines Schriftstellers zu verstehen wie mit der Annahme eines einzigen Bearbeiters seine Käthsel zu losen: mindestens zweimal ist es umge- staltet, und höchst wahrscheinlich haben außerdem noch Retouchen kleineren Umfangs stattgefunden. Das wesentliche und wichtigste Ziel der Umgestaltungen war, die synoptische Ueb erlief er ung in das Evangelium hineinzuarbeiten und doch die Wunder zu erhalten, so weit es irgend gieng. Daneben tritt die Lehre von Christus dem Sohne Grottes stark in den Vordergrund ; die Reden lesu schwellen mächtig an und verschlingen den alten und echten Kern fast ganz. Weil in dem ursprünglichem Werk der Kampf mit den Juden die Peripetie des Dramas bildete, sind die Reden als Auseinander- setzungen mit diesen componiert oder aus Resten solcher weiter entwickelt, und da die Juden notwendiger Weise ungläubig sein müssen, so bleiben all diese SelbstofFenbarungen Christi über sein Wesen ohne Publicum: sie richten sich in Wahrheit nicht an die jüdischen Gegner und zielen nicht darauf ab diese zu überzeugen oder zu bekehren, sondern sie gelten der Gemeinde die sich zu lesus Christus dem Sohn Gottes bekennt oder richtiger schon be- kannt hat. Die kirchlichen Institutionen, Sacramente, Diakonie und dgl. melden sich deutlich an ; dagegen fehlen die Projectionen der Einrichtungen und des ^Lebens der Urgemeinde in die evan- gelische Ueb er lief er ung fast ganz, die für die synoptischen Dar- stellungen so charakteristisch sind.

Erst im letzten Stadium der Umgestaltung ist dem Evangelium apostolischer Ursprung zugeschrieben; das setzt die Zeit voraus, in der versucht wurde apostolisch und kanonisch für identisch zu erklären. Es stimmt gut dazu, daß die gegen Basileides und Va- lentinus streitende Bearbeitung dem gleichen Stadium angehört: weil die Rechtsfiction von der apostolischen Succession des Epi- skopats sich im Streit mit der Gnosis glänzend bewährt hatte, ist die Forderung apostolischen Ursprungs auf den werdenden Kanon

560 E. Schwartz Aporien im vierten Evangelium TV

des N. T. übertragen. Wie diese letzte Umgestaltung schon im Hinblick auf den Kanon unternommen ist, so ist ihr, nicht ohne Kampf errungener, Sieg das wichtigste Ereignis in der Entstehungs- geschichte des Kanons gewesen : die Vereinigung des iohanneischen Evangeliums mit den Synoptikern, eine so vollendete complexio oppositorum wie nur irgend etwas, schloß eine Entwicklung zu- sammen, die von ganz entgegengesetzten Polen begonnen hatte, und hat im Lauf der Geschichte immer wieder divergierende Ent- wicklungen hervorgerufen.

Maler Müllers große Liebesode.

. Von

Edward Schröder.

Vorgelegt am 16. September 1908.

Yor zehn Jahren erwarb ich von einem Leipziger Antiqnar ^Die Schaaf^Schnr, eine Pfälzische Idylle Vom Mahler Müller. Mannheim, bey C. F. Schwan, kuhrfürstl. Hofbnchhändler 1775" hauptsächlich um der hübschen, von dem Dichter-Maler her- rührenden Radierung des Titelblattes willen, wo hinter dem Lämmer scheerenden Schäfer eine Klosterruine aufragt: in deutlicher ße- miniscenz an Limburg an der Haar dt.

Das einfach cartonnierte Exemplar, aus dem vom der Name des frühern Besitzers herausgeschnitten ist, macht nicht den Ein- druck, als ob es viel gelesen sei. Um so mehr fallen die z. Tl. recht energischen Korrekturen ins Auge, die mit Tinte auf den Seiten 20 22 im Text und am Eande eingetragen sind: sie be- schränken sich auf den großen Liebeshynmus der Lotte, der zu den Prunkstücken von Müllers Lyrik gehört und unter dem Titel „Der Thron der Liebe" von den Zeitgenossen gekannt und ge- priesen war^). Nachdem ich mich anfangs über die 'Entstellung' des zierlichen Bändchens geärgert hatte, hab ich die Korrekturen neuerdings zum ersten Male näher geprüft, und da hat sich denn herausgestellt, daß sie von dem Autor selbst herrühren. Die

1) So Gleim an Heinse 8. XI. 1775 (Briefwechsel II 17): '. . . Dis eine Gedicht hat ihm eine Stelle verdient neben meinem lieben Heinse !' ; dann Wielands „Teutscher Merkur" 1776, III 81 : '. . . das den kühnsten poetischen Traum darstellt, ihn auf immer als Mann von Genie rechtfertigt'; in Fr. Schle- gels „Deutschem Museum" 1813, IV 259 wird auf diese (fälschlich Wieland zu- geschriebene) Anpreisung hingewiesen.

Kgl. Gea. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse. 1908. Heft 5. 39

562 Edward Schröder.

innere Wahrscheinliclikeit ergab sich sehr bald aus der Art der Textbesserung selbst, die äußere Sicherheit brachte die paläogra- phische Vergleichung eines der Manuskript - Hefte aus Müllers Nachlaß, welche die Königliche Bibliothek zu Berlin besitzt^). Die Korrekturen weisen natürlich nicht den flotten und gleich- mäßigen Duktus der Reinschriften auf, sie sind außerdem mit einer schlecht schreibenden Feder hingekritzelt : aber sie sehen doch den handschriftlichen Aufzeichnungen Müllers, namentlich wo er flüchtig skizziert und emendiert oder sich Varianten zur Erwägung da- neben schreibt, so ähnlich, daß mir jeder Zweifel daran geschwunden ist, daß ich in meinem Bändchen eigenhändige Aenderungen des Verfassers vor mir habe, Aenderungen die Müller in dies sein Handexemplar eintrug, als er eine spätere Lektüre auf unser Ge- dicht beschränkte.

Schwieriger ist es zu entscheiden, in welche Zeit wol diese Eintragungen fallen. Wenn auch der Verfasser, wie ich unten anmerken werde, seiner Phraseologie treu geblieben ist, der volks- tümelnde Ton seiner Sternelein, der ihm einst so geläufig war (vgl. vor allem „Das braune Fräulein"), war ihm jetzt fast so zuwider, wie einst dem pedantischen Schulmeister der Idylle, und auch die freie Rhythmik des Gedichtes war ihm, als er es korrigierte, nicht mehr gegenwärtig, oder sie störte ihn direkt hier und da. Demgegenüber will es nichts besagen, wenn er an zwei Stellen in den Wortlaut der ursprünglichen, handschriftlich überlieferten Fassung wieder einlenkt: das konnte durch neue Erwägung er- folgen, und ist jedenfalls unbewußt geschehen. Die „Schaaf-Schur", mit der das Gedicht zuerst ans Licht trat, ist im Sommer 1775 erschienen, drei Jahre später ist Müller nach Rom übersiedelt. Mein Exemplar rührt vermutlich aus dem Nachlaß des Dichters her, der nach seinem Tode zersplittert wurde (Seuffert S. 57) ; es ist schwerlich von ihm verschenkt worden, und ganz gewiß sind die Eintragungen nicht etwa aus Anlaß der Weggabe vorge- nommen: denn das charakteristische an diesen Aenderungen (was sie auch von vom herein als authentisch ankündigt) ist, daß sie nicht etwa mit sauberer Pedanterie eingetragen, sondern z. Tl.

1) Ich habe dem Beamten zu danken, der mir eben das Heft welches auch die erste Fassung unseres Gedichtes enthält, hervorgesucht hat, denn ein genauer Katalog oder ein Inventar über diesen Nachlaß scheint heute so wenig zu exi- stieren, wie zu der Zeit wo ihn der junge SeuflFert im Anhang seiner Monographie abdruckte resp. kollationierte. Wir wissen alle, daß der verehrte Meister der Akribie die Sache heute ganz anders anfangen und vor allem mit einer genauen. Untersuchung des Zustandes und Alters der einzelnen Teüe beginnen würde.

Maler Müllers große Liebesode. 563

nur angedeutet, ja in einzelnen Fällen nur begonnen, nicht durch- geführt sind.

Die „Schaaf -Schur" trägt im Druck die Jahreszahl 1775 und sie ist Fritz Jacobi gewidmet : 'Meinem lieben Freund Herrn Hof- kammerrath Jakobi bey meiner Ankunft in Düsseldorf vorzulesen'. Die Bekanntschaft rührt aus dem Anfang des Jahres 1775 her (Seuffert S. 24); der Besuch zu dem ihn Jacobi eingeladen hatte, gelangte nicht zur Ausführung, und so ist die „Schaaf-Schur" wahrscheinlich im Juli ohne ihren Verfasser in Düsseldorf ein- getroffen. W. Heinse, der eben dabei war, das Augustheft der „Iris" fertig zu machen, entnahm dem Ankömmling sofort Lottchens Liebeshymne: Ausgespannt Droben in den Wolken Steht der Thron der Liehe, und ließ sie ohne Nennung des Autors zur Füllung des zehnten Bogens setzen. Er gab ihr wohl von sich aus die Ueber- schrift ;,Der Thron der Liebe": als ein etwas eiliger Leser, der das Ganze nach dem Eingang bemißt. Freilich nennt auch der alte Walter in der Idylle S. 16. 18 dies sein angebliches Lieb- lingsgedicht 'das Lied vom Liebensthrone', aber das ist in der Weise des Volkes gesagt, das sich ein markantes Stichwort heraus- greift, nicht einen Titel schaffen will. Wenn, der Angabe des „Deutschen Museums" folgend, A. Sauer in Goedekes „Grundriß" IV ^, S. 346 unter 5) und schon in Kürschners National-Litteratur Bd. 81, S. 206 diesen Druck für den Erstlingsdruck hält, ist er im Irrtum. Müller war in der Orthographie, namentlich in der Verwendung der großen und kleinen Anfangsbuchstaben und in der Interpunktion, höchst nachlässig, er überließ es durchaus dem Setzer, diese Dinge in Ordnung zu bringen. Der Abdruck in der „Iris" (I) aber stimmt mit dem in der ,,Schaaf-Schur" (S) durchaus überein; nur steht der Mannheimer Druck der handschriftlichen Schreibung Müllers noch in einigen Punkten nahe, wo der Düssel- dorfer die Sprachform normalisiert hat; so trifft in folgenden Fällen die Lesart von S^) mit der Berliner Hs. (H) zusammen:

201, 34 klare SH klaren I; 202, 6 Sahstu SH Sahst du I; 203, 20 Lieb SH Liebe I; 203, 27 weinet und trauert S, trauert und tv einet H wehiet trauert I; 203, 26 u. 204, 11 Liebensgott SH Liebens-Gott I. Um ganz gewissenhaft zu sein, erwähne ich auch, daß zweimal (203, 1 trduffelt S träufelt I, treufeit H;

202, 32 Himmels-Bahn S Himmelsbahn I, Himelsbahn H) in Kleinigkeiten die Schreibung von I der von H näher steht. Außer- dem hat Heinse die Interpunktion revidiert und ist bemüht ge-

1) Ich zitiere nach dem Original, aber mit den Seiten und Zeüen von Sauer.

39*

5ß^ Edward Schröder,

wesen, eine reichere GrKederung durch Absätze herbeizuführen; er trifft dabei ein paarmal mit der handschriftlichen Fassung zu- sammen, was aber sehr natürlich ist. Im übrigen bietet sein Abdruck keine einzige Lesart, welche über den Druck der „Schaaf- Schur'' hinausweist, er scheidet aus den Grundlagen der Ueber- lieferung aus. Da nun Tieck (oder Batt) im 1. Bande der „Werke" (Heidelberg 1811) nur einen im allgemeinen zuverlässigen (aber keineswegs buchstabengetreuen^)) Abdruck der „Schaaf-Schur" ge- geben hat, so sind wir für die spätere Fassung des Gedichtes lediglich auf den Druck in der Idylle angewiesen, und dazu treten jetzt die handschriftlichen Korrekturen meines Exemplares als der Ansatz zu einem dritten Stadium.

202, 15 f. S Der Menschen Thun sey falsch^ sey rein Es sehns die klare Sternelein. An diesen Reim knüpft der superkluge Schulmeister seine zweite

halblaute Glosse : nelein Reim dich oder ich friß dich. Müller

selbst, der bei seinen Korrekturen offenbar daran dachte, das Gedicht wieder aus dem Zusammenhang der Idylle auszuscheiden, hat daran herumgeändert, ohne das Definitivum zu fixieren. V. 15 schrieb er seyj wahr, sei falsch, durchstrich falsch und setzte darüber wahr, V. 16 lautete die erste sehr flüchtige Aenderung die] reine Sterne Idar, dann wurde Mar durchstrichen und rein u. Mar daneben gesetzt. Das Ziel der Umänderung würde also sein:

Der Menschen Thun sey falsch, sey wahr.

Es sehns die Sterne rein und klar. 202, 23 S Es steht nah an dem Orion* korr. Sirius 202, 26 ff. S Er wägt die Freuden, die Leiden*, korr. Schmerzen

Er wägt die Treue der Herzen;

Neben her* brennen der Liebe Kerzen korr. Ringsum Ich vermute, daß her nur ein Druckfehler ist (in der Hs. heißt es Neben ihm), den M. nun durch Emendation glücklich beseitigt hat, ohne das ursprüngliche zu treffen. 202, 30 S Schwankt ein Kranz voll Wonne* und voll* Schmerzen

[korr. Wonn^ von Das von ist am Zeilenschluß neben das zweite voll geschrieben, soll sich aber wohl auf beide beziehen. Schon bei der Nieder-

1) Es ist sprachgeschichtlich interessant, daß der Pfälzer Müller sich noch immer gegen die von Norddeutschland aus vordringenden Komposita mit Liebes- sträubt und, da er auf die Zusammensetzungen selbst nicht verzichten mag, ein Kompromiß schließt: seine Handschrift und auch der Erstlingsdruck bieten kon- stant Liebensthron, Liebensgott, was Heinse beibehalten, Tieck aber verwischt hat.

Maler Müllers große Liebesode. 565

Schrift des Manuskripts hat M. geschwankt (s. u.), damals aber das erste von alsbald in voll geändert und an zweiter Stelle gleich voll geschrieben.

202, 37 : 39 S wäget : schlaget korr. wägt : schlägt 203, 1. 2 S Dann träuffeit herab auf die Welt

Freuden zu allen* Seiten korr. Wonne von Göttern

[2u beiden 203, 6 S -Er legt in die Schaale, wäget: schlaget korr. Seh aar

[u. ivägt : schlägt. Man könnte auch hier an einen Druckfehler denken, wegen der anscheinenden Inkonsequenz gegenüber 202, 37 SchaaV und wägety aber die Differenz findet sich schon in der hsl. Fassung, wo aber merkwürdiger Weise gerade umgekehrt folgen V. 40 Schale, wäget V. 49 Schale und wäget.

203, 10. 11 S Dann stürzt* herab auf die Welt korr. stürzen

Leiden von allen* Seiten. korr. Schmerzen vom

[Orhus zu beiden Während das vorangestellte Verbum im Singular in dem Parallel- vers 203, 1 unangetastet blieb, ist es hier durch den korrekten Plural ersetzt. Die Aenderung des zweiten Verses aber ist genau entsprechend der in 203, 2 : der Ausdruck ist rhetorisch wirksamer und zugleich deutlicher geworden, deon nicht von allen Seiten, sondern nur von den beiden Kränzen, also doch nur von rechts und links (oder aber von vorn und hinten) träufeln die Wonnen und stürzen die Schmerzen hernieder. 203, 12. 13 S Doch viele lieben treu und rein.

Müssen doch unglücklich* seyn; korr. Und m. den-

[noch elend 203, 16 S Am Isabel des Himmels hängt ein Schild daneben geschrieben: Hoch hängt am Himelsgewölb ein Schild

Den Vers 203, 18 S Das tönt von Selbsten treu und mild hab ich stark im Verdacht eines Druckfehlers : in der Hs. heißt es sanft und mild; das treu ist dem Setzer durch die Umgebung suggeriert worden: V. 12 treu und rein, V. 19 treue Lieb. M. hat daran herumgekritzelt, wobei offenbar versehentlich auch das Schluß-« von Selbsten durchstrichen worden ist. Vor treu ist ein f eingeschaltet, das h ist geändert, aber die Absicht der Aenderung nicht deutlich, das r ist durchstrichen : so kämen wir also auf die Korrektur scheu und mild, die, wenn auch einen ungewöhnKchen Ausdruck, so doch jedenfalls einen bessern Sinn böte, als treu und mild: das Himmelsschild gibt einen sanften, zaghaften Klang.

566 Edward Schröder.

203, 23. 24 Solin kosten der Liebe Thrdnen^

Solln* leiden der Liehe Sehnen korr. Und

203,25 Dann trauert* jedes Sternelein korr. traurt der

[Sterne milder Schein,

In den neuen Lesarten begegnen uns mehrfach Anklänge an Müllers poetischen Wortschatz : so verwendet er den Sirius (202, 23) auch Werke II 379 : Der Sommer bezdumet Beym Sirius itst Den Löwen . . . : die Wendung vom Orcus (203, 11) begegnet II 376 : Isfs vom Orcus Der Hohn? dazu aus der „Niobe": Schwarz wie der Orcus II 219, nahe dem Orcus U 220, aus des Orcus Dunhelm Schoose n 224, Dich tief zum. Orcus schleudern II 271 u. s. w. Schmerz und Wonne, die M. jetzt 203, 2. 11 statt Leiden und Freuden schärfer contrastierend durchführt, sind ihm geläufige Gregensätze: z. B. III 164 Wechselt immer Schmerz und Wonne; II 287 Wenn Schmerz mich hingerafft 288 badend in Wonneströmen dort. Für Schmerzen vom Orcus heißt es anderwärts Höllenschmerzen (III 231, der frühste Beleg im DWB.), wie es anderseits heißt Mich zücket Wonne Him- melwärts (I 209).

Waren diese Korrekturen mehr als das Spiel einer müßigen Stunde ? Die äußere Erscheinung der Blätter spricht nicht dafür. Jedenfalls aber hob ihre stärkere und aufgesuchte Rhetorik das Gedicht wieder aus dem Hahmen der Idylle heraus, in die es 1775 etwas gewaltsam hineingepflanzt war: nicht der Abdruck in der „Iris", wohl aber die Ueb erlief erung in der Berliner Hand- schrift bezeugt, daß es unabhängig davon entstanden und keines- wegs für die „Schaaf-Schur" bestimmt war. Schon allein die Ueberschrift „Liebensode" die es hier trägt (über diese Form s. u.), kündigt das an: sie ist auch weit zutreffender, als die Bezeich- nung 'Lied', mit der Vater Walter es einführt und nun gar dessen nähere Charakteristik : ^ist gar ein uhraltes Ding, hat mir in meinen Kinderjahren gewaltig gefallen T Ich möchte glauben, der Autor selbst hat später eingesehen , daß das aus Klopstockischer Phantasie heraus geborene und mit Klopstockischer Phraseologie reichlich verbrämte Produkt besser zur Geltung kommen würde als das was es von Haus war, als eine „Ode".

Mein kleines Fündlein und die Beobachtungen die ich daran knüpfte, rechtfertigen es, ja lassen es fast notwendig erscheinen, daß ich hier einen Abdruck der handschriftlichen Fas- sung anschließe*). Ich habe die Interpunktion hinzugefügt, die

1) Eine knappe Kollation hat bereits Seuflfert a. a. 0. S. 413 gegeben,'][darin fehlt aber z. B. die Plusstelle unten V. 68—75.

Maler Müllers große Liebesode. 567

im Original fast ganz feUt, und ich habe die Schreibung der großen und kleinen Anfangsbuchstaben in Müllers Sinne, aber gegen seinen höchst nachlässigen Brauch geregelt: ein diplomati- scher Abdruck hat hier keinen Zweck, die Orthographie im übrigen beizubehalten aber erschien mir als selbstverständlich, auch in den Punkten, wo man ihre Inkonsequenz durch Hinzufügung eines Nasalstriches oder eines Umlautszeichens zu beseitigen in der Lage wäre.

Das betr. Stück des Berliners Nachlaß-Materials ist ein Heft ohne Umschlag in Folio, dessen Blätter neuerdings mit Bleistift numeriert sind : es sind zunächst 4 Einzelblätter, zu denen die be- schriebenen vordem Hälften abgeschnitten sind, dann 9 in einander- gelegte Bogen, also 22 Bll., auf denen die Mehrzahl der großem lyrischen Dichtungen Müllers in ersten und zweiten Niederschriften steht. Die meisten Stücke haben unter der Niederschrift resp. unmittelbar nachher Korrekturen erfahren, so auch das unsere, das Blatt 7^ oben beginnt und bis Bl. 8^ (vor der Mitte) reicht; voraus gehn Bl. 7* „Ode an ein Grebürg" und die Stücke bei SeufPert: S. 420 „Romantze", 417 „Liedgen", 419 „Ballade"; es folgt „Ueber Minnas Abschied. Ode'' (Bl. 9=* oben).

Liebensode.

Ausgespannet S 201, 29

Droben in den Wolcken 30

Steht der Thron der Liebe. Wer hüllt den Mond in sein Gewand? 5 Wer feßelt ihn mit starcker Hand Wohl unter die klare Grestirne?

Wer mäßigt den glühenden Sonnen- Strahl 35

Zum linden Kuß? Das thuet all Der mächtige Gott der Liebe, 37

10 Sag mir, wo steht der Thron, 202, 4

Der Thron der heißen Liebe? 5

Sahstu noch nie das Siebengestirn? Es hängt gleich einer Kette

Die Ueberschrift Icönnte auch Liebesode gelesen werden; da aber V. 15 Lie-

bensthron, V V. 38. 47. 103 Liebensgott gesichert ist, les ich auch hier Liebens

F. 1 les ich Ausgespanet und habe demgemäß geschrieben; die ersten 3 Zeilen sind dann reimlos, es reimen nur Gewand : Hand

5ß8 Edward Schröder,

WoU in der Nacht am Himel. S 202

15 Er schließt den Liebensthron rund ein

Und giebt ihm einen hellem Schein 10

Als tausend Diamanten.

Ein jedes Stemgen davon ist Ein Augelein der Liebe. Sie sehn herab zu jeder Frist: 20 Der Menschen Thun sey falsch, sey rein, 15

Es sehns die klare Sternelein 16

Und sagens dem Grott der Liebe. 20

Wo steht der Grott der Liebe? 25 Der Grott der Wonnentriebe?

Er steht nach an dem Orion. Dort steht die Wage der Liebe.

Er wägt die Wünsche, die Triebe, 25

Er wägt die Freuden, die Leiden, 30 Er wägt die Treue der Hertz en.

Neben ihm brennen der Liebe Kertzen.

Vom Morgen- bis zum Abend-Stern

Hängt ein Krantz voll Wonne und voll Freuden 30

Und ein Ej-antz voll Schmertz und Leiden 35 An der hohen Himelsbahn

Hin unter der Wage der Liebe.

Sehn die Stemger keusche Triebe,

Dann rufens sies dem Liebensgott hinan 35

Zu der Wage der Liebe.

40 Er lägt in die Schale, wäget:

Dann steigt die Schale der Falscheit,

Die Schale der Freude schlaget

Wohl an den Krantz der Freuden, 40

Dann treufeit herab auf die Welt S 203, 1

45 Freuden von allen Seiten.

32 die Verbindung sstriche hab ich hinzugefügt, um keinen Zweifel zu lassen, daß für M. der Morgen- und der Abendstern {so Werke I 11) zwei verschiedene Sterne sind 33 das erste voll geändert aus von 41 Falscheit war durch- strichen, treue daneben geschrieben, dann aber ist dies ausgewischt urul Falscheit unterpungiert 42 Freude Schreibfehler für Treue.

Maler Müllers große Liebensode. 569

Sehn die Sternger falsche Triebe, S 203

Dann rufens sies dem Liebensgott hinan

Zu der Wage der Liebe. 5

Er lägt in die Schale und wäget: 50 Dann steigt die Schale der Treue. Die Schale der Falschheit schlaget Wohl an den Krantz der Leiden;

Dann stürtzt herab auf die Welt 10

Leyden zu allen Seiten.

65 Doch viele lieben keusch und rein Und müßen doch unglücklich seyn. Wie wägt sie der Gott der Liebe?

Er wägt sie mit der Wage der Liebe. 15

Am Nabel des Himels hängt ein Schild 60 Von feingeschliffnem Golde,

Das tönt von selbsten sanft und mild

Durchs gantze himlische Gefield,

Wenn treue Lieb soll trauren. 20

Es tönt: zwey treue Hertzen 65 Sollen fühlen der Liebe Schmertzen,

Sollen tragen der Liebe Tränen, 23

Sollen leyden der Liebe Sehnen. 24

Schnell stürtzt das Schicksal auf die Liebenswag herab,

Drückt beyde Schalen tief hinab, 70 Schlagt auf den Krantz der Leyden,

Schlagt auf den Krantz der Freuden

Mit einem schwartzen Stab;

Dann fället auf die Welt herab

Süße Schmertzen, bittre Freuden 75 Freude der Wehmuth, Wonne im Leyden.

Dann birgt sich jedes Sternelein, 26

Der Liebensgott hüllt sich in Wolcken ein Und trauert und weinet und klaget.'

53 stürtzt am rande für treufeit 68 Liebeswag? s. zur Ueberschrift y. 71 nachträglich eingeschaltet.

570 Edward Schröder, Maler Müllers große Liebesode.

Es fallen herab wie Abendthau S 203

80 Auf die Blnhmen und auf die Au

Seine wohlriechende Zähren. 30

Sie setzen sich auf die Locke hin

Der Traurenden,

Und will es das Schicksal gleich wehren, 85 Daß er ihre Leiber vermehle,

So vermählt er doch ihre Seelen. 35

Im Schlumer zieht er ihre Seelen

Mit sich in den Garten der Liebe.

1 36—38

0 singe mir, o singe mir, 39

90 Wo steht der Garten der Liebe? 40

Wohl über der Sonnen

Auf hellen silbern Pfeiler 42

Ruht der Garten der Liebe. S 204, 1

Da fließt der Strohm der Wonnen, 95 Da blühen der Freundschaft Bluhmen, Da quillt der Schönheit Bronnen.

Da wascht er sie, da bat er ihre Seelen in Freude 5

Und stärckt sie zu künftgem Leide. Da trincken sie mit einander vom Strohm der Wonne, 100 Steigen mit einander auf die Sonne.

Oft wenn ihr Leib keine E-uhe auf Erden hat,

Sitzen ihre Seele hier auf goldnen Stühlen, 10

Die der Liebensgott ihnen zubereithet hat,

Und genießen der Liebe nach allem Willen. 12

79 wie über von 83 nach traurenden, durchstrichen will und dann mit und will in der Zeile fortlaufend 86 vermählt am rande für verbindet 94 vor Strohm durchstrichen Schönheitbrunnen 96 vor quillt durchstrichen ist der Bronnen aus Brunnen.

über einige thessalische Namen.

Von

Friedrich Bechtel,

auswärtigem Mitgliede.

Vorgelegt von J. Wackernagel am 2. Oktober 1908.

Als ich den Index der Personennamen der von Otto Kern bearbeiteten Inscriptiones Thessaliae in der Correctnr las, über- zeugte ich mich bald, daß unsre Kenntnis der griechischen Per- sonennamen durch diese Publication große Erweiterung erfahren würde. Ich habe mir daher, sobald der Band erschienen war, zur Aufgabe gemacht ihn auf die Namen hin durchzuarbeiten. Bei dieser Prüfung hat sich ein doppelter Grewinn herausgestellt: von den früheren Herausgebern unvollständig oder falsch gelesne Namen erhalten hier zuerst ihre richtige Grestalt, und neue Namen treten in die Erscheinung, darunter manche recht interessante. In einigen Fällen bin ich bei der Kritik der Überlieferung und bei der Herstellung verstümmelter Namen zu andren Resultaten gelangt, als sie in dem Bande vorgetragen werden. Es scheint mir nützlich die wichtigsten Tatsachen, die sich mir in dieser drei- fachen Richtung ergeben haben, hier vorzulegen.

Ich beginne mit der Mitteilung einiger wichtigen Emendationen, zu denen Nachprüfung der Steine und neue Abklatsche geführt haben.

1) 'Aydötag 23427.

Heuzey hatte ^Qciötag gelesen; dieser Name kommt vorläufig in Wegfall. 'Aydötag, bisher unbelegt, ist an 'Ayaörocpccvrig anzu- schließen.

572 Friedrich Bechtel,

2) AlxiiaCQEtog 696 «s.

Pridik und de Sanctis bieten übereinstimmend AIXMAPETEIOI; Kern hat vor dem Steine die vier ersten Buchstaben nicht mehr erkannt, gibt aber AI PET El Ol als vollkommen deutlich. Die Tat- sache, daß AlxiiccQSTog auf einem thebanischen Grabsteine steht (IG VII 2636), könnte zunächst zu der Vermutung führen, daß dieser Name auch in Larisa beabsichtigt gewesen sei, der Stein- metz also AI aus der ersten Silbe in die nächste verschleppt habe. Man wird aber doch bedenklich, wenn man dem Elemente -aCgetog ein zweites Mal auf einer Inschrift begegnet , die nur von einer thessalischen oder äolischen Dame herrühren kann : 'E(p. äQ%. 1902. 41/42 ^Agte^iÖL Eilsi^va ^iKaiQBxa EvXaeia ev^a^iva. Hiernach wage ich nicht an der Existenz von Aix^aiQstog zu zweifeln ; dieser Name hat neben AlxiiccQsrog bestanden.

3) Bax&eCag 28475.

Alte Lesung BATOEKA^. Die gleiche Consonanten Verdopplung in der Koseform, die bekanntlich in Thessalien und in Böotien sehr beliebt ist, wird sich gleich nachher noch einmal constatieren lassen. Wie die Verdopplung des ß durch (KojtßCdaiog 517 59), so kann die Verdopplung des ö durch rd dargestellt werden: ^EvnsxöCovvog 511 12. Im conspectus grammaticus, den WSchulze beigesteuert hat, ist dies Verhältnis richtig beschrieben^).

4) MsXayzQog 234 153.

Der Name war schon aus dem koischen MsXayxgCdag zu folgern. Aber man freut sich einem auf Kos gebräuchlichen Namen auch in Thessalien zu begegnen. Heuzey hatte MEAANIOPEIOC gelesen.

5) Tlix^lvog und Uiz^Cdag 23429.9*.

Heuzey PITOINOC, niTOIAAlO^. Fick hatte schon Beitr. 5. 7 die Vermutung geäußert, 0 sei als O zu fassen. Ich hätte bei der Redaction des Abschnittes C der griechischen Personen- namen so besonnen sein sollen dieser Anregung zu folgen statt mich durch IlCtcjv, UizCdiv^ UiTvXog zum Ansatz eines Elementes TItr- verführen zu lassen. Jetzt wird Ficks Vermutung für den zweiten Namen durch den Stein bestätigt. Die Emendation von TlixoCvaiog in Larisa (517 53) ist nun keine Kunst mehr. JJixd-lvogy Uix^Cvag^ Uix^Cöag sind kosende Verkürzungen von Ucd-äxog: xd' auf dem Wege der bei Bax^siag besprochnen Consonantenver- dopplung.

1) Bar&siag führt das Patronymicum BaaavCdog, d. h. er hat einen Vater Bdaavig oder Baadviog. Im Index wird dieser Vater durch Versehen zu einem Buauviug.

über einige thessalische Namen. 573

6) JjQOVtOxX-- 55344.

Der erste Herausgeber der Inschrift, Fougeres, las n p 0 Y K 0 E. Dies führte zum Ansatz eines Namens IlQovxog (GrP^ 330), der also zu streichen ist.

7) TavQÖxXsca 7I83.

„Tel correctnm esse videtur", sagt der Herausgeber. Schade nm den Namen ZavQÖxXsia^ der auf Lollings Autorität hin ange- nommen ward, jetzt aber hinfällig wird.

8) 0r]fii6^axog 6 62.

PXIAA/M§§ Deschamps. Durch Kerns Lesung wird ein theo- phorer Name gewonnen : Zrivbg 0rjiitov aal ^A%'i]väg Or^^iov auf der erythräischen Inschrift über den Kauf der Priesterämter (Coli. 5692 h 26. 27). Die Vocalisation von ^yi^vo- weist auf ionisch-atti- sches Gebiet hin.

Ich gehe nun zu den Namen über, zu deren Elritik ich etwas beizubringen vermag. Um auf möglichst sichrem Grunde zu bauen, habe ich mich in allen Fällen, wo es möglich schien durch neue Prüfung der Überlieferung weiter zu kommen, an Professor Hiller von Gärtringen gewandt, der mir mit gewohnter Bereitwilligkeit aus den Materialien des Archivs Auskunft gegeben hat. Meine Bemerkungen folgen den Nummern des Corpus. Zu 14.

Im Anfange der 15. Zeile ist NKQTII erhalten. Der Heraus- geber faßt das erste Zeichen als Ende des vorangehenden, für uns verlorenen, Satzes und sieht in Kmtig den Namen der Freigelassnen, der den neuen Satz eröffnet. Aber weder die erhaltnen Satz- schlüsse noch die Namenform, die Kern selbst mit einem Frage- zeichen versieht , sind dieser Annahme günstig. Bedenkt man, daß durch 568 18 der Name Avyxog bezeugt wird^), und daß auf thes- salischen Münzen der Genetiv AYKOYTOY erscheint (GP^ 294) 2), so wird man zu der Vermutung geführt, daß wir den Rest von Av'yacotig vor uns haben. Zu 97.

Wenn f^YAlKA richtig gelesen ist seit Leakes Zeiten ist

1) GP2 316 nachzutragen.

2) Die Lesung ist allerdings von Kroog De foederis Thessalorum praetori- bus 43 f. angezweifelt , aber, wie ich auf Grund einer Mitteilung des Herrn Im- hoof-Blumer versichern kann, mit Unrecht. „Die Kat. Brit. Mus. Thessaly Taf. I 11 abgebildete Münze und der mir vorliegende Abguß eines gleichen Exemplars zeigen ganz zweifellos AYKOYTOY", schreibt mir Dr. Imhoof.

574: Friedrich Bechtel,

der Stein verschollen , so verlangt die Ableitung des Namens eine Rechtfertigung. Diese findet man, wenn man sich an ^qvvi- xCdscD auf Thasos (Coli. 5466 a*) erinnert: die Abneigung gegen die Folge zweier Aspiraten wirkt über eine Silbe hinüber. Zu 103.

Der Name"/^öötog wird als 'suspectam' bezeichnet. Die suspicio läßt sich zerstreuen. Aus Phalanna (1232 24) und Thespiai (IG VII 1779 8) kennen wir "Aöiog. Die Doppelconsonanz von "Aößiog kann auf zweifache Art gedeutet werden: entweder als bedingt durch die Koseform, oder in der Weise, wie sie in jcöXXtog^ UavßavvCaiogj TCQo^svvLovv vcrstandcu werden muß. Zu 109.

Z. 33 der Rückseite wird aus .A....AAIKA, wenn auch unter Vorbehalt , ['E]k[X]adC}ia erschlossen. Besser mit den Raumverhält- nissen und besser mit der Wortbildung würde sich die Ergänzung [TYja^i/Tjadtxa vertragen. Ich habe daher Hiller von Grärtringen gebeten zu untersuchen, ob sich diese Vermutxmg mit den erhalt- nen Spuren vertrage. Die Antwort lautet : „Z. 33 glaubt man zu sehen 17/, was also gewesen sein könnte FA. Freilich ist Jt sonst n oder n mit gl eich langen Schenkeln, was hier nicht der Fall zu sein scheint. Für E scheint kein Platz, vom untren Strich zeigt sich keine Spur, außerdem würde sein Ende mit dem A col- lidieren. Also stimme ich Ihrem IJccvtadixa durchaus zu". Es ist sicher nur Zufall, daß ich den Stamm :ncavr- in der Verbindung mit ÖLxa sonst nicht belegen kann.

Z. 143.

AIKAIPETA hat Fick in ztixaivsta geändert, und der Heraus- geber folgt ihm darin. Unter Aix^alQstog habe ich ein zweites Zeugnis für JiTiaigetog beigebracht.

Zu 149.

Der Name lA^svLöxog darf nicht angerührt werden : er schließt sich mit ^A^ieveag in Larisa zusammen (MoXvxxcot, ^A^isvia QsöCakm iy AagCöag Coli. 2585) , weiterhin vermutlich mit ark. 'AyLriviagy kjrpr. 'JfirivLJag , lesb. 'Anevvd^svog (WSchulze GGrA 1897. 894). Zu 155.

[ß]ovAtx|a ^ux\(x)st6C\[a\ HiUer von Gärtringen bei Kern. Hier war mir die Form ^uxstsCa aus zwei Gründen bedenklich: wegen des im ersten Elemente bewahrten Hiatus, wofür ich kein Beispiel kenne ^), und wegen der Vocalisation der Ableitung; die

1) JucpQddrig auf dem leßbiscben Steine IG XII 2 no. 5 19 würde eines sein, ■wenn es sicher stände ; aber hinter Patons A 1 1 0 P . A H C verbirgt sich wol der

über einige thessalische Namen. 575

Form, die Hiller von Grärtringen vor Augen hatte, müßte in Thes- salien zfixstata lauten. Es hat keinen Zweck von dem Versuche zu erzählen, den ich machte, um einen weniger anstößigen Namen zu gewinnen : er ist hinfällig geworden, seit Hiller von Gärtringen einen nachträglich eingegangnen Abklatsch befragen konnte , aus dem sich ergibt, daß in der zweiten und dritten Zeile, abgesehen von dem schließenden K der zweiten, dessen Winkel von einem zufälligen Risse herrühren kann, kein Zeichen geändert werden darf, auf dem auch keine Spur einer vierten Zeile sichtbar wird, so daß die Inschrift für vollständig gelten kann. Auf einer Schede, die an den Abklatsch geheftet ist^), wird z/t [tcxetsl oder z/tl Ixstsl als Lesung vorgeschlagen. Ich zweifle nicht, daß die zweite Mög- lichkeit zutrifft, und erinnre wegen des Zsvg iKsrsvg , der hier zum ersten Male begegnet ^), an den Zsvg i^triQ und acpixtcoQ. Noch eine Textberichtigung fordert der Abklatsch : in dem an der dritt- letzten Stelle der ersten Zeile erscheinenden Zeichen will Hiller von Gärtringen lieber ein verstümmeltes t erkennen und darum [t]ovöixa statt [B]ovXixcc schreiben. Zu 207. Die Reste des Namens, der Col. c Z. 2 f. gestanden hat, werden von den Herausgebern Jarde und Laurent so beschrieben: „Notre premiere lecture nous avait donne AYgOAE|ONTOl, ce qui nous avait fait admettre la restitution Av[x]olsovrog. Mais la lettre que nous donne l'estampage n'est assur^ment pas un K, peut-etre est-ce un M; de plus nous avons cru distinguer un O au lieu d'un A et au debut de la 1. 3 les traces d'un A". Aus dieser Beschreibung hat von Wilamowitz den Genetiv Avxoiisdovtog entnommen. Da die Herausgeber aber sagen, an dritter Stelle habe sicher kein K, vielleicht ein M gestanden, so komme ich zu dem Vorschlage @V' ^o^BÖovtog ^).

bekannte Name 'AgicpgciSrig. Bei dieser Gelegenheit berichtige ich eine zweite Ergänzung auf der selben Inschrift. Z. 22 bietet Patons Facsimile B . 0 K A A , sein Text ß[t]oxZ[«tcö ?]. Ich teile den Zweifel, den Paton selbst ausspricht, und schlage ß[t]oxad[£tct)] vor; zu dem so eingeführten Namen BLOKudrig sei an ^ 3f. 0 OL ßidroio iidXiara yi-^östo oU^av erinnert.

1) Nach der Mitteilung Kerns ist ihr Verfasser R. van der Loeff.

2) Auf dem Steine CIG 1534, der eine Grenzbeschreibung von Megolopolis enthält und den ich wegen der goldeswerten Form Ilvtiov in der Sammlung der arkadischen Inschriften hätte berücksichtigen müssen, wird eine Örtlichkeit 7xfxr«ta erwähnt. Auf ihren Namen wirft der Zsvg tyistsvg Licht; er ist ein indirectes Zeugnis für die inCyilriGig.

3) Jardes Abklatsche, die in das Berliner Archiv gekommen sind, versagen hier nach dem Urteile IliUers von Gärtringen.

g^ß Friedrich Bechtel,

Zn 376.

Pridik und de Sanctis bieten in Z. 4 der ersten Fläche . I A A I A als Namen einer Freigelassnen. Bei der vorgeschlagnen Herstel- lung [^]U«[p]a stört mich die Bezeichnung des kurzen t durch El, die auf diesem Bruchstücke keine Analogie hat. Auf der delphi- schen Freilassungsurkunde Coli. 2527 wird Z. 3 ein üoXs^aQxog EiXalog erwähnt. Nimmt man an, die Sklavin habe von ihrer Heimat EUaia, geheißen, so kann man die überlieferten Zeichen ohne Ändrung stehn lassen. Auch [^]ilaCtt wäre ein Ausweg.

Zu 414.

In Z. 13 der zweiten Fläche hat Pridik ANTOYNIAEIOI ge- lesen (Y unsicher), Kern, der nur Trümmer des Steines vorfand, APTOI-- (P unsicher, das Ende des Namens nicht zu entziffern), Wolters AATO--. An das Patronymicum ^ArtowLÖsiog, das auf dieses Fundament aufgebaut wird, kann ich nicht glauben *). Läßt man die Kritik an den Zeichen einsetzen, bei deren Deutung die Gewährsmänner nicht einig sind, schreibt man also an zweiter Stelle für das N Pridiks, das P Kerns , das A von Wolters I , und ergänzt man Kerns letztes Zeichen, wofür Pridik T bietet, zu /^ , indem man für M die Gestalt voraussetzt, die das Zeichen in Kerns vorletzter Zeile hat: so wird man auf 'Jöto^scdsiog geführt. Den Namen ^AexoiLddeig weist der Index für Pharsalos und Larisa nach.

Zu 418.

'AvtLTcdzQa 'Emvccrov. Vielmehr ^EjtLXQcczov, laut Wilhelm an der zweiten der im Lemma angeführten Stellen. Damit fällt auch ['En]LvdtoL 414^6, wofür zlvvdtoi zu lesen sein wird.

Zu 460.

KONAIO (Z. 11) wird von dem ersten Herausgeber nachträglich zu Kövaßog vervollständigt {'E(p. aQx- 1900. 111), Kern nimmt l als Rest von r. Da wir KovccQag als Namen kennen (GP- 326), bin ich auf die Vermutung Kövagog gekommen. Die Vermutung war richtig : auf Grund des Abklatsches, den das Archiv besitzt, schreibt mir Hiller von Gärtringen: „KONAPO^ steht da; es ist noch fast die ganze Rundung des P vorhanden, nur innen die Epidermis fort".

1) Man müßte dieses Patronymicum vielmehr als Metronymicum auffassen, wie MvlUdeos in Pharsalos (250) sicher gefaßt werden muß (WSchulze). Aber solche Ausnahmen dürfen nur auf Grund absolut zuverlässiger Lesungen statuiert werden. Aach für Uccgfiov^dstoe in Larisa (688), das ebenso gedeutet werden müßte, ist Lolling der einzige Gewährsmann.

über einige thessalische Namen. 577

Za 473.

Zwei Namen dieser Inschrift glaube ich in Ordnung bringen zu können; zur Herstellung eines dritten mag wenigstens eine Vermutung vorgebraebt werden.

Z. 10 gibt das Facsimile MYCIAIO^, doch hat Kern selbst das erste Zeichen auf dem Abklatsche nicht erkannt. Es liegt daher nahe den befremdlichen Namen durch Ersetzung des M durch A zu umgehn. Hiller von Grärtringen hält dies nach Prüfung des Abklatsches für möglich: vom ersten Zeichen ist \ sichtbar.

Z. 13 liest Kern OEOAOYKEIOC, Philios EOAOYIEIO^, aber doch so, daß er an Stelle des ersten E auch I, an Stelle des ersten I auch K für möglich hält. Mir scheint klar, daß ein Name auf -dovQSLog vorliegt, und zwar, wenn Kerns OEO richtig ist, kein andrer als das Patronymicum ®€odovQ8Los. Ich teile das Ergebnis von Hillers Prüfung des Abklatsches mit: „Sicher sind AOYIEIO^, und es scheint allerdings A und nicht A gewesen zu sein; der rechte schräge Strich ist tief und kräftig eingedrückt und hört unten entschieden auf. Über den fünftletzten Buchstaben wage ich nichts zu sagen. Vor dem A sehe ich eher eine Hasta I , davor : , was zu Philios I gehören könnte, obwol ich davon lieber keinen Grebrauch zu machen bitte. Sonst wünsche ich Ihrem -öovqslos alles Griück, auch wenns 'löidovQSiog gewesen sein sollte". Ich bleibe also bei -dov^siog stehn : der Steinmetz mag ja A versehent- lich für A eingemeißelt haben.

Die Vermutung betrifft den Namenrest . . . 1 0 P K E U der zweiten Zeile. Hiller von Gärtringen bestätigt mir die vom Facsimile ge- botnen Zeichen ausdrücklich^), und fügt hinzu, daß er vor dem I

1) Ich hatte an K gezweifelt, weil im Facsimile ein Punkt unter den Buch- staben gesetzt ist, worin ich die Andeutung sah, daß er unsicher sei. Aber Hiller von Gärtringen belehrt mich, daß der Punkt nicht nur die Unsicherheit sondern auch die Unvollständigkeit eines vollkommen sicher stehenden Buchstabens be- zeichne. In Übereinstimmung mit ihm spreche ich aus, daß diese Doppeldeutigkeit ein Mangel ist ; denn der Benutzer des Corpus kann nicht wissen, wann er einen unsichren, wann einen unvollständigen, im übrigen sichren Buchstaben anzunehmen habe. Die üble Wirkung der Bezeichnungsweise ist noch in einem andren Falle zu Tage getreten. Der Name 'EXxfjSta des Steins 248 wollte mir nicht in den Sinn, Da das Facsimile unter das erste E einen Punkt setzt, nahm ich an, E sei unsicher und wollte es mit A vertauschen. Aber die Erkundigung, die ich bei Hiller von Gärtringen einzog, ergab, daß an 'EX-neßia nicht zu rütteln ist: „E ist nichts weniger als unsicher, es ist völlig sicher, nur nicht ganz erhalten". Der Name, der doch wol nach Anleitung von arf ßtorov a (liXsog slg xov cclsv Uyia XQovov (Eur. Or. 206 f.) verstanden werden muß, mag individuelle Veranlassung haben.

Kgl. Ges. d. Wies. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 5. 40

578 Friedrich Bechtel,

ziemlich deutlich die Eeste eines M zu erkennen glaube. Falls dies aber keine Täuschung ist welche Ergänzung ist dann mög- lich, wenn nicht [AccjuLOQxsig? So würde der von Wilamowitz verworfne Name jla^iaCvstos in Larisa (553 is) , dessen Prüfung bei dem Zustande des Steins leider nicht mehr möglich ist, doch wieder zu Ehren kommen und die Eponyme von Lamia (Head Hist. Num. 252) in das Namenwörterbuch eingeführt werden müssen.

Zu 505.

Der Herausgeber verzichtet auf die Umschrift des Genetivs XYAAIOI (Z. 3). Man kann aber den Namen Xvdatog verstehn: wer es mit denen hält, die slxi}!, xal cpoQux&g xccl xvd)]v, ort ctv BTceX^rii, Xeyovöi (Isokr. 12. 24), den können gute Freunde und treue Nachbarn als Xvdalog bezeichnen.

Zu 534.

Z. 19 IlaQiisvCöKog GsaQu^tov Kcbog. So las Philios; Kern hat bei der Untersuchung des Abklatsches PH nicht zu erkennen ver- mocht. Diese beiden Zeichen bilden aber den kritischen Punkt des Namens : wie kommt ein Mann aus Kos dazu eine ionische Namenform zu tragen? Aus Patons Index ist zu ersehen, daß ©saCtrirog ein auf Kos gebräuchlicher Name war. So lag die Ver- mutung nahe, daß er auch auf dem thessalischen Steine gestanden habe. Aber Hiller von Grärtringen belehrt mich, daß „zwischen A und H für IT nicht recht Platz" ist, und kommt seinerseits zu dem Vorschlage GEATHTOY, Damit ist mein Anstoß beseitigt und ein neuer Name gewonnen.

Zu 1228.

Das Facsimile gibt Z. 86 AOYCANAPOI an. Es ist evident, daß das erste Zeichen nicht in der Ordnung ist. Der Apparat läßt hier im Stiche : „leider scheinen nur Teilabklatsche vorhanden, die Z. 86 nicht enthalten", berichtet Hiller von Grärtringen. So muß die Vermutung Zovöccvöqol sich selbst empfehlen.

Zu 1321.

Im Anfang der dritten Zeile lesen Jard^ und Laurent EPA AI--OY, Giannopulos E 0 N A U - - , Kerns Facsimile bietet E ß N A I . T 0 ^. Durch Combination der ersten und dritten Angabe war ich auf 'EQyaC- [vE\Tog geraten und trug Hiller von Gärtringen diese Vermutung vor. Sein Bescheid lautet: „Am Anfange der Seite sicher inQNAITOI, also 7:n:c3ra[x]T0ff". Dies Ergebnis ist auch darum von Wichtigkeit, weil nun gewis wird , daß das Namenverzeichnis erst mit der vierten Zeile beginnt ; der Grenetiv 7:t6vuxto$ muß in dem

über einige thessalische Namen. 579

Präscripte gestanden haben. Was auf ihn folgte, ist nicht mehr zu entziiFern.

Aus der reichen Fülle der Namen, die mir in diesem Corpus zum ersten Male begegnet sind, hebe ich hier nur die hervor, die mir Gelegenheit zu einer Bemerkung geben.

1) 'AyQeörag (Thaumakos) 2213.

Dieser Name scheint mir als Gegenstück zu ^Ogsötas (der Bergbewohner) gebildet zu sein.

2) AlTtoXCovv (Pherai) 437.

Es ist deutlich , daß AlnolCovv mit dem auch in Thessalien (834) vertretnen BovxoXlcjv parallel läuft.

3) 'Av (porig (Doliche) 1278.

Der Vater der ^AvcpcjtLg heißt 0Qa6vXaog. "War er Faust- kämpfer oder Pankratiast, so kann die Tochter in ihrem Namen diese Liebe des Vaters zum Sport zum Ausdrucke bringen : ä^cpo- Tidsg sind die Ohrdecken, die Faustkämpfer und Pänkratiasten tragen.

4) rvQSitog (Pherai) 428.

Dieser Name gehört zu der gleichen Sippe wie FvQiöag und FvQcjv (Spitznamen 31) und weist auf ein altes Präsens yvQSG) hin, das neben yvQoca bestanden hat.

5) Aatiiovv (Krannon) 460 15.

Der Stein bietet AAIMON, als Rest eines Patronymicums, das Jä'C^övsiog gelautet haben muß. Der Name, der zu Grunde liegt, hat mit dai^cov nichts gemein, stellt vielmehr die zweistämmige Verkürzung der auch für Thessalien bezeugten Vollnamen Aät- ^ccxog, Aat^ivvig vor, die in ionischer Vocalisation zfsi^wv lautet (so in Styra, Coli. 5346). Enge verwandt ist Jat^usi in Tanagra (IG VII 558).

6) Aitcc (Metropolis; Freigelassne) 2745.

Gehört als Femininum zu lesb. JCtag (IG XII 2, 103. 105), das WSchulze richtig als z/t/trag gedeutet hat (GGA 1897. 893).

7) -xvL^vog (Hypata; Freigelassner) 14 10.

Eest eines Namens , dessen Träger das Zeugnis ausgestellt erhält, daß er am xviö^og leide. Ob das zweite N der Sprache oder dem Steinmetzen gehört, kann nicht entschieden werden. Zu dem neuen Namen auf -xvL^vog wolle man Ficks Ausführungen über KovidaXog (Beitr. 28. 100) beachten.

580 Friedrich Bechtel, über einige thessalische Namen.

8) KoQQCiiaxog (Larisa) 513 13. Vollname zu KoQQivddag in Thespiai (IGr VII 1793). Das Anfangselement kann ich nicht befriedigend deuten.

* 9) Nix66ta6ig (Larisa) 513 n.

So oder Niao6td6iog lautet der Name, der aus dem Patrony- micum NLKoördöösLog zu erschließen ist. Denn dieses Patronymi- cum hat man sich vor der Consonantisierung des i und der durch j hervorgerufnen Dehnung des 6 als NiKoöraöÜLog zu denken. Ich erkläre Nix66ta6Lg oder Nixo6td6iog als Umsetzung von Zta^ivcxog, einem Namen, den ich so übersetze: ^einer, der seiner ötdöig zum Siege wird'. Vgl. noXv^rldri[g] Zta6LccQX£[tog] in Phayttos (501).

10) ngoväerag (Larisa) 5803.

Ein politischer Name wie Msvidtag. Steph. Byz. aus un- bekannter Quelle: BoLOtav de xivsg xo ndlai [i%-vog\ IlQovderaL xaXdovtai,

11) ZxQBlßovv (Larisa) 513 h.

GrehÖrt zu SxQoißog (Spitznamen 49), und ist die erste Spur eines alten Präsens oxQsCßcj. Darf mhd. streif (Streifzug) in diesen Zusammenhang gezogen werden?

Halle (Saale), 8. August 1908.

Die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur.

Von

N. Bonwetsch.

Vorgelegt in der Sitzung vom 28. Juni 1902.

Die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur, wie ich sie hier nach den Ausgaben Pypins, Tichonravovs und der in den sog. Cetji Minei vorlege ^), bekundet schon durch ihren sprach- lichen Character ihren (mittelbaren) Ursprung aus einem hebräischen Original. Sie stimmt in weitem Umfang mit dem überein, was M. Graster aus der Chronik Jerahmeels (oder vielmehr eines Eleasar ben Ascher a. 1325) veröffentlicht hat ^), und was Mignes Dictionnaire

1) A. Pypin, Die erdichteten und apokryphen Bücher des russischen Alter- tums (Loznyja i otrecennyja knigi russkoj stariny) in den Denkmälern der Litte- ratur des russischen Altertums (Pamjatniki starinnoj russkoj literatury) des Grafen Gr. Kuschelev-Bezborodko, St. Petersburg 1862, S. 39 49; nach der Paleja des Rumjanzov-Museums No. 453 a. d. J. 1494 (Vostokov, Beschreibung des Rum. Mus. S. 725 f.), Bl. 155 164, dazu Lesarten aus dem Sammelcodex Pogodins No. 947, Bl. 716. N. Tichonravov, Denkmäler der apokryphen Litteratur (Pamjatniki otrecennoj russkoj literatury), St. Petersburg 1863, 1 S. 233—253 ; nach einer Menäenhandschrift aus der Novgoroder Sophienkirche No. 1384 (jetzt wol in der Bibliothek der St. Petersburger Geistl. Akademie) saec. 15/16 Bl. 34'' 52. Ebenso in der Handschrift dieser Kirche 1264 Bl. 146: „Rede von dem Leben des heil. Propheten Mose, von seiner Flucht aus Aegypten und seiner Herrschaft unter den Sarazenen". Die großen Cetij minei (M), gesammelt durch den Me- tropoliten von ganz Rußland Makarij, herausgegeben von der archeographischen Kommission. St. Petersburg 1868, I S. 164 253. Nicht zugänglich ist mir die Ausgabe von M. Speranskij in No. 24 der Belgrader gelehrten Ges. nach einer serbischen Handschrift saec. 17.

2) M. Gast er, The Chronicles of Jerahmeel; or the Hebrew Bible Histo- riale (Oriental translation fund, New Series IV). London 1899, Cp. 43 ff. S. 106 The chronicles of Moses.

Kgl. Ges. d. Wisß. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse 1903. Heft 6. 41

582 ^- Bonwetsch,

des Apocryphes aus dem Sepher Hajaschar, A. Wünsche nach Jellinek, Bet ha-Midrasch 11 S. 1 ff. und aus dem Midrasch Schemoth Rabba, B. Beer und M. Grünbaum an jüdischen Moses- sagen mitgeteilt haben ^). Die Wiedergabe der slavischen Re- cension der Moseslegende dürfte doch berechtigt sein, da es sich hier um einen Sagenbestand handelt, der bereits Josephus bekannt gewesen ist, mit dem Berührungen auch bei Eusebius, Praepar. evang. IX, 27 aus vorchristlichen Quellen nicht fehlen. Die Moses- legende gehört in jenen großen Sagencomplex, in dem das Judentum sich auf fremdem Boden gewachsenes Material zur Ausschmückung seiner Helden aneignete.

Der Uebersetzung des slavischen Textes (S) füge ich die Pa- rallelen in der sonstigen TJeberlieferung der Legende bei, jedoch nicht alle Abweichungen im Einzelnen. P ist die Ausgabe Pypins, und zwar P'^ die Lesart der von ihm zu Grunde gelegten Handschrift des Bumjanzovmuseums, Pp von ihm mitgeteilte Abweichungen des Pogodinschen Sammelcodex ; T der Text Tichonravovs ; M der in den Menäen; G == Gaster, J = Sepher Hajaschar bei Migne, W = Wünsche, Gr = Grünbaum, B = Beer. Ich versuche nicht die ursprüngliche Gestalt der Vorlage von P, T, M herzu- stellen ; sie läßt sich nur annähernd aus der Uebereinstimmung mit der TJeberlieferung bei G, J, W, Gr erschließen. P' und M, T und PP gehören zusammen.

1) Diction. II, Paris 1858, Sp. 1256 ff., Uebersetzung von Drach. A. Wünsche, Bibliotheca rabbinica, Lief. 12—18: Der Midrasch Schemoth Rabba, Leipzig 1882 (W^), und Aus Israels Lehrhallen, Leipzig 1907, I, 61— 80 [vgl. auch S. 92 ff.] (W^). B. Beer, Leben Moses nach Auffassung der jüdischen Sage. Jahrbuch für Geschichte des Judentums. III, Leipzig 1863 (Text S. 11 62, Anm. 63 f.). M. Grünbaum, Neue Beiträge zur semitischen Sagenkunde, Leiden 1893, S. 152 185. A. Geiger, Was hat Mohammed aus dem Judentum aufgenommen? Bonn 1833, S. 152 180.

die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 583

Das Leben des heiligen grossen Propheten Mose.

Die Erzählung seines Ursprungs, und wie er herrsclite unter den Sarazenen und wie er mit dem König Pharao stritt und mit dem Magier Balaam und wie er das Volk ausführte aus 5 Aegypten.

I. Jakob nun, als er siebenundachtzig Jahre alt war, zeugte er den Levi. Und nach dem Tod der Söhne Jakobs begannen viele zu zeugen in Israel in ihrem Erbe und im Erbe der Verheißung Grottes an Abraham, ihren Vorvater. Und

10 Levi, als er neunundvierzig Jare alt war, zeugte den Armia, Gaidad, Chebron und Kahat. Kahat aber, als er sechzig Jare alt war, zeugte den Ambram. Ambram aber, hundert Jare alt, zeugte den Aaron und die Mariam xmd den Mose im hundert und ersten Jar nach der Ankunft der Israeliten in Aegypten.

15 Mose aber war der siebente von Abrahams Geschlecht, seine Mutter aber war Agabeth, eine Tochter Levis.

An einem nun von den Tagen sähe der König Pharao einen Traum. Als er auf dem Tron seines Königsreichs in Aegypten saß und als er seine Augen aufhob, sähe er einen

20 alten Mann sich gegenüberstehend, und in seiner Hand eine Wage, und er legte in die eine Wagschale alle die Aeltesten der Aegypter und ihre Vornehmen, und in die andere Wag- schale legte er alle Lämmer. Und er erwachte. Und er stand des Morgens früh auf und rief zusammen alle seine Knechte

25 und tat ihnen den Traum kund; und das Volk erschrak mit großer Furcht und der König selbst über jenes Gresicht. Und

Wo „und" in T, P oder M fehlt, ist es in der Regel nicht angemerkt [ 1 „großen" < T, „und wunderbaren" -f M | 2 „und— Aegypten" -|- T | 6 „Jakob Levis" Z. 16. nach Pypin (nur lese ich st. armiaga i daida vielmehr armia gai- dada). „Levi aber zeugte vier Söne: den Armia, Gaidar und Chebron, Uzniel (vgl. Ex. 6,16 rsdaoiv xal Kaä& xal Msqccqel. Ex. 6, 18 'A^ßgccfi huI ^leaccQ, Xb- ßgäiv v.al 'O^BirjX). Abram aber zeugte den Aaron und die Mariam und den Mose im hundertundersten Jar nach der Ankunft der Israeliten in Aegypten" T | 7 vgl. B S. 12 I 17 G 43,1 S. 106. J Sp. 1257. Gr S. 158 nach S. hajaschar f. 128i-— 130^. B S. 22. „An— Tagen" : „Es war im 130. Jare nach dem Hinabzug der Kinder Israel nach Aeg." W^W^JG | 20 „eine Wage" : a pair of scales as used by mer- chants. The old man then took the scales and, holding them up before Pharaoh G j 22 „alle ihre Vorn." M | 23 „legte er" < M | „alle Lämmer" vsja agnici (vsi agn'ciT), „ein junges Lamm" GWGr; so wol auch ursprünglich S sosusta agnca; „und es wog auf alle die andern" + GGrBW | 25 „und tat« M 165 ] 26 „und der— Gesicht" < P^M.

41*

534 ^- Bonwetsch,

der Magier Balaam sprach: Siehe, es wird ein Uebel erstehen in Aegypten in den letzten Tagen. Der König sprach : Was sein wird, zeige uns. Und Balaam sprach zu dem König:

* Ein Kind wird in Israel geboren werden, das wird das ganze 5 Reich Aegyptens zerstören. Sei wissend, o König, daß du schreibest in den Gresetzen Aegyptens, daß man ertränke jedes Knäblein, welches geboren wird unter den Juden, [damit man es töte]. Und der König rief die Wehmütter der Juden und befahl ihnen, die kleinen Knaben zu töten, und die andern in

10 den Fluß zu werfen. Und die Wehmütter fürchteten Gott und taten nicht so, wie ihnen der König Aegyptens, Pharao, befohlen hatte. Denn Grott mehrte sie sehr, daß sie heraus- gingen aus der Stadt auf das Feld und Kinder gebaren. Die Engel Grottes aber badeten sie und windelten sie ein und legten

15 ihnen in beide Hände zwei Steine, damit sie aus dem einen Butter saugten und aus dem andern Honig. Und die Aegypter gingen auf das Feld, sie zu suchen, und auf den Befehl Gottes öifnete sich die Erde, nahm sie auf. Jene aber gingen nach (mit?) ihren Pflügen und Pflugscharen und konnten sie nicht

20 finden, denn Gott beschützte sie. Und das Volk mehrte sich und wurde stark. Und auf dem Feld herangewachsen kamen sie zu Tausenden in ihre Häuser.

II. Es war aber ein Mann in Israel mit Namen Ambram, welcher nahm zum Weib die Echevda, seine Verwandte. Und

1 „einer von den Eunuchen (Fürsten W^) des Königs" statt „Balaam" stets G | 2 „Tagen" T 234 \ Joseplius, Antiqu. II, 9,2 (205 f.) S. 125,8 ff. ed. Niese t&v i8QoyQafi(iare(üv xig . . ayyiXXEi tc5 ßccöiXsi xE%Q^ri686%'aL tivcc %ar' i-nscvov xbv naiQOv xovs 'lagccriXLxaLg og xansivmasi [ihv xr]v AtyvTtxicov rjys^oviav . . . dsiaccg d' 6 ßaai-Xevg %a.xa yvaiiriv xr\v kv.BCvov v.bXbvsi näv xb ysvv7i%'\v ägasv . . dicc- ff^BlQBiV, nagacpvXdaaEiv xs xäg didivag x&v ^Eßgaicov yvvavY.&v v.a\ xovg xo-KBxovg wbx&v TtuQaxriQSiv xag Myvjtxtav fiaiag | 4 Gr 155 nach Tabari | 6 „dem Gesetz" P^M I „ertränke" : „töte" TM | 7 „damit— töte" <PM | „töte" : so thet tbis evü be averted from the land of Egypt G | 8 „Und" : ausfürlicher W^ nach Ex. 1,15 ff. | „der Kön." : „er" T | 9 „und die werfen" : die Töchter leben zu lassen G B S. 19 j 10 „D. Wehm. aber" PM | 11 ausführlicher G. B S. 25. W^ S. 10 „und" < T | „Pharao" < T | 12 „Denn— sehr" : breiter in PM | „daß— Stadt" : „die Frauen aber der Juden gingen hinaus" PM | 13 „Kinder" < PM | „Der Engel" PM | 14 „bad. d. Kinder" PM: und rieben sie mit Salz -f- G | 15 „damit": „und" M, <P I 16 I vgl. die Leg. Abrahams z. B. bei S. 16 | 17 „suchen«: „nehmen" P | 20 „Und— stark" : „U. es mehrte sich sehr d. Volk der Juden und wurde stärker als d. Aegypter. Der König aber der Aegypter, Pharao, liebte nicht, daß sich Israel mehrte" PM j „Und— Häuser" vor „Und das Volk" in PM | 23 Ex. 2,1 I „Abraam" stets T j G c. 44, S.108. J 1260 f. B 28 f. 32 f. 10. 17. 173. W2 62 ff. I 24 „Echevda" TPr: Agabeth MP'.

die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 585

sie gebar eine Tochter und nannte ihren Namen Mariamne. Denn in jenen Tagen fingen an die Söne Harns zu plagen das Leben der Söne Israels. Sie empfing und gebar einen Son und nannte seinen Namen Aaron. Denn in jenen Tagen fing Pharao 5 an zu vergießen das Blut der Knäblein auf die Erde und andere in den Fluß zu werfen. Damals trennten sich viele von ihren Frauen. Auch Ambram trennte sich von seiner Frau. Und es geschah in jenem Jar, am Ende des dritten Jars, kam der Geist Grottes auf Mariamne, und sie weissagte und sprach : Siehe,

10 ein Son wird geboren werden meinem Vater in diesem Jar, und dieser wird Israel erretten von der Hand der Aegypter. Als aber Ambram dieses von Mariamne gehört hatte, brachte er seine Frau wieder zu sich zurück und nahm sie. Im sechsten Monat, nachdem sie empfangen, [und] gebar sie einen Son. Und das

15 Haus ward voll Helligkeit. „Und die Frau sah das Kind, daß es schön war und bewarte es drei Monate" in einer Kammer. In jenen Tagen geboten die Aegypter, ihre kleinen Kinder zu bringen in die Häuser der Juden, damit antworte das jüdische Kind dem ägyptischen Kind. Jenes Weib aber, das sich davor

20 fürchtete, machte einen Kasten von Binsen und bestrich ihn mit Lehm von innen und von außen mit Pech und legte dahin das Kind und setzte es zwischen das Schilfrohr am Fluß. Seine Schwester aber stand von fern. Und Grott sandte eine Hitze auf das Land Aegyptens, und die Menschen hatten sie-

25 dend heiß. Und die Tochter Pharaos stieg herab, um zu baden im Fluß, mit den Jungfrauen und mit vielen Frauen. Als sie aber sah den Kasten schwimmend auf der Oberfläche des Wassers, und sie es nahm und ,, öffnete, und sie sah ein Kind, welches weinte, und es jammerte sie seiner. Und sie sprach:

30 Von den Kindern der Ebräer ist dies.^' Und sie brachten

1 „Mariam" P^^M | 2 „pl. die Söne" PM [ 3 „Sie" : „Ambram aber« PM | 5 „ver- gießen« P 40 I 6 Wi 11 I „viele" : „Männer« M | 12 „dieses« < M | 13 „nahm— Monat« < P'M I 14 „Son«: „u. nannte s. Namen Nemelchia« + PM | 15 „ward" M 166 | 16 „in" T 235 j 17 W^ 17 | 18 „antworteten" M j 19 „ägyptischen« : „jüdischen« PM j 19 Joseph., Antiqu. II, 9,4 (219 f.) S. 128,11 ff. ensita de dsLöccg 'A^agd^ris . . ^n- %av&vxai Tilsy fia ßißXivov sficpsQsg ty %axa6vsvy 'nOLxCdi . . Ttoir\6avxss . ., k'nsita XQ^oavxeg ccocpdXxco . . ivxid'iaai, xb itaidCov \ 21 „mit außen" < PJ'M | 22 „d. Kind" : „es" PM j 23 „Schwester« : „Mariam« + M | „fern« : „sehend« + PM | 25 „Pharaos" : „Thermutis" -j- PM j 26 „m. v. Fr.« : alle Nebenfrauen Pharaos mit ihr G | „Als sie": „Und sie sah das Kästchen sciiwimraend auf dem Fluß und sandte <hin> und« PM | Ex. 2,5 | 30 „dies" < M: PM fügen hier st. S. 596,10 f. Ex. 2,10 hinzu.

586 ^- Bonwetsch,

ägyptische Frauen herzu es zu säugen, und es wollte nicht saugen. Denn von Grott war es, um es zurückzubringen zu den Brüsten seiner Mutter. Und Mariamne sprach: Willst du, daß ich dir herzu bringe „ein säugendes Weib von den Ebräern, damit sie 5 dir das Kind säuge"? Sie ging hinab und brachte herzu seine Mutter. Und die Tochter Pharaos sprach: Säuge mir dieses Kind, so werde ich dir je zwei Silberlinge für den Tag geben. Und sie stillte es und nahm es von ihr. Und es geschah am Ende von zwei Jaren brachte sie es der Tochter Pharaos.

10 Und er ward ihr zum Son. Und sie nannte seinen Namen Mose, „weil ich ihn aus dem Wasser genommen habe."

m. Und es geschah, im dritten Jar nach der Geburt Moses saß Pharao zu Tische, die Königin zu seiner Rechten, Bithia saß zu seiner Linken, das Kind aber saß auf ihrem

15 Schoß, und die Großen saßen um ihn. Das Kind aber nahm ausstreckend die Krone vom Haupt des Königs und setzte sie auf sein eigenes Haupt. Und der König erschrak und seine Großen. Und Balaam, der Magier, antwortete und sprach: Gedenke, o Herr König, an den Traum, den du sähest, und wie

20 dein Knecht ihn dir deutete ; und dies ist das Kind der Ebräer, denn der Geist Gottes ist üi ihm und mit Vorsatz hat es dies getan, und es will das Reich Aegyptens sich empfangen. Denn so hat Abraham sein Vorvater getan, welcher überwältigte des Königs IN^imrod Heere und Abimelech, den König von Agar,

25 vertrieb und selbst nach Aegypten kam und seine Frau seine Schwester nannte, um ihren König zu verderben. Ebenso tat

1 „ein säugendes ägyptisches Weib" PM | Joseph., Ant. II, 9,5 (226) S. 130,3 ff. fij] TtQoasfiivov de avtov xj\v &7iXr]v &XX &7t06tQcccp£VT0s xal Tovr' ijtl noXX&v Tcoi'qaavrog ywai-Köäv 17 MagLUfiri etc. Vgl. Georg. Sync. S. 226,11 f. ed. Dind. Koran, Sure 28,11. GS. 110. J 1261 f. Gr 155. B 36 f. Geiger 157. W^ 20. W^ 64 | 3 Ex. 2,7 I „trat herzu und sprach« PM | 5 „dies Kind" PM | „hinab" < PM | 6 „sprach zu ihr" PM | 8 besser „nahm es von ihr u. stillte es" PM | 11 Ex. 2,10 j 12 Joseph., Ant. II, 9,7 (233 ff.) S. 132,5 ff. raig rov nargög x^QO^v hexC&Bi vh ßgifpog, 6 91 . . inixCQ^Giv a'btä) th ÖLcc8ri(icc. v.axacpEQBi S* 6 Mcovofig sCg rrjv y»)v nsQiB- Idfisvog ccvTÖ . . inißuLVS xb avxä xotg nooi . . . d^eaadfisvog d* 6 tsQoygafifiarsvg 6 xal xijv yivEGiv avxov ngoemoav inl xccnuvcoasL xf]g AlyvnxCaiv &Qxr)g iao^hriv mQiiriasv ScnonxsCvcccyiccl . . ovTOg, «Itt«, ßaaiXsVy 6 naig ixsivogy bv yixECvaöiv illLtv idijXaasv 6 &sög SccpoßoLg slvai etc. Georg. Sync, Chron. S. 228,1 ff. | G c.44,8ff. S. 110 ff. J 1263 f. Gr 153 und besonders 156 ff. nach dem Seph. hajaschar f. 131V fg. W^ 21. W2 65 f. 92 f. B. 38 ff. | 14 „Bithia«: „Thermutis« wie der Syn- kelle PM I 15 „saßen« < M | 18 „Magier": one of the king's eunuchs -f- G | „u. sprach« < M | 21 „in ihm« < M | 23 „überw." T 236 | „überw. . . Heere« (vgl. G u. B) slabe sily : slavuich d. Codd. | 24 „Nimrods« : perea PM | Gen. 20 | „Agar« : 1. Gerar« | 25 Gen. 12 | 26 Gen. 26.

die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 587

Isaak den Fremdlingen und wurde mäclitiger als die Fremd- linge. Ihren König aber verderben wollend, erfand er ebenso und machte seine Frau zu seiner Schwester. Jakob aber nahm ebenso betrügerisch die Erstgeburt und den Segen seines 5 Bruders und ging nach Padan Aram zu Laban, seinem Obeim, und nahm durch Betrug seine Tochter und sein Vieh und sein ganzes Haus. Und er floh zurückkehrend in das Land Kanaan. Und seine Söne verkauften den Josef nach Aegypten und er war im Grefängnis, bis daß der König, dein Vater, einen Traum

10 sah. Und er ließ (ibn) aus dem Gefängnis und erhöbte ihn über alle Großen Aegyptens, weil er ihm den Traum deutete. Und als Gott eine Hungersnot über das Land sandte, schickte er fort und brachte seinen Vater und seine Brüder nach Aegypten und emärte sie one Lösegeld, uns aber kaufte er

15 sich zu Sklaven. Wenn du nun willst, o König, so wollen wir dies Kind töten, damit es nicht heranwachse und nehme dein Eeich von dir, damit nicht die Hoffnung Aegyptens umkomme. Und Gott sandte seinen Engel Gabriel, und er machte sich gleich einem von den Großen des Königs. Und er sprach: Wenn

20 du willst, 0 König, so möge man einen kostbaren und glänzenden Stein bringen und eine feurige Kole und sie vor es legen ; wenn es seine Hand ausstreckt nach dem Stein, so wißt ihr, daß es dies mit Absicht getan hat, und wollen wir es töten. Wenn es aber nach dem Feuer seine Hand ausstreckt, so wissen wir,

25 daß es dies nicht mit Absicht getan hat, so wollen wir uns zurück- halten. Und dies gefiel dem König und seinen Großen. Und man brachte einen kostbaren Stein und eine feurige Kole. Und der Engel lenkte seine Hand zu dem Feuer ; und es nahm die Kole und legte (sie) in seinen Mund und stieß an die Spitze

30 seiner Zunge und ward schwerer Zunge. Und man tötete ihn nicht.

2 „Ihren": „Den« M | „erfand" M 167 | 3 Gen. 27. 29. 30 | 5 „Bruders«: „Esau" + PM I „n. Padan Aram" : v Ponoram PM, „über das Gebirge" T | 8 Gen. 37. 39. 41. 46 | „n. Aeg.« < PM j 9 „Gefängnis": „zwei Jare" + G | „dein Vater" < G | 10 „Und" + PM j 12 „schickte er fort und« < G ( 18 Nach J 1264. Gr 157. B 40 will Pharao zuvor noch alle Weisen befragen | „Erzengel" PM | „einen Schohamstein" Gr | 21 „und sie . . legen" < M, „und sagen« + T | 22 „es seine" P41 | 23 „und wollen— getan hat" < P^M | 25 „wir'': „ihm gnädig sein" + Pp | „uns zurückhalten": „es leben lassen'' G 1 26 Gr auch S. 160 nach Baidäwi zu Sure 20,28 f. | 27 „vor ihn e. kostbaren (glänzenden -|- M) Stein" PM ] 28 „Und": „Und Mose wollte nach dem Stein greifen, und" Pp | „d. Engel des Herrn« PM | 29 „die Kohle— und" < PM ] 30 Ex. 4,10.

588 N. Bonwetsch,

lY. Und er war im Hause Pharaos fünfzehn Jare, und er wuchs heran und ging mit den Königskindern in einerlei Kleidern. Und es geschah am Ende des fünfzehnten Jars, von seiner Geburt des achtzehnten Jars, und er verlangte zu 5 seinem Vater und zu seiner Mutter und ging zu ihnen und kam zu seinen Brüdern. „Und er sah einen Mann, einen Aegypter, schlagend einen Ebräer von seinen Brüdern. Und er schaute hierhin und dorthin und sah Niemand. Und er erschlug den Aegypter und begrub ihn im Sand. Und es ge-

10 schah am zweiten Tag ging Mose ein zu seinen Brüdern und sähe zwei Männer mit einander streitend. Und er sprach zu dem Bösewicht: Weshalb tust du Unrecht deinem Freund? Und er sprach zu ihm: Wer hat dich zum Richter über uns gesetzt? Willst du mich töten, wie du gestern den Aegypter

15 getötet hast? Und Mose fürchtete sich und sprach: In Wahr- heit ist diese Sache bekannt geworden."

Und Pharao befahl den Mose zu töten. Und Gott sandte den Engel Michael und er machte sich gleich in die Gestalt seines Tischmeisters. Und er zog das Schwert aus seiner Hand

20 und nahm ihm das Haupt weg. Und der Engel ergriff den Mose an seiner rechten Hand und fürte (ihn) aus dem Land Aegypten und setzte (ihn) außerhalb der Grenze Aegyptens vierzig Milien entfernt. Es blieb nur Aaron zurück, und er fing an zu weissagen in Aegypten den Söuen Israels und sprach: Ein

25 jeder Mann werfe seine Säule weg, und mit der Unreinheit der Aegypter befleckt euch nicht. Und sie gehorchten ihm nicht. Und Gott sprach sie zu vergessen, aber „er gedachte des Bundes, den er geschlossen mit Abraham und Isaak und Jakob." Und die Hand Pharaos kam mehr und härter auf die Söne

30 Israels, bis daß Gott sein Wort sandte und ihrer gedachte.

1 G c. 44,12 S. 112. J 1265 f. Koran 28,14. W^ 67 f. ,,er« : „Mose« PM | 2 „u. ging" < PM I 3 „fünfz. achtz. Jars" : in his eighteenth year G | „von Jars" < PM I 5 „seinem" und „seiner« < PM | T 237 | 6 Ex. 2,11—14 | 8 „er": „Mose" T I 11 „sich zu schaffen machend und streitend« M | „er«: „Mose« PM | 13 „Und— ihm": „Sie aber sprachen'^ PM | 14 „mich« < M | 15 „geworden": „Und es gelangte dies Wort zu den Oren Pharaos« PM | 18 B 50 f. | „Engel«: „seinen Erzengel« PM, the captain of his heavenly host G | 19 „s. Tischm.«: „des Tisch- meisters des Königs« PM, chief butcher (slayer) G | 20 „nahm weg« M 168 | nach andern ward zuerst Moses Nacken wie eine Marmorsäule; vgl. W^ 67 (u. W^ 93 25), dazu aber 68 wie oben | „Engel des Herrn" PM | 21 „seiner" : „der« PM j 23 „Aaron, sein Bruder« PM | 25 „jeder« < PM | „werft" T | 26 „und befleckt« T j 27 „vergessen" zabyti: zagutj M | Ex. 2,24 | „zu gedenken" pomjanuti: pomjanu M.

die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 589

V. In jenen Tagen ward ein Streit zwischen den Sara- zenen und zwischen den Sönen der Perser und zwischen den Armeniern (1. Aramäern). Und es ging ans Eakanos, der König der Sarazenen , zu kriegen mit den Armeniern und mit den 5 Sönen der Perser. Und Kikanos, der König der Sarazenen, besiegte die Armenier mit den Sönen der Perser und nahm sie gefangen. Und Balaam war geflohen aus Aegypten zu Kikanos, weil nicht Bestand gehabt hatte seine Rede. Und er war daselbst bei Kikanos und seine zwei Söhne Anos und Akris.

10 Und er ließ sie zurück zu bewahren die Stadt und das dienende Volk mit ihnen. Und es beratschlagte Balaam mit dem Volk des Landes abzufallen von den König Kikanos und ihm nicht zu gestatten einzugehen in die Stadt. Und es gehorchte ihm das Volk und schwur ihm und setzte ihn über alle zum

15 König; seine Söne aber machten sie zu Heerfürern. Und sie machten hoch eine sehr hohe Mauer um jene Stadt von zwei Seiten , aber von der dritten Seite gruben sie große Graben aus one Zal ; und von der vierten Seite riefen sie überaus viele Schlangen und Scorpionen herbei durch ihr Flistern und Zauberei.

20 Und sie verschlossen sich in der Stadt und gestatteten weder hineinzugehen noch heranzukommen. Und es geschah als der König Kikanos zurückkehrte vom Krieg, als sie ihre Augen erhoben, sahen sie die sehr hohen Mauern der Stadt und ver- wunderten sich und sprachen: Unser Volk, als wir lang im

25 Krieg waren, haben sie ihre Stadt befestigt, indem sie sprachen: Vielleicht kommt auf uns Krieg. Und wie sie zur Stadt kamen und sahen die Tore der Stadt verschlossen, und sie sprachen zu den Torwächtern: Tut auf die Tore, damit wir in die Stadt eingehen! Und sie wollten nicht öffnen nach dem Gebote des

30 Magiers Balaam , und sie gestatteten nicht , hineinzugehen in

1 Vgl. Joseph., Ant. II, 10,1. G 45,1 ff. S. 113f. J 1266f. B 51f. W^ 68ff. | 2 „d. Sar." cin'ci S | 2 „d. Perser" : pervymi P^M | „Kusch einerseits und dem Volk von Kedem u. Syrien andererseits" G | 5 „Und— Perser" < P^M [ 7 Bala'am the enchanter, i. e. Laban the Aramean, who came from Caphtor G | „war gefl. Rede": he (Qinqanos) left behind (Bala'am) G [ 9 „daselbst" < PM | „Anos und Arkin" T: Janis und Jambris G | 10 „Und er zurück" < PM | „dienende" sluza- staja: chozasaja T: „diente" sluzisa M, suzase P | 14 „d. Volk" T 238 | 16 Jos. Ant. II, 10,2 (249 f.) S. 135,17 ff. tjv öl 8v67CoXiOQv,ritov ccpoÖQa to %a)QLOv tov ds NeCXov TtSQLSxovtog avxr\v xocl TtvKlovfisvov . . 17 yäg TtöXig svxbg ov6a rrjaos ol-ABirai xhC%ovg xs avxj] yiaQxsQov TtSQLtiy^svov yiccl ngog fisv xovg TtoXsiiCovg tcqo- ßXriiici xovg Ttoxcciiovg exovßa xcoyLCcxä xs fisyccXcc fisxa^v xov xEC%ovg \ „erhob sich" T I „sehr hohe" < PM | 17 „Graben" : „u. Tiefen" + PM j 18 „rief Balaam« PM j 20 „sich in der": „die" PM ] 21 „Es" T | 24 „lang" + PM | 30 „in d. Stadt" PM.

590 ^- Bonwetscli,

die Stadt. Und es standen die Schlachtordnungen vor den Toren [der Stadt]. Und es fielen von den Kriegern des Kikanos am ersten Tag hundert und dreißig Mann. Und am andern Tag kämpfte man am Ufer des Flusses. Und es gingen dreißig 5 Reiter in das Wasser hinein und wollten übersetzen auf die andere Seite nnd konnten nicht und ertranken in den Grräben. Und der König gebot zu hauen Bäume und Flöße zu machen, damit man auf ihnen hinüberginge. Und sie taten so und kamen auf Flößen in jene Gräben, und stürzten um mit ihnen

10 in die Tiefen, und es ertranken an jenem Tag zweihundert Mann auf zehn Flößen. Und am dritten Tag kamen sie von jener Seite, auf der die Schlangen. Und sie konnten nichts erreichen. Und die Schlangen töteten hundert und siebzig. Und sie hielten sich zurück. Und sie standen um die Stadt

15 neun Jare, und man gestattete nicht einzugehen oder herauszu- kommen.

Und es geschah, als sie belagerten die Sarazenen, entfloh Mose aus Aegypten und kam zu Kikanos, dem König der Sara- zenen. Mose war achtzehn Jare alt, als er vor Pharao floh. Und

20 er kam zu dem Lager des Kikanos. Und der König nahm ihn anf und alle seine Großen und seine Krieger, weil er groß und prächtig geworden war in ihren Augen. Seine Höhe wie die der Cedern, sein Antlitz wie die Sonne leuchtend und seine Tapferkeit wie (ein Löwe) stark. Und er ward ein Ratgeber

25 bei dem König. Und es geschah nach Ablauf von neun Jaren erkrankte Kikanos, der König der Sarazenen. Und Kikanos starb am siebenten Tag. Und seine Knechte salbten ihn und begruben ihn vor den Toren der Stadt. Und sie machten über ihm ein schönes und überaus hohes Gebäude und schrieben auf

30 einen Stein alle seine Kriege und alle seine Tapferkeit. Und es geschah als sie das Gebäude vollendet hatten, sprachen sie zu einander: Was sollen wir tun? Wenn wir kriegen mit der Stadt, so werden wir umkommen. Lassen wir ab hier zu sitzen, so werden erfahren alle Könige der Armenier und die

35 Söne der Perser, daß unser König gestorben ist, und kommen plötzlich über uns und lassen uns keinen Rest zurück. Aber

1 „U. es standen« < P'M | 2 „der Stadt« + M | 5 „Reiter« : „Streitwagen« B | 7 „Hauet« T | 9 „auf Fl.« P 42 | 10 „107*^ M, „77« | 16 „hinzukommen oder hineinzugeben in die Stadt« M, „herauszugehen oder nahe heranzukommen" P | 19 „Mose aber« M | 20 „d. Königs Kik.« M | 22 „und" vor „pr." -f M | „Seine« T 239 I 23 „leuchtend— wie« + PM | „leuchtend« oder „die aufgehende S.« \ 24 „ein Löwe« + aus G I 26 „Und er starb« M | 29 „überaus« < MP | 35 „Perser« : pervü P'M.

«I

die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 691

mm wollen wir gehen und einen König uns setzen und sitzen bei der Stadt, bis wir sie einnehmen. Und sie eilten und zogen aus ihre Kleider und warfen sie auf einen Haufen und machten einen großen Berg und setzten Mose (darauf) und sprachen: 5 Lebe in Ewigkeit, o König! Und es schwuren ihm die Großen und alles Volk. Und der König nahm das Weib des Kikanos mit ihrer . . . mit Freude ihres ganzen Landes. Mose war siebenundzwanzig Jare als er König ward über die Sara- zenen.

10 Es geschah aber am andern Tag seines Königtums ver-

sammelte sich alles Volk und sprach zu ihm : König, berate (triff Vorsorge für) uns , was wir tun sollen. Neun Jare vergingen, daß wir unsere Frauen und Kinder nicht gesehen haben. Und der König sprach zu seinem Volk: Wenn ihr hörend hört auf

15 meine Stimme, so wisset, daß übergeben werden wird diese Stadt in unsere Hände. Sollen wir etwa kämpfen mit ihnen, wie wir zuerst begonnen, so werden von uns so viel umkommen wie zuerst. Wenn wir aber auf Böten in die Tiefen gehen, so werden unser viele ertrinken wie zuerst. Nun aber stehet

20 auf und geht in den Wald und bringt [mir] Storchjunge; ein jeder beware die seinen, bis sie heranwachsen und lehret sie zu fliegen hinüber wie Falken. Sie gingen und brachten Storch- junge wie ihnen der König befohlen hatte. Und es geschah, wie die jungen Störche heranwuchsen , befahl der König sie

2b auszuhungern mit Hunger sieben (1. zwei) Tage. Und das Volk tat so. Es geschah am dritten Tag und der König sprach zu ihnen: Hüllet euch in eure Rüstung und setzet euch auf eure Pferde und es nehme ein jeder seinen Storch auf die Hand, und

6 „in Ewigkeit" + PM | „alle Großen" PM | 7 vgl. Jos., Ant. II, 10,2 (253) S. 136,17 ff. TtoLTiaa^svov Ttiatstg ivoQyiovg . . övvEtslei tbv ydfiov Mcovöi]?. Breiter J| ^mit" : „mit ihrer Kunde" vest'ju eja: vielleicht „mit ihrer Krone" ven'cem eja, vgl. G I „mit Freude i. g. Landes" < P^M ; „die kostb. Geschenke w. ihm dar- gebr." B 53 I 7 „Mose aber« PM | 10 G 45,6 ff. S. 115 f. J 1268 f. B 53 f. W270f. I „Tag«: T | 13 „U. Mose sprach" PM | 15 „wisset": „sehet" M | 17 „w. zu- erst" + M I 18 „Wenn— Nun aber" + PM | 20 „mir" + T j 23 „d. Kön." : „Mose« PM 1 24 Jos. Ant. II, 10,2 (245 ff.) S. 134,16 ff. 135,6 ff. r^g yäg yfjg ovang %cclE7t7ig odsvd'^vciL diaTtXfj&og SQTtEtmv . . vosl . . ötgaf^yrnia d'ccv^aarov TtXsyficcta yccg i^cpSQfj :KLßcoTOLg fx ßißXov ■aaraay.svdaag y.cil nXriQÜcag l'ßsav Jxöftt^e . . . co? ovv slg trjv yfjv hvißaXs r-qv Q-riQLOXQOtpov, rccvtcag ccTCS^a.%Exo xriv rmv SQTtsr&v (pv6LV ijraqpflg «iytotg v.al ngoTtoXsfiovGccig %Q63^8vog. Vgl. Artapanus bei Eusebius, Praep. evang. IX, 27,9 S. 500,12 f. ed. Dind. t-qv tßsv sv ccvtj] v,u%-iEQ&aca, diu tb tavzriv tcc ßXdnzovtci ^äa tovg äv&QmTtovg ävuLQSLV | „jungen" < PM | 25 „zwei Tage" G ( 26 „sprach« T 240.

592 ^- Bonwetsch,

gehen wir, daß wir herangehen zur Stadt an den Ort, wo die Sehlangen sind. Und der König sprach: Lasset los die Störche! Und sie ließen sie los. Und die Störche flohen auf die Schlangen und verzehrten sie und machten leer jenen Ort. Und es ge- 5 schab, als der König und das Volk sahen, daß die Schlangen umgekommen waren, da blies das Volk mit der Posaune und bestürmten die Stadt und nahmen sie ein und kamen ein jeder in sein Haus. Und sie töteten Bürger an jenem Tag eintausend und einhundert Mann, aber von denen draußen tötete man nicht

10 einen einzigen Mann. Und wie der Magier Balaam sähe, daß die Stadt genommen war, setzte er sich auf ein Pferd mit seinen zwei Sönen und floh in das Land Aegypten zu dem König Pharao [zu dem König von Madiam Balak]. Und dies sind die Zauberer (und) Magier, von denen geschrieben ist in den

15 Paroimien, welche lehrten zu vertilgen das Geschlecht Jakobs vom Angesicht der Erde.

VI. Und es geschah, als Pharao, der König über Aegypten, änderte das Gesetz der ersten Könige, und er machte hart die Knechtschaft über sein Volk und über das Haus Jakobs und

20 erbarmte sich nicht nach dem Befehl des Magiers Balaam und seiner beiden Söne, denn sie waren als Ratgeber des Königs in jenen Tagen. Und der König beriet sich mit seinen Großen, der Name des Einen [Sclaven] Raguel und des andern Hiob der Madiamiter, der dritte aber Balaam. Und er sprach zu

25 ihnen: „Siehe das Volk Israel mehrt sich und wird stärker als wir. Wenn Fremde kommen, und sie sich ihnen anschließen, werden sie uns töten und aus unserm Land ausziehen." Raguel, der Madiamiter, antwortete und sprach zu dem König: Lebe du in Ewigkeit! Wenn es dir gefällig ist, o König, strecke

30 deine Hand nicht gegen sie aus, da sie Gott auserwält hat aus den ewigen Völkern und sie nehmend (erwälend) zu seinem Teil aus allen Völkern der Erde. Aber wer ist unter allen Königen der Erde, der one Schaden sie schädigte? Und als

' Abraham nach Aegypten kam, und Pharao befahl Sarah sein

,in das Land Madiam zum dem König Balak (Balam PpJ) damit die Madiamiter siegten, wenn diese stritten (?) mit den Israeliten" M, bis „d. Madiamiter" S. 594,13 < MP»^ (^^der Madiamiter siegte, wenn siegte Mose mit den Israeliten'' P') | 15 Num. 31,16 | 16 „d. Erde" P 43 | 17 G 46,1 ff. S. 116 ff. J 1269. 1258 ff. 1265. Gr (nach J f. 128'-— ISO') S. 158 f. B S. 22 ff. W^ 7. C. 6 fehlt in W'MPr I 21 „denn" : „und" T | 25 Ex. 1,9. 10 , 28 „König, lebe" P | 31 „ewigen«: „vor alters" richtig G | 32 „Ab. wer": „Niemand" Pp | 34 „und" + Pp ] Gen. 12. 20. 26.

m

die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 593

Weib für ihn zu nehmen, und ihr Grott brachte große Plagen über Pbarao und über sein Haus, und er gab sein Weib Sarah zurück; und Abraham bat für sie, und er heilte sie. Wieder aber dem Abimelech verschloß er im ganzen Land die Durch- 5 gänge von den Menschen bis zum Vieh, und Grott tadelte ihn in einem Gesicht der Augen, und er gab sein Weib zurück; und er bat für ihn zu seinem Grott. (und) er heilte ihn. Bei(?) Isaak aber setzte er in Erstaunen durch (?) große Wunder. Als ihn die Männer der Stadt austrieben, vertrockneten alle

10 Quellen ihrer Wasser, das Gras aber wuchs nicht, ihre Bäume aber blühten nicht, die Brüste ihrer Frauen und ihres Viehs vertrockneten. (Und) es ging zu ihm heraus aus der Stadt Abimelech und seine Gefolgschaft (Genossen) und Thibel, sein Feldherr, und sie verneigten sich vor ihm bis zur Erde und

15 baten ihn um Verzeihung. Und er betete für sie zu Gott, und er heilte sie und ihre Wasser und ihre Bäume und ihre Frauen und ihr Vieh. Und Jakob aber ward befreit aus der Hand Es aus und aus der Hand Labans nach seiner Gerechtigkeit. Dein Vater aber erhöhte den Joseph über alle Großen Aegyp-

20 tens, weil er durch seine große Weisheit das ganze Land vor dem Hunger errettete, und er brachte seinen Vater und seine Brüder nach Aegypten, daß er errette sein Land vor dem Hunger. Lasse ab von ihnen, wenn es dir gefällig ist, und lasse sie in das Land Kanaan.

25 Und Pharao erzürnte über ihn, und E-aguel floh nach Madiam ;

den Stab Josephs aber nahm er mit sich. Und der König sprach zu Hiob: Aber was sagst du? Hiob sprach zum König: Die ganze Welt ist in deiner Hand, und was deinen Augen gefällig ist, das tue. Balaam sprach zum König: Wenn du

30 auch sie ins Feuer wirfst, ihr Gott hat den Abraham aus dem Ofen der Chaldäer errettet ; und wenn du befiehlst sie mit dem Schwert zu töten, Isaak ward zurückgegeben vom Schwert nicht geschlachtet, und an seiner Stelle ward ein Lamm hin- gegeben. Und wenn du, o König, ihren Namen willst ver-

35 tilgen, so befiehl die Kinder in das Wasser zu werfen, denn kein einziger von ihnen ist dadurch erprobt. Und diese Rede

3 „für sie" T 241 | 6 „der Augen" oc'nem : wol „der Nacht" nocnem | 8 et- was anders J 1258 | 11 „u. i.V." < P | 13 „Thibel": 1. „Phichol" Gen. 26,26 G u. J I 17 Gen. 31. 36 | 18 „Labans" : „Balams" TP | „Gerecht." : „u. von allen Königen Kanaans" + GJ | 19 Gen. 41, 40 ff. | 20 „vor d. Hunger": from further evil through their piety G | 23 „es ist" gode: gdi T, gi P | 24 „Kanaan": „Aegypten" PT 1 32 Gen. 22,12 f.

594 ^- ßonwetsch,

war wolgefällig vor den Augen des Königs. Und er befahl so zu tun, und gab ein Gebot in Aegypten, jedes Knäblein, welches bei den Ebräern geboren werde, in das Wasser zu werfen. Und als man warf die Kinder des Hauses Jakob, ward aucb Mose 5 hingeworfen. Und Gott sandte Bithia, die Tochter Pharaos, (und) sie errettete ihn aus dem Wasser und erzog ihn und nannte ihn ihren Sohn. Und vor ihm fürchtete sich das ganze Haus Pharaos. Und es geschah, an jenem Tag tat man Balaam kund : Siehe der Sohn Bithias sucht dich zu töten. Und Balaam

10 der Magier floh und seine zwei Söhne mit ihm ins Land . . (?) zu seinem Geschlecht; und er war daselbst bis zum Sieg über Madiam, als Mose siegte. Und daselbst ward Balaam getötet mit fünf Königen der Madiamiter.

VII. Mose aber saß auf dem Tron unter den Sarazenen.

15 die Frau des Kikanos aber ward ihm zum Weib. Und Mose fürchtete Gott und nahte nicht zu ihr. Und er gedachte, wie Abraham beschwor den Eleazar seinen Knecht: „Nimm kein Weib meinem Son von den Töchtern Kanaans". Isaak aber gebot seinem Son Jakob , sich nicht zu verschwägern mit den

20 Sönen Hams, da sie verkauft sind in die Knechtschaft den Sönen Sems und den Sönen Japhets. Und Mose fürchtete seinen Gott und nahte sich nicht diesem Weibe, denn auch sie ist von den Söhnen Hams. Und der König Mose ward mächtig und kriegte mit den Edomitern und mit den Sönen der Perser und

25 unterwarf sie und besiegte sie in seinen Kriegen, denn der Gott seiner Väter war mit ihm.

Im vierzigsten Jar seines Königtums saß Mose auf seinem Tron. Die Königin aber saß an seiner Seite. Und die Königin sprach zu dem Volk und zu den Großen: Siehe heute sind

30 vierzig Jare, daß dieser über euch herrscht, und mir ist er nicht genaht und unsere Götter hat er nicht angebetet. Und jetzt höret mich, Söne der Sarazenen, und von diesem Tage an sei er nicht König über euch. Hier ist Mukaris mein Son, und dieser herrsche über euch. Es gebührt euch zu gehorchen dem

35 Son eures Herrn statt dem fremden Mann. Und alles Volk war streitend bis zum Abend, und sie wollten den Mose nicht

4 „warf" T 242 I 10 . . poctorsku : „Kusch" G | 14 G 46,7 S. 118. J 1272. B 54f. I 16 „Und— beschwor" : „Denn Abraham hatte beschworen" M j 17 „Emaz" P' I Gen. 24,3 | „nicht zu nehmen . . s. Son" PM | 19 Gen. 28,1.2. 9,25 | „nicht" < M I 22 „diesem Weibe" : „dem Weib des Kikanos" PM | 24 „d. Sön. d. Pers." : „Syrien« G | 25 „denn der Gott« jako bü: „Jakobs« jakovü TPM | 27 G 46,8 S. 119. J 1273. B 55. W* 71 f. | 30 „dieser": „Mose" P 44 | „euch«: „uns« PM | 32 „höret mich« M 171 | 33 „Mukaris«: Mobros G, Menakris J.

Die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 595

entlassen, und es siegte die Königin. Und sie standen des Morgens frölie auf und setzten den Mukaris zum König über alle. Und das Volk fürchtete sich die Hände zu legen an Mose, weil sie sich fürchteten, da sie ihm geschworen hatten. 5 Und- sie gaben ihm große Greschenke und entließen ihn mit Ehren.

VIII. Und er ging von dort hinaus auf seinem Weg. Mose aber war siebenundsechzig Jare alt, als er ausging von den Sarazenen. Denn von Gott war dies geschehen. Denn es kam

10 die Stunde, weil von Grott bereitet war von den ersten Tagen an, die Söne Israels aus Aegypten zu füren. Mose ging nach Madiam. Denn er fürchtete sich nach Aegypten zurückzukehren. Und er saß auf dem Brunnen, und er sah die sieben Töchter des Raguel, des Madiamiters, weiden die Schafe ihres Vaters.

15 Und sie kamen zu jener Quelle und schöpften Wasser, um ihre Schafe zu tränken. Und die madiamitischen Hirten kamen und vertrieben sie. Und Mose stand auf und rettete sie und tränkte ihre Schafe. Und sie kamen zurück zu ihrem Vater und ver- kündigten, was ihnen Mose getan, und wie er sie rettete und

20 ihre Schafe tränkte. Und Raguel sandte und nahm ihn in sein Haus, und er mit ihnen Brod ; und Mose tat ihm kund, wie er aus Aegypten geflohen und wie er herrschte unter den Sarazenen, und wie man das Königtum von ihm wegnahm und ihn entließ. Und es geschah, als Raguel seine Rede hörte, und

25 er sprach in seinem Herzen : Ich werde diesen ins Grefängnis setzen und werde lieb werden durch ihn den Sarazenen, denn dieser ist ein Flüchtling. Und er nahm ihn und setzte ihn ins Gefängnis. Und er war im Gefängnis zehn Jare. Daselbst erbarmte sich seiner Semfora, die Tochter Raguels, und speiste

30 ihn mit Brot und Wasser. Und es geschah, am Ende der zehn Jare, sprach Semfora zu ihrem Vater: Dieser hebräische Mann, den du ins Gefängnis gesetzt hast diese zehn Jare, und nicht ist einer der ihn sucht oder für ihn bittet; und wenn es so gefällig ist vor deinen Augen, mein Vater, so wollen wir

35 senden und sehen, ob dieser Mann lebendig ist oder tot. Ihr Vater aber wußte nicht, daß sie ihn gespeist hatte. Und Raguel

2 „über« T 243 j 5 „ihn" < T | 7 Jos., Ant. II, 11,2. G 46,9 f S. 119 f. J 1273 f. 1277. ]} 56 ff. 61 1 „Und er«: „Mose« PM | 9 „dies gesch.« : „diese Tatsache« T | 10 „v. Gott« < PM | 13 Ex. 2,15 ff. | „er sah« vide: „es trat ein« vnide T; came out G ] 19 „ihnen« < PM | 21 W^ 71 | 26 „lieb w.« primilujusja : „mich versönen« „geeint werden« primirjusja PM ] 27 „e. Flüchtl.« < PM | „er« : „man« T j 29 „Öiphora" P, „Ciphora« M | 32 „und— bittet« < G.

596 ^' Bonwetsch,

sprach: Es ist niemals auf der Welt erhört, daß ein Mensch, der über zehn Jare im Grefängnis gelegen hat one Brot und one Wasser, lebendig sei. Und Semfora sprach zu ihrem Vater : Hast du nicht gehört, mein Vater, daß der Grott der Ebräer 5 groß und furchtbar ist und in Erstaunen setzt durch Wunder zu jeder Stunde ? Hat er nicht den Abraham errettet aus dem Ofen der Chaldäer und Isaak vom Schwert und den Jakob aus den Händen des Engels, als er mit ihm rang an der Furt Jakob? Wieder diesem Mann viele Wunder tuend, hat er ihn errettet

10 aus den Händen der Aegypter und von dem Schwert Pharaos. Und wieder kann er ihn erretten aus dem Grefängnis. —- Und diese Rede war wolgefällig in den Augen Raguels, und er tat ihm, wie seine Tochter geredet hatte. Und er sandte ins Gre- fängnis zu sehen, was mit ihm geschehen war. Und sie fanden

15 ihn betend zu dem Gott seiner Väter. Und sie führten ihn aus dem Gefängnis und scheren ihn und änderten ihm die Kleider des Gefängnisses, und er Brod mit Raguel. Und Mose kam in den Garten Raguels, welcher war hinter seiuem Haus und betete zu seiuem Gott, der an ihm Wunder getan,

20 und (ihn) befreit hatte aus dem Gefängnis. Als er betete, blickte er auf mit den Augen und sähe einen Stab befestigt inmitten des Gartens. Und er trat herzu zu dem Stab und es war auf ihm geschrieben der Name des Herrn, des Gottes Sabaoth. Und nachdem er herzugetreten, zog er ihn heraus,

25 und es wandelte sich der Stab in seinen Händen zum . . . Durch ihn sind geordnet (gewirkt) die Wunder Gottes, als Gott Himmel und Erde machte und alle ihre Werke, das Meer und die Flüsse und alle ihre Fische. Und als er den Adam aus- trieb aus dem Garten des Paradieses, nahm er (seil. Adam)

30 diesen Stab mit sich in die Hand. Und dieser Stab kam von Adam zu Noah, Noah aber gab ihn Sem und seinem Geschlecht,

1 „ist . . erhört" vedano : „habe ich gesehen" videch PM | 2 „der" T 244 | „zwölf Jare" G | 4 „Vater" M 172 | 5 „durch Wunder" cudesy: cudesa T I 7 Gen. 22,12. 32,24 flF. [ 8 „Jakob" jakov: „Denn Gott" jako PM | 11 „a. d. Gef." < PM | 12 „Augen": „Oren" PM | 13 „ihm" < P, „ihm so" M | 14 „was— war" : „ihn" PM I „fanden" : „sahen" T | 16 „und . . ihn (< P) und" + PM \ 17 G 46,11 S. 120 f. J 1277 f. 13 61. 60. W^ 72. Gr 161 nach ZamaUsarl zu Sur. 28,28, bes. aber 163 nach den Pirke R. Eliesers c. 40 und nach Seph. haj. 140 f. | 20 „und ihn— Gef. < GJ | „ihn": „du hast mich" T | 21 „m. d. Augen" ocima: oli T | „und sähe" < T | 23 „des Herrn" < PM | 24 „und er zog" T | . . . trestata: „zu e. Stab" W2 | 27 „Werke": „lieere" GJ | 28 „alle üire Fische' ihnen" PM | 30 93 f.

Die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 597

bis daß er kam in die Hände Abrahams. Abraham aber gab ihn Isaak, Isaak aber gab ihn Jakob. Jakob aber, als er floh in das armeniscbe Land, nahm diesen Stab mit sich. Er aber gab ihn dem Josef als „Einen Teil über das Maß seiner Brüder". 5 Und es geschah, nach dem Tode Josefs plünderten die Aegypter das Haus Josefs, und es fiel zu dem Eaguel jener Stab. Und er pflanzte ihn in die Mitte in seinem Garten. Und alle Krieger versuchten sich, indem sie seine Tochter empfangen wollten und konnten es nicht, bis zur Ankunft Moses, welchem

10 er bestimmt war [zu empfangen], dieser zog ihn heraus. Und es geschah, als Eaguel den Stab sah in den Händen Moses, wunderte er sich und gab ihm seine Tochter Semfora zum Weib. Mose aber war siebenundsiebzig Jare alt, als er herauskam aus dem Grefängnis; und er nahm die Semfora, die Tochter

15 Madiams, sich zum Weibe. Und Semfora wandelte den Weg der Frauen des Hauses Jakobs, und ward in nichts geringer als die Gerechtigkeit der Sarrah und Rebekka und Rachel und Lea. Und sie empfing und gebar einen Son. „Und er nannte seinen Namen Jersan, sprechend: Ich war ein Pilgrim im

20 fremden Land'^ Aber er beschnitt nicht sein Fleisch nach dem Befehl Raguels seines Schwiegervaters. Und es geschah an dem Ende des dritten Jares empfing sie und gebar einen Son. ,,Und er nannte seinen Namen Eleazar, sprechend: Denn der Gott meines Vaters ward mir Helfer und befreite mich von

25 dem Schwert Pharaos'^

IX. In jenen Tagen saß Moses weidend die Schafe des Vaters der Semfora, Raguel von Madiam, seines Schwieger-

3 „armenische": 1. „aramäische", Padan Aram G | „Er aber": „Und Jakob" PM I 4 Gen. 48,22 | 5 „plünderten": dwelt in G | 7 „Garten" T 245 j 10 „zu em- pfangen« < PM I 11 „Händen" P 45 | 13 G 46,13 S. 121. J 1278. B 62. W^ 72 | 18 W2 96 I „Ziphora empfing" PM | „einen Son" M 173 ] Ex. 2,22 | 19 „Gersan" PM I 20 „fremden" < M ] 22 Ex. 18,4 | „empfing— Son" < M ] 23 „sprechend" + PM I 25 „Pharaos" : es folgt in Pr und M eine Einschaltung mit der Deutung der „Ziphora" auf die Kirche aus den Heiden; ferner darüber, daß Gabriel den Moses belehrt habe über die Entstehung der Welt und des Menschen, über den Lauf der Sterne etc.; darin M S. 173,17 (auch Pr) „In jenen Tagen war Mose gehend in der Wüste mit den Schafen seines Schwiegervaters, den Stab Gottes aber in seiner Hand, und fing an die Weisheit zu lieben etc." und S. 173,28 (auch pr) „Und Mose weidete die Herde; der Stab Gottes aber war in seiner Hand. Und er kam zum Gebirge Horeb. Und Mose sah einen Dornbusch stehend und mit Flamme des Feuers brennend, aber der Dornbusch verbrannte nicht von der Flamme." Es folgt in M und P ein an Ex. 3 sich anschließender Bericht i 26 G 47,1. S 122. J 1279. W^ 72. Kgl. ües. d Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse. 1903. Heft 6. 42

ggg N. Bonwetsch,

vaters. Der Stab Gottes aber war in seiner Hand. Und Gott eiferte um sein Volk, indem er hörte (ihre) Stimme. Und er sprach, (sie) heranszufüren aus der Knechtschaft der Söne Harns und ihnen zu geben das Land Kanaan zu beherrschen. Und 5 er erschien dem Mose, seinem Knecht, am Horeb in einem Dorn- busch brennend von Feuer. Der Dombusch aber verbrannte nicht. Und Gott rief inmitten des Feuers und befahl ihm nach Aegypten zu gehen zu dem König Aegyptens Pharao, damit er das Volk ziehen lasse. Und er lehrte ihn Wunder zu tun,

10 damit sie glaubten, daß Gott ihn gesandt habe. Und er verhieß ihm und sprach: „Gehe, kehre zurück nach Aegypten, denn es sind alle gestorben, die deine Seele suchten". Die aber, welche nach ihnen zurückgeblieben sind, haben keine Macht dir Uebles zu tun. Und Mose kehrte zurück nach Madiam und sprach

15 in die Oren seines Schwiegervaters die ganze Rede. „Und er sprach zu ihm: Gehe mit Frieden". Und Mose stand auf und ging mit seinem Weib und mit seinen Kindern. Und sie waren in der Herberge, und der Engel Gottes kam hernieder und wollte den Mose töten, weil er seine beiden Söne nicht be-

20 schnitten hatte und übertreten hatte das Gesetz, welches Gott dem Abraham geboten. Und es eilte Semfora und nahm einen Feuerstein und beschnitt ihren Son und errettete ihren Mann aus der Hand des Engels. Und Gott erschien dem Aaron, dem Leviten, in Aegypten, als er wandelte am Ufer des Flusses.

25 Und er „sprach zu ihm : Gehe dem Mose entgegen in die Wüste. Er ging und begegnete ihm in der Wüste am Berge Gottes und küßte ihn''. Und er erhob seine Augen und sähe sein Weib und Kinder sprach: Wer sind diese? Und Mose sprach: Meine Kinder, die mir Gott gab in Madiam. Und es war böse in

30 den Augen Aarons. Und er sprach: Entlaß das Weib und ihre Kinder in das Haus ihres Vaters. Und er tat so, und Semfora ging und ihre zwei Söne in das Haus ihres Vaters, bis zu dem Tag, an dem Gott seines Volkes gedachte und es ausführte aus Aegypten, aus den Händen Pharaos.

6 Koran Sure 20,8 f. Jos. Ant. II, 12,1 | 10 Ex. 4,19 | 14 „Und": P 46b,13. M 175,8 V. u. treffen wieder mit TPp zusammen | 15 „d. ganze Rede": „alles dies« PM I Ex. 4,18 | „Und sein Schwiegerv. Raguel" PM I 17 Ex. 4,24 f. | 18 „Engel d. Herrn« PM | 19 „töten« T 246 | 21 „es eilte« M 176 | 23 Jos. Ant. II, 13,1. G 47,3 S. 122. J 1280 | „Und« < T | „Gott«: „d. Herr« PM | „dem Lev.«: „und Levi« TMP | 24 „wandelte« P 47 | Ex. 4,27 | 26 „Und Aaron ging« PM | 28 „Siehe mein Weib u. m. K.« PM | 30 „dein Weib u. die« PM | 31 „er«: „Mose« PM | 33 „Gott« : „der Herr« PM | „und (< P) es« < T.

Die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 599

X. Mose und Aaron kamen nach Aegypten zu der Ver- sammlung der Söne Israels. Und sie taten ihnen kund alle Worte Grottes. Und das Volk freute sich. Und sie standen des Morgens früh auf und gingen in das Haus Pharaos. Und 5 den Stab Gottes nahmen sie in ihre Hand. Und es geschah, als sie zu den Toren des Hauses des Königs kamen, und zwei Löwen standen angebunden mit eisernen Ketten, und kein ein- ziger Mensch konnte herzunahen oder hineingehen, one allein, dem der König befiehlt zu kommen ; da kommen, die sie füttern,

10 abzuwehren die Löwen und füren ihn (sie) hinein. Mose aber und Aaron traten herzu, und erhoben den Stab gegen die Löwen und es wurden gelöst die Löwen. Und Mose und Aaron kamen in das Haus des Königs und die Löwen kamen mit ihnen in das Haus des Königs, indem sie sich freuten. Und

15 wie sie Pharao sah, verwunderte er sich (und) erschrak sehr, denn ihr Blick war wie von Sönen Grottes. Und er sprach zu ihnen: Was wollt ihr? Und sie sprachen zu ihm: Unser, der Ebräer, Grott hat (uns) zu dir gesandt, zu sagen: Entlaß mein Volk, damit es mir diene. Und Pharao fürchtete sich sehr

20 und sprach zu ihnen: Greht heute hinweg, und morgen kommt zu mir. Und sie taten, wie ihnen der König gesagt hatte. Und es geschah, wie sie hinweggingen, sandte der König und rief herbei den Magier Balaam und Janos und Arkis seine Söne und alle Zauberer Aegyptens. Und sie kamen zum König.

25 Und der König tat ihnen kund, was Mose und Aaron geredet hatten. Und die Zauberer sprachen zu ihm: Aber wie kamen sie an deinen Löwen vorbei. Und der König sprach zu ihnen : Sie erhoben nur gegen sie einen Stock, und die Löwen wurden los und liefen zu ihnen sich freuend. Balaam aber antwortete

30 und sprach: Siehe, o König, es sind Zauberer wie wir. Aber jetzt schicke nach ihnen, daß sie kommen, damit wir ihre

1 G 47,4 ff. S. 123 f. J 1280 f. W^ 73 | „Und Mose sagte alles Aaron, was ihm Gott geredet hatte, und sie kamen n. Aeg. und erschienen" PM | 3 „freute sich über diese (ihre P) AVorte" PM | 5 „in i. H.": „mit sich" PM ) 8 „oder hin- ausgehen" PM I 11 „traten h." priidosta: „fürten sie h." privedosta T | 12 „w. ge- löst d. Löwen«: „lösten« T | „Mos. u. A.« : „sie« T | 13 „in d. H. d. Kön.« <PM | 16 „er«: „d. König« PM | „zu ihnen« < PM | 17 „Unser— sagend« < PxM j 18 „Entlaß— diene« : „Entlaß uns in die Wüste, damit wir ein Opfer darbringen depi Herrn unserm Gott und ihm dienen« PM | 20 „hinweg«: „in euer Haus« -f PM 1 21 „taten«: „gingen hinaus« PM | 22 „und er sandte« T j „und rief herbei den«! „nach den« M | 23 „Balaam« T 247 | „Enos und Akris« M | 24 „U. s. k. z. Kön.« <PM I 26 „Aber« < P'M | 27 „vorbei«: „sage uns« -f- PrM | „zu ihnen« <T I 28 „d. Löwen«: „sie" T | 30 „wie" M 177 | 31 „kommen": „zu uns" + PM.

42*

QQQ N. Konwetsch,

Rede erproben. Und der König tat also. Und sie nahmen den Stab Gottes in ihre Hände und kamen zum König und sprachen zu ihm die Worte Gottes. Und der König sprach zu ihnen: Aber wer wird euch Glauben schenken, daß ihr Gesandte Gottes 5 seid und nach seinem Wort gekommen? Gebt uns ein Zeichen, damit eure Rede bekräftigt werde. Und Aaron warf eilend seinen Stab vor den König und vor seine Grossen, und er ward eine Schlange. Und die Zauberer taten ebenso und warfen ihre Stöcke hin, und sie wurden Schlangen. Und die Schlange, " 10 welche geworden war in dem Stabe Moses, erhob ihr Haupt und verschlang die Schlangen der Magier. Und der Magier Balaam sprach: Es ist schon geschehen von den ersten Tagen an, daß eine Schlange ihre Genossen verschlang wie ein Fisch des Meers seine Gefährten verschlingt. Aber jetzt mache deinen Stab

15 wieder, wie er zuvor war, daß wenn du kannst, er ein Stab werde und unsere Stäbe werden verschlungene Stäbe, damit wir erkennen, daß der Geist Gottes in dir ist. Wenn du aber nicht kannst sie zu verschlungenen (machen), so bist du ein Zauberer wie wir. Und Aaron streckte seine Hand aus und

20 ergriff die Schlange am Schwanz, und sie ward zum Stab in seiner Hand; und es wurden auch jene Stäbe wieder wie zuvor, und der Stab Aarons verschlang die Stäbe der Zauberer.

XI. Und Pharao befahl zu bringen die Schriften aller

25 Götter Aegyptens, und man las sie vor ihm. Und er sprach: Siehe, wir haben euren Gott nicht gefunden in diesen Schriften noch habe ich kennen gelernt seinen Namen. Sie antworteten und sprachen zu dem König: Adonai Sabaoth ist sein Name. Und Pharao sprach: Wo ist Adonai? Wenn ich ihn sähe und

30 seine Stimme hörte, würde ich Israel entlassen; aber Adonai nicht kennend, entlasse ich Israel nicht. Und sie sprachen: Der Name des Gottes der Ebräer wurde genannt auf uns von

1 „also": „und sandte nach ihnen" + PM | 3 „Gottes": „so redend" und Ex. 5,1b + PM I 5 „und— gekommen" < PM | „Gebt uns": „Und was tut ihr für« PM j 6 Ex. 7,10—12 1 8 „eine kriechende Schlange" PM | Jos., Ant. II, 13,3 | „ebenso" : „wieder" T | 9 „Schlangen" : eine kurze Erläuterung in PM | 10 „gew. war" < PM | „erhob sich und" T | „Moses": „Aaron's" G | 11 „der Magier" -f PM | 15 „er e.— und" < T I 18 „sie— machen" < PM | 21 „es wurden" < PM | 22 „und— Zauberer" < PM | 24 G 47,8 S. 124. J 1281. W^ 61. 108. 74 | „die— Aeg.": „alle ägyptischen Bücher" PM, „das Buch der ägypt. Könige, worin waren die Namen aller ägypt. Götter" G | 27 „ich habe kennen gelernt" vedech : v5de J, „gesehen" vidg PM | 29 „sähe" T 248 | 31 „kennend" v^daja: v6daju TPM | 32 „wurde genannt" vüzvaäasja: vuzvalosja TPp.

Die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 601

den Tagen unserer Vorfaren. Und jetzt laß uns, damit wir in die Wüste gehen, damit wir ein Opfer opfern unserem Grott. Seit Israel herabkam nach Aegypten, seither hat er nichts empfangen von unserer Hand. Wenn du aber uns nicht läßt, 5 so sei wissend, daß er erzürnt und schlägt (zu Tode) das Land Aegyptens mit Pestilenz oder mit dem Schwert. Und Pharao sprach zu ihnen: Zeiget (Saget) mir seine Macht und Stärke. Und sie sprachen zu ihm: Er hat den Himmel gemacht und alle seine Macht (Heer?) und die Erde und alles, was auf ihr,

10 und das Meer und alle seine Eische, und er hat erzeugt das Licht und hat erzeugt die Finsternis, und er sendet ßegen und tränkt die Erde, und hat gemacht den Menschen und das Vieh und die Tiere des Waldes und die Vogel des Himmels und die Fische des Meers. Er hat auch dich gemacht im Leib

15 deiner Mutter, er hat in dich gelegt den Greist des Lebens. Und er hat dich großgezogen und dich gesetzt auf den Tron deines Königreichs. Er wird auch deinen Greist von dir nehmen und dich ,, zurückgeben in die Erde, von der du genommen bist'^ Und Pharao erzürnte über sie und sprach : Aber wer ist unter

20 allen Göttern der Völker, der mir also tun kann ? Meine Hand aber, was ich selbst gemacht habe.

XII. Und Grott erhob seinen Zorn wider Pharao und wider sein Volk. Und Gott schlug mit großer Plage den Pharao und die Aegypter. Und er wandelte ihre Wasser

25 in Blut. Und er fürte über ihr Land Frösche. Und indem die Leute das Wasser tranken, kamen hinein in ihre Ein- geweide die Frösche, und quakten dort in ihnen. Und in ihre Kessel und in die Hefe ihres Teigs krochen sie und in ihre Betten. Und es fielen auf ihre Brust Läuse. Sie

30 wurden hoch zwei Ellen; und auf ihrem Fleisch waren sie

1 „den Tagen" P 48 | „Vorfaren" < PM | 2 „dem Herrn, unserm Gott" PM [ 3 „Denn seit" PM ! 5 „und" -}- M i 6 „Aegyptens" M 178 | 13 „Yögel" : „Sterne" Pr I 14 „im Leib— er hat" + PM | 17 „Er— bist" < P'M | 18 Gen. 3,19 \ 19 „Aber": „Und" P, < M I 20 „Hand" ruka : 1. „Fluß" reka, vgl. W^ 75 „Mein ist der Nil, ich habe mich erschaffen", W^ 61 und Geiger S. 161 „Ich habe sowol mich selbst als den Nil gemacht" (Ez. 29,3) | 21 „was" jaze: „womit" ejuze? ] „mich selbst" T I 22 „Und er erzürnte über sie sehr und befahl ihnen große Vergewaltigung anzutun, (nämlich) den Aegyptern den Israeliten" P'M, dann Ex. 5,22 6,4 | W2 „Und Pharaos Zorn entbrannte" | G 48,1 ff. S. 125 f. J 1282 ff. Vgl. Jos., Ant. n, 14. Wi 161. W2 75 I 23 P bricht ab | M breiter nach Ex. 7,20—22. 24 f. | 24 M breiter nach Ex. 8,1. 5 f. | 25 M S. 179,17 | 26 „die Leute" : „sie" T | 27 „die Frösche" : „sie" M | „dort" tamo : „so" tako T | 28 „Hefe" : vielleicht „Wasser" T | ,, machten hoch" T.

6Q2 N. Bonwetsch,

wie Fäuste und höher. Und Grott sandte auf sie die Tiere des Feldes sie zu zerreißen und Schlangen und Skorpionen und Mäuse, und Käfer in ihre Augen. Und sie gingen hinein in ihre Häuser und verschlossen sich in den innersten Kammern. 5 Auch dahin ging hinein das Tier Silonith, das im Wasser lebt, und es hat Arme von zehn Mannesellen, und es stieg auf das Haus und deckte es auf und die Hand ausstreckend öffnete es das Schloß. Und die wilden Tiere krochen dort hinein. Und er tötete ihr Rindvieh und Kameele und ihre Schafe.

10 Und Grott verbrannte ihr Fleisch mit Feuer. Und es waren Beulen an ihnen von den Füßen bis zum Haupt und ihr ganzer Leib stank. Er zerschlug mit Hagel ihren Wein und alle Bäume Aeg3rptens, nichts blieb von ihnen zurück. Und er verbrannte alles Gras des Feldes, und die Menschen und das Vieh, welche

15 auf ihm gefunden wurden, starben vom Hagel. Und er brachte über sie Heuschrecken und sie verzehrten das, was übrig war vom Hagel. Und die Aegypter freuten sich und sprachen : Das ist uns Speise, und sie salzten ihrer eine Menge. Und Grott sandte über sie einen starken Wind aus dem Meer, und er

20 nahm die Heuschrecken und warf sie in das Meer auch die ge- salzten und ließ keine einzige Heuschrecke zurück im ganzen Land Aegypten. Und er sandte eine Finsternis auf drei Tage, daß niemand seinen Bruder sah, daß er nicht einmal seine Hände zu seinem Mund füren (konnte). Es waren aber

25 Ebräer, welche nicht gehorchten Mose und Aaron, die sprachen : Wir wollen nicht in die Wüste gehen, (dass) wir nicht sterben von Hunger und Pestilenz. Grott tötete sie in diesen drei Tagen der Dunkelheit, damit es die Aegypter nicht wüßten und sich freuten und sprächen: Es ist die Plage Gottes über uns ebenso

30 wie über jene. Und Gott warf heraus die Dornen aus seinem

1 „waren s. . . u. höh.": „machten sie hoch" M | „Und Gott" M 179,2 V. u. I Jos„ Ant. II, 14,3 (303) S. 146,18 ff. &r}Qi(ov yag nawoiav y.ul noXv- tgSncov, a)v stg otpiv oidslg 6cm]vxriv,Bt, tcqoxbqov, rr}v xmgav avxuiv ^yi^ioiv j 3 „Käfer" M 180 | 4 auch 107 | 5 „Silonith": „Nemlothen" M i 6 „Arme« T 249 I „auf" : „mit den Händen" -f M | „zerbrach es die Schlös8er"M | 8 „die wüden T.": „sie" M | „Gott sandte böse Tiere über sie" T | „krochen hinein" lazjachu: kaznjachu T | 9 „und K.— Schafe" < M; breiter G | in M Ein- schaltungen aus Exodus, aber < „Hagel" Z. 15 | 11 Ex. 9,10. Jos., Ant. II, 14,4 I 12 Ex. 9,23. P 247,16 | 15 Ex. 10,13. 15. 19. M 183,30 | 18 „salzten" solisa: „siedelten sich an" naselüasja M | 20 „auch die gesalzten" < M | 22 Jos., Ant. il, 14,5. Ex. 10,22. M 184,6. W^ S. 100 f. | 24 „Es waren— Weinberg" S. 603,1 < M I 30 „Und— Weinberg" < GJ.

Die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 603

Weinberg. Und er nahm alle Erstgeburt des Landes Aegyptens von Menschen bis zum Vieh. Und sogar die Bilder ihrer Erst- geburt, die an die Wand gezeichneten, auch diese wurden zer- stört, und welche waren hölzern oder golden oder silbern, sie 5 wurden zerschmolzen, und die Erstgeburten, die unlängst begraben waren, die zogen die Hunde heraus und legten die vor die Väter und vor die Mütter. Und es riefen mit lauter Stimme die Söne Hams : Entlaßt die Ebräer. Und sie ge- leiteten hinaus die Knechte Gottes mit vielen Grütern und

10 Greschenken, wie die Verheißung Grottes zu Abraham ihrem Vorvater.

XII. Und Mose stand auf und begann anzusagen, [wer kund tat dem Jakob, daß Josef lebe in Aegypteu, und] von den Grebeinen Josefs, wie sie aufzufinden [wie sie gefunden

15 sind in Aegypteu nach vierhundert Jaren, wie die Juden an- beten das Haupt des Kalbes]. Daß Josef am Leben sei tat kund Juda der Maria der Tochter Jakobs, und sie rief aus zu ihrem Vater und sprach: 0 Vater, Josef lebt. Jener aber legte seine Hand auf ihr Haupt und sprach: Auch du Tochter

20 sollst leben in Ewigkeit. Und sie war lebendig vierhundert Jare. Sie aber tat Mose kund, wo die Gebeine des Josef sind.

1 Ex. 12,29. M 186,12. Jos., Ant. II, 14,6. G 48,9 S. 127. J 1284 | 2 „Und": „Unter allen Göttern Aegyptens. Und" M | „die Bilder aller ihrer Erstgeburt" M | 5 „zerschmolzen" razlivachu<sja> : ,, zerstört" razbivachusja T { 8 „Hams" : „zum König" + M I Ex. 12,33. 36 | „Und— Vorvater in M nach Ex. 12,34 ff. | In M folgt S. 186,8 V. u. „Im Jar des Moses herrschte in Aegypten der Pharao Petisonij. Dieser Petisonij, der König Aegyptens, vor der Entlassung der Söne Israels ging in die Stadt Memphis, das Orakel zu befragen („befragte" M). Und nachdem er geopfert, fragte er die Pythia, sprechend: Tue mir kund: Ist Gott? Und ihm ward eine Weissagung gegeben also : Er ist eine große Kraft vom Himmel herab- kommend, brennendes und unsterbliches Feuer, davon der ganze Himmel zittert und die Erde, das Meer und die Unterwelt. Dieser Gott ist derselbe Vater, der- selbe [Vater] auch Son, überaus herrlich Einer, ein kleiner Teil aber, wie von den Engeln gehört habend, gehe schweigend (so). Der König Pharao aber befahl (vielleicht: Gehört habend ging schweigend der Kön. Ph. und befahl) diese War- sagungen einzugraben in steinerne Tafeln der Weissagung, welche sind auf dem Berge im Tempel zu Memphis bis heute, wo der Nilfluß herausgeht. Und ge- kommen von der Warsagung ließ er heraus die Söne Israels, wie Mose ge- schrieben in seinen sehr weisen Annalen" | 12 T 250. M 188,2. G kurz 48,11 | 13 „dem Jakob" < M | „und": „er begann anzusagen" M | 14 „wie sie— Kalbes" < M I 16 Gr. S. 149 ff. nach einer Talmudstelle zu Ex. 13,19 (nur ist es hier Serach, die Tochter Aschers) und nach dem Jerus. Targum zu Gen. 46,17 | „daß . . am Leben sei" -f M | 17 „Juda . . der Maria'* < M | „und . . und" -f- M I 21 Wi 163. W2 77.

ß()4 N. Bonwetsch,

Es ist ein Fluß in Aegypten, sein Name Vol (1. Nil), und da- selbst waren die Gebeine Josefs versenkt in einem bleiernen Sarg. Und als der Herr Grott zu Mose sprach: Füre mein Volk aus Aegypten mit allem seinem Besitz , da machte Gott ihm 5 sieben Nächte zu einer Nacht. Und Mose begann zu suchen die Gebeine Joseph, gehend mit Lichtern. Und Maria begeg- nete ihm und sprach zu ihm : In diesem Fluß sind die Gebeine Josefs. Mose aber nahm die Fackeln und nahm mit sich dreißig Mann und ging über den Fluß Yol und sprach : Errege

10 dich Wasser und gib heraus die Gebeine Josefs. Und es geschah keine Erscheinung, Und er sprach wieder zum zweiten Mal, <und) es geschah keine Erscheinung. Und wieder zum dritten Mal schrieb er auf das Papier (die Tafel?) und sprach: Vol, errege dich, und lege es auf das Wasser. Und es ging

15 heraus der Sarg Josefs. Mose aber ward froh, und nahm den

Sarg. Das Papier (die Tafel?) aber nahm er nicht, sondern

es trat herza ein Herzensharter von ihnen, der nahm es, ein

Jude. Und viele nahmen mit sich die Häupter ihrer Väter,

XIII. Und viele Fremdlinge gingen mit ihnen drei Tage

20 lang. Und es geschah am dritten Tag, und sie sprachen zu Mose und Aaron: Siehe schon drei Tage seid ihr gegangen, aber morgen kehrt nach Aegypten zurück, wie ihr gesagt habt. Jene aber antworteten und sprachen zu ihnen: Er hat uns befohlen, daß wir nicht wieder zurückkehren nach Aegypten,

25 sondern gehen in das Land, wo Milch and Honig fließt. Jene aber fingen an mit ihnen zu kämpfen, und sie töteten viele von ihnen und gaben ihnen eine große Niederlage. Die andern aber von ihnen entflohen, und taten Pharao kund, was er getan hatte. Und Gott „verhärtete das Herz Pharaos", ihnen

30 nachzujagen und sie in die Knechtschaft zurückzubringen. Und sie jagten ihnen nach und ereilten sie. Jene aber lagerten am roten Meer. Und Gott machte erstaunlich seine Wander. Und Mose reckte seinen Stab aus über das Meer. Und das Meer

1 „Vol«: „Stier" (vgl. Dt. 33,17 von Josef und Gr S. 152): „Voild" M |

6 „gehend" chodja: „wollend" chotja M | „Maria": „die Tochter Jakobs" M |

7 „Fl. Voildai" M | 8„ die Fack. u." < M | 9 „über— Vol" : „ging auf einen Berg und <8prach> M | besser „Steige empor Voild" M \ 14 „Voild" M | 15 „d. Sarg": „diesen" T | 17 „v. ihnen" < M | „ein Jude": nach dem Midrasch zu Ex. 32,4 ist es der Micha Rieht. 17 f. | 18 „Häupter": „Särge" G j 19 G 48,10 f. S. 127 f. J 1286 f. W2 78. G breiter | 20 „nach drei Tagen" M | 21 „sind v^^ir" M | 22 „aber" < M I 23 „zu— Er*' : „Der Herr" M | 28 „und— hatte" < M | 29 „Und etc." : M nach Ex. 13,20flF. 14,1 flf. I Ex. 14,8 f. | 32 „Und Gott etc." : M 189,26 I 33 „s. Hand" M | nach „Meer" M „und schlug mit seinem Stab in das rote Meer, wie ihnen der Herr gesagt hatte".

die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 605

teilte sich in zwölf Teile, es ging ein jeder von ihnen nacli seinem Greschleclit ; nnd sie gingen hindurch auf Trockenem. Pharao aber jagte ihnen nach in das Meer auf Wagen und auf Rossen. Und die Aegypter ertranken. Den Pharao aber er- 5 rettete Gott aus der Flut, und der Engel Gottes fürte ihn in die Stadt Ninive. Und er war daselbst König neun Jare.

XIV. Raguel aber der Madiamiter, der Schwiegervater Moses, ging in die Wüste mit Semfora und mit ihren beiden Sönen und sie saßen inmitten Israels. Den Sihon aber, den

10 König der Amoriter, und Og, den König von Basan, tötete Mose und nahm weg ihr ganzes Land. Und er schlug die Zusammensetzungen der Heere der Madiamiter und tötete (?) fünf Könige der Madiamiter: den Evi und Eekim, Zjur und Chur und Eeban. Den Balaam aber mit den zwei Sönen töteten

15 sie mit dem Schwert. Er war aber geflogen wie ein Adler empor. Eleazar, der Son Aarons , und Phineas sein Son , die Peldherrn Israels, sprachen den heiligen Namen ans und warfen ihn herunter auf die Erde und töteten ihn. Die Kanaaniter aber sitzend auf einem Gebirge. Und er ging gegen sie mit

20 Krieg. Und Gott gab sie in die Hände Moses, und sie töteten sie. Mose aber war fünfzig Jare alt, als er trat vor den König Pharao. (Und) Gott fürte sein Volk aus und vertraute sie dem Mose aus dem Land Aegypten. Und er ward König über Israel in der Wüste vierzig Jahre, es speisend mit Manna

25 und mit den Vögeln des Himmels. Bei Meriba (?) aber, wo ging das Wasser nach ihnen. Bei Aaron (so) aber ging das Wasser in einer Wolke, und als eine Wolkensäule vor ihnen am Tag nnd als eine Eeuersäule in der Nacht.

XV. Und die Juden riefen zu Mose: Zeige uns, wen wir 30 anbeten sollen. Mose aber ging auf den Berg zu Gott, nachdem

er Aaron an seiner Stelle zurückgelassen, und befahl ihnen auf

1 „Teile": 1. „Wege" M; vgl. Gr. 166 f., nach der arabischen Erklärung zu Sure 26,63 | „es ging hindurch ein jeder Stamm auf seinem Wege auf Trockenem inmitten des Meeres" besser M | Ex. 14,22 | 3 „in das Meer": „und als. er war inmitten des Meeres mit seinen Kriegern" M | Ex. 14,23 | 4 „alle Aegypter" M | „Den Pharao" etc. T, vgl. G, < M; dagegen M nach Ex. 14,27 f. 15,20 f. | Vgl. Koran 10,90 ff. bei Geiger S. 162 | 6 „neun": „500" G, „400" W* | 7 G 48,13 f. S. 128 f. J 1289. In M weiterhin nur aus Exod. Genommenes; dazu S. 190,22 die Sage vom Holz, wodurch das Wasser süß gemacht wurde, vgl. Veselovskij im Sbornik der St. Petersburger Akademie Bd. 32 (1883) S. 387 f. 1 11 „schlug": „machte" sütvori T \ 21 „fünfzig": „achtzig" G | 25 „Bei ihnen" verderbt; für den Sinn vgl. G S. 129 from the flinty rock He brought forth fountains of water for them 1 marjiz T | „wo« T 252 | 27 Ex. 13,21 | 29 G 48,16 S. 129. J 1290.

ßOQ N. Bonwetsch,

ihn zu warten bis zum vierzigsten Tag. Und Grott sprach zu Mose, dem Sone Levis, redend: Steige zu mir hinauf auf den Berg, und ich werde dir steinerne Tafeln geben, das Gesetz und die Gebote, die ich aufgeschrieben habe, und lehre die 5 Söne Israels und heilige das Volk in drei Tagen. Am dritten Tag stieg er auf den Berg, am sechsten Tag des dritten Monats, d. i. Juni. Und Gott gab Israel sechshundert und dreizehn Gebote geläutert wie Silber, im Schall der Posaune, im Donner und in Blitzen und in Bränden des Feuers.

10 Und plötzlich als aus ging der zwölfte Tag, ergriffen Juden

Steine wider Aaron: Tue uns kund, wen wir anbeten sollen. Er aber sprach : Nehmt weg die Armbänder von euren Frauen und ziehet ab bei euren Kindern die Schmuckgeräte. Jene aber nach ihrer Herzenshärtigkeit zogen sie ab und brachten

15 sie zu Aaron. Und sie legten sie in ein Gefäß. Jener Jude aber legte jene Tafel unbemerkt hinein. Und sie zündeten an ein Feuer und machten sich das Haupt eines Kalbes. Und der Herr sprach zu Mose: Dein Volk hat gesündigt, da sie anbeten das Haupt eines Kalbes. Und Mose kam vom Berg

20 und eiferte um den Namen Gottes. Und er erzürnte sich über Aaron und über alles Volk, das so getan hatte, und warf im Entsetzen " die Tafeln aus seinen Händen, auf die Gott ihnen sein Gesetz geschrieben, und sie zerbrachen. Und Mose befahl das Haupt des Kalbes zu zerschlagen und es klein zu zer-

25 schlagen. Und sie taten so. Und er befahl ihnen dieses Wasser zu trinken, damit an ihnen ein Zeichen erscheine. Und wie sie tranken und sich niederwarfen erkannte Mose, wer etwas hineingeworfen in das Haupt des Kalbes, der eine Gold, der andere Silber, ein anderer aber Erz und ein anderer Blei,

30 und dies alles war ihnen auf den Lippen. Aber wer nichts hineinwarf, die standen rein auf vom Wasser. Und Mose befahl alle Uebeltäter zu töten. Und er sprach: Jetzt steige ich zum zweiten Mal hinauf zu Gott, ob etwa ich euch losbitte von euren Sünden. Und Gott vergab ihre Sünden.

35 Jene aber sprachen zu Mose: Woran erkennen wir die Ver- gebung unseres Gottes für unsere Sünde. Alsdann aber befahl Gott dem Mose zu machen das Zelt des Zeuo:nisses unter ihnen

5 Ex. 19,10. IG. 20 I 8 Ps. 12,7 | Ex. 19,16 | 10 „Und— im vierzigsten Jar" 8. 607,2 < G ! 12 Ex. 32,2. 3 | 17 vgl. Ex. 32,4 | 18 Ex. 32,7 | 20 Ex. 32,19 | 23 Ex. 32,20 | 30 M 203,0 f. | „alles« T ^53 | 32 Ex. 32,27, vgl. Koran 20.87 bei Geiger S. 166 | 33 Ex. 32,30. | 37 Ex. 25,8. 40,2.

die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 607

zu wonen, damit sie erkennten, daß die Sünde vergeben ist. Dies im vierzigsten Jar. Und alsdann machten sie ihm das Zelt des Zeugnisses, das Heiligtum und die Cherubim (und) die Lade, den Leuchter und Altar, Oel (?) zu leuchten und zu salben 5 den Aaron mit den Sönen, den Dienern Gottes, und die heiligen ihnen gemachten Grewänder. Die Söne Levis aber standen zur Hut und zu Liedern vor den Altären („Priestern" ?) Gottes. Und das Rauchopfer . . abzuwehren den Zorn von dem Volk Gottes.

10 XVI. Und darnach im vierzigsten Jar starb die Prophetin

Mariam, die Schwester Moses und Aarons, am zehnten Tag des ersten Monats und „sie ward begraben" in Kadesch, das ist im April. „Und es war kein "Wasser für das Volk". Und in demselben Jar am ersten des fünften Monats und es starb

15 Aaron und ward begraben auf einem Berge. Und die Wolken gingen hinweg und waren von allen gesehen. Und seine Söne empfingen den Dienst bis in alle Ewigkeit. Am Ende aber desselben Jares im andern (so) Monat Nadet am siebenten Tag, das ist im März, starb Mose, der Knecht Gottes, und ward

20 begraben am vierten des Monats September auf irgend einem Berg durch den Archistrategen Michael. Denn es stritt der Teufel mit dem Engel und er gestattete nicht seinen Leib zu begraben, indem er sprach: Mose ist ein Mörder, er erschlug einen Mann in Aegypten und verbarg ihn im Sand. Da flehte

25 Michael zu Gott, und es ward Donner und Blitz, und plötzlich verschwand der Teufel. Michael aber begrub ihn mit seinen (eigenen) Händen. Unserem Gott aber sei Ehre in alle Ewig- keit. Amen.

2 G 48,16 I 3 „d. Heiligtum" svjatüo: svetel J ] 8. ., vgl. G offered: „fürte hinweg" otvodila T | 10 G 48,17 S. 130 | Num. 20,1. 2 | 12 „das ist— Volk" < G | 14 Num. 20,28 | 15 „ünd-gesehen" < G | 21 M 253,21 f. [ 24 M 253,33 f. | 27 M 253,2 V. u.

Holland und das Reich vor der Burgunderzeit.

Von

P. J. Blok.

Vorgelegt von F. Leo in der Sitzung vom 31. Oktober 1908.

Die Frage von der Trennung der Mederlande vom deutschen Reiche ist keineswegs vom rein staatsrechtlichen oder vom poli- tisch-geschichtlichen Standpunkt völlig zu lösen. Auch diese Frage, wie jede derartige und überhaupt weitaus die meisten auf historischem Gebiet, ist komplizierter Natur und nur nach Unter- suchung von verschiedenen Seiten her endgültig zu beantworten. Bis jetzt ist sie nur vom staatsrechtlichen Standpunkt angesehen ^), eingehend zuletzt von Rachfahl ^) in seinem trefflichen Vortrag, 1900 auf der VI. Versammlung deutscher Historiker zu Halle a. S., dessen Untersuchung aber erst mit der Burgunderzeit einsetzt. Lamprecht ist in seinem wie immer geistvollen Buch, das für das 16. und 17. Jahrh. auch dieser Frage gegenüber, wie gewöhnlich, mit breitem Schwung auch den andern Elementen der geschicht- lichen Entwickelung gerecht zu werden sucht, für das Mittel- alter hier vielleicht weniger glücklich gewesen ^). Pirenne hat sich

1) Zur Literatur : Grotius, De antiquitate rei publicae Batavae, c. 5 : Van der Schelling, Aloude Vryheid en Staatsregeering der Batavieren (Rott. 1746); Van Loon, Historisch Bewys, dat het graafschap van Holland . . . altyd een leen des Duytschen Ryks geweest is (Leiden, 1748); Van Mieris, Leenhoorigheidt van het Graafschap in Holland (Leiden, 1748); Meer man. De solutione vinculi, quod olim fuit inter S. R. Imperium et Federati Belgn Respublicas (Lugd Bat. 1774).

2) Die Trennung der Niederlande vom deutschen Reiche, in Westd. Zeitschr. XIX, S. 79 ff.

3) Deutsche Geschichte V, S. 544 ff.; VI, S. 37ff., G7ff, 250 ff, 272 ff, 297 ff.

Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 509

in seiner Grescliiclite Belgiens, dem Plan seines Werkes gemäß, auf diese liauptsäclilich die nördlichen Niederlande betreffende Frage nicht näher eingelassen als die Behandlung des Augsburgischen Vertrags von 1548 forderte. Es ist nicht mein Ziel die mittel- alterliche Geschichte der gesamten Niederlande in dieser Hinsicht zu behandeln; die lokalen Unterschiede würden in gedrängter TJebersicht zu verwirrend wirken. Es sei mir erlaubt nur von Holland und Seeland zu sprechen: die für die spätere historische Entwickelung der Niederlande wichtigsten Provinzen, welche der späteren Republik und dem modernen Königreich so zu sagen ihre Signatur gegeben haben.

Auf die entlegenen, im Nordwesten an der Peripherie Ger- nianiens liegenden Seegebiete paßt vortrefflich die im 13. oder 14. Jahrh. bezüglich Frieslands gemachte Bemerkung des Scholi- asten auf Adam von Bremen: „Fresia regio est maritima inviis inaccessa paludibus" ^) , wie es schon in der Römerzeit von Ba- tavia hiess^), das es so zu sagen „kein Land" genannt werden könnte. Die Römer hatten den Bewohnern dieser Gegenden eine Sonderstellung, die der Socii, gönnen müssen; sie waren im 3., 4. und 5. Jahrhundert von den rauhen germanischen Volksstämmen erobert, zertreten, teilweise wieder verlassen^). Die Friesen haben sich die kümmerlichen Reste der alten batavisch - kaninefatischen Bevölkerung assimiliert und drei Jahrhunderte lang in den Inseln und Mooren dem Fränkischen Reich energischen Widerstand geleistet, bis zuletzt der große Karl sie endgültig unterwarf. Da kamen aber nach einem halben Jahrh. die Normannen, setzten sich unter Heinrich und Roruk fest in der Küstengegend ^) und würden hier ein dem französischen ebenbürtiges deutsches Norman- dien gestiftet haben ^), wenn nicht der gewaltige Normannenherzog Gottfried 885 meuchlings ermordet wäre. So war die Franken- herrschaft schließlich hier nur sehr oberflächlich durchgedrungen und neigte die schwache lothringische Königsmacht schon zu Ende, als die friesischen Seelände ihr größtenteils wieder untergeordnet

1) Geschichte Belgiens, III, S. 169 ff.

2) Mon. Germ. Script. VII, S. 289.

3) Eumenius, Paneg. in Constantino Caes., c, VIII, IX.

4) Krom, De populis germanis antiquo tempore patriam nostram ine ölen tibus (Lugd. Bat. 1908).

5) Vogel, Die Normannen, passim.

6) ib. 260 ff.

610 P. J. Blök,

wurden. Ein halbes Jahrhundert von Schwanken dieser Gegenden zwischen den west- und ostfränkischen Herrschern folgte, und 925 oder recht eigentlich erst um die Mitte des 10. Jahrh. konnte man sagen, daß die damals als „friesisch" bezeichneten Gegenden zwischen Scheide und Flie dem deutschen König zweifellos unter- thänig waren.

Es war in dieser grauen Zeit , daß ein einheimisches Grafen- geschlecht sich, offenbar mit königlicher Genehmigung, der gräf- lichen Stellung in etzlichen friesischen Gauen Kinheim, Rhein- land, Maasland bemächtigte , und sich auch auf den südlich und nördlich naheliegenden Inseln im Rhein- und Maasdelta festsetzte ^). Recht eigentlich war es überhaupt ein kleines Inselreich, dessen Lenker diese Grafen wurden ; denn was wir jetzt als Holland kennen, war auch damals nur noch ein Komplex von Land und Wasser, in welchem die beiden Elemente in und durcheinander liefen und nur sehr unvollkommene Deicharbeiten und Wasserregulierung die mehrfach auf künstlich aufgeworfenen Terpen wohnende Bevöl- kerung gegen das Wasser verteidigten^).

Von dem Kulturzustand dieser Bevölkerung wissen wir so gut als nichts. Die spärlichen Reste römischer und friesisch- fränkischer Kultur, die der Boden bis jetzt zurückgab, sind un- genügend zur Feststellung eines Kulturbildes ; die kirchlichen Ver- hältnisse seit Einführung des Christentums im 8. Jahrh. weisen auf eine langsame Christianisierung, deren Langsamkeit und Un- voll ständigkeit ^) im 9. den heidnischen, normannischen Eroberern gewiß zustatten kam; die Rechtsaltertümer sprechen von ge- mischter friesisch - fränkischer Rechtsbildung ^) ; die Sprache wird, nach den Personen- und Platznamen und einzelnen Nennwörtern im dürftigen Urkundenscbatz dieser Zeit zu urteilen, wiederum für friesisch-fränkisch gehalten werden müssen^). Friesisch - frän- kisch, aber jedenfalls ziemlich primitiv , muß noch um 1000 der Kulturzustand der Bevölkerung genannt werden. Primitiv war

1) Van Bolhuis van Zeeburgh, Over de eerste graven van het HoUandsche huis (Leiden, 1870).

2) De Vries, De kaart van Hollands Noorderkwarter in 1288 (Amst. 1868) Ramaer, De omvang van het Haarlemmermeer (Arast. 1892), und Geographische geschiedenis van Holland bezuiden de Lek en Nieuwe Maas (Amst. 1899).

3) Vgl. meine Studie : S. Jeroen, in Bydr. Vaderl Gesch. en Oudheidh., 4 Reeks, HI, S. 17.

4) Fockema Andreae, Bydragen tot de Nederl. rechtsgescbiedenis, IV, S. 360 ff.

5) Verdam, Uit de geschiedenis der Nederl. taal, S. 41 ff., 51.

Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 611

auch die wirtschaftliclie Lage dieser Bauern und Fischer, wie aus den Urkunden hervortritt : Ackerbau auf den zerstreuten Mausen oder Hufen („hofstedi") , deren Bewohner nur mit kleinen Fahr- zeugen durch die Grräben und Flüsse, über die untiefen Seen und Sümpfe mit einander verkehren konnten, Viehzucht, Fischerei, Salzgewinnung aus dem salzigen Boden am Meeresstrande, Torf- stechung in den Moorgegenden gegen Utrecht hin^), alles für den eigenen Unterhalt; der Handel nahm durch die breiten Rheinarme seinen Weg nach dem Meere hin und zurück aber berührte das Gebiet selbst nur oberflächlich, während Tiel am Waal und Utrecht am Ehein die Erbschaft des alten von den Normannen ver- wüsteten Rheinhafens Dorestad, des an der Maasmündung bei Groeree gelegenen aber im Meere verschwundenen Witla angetreten hatten und durch den nördlichen Flevosee , an der Zollstätte Amuda (Muiden) und der im Meer versunkenen alten Friesenstadt Stavria (Stavoren) vorbei, den Handel zwischen dem Norden und Flandern- England, vermittelten. Vielleicht mehr kann man m. E. nicht sagen kamen auch aus diesen Grebieten die friesischen Kaufleute, die wir seit dem 8 Jahrh. in S. Denis, York und am Rhein bis Worms begegnen; gewiß hat der friesische Schiffstypus, von wel- chem vor 900 die Rede ist, auch hier gegolten, wahrscheinlich die aus spätem Tagen bekannte Form des Koggeschiffs ^). So lebte diese im Kampf gegen die Elemente gehärtete ziemlich rauhe Be- völkerung auf ihren Inseln, in ihren Morästen ibr überaus einfaches Leben. Noch jetzt in den Gegenden zwischen Leiden und Amster- dam und im Wasserland oberhalb Amsterdam, wo der Wasser- weg der einzige Weg, die Schute mit plattem Boden bis jetzt das vornehmste Verkehrsmittel geblieben ist, kann man den Resten des alten Lebens nachspüren und sich durch die Anschauung von Natur und Leuten ein Bild zurecht machen von ganz Holland im Mittelalter.

Es war ein Leben für sich ohne nahe Beziehungen zu König und Reich, die sich mit diesen entlegenen Grebieten wenig ein- ließen. Hatten die schrecklichen Normanneneinfälle in den entfern- testen deutschen Klöstern Wiederhall gefunden, die Grrafen selbst dieser Gregenden waren den meisten geistlichen Chronikschreibern dieser Zeit so gut wie unbekannt und das einzige Kloster dieser

1) Vgl. die merkwürdige Nachricht bei Jakob, Ein arabischer Berichter- statter aus dem 10. Jahrh. (Berlin 1886), S. 23.

2) Vgl. Schäfer in Bydr. en Meded. Hist. Genootsch. Utrecht, Bd. XXVII (1906), S. LIII ff.

612 P- J- Blök,

Gebiete, Egmond, hatte im 10. Jahrh., als es durch die Fromm- heit der Grafen entstand, noch wenig zu bedeuten. Die Grafen der Gegend aber waren schon in diesem Jahrhundert ziemlich hohe Herren, die sich ihre Gemahlinnen aus den höchsten fürstlichen Kreisen holten ^) und sich der Gunst der sächsischen Könige, ihrer Lehnsherren, freuen konnten, besonders seit Graf Arnulf um 980 Liudgardis, die Schwester der späteren Königin Heinrichs II, Chuni- gundis , „coram rege Ottone" wie der Chronist sagt ge- heiratet hatte. Schon Gerolf, der älteste uns bekannte Graf aus diesem Geschlecht, hatte 889 vom deutschen König Arnulf an- sehnliche Güter in seiner Grafschaft zu eigen bekommen, wie sein Enkel Dirk II 985 von Kaiser Otto II; das diese ersten Grafen aus dem spätem Holländischen Grafengeschlecht schon im Besitz großer ererbter Besitzungen in dieser Gegend waren , ist sehr wahrscheinlich. Des Grafen Arnulfs Sohn, der gelehrte Egbert, war Kanzler Ottos II (976/7) und (987/993) Erzbischof von Trier. Die Besitzungen dieses Grafengeschlechts reichten im 10. Jahrh. von Flandern , wo sie als Burggrafen in und um Gent sassen, bis tief in Friesland westlich vom Flie; ihre gräf- liche Macht von der Scheidemündung bis zum Flie, mit Kin- heim, Rhein- und Maasland als Kern , während die burggräfliche Macht in Gent und die Rechte in Westfriesland als Ausläufer gelten können, wie auch ihr Geschlecht nach der Seite von Utrecht hin, in den alten Gauen Lake et Isla und Teisterbant, zeitweise aufgetreten war^). Man nannte die Küstengegend zwischen Maas und Flie in dieser Zeit die „marchio Frisiae" , die Grafen selbst „marchiones" ; ihre Stellung und der Charakter ihrer Herrschaft ist mit den der ältesten flandrischen Grafen zu vergleichen^).

Der Tod des Grafen Arnulf in einem Kriegszug gegen die unbotmäßigen Friesen in 993 verursachte eine gefährliche Krise im Aufschwung dieser friesischen Grafen, in welcher 1005 König Heinrich II „navali exercitu Fresones adiens" ^) die westlichen Friesen wieder seiner Schwägerin Liudgardis unterwarf, aber die Genter Burggrafenschaft mit den flämischen Besitzungen ihrem Geschlecht für immer verloren ging^). Nur auf den südlichen

1) Van Bolhuis van Zeeburgh, 1. 1.

2) Vgl. über diese Verhältnisse: Van Bolhuis van Zeeburgh, 1. 1.; meine Ge- schichte der Niederlande, I, S. 154 fF.

3) Pirenne, Geschichte Belgiens, I, S. 32 und 103 S.

4) Thietmar, in Mon. Germ. Script. III, S. 850.

5) Vanderkindere, La formation territoriale des principaut^s beiges, I, S. 64 ff.

Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 613

Scheide-Inseln Walcheren und Beveland konnten sie ihre Stellung noch behaupten, wiewohl sie hier die Oberlehnsherrschaft der flan- drischen Grafen sich gefallen lassen mußten ^).

Arnulfs Sohn Dirk III. Hierosolymita war offenbar in diesen kleinen Verhältnissen ein gewaltiger Herrscher, der dem mäch- tigen TJtrechter Bischof Adelbold, seinem „senior" aus welchem Grund das aus diesem Namen hervortretende Lehnsverhältnis eigentlich stammt, ist unbekannt eine Grafschaft Bodegraven am Rhein (vielleicht war dieses das betreffende Lehn) streitig machte und sich allen benachbarten Fürsten und der mächtigen Kaufstadt Tiel, selbst dem deutschen König zum Trotz in die Silva Meriwido an der Maas bei Dordrecht festsetzte^). Von dieser Zeit an beginnt ein Kampf, in welchem die holländi- schen Grafen das wird ihr Titel seit der Mitte des 11 Jahrb., als sie sich in Holland , dem neu eroberten Lande in der Silva Merinvido, endgültig behaupteten^) den königlichen und nachbarlichen Anfällen siegreich Widerstand leisten. Wie Dirk III. 1018 an der Maas den vom Kaiser Heinrich II. ge- schickten Brabanter Herzog Gottfried zurückschlägt, sein Heer vernichtet und ihn selbst gefangen nimmt, so bietet der „marchio" Dirk IV. in den lothringischen Wirren wiederholt Kaiser Hein- rich III. die Spitze und schlägt 1047 in seinem Wasserlande das kaiserliche Heer erfolgreich zurück*), bis er 1049 bei Dordrecht von seinen Feinden erschlagen wird. In einer Fehde gegen den östlich vom Flie angesessenen von kaiserlicher Gunst damals noch beschienenen Markgrafen Egbert von Meiszen fällt auch sein streit- I)arer Bruder Floris I^) (1061) und die Grafschaft Holland würde damals verschwunden sein, wie so viele hier aufkommende ^) terri- toriale Mächte dieser Zeiten, wenn nicht der energische flämische Grafensohn Robert der Friese, der „comes aquaticus", nach 20 Jahren Kämpfens seinem Stiefsohne Dirk V , dem hinterlas senen Sohne Floris I, Brabant, Friesland und Utrecht, dem Kaiser Hein- rich IV zum Trotz, das väterliche Erbe wieder gesichert hatte ^).

Wie man sieht: die königliche Macht war im Wasserlande

1) Vanderkindere, 1. 1.

2) Meine Geschichte, I, S. 156 ff.

3) ib. S. 157.

4) ib. S. 169.

5) ib. S. 173.

6) Vgl. darüber Pynacker Hordyk in der Vorrede zu seiner neuen fototy- pischen Alpertus-Ausgabe (Leiden, Sythoff, 1908).

7) Geschichte, S. 174, 177, 181.

Kgl. Gos. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 6. 43

614 ^- J- Blök,

zwischen Scheide und Flie nur schwach und die Botmäßigkeit der friesisch-holländischen Grafen sehr fraglich. Wie der alte Thiet- mar, der den Zustand kannte, sagt: keiner war recht eigentlich da, der die Ordnung und den Frieden in diesen Gregenden hand- haben könnte. Und so ist es auch in der nächsten Folge geblieben, lieber Utrecht hinaus kamen die Kaiser und Könige nicht mehr^ auch Barbarossa nicht, der übrigens 1165 zwischen Utrecht und Holland noch vermittelnd auftritt, den Rhein zur „libera et regia strata" erklärt, dessen Lauf nicht, wie in Holland geschehen war, durch Dämme „injuste et violenter" gehemmt werden darf, und über die friesischen Gauen Ostergo und Westergo ein utrech- tisch-holländischer Condominium feststellt; derselbe Kaiser giebt dem Grafen Floris m. die wichtige Reichszollstätte Geervliet in der Meermündung „in feodum" ^), das letzte Reichsgut , von dem wir in dieser Gegend hören. Die königliche Macht läßt sich in diesen Gegenden während der bald folgenden Krise der hohen- staufischen Macht immer weniger gelten wiewohl Floris III dem Kaiser nach Italien und zuletzt nach Osten folgt und ihm Treue er- weist, sich auch den kaiserlichen Bestimmungen über die gräflichen Rechte unterwirft ^). Als aber in 1203/4 ein Kampf über das Erb- recht auf die vom Grafen Dirk YII. seiner einzigen Tochter Ada hinterlassene Grafschaft entsteht, sich ein erbitterter Kampf zwischen Dirks Bruder Wilhelm und der jungen Gräfin und ihrem Gemahl Lud- wig von Loon erhebt, wird von kaiserlicher Einmischung nur wenig geredet ; die beiden Nebenbuhler kämpfen mit ihren Bundesgenossen von Utrecht, Brabant, Flandern, Namür, vertragen sich mit diesen und unter einander; Philipp von Schwaben befestigt (1204) Wilhelm n dessen Reichslehen ^), aber der Graf von Namür, Regent von Flandern, setzt 1206 Ludwig als Grafen von Holland ein^), bis zu- letzt 1213 Wilhelm von Otto IV belehnt wird mit „omnia feoda quae nobiles viri Florentius (III.) et Theodoricus (VII.) bonae memoriae comites HoUandiae, videlicet praedecessores praefati co- mitis Willelmi HoUandiae, ab imperiali aula tenuerint" ^). Doch finden wir um 1220 noch immer die kaiserliche Macht, wie in Bar- barossas Tagen, dann und wann vermittelnd und regelnd wirksam, auch in den immer wieder ausbrechenden Fehden zwischen Flandern

1) Oorkondenboek van Holland en Zeeland, I, no. 173.

2) Meerman, p. 21/2.

3) „feoda quae pater suus et fratres ab imperio tenuerunt" (Oorkdb. 1> no. 201).

4) ib. nr. 206.

5) ib. no. 229.

Holland und das Eeich vor der Burgunderzeit. 615

und Holland über die seeländischen Reichslehen, die Friedrich II zu Gunsten des holländischen Grrafen, sein Sohn Heinrich aber zu Grünsten der flämischen Gräfin zu schlichten sucht ^).

Die holländischen Grafen blieben, wie klein und entlegen ihr Gebiet auch sein mag , auch im 12. und 13. Jahrh. angesehene Herren im Reich. Graf Floris II. heiratet Petronilla von Sachsen, Halbschwester Kaiser Lothars; Floris III. die schottische Königs- tochter Ada; Wilhelm I. die Witwe Ottos IV. Der junge Wil- helm II. bringt es unter geistlicher Stütze zur Würde eines Rö- mischen Gegenkönigs Friedrich II und Konrad IV gegenüber, aber fällt im Kampf gegen die Friesen, als er nach Befestigung seiner Königsmacht in Norddeutschland und am Rhein die Kaiserkrone aus Italien zu holen sich vorbereitet; sein Sohn Floris V., dessen Mutter Aleidis sich 1262 von Richard von Comwallis als „tutrix HoUandiae atque Zelandiae" hatte anerkennen lassen „accepto ho- magio et fidelitatis debitae juramento^^ ^) , gehört zu den angese- hensten Fürsten im Nordwesten des damals aus grenzenloser Ver- wirrung unter Rudolf von Habsburg gleichsam wieder hergestellten Reiches und spielt eine sehr bedeutende Rolle ^) am Niederrhein, nachdem er die unabhängigen Friesen im spätem Nordholland und Friesland nebst dem utrechter Niederstift seiner Herrschaft unter- worfen und die flämischen Ansprüche auf Seeland sieghaft zurück- gewiesen hat; sein einziger Sohn heiratetet wieder die Tochter König Edwards- 1 von England.

König und Reich lassen sich auch in dieser Zeit mit Holland und Seeland noch dann und wann ein. Rudolf von Habsburg er- kennt 1276 doch den Grafen von Henneberg und Johann von Avesnes, Grafen von Hennegau, beide Schwestersöhne des ver- storbenen Königs Wilhelm, als eventuelle Nachfolger des damals noch kinderlosen Floris V. ^), gestattet 1282 aber auch die Nach- folge der einzigen Tochter des Grafen, falls dessen junger Sohn vor ihm stirbt^), und bestätigt dessen Rechte auf Seeland^), und Friesland'), mit Wahrung aber der Reichsrechte auf Seeland^).

1) ib. n. 273/4; Vanderkindere, 1, 1., I, S. 160 if.

2) Oorkdb. II, no. 89.

3) Obreen, Floris V (Gent, 1907).

4) Oorkdb. H, no. 304/5.

5) ib. no. 457.

6) ib. no. 602, 706, 729.

7) ib no. 733.

8) ib. no. 729.

43'

616 P- J- ßlok,

Auch König Adolf steht auf persönliclie Lehnhuld für die Graf- schaft \), während König Albrecht die Lehnfolge Johanns I. nach dem Tode seines Vaters ^in absentia" genehmigt^).

Als aber beim jähen Aussterben des alten Grafengeschlechts in 1299 der schlaue Hennegauer Johann IL von Avesnes sich der beiden Grafschaften bemächtigt, muß König Albrecht, obschon für solche Fälle völlig durch sein Königsrecht gestützt, seine Ohn- macht es zu verhindern erkennen ^) und die Verbindung der Terri- torien mit der hennegauer Grafschaft, recht eigentlich eine'Usur- pation, nach vergeblichem Widerstand zulassen*). Johanns Nach- folger, Wilhelm III, hat mit Ludwig dem Bayer, bald seinem SclLwiegersohn, nahe Beziehungen unterhalten, wird später Land- friedenshauptmann und Generalvikar am Niederrhein ^) ; er wie sein Sohn Wilhelm IV. gehören zu den mächtigsten Eeichsfürsten an der Grenze nach Frankreich hin.

Diese enge Verbindung Wilhelms III. mit dem Römischen König und Kaiser, wiewohl im Kampf Ludwigs gegen die Kurie nicht immer aufrecht gehalten^), hat schon seit dem ersten Ke- gierungstag des „Baurus" bestanden. Wilhelm gehörte zu den Fürsten, die Ludwig am 25. Nov. 1314 in Aachen die Königskrone aufsetzten. Am selben Tag wurde ihm vom neuen Römischen König ein überaus wichtiges Diplom ausgestellt'), offenbar dieser Anschließung wegen, wie auch im Diplom gesagt wird, daß der König des Grafen „grata et obsequiosa servitia^ nicht nur „nostris antecessoribus" bewiesen lohnen will, sondern auch „nobis et im- perio in futurum" auf seinen Dienst rechnet. Dieses Diplom nun stellt fest, daß der König „onine jus quod Ididem (reges et impe- ratores) in comifatihus Eollandie, Zelandie et dominatu Frisle reda- marunt seu reclamare potuerunt aut Nos reclamare possemus, libere et absolute de consensu et assensii nostrorum principum quittamus ac

1) ib. no. 828.

2) ib. no. 1058, vgl. no. 949, 977.

3) Franke, Beiträge zur Gesch. Johanns IL von Hennegau-Holland (Leipzig 1899) S. 65 ff. Auch in der Westdeutschen Zeitschrift, Ergänzungsheft VL

4) Vgl. Franke, Beiträge 1. 1.

5) Meine Geschichte der Niederlande, II, S. 93; Kuntze, Die politische Stellung der niederrheinischen Fürsten (München 1882), S, 13 ff.

6) Kunze, S. 23 ff., 42 ff.

7) Cartulaires de Hainaut (Monum. pour servir k l'histoire des prov. de Kamur, de Hainaut et de Luxembourg), III, p. 43. Die Originale dieser Urkunden im Staatsarchiv zu Bergen in Hennegau. Vgl. Van Mieris, Charterboek, II, S. 145. Siehe Beilage I.

Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 617

eideui ejusqiic hureäihus et successoribus 2)resentibus duximus remitten- äum salvo tarnen tiobis et imperio homagio dehito pro eisdem^. Uebri- gens sind die Grafschaften, nacli Vernichtung von ^Processus aliqui per nostros predecessores . . . contra emndem comitem aiit siios predc- ccssores^j von dieser Zeit an frei von allem Reichsanspruch. Weiter werden dem Grafen, dem am selben Tage die Friesen von "Wester- und Ostergo als ihrem Herrn zu gehorchen befohlen worden ^) am folgenden Tag „pro certis serviciis quae nobis et imperio fecit" 52000 ..librae Turonenses" zuerkannt aus „aliquo theloneo super Rhenum" -), wofür der Erzbischof von Trier, die Grafen von Jü- lich, Berg, Isenburg und andere niederrheinische Herren Bürg- schaft leisten^). Dem Grafen werden endlich einige Tage später alle ihm und seinen Vorgängern von den deutschen Königen ver- liehenen Privilegien, „cuiuscumque tenoris existant", bestätigt*). Vom 1. Dezember ist dann der dem Grafen ausgestellte Lehns- brief ^) ^de Omnibus hiis que dictus comes et predecessores su tenuerunt seu teuere debuerunt seu que ipse comes tenet a re- gibus et imperatoribus Eomanorum in comitatu Hollandie , Zee- landie et dominatu Frizie".

Das wichtigste aller dieser Diplome ist wohl das zuerst ge- nannte, das am 14. Juni 1330 feierlich erneuert und mit der kaiser- lichen „bulla aurea" besiegelt wurde ^).

Aber welche Bedeutung hat es recht eigentlich? Man könnte fragen, ob es vielleicht nicht nur die hennegauische Erbfolge, die anfänglich ja vom König Albrecht energisch bestritten, aber seitdem auch von diesem anerkannt war'), feststellen sollte. Wer aber bestritt sie damals noch?

Wir besitzen eine Urkunde vom 12. Mai 1308^), einige Tage also nach dem jähen Tode Albrechts, in welcher Johann von Bra- bant, Heinrich von Luxemburg, Johann von Namur, Gerhard von. Jülich, Arnulf von Loon und Guido von Flandern, die sich außer dem flandrischen Grafen am vorigen Tage zu Nivelles

1) Cart. de Hainaut, p. 41 ; Van Mieris, S. 146.

2) Cart. de Hainaut, p. 44, dd. 26 Nov. Van Mieris, S. 146.

3) Cart. de Hainaut, p. 47, dd. 4. Dez. Van Mieris, S. 147.

4) Van Mieris, S. 146, vgl. S. 141 (vom 2. März 1315), dd. 1 Dez.

5) Cart. de Hainaut p. 45.

6) Cart. de Hainaut, p. 225. Van Mieris, S. 497/8; siehe Beilage II. Vgl jetzt auch Steckele in Westd. Zeitschr. XXVII, 1, S. 107, der seinerseits weist auf die faktische Unhaltbarkeit damals der Reichsrechte in diesen Gegenden.

7) Franke, 1. 1. S. 88.

8) Cart. de Hainaut, III, p. 583.

618 P- J- Bi^k,

auf Lebenszeit enge verbündet hatten^), nur nicht „envers nos seigneurs, c'est assavoir le roy d'AUemagne et le roy de France", dem hennegauer Grrafen geloben, ;,que s'il avenoit par le grasce de Dieu ke li uns de nous fust eslius roys d'Allemagne", sie ihn „en foy et hommage'^ empfangen werden nicht nur für Hennegau, ,.hors mis les calenges ki sont et ont estet entre les contes de Flandres et de Haynau, dont il ont plaidiet en le court le roy d'Allemagne", sondern auch für Holland, Zeeland und Friesland. Es steht da: „item recheveroit-il (le roi d'Allemagne elu) le dit conte Gruillaume u ses hoirs de tout chose ke si devanchier conte de Hollande, de Zelande et signeur de Frize ont estei en foy et en hommage des roys d'Allemagne, ossi et ne s'en pora escuser par nulle raison, especialment pour chose ke ces convenanches ont estei faites devant son election, ne demorra mie ke il n'en rechoive en foy et en hommage le dit conte Guillaume et ses hoirs. I^t quitiera an dit conte Guillaume et a ses hoirs tout cliou Tee li roys d'Allemagne poroit demander es difes conteiz par Ja raison du royaume u de Vempire, u par quelconques aiitre raison l'e ce fust, hien et svffisanment. Et n^est mie a entendre he le dis cuens ne fache vers le roy chou quHl doit u devera pour la raison de sen hom~ inage'^. Weiter versprechen sie ihm zu helfen, daß er, falls keiner von ihnen König vrird, „sera recheus en le foy et en l'hommage dou dit roy d'AJlemagne et sera quites en la maniere devant dito". Es sind hier zwei Sachen wohl zu unterscheiden. Erstens, daß der Graf von Hennegau für sich und seine Erben als im völ- ligen lehnsrechtlich bestätigten Besitz der Grafschaften Holland, Seeland und der friesischen Territorien erkannt werden wird gegen Leistung des Lehneids. Zweitens, daß die römischen Könige in keiner Hinsicht etwas in diesen Gebieten zu fordern (demander) haben werden.

Was den ersten Punkt betrifft, finden wir den Grafen schon beim Anfang der Wahlverwickelungen nach dem unerwarteten Tode Heinrichs VII damit beschäftigt , die Rechte seines Hauses zu wahren. Er spielte in diesen Verwicklungen eine bedeutende Rolle ^), führte sich ja selbst im Anfang als Mitbewerber für die römische Krone auf^), in Erinnerung vielleicht an die seinem

1) Fischer, in Sitzungsberichte Kais. Akad. XIV, S. 196 ff , aus der merk- würdigen Pisaner Sammlung kaiserlicher Archivstücke, dem Nachlaß Heinrichs VII

2) Kunze, Die politische Stellung der niederrheinischen Fürsten S. 5.

3) Mühling, Die Geschichte der Doppelwahl des Jahres 1314 (München 1882), S. 40,65.

Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 619

Großolieim Wilhelm von Holland zugefallene Machtstellung, die sich auch ihm keineswegs unerreichbar zeigte, falls der Erzbischof von Köln die Rolle spielen wollte, die sein Vorgänger in Wilhelms 11. Zeit auf päpstliche Forderung und mit kräftiger Mitwirkung des päpstlichen Legaten Hugo von St. Cher gespielt hatte.

Im März 1314 verspricht er, den Erzbischof von Köln nach Frankfurt und Aachen zur Wahl und Krönung eines Römischen Königs geleiten zu wollen, während dieser ihm verspricht keinen König zu wählen, der dem Grafen seine Rechte nicht zusichern wolle ^). Als Ludwig von Bayern sich im Sommer 1314 unter den Kandidaten für die Krone gestellt hatte aber der Kölner einstweilen dem österreichischen Herzog treu blieb, hat Graf Wil- helm beim schändlichen Stimmenhandel über die Königskrone ''^) und dem Wettlauf nach Aachen offenbar seinen Vorteil zuletzt beim bayrischen Mitbewerber gefunden und dafür u. A. das Diplom bekommen, nicht also durch den Kölner aber durch dessen Wider- sacher von Mainz und Trier, die Ludwigs Krönung zu Aachen vollbrachten.

Auch in 1330, als der Graf sich nach Jahren politischer Schwankung zwischen Ludwig und der Kurie sich wieder fester dem Kaiser anschließt, sind derartige Ursachen für die Erneue- rung des Diploms nachzuweisen^).

Im Diplom von 1314 und 1330 wie in der Urkunde von 1308 sind also die zwei verschiedenen Sachen unverkennbar auseinander gehalten: die Beendigung der „processus" über die Erbfolge und die Verzichtung des Königs auf die Reichsrechte, die in unver- kennbarem Anklang an die Urkunde von 1308*) mit denselben Worten aufgegeben werden.

Man darf also feststellen, daß das Diplom von 1314 (1330) den Grafschaften eine gewisse Sonderstellung im Reich schaffte, ihnen eine faktische Unabhängigkeit sicherte mit Festhaltung allein

1) Böhmer, Reg. Ludw. des Bayern, S. 309, aus St. Genois, Monuments CXCIX: „Et cet Arch. jpromet de ne point consentir ä l'election d'un roi des Romains qu'apres qu'il aura promi de terminer promptement les affaires que le comte de H. avoit avec lui, d'oter les empechemens que ses prede'cesseurs avoient mis ä la jouissance des comte's de Hollande, de Zelande et de la seigneurie de Frise , d'en confirmer la possession au comte de Hainaut , de le recevoir ä l'hommage pour ce comte et de l'indemniser de tous les obligations que le comte de H. pourroit contracter en faveur de ce Roi."

2) S. darüber Mühling, S. 71if.

3) Kunze, S. 48, 51. Vgl. Stechele, 1. I.

4) „omne jus . . . quittamus" (1314) und „quittera", „sera quites" (1308).

620 P- J- Blök,

des Lelinsnexns. Das Diplom darf also als ein Schritt zur Trennung der Grafschaften vom Reich angesehen werden, wiewohl ihm bis jetzt diese Bedeutung noch nicht zugesprochen wurde ^). Daß im 14. Jahrh. die Grafschaften dem Reiche gegenüber auch anders standen als das Stift Utrecht und als Geldern ist bekannt : sie nähern sich im Gegenteil dem faktisch unabhängigen Ver- hältnis Brabants zum Reiche. "Weder hier noch in Brabant finden wir denn auch in der Folge eine Spur von Ausübung der Reichs - rechte: Graf "Wilhelm und sein rühriger Sohn Wilhelm IV ge- bärden sich als unabhängige Dynasten, die im Reich eine bedeu- tende Rolle spielen aber sich von Reichsrechten in ihren Graf- schaften nichts anziehen.

Der Zusammenhang der beiden Grafschaften mit dem Reich hätte aber wieder enger werden können nach dem kinderlosen Tode des letzten hennegauer Grafen, "Wilhelms IV. bei Stavoren in 1345, dem seine Schwester, die Kaiserin Margarethe selbst, „tamquam verlor, proximior et antiquior heres"^) mit kaiserlicher Belehnung ihres Gemahls nachfolgen konnte. Und die spätere Erhebung ^) ihrer Söhne "Wilhelms V und Albrechts *j scheint die Bände mit dem Reich auch noch wieder zu befestigen im Stande gewesen zu sein, weil diese Fürsten als regierende Herzöge in Nieder bayern dem Reiche näher stehen mußten als die faktisch souveränen Hennegauer, die sich aus dem Lehnsverhältnisse zu Lüttich ^) wenig machten. Es ist dabei auch zu beachten, daß die beiden Grafschaften von der Zeit Margaretens an, mit vollkom- mener Nichtbeachtung der Lehnsverhältnisse zwischen Hennegau und dem Bistum Lüttich, unverbrüchlich mit Hennegau verbunden sind und seitdem die drei Grafschaften als ein unteilbares Terri- torium gelten, dessen Zusammengehörigkeit von den nachfolgenden Grafen bei ihrer Huldigung feierlich anerkannt wird. Das Reich aber hatte bei dieser festen Verbindung der beiden Reichslehne mit Hennegau wieder nicht viel einzubringen; allein hat Kaiser Ludwig selbst die drei Grafschaften sämtlich als das unzertrenn-

1) Von „Reichsunmittelbarkeit", wovon bei der Diskussion auf dem Berliner Historikerkongreß am 8. Aug. 1908 die Herren Proff. Seeliger und Kaufmann sprachen, kann hier keine Rede sein.

2) Van Mieris, II, S. 702/3.

8) Meine Geschichte, II, S. 100 flF.

4) Van Mieris, II, S. 727/8.

5) Vanderkindere, La formation territoriale des principaut^s beiges, II, p. 92 suiv.

Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 621

liehe Erbe seiner Gemahlin und ihrer Nachfolger anerkannt^). Die Regentschaft Herzog Albrechts für seinen schwachsinnigen Bruder hat bei den Luxemburgischen Reicbsherrn keinen Widerspruch ge- funden, da er sich anfangs ihnen anschloß während seine bay- rische Verwandtschaft sich ihnen widersetzte, und nach dem Tode Wilhelms war Wenzel jedenfalls nicht stark genug sich gegen Albrechts Nachfolge zu stellen , wiewohl schon damals Albrecbt sich persönlich dem Reiche abgewandt und den Franzosen zuge- wandt hatte durch seine feste Verbindung mit den noch völlig französischen Burgundern. 1367 hat Karl IV jedenfalls die Titel Albrechts anerkannt ^'), 1370 bestätigt er ihm, dem Schwiegervater seines Sohnes, alle von seinen Vorgängern den Grrafen von Holland verliehenen Rechte ^) und befiehlt Oster- und Westergo ihm zu ge- horchen wie früher seinem Bruder Wilhelm^). Er nennt Albrecht selbst schon 1372 ^j Grafen von Holland und Seeland. Auch die Heirat des zweiten Sohnes Albrechts , des jungen Albrechts von Straubing, mit des Kaisers Tochter Anna sollte in derselben Rich- tung wirken. Von kaiserlichem Einfluß in Holland , von Reichs- bemühung mit dieser Grafschaft ist aber auch in diesen Zeiten keine Rede. Nur hat 1384 König Wenzel auch den Untertanen Albrechts das jus de non evocando, also ihrer Entlassung aus jeder Reichgerichtsunterthänigkeit, ausdrücklich anerkannt^).

Albrecht hat also die persönlichen Beziehungen zu Kaiser und Reich geflissentlich unterhalten, jedenfalls in der ersten Zeit seiner langwährigen Regierung ^) ; seine Tochter Johanna war 1370 an König Wenzel verheiratet*). Als diese aber 1386 verstorben war und die politischen Beziehungen Albrechts zu Frankreich und dem aufkommenden Hause von Burgund immer enger wurden, nahm die Entfremdung der Grafschaften vom Reich augenscheinlich zu. Die burgundischen Heiraten von 1385, durch Vermittelung der

1) Van Mieris, II, S. 727.

2) ib. III, S. 216.

3) Böhmer-Huber, Reg. Imp. Karl IV, S. 107.

4) Von Mieris, III, S. 140, mit falschem Datum.

5) ib. S. 271. Auch. 1374: Böhmer-Huber, S. 445.

6) Van Mieris, III, S. 409/10, 418/9.

7) Siehe darüber passim meine Studie: De erste regeeringsjaren van hertog Albrecht, in Bydr. voor vaderl. gesch. 3. Reeks, II, S. 244 ff. ; meine Geschichte II, S. 120.

8) Lindner, Gesch. des Deutschen Reiches unter Wenzel S. 19, 42; meine obengenannte Studie, S. 275.

622 P- J- Blök,

französisch gesinnten Herzogin Johanna von Brabant , Witwe des holländischen Grafen Wilhelms IV und des Luxemburger Wenzels von Brabant, sind, wie allbekannt, in dieser Hinsicht von großem Grefolge gewesen ^) ; namentlich Albrechts Sohn Wilhelm , sein Nachfolger, ist der treue Bundesgenosse der Burgunder geworden, die seit dieser Zeit die nördlichen Niederlande immer mehr in ihren Gesichtskreis aufnehmen.

Im Reich erkannten die Kurfürsten die drohende Gefahr der Entfremdung an erster Stelle Brabants, des vornehmsten Gebietes der Niederlande. Ihre Entrüstung machten sie 1398 König Wenzel kund : auch von Reichsflandem war dabei die Rede ^). Aber Wenzel schloß sich den Franzosen an und ließ das Reich und dessen Rechte verkümmern, bis die Kurfürsten ihn im August 1400 durch Ru- precht von der Pfalz ersetzten. Aber auch dieser konnte dem Verhängnis nicht vorbeugen, wiewohl er bei seiner Krönung die Erhaltung des sehr gefährdeten Brabants zu versichern gelobt hatte. Brabant ging 1406 an den Burgunder über, unter Protest Ruprechts, aber mit Genehmigung Wenzels, und auch König Sieg- mund, der luxemburgische Nachfolger der beiden zwistenden Vor- gänger, kam nicht weiter als zu Protesten, freilich , so weit die Worte gingen, ernster Art , die er aber nicht durch energisches Auftreten stützen konnte. Holland - Seeland folgte langsam aber sicher dem Wege Brabants. Ihr Herr, Herzog Wilhelm VI aus dem bayrischen Geschlecht, läßt sich mit dem Reich und König Siegmund, nach dessen Wahl, zu der auch seine Gesandten freilich noch mitgearbeitet hatten, so gut wie nicht ein und hat beide Augen auf Frankreich gerichtet, dessen Dauphin sein Schwieger- sohn wird. Er ist ganz und gar Franzose und mit Burgund fest verbunden, Busenfreund und Waffenbruder Johanns ohne Furcht, des damaligen Burgunderherzogs. Wohl war er als Reichsfürst Ende 1401 Ruprecht noch auf dessen mißglücktem Romzug gefolgt und leistete selbst König Siegmund, während dessen Reise nach England (Juni 1415) persönlich die Lehnhuld *), aber bei der Heirat seiner Tochter (1416) versprach er sie und ihren französischen Ge- mahl als Erbe seiner Lande einzusetzen^). Diese Abmachung fand bei Siegmund, der wiederum den französischen Einfluß wachsen und auch diese Grafschaften dein Reich entfallen sah, wohl energischen

1) Meine Geschichte, II, S. 56; Pirenne, II, passim.

2) Vgl. Rachfahl, 1. 1.

3) Von Löher, Jakobaea von Bayern, I, S. 264 (mit den Noten S. 455).

4) Van Mieris, IV, S. 342.

Holland und das Keich vor der ßurgunderzeit. 623

Widerspruch, aber nichtsdestoweniger folgte die inzwischen ver- witwete Jakobaea mit Zustimmung ihrer Untertanen ihrem Vater als Grräfin seiner Länder, während der machtlose König es an- sehen mußte, daß sie sich, obwohl persönlich halb unwillig, ihrem jungen burgundischen Vetter Johann IV von Brabant zu verhei- raten versprach. König Siegmund aber tat was er konnte um die Heirat zu verhindern und belehnte Johann von Bayern, Bruder des verstorbenen Herzogs, mit den Grrafschaften. Wie dieser fak- tisch sich der Herrschaft bemächtigte, selbst von Johann von Brabant anerkannt ; wie die von ihrem Gremahl vernachlässigte Jakobaea ihn verließ, heimlich nach England übersiedelte, da- selbst sich mit Humphrey von Glocester vermählte und bald den Krieg um ihr Erbe in den Niederlanden anfing, wie Johann von Bayern verschied und dann PhiKpp von Burgund seine Erbschaft gegen Jakobaea behauptete, ist alles allbekannt und mit roman- tischem Schimmer beleuchtet.

Aber die Belehnung mit den beiden Grrafschaften erhielt Phi- lipp der Gute weder von Siegmund noch von Albrecht oder Frie- drich III und auch sein Sohn, Karl der Kühne, konnte sie nicht durchsetzen *) : die deutschen Könige wollten das Stück deutscher Erde dem französischen Burgunder nicht völlig überlassen.

Aber dann folgt die Zeit der Burgundisch- Habsburgischen Fürsten und damit wohl nicht die der regelmäßigen Belehnungen erst Philipp II hat sich von seinem Vater, wie von Ferdinand und Maximilian II auch mit diesen Grafschaften belehnen lassen aber in Hinsicht auf Holland-Seeland und Friesland nur in dieser Form, für alles was „in comitibus Hollandiae, Selandiae dominiis- que Frisiae Orientalis et Occidentalis aliisque terris inferioris Germaniae , quae a S. B. J. moventur, in feudum recognoscuntur ab Imperio" sondern doch mit vager Anerkennung der Zuge- hörigkeit zum Reich wie aus der Formel ,,quae a S. B. J. mo- ventur" erhellt. Die „wunderliche historische Fiktion" ^) der Sonder- stellung der ehemaligen lothringischen Länder im Beich wurde von den niederländischen Juristen zu Hülfe gezogen um damit nicht allein Brabant sondern auch Holland-Seeland als „freies AUod" nicht nur von allen Verpflichtungen dem Reich gegenüber aber auch von jeder Zugehörigkeit dafür hätten sie nur das Diplom von 1314 vorzubringen gehabt lossprechen zu können.

1) Rachfahl, 1. 1,. S. 81 ff., wo er meinen früheren Ausführungen gegenüber Recht hat.

2) Rachfahl, S. 89.

624 P- J- Blök,

Daß Holland-Seeland vor der Burgunderzeit immer als Reichs- lehen gegolten haben, ist nach allen diesen Bemerkungen zweifellos festzustellen; seit 1314 aber ist auch rechtlich nichts weiter als der bloße Lehnsnexus geblieben und hat das Reich weiter nichts von diesen Herrschaften zu fordern gehabt, wie diese sich auch ihrerseits mit dem Reich nicht weiter einließen. Schon unter dem hennegauischen Grafengeschlecht, das seiner Herkunft nach weitaus mehr dem französischen als dem germanischen Wesen nahestand, war das Band mit dem Reich also sehr geschwächt; unter den Bayern, die Froissart recht eigentlich als Avesner, als Henne- gauer begrüßt, als Muster der französischen Ritterwelt seiner Zeit, ist dies, anfänglicher persönlicher Verbindungen zum Trotz,, so geblieben, wie unter ihren burgundischen Nachfolgern.

Die hennegauisch-bayrischen und burgundischen Landesherren schlössen sich in dieser Hinsicht nur der geschichtlichen Entwicke- lung ihrer Grafschaften an. Denn, so fest es steht, daß vor der Burgunderzeit staatsrechtlich das öfters lockere Band dieser Gebiete mit dem Reich im Großen und Ganzen auch nach dem Diplom von 1314 nicht gänzlich zerbrochen ist, ebenso fest steht, es, daß die allgemeine Kultur der Grafschaften sich nicht in deutscher sondern in französischer Richtung entwickelt hat.

Auch staatsrechtlich, aber im Sinne der inneren staatlichen Entwicklung, ist ohne jeden Zweifel der französische Einfluß auf die holländisch - seeländischen Zustände maßgebend gewesen, und schon im 13. Jahrhundert , dem ersten , worüber wir vom inneren Zustand Hollands und Seelands zuverlässiger unterrichtet sind. Und dieser Einfluß nimmt seinen Weg über Flandern, mit welcher französischen Grafschaft die holländischen Grafen, wie wir sahen, schon seit der ältesten Zeit in engen Beziehungen standen; na- mentlich seit dem 12. Jahrh. durch das Verhältnis Seelands zu Flandern, dessen mächtiger ökonomischer Aufschwung schon in diesem Jahrhundert^) auf das von flämischen Kaufleuten durch- zogene Seeland^) nicht ohne Einfluß geblieben sein kann. Wenn wir die fürstliche Macht in Holland-Seeland wie in Flandern weit eher kräftig entwickelt sehen als in den naheliegenden Teilen des deutschen Reichs^); wenn wir die Burggrafschaften von Voome

1) Pirenne, Geschichte Belgiens I, S. 213 ff.

2) Oorkdb. I, no. 147 (1165), wo die Rede ist von „conductus a transeun- tibus Flandrensibus", von dem „mercator transiens".

3) Pirenne, I, S. 120 ff.

Holland und das Reich vor der Burgunderzeit, 625

und Leiden , die einzigen in Holland - Seeland , die beide im 12. Jahrh. schon bestanden, den flämischen und nicht den deutseben Typus tragen sehen ^); wenn wir an den jungen holländischen und seeländischen Städten des 13. Jahrb. den Einfluß französischer und flämischer und nicht deutscher Modelle ganz deutlich erkennen können^); wenn wir die der königlichen französischen Admini- stration entlehnten flämischen baillis des 12. in den holländisch- seeländischen „baljuwen" des 13. und 14. Jahrhunderts ihre Amts- genossen haben sehen ^); wenn wir die flämischen „ambachten" als Unterdistrikte dieser „baljuwschappen" auch in Holland - Seeland wiederfinden; wenn wir das holländisch -seeländische Polderrecht mit dem flämischen große Aehnlichkeit bieten sehen*) da ist Hegels Ausspruch: „Regierung, Grerichtswesen und Verwaltung waren in diesen Ländern auf gleiche Weise wie in Flandern und Brabant geordnet" ^), nicht zu stark.

Aber ist dieser unwidersprechliche flämische Einfluß auch fran- zösisch? Ich glaube sagen zu können: auch dieses ist der Fall. Von den Burggrafen, den Castellani, kann es bis jetzt ohne ge- nauere lokale Untersuchung in Flandern und Nord-Frankreich noch nicht endgültig festgestellt werden^), wiewohl Zusammenhang mit den nordfranzösischen „chätelains" vor der Hand liegt und Ent- stehung dieser Anordnung aus nordfranzösischen Zuständen höchst wahrscheinlich ist '^) ; von den Ambachten ist das nicht so nachzu- weisen aber auch hier ist jedenfalls eine überraschende Aehnlich- keit zwischen den nordfranzösisch -normandischen und flämisch- holländischen ländlichen Zuständen zu bemerken: das nordfran- zösisch-normandische Dorf ^) ist nicht prinzipiell verschieden vom holländisch - seeländischen, das von den östlicheren Dörfern erheb- lich abweicht; von der städtischen Entwickelung Flanderns ist es w^ohl nicht zweifelhaft, daß sie die Weiterentwickelung der nord- französischen kommunalen Zustände genannt werden kann, wie sie sich in Cambray gegen Ende des 11. Jahrb. scharf accentuierte ^).

1) Eietschel, Das Burggraf enarat, S. 200ff. ; meine Holl. Stad in de Middel- eeuwen, S. 144/5.

2) Vgl. meine Holl. Stad in de Middeleeuwen, S. 344 ff.

3) Fruin, Staatsinstellingen, S. 64 ff. ; Pirenne, S. 347 ff. ; Luchaire, Manuel des institutions monarcLiques sous les cape'tiens directs, p. 543 f.

4) Müller, Seeland, passim.

5) Hegel, Städte und Gilden, II, S. 239.

6) Eietschel, 1. 1. S. 201.

7) Luchaire, 1. 1. p. 251, 264 flg., 278 flg.

8) Luchaire, 1. 1. p. 377/8.

9) Pirenne, S. 209 ff.

626 P. J. Blök,

Eine zweite wirkungskräftige Periode des französischen Ein- flusses auf die Landesverwaltung in Holland -Seeland ist aber die Zeit der hennegauer Grafen, die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts. Es steht wohl fest, daß erst unter ihnen die bis dahin noch sehr primitive von der fränkischen Zeit stammende Verwaltung dieser Grafschaften an feste Regeln gebunden wurde. Was wir in dieser Hinsicht aus der Zeit Floris V. besitzen, ist sehr dürftig: Frag- mente eines Lehnregisters aus der Zeit von 1280 bis 1297') sind mit einzelnen Urkunden ungefähr das einzige was wir haben, und diese Aufzeichnungen sind noch sehr dunkel und verwirrt. Sie zeigen aber nur die ersten Anfänge einer besseren Verwaltung, wie übrigens in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. auch in Holland, wie in den andern deutschen Territorien z. B. die Kanzlei Verhält- nisse sich bedeutend verbessert haben ^) , welche Verbesserung wahrscheinlich auch teilweise auf päpstliche, aber für diese Ge- genden teilweise auch wieder auf französische Modelle zurückgeht ^). Eine geregelte Registerführung fängt für Holland - Seeland aber erst an unter der Regierung des ersten hennegauer Grafen, der nach der kurzen stürmischen Regierung seines Vaters Johanns ü. bald in völliger Ruhe diese Grafschaften lenkte: Wilhelms III., und zwar um 1319*). Es ist dieser vortreffliche Herrscher ge- wesen, der die holländisch-seeländische Kanzlei, wie sie später be- steht^), und die Verwaltung überhaupt daselbst geordnet hat in derselben Art und Weise, wie sie in Hennegau schon früher ge- ordnet waren und offenbar wieder nach dem bekannten fran- zösischen Muster. Und was hätte mehr vor der Hand gelegen als diesem Muster nachzufolgen, das seit Philippe - Auguste oder viel- leicht eher seit Saint Louis, dessen „regne incomparable" auch in dieser Hinsicht maßgebend war^), und mit der fruchtbaren Regie- rung Philippe le Bel's ') Frankreich zum bestregierten Land der damaligen Welt machte? Ein einziger Blick in die französische

1) Muller , Het oude register van graaf Florens , in Bydr. en Meded. Hist. Gen. Utrecht, XXE, S. 117.

2) Breßlau, ürkundenlehre, I, S. 458.

3) ib. S. 104 ff.

4) Van Riemsdyk, De registers van Gerard Alewynsz, in Versl. en Meded. Kon. Akad. Afd. Letterk. 3. Reeks, VII, S. 430.

5) Van Riemsdyk 1. 1. und De tresorie en kanselary van de graven van Hol- land en Zeeland, S. 69 ff.

6) Vgl. Le Nain de Tillemont, Histoire de Saint Louis.

7) Luchaire, Manuel des Institutions monarchiques sous les Capdtiens di- rects, p. 529 suiv.

Holland und das Keich vor der Burgunderzeit. 627

Finanzverwaltung des 13. Jahrli. zeigt die nahe Verwandtschaft der hennegauischen mit der französischen Verwaltung dieser Zeit und es muß Johann II. von Avesnes, der tatkräftige erste henne- gauer Herrscher über Holland-Seeland gewesen sein , der diese in seinem hennegauer Land eingerichtet hat. Die Einrichtung des hennegauisch- holländischen Hofes ist wo nicht unmittelbar doch ganz gewiß sei es dann vielleicht wieder teilweise durch flämische Vermittelung , diese Hennegauer waren Nachkommen der flä- mischen Gräfin Margaretha der des französischen entlehnt. Die Rechnungen der „herberghe" des Grrafen und der Grräfin von Hol- land-Seeland um 1340 zeigen völlig dieselbe Einteilung wie die der „hoteis" der französischen Könige und Königinnen; dasselbe ist der Fall mit den allgemeinen Rechnungen der Grafschaft. Das französische „consilium" , die „curia regis" ist identisch mit dem gräflichen „raad" in Holland , schon unter Floris V. ; die gräflichen „clercken" gehen wie in Frankreich im 14. Jahrh. in eigentliche ;,legistes" über, die Juristen, die den Staat Philippe leBel's lenken halfen: Gerard Allewynsz und Gerard, Peter, Hugo, Philipp von Leyden in Holland - Seeland sind nichts anderes als diese. Das ganze finanzielle Verwaltungssystem der holländischen Grafen des 14. Jahrh. zeigt also unverkennbare Verwandtschaft mit dem der französischen Könige, in dieser Hinsicht wie in allen das Vorbild der monarchalen Verwaltung in West-Europa. Selbst die Namen der gräflichen Beamten und der Unterabteilungen der gräf- lichen Rechnungen sind den französischen Modellen entlehnt ^).

Und was die Hennegauer angefangen, haben die Bayern voll- endet. Nach etzlichen Jahren von Verwirrung, namentlich seit dem jähen Tode des unruhigen Wilhelms IV. bei Stavoren, ist Wilhelm V. den Spuren seines Großvaters Wilhelms III. gefolgt ^)j mit Hülfe wieder der „clercken", die diesem gedient hatten und auch bei ihm in völlig bewußter Nachahmung die Stelle der „le- gistes" der französischen Könige erfüllten. Wie Nogaret und die Seinigen unter Saint Louis, Philippe le Hardi und Philippe le Bei die wohlgebildeten Instrumente zur Einführung der gewünschten monarchalen Reform in Frankreich gewesen sind, so waren es in Holland-Seeland vortreffliche Beamte wie wieder Gerard, Peter und Philipp von Leiden, Nicolaus Marre, Gerard Alewynsz , die den Fürsten bei ihren administrativen Reformen zur Seite gestanden

1) Grafelykheidsrekeningen onder het Henegouwsche Huis, Ausg. Hamaker (Werken Hist. Genootscbap te Utrecht).

2) Van Riemsdyk, De tresorie en kanselary, S. 75 ff.

628 P. J. Blök,

haben*). !N'ach dem Ausbrucli der schrecklichen Seelenkrankheit, die den jungen vielversprechenden ersten bayrischen Grrafen zur Eegierung nnfäbig gemacht hat, ist es sein Bruder Albrecht, der vielbewunderte „duc Aubert" Froissarts gewesen, der 1363 den früher in flämischem Dienst stehenden Jan van der Zichelen (de la Fouchelle) wie in Frankreich und Flandern zu seinem Greneral- tresorier angestellt und damit die Einheit der Verwaltung in den drei Grafschaften eingeführt hat 2). Ein Vierteljahrhundert später hat Albrecht die Befugnisse dieses „Tresoriers", damals noch offiziell „cancellarius ac curie omniumque rerum et bonorum comitis legalis dispensator" genannt, ansehnlich erweitert^). So ist es bis in die Burgunderz eit geblieben.

Sehen wir also , daß die Verwaltung in Holland-Seeland ein flämisch -französisches Gepräge trägt, die allgemeine Kultur seit dem 13. Jahrb., wiederum dem ersten, das uns in die Kultur der holländisch-seeländischen Bevölkerung einen Einblick gewährt, bietet dasselbe Schauspiel. Auch hier entdecken wir eine nähere Verwandt- schaft zu den französischen als zu den deutschen Erscheinungsformen des Volkslebens und nicht nur hier, sondern in den gesammten nieder- ländischen Gebieten, namentlich in Flandern und ßrabant, die wie übrigens im Mittelalter auch hier wiederum eine führende Rolle spielten. Daß der in der Nähe von Maastricht geborene Heinrich von Veldeke nach französischem Muster seine Eneide bearbeitete und seine Liebeslieder dichtete ; daß gebildete flämische und holländische „clercken" aus der Mitte des 13. Jahrh. die französischen Ritter- romane in „dietscher'^ Sprache bereimten ; daß auch die Tierfabel von Reinaert und Isegrim in Nord - Frankreich zu Hause ist und der Niederländer „Willem de Madocke maecte", wie sein neu ent- deckter Vorgänger Arnout, seine Gedichte von der „aventure van Reynaerde" nur „uten waischen boeken in dietsche heeft begonnen", ist jetzt „lippis et tonsoribus notum"*). Es verdient aber Beach- tung, daß die mitteldeutschen Romane, wiewohl auch französischer Herkunft, eher ein eigenes Gepräge zeigen, während die nieder- ländischen Uebersetzer bloß durch ihre Sprache niederländisch sind und selbst die einzelnen bis jetzt noch nicht auf ein französisches Original zurückgeführten Romane durch und durch französisch gedacht sind, sich in nichts von den andern, deren

1) Ueber sie vgl. Van Rierasdyk 1. 1. passim.

2) ib. S. 119.

3) ib. S. 175.

4) Vgl. die Untersuchungen J. W. Mullers über den dietschen Reinaert.

Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 629

französischen TJrsprnng man genau kennt, untersclieiden lassen^). Die französisclie Sprache war denn auch in Flandern und Brabant für die gebildeten Stände die Sprache der Bildung, selbst eine zweite Volkssprache^). Die fürstlichen Häuser von Flandern und Brabant aus dem 12. und 13. Jahrh. , und mit ihnen ihr Hof und der Adel, von dem man schrieb : „filii nobilium, dum sunt juniores, mittuntur in Franciam fieri doctores", kannten kaum die Sprache der Niederländer. Es war die französisch gefärbte Bildung Flan- derns und Brabants, die alle Grebildeten in Holland und Seeland beeinflußte ^) ; obschon die deutsche Mystik in der doch immer ger- manisch angelegten Volksseele sich auch hier nicht verleugnete bei Dichtem und Dichterinnen wie die visionäre Hadewych mit ihren Liedern von der mystischen „minne", bei Schriftstellern wie Johannes Ruysbroeck und Jan van Leeuwen. Auch die nieder- ländische Fabel ist die Nachbildung der französischen wie die niederländische Lyrik die der „lyrique courtoise", abgesehen natür- lich vom eigentlichen Volkslied , das sich auch damals in seiner urwüchsigen Kraft behauptete und die Aeußerung des im Grunde noch immer germanischen Greistes der ungebildeten Volks klasse genannt werden darf. Mit Maerlant, dem „vader der dietschen dicht'ren algader^' , verhält sich die Sache anfänglich nicht anders: er übersetzt sklavisch französische Romane, bis er das „walsche" als „walsch" verwirft und für Flandern und Holland die Anfänge einer nationalen Literatur schafft; aber er tut es doch immer wieder in den französischen Formen, die er künstlich und selbst einigermaßen selbständig nachbildet. Zu etwas, das man volle nationale Selbständigkeit nennen könnte, hat die niederländische Literatur sich weder im 13. noch im 14. Jahrh. emporschwingen können *) ; auch das Lehrgedicht, in welchem der national -niederländische Zug der etwas trockenen verstandes- mäßigen, realen Behandlung am meisten hervortritt, ist von den Franzosen übernommen; selbst wo es die nationale Greschichte be- handelt, bewegt es sich peinlich in französischen Formen.

Gegen 1300 lassen sich jedenfalls hier die Keime einer eigenen Nationalität deutlich spüren ^) ; diese Nationalität nennt sich eine eigene „dietsche". Als Maerlant sagt:

1) Te Winkel , De Ontwikkelingsgang der Nederl. letterkunde , I , S. 56 Kalff, Gesch. der Nederl. Letterk., I, S. 88, 121.

2) Pirenne, I, S. 364 flf.

3) Te Winkel, 1. 1., S. 57.

4) Kalff I, S. 287.

5) ib. S. 293 ff.

Kgl. Ges. A. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse 1908. Heft 6. 44

630 P- J- ßiok,

„Die Brabantscen pryst Brabant

Ende die Fransois Vrankerike,

Die Duutsce dat Keyserrike,

Die Baertoene prisen Baertanien,

Die Tsampanoise Tsampanien", da nennt er sein Vaterland Flandern :

„Dus priset elckerlyc syn lant.

Maerlant seide dat hi noit en vant

Also goet lant alse Bruxamboclit." Aber der Flame füMte, sich dem „Zeeuschen diet", dem Bra- banter, dem Holländer, selbst dem Friesen, dem TJtrechter, dem Greldersmann verwandt, dem Mann von „dietschem Stamm", viel- mehr als dem Deutschen weiter aus dem Reiche. Mit Stolz spricht der Brabanter Boendale vom großen Sieg über die Franzosen bei Sluis:

„Van deser hoger victorien,

Die eewig blyft in memorien.

Werden blide ten selven male

Alle die spreken Dietsche tale." Noch fühlt sich zwar der Dietsche aus den „lagen landen bi der See", der „terra inferior", wovon seit der Mitte des 11. Jahrh. ge- sprochen wird, als MitgKed des großen deutschen Stammes:

„Want Kerstenheit es gedeelt in tween :

Die Walsche tongen die es een,

Dandre die Dietsche^) al geheel", sagt Boendale in der naiven Unkenntniß seiner Zeit auf sprach- lichem Grebiet. Es bilden sich aber schon kleine „dietsche" man sollte sagen Unter - Nationalitäten und unter diesen die hollän- dische, die in dem vielleicht aus Seeland stammenden Reimchronik- schreiber Melis Stoke ihren ersten nationalen Geschichtsschreiber fand.

Es ist die Zeit wo sich die neueren nationalen Gregen- sätze im westlichen Europa zuerst zeigen. Aus den westfrän- kischen Lehnstaaten bildet sich ein französisches Reich , aus den kleinen zersplitterten Gebietsvölkerchen eine französische Nation im Gregensatz zu England und dem deutschen Reich; in diesem Reich selbst zeigen sich die Gedanken eines nationalen Zusammen- hanges, dem die verschiedenen deutschen Stammesreiche unterge- ordnet scheinen. Von diesen Stämmen zieht ein aus friesischen, fränkischen und niedersächsischen Elementen gebildeter „dietscher"

1) Hier ist zu bemerken, daß Boendale also dietscli = germanisch, wie walsch = romanisch nimmt.

«

Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 631

Stamm unsere Aufmerksamkeit auf sick. Der Zusammenkang der kleinen mittelalterlicken Leknstaaten sckeint nock sekr locker, aber dock sckwebt sckon über den kleinen Unternationalitäten der Gredanke einer Zusammengebörigkeit , unklar nock und öfter sckwack aber sckon deutlick füklbar.

Diese kleine kolländiscke Unter - Nationalität füklt sick als zum „dietscken" Stamm gekörig, ja sie wird die wokl eigent- lick „dietscke", „duutscke" genannt^). Sie folgt aber der mekr nack Süden als nack Osten kin sick wendenden Kulturbildung dieses Stammes, der sick ostwärts jenseits der Yssel, der alten Grrenze zwiscken Franken und Sacksen, in Greldern sckon nickt mekr zu Hause füklt und südwärts in Südflandern und Südbrabant seine Sprackgrenze findet. Maerlant ist geborener und gezogener Flame aber er nennt sick nack einem kleinen Dorf bei Brielle, wo er Küster gewesen ist und von nakebei den Hof des mäcktigen Burggrafen von Voorne und Seeland, ja den jungen kolländiscken Grafen Floris V. kannte, denen er seine Werke widmete, wie er im Auftrag des Grafen seinen nickt nur dem Titel nack dem fran- zösiscken wiewokl lateinisck gesckriebenen Speculum kistoriale Vin- cents von Beauvais nackgebildeten ^Spiegkel Historiael" sckrieb in der kolländiscken Abteilung eine Verkürzung von Stoke's kol- ländiscker Reimckronik ^j. Die Fortsetzung dieses Spiegkel Histo- riael lieferte der Brabanter Lodewyk von Veltkem, der auck wieder mit den Herren von Voorne in Beziekung stand. Die mittelniederländiscken ,,sproken" und „boerden" sind in großer An- zakl wieder Uebersetzungen der französiscben „dicts" und „fablels" und auck die einkeimiscken sckließen sick vielfack französiscken Mustern an^); die den französiscken Mustern folgenden „Menes- treelen", „Goliarden" und „Jongleurs" des 13. Jakrk. seken sich im 14. Jakrk. durck den jedenfalls kalbfranzösiscken „spreker" und „seggker" ersetzt. Es ist dabei gewiß zu beackten, das die ober- deutscke Herkunft xmd die oberdeutscken Beziekungen der bay- riscben Landesberren in der zweiten Hälfte des 14. Jakrk. auck deutscke Sprecker nack Holland zogen, aus Köln, aus Bayern, aus Bökmen , aus Mainz , aus Holstein , aus Westpkalen *) ; etzlicbe

1) Vgl. Te Winkel, Maerlants Leven en Werken, 2. Ausg., S. 28/29 ; Kalif, I, S. 312; Verwys, in Taalkundige Bijdragen, I, S. 217 ff.

2) Te Winkel, Maerlant, S. 375.

3) Te Winkel, Gesch. der Nederl. Letterk. I, S. 456 ff.; Ontwikkelingsgang I, S. 95/6.

4) ib. S. 475.

44*

632 P- J- Biok,

„sproken" zeigen demzufolge eine mehr oder weniger verdeutschte Sprache. Aber es ist viel zu viel gesagt , daß am holländischen Hof dieser Zeit ein „hochdeutscher Ton" geherrscht haben sollte ^) ; aus Froissart geht hervor, daß Albrecht und Wilhelm VI. vielmehr den französischen Ton kultivierten, wie am Hofe der Grrafen von Blois zu Gouda, die Nachkommen des hennegauer Grafensohnes Jean de Beaumont, des zweiten Sohnes Wilhelms III., eines Modelles der französischen Ritterschaft seiner Zeit, die französische Bildung unzweifelbar die Ueberhand hielt ^) ; die hochdeutschen Beziehungen der bayrischen Fürsten dagegen haben auf die holländische Lite- ratur keinen dauernden Einfluß gehabt , wie zugegeben werden muß selbst von denen, die vom „hochdeutschen Ton" der bayrischen Zeit sprechen^). Es ist überhaupt nicht möglich die holländische Bildung des 13. und 14. Jahrh. von der flämischen und brabanti- schen, wohl aber sie von der niedersächsischen und der rheinischen zu scheiden : die ersteren sind nach allen Richtungen französisch beeinflußt, die letzteren tragen, wiewohl auch hier und da ziem- lich stark französisch beeinflußt*), ein ausgesprochenes deutsches Gepräge.

Die holländischen Sprecher des 14. Jahrh., deren Werke wir besitzen, ein Noydekyn, ein Jan van Hollant, ein Augustynken van Dordt, ein Willem van Hildegaersberch zeigen diesen fran- zösischen Einfluß eben so gut wie der letzte dann und wann als Staatsdiener der Bayern deutsch angehauchte Dichter aus Holland vor der Burgunderzeit, Dirk Potter van der Loo ^). Auch die schwach vertretene niederländische dramatische Literatur des 14. Jahrh. steht unzweifelbar auf französischem Boden ^). Als aber das 14. Jahrh. zu Ende geht, hat die nationale holländische Bil- dung, dessen Anfänge wir am Ende des 13. spüren konnten, sich viel selbständiger gemacht ') , was aber ihre Herkunft aus der starken Beimischung französischer Bildungselemente beim germa- nischen Grundelement nicht wegnehmen kann; eben diese starke Beimischung macht ihr besonderes Gepräge aus.

Und wie würde es anders gekommen sein? Die Fürsten und ihre Höfe, ihre Verwaltung werden nach französischem Muster

1) Te Winkel, Ontwikkelingsgang, S. 103.

2) Busken Huet, Land van Rembrand, I, S. 76 ff. (Jan van Blois).

3) Te Winkel, 1. 1.

4) Lamprecht, V, 1. 1.

5) Te Winkel, Geschiedenis, I, S. 603 ff.

6) ib. S. 514 ff.

7) Kalff, I, S. 564.

Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 633

gebildet; der Adel schließt sicli diesem an und folgt der fran- zösischen Mode; der holländische Bürger erhält im 14. Jahrh. einen wiewohl noch geringen Anteil an der feineren Kultur der höheren Klassen. Wie sollte er sich zu Deutschland gewendet und nicht vielmehr nach Frankreich gesehen haben? Dahin gehen Bürger wie Philipp von Leyden ^), die juristische und theologische Studien treiben wollen.

Keine fremde Sprache hat denn auch auf das damalige „Dietsch" einen so großen Einfluß gehabt wie die französische^), die Umgangssprache der südlichen niederländischen Gebiete, die vornehmlich in den Wörtern, die sich beziehen auf Ritterwesen, Be- waffnung, Kleidung, Kunst und Wissenschaft, Jagd und Turniere, Feste und Vergnügung, Musik und Dichtkunst, Luxus und gesell- schaftlichen Verkehr sich gelten ließ. Hunderte von Wörtern sind auf diesen Gebieten und den naheliegenden in die mittelnieder- ländische Sprache aufgenommen und zum Teil auch im jetzigen Niederländischen beibehalten. Selbst der stärkste Purist und Niederland zeigt in den letzten Jahren wieder einen ausgespro- chenen Hang zum Purismus , den Ausdruck eines lebhafteren Na- tionalgefühls — muß sich zum Gebrauch von zahlreichen damals aus dem Französischen entlehnten Wörtern bequemen. Es würde möglich sein die Zeit der wachsenden Zunahme des französischen Einflusses in dieser Hinsicht auf den holländischen Wortschatz festzustellen und ich glaube sagen zu dürfen, daß bei dieser Unter- suchung herauskommen würde, daß die Zeit wieder in der Periode der hennegauer Fürsten mit ihrer ausschließlich französischen Bil- dung gestellt werden soll , die Zeit , in welcher z. B. das germa- nische „Diso", „Disch" in der Volkssprache dem romanischen „Tafel" weichen mußte und in welcher die Verwaltung sich noch stärker als früher der französischen anschloßt).

Und was von den kulturellen Lebensformen gesagt worden ist, kann gewiß auch von den materiellen gelten. Das hollän- dische Geldwesen, das wie das friesische überhaupt nach der Karolingerzeit und den Normanneneinfällen sich wohl dem köl- nischen, dem Geldwesen der alten Handelsmetropole am Nieder- rhein angeschlossen hat, schließt sich schon unter Floris V. und noch mehr in den Münzreformen des 14. Jahrh. dagegen dem fran- zösisch-flämischen System völlig an, wie es sich vornehmlich seit

1) Fruin, Verspr. Geschriften, I, S. 127.

2) Verdam, Uit de geschiedenis der Nederlandsche taal, 2. Ausg., S. 196 iT. ; Salverda de Grave, De Franse woorden in het Nederlands (Amst. 1907).

3) Siehe oben, S. 626 ff.

634 P- J- ßlok,

den Ordonnanzen von Saint -Louis entwickelt hatte ^); auch die falschen Prinzipien der Greldwirtschaft Philippe le Bel's werden in Holland vielfach nachgefolgt und ebenso die Verbesserungsver- suche aus der Zeit Charles V., der in der ersten ziemlich ruhigen Zeit, die die Valois kannten, „rem francicam restituit" und auch zu den finanziellen Ordonnanzen der älteren Capetinger zurück- griff. Und wenn man bedenkt, daß der holländische Handel im 13. Jahrh. sich erst zu entwickeln anfing und wir vor dieser Zeit nur von flämischen und brabantischen durchziehenden Kaufleuten hören, ist es nicht fremd, daß auch in dieser Hinsicht der flämische Einfluß sieb aussprach. Erst im 14. Jahrh. konnte der holländische Handel seine Flügel ausschlagen und die Konkurrenz anfangen, die der deutschen Hansa bald tötliche Wunden schlagen sollte, wiederum in ausgesprochenem Gegensatz gegen diese- Erscheinung, den Ruhm des späteren deutschen Mittelalters.

Aber als diese Zeit anbrach, ließen sich die Anfänge der burgundischen Herrschaft bereits spüren. Ich halte also inne und erlaube mir jetzt die Summe dieser Bemerkungen zu ziehen.

Sie kommt darauf hinaus, daß schon lange vor der Burgunder- zeit, jedenfalls schon im 13. Jahrhundert, dem ersten, in welchem wir in diese Verhältnisse einen Blick bekommen können, die Graf- schaften Holland und Seeland, ihrer Entlegenheit wegen schon mit dem Reiche, zu dem sie außer jedem Zweifel gehörten, nur schwach zusammenhängend, in ihrem staatsrechlichen Verhältnis zum Reiche auf dem Wege der Trennung waren, auf welchem das Diplom vom 25. Nov. 1314 einen wichtigen Schritt setzte; schon vorher hatte ihre Verwaltung, ihre Kultur, ihre soziale Entwickelung sie unter starken und dauernden französischen Einfluß gebracht. Die Bur- gunderherzöge haben dann, französischen Stammes wie sie waren und in der Absicht ein eigenes Reich zu bilden, das, wie vor Jahr- hunderten Lothringen, zwischen Frankreich und dem deutschen Reich eine Mittelstellung einnehmen sollte, die in dieser Richtung entscheidende Wirkung geübt. So waren schon lange vor dem Augsburger Vertrag von 1548, schon lange vor dem Aufstand der Niederlande gegen Spanien die Niederlande dem Reich ent- fremdet und die Lossagung von 1648 war nur das Ende einer langen geschichtlichen Entwickelung, deren Anfang früh im Mittelalter zu suchen ist.

1) Luchaire, 1. 1., p. 592 suiv. ; Fruin, Verspr. Geschr. VIII, S. 192 ff.; Pierson, Staathuishoudkunde, 2. Ausg. I, 6G5 ff.

Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 635

Beilage I.

^) Ludowicus dei Gratia Romanorum Rex Et semper Augustus. Universis et singulis presentes litteras inspecturis gratiam suam et omne bonum. Ad uni I| ver- sorum noticiam cupimus pervenire quod nos propter Grata et obsequiosa servitia que spectabilis Guillelmus comes Hollandie et sui predecessores nostris ante- cessoribus || Regibus et imperatoribus Romanorum et Imperio exhibuerunt et ad- huc nobis et imperio exhiberi speramus in futurum, omne ius quod hiidem nostri predecessores |1 in comitatibus Hollandie, Zelandie et dominatu Frisie reclamarunt seu reclamare potuerunt, aut Nos reclamare possemus, libere et absolute, de con- sensu II et assensu nostrorum principum quittamus, ac eidem ejusque heredibus et successoribus, presentibus duximus remittendum, salvo tarnen nobis et Imperio homagio debito |1 pro eisdem. Si autem processus aliqui per nostros predecessores facti extiterint contra eumdem coraitem an '^) suos predecessores pro iure predicto, ex certa scientia presen || tibus irritamus- In cuius rei testimonium , sigillum nostrum presentibus litteris duximus apponendum. Datum Acquis vicesima quinta die mensis || novembris anno Domini millesimo trecentesimo quartodecimo , Regni vero nostri anno primo.

Tresorerie des comtes de Hainaut, Mons, Charte no. 368. Original Parch. Siegel verloren.

1) Einfaches Chrismon.

2) Ms. hat : au. Devillers und seine Vorgänger gaben diese Züge durch „an" wieder. Es scheint aber vielmehr eine Verschreibung für „aut" zu sein wie auch das korrespondierende Diplom von 1330 „aut" hat.

Beilage IL

Ludovicus quartus^) Dei gracia Romanorum Imperator semper augustus. Universis et singulis || presentes litteras inspecturis gratiam suam et omne bonum. Ad universorum noticiam cupimus pervenire quod nos, propter grata et || obse- quiosa servicia que spectabilis vir Guillelmus Comes Hannonie^) et Hollandie et 11 sui predecessores nostris antecessoribus Regibus et Imperatoribus Romanorum et Imperio exhibuerunt, et adhuc nobis et Imperio exhiberi speramus in futurum, Omne ius || quod iidem nostri predecessores in Comitatibus Hollandie, Zelandie et dominatu Frizie |1 reclamaverunt seu reclamare potuerunt aut nos reclamare pos- semus, libere et absolute || de consensu et assensu nostrorum Principum quittamus ac eidem eiusque heredibus et successoribus presentibus duximus remittendum. Salvo tarnen nobis et Imperio homagio debito pro |1 eisdem. Si autem processus aliqui per nostros predecessores facti extiterint contra eundem Comi I| tem aut suos predecessores pro iure predicto, ex certa scientia, presentibus irritamus. In I! cuius rei testimonium presentes conscribi et nostra Bulla Aurea signoque con- sueto iussimus comuniri. Datum Spire, Quar || ta decima die mensis Junii, Anno

636 P- J- Blök, Holland und das Reich vor der Burgunderzeit.

domini millesimo trecentesimo tricesimo, Regni nostri Anno sextodecimo, Imperii vero tercio I|.

Signum domini Ludovici quarti Dei gratia Romanorum Imperatoris invic- tissimi.

Trösorerie des chartes des comtes de Hainaut. Mons Charte no. 467. Original Parch. Die goldene Bulle verloren ; sie war noch daran befestigt als das Vidimus von 1360 gegeben wurde (vgl. Van Mieris, II, S. 497).

1) Diese beiden Wörter mit schönen großen Buchstaben geschrieben.

2) Hier in der Mitte der Urkunde auf neun Zeilen zwischen dem Text das große Monogramm des Kaisers.

Nueva Corönica j Buen Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala, eine pe- ruanische Bilderhandschrift.

Vorläufige Mitteilungen. Von

Richard Pietschmaim.

Vorgelegt in der Sitzung vom 31. Oktober 1908.

Im August dieses Jahres war mir vergönnt als einer der Deutschen Delegierten an dem XV. Internationalen Orientalisten- Kongresse zu Kopenhagen teilzunehmen. Dem freundlichen Ent- gegenkommen des Direktors der dortigen Königlichen Bibliothek Dr. H. 0. Lange verdanke ich, daß ich an der Hand des Ver- zeichnisses einen ansehnlichen Teil der Handschriftenschätze zu durchmustern vermochte, und hierbei begegnete mir unter anderm ein Werk , das meines Wissens bisher unbeachtet geblieben ist, doch wohl verdient, wenigstens den Völkerkundigen und andern Fachgelehrten bekannt zu werden. Über diesen Fund beabsichtige ich hier eine Nachricht zu geben als Vorläufer einer eingehen- deren Veröffentlichung, zu der mir die Zustimmung der Bibliotheks- Verwaltung gütigst erteilt und die nächste Möglichkeit in liberaler Weise gewährt wurde. Es ist Nr. 2232 der Alten Königlichen Sammlung , Papier , ein starker Quartband kleinen Formats von 1179 zum Teil sehr eng beschriebenen Seiten. Der Titel lautet : El primer nueva corönica y buen gobierno, auch nur Nueva corönica y buen gobierno , und als Verfasser nennt sich Don Felipe Gruaman Poma de Ayala senor y principe.

Schon die Namen Gruaman, das ist huaman „Falke", und Poma, das ist puma , der amerikanische Löwe , zeigen , daß wir es mit

ß38 ^- P i e t s c h m a n n ,

einem Eingebornen Perus zu tun haben. Man besitzt bereits ein Werk aus ähnlicher Feder, die Relacion de antlguelades deste reyno de! Firn des Don Joan de Santacruz Pachacuti Yamqui Salca- maygua, der. wie man vermutet, etwa um 1613 oder 1620 schrieb und aus einem der alten Häuptlings - Geschlechter der Colla, des südlichen Hochlands von Peru, stammte. Auch Don Felipe Grua- man Poma zählt nicht unmittelbar zum Inka-Greschlechte. Er gibt zunächst eine ausführliche Aufzählung des Inhalts seines Buches, eine Anrufung der Dreieinigkeit, ein Anschreiben an den Papst und dann ein „Anschreiben des Vaters des Verfassers" datiert vom 15. Mai 1587 aus dem Orte La Concepcion de Guayllapampa im Gerichtskreise Guamanga, gerichtet an Philipp II. Überschrift und Text dieses Briefes lauten [Seite 5 der Handschrift] :

CARTÄ DEL FADRE DEL AUTOR.

carta de don martin guaman mallque ^) de ayala hijo y meto de los grandes seno-res y rreys que fiieron antiguamente y capitan gener al y senor del rreyno y capac apo ques prencipal y senor de la prouincia de los lucanas andamarcas y circamarca y soras y de la ciiidad de giiamanga y de su jiiridicion de sancta Catalina de chupas principe de los chinchaysuyos y segunda persona del ynga deste rreyno del piru a la rreal magestad del rrey don felipe nuestro senor el ssegundo ^) - di^e agi -

S. C. R. M.

eiitre las cosas qtiesta grau prouincia destos rreynos a prosedido utiles y prouechosos al seruicio de dios y de v. magestad nie a parecido haser cstima del engenio y cnriucidad por la gran auilidad del dicho mi hijo lexitlmo don felipe guaman poma de ayala capac ques prencipe^) y gouernador mayor de los yndios y demas caciques y prencipales y senor de ellos y administrador de todas las dichas [Seite 6] comoni- dndes y sopci *) y tiniente general del corregidor de la dicha buestra prouincia de los lucanas rreynos del piru . el cual abra como veynte anos poco o mas o menos que a escrito unas historias de nuestros

1) mallque, korrekter mallqui bedeutet „Setzling", „Sprößling". Ich habe den Text belassen wie er ist, nur die Abkürzungen aufgelöst. Die Trennungs- striche stehen in der Handschrift. Die Punkte als Satztrennungszeichen habe ich gesetzt.

2) ssegundo ist über terzero nachträglich übergeschrieben.

3) prencipe, geändert aus prencipal.

4) = sapsi „Gemeingut", alles was Gemeinbesitz einer Gemeinschaft oder zu allgemeinem Gebrauche da ist.

Nueva Coröuica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaraan Poma de Ayala. 639

antepasados aguelos y mis padres y senores rreys que fueron antes del ynga y despues que fiie desde uariuiracocharima - y uariruna - y purimruna - auca runa - yncap rurmn ^) - y de lo(s) dichos dose yngas y de sus serioras coyas y nustas pallas capacuarme aiiquiconas ^) y de los caciques prencipales capac apoconas - curacacona - dlli- caccona - camachicocctma - cinchicona ^) y todo el gobierno de los yngas hasta SU fin y acauamiento - y la dicha conquista destos huestros rreynos - y despues como se dlsaron contra v . Corona real - y de todas la^ dichas ciudades y uillas, aldeas y prouincias y corregimientos y puehlos y las dichas buestras minas y la uida de buesiros corregi- dores y de los dichos padres y ciiras de las dichas dotrinas ~ y de huestros comenderos de los yndios y de espanoles - y de los dichos tanbos y puentes y caminos - y de los dichos mineros y de los dichos caciques prencipales y de yndios particulares y de sus rretos^) que usauan antiguamente y de su cristiandad y pulicia y otras curiu- cidades destos rreynos por rrelaciones y testigos de uisfa que se tomo de los quatro partes destos rreynos de los dichos yndios muy biejos de edad de ciento y cincitenta an [Seite 7J os y de cada parte quatro yndios testigos de iiista . y que el estilo es fazil y graue y sustancial y prouechoso a la sancta fe catolica y la dicha historia es muy uerdadera como conbiene al supgeto y personas de quien trata . y que demas del seruicio de v . magestad que rrezultara ynprimirse la- dicha historia comensandose a selebrar y haser ynmortal la memoria y mombre de los grandes senores antepasados nuestros aguelos como lo merecieron sus hazanas . deseando que todo este se consiga iimilmente suplico a V. magestad sea seruido de fahoreser y haser merccd al dicho mi hijo don felipe de ayala y para todos mis nietos para que su pretencion baya adelante que es Ip que pretendo de que a v . magestad nnestro senor guarde y prospere por muchos y muy filicis anos con acresentamiento de mas rreynos y senorios como su menor y humilde vasallo deseo . de la concipcion de guayllapampa de apcara ^) prouincia

1) Über diese Zeitalter vergl. Seite 649.

2) Lies nustas . capac uarme = capachuarmi „Fürsten-Frau", aiiquiconas = auquicuna „Prinzen" von Geblüt. Coya ist die Hauptfrau des Inka, palla eine von den Nebenfrauen und eine verheiratete Frau von königlicher Abkunft, nusta unverheiratete Prinzessin von Geblüt.

3) capacapocona „Fürsten", „Herrscher", curacacona „Häuptlinge", aUicaccona „Edelleute", camachicoccuna „Verwaltungsbeamte", cinchicona „Heerführer".

4) = ritos .

5) La Concepcion de Guayllapampa war damals der Hauptort des Repar- timiento de los Rucanas Antamarcas Nach der Befestigung hat er den Zu- namen de Apcara. Vergl. den Bericht vom Jahre 1536 in den Relaciones geo- grdficas, Peru, 1 S. 198. 201. 203. 208. 214.

ß40 ^* Pietschmann,

de Jos lucanas y soras juridicion de la ciudad de guamanga a quinise del mes de mayo de mil quinientos ochenta y siete anos

S. C. B. M. hezo los rreales pies y tnanos a v. magestad su umilde hazallo

Don m artin de ayala,

Danacli ist also Don Felipe Guaman Poma de Ayala der Nachkomme der Oberherren nicht bloß des Gebietes der Lucanas oder Rucanas, Andamarcas, von Circamarca und der Soras, sondern des ganzen Chinchaysuyu , Sohn des Stellvertreters , der segunda persona des Inka, oder, wie der Titel lautete, des Incap r antin ^). Hier also würde ein Angehöriger des nördlichen mächtigen Län- dergebiets zu "Worte kommen , das sich rühmte , den Waifen der Herrscher von Cuzco lange getrotzt und schließlich mehr durch Überredung und gütliche Übereinkunft sich zur Untertänigkeit bequemt zu haben.

Im Verlaufe der Geschichtserzählung teilt Don Felipe Guaman Poma uns den Stammbaum des Dynastengeschlechtes mit, zu dem er sich rechnet. Es machte Anspruch auf göttlichen Ursprung und führte wie sein mythischer Ahnherr den Herrschertitel Yaro- villca. Es leitete sich nicht aus dem Lande der Lucanas und Soras her, sondern weiter aus dem Norden, aus AUauca Huanuco im Gebiete der Stadt Alt-Huänuco. Was im Bereiche des Titicaca Tiahuanaco, würde also im Chinchaysuyu Allauca Huanuco sein. Alt - Huanuco ist nur noch eine Ruinenstätte ; sie liegt in dem Hochtale, aus dem die Quellen des Maranon entströmen ; man un- terscheidet zwischen einem Tempel und einem Palaste und ist geneigt, beiden einen L^rsprung zuzuschreiben, der über die Inka- Zeit hinaufreicht. Diese Bauwerke meint Guaman Poma augen- scheinlich, wenn er sagt ^), dort hätten „Tupac Inca und Yarovillca

1) Der volle Titel lautete nach Angabe des Guaman Poma (Seite 341 ) Capac apo yncap rantin taripac tauantin sut/o runata . Taripac, von taripay^ ist jemand der Untersuchung führt und Urteil spricht. Der „Stellvertreter des Inka" führte daneben also den Titel des „Gerichtsherren über die Untertanen in den vier Gebieten". Mit Behagen setzt wiederholt Guaman Poma die Stellung dieses Großwürdenträgers der des Herzogs Alba gleich : coino en castüla el excelentisimo senor duque de alua.

2) Seite 75 : (yarohillca) se hizo parcialidad de allauca guanoco del puehlo de la ciudad de guanoco del viejo adonde edificaron sus casas topa ynga con yarobilca. Allauca ist eine Ortsbezeichnung, die in verschiedenen Teilen Perus vertreten ist. Seite 1030 scheint Guaman Poma innerhalb der casta y gener acion von Huanuco zu unterscheiden Allauca Guanoco, Ychoca Guanoco und Guamalli Guanoco.

Nueva Corönica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 641

sich Bebausungen gebaut". Möglich daß der Tempel ursprünglich dem Yarovillca - Kultus bestimmt gewesen ist. Denn villca be- deutet „Gott", Htianca- villca einen Felsblock, in dem man einen Gott verehrt, huaca-villca, etwas Unsichtbares von übernatürlicher Kraft, das einem sichtbaren Gegenstande, der hiiaca, innewohnt. Der Inka Garcilaso de la Vega erwähnt eine Sage, nach der war in den Tagen nach der Sintflut ein Gewaltiger in Tiahuanaco er- schienen und hatte die Welt an vier Könige ausgeteilt : an Manco Capac den Norden, Colla den Süden, Tocay den Osten, Pinahua den Westen. Das ist aber nicht von Tiahuanaco aus erdacht, sondern enthält nur den Daseinshorizont der ersten Inka von Cuzco, der völlig bedingt und umgrenzt ist von den winzigen Ge- meinwesen der nächsten Nachbarschaft, den Ayarmacas, deren Häuptling Tocay Capac heißt, durch die Ortschaften Acos, Mohina und Pinahua und ähnliches mehr. Aber aus diesem Schema ist das erkennt schon Garcilaso jene Einteilung erwachsen, in der Cuzco Mittelpunkt und Oberhaupt von vier Reichen war, den tahuantin sui/if, dem Antisuyu im Osten, dem Cuntisuyu im Westen, dem Collasuyu im Süden, dem Chinchaysuyu im Norden. Die Ab- schnitte passen auf die Ländermasse, die dem Zepter des Tupac Inca Yupanqui Untertan war , schon nicht mehr auf das Reich seines Sohnes Huaina Capac, der ja auch daran gedacht haben soll, aus Quito ein zweites Cuzco zu machen. Doch diese Son- derung in vier Abteilungen behandelt Guaman Poma durchweg als etwas von Natur Gegebenes, von Anfang an Bestehendes. Es ist nur eine der Konsequenzen, daß er sagt, als sich unter den Ein- gebornen Perus Gemeinwesen zu bilden anfingen, habe es so viele Häuptlinge gegeben als Ortschaften, doch in jeder der vier großen Länder - Einheiten einen obersten Gebieter von göttlicher Ab- stammung, einen Capac apo pacarimoc, das ist „höchsten Herrscher von Anbeginn", in dessen Hause die Oberhoheit über diese Länder- gruppe von Anfang her erblich war^). Manco Capac, die Inka überhaupt, fallen dabei ganz aus, haben sich ihre Machtstellung, so überragend sie war, erst erworben; sie treten zurück selbst hinter Tocay Capac und Pinahua Capac ^) , die aber auch

1) Guaman Poma bezeichnet sie auch wegen ihres Vorrechts, sich in Sänften tragen zu lassen, als capac apo uantouan ranpauan pacarimoc apo = Khapah apu huantuhuan ranpahuan pakarimuTc apu, das ist : „mächtiger Herr mit Sänfte mit Tragsessel angestammter Herr".

2) Es bleibt im unklaren, ob nicht Guaman Poma sich denkt, daß Tocay Capac und Pinahua Capac ein und dasselbe sind, beides Titel die zugleich von

ß42 ^- Pietschmann,

nur als Vertreter einer Zwischenstufe und Vorläufer des Manco Capac eingeordnet werden. Als angestammte Landesherren werden vielmehr namhaft gemacht für das Antisuyu der Capac apo Pani- tica Anti von den Manari Anti, für das Cuntisuyu der Capac apo Mullo, für das CoUasuyu der Capac apo malleo Castillapari von Hatun CoUa ^) und für das Chinchaysuyu das Haus des Yarovillca. Die Yarovillca - Familie würde an Rang allen andern voran- gehen, wenn wirklich, wie Gruaman Poma zu verstehen gibt, bei der Einverleibung ihrer Lande in das Reich der Inka ein erb- licher Anspruch auf die Würde des Reichs verweser- Amts zuge- billigt worden war ^). Während der Regierung des Tupac Inca

einem und demselben Herrscher in einer bestimmten Herrscherreihe , der ersten Inka-Reihe, geführt wurden. Er läßt sie aus den Urzeiten stammen : daqui salio capac ynga tocay capac pinau capac primer ynga y se acaho esta generacion y casta . . . como del primer coronista fue declarado hijo del sol yntip churin primero dixo que era su padre el sol y su madre la luna y su ermano el luzero y SU ydolo fue uanacauri y adonde digeron que zallieron (■= salieron) fue llamado tanbotoco y por otro nombre le Hämo pacaritanbo todo lo dicho adoraron y sacrificaron pero el primer ynga tocay capac no tubo ydolo ni serimonias .... estos dichos yngas se acauaron. Wichtig ist die Aussage, daß diese Inka ebenfalls hätten aus dem Tambotoco hervorkommen und von Sonne und Mond abstammen wollen, wie eine große Zahl anderer Stämme in und in der Nähe von Cuzco sich vom Tambotoco herleiteten. Nach Guaman Poma würden diese ersten und legitimen Inka das eigentliche Inka- Wappen geführt haben : Sonne, Mond, Morgenstern, Tambotoco Berg mit drei Öffnungen und auf der Spitze Guanacauri. Sie hätten noch nicht die Huacas angebetet, das sei erst von Mama Ocllo und Manco Capac eingeführt worden. Nach Joan de Santacruz Sachacuti hasste ge- rade Manco Capac die Huacas: y como tal los destruyo al curaca Pinaocapac con todos sus ydolos y lo mismo los vencio a Tocaycapac, y despues lo mando que labrara al lugar do nacio. Das letztere würde auf die drei Öffnungen des Paccari Tampotoco zu beziehen sein:

1) Poma Guaman gibt hier für das Cuntisuyu und CoUasuyu, wie aus andern Abschnitten seines Buches hervorgeht, nicht die Namen der Geschlechter sondern Personennamen, nämlich die Namen ihrer Vertreter in der Zeit des Huaina Capac Inca. Die Namen der ebenbürtigen Frauen habe ich hier weggelassen. Mullo behandelt Poma Guaman als Eigennamen, Capac apo mullo ist aber sicher ein Herrschertitel.

2) Seite 75: y despues fue temido [zu lesen ist aber vielleicht: bencido = venddo] del ynga [el yarobilca] y aci fue su segunda persona del dicho ynga . daqui prosedera los dichos segunda persona de los dichos yngas la dicha gene- racion de los rreys capac apo yarobilca el quien se dio de pas y fue amigo con el dicho topa ynga yupanqui capac apo [guaman] chaua. An einer andern Stelle (Seite 948) ist die Rede von den vier Teilfürsten, oder wie Guaman Poma sagt von den vier Königen der vier Teile des Reichs: el mayor fue capac apo gua- manchaua allauca gudnoco yarobilca y [Topa ynga yupanqui] le hizo segunda persona y su bizorrey dandole una ues la Corona no se las quitaua jamas a sus

Nueva Corönica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 643

Yupanqui, erfahren wir, bekleidete 50 Jalire hindurch diese Stellung der Capac apo Guamanchaua , „Großvater des Don Martin de Ayala und seines Sohnes des Verfassers Don Felipe Guaman Poma de Ayala" ; er habe den Feldzug des Huaina Capac nach Quito mitgemacht, schließlich sei er hochbetagt zusammen mit mehreren andern Groß Würdenträgern von Francisco Pizarro und dessen Ge- nossen lebendig verbrannt worden. Eine jüngere legitime Tochter des Tupac Inca Yupanqui Namens Curi Ocllo sei mit dem Sohne des Guamanchaua D. Martin Guaman Mallqui de Ayala vermalt gewesen und sei die Mutter unseres Autors, dieser ihr Sohn also ein legitimer Enkel des zehnten Inka. Aus Berichten über die Conquista wissen wir, daß noch bevor Francisco Pizarro von Atahuallpa eine Gesandschaft erhielt, ein Abgesandter der Partei des entthronten Huascar Inca auf dem Wege nach Cajamarca mit den Spaniern zusammentraf. Nach Guaman Poma war das der Reichsverweser des Inka D. Martin Guaman Mallqui, sein Yater. Die Großen dieser Provinz standen aber nach anderen Nachrichten auf Atahuallpas Seite, wurden bei Cajamarca von Pizarro ge- fangen genommen und schlössen sich ihm an. Guaman Mallqui sagt Guaman Poma weiter habe danach isich als Anhänger der Eroberer verdient gemacht und in den Zeiten der "Wirren wiederholt auf Seiten der königstreuen Truppen gefochten, so in dem Kampfe bei Chupas (1542). Bei Huarina (1547) habe er D. Luis de Avalos de Ayala das Leben gerettet und dafür das Itecht erhalten sich segunda 2^6rsona del emperador en este rreyno Don Martin de Ayala zu nennen^). Nur erhält der Namenswechsel noch eine etwas eigenartige Beleuchtung. Guaman Poma be- richtet nämlich ausführlich von einem Bruder, dem er verdanke.

hijos ni a sus nietos [ni] a este mi bisaguelo excelentisimo senor. Die einzige Stelle, soviel ich sehe, an der von Guamanchaua als von dem Urgroßvater, nicht Großvater des Autors die Rede ist. An andern Stellen z. B. Seite 1059 wird Guaman Mallqui ausdrücklich als der Sohn des Guamanchaua yarovillca bezeichet. Der Stammbaum gibt merkwürdigerweise weder Guaman Mallqui noch dem Autor eine Stelle und läßt auf Guamanchaua eine ganze Reihe anderer Namen folgen. In einer Aufzählung verschiedener Rangstufen (Seite 738) werden aufgeführt die principales capac apo segununda [lies : segunda] personas apo mit dem Zusätze : estos fueron senor de una prouincia sucguaman.

1) Es wird wiederholt gesagt, D. Martin Guaman Mallqui sei Reichsver- weser unter Tupac Inca Yupanqui, unter Huaina Capac Inca, unter Huascar Inca, unter dem Kaiser gewesen. Über D. Luis de Avalos de Ayala habe ich bis jetzt nichts festzuztellen vermocht. Ein Avalos hatte kurze Zeit das Gebiet der Rucanas Antamarcas als Repartimiento, der hieß aber Francisco.

544 ^- rietschmann,

was er an Unterriclit erhalten habe, einem frommen Mestizen, dessen Vater derselbe D. Luis de Avalos de Ayala gewesen sei und der ebenfalls Martin de Ayala getauft war; ihn hatte die Mutter des Guaman Poma, die Tochter des Tupae Inca Yupanqui dem erblichen Reichs verweser mit in die Ehe gebracht. Auch an dem Feldzuge gegen die Parteigänger des letzten Inka in Villca- pampa (1572), gibt Gruaman Poma an, habe sein Vater Guaman Mallqui als einer der Heerführer teilgenommen. Als Dank seien ihm von dem Vizekönige Francisco de Toledo Belohnungen und ein Wappen verliehen, auch sei seine Stellung als segunda persona bestätigt worden. Zwei andere Vizekönige, Don Garcia Marques, d. h. der zweiten Marques de Canete D. Garcia Hurtado de Mendoza, und D. Luis de Velasco, der 1596 nach Lima kam und dort 1599 starb, hätten die Bestätigung erneuert. Die letzten 30 Jahre seines Lebens habe Guaman Mallqui vereint mit seiner Gattin Werken der Frömmigkeit gewidmet und sei 150 Jahre alt gestorben.

Einer scharfen Nachprüfung scheinen diese Angaben nicht recht Stand zu halten. Um hier nur eins hervorzuheben: war wirklich der zehnte Inka der Vater der Curi Ocllo, so würde sie, als die Spanier ins Land kamen, nach einer mäßigen Berechnung bereits das gesetzte Alter von mehr als 42 Jahren besessen, nach der Inka-Chronologie Sarmientos aber mehr als 69 Jahre , und nach der unsers Autors sogar mehr als 112 gezählt haben. Si- cherlich, wo Guaman Poma von seiner Familie, ihrem Range, seinen Hechtsansprüchen redet, und er tut das reichlich oft ^) nimmt er den Mund etwas voll. In La Concepcion de Huay- llapampa wußten 1586 auch die vornehmsten der Eingebomen nicht mehr anzugeben wer in diesem Landstriche geherrscht hatte, als ihn Tupac Inca Yupanqui eroberte , im Repartimiento Atun- rucana (Hochrucana) nannte man als den obersten Curaca von damals den Condor Curi, daneben Yanquilla und Caxa Angasi ^).

1) In die Lebensbeschreibung des Tupac Inca Yupanqui schaltet Guaman Poma zwischen den Zeilen bei der Erwähnung der Kinder ein : y curi ocllo^ und trägt außerdem am Schlüsse nach : hija menor curi. In einer Aufzählung von Sühnen des Huaina Capac führt Guaman Poma an: quizo yupanqui su madre la ermana de capac apo guamanchaua. An einer andern Stelle sagt er : quizo yupanqui ynga hijo de topa yupanqui tio del autor,

2) In dem Stammbaume der Familie der Yarovillca figuriert kein Condor Curi, Ein Ylla Poma Apo Pachacuti Condor Chaua wird darin genannt unmit- telbar vor den Worten, in denen von der hohen Herrscherwürde des Yarovillca und der Umwandlung in die Reichsverweserschaft die Rede ist. Für die Zeit von

Nueva Corönica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 645

Folgen wir dem Autor weiter, so hat sein Bucb ihn die Arbeit von 30, oder wenn er sich nicht täusche, so doch von reichlich 20 Jahren gekostet. Das ist vom Jahre 1613 an zurückzurechnen. Denn auf die Carta del padre del autor folgt ein Anschreiben vom 1. Januar 1613, mit dem der Verfasser selbst die Corönica König- Philipp III. einreicht, und das Granze ist von ihm wesentlich im Jahre 1613 zu Papier gebracht worden, wie sich an verschiedenen Stellen deutlich zeigt ^). Eine viel längere Ausarbeitungszeit kommt heraus , wenn man sich an die Worte der Carta del padre del autor hält, denn danach war es schon 1587 reichlich 20, 1613 also mindestens 46 Jahre her, daß mit der Ausarbeitung begonnen wurde.

Ich halte das Schreiben des D. Martin Guaman Mallqui für fingiert. Was darin steht, kehrt fast wörtlich unmittelbar in dem Schreiben des Sohnes von 1613 wieder. Die Änderung in der Überschrift, mit der aus Philipp III. Philipp 11. zum Adressaten gemacht ist, verrät vielleicht noch, daß Guaman Poma erst nach- träglich klar wurde, daß Guaman Mallqui 1587 nicht schon an Phi- lipp III. hatte schreiben können. Auffällig ist auch, daß die Unter- schrift dieses Schreibens zwar schwerlich von jemand anders her- rührt als von Guaman Poma , daß aber doch absichtlich , wie es aussieht, ein Duktus gewählt worden ist, der aussehen kann, als stehe da die Original-Unterschrift des Vaters. Das Schreiben soll nur die Ansprüche stützen helfen, die der Verfasser des Buches mit Recht oder unrechtmäßig, das bleibe dahingestellt per- sönlich erhebt. Fiktionen sind ihm ganz geläufig. In Frage und Antwort führt ein ganz ansehnlicher Abschnitt uns vor, wie Philipp III. von dem Autor auf Grund des Buches ergänzende Auskunft und Ratschläge entgegennimmt. Wo er die Gesinnung der Corregidores, der Encomenderos schildern will, bekommt man es in direkter Rede zu hören, ebenso wie als Gespräch die Denk- weise nichtsnutziger Neger ^) gekennzeichnet wird.

Tupac Inca an nennt der Stammbaum capac apo [guaman] chaua, dann wohl aus Versehen nochmals capac apo guaman chaua . capac apo guaman lliuyac . capac apo guayacpoma . capac apo carua poma . capac apo lliuyac poma. Diese, wird ausdrücklich gesagt, reichen bis zur Ausrottung der FamUie des Huascar : hasta la destrucion del capitan chalcochima.

1) Gelegentlich erwähnt Guaman Poma die Jahre, in denen eigene Erlebnisse, die er mitteilt, sich abgespielt haben. Habe ich nichts übersehen , so gehen sie nicht weiter zurück als bis ins Jahr 1600. Ganz gegen den Schluß kommt in einem Zusätze das Jahr 1614 vor.

2) Seite 718: platica y conuerzacion de entre los negros esclabos catibos deste rreyno dize ad: a cino fracico mira que hazemos tu amo tan uellaco

Kgl. Qos. d. Wies. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 6. 45

ß46 K. Pietschmann,

So steht der Autor zunächst vor uns als Sprößling erlauch- tester Ahnen, Sohn eines Granden, Enkel eines Monarchen. Erst nachträglich bekennt er, daß er in Dürftigkeit ein dunkles Dasein fristet, erst ganz zuletzt zeigt er sich mehr und mehr als Prä- tendent. Anfänglich nicht unbegütert, will er die Heimat ver- lassen haben, weil ihn der Wunsch trieb, das Schicksal seiner Volksgenossen zu bessern. Um die Not der Armen und Unter- drückten kennen zu lernen und lindern zu helfen, habe er mit und unter ihnen gelebt und sei in allerlei Lebensstellungen tätig gewesen bei den verschiedensten Behörden, namentlich als Dol- metsch. Das sind die 20 bis 30 Jahre Arbeit, die seinem Werke zugute kommen. Als er dann ein Achtzigjähriger gebrechlich und mittellos nach Hause zurückkehrt, findet er seine ganze Habe in fremdem Besitz, seine Kinder in Armut und Niedrigkeit; von den Seinen erkennt niemand ihn wieder, von den Behörden wird er als Betrüger behandelt. Da bricht er wieder auf und wandert unter Mühsalen nach Lima, um sein Buch dem König vorlegen zu lassen.

Die Erlebnisse daheim und auf dem Wege nach Lima, Worte tiefster Verzagtheit denn was kann dem Hochbetagten noch frommen im Widerstreite damit noch einmal der hohe Flog des Selbstgefühls in, man möchte sagen, der fixen Idee von der Herrlichkeit des Reichsverwesers, des Adlers Gruaman und des Löwen Poma des Reichs, als den ihn Name und Wap- pentiere kennzeichnen, sie bilden ursprünglich den Schluß. Mit sichtlich erregter Hand ist dieser reichlich mit Zeilen in Lapidar- schrift durchsetzte Abschnitt niedergeschrieben, der mit einigen dem Leser oft genug schon vorgetragenen Klagen über die Lage der Indios abbricht. Was danach folgt, gehört dem Inhalte nach weiter voran, hat aber auch noch ein Schlußwort. Es beginnt: Ojos y anima huelgo de los cnstianos del mundo , ues aqui cristianos del mundo . unos Uoraran otros se rreyra oiros maldira otros encomen- darme a dios otros de puro enojo se deshara otros querra teuer en las manos cste lihro y coronica. Jeder möge in seinem Stande bleiben und nicht etwas vorstellen wollen was er nicht sei. Die Seite schließt dann : y aci esta coronica es para todo el mundo y cristiaudad

mi amo tan uellaco cienpre ätze daca plata toma pallo quebra catiesä y no dale tauaco chicha comer pues que haze mira conpaniero fracico mio toma hos una separa y otra y incamos monte alli lleuamos negrita y rranchiamos a yndio espanol matamos y ci coge muri una ues alli dormir comer tauaco y lleuar ino chicha borracha no mas caca ua fracico uamonos

Xueva Corönica y Buen Gobierna des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 647

hasta los ynfieles se dene uello para Ja äicha huena justicia y pidicia y ley del mundo. Auf dem vorletzten Blatte steht in der obern Hälfte : Fin de Ja corönica niietm y buen gohierno deste rreyno acauada por don felipe guaman p[o]ma de ayala principe autor de las yndias del rreyno del piru de la ciiidad y medio de san cristobal de suntimfo ^) nuena castilla de la prouincia de los andamarcas soras lucanas de la Corona rreal . de la ciudad de los rreyes de lima corte rreal y cauesa del piru . se xyresento ante los sonores. Hier sollten also die Namen derer eingetragen werden , denen das Buch vor- gelegt worden war. Der Raum dafür ist aber leer geblieben.

Von dem ungelenken mit indianischen Brocken untermischten Spanisch, in dem das Buch geschrieben ist, wird sich eine Vor- stellung machen wer das Kauderwälsch des Joan de Santacruz Pachacuti kennt. Neben mancherlei andern Anlehnungen an den nachlässigen Sprachgebrauch des Quechua wirkt störend besonders die mißbräuchliche Verwendung des Singulars der spanischen Ver- balformen der dritten Person statt des Plurals. Die Orthographie ist die regellose des kreolischen Spanisch, der Vokalismus und der Konsonantismus sind stark vulgär, noch schlimmer die Satzkon- struktion.

Von biblischen und theologischen Einzelheiten abgesehen hat europäisches Wissen die Vorstellungen des Verfassers nicht er- heblich gefärbt, wenn er auch von den „Poeten und Philosophen" puetas y filosofos letrados Aristotiles, Pompelio, Julio Zezar, Marcos , Flavio , Clovio oder Griovio spricht , einmal sogar von Jubeter, das ist Jupiter und dem „sehr alten Kirchenlehrer Deu- dorito", das ist Theodor et. Hat er eine Serie von Kapiteln be- endet, so schreibt er dazu einen „Prolog an den Leser". In einem Abschnitte betitelt Coronicas pa^adas, „frühere Chroniken", er- wähnt er spanische Geschichtsschreiber des Zeitalters der Ent- deckungen, z. B. Gonzalo de Oviedo y Valdes als Gonzalo Pizarro Obedo, Zarate als Sarate, auch Diego Fernandes (de Palencia), ohne daß er Vertrautheit mit dem Inlialte ihrer Schriften verrät. Er nennt auch des Maestro Juzepe [Joseph] de Acosta Bücher de oiobi urbis, das ist de novi orbis natura, und de procuranda [nämlich: Indoriim salute]; die Jesuiten und daneben noch die Franziskaner sind überhaupt die einzigen Orden, die er gelten läßt. Etwas ge- nauer ist er vielleicht über das Werk des Martin de Morua un-

1) Dieser Ort ist unmittelbar in der Nähe von Guayllapampa de Apcara zu suchen, wenig mehr als eine halbe Legua davon. Vergl. Belaciones geogräficas, Fern 1 S, 200 f. ; 203 ; wo der Ort San Xpval de Sondondo genannt wird.

45*

ß48 R. Pietschmann,

terrichtet; und in einem Nachtrage sagt er noch, daß auch Cauellos, das ist wohl Miguel Cavello Baiboa, von den Inka geschrieben habe. Besondere Anerkennung hat er für die Arbeiten über die Sprachen Perus, wie er sich ausdrückt, die lengua quichiua aymara ^). Ganz unbeeinflußt von europäischen Berichterstattern ist also Guaman Borna wohl nicht zu nennen. Aber er steht ihnen wenig empfänglich gegenüber und fühlt sich im wesentlichen zur Apolo- getik gedrängt. In der Schönfärberei und in der Dreistigkeit der Abrede erreicht er allerdings den Halbblut-Inka Garcilaso bei weitem nicht.

Berufen sich die Spanier auf Augenzeugen, so spielt Guaman Poma dagegen seine eingebornen acht Gewährsmänner aus, deren schon die Carla del padre del autor gedenkt, alles Männer, die mit den Inka gelebt und gespeist hätten. Er verweist auf seinen Vater und macht 7 andere Große als „Augenzeugen" namhaft. Es würden lauter sehr langlebige Menschen-Exemplare sein : 70, 80, 100, 110, 130, 150, ja 200 Jahre alt. Sie passen zu den Inka, von denen sie zeugen, denn die wurden nach dieser Chronik, in der allerdings das Alter eines von ihnen nicht angegeben ist, durchweg mindestens 120 Jahre alt, bis auf Pachacuti, der nur 88 wurde, Tupac Inca wurde sogar 200 Jahre. Ahnlich die Inka- Frauen. Vertrauen dagegen erweckt es, daß der Verfasser einmal erklärt, in den Bräuchen der unbekehrten Stämmen Perus sei er nicht völlig bewandert, da er selber nicht mehr in der Inka-Zeit aufgewachsen sei.

Eine Übersicht über den Inhalt der Handschrift zu geben, dazu gebricht es hier an Raum. Ich habe jedoch die Carta del padre del autor auch deshalb mitgeteilt, weil in ihr eine ziemlich vollständige, wenn auch wenig anschauliche Aufzählung enthalten ist. Wenig mehr als ein Viertel des Ganzen handelt von der Ge- schichte und den Zuständen Perus in den Zeiträumen vor der Eroberung durch Francisco Pizarro. Zunächst bespricht Guaman Poma die Menschen der vier ersten Zeitalter , sichtlich im An- schlüsse an einheimische Vorstellungen, die er aber vielfach apo- logetisch und im Sinne der biblischen Urgeschichte umdeutet und ausgleicht. So flickt er mit Beharrlichkeit in die alten Anrufungen

1) Einmal bemerkt er die Verfasser dieser Werke über und in Indianer- sprachen Perus verdienten wirklich die Titel : santos dolores y lesensiados maystros bachelleres . Otros que no an escrito el comienso de las letras a b c se quieren llanarse (lies : Ilamarse) lesensiado asno de farsante y se firma como don be- uiendo y dona calabaga.

Nueva Corönica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 649

des Viracocha, die wir auch aus andern Nachrichten kennen, ein scrlor und besonders Dios ein. Möglich, allerdings daß ihm die Texte schon so hergesagt worden sind. Dios ist sehr früh als Lehnwort übernommen. Streift man die Zutaten ab, so bleibt übrig als erstes Zeitalter das, in dem die Götter und besonders Viracocha in seinen verschiedenen lokalen Grestalten das ist uari = Imari ^) auf Erden lebten, und als zweites das Zeitalter der Autochthonen das ist uuri [^ fmari) runa beides noch nach den Auffassungen mancher, wie Poma Gruaman bei einer spätem Erwähnung bemerkt, noch Geschlechter von Riesen. Dann kommen die „Wüstenei-Menschen", die schon mehr das sind, was ihr Name purun ruria^) gegenwärtig besagt, gewöhnliche Sterb- liche, und die aiica runa, die „Krieger-Menschen", so genannt nach den Kämpfen, die sie untereinander führen, und mit denen die weitere, die geschichtliche Entwickelung anhebt.

Es folgt dann die Zeit des Tocay Capac Pinahua Capac und die Besprechung der 12 einzelnen Inka^), sowie jeder der 12 Goyas, Danach kommen die capitanes an die Reihe, nach den Inka geordnet unter denen sie gelebt haben, die Beherrscher der vier Suyns und ihre Gemalinnen. Die Angaben über die Inka haben für sich ge- nommen nicht sonderlichen Wert. Aber man bekommt doch aus ihnen ein sehr getreues Bild von der Form der Überlieferungen, aus denen Autoren wie Diego Fernandez de Palencia und Pedro

1) Es entspricht das der Verwendung des Wortes hiiari, geschrieben vari hei Juan de Santacruz Pachacuti. Der erzählt {7'res Relaciones, S, 262), daß in der Zeit des Inca Capac Yupanqui die Aussagen der Indianer des Titicaca Ge- bietes über Tonapa verglichen wurden mit den Aussagen der Huanca- und Chinchaysuyo-Indiauer und daß sich herausstellte, daß auch bei diesen Tonapa als ein vari-viUca galt, als ein Gott, der einmal dort zu Lande gelebt habe, oder wie das ausgedrückt wird, daß Tonapa Varivillca auch im Huanca- und Chinchay- suyo-Gebiete einmal gewesen sei: los dixeron que el Ttonapa Varivillca dbia tarnbien estado en su tierra.

2) Dieses „Zeitalter der Wüstenei", Purun-pacha, wird auch anderswo er- wähnt, z. B. in einem Berichte über den Glauben der Huarochiri-Indianer (Cle- ments R. Markham, Narratives of the Rites and Laivs of the Yncas, S. 135). Was Guaman Poma darüber sagt, findet man z. T. ganz ebenso in den Angaben, die Joan de Santacruz Pachacuti (in den Tres Belaciones, S. 134 f.) über das Purun pacha macht. Er erwähnt, daß es sich auf diese Zeit beziehe, wenn man sage: purun-pacha raccaptin. Dieser Ausdruck aber ist zu übersetzen: „als noch das Wüstenei-Zeitalter war" . Captin = cajtin ist der Konjunktiv von cay „sein", rac ist „noch". Es ist also zu schreiben: punm-pacha-rac-captin.

3) Es sind : Mango Capac, Cinchi Roca, Lloqui Yupanqui, Mayta Capac, Capac Yupanqui, Inga Roca, Yauar Uacac, Uiracocha Inga, Pachacuti Inga Yu- panqui, Topa Inga Yupanqui, Guayna Capac, Topa Cuci Gualpa Guascar Inga.

ß50 ^- Pietschmann,

Gutierrez de Santa Clara ihre Nachrichten geschöpft haben. Es ist ein festes Schema, an das sich Guaman Poma mit gering- fügigen Abweichungen hält ; er hat es eben so überkommen. Voran ^ steht die Beschreibung der Person des Inka, offenbar nichts an- deres als die alte Anweisung für die Maler zu einer vorgeschrie- benen Darstellung und zwar mit Angabe der Farben, die zu ver- wenden waren. Zum Beispiel : llocßii yttpanqni ynga tenia sii guaman clianbi en la mano derecha y su rrodela en la ysquierda y sii llauio de Colorado y su masca paycha y su manta de amarillo la camegeta ^= camiseta) de las dos partes de morado en media tres hetas de tücapo^) y dos afaderos en los pies . . . y tenia las narises corcohados y los ojos grandcs y labio y hoca pequenas y prieto de ciierpo. Es folgen Einzelheiten über das Wesen und besondere Taten, sodann über die Vergrößerung des Reichs. Es wird die Coya genannt, und werden die Kinder hergezählt. Zum Schlüsse wird das Alter an- gegeben , das der Inka erreichte , und als Dauer der Regierung hinzuaddiert zu der Summe der Regierungsjahre der Vorgänger, zum Beispiel bei Capac Yupanqui: fue casado primero con chinho ucllo mama caua que tiibo mal de orason ^) comia a las gentes y aci pedlo otra muger para rruynar gouernar la tierra . dizen que et sol mando ca^arse otra ues con ciici chinbo mama micay coya curi ocllo . y sc murio de edad de ciento y quarenta anos y tiibo ynfantcs hijos Icxl- timos auqui topa ynga -ynga yupanqui- cuci cliinbo mama micay coya- yuga roca-ynti auque ynga- capac yupanqui ynga-yllapa y tubo otros hijos auquiconas nastardos y Jdjas nustaconas uastardas . y fue na- morado este dicho ynga de las mugeres capac onie y de uayro^) . rreyno cinco yngas setecientos y cinco anos y sucidio ynga roca. Im wesent- lichen nach dem gleichen Schema fällt die Lebensbeschreibung der einzelnen Coyas aus. Es setzt das alte Gemälde wenigstens aus der letzten Inka-Zeit voraus in ganzer Figur. Von „sehr alten" peruanischen Malereien, auf denen die verbreiteten Hauptbestand-

1) Vergl. hierzu weiter unten S. 653.

2) Ließ: mal de corason.

3) = huayro. J. v. Tschudi, die Kechua-Sjirache, Abt. 3, S. 329 : „huayru ein gewisses Spiel der Indianer, der höchste Punkt, der bei diesem Spiel ge- winnt". Guaman Poma zählt (Seite 766 seines Werks) die Spiele auf, an die zu seinem Bedauern selbst die Caciques pi'ineipales sich zu gewöhnen beginnen : se ensenan (= enaefan) a xugar con naypes y dados como espanol al axedres hilancula chalcochima uayro ynacariui pampay runa yspital (= spanisch hospital) uayro ynaca. Merkwürdig ist hierunter Chalcochima, den Namen eines der Feld- herrn des Atahuallpa, zu finden. Markham erwähnt ein huayru china, ein Ballspiel. ome, omi bezeichnet vornehme Colla-Frauen.

Nueva Corönica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 651

teile der Tracht, Mantel und Hemd, schon zu sehen seien, spricht als Augenzeuge Polo de Ondegardo ^).

Auf diese historisch -biographischen Skizzen folgt in Form eines Erlasses des Tupac Inca Yupanqui und seines Kronrats die Verfassung und Gesetzgebung Perus. Eine der Bestimmungen wenigstens, in der von Quito als dem zweiten Cuzco die Rede ist, kann aber von diesem Inka garnicht herrühren, weil nicht er, sondern erst sein Nachfolger Huaina Capac, der vorletzte Inka, Quito erobert hat. Doch galt Tupac Inca als der Hauptgesetz- geber des Reichs, und manche der Anordnungen, die hier aufge- zählt werden, mögen von ihm herrühren. Wir begegnen ihnen z. T. auch anderswo. Ferner zahlt Gruaman Poma die Alters- klassen der Männer und der Frauen einzeln mit ihren Benennungen auf, wie sie für die Reichsstatistik und Reichs Verwaltung des Tupac Inca festgesetzt waren, und schildert dann ziemlich kurz die Beschäftigungen, besonders die Feste der einzelnen Monate des peruanischen Jahres, die religiösen und abergläubischen Gre- wohnheiten und die Gebräuche bei der Bestattung in den ver- schiedenen Reichsgebieten. Ein Kapitel über die AcUas führt ihn über zu den Strafvollstreckungen. Mit einer Schilderung von Festen und einer Erörterung über den Incap rantin und die Zu- stände im Inkareiche im allgemeinen schließt dieser Abschnitt.

Hieran schließen sieb dann an Angaben über das Unternehmen des Francisco Pizarro und Diego de Almagro, die Gefangennahme und Hinrichtung des Atahuallpa, die ersten Indianer -Aufstände, die Zwistigkeiten der Anhänger des Pizarro und Almagro, die ver- schiedenen Aufstände gegen die spanische Regierung und eine Reihe von Kapiteln über die einzelnen Vizekönige bis zu Don Juan de Mendoza, sowie über die Bischöfe, Inquisitoren und Prä- laten, Praesidenten und Beisitzer des Königlichen Rats.

Was dann folgt gilt sichtlich dem Verfasser als eine Be- freiung von dem, was ihm am schwersten auf dem Herzen lastet, und als eine furcbtlose Großtat: es ist eine Schilderung all des Unrechts, das von den Herren im Lande und ihrem Anhange, von den Pfarrern und Ordensgeistlichen, den Corregidoren und Comen- deros, von herumziehenden Spaniern, von Mestizen und Negern an den Eingebornen verübt wird. Verzweifelte Klagen über

1) Cohceion de dociimentos ineditos del Archivo de Indias 17 S. 104 : verdad es que su avito e casas no son de dbra muy dificuUosaj porque a lo que yo en- tiendo, es vestido natural y de que devieron husar los xwimeros, que son estas laantas y camisetas, poi'que yo las e visto en pinhiras antiquisimas.

652 ^- Pietschmann,

Knechtung und Mißhandlung und die Hoffnungslosigkeit der Lage, über all das frevelhafte Elend, das später der europäischen Welt in den Notirias secretas der Brüder Ulloa vorgehalten wurde, kommen vielfach ergreifend zum Ausdruck. Nur wird durch zu häufige Wiederkehr derselben Anschuldigungen in zu vielfach ein- ander gleichenden Redewendungen die Wirkung abgeschwächt. Hier ist ein Abschnitt über die christlichen Indianer Perus ein- geschaltet, zum Teil mehr Programm für die Zukunft als Spiegel der Gregenwart, dann eine Besprechung der einzelnen Städte des Landes, eine Aufzählung der Wegestationen (der Tambos), und ganz am Ende des Buchs finden wir vor der Inhaltsangabe noch- mals eine Übersicht über die Monate, in der uns der Eingeborne bei der Feldarbeit vorgeführt wird.

Für uns von hohem Interesse sind die Bilder der Handschrift. Sie sind ein Hauptbestandteil des Werkes. Wiederholentlich gibt der Text nur langen Serien von Bildern das Geleit und ist recht kärglich ausgefallen im Vergleich zu der bildlichen Vorführung, zum Teil auch nutzlos in die Länge gezogen nur um je ein Blatt zwischen zwei Bildern auszufüllen. Es sind durchweg unkolorierte ITmrißzeichnungen von sauberer und sicherer Linienführung: jede füllt eine Seite für sich und ist in Tinte mit der Feder ausge- arbeitet. Sie zeigen ein nicht geringes Talent. Als Erzeugnisse indianischer Kunst sind allerdings diese Zeichnungen nicht anzu- sprechen. Eine ganze Anzahl der Darstellungen hat europäische Vorbilder und könnte nach Ausführung und Gegenstand ebensogut in ein spanisches Werk über biblische Geschichte passen. Bei den andern ist fremdartig nur der Gegenstand nicht der Stil. Der Zeichner versteht wenig von Anatomie und Proportion, aber ver- steht sich vortrefflich auf Komposition und Gruppierung , und auch recht gut auf Ausdruck in Miene und Bewegung. Er schreckt nicht zurück vor Gräßlichkeiten, ergeht sich in grimmem Sar- kasmus und manchen Ka,rrikaturen, findet aber auch Ausdruck für das Liebliche und Naive.

Für Mexico besitzen wir eine erhebliche Anzahl von Bilder- handschriften, für Peru gab es bisjetzt nichts dergleichen; denn ein paar Kritzeleien in dem Berichte des Joan de Santacruz Pachacuti und zwei Abbildungen von Kopfbedeckungen in der lielacion anonima zählen doch kaum. Hier aber bekommen wir Darstellungen nicht bloß von großer Zahl, sondern auch von be- sonderer Wichtigkeit, vor allem für die Archäologie und Völker- kunde. Bisher besitzen wir zum Beispiel über die Huaca Pitusiray Sauasiray eine nicht gerade ganz verständliche Erzählung, hier

Xiieva Corönica y Biien Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 653

aber wird uns vor Augen geführt, wie sie, wenigstens nach Grua- man Pomas Kenntnis, ausgesehen hat. Danach war Sauasiray eine Menschenfigur für sich, bestand Pitusiray hingegen aus zwei Figuren, die gleich zwei Zinken einer Grabel auf zwei von Natur mit einander verbundenen P)ergkuppen standen.

Die einheimische Benennung vieler Gegenstände wird uns hier in einfacher Abbildung viel besser erläutert, als das irgend eine Beschreibung vermag; so, um nur weniges zu nennen, die Abzeichen des Inka, masca payclia^ hnayoc tica, ctiriquinqui ücci, huaman chanipi, cunca cuchuna, hnallcanca u. s. w. Unter anderm ergibt sich aus dem Texte zu den Zeichnungen, daß Tocapu der Kunstausdruck für die buntgewirkten Streifen und Muster ist, die in die peruanischen Zeugstoife eingewebt wurden. Sarmiento er- zählt, daß der Inka Viracocha als Erfinder des viracocha tocapu galt, „was so ist wie bei uns Brokat", und hier steht der Inka vor uns in einem Untergewand, das, wie auch der Text daneben sagt, ganz Tocapu ist. Er trägt zwar auch einen Mantel, doch ist von dem nicht viel gezeigt. Er wird damit vor allen andern Inka gekennzeichnet. Allerdings nicht als der Erfinder dieses G-ewebstoffes denn dazu hat ihn wohl nur ein Mißverstehen des Wortes viracocha tocapu und der bildlichen Darstellung, die dem Künstler für diesen Inka vorgeschrieben war, einfältigerweise gemacht. Er wird damit vielmehr seinem Namen nach indivi- dualisiert, mit einem Auskunftsmittel, wie dessen die Kunst eines schriftlosen Volkes bedarf. Er ist unter den Inka was unter den Göttern der Gott ist, der angerufen wird als der ,,in Tocapu prangende", der Tocapo acnapo Viracochan^).

Mit Vorliebe schreibt Guaman Poma in die Darstellung hinein seinen Figuren vor den Mund, was sie sagen, bald Spanisch, bald Quechua, bald ein Gemisch von beiden. Tupac Inca stellt die Huaca- Götter zu Rede wegen des Wetters und sie sagen, daß es nicht an ihnen liegt: twinam nocacunaca ynca. Ein Inka, der einem Spanier einen Teller voll Gold hinhält, fragt: cay coritacho micunqui „Issest Du dieses GoldF'^, und der Spanier der vor ihm kniet, nimmt den Teller hin und antwortet : este ovo comemos, „Dieses Gold essen wir". Über einem musizierenden Pärchen Criollos y criollas indios steht ihr Lied :

chipchi llanto chipchi Uanto pacay llanto maypim caypi rrosastica

1) So ist in den Anrufungen bei Molina (Narrative of the Rites and Laim of the Incas, S. 28. 29. 33) zu lesen.

ß54 ^* Pietschraann,

inaypwi caypi chiuanuayUa

maypim caypi hamancayUa jjFlüstre Schatten! Flüstre Schatten! Heimlich, Schatten! Wo denn hier du Rosenblüte ? Wo denn hier du Drosselblümchen ? Wo denn hier du kleine Lilie ?^'^). Bei der Feldarbeit chacra yapuy singen die Männer, die in Reih und Grlied mit ihrem primitiven Spaten das Land umbrechen:

a yau haylli yau a yau haylli yau

a yau haylli yau a yau. haylli yau

chai mi coya cliai mi palla, und die Frauen, die davor knien und mit den Händen dies auf- gebrochene Erdreich zerkleinern rufen ia haylli j und ebenso ruft ein verwachsenes Mädchen, das einen Becher, wohl mit Chicha, zur Erfrischung herbeibringt -).

Überhaupt verspricht auch für die Freunde der Sprachen des Inkareiches das Werk einige Ausbeute. Gruaman Poma schreibt unter anderm verschiedene christliche Gebete in Quechua nieder, die er seinen Landsleuten empfiehlt. Es wird zu untersuchen sein, ob und wieweit sie von den Grebetsammlungen abhängig sind, die damals schon gedruckt waren. Er führt einige Beispiele für mißlungene Quechua-Predigten an und dazu die Nachahmung, mit der die Jungen sich lustig darüber machen. Die Zahl der For- meln aus dem heidnischen Kultus , die wir bereits besitzen, wird nicht unwesentlich vermehrt. Guaman Poma hat Sinn für das Volkstümliche und will den Eingebornen Feste und Lieder lassen, soweit sie harmloser BeschaiFenheit sind. Das sei nicht Alles ohne weiteres heidnisch. Als Probe einheimischer Lieder teilt er

1) Eosastica mag zwar nichts weiter sein als eine kreolische Deminutivform des spanischen rosa , doch kann es auch ein hybrides Gebilde sein mit dem Quechua-Worte tica „Blume" als zweitem Bestandtheil. Für chiuaniiaylla habe ich „Drosselblümchen" gewählt, da das Wort chihuanhuai sowohl eine Drosselart bezeichnet als auch eine Blume von roter und gelber Farbe. Vergl. auch den Text auf Seite 657 Anm. 1.

2) HaiUi ist der Jubelruf sowohl des Siegers wie das Triumph-Frohlocken nach getaner Arbeit. Zu ihm gesellt sich hier der Anruf yau. Eigentlichen Sinn hat wohl nur der letzte Satz: „Das ist es, Coya, das ist es, Palla". Mög- lich, daß diese schmeichelhafte Begrüßung der Überbringerin des Getränks gilt. Doch singt auch der Inka am Schlüsse des Puca llama harahui: Chaymi coya und die Frauen entgegnen: Chaymi palla . . . chaymi ciclla. Das Wort Palla ist inzwischen weiter gemißbraucht worden und bedeutet nur noch soviel "wie Maitresse.

Nueva Corönica y Biien Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 655

ein Harahui mit^). Es kann erst nach der Conquista entstanden sein, wenn das spanisclie dios, und cino (= senor), das darin vor- kommt, nicht erst nachträglich eingeflickt sind. Einige Zeilen werden ausreichen, einen Begriff davon zu geben: haray haraui -

acoymquicho coya raquiriuanchic

tiyoyracßdcho ^) tmsta ^) raquiriuanchic

cicllallay chinchircoma captiquicho

utnallaypi soncorurollaypi apaycacliayquiman

unoyrirpollulJam canqui

yaciiyrirpopallcom canqui

maytacsallayuan caynayconich o

„Trennt uns, Coya, ein feindliches Geschick?

Trennt uns, Nusta, eine Sinnestäuschung ?

Bist Du, meine liebe Siclla, Chinchircuma-Blume *),

So möchte in meinem Haupte, in meinem Herzenskerne ich

Dich herumtragen. Wasserspiegel-Lüge bist Du. Wasserspiegel- Trug bist Du" . . . . ^)

1) Die Überschrift lautet: Canciones y mucicas del ynga y de los yndios llamado haraui y uanca pingoUo quena quena en la lengua general quichiua aymara dize aci: . . . Huanca heißen nach Middendorf gegenwärtig Lieder von melancholischer Tonart, die von den Frauen Abends nach der Feldarbeit an- gestimmt werden. PingoUo = pincullu, eine Flöte , quena , im Aimarä quena quena pincollo, ist eine Rohrflöte.

2) In diesem Texte wie in den andern Stellen, die ich hier zum Abdruck bringe, habe ich die Schreibweise des Originals Rechtschreibung kann man sie nicht nennen beibehalten. Die Wortabteilung rührt von mir her. Acoyraqui und tiyoyraqui sind wohl nicht so sehr Synonyma, wie v. Tschudi, die KecJiua- Sprache, Abt. 3 S. 12 und 501 für akoyraJci und tiuyrahi annimmt. Zu acoyraqui vergl. Ollanta , Vers 382 = 376 , auch Middendorf , WöHerbuch des Buna iSimi, S. 12. Ich möchte tiyoyraqui mit fiyuy „Rausch" zusammenbringen.

3) Lies: nusta. Der Verfasser setzt in Quechua-Worten niemals Tilde.

4) Ciclla = Sijlla, Name einer blauen Blume, auch Eigenname und Be- nennung für das schlanke junge Mädchen, die Maid. Chinchircuma oder Chin- chilcuma ist nach Markham , Vocahularies of the general language of the Incas, S. 74 die Mutisia acuminata. Nach ihm wird (S. 72 ebd.) bei Tarma die Salvia oppositißora mit dem Namen Chenchelcoma belegt. Aus Abbildungen, die mir Albert Peter freundlichst nachwies, ergibt sich, daß die Mutisia und die Salvia grundverschieden sind. Doch wird das Quechua-Wort vielleicht eine allgemeinere Grundbedeutung haben, wie chihuanhuai. Hier scheint diese Blume Reinheit und Treue zu bedeuten.

5) Der Wechsel im Ausdruck zwischen u7io unu „Wasser" und yacu =

g56 R. Pietschmann,

diay pallco mamnyquim uanoypac raquicnmchicca chay auca yayayquim uacchacnincliicca : „Deine falsche Mutter, die mir zum Tode uns getrennt hat. I Dein böser Vater, der in Elend uns gebracht hat". chay asic naaiquita yuyanspa titinipuni chay pudlac nniiqnita yuyarispa oncoyman chayani „Im Gedenken an Deine lachenden Augen rede ich irre. Im Gedenken an Deine munteren Augen gelange ich zu Siechtum''. Auf derselben Seite folgt ein anderes Lied mit der Vorbe- merkung : en la lengua aymara llamaäo uanca dize ad. Dieser Text enthält jedoch keineswegs etwa eine Übersetzung des vorange- henden. Er ist ohne Zweifel erst in spanischer Zeit entstanden, wie schon aus den Lehnworten cauallu == cahallo „Pferd", wiüa ,, Maultier", cüla = silla zu ersehen ist. Unmittelbar danach kommen noch einige kurze Lieder unter der Bezeichnung: eachiua ^) disc aci.

Namentlich bei der Besprechung des Kultus und der Feste bringt aber auch das Buch des Guaman Poma uns den Wortlaut von Texten und Formeln, bei denen an fremden Einfluß nicht gut zu denken ist. Er erzählt z. B. von einem Reigen Caiacaia uarmi

„Wasser" läßt sich deutsch nicht wiedergeben. Beide Worte werden gegenwärtig je nach dem Dialekt als ganz gleichwertig gebraucht. Ebenso einander parallel stehen sie in einer Anrufung der Mondgöttin bei Guaman Poma, der da gesagt wird, yacuc zallayqui unoc rallat/qui: „yacuc (ist) dein Geliebter, imoc (ist) dein Geliebter". Die Formen unoy, unoc, yacuy, yacuc sind beachtenswert. Für die nächste Zeile vermöchte ich eine Übersetzung nur mit großem Vorbehalt zu geben, obgleich im einzelnen, soviel ich sehe, keine Schwierigkeiten da sind. niaytac ist wohl als Nominativ zu fassen. Im Genetiv würde es in dieser Zeit noch maytap lauten. Dann bildet es mit zaUay „buhlen" ein Kompositum, caynay ist eigentlich „Station machen'', dann „sich in etwas ergehen" und caynaycuy würde eine Reflexivform davon sein, „sich ergetzen in (huany. clio = chu, Fragepartikel. Doch ist zalla Substantivum und y das Pronomen, so würde der Satz bedeuten: „Habe ich Jüngling meiner Geliebten mich erfreut"?

1) Der Verfasser sagt nicht quichua, sondern quichiua. Danach würde eachiua einem cachua entsprechen können, eachiua würde danacli dasselbe be- zeichnen können wie das Wort cachhua, das J. J. v. Tschudi, die Kechua-Sprache, Abt. 3 S. 142 erklärt: eine Art Tanz im Chor, bei welchem sich je zwei und zwei bei den Händen fassen und auf der nämlichen Stelle in kurzen Schritten tanzen. Auch Cobo (4 , 231) erwähnt cachua als Namen eines Reigentanzes. Dann ist eachiua hier die Gattung von Liedern , der die betreffenden Texte angehören. Ist das der Fall, so soll in der Rubrik darüber uanca ebenfalls nichts anderes sein als die Benennung der Gattung, der das Lied angehört, das heißt die Gattung, die Middendorf (vergl. oben Seite 655 Anm. 1) huanca nennt.

Nueva Corönica y Buen Gobiemo des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 657

aitca der Indianer in den Anden, in denen sie in Weibertracht, die itarmi anca (= kuarmi auca), das heißt „Weib-Krieger'', die viel erwähnten Amazonen Südamerikas, vorstellen und dazu singen:

uarmi anca chinanuaylla

uruchap apanascatana

anti auca chiuanumßla ^).

Nur den Rundgesang teilt Guaman Poma von dem Lama-Gesange des Inka mit. Der Inka stellte sich vor ein angebundenes Lama und ahmte eine ganze Zeit lang dessen Stimme nach: yn. Dann sang er eine lange Reihe von Strophen. Darauf folgte der Gesang der Frauen nnd ein "Wechselgesang. Eine andere Dar- stellung betrifft ein Eest , das im Chinchaysuyu und zwar nach der Unterschrift des Bildes in Guanocpampa und Paucarpampa gefeiert wurde. Es scheint auf die Vorstellung zurückzugehen, die viele Völker sich gemacht haben, daß die Erlegung des Wildes eine Art Sühne erfordert, die dann wieder Jagdglück einträgt. Es hieß uauco. Die Männer, den Federkranz auf dem Haupte, den Mantel wie eine Schärpe um den Arm geschlungen, halten den Kopf eines Rehs, in den, wie es aussieht, vom Halse her eine Röhre eingesetzt ist, und blasen hinein. Die Mädchen singen dazu beim EQange der Handtrommel und bedauern den Ta- ruscha ^) den Andenhirsch, und Ltiycho, das Reh :

mana taruscha riclio

maquillayquip ^) naucitycaconqtii

mana luycho aniicho

cincallayquip uaucuycaconqui

ua yayay turilla

tia yayay turilla. Die Männer aber, die das Wild vorstellen, blasen und antworten :

uauco uauco uauco uauco

chiclio chicho cliicho cliicho.

1) Huarmicauca chiuanuaylla bedeutet du Weib -Krieger Chihuanhuai ", anti-auca chiuanuaylla „du Anden-Krieger Chihuanhuai". Sind die Worte da- zwischen so richtig abgeteilt, würde apanascatana der Akkusativ von apanasca „beladen" mit angehängtem na „bereits" und uruchap ein Genetiv sein. Wegen Chihuanhuai vergl. oben Seite 654 Anm. 1. Das Wort bezeichnet auch einen Federbusch. Die Unterschrift unter der Darstellung des Amazonen - Tanzes verlegt ihn nach curipata anti, den Anden von Curipata.

2) Altertümliche Form für taruca (Cervus antisiensis).

3) maquilla, wörtlich „Händchen" ; es wird also die Pfote gemeint sein oder der Lauf, dnqualla, von senlca „Nase", das „Schnäuzchen".

R. Pietschmann,

Bernab^ Cobo erwähnt diesen Tanz. Er nennt ihn nach dem Kehrreime Guayayturüla. Männer und Frauen, berichtet er, färbten dazu das Gesicht und banden einen Streifen Gold- oder Silber- blech darüber oberhalb der Nase von Ohr zu Ohr. Der Rehkopf, auf dem wie auf einer Flöte geblasen wurde , war gedörrt mit dem Geweih daran. Etwas ähnliches war der Tanz der Uacones. Nach Guaman Poma wurde dabei gesungen:

panoyaypano panoyaypano und der Tänzer erwiederte: yahaJiaha yahaha cucipatapi acllay uarmi ricoclla hay caypafapi llamapata ricoclla yahahahaha. Nach Cobo wurde dieser Tanz , der der Gruacones , nur von Männern getanzt. Sie sprangen herum, maskiert, in der Hand den Balg oder gedörrten Leib eines Raubtiers oder Wildes.

Zum Schlüsse noch ein Lied, das einen altertümlichen Ein- druck macht. Es wird aus einer Erzählung entnommen sein. Ob Guaman Poma ganz das Richtige aus ihr gefolgert hat, möchte ich bezweifeln. Glaubt man ihm , so wurde in der Inkazeit die freie Liebe zwischen Unverheirateten damit bestraft, daß man die Liebenden, die sich mit einander vergangen hatten, bei den Haaren an einer Felsspitze, Arauay (= Arahua), „Pranger", oder Anta- caca, „Kupferfels", auch Ya[h]uarcaca, „Blutfels" genannt, aufhing, und während sie dort schmachteten, sangen sie, bevor sie um- kamen, ihr Harahui:

yaya condor ajmiiay

iura guaman pusaitay

mamallayman uillapuuay

nam pisca j)unchau

mana micosca

mana upyasca

yaya cachapuric

quilcaapac chasquipuric

cimülayta soncoUayta apapullauay

yayallayman mamallayman uillapullauay .

„Vater Kondor nimm mich fort, Bruder Falke bring mich fort. Meinem Mütterchen melde mich. Schon sinds fünf Tage,

Nueva Corönica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 659

Nicht gegessen, Keinen Schluck getrunken. Vater Botengänger, Zeichenträger, Eillaufgänger,

Mein Mündchen, mein Herzchen nimm bitte mir fort, Meinem Väterchen, meinem Mütterchen bitte melde mich

doch!«. Da der Bruder nur von seiner Schwester tura genannt wird von seinem Bruder dagegen Jiuauki , würden wir hier nicht die Klage eines Paares, sondern die eines Mädchens haben.

Ein Werk , wie Sahagun es für Mexiko geschaffen hat , be- sitzen wir für Peru nicht. Immerhin aber einigen Ersatz dafür verspricht die Bilder - Chronik des Felipe Guaman Poma trotz mancher Mängel und Schwächen.

Shakespeare und der Euphuismus.

Von

Lorenz Morsbaeb.

Vorgelegt in der Sitzung vom 25. Juli 1908.

Es ist nicht meine Absicht, Shakespeare's Verhältnis zum Euphuismus im ganzen darzulegen; was er von ihm übernommen, inwieweit er ihn verspottet hat. Es ist so vieles schon darüber geschrieben worden, aber die Frage ist noch nicht spruchreif. Nur an einem der wichtigsten Punkte des Euphuismus will ich ein- setzen, ihn schärfer bestimmen, als es bisher gelungen ist, und seinen Einfluß auf Shakespeare an einem prägnanten Fall er- weisen.

Schon in den Anmerkungen zu Fr. Vischers Shakespeare-Vor- trägen ist gesagt worden, daß wir beim Euphuismus zweierlei zu scheiden haben, die konstitutiven und ornamentalen Ele- mente, die architektonischen Grundlinien und das äußere Beiwerk. Den Begriff des Euphuismus hat man früher zu all- gemein, in letzter Zeit zu enge gefaßt, indem man nur dort den Euphuismus finden will, wo alle euphuistischen Elemente ver- einigt seien. Das ist nicht richtig und gibt auch ein falsches Bild von den tatsächlichen Verhältnissen. Auch wird diese Auflassung den Absichten Lyly's nicht gerecht. Es gibt einen Euphuismus im engeren und im weiteren Sinne. Die konstitutiven Elemente genügen an sich schon, um den Euphuismus erkennen zu lassen; es sind die wesentlichen und charakteristischen Elemente, die or- namentalen sind nur Beiwerk. Auch Lyly's Prosakomödien sind im euphuistischen Stile geschrieben; es ist derselbe architekto- nische Bau, nur fehlen hier öfter gewisse Ornamente. Aus begreif- lichen Grründen; weil sie den raschen Fluß des Dialogs, die geist-

Shakespeare und der Euphuismus. 661

reich zugespitzte Unterlialtung stören würden. Welches aber sind die eigentlichen Grundlagen, was ist das innerste Wesen des Eu- phuismus ?

Der Euphuismus unterscheidet sich von den andern Prosa- und Modestilen der Zeit vor allem durch eine härm onisch- rythmische Gliederung der Sätze, die auf völlig glei- cher oder annähernd gleicher Zahl der Sprechtakte (stress groups) beruht. Sie tritt nur da ein und das ist gleichfalls wesentlich wo etwas besonderes gesagt, ein wichtiger Gedanke ausgesprochen, etwas bedeutungs- voll hervorgehoben werden soll. Zu diesem rythmischen Gleichmaß gesellt sich häufig, aber nicht notwendig, ein Paralle- lismus des Satzbaus, der sich oft sogar in strenger Korre- lation der einzelnen Sätze und Satzteile äußert. Mit dieser Neben- einander Stellung größerer und kleinerer syntaktischer Reihen ver- bindet sich schließlich gern ein antithetisches Gegenspiel, das sich häufig zu scharfen Kontrasten und wirkKchen Antithesen zuspitzt, es oft aber bloß bei einer mehr spielenden Gegenüberstellung be- wenden läßt.

In den parallelen Reihen ist die Zahl der Sprechtakte in der weit überwiegenden Mehrzahl die gleiche. Die einzelnen Reihen haben sehr verschiedenen Umfang, sie können aus einem, zwei, drei, auch vier und fünf Sprechtakten bestehen, vereinzelt auch aus sechs. Sie stellen sich ebenso leicht und natürlich ein wie die Yerstakte, obwohl sie beständig wechseln, da, wie oben gezeigt, äußere im Bau der Sätze und Satzteile begründete Formelemente meist hinzutreten. Und da die parallelen Reihen auch in einem begrifflich engeren Zusammenhang stehen, schließen sie sich wie Verspaare oder ganze Reihen gleichgebauter Verse zusammen.

Alle anderen Elemente des Euphuismus sind nur accessorisch. Sie geben aber, da sie häufig wiederkehren, dem Ganzen eine eigenartige Färbung. Sie dienen teils als Schmuck oder helfen das antithetische Gegenspiel markieren, wie Alliteration, Asso- nanz, Reim und Wortspiel, oder sie beleben die Rede durch Stilfiguren, unter denen die rhetorische Frage, Klimax, Ana- phora, Antistrophe vorwiegen, oder endlich sollen sie das Gesagte deutlicher veranschaulichen, wie Gleichnisse undBeispiele, die meist der fabelhaften Naturgeschichte entnommen sind.

Um das Gesagte zu illustrieren, will ich im Folgenden einige Proben geben und die wesentlichsten Elemente des euphuistischen Stils durch den Druck so hervortreten lassen, daß die Eigenart sofort in die Augen springt. Die Akzente markieren die Sprech-

Egl. Gee. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. £1. 1908. Heft 6. 46

062 Lorenz Morsbach,

takte, die beigefügten Ziffern geben ihre Zahl an. Ein wahres Prachtstück euphuistischen Stils ist die Vorrede Lyly's za seinem Euphues in der Ausgabe von 1581.

To my rery good Friends the Gentlemen Scholars of Oxford.

There is no privilege tbat needeth a pardon, neither is there

any remission to he dsJced 2

where a commission is gränted. 2

I speak this, Gentlemen,

not to excuse the offence \ which is täJcen, 2 + 1

hut to off er a defence \ where I was mistdken. 2 -f 1

A clear conscience is a sure card; trnth hath

the prerogative to speak with plainness, . 3

and the mödesty to Mar with pdtience. 3

It was repörted of söme, 2

and believed of mdny, 2

that in the education of Euphoebus, where mention is made

of Universities, that Oxford was too much

either defdced 1

or defdmed. 1

I know not

what the envious have picked out hy mdlice^ 3

or the Ciirious hy wit, 3

or the guilty hy their öwn galled cönsciences; 3

bat this I say

that I was as far from thinking ill, 3

as I find them from jüdging well. 3

But if I should now go about

to mdke amends, 2

I were then faulty,

in sömewhat amiss, 2

and shonld show myself like Appelles' prentice wbo coveting

to mend the nöse, 2

nidrred the cheek, 2

and not unlike the foolish dyer who never thought his cloth

black until it was bumed. If any fault be committed, impute it

to Euphues who knew you not^ 2

not to Lyly who hdte you not . , , 2

Euphues, at bis arrival, I am assured, will view Oxford, where

he will

Shakespeare und der Euphuismus. 663

either recdnt Ms säyings 2

or renew his complaints. 2

He is now on the seas ; and how he hatli been tossed, I know

not. But whereas I thought

to receive him at Döver^ 2

I must meet him at Hdmpton, 2

Isothing can hinder his Coming but death, 4

ncither dnything hdsten his depdrtiire biit unJdndness. 4

Concerning myself I have always thought so reverently of

Oxford

of the schölars, 1

and the mdnners, 1

tliat I seemed to be

rather an idölater 1

than a blasphemer. 1

They that invented this töy were unwise, 3

atid they that reported itj unkind; 2

and yet none of them can pröve me unhönest. 3

But suppose I glanced at some abuses : did not lupiter's egg

bring forth

as well Helen, \ a light hoüseivife in earth, 1 + 2

as Cdstor, \ a light stär in heaven ? 1 + 2

The ostrich that taketh the greatest pride in her feathers,

picketh some of the worst out, and burneth them;

there is no tree but hath some bläst, 2

no coüntenance but hath some blemish; 2

and shall Oxford then be bldmeless? 2

I wish it tvere so, 2

but I cannot thhik it is so, 2

But as it iSj \ it may be better -, 1 + 1

and ivere it bädder, \ it is not the tvörst. 1 + 1

I think there are few universities that have less faults than

Oxford,

mdny that have möre, 2

none but have some, 2

But I commit my cause to the consciences of those

that either know wJiat I dm. 2

or can guess what I shöuld be, 2

The one will dnswer themselves \ in cönstruing friendly, 2 + 2

the other, if I knew them, \ I tvould sdtisfy reasonably. 2 + 2

Thus loath to inciir the suspicion of tmkindness \ in not telling

my mindj 4 + 2

ß4 Lorenz Morsbach,

And not willing to maJce dny excüse \ tvhere there need no amends, 4-f2

/ can neither cräve pdrdon, \ lest I shoidd confess a fault, 2-f2

7ior conceal my meaning, \ lest I should be thöught a fool 2-|-2

*And so I end, yours assured to use John Lyly.

Ich füge noch eine andere Probe ans Lyly hinzu und zwar aus einer seiner besten Komödien: Alexander and Campaspe. Akt. I. Sc. 1.

Clytus. Parmenio, I cannot teil whether I should more com-

mend in Alexander' s victories courage or courtesy,

in tJie öne heing a resolütion ivithout fear, 3

in the öther a liberälity above cüstom. 3

Thebes is rdzed, 2

the people not räcJced ; 2

towers thrown down, 2

bödies not thrust aside: 2

a cönquest witJiout conflict, 2

and a crüel war | in a mild peace. 2-|-2

Parmenio. Clytus, it becometh the son of Philip to be

none other than Alexander is; therefore

sceing in the fäther a füll perfection, 3

who could have doübted in the son an excellency? 3

For, as the moon can borrow nothing eise of the sun but

Hght:

so, of a sire in whom nothing but virtue was, 2

what could the child receive but Singular? 2

It is for turkies to stain each other, not for diamonds:

in the öne to be made a difference in göodness, 2

in the öther no compärison. 2

Clytus. You mistake me, Parmenio, if, whilst

1 commend Alexander, 2

you imagine

/ call Philip into question; 2

unless , happily, you conjecture which none of judgment

will conceive that

because I like the fruit, 2

therefore 1 heave at the tree, 2

or coveting to kiss the child, 3

I therefore go ahoüt to poison the teat. 3

Parmenio. I, but, Clytus,

I perceive you are börn in the east, 8

Shakespeare und der Euphuismus 665

and never Idiigli hut at tJie sun rising : 3

which argnetli,

though a duty where you öttght, 2

yet no great devötion where you migld. 2

Clytus. We will make no controversy of that which

there ought to be no question ; only this shall be the

opinion of us both,

that none was ivörthy \ to he fdther of Alexander \ hut Philip, 2 + 2 + 1

nor dny meet \ to he the sön of Philip \ hut Alexander. 2 + 2 + 1

Mit diesen wenigen Proben aus Lyly's Werken, die aber für unsern Zweck genügen mögen, halte man nun die bekannte Prosa- rede des Brutus im Akt III, Sc. 2 von Shakespeare's Julius Caesar zusammen. Ich lasse sie in gleicher Weise wie die Proben aus Lyly hier abdrucken, da schon das äußere Bild für die Sache sprechen dürfte.

Brutus. Be patient tili the last. Romans, countrymen, and lovers!

hear me for my cäuse^ \ and be silent, \ that yon may he an 2 + 1 + 1 helieve mefor mine hönour, \ and have respect to mine hönour, \

that you may helieve: 2 + 2 + 1 Censure me in your wisdom, \ and awake yoiir senses, \

that you may the better jüdge. 2 + 2 + 1

If there be dny in this assembly, 2

any dear friend of Cdesar^s, 2 to him I say,

that Brutus" Jöve to Caesar 2

was no less than his. 2 If then that friend demand why Brutus rose against Caesar, this is my answer:

Not that I loved Cdesar less, 3

hut that I loved Börne more. 3

Had you rather Cdesar were living \ and die all sldves, 2 + 2

than that Cdesar ivere dead, \ to live all free nienP 2 + 2

Äs Caesar loved me, \ I weep for him ; 1 + 1

as he was förtunate, \ I rejoice at it; 1 + 1

as he was vdliant, \ I hönour him: 1 + 1

hut as he was ambitious, \ I sleio him. 1 + 1

There is tears for his löve; 2

joy for his förtune; 2

hönour for his välour; 2

and death for his ambition. 2

666 Lorenz Morsbach,

Who is Jiere so hdse fhat would he a böndman ? 3

If dny ^ speak; \ for htm have I offended. 2 + 2

Who is here so rüde that toould not he a BömanP \ 4

If äny, speaJc, \ for him have I offended. 2 + 2

Who is here so vile that will not love Ms cöuntry? 4

If dny, speah'^ \ for him have I offended, 2 + 2 I pause for a reply. All. None, Brutus, none.

Brutus. Then nöne have I offended, 2

I have done no more to Caesar 2

than you shall do to Brutus. 2 The question of bis death is enrolled in the Capitol;

his glory not extenuated, \ wherin he was wörthy, 2+|l

nor his offinces enförced, \ for which he suffered death. 2 + 1 [Enter Antony and others, with Caesar's body.] Here comes his body, monrned by Mark Antony:

who^ though he had no hdnd in his death, 2

shall receire the henefit of his dying^ 2

a pldce in the Commonwealth] 2

as which of you shall not? 2 With this I depart,

that as 1 slew my hest lover, \ for the göod of Börne, 2 + 2

I have the same ddgger for myself, 2

when it shall please the cöuntry \ to need my death. 2 + 2

Wir haben bei Shakespeare dieselbe symmetrische Gliederung der emphatischen Stellen wie bei Lyly, mit einer auffallend regel- rechten Gleichzahl der Sprechtakte, verbunden mit starker Korre- lation der Sätze und Satzteile und mannigfachen Antithesen. Auch von dem äußeren Beiwerk und den omamentalen Elementen ist einiger Gebrauch gemacht. Die Alliteration hebt bedeutungs- volle Wörter und Silben gelegentlich wirksam hervor. Assonanz und Wortspiel fehlen, letzteres würde dem Ernst der Situation zu wenig entsprechen. Die beliebten Stilfiguren der rhetorischen Frage, der Klimax, der Anaphora und Antistrophe sind reichlich ausgestreut. Aber die bei Lyly so beliebten Gleichnisse und Beispiele fehlen ganz. Mit Recht, denn sie würden der knappen, eindrucksvollen Rede Abbruch tun; sie sind auch in Lyly's Ko- mödien seltener als in seinem Roman.

Somit zeigt sich Shakespeare hier nicht nur stark beeinflußt von Lyly's Stil, sondern er hat ihm geradezu die Grundelemente mit deutlicher Absicht entnommen. Und dennoch würde es völlig

Shakespeare und der Euphuismus. 667

falsch sein, wenn wir Brutus Rede euphuistiscli nennen wollten. Daß manches Beiwerk fehlt, wie vor allem die Gleichnisse und Beispiele, kommt nicht in Betracht; sie fehlen auch öfter auf längere Strecken in Lyly's Komödien. Aber eines fehlt ganz bei Shakespeare: die Lyly'sche Eedseligkeit und Weitschweifig- keit, die so häufige Variierung desselben Gredankens innerhalb der rythmischen Reihen, der geringe Ernst der Sache, das Spielen und Kokettieren mit bloß geistreich witzelnden Phrasen und Antithesen. Shakespeare's Stil hat nichts Pretiöses. Er hat sich nur das Beste von Lyly's Stil angeeignet und mit künstlerischer Absicht verwertet. Denn der Stil Lyly's hat auch seine guten Seiten. Man braucht ihn nur mit den anderen, meist schwerfälligen und überladenen Prosastilen der Zeit zu vergleichen. Von diesen unterscheidet sich Lyly vorteilhaft durch den ein- fachen Wortschatz und die Vermeidung gelehrter Fremdwörter, durch die klare, lichtvolle Satzbildung und das Bestreben, alles deutlich zu sagen. In den beiden letzten Punkten ist er freilich vielfach entartet, der Satzbau ist zu getüftelt und die Deutlichkeit zu aufdringlich.

Shakespeare hat die Uebertreibungen Lyly's und das Manie- rierte seines Stils ferngehalten und daher alles vermieden, was an Lyly's Modestil direkt erinnern könnte. Es ist daher auch nur ganz vereinzelt von den Forschern bemerkt worden (z. B. von Boyle), daß Brutus Rede vom Euphuismus beeinflußt sei. Andere (z.B. Hudson) sprechen von „well balanced sentences", ohne jedoch den wahren Sachverhalt durchschaut zu haben, Herford (Introd. p. 9 Note) aber weist mit vollem Recht darauf hin, daß eine Stelle im Plutarch offenbar die besondere Redeweise des Brutus bei Shake- speare veranlaßt habe. Das ist allerdings ein wichtiger Punkt, der jetzt neues Licht erhält. Ich setze zunächst die Stelle bei Plutarch hierher, in der Uebersetzung des Thomas North, die der Dichter bekanntlich benutzt hat. Es heißt da von Brutus' Weise zu schreiben (in der Ausgabe Skeat's S. 107):

But for the Greek tongue they do note in some of his epistles, that he counterfeited that brief compendious manner of speech of the Lacedaemonians. As, when the war was begun, he wrote unto the Pergamenians in this sort:

„1 understand you have given Dolabella money:

if you have döne it willingly. 2

you confess you have offended me; 2

if against your will, 2

ßßg Lorenz Morsbach,

show it then

hy giving me willinyly^, 2

Another time again unto tlie Samians :

y,Your Councils he long, 2

your döings he slow 2

consider the end.^ 2

And in another epistle he wTote unto the Patareians : ^^Xanthians,

despising my good will, 2

have made their coüntry a grave despair\ 2

and the Patareians,

that put thetnselves into my protection, 2

have lost no jot of their liherty : 2

and therefore, whilst you have liberty, either chose

the judgemetit of the Patareians, 2

or the förtune of the Xänthians'^. 2

These were Bratns's manner of letters, which were honoured for their briefness.

Wie man sieht, ist auch der Uebersetzer North von der Zeit- strömung erfaßt und hat den prägnanten Stellen eine harmonisch- rythmisrhe Grliederung mit gleicher Zahl der Sprechtakte gegeben. Diese Stelle war ohne Zweifel für Shakespeare der erste Anlaß zu seiner künstlerischen Grestaltung der Rede des Brutus. Sie war aber auch gleichsam die geistige Brücke, die ihn zu Lyly's Euphuismus hinüberführte. Mit scharfem Blick erkannte er die Ver- wandtschaft der Plutarchstelle mit Lyly's pointiertem Antithesen- ßtil, der wie wir jetzt wissen indirekt auf gewisse Vorbilder des griechischen Altertums zurückgeht (von Norden, Die antike Kunst- prosa vom VI. Jahrhundert bis in die Zeit der Renaissance, Band II, 1898; dazu Heiberg, Nord. Tidskr. for Fil. 1900, S. 121). Er hat daher der Rechtfertigungsrede des Brutus das künstlerische Gewand gegeben, das ihm am besten mit Brutus' überlieferter Sprechweise übereinzustimmen schien. Daher auch die Anwendung der Prosa, die zugleich einen bedeutungsvollen Gregensatz zu Antonius' poe- tischer Leichenrede bildet.

Diese Erkenntnis zeigt uns Shakespeare nicht nur als einen schaffenden Künstler, der mit bewußter Absicht fremde Stilarten sich aneignet und künstlerisch verwertet , sondern gibt uns auch den sicheren Maßstab zur ästhetischen Beurteilung der Rede des Brutus. Indem der Dichter Lyly's Stil das Beste entnahm, Ein- fachheit und Klarheit des Satzbaus und scharfe, oft antithetische Zuspitzung der Gedanken, legt er Brutus Worte in den Mund,

Shakespeare und der Euphuismus. 669

die durch Prägnanz und Kürze des Ausdrucks und durch „geist- voll schlagende Antithesen" (Fr. Vischer) der Situation und dem Wesen des Brutus voll entsprechen. Die ßede ist mit ausge- suchter Kunst angelegt, aber alles Künstliche ist femgehalten. Wer sie unbefangen hört oder liest, ahnt kaum, wie sehr der Dichter hier mit feinsten künstlerischen Mitteln einen natürlichen Totaleindruck erzielt.

AS Akademie der Wissenschaften,

182 Göttingen. Philologisch-

Cr8l22 Historische Klasse 1908 Nachrichten

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