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Der Stern des Glücks

Roman

von

Datalyg von Eſchſtrukh

Mit Iluftvafionen von Friß Bergen

Teipjig Perlagsbuchhandlung non Paul Lif.

Das Recht der Überfegung wird vorbehalten.

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Berrn Generalmajor von Graberg

und Gemahlin

Frau Bevwig von Braberg

in aufrichtigſter Berehrung zugerignef

von der Perfalferin.

State University of low« LIBRARIES

Es iſt das Glück ein flüchtig Ding

Und war's zu allen Tagen,

Und jagteft du um der Erde Ring,

Du könnteſt e8 nicht erjagen!

Leg lieber dich in’8 Gras voll Duft

Und finge deine Lieder

Urplöglidh, aus der blauen Luft

Fällt e8 auf dich bernieder! Geibel.

chängchen . .—! Heerenfe doch! Schängchen! Hier hab’ id) Sie ja ’ne Einladung für’n Excellenz!!“

Sean, der feine, hochbewährte Kammerdiener Seiner Ercellenz, welcher e3 in den Tod haßte, wenn fein thü- ringifcher, ſehr minderwertiger Kollege ihn vertraulich „Schängchen” nannte, blickte verweijend von den Büchern, welche er ſoeben abftäubte, empor, und die alte zwijchen feinen Brauen vertiefte fich.

„Wie oft fol ich Ihnen wiederholen, Pannkeuken, daß ich die Titulatur „Schängchen” haſſe! Sch ver: Itehe dieſes Wort nicht, eg ift mir unſympathiſch, und ich erachte e8 in Ihrem Munde defpeftierlich klingend. Sie vergefjen jtet3 von neuem, was Sie einem Mann in

ern

meiner Stellung fchulden. Sch bin nicht nur der erfte Rammerdiener Seiner Excellenz, ich bin auch fein Faktotum, fein Schatmeifter, fein Sekretär, fein Vertrauter, fein Ratgeber, ich bin der Mann, welcher die Trieb: feder des Ganzen ift fo zu jagen da3 Alpha und Dmega das A und das 3 ih bin Herr Jean Baptifte Caſimir Sternberg verftandez vous?“

Und der Sprecher richtete ſich in allerimponierendfter Poſe empor und drüdte das ſpitze Kinn auf die Kravatte.

„Si nadierlih, mei Kutelter!” nidte Pannkeuken voll unverwüftlicder Gutmütigfeit. „Se meenen mit anderen Worden: Sie wären ejendlich Ercellenz und Erxcellenz wäre ejemdlich nifcht! Trifft Sie merjchtendeel3 od) zul Das alte Herrchen füm’ Sie ja gar nicht von der Stelle ohne Sie, mei beſtes Schängdhen! So e fleene3 Quderchen wie Sie i8 od) gar nicht zu entbehren im Sclofje; Alles wiſſen Se alles fünnen Se alles arrangjchieren Se wie gejagt ich meente gleich am erjchten Dage, wie Se damal3 in Jahre 68 zu uns aufs Schloß kamen Jemerſch, Herr Schängdhen balde fin fer 24 Jahre! Die Zeit hat werklich Fliegel! alſo damal3 fagte ich gleich zu allen andern hm .. hm .. fagt ih ... das Schängdhen i3 'n Luder! Aber willen Se. . anjehn duht mer Sie die 24 Jahre werklich nich . . .”

Jean Baptifte ſah wohl oder übel gejchmeichelt aus. Er faltete das Staubtuch graziös zufammen und Hatjchte (äffig gegen die Marmorftatue einer Venus.

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„Schon gut ſchon gut ich werde heijer, wenn ich Ihnen zuhöre!”

„Ss gar? Schn Se

.. das is nu für mic) reene gar nijcht, jo e bischen gähren

i, das geheert grade für mich zur Gemietlichkeit!“ Pannkeuken trat halb neugierig, halb ängjtlich näher und Itarrte auf die Venus. „Man fachte immer hibjch

——

ſachtechen, mei Kutefter!! Wenn Se das Geibelchen zer: ſchlagen, ſetzt's am Ende doch 'ne Koppnuß von Er: cellenzen —“

„Das Beibelhen? Was meinen Sie damit?”

„3 gar, dag wiſſen Se nicht Herr Schängchen ? Dorthier das nafigte Borzellanpippchen meen’ ichl Das is auch ſo'n teiere8 Geibelchen, wo die verftorbene Gnä: dige fo'n Aufhebens von machte!”

„Seibel? er ift wohl verrückt, Pannkeufen! Wie kommt er auf die verdrehte Idee, daß diefe Venus der Dichter Geibel fein ſoll?“

„Wie ich dadrauf fomme? Na über jo was! wenn ich frieher bei der Gnädigen in’ Boudoir den Dhee fer- vierte, fchrie je egal: „Pannkeuken! nehmen Se fid in Obacht! ftoßen Se mir 'n Geibel nicht von der Seile!” Dadermit meente fe och fone Borzellanfigur, die auf 'n vergoldeten Schtänder boftiert war, willen Se..e Männergefichte . .”

Ein unendlich verächtliches Lächeln fräufelte die Lippen Sean Baptiftes. Sein forglich frifiertes und pomadifiertes Haupt wiegte fich mit jchier beleidigendem leifen Zungen: Ichnalzen auf der weißen Kravatte.

„Sie meinen da3 Standbild des Dichters Geibel und wie mir fcheint haben Sie feine Ahnung von unferen klaſſiſchen Dichtern . . . Denn wenn Sie die Venus auch für Emanuel Geibel halten —“

„a heeren Se wiljen Se, Herr Schängden .. daß Sie jone Nadfräfcherchen och noch großartig mit Bor:

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und Bunamen bediddeliert haben wollen das gommt mir doch nachgerade e bißchen iberdrieben vor! Ich fier meine Berjon nenne een? wie’3 andere, Gei- beichen! n’ kleenes Geibelchen ... . n’ großes Geibelchen ſo wie die Gnädige ihre Borzellanbubbe och nannte; verjtehen Se? un bier is die Einladung ibrigens.”

Herr Sternberg murmelte. achjelzudend ein: „Höchſt ungebildet! entfeglich ungebildet!” Dann griff er mechanifch nach der Einladung und blidte auf die Adreſſe nieder.

„Bringen Se fe lieber gleich zu Excellenzen ’rein, der reidende Bote will Se umgehende Antwort haben!”

„zu Excellenz bringen? wozu da3? hält ja nur auf!” und Sean Baptijte öffnete gelaffen das Couvert, den Inhalt der großen, wappengeſchmückten und gold: geränderten Karte zu leſen.

„Hm... Dinereinladung zu morgen Mittag . . Schloß .. Herzog Hans Friedrih ... hm... Abjagen un: möglich . hm... hm ..“ und der Xefer richtete fich in feiner gelaffen beftimmten Weife empor, fchob die Rechte über der Bruft in den Rock und feßte den einen Fuß auf dem weichen Smyrnateppich vor. „Excellenz werden die Ehre haben und fommen.”

„Och gut. Ne heeren Se Schängdhen . . fo was . . gar nicht mal fragen dhun Se... na ja... ich ſag's ja immer . . Se fin e Quderdhen ... e reenes Luderchen!“ und fröhlich fehmunzelnd machte Pannkeuken fehrt und tappte zur Thür. |

Sean Baptifte aber ließ fich in feiner Beſchäftigung

abſolut nicht ftören, fondern räumte in feiner forgfamen Weile den Schreibtiich Seiner Excellenz, des ehemaligen Finanzminiſters auf, wie vor dreißig Jahren, als derjelbe fih nod im Wirbelfturm der Gejchäfte ganz und gar auf feinen getreuen Sternberg verlaffen und den Diplo: matentifch voll hochgeitapelter Bapiere, Mappen und Bro- Ichüren dem Drdnungsfinn feines Kammerdieners über: laſſen konnte.

Jetzt lagen weder Akten noch Broſchüren, noch eilig aufgeriſſene Briefumſchläge auf dem grünen Tuch; die Tinte war längſt zu Staub zuſammengetrocknet, die Feder verroſtet, und die Pendule, von zwei edelſteingeſchmückten Mohren getragen, tickte ſo ſchläfrig und müde, wie das Herz in der Bruſt ihres alten, verabſchiedeten Herrn.

Die Zeit war abgelaufen für ihn und für ſie, aber Jean Baptiſte wollte es nicht Wort haben, er räumte den Schreibtiſch auf, einen Tag wie den anderen obwohl keine, gar keine Unordnung darauf zu ſehen war, obwohl kein Federzug mehr aus dem Tintenfaß geſchrieben, kein einziger ſekreter Brief mehr in die braunlederne Mappe geſchoben ward. Excellenz hatte ſich ſchon lange, lange von Welt und Leben zurückgezogen, hierher in ſein ſtilles, einſames Schloß, welches ehemals nur die erquickende kleine Ruheinſel in dem ſtürmiſchen Lebensmeer des Miniſters geweſen.

Freiherr von Floringhoven zählte ehemals zu den beſten und bevorzugteſten Mitgliedern des Kabinetts. Glückliche, erfolggeſegnete Unternehmungen machten ſeinen

——

Namen bekannt und beliebt, ſeine äußerſt liebenswürdige, geiſtreiche und repräſentable Perſönlichkeit erwarb ihm die Sympathien aller Geſellſchaftskreiſe, und ſein hohes

Wiſſen ſowie ſeine außerordentliche diplomatiſche Tüch— tigkeit ſicherten ihm durch lange Jahre hindurch eine her— vorragende Stellung unter den leitenden Vertretern des Staates. Ein Leben voll ununterbrochener geiſtiger An—

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Itrengung fonfumiert. Auch Freiherr von Floringhoven empfand Die Laft der Jahre, und die ſchnell fich folgenden herben Schiejalsfchläge, welche feine engſte Familie heim: ſuchten, machten ihn vor der Zeit zum lebensmüden Grei3. Seine beiden einzigen Kinder ſanken vor ihm in da3 Grab.

Der Sohn, ein blühender, zu den beiten Hoffnungen berechtigender Kavallerieoffizier, verunglüdte bei einem Mandverritt in einem Graben, über welchen da3 Regiment in fcharfem Galopp, eingehüllt von ſchier undurchlichtigen Staubwolfen hinwegſetzte.

Das Pferd des Leutnants von Floringhoven ſprang zu furz und brad) zujammen, und nachftürzende Reiter begruben den jungen Offizier unter fich, welchem ein Huf- tritt die Bruſt zermalmte. Wenige Stunden danach erlag der einzige Sohn des Minifters feiner jchweren Verlegung. :

Und juft, ala fei das Unheil gefommen, um nicht wieder von der Schwelle des Hauſes zu weichen, folgte die Mutter dem Cohn durch einen ebenjo jähen Tod. Eine Herzlähmung raffte die immerhin noch rüftige, all- gemein verehrte und geliebte Frau von der Seiteihres Gatten.

Schwer gebeugt zog fich Floringhoven in längerem Urlaub von feinem anftrengenden und verantwortlichen Poſten zurüd, Kraft und Erholung in dem Haufe jeiner verheirateten Tochter zu juchen. Diefelbe Hatte einem Vetter Floringhoven die Hand zum Bunde gereicht, ein feiner Zeit viel bejubelte® und von der Familie innig erjehntes Ereignis, welches nun doch einen Floringhoven

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zum Erben und Nachfolger von Schloß Floringhof machte,

nachdem der einzige Sohn des Minifterg ohne Rachfommen gejtorben war.

Uber der Menfch denkt und Gott lenkt.

Als ob ein unbarmberziges Schiefal dem alten Herrn alles nehmen wollte, woran fein Herz voll Liebe und Bärtlichkeit hing, entriß es ihm auch die Tochter, fein

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leßte3 und liebites Stleinod, welches er befaß. Und doch nicht fein letztes!

Ein Heines, rofiges Ebenbild feiner Margarete lächelte ihm dur) Thränen aus der Wiege entgegen. Sein Enkel⸗ find, der einzige Überreft von all dem großen, vielbe- neideten Glück!

Die Welt war für den ehemals fo raftlos thätigen, nimmer müden Staatgmann plößlic) abgeftorben. Für wen arbeitete er noch?

Für König und Baterland.

Er that's, er wollte. nach wie vor fein Beſtes geben und leilten, aber da3 Haar auf feinem Haupte ward Schneeweiß, und in feinem Innern ward es ebenfalls Winter.

Wenn eine Glode einen Sprung befommen, tönt fie wohl noch, aber fie Klingt nicht mehr.

Und das Herz des alten Mannes glich einer folchen Glocke. Es ſchlug nach wie vor in pflichttreuem Mühen und Arbeiten, aber wa3 in die Welt hinaus hallte, hatte nicht mehr den guten Klang wie früher. Krieg!

Mehr denn je braucht das Vaterland frijche, jugend- ftarfe Männerhände an dem Staatöruder, der Freiherr von Floringhoven aber ift ein Greiß an Leib und Seele geworden. Er fühlt es, er fann nicht mehr in dem Sturmjchritt der Beit mit fort. Er iſt müde geworden. Soll er gehen?

Sa, er muß es. Bor ihm liegt die furze, entjeßliche Depeiche, welche die Nachricht bringt, daß feine kleine

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Enkelin Benedikta eine Waije geworden. Ihr Vater ift por Meb gefallen.

Nun find fie beide ganz allein, das Kleine Hilflofe Würmchen in der Wiege und er, der alte, lebengmüde Mann.

Sie darf aber nicht ganz verlaffen fein, und er darf noch nicht fterben um des Kindes willen.

Da fagte er der Welt und ihrem Leben und Treiben Balet und fiedelte über in fein jchönes, einfames Schloß Floringhof. Benedikta nahm er zu fich, und gleichlam, als Eammere ſich das morjche alte Zebenspflänzlein an dies jungaufblühende Reis, lebte der Minifter nur noch den Intereſſen des Kindes, wieder jung werdend bei dem innigen Zujammenleben mit diefem frifchen Blut.

Als Habe der Zodesengel eingejehen, daß er die Mitglieder der Familie viel zu früh und voreilig abgeholt, ſchien er nun doppelt lange zu zögern, den alten Herrn mit feinen Lieben zu vereinen. Der Minijter fagte oft jelbft mit wehmütigem Kopfjchütteln: „Man hat mid) vergefien droben!” Jahr um Jahr verging, immer älter, immer ftumpfer und abftändiger ward der alte Mann, aber er ftarb nicht.

Die Vergangenheit verwifchte fich mehr und mehr, und Benediktad jugendfchöne Lichtgeftalt verflärte einzig fein Dafein, wie eine liebe, goldige Sonne, in deren Glanz fich jein fühles Herz wärmte und erquidte.

Nun dachte er nicht mehr an Sterben und Scheiden. Er lebte jo ſtill und behaglich in feinem Schloffe dahin, der gute Jean Baptijte Jorgte für alles, und Benedikta

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lächelte wie der junge Frühling; wenn fie fang, laufchte er mit gefalteten Händen, als jehe er den Himmel offen, nnd wenn fie Großväterchen liebfofend um etwas bat, dann hätte eher das ganze Weltall aus den Fugen brechen mögen, ehe er dem Liebling etwas abfchlug.

Und die junge Baroneß wuchs immer jchöner und impofanter heran, und Sean Baptifte erklärte eines ſchönen Tages: „Nun ift das Kind groß geworden, Excellenz, mit den Gouvernanten taugt’3 nicht mehr, die lebte iſt vor acht Tagen abgereift, jet muß eine Dame in das Schloß, welche unjere junge Gnädige in die Welt führt!“

Der Minifter jchaute verblüfft mit feinen matten, ausdrudslofen Augen auf. „Aber Jean dazu bin ich ja noch da!”

„Das halten Ercellenz nicht mehr aus.”

Der alte Herr wiegte ärgerlich da3 Haupt mit den ipärlichen weißen Lödchen.

„Barum fol ich es nicht mehr aushalten? Ich habe mehr auf diefen ſchwachen Schultern zu tragen, als ein paar ſchlafloſe Ballnächte !”

Sean Baptifte jah ftreng aus; fein hageres Geficht mit den intelligenten Augen unter den weißbufchigen Brauen ſchien au8 Stein gemeißelt.

‚Bei ein paar Nächten allein bleibt es nicht, Excellenz; das gnädige Fräulein muß regelrecht ausgeführt werden, und dahin wo folche junge, behende Füßchen jpringen, fünnen wir Grauföpfe nicht mit. Wenn Gäfte hierher zu uns kommen, müſſen fich Excellenz jelbitverjtändlich

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zeigen, denn da3 erfordert die Repräfentation und Repu⸗ tation, und wenn ein Diner in der Nachbarfchaft ab⸗ ‚gehalten wird, bei Standesperfonen oder hohem Adel, dann müfjen Ercellenz auch hin, das find wir der eigenen Stellung und dem guten Namen fhuldig. . Da werden: feine übermäßigen Anforderungen an Ew. Excellenz geftellt. Ejjen, trinten, Täßchen Kaffee, und dann bin ich fehon wieder zur Stelle und melde den Wagen.”

Freiherr von Floringhoven nickte apathijch vor fich hin. Seine angeregte Stimmung hielt nie mehr lange an und machte bald einer wortfargen Stumpfheit wieder Platz: „Gut, gut ganz wie du meinft, Jean. Was für das Kind notwendig ift, muß felbjtverjtändlich gejchehen. Nichte e8 nur alles ein.” |

„Mund die NRepräfentationgdame, Excellenz ?”

Der Miuniſter ftarrte nachdenklich vor fich hin. Wie Hilfeflehend ſchlang er die welfen Hände ineinander. „Sa, du lieber Gott! ich weiß feine, gar keine.”

„Ich werde mit Baronefje |prechen und dann fahren wir zujammen zur Frau Gräfin Borken nad) Kerptow hinüber, e3 wäre gut, wenn eine Dame, wie die Frau Gräfin, diefe Angelegenheit in die Hand nähme!“

Wie erlöft atmete der alte Herr auf: „Gut... fehr gut... Du weißt doch immer Nat, Sean... . und nun

nun lie8 mir nochmal den Zeitungsartikel über die neuen Zollgeſetze vor, lieber Jean! ... ich habe das vor: hin doch nicht fo ganz erfaßt —“

„Darf ich zuvor noch melden, Excellenz, daß wir fo:

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eben eine Einladung zum Jagddiner erhalten haben. Morgen mittag fünf Uhr im Jagdſchloß Altenfähre.“

Floringhoven hörte nur mit halbem Ohre. „So, ſo ... zu wem denn?” fragte er gleichgültig, feine Pelz⸗ dede feiter um die Knie ziehend.

Bu dem Herrn Herzog Hans Friedrich, Königliche Ho- beit. Hochderjelbe hat wieder für vierzehn Tage Aufent- halt in Altenfähre genommen, um, wie alljährlid), die Sauhaten in den königlichen Forſten abzuhalten.”

So, fo... und du meinit, Iean ... . daß ich zus jagen muß.” |

„Fraglos, Ereellenz; das erfordert der Reſpekt und unfere Achtung vor ung felbft.“ |

„Hm... hm .. du weißt ja Beicheid Sean. Wer Tommt denn da?”

„Ich bin’3 Ereellenz, bringe eine Taſſe Bouillon. Bei dem falten Wetter iſt's zu brauchen.”

„Hm, hm, die Jungfer Niefchen! .. gut... fehr ihön ... ah fo etwas Warmes thut gut.

Die alte Haushälterin rührte ſorglich in der großen, filbernen Taffe und fiſchte noch ein letztes Fettauge ab.

Ihre Heine, zufammengefchrumpfte Geftalt trug ein winziges Köpfchen, welches eine riefige Haube umrahmte. Gilber- weiße Haarfträhne lagen glatt an den eingejunfenen Schläfen, und die zahllofen Runen und Fältchen in der pergamentfarbenen Haut ließen auf eine hohe Zahl jchließen, wollte man das Alter der Jungfer Riekchen angeben.

Dennoch war fie rüftig, flinf und behende wie ein

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Badfiih, und jede ihrer Bewegungen zeugte von unge- ihwächter Energie und Lebendigkeit.

Und Ddieweil Mamfell die Fleiſchbrühe mundgerecht

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machte und Jean in den Zeitungen ſtöberte, öffnete ſich die Thür abermals.

Ein uraltes Männchen in der Uniform der Leibjäger ſtand auf der Schwelle.

„Wollte gehorſamſt anfragen, ob Excellenz bei dieſem Schneeſturm befehlen ſpazieren zu fahren?“

„Nein, Konrad . . . es iſt bitterkalt. Solches Wetter taugt nicht für uns alte Garde.“ |

„Befehl Excellenz.”

Wunderlid in dem behaglichen ‚„Arbeit3”zimmer des ehemaligen Miniſters trafen fich in dieſem Augenblid ein paar Sahrhunderte zufammen.

Vier Menjchen mit weißem Haar, alte, greijenhaft alte Menfchen, und die, welche in Küche und Keller zu ihnen gehörten, waren nicht viel jünger, waren alle Über- bleibjel aus fchöner, vergangener Zeit, treuer, dauerhafter Epheu von Fleiſch und Blut, welcher unlöglich mit Schloß Floxinghof verwachjen war.

Was Wunder, wenn die heitere, jugendliche Außenwelt ihre Betrachtungen darüber anjtellte, und ſcherzweiſe nicht vom Schloß Floringhof fondern von dem „Betrefakten- hof” ſprach. | |

Veriteinert und verfnöchert!

So unreht hatten die Schelmenzungen nit. Das ganze Schloß, mit allem was drinnen war, glid) troß jeiner tadellos ftolzen Mauern doch nur einer Ruine, in welcher verjteinerte, uralte Wejen hauften, wie die Bewohner jener Gefpenfterburg, welche um Mitternacht von ihren Marmor:

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poftamenten niederjteigen und als ſteinerne Gäſte durch die Hallen ſchreiten.

Ja, Floringhof war ein Trümmerhaufen wandelnder Grabdenkmäler, und Benedikta das einzig neue Leben, welches dieſer Ruine entſproß, und dennoch gab es kein gemütlicheres, fröhlicheres Völkchen wie dieſe „Petrefakten“ im Hofſtaate des alten Miniſters.

Der Schnee wirbelte durch die kalte Winterluft, höher und höher deckte er die froſtſtarre Erde, und der Nord— wind pfiff um die Türme und Giebelchen, als ärgere er ſich des roſigen Lebens hinter den hohen Spiegelſcheiben, welches er trotz all ſeines Grimmes noch nicht hatte zu Tode frieren können.

Ihm zum Hohne hallten und ſchallten die jugendfriſchen Stimmen durch das hohe Gemach, und je glückſeliger die Frühlings- und Liebeslieder zu ihm herausjubelten, je zorniger rüttelte er an dem Turmbau, al3 wolle der König Winter die Holden Melodien zerfegen, welche das Tiebliche Negiment des Lenzes priejen.

Wo das Feuer im Kamin Iodert und die altmodifche, aber foftbare und gejchmadvolle Pracht des Turmzimmers fih in traulihe Wärme hüllt, faß Baroneß Benedikta am Flügel, mit freudeitrahlenden Augen von ihrer liebens⸗ würdigen, jungen Lehrerin zu lernen.

Sie fangen, Duett3, Solis, Lieder und Arien, alles, was die unerfchöpfliche Notenmappe der Marga Daja zu Tage förderte.

„Marga Daja’” ſtand in goldenen Lettern auf ber rot⸗

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juchtenen, jehr eleganten Mufitmappe gedrudt, und Die Trägerin Dieje3 abfonderlichen Namens lehnte, ebenjo ab: fonderlich und geſchmackvoll anzufchauen, neben dem Inſtru⸗ ment, juft eine neue Arie leidenjchaftlichen Empfindens in die winterliche, tief verjchneite Einſamkeit hinaus zu jubeln.

Marga Daja war ein Rätſel, feine Auflöfung hieß Margarete Dallberg. Aber die Welt kannte diefe Löſung nicht, fie wußte nur von einer Marga Daja, deren Namen fie mit befonderer Freude in der Refidenz auf dem Theater: zettel las, vorerft nur Hinter den Eleineren Neben rollen, denn Marga Daja war eine Anfängerin, eine junge Sängerin, welche e3 nur der Proteftion des ehemaligen Minifters Floringhoven verdankte, daß fie ihr erjtes En- gagement bereit3 an der Hofoper gefunden.

Die. friiche, Hangvolle Stimme der jungen Sängerin entzücdte das Publikum ebenfo jehr, wie ihre äußerft an- mutige, graziöje und madonnenhafte Schönheit, deren ein= ziger Fehler e8 war, daß fie nicht recht zu Dem über: mütigen Pagen- und Soubrettenrollen voll Pilanterie und Schalt paſſen wollte, welche nun doch das Repertoir ein- ficht8lo8 der Stimme der Künftlerin zufchrieb.

Marga Daja war die Verkörperung Iyrifcher Bartheit und poefievoller Schwärmerei.

Ihre Keine, elfenhafte Geftalt ſchwebte wie ein Hauch) durch das Leben, und die großen lichtblauen Augen blidten fo verflärt und „überirdifch” aus dem blafjen Gefichtchen, wie bei einem kranken "Rind, welchem man liebe Märchen erzählt.

Goldblond Iodten fich die Haare um das Köpfchen, mit Vorliebe offen und lang niederwallend getragen, mit den weißen Stleidern harmonierend, welche Marga Daja, voll eigenartigen Geſchmacks, ftet3 in der Babyfacon einer Bettina von Amim trug.

Auc in der Künftlerwelt der Reſidenz wurde fie nur „pas Kind!“, genannt und ihr findlicher Zauber fand viel Anbetung, wie aud) eines ihrer meijt außgejtellten Bilder durch feine rührende Naivetät Auffehen erregte.

Es zeigte das Iodenummallte Köpfchen mit den großen, träumeriſch zum Himmel blidenden Augen, das weiche Kinn auf die gefalteten Hände gejtüßt! Cine berücdende Mignon eine undenkbare Suſanne ein geradezu unmögliche® „luſtiges Weib von Windſor!“ Die Zahl der für fie geeigneten Dpernpartien blieb klein, und das war ein großer Stein im Wege ihrer Bühnen- carriere. |

Margarete Dallberg war die Nichte des Gutspächters von Floringhof.

Jahrelang verlebte fie, eine Waiſe, all ihre Ferien und die ſpätere Urlaubzeit bei den Verwandten, und da die Jugend ſich noch fchneller und widerſtandsloſer anzieht als Eifen und Magnet, jo hatten fich die beiden einzig jungen Lebewejen des Schloſſes jchnell gefunden, durd) gemeinfame Geſangſtudien den Grund für eine treuc und aufrichtige Zuneigung und Freundfchaft legend.

Keine größeren Gegenjäße konnte man verkörpert jehen al3 in diejen beiden Freundinnen.

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Marga Dajas ſylphenhaftes Figürchen verſchwand neben der wundervollen, junoniſch ſtolzen Erſcheinung Benediktas. Stolz, ſelbſtbewußt, vom Scheitel bis zur Sohle die dijtinguiert vornehme Geftalt der Arijtofratin, überragte Baronejje Floringhoven „das Kind”, wie eine Edeltanme über dag fchmiegfame Schilf emporwächſt.

Ihr ſchönes, regelmäßiges Antlit kannte feinen Aus⸗ druck ſchwärmeriſcher Sentimentalität, im Gegenteil, ein Zug herber Reſignation ließ es älter als gerechtfertigt erſcheinen. Große, leuchtend ſchwarze Augen, unvergeß⸗ lich jedem, der hineingeſchaut, belebten als größte und auffallendſte Schönheit das zartfarbene Anlitz, und wenn man vor Benedikta von Floringhoven ſtand, und ließ den Blick über die fchlanfe Geſtalt in dem dunklen Trauer: gewand gleiten, fo ſchlich ein Gefühl ehrfurchtsvoller Be- wunderung in das Herz, wie es empfindfame Seelen bei dem Anblid einer geliebten und idealifierten Prinzelfin oder Königin empfinden.

Gleich wie bei Jenen, lag auch in der Erjcheinung

des jungen Mädchens eine hoheitsvolle Würde, welche

nie ihre Wirkung auf die Umgebung verfehlte. Eine un— bewußte Hoheit, eine ahnungsloſe Würde. Sie prägte ſich ungeſucht und ungeübt in jeder Bewegung aus. Marga Daja hatte oft geſeufzt: „Was gäbe ich darum, könnte ich ein einziges Mal ſo über die Bühne ſchreiten, wie Sie tagtäglich und ſtündlich durch Schloß und Park gehen, könnte ich meine Hände bewegen wie Sie! könnte ich das Haupt jo königlich auf dem

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Nacken tragen, wie Baroneß! Wie machen Sie das? Lehren Sie es mich!“

Aber es ließ ſich nicht lehren, es lag im Blut, es war ein angeborenes „Genie des Vornehmen“, welches ſo unbewußt zu Tage tritt und eine Perſon durch das Leben geleitet, wie der Blumenduft, als nie künſtlich zu erwerbende Gottesgabe, dem Blütenkelche der Königin Roſe anhaftet.

Marga Daja ſang, ſang mit ſtrahlenden Augen und

herzaufquellender Innigkeit die Arie aus der Gazza Cadra: „Was ich oft im Traume ſah | Wird nun in Erfüllung geh’n, Vater und Geliebter nah, Himmelstochter Wiederjehn! Hold wie das Morgenliht Lächelt die Ferne.

Glückliche Sterne Tauſchet mich nicht!“

Nachdenklich glitten die ſchlanken Finger Benediktas von den Taſten, ihr großer, ernſter Blick haftete wie in fragendem Staunen auf der Sängerin. |

„Dieje Arie würde ich niemald, auch nur annähernd fo fingen fünnen wie Sie, liebe Marga!“

Überrajcht ließ die fo jählings Unterbrochene das Noten: blatt finfen: „Sp! und warum nicht?”

Eine herbe Falte ſenkte fih um Benediktas Lippen. „Weil ich nie der Zukunft derart zujubeln, weil ich nie an ein Glüd glauben könnte, welches jie mir zu Be dermöchte I“.

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Marga warf die Noten bei Seite und trat näher, jie legte leife die Hand auf die Schulter der Sprecherin. „Welch eine abjonderliche Grille! Wem möchte die Zukunft fo heiter, jo wolkenlos glüclich lächeln: wie Ihnen, Ä Sie Glückskind! „Schön, reich) und Elug genug, um in der. Welt zu glän— zen” wahrlich, Bendifta, Sie brauchen doch nur diefe marmorwei— Ben Händchen aus— zuftreden, um das Glück in jeder jelbit in der voll- fommenjten Ge— ſtalt zu greifen.” 4 g „Glauben Sie & 23? IH nicht!“ SER ' Em ſchwermütiger Blick ſchweifte in den Schneeſturm hinaus. „Zwar weiß ich ſelber nicht recht, womit ich mein trübes Zweifeln an allem Glück mötivieren ſoll, aber ich empfinde es wie in düſterer Vorahnung, daß ich das Glück ſo, wie es einzig für mich ein wahres Glück fein würde, nie und nimmer finden werde!”

„Und was deucht Ihnen die wahre Seligkeit?“

„Die Liebel die echte, durch nichts beeinflußte, große, heilige Liebel” Benedikta preßte wie in jäher Leidenichaft die Hände gegen die Bruft „und ge trade das was Gie mir ſoeben als Glück auslegen wollten, „klug und reich genug” da3 wird zur Klippe werden, an welchem das einzige Schifflein fcheitert, wel- ches mich in ein irdijches Paradies zu bringen ver: . möchte!” 5

„Ich verjtehe Sie nicht, Sie liebe Peſſimiſtin!“

Marga Daja zog fich ein Kleines Tabouret herzu und ließ fi) an der Sprecherin Seite nieder, ihre Hände mit innigem Drud zu umſchließen. Forſchend blidte fie in dag ſchöne Antlig empor, welches fie mit den leife zuckenden Lippen noch nie jo erregt geſehen hatte wie in diefer Stunde. „Haben Sie etwa eine unglüdliche Liebe, Benedikta ?” flüfterte fie weich.

Fräulein von Floringhoven fchüttelte beinahe heftig das Haupt. „Noch nicht!” ſtieß ſie kurz hervor. Marga late. „Mein Gott, das klingt ja, al3 hätten Sie fich ganz beſtimmt und expreß eine jolche für. die Zu⸗ funft beitellt ?”

„O nein. Uber die Dreizehnte ee erfcheint zumeift ungerufen, um Gevatterin bei einem armen. Unglückskind zu jtehen.” |

„Benedikta! welch unbegreifliches Schwarzfehen! Ohne Grund und Urſache kommt man nicht auf fo feßerifche Gedanken! Wie können Sie Sie die alles befigt,

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was Männerherzen entzückt und gewinnt, derartige Hirn⸗ geſpinſte nähren!“

Ich babe alles! ganz ich habe zu viell”

„Ein Überfchuß ift nie ein Übel“

„sn manchem Sinne doch.”

„Beweiſe! Ich verlange Beweije.”

„Ich bin reich, Gott fei e8 geklagt!”

„Ich bin arm, Gott fei e8 noch mehr geklagt!”

Benedikta lächelte. „Nicht die Beweife unterbrechen, ſonſt werden fie in der Knoſpe erſtickt.“

„IH bin ganz und gar fchweigende Andacht.“

‚IH bin reich! Wiſſen Sie nicht, Marga, daß die reichjten Mädchen im Grunde genommen die Ärmiten find ? Ich habe es erfahren. Vergangenen Sommer nahm mich Gräfin Borken mit nach Norderney, Ich war anfangs wenig beachtet, während einer erjten Privatreunion tanzte ich fo gut wie gar nicht. „Es ift Herrenmangel, wir find noch gar nicht befannt in der Geſellſchaft“, tröftete mich die Gräfin, ich, die feines Troftes bedurfte, denn ich ver: langte nicht nach Tänzern und amüfierte mich jehr gut mit den älteren Herren, welche e8 nicht an Liebenswürdig- feiten fehlen liegen. Wenige Tage darauf war ich der umlagerte, angejchwärmte, ausgezeichnete Anziehungspunft für die Herrenwelt. Ich begriff dieſen Wechſel nicht, aber ich freute mich all der Artigfeiten, welche man mir erwies. Die Gräfin forſchte eifrig, welcher meiner Verehrer mir am beiten gefalle, welcher die meilten Chancen habe? Keiner; follte es vielleicht mit der Zeit fich ändern, war wohl

ein junger Gutsbeſitzer der ſympathiſchſte, in deſſen Augen ich mehr, viel, viel mehr aufrichtige Gefühle zu leſen glaubte, wie in denen der anderen Herren.

Es war eine köſtliche Mondſcheinnacht. Sehr ſpät noch begleitete ich die Gräfin an die Dünen. Im Schatten eines Strandkorbes ſaßen wir, ſchweigſam die wunderbare Schönheit des lichtbeglänzten Meeres genießend. Schritte, lautes, weinſeliges Sprechen. „Nein, nein, cher pere kannſt Gift drauf nehmen! Ich bin meiner Sade ganz gewiß! Die Kleine ift ja auf Brautjchau bierher geführt... haha - ... Kein Menſch ahnte an- fangs, daß hinter der ftolzen Juno ein dufatenfunfelnder Kometenfchweif rauſche aber die alte Borken flüfterte jelber ein paar alten Herren in das Ohr, daß Benedikta die Erbin des alten Floringhoven ift. Na das Wett: rennen, welches nun begann: Jeder wollte natürlich der zu dieſer Juno gehörige Zeus werden, und da man in dDiefer Beziehung zum Heiden wurde und die Mythologie zur Modereligion machte, florierte der Tanz um das goldene Kalb in einer Art und Weiſe, welche den Kampf um den Sieg verteufelt heiß machte!“ |

„Empörend! Wer konnte e8 wagen, derart frivol und herzlos zu reden, Benedikta?”

„Ber? ich fah feine elegante Geftalt Scharf gegen den Himmel abgezeichnet, ich erkannte jede Linie feines bübjchen, fonft fo ganz anders dreinichauenden Gefichtes, und ich merkte es auch an dem jähen Zufammenzuden der Gräfin, daß fie genau wußte, wer der Sprecher war.

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„Na, dann in Gottes Namen los, lieber Jungel Wenn du glaubſt, Chancen zu haben, wäre ja dieſe Verbindung eine leidlich paſſende Partie für dich. Vor allen Dingen vergaloppiere dich aber nicht, ſondern ziehe noch einmal genaue Erkundigungen über die Höhe ihres Vermögens ein. Wenn du um dieſer Erbin Willen Alice vergeſſen und aus Vernunftsgründen eine Konvenienzehe eingehen willſt, muß wenigſtens eine ſehr glänzende Mitgift das Opfer aufwiegen. Dein altes Familiengut vor dem Ruin zu retten, iſt immerhin keine Bagatelle. Man ſagt aber Benedikta ſei nebenbei recht hübſch?“

„Hu... etwas froſtige Schönheit, mehr Statue wie Fleifch und Blut. Man liebt das im allgemeinen nicht fehr an dem Ewig-Weiblichen. Aber . .. ein paar hunderttaujend Thalerjcheine deden ja manches zu ...“

Die Stimmen entfernten fich langfam und die einzelnen Worte wurden von der ftärfer anjchwellenden Meeres⸗ brandung übertönt. Es ward till, ſehr, jehr ftil am Strande. Thränen rinnen lautlos, und ein Gerz ver: blutet unhörbar an ſolch moralifchem Todesſtoß. End: lich erhob fich die Gräfin, legte jählings den Arm um mich und flüfterte erbittert: „Armes, beflagenswertes Kind | Ich denfe, jener Freier wird fich einen Korb bei Dir holen I“

„Er wird nicht dazu fommen, anzuhalten!” ant⸗

wortete ich. | | Die Sterne funfelten über und, wie Augen der Liebe, welche zornig aufbligen, weil man einem Herzen wehe ge:

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than, und das Meer raufchte näher und näher, lockend und fchmeichlerifch feine weißen Wellenarme nach mir ausbreitend, als wollte e8 jagen: „Komm herab zu mir, du arme, reiches Kind, deſſen Geld ja doch für ewig der Liebe den Weg zu deinem Herzen verſperren wird!

„O, Benedikta, welch unglüdlicher Wahn! Weil ein Einziger fein frevles, jelbjtjüchtiges Spiel mit Ihnen ge: trieben, wollen Sie an dem Glüd Ihrer ganzen Zukunft verzagen? Noch Hat Ihnen die Liebe ja durchaus feine Wunde gejchlagen, oder... oder die Stimme Margas ſank zu bangem Flüſterlaut herab „oder liebten Sie jenen Falſchen etwa doch ?”

Baroneß Floringhoven lehnte das ſchöne Haupt zurück und ftarrte mit weit offenen Augen in den wirbelnden Schnee hinaus. ‚Nein, ich liebte ihn nicht, Gott jei Lob und Dank dafür!“ antwortete fie mit feiter Stimme; ‚ich werde mic) überhaupt nicht langjam allmählid) ... nad) und nach in einen Mann verlieben, niemals. Das neune ich überhaupt feine Liebe, das ift lediglich ein „ſich an einander gewöhnen.” Sollte aber der Liebe wahrer, beiliger Götterfunfen jemals in mein Herz fallen, fo iſt's ein Blitz, Schnell, ungeahnt, plöglich, wie ein Stern jähling3 erftrahlend die Wolken ducchbricht, der Stern des Glücks! Ein einziger Blid, ein einzige tiefes Lefen in dem Antlitz des Betreffenden und mein Herz wird aufflammen in einer Liebe, welche über Zeit und Ewigfeit

währt. Ich ahne das umd ich fürchte mich davor. N. v. Eſchſtruth, IL. Rom. u. Nov., Stern des Glücks L 3

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Glücklich kann und wird eine ſolche Liebe niemals ſein, jede Regung der Vernunft ſpricht dagegen.“

Marga nickte betroffen! „Ich würde es wenigſtens auch für äußerſt gefährlich und riskant halten, ſich lediglich in ein ſchönes Geſicht in die trügeriſche Enveloppe einer vielleicht ſehr wenig edlen Seele zu verlieben!“

Benedikta wandte jählings das Haupt, ein flammender Blick ſenkte ſich in der Sprecherin Auge. Dann lächelte ſie, ein beinahe ſchmerzliches Lächeln. „Sich für ein ſchönes Geſicht begeiſtern ja, das kann man; ſich in das ſchöne Geſicht einer fremden Perſon verlieben das kann man meiner Anſicht nach nicht. Sie haben mich mißverſtanden, liebe Marga. Eine ſolch ſinnloſe Schwär- merin vermuten Sie wohl ſelber nicht in mir. Schönheit oder äußere Vorzüge würden mein Herz niemals allein gewinnen, wenn nicht jenes gewiſſe, namenloſe, nie erklärte Etwas damit verbunden wäre, welches mir ſympathiſch, ſo ſympathiſch ſein würde, daß es beim erſten Sehen mein ganzes Ich zu eigen nehmen könnte, das muß ſo viel Tiefinneres ausdrücken, daß man alles, vielleicht das häß- lichfte ÄAußere, darüber vergißt. Der Ausdrud eines Ge⸗ ficht8 würde dieje geheimnisvolle Gewalt auf mich aus- üben ein Ausdrud, welcher fich nicht mit Worten beichreiben läßt. Er wird mein Verhängnis fein und weil ich Yatalijtin bin und daran glaube, fürchte ich mich davor, ihn in einem Menjchengeficht zu ſchauen.“

„Wenn e3 der liebe Gott verhütet, daß es das Antlig eines verheirateten Mannes oder eines folchen ift, welcher

==. SR we

durch unüberwindliche Hinderniffe anderer Art von Ihnen gejchieden jein müßte, jo wäre wohl der Augenblid eines jolchen Begegnen3 der Anfang und Inbegriff alles Glückes für Sie! Wunderlich wie verfchieden wir Mädchen doch beanlagt find. Als ich meinen Herzliebften zuerft ſah ...“

„Margal!!“

Die Sprecherin verftummte jäh erjchroden und ſprang empor, ihr heiß erglühendes Gefichtchen abzuwenden. Benedikta aber ergriff ftürmijch ihre beiden Hände und erzwang jich mit einem ftrahlenden Lächeln einen Blick in die ausweichenden Blauaugen.

„Das nenne ich Verrat an fich felber!” jubelte fie. ‚„Margal liebe Marga nun lafien Sie mich bitte alles wiſſen!“

Die junge Sängerin ftrich tief aufatmend die Loden aus dem heißen Antlit. Sie lachte auf wie ein eigen- ſinniges und doch glüdfeliges Kind. „Gewiß follen Sie es willen, Benedilta! wenn Sie mich nur danach fragen wollen! Wie er heißt? Roman Ermönyil Was er ift? Komponift einer vielgenannten Oper! Ob ich ihn liebe? Nachdem ich ihn haßte biz auf Gift und Dolch nachdem ich ihm am liebjten die Augen ausgefrakt, Die ſchwarzen Locken einzeln außgerauft hätte ja da liebte ich ihn biß zur Raſerei. Ob er mich wieder liebt? Er thut fo. Er ſchwört ed. Er überfchüttet mich mit Blumen, er füßt meine Füße er iſt wie von Sinnen. Noch eine Oper will er jchreiben, die Titel⸗ rolle für mi), und dann heiraten wir. Er fagt

3*

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es, ob es gejchehen wird? .. .” Und Marga Daja griff mit bebenden Händen zu dem Notenblatt zu= rück und jauchzte mit ihrer filberhellen Stimme aufs neue die Worte, welche Benedikta joeben unterbrochen:

„Hold wie das Morgenlicht Lächelt die Ferne. Glückliche Sterne Täuſchet mich nicht!”

SSR SE SEELE SEHR ZA

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II.

ie Fröhlichkeit wirkt anſteckend, und da Benedikta auf verſchiedentliche, dringende Fragen doch nur den einen übermütigen geſungenen Refrain: „Hold wie das Morgenlicht lächelt die Ferne“ zur Ant— wort erhielt, lachte ſie ſchließlich mit und that ihrer glückſeligen Lehrerin gern den Gefallen, in die liebejauchzenden Weiſen einzuſtimmen. Die Thür öffnete ſich leiſe. Pannkeuken erſchien auf den Fuß— ſpitzen und durchſchritt die Lautloſigkeit zu erhöhen, mit möglichſt einwärts gejetten Füßen den Salon. Sein rundes Geficht mit den glänzend roten, wie ladiert erjcheinenden Bädchen, mit den ebenjo runden, pfiffig ver: gnügt blinfernden Äuglein und dem breitgezogenen, bart: lojen Mund wandte fich währenddefjen gleich einer Sonnen— blume dem Licht zu, dem gar zu angenehmen Licht, welches die beiden anınutigen, jungen Gejtalten verflärte.

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Pannkeuken liebte die Muſik und die Jugend, und wenn fein Blich, wonneglänzend, von einem der jungen Mädchen zu dem anderen hinübereilte, dann beichlich ihn ahnungslos dasfelbe Gefühl wie einft den Dichter Heinrich Heine, auch er erachtete fich gleich dem si zwijchen zwei Heubündeln.

Heute deuchte ihm Die Baroneß bei weitem ſchöner, morgen thaten es ihm Margas ſchwärmeriſche Augen wiederum an; in dieſem Augenblick hätte er, ohne zu zaudern, die Palme des Sieges nur Benedikta überreicht, um ſie im nächſten Moment der Elfengeſtalt im weißen Kinder: Hleidchen zu Füßen zu legen. Pannkeukens Haar war auch ſchon grau, wie fich dag für einen Bedienfteten des Schloffes Sloringhof gehörte, aber unter der Ajche feines Herzens glühte dennoch ein Funken, welchen die Zeit noch nicht zu löſchen vermochte.

Mit breitem Schmunzeln, langſam, ſehr langfam durch⸗ maß der Alte den Salon, um ſich möglichſt lange an dem Kaminfeuer ſchaffen zu machen. Die beiden Kinderchen ſangen derweil ſo ſchön, daß ihm das Herz lachte, und weil Pannkeuken nebenbei noch eine Beſtellung auszurichten hatte, ſo verweilte er ſo lange vor dem Feuer, bis das „hibſche Stickchen“ fertig geſungen war.

„Heizen Sie tüchtig ein, Alterchen!“ winkte ihm Marga luſtig zu, „damit ſich unſere Seele, welche wir in den Liedern aushauchen, keinen Schnupfen Holt!”

Pannkeuken grinffe: „Jemerſch! das wäre e fchlechter Spaß! Nachher müſſen de Dämchen aber dichtig Ob⸗

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acht geben, daß Jede och ihre richtige Seele wieder er⸗ wiſcht, wenn Se ſe wieder einfangen woll'n!“

„Haha! vielleicht wäre es ganz dienlich, wenn Baroneß einmal mit mir austaufchen wollte lachte Marga mit nedifchem Seitenblid: „Der meinen find rofige Schwingen gewachjen, welche voll freudiger Zuverſicht in lachende Fernen hinauzftreben, Benediktas Seele aber iſt vor: läufig nod) „matt wie Luiſes Limonade“, fie wagt feinen glüdjeligen Aufflug, jondern bindet fich jelber ihre fchillern- den Flügelchen mit Trauerflor.”

Pannkeuken ftarrte die Sprecherin voll freundlicher Neugierde an: „Wie meenen Se denn das ejendlich, Freilein Dallberg? Das Habe ich Sie nämlich ganz und gar nicht gapiert!”

„Ich muß hinaus! ich muß zu dir!” trällerte Marga mit außgebreiteten Armen.

„Nu eben! da8 wollte ich Sie nämlich och grade den gnädigen Freileinchen vorichlagen! Konrad ließ nämlich gehorfamft anfragen ob’r vielleicht e bischen mit'n Schlitten komm' follte? Dorthier in’ königlichen Forſte is Sie nämlich heit ne! Saujagd ... und da meente Konrad, wär's für die jungen Dämchen doch fehr hibſch, wenn fe die Reiterſch in den roten Nöden vorbeireiten ſehn!“

„Richtig! Herzog Hans Friedrich hält in Altenfähre die Jagden ab!“

„Es ſollen viele auswärtige Gäſte da ſein, verſchiedene Prinzen und Fürſtlichkeiten!“

= AD:

„Es wäre fehr nett, könnten wir die Jagdgeſellſchaft vorüber reiten jehenl Würde es Ihnen Vergnügen nıachen, liebe Marga?“

„Fraglos! ich ſah im Leben noch feine Jäger zu Pferd!’

„Weiß Konrad, nad) welcher Gegend fich die Jagd binziehen wird, Pannkeuken ?”

„Ra aber nadierlih! Heite jagen fe aufn Dohlen- famp bis nunter nach'n Pfaffengraben! Wenn mer mit’n Schlitten fo jacht’chen bis an’ Kulm fahren, jehen mer'ſche grad über de Hude reiten!“

„Und das Wetter ift herrlich! Ein wenig Schnee er: höht die Poeſie!“

„Buddeln Se ſich aber dicht'g ein, gnädge Freileins! es geht Eenen doch ludermäß'gt kalt an de Beene, wenn mer ſo e Weilchen in Schnee romlatſcht!“

„Selbſtredend, Pannkeuken! Wir wickeln ung in Watte!”

„Am Ende och’n Tichelchen um de Ohren? un’ne

heeße Flaſche in’ Beenebeitell” | „Eine Wärmflafhe? Hahaha! Wenn wir fünfzig Jahre älter find, Pannkeuken!“

„Schnikjchnad, Baronegchen! De Jugend muß och un erfcht recht hibſch warn in’ Neſte figen! Na das wol’ mer allen fchon herrichten! Un’ wie wärfch denn mit Gummijchiechen ?”

„Gewiß, gewiß! Wir wideln ung dreifach in Flanell! Eilen Sie fih nur, Alterchen, und lafjen Sie Konrad rechtzeitig anfpannen, Damit wir auch etwas von der Jagd zu fehen befommen |”

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„Nadierlich! ich ſpute mich ja reene wie närrſch!“ verjicherte Pannkeuken in feiner unvermwüftlichen Gut: mütigfeit und fchlurrte langfam, ganz langjam durch das Zimmer zurüd, dieweil die beiden jungen Damen eilig die Noten zuſammenpackten und den Flügel jchloffen.

Marga war wieder völlig „das Kind!” klatſchte in die Hände und freute fich mit einer Naidvetät, von welcher die Refidenzler behaupteten: fie jei bei einer Bühnen- längerin doch etwas allzu jelten, um echt zu fein!

Sie war aber dennoch echt. Benedikta Tannte die Freundin feit Jahren bereit3, fannte fie in einem Alter, wo jegliches Kokettieren dem einfachen Landfind noch ein abjolut unbelannter Begriff war. Marga würde niemals Sängerin geworden fein, wenn ihre Mittellofigfeit fie nicht gezwungen hätte, einen Beruf zu ergreifen, wenn ihr jehr muſikaliſcher Vormund und Onkel nicht die ent- züdende Stimme erfannt und ihren Wert gejchäßt hätte. Daß Marga fi) gern ein wenig abfonderlich nad) dem vergilbten Gejchmad einer Bettina Heidete, war eine harm⸗ loſe Schwärmerei, welche auf einem Koſtümfeſt den Anfang genommen, und von den jenjationzluftigen VBerehrern und Sreunden der jungen Künftlerin eifrig kultiviert worden war. Margas Eigenart forderte ganz unwillfürlich zu einem originellen Relief für ihr Weſen heraus, und in einer Welt, wo fo viel Unnatur, fo viel Schein und Re— klame vorherrjcht, in einer Welt der Launen, Lapricen und Schminfe war es verzeihlih, wenn das noch jo junge Mädchen unwillfürlich in ein Fahrwaſſer gedrängt

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wurde, auf welchem die meiſten ihrer Kolleginnen der Gunſt und dem brennenden Intereſſe des Publikums ent⸗ gegen ſchwammen. | Eine betagte Sängerin verficherte der Anfängerin poll wohlgemeinten Spottes: „Die Leute find viel zu engherzig, gleichgültig oder neidifch, um felber aus einem Künftler etwas Beſonderes zu machen! Man ift in der Welt nur das, wozu man fich jelber macht. Das All- tägliche reizt nicht; ein Künftler ift ein Ausnahmemenfch und foll das beweilen. Der Begriff ‚Genialität‘ ver: bindet in den Augen der meilten Menjchen eine gewiſſe Verrücktheit. Etwas nie Dageweſenes, nie Gefchautes, Grenzenloje8 und jcharf in die Augen Stechendes ift die Außenfeite de8 Genius für die Allgemeinheit. Gie mögen fingen wie ein Engel, Sie mögen ausſehen wie eine Venus wenn Sie aber während Ihrer Muße- ſtunden im grauen Negenmantel fpazieren gehen, oder daheim figen, Tochen und Strümpfe ftopfen wird Die Melt gleichgültig über Sie hinwegfehen und hören, die große Menge wenigjtens, welche das Renommee der Künftler ausmacht. Und Sie mögen häßlich fein und nur gerade jo viel Klang auf den Lippen haben, daß man Sie nicht ausziſcht und Sie verjtehen es, Ihre Perjönlichfeit mit einem intereffanten Nimbus zu umgeben, werden Sie aufiteigen wie mit Adlerfchwingen, hoch, jehr Hoch, deito höher, je volllommener Sie die Welt verblüffen und fascinieren können!“ Und diefe moderne Priefterin des Erfolges hatte nicht

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umjonft in die unfchuldsvollen kleinen Ohren der An- fängerin die Saat ihrer Lehre geftreut.

Marga blieb ein gutes, unverdorbene® Gemüt, über welchem treue Augen wachten, fie blieb das „Kind“, welches fie ſtets gewejen, aber fie blieb es nicht nur innerlich, fondern ward es auch äußerlich, fo daß die Welt es auch ohne Studium ihres Herzens und ihrer Seele. erfannte an der Façon!

Und man jubelte dem Kind zu, applaudierte der Bettina rediviva, und manch eitles Dichterhirn träumte von dem originellen Aufjehen, welches e8 machen würde, wenn diefe neue Bettina einen neuen Goethe finden würde.

Aber Marga Daja hatte e8 leider noch zu feiner dies- bezüglichen Zeitungsnotiz fommen lafjen, und man zudte lächelnd die Achfeln über das „Kind“, welches noch nicht einmal fein Herz entdeckt Hatte.

Dieweil die junge Sängerin voll fröhlicher Haft in ihre Zimmer eilte, fich für ihre Fahrt zu rüften, trat Benedilta noch einmal zu dem Fenſter und fchaute i in die ftile Winterlandfhaft hinaus.

Bor ihr, weit gedehnt, lag der Bart mit feinen be- ſchneiten Wipfeln, den graziös überhauchten kahlen Eichen, Linden: und Ahornzweigen und Tannen, welche fich in mächtig weiße Schneededen gehüllt.

Fleckenlos dehnten fich die Wiefen und Wege. Kein Schritt hatte ſich auf die blendenden Flächen gezeichnet, ftil, einfam, wie verzaubert in tiefem Schlaf lag die Welt vor den Bliden des jungen Mädchend. Milliarden von

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Flocken wirbelten durch die Luft, höher und höher wuchjen die phantaftifchen Hauben, welche König Winter auf das Haupt der alten Steinbilder drüdte.

Grau und nebeldunftig dräute der Himmel.

Ein paar Dohlen frächzten von dem Eichwipfel herüber und hielten melancholifche Zwiefprache mit ihren Genoffen auf dem Schloßturm.

Die Fenfterfcheiben liefen an; höher und dichter zog ih das Gewirr der Eisblumen darüber Hin. Schlanfe Palmenwedel, bizarr gezadte Blätter und Kleines, krauſes

Mood Benediktas Blick folgt mechanifch der Zeich- nung, welche die Natur mit Künftlerhand über das Glas zaubert.

Und dann jeufzt fie tief auf.

Sie weiß es felber nicht, warum fie juft heute fo

ernſt und trübfinnig ift. Sie hatte fich fo innig gefreut, als Marga fich für etliche Tage zum „verjpäteten Weih- nachtsurlaub“ anmeldete, und nun anftatt glüdlich und vergnügt dieje fchöne Zeit zu genießen, lag es über ihr wie Schattende, unheimliche Schleier einer unbegreiflich trüben Vorahnung.

Was mochte das bedeuten?

Sophie, die Kammerjungfer, natürlich auch ſchon grau und betagt, weil ſie ihr als Erbſtück der Großmutter überkommen, wunderte ſich ſchon während des Fri— ſierens, wie ernſt und nachdenklich ihre junge Herrin heute ſei. |

Kein böfer Traum? feine Schmerzen? fein

fataler Brief? Nein, nichts von alledem. Benedifta ver— fichert, daß fie ih Die trübe Stimmung fel- ber nicht erflä- ven könne. „Ja, ja, oft liegt es einem ſo auf den Ner— ven! Weiß das noch von der ſeligen Gnädi— gen, die weinte oft ganz aus dem Steg— reif, auch ohne alle Beranlaj- jung, zum Herz⸗ brechen, und wenn fie fidh dann tüchtig ausgeſchluchzt hatte, atmete ſie hoch auf und

ſagte: „So, nun

#6.

iſt's mir wieder leichter!“ Das find die Nerven, lediglich die alten, dummen Nerven |”

Die Alte hatte wohl recht.

Zwar wußte Fräulein von Floringhoven bisher nicht viel von diejen Plagegeiftern, aber einmal mußten fie doch wohl den Anfang machen, um ihre abjcheuliche

Erijtenz zu melden. WVielleicht hatte auch das böfe Wetter daran Schuld.

Es liegt jo jchwer und grau in der Luft, der Wind erhebt fi) und ſauſt um das Schloß, wie ges frorene Thränen prafjelt ein Hagel feiner Eiskörnchen gegen die Scheibe.

Eigentlich iſt es Thorheit, bei folcher Kälte und ſolchem Schneefturm auszufahren.

Schneefturm! je nun, noch klingt es nicht allzu ſchlimm.

Und Marga freut ſich auf den Anblick der Jagd. Auch Benedikta liebt ein ſolch ritterliches Schauſpiel. Am liebſten ſäße fie ſelber im Sattel und ritte mit. Sie ftreicht über die Stirn und wendet fich haſtig, ihr Ankleidezimmer zu erreichen.

Sophie legt ihr den warmen Pelzmantel um die Schultern und bittet und fleht jo lange, bis ihre junge Herrin den weichen, weißjeidenen Shawl anjtatt des leichten Hütcheng über die dunklen, Hochfrifierten Haare legte. j

Die Pelzſchuhe aber verweigerte Benedikta um jeden Preis, ein mächtiger Fußſack füllt ja den Schlitten

= Ay

au, und Pannkeuken hat fraglos mehrere Wärmflafchen bineinlegen lafjen.

Schon Elingeln die Rappen ungeduldig mit dem ele- ganten Geläut, als die beiden jungen Damen auf der Freitreppe des Schlofjes erjcheinen.

Konrad und Panmkeuken fiten bereit3 auf ihren Plätzen, fo did und übermäßig in Pelz gewidelt, daß fie fi) faum regen fünnen.

Sean bedient die Damen beim Einfteigen, und Bann: feufen dreht den Kopf fo jeitlich, wie es ihm möglich ift, und knurrt mißbilligend ein paar Worte über den viel zu leichten Anzug. Marga Happt ihm mit dem Muff auf den Mund. „Räfonnier Er nicht, Alter! Ein Gottes⸗ glüd, daß und Wind und Schnee von oben abkühlen, dies weil wir von unten auf glühenden Marterroften braten! Srundgütiger! wieviel Wärmjteine liegen den eigentlich hier drin? —“

„Schtider finfe, gnäd’ges Fräulein!“ grinzt der Ge- treue freundlich wie immer. „Die Schteenerchen find mir alle vom Herzen gefallen, wie ich heerte, daß mer um Uhre drei Schon wieder derheeme fein ſoll'n!“

„Ja, dann heizt Ihr Herz für feine Jahre ja noch ganz manierlich!“ lachte Die Sängerin mit einer leichten Grimaffe, und zog die Füßchen empor, um fich nicht die Sohlen zu verfengen. |

Und dann fliegt der Schlitten wie auf Sturmesflügeln dahin durch die winterliche Pracht.

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Wie ein Märchenbild, von weißem Duft überhaudh:, liegt der Wald zu beiden Seiten.

Die bereiften Zweige neigen fich graziös unter der blendend hellen Laft des immer höher und höher fallenden Schnee; von den kleinen Fichten: und den niederen Zannenbäumchen find nur noch formlofe, weiß umhüllte Klumpen zu .fehen, und auf dem Erdboden türmen ih die flimmernden Maffen, als wollten fie jedweden Leben Weg und Steg in die traumhaft jtille Einöde ver- _ Sperren.

Kein Laut nah und fern.

Nur der Wind fährt leife Flagend dur) das Gezweig und jchüttet einen Sprühregen dicht wirbelnder Sternchen auf das einame Gefährt hernieder, nur das Schellen- geläute und zeitweife Aufjchnaufen der Pferde unterbricht die grabestiefe Ruhe.

Benedilta hat mit großen, erniten Augen geradeaus geſchaut, fie ſchrickt leiſe zuſammen, als Marga plößlich ihren Arm an ſich preßt und mit unterdrücktem Jubel ſagt: „Wenn ich einmal eine Hochzeitsreiſe mache, ſo muß es im Schlitten durch ſolch einen verſchneiten Märchen⸗ wald ſein, wie dieſer hier! Können Sie ſich ein ſolches Glück ausmalen, Benedikta, mit dem Herzallerliebſten Arm in Arm durch dieſes menſchenleere Paradies im warmen, bequemen Pelz dahin zu fliegen!“

Fräulein von Floringhoven lächelte: „Nein, ich kann mir eine ſolche Seligkeit nicht ausmalen, kleine Schwärmerin, denn dazu gehört in erſter Linie das Bild eines geliebten

Stern des Glücks J.

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N.v. Ejhftruth, SU. Rom. u. Nov

30—

Mannes, welchen man an ſeine Seite wünſchen möchte. Da ich aber keinen, keinen auf Gottes weiter Welt wüßte, den ich momentan anſtatt Ihrer hier neben mir ſehen möchte, ſo verſteigt ſich auch meine Phantaſie zu keinen Traumbildern, welche ſich ja doch niemals verwirklichen werden. Aber es iſt gut, daß Sie unſer intereſſantes Thema wieder berühren. Glauben Sie, mich mit ein paar flüchtigen Stichworten abſpeiſen zu können, wenn es ſich um Ihr ganzes Lebensglück handelt? Gewiß nicht. Es iſt keine neugierige Indiskretion von mir, ſondern das warme, auf- richtige Intereſſe der Sugendgefpielin, welches eine aus— führliche Beichte verlangt. Wer Roman Ermönyi ift, weiß ich, denn der Name de3 genialen, feuerblütigen Komponiften, jowie Auszüge feiner Werke find mir rühmlichit befannt, wie man aber einen Mann auf das Erbittertite hafjen, und ihn furze Zeit darnach leidenjchaftlich Lieben kann, da3 ift mir vorläufig noch ein a welches Sie mir löfen müfjen, Marga !”

„Das Kind” lachte und widelte fich feiter in den Pelz, ſodaß das rofig überhauchte Gefichtchen beinahe Hinter dem goldgelben, langmähnigen Löwenfell ihres eleganten Mantels untertauchte.

„Es ift eine wunderliche Welt!” kicherte fie, „‚ebenfo ver: rücdt wie die verliebten Menjchen, welche fie bewohnen! Warum ich Roman haßte? Sehr einfadh. Er ftudierte feine neue Oper perjönlich mit und ein. Für mich hatte er die Heinjte, jämmerlichite, undankbarſte Rolle ausge— fucht, welche darin vorhanden war. Er behauptete, ich

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hätte nicht da8 Teniperament, um eine heißblütige, rache⸗ glühende Südländerin verſtändnisvoll zu verkörpern. Das Kind ſei nicht Weib genug, um wie eine teufliſche Sirene die Männer zu bethören.“

„Das war viel eher eine Schmeichelei wie eine Unart, welche er Ihnen ſagte!“

„Vielleicht; vielleicht auch nicht. Später dachte und glaubte ich es auch, aber anfänglich erbitterte und verletzte es meinen Künſtlerſtolz auf das peinlichſte. Als er mir vorgeſtellt wurde, drehte ich mich auf dem Hacken um und würdigte ihn keines Blickes. Darauf ſollte ſollte er ſpottend zu den Umſtehenden geſagt haben: „Fräu— lein Daja präſentiert ſich doch ſtets von ihrer vorteil⸗ hafteſten Seite!“ Das war in meinen Augen eine tödliche Beleidigung welche mich vor allen Kollegen lächer— lich machte. Ich haßte ihn darum und ich zeigte es ihm, ich ballte die Hände, und er lachte. Ich ſang in den Proben unter aller Kritik. „Ich dachte es mir gleich, daß ſie nichts kann!“ ſpottete er abermals, daß ich es hören mußte, „wie gut, daß ich ihr feine bedeu- tende Rolle anvertraute.” Ich Ihäumtel Nun fang ich gut. „Sie lernt etwas bei mir”, ınofierte er fih. Ich Hätte ihn morden können. Das Koſtüm bei der Aufführung ftand mir beſonders gut. Gie fennen mein Bild darin, Benedittal Sch hatte mir vorgenommen, fo jchlecht, jo fchlecht zu fingen, daß feine ganze Muſik zu Schanden wurde, gleichviel, ob ich mir jelber dadurch die Zukunft verderben würde oder nicht.

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Mit Hapfprühenden Augen erwartete ich ihn. Er trat aus den Couliſſen, fein Blick fchweifte fuchend über die Bühne, er traf auh mich. Wie ein Blitz flammte es durch fein Auge. Er ftarrte mich ein paar Sekunden an aber er trat mir weder entgegen, noch grüßte er mich. Das Blut fochte in meinen Adern, und ein fremdes, ganz wunderliches Gefühl preßte mein Herz zufammen. Thränen zornigen Wehs fchojjen mir in die Augen. Wie fchön, wie jchön war er! Ich wollte e3 nicht zugeitehen, aber ich mußte e8. Die Augen flammten wie große, ſchwarze Sonnen in dem bleichen Antlitz, die Lippen wölbten fich jo ſtolz wie bei einem Gott aber ein feiner, jarkaftifcher Bug gab dem Geficht ein Gepräge, welches mir in jenem Augenblid noch viel teufliicher wie göttlich vorfam. Die Erregung des Premierenfiebers fchien ihm fremd, er war äußerlich diefelbe Marmorjtatue der „Iteinerne Gaſt“, wie ich ihn genannt wie alle Tage vorher, aber in feinem Blick, da brannte ein Funken der verriet dennoch, welch ein Feuer tief unter diefer Maske von Gleichgültig- feit loderte. Und wie er mich anjah mit diejem ſeelen⸗ mordenden Blid, da hätte ich ihn töten mögen. Er trug einen Strauß roter Roſen in der Hand. Für wen? Natürlih für die Dival Die Heldin! Das Weib, welches ihm feuerblütig und leidenjchaftlich genug zur Verförperung feiner Titelrolle gewejen! Ich biß Die Zähne zufammen und wandte mich troßig ab, ich wollte ich konnte e3 nicht anjehen, wie er jener anderen die Roſen in die Hände drüdte.

= BI, 2

Ich trat hinter die Couliſſen, dorthin, wo niemand mehr etwas zu juchen hatte, ich wollte allein fein mit meinem Haß und meinen Thränen. Und wie ich ein paar Minuten dort auf einem umgeworfenen Pfeiler aus Iphigenias Tempel fie und mit zitterndem Herzen die - Schauerlichiten Rachepläne erfinne, da fteht er plößlich vor mir, er! wirklich er. Und nicht etwa aus Zu: fall. „Ich fuchte Sie, Fräulein Daja“, fagte er mit einer Verneigung, die mir outriert, mit einer Stimme, Die mir ironifcher wie je Hang: „Da ich weiß, daß Sie dem Komponiſten heute. abend Ihr Beites geben werden, jo geitatten Sie ihm einen bejcheidenen, vorläufigen Dank!“ Und damit reichte er mir die Rofen! er mir!! Sch fprang auf: „Ich denke gar nicht daran, Ihnen mein Beftes zu geben!” rief ich mit zornbligenden Augen „ich haſſe meine Rolle und werde das beweiſen!“ Sprach’s, jchleuderte die Aojen zur Erde und lief davon. Und als ich hochatmend zwijchen all den Eouliffenfchiebern und Choriſten jtand, ward es mir jo unbefchreiblich weh um das Herz, daß ich am liebiten hätte fterben mögen. Warum nahm ich feine Roſen nicht? ich fühlte es id) hätte mein Herzblut für dieſe Rofen gegeben das heißt ih haßte die Blumen um feinetwillen, es that mir leid, daß ich nicht noch mit den Füßen darauf herum: getreten hatte. Konnte ich’3 nicht noch? Leiſe, atem- los hufchte ich zurüd. Drunten im Orchejter erklangen die eriten Töne der Duverture Roman Ermönyi faß wohl in der Loge des Intendanten und hob fpöttifch Die

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Lippen bei dem Gedanten an das „Endiihe Kind!” Ich eilte zu den Roſen zurüd ich ftand vor ihnen und wollte fie mit dem Haden meines Atlasfchuhes zer: jtampfen aber ich that e8 nicht ich raffte fie jählings empor und preßte fie wie eine Sinnlofe an mein bren= nendes Geſicht, an meine fieberheißen Lippen. Und dann haßte ich ihn nicht mehr, denn er ftand neben mir, 309 nich ungejtüm in feine Arme und küßte küßte küßte mih Barum lachen Sie, Benedilta? Meine Geſchichte ift furchtbar ernft. Sie haben noch nie einen Mann gefüßt, thuen Sie es auch niemals, Männerlippen ind giftig und man ftirbt an ihnen! Und id) ftarb auch in jenem Augenblid aus Liebel Roman jah mid) an und lachte, wie nur ein Mann lachen kann, der fehr glücklich ift. „Nun haft du mir doch dein Beſtes gegeben, Trogföpfchen, dein Allerbeſtes dich ſelbſt!“ Und die Mufil, feine Mufil, braufte zu ung herüber, das Bublitum rafte Beifall er fragte nichts danach, er küßte mich. Sch Habe an jenem Abend gejungen. In der Kritik ftand: „Fräulein Daja ſchuf aus ihrer fleinen, an und für fi undankbaren, aber dennoch mu: fifalifch fehr wichtigen Rolle ein wahres Meifterftüd. Wir haben die junge Sängerin noch nie mit derartiger Leiden- Iihaft eine Aufgabe Löfen fehen. Die tiefe Innerlichkeit der Mufit fam voll zur Geltung, und der Kompo- nift kann mit äußerjter Zufriedenheit auf die Premiere zurüdbliden, an welcher jegliche Rolle in unvergleich- ih vollendeter Weiſe Freiert wurde.” So ftand in

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der Zeitung, und andern Tagd war id Romans Braut!”

„roch ward die Verlobung nicht veröffentlicht ?” fagte Fräulein von Floringhoven leife, e3 lag wie ein feiner, faum merflicher Ausdrud der Sorge in den priefterlich reinen Zügen. |

„Mein, noch nicht!” lachte Marga harmlos. „Sm erfter Linie fehlen ung beiden noch die Mittel, in zweiter will . Roman zuvor noch ein neues Werk vollenden, und drittens bat er fich in den Kopf geſetzt, mich zuvor noch zu einer Berühmtheit zu machen! Auf feinen Wunſch ſtudiere ich noch bei unferen eriten Sangesgrößen der Reklame wegen und wenn ich in der neuen Oper die Titel- rolle, welche wie gejchaffen für mich ift, recht vortrefflich und berzftürmend verkörpert habe, hofft Roman auf eine glänzende Carriere und jehr günftiges Engagement für mich!”

„Gebe Gott, daß fich dieſe glüclichen Zufunftsträume verwirklichen I” nickte Benedikta nachdenklich, es wollte ihr nicht recht gelingen, daran zu glauben, als Marga ihr ein Medaillon mit dem Bilde Roman Ermönyis entgegen hielt. Sie herzte und küßte e8 in ihrer überjchwänglich begeifterten Weife, und war mit allen Gedanken bei dem Erwählten ihres Herzens, fo daß fie ganz vergaß zu fragen, ob Beneditta das Bildchen ebenſo bezaubernd fände, wie fie. Vielleicht hielt fie es für felbftverftändlich. Aber Benedikta fand es durchaus nicht.

Sie blidte finnend auf den allerdings recht genialen

Männerfopf hernieder, deffen Gefichtsausdrud ihr jedoch durchaus unſympathiſch war. Etwas Kaltherziges, egoiftifch Berechnendes, ja jogar etwas Eynifches lag darin, etwa, was auf Benedilta direft abjtoßend wirkte Sie entjann fich auch verfchiedener Beitungsnotizen über den jungen Komponiften, defjen grenzenlofer Ehrgeiz, deſſen tranfhafte Sucht nad) Ruhm und Erfolg leider die Ver: anlafjung zu einer zu jehr gefuchten und effefthafchenden Muſik fei, welche ſchon jeßt das edle, großangelegte Talent auf faljche Bahnen dränge. Man tadelte wiederholt, daß Roman Ermönyi mit allen möglichen erlaubten und un= erlaubten Mitteln arbeite, um einen Erfolg zu erzwingen.

Pannkeuken wandte den Kopf. „Mer mifjen e bischen feitwärt3 an’ Graben fahren, Baroneß, Herr Edert fommt uns affrad auf der ſchmalſten Stelle vo’n ganzen Wege entgegen!” |

„Herr Eckert!“ Marga barg das Bildchen haftig in der Hand und Fräulein von Floringhoven atmete un- willkürlich auf, einer längeren Auslaſſung über die Bhoto- graphie enthoben zu fein.

„a3 hat denn der langweilige Philiſter hier in un: ferem Zauberhain zu ſuchen?“ grollte die Sängerin mit ungnädigem Bli nach dem maffiven Apfelfchimmel, welcher vor ihnen an der Wegbiegung erjchien. „Schon genug daß er mich jeden Mittag und Abend im Pachthaus an ödet, muß er mir auch bier noch die jchöne Natur verunglimpfen |”

„Aber Marga, wie kann man fo räfonnieren, wein

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man den ganzen Himmel voller Geigen hängen ſieht!“ lächelte ihre Nachbarin gutmütig. „Schelten Sie mir nicht auf Eckert! Er iſt ein braver, vortrefflicher Mann, der treueſte, aufopferndſte Vater, welchen man ſich denken kann!“

„Das iſt ſeine Pflicht und Schuldigkeit.“

„Eine Pflicht, welche herzlich felten geübt wird. Pſt . . er kommt.“

Der Apfelſchimmel ward neben dem Schlitten pariert. Militäriſch grüßend legte Inſpektor Edert die Hand an die Pelzmütze. „Wollen die Damen noch weit waldein fahren ?’ fragte er mit tief tönender Stimme, den Blid wie gebannt auf Marga heftend, „es kommt ein bedenf: licher Schneefturm herauf, und die Kälte dürfte in ein big zwei Stunden recht empfindlich fein |”

„So leichte Ware find wir ja nicht, daß uns ein biß- chen Schneejturm wegpujtet!” entgegnete Marga fchnippifch, das Köpfchen in das Löwenfell ihres Pelzes zurückbiegend; Benedikta aber jah freundlich zu dem Sprecher auf und nicte ihm gütig zu. „Beſten Dank für ihre Warnung, Herr Edert, welche wir leichtfinnigerweife heute ganz und gar nicht befolgen werden! Der Anblid einer königlichen PVarforcejagd lodt und an die Hudel Sehr lange werden wir uns aber nicht aufhalten und Hoffen noch vor Der ichlimmften Kälte zurückzukommen.“

Der Inſpektor verneigte ſich reſpektvoll. Sein frifches, rotwangiges Geſicht mit dem blonden Vollbart lächelte. „Da darf man viel Vergnügen wünſchen, denn für ge—

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wöhnlich iſt wenig Vergnügen für die Zuſchauer dabei.“ Wieder traf ſein Blick Marga. „Befehlen die Damen, daß ich den Schlitten zum Schuß eskortiere?“

„Dankel Danfel Bemühen Sie ſich um Gottes⸗ willen nicht” wehrte Marga voll beinahe unhöflicher Halt ab. „Ihr Kleiner Willy möchte aus feinem Mittags⸗ ſchlaf erwachen und uns blutige Fehde ſchwören, wenn jein Papa nicht gehorfamft mit der Milchflafche bereit ſteht!“

Benedikta zog errötend die Brauen zuſammen, und auch über das ehrliche Geſicht Eckerts flog momentan glühende Röte, welche einem wehmütigen, beinahe ſchmerz⸗ lichen Ernſt wich. Er ſtarrte nach wie vor in das ſpottende Mädchengeſicht, deſſen Beſitzerin ſich mit den Allüren eines Prinzeßchens in die eleganten Polſter ſchmiegte.

„Ich bedaure, Fräulein Dallberg, meine Dienſte ver— ſchmäht zu ſehen!“ antwortete er, ſich mit kurzem Ruck zu ſoldatiſcher Strammheit im Sattel aufrichtend, „aber ich werde andererſeits glücklich ſein, dieſelben meinen Kindern widmen zu dürſen. Arme, hilfloſe, kleine Weſen, welchen der liebe Gott ſo früh die Mutter genommen, bedürfen leider doppelter Vaterliebe, welche ſich nicht ſcheut ſelbſt mit der Milchflaſche bereit zu ſtehen.“

Er hob abermals die Hand an die Mütze, grüßte die junge Baroneß mit großer Hochachtung und ſpornte ſein Pferd an, erſt im Abreiten wiederholte er den Gruß von Marga, und es ſchien, als wende er gewaltſam das Haupt, um den Blick von ihr loszureißen.

Der Apfelſchimmel griff aus, und Eckert mußte ſeine markige Geſtalt tief herniederbeugen, um den Zweigen aus⸗ zuweichen, welche ihm in das Antlitz ſchlugen. Sie ſchütteten den Schnee über ihn, als wollten ſie mit weißem Bahr⸗ tuch ein ſterbend Herz bedecken.

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III.

nur mit Mühe von Konrad gezügelt worden waren, hoben aufſchnaubend die federgeſchmückten Köpfe, um mit lautem Schellenklin— geln aufs neue den einſamen Weg entlang zu ſtürmen.

Ein Schatten lag auf Benediktas Antlitz. „Warum behandeln Sie den armen dert mit ſolch ausgejuchter Unhöflichfett, Marga ?” fragte fie vorwurfsvoll.

„Beil er nich mit allzu ausgefuchter Höflichkeit bes handelt!“

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„Iſt das ein Vergehen ?”

‚Sa, ich hafje ed, wenn ein Mann dafikt, wie Die verförperte Anbetung und nichts Beſſeres weiß, als einen anzuftarren, gleich wie ein Mop3 den Fleijcherladen. Wer gab ihm ein Recht dazu? ich wahrlich nicht!”

„ob ich dich liebe, was geht’3 dich at!”

„Biel, fehr viel geht eg mich an, denn es geniert mich im höchiten Grade. Lächerlich, wenn dieſer Unteroffizier in Civil ſich mit Iyrijchen Gedanken tragen wolltel Seine Kinder find ſehr niedliche, allerliebfte Dinger, und weil ich au Langerweile ein paarmal mit ihnen fpielte, leidet ihr Vater plögli) an dem Größenwahn, Marga Daja könnte ihre zweite Mutter werden!”

„Rein, Marga, das thut er nicht!” Ä

„hut er nicht?” ihr eben noch fo hochmütiges Geſichtchen ſah überrafht aus. „Woraus fchließen Sie das ?”

„Aus mancherlei Beobachtungen. dert ſchwärmt Sie an wie einen Stern, den man nicht begehrt. Er ift viel zu vernünftig und praftifch denfend, um es fich je zu wünjchen, eine verwöhnte und anfpruchsvolle Sängerin unter fein bejcheidenes® Dach führen zu dürfen —“

Weil die verwöhnte Sängerin au fond ein armes Mädchen ift und nicht die nötigen Mittel mitbringt, um dem Gatten zu ermöglichen, jelbjtändig em Gut zu pachten!“ Ein ſcharfer Klang lag in der Stimme der Sprecherin. „Glauben Sie etwa, Benedikta, Herr Edert rechnet und fpeluliert nit? Wo fißt der Geld—

teufel ficherer und feiter im Neft, als wie Hinter einer Bauernitirn ?“

„Eckert ift fein Bauer. Er ftammt aus fehr reipel- tabler, wohlhabender Beamtenfamilie, und hätte nicht fein Schwiegervater Bankerott gemacht, fäße er nach wie vor al3 vielbeneiweter Gutsbefiger auf dem fchönen Gartlau.”

„Tempi passati! jest adert und pflügt er, wie nun Wie jeder andere untergeordnete Gutsinfpeftor |

„Er findet fich mit bewundernswerter Ruhe und Selbit- verleugnung in dieſen herben Umſchwung!“

„And überlegt ſehr flug und weife, daß eine Dpern- jängerin von Ruf, glänzend honoriert und bei einiger Sparfamfeit in wenig Jahren eine hödhit gute Partie iſt!“

„Sollten andere Männer das nicht auch überlegen?”

Marga lachte. „Gewiß! leider viel zu viel! Was für Heiraten haben unſere großen Divas zumeift geſchloſſen!“

„And wie manch verfehlte Spekulation ift nicht an fol eine Künftlerin genüpft worden! Hörten Sie noch nie von Sängerinnen, welche über Nacht ihre Stimme ver= loren, und von der Höhe einer Königin in die tiefjte Ar- mut gejtürzt wurden? Warum halten Sie fich fo ent- jeßt die Ohren zu, liebe Marga? Gott im Himmel behüte Sie vor einem folch entfeglichen Schickſal. Ich will Ihnen nur diefe Thatjache nennen, um mitteljt derfelben für Edert in die Schranken treten zu können. Sit er thatfächlich ein folcher Spefulant und Geldmenſch, wie Sie annehmen, fo hat er auch diefe Möglichkeit eines Mip- erfolges in Ihrer Carriere erwogen. Dennoch bin ich

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überzeugt, daß er —“ Benedikta betonte dieſes Wort, und feine Röte ſtieg in ihre Wangen —: „nie die Heirat hinauszögern würde, bis ihr Auf ihm eine Garantie gäbe, ſondern daß er in ehrlicher Treue auch dag arme, zufunfts- loje Mädchen zu der Seinen machen würde!”

Marga fchüttelte mit ungeduldigem, etwas ärgerlichem Lächeln das Köpfchen: „Ich begreife Sie gar nicht, Bene: difta, warum Sie ſich plößlich fo ſehr zu dem beredten Anwalt jenes blonden Riefen machen! Als ob ich Ihnen nie das Geſtändnis gemacht hätte, daß ich in Roman all mein Glück und den jeligften Inbegriff meiner Zukunft gefunden hätte. Ihr gutes Herz erträgt die Toggenburg: miene des Papa Adalbert nicht, und das Mitleid macht Sie zur Verräterin an meinem herrlichen Ermönyil Wehe Ihnen, wenn er's erfährt! Er würde Sie mit jeinen Feueraugen zu Tode brennen |“

Fräulein von Floringhoven hielt den Muff vor dag Antlig und Marga that das Gleiche. Der Schlitten verließ den Wald und fuhr eine Eleine Anhöhe auf freiem Feld empor. |

Der Sturm pfiff eifig über die Blöße und peitjchte einen Schauer feiner Hagel: und Schneemafjen in die froft- geröteten Gefichter, der Himmel verdunfelte fich mehr und mehr, die grauen Wolfen zogen fo tief, als müßten fie ihre Dunftfchleier an den kahlen Eichwipfeln des Waldes zerfeben.

Pannkeuken fchlug die Arme gegen den Körper und

Konrad trampelte mit den Füßen. “Der in hielt N.v.Eihfiruth, IN. Rom.n. Nov. Stern des Glücks 1.

auf der Anhöhe und die Pferde Itampften ärgerlich den Schnee.

„Wenn die Herren nur werklich bei dem ludermäß’gen Schnee un’ der Mordsfälte reiten werden! philofophierte Bannfeufen in peffimiftifcher Anwandlung. „Über bie Schneife riber fin fe noch nich, mer mißte es ſonſt am auf: gebaddelten Schnee ſehn!“

Benedilta hatte fich aufgerichtet. und überflog ı mit dem Blick die ſchmale Ebene, welche fich zwiſchen den mächtigen Waldungen thalabwärts zog. Neugierig hob auch Marga das Näschen aus dem Belz und fchaute lebhaft um fich.

„Wenn die Jagd thatfächlich hier vorüber kommt, können wir fie vortrefflich ſehen!“ jubelte fie, wieder ganz und gar findliche Naivetät und Übermut. „O Himmel,

wenn fie nur nicht jo nahe bei uns fchießen wollten das kann ich um die Welt nicht hören!”

„Schießen? Herrjemerfch, heite wird ja reene gar nicht gejchoffen! heite ramenten. fe je blus höngerdordh bei'n Schweine !”

„Still Hört ihr nicht Hundegebell ?”

Pannkeuken lüftete haftig die dide Pelzmüte etwas von dem Ohr und ftredte lauſchend den Kopf vor.

„ee, nich'n Fippschen! 's 18 ja alles muttermeis- chenſtillel! —“ fchüttelte er vergnügt das pelzumftarrte Haupt.

„Doch! doch!! ganz fern aus dem Walde drüben!”

„süchtig! ein Signal! Die Wafjerfanfarel Sie werden den See umreiten!”

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„Nadierlichl abgepritſcht!! Se miſſen um See rum!“

„Wieder ein Signal bedeutend näher ſchon Ich höre auch die Meute dort unten in dem Hochwald!“

‚Mer mißte am Ende noch e bißchen: dort runter fahr'n!“ „Daß ſe uns in Dreck reiten wehrte Konrad, ſein Schweigen unterbrechend, lakoniſch ab.

„Nein, nein! hier ſehen wir's am beſten!“

„Da unten jagen ein paar Hunde ein Piqueur hinter ihnen! Sie fommen! |” „Hm den Biggör feh’ ich och wo aber de andern ſtecken Pot Deitchen! ich globe gar, je boden fo fachte oben beim Pfaffengraben rom’! Der Biggör verfriemelt fich och wieder in’ Holze!“

„Das Geläut der Meute und das Signal klingt ja plöglich ganz fern dort drüben!”

„Der Piqueur macht fehrt und jagt hierher !”

„Es ift ja gar fein PBiqueur! Ich erkenne den roten Nod der Barforcereiter !”

„Jetzt fauft er durch die Tannen

„Alle Wetter! Der is wohl reene Was kar⸗ johlt'n der ejal von eener Seite uff die andere?!“

Hochaufgerichtet ftand Fräulein von Floringhoven und jchaute dem Reiter mit ftarrem Blid entgegen. Sie, die jelbit eine vorzüglich gejchulte Neiterin war, erkannte, daß die Bewegungen des Pferdes feine beeinflußten, fon: dern vollflommen willfürliche waren. Auch der Sitz

des Jägers war fein regelrechter. 5*

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Pannkeuken grinſte. „Der Musje hängt och wie e Heifchen Unglick in’ Sattell Na, na, teen Porzlament nich! Ich ſeh's ſchon kommen, daß ’r die fcheenfte Srieh- Iing3lerche mitten in Jann'ware fchlägt!”

Ein leifer zitternder Aufichrei von Benediktad Lippen. „Herr des Himmels! Er bat ja die Zügel verloren! Da ift ein Unglüd paſſiert! Seht doch, feht, er ſinkt ganz vornüber!”

Das Pferd kam mit allen Zeichen wilder Flucht dem Schlitten entgegen geraft. Sein ſcheues Aufichnaufen und zielloſes Hin- und Herfchleudern ließen erkennen, daß feine fraftvolle Hand es mehr bändigte Wie an- gelodt von dem Anblid der Schlittenpferde verließ es feine Bahn längs des Waldes und jagte fchnurgerade auf den Schlitten los. Konrad griff mit eifernen Fäuften die Zügel und Pannkeuken ſprang haſtig zur Erbe.

Leichenblaß ftand Benedikta und verfolgte mit jtierem Blick jede Bewegung des Neiters, während Marga mit leifem Angſtſchrei dag Antlit auf den Muff drüdte.

„Er ſinkt! Er finkt feitlich vom Pferd!” fchrie Bene- dikta auf. „Barmherziger Gott! Helft, helft, daß er nicht gejchleift wird!” Schneller al3 der Gedanke, ehe nur Pannkeuken Hilfe leiften konnte, ſchwang fich die junge Dame aus dem Schlitten und ftürmte dem Pferd entgegen, welches durch die jählings veränderte Laſt des Reiters und dur die Wucht feines Niederfinfend nieder ge riffen wurde. Mit wildgeblähten Nüftern brach es auf die Vorderbeine nieder, wollte wieder empor, ftrauchelte

ANZ x ——

nl [4 n . BR. k

rinne des Ackers

tiefen Schnee

in einer

und ſank abermals

zuſammen.

#70,

Ehe es zum zweitennal empor fonnte, padten zwei kraft⸗ volle Mädchenhände die Treufenzügel und zwangen das aufbäumende Tier mit ſchier übermenjchlicher Gewalt zurück.

Pannkeuken folgte in atemlofer Haft feiner Herrin, er hielt den Durchgänger mit beiden Fäuften und fehrie ihm fein befchwichtigendes ‚Hu! jo! heu heul” in die Ohren. Schaum trat vor das Gebiß, der Kappe zitterte an allen Öliedern und jprang auf Die Füße.

„Halt ihn! Halt ihn um Himmelswillen feit, Pann⸗ feufen, der Zuß hängt noch im DBügell” rief Benedikta mit dunfelgerötetem Antlitz, wandte fich fchnell wie der Gedanke und löſte, nicht ohne Mühe und Anftrengung, den Stiefel des Reiters aus dem Steigbügel.

Ein Aufatmen der Erlöfung aus Todesangft. Gerettet lag der Bewußtlofe in dem tiefen Schnee. Pannfeufen führte das fchredende Pferd ein paar Schritte zur Seite. „Donner und Doria, Baroneßchen, das arme Luderchen wäre raddegal zu Marmelade gewercht, wenn Se nich de Geiftesjäjenwart gehabt hätten, den Nader hier zu faſſen!!“ lobte er ſchmunzelnd. „Was hat'n der Herr ejentlich in’ Sinne gehabt? Ei du mei Jeſſes ich globe wert: (ih Blut leift'n an Koppe runter!”

Beneditta hörte es nicht. Sie fniete neben dem Ver⸗ unglüdten und bettete voll zitternder Angſt fein Haupt in ihren Schoß. So gut es ging, trodnete fie das rinnende Blut von feiner Stirn.

‚Binde das Pferd an einen Baum und hilf mir, Pann- feufen I” rief fie leije.

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Und dieweil der Getreue ihrem Befehl Folge leiftete, winfte fie nach dem Schlitten zurüd: „Bitte bring mir dein Taſchentuch, Marga, meins reicht nicht aus!”

Bol fchaudernder Abwehr hob „das Kind” die Arme. „3 kann fein Blut ſehen!“ fchluchzte fie und warf ſich weinend auf die Pelzdecken nieder.

Fräulein von Floringhoven biß die Zähne zufammen. Sie verfuchte, jo gut es ging, ihr Tafchentuch um den Kopf des Verlegten. zu fchlingen, die Wunde vor der grimmigen Kälte zu jchügen. Das kleine Stückchen }piben- befegten Battiftes reichte nicht dazu aus. Ohne Befinnen riß fie den feidenen Shawl von ihren Kopf und jchlang ihn um das Haupt des Fremden. Ihr Blid ruhte wie gebannt an dem leblos jtillen Antlit auf ihren Knien, und wie fie in dieſe bleichen, blutüberjtrömten Züge ſah, da frampfte fich ihr Herz zufammen wie unter Todesqualen. Wie eine glühende, übergewaltige Flamme loderte es von diefem Herzen auf und füllte ihre ganze Seele, ihren ganzen Körper mit Feuergluten.

- Welch eine wunderfame Gewalt ging von diefem todes⸗ ftarren Antlitz aus? Die rätjelhafte, unbegreifliche und göttliche Allgewalt jener Sympathie, welche geheimnisvoll und rettung3log ein Herz in den Zauberkreis des anderen zieht.

Benedikta hatte es vorempfunden, daß dieſer Augen⸗ blick der Entſcheidung für ihr Leben kommen mußte, ſie hatte gezittert vor ihm, wie vor einem drohenden Unglück, und nun, da er ſeine unheimliche Macht auf ſie ausübte,

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mar e3, als löſe jich ihre Seele auf in einem Jubelſchrei unausfprechlichen Entzüdeng, eines Entzüdeng, in welches fih dennoch die Todesangſt der Verzweiflung mijcht.

Während ihre bebenden Hände des Bewußtlofen war- teten, hing ihr Blick wie in unerfättlihem Schauen an dem Antlitz des Fremden, welches ftill und ernit, jelbit in der ftarren Ruhe. der Ohnmacht, unvergleichlich edel und hoheitsvoll in ihrem Schoße ruhte. Bleiche, ſchmal—⸗ gefchnittene Züge, Lippen, um welche Wohlwollen, Liebens⸗ würdigfeit und ein Ausdrud beinahe feufcher Reinheit ihre unverfennbaren Linien zogen.

Mochte es der momentane Blutverluft jein, daß das Geſicht leidend und eingefallen ausſah oder wichen die tiefen, bläulichen Schatten unter den Augen, wenn Leben und Bemwußtjein zurückehrten? Ein dunfelblonder Schnurrbart Harmonierte mit dem Haupthaar, welches ſonſt wohl glatt und jchlicht, in dieſem Augenblid aber blutver- klebt und wirr in die Stirn hing, und die Hand, welche ge- frampft und leicht zudend niederhängt, ift ſelbſt unter dem Reithandſchuh fchlanf und fehmal wie die Rechte einer vornehmen Zrau. Will er immer immer noch nicht die Augen aufjchlagen ?

Bolt Hilfeflehender Angit blicdte Fräulein von Floring⸗ hoven auf Pannkeuken, welcher heraneilt und mit feinen ewig freundlich und gutmütigen Augen prüfend auf den Verunglückten blicte.

„Hätten wir doch irgend eine belebende Eſſenz, Pann⸗ keuken, daß wir ihn zum Bewußtſein bringen könnten!

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ſchwebt in äußerjter Gefahr, Pann—

yi Bra DU Die Kälte it zu groß er feufen I” |

Der Alte greift ſchmunzelnd in die Nodtafche: „Nur gemietlich bleiben, Baronegchen! Alles Verzweefeln Hilft da reene gar nilcht! Ans Leben geht’3 noch bei Leibe

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nich. Du Jemerſch! Da habe ich fe bein Dippler Schanzen jchlimmer bluten jehen! Da bier ..... was hätt! mer den hier? So'n Schnäpschen duht's och ſchon!“ und Bannkeufen neigte fich, hielt eine kleine Feldflaſche an die Lippen des Reiters und goß ohne Um⸗ jtände, etwas zwangsweiſe nachjchiebend, den Nordhäuſer in feinen Mund. Ein Zufammenzuden und tiefes Auf- atmen. Die Hände greifen wehrend in die Luft, und das Haupt regt ſich wie im Schauder.

„Sp . .nochemal, Musjüchen! Profit! . . Das wird Sie jchon uff de Beene bringen! Na, Gottlob... da wärn mer ja!!“ Der Gejtürzte xiß jählings die Augen auf, fein irrer, ausdrucksloſer Blid traf das geneigte Antlitz Benediktas. Mit leifem Aufftöhnen gab er fich einen Ruck und ftühte fich, wild um fich fehauend, auf den Ellenbogen. Er ſah fein Pferd, jah die weitverjchneite Ebene, jah in geringer Entfernung den Schlitten halten. Das Bewußtſein fchien zurüdzufehren, die Erinnerung fam blitartig wieder.

Ein leifer, gurgelnder Laut, er tajtet nach feiner Stirn und blidt auf das Blut, welches jeinen Hand- ſchuh färbt.

Dann finft fein Haupt abermals zurüd auf die Knie de3 jungen Mädchens, und fein umjchattetes Auge fchlägt fich voll auf. Benedikta neigt fich über ihn, Blid ruht in Blick, fo tief, fo feit und unauslöfchlich, als wolle er zwei Seelen für ewige Zeit verfchmelzen.

Dann fchauert die junge Samariterin leicht zufammen

und zwingt die Gedanken, welche ſo hohen, fernen Flug genommen, gewaltſam zu der traurigen Wirklichkeit zurück.

„Wo dürfen wir ſie hinbringen?“ flüſtert ſie weich.

Er will ſprechen. „Altenfähre“, lallte er, Bluts— tropfen perlen über feine Lippen, und mit leiſem Schreckens— ſchrei jchlingt Benedikta die Arme um ihn. „Schnell, Pannkeuken! Um Gotteswillen fchnel! Marga fol den Schlitten verlafjen ..... Der Verwundete muß jo bequem al3 nur möglich gebettet werden!”

„Daß auch keene Menfchenfeele von der ganzen Jagd— gejellichaft ſich herbemüht!“ grollte der Alte mit ſorgendem Ausblick über die todesftille Ebene. „Können Sie denn den fchweren Herrn tragen helfen, Baronefchen ?” Sice nickt haſtig; wie gebannt hängt ihr Blick an feinem Auge Er möchte fich verftändlic) machen, erhebt die Hand und ftrebt mit dem Oberkörper empor. „Gehen ... gehen... .” ftammelt er. Aufs Neue fidert Blut über die Lippen.

„Anmöglid .. .. Sie dürfen nicht gehen . . . Ihre Bruft —“ er deutet mit dem Finger nach dem Mund

. „Rur Zunge... . Nicht ſchlimm .. .” Und als er dazu beruhigend den Kopf fchütteln will, unfloren fich feine Augen abermals, das Haupt ſinkt ſchwer zurüd, und der fremde ruht in erneuter Bewußtlofigfeit in dem Arm feiner Retterin.

Pannkeuken ift während deſſen zum Schlitten gelaufen, er hebt die jchluchzende Marga heraus und breitet die Pelze und Deden ſorglich über die Polſter aus.

„Wenn Baroneß die Pferde halten wollen, kann ich ja den Herrn tragen helfen!“ ſagte Konrad.

Pannkeuken überfliegt mit ſchnellem Blick die morſche, gebrechliche Geſtalt des Alten. „Nee, nee kenn mer ganz alleene, Kunnrädchen!“ Spricht's und ſtampft eilig durch den Schnee zurück.

Benediktas ſchlanke Arme ſcheinen von Eiſen.

Sie hebt den verwundeten an dem Oberkörper, dieweil Pannkeuken ſeine Füße faßt, und trägt ihn keuchend bis zu dem Schlitten. Die ungewohnte Anſtrengung treibt pochende Glut in die Schläfen des jungen Mädchens. Schweißperlen rinnen von der Stirn und dazu pfeift der eiſige Schneeſturm um ihr ungeſchütztes Köpfchen. Niemand achtet darauf, Fräulein von Floringhoven am wenigſten. Eine ſchwere Mühe verurſacht es noch, den hilfloſen, wuchtigen Körper des Ohnmächtigen in den Schlitten zu heben. Dann hüllt ihn Benedikta voll zarter Sorge warm und ficher ein, Dieweil Pannkeuken auf ihren Befehl das Pferd des Jägers Holt und dem Schlitten anfoppelt. |

„Sp nun in Gottes Namen jo fehnell wie möglich nad Altenfähre, Konrad! Pannkeuken fährt mit Ihnen, falls Sie unterwegs irgend welche Hilfe brauchen.”

Der Getreue jchüttelt bedenklich den Kopf. „Und was ſoll aus den Damen derweil werden ?” |

„Bir gehen zu Zuß den Waldweg voraus. Ihr bringt den Herrn zum Jagdſchloß und folgt ung jo jchnell wie irgend möglich, um und wieder aufzunehmen.” Sie neigt

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fih näher zu Pannkeufen: „Wenn möglich, briug mir meinen Kopfſhawl wieder mit, Alter.”

„Jemerſch und du mei Herrgott! Ge haben reene gar niſcht ums Kepfchen, Baroneß!“ entjegte fich der Ge: nannte. „Wollen Se nich mei Belzfäppchen nehmen?”

„Damit du betagter Mann dir den Tod holſt!“ fie wehrt ihn energisch ab. Der Jugend fchadet fo etwas nidt, id will ja den Shaw! aud) nicht der Wärme wegen!” und ihre Berlegenheit bezwingend gibt: fie Konrad noch einmal haftigen Befehl —; „ſchnell ſchnell! fahr zu, was die Pferde zu laufen vermögen, der Schnee liegt Hoch, und das jchnelle Fahren erjchüttert nicht!

Der Kutjcher fchnalzt leife mit der Zunge an, und der Schlitten fliegt wie ein Schattenbild über die breite, weißverfchneite Thalfläche dem Jagdſchloß entgegen.

Stil ringsum totenftil. Der Lärm der Jagd ijt verflungen, tiefer Frieden liegt über der graudunftigen Welt, und die Stimme des Windes jchrillt allein wie bange Klage durch den laublojen Wald.

Hochaufatmend fteht Benedikta und ftreicht über die feuchtperlende Stirn. Eifiger Schauder riefelt ihr durch die Glieder, ihre Zähne fchlagen zufammen vor Kälte, fie achtet e8 nicht. Ihr Blick jchweift wie verflärt über die Welt, ala wolle er Himmel und Erde in unendlicher, grenzenlofer Liebe umfajjen.

Margas Hand legte fih auf ihren Arm und wedte fie aus dem träumerifchen Sinnen.

„Was fangen wir denn nun an, Benedikta !” grollt

fie mit weinerliher Stimme: „Es iſt ja ein entfeßlicher Gedanke, daß wir nun womöglich eine Stunde lang durch diefen kniehohen Schnee waten follen! Ich zittere jchon jet wie Eſpenlaub vor Kälte, wie fol das nun erft in einer Stunde werden |”

„Bir fchreiten tüchtig aus und erwärmen ung i Gehen!” I |

„Sie werben ſich eine fchöne Erkältung holen! Bei diefem graufigen Schneefturm nichts auf dem Kopfl Das ilt ja eine rafende Zdeel Das Waſſer läuft Ihnen fchon jebt aus den Haaren, und nicht mal ein trodenes Tafchen- tuch, um es Ihnen um die Ohren zu binden!”

„Ich fchlage den Pelzkragen fo hoch wie möglich! - Auch bin ich ſehr abgehärtet und reibe den Kopf tüchtig ab, wenn wir nach Haufe fommen I“

„Entſetzlich! ein ſolches Mißgeſchickl Warum fonnte nur das einfältige Kamel von einem Pferd nicht nad) einer anderen Gegend laufen!”

Ein jäher, leidenjchaftlicher Blik in Benediktas Augen. „Damit. er einfam, hilflos fernab im Walde läge und womöglich feinen Wunden und der Kälte erläge, ehe Rettung füme? Schämen Sie fih, Marga! für eine folche herzlofe Egoiftin hätte ich Sie. nicht gehalten |”

Das „Kind fchluchzt leife auf; ob aus Neue oder Ärger, ift nicht zu Tonftatieren. „Mein Gott, fo fchlimm meine ich e8 ja nicht, es hätte ihn ficher jemand anders gefunden! O, ich bin ganz elend von der Aufregung, ich, kann fein Blut jehen, und obwohl ic) gern den armen

9)

Menſchen angeſehen hätte, hatte ich doch nicht den Mut Dazu! War er noch jung?”

„Das läßt fich ſchwer jagen, ich glaube, ja!“

„Bar er hübſch?“

„Das läßt fich noch fchwerer jagen, aber ich glaube ja |

„Das würde noch ein Troft fein! Für einen jungen, hübſchen Mann bringt man jchon leichter ein Opfer! O Himmel, Ihr ganzes Kleid, der ganze Mantel ift ja naß zum Außringen! woher kommt das?“

„Ich kniete ein Weilchen im Schnee.”

„Shauelih! Sie find eine geborene barmhberzige Schweiter, ich für meine Berfon würde nie Talent für derartige Samariterdienfte haben!”

Benedilta widerjprach nicht, fie kämpfte fich ſchweigend durch den immer ſtärker daher braujenden Sturm. Ein paar Minuten fchritten Die beiden jungen Mädchen jchweigend nebeneinander her. Plöglich blieb Marga ſtehen und ftampfte mit den Füßen wie ein ungezogene® Baby.

„Ich kann nicht weiter I’ weinte fie, „ich bin todmübde | Man verfinft ja in dem Schnee und kommt nicht vor: wärts! O Himmel, wie foll das enden!”

„Es würde jehr gut gewejen fein, hätte Edert una begleitet!”

„Inwiefern?“ braufte die Kleine eigenfinnig auf.

„Sr würde Sie jet auf fein Pferd nehmen und Sie im Galopp nach Haufe bringen!”

„Und Sie? wo blieben Sie?”

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„Ich komme wohl noch aus eigenen Kräften heim!“

„Ja, wenn man ſo groß und ſtark iſt, wie Sie!“ klagte dag Elfchen wehleidig, „aber ich armer Liliput! 3h werde ja demnächſt felber fortgepuftet wie eine Schneeflode!”

„Geben Sie mir Ihren Urm, hängen Sie fich feft ein, ich nehme Sie gern in das Schlepptau.”

„Ach wie gut, wie gut Gie find! Ja, Benedikt, Sie find in allen Dingen fo gut wie ein Engel, und ih? o ich bin ein abjcheuliches, nichtsnutziges Ding! Ja, hätte ich Edert mitreiten laſſen!!“

Und wieder jchritten die beiden einfamen, fturmumtobten Mädchengeitalten durch den hochverjchneiten Wald. Es braufte und heulte im Geäft, hohe Schneewehen hemmten ununterbrochen den Weg, niederbrechende8 Gezweig tönte unheimlich durch den Dunkler und Dunkler werdenden Forſt.

Die Zeit verging.

Bitternd fchmiegte ſich Marga an ihre Begleiterin und verſteckte das Geficht in ihrem Ärmel: „Ich fürchte mich fo, wir find fo allein... ach und es wird jchon jo furchtbar dämmerig !”

„Der Schlitten muß uns ja jeden Augenblid einholen!”

„Ich höre noch nichts noch nicht eine einzige Schelle!”

„Do ...da... da vor uns... da Klingt etwas —“ .

„Richtig aber das tft nicht der Schlitten, es fommt und entgegen.”

81

Marga ſank vor Schreck beinahe in die Knie. „Bene⸗ dikta, wenn es Räuber wären!“

„Narrheit! wie kann ein großes, vernünftiges Mädchen ſo kindiſch ſein! Da kommt es ſchon . . durch die Zannen . . jehen Sie? Ein Reiter —“

„Sdert! Eckert!!“ wie ein Jubelſchrei Hang e2.

„Wahrlich, es ift der getreue Ekkehard!“

Marga riß fich los und lief dem „Unteroffizier in Civil” mit ausgebreiteten Armen entgegen: „Herr Edert! Ach Helfen Sie! retten Sie ung!”

Überrafcht parierte der Gerufene feinen Apfelfchimmel vor den jungen Damen.

„Algütiger Gott! wie fommen Sie zu Fuß hier: ber? Bei diefem Unwetter... . ganz allein?!“

Atemlos, ſich überfprudelnd in Erregung, erzählte die junge Sängerin ihr Erlebnig „wie ‚wir‘ den Neiter retteten, wie ‚wir‘ ihn in den Schlitten jchafften, wie ‚wir‘ ohne Befinnen felber zu Fuß gingen . .“

Fräulein von Floringhoven ftand jchweigend daneben und hörte lächelnd, welche Heldenthaten „wir“ vollbracht hatten. Dann fchnitt fie den Wortſchwall fchnell ab.

„Die Heine Sängerin von Gottes Gnaden verzweifelt vor Angft, Müdigkeit und Froſt! Haben Sie die Güte, Herr Edert, Fräulein Dallberg zu fich in den Sattel zu heben und fie fo ſchnell und ficher wie möglich nad) Haufe zu bringen!”

Namenloſe Berlegenheit malte ſich auf dem ehrlichen Geficht. Aber er verneigte fich voll gehorjamen —.

N. v. Eſch ſtruth, IN. Nom. u. Nov. Stern des Glüds I. 6

89

„ie Danke ich Gott, daß mich eine unbeftimmte Ahnung den Damen folgen ließ!” Und fich zu Marga wendend, lächelte er: „Willy jchlief nod), und die Flafche war noch niht warm genug, da konnte ich es fchon wagen, dem Schlitten nad) zu reiten |“

Sie biß ſich auf die Lippe und wandte das Köpfchen verlegen ab, Edert aber riß haſtig feinen Halsfhawl ab, und. reichte ihn Benedikta: „Baroneß find ohne jede Kopf: bededung, bei dieſem Wetter ein mehr als waghalfiges Beginnen |”

Bögernd griff Fräulein von Floringhoven danach. „Ich friere allerdings? gewaltig aber ich fürchte, daß Gie fih um meinetwillen erfälten werden —“

„Durchaus nicht, mein Tafchentuch ift reichlich ebenfo warm!” Er 309 das große, buntgemujfterte Seiden⸗ tuch aus der Taſche, deſſen fich in der Pegel nur ein Schnupfer bedient. Marga erblicdte es, nicht ohne ein heimliches Zucken des Spotte® um den Mundwintel, aber fie ließ es fich nicht im mindelten merfen.

„Wenn e8 Baroneß beruhigt, lege ich dieſes Tuch anftatt des Shawls um, obwohl e3 bei dem Pelzfragen faum nötig iſt. Was aber joll aus Ihnen werden, gnädiges Fräulein, wenn ich Fräulein Dallberg nach Haufe bringe? Sie kön— nen doch unmöglich allein hier im Walde zurücdbleiben ?”

„And. warum nicht?” lächelte Benedikta, „ich fürchte mich nicht. Außerdem muß der Schlitten ja bald fommen und mich aufnehmen. Ich bitte Sie dringend, Marga ichleunigft in Sicherheit zu bringen!”

Er .i0I,

„Ach ja, ſchnell, ſchnell! ich friere fol” bat das Elf: chen, welches im dicken Pelz und der warmen Kapotte gar nicht fo ausſah, als ob das möglich fein könne.

„Auf jeden Fall jchide ich fofort noch einen Wagen hierher!” richtete ſich Edert ftramm auf. „Wir wiffen ja, wo Baroneß zu finden find; irregehen ift auf dieſem Wege nicht möglih ...“

„Gewiß niht —! und nun Glüd zur Fahrt.”

Der Inſpektor neigte ſich, um die Dale Geitalt der Sängerin zu ſich empor zu heben.

Es deuchte Benedikta, als ob die Hände unficher zu: griffen, al3 ob ein Beben die Gejtalt des markigen Mannes erjchütterte. |

Daß fein Gefiht fich dunfelrot färbte, lag wohl au der momentanen Anftrengung, die Kälte legte heute wohl ihren Zinnober auf jegliche Wange.

Marga fürdhtete fich noch einen Augeublid.

„Können Sie mich auch) feit und ficher halten, Herr Edert?” fragte fie mit angſtvoll abwehrenden Händchen.

„So ſicher wie in Gottes Schoß!”

„Seht Ihr Pferd nicht etwa 2 durch, wie dasjenige des Barforcejägers ?”

„Mein gewiß nicht. Die Blanca ift lammfromm.”

„Schlägt fie aud) nicht aus?”

„Sie hat e3 nie gethan.”

„Kann fie und denn auch beide tragen?”

Da muß er lächeln. ‚Sie merkt e8 wohl kaum, daß

ihr Gewicht erhöht würdel” 6*

Und ... und ... ſitze ich denn da in dem Sattel auch bequem?“

„Marga, ſeien Sie nicht kindiſch!“ unterbrach Bene dikta in beinahe ſtrengem Ton: „Wenn Sie wirklich ſo ſehr frieren, iſt es Ihnen wohl gleichgültig, ob der Sattel bequem iſt oder nicht!”

„Hu, wie böjel a, ja, ich eile mich ſchon! Aber ich habe noch nie auf folch einem Vieh gejeflen ... Sch fürchte mich immer jo vor den Pferden Himmel, halten Sie mid) feit, Eckert!”

„Schlingen Sie Ihren Arm um mid) und halten Sie ſich feſt!“ Er vermochte faum zu fprechen.

„Mir wird ſchwindlig werden!”

„Schließen Sie die Augen und bergen Sie Ihr Ge: fihtchen an meiner Bruft.” Xeife, ganz leife fagte er e2.

„So, und nun in Gottes Namen!” Benedikta Hopft den Apfelfchimmel freundlich auf den Schenkel, und behut- jam, Schritt um Schritt, reitet Edert an.

„Ich Schicke fofort einen Wagen, Baroneß!“ ruft er zurüd.

Und dann verklingt der Hufichlag im weichen Schnee, nur ein angftvoller Auffchrei Margas, als fich das Roß in eine fchnellere Gangart ſetzte.

„Frieren Sie auch, Herr Edert?” fie jchmiegte fich fefter an ihn, die Kofetterie der Eva ward in „dem Kind lebendig.

„Nein. Warum follte ich frieren ?”

„Sie zittern.”

Er jchwieg verlegen, aber feine Bruft hob und jenfte fih unter ſtürmiſchen Atemzügen.

„Sie ſind gewiß recht böſe, daß Sie mich nun als Ballaft a

Br m E in tihB.,

=, 86

heimſchleppen müſſen?“ Sie neigt das Köpfchen zurück und lächelt ihn an.

Er beißt die Zähne zuſammen. „Ich reite genau in demſelben Tempo, als ob ich allein zurückkehrte. Willy wird jetzt erwacht ſein und nach mir rufen, ich erreiche ihn noch ſchneller, weil ich auf dem halben Wege ſchon Kehrt machen konnte.“

„Lieben Sie die Kinder wirklich jo abgöttiſch?“

„Ich habe nichts anderes auf der Welt, dem ich meine Liebe und Zärtlichkeit widmen könnte. Außerdem bin ich mir der doppelt ſchweren Pflicht gegen die armen, mutter⸗ loſen Würmchen bewußt.“

„Sie haben doch eine gute Kinderfrau.“

„Selbſt die beſte erſetzt keine Mutter.“

„Wird es Ihnen nicht langweilig, ſo viel mit den Kleinen zu verkehren?“ | |

„Wer das fragt, Tennt Elternliebe noch nicht.”

„Mein Onkel fagte mir aber doch, daß Sie Ihre Frau nicht aus Liebe, jondern nur aus Mitleid geheiratet hätten 2 .

Er zudte zufammen und murmelte etwa3 Unverjtänd- liches in den Bart.

„Bar Shre Frau hübſch?“

„Sie war brav und gut und liebte mich.”

„Alſo fie war häßlich. Gleichen ihr die Kinder troßdem ?”

„Sa und nein, mich erinnern fie oft an die Tote.”

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„Iſt Solch eine Erinnerung nicht läftig 9

„Suwiefern? Mein Gewiljen, der Verewigten gegen über, ift rein und frei. Ihr lebte Wort war ein Segen3- wunſch für mich, die Verficherung, daß ich fie unendlich glücklich gemacht.”

„Und dennoch liebten Sie diefe Frau nicht. Wie groß muß Ihr Pflichtgefühl und Ihre Treue fein! Mein Himmel, da3 fann man fich faum vorjtellen. Wenn Sie aber nun eine andere Frau heiraten wollen, follte da dieſes ‚Erinnert werden‘ an die erjte nicht läſtig fallen?”

Er wandte den Kopf weit zur Seite. „Ich werbe auch dann dag Andenken der Mutter meiner Kinder heilig und wert halten, aber... ich ... ich heirate nicht zum zweitenmal.”

„Barum nicht?”

„Fragen Sie mich nicht danach.”

„But, ich werde ſchweigen.“

Der Apfeljchimmel trabte durch den dämmrigen, ver: Schneiten Wald, und Marga barg jchügend ihr Gefichtchen an der Bruft eine® Mannes, in welcher es nod) viel heftiger jtürmte, als wie hier draußen in dem wetter: durchtobten Tann.

Allein, mutterjeelen allen.

Benedikta ſchaute nicht rechts noch links, fie fchritt un- befümmert um das Ungemach, welches fie bedräute, durch die wirbelnden Flocken dahin.

Ihr ftarrer, leuchtender Blid war ins Leere gerichtet.

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Sie ſchaute die wülten, unftät ziehenden Wolfen an, und ah doch nicht, fie laufchte dem Saufen und Schrillen des Sturmwindes, und hörte es doch nicht.

Eine halbe Stunde mochte vergangen fein.

Ihre durchnäßten Kleider froren zu Eis an ihrem Körper, in den ſchwarzen Haaren flimmerten die Heinen Kryftalle und legten ſich kalt, unaufprechlich Talt auf dag Haupt.

Gie bemerkte es nicht. .

Schneeflumpen ballten fi) unter ihren Füßen, fie glitt und ftrauchelte, tiefer, immer tiefer verjant fie in dem Schnee.

Shre Gedanken weilten fernab in einem traulich warmen Gemach des Jagdſchlößchens Altenfähre. Ihr geiftige8 Auge fchaute über Raum und Ferne. Sie fah. wie ein bleicher, bewußtlojer Mann voll Sorge und Angit emporgetragen wird auf fein ftille8 Lager.

Er fchlägt die Augen auf er hält alles, was er erlebte für ein Wahngebilde des TTieberd. Die Jagd —, den unglüdlichen Ritt —, das große, jchwarzäugige Mädchen, welches ihn barmberzig im Schoß gehalten.

Und dann greift er nach dem Haupt und fühlt den feidenen Shawl. Er löſt in ab —, er fieht ihn an —, lange, lange, da3 feine, weiche, weiße Seidengewebe, auf welches fein rinnend Blut rote Roſen gemalt.

„Dem gehört dieſes Tuch? Wer war meine Retterin?” will er fragen, aber er kann e3 nicht, rote Tropfen perlen abermals über feine Lippen.

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90

Der Arzt kommt und unterfucht haftig die Wunden. Cr lächelt und verbindet fie mit freundlichem Zufprud). Dann ein paar ſtärkende Tropfen, ein behagliches Betten, und die Schönen, finnend ernſten Männeraugen fchließen fich zu erquidendem Schlummer.

Menn er erwacht, ift der weißfeidne Shawl von feinem Bett verfchwunden, er jieht ihn nicht mehr und gedenft feiner nicht mehr. Es war alles ein Traum, die Jagd fein Sturz vom Pferde, das große, dunfeläugige Mädchen, welches die bebenden Hände auf feine Stirn gelegt und ihn fo lange, lange durch Thränen ange Ihaut hat.

Benedikta krampft die eisfalten, erjtarrten Finger in dem Muff zufammen, fie lächelt.

Wenn er dem Leben erhalten bleibt, wenn er recht: zeitig gepflegt und gerettet in Altenfähre genejen wird, fo it eg ihre That.

Sein Bild ſchwebt vor ihr; fie fieht nichts anderes mehr al3 das fo eigenartig feſſelnde, hoheitsvolle Antlig, das bleiche, todesftarre, mit den weitgeöffneten Augen, deren Blick regung3los in dem ihren geruht.

Und fie ftarrt wie eine Trunfene in die Augen und wankt weiter durch Schnee und Sturm.

Seltſam die Augen tanzen vor ihr ber, werden große, dunkle Flecken, um welche blutroter Nebel wallt, fie wirbeln Hin und ber, wie die windgejagten Floden, fie dringen riefengroß anwachſend, auf fie ein und legen fich wie ſchwarze Schatten über fie. Bentner:

laften werden es. Gie finfen nieder und drüden auf ihre Bruft zermalmend jchwer ſie kann faum noch atmen.

Wie Eis riefelt es durch ihre Adern nur im Kopf, da glüht und hämmert und fauft und brauft es Nacht, dunkle Nacht wird es um fie her.

Wirr um fich taftend greift die einfame Wanderin in die Luft Schneefloden Sturm er rajt über ihre ſchlanke Geftalt und drückt fie nieder auf die Knie. Horh . . Stimmen? feine Stimme? Nein, e3 iſt Slodenton.

Der Schlitten! endlich endlich).

92

Mit letzter Anſtrengung rafft ſich Benedikta zuſammen.

Sie preßt die Arme gegen die Bruſt und ftarrt ihm ent- gegen. Wie ein Schattenbild fliegt er heran.

Sie hört Pannkeukens Stimme, aber fie veriteht nicht, was er fagt. Sie ſinkt mit gejchloffenen Augen in feinen Armen zufammen.

Noch fühlt fie, daß er fie in den Schlitten hebt, weiche Felldecken ſchmiegen ſich um fie, und dann ift es ftille, dunkle Nacht.

gr

IV.

ean ſtand im Anfleidezimmer Seiner Excellenz und blidte wohlgefällig auf den jeidenglänzenden rad ih nieder, wel—

chen er ſoeben mit zahllofen Drden „übers jät” Hatte. Steen und Kreuz, welche am breiten Band um den Hals getragen VE werden, liegen jeıtlich auf dem Xoilettentifch, das Etui mit der herr: lichen Brillantnadel, einem Geſchenk des rufjischen Kaifers, harrt daneben feiner Verwendung, ebenjo die weiße Kra— vatte, Handjchuhe, Parfüm, Taſchentuch Sean hat an alles gedacht.

4

Er muß e3 aud), fein Herr denkt an nichts mehr; er it wieder zum Baby geworden, welches von getreuer MWärterhand gepäppelt und gewartet werden muß.

ALS Sean die Vorbereitungen beendet, meldet er es in das „Arbeitszimmer, wo Excellenz im Lehnituhl fibt, und, ein kurzes Pfeifchen im Mund, in das Schneegeftöber hinausträumt.

„Anziehen ſoll ich mich, Sean 2“ wiederholt er apathiſch.

„Es iſt die höchſte Zeit, Excellenz.“

„Hm... du mußt es ja wiſſen, Jean.“

Auf den Arm ſeines Faktotums geſtützt, erhebt ſich der alte Herr und ſchreitet in das Nebenzimmer. So wie er es ſtets gewohnt iſt, nimmt er vor dem Toilettenſpiegel Platz, und der Kammerdiener waltet ſeines Amtes. Ex⸗ cellenz iſt zerſtreut. Sonſt hat er ſtets eine kleine Unter⸗ haltung geliebt, heut ſchaut er wortkarg in das geſchliffene Glas und iſt mit allen Gedanken bei einem neuen Handels? vertrag, über welchen ihm Benedikta am Vormittag aus der Zeitung vorgeleſen.

Mechaniſch läßt er ſich anziehen.

Die gleißende Pracht der Ordensſterne auf dem Frack ſticht ihm momentan in die Augen und regt für eine Sekunde fein Intereffe an.

‚le diefe Orden, Sean? St das nötig Br

„Jawohl, Excellenz, es ijt nach der Vorſchrift.“

„Hm du mußt e3 ja willen, Sean.”

„Excellenz können ſich auf mich verlaffen.”

296

Der ungewohnte Anzug geniert den alten Herrn ein wenig. Er ſeufzt und blickt zerſtreut an ſich nieder.

„Iſt es denn ſo notwendig, das ich zum Diner muß, Jean?“

„Ich würde es Excellenz nicht zumuten, wenn es nicht eine abſolute Unerläßlichkeit wäre.“

„Hm, wegen Benedifta . . . Ich verſtehe ... Das Kind ift groß geworden gut, gut, ich fahre jelbitverftändlich zum Elfen .. .. noch mehr Orden umbinden? Hm... du mußt e3 ja wilfen, Jean.’

In aller Ruhe und Bequemlichkeit ift die Toilette be: endet. |

Der Getreue blidt ungeduldig zum Fenſter hinaus, fo oft wie er an der großen Spiegelfcheibe vorüber gebt, und dann fliegt fein Blid nach) dem Zeiger der Heinen Rokokouhr, welche filberhell von dem Kaminſims übertickt.

Excellenz hat ſich wieder in den Seſſel zurückgelehnt und träumt weiter von dem internationalen Handels⸗ vertrag, während Sean voll nervöſer Unruhe auf den Klingelknopf drückt.

Die Jungfer Benediktas erſcheint im Nebenzimmer.

„Iſt Konrad noch nicht mit dem Schlitten zurück? Es iſt die höchſte, allerhöchſte Zeit, Excellenz muß fahren!“ flüſtert Jean, mit der Rechten ſein weißes Haar zu einem Krafehlichopf über der Stirn aufiträubend, was er nur thut, wenn er jehr alteriert ift.

Sophie bleibt fehr gelafjen: „Die Equipage fteht fir

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und fertig angeſchirrt, Hannöfel traut es fih auch gern zu, Ercellenz zu fahren, wenn Konrad nicht zur Zeit zurüd fein ſollte.“

„Hannöfel? Sollte ihn auch der Teufel holen, wenn die alte Trahntute nicht mal eine Stunde Weges weit fahren könnte!”

„Fahren Sie nicht mit, Herr Jean?”

‚ein! Was foll ich ftundenlang da in der Gefinde- ftube fien und Maulaffen feil bieten! Ich habe mit dem Rammerdiener des Herzogs alles Nötige verabredet, wie er den Minifter zu bedienen hat. Abends fahre ich natürlich Hin und hole Excellenz ab.”

„So kann wohl Hannöfel die Livree anziehen?”

Sean zog die Uhr und Happte fie umftändlih auf. Er zeigte fie gern, denn fie war fchwer golden und trug auf der Kapfel die eingravierte Injchrift: „Meinem ge= treuen Sean zum 25 jährigen Dienftjubiläum.” Nachdem er fie genugfam vor Sophies Augen hatte glänzen laffen, feßte er fich in Pofitur.

„Der zweite Kutſcher Hannöfel fol fich umgehend den großen Livreepelzmantel, große Garnitur ſowie den Treffen- hut mit Kokarde aufjegen und unverzüglicd mit der Equi- page vorfahren.”

Sophie nicte gelaffen zum Einverftändnis; fie war dem Sprecher nicht jonderlic) gewogen und behauptete, Jean fei in allen Dingen Excellenz und Ercellenz in allen Sean! Aber ein offizielles Opponieren dagegen war leider unmöglich, denn jo lange, wie der alte Herr lebte, jtand

zu, ON

jein Kammerdiener auf der Kommandobrüde von Floring⸗ hof. Wie lange noch? Der Minifter jteht wohl fchon mit einem Fuß im Grabe, und wenn er erſt die Augen gefchloffen, und Benedikta dag Erbe antritt, dann liegen die Zügel in Weiberhänden, und dann iſt auch Sophies Stunde gefommen, wo fie mit einer goldenen Uhr in der Hand vor Monfieur Jean ftehen und, aufgeblafen wie ein Froſch ihrerfeit3 die Befehle erteilen wird.

Diefer Zufunftsgedanfe war das Beruhigungsmittel, welches jedesmal gute Wirkung ausübte, wenn der biederen Alten die Galle in das Blut treten wollte.

Sean Itand am Fenſter und erachtete e8 al3 perfün- liche Beleidigung, daß der Schlitten mit den Damen nod) immer nicht die Parkallee entlang geflingelt fam. Statt deſſen quietjchte die große Galafaroffe durch den tiefen Schnee vor die Freitreppe und Hannökels rungliges Ge- fiht hob fich fpähend nad) den Fenſtern.

Er gehörte auch zu jenen-landezüblichen Phlegmatifern, welche den armen Sean durch unverwüftliche freundliche Beichränftheit zur Raferei bringen Tonnten. _

Wann mag Excellenz unter Führung diejes Roſſelenkers ın Altenfähre ankommen? Wenn nicht heute, dann morgen, denkt Hannöfel.

Schritt für Schritt, hübſch pomadig und dufelig wie alle Gedanken im Haupte des guten, alten Stieſels wird die Schnedenpoft ihr Ziel erreichen!

Sean könnte bei diefem Gedanken aus der Haut fahren. Er, der bewegliche, flinfe Aheinländer fann Ni abjolut

N. v. Eſchſtruth, Ill. Rom u. Nov. Stern des Glücks I.

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nicht in die ſchwerfällige Umſtändlichkeit dieſer Gut3- und Dorfbewohner finden.

Aber gerade das Bewußtjein, Excellenz ſehr langjam expediert zu fehen, veranlaßt ihn, feinen Gebieter wohl oder übel zu der Equipage hinab zu geleiten.

Es ift die allerhöchite Zeit, ſoll der Herr rechtzeitig an der Tafel des Herzog3 erjcheinen.

Hannöfel figt fteif und grapitätijch auf dem Bock und glogt nur mit einem Auge über den hohen Belzkragen Hinweg, um dem Einfteigen feine Herm und Gebieters zuzujehen.

Excellenz folgt willenlos wie ein Kind.

Sean widelt ihn in Pelze, legt die Wärmflafche unter die Füße und fieht die Fenſter nah. Dann jtreift er feinem Herrn noch warme Fäuſtlinge über die weißen Glacés und tritt mit einer Verneigung zurüd.

„Alles in Ordnung, Excellenz.”

„Hm... ich glaube wohl; du mußt es ja willen, Sean.”

„Zufahren!“

Hannökel zuckelt ein paarmal an den Zügeln, und... quietſch quietſch ... mahlen die Räder durch den hart- gefrorenen Schnee. Jean ſieht ihm mit nervös blitzenden Augen nach.

„Ein bißchen flott fahren, Hannökel, es iſt bereits ſehr ſpät geworden!“ ruft er.

Der Cylinder auf dem graubuſchigen Kopf macht eine undefinierbare Bewegung nach vorn. Das bedeutet Zu:

=>: 96.

Stimmung, obwohl Hannöfel den Kopf nicht zurüchvendet, weil e3 ihm zu umftändlich deucht.

„Sin Pferd kann nur fo toll laufen wie e3 eben kann“, philojophiert er, jchnalzt mit der Zunge und biegt, ohne fih und die Roſſe anzuftrengen, in die Parkallee ein.

In Jeans Fingerſpitzen kribbelt eg, aber er wirft nur einen anflagenden Blie zum Himmel, Klappt fich leicht vor die Stim und eilt leichtfüßig in das Schloß zurüd; die Kälte hat ihm die Ohren gejäumt, und er haftet in das Arbeitszimmer feines Herrn, ſich bei angenehmer Lel- türe und einer Taffe Kaffee zu erwärmen.

Eine Viertelftunde mag vergangen fein, da rufen verfchiedene Stimmen wie in höchſter Erregung feinen Namen.

Sean fchnellt auß dem Sefjel empor und eilt zur Thür.

Sophie flattert ihm händeringend entgegen, hinter ihm die Mamfell.

„Herr Sean! Herr Jean! Kommen Sie jchnell an das Portal! Excellenz hält unten an der Treppe!”

„Excellenz?! Seid ihr toll geworden, ihr Weibg- leute? Nappelt3 bei euch!”

Sean ift ganz blaß vor Schreden.

‚Mein, nein, er it es wahrhaftig!”

Der Kammerdiener jtürzt zur Thüre: „Sit etwa ein Unglück paffiert ? !”

Sophie wagt e3 zu lächeln. ‚Nein durchaus nicht, Creellenz und Hannökel wollen Sie nur fprechen !”

7*

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Sean fauft die Treppe hinab und fteht einen Augen- blick fpäter atemlo8 vor der Equipage.

Das Geficht des Kutſchers wendet ſich ihm mit kam: lihem Grinfen zu, das müde, ausdrudsloje Geficht des alten Herrn neigt fich kläglich an die Scheibe.

„Sean, lieber Jean... Du haft ja ganz vergeffen und zu jagen, wo wir eigentlich hinfahren follen ?

Das Faktotum fteht da wie vom Donner gerührt.

„Hm . . bis nieder and Grummholz war’ch fchon ge⸗ fahren aber Excellenz meente er wißte ’3 ejendlich felber nicht recht, wo mer hinfahren follten!” berichtet Hannökel freundlich und gemütlich wie ftet3.

„Eſel!“ ringt es fich haltlos, feuchend, empört aus Sean? Bruft.

Der Kopf feiner Excellenz ſchrickt jählings, fchuldbe- wußt Hinter der Scheibe zurüd. Hannökel dudt fich als habe ein Fauſtſchlag unvermutet den Boden jeines Cylinder- hutes getroffen.

„Warten! ich fahre mit!” donnert Jean, ftürzt zurüd, erjcheint wenige Minuten fpäter in Pelz und Hut, ſchwingt fich auf den Bock neben den entjeßten Hannöfel und reißt die Zügel an id).

„Marſch vorwärts! —“ Tommandiert er, läßt Die Peitſche wie ein Hageljchauer auf die Füchfe niederfaufen und rollt im flotteften Tempo, wie von dem Sturm ge: blafen, mit feinem Herrn dem Jagdſchloß Altenfähre zu.

Während deffen näherte ſich Hufſchlag auf dem Waldweg. Ad Marga die Schloßtürme auffteigen ſah,

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stieg auch ihr Mut und ihre Laune um ein Beträcht— liches.

Sie verleugnete ihren Spignamen „das Kind“ aud) jetzt nicht.

Gleich wie ein unartiges Baby fehr zahm und ges fügig wird, wenn es ſich allein und geängftigt im Dunkeln befindet, griff auch Marga jchmeichelnd und liebenswürdig nach einer Hand, welche fih ihr rettend und ſchützend entgegen bot, ohne lange zu fragen, ob es für gewöhnlich auf ihrem Programm ftand, diefe Hand fortzuftoßen. Jetzt, wo der erſte Lichtfirahl in das Dunkel fiel, und das Ge- fühl wiederfehrender Sicherheit ihre Lebenzgeifter anregte, wo die auftauchenden Schloßtürme ihr die Nähe der Heimat garantierten, glich fie abermals dem Kind, welches fid undanfbar und ungezogen von der leitenden Hand losreißt, wenn es fich in Eicherheit wähnt.

Die Sängerin hob aufatmend das Köpfchen.

„Wenn nun Ihr Herr Sohn fchilt, daß der Bapa fo eigenmächtig war, ohne Konſens auszureiten?“ hob fie von neuem an, und diesmal Hang jchon verfchleierter Spott durd) ihre Stimme.

Edert war viel zu erregt und mit feinen eigenen Ge- danfen beichäftigt, um es zu bemerfen. Er lächelte.

„Ich werde mir alle Mühe geben, den Kleinen Mann Schnell zu verfühnen!” fagte er gutmütig.

„Sie verziehen Ihre Kinder in geradezu unerlaubter Weifel Glauben Sie, daß jo etwa gute Früchte trägt? Ein Junge muß ftreng jehr ftreng ja

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mit eiferner Strenge erzogen werden, fonjt wird nichts aus ihm!”

Er lächelte noch mehr: „Wirklich? Die Anfichten darüber find fo verjchieden. Ich bin ein einfacher, fchlichter Mann und Tenne mich nicht auf die modernen Erziehungs⸗ theorien aus, aber ich bin ein guter Ehrift und weiß... daß „die Liebe die größte unter ihnen” if. Was Liebe nicht ausrichtet, erreicht auch die Strenge nicht.”

„Sin guter Chriſt?“ Marga bog das Köpfchen zurüd und blicte ironisch in fein freundliches Geficht empor. „Dann kennen Sie doc) wohl auch das Bibelwort: „Wer fein Kind Tieb hat, der züchtigt es?“

Er ward plöglich ernjt. „Gewiß fenne ich es. Ich Itrafe jede Unart. Die Rute ftedt drohend Hinter dem Spiegel.”

Sie lacht leife auf. „Sie ftedt und ſteckt und bleibt ſtecken, bis der Staub fie zudedt!”

„er jagt Ihnen das, Fräulein Dallberg ?”

„Meine eigenen Augen.”

„Was jahen diefelben? Thatfähli Staub auf den Birkenreijern?”

„Moraliſchen wenigftens! Ihre Liebe ift Schwäche, große, unmännliche, beflagenswerte Schwäche! Ich be greife nicht, wie ein herfulifcher, energifcher Mann fich von zwei Liliputs in Windelhöschen derart tyrannifieren laffen kann!“

Er zudte leicht zufammen, aber er blieb vollfommen ruhig. „Sie tyrannifieren mich nicht. Was ich für die

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Kinder thue, ift das Ergebnis meines ureigenften Willens. Ich habe fie lieb, fie zu hegen und zu pflegen ift meine Freude und Erquidung. Sch habe Sinn und Herz für Kinder, ich erniedrige mich nicht in ihrem Dienft, Sondern erhebe und erbaue mich. Ich für meine Perjon haſſe die rohe und brutale Art von Vätern, welche mit Liliputs in Windelhöschen‘ ſchon abrechnen wollen, wie mit großen vernünftig denfenden Menſchen! Mag vor: läufig noch) Staub auf der Rute liegen ich fchäme mich defjen nicht, denn die Liliput? in Windelhöschen‘ thuen vorläufig weder etwas Unrechte® noch etwas Schlechtes, und nur für Bösartiges oder Schlechtes werde ich meine Kinder züchtigen. Ein wenig Eigenfinn, ein beſchmutztes Schürzchen, ein zerbrochener Gegenftand find nicht der Rute wert. ch habe mich überzeugt, daß ich durch Tiebevolle8 Zurechtweilen und Zureden ebenſo weit, wenn nicht weiter komme.”

„Run, das iſt eben Anfichtsfache. Ich für meine Perſon finde ein ſolches Glaubensbekenntnis im Munde einer jchwachen, verliebten und zärtlichen Mutter wohl begreiflich und entſchuldbar, bei dem Vater, einem Mann, welcher in allen Dingen, felbft in der Rinderftube ein ‚Dann‘ fein fol, imponiert mir folch weichliche Senti-- mentalität durchaus nicht. Nehmen Sie mir dieſe Offenheit übel, Herr Edert?”

„Nicht im mindeiten.” Sein Antlit ward felbft unter der Nöte des Winterfroftes bleich. „Man muß in allen Dingen des Lebens auf Widerfpruch gefaßt fein und fich

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damit abzufinden willen, mit feiner Anficht allein zu ftehen. So unbegreiflich), wie Ihnen mein Handeln jebt ericheintz jo unfaglich find mir Ihre Worte im Munde einer Dame. Ich war der Anficht, daß es jede rau entzüden und beglüden müſſe, ihre Kinder als Inbegriff aller Liebe und Zärtlichkeit des Vater zu jehen. Meine Mutter hat mir oft verjichert, jeder Schlag, den wir von Vaters Hand erhielten und wenn er ſehr wohl verdient gewejen habe ihr doch jtet3 weher gethan wie uns. Sie find noch unverheiratet, Fräulein Dallberg, Sie fennen Mutterliebe noch nicht und fprechen wie die Blinde von der Farbe. Es ijt mir herzlichit leid, daß Sie eine ſolch wenig gute Meinung von mir haben, aber jelbjt um den Preis, Ihnen zu imponieren, werde ich nie meine Anfichten oder mein Benehmen gegen meine Lieblinge ändern.”

Sie warf fchnippifch das Näschen zurüd. „Ich habe mir auch durchaus nicht eingebildet, aus Ihnen einen Projelyten meiner Theorien zu machen. Ich bin Ihnen von Herzen dankbar für Ihr hilfreiches Geleit und bitte Sie, mich in der Nefidenz zu bejuchen, damit ich Sie en revanche für dieſen Spazierritt in einer Drofchte eriter Güte fpazieren fahren kann. Und nun bitte id) Sie, zu halten. Wir find am Parkthor, ich möchte diefes Heine Stücdchen zu Fuß gehen.”

Er hielt da3 Pferd ſofort an. Seine Lippen bebten unmerflih. „Ich erlaube mir, Sie darauf aufmerkfam zu machen, daß jujt hier in der Allee der Schnee fehr hoch liegt und die Paſſage ſehr erjchwert iſt.“

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„Stleichviel. Die Allee wird von dem Hofe aus über: blickt, und ich möchte Doch nicht den Leuten den Anblid unferer fchönen Sluftration zu dem ‚geretteten Königs- find‘ gewähren!”

„Der Anblick ift durchaus fein häßlicher!“

„Aber ein allzu origineller für die fpießbürgerliche Gefinnung diefer Provinzler!”

„Sie mögen wohl Recht haben.” Worfichtig, wie man ein zerbrechliches Püppchen anfaßt, nahm Edert „das Kind” in feine großen, derben Landmannshände und hob fie behutſam zur Erde.

Sein Gefiht ſah fehr ruhig aus, nur um den Mund ging ein leiſes Beben. Er fchaute fie jo lange und re gung3los an wie immer, ſchweigend, weil auch fie ſchwieg. Marga ftampfte ein paarmal mit den frofterjtarrten Füßen und ftüßte fi) momentan auf den Sodel des Parkthores.

Dann flutete neues, warmes Leben durch die ſteifen Glieder. Sie bot ihm mit überraſchend freundlichem Blick die Hand empor. „Ich danke Ihnen, Herr Eckert, für dieſe Hilfe in der Not, Sie waren ſehr liebens⸗ würdig zu mir! Bitte, gedenken Sie nun auch der armen Baroneß und jchiden Sie jchnell einen Wagen zu ihr hinaus!”

- Er Hatte ihre Hand flüchtig ergriffen und ließ fie nun ichnell wieder los, um falutierend an die Pelzmübe zu greifen. Er verneigte fich in ftummem Gruß und drängte das Pferd zurüd.

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Während Marga mit noch immer unficheren Schritten durch das Thor trat, wendete er den Apfelichimmel und trabte auf furzem Umweg direkt in den Wirtſchaftshof.

Der Blik der jungen Sängerin hatte ihn beobachtet. Ein jarkaftifches Lächeln zucte über ihr hübſches Geficht. Wie manchmal hatte fie im Tiergarten oder Tatterjall gefehen, wie die Neiter ihre Pferde kurz zujammenriffen, Sporn gaben und davon fprengten, Edert aber hatte auch dem wohlgenährten Saul gegenüber diefelbe Zartheit der Behandlung, wie bei feinen Kindern.

Die Sporen hatte „Blanca” wohl noch nie gejpürt und die Neitgerte ebenjowenig, wie Willy und Gretchen daheim die Rute!

Welch ein Bofjenfpiel der Natur! In einen Körper, hoch, ſtramm, bärenhaft ftarf und trußig, hauchte fie eine Seele, jo ſchwach, weich und weibiſch, wie bei einem lyriſchſt beanlagten Mägdlein!

Marga liebt einen derartigen Männercharakter nicht! Sie hat ſich ihr Ideal ſtets voll rauher, jeder Sentimen⸗ talität fremder Mannhaftigkeit gedacht. Lieber zu ſchroff, wie zu zart, lieber zuſchlagen, wie ftreicheln! Das würde ihr imponieren. Es lieſt fich fo gut in Romanen von jolh troßig rauhen Helden, welche die ganze Welt mit eifernen Fäuſten paden und jchürteln und dann zum Schluſſe doch das Haupt mit der Löwenmähne fein demütig und lammfromm auf den Schoß der Geliebten neigen! Ä Roman war ein derartiger Charakter. Ein Titan!

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Marga Hatte es voll fcheuer Bewunderung mitan- gefehen, wie er vol Wut über eine Nachläffigfeit des Orcheiter3 feinen teuern Geigenbogen in Stüde brach wie ein Schwefelholz! Sie hatte e8 erlebt, daß er fein Tafchen- tuch zerfegte in maßlojfem Zorn, daß er bleich vor In— grimm einem Sänger mit geballter Fauſt gegenüber jtand.

Er Elopfte einmal feinem Bernhardinerhund felber mit: leidig den Rüden. „Das arme Vieh frißt ein faures Brot bei dem Künftler Ermönyi! Er ift der Blikableiter meiner fchlechten Laune und muß manchen Fußtritt auf: fangen, der eigentlich einem anderen gilt. Hundelos! Wa3 hat folch elendes Gejchöpf anderes vom Leben zu erwarten, als behandelt zu werden wie ein Hundl!!“

Und dann hatte er felber von feiner Jugend erzählt, wie oft die wilde Leidenschaftlichkeit des Künſtlers fchon damal3 über ihn gekommen fei, daß er fich auf ein Pferd geworfen und wie ein Wahnfinniger meilenweit durch die Pußta gejagt fei, bis fein Pferd blutend und halb tod unter ihm zufammengebrochen feil Dann wäre er zur Vernunft gefommen. Aber manches Roß habe er dabei zu Schanden geritten!

Wie intereffant war das! Wie unheimlich Schön war der Sprecher dabei anzufchauen, mit den ſchwarzen Augen, aus welchen noch jebt das Feuer ungezähmter Wildheit ſprühte, mit den jchlanfen, weißen Händen, . welche bei der kleinſten Erregung wie im Fieber zitterten!

Und er, diejer ungeftüme, zügelloje, himmelanſtürmende Niefe der Kunſt, lag zu den Füßen „des Kindes” wie

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ein geduldiges Spielzeug, welches ihre kleinen Hände tändelnd zaujen, wie ein Adler, welcher ſich flügellahm und demütig vor dem Täubchen in den Staub dudt!

Was kann einem eitlen, hübjchen Mädchen mehr jchmeicheln, als, Fraft feiner zauberhaften Nähe, den Tiger in ein Zamm zu wandeln?

Und Marga war eitel, grenzenlos eitel. Gie war auch verwöhnt und eigenwillig, fie verlangte, daß fie von Jedermann auf Händen getragen werde, fie verlangte die zartejten, liebevolliten Rückſichten, weil fie feit Kindes: beinen auf daran gewöhnt war, die Menjchen Durch ihre Schönheit und Anmut wie Huldigende Sklaven zu be- berrjchen.

Welch ein Triumph aber war größer, als wie der, Roman Ermönyi, den Braufefopf, den Leidenjchaftstollen, den Rückſichtsloſeſten aller Künftler fo ganz und gar wie Wachs zwilchen den Fingerchen zu kneten?

Marga atmete mit leuchtenden Augen hochauf. Sie eilte ungejtüm dem Schloß entgegen, in Defjen riefig großem, linken Seitenflügel die a des Gutspächters ein- gerichtet war.

Herr Dallberg war ein älterer Mann, wie er e3 notwendig fein mußte, wollte er auf dem „Betrefaktenhof” exiftenzberechtigt fein —, welcher mit feiner Fränklichen Frau fehr ſtill und zurüdgezogen in der Einjamfeit dieſes Landſitzes lebte.

Da die Ehe anfänglich kinderlos geblieben, war Marga, die Jungverwaiſte, ſchon in ihren erſten Lebensjahren

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von dem vortrefflichen Ehepaar aufgenommen und mit größter Liebe und Zärtlichkeit wie ein eigenes Kind er- zogen. Als nach fünf Jahren plöglich der Klapperſtorch Einfehr hielt und den entzücten Eltern einen prächtigen Zungen in die Arme legte, welchem fogar nach zwei Jahren noch ein Brüderchen folgte, blieb Marga dennod) nad) wie vor al3 allgemein verhätjchelter Liebling im Haufe, Doppelt auf Händen getragen, weil man da3 arme Rind bemitleidete, welchem die Erbichaft der Pflegeeltern nun entgehen mußte.

Die beiden Söhne Dallbergs befanden fich in der benachbarten Provinzialftadt in Penſion, weil fie auf Wunſch des Vaterd das Gymnafium bejuchen jollten, und wenn die blaffe, leidende Mutter fo ftill und einfam am Fenſter des Schlofjes ſaß, blidte fie voll Sehnjucht über die reizendfte aller Gebirgsgegenden, nach jener Richtung, wo ihr Liebſtes weilte. Am Sonnabend leuchteten die müden Augen auf in unausjprechlicher TSreude, denn am Sonnabend famen die beiden Rotkappen als jehr junger und ftet3 jehr aufregend lebhafter Bejuch nah) Schloß Floringhof.

Marga eilte im Sturmſchritt die Treppe empor, ent⸗ ſetzte die Tante durch ihren laut gejammerten, recht wirren Vortrag über das Geſchehene und klingelte ſehr ungeſtüm das geſamte weibliche Dienſtperſonal zu ihrer perſönlichen Hilfeleiſtung zuſammen.

Heißen Thee! Cognac! Auskleiden! Bett durch⸗ wärmen, alle Glieder mit Franzbranntwein reiben,

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eine Reihe von Befehlen fchwirrten über die Lippen, und der ganze ftille Haushalt ftand auf dem Kopf, bis die verwöhnte Kleine Dame endlich in den weißen, gefticten Kiffen lag, Glühwein trank und fehr behaglich in einem Romanbuch blätterte.

Auf ihren Befehl mußte jedoch ſofort ein reitender Bote in die Stadt gejagt werden, um den Arzt zu holen, denn Marga ängſtigte ſich ſehr, daß ſie womöglich Schnupfen oder Halsentzündung bekommen könne. |

Tante Dallberg aber war in allen Zuſtänden der Sorge und Verzweiflung, denn Marga verſtand es, ihre Umgebung durch die düſterſten Zufunftsbilder, über alles, was ihr nun pafjieren könne, zu alterieren.

Scellengeläut drang die Parfallee entlang.

Der Schlitten kehrte zurüd, und Sophie trat an die Portalthür, ihre junge Herrin zu empfangen.

Das Bewußtjein war Benedikta zurüdgefehrt, aber Sophie jtieß einen Schrei des Entſetzens aus, als fie die Schwache, ftet3 wie im Schwindel Taumelnde mit Bann: keukens Hilfe aus dem Schlitten hob.

Gott im Himmel, wie fah da3 junge. Mädchen aus! Leichenfahl, mit tiefumfchatteten Augen und farblojen Lippen, hinter welchen die Zähne permanent wie im Schüttelfroft zufammen jchlugen.

‚„Almächtiger Gott! was ift gefchehen?” fchrie die Alte auf.

Pannkeuken aber wehrte mit entjeßtem, angjtverzerrtem

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Geſicht ab und flüfterte: „Zu Bett! fchnell zu Bett init ihr!”

Eine unbefchreibliche Aufregung erfaßte die Bewohner des Schloſſes.

Sophie und Mamfell betteten die noch immer halb Bewußtlofe, fie rieben die froftjtarren Glieder, fie flößten ihr ftarken Wein und heiße Getränfe ein.

Mechanifch, wie im Traum ließ Benedilta alles mit ſich gejchehen.

„Sott im Himmel! nicht mal Pelzſchuhe Hat fie an— gehabt! Das Leder ihrer Stiefelchen ift ganz hartgefroren in all dem Schneewaſſer!“ jammerte Sophie.

„Die Füßchen find fraglos erfroren!” jtöhnte Mamſell leife auf.

Endlich fehrte etwas Wärme in den Körper zurüd. Die in Federbetten und Kiffen gepadt lag Benedikta in dem mächtigen Himmelbett, von defjen geichnigtem Bal- dahin die grünfeidenen Damaftvorhänge, ſpitzenbeſetzt, herniederflofjen.

Mit leifem Auffeufzen ſchloß das junge Mädchen die Augen.

„Wenn fie nur in Schweiß kommen wollte!“ rang Sophie die Hände.

„Still ſtill fie ſchläft ein.”

Welch eine fchredliche Nacht. Die Eifesfälte in Bene- diktas Körper wich rafender Tieberglut. Kopf und Ge— ficht jchwollen hoc) auf. Namenloje Schmerzen ließen

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‚die Unglüdliche durch ihre wilden Phantaſien hindurch gellend aufjchreien.

Gegen Morgen erjt fuhr der Wagen des Arztes in den Hof. Fräulein Dallberg fand er ſehr frisch, wohl und

gejund wie ein Fiſch im Waffer, aber an dem age des N. v. Eſchſtruth, Ill. Rom. u. Nov., Etern des Glücks 1.

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Fräulein von Floringhoven ftand er momentan in rat: loſer Bejtürzung.

„Wird e8 Die Kopfrofe, Herr Doktor!” ſchluchzte Sophie; „ach du barmherziger Gott, der ganze Kopf glüht ja dunkel⸗ rot wie Teuer und fchwillt auch fchon auf o, und dieſes Fieber! Man brennt fich ja, wenn man die Händ- chen anfapt!”

Der Arzt zudte die Achjeln. „Abwarten. Auf alle Fälle haben wir es mit einer jehr jchweren Erkältung zu thun. Hat das gnädige Fräulein öfters an Ohrenfchmerzen gelitten ?”

„Ach ja, ja, gewiß! Als Kind fehr viel fogar! In den letzten Sahren war es befjer; nur einmal fam nad) zu langem Bad ein Ohrengeſchwür.“

„Hua, hm, jo haben die Schmerzen, unter welchen die Kranke leidet, fraglos ihren Sig in den Ohren. Hm, jehr übel, fehr übel!”

Man hatte dem Minifter, welcher ſehr müde und ab⸗ geſpannt von dem Jagdiner heimkehrte, nichts von der Erkrankung Benediktas geſagt; er hatte ſich frühzeitig zur Ruhe begeben und ahnte es nicht, daß wenige Zimmer von ihm entfernt der Arzt die ganze Nacht hindurch am Schmerzenslager ſeines Lieblings wachte, daß ein reitender Bote noch zu ſpäteſter Stunde in die Apotheke zur Stadt jagte.

Benedikta war ſchwer erkrankt. Die ganze Wucht der Erkältung hatte ſich auf das Köpfchen geworfen, und die un— beichreiblichiten Qualen eines entzündlichen Ohrenkatarrhs,

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begleitet vont Gefchwüren, fchüttelten den jungen Körper, als jei er nicht in weiche Daunen, jondern auf den lichſten aller Marterroſte gebettet.

Tagelang hegte der aus der Reſidenz telegraphiſch be⸗ rufene Medizinalrat die ernſteſten Beſorgniſſe. Dann hatte endlich das Fieber ausgetobt und ließ nach, der ſchwache Schimmer von Bewußtſein ſtärkte ſich, man ſah es dem Blick der großen Augen an, daß Benedikta ihre Umgegend wieder erkannte und an dem Thun und Walten derſelben Anteil nahm.

„Sophie!“ flüſterte ſie.

Die Alte trat geſchäftig hinzu, neigte ſich über das Bett und küßte zärtlich die bleichen, abgezehrten Hände der jungen Herrin. |

„Ach Baroneß, wie ſchön, wie jchön, daß Sie mic) wieder rufen! wie wird fich Excellenz freuen!”

„Barum feid ihr alle jo furchtbar ſtill und leife, Sophie? Bin ich denn fo fehr Frank?”

„Keine Spur, Baroneßchen! ein wenig Obrenjchmer: zen, das geht alles vorüber, bis wir auf der Hochzeit tanzen |”

„Warum bewegjt du immer die Lippen und redeit nicht ?”

„SH? ei du mein Himmel, ich fpreche jal”

Erregt richtete ſich Benedikta auf und umklammerte die Hand der alten Frau: „Sophie! um Gotte8 Barm- herzigfeitt jprich zu mir!”

8*

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Die Matrone entfärbte fih: „Herzchen! Kindchen! ich rede jal rede in einem fort! Hören Sie mich denn nicht?”

Da gellte ein Schrei der Verzweiflung durch da3 Kranfenzimmer. Die gefalteten Hände wie in namenlofem Entjegen hebend, ſank das junge Mädchen in die Kiffen zurüd. |

„Sophiel ich bin taub!”

Der Jammerruf fand ein Echo im Munde der Ge- treuen. Alles Blut wich aus den Wangen der Kammer: frau. Mit gerungenen Händen ſank fie neben dem Bett nieder. „Das verhüte Gott im Himmel, Sie armes, arme3 Unglüdsfind !“

Die Thürvorhänge regten fih. Der Arzt trat ein. Sein ſchreckverſtörtes Geficht bewies e3, daß er Zeuge der furzen Unterredung gewejen.

Mit bebenden Händen nahm er, foweit wie es bei dem jegigen Zuftand der Kranken möglid), eine Unterfuchung der Ohren vor, er forjchte, prüfte und alles ergab nur die eine, entjegliche Thatſache Benedikta hatte das Gehör verloren.

Thränen ftürzten aus den Augen des Minifters, als ihm die furchtbare Mitteilung fchonend beigebracht wurde, er neigte das weißhaarige Haupt auf die gefalteten Hände und weinte bitterlich.

Der Arzt juchte ihn zu ermutigen. Er verficherte, daß aller Wahrfcheinlichfeit nach da8 Leiden nur ein vorüber: gehendes fein werde, daß ein tüchtiger Spezialiſt es frag-

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[08 heben würde, umfonft, der alte Mann weinte leife und haltlos vor fich Hin.

Das war der Todezjtoß, welcher den morſchen Stamm bi3 in das Mark des Lebens traf.

An demfelben Tage brachten die Zeitungen eine Notiz unter der Aubrit: ‚„Hofnachrichten.” „Das Befinden des Prinzen Percy zu £. &., zweitälteiten Sohnes des Herzogs

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von X., welcher kürzlich, anläßlich einer Parforcejagd zu Altenfähre, das Unglück hatte, mit dem Pſerde zu ſtürzen, ift von feinen leichten Verletzungen wieder hergeftellt, fo daß fich der hohe Herr nach wie vor feinen wifjenjchaft- (ihen Studien mit befanntem Eifer widmen kann.“ |

N

arga war abgereift, nach einem

Ausbruch leidenschaftlicher Ver— zweiflung, welche fie jtet3 von neuem vor dem Sranfenlager Benediktas auf Die nie zwang, unter berzbrechendem Weinen die fchlanfen Hände der Freundin zu füffen.

Kachdem fich das erjte Ent- jegen, die erjte Verzweiflung dl gelegt, überfam Die Kranke eine tiefe, Reſignation, welche in den erſten Tagen noch Thränen, bald aber weder dieſe, noch Seufzer mehr kannte.

„Kann ich nie wieder einen Laut auf Gottes Welt hören?“ fragte ſie den Arzt mit tiefumflortem Blick. Der Medizinalrat kritzelte ein paar Worte auf die Tafel, welche neben dem Bett, auf kleinem Marmortiſchchen lag.

„Gewiß, werden Sie es, Baroneß; ſowie Ihre Er— kältung gehoben, beſſert ſich das Gehör, und ſowie Sie

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fähig find zu reifen, Tonfultieren wir einen Spezialiften, welcher fie fraglos wieder heritellen wird.”

Ein Aufatmen hob die Bruft des jungen Mädchens. Sie Hammerte fich feit an dieje Hoffnung, und die Tafel mit den tröftenden Worten glich einem Stern, welcher Sanftes Licht in tiefer Dunkelheit verbreitet. |

Die kurzen, trüben Wintertage zogen langfam dahin, und Benedikta lag ftil und geduldig in den Kiffen mit weit offenen Augen vor fich Hinträumend. Oft Hufchte ein kurzes, ſeliges Lächeln um ihre Lippen. Das fchöne, ernfte Antlit leuchtete wie verklärt, und wenn Sophie es zufällig bemerkte, ſeufzte fie tief auf, „welch fchöner Traum mag dem armen Finde wohl vorgaufeln ?”

a, e3 war ein fchöner Traum. Stets ein und der⸗ felbe, der Traum, welcher doch eine jo traurige, unglüd- jelige Wahrheit gewejen.

Gibt es einen Einfluß, welcher phantaftifche Gehirn gejpinite in den Köpfen Der Menjchen und namentlich der jungen Menfchen nährt, jo find es die ftillen, Ichlaflofen Nächte, die einfamen, engen Tagesſtunden eines Krankenlagers.

Woas vielleicht inmitten eines wechſelreich bunten Lebens wie Schaum und Traum verflogen wäre, faum noch als fleine Epifode in der Erinnerung baftend, das nahm in dem fturmumjfauften, Dämmerigen Gemach Benediktas ftet3 feftere und bleibendere Formen an, dag wuchs empor und brannte fih mit dem feurigen Stift krankhaft erregter Phantafie in Herz und Seele ein, biß e3 fein Traum,

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fein Bild mehr, jondern eine unauslöfchliche und unver⸗ geßliche Thatjache, ein Inbegriff alles Denkens und Sinnens war. Wenn die Erfcheinung eines Menfchen mit dem liebevolliten Intereffe und dem raftlofeiten Eifer glühender Einbildungstraft ausgeſchmückt wird, jo muß felbft das farbloſeſte Nebelbild zum lebenswarmen, jtrahlenden Ideal werden, vollberechtigt ein Mädchengemüt zu erfüllen.

Und was hatte Benedikta Lieberes zu thun, als fich in ihrer trojtlofen Einſamkeit die Erinnerung an eine Stunde zurüdzurufen, welche für fie zum Verhängnis ge⸗ worden. | Alle ihre Gedanken kreiſten nur noch um ein Ereignis, um jenes Unglüd auf der vom Schneefturm umbrauften Heide, um die Geftalt jenes Fremden, welchen fie rettete, um fich felber und ihr ganzes Lebensglück dabei aufzuopfern.

Nettete fie ihn wirflih? Wie mag es ihm gehen? it er bergeitellt von feinen Verlegungen oder liegt er, gleich wie fie, ftil und freudlos auf dem Schmerzenslager zu Altenfähre, um von dem jchwarzäugigen Mädchen zu träumen, welchem er Leben und Gefundheit verdankt? Oder haben Fieber und Bewußtlofigfeit jede Erinnerung daran verwilcht? Ahnt er nicht? mehr von den einzelnen Umftänden jeiner Rettung? Erzählt ihm Niemand und forjcht er bei Keinem, wie er nad) Altenfähre zurüd- gekommen, welch ein Schlitten es geweſen, der ihn barm- berzig aufgenommen ?

Keine Antwort auf alle diefe brennenden Fragen ihres Herzend. Stil grauenvoll ftill.

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Sie fieht, wie der Uhrpendel ſich regt, aber fie Hört fein Ticken, fie fieht, wie die Bäume vor den Fenftern fich biegen und fchnellen, aber fie hört nicht? faufen und braujen.

Mamfell tritt ein und bringt das Frühſtück, aber die Kranke hört weder einen Schritt noch das Flirten und Raffeln des Porzellan und Silbers.

Unbeſchreiblich qualvolle Ruhe um fie ber.

Nur einmall einmal wieder eine menjchlide Stimme hören! Nur einmal noch am Flügel figen und ſpielen und fingen fünnen, nur einmal im Leben feines Mundes Worte in fich aufnehmen fünnen wie einen Klang aus befjerer Welt!

Er! immer wieder er! fein Gedanken mehr ohne ihn.

Sie möchte nah ihm fragen, fie möchte für ihr Leben gern feinen Namen erfahren und wifjen, wie e ihm geht!

Aber eine unerklärliche Scheu jchließt ihr die Lippen. Etwas Ungünſtiges, Beängjtigendes über fein Befinden hören, würde fie zur Verzweiflung bringen.

Sie graut fi auch davor, zu fprechen, ohne ihre eigenen Worte zu hören. |

Wollte fie doch genefen! Wollte dieſe unnatürliche Schwäche und Kraftlofigkeit doch endlich weichen, damit fie die Reife zu dem Spezialiften antreten kann! Eine fieberifche Ungeduld erfaßt fie.

Das günftige Zeichen, daß die unangenehmen faufen- den und fochenden Geräufche im Ohr nadjlafjen, erfüllt fie mit zitternder Freude.

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Geltjam, fie, die vor wenig Tagen nod) jo gleichgültig und rejigniert in die Welt blidte, fie, die von der Zu⸗ funft weder Glüd noch Erfüllung ihrer Wünfche erhoffte, fie denkt und finnt plößlich nichts andere® mehr, als wieder in den Vollbefit ihrer jungen, ftrahlenden Schön: heit zu kommen!

Warum?

Wenn fie ihre Gedanken ausfpinnt, fo werden fie zu duftigem. Schleier, welcher ein bräutlih Haupt umwallt. Anders, ganz anders wie früher. Leben und Welt locken fie plöglich wie mit Zaubergewalt. Sie fennt nur noch einen Wunſch ihn, jenen Fremden, Namenlofen, wiederzufehen; fie kennt nur noch ein Verlangen, ihm als: dann auch zu gefallen!

Und jet, gerade jetzt, wo all ihre Sehnfucht und ihr leidenschaftliches Wünjchen fie hinaus in den bunten Strom des Lebens zieht, jebt, wo fie mehr denn je jung, ge- fund und lebenzfrifch fein möchte, jet muß fie abgejtorben, invalide und ausgeſtoßen von der menjchlichen Gemein: Schaft hier in der Einſamkeit von Floringhof dahinfiechen. Taub! Taub.

Sie will es nicht fein! fie fann es nicht fein! ihre ganze Seele fträubt fich dagegen. Ein Schrei der Ver: zweiflung ruft nach ihrem gemordeten Glück, nach ihrer. vernichteten Jugend.

Sie will leben für ihn! fie will glüdlich fein mit ihm! fie will hören aus feinem Munde das einzig füße Wort, welches all ihr Denken und Träumen erfüllt.

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Der Arzt redet ihr zu, er tröftet, er ftärkt fie in ber Hoffnung und Benediktas Wangen färben fich zum erften- mal wieder mit einem rofigen Schimmer der Freude, als fie das Bett verlaffen und ein paar Stunden im Seſſel zubringen darf.

Das rüdt fie dem Biel ſchon um ein Bedeutendes näher. Wie hell das Teuer im Kamin lodert, wie die Funken emporfprühen und gleich einem Sternſchnuppenſchwarm einherwirbeln. Benedikta läßt das Buch finfen, in welchem fie gedanfenlo8 geblättert, und fchaut finnend in Die Feuersglut hinein. |

Sie Hört nicht, daß fich die Thüre öffnet, fie Hört nicht, daß Schritte näher kommen, fie lächelt vor fich bin und denft: wie mag der fremde heißen? Er gehörte zu den Gäften auf Altenfähre, er muß ein Offizier oder ein Kavalier vom Hof fein, was ift er wohl und wer iſt ee? Arm oder reih? Das ift gleichgültig, Benedikta fragt nicht nach Namen und Mitteln, fie hat in dem fchönen, edlen Angeficht gelejen, daß diefer Mann der Reichite an ftolzer Tugend, der Vornehmfte unter den Beiten jeiner Beit fein muß. Ein Schatten fällt gegen die weißen Porzellanfacheln des Ofens, und Baronef Sloringhoven wendet langjam das Köpfchen.

Sean Baptifte fteht neben ihr. Sein altes ver- trocknetes Geficht blickt kummervoll auf die ſchlanke Geftalt, welche in dem weißen Kafchmirmorgenfleid jo zart und leidend, wie der Getreue es nie für möglich gehalten,

augfieht.

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Er verneigt fi) und bietet ihr die Kleine Tafel ent- gegen. Mit der andern Hand hält er einen Brief auf filbernem Tablett.

Benedikta neigte fich über die Tafel und lieit, was Sean für fie aufgefchrieben.

„Snädigfte Baroneß. Ich babe jchon feit zwei Tagen einen Brief für Excellenz in Empfang genommen. Der: jelbe trägt einen Namenzzug mit Fürjtenfrone und den Bermert: „Herzogliche Angelegenheit.” Ich wage darum nicht, den Brief zu Öffnen. Nun kann ich aber Excellenz auch nicht dazu bewegen, es zu thun. Der alte Herr ift vollkommen ftumpfjinnig geworden und jchiebt den Brief immer wieder zurüd. Da es etwas Eiliges fein könnte, erlaube ich mir nun Baroneß zu bitten, da3 Schreiben gütigft öffnen zu wollen.”

Sean Baptifte war ein gewandter Schreiber geweſen, aber es deuchte Benedilta, ala ob feine Schrift jehr viel zittriger als früher ausſchaue.

Sie nidte ihm freundlich zu und griff nach dem Schrei- ben, einen aufmerffamen Blid auf die Initialen des Um- ichlages werfend. Ein Ordensband fchlang ſich zum Ring, eine lateinifche Infchrift tragend. Ganz Hein inmitten zwei verjchlungene Buchjtaben, und über dem Ganzen die geichloffene Fürſtenkrone.

Eine klare, große, ſehr ruhige und feite Schrift, aber feine Schreiberhand. |

Nach kurzem Zögern öffnet Benedikta das fteife Papier.

Ein elfenbeinfarbener Bogen, ebenfalls die Initialen

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des Umjchlages, Klein und anſpruchlos, mehr als einen Stempel tragend, klappt unter ihren ſchlanken Fingern auseinander.

Erxcellenz, hochzuverehrender Herr Miniſter!

Durh meine Kranfenwärter habe ich in Erfahrung gebracht, daß ich Ew. Excellenz ſowohl wie Dero hoch⸗ zuverehrenden Baroneß -Entelin zu ganz bejonderem Dant verpflichtet bin. Während ich durch den Sturz von dem Pferde bewußtlos auf freiem Feld gelegen, hat Baroneß Sloringhoven die unendlich liebenswürdige Barmherzigfeit geübt, mich in ihrem Schlitten nach Altenfähre befördern zu laffen. Leider machte es mir meine befchleunigte Ab- reife in die Klinid des Profeffor Dr. B. unmöglich, per- jönlich meinen Dank im Haufe Ew. Excellenz abjtatten zu können, und hole ich denjelben nunmehr auf fchrift- lihem Wege in verbindlichiter und erfenntlichiter Weiſe nach. Wollen Ew. Excellenz die große Liebenswürdigfeit haben, mich Baroneß Floringhoven voll dienftwilliger Verehrung angelegentlichit zu empfehlen, und die Ver—⸗ ficherung meiner vorzüglichiten Hochadhtung zu genehmigen, mit welcher ich ſtets verbleibe Euer Excellenz aufrichtigft - ergebener Percy, Prinz zu &. &.

Das jteife Briefblatt wankte und zitterte wunderlich in der Hand der Lejenden.

Sie hob, wie unter gewaltjamer Anftrengung, das leichenfahle Antlig und befahl Jean mit kurzer Hand: bewegung, ſich zu entfernen.

= BR

Betroffen ftarrte der Alte in die jäh veränderten Züge feiner Herrin, aber er befolgte gehorfam ihren Wink und trat wie ein lautlos gleitender Schatten zur Thür zurück.

Benediktas glä- | ferner Bli folgte ihm, bis fich die weiße, goldge— Ichnigte Thür hin- ter ihm gejchloffen. Dann fanf ihr Dberförper mit einem Aufjtöhnen ſchwer vornüber, fie legte die Arme auf den Kleinen

Marmortiich, drückte das Antlitz darauf und weinte, weinte wie ein Menſch, welcher feine ganze Seele in den Thränen ausſtrömen lafjen 8 möchte. 3:1,

Sie merkte es nicht, daß Sophie mit angſtvollem Ge— ſicht in das Zimmer ſchaute, minutenlang die Schluchzende voll hilfloſer Angſt anſtarrte und ſich langſam wieder zurückzog, ſie merkte es nicht, daß der Zeiger auf der

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Uhr weiter vorrüdte, daß die Nebelfchleier der Dämmerung fich über das ſtille Turmgemach fentten.

ALS fie das Haupt endlich wieder hob, war ihr junges Antlit verändert. Eine fteinerne, leblofe Ruhe lag auf den jchönen, bleichen Zügen.

Sie ſtrich langjam über die Stirn und griff abermals nach dem Brief und blidte darauf nieder lang und regung3los. Und dam hob fie ihn mit zitternder Hand und füßte den Namen Percy, wie man die Stirn eines teueren Toten füßt.

Prinz Percy! Ya, ein Prinz Percy war tot für fie tot und unerreihbar, wie die lichtverflärten Ge- ftalten, welche unfere Liebe und unfere Sehnſucht in einer fernen, befferen Gottezwelt fuchen muß. Prinz Bercy! ihn hatte fie gerettet ihn. Um hoben Preis.

Wahrlich fo Hoch? Bor ein paar Stunden noch hat fie e8 geglaubt, jebt lächelt fie wehmütig und fchüttelt das Haupt mit den thränenmüden Augen.

Kein, nun deucht fie ihr Elend feiner Klage wert. AM die thörichten Wünfche und Hoffnungen, welche ihr Herz an den Unbefannten gefnüpft, janfen haltlos vor einem Prinzen Percy zujammen, wie Echatten vor der Sonne zerrinnen.

Wenn eine Baroneß Floringhoven einen herzoglichen Prinzen liebt, jo it es gleichgültig, ob fie hören kann oder nicht, ob fie zu fehen vermag, oder ob fie blind geworden. _

Der Abgrund, welcher fie trennt, ift fo breit und jo

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ſchwindelnd tief, daß es gleichgültig ift, ob eine gefunde, blühende Schönheit an feinem Rande fteht, oder ein un— . glückliches, gebrochenes Bild des Jammers; eine wird dem Prinzen Percy fo fern und gleichgültig bleiben wie die andere. |

Nun, da Benedilta weiß, wer zu ihrem traurigen Schickſal geworden, empfindet fie ihr Unglüd beinahe wie eine milde Tröftung.

Wäre fie gefund, würde fie doch vielleicht in thörichter Sehnſucht Mittel und Wege gejucht haben, der ritterlichen Erſcheinung des Prinzen noch einmal zu begegnen. Was fie für ein Glüd erachtet haben würde, mit ihm zu ver= fehren, ihn zu jehen, ſich an dieſer oder jener Kleinen Aufmerkſamkeit feinerjeitS zu beraufchen, da3 würde im Grunde genommen doch nur ein Glück ohne Rube, ein Aufreiben und Berzehren in unglüdlicher Xeidenjchaft ge: weſen jein. Seht hatte das Schidjal fie vor den Qualen eine Solch hoffnungsloſen, nie beglüdenden Verkehrs bewahrt. Ä

Ein freundlicher Engel war an ihr Lager getreten und hatte feine Hände weinend auf ihr Ohr gelegt, es der Welt und all ihren verwirrenden Klängen und Weijen zu berjchließen.

Da fie doch niemal3 den Laut höchfter Befeligung von den Lippen des Geliebten hören fonnte, brauchten aud) ‚die Mißklänge und das Getöje der Welt nicht die Srabesruhe zu jtören, in welcher ihr Herz nun liegen

und träumen follte. N.v. Eſchſtruth, IU. Nom. u. Nov., Stern des Glüd8 I. 9

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Der Brief des geliebten Mannes war der Grabftein, welcher es voll jtiller Hoheit jchmüdt, er war das Kleinod, welches ihr Leben reich machen wird. In dem Kleinen Schrein joll er verwahrt liegen, welcher das weißjeidene Kopftuch birgt, deffen dunkle Fleden fein Menfch zu deuten wiljen wird, wenn einjt fremde Hände den Nachlaß der ‚Nonne von Floringhof“ durchwühlen.

Nach dem umnbegreiflichen Ausbruch des Schmerzes, welchen der Brief mit der „herzoglichen Angelegenheit” verurfachte, glaubte Sophie einer troftlofen Stimmung bei der jungen Gebieterin zu begegnen, als fie nad) ge: raumer Zeit eintrat, das Feuer in dem Kamin zu fehüren.

Ihre Befürchtungen erwieſen fich jedoch glüdlicher- weiſe grundlos.

Sm Gegenteil, e8 wollte der überrajchten Alten beinahe icheinen, als fei eine milde, erlöfende Ruhe über Benedifta gekommen, die Ruhe eines friedlichen Sommerabends, wenn die Elemente zwifchen Himmel und Erde fich ausgetobt.

Und diefe Refignation und das freundliche Fügen in ein unabwendbares Schidjal fchienen anzudauern, ja fie traten ſtets auffälliger zu Tage, je weiter die Befferung in dem Törperlichen Befinden der Kranken fortichritt.

Beneditta ſprach und verkehrte wieder in ihrer ge: wohnten, gütigen Weife mit ihrer Umgebung, ja fie brachte es ſogar fertig, bier und da wieder einen matten Sonnen: ſchimmer der Freude auf dem Antlit des Miniſters her⸗ borzuzaubern, wenn fie ihm mit heiterem Lächeln ver: ficherte, fie vermifje ihr Gehör durchaus nicht mehr, und

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der jchriftliche Verkehr mit den Leuten werde ve ſchon zu einer ganz behaglichen Gewohnheit.

Dem Wunſch des Arztes, die Reiſe zu einem Spe: zialiiten anzutreten, widerjeßte fie fich plößlid. Es Habe ja Beit bis zum Frühjahr! Das Reifen bei der jebigen Witterung fei ihr fo. unangenehm, fie fürchte eine neue Erkältung und was der Gründe mehr waren.

Diefem lebteren konnte der Arzt ja nur beipflichten, da der Winter ein ungewöhnlich ftrenger, und Benediktas Gejundheit eine immer noch fehr zarte war.

Ihre größte und liebfte Zerjtreuung waren Margas Briefe, welche faſt täglic) eintrafen, feit die junge Sängerin um dieſe Freude mußte.

Der Inhalt der Korrefpondenz drehte fich felbjtver- jtändlich noch viel um das Unglüd bei der Barforcejagd.

Marga hatte es natürlich auch erfahren, daß der Ver: unglücte Prinz Bercy geweien. Sie fchrieb ganz begeiltert von der kühnen That Benediktaß, welche der Welt einen jo vorzüglichen, hervorragend tüchtigen Mann erhalten.

„Denken Sie doch nur, liebfte Benedikta, der Prinz wohnt jegt bier in der Reſidenz, um in der Privatklinif des Profeffor H. umfangreiche medizinifche Studien zu machen. Daß er aus Paſſion jchon feit Jahren Medizin Itudierte, wiffen Sie doch wohl. Er hat fogar ein glänzendes Doktoreramen gemacht, und jeine Lehrer und die Univerfitätsprofefforen jollen ganz erfüllt von feiner hohen Begabung und feinen beinahe außergewöhnlichen Kenntniffen fein. Mein Gott, ein Prinz als Arzt!

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Wenn man fi) jo etwas denkt! Da gehört doch wirklich Paffion dazu, um in einer derartigen Stellung fich mit den aufreibenditen Studien abzuquälen. eltern war er in der Oper. Leider hatte ich nur eine Kleine Bartie zu fingen, dafür aber in den Zwiſchenpauſen Zeit, durd) den Vorhang zu guden! Ihr Prinz Percy intereffierte mich natürlich fehr. Schön kann ich ihn nun zwar abjolut nicht finden, höchſtens die hoheitsvolle Yigur, welche fich gejtern beſonders gut präfentierte. Er trug die Uniform der Garde-Ulanen. Sein Geficht ift fabel- haft geiſtreich und intereffant, er fieht fo jehr liebens— würdig aus, aber hübfch finde ich ihn nicht. Oder lag es an der Beleuchtung, daß er fo elend ausſah, vielleicht auch etwas überarbeitet. Er blicte fo viel unter fih, machte die Augen gar nicht reht auf, wenn er mit Königin- Mutter ſprach, neigte er den Kopf immer jehr tief. Aber die Unterhaltung jchien jehr angeregt und intereffant. Und dann brach Marga ab und be- richtete von Roman Ermönyi.

Strahlend, jubelnd vor Entzüden. Er fei in hohem Stade aufgeregt und entjebt gewejen, als er von der ſchrecklichen Schlittenaffaire gehört habe. „Herr des Himmels, Marga! wenn du anftatt der beflagenswerten Baronek taub geworden wäreft. Deine ganze Carriere wäre ja vernichtet geweſen!“ hatte er tötlich er- ichroden auzgerufen, und fie alsdann bejchiworen, fich nie wieder derart in Gefahr zu begeben! Als ob mir folch ein Unfall nicht bei jeder Reife zuftoßen

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£önne!! Sie glauben nicht, Benedikta, wie über alle Begriffe Roman verliebt ift! Wenn ich ihm aus der neuen Oper meine PBartie vorfinge, iſt er wie raſend! Er behauptet, meine Stimme entwidele ſich unter der portrefflicden Schule der Madame Aſtot zauberhaft! Ich glaube e3 in gewiſſer Beziehung auch, denn der In⸗ tendant will mir nächſten Winter größere Bartien geben, und das Publikum zeichnet mich durch immer lebhafteren Applaus aus. |

Im Mai fol Romans neue Dper an dem biefigen Theater ihre Premiere machen. Sie fünnen fich denfen, in welcher Aufregung ich mich befinde, juft an dieſem Abend die Titelrolle zu fingen. Auch Roman ift ohne Trage jehr nervös und reizbar durch das angejtrengte Arbeiten; denken Sie doch, der Hitzkopf hat geitern auf dem Korridor feiner Wohnung ein paar Bortiersrangen durchgebläut, weil fie folchen Speftafel machten und ihn ltörten, dafür Haben ihn nun die unverjchämten, ver: blendeten Eltern verklagt! Anſtatt dankbar zu fein, wenn ein Mann wie Roman ihre frechen Göhren erzieht!“

Wieder nahm Benediftad Geficht den beforgten Aug: drud an, welcher ihm jo oft eigen, wenn fie Margas Berichte über den Komponiſten las.

Das Herz ward ihr jchwer bei dem Gedanken, das arme, jchwärmerijche Kind als Gattin eine derart un: berechenbaren und rüdjichtlofen Mannes wie Ermönyi zu willen.

„Armer Edert! Wie unvorteilhaft ift eine folch biedere

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und brave Nedlichkeit wie die deine, wenn fie durch gar feine blendende Außenfeite den Sinn eines Mädchens reizen Tann.”

Die Berichte über Prinz Percy interejlierten fie. auf das Höchſte. Ihre Vhantafie befchäftigte ſich in unge- ſchwächt lebhafter Weije mit ihm, und jede neue Anregung war ein unerjchöpflicher Duell des Sinnen? und Träumens für fie.

Seine medizinifchen Studien verfolgte fie voll lebhaften Eiferd, ihre Bewunderung und Verehrung gefellte fich zu der ſchwärmeriſchen Liebe, mit welcher fie fein Bild umgab.

Ein Bild aber, welches fich lediglich beim flüchtigften Sehen im Auge gefpiegelt, verblaßt und verichwimmt mit der Zeit, und fo angftvoll fich auch Benedikta be= mühte, e3 jeitzuhalten und ftet3 auf? neue Dem Gedächtnis. einzuprägen, bemerfte fie e8 Doch jelber mit forgender Angit, daß es ihr immer unklarer dahinſchwand.

Hatte fchon ihre jchwere Krankheit dazu beigetragen, die Erinnerung zu ſchwächen, jo that es nun die Zeit voll rettungsloſer Unerbittlichkeit.

Welch eine unbefchreibliche Aufregung und Glüd: feligkeit erfaßte darum das einfame junge Mädchen, als im Laufe des Frühlings ein großer, bejchwerter Brief von Marga eintraf, aus deſſen Umjchlag eine Photographie auftauchte.

„Perch! Percy!“ rang e8 fich in lauten Jubelſchrei jählings von Benedifta Lippen.

Aber... . was war dad? Ein Bittern flog durd)

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den Körper der Kranken. Täufchte fie fih? fie hatte einen Laut gehört, jchwach, echohaft verſchwommen ihren eigenen Schreil

Mit verjtörtem Blid Schaut fie um fih. Kann fie wieder hören? Nein, fie vernimmt weder das Tiefen

der Uhr, noch die Stimme des Buchfinks, welcher auf dem Zweig vor dem offenen Fenſter figt, und dejjen aufs gefperrtem Schnäbelchen fie e8 anfieht, daß er fingt „Percy! Percy!“ nochmals ftößt fie den gleichen Zubeljchrei aus und... . Herrgott des Himmels, e3 ift fein Wahn abermals hört fie es wie einen ſchwachen, leifen Nachhall im Ohr.

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Sie frampft die Hände um fein Bild und finlt in einen Sefjel nieder. Die Augen fchließt fie, als ob die itrahlende Frühlingsſonne fie plößlich blendet. Und al3 fie fich wieder etwas beruhigt, fchaut fie wieder auf fein Bild. Da fieht fie es erſt, wie weit fich ihre Phan— tafie verirrt. Wohl fennt fie feine Züge wieder, fie empfindet auch dieſelbe warmherzige und zaubermächtige Sympathie dafür, und doch jchaut diefer Prinz Percy ander3 au3 wie derjenige ihrer Gedanken.

Hier blidt er fie mit feinen großen, durchgeiftigten Augen lähelnd an, die Haare umrahmen in leichten Wellen, ſoldatiſch knapp, die hohe Stirn, und die fchlanfe Figur in der Ulanfa fißt jo elaftifch und kraftvoll vor ihr, als habe fie niemal3 wie ein gebrochen Schilf im biutgefärbten Schnee gelegen.

Er jcheint die Uniform noch viel zu tragen, ficherlich eine Zuvorkommenheit gegen den regierenden Better, welcher vom Scheitel bi3 zur Sohle ein pafjionierter Soldat it. Benedilta war noch nie in ihrem einjamen Leben jo glüdlich, wie in dieſer Stunde, welche ihr die Erfüllung des Tiebiten, fo lange fchon geheim gehegten Wunſches gebradit.

Die Zeit vergeht. Durch die weit offenen Fenſter Hutet die balfamijche Frühlingsluft, und taufend Knoſpen an Baum und Strauch erzählen ſelbſt tauben Ohren von dem Gnadempunder Gottes, welches aus Eis und Schnee dennoch die glückſeligſte Lenzesluft weden Tann.

Marga jchreibt wieder jehr ausführlich.

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Den Hauptinhalt des Briefeg nimmt Roman Er: mönyi ein.

„Ich ſchmettere meine glüdlichiten Wonneträume gleich den Böglein draußen zum Himmel! Ich finge mit einer Degeijterung, welche mein ganzes Weſen in Flammen febt. Ich glaube, diefe Flammen brennen das ‚Kind‘ in mir zu Tode! Roman glaubt es auch und findet e3 voll: fommen zeitgemäß. Wie lange no)? Daum ift das Kind Marga Daja das Weib des Ermönyi geworden.

„Hell wie dad Morgenlicht Lächelt die Ferne. Slüdliche Sterne Täuſchet mich nicht!”

Benedikta lächelt mit rofigen Wangen. Auch ihr it es plöglich zu Mute, al3 müſſe fie diefe Weife der Gazza cadra hinaus jubeln in alle Welt. Das Klavier fteht neben ihr. Wie lange, lange bat fie e3 nicht geöffnet. Mechaniſch greift ihre weiße Hand nad) dem Dedel, fchlägt ihn zurüd und finkt auf die Taften.

Ein paar volle Akkorde kräftig angejchlagen. Wieder zudt Benedifta jähling3 zuſammen, denn abermal3 verirrt fich eine leife Klangwelle in ihr Ohr.

Slühende Röte brennt auf ihrem Antlib.

Sie fpringt empor, ſetzt ſich an dem Inſtrument nieder und fingt mit heller, jchallender Stimme in die Frühlings: pracht hinaus.

Wie ein Saufen raucht es durch ihr Ohr hie und da ein feiner Klang, oft ſchwächer, oft deutlicher.

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Die Thür öffnet fich Hinter ihr.

Die gebeugte Geſtalt des Minifters, auf den Stod geftüßt, erjcheint laufchend in ihr. Die Hände des alten Mannes zittern, ein verklärendes Leuchten fliegt über das runzlige Geficht.

Er wehrt Sophie und Pannkeuken, welche atemlos bei den Muſikklängen herbeicilen, lächelnd ab. „Es wird Frühling!“ murmelt er, „Draußen und drinnen —, da3 walte Gott.”

Die jubelnden Weifen verflingen allmählich.

Benedilta läßt ihre Hände Hochaufatmend finken. Thränen glänzen in ihren Augen. „O Herr, mein Gott, wenn es noch einmal ander werden könnte!“ flüftert fie zum Himmel auf.

Und dann greift fie abermal3 zu Margas Brief. Noch bat fie ihn nicht zu Ende gelefen.

Nach einer Furzen Andeutung, daß Roman die Stelle eines erſten Kapellmeiſters in einer großen jüddeutfchen Nefidenz angeboten befommen habe, welche er auch an nehmen wolle, wenn feine Dper reüjjiere und Marga einen derartigen Triumph verzeichne, daß fie an befagter ſüddeutſcher Oper als erjte Sängerin engagiert werde Ipringt „das Kind“ ohne jeden Übergang zu dem Thema Percy über.

„Soeben jah ich in einer Buchhandlung das ausgezeich- nete Bild des Prinzen jtehen. Da er Sie wohl immer noch interejjiert, ende ich eg Ihnen mit, liebe Benedilta. Ich fahndete fchon jo lange danach, aber Monjeigneur

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Percy Scheint fein Freund vom Photographenkaften zır fein. Jetzt, wo alle Welt feine mutmaßliche Verlobung mit unjerer verwitweten Kronprinzeſſin bejpricht, muß er fich wohl oder übel ausftellen und bejichtigen laſſen! Ich bin jehr gejpannt, ob dieje bejagte ne zu Dale fommt, glaube e3 eigentlich ——

nicht. Sie paſſen ſo gar nicht zuſammen! Er ſo ernſt und, wie man ſagt, etwas weiber— feindlich beanlagt, voll großer menſchenbeglückender Pläne, und ſie ein doch etwas ober— flächliches, lebensluſtiges, blut— junges Weſen, welches nie an ſeinen Beſtrebungen teilnehmen würde. Je num, oft finden ſich ja gerade die grellften Gegen- ZN füge, und ein Prinz und eine AM A Prinzeffin werden bekanntlich nicht lange gefragt, ob fie wol len fie müſſen.“

Ein tiefer Atemzug hob die Bruft der Lefenden; ihr Antlit war wieder erbleicht, und die Augen hatten den jtrahlenden Glanz verloren.

„Da fie müjjen.” Ob früher oder ſpäter Prinz Percy wird eine Prinzeſſin heimführen, und Bene: dikta von Floringhoven wird lächelnd die Hände falten und für jein Glüd beten.

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Muß fie nicht feine Heirat als etwas ganz Natürliches und Selbftverftändliches erwarten? Stann fie es verhin: dern, daß droben am Himmel zwei Sterne ihre Strahlen ineinanderflechten ?

Jener unbefannte Reiter, welchen fie einjt blutend und bewußtlos im Arm gehalten, der gehört ihr für alle Ewigfeit, Prinz Percy aber, der gejunde, lebensfriſche Sohn des Fürftenhaufes, gehört dem Vaterland und feinen dynaſtiſchen Intereſſen.

Benedikta weiß es und verlangt es nicht anders, darum läßt ſie die Nachricht von ſeiner Verlobung vollkommen ruhig. Sie denkt nur darüber nach, ob er mit der jungen Witwe auch glücklich werden wird. Wer mag es voraus— ſagen! Die Ehe gleicht dem Wetter, man kann es nie mit Sicherheit prophezeien! Manch ein Tag, welcher ſonnenhell und wolfenlos begonnen, endet in Wetter, Sturm und nädhtigem Graus, und manch ein trüber Negenmorgen klärte fich auf in ſonnigſte Lenzespracht.

Das liegt in der Hand defjen, a Wolfen, Wind und Menjchenherzen lenkt.

Richt das Scifflein Fehrt jedesmal ficher zum Hafen ein, welches bei glatter See die Reife begann, pfeift der Sturm gleich anfangs in die Segel, treibt er es oft deſto fchneller dem Ziele zu.

Ein Mann, welcher fo ruhig, jo brav und ficher den Meg des Nechten geht, wie Prinz Percy, wird jchadlos auch dur Sturm und hohe See fteuern, wenn feinem Lebensſchifflein böf’ Wetter bejchieden, aber jene Kleine,

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hilflos fchwache Blüte Marga, wird fie nicht entblättert und todesmatt in den Staub finfen, wenn die entfeljel- ten Gewalten einer unglüdlichen Ehe fie paden und Ichleudern? |

Und Benedilta bangt vor den Stürmen, welche eines Ermönyi zügellofe Leidenjchaft mit fich bringt. Die wunderliche, unguverläffige Welt!

Hier in der Einſamkeit von Floringhof haben fich Wirbel und hohe Flut gelegt. Hier glänzt nur noch ein jtiller, friedlicher See, welcher auf Himmelsbläue Die weiße Roſe der Erinnerung wiegt.

Benedifta verkündete zuerft Niemand die glüdfelige Entdedung, welche fie an ihrem Gehör gemacht, um nicht voreilig eine Hoffnung zu weden, welche fich möglicherweife Doch nicht erfüllte. Sie beobachtete fich vol regen Eifer während der nächiten Zeit. Scharfe, einfchneidende und jchrille Geräufche vernahm fie mit zunehmender Deutlichfeit, an manchen Tagen beffer, an manchen jchlechter. Während eines furzen Erfältungs- gefühls verlor fich die Beſſerung vollfommen, um allmäh- (ich, bei dem ſtets wärmer und gleichmäßiger werdenden Wetter, wiederzufehren.

Den Arzt verjegte dieſe Mitteilung in freudigite Erregung.

Er drang mehr denn je darauf, einen Spezialiften zu konſultieren. Profeſſor X. in der Nefidenz ſei ein ganz hervorragender Gelehrter, ein Beweis Dafür jei es doch wohl, daß Prinz Percy eine Zeit lang bei ihm jtu-

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diert, ja, gewifjermaßen als Aififtenzarzt bei ihm in der Klinik thätig geweſen fei.

Benedikta zudte unmerklich zufammen. „Und ift er noch immer dafelbit befchäftigt?” fragte fie mit abge- wandtem Köpfchen.

„Der Prinz? Gott bewahrel Laſen Sie e8 nicht in der Beitung, daß er zur Zeit in Wien feine Kenntnifje erweitern will, Baroneß?” kritzelte er cifrig auf das Täfelcden, und bemerkte dadurch nicht da3 feine Not, welches die Wangen feiner Patientin überhauchte: ‚Wie man allgemein glaubt, um dem Gerede wegen jeiner Ver- mählung aus dem Wege zu gehen! Wunderliche Baffion eines ſolch hohen Herrn, derart raſtlos zu ftudieren. Wie man fagt, will er feine Wiljenfchaft jpäter in den Dienft der leidenden Menjchheit jtellen und aus feinen eigenen Mitteln eine Armenklinik bauen, welcher er perjönlich vorjteht. Ein Sonderling, diefer Prinz! Aber ein ganz vortrefflicher.”

„Sr ift Chirurg?” fragte Baroneß Floringhoven, fich beim Lejen fehr tief niederbeugend.

Wieder flog der Stift über die Tafel im des Arztes Hand. | |

„Bis jetzt ſchien ihn die Chirurgie befonders zu inter- ejjieren, dann wandte er ſich eine Beitlang jehr auffällig den inneren Krankheiten, namentlich den Erkrankungen des Hirns zu. Er ftudierte eigentlich bei allen Fachmännern, ohne fich bislang für eine Spezialität zu entjcheiden. Er fol e8 aber im Sinne haben, und ich glaube, daß die Chirurgie den Sieg Davonträgt.”

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„Ein Zeitpunkt ift dafür noch nicht angegeben ?”

„Wie wäre das möglich! Ein Bring ift nicht fo frei und unabhängig wie unfereiner. Da [prechen gar zu viele andere Dinge mit, z. B. jeine eventuelle VBermählung, jeine militärische Carriere, welche er auf Wunfch des Regenten auch nicht völlig vernachläfligen fol, u. f. w.!“

Der Schreiber hielt inne, reichte das Täfelchen feiner Patientin hinüber und erhob fi, um dem Miniſter ent- gegen zu gehen, welcher, auf Jeans Arm gejtüßt, in das Zimmer trat, um die eventuelle Abreife Benediktas in die Klinik des Spezialiften zu. beiprechen.

1% J UN /

W ie im Traum fuhr Baroneß Floringhoven

| durch die belebten Straßen der Reſidenz.

Wunderliche, unheimliche Empfindung, all das atem— (ofe Haften, Treiben und Wagenrollen um fich ber zu erblicken und daſſelbe an der zitternden Erjchütterung wahrzunehmen, ohne einen Laut des Durchdringenden Lärms zu hören.

Wie bunte, wirre Bilder zieht es jpufhaft an ihr vorüber, lautlos, gleich den Schemen einer Geijterwelt, nur manchmal, wenn eine Pferdebahn jujt neben ihr Die ichrille Klingel rührt, findet fie ein leijes, ganz leijes Echo in ihrem Ohr.

Anfänglich leidet Benedikta unter dieſem fremdartigen Eindrud, bald gewöhnt fie jich daran.

Sie hat mit ihrer treuen Sophie Hufenthalt in Der Klinit genommen, und der Profefjor jprach nad) eingehen:

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der Unterfuchung feine zuverfichtlihe Hoffnung aus, die junge Dame vollitändig herzuftellen, oder doch eine große Befferung ihres Leidens zu erzielen.

So jtreng wie der Winter regierte, Jo üppig und milde hatte der Frühling die Welt zu eigen genommen. Wunder: volles, beinahe allzu warmes Wetter lodte die Refidenzler auf die Promenade, und Marga Daja ftürmte in das Bimmer der Jugendfreundin und drüdte ihr mit jtrahlen- den Augen die lange „Bittichrift” in die Hand, welche fie fürſorglich ſchon daheim zu Papier gebracht Hatte.

Heute fand die Premiere ſtatt! Eine fiebernde, uner: trägliche Aufregung quälte Marge. Mit Roman war überhaupt nicht zu verfehren. Er lief wie ein Verrüdter in feiner Wohnung umber, lud den Revolver, mit welchem er fich im Fall eines Nichterfolges erjchießen wollte, warf fih in den Klavierfeffel und fpielte die einzelnen Partien, bis er die Fäuſte gegen die Stirn fchlug, die Noten zer- feßte und fich auf die Chaijelongue warf, um in rajen- den Ausdrücden der Leidenfchaft die ganze Mufit der Welt zu verfluchen. Zum erjtenmale hatte er Marga, welche ihm zärtlich zur Vernunft reden wollte, un geftüm, „beinahe” grob bei Seite gejchoben. Er wolle allein jein. Sie lachte darüber. So find die Mufiler alle! Glüdliche Unglüdjeligel So etwas muß aus: toben.

Was aber ſoll Marga an diefem langen, fonnenhellen Tag beginnen? Auch ihr gießt die. Aufregung Feuer in die Adern, auch ihr zehrt dieſes Hangen und Bangen au

N.v. Eſchſtruth, IU.Rom.u. Nov. Stern des Glücks L 10

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den Nerven, obwohl fie fich durchaus nicht ängftigt, fondern jehr guten Mutes ift.

Sie fingt ihre Partie tadellos, fie fpielt ihre Rolle, eine Art jchwärmerifcher Mignonfigur, bezaubernd, und foviel fie beurteilen kann, muß aud) ihr Koſtüm beitridend wirken. Nun, und die Oper? Wie könnte man an einem Erfolge Roman Ermönyis zweifeln!

Friſche Luft! Zerftreuung! Erheiterungl Das Wetter lodt zu einer Spazierfahrt! Die Equipage harrt vor der Thür, und Marga umarmt die ernite Freundin voll ichmeichelnder Zärtlichkeit, fchlägt fo lange bittend die Heinen Hände zujammen und fleht mit den Kinderaugen fo inftändig, daß Benedikta Lächelnd Gewährung nidt.

Ihr Blick fchweift voll Entzüden über Margas auf: fallende reizende Erjcheinung.

Ein großer, weißer Spitenhut, ganz in Babyfacon gehalten, ein weißes Kafchmirkleid mit hängenden Schleifen, flatternden Bändern und Spiben, wirft äußerft zart und gejchmadvoll, und wenn „das Kind” mit den langwallenden blonden Loden die großen Augen aufjchlägt und aus dem Greenewayhut hervorlächelt, dann müßte wohl ein Männer- herz von Eis und Stein fein, wollte es ſich nicht für ſolch einen Anblid erwärmen.

Welch ein Kontrajt gegen Benedilta.

Schwarze Wollfalten fchmiegen fih um die fchlanfe, majeftätifche Figur und fchleppen düfter auf dem Teppich nach, ein Hut, welcher mehr ein geſchmackvoll gejchlungener . Schleier zu fein ſcheint, umrahmt mit feinem Eröpegewebe

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das Haupt und läßt das finnende, zartbleiche Antlitz wie ein edles Marmorbild erjcheinen.

Marga fchüttelt ein wenig vorwurfsvoll das Köpfchen und macht fich durch Geften verftändlich, daß fie ſolch einen Traueranzug abjolut nicht an der Freundin liebe, Fräulein von Floringhoven lächelt wehmütig, läßt fi) von Sophie die DE: reichen und wendet fich zur Thür.

Die weichen Teppiche deden die fchmalen, vielfach durchquerten Korridore der Klinik.

Marga Daja flattert wie ein Schmetterling der Treppe entgegen, fo erregt und mit allen Gedanken fern ab, daß fie beinahe gegen zwei Herren ſtoßt, welche ſcharf um einen Pfeiler biegen.

„Pardon —“

Marga lächelt und nickt. Sie hat den Aſſiſtenzarzt des Profeſſors jüngſt im Warteſalon kennen gelernt. Haſtig ſchreitet ſie weiter, den Begleiter des Arztes keines Blickes würdigend, da der junge Doktor ihren flüchtigen Gruß allein empfangen.

Das Haupt desſelben ſchnellt herum und ſtarrt der reizenden Erſcheinung nach, er bemerkt nicht, daß auch der Herr an ſeiner Seite wie angewurzelt ſtehen bleibt.

Benedikta tritt in das helle Oberlicht des Treppen⸗ hauſes. Ihr Blick ſtreift den Begleiter des Arztes, und jäh zuſammenzuckend, ſtarrt ſie wie gelähmt in ſein Antlitz. Das muß ihm wohl auffallen.

Auch er hält jählings im Gehen inne und blickt ſie

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an wie ein Menfch, der in hohem Grabe überrafcht und betroffen ift.

Abermalz ruht Auge in Auge, ein einziger, zwingender Blid voll rätjelhaften Zaubers und dann färbt ſich Benediktas Antlig mit dunklem Purpur, fie ſchrickt zurüd bor ihm und wendet fich zur Treppe, als gälte es eine Flucht.

Regungslos ſtarrt der Fremde ihr nach. Er ſtreicht langſam mit der Hand über die Stirn und drückt den Hut wieder auf das Haupt.

„Wer war dieſe Dame, lieber Doktor?“ fragte er.

„Kannten Sie unſere kleine Nachtigall in Civil nicht wieder, Hoheit?” lachte der junge Mann fehr animiert: „Es war ja Marga Daja, ‚das Kind‘, welche heute abend die Titelrolle in Ermönyis neuer Oper kreieren ſoll!“

„Eine Sängerin!”

„Mein Gott, das Hingt ja wie ein Seufzer der Ent: täufchung, Hoheit! Glaubten Sie, ein veritabler Engel ſchwebe über den Weg?”

‚Nein nicht im mindelten. Ich war frappiert von ihren Augen, von ihrem ganzen Geficht, welches ich fchon einmal im Leben gefehen haben muß, aber wo, wo?”

‚Sun, wo ander al3 wie auf der Bühne? Wer Marga Dajas Augen ein einzige Mal gejehen, kann fie fo leicht nicht wieder vergeſſen.“

Der Prinz fchüttelt finnend den Kopf: „Auf der Bühne? Kein, mich haben die Divas nie intereffiert, ich ent: finne mich auch nicht, Marga Daja jemals gehört zu

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haben. Geltfam, ich hätte darauf geſchworen, eine Dame der erſten, allereriten Geſellſchaft vor mir zu jehen,

und diefe Ähnlichkeit . . . wenn ich nur wüßte, wo ich dieſes ſympathiſche Geficht ſchon gefehen habe!“

„Sie entjinnen fich vielleicht, Hoheit, wenn Sie heute abend die Sängerin auf der Bühne wiederfehen?“

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Percy fchüttelte beinahe Heftig den Kopf. Ein uner: flärliches Gefühl befchleicht ihn. Es würde ihm geradezu unangenehm fein, dieſe vornehme Geſtalt, dieſes feelenvolle imponierend edle Gelicht unter Schminfe und Lampenlicht wiederzufehen. Es ... würde ihm leid thun.

„Bedaure, lieber Doktor, mein Zug geht bereit3 um fieben Uhr und wartet nicht, bis ich Fräulein Marga Daja applaudiert habe. Ich bin fehr eilig, und triebe mich nicht die aufrichtigite Verehrung zu unferm vor: trefflichen Profeſſor und Meiſter, würde ich felbjt zu diefer kurzen Bifite feine Zeit gefunden haben. Wollen Sie fo freundlich. fein, beiter Doktor, und mich bei Ihrem Chef melden 2

Mit glühenden hatte Benedikta den Wagen beſtiegen.

Ihre Erregung und außergewöhnliche Unruhe fielen Marga nicht auf, ſaß ſie doch ſelber mit fiebernden Pulſen neben der Freundin, keinen andern Gedanken als den, „was wird der heutige Abend bringen, wie wird er über deine ganze Zukunft entſcheiden!“

Prinz Percy ſchien ſie bei der flüchtigen Begegnung gar nicht erkannt zu haben, und dieſe Thatſache erfüllte Fräulein von Floringhoven mit großer Beruhigung. Margas unberechenbarem Temperament, ihrem nicht allzu peinlichen Takt und der leichten Lebensauffaſſung, welche ſie ſich im Verkehr mit dem luſtigen Theatervölkchen an— geeignet, war es zuzutrauen, daß ſie durch irgend welch

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gewagte Manöver verjucht hätte, eine Annäherung mit dem Prinzen herbeizuführen, denn die große That edler Barmherzigkeit, „wie wir einjt Prinz Percy gerettet!” ſpukte noch jehr lebhaft in dem Köpfchen des großen Kindes.

Wie bitter empfand e8 Marga jujt heute, daß Die junge Dame an ihrer Seite taub war! Heute! wo fie taufend Dinge aus übervollem Herzen berporiprudeln möchte, ungezählte Fragen thun und in dem bitterfüßen „Hangen und Bangen in jchwebender Bein’ des Troftes und Zuſpruchs bedurfte, heute gerade mußte fie ihre Gefühle zurüdhalten, denn wie konnte man im Wagen mit Handjchuhen! jo ausführlich und viel auf das weiße Elfenbein jchreiben, welches die Leidende in ele- ganter Vifitenfartenform mi: fich führte. Nur kurze, Heine Sätze konnte man zur Not darauf Trikeln.

„Süße, angebetete Benedifta, Sie müffen heute abend zugegen fein, Sie müffen! we

Geſtern noch hatte es die Baroneß entjchieden ab: gelehnt. Mit tauben Ohren der Aufführung einer Oper heiwohnen, war für ihr mufifverftändiges und mufiklieben- de3 Gemüt eine allzu qualvolle Anforderung.

Heute neigte fie das Haupt tiefer über das Täfelchen, ols fie lad. Ihre Wangen färbten fich höher.

„Wenn Ihnen meine abjolut indifferente Anweſenheit wahrlich angenehm ift, liebe Marga —“

Davon überzeugte fie die jtürmifche Umarmung.

„Ich habe Logenpläße reſerviert! Sophie zieht ein

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ichwarzjeidenes Kleid an, einen hübſchen Spitzenkopf⸗ putz, und ſitzt als ‚Anftandgwaumwau‘ Hinter Ihnen!”

Marga Tann kaum fchreiben, jo übermütig ift fie.

„Nach der Vorjtellung müſſen Sie aber warten, damit ih Roman Ihre Glückwünſche holen kann!”

„Sewißl Ich freue mich ja fo jehr darauf, ihn fennen zu lernen!”

„Und dann müffen Sie fich und zu einem gemeinfamen Souper anjchließen ?”

Benedikta jchüttelte voll wehmütigen Ernſtes das ihöne Haupt. „Ich würde nur die dreizehnte Tee in der glüclichen Tafelrunde fein und durch meine Anweſenheit alle Fröhlichleit dämpfen. Ich Tann mich mit niemand unterhalten, ich würde meine Nachbarn genieren und be- läftigen, eine Perſon mit meinem Gebrechen gehört nicht mehr unter Menjchen.”

Marga jchüttelte lachend den Kopf und redete im Eifer durch die gewagteſten Geften, dann fchrieb fie la— fonisch auf: „Sie müfjen mit!“

Fräulein von Yloringhoven ſchwieg. Ihr Blick irrte wie in großer, qualvoller Sehnſucht zu dem fonnigen Frühlingshimmel empor, und jo weit und endlos, wie die Welt fi) vor ihren Augen dehnte, jo endlos weit und groß wuchs auch die Sehnjuht in ihrem jungen Herzen, einmal ad) nur einmal wieder eine glüdjelige Genoffin fröhlicher Menjchen jein zu können.

Ram die alte Ungeduld und Aufregung zurüd? Faſt ſchien e3 jo.

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Die Blüten der Hoffnung, die taufend grünen Blätter an ihrem jungen Zebensbaum waren in der Einfamfeit und unter dem Todeshauch entſagungsvoller Refignation welt und Dürr geworden, jetzt fiel plöglich ein Funken darauf nieder, und all die abgeftorbenen Lebenskeime flammten hell auf, in dem euer einer unbezwinglichen, naturgewaltigen Sehnſucht. Mit der ganzen Innigkeit eine3 jungen, glücheilchenden Menfchenherzens klammerte ſich Benedikta an den Troftjpruch des Profeſſors, welcher fie ganz ficher und beſtimmt als geheilt zu entlafjen dachte.

Und der Wagen rollte in mäßigem Tempo durch die Srühlingspracht der neuen Anlagen.

Blütenzweige nidten wie felige Grüße auf die beiden Mädchenköpfe hernieder, Bogelichwingen durchichnitten . gleich Boten der Liebe die blaue Luft, um Erde und Himmel zu verbinden, und die fröhliche Menge der feftlich geputzen Menjchen drängte fich zu Fuß, Roß und Wagen auf der Promenade, als gelte e8, dem holden Knaben Lenz eine große Ovation zu bereiten. Marga hatte Recht, hier flogen die Stunden jchnell und anregend dahin.

Benediktas Herz Flopfte hoch auf, als die neuerftandene „Bettina” nach dem winzigen Ührchen auf ihrem goldenen Armband jah und mit lebhaft aufbligenden Augen dem Kutſcher befahl, nach Haufe zurüdzufahren. Nun blieb ihr gerade noch Zeit, ein leichtes Mittagsbrod zu effen, ſich eine Stunde hinzulegen, noch einmal die große Scene mit den fchwierigen Einfägen durchzujehen und dann nad) der Oper zu fahren, um gemächlich und mit vollitem

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Naffinement Toilette zu machen. Benedikta ift mit dieſem Stundenplan jehr einverjtanden.

Die jchmerzhafte Behandlung ihrer Ohren raubt ihr durch) die nerböfe Erregung noch die Nachtrube, auch fie fühlt das Bedürfnis nah Erholung, wenn fie heute abend wirklich die ungewohnte Anjtrengung eines RE beſuchs wagen joll.

Ihr Bli fliegt wie in ängſtlichem Forſchen über die Fenſter der Klinik, als die Equipage hält.

Ein kurzer, berzlicher Abjchied, welcher fich nicht in Worten, fondern in der Hand ausdrüdt, und Fräulein von Sloringhoven chreitet Haftig an dem Dienernden Portier vorüber, die teppichbelegte Treppe empor. Einen Augenblid hat fie gezaudert, den alten Mann zu fragen, „wer der fremde Herr in Begleitung des Aſſiſtenzarztes gewejen” in der Hoffnung, etwas Näheres über des Prinzen hiefigen Aufenthalt und deffen Veranlaffung zu erfahren, aber ein Gefühl großer Befangenheit verjchließt ihr die Lippen.

Tief atmend eilte fie weiter. Sie fühlt ihr Herz Elopfen, als wolle es zerjpringen; das Bewußtjein, daß vor faum einer Stunde Brinz Bercy durch dieſen dämmerig ftillen Korridor gejchritten, benimmt ihr den Atem.

Sie erbebt bei dem Gedanken, daß ſich eine Thür öffnen, und Die ſchlanke, hoheitsvolle Geftalt des fürftlichen Arztes ihr abermals entgegen treten fünne. Aber es bleibt alles jtill und ruhig.

Heftig Öffnet Benedikta die Thür zu ihrem Salon.

15 $ Sophie tritt ihr aus dem Schlafzimmer entgegen und blickt freudig überrajcht in das rofig überhauchte, außer- gewöhnlich angeregte Antlig ihrer Gebieterin. Benedikta bat fich jchon daran gewöhnt, etliche Worte von den Lippen zu lejen. Sie nidt der Getreuen herzlich zu: „Es war eine jchöne Fahrt, Sophie, der ganze Frühling duftet durch die Welt. Wie glükli die Menjchen, welche feinen Pfalter der Wonne nicht allein fühlen und jehen, fondern auch hören können |”

Der zuperfichtliche Ausdrud in dem Geficht der Alten, ihre ermutigende Gefte haben etwas außerordentlich Trö- ftende8 für das junge Mädchen. Sie jchlingt jählings den Arm um den Naden der erprobten Dienerin: - „Ach, Sophie! Gott gebe es.“ Und dann richtet fie fich auf und blickt mit verflärten Augen um ſich. „E3 find noch beinahe zwei Stunden Zeit bis zum Diner, ich möchte mich gern ein Weilchen niederlegen und ruhen, die Srühlingzluft macht müde.”

Die Kammerfrau nidt lebhaft Beifall und bereitet mit forgender Hand das Lager auf dem Diwan, dann ichreibt fie ein paar Zeilen auf.

„Befehlen Baroneß heute auf dem Zimmer zu [peifen ?”

Benedilta wendet fich ab und legt etwas umftändlich ihre Handjchuhe von dem Tiih auf die Bronzefonfole vor dem Spiegel.

„Nein, Sophie, ich möchte an dem Diner im Speife- faal teilnehmen, es ift jo umständlich für die Bedienung, mir jo oft hier im Salon zu fervieren . .. . leg mir,

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bitte, die ſchwarze Spigentoilette zureht id) fann mich ja dann gleich zur Oper ankleiden —“

„Zur Oper!” Die Matrone ift jo freudig überrafcht, daß fie gar feine Zeit hat, in da3 verlegene, immer höher fih färbende Antlig der Sprecherin zu fchauen, fie nict nur mit ftrahlendem Lächeln und eilt ohne Befinnen da- von, die Befehle auszuführen.

Benedikta aber finft in dem Glücksgefühl endlichen Ungeftörtjeing auf dem Diwan nieder, jchiebt mit feligem Lächeln die Arme unter dad Haupt und gibt fih nun voll und ganz dem Entzüden hin, mit welchem das un- verhoffte Wiederfehen ihre ganze Seele erfüllt.

Sie fchließt die Augen und fchaut dennoch voll licht: umftrahlter Klarheit jenes eine, zaubergewaltige Bild, welches zu ihrem fchmerzlich ſüßen Schidjal geworden.

Auf der Straße jchrillt die Glode der Pferdebahn und ein wonniger Schauder riefelt durch die Glieder der Träumerin, fie hört es! Wenn auch nur ganz, ganz ſchwach aber fie hört es! Und als der Profeffor heute morgen einen neuen Hörverjuch mit ihr anftellte, hatte fie ebenfall3 die einzelnen Laute wahrgenommen da3 zufriedene Nicken und Lächeln des Arztes fchwebte ihr vor den Augen, wie ein rofiger Schimmer, welcher nach langer Leidenszeit eine aufjteigende Sonne verfünbdet.

Benedikta fchlief nicht, aber fie träumte, und gleichfam, als ob unfichtbare Fäden von Geifterhand gewebt und von einem Traum in den andern hinübergetragen würden, lehnte fich auch Prinz Percy in die Voliter feines Wagens

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zurüd und fah gleich einem holden Traumbild da3 vor: nehme ftolzge Geficht eines fchwarzäugigen Mädchens. „Marga Daja! wie ift e8 möglich!” dachte er. „Nie und nimmermehr hätte ich fie für eine Sängerin gehalten. Und war fo Stolz auf meine Menfchenfenntnis. Schade, Ihade darım. Warum blickte fie mich jo mwunderlich an? Es war feine Kofetterie, e8 war die Überraschung eine3 jähen Erkennens. Kenne ich fie denn? Faſt möchte ich ſchwören darauf. Es find diefelben Augen, welche mir fo oft vorjchweben und von welchen ich doch nicht weiß, wem fie gehören. Marga Daja? Seltſam id) babe nie in einer Marga Daja Augen gefchaut.”

Und die Equipage rollte weiter durch das Haſten und Treiben der Großſtadt, der Lafai fprang von dem hohen Kutjcherfiß und riß den Schlag auf, um zu melden, daß man vor dem Gefandtichaftshotel der öfterreichifchen Botichaft halte. |

Leichtfüßig ſprang der Prinz die Treppe empor und vergaß während einer lebhaft eiligen Unterredung mit dem auswärtigen Würdenträger die Begegnung Marga Daja2.

Der Kutſcher ftudierte während deſſen den Bettel mit der langen Reihe von Adreffen, welche noch „abgefahren werden mußte.

„Himmel! was Hoheit doch auch für merkwürdige Paſſionen hat! In zwei chirurgiſche Geſchäfte in die Blindenanſtalt, zu Profeſſor L., zum Dokter H. im das pathologiſche Inſtitut und dabei um ſieben Uhr

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ſchon wieder auf der Bahn fein man follte wirklich faum glauben, daß man einen fürftlichen Herrn fährt!”

Aber er fuhr einen fürftlichen Herrn, vor welchem fich alle Häupter in begeijterter Verehrung neigten und ent- blößten, jobald man in dem fchlichten ne den Brinzen Percy erfannte.

Während des gemeinfamen Diner nahm Benedikta den Pla neben dem Profefjor ein, welcher zumeift mit den Batienten feiner bejchränften Heinen Privatklinik zu jpeifen pflegte, da er fchon feit Jahren verwitwet war. Cr liebte es, jedwede Einrichtung feines fehr eleganten Haufes einer perjönlichen Kontrole zu unterwerfen, was wohl den Grundftein zu dem vorzüglichen Renommee gelegt hatte, defjen fich die Anftalt weit und breit erfreute.

Auch Heute fand Benedikta eine erlefene Fleine Tafel- runde, welche durchaus nicht den Anjchein hatte, ala ob ſich zumeiſt taube, oder jehr ſchwerhörige Perfonen in ihr zujammen fänden.

Eine beitere, jehr animierte Unterhaltung flog ber und hin, die Heinen Schreibtafeln waren weniger in Aktion wie das Hörrohr, ein Zeichen für die vortrefflichen Kuren des Profeffors, unter deſſen Patienten Fräulein von Sloringhoven zur Zeit wohl die kränkſte und beklagens⸗ werteite war.

Er jelber war ein geiftooller, alter Herr von tadellofen gejellichaftlichen Formen, welcher voll warmen Intereſſes Anteil an dem Schidjal des jungen Mädchens nahm,

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deſſen auffallend jchöne und imponierende Erfcheinung troß der anjpruchslojen Toilette einen tiefen Eindrud auf alle machte, welche in die jchwermütigen Augen fchauten.

Mehr denn je fejlelte Benedifta heute die Blicke der Tichgefelichaft.

Ihr rojig über: hauchtes Antlitz, wel: ches eine außergewöhn⸗

liche Erregung ausdrüdte, (üchelte in einer wahrhaft ver: flärten Liebenswürdigfeit, und mehr wie einmal deuchte e3 dem Profeſſor, als habe Baroneß Floringhoven irgend eine Frage an ihn auf dem Herzen, welche ihr nicht recht über die Lippen wollte Könnte er ihr nur helfend entgegenfommen, aber der alte Herr zerbricht jich vergeblich den Kopf, weld ein Thema feine Patientin

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intereſſieren könne. Endlich glaubt er die richtige Spur gefunden, nachdem Benedikta feine ärztliche Erlaubnis zu einem Bejuch des Opernhaufes erbittet.

Das beinahe verblüffte Geficht des Gefragten lockte das erite Lachen über ihre Lippen.

„Sie find vollauf berechtigt, überrafcht zu fein, Herr Profeffor” fährt fie heiter fort, „es iſt ein merk⸗ würdiges Vergnügen für taube Menfchen, fi) Mufit an⸗ zuhören, ebenſo wie für blinde, welche eine Bildergallerie befuchen! Aber mein Beſuch in der Premiere Roman Ermönyis gilt nicht der Mufif allein, er gilt dem Erfolg, und ob eine Oper reüffiert oder ausgepfiffen wird, das verjteht man jelbjt mit tauben Ohren!”

„Sie fennen Roman Ermönyi perjönlich, Baroneß?“ forjcht der Profeffor mit einem Blid, welcher noch viel mehr fragt wie die Worte. Abermals ift er enttäufcht. Die rofigen Wangen und leuchtenden Augen der jungen Dame gelten ihm nicht.

„Rein, noch kenne ich ihn nicht perſönlich“, lächelt fie, „doch interejfiert mich feine Carriere, weil ſich das Lebens: glüd einer jehr Lieben Jugendgejpielin daran knüpftl —”

„Sp, fo! ein kleiner Roman hinter den Couliſſen!“ amüfierte ſich der Profeſſor, „das ift allerdings ein zwingender Grund, um Gie heute noch einmal von den Itrengen Satungen dieſes Haufes zu Dispenfieren! Schade, daß die Premiere nicht ein Weilchen fpäter ftattfindet, Baroneß fünnten dann, fo Gott will, voll eigenjter Überzeugung applaudieren I“

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Benediktas Antlig erglüht noch tiefer, der Profeffor aber jchreibt abermal3 auf dag Täfeldden: „Sie find heute jpazieren gefahren, gnädiges Fräulein, leichtjinniger- weile, ohne ſich zuvor den Kopf bandagieren zu laffen! Willen Sie auch), daß von morgen ab die guten Tage von Aranjuez aufhören? ch werde Ihr Tyrann fein und Sie wochenlang ftrenger gefangen halten, wie eint der Felſen feinen Prometheus!“

„Herr Doktor Brödler begegnete uns leider auf der Treppe”, lächelt Benedifta und neigt fich tief auf ihren Teller, „er hat mich ficherlich bei Ihnen verklagt?”

„Bröckler? Diefer leihtfinnige Schelm baut meiner Ichönen Patientin eher mit eigener Hand die Brüde zur Flucht, ehe er Sie jemals denunzieren würde!”

Der Profeffor muß fi) im Schreiben unterbrechen, da ihm eine Speife ferviert wird.

Die Hand feiner Nachbarin bebt auf der GServiette; jeßt wäre wohl der geeignete Moment, nad) Brinz Percy zu fragen, fie will die Lippen öffnen, will es thun, aber fie glaubt an ihrem Herzfchlag eritiden zu müſſen.

Scham und Verlegenheit fchnüren ihr die Kehle zu—

faınmen. | Wie harmlos könnte fie nun dem Profeffor die Ver: anlafjung die detaillierte Veranlaſſung zu ihrer un:

glüdfeligen Erkrankung erzählen! Er würde fraglos den

Prinzen von der opfermütigen That jeiner Retterin unter:

richten, und der hohe Herr würde fraglos noch jett feinen

perfönlichen Danf überbringen. Sie wäre feines warm— N. v. Eſch ſtruth, Ill. Rom. u. Nov., Stern des Glücks I. 11

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herzigen Intereſſes gewiß, fie würde fich zeitlebens feiner Teilnahme erfreuen.

Benedilta atmet ſchwer auf. Aber welch ein Gefühl vernichtender Neue, welch ein Schuldbewußtfein, welch eine bittere Selbſtanklage würden andererfeit3 auch den Prinzen quälen, welch ein verzweifelnder Gedanke würde es für feinen ritterlihen Sinn fein, an dem bitteren Unglüd einer jungen Dame die Schuld zu tragen!

Nein, Prinz Percy fol und darf niemals die traurige Wahrheit erfahren. Benedikta hat darum auch Marga das heilige Verjprechen abgenommen, nie und vor feiner Maenſchenſeele die Urſache von der Erkrankung zu erzählen.

Aber jprechen von ihm! etwas über ihn erfahren und hören, das möchte fie für ihr Leben gern, und doch will die Frage nach Prinz Percy nicht über ihre Lippen. Oft hat fie die inftinktive Empfindung, daß der Profeſſor mit den andern Tiichgäften von dem Beſuch des Hohen Freundes fpricht, aber fie ſitzt mit tauben Ohren Dabei, unfähig, auch nur ein Wort von dem zu veritehen, was fie doch fo über alles intereffiert.

Der Nachtiſch ift noch nicht aufgetragen, als der Profeffor ſich von feiner Nachbarin verabfchiedet, da eine wichtige Operation ihn abruft. Er erhebt fich, ruft reihum ein heiteres Lebewohl, grüßt und nidt, wie ein guter Freund mit Freunden verkehrt.

Der Bla neben Benedikta bleibt frei.

Obwohl alle anderen Anweſenden aud) dasfelbe, nur minder harte Schidjal des jungen Mädchens teilen, Hat

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e3 doch für Jeden ein peinliche8 und genierendes Gefühl, nur jchriftlich mit ihr verkehren zu können. In jedem Menfchen Liegt eine gewiſſe Schwerfälligfeit, welche fich gegen Ungewohntes fträubt, und Benedikta empfindet es mit ihrem feinen Taktgefühl, daß eine Unterhaltung mit ihr wohl niemand zum Vergnügen gereicht.

Ein herbes Weh preßt ihr Herz zuſammen.

Niemand paßt Schlechter in die menjchliche Gejellichaft, ala ein Tauber. Kein andere Gebrechen erjchwert den Verkehr derart, wie Ohren, welche nicht hören können.

Der Blinde kann plaudern, fcherzen, lachen, ohne daß einen einzigen der Anweſenden eine Echwierigfeit dadurch erwächſt, der Lahme kann eine ganze Gejellichaft amü- fieren und erheitern, ohne daß einem einzigen der Ge— danfe fommt: die Füße unter dem Tiſch fehlen oder find verfrüppelt.

Kur der Taube iſt ausgeichloffen von dem Manna geiftiger Nahrung und Erquidung, welches der Verkehr in einer heiteren Gejellichaft bietet.

Noch Itrafft die Hoffnung alle Nerven und Fafern an Benediktas jungem Körper, noch gewinnen Erbitterung und menfchenfliehende eindfeligfeit feine Macht, ihn zu— fammenbrechen zu lafjen in dem Elend eines Bewußtſeins: Du bift der Baria unter den Seligen, der Tote unter den Lebenden, der Ausgeftoßene unter Genießenden!

Und doch liegt auch jeßt jchon der feine Hauch der Schwermut auf dem ſchönen Antlig, welches jo roſenhell

gelächelt, als e3 die Anweſenden an dieſem Tiſch begrüßte. | 11*

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Ein penfionierter General hat es wohl beobachtet. Er rüdt ungeniert auf des Profeſſors leeren Stuhl und greift nad) der Kleinen Elfenbeintafel, um mit ſchweren derben Schriftzügen Darauf zu malen: „Ein Soldat muß den Vorteil einer verlafjenen Poſition auszunugen ver: ſtehen! Sch rüde nicht als Eroberer näher, dazu ift mein Kopf ſchon zu grau aber ala Alliierter. Wie befinden ſich Baroneß heute?”

„Da ich in all diefen heiter ſprechenden und hören den Herrichaften die Patienten des Profeſſors erblide, machen mid) Hoffnung und Zuverſicht fchon jetzt Halb geſund.“ |

„Bravo. So muß es fein. Sch alter Kerl werde lernen von Ihnen, bin mit meinem einen barthörigen Ranonenohr fo unzufrieden und mißmutig, daß es eine Schande ift, ich werde Sozialdemofrat!”

Fräulein von Floringhoven lacht auf, als fie es lieft und in das rote, fröhlich feiſte Antlig der alten un mit dem Graupinticherfopf blidt.

„Wie gut, daß Sie diefes Bekenntnis einer fchönen Seele nur ganz leife aufgejchrieben haben!!

„Hoho! ich Habe es heute dem Prinz Percy in das Geſicht gejagt, denn er eben ijt es, der mich dazu macht! Benedifta wird blutrot. „Der Prinz? ftottert fie.

Wie gut, daß der alte Herr fich fo tief bei dem Schreiben büdt. Er ftöhnt auch mächtig dabei und findet, daß er nie Talent zum Schriftiteller verraten.

„sa, der Prinz! er! gerade er! Hol der Teufel

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feine Kunft, wenn fie für ung verdiente, alte Krieger doch nur eine verdedte Schüffel fein fol! Treffe ich den hoben Herrn heute im Zimmer beim Profeſſor und Höre, daß er in Wien eine großartige Kur an einem taub ge- borenen Jungen gemacht hat und daß er eben das Terrain antauft, um eine Klinik erbauen zu laffen. „Hoheit“, lage ih „Donnerwetter! Ich bin Ihr erfter Patient in der Klinif! Schneiden Sie mir auch mal die verfluchte Schwarte au dem Löffel raus. Unter dem Meffer Eurer Hoheit werde ich ſelbſt bei dem tolliten Zwicken vor Freude ſchmunzeln!“ Und was jagt der fönigliche Doktor darauf: „Is nich, Exrcellenz, Mund wifchen! Für einen jo reichen Erbonfel wie Sie, gibt e8 genug gefchickte und berühmte Ärzte, die ihre Sache noch beffer verftehen und Patienten brauchen, um leben zu fünnen. Ih bin nur ein Arzt der Armen, und wer nod) fo viel Geld hat, daß er einen anderen Doftor bezahlen kann, der wird nie in meiner Klinif aufgenommen!”

‚a, Baroneß, was jagen Sie nun? Und da joll ein braver, alter Kerl wie ich, nicht Sozialdemofrat werden ?

Excellenz pujtete und wijchte fich die Stirn. So viel hatte er im ganzen Leben noch nicht freiwillig gejchrieben, hätte e8 auch heute nicht gethan, wenn das nette Mädel nicht fo verteufelt jchöne Augen hätte. Aber nun hat er auch für eine Weile genug gethan. Er ſchenkt fich Wein ein und ftärkt ſich nad) Diejer Anftrengung, und dann muß er in aller Eile fein Konfekt aufefjen.

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Die zeritreute Antwort feiner Nachbarin beantwortet er nur mit freundlidem Brummen und Grunzen, da er iuft ein paar Apfelfinenfcheiben in den Mund fchiebt. Dabei wendet er fi) an jeine Nachbarin zur anderen Geite. „Bei dieſer Apfeljine fällt mir eine Gefchichte ein, gnädige Frau!” fchreit er in ihr Ohr.

„Wir hören, Excellenz! Wir hören! lacht es von allen Seiten. Der alte Militär jchmunzelt und erzählt mit vollen Baden: „Hm, bei einem Manöver in Süd: . deutjchland war ich in dem Luftichloß eines regierenden Herrn einguartiert. Hochderjelbe fam eine Tages zu feinem Beſuch herausgefahren, dinierte mit ung und unternahm dann mit mir eine Heine Promenade durd) den Barf. Bor der Orangerie ftand ein Apfeljinenbaum vol herrlicher, reifer Früchte. Der König brach eine ab und wandte fi) zu dem Gärtner, welcher refpeft- voll in der Nähe ftehen geblieben war. „Sind dieſe Früchte wirklich hier ausgereift, Alterchen?” fragte er jovial, „sind fie füß, und fann ich wohl wagen, hinein: zubeißen ?”

„Dös Tann i Shna v’rfichre” antwortete der biedre Schwab freudeitrahlend, „wann der Herr Küni da nei- beißa wolla, nada leift 'm3 Aroma glei um’3 Maul rum”

Subelndes Gelächter. Excellenz wijchte fich „das Aroma” jchmunzelnd auch feinerjeit8 mit der Gerviette aus dem Bart, erhob fich und bot Benedifta voll felbit- verftändlicher Höflichkeit den Arm. Zuvor frißelte er

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noch auf das Täfelchen: „Ich jchreibe Ihnen die fchöne Geſchichte auch noch auf!” ein Opfermut, welchen Sräulein von Floringhoven mit einem Lächeln belohnte, welches den General entzüdte.

vll.

13 Benedikta wieder ihr Bimmer betrat, war es ihr lieb, Sophie noch nicht darin vor— zufinden.

Mehr denn je fehnte fie Jich nach einem Au— genblid der Einſamkeit und Sammlung.

Als der Profefjor die Tafel verlafjen, glaubte fie jeder Nachricht über Prinz Percy verlujtig zu fein, und als fie eine Vierteljtunde jpäter fi) erhob, nahm fie eine Neuigfeit mit in ihre Einjamfeit, welche fie jo hochgradig erregte, daß fie fich por dem Schreibtijch niederjegte und das Haupt in beide Hände ftüßte, um der pochenden Glut in ihren Schläfen Herr zu werden. Prinz Percy hatte ein Ohrenleiden mit großem Erfolg behandelt, er erbaute thatjächlich eine

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Klinik für arme Kranke, um fie perjönlich zu behandeln! Wie ein Zittern rann e3 durch die Glieder des jungen Mädchens. |

D, daß er auch ihr Arzt und Netter fein fünntel

Jählings blit ihr der Gedanfe durch den Sinn! nur er fann dir helfen! Er, der all dein Elend über dich gebracht, muß es auch wieder von dir nehmen! Nur eine Sefunde, dann birgt fie das Antlitz wie mit leifem Schauder in die Hände. Niemals! Auch Hier ift ihr Reichtum das unüberwindliche Hindernis, welches fich zwilchen fie und ihr Glück drängt!

Für fie find alle anderen Ärzte da, welche von ihrer Kunſt und ihren Keuntnijfen leben müſſen. Das ift eine ſehr richtige und anerfennenswerte Anficht des Prinzen; er will der Wiſſenſchaft keine Konkurrenz machen, ſondern nur da helfend und nützend eintreten, wo die natürlichen, ſozialen Verhältniſſe ſelber die Grenze gezogen.

Und wenn die anderen Ärzte trotz aller Kunſt und alles guten Willens nicht helfen können?

Ein tiefer Atemzug ringt ſich aus der Bruſt der Sinnenden. Noch hat ſie keine Berechtigung, daran zu zweifeln, noch ſteht ſie am Anfang einer Kur, von deren Ende ſich der Profeſſor ſo viel Erfolg verſpricht.

Langſam ſtreicht Benedikta über die Stirn, die alte Ruhe und Müdigkeit, die alte Reſignation kommt über ſie. Ihr Blick ſchweift voll feuchten Glanzes zu dem Himmel empor, über deſſen Frühligspracht die erſten Dämmerſchleier der Nacht ſinken. Sie lächelt. Sie

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dankt es ihrem Neichtum, daß er eine Scheidewand zwifchen fie und den Arzt Percy ſchiebt. Würde fie überhaupt die Kraft und den Mut befiten, ihm unter die Augen zu treten? Als Fremde, Unbefannte ja! Als Benedilta von Floringhoven nie.

Die einzige Möglichkeit, daß der Prinz eine Ausnahme machen und die Enkelin des Minifter3 in feine Armen: init aufnehmen würde, wäre die, daß feine Verpflich- tung gegen die Netterin feines eigenen Lebens ihn dazu zwänge.

Alsdann mußte er jedoch erfahren, was Benedikta für ihn gethan, was ſie für ihn gelitten und geopfert. Das würde ihn zu ihrem Schuldner machen, welcher dadurch auf das Peinlichſte beeinflußt, alles aufbieten würde, dieſe Schuld abzutragen. Das würde Verkehr zwiſchen Arzt und Patienten äußerſt verlegen und unerquicklich geſtalten; ja, es würde durch die Feſſeln eines moraliſchen Zwangs die Hand des Operateurs lähmen. Und wehe, wenn auch er alsdann nicht helfen könnte!

Doppelte Gewiſſensbiſſe würden ſeine empfindſame Seele peinigen; das entſetzliche Gefühl, die Urſache wenn auch die unſchuldige an ſo viel Unglück zu ſein, ein Mädchen, welchem er ſelber Leben und Geſundheit ver- dankt, für alle Zeit elend gemacht zu haben, würde ihn Tag und Nacht ruhelos verfolgen. Und zu folch einem Daſein voll nagender Vorwürfe jollte Benedikta ihn ver- urteilen, ihn, für deſſen Heil und Frieden fie täglich Die gefalteten Hände zum Himmel hebt?

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Sie preßt die Lippen zufammen und fchüttelt jählings das Haupt. her fterben!

Die dreizehnte Fee, welche an ihrer Wiege geitanden, bat ihr das Gold zum Angebinde gebracht, das rote, dämonifche Gold, an welchem Loges böfer Geift für ewig haftet, welches den Fluch Alberich® unlöglich durch die Welt trägt. „Kein Froher ſoll feiner fich freuen, feinem Glüdlichen lache jein Lichter Glanz!” Heißt es in der „Sötterdämmerung.”

Gold oder Liebel Die Unheilsnorne hat für Bene: dikta gewählt.

Eine leichte Erjchütterung der Dielen läßt die Träumerin auffchauen.

Sophie eilt jehr haſtig, mit allen Zeichen freudiger Erregung, ihrer jungen Herrin entgegen. Sie nimmt fich gar nicht die Zeit, die köſtlichen Veilchenfträuße welche fie für die Theatertoilette der Baroneß bejorgt, der jungen Dame zu überreichen, achtlo3 wirft fie diejelben auf den Tiſch, ergreift die Schreibtafel und malt fo fchnell fie kann, ihre fchwerfälligen Buchjtaben darauf nieder.

„Eckert ſteht draußen!”

Ein Freudenlaut klingt über die Lippen Benediktas. Sie gibt keinen Befehl, den Inſpektor eintreten zu laſſen. ſondern ſtürmt zu der Thüre, um ſie perſönlich zu öffnen, und ihm voll großer freudiger Überraſchung die Hand entgegen zu bieten.

„Eckert, welch ein unverhoffter Beſuch aus Floring— hof! Grüß Sie Gott!” und als der ſtramme, blond-

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bärtige Mann fich rejpektvoll über ihre Hand neigt, und feine junge Gebieterin al3dann mit feinen milden Blau augen anlächelt, fährt Fräulein von Floringhoven auf- atmend fort: „Sch jehe es Ihnen an, Edert, Sie bringen Gottlob gute Nachricht !”

Er macht eine bejahende Gefte und überreicht einen Brief, welcher die Schriftzüge Dallbergs trägt.

„Das ſcheint eine lange Lektüre zu werden”, nickte die Enfelin des Minifterd freundlich. „Nehmen Sie, bitte, Platz, lieber Edert, und laffen Sie Sophie für eine Er: friſchung ſorgen. Hören Sie, Sophie? Sch möchte noch vor meiner Fahrt in die Oper den Thee trinten, und Herr Edert wird mir liebenswürdiger Weife Gefellichaft leiften. Es fol jo fchnell wie möglich hier in meinem Salon jerviert werden.”

Schmunzelnd verjchwand die Alte Hinter der Portiere, und der Blid des Inſpektors folgte ihr ftaunend. Er hätte Frau Sophie faum wiedererfannt, jo impojant jah fie in dem ſchwarzen Seidenkleid und dem weißen Spißen- auffag aus; daß dieſe ungewohnte Pracht Ermönyis neuer Oper galt, ahnte er noch nicht.

Benedifta war an das Fenſter getreten und überflog mit haſtigem Blid die Zeilen ihres Gutspächters. Ein wehmütiger Zug jchlich fich um ihre Lippen, und ein tiefes Aufjeufzen hob ihre Bruft.

Ein Zimmermädchen trat ein, drüdte auf einen Knopf an der Wand, und der elegante Salon eritrahlte in elef- triſchem Licht, dann wandte fie fi) und räumte hajtig

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den Tiſch ab, mit etwas erftauntem Blick die anfpruchs- loſe Geftalt des fremden Herrn mufternd, welchem die Auszeichnung zu Teil werden follte, mit der Enfelin des Miniſters zu foupieren.

Fräulein von Floringhoven wartete, bi3 das Mädchen wiederum das Zimmer verlaſſen hatte, dann trat fie an den Tiſch und ſetzte fich in den Seſſel neben den großen, blondbärtigen Mann nieder.

„Herr Dallberg teilt mir mit, daß mein armer Groß: vater leider Gottes vollftändig teilnahmlos und unzu— gänglich für jede gejchäftliche Beiprechung ift. Er ſei auch durchaus nicht zu bewegen gewejen, die Abrechnung und Bücher am erjten April zu revidieren und zu unterzeichnen. Das fei nunmehr abfolut notwendig, da e3 außerdein mit manchen Neueinrichtungen dränge und Zahlungstermine vor der Thür ftänden.” Die Sprecherin machte eine kleine Baufe und blickte nachdenklich auf den Brief nieder, während Edert fich in fchweigender Zuftimmung verneigte. „Herr Dallberg wendet fih nun an mich, mit der Bitte, die fchwebenden Angelegenheiten mit Ihnen zu befprechen und zu erledigen, Herr Inſpektor, da die Unzurechnungs- fähigfeit des greifen Großvaters mir fchon jet den Be— fig und die Verwaltung der Güter zujchiebe. Als feine Stelfvertreterin ftehe mir die Befugnis zu, in den dringenden Angelegenheiten der Verwaltung zu entjcheiden, und meine notariell beglaubigte Unterjchrift erjege in dieſem Notfall durchaus diejenige des Großvaters?“

Wieder machte der Gefragte eine zuftimmende Kopf:

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bewegung, und wieder ſah Benedikta einen Augenblid unſchlüſſig vor fich nieder.

„Da ich von all dieſen Dingen fehr wenig verftehe, ilt die Verantwortung für mich eine fehr große —“, fuhr fie tief aufatmend fort, hob jählings das Haupt und blickte Edert feit in die Augen: „Doch werde ich mich Ihren Vorſchlägen in allen Dingen fügen, lieber .Edert, da ich Ihnen und Herrn Dallberg von ganzem Herzen vertraue, und überzeugt bin, daß Sie beide nur mein Beftes wollen !“

Ein warmes Aufleuchten jtrahlte aus dem chrlichen Augen des Inſpektors, er griff nach dem Eleinen Täfelchen, und fein Geficht ward ernit.

„SH danke, Baroneß, für da3 ehrenvolle Vertrauen, welches mich ftolz und glücklich macht und welches ich mit Gottes Hilfe vollauf rechtfertigen werde. Ihnen das Ver- mögen und den Grundbefig Seiner Excellenz nicht nur zu erhalten, ſondern auch zu vergrößern, ift der redliche Wunſch von ung Allen. Wir wollen über das Glüd des gnädigen Fräuleind wachen, auf dieſer Welt erfauft fich ja leider Gottes alles Glück nur durch Geld!“

Ein jchmerzlicher Ausdruck lag auf dem Antlit des Schreibenden, und als Benedikta gelejen, verjtand fie, welch ein Gedanke ihm wohl bei dem lebten Sat das Herz durchbebt hatte.

Marga! Er wähnte, daß nur feine Armut und feine untergeordnete Lebensſtellung ihm den Weg zu ihr und dem Glück verjperrten.

Könnte er als reicher, hochangejehener Gutsbeſitzer um

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die verwöhnte Heine Dame werben, würde er es erſtens wagen und zweitend® würde fie wohl nicht nein jagen! Das Geld ift eine Macht, welche nicht nur den Rüden, londern auch die Herzen der Menfchen beugt und neigt. |

Iſt es aber wahrlich ein Glüd, ein Herz zu gewinnen, welches fich nicht auf dem Altar der Liebe, fondern nur auf dem des goldenen Kalbes opfert?

Kein! Taujendmal nein!

Die Marga, fo wie fie jet lebt und webt, würde als Frau des reichjten Edert felbft, nur ein Unglüd für ihn fein, denn fie würde nicht ihn, fondern nur fein Geld lieben, nnd der Reichtum würde auch in dieſem Fall der Mörder alles Glückes fein.

Die dunklen Augen Benediktas hafteten vol milder MWehmut auf dem geneigten Antlit ihre Gegenübers.

„Sie halten das Geld für den Kaufpreis alles Glückes, Herr Edert?” fragte fie leife: „Dann überjhägen Sie e3 in hohem Grade. Das Glüd läßt ſich überhaupt nicht faufen, das große, wahre und echte Glüd fällt ungejucht und wnerhandelt vom Himmel herab in den Schoß der- jenigen, welche e3 oft am wenigjten vermuten und manch— mal auch am wenigjten würdigen. Gar mancher, der das Glück kaufen wollte, der mit Goldklumpen nad) feiner rollenden Glaskugel warf, jchlug fie für ewige Beit in Splitter!”

Und wieder griff er mechaniſch nach der Elfenbein- tafel: „So glauben Baroneß, daß nur ein armer Menſch

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glüdlich fein Tann?” fchrieb er, mit feiner Schmerzen: linie um den Lippen.

„ein, diefe Behauptung würde eine unhaltbare Theje fein. Ich bin fogar der Anficht, daß das Glück zu feiner Erhaltung und Vervolllommnung jo viel Gold braucht, wie DI notwendig ift, um die Flamme einer Lampe zu nähren. Stügen und halten kann wohl der Reichtum das Glück, wenn er fo groß ift, daß er Sorge und Not von einer Schwelle fern hält, über welche die Liebe gejchritten. Das Geld kann das Glück vor manchem Sturm, mancher Anfechtung und mancher Gefahr ſchützen, aber es fann e3 niemals faufen, denn da3 Glüd ift die Liebe.”

„Und wenn fich zwei arme Menfchentinder lieben, und fönnen nicht heiraten, weil die Mittel fehlen ?”

Benedikta lächelte. „Sch denke auch in diefem Punkt vieleicht etwas ſchroff und allzu ideal. Oft fann ein armer Mann ein armes Mädchen nicht heiraten, weil jeine Stel: lung, fein Gefchäft oder feine Karriere reichliche Mittel bedingen. Liebt er dieſe Stellung, dieſes Gejchäft oder diefe Sarriere mehr als das Mädchen, jo daß er nicht imftande it, fie um ihretwillen aufzugeben, nun fo ift die Neigung zu diefem Weibe auch nicht fein Glück! Liebt er fie aber jo über alles, daß er jedes Band der Konvenienz um ihretwillen zerreißt, wird er fich fein Glück nicht erfaufen, jondern es mit offenen Armen und arbeit3- mutigen Händen vom Himmel auffangen!“

„And wenn er Weib und Kind felbft mit den arbeits luftigften Händen nicht ernähren kann?“

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„Dann wird immer erjt meine Behauptung in Kraft treten, daß das Geld nur ein jchon vorhandenes Glück erhalten und jtügen fann. Ich gebe gern zu, daß manches Glück zu Grunde gehen und manche Liebe hungers jterben

fann, weil ihr die Mittel zur Eriftenz fehlen, aber anderer: jeit3 fünnen auch Millionen zur Verfügung ftehen, und Herz und Seele jterben doch im grenzenlofeiten Unglüc Dabei eines taufendfachen Todes. Wielleicht gerade die Liebe und dasjenige Glüd, welches die Millionen erfaufen

jollten. Seine Regel ohne Ausnahme So ungezählte N. v. Eſchſtruth, IN. Rom. u. Nov., Stern des Glüds I. 12

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Menfchenherzen auf diefer Welt fchlagen, fo ungezäblte Formen von Glück und Liebe wird es geben, und doch behaupte ich angeficht3 ihrer Aller, daß das wahre, höchite Glück alles Erdenlebens die Liebe ift, und daß die wahre Liebe nie durch Geldeswert erhandelt werden kann wie eine tote Ware.” |

„Alſo glüdlid wer reich ift, nod) glüdlicher vielleicht, wer e3 nicht iſt?“

Edert lächelte, und auch Benedikta lachte und änderte Schnell das Geſprächsthema.

Die Speiſen wurden ſerviert und Baroneß Floring-⸗ hoven füllte eigenhändig das Glas ihres Gaſtes. Sie hob ihm das ihre entgegen: „Auf daß ich recht behalten möchte, auf daß Sie mit leeren Händen das größte, ſchönſte Glück auf dieſer Welt gewinnen möchten!“ lächelte ſie in ihrer ſo vornehmen und dabei doch jo herz: gewinnend liebenswürdigen Weiſe.

Eckert ward dunkelrot und verneigte ſich danfend. Dann fragte er per Stift, ob Baroneß befiehlt,; noch heute abend die Bücher durchzufehen ?

Benedikta jchüttelt Haftig dag ſchöne Haupt: „Heute abend will ich gar nicht? mit folch abjcheulicher Profa zu thun haben, Herr Edert, heute ftehe ich ganz und gar im Dienft der Poeſie und Kunſt und Hoffe, auch Eie für denfelben anmwerben zu können. Ich fahre heute abend in da3 Theater, um Marga Daja in der Hauptpartie einer neuen Oper zu bewundern und zu ſehen, zu ‚hören‘, kann ich ja leider nicht jagen. Sie werden

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ebenfall3 Ihr ES cherflein Lorbeer in Geftalt Ihrer Anz wejenheit beifteuern ?”

Er neigte da3 Haupt jehr tief, um zu fchreiben: „Ich habe mich leider vergeblich um ein Billet bemüht, das Haus war ausverkauft.”

‚sonen einen Platz zu verjchaffen, lafjen Sie, bitte, meine Sorge jein!” |

Er verfucht auszuweichen. „Ich würde beffer thun, mich heute zeitig zur Ruhe zu begeben, die legten Tage waren überreic) an Arbeit!” |

Benedikta macht eine heiter abwehrende Gefte: „Sie fchen durchaus nicht müde oder abgejpannt aus. Es würde mich jo freuen, fünnten Sie Marga auch einmal auf der Bühne fennen Iernen !“

Er blidt fie mit feinen ehrlichen Augen feft an und ſchüttelt wehwütig das Haupt: „Ich glaube nicht, daß - ich ihre Leiftungen richtig zu würdigen verſtehe!“

„Auf den Verſuch kommt es an. Sehen Sie, das erinnert mich an unfer erſtes Geſpräch. Marga ift ein Weſen, welches genau denkt wie Sie. Alles Glück macht fie vom Gold abhängig. Ein großer, durchichlagender Erfolg deucht ihr eine Garantie für Glück und Liebe, und der heutige Abend, wird gewiljermaßen. die Ent: icheidung bringen. Heute wird von zwei Menjchen die große Frage ausgejprocdhen: „Wird der Erfolg und Gold wird das Gold ung Glüd und Liebe bringen?” Sie felber jubelt fchon jeßt ein übermüti- ges „Ja!“ der Überzeugung, aber die große, wahre Ant:

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wort fann wohl erjt die Zeit und die nächſten Sahre Darauf geben!”

Edert3 Antlit war um einen Schein erbleidht, aber er blieb vollfommen ruhig.

„Sebe Gott, daß diefe Antwort günftig lautet”, und dann trat Sophie ein und meldete, daß es wohl Zeit ei, einen Wagen holen zu lafjen.

Benedilta erhob fih. „Nun muß ich doch bitten, Herr Edert, das Souper ohne mich zu beichliegen. Wie ich jehe, will meine eitle Sophie mich noch mit Veilchen Ihmüden und benötigt dadurch meine Anwejenheit vor dem Spiegel. Bitte, bedienen Sie fi) einntal ohne „Be: dienung” und halten Sie ſich alödann bereit, mich zu begleiten !”

Welch ein ungewohnter, fcherzender Klang in ihrer Stimme! dert ſtand an feinem Seſſel und blidte ihr voll warmberziger Verehrung nad. Das Unglüd hatte dieſes junge Haupt fchwer, ſehr jchwer getroffen, aber es hatte dennoch nicht vermocht, es faſſungslos und kraftlos zu beugen. Mit heiterer Gelafjenheit, voll Gottvertrauen und erjtaunlicher Selbjtbeherrfchung fand fich Benedikta in ihr herbes Schidjal.

Wie hätte wohl Marga Daja, „das Kind” mit dem eigenfinnigen Köpfchen voll Findifcher Launen und Eindifcher Ungeduld fich in gleicher Yage benommen? dert denft an jenen Ausbruch ihrer ungejtümen Verzweiflung und Empörung zurüd, als man ihr damals zumutete, Durch Pelze, Kapotte und warme Schuhe gefchügt, eine

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Stunde durch den Schnee zu gehen. Wie würde Marga ein Schickſal ertragen, wie dasjenige, welches Benedikta heimgefuht? Marga, welche ſchon um einer Kleinigkeit willen in Thränen des Trotzes und der Mutlofigfeit ausbrad) ?

Eckert ftarrt nachdenflih in fein Weingla3 nieder, aus welchem rubinrote Lichtfunfen zu ihm aufglühen. Sollte Benedilta recht haben? Sollte es doch nicht das wahre Glüd fein, welches am Gold hängt und nad) dem Gold drängt? Sollte die Armut doch zum Segen werden können, weil fie der jäh aufflammenden Leidenjchaft, welche fi) mit der Maske der Liebe ſchmückt und doch nur die Blindheit von ihr erborgt, ein Hindernis in den Meg. baut?

Dft lehrt es erſt die Zeit, daß ein viel betrauertes und beflggtes Entjagen im Grunde genommen nur ein hohes Gewinnen war.

Langſam hebt der finnende Mann das Glas an die Lippen, und die roten Funken aus jeiner Tiefe leuchten ihm entgegen, wie ein geheimnisvoller Hort des Glückes, welcher für ihn noch verborgen im Strom der Zeiten ruht.

Als Benedikta wieder eintrat, ftand Edert wartend hinter feinem Sefjel und wies mit einem fragenden Blid auf die Heine Tafel nieder.

„Befehlen Baroneß wirklich, daß ich nod) einmal mit- fahre? Es wird durchaus vergeblich fein, da fein Billet mehr zu haben iſt!“ Stand darauf.

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Fräulein von Floringhoven lächelte: „Verſuchen wir e3 noch einmal!”

Sophie legte den eleganten Belzmantel um die Schultern der jungen Herrin und hüllte fich jelber in einen jchönen Abendmantel, welchen der Inſpektor noch nicht an ihr kannte.

Er war überhaupt fprachlos, wie würdig und gut die alte rau ausjah, wie fie ihr feidenes Kleid und den ſtatiöſen Kopfpug mit einer Miene trug, als fei fie e3 niemal3 anders gewohnt gewejen. Auch die filbergrauen Glacéhandſchuhe ftreifte fie genau in der Weile an, wie fie e8 feit Jahren bei ihren eleganten Herrinnen gejehen.

Beklommen fchweifte Edert3 Blid an feiner anfpruch3- loſen Erjcheinung hernieder, die zwar das beite Sonntags civil trug, welches er bejaß, in dem er aber zwilchen den modern gefleideten Reſidenzlern dennoch jo vorfintflutlich dreinichaute, al3 müſſe erjt der Staub von feiner „aus dem Winkel geholten” Geſtalt abgeblajen werden.

Er empfand e3 mit emem Gefühl inniger Dankbarkeit, daß die vornehme fchöne Dame an feiner Seite fid) feiner nicht jchämte, und wagte faum den Gedanken aus zufpinnen, wie wohl Marga fich in gleichem Falle be- nehmen würde. Geltjam, es war, al3 ob Benediftas Worte einen feinen Schleier von feinen Augen fortgezogen hätten, al® ob er nun die ftrahlende Erſcheinung der jungen Sängerin nicht mehr mit der verblendeten, an— betenden, tief unglüdlichen Liebe anjchaue, fondern ftet3 mit der forgenden Frage: „Würde fie und ihr Belik wahrlih dein Glüd verförpern! Was würdeſt du an

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ihr gewinnen, wenn du fie jegt mit Geld als Weib er- kaufen könnteſt!“

Der Wagen rollte durch die belebten Straßen, die Fenſterſcheiben klirrten leiſe, und die Strahlen der elek— triſchen Lichtflammen zuckten wie ſchnelle Blitze dur das Dunkel.

Eine Unterhaltung war ausgeſchloſſen, und die Einzige, welche dies vielleicht ſehr bedauerte, war Sophie.

Benediktas Gedanken weilten fernab bei dem Bild eines Mannes; welches in lebensvoller Wirklichkeit fo plöglih und unerwartet ihren Weg gefreuzt hatte. Voll fieberifcher Aufregung lebte fie nur noch der einen voffnung, ihn heute abend wiederzuſehen.

Was war begreiflicher als der Wunſch des Prinzen, einer Premiere beizuwohnen, welche momentan das volle Intereſſe der geſamten Kunſtwelt, des ganzen muſikliebenden Publikums war! Sollte er ein ſolches Ereignis ver— ſäumen, da er nun doch einmal in der Reſidenz anweſend war, und fraglos Hof und Hofgejellichaft heute abend vollzählig das Dpernhaus bejuchten ?

Benediktas Pulſe jtürmten. Mit unficherer Hand taftete fie nad dem Wagengriff, als die Equipage vor dem ſtrahlend erleuchteten Portal des Mufentenpels m Der Schlag ward aufgerifjen.

Edert ſprang zur Erde und hob Fräulein von Floring—⸗ hoven mit einer Ehrerbietung aus dem Wagen, als ob ein Vaſall ſeiner Fürſtin dient.

Noch war es ſehr frühzeitig, und die in die Mäntel

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gehüllten Geſtalten des Publikums erftiegen vereinzelt und vol behaglicher Gelafjenheit die breiten Steintreppen.

„Bitte, folgen Sie mir zu den Garderoben, Herr Edert, ich Tenne den Weg durch einen Beſuch bei Marga während einer Aufführung. Die einzige Möglichkeit, noch) einen Platz für Sie zu erhalten ift die, daß Marga ihn jchafft.”

Edert zudt zufammen. „Ich bitte dringend, Baroneß, in diefem Falle davon abzuſehen!“ ftieß er bittend hervor, aber gleichzeitig entjann er ſich, daß jeine Ber gleiterin. ihn nicht verjtand, und daß es momentan uns möglich fei, fchriftlich mit ihr zu verkehren. Auch fchritt fie fo Haftig voraus, daß er wohl oder übel folgen mußte.

Er nahm fich jedoch vor, Fräulein Dallberg zu ver- fihern, daß er nur dem Wunfch feiner Schloßherrin folge und ſelber nicht den mindeften Wert auf eine Ein tritt3farte lege. | Fräulein von Floringhoven eilte um das Opernhaus herum, nach einer jchmalen Seitenthür unter vorgebautem Regenſchutzdach, welches nur durch zwei Gaslaternen be- leuchtet wurde. |

Sie trat in den ſchmalen Korridor ein, in welchem ein Feuerwehrmann gelangweilt auf und nieder ſchritt und der Nahenden mit dem Finger am. Helm höflich meldete: „Hier geht’ zu den Gaderoben, meine Dame! Haupteingang auf der anderen Seite, rechts.”

Benedikta nickte ihm freundlich zu und antwortete,

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den Inhalt feiner Worte ahnend: „Wir werden in den Garderoben erwartet |”

Der Feuerwehrmann trat höflich zur Seite, und Bene- dikta ſtieg eilig die Treppe empor.

Laute, Iuftige8 Leben und Treiben. Gejang, Ge— lächter, hin und her eilende Perjonen in abjonderlichen Koſtüm. Die gejchminkten Gefichter wirken in der un— mittelbaren Nähe beinahe erjchredend.

Man muftert die Kommenden ungeniert, läßt aber die majeftätifche Frauengeftalt anftand3los paffieren; da fie Beicheid in diefen Räumen zu wiljen jcheint.

Benedikta bleibt vor einer Seitenthür ftehen.

„Das ift Margad Zimmer” jagt ſie hochatmend, „bitte erwarten Sie mich bier auf dem Korridor, Herr Edert.” Gleichzeitig Elopft fie an.

„Sal was ift denn 108?!” ruft Margas filberhelle Stimme etwas ungeduldig, „näher treten!”

Fräulein von Floringhoven blidt fragend auf den Infpektor. „Hat fie geantwortet? Darfrich⸗ eintreten ? fragt ſie.

Eckert nickt zuſtimmend, gleichzeitig wird die Thür aufgeriffen und eine Jungfer erfcheint darin, das ande Brenneiſen noch in der Hand.

„Ah Baroneß! gnädiges Fräulein!” knixt fie und ichlägt die Thür vollends zurüd, mit einladender Gefte bittend, näher zu treten. Dieweil die junge Dame haftig über die Schwelle fchreitet, muftert die Kammerjungfer mit neugierig ungeniertem Blick die freindartige Er-

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Icheinung de3 Gutsinſpektors. Er hält weder einen Brief noch einen Strauß in der Hand, alfo gänzlich un: interefjant. |

Rückſichtslos ſchmettert fie ihm die Thür vor der Nafe zu, denn auch in ihren Augen machen lediglich die Kleider Leute.

Edert blidt vor fich nieder. Er hört Margas Stimme nebenan in leifem Aufichrei, und dann ihr luſtiges, be: thörendes Lachen.

Das Herz erzittert ihm. Ein namenlofeg Etwas fteigt in ihm auf, bis body in den Hals, da ſitzt's feſt und würgt ihn.

Er will auf und davon, er findet es verachtlich, als Bittender vor der Thür eines Weſens zu ſtehen, welches nichts als Spott und Verachtung für ihn hat.

Das ſchneidet ihm in das weiche, tief fühlende Herz.

Sie, die mit den kleinen Kinderfüßen rückſichtslos und mitleidslos dieſes Herz in den Staub tritt, ſoll doch nicht glauben, daß er als willenloſer Sklave nach der Wonne ſeufzt, Marga Daja auf dem Gipfel des Ruhmes und Erfolges zu ſehen.

Nein, er will auch einmal ſtolz und hart ſein, er will ihr ſagen, daß er ſich mit Baroneß nicht verſtändigen konnte, daß er ihr nur aus Höflichkeit folgte, und Fräu— lein Dallberg abfolut nicht wegen einer Einlaßfarte be- läftigen will. Ja, das will er jagen.

Ein herber Zug ſchleicht um feine Lippen. Er achtet ſich ſtramm empor zu feiner rieſenhaften, imponierenden

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Größe, und blickt fchier feindfelig auf das loſe, leichtfertige, gejchmintte Völfchen, welches wie ein kecker Mastenjchwarm um ihn herum toll. Da wird die Thürklinfe neben ihm hart niedergedrüdt, und Edert zudt zufammen.

Ein Ruck und Auffchlagen des Thürflügela, zwei fleine, jchneeweiße Hände jtreden ſich ihm entgegen.

„Kommen Sie, Edert! Kommen Sie nur herein! ic) fann zur Not ſchon Herrenviliten empfangen!” lacht es ihm entgegen, Marga3 Köpfchen flimmert in märdjen- haftem Schmud vor jeinen Augen, die Hände fafjen ihn und ziehen ihn über die Schwelle.

Da Steht er vor ihr, und wie geblendet, wie über: mannt von ihrem unvergleichlichen Anblick jtarrt er wort⸗ 108 auf ihre Elfengeftalt hernieder.

Sie lieft die Wirkung ihrer Erjheinung in feinem Antlib, wie in einem aufgejchlagenen Buch, und weil fie gar fo viel darin lieft, fiegt die Eva in ihr.

Gejchmeichelte Eitelkeit, Mitleid mit dem armen Falter, welcher ich die Schwingen am Licht verbrennt, und eine unbezwingbare Kofetterie, einen noch immer tieferen Ein- drud auf diefen Sklaven ihrer Anmut zu machen, zwingt ihr eine Ziebenswürdigfeit auf die Lippen und in das Antlitz, welche Edert noch nie an ihr fennen lernte.

Im Berein mit ihrem Ausfehen wirkt fie beraufchend.

„Welch eine Überrafchung! welch eine freudige Über: raſchung, lieber Edert!” ruft fie mit zauberifch leuchtenden Augen, „Sie heute abend hier im Theater in meiner Nähe zu willen, hat etwas geradezu Tröjtliches für mich |

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Heute, wo jede Freundeshand unbezahlbar ift! Seien Sie willlommen, lieber Edert taujendmal von Herzen willlommen!” und fie lächelt ihm zu und drüdt ihm abermals die Hände. Sie freut fich wirklich, ihn zu fehen, wenn auch das Grundmotiv dieſer Freude nur Eitelkeit und Egoismus iſt.

Wie im Schwindel ſtarrt er auf fie nieder, und da er abfjolut feine Worte findet, auf fol eine Begrüßung zu antworten, fährt fie lächelnd fort: „Baroneß jagt, daß Sie Ärmſter fein Billet befommen haben! Unbeforgt, mon ami, in unferer Schaufpielerloge find wohl noch Pläße frei Stehpläße auf jeden Fall. Aber was thut das Sie jeßen fih in den Zwilchenpaufen, und während die Anderen ſich ermüden, ruhen Sie fich aus. ch fchreibe gleich einen Zettel... .”

„Fräulein Daja ic) muß weiter frifieren!” mahnt die Zofe mit langem Blid des Staunen3 den feltfamen Stoffel mujfternd, welcher ftumm und ftarr wie ein Stod- fifch vor ihrer fchönen Herrin ſteht je nun, feine Augen reden um fo mehr und um fo deutlicher.

„Sleich, Doris, glei! Mein Gott, man wird ganz fonfus bei ſolch einer Überrafchung —! Bitte, nehmen Sie Pla, lieber Edert, und lajjen Sie mid) während de3 Reſtes meiner Toilette noch mit Ihnen plaudern!” Sie weift auf den Sefjel neben dem Sopha, auf welchem Benedilta Pla genommen hat und jchweigend in den Neotenblättern auf dem Tiſche lieft.

„Ich würde Ihnen allerdings unendlich dankbar kein,

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Fräulein Marga und wäre es auch nur das befcheidenfte Winkelchen . . .“, ftottert er, dunfelrot vor Aufregung und vor innerer Scham, daß all feine ftolzen Vorfäße von dem Hauch eines einzigen ihrer Worte über den Haufen geblajen find wie leere Spreu. i

Sie wendet das Köpfchen lachend zurüd. „Eine Freund: Ichaft ift der anderen wert! Willen Sie noch, wie Sie, Nitter ohne Furcht und Tadel, mic) hoch zu Roß aus dem Schnee erretteten?”

Und ob er’3 noch weiß! Er jagt e8 aber nicht. Seine Zunge liegt wieder vollkommen im Bann feiner Augen. Was haben die aber auch zu jehen!

Wie ein Traum deucht es ihm. Er hat doch früher, al3 er noch ein wohlhabender Mann war, auch oft das Theater bejucht, allerdings nicht die Oper der Nefi- denz. Aber jo viel Blendendes, wie das Bild Margas, welches der hohe Wandipiegel zurüditrablt Hat er doch nie gejchaut.

hr Koſtüm fol wohl dasjenige einer Melufine oder einer Eflfenfönigin darftellen, er weiß es nicht. Gold: leuchtende Schleiergewebe umhauchen ihre zarte Geftalt, blonde Locken wallen wie ein Mantel darüber hin, durch- zogen von einem jumelbligenden Stirnreif, überfät von funfelnden Steinen. Hals, Bruft und Gürtel find bededt von märchenhaften Schmud, die nadten Arme zieren wunderliche Spangen, fandalenartige Schuhe befleiden den Fuß. Marga befeitigt joeben noch lange, edeljteinbejeßte Soldbänder an dem Gürtel.

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„Eigentlich jchade!” lacht fie, „daß fo viel Kapital mit dem Götteropfer auf den Holzitoß gejchleppt werden

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fol —! Unfere realiftifche Zeit würde ihm ficherlich diefe Juwelen vorher. abnehmen! Haben Sie eigentlich ſchon den Text gelejen, Eckert?“

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Cr jchrict wie au8 einem Traum empor. „Nein Fräus lein Marga, noch nicht!”

„Dort auf dem Tiiche liegt er! Nehmen Sie ihn mit, auf daß Sie doch erfahren, wie graufam mic) die Menichen behandeln! Werden Sie mir eine Thräne nad)- weinen, wenn mich die Zlammen verjchlingen ?”

„I, Fräulein Marga —!”

„Ich bin ja nicht maujetod. Wenn Gie recht, recht tüchtig Elatjchen, Lieber Edert, erftehe ich phönixgleich aus der Afche und mache Ihnen fo oft noch einen dankbaren Knix, als wie Sie mich herausrufen! Aber den Kom: poniften müſſen Sie immer mit mir zujammenrufen, jo erfordert e3 hier die Sitte, hören Sie, lieber Eckert! Mein Gott, wie wundervoll müfjen Sie mit ihren waderen, immer fleißigen Händen Eatjchen fönnen! So, Doris, nun legen Sie mir noch den Pfauenwedel bereit... . Die weiße Roſe ... . ah! Und hier die eine Locke Hoc: etwas feſtſtecken, ſie fällt allzu tief in die Stirn fo. nun wär ich ja gerüſtet.“

Die Sprecherin ſchob eine kleine Mospaſtille in den Mund und wandte ſich nach ihrem Toilettentiſch, um ein Notizbuch zu ergreifen. Sie wühlte zwiſchen Schmuck, Blumen, Spitzen und Schleiern ſehr ſorglos herum, bis ſie das Geſuchte fand.

„Ich ſchreibe ein paar Worte an den Logenſchließer

. die geben Sie ab, Herr Eckert, und du bringſt einen Zettel an Regiſſeur Braunberg, Doris, welcher auch in der Loge figen wird.” Sie neigte fich tief nieder und

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frigelte Haftig mit Bleiſtift einige Heilen nieder, riß die beiden Blätter aus dem Notizbuch und faltete fie zu- jammen.

Dem Inſpektor deuchte es, eine Märchenfee fei von dem dunklen Nachthimmel herniedergefchwebt, freundliche Einkehr unter diefem Dach zu halten.

Marga wandte fich ihm zu. „Hier, Herr Eckert, die Bauberformel für den ‚Sefam‘, auf daß er fich öffne. Nach der Vorftellung müſſen Sie mich felbjtverjtändlich erwarten! Wir foupieren gemeinfchaftlich, und ich hoffe jehr, daß Sie mit von der Partie fein werden.”

Sie nidte ihm mit unvergleichlichem Blick zu und wandte fih zu Benedikta, welche ſich erhoben hatte “und einen Bettel las, welchen Marga auch für fie ge- ſchrieben.

„Das iſt ja vortrefflich, daß ein Platz für Herrn Eckert beſorgt wird!“ ſagte ſie heiter, „ich danke Ihnen tauſendmal dafür, liebe Margal Und nun wird es wohl hohe Zeit daß wir die Loge aufjuchen, Sophie wird jchon in allergrößter Sorge fein, daß wir den Anfang ver: fäumen. Alſo auf Wiederjehen, liebe Margal ch werde fleißig den Daumen halten und hoffe von Herzen auf den beiten Erfolg. Nah Schluß der Oper denfe ich, Ihnen und dem Komponijten zu der Erfüllung aller Wünfche gratulieren zu könmen, ich erwarte Sie im Foyer. Und nochmals Gott befohlen! Wenn Sie ebenjo ſchön fingen, wie Sie ausſehen, Marga Daja, müffen Sie das Publikum begeijtern I”

N.v. Eſchſtruth, IN. Rom. u. Nov., Stern des Glücks I. 13

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Eckert empfahl fich fo ftumm, wie er gelommen, aber die Hand, welche er der Sängerin bot, bebte wie im Fieber.

Langjamer, als wie fie gefommen, fehritten fie Korridor und Treppe hinab.

Sn dem ftillen Kleinen Borflur blieb Benedikta plöß: lich ftehen. Ihre ernten ruhigen Augen blidten den In— ipeftor an. „Eine wunderliche Welt, diefe Welt Hinter den Couliffen”, jagte jie, „für ung nüchterne Alltagsmenfchen eine gar umnbegreifliche! Auch Ihnen Hat fie die Augen geblendet und den Atem benommen, Herr Eder. Warum das? Sahen Eie wahrlich nicht, daß die Steine und das Gold auf Margad Haupt und Bruft unecht waren? Daß ihr herrliches Haar falſch, ihr reizendes Antlitz ge: ſchminkt war?” Sie blieb momentan ftehen und blidte voll wunderfamen Ernſtes in fein entjeßtes Gelicht. „Es muß jo fein, Herr Edert, das Theater iſt ja nur ein Spiegel der Wahrheit, e3 borgt fi) alle Mittel um möglichſt wahrheitögetreu da3 Auge zu täufchen. Der Ölanz einer Bühne verträgt Fein Sonnenlicht. Wehe, wenn Sie die zauberhafte Erjcheinung Margas am Bellen _ Mittag auf den nüchternen Gut3hof unferer Heimat ftellen wollten, Sie würden erjchreden vor dem grellen Zerrbild, welches fich Ihnen böte. Sehen Sie fih Marga Daja heute abend genau an, ganz genau. Dann werden Gie e3 gleich mir empfinden, daß ihre eigenartige Schönheit die Theaterfolie braucht, um jo unvergleichlich zu wirken, wie fie es thut. Marga taugt nicht für ein profaifches, licht- und duftloſes Daſein, fie ift eine Blume, welche

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Niemand ungeftraft verpflanzt. Ich glaube, daß unfere fleine Freundin im Begriff fteht, fich zu verloben, und ihrer Anficht nach ift Die Wahl, welche fie getroffen, eine glüdliche. Sie bleibt ihrer Karriere, fie bleibt dem Theater erhalten; jie wird fortdauernd Triumphe feiern, angebetet und umfchwärmt fein, und nur das deucht ihr der In⸗ begriff des Glüdes. Ich beflage den Dann, welcher ‚das Kind‘ zum Weibe begehrt, aber taufendmal mehr beflage ich noch das arme Weib, welches fein Glüd heute abend durch goldenen Lorbeer erfaufen will!”

Sie reichte dem ſprachloſen Inſpektor die Hand, nickte ihm noch einmal mit einem unerklärlichen Ausdruck in dem edlen, geiſtvollen Antlitz zu und wandte ſich haſtig zu Sophie, welche ihnen mit allen Zeichen fiebernder Unge- duld entgegeneilte.

Edert ftarrte der ſchlanken Geſtalt nah, bis fie Hinter dem Goldgitter der Treppe im bunten, hoch— wogenden Menſchenſchwarm verſchwand, dann wandte er ſich langfam, die Steintreppen zu dem zweiten Rang zu erfteigen. Die Gedanken freiften wirr hinter feiner Stirn.

Was follten Benediktas Worte bedeuten ?

Hatten ihre Eugen, ernſten Augen in feinem Herzen gelejen? Fraglos. Wollte jie ihn von feiner unglüd- feligen Neigung für Marga Daja heilen?

Es fchien fo. Sie meinte es gut mit ihm. Sie führte ihn hinein in diefe Welt voll Lug und Schein, und zog fanft die Schleier herab, welche feine Augen blenden.

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„Ihre Steine find unecht, ihr Haar ift falſch ihr Antlit ift geſchminkt. Die Worte gellen ihm vor den Ohren und betäuben ihn. Wie fühle Schauer riefelt es durch feine Glieder. Sa, er verfteht feine freundliche Mahnerin. So trügerifch wie Margas äußere Erfcheinung, fo trügerifch ift aud) ihre Seele, ebenfo leicht und ober- flächlich, ebenfo erfolggierig und egoiftifch wie die Schein- welt, welche fie umgibt. | |

Die freundlichen, beraufchenden Worte, welche fie zu ihm gefprochen, galten nicht ihm, fondern feinen Händen, welche ja groß genug zum Applaudieren find.

Er war nur das Mittel zum Zwed ebenfo wie alles andere, was Marga Daja fich unterthan macht, um damit ihre eigene Perſon zu heben und zu ftüßen.

Sie meint es nicht böſe, fie iſt eın Kind, ein ım- berechenbareg, launifches, felbftjüchtiges und eitles Kind, welches das Glüd durch das Leben getragen .und ver: wöhnt bat.

Aber wehe dem Diann, welcher „das Kind” zu feinem MWeibe machen will!

Eckert nidt tief in Gedanken vor fich Hin, reicht dem Logenſchließer mechanijch feinen Zettel entgegen und läßt ſich von ihm nach der Künftlerloge dirigieren.

Die Thür öffnete fich. Unficher tritt der Inſpektor ein und ſtellt ſich bejcheiden im dunkelſten Eckchen auf. Das Stimmgewirr thut ihm weh in den Ohren, und das grelle Licht quält feine Augen. Mit gejenktem Blick fteht er da und ftarrt vor fich nieder.

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Warum Hat ihn Benedikta Hierher geführt? Ihre Arzenei mag wohl gut jein, aber fie ſchmeckt bitter, un: fagbar bitter.

KARA

VIII. uns

|| y y NEM 18 Beneitta die Loge be— ll treten und Pla genommen —1 hatte, war es ihr beinahe lieb, nichts von der bald beginnenden Ouverture zu vernehmen. | Ein Übermaß von Ge: "Ale danken flutete Hinter ihrer INNE Stirn, welches der Klärung IM md Beruhigung bedurfte. Das Bewußtjein, die Aus gen jet aufzujchlagen und in der Fürftenloge Prinz Percy zu erbliden, ließ fie er- zittern, und dennoch war fie lediglich um jeinetwillen hierher gekommen, einzig in der Hoffnung, ihn ungeftört zu fehen und durch feinen Anblid Erinnerungen wachzu— rufen, in welchen all ihr armjeliges, traumhaftes Lebenz- glück wurzelte. Baghaft hob fie die Wimpern und blidte nad) der

großen, breit vorgebauten Hofloge hinüber.

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Ein blitendes Durcheinander von Uniformen und ele: ganten Toiletten. Die Fächer wogen auf und nieder, Die blumengejhmüdten Köpfchen wenden und neigen fich in lebhafter Unterhaltung, Fräulein von Floringhoven iit e8 ein fo jeltener Anblid, daß fie fich erjt allmählich in dem reizenden Gewirr zurechtfindet.

Ihr Blick jchweift von einem Antlig zu dem anderen, fremde, lauter fremde Gefichter. Es find auch zumeift die Hofdamen, Adjutanten und Kammerherren, welche in der großen Loge Bla genommen. Die hohen Herrichaften bevorzugen die feitlichen, Keinen Fürftenlogen, dicht neben der Bühne.

Benedilta erfannte die Königin Mutter neben dem regierenden Herm, die Prinzen und Prinzeſſinnen des Herrfcherhaufes, ebenfo etliche Hohe Gäſte desſelben. Unter diefe würde Prinz Percy, der Bruder des befreun- deten Herzogs, gehören.

Aber fie fucht vergeblih nah ihm. Auch in den gegenüberliegenden Zogen erblidt fie ihn nicht; iſt er heute abend nicht anweſend?

Seltſam, bei ſeinem Aufenthalt in der Reſidenz verſäumt er eine Premiere, welche doch Die ganze kunſt⸗ finnige Welt intereffiert!

Prinz Percy ift fein Kunftenthufiaft.

Benedikta entjinnt fich, daß Marga fich einmal heftig beflagte, wie wenig ſich „ihr Geretteter” für Mufif und Theater intereffiere.

Nur in den felteniten Fällen, eigentlich nur anläßlich

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einer Galaoper, wo gewilfermaßen der Dienft dag Er: icheinen der Herten vorjchreibt, war Prinz Percy eine fehr gleichgültige und gelangweilte Erjcheinung in der Fürſtenloge. |

Er liebte anjcheinend weder Muſik noch Drama; feine Studien nahmen ihn jo völlig und ausſchließlich in An- ſpruch, daß fie ihm feine Zeit liegen, Geſchmack an heiterer Zerſtreuung oder fünftleriichen Idealen zu finden.

Sollte Benedifta e8 bedauern? Im Augenblid that fie e8, denn die Enttäufchung, ihn nicht zu jehen und die Vereitelung all ihres Hoffen waren doppelt ſchmerzlich für ein jo freudearmes Weſen wie fie. Aber auch dies- mal gewannen Vernunft und Einficht fchnell die Oberhand. Sie hatte ſchon auf jo manches Glüd im Leben verzichten müſſen, fie blidte auch auf dieſe vermichtete Freude ohne Klage und ohne Murren. Warum wollte fie ihn eigent- lich ſehen?

Es war eine Thorheit. Konnte fie nicht fein Bild täglich vor Augen haben, das jchöne, freundliche Bild, welches fie anblict und ihr zulächelt?

Der lebende Prinz Percy würde das nicht thun. Er würde mit Anderen plaudern und verfehren, ohne die mindelte Notiz von der Fremden zu nehmen, welche fernab Stil und einfam zwifchen all den Hundert frohen Menfchen im Schatten der Loge fit. Wahrlih! Würde er fie völlig überjehen? Er that e8 auch heute auf dem Korri: dor der Klinik nicht.

Benedikta preßte die Hände jählings um den ſchwarzen

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Straußfederfächer. Närrin, die fie war. In dem fchmalen Flur eines Privathaufes wäre es wohl eine direkte Un: böflichkeit gewejen, einer Dame ohne Gruß den Weg zu vertreten, und wann wäre wohl der ritterlichjte der Prinzen jemal3 unhöflich gegen eine Dame geweſen, gleichviel, ob er fie kennt, ſich für fie intereffiert, oder nicht?

Da3 junge Mädchen neigt die Stirn tief hinter die fühlen, weichen Straußfedern. Will fie es denn fo fchwer fafjen und begreifen, daß Prinz Percy nur ein Phantom für fie ift, welches immer unerreichbarer vor ihr entflieht, je thörichter ihr Herz den hohen Flug nimmt, ihm in Bahnen zu folgen, welche doch nur Bhantafie und Ge: danfen allein erreichen können?

Nicht genug, daß Geburt und Rang fie ewig jcheiden, auch) das Verhängnis reißt eine doppelte Kluft zwischen fie und .verweilt da3 taube Mädchen felbjt aus der Ge: meinſchaft aller Jener, welche ihm font im Verkehr näher treten können.

Nur ihr Gebrechen trägt die Schuld daran, daß fie fo fremd und allein heute abend inmitten einer Gejellfchaft figt, welcher fie doch fo nahe ftehen könnte, wie ehemals, als fie noch in dem Beſitz all ihrer gefunden Sinne war.

Sie, die Enkelin des beliebteften Miniſters, welche überall mit offenen Armen aufgenommen werden würde, wo ihr Namen erflänge und ihr Antlitz fich zeigte, fie wagt e3 nicht, auch nur von einer einzigen all der un— zähligen Empfehlungen Gebrauch zu machen, welche ihr der Großvater und Gräfin Borken mitgegeben.

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Wie glücklich könnte fie fein, wäre fie nicht fo un- glücklich geworden durch fremde Schuld. Sie, die inmitten aller Lebensfreude, inmitten einer Welt ftehen könnte, welche ihr alles erjchließt, fie flüchtet ſich ſcheu und zag- haft in die ftillite, fernjte Einſamkeit, weil fie weiß, daß ihre Anweſenheit für niemand ein Vergnügen ift.

Die allgemeine Erregung und die ftürmifche Bewegung aller Hände fowie ein Blick in daß Orcheſter belehren fie, daß die Duverture beendet und mit viel Beifall aufge: nommen wird, der emporraufchende Vorhang gewährt den Blick auf eine feenhaft üppige, bezaubernde, füdländifche Dekoration. Marga Dajas Anblid wirkt inmitten diefer fremden Pracht geradezu berüdend.

Selbft ein fo Far und wahr fehendes Auge, wie das des Fräulein von Floringhoven, ift-geblendet von fo viel unbefchreiblicher Anmut und Schönheit. Welch eine Fülle der Driginalität ftürmt auf den Beſchauer ein, welch einen unvergleichlihen Eindrud muß diejelbe erſt ausüben, wenn Auge und Ohr ſich vermählen, wenn man Marga Daja nicht nur fieht, fondern ihre filberhelle Stimme in beitridendem Melodienreichtum erklingen hört. Ein banger Schred durchzudt plößlich die junge Dame. Hat fie recht gethan, Eckert, den einfachen, ſchlichten Naturmenfchen, hierher zu führen?

Wird fie nicht vielleicht gerade das Gegenteil von dem erreichen, was fie mit dieſen beiden bezwedt?

Sein Herz ift nicht fühl, fein Verjtand nicht unberührt und gleichgültig genug, um in einer jolchen Stunde derart

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zu empfinden und zu überlegen, wie es San gehofft und erwartete.

Der Anblid diefer Marga Daja kann wohl fein liebe- krankes Herz entjagungsvoll ftimmen, ihre Stimme mit folhen Liedern und Klängen feine Vernunft predigen.

Fräulein von Floringhoven wollte fo. herzlich gern dem armen dert die Stunde erleichtern, in weldjer ihm Margas Verlobung befannt wurde.

Sie hoffte, daß er fich bei dem Anblick der verwöhnten Heinen Theaterprinzejfin werde jagen müflen, daß diejelbe nie und nimmermehr zur rau eines fchlichten Gutsin- ſpektors tauge.

Sie hatte mit voller Abfichtlichkeit Eckert in die un- mittelbare Nähe der jungen Sängerin geführt, damit er die Kunft fehen follte, durch welche ihre Schönheit erzielt wurde. Sein Staunen und Berjtummen hatte ihr leider bewiejen, daß fein redliches Herz nicht im mindeſten daran dachte zu prüfen, ob das, was er ſah, Schein oder Wahrheit ſei.

Benedikta hatte. es ihm erjt mit grellen, Klaren Worten jagen müjjen, um ihm die Augen zu öffnen.

Werden diefe Augen nun auch Kar und offen bleiben, wenn die Pracht auf der Bühne drunten fie blendet?

Ein Gefühl verantwortlicher Sorge überfam die junge Dame. Sie hat das Befte gewollt und bezwedt, ſollte fie daS Gegenteil erreichen ?

Ihr Blick jchweift ſpähend zu den Logenreihen empor, in welcher fich wohl Edert3 Pla befindet.

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Nach längerem Suden glaubt fie ihn entdect zu haben. Man erkennt jchleht in der dämmerigen Be: leuchtung des Haufes, welches ſich beim Aufrollen des Vorhanges verdunfelte.

Droben, Hinter den weit vorgeneigten Damen und Herren einer Heinen Seitenloge jteht eine Geſtalt, welche jo riefengroß und robujt aus dem Dunkel taucht, wie ein Fels, um welchen das heitere Volk der Wafferniren fpielt.

Sein Geficht leuchtet wie ein blaffer Schein zu ihr herab, die einzelnen Züge dezfelben zu erfennen, iſt leider unmöglich. Aber Benedikta fieht, daß es regungslos nach der Bühne zu gerichtet ift. Könnte fie nur einen einzigen Blick jest in feine Augen thun.

Wird feine ganze Seele beim Anblid des verführerifchen Weſens da unten, welches Durch feine Rolle das vollite Mitleid, die leidenjchaftliche Sympathie des Publikums erweden muß, nicht in hellen Flammen auflodern? Wirt dieſe Glut nicht noch den legten Reit Fühler Bejonnenheit in dem naiven Landmann zu Tode brennen?

Glücklicherweiſe finkt der Vorhang.

Die Flammen an den Kronleuchtern bliten hell auf, die ftürmifche Bewegung, welche durch das Publikum geht, und der leife jurrende Klang in Benedittad Ohr jagen ihr, daß der Beifall ein außerordentlicher ift. Alle Hände regen ſich auch Edert, welchen fie jeßt deutlich erkennt, ichlägt die Hände zujammen, wie es ſcheint, jehr Eraft- voll, denn die vor ihm fißenden Schaufpielerinnen wenden lachend die Köpfe nach ihm zurüd. |

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Der Inſpektor aber lacht nicht. Sein Geficht ſieht jehr ernit, beinahe müde aus,

Der Vorhang muß fich heben, zwei, dreimal. Marga Daja erjcheint an der Hand des Komponijten und grüßt voll Tächelnder Anmut erſt zu den Fürftenlogen

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empor, dann ringsum in das Bublitum. Auch zu dem „Unteroffizier in Civil” fliegt ſekundenlang ihr Bli empor.

Lorbeerkränze und Blumen wirbeln vor die Füße des gefeierten Paares, und da3 Publitum fcheint zu jubeln, man fieht e8 den Gefichtern an.

Benedilta hat mit großem Intereſſe einen Blick auf Noman Ermönyi geworfen, und fie läßt diefen Blid auf ihm ruhen, fo lange wie der apa auf der Bühne ſteht.

Arme Margal

Fräulein von Floringhoven empfindet bei ſeinem An- blick dasſelbe unbehagliche Gefühl, welches fie oft über: fommen, wenn fie in den Briefen der Freundin über Roman Ermönyi las.

Ihre ganz beſonders jenfibel beanlagte Natur fcheint inftinftiv zu fühlen, welch eine Menjchenjeele fich Hinter _ einem Antlit birgt, und die Schlüffe, welche fie aus den lächelnden Zügen des jungen Muſikers zieht, find feine erfreulichen und feine günjtigen.

Er lächelt und verneigt ſich in verbindlichiter Weife, und dennoch glaubt Benedikta nicht an dieſes liebens⸗ würdige Lächeln. Es iſt Die poetiihe Maske, Hinter welcher fich die kraſſeſte Proſa veritedt.

Das blaffe, ſchmalgeſchnittene Geficht ift von wüſter Leidenfchaftlichkeit durchfurcht, und der Mund, mit den ſchmalen, nach innen gezogenen Lippen deucht ihr die Ver: förperung von Egoismus, Gewinnjucht und Kerpen) er Sraufamteit.

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Das junge Mädchen erjchridt felber über dieſe böſe Ronduite, welche fie ihm fchier unbewußt ausftellt. Sie wollte jo gern recht viel, recht viel Gutes aus dem Antlit eines Mannes leſen, welchen Eitelkeit und Verblendung zum deal der Freundin erhoben, fie möchte fo gern in den Augen diefes berühmten Mannes ein Herz entdeden, aber juft dieſes findet fie am wenigſten.

Die Kleine, ſchmächtige Geftalt ift die verkörperte Ele: ganz, feine Berwegungen gefchmeidig und angenehm. Es liegt fraglos etwas Intereffantes und Beftechendes in dem Außeren diefes Menfchen, juft das, was einer ſchwärmeriſch und eitel beanlagten Mädchenjeele imponiert.

Auf Marga bat es diefen Eindrud nicht verfehlt, auf Benedikta übte e8 denfelben abjolut nicht aus, im Gegen: teil, e8 verfehlte jegliche Wirkung.

Je nun, vielleicht täufcht fie ich, der Anblid war zu furz und flüchtig, vielleicht gewinnt Roman Ermönyi bei näherer Bekanntſchaft.

Benedikta folgt mechanijch dem niederjinfenden Vor: hang. Nein! er wird es nicht, gewißlich nicht. Warum fich felber täufchen? Hat fie das Urteil betrogen, welches fie nach dem erften Anblid, tief im Herzen, über Brinz Percy fällte? Ebenfowenig wie dasjenige, welches fie in diefem Augen: blict über den gefeierten Dann auf der Bühne drunten fällt.

D, daß doch Marga mit ihren Augen fehen könnte! Ihr Blid würde fraglos viel länger und lieber auf dem ſchlichten Gutsinfpeftor von Floringhof als wie auf dem Iorbeergefrönten Künftler Ermönyi haiten!

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Unwillfürlich hebt fich der Blid der Sinnenden wieder zu Edert3 Platz. Derjelbe ift leer, und der Inſpektor verjchwunden. Sollte er gegangen fein? Undenkbar! Sollte er den Wunfch haben, Benedikta aufzuiuchen ? Bei feiner übergroßen Befcheidenheit faum glaublid. Und doch haftet ihr Blid an der Logenthür. Bergeblich, Edert öffnet fie nit.

—— Während die lachende, eifrig plaudernde und hocherregte Menge auf die Korridore und in die Foyers hinausflutete, ſetzte ſich der Inſpektor im dämmrigſten Winkelchen der Loge nieder und ſtützte den Kopf mit dem krauſen Vollbart tief, tief in die Hand.

Kein Auge ſah ihn, kein Ohr hörte den leiſen Seufzer, welcher tief aus ſeiner Bruſt drang, wie ein Strom von. Thränen, welcher in Hauch und Klang verwandelt war. So konnte er der Empfindungen Herr werden, welche allzu verjchiedenartig und gewaltſam auf ihn eindrangen.

Als der Vorhang fich gehoben, als er Marga in der nie geſchauten Fülle ihrer Schönheit fah, als er ihre füße Stimme erklingen hörte, eine Stimme, welche ihm Herz und Seele erzittern ließ, da war momentan alle3 ver: gejjen, was Fräulein von Floringhoven jveben noch wie eine ernite Mahnung gefagt hatte. Er gab fich dem Zauber ihres Anblids vollfommen Hin und vergaß Welt und Beit in dieſer Glüdjeligfeit. Und dann jtürzte ihn ein fchriller Mißklang aus allen Himmeln.

Die Damen und Herren um ihn her waren Schaufpieler und Sänger, fie waren abgejtumpft gegen Eindrüde, wie

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fie Eckert ſoeben berauſchten. Sie ſahen nicht das hold— ſeligſte, engelhafteſte Weſen Marga Daja vor ſich auf der Bühne, ſondern lediglich die Kollegin, die Rivalin, die beneidete, mißgünſtig oder gleichgültig kritiſierte Dar— ſtellerin ihrer Rolle.

„Na, nal Man ſachte mit die jungen Pferdel” ſpottete eine korpulente Schöne mit leichtem Schnurrbartflaum auf der Dberlippe und großen Brillanttnöpfen in den Ohrläppchen: „Die Bühne ift ja abgefegt! Braucht gar nicht jo gewaltig mit ihrem Florſchleppchen herum: zuarbeiten! Mein Gott wenn die Schleppe und die Haare hängen bleiben, was bleibt noch an dem ‚Rinde‘ dran?!”

„Ich fürchte, dann bleibt troßdem ‚er‘ noch daran Eleben!” flüfterte der Baß, und alle lachten leife auf.

„Sie hat mal wieder zu Kleine Schuhe an! Der Kinderfuß foll um jeden Preis ein Babyfüßchen werden, nun hinkt fie wie eine Kräbe auf der Bühne herum!!,

„Ob wohl das fchöne Kollier jegt gelötet iſt?“ Ficherte eine fchlanfe, liebe Kollegin mit fpindfem Blick; „als ich e3 mir das letzte Mal zur ‚Elifabeth‘ borgte, Hatte die geniale Marga ein paar zerbrochene Glieder mit weißem Zwirn zujammengenäht !” | |

„Macht nichts! Der Effekt blieb derjelbel Welch ein Opernglas entdedt weißen Zwirn!”

Warum auch an folcy unechten Trödel noch ——— lohn wenden?“

„Sollte er wirklich ſo unecht ſein? Man munkelt N.v. Eſchſtruth, Ill Rom. u. Nov. Stern bes Glücs. L 14

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doch, daß das ‚Kind‘ feit einiger Zeit ‚mwifjend‘ genug geworden ſei, um Die Kleinen Steinchen zu unter- Scheiden ?”

‚Dahl Man Hätte doch wohl die Epender derjelben einmal hinter den Couliffen bemerkt!”

„Dphelial Göttliche Harmlofigfeit Sie! Wie wird ‚das Kind‘ fo thöricht fein, mit anderen Goldfifchen zu ihäfern, wenn ein reeller Tintenfiſch an der Angel zappelt |”

„Wenn fie nur nicht immer die Augen jo ‚übergehen fieß, fie befommen fchon den reinen ‚haut-gont‘!“

Reifes, wieherndes Gelächter. Eckerts Fäufte zittern.

„Seid man ftille, Kinder] Das ift Gejchmadsfache!” grunzt eine forpulente „vergnügte Alte‘ dagwifchen. „Wenn die Naſchkatze Roman fi) den Magen verderben will, hat er's umfonft. Ihr könnt euch ja die Nafe zuhalten, wenn es allzu ſehr haut-goüt wird!”

„Klappern gehört zum Handwerf! Sie muß dod) das ewig Männliche zum Applaudieren aufmuntern !”

„Natürlich auf die Claque fommt heute alles an, fie arbeitet auch ganz brav!” piepfte eine Naive mit dunklem Titusföpfchen und wandte fich fehr ungeniert nach Eckert um, welcher in feiner zornigen Erregung aus lauter Dppofition wie ein Unfinniger applaudierte. Sie mufterte ihn mit Tedem Lächeln, und alle Umfigenden lachten ſehr ungeniert und fchallend auf.

„D ja, Marga Daja weiß ihre Pappenheimer herauz- zufimden! Wenn heute nicht geflatfcht wird, verfracht ja

Noman Ermönyi, und alle goldenen Quftjchlöffer purzeln

mit ihm über den Haufen |” 14*

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Der Inſpektor war glühendrot geworden, fo verlegen wie ein Schulfnabe, welcher auf berbotenem Wege ertappt wird.

Hatte ihn Marga wirklich nur als Claqueur hierher geſtellt? Deutlich genug hatte ſie es ihm ja zu verſtehen gegeben, daß er applaudieren und ben Komponiſt und fie herausrufen ſolle. Er hatte in jeiner Erregung gar nicht darauf geachtet jetzt plöglich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er hätte vor Scham in Die Erde finfen mögen. Seine Hände fanten fehlaff hernieder, wie ein Strick legte es fich um feinen Hals ‚und ſchnürte ihn zuſammen.

Es wäre nur ein rauher Aufſchrei geworben, hätte er jeßt nach der Sängerin und Roman Ermönyi rufen wollen.

Genug Stimmen thaten eg, und der Klang gellte ihm in die Ohren. |

„D ja, Die Claque macht ihre Sache recht * I” fpottete die. Raive weiter, während fich alle erhoben, um die Loge in der BZwifchenpaufe zu verlaffen. „Das ‚Kind‘ war ja auch in leßter Zeit Die zuderjüßelte Liebenswürdig⸗ keit gegen alle Welt! Wen ſie ſonſt nicht am Wege anſah, der wurde jetzt mit den holdſeligſten Worten und Blicken zur Lärmtrompete angeworben!“

„Das ‚Kind‘ Hat auf alle Fälle etwas vorzüglich, gelernt, zu berechnen nämlich |" nidte der Baß mit einem beirtahe mitleidigen Seitenblid nad) dem großen, ungefügen Provinzler, welchem er während der Aufführung die flammende Begeifterung aus den Augen gelejen hatte,

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„ſchade nur, daß ihre Freundlichkeit fo felten bare Münze it! Sollten wir damit bezahlen, Kinder jäßen wir bald auf dem Trockenen!“

Man drängte durch die Thür, es ward leer und til um Edert.

Er jeßte ſich langſam und fchwerfällig auf einen Stuhl nieder und ſtützte das Antlit in beide Hände. Es war ihm zu Sinn, als müßten brennende, bittere Thränen aus feinen Augen ftürzen, aber fie jtarrten nur glühend- heiß und troden wie bei einem Fieberkranken geradeaus ind Leere.

Kein, ihre Freundlichkeit ift feine bare Münze, fie ift lediglich Mittel zum Bwed, auch ihm gegenüber. Und er Narr hatte den Himmel offen gejehen.

Nicht mehr; der Himmel feiner Illuſionen bat fich wohl für ewig gejchloffen, und das jtrahlende lichte Götter: bild, welches ihn erfüllte, ward herabgerijjen aus feiner Höhe und vor feinen Augen zerfeßt.

Da ſah er, daß die goldenen Loden zum größten Zeil eine Perrüde, daß Gold und Edeljteine nur unechter Slitterfram, daß das füße Kindergeficht nur ein fchön ge- maltes Bild war, hinter welchem die Berechnung und die Jagd nach dem Glüd hervorblinzelten.

Und ift alleg, was er an ihr fieht, auch wahrlich falſch ein? muß ja echt und wahr fein! Die zauber- holde Stimme, welche die Augen der Hörer mit Thränen gefüllt, welche die Herzen rettungslos dahinſchmelzen liek in Wonne und Ergriffenheit.

a. DI ———

Und nein! nein! taufendmal nein! Diefe Stimme lügt uud beirügt am meiften!

Hat fie ihm nicht mit all demjelben innigen Wohl: lang joeben noch die jchönften, beglüdendften Worte ge: ſagt, und flüftert fie jeßt nicht dem Komponiſten ins Ohr: „Ich habe noch im Ichten Moment einen thörichten Mann vom Lande angeworben, daß er mit feinen Bärentagen Hatjfcht und mit feinem Unteroffizierorgan unſere Namen ruft? Ich jagte dem Narr ein paar innige Worte, und er war fo naiv, daran zu glauben!“

So jagt fie, und wenn fie nicht fo jagt, nun fo denkt fie e8. |

Die Stimme aber ijt die Trägerin und die Sklavin der Gedanken. Empfindet Marga all das Leid, all die Liebesqual, all die Sehnjucht, welche fie in folch herz- ergreifende Töne kleidet? Nein, fie find nur „Rolle“ fie find nur die fünftlerifche Wiedergabe von Gefühlen, welche Effekt erzielen, welche das Publifun erwärmen und anregen follen!

Margas Herz jauchzt ja vor Freude bei dem Anblid des ausverkauften Haufes, der Beifall jpendenden Menge, und dennoch) ringt fie die Hände und reißt durch ihren Schmerz die Zuhörer mit fort, dennoch weint und Elagt fie mit einer Stimme, welche jo wahr und echt klingt, fo überzeugend wie vorhin, als fie den Inſpektor Edert begrüßte.

Es ift nur „Rolle“, nur jchöne, überrafchende Kunft! Ein Aufftöhnen, ein leiſes Schüttern geht duxch

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die robufte Geftalt des jchlichten Mannes. Minutenlang blidt er in regungslofem Sinnen vor fich nieder, und dann hebt er daS Haupt und ftreicht mit der Hand über die heiße Stirn.

sa, das Götterbild liegt zerbrochen vor feinen Füßen, und es ijt gut, daß es ſtürzte. Ob früher oder fpäter, einmal mußten feine Augen ja doch fehend werden. Er dankt e3 Allen, welche ihm dazu verholfen haben. Was jollte e8 frommen, tote Gößen anzubeten? Seine Gedanken hatten fich verirrt. Langjam und mühjelig fchleppen fie fih auf den rechten Weg zurüd.

„Denken Sie ſich Marga Daja auf den Gutshof unferer Heimat!” hatte Benedikta gejagt.

Ein wehmütiges Lächeln zudt um die Lippen de3 Träumer. Das ftrahlende, blendende, umjubelte und angebetete Wefen, welches drunten auf der Bühne mit Blüten und Lorbeer überfchüttet wird, Marga Daja als Inſpektorsfrau in Floringhof!

So wie er ſie jüngſt daſelbſt geſehen, war der Gedanke wohl etwas verwegen der eleganten Dame gegenüber ge: wejen, aber es deuchte ihm damals fein Wahnwib wie in diefer Stunde. Seht erſt hatte er Marga Daja fennen gelernt und wußte, wer fie war, was ihre Stellung als Sängerin und Diva bejagen wollte!

Wie ein Traumgebilde fteigt e8 plößlich vor jeinem geiltigen Auge empor, das ftille fleine Stübchen mit Den weißgetünchten Wänden und dem großen grünen Rachel:

Lofen.

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Bor den Fenſtern wehen blütenweiße Mullgardinen, jehr altmodiſch, aber jehr wohlerhalten, um den breit ge= gitterten Asklepiaftod, deſſen ſüße Blütentropfen die rofigen Kinderfingerchen jo gern zum Munde führen. An den Wänden ein paar vergilbte Bilder aus der biblischen Gejchichte, inmitten die „Anbetung der Hirten”, von welcher der goldene Stern juft auf die hölzernen Kinderbettchen niederftrahlt, welche, Seite an Seite, darunter ftehen.

Mit fchlummerfeiften Roſenwangen liegen die beiden Kleinen jett darin. Das braunlodige —— der flachs⸗ haarige Bub.

Das Herz des fernen Vaters erzittert in Sehnſucht. Seine Augen erglänzen ſo weich und zärtlich, als ſtünde er neben ſeinen Lieblingen, die runden Händchen leiſe von der Decke zu heben, um ſie zum letzten „Gute Nacht“ noch einmal zu küſſen!

Die Schwarzwälder Uhr tickt behaglich ihr Wiegen⸗ lied, die alte, weißhaarige Frau in der landesüblichen Tracht der Bäuerinnen, mit ſchwarzer Florhaube und dem dickfaltigen „Raſchrock“ ſitzt im Nebenzimmer an dem Tiſch und regt emſig die Stricknadeln. Ein grüner Schirm verhüllt das Licht der Lampe, ein mahnendes „Pſcht!!“ ertönt, wenn die Magd etwas allzu geräuſchvoll die Thüre öffnet.

Liebe, trauliche Stille ringsum.

Heute ſitzt die alte Hanne allein und behütet den Schlummer der Kleinen, ſonſt leiſtet Eckert ihr Ge— ſellſchaft, ſiizt neben ihr am Tiſch und ſchreibt oder lieſt,

= BT

beforgt den Stopf hebend, wenn nebenan ein liebes Stimm: hen im Traume lallt.

In der lebten Zeit hat der Inſpektor oft die Stirn in die Hände geftügt und aud) geträumt, mit offenen Augen. Dann jaß nicht die alte Hanne neben ihm, ſondern ein füßes, holdfelige8 Engelsgeſicht, das „Kind“ mit den goldenen Locken und den großen Beilchenaugen, welches e3 ihm mit unerflärlichem Zauber angethan! Er ichlingt in wortlofer Seligfeit die Arme um fie, er füßt den zarten Mund, Hinter welchem die taufend wonne— famen Lieder von Lenz und Liebe wohnen, und beide treten zuſammen an die Kinderbettchen und freuen fich an dem Stüdlein Paradies, welches Gottes unerjchöpfliche Liebe doch noch auf diefer Welt zurüdgelafien!

Eckert jchridt jäh empor. Wirre, wüſte Klänge. Aus dem Orccheſter ſchrillt das Geigenſtimmen zu ihm empor, die Menge der Zuhörer ſtrömt geräuſchvoll auf die Plätze zurück.

Wie ein Phantom zerrinnt das trauliche Bild vor den Augen des Träumers.

Ein wehes, qualvolles Aufſeufzen entringt ſich ſeiner Bruſt, und das Haupt zuckt mit finſterer Stirn auf den Schultern empor.

Welch ein krankhafter Wahn hielt ihn befangen! Marga Daja in dem Inſpektorhaus von Floringhof!

arga Daja als zärtlich ſorgende Mutter an den Bettchen feiner Kinderl! Wie Wahnwitz deucht es ihm jetzt. Wo

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wäre unter dem fchlichten Dache Pla und Naum für jo viel ftrahlende Herrlichkeit!

Wie vermochte das ſchmuckloſe Stübchen ein Weib zu umfafjen, welches eine halbe Welt Huldigend zu Füßen ſehen will! Da wären die Mauern des Haufes zu eng, um allein die Lorbeeren und Blüten zu bergen, welde Marga Daja täglich) unter die anspruchsvollen begehrlichen Füßchen tritt. Und würde fie, Die Gefeierte, Umjubelte jemals Zeit haben, abends au die Bettchen ihrer Kinder zu treten, würde fie jemals Luft verjpüren, in die rofigen Gefichtchen zu ſchauen, aus den hellen Kinder: augen all das tiefjinnige, jtille Glüd zu jchöpfen, welches die Welt einzig hierin noch unverfäljcht und rein betvahrte?

Rein, Marga Daja jpottet über eine Sentimentalität, welche fich zum Sklaven der eigenen Kinder macht! Marga Daja findet es veräcdhtlich, wenn ein Vater liebfoft, an— Statt zu prügeln! Es imponiert ihr nicht, wenn ein Mann ein warmes, großes, opfermutiges Herz voll Liebe für feine Kleinen hat!

Ein Weib, welches das Glück nur draußen in der lauten, amüſanten und leichtlebigen Welt ſucht, wird nie eine Gattin werden, welche das Leben ihres Mannes mit dornenloſen Roſen und Lilien ſchmückt, ſie wird ewig eine Belladonna bleiben, deren Gifthauch das Glück des Hauſes mordet.

Der heutige Abend wird über Marga Dajas Zukunft entſcheiden. Lorbeer und Gold ſollen ihr einen Roman Ermönyi erkauſen, ihn, ſeine Liebe und das Glück.

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Benedilta aber jagt: Das wahre Glück läßt fich nicht erfaufen, e3 fällt als Gnadengeſchenk Gottes gleic) einem Stern vom Himmel nieder.

Adalbert Edert aber deucht es, als fei der Himmel nie jo weit und fern gewejen wie heute abend, wenngleich ihn Margas geblendete Augen wohl offen zu jehen ver:

meinen. Wie viele jchwarze Wolken, wie viel grauer

Dunit fchieben fich troß alles grellen Lichtgefunkels zwiſchen die Bühne drunten und da3 weite, leuchtende Sternenzelt, welches mit taufend treuen Augen über den beiden Kinder: bettchen im Gutshaus von Yloringhof wacht!

Dort fenkt fich der Himmel fo nah und tief auf Die jtile Erde herab, bier aber fchlagen die üppigen Flammen der Welt viel zu hoch und verderblich aus allen Fugen und Ritzen empor, um dad fromme Licht der Sterne über fich zu dulden. Es erblaßt und verlifcht, und das Glück findet in der Finſternis nicht den Weg zu den Menfchenberzen, welche anbetend um die Gößen- altäre tanzen.

Lachende, frivole, falſchzüngige Menfchen drängen fich abermals in Die Loge, um Die gefeierte Kollegin, welcher fie foeben wohl innig glücwünjchend die Hände drüdten, auf? neue mit den Bungen zu zerfleifchen. Die Muſik jet ein und erbrauft wie wilde Meeregbrandung, welche jeden armen Filcher zu verjchlingen droht, deſſen Auge vol wilden Wehs an der goldlodigen Lorelei auf den Brettern droben hängt; Edert erhebt ſich langjam und wirt noch einen Blid zu der Bühne herab.

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Marga Daja ſteht vor ihm in volliter verführerifchiter Schöne, ihr Blid fliegt zu ihm empor, und ihre Lippen lächeln.

Adalbert Edert atmet tief auf. Ihr Antlig ift ge— ichminkt, ihre goldenen Locken entliehen, ihr Gold und ihre Edeljteine faljcher Tand. Falſch falſch, ebenfo faljch wie ihre Stimme, wie die Gedanken, welche Hinter der leuchtenden Stirn wohnen, ebenjo falt wie das Herz in ihrer Bruſt, welches fich nie für die Engelsunfchuld eines Kindesauges erwärmen wird. |

Jählings wendet fich der Inſpektor und verläßt die Loge.

I wern

3 Marga Daja vor Beginn der Borjtellung Die Bühne betrat, juchte ihr Blick in eriter Linie den Komponiften. Noman Ermönyi ſtand mit Dem Intendanten und dem Regiſſeur plaudernd an ci: ner Seitencou— liſſe, ohne jede Spur von Er— regung, lächelnd und nonchalant, als wechſel⸗ er zu gleichgültigſter Zeit und am gleichgültigſten Orte ein paar Worte mit den gleichgültigſten Menſchen der Welt.

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Er ſah blaß und etwas müde aus. Seine Augen verfchleierten fich Hinter den Wimpern und die Fältchen in feinen Wangen, welche dem Geficht leicht etwas Ber- lebtes gaben, vertieften fich.

Als Marga die Bühne betrat, flammte fein Auge auf, nicht allein in Entzüden und Verwunderung, fondern in einem angjtvollen Forſchen und Prüfen, wie ein Geſchäfts— mann ‚ein ſchönes Schauftüd prüft, ehe er es als Lock— vogel Hinter dem Ladenjenfter ausſtellt. Er nict ihr ſchon von weiten zu, empfahl fich mit verbindlichen Worten und trat ihr entgegen. Ein Blid geheimen Einverjtänd: niffes zwijchen beiden. Er füßt ihre Hand mit heißen Lippen, und während er in höflicher, formeller Weife mit ihr zu plaudern jchien, brauften die Worte, haſtig ge- füftert, in leidenjchaftlicher Erregung über feine Lippen.

„Du ſiehſt entzüdend aus, Geliebtel Beraufchend wie ein Liebestrant! Nun finge noch wie eine Nachtigall und unfer Glück ift gemacht! Marga du weißt c3, in deinen Händen liegt heute unfer beider Bufunit! An dir liegt es, all unſere Träume zur Wahrheit zu machen. Sch werde dich lieben bi3 zum Wahnwitz wenn du die Hoffnung erfüllit, welche ich heute in dich und deine Kunſt feel”

Sie lächelte ein wenig fofett: „Und wenn id) fie num nicht erfülle, holder Tyrann?“

Seine Hände frampften fich, ein jäher Blitz brach aus feinen Augen: „Dann... o Marga id) glaube, ich önnte dich Hafjen darum!” jtieß er hervor.

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Sie lachte filberhel auf. „Haß und Liebe gehen fa immer Hand in Hand; und beffer noch, von dir erdold)t zu werden, al3 dich gleichgültig von mir fcheiden zu jehen. Aber unbeforgt! Mir ift zu Mute, als feien mir heute abend Flügel gewachfen, mich hoch, Hoch empor zu heben, dahin, wo der Haß feine Macht verliert, und nur noch die Sonne der Liebe glüht!“

Ihr Blick ftrahlte ihm zuverfichtlich, beinahe fieges- gewiß entgegen, und Romans Antlitz drüdte alles aus, was unter der fühlen Masfe gährte und ſchäumte.

„Mädchen nimm diefen hohen Flug und hole uns den Himmel auf die Erde herab!” flüfterte er. „Auch ich habe weit über diefer nüchternen Welt gejchiwebt, als ich die Melodien meiner Oper erfann; fie verlangen darum, daß aud) ein Weſen höherer Art fie wiedergibt, ein leichter Engel, welchen die Licbe trägt und hebt!” Er trat näher an fie heran, fein Blick überflog noch einmal ihre reizende Geftalt. „Hätteft du dich nicht ein Hein wenig verführerifcher kleiden fünnen, eine Göttin?’ fragte er etwas beforgt; „das ‚Rind‘ hat fich allzu Findlich decent in Duft und Schleier gehüllt, und doch verlangt deine Rolle, daß fie auch durch alle äußeren Mittel wirkt!”

Marga wandte fchmollend das Köpfchen. „Du kennſt meinen Geſchmack und meine Anfichten!” fagte fie furz, „und follteft dich freuen, wenn ich deine Eiferfucht nicht herausfordere!“

Schmeichelnd zog er ihre Hand abermals an die Lippen.

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„su diefem Augenbli fteht nur der fühl erwägende Mann vor dir, welcher lediglich den Erfolg und Vorteil ermißt. Der Geliebte wird dir erſt nach der Aufführung im Wonneraujch von Dank und Seligfeit zu Füßen ſinken, und Dieje beiden Weſen in einer Perſon mußt du auch künftig ſtets zu trennen willen!“

Die Klingel ertönte, Roman drüdte noch einmal voll zitternder Erregung die Hand der jungen Sängerin: „Marga dent an das Glüd, welches du dir heute abend erfaufen kannſt!“ flüfterte er noch einmal mit beinahe heiferer Stimme, dann verbeugte er fich jehr charmant mit böflichjtem Lächeln und trat in die Couliffen zurüd.

Und Marga gedachte des Glückes, für welches jie mit allen Mitteln zahlte, welche ihr zu Gebote ſtanden. Sie übertraf fich felbit.

War fie schon früher dem Publikum . in den für fie geeigneten Rollen eine ſympathiſche Erjcheinung gewejen, jo beraufchte fie heute durch ihre Eigenart, welche für die Rolle wie gejchaffen Ihien, alle Welt, und erntete die neue Oper Ermönyis den außerordentlichen Beifall, jo verdanfte fie den größten Teil des Erfolges fraglos der Vertreterin der Hauptpartie,

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welche nie bejjer und wirfjamer verförpert werden konnte als durch Marga Dajas kindliche zarte Elfengeftalt.

Schon nach dem Applaus und Hervorruf des erſten Aktes ſtürmte der Komponiſt zu der reizenden Sängerin.

„Margal Margal” keuchte er, Halb ſinnlos vor Freude und Aufregung. Ihre Augen ftrahlten. „Bift du zufrieden mit mir, Noman?” flüfterte fie.

„Senn du immer jo bleibjt wie heute abend fa! ja! und taufendmal ja!

Sie lachte. „Alſo noch brauche ich deinen Haß nicht zu fürchten ?”

Er drüdte ihre Hände, daß fie fehmerzten. „Sch bin glücklich! Du ſollſt es mit mir fein!”

Und der Applaus und der Erfolg wuchfen immer größer, und Romans heißblütige Leidenschaft rüttelte an den Schranken, welche Form und guter Ton dem Künftler vorſchrieben.

Er durfte ſich noch nicht derartig freuen, wie er es gern möchte, er durfte es vor der Welt nicht zeigen, daß er an einem Erfolg gezweifelt, daß dieſe Ovationen ihn beſeligten, weil ſie ihn aus dem Fegefeuer quälender Zweifel und Sorge erlöſten.

Er blieb vor der Welt der höflich lächelnde, marmor: fühle und ſelbſtbewußte Komponift, welcher lediglich feine Werke veröffentlicht, um dem Bublitum einen Genuß zu verichaffen!

Hinter einer Couliſſe verſteckt, ſowohl den Zujchauern

wie den Darftellern unfichtbar, lehnte Roman Ermönyi N. v. Eſchſtruth, IN. Rom. u. Nov., Stern des Glüds J. 15

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und folgte dem letzten Akt. Sein blaſſes Geſicht bedurite in dieſem ſicheren Winkelchen keiner Maske.

Die Leidenſchaften furchten es und flammten aus den dunklen Augen wie verderbliche Gewalten, welche für ge— wöhnlich mühſam gezügelt, endlich einmal frei hevor— brechen dürfen.

Er lachte! Er lachte wie ein Menſch, der triumphiert wie die Eitelkeit, welcher geſchmeichelt wird, wie ein lang Unterdrückter, welcher ſich endlich empor ſchwingt und den Fuß auf den Nacken der Beſiegten ſetzt!

Und einen Sieg hatte er heute abend erkämpft, einen Sieg über ſich ſelber. Er arbeitete nicht gern, er ver— mochte nur mit grenzenloſer Mühe zu ſchaffen. Was anderen genialen Künſtlern zuflog, mußte er mühſelig er: ringen. Oft verzagte er jelber an feinem Können. Stunden entfeglicher Entmutigung und Schlaffheit überfamen ihn, Stunden, in welchen er fich und feine Exiſtenz verfluchte. Daß er niemals Mufiter geworden wäre!

Die viel beneidete Thatjache, Sohn eines berühmten Bater3 zu fein, ward ihm zum Verhängnis. Er ftammte aus einer Künftlerfamilie. Der Vater war Geigenvirtuos, ein viel genannter, viel gefeierter Halbzigeuner, welcher fih in der Kaiferftadt Wien durch raftlofen Ehrgeiz und mit Hilfe guter Konnerionen zur Größe emporgearbeitet hatte. Das Glück begünftigte ihn. Seine Laufbahn glich einem Triumphzug, und dennoch ftrahlte fein Glücksſtern über dem elterlihen Hauſe. Die Mutter war niederer Herkunft und dem ehrgeizigen, eitlen Gatten ein Hindernis

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auf feinem Triumphzug. Er vernachläffigte fie, er be: handelte fie mit der rüdlichtslofen Roheit eines unge: bildeten Menfchen. Was Roman in jenem Elternhaufe erlebte, waren Greuelfcenen ehelichen Zwiſtes. Endlich warf die leidenfchaftliche Frau alles von fi), wa3 fie an da3 Haus des Verhaßten gefefjelt; fein Geld, feinen Namen, fein Kind. Wo fie geblieben war? Ob fie lebte oder ſtarb? Roman Hatte nie danach gefragt und niemals Auskunft erhalten. Er wuchs in zügellofer Freiheit auf.

Anfänglich begleitete er den Water auf deſſen Kunft- reifen. Bon Stadt zu Stadt führte die ruhelofe Wanderung. Teil3 verhätjchelt, teild von unberechenbaren Launen und wüfter Heftigfeit gequält, wuch3 der Knabe heran. Keine Hand leitete ihn. Seine Leidenschaften ſproßten wild auf, wochenlang ungeltraft geduldet und plößlich durch die Hundepeitjche gejtraft, je nachdem es dem gut= oder übel- gelaunten Vater in den Sinn fam. Die fchlechten Eigen- Ichaften entwidelten fich, die guten verfümmerten. Ein Hang zum Bummeln und fünjtlerifchen Vagabondieren jtecte in ihm. Die Laufbahn des Vaters fagte ihm mehr "zu als ein reelles Studium oder ernſtes Streben. Als er älter ward, gab ihn der Vater zu einem Kaplan in ein PBußtadorf. Der Bengel follte lernen und Die glänzende Welt mit ihren Lodungen, welche ihn ſchon allzufrüh zu umjtriden begann, für ein Weilchen ver: gefjen. Roman revoltierte; er zwang jeinen Xehrer durch jein Betragen, ihn zu dem Vater heimzufchiden. Eine unmenjchliche Tracht Prügel empfing ihn, dann befitm:

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merte ſich der Künftler nicht weiter um den Sohn, bis es ihm eine Tages in den Sinn fam, an die Zukunft dieſes „freſſenden Kapitals” zu denken. „Was willft du eigentlich werden, du Lump?“ „Dasſelbe wie der Vater!“ „Jun, jo fang an, bei mir zu lernen.” Und er fing fpät mit diefem Lernen an. Die Anbeter feines Vaters fchenften jelbftverftändlich auch dem Sohn das lebhafteſte Sntereffe. Seine Leiſtungen wurden überfhäßt, und das, was an wirflihem Talent vorhanden war, in allzu frühzeitigem Weihrauch erftidt. ARoman fpielte den Wunderfnaben aber er war e3 nicht. Er verftand e8 nur, fich durd) geſchickte Kleine Effefthafchereien den Anjchein zu geben. Die Kritik behandelte ihn fchlecht, Die Freunde des berühmten Vater Hatjchten um des Vaters willen dem Sohn. Der Knabe ward Mann. Er mußte Mufik ftudieren, denn fein verſchwenderiſcher Ernährer dachte nicht daran, für fein Kind ein Vermögen zu erwerben. Als ihm das Meſſer an der Kehle jaß, als der Vater erklärte, einen Tagedieb nicht länger unterhalten zu wollen, entjchloß fich Roman zur Arbeit. Sie war ihm feit jeher ein Greuel und hätte ihm nicht die grenzenlofe Eitelfeit de3 Vaters als Erbteil im Naden geſeſſen, hätte er nie ein Reſultat erzielt. Das geſchah auch meiſtens nur durch fein Talent, alle Vorteile auf das Gejchicktefte auszunugen. Mit dem Namen des berühmten Vaters erfaufte er fich „fein Glück!“ Er öffnete ihm Thür und Thor, er bahnte ihm den Weg. Nannte er ihn, jo ward ihm jchneller aufgethan wie anderen, erflang er, fo hatte er die gute Meinung

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für fich, Stand er gedrudt auf dem Zettel, fo zahlte das Publifum um des Vaters willen feine Beifallziteuer auch dem Sohn.

Der Bater ftarb, und Roman bemühte fich voll fieberifchen Eifer, das Echo diejes Loftbaren Namens in dem Gedächtnis der Leute wach zu halten. Seine halt: und zügellofe Natur haßte alle geregelten Verhältniſſe, haßte alle ernite Schaffen. Voll wilder Zornesausbrüche ichlug er mit den Fäuften gegen die Stirn, wenn er fich genötigt jah, zu komponieren oder während einer kurzen Beit al3 Dirigent einer Kapelle vorzuftehen. Er arbeitete nur dann, wenn er hungerte und durftete, nur dann, wenn er abjolut dazu gezwungen war.

Aber mit wunderbarem Gejchid erfand er ſtets Kleine Effekte, welche ihre Wirkung nicht verfehlten. Tongemälde ohne fünftleriichen Wert, in welchen jedoch ein wirkliches Becherklingen und Beitjchenfnallen, Schlittengeläut und . Zofomotivpfiffe ihren Eindrud auf das große Publikum ausübten, machten auch jeinen Namen befannt.

Auch bei feiner erjten Oper jchlug Roman Zinfen aus dem Namen feine? Vaterd. Die Aufführung derfelben ward lediglich von dem Gedanken bejtimmt, daß es das Publikum intereffieren werde, Die Leiftungen eines jungen Mannes kennen zu lernen, welchem die Mufen doc den . Lorbeer jchon in die Wiege gelegt haben mußten.

Und wenn aud) die Kritif faum ein Wort des Lobes und des aufrichtigften Beifall fand, fo amüfierten fich die Zuhörer doch recht gut, denn das Libretto war nad

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einem allbefannten und beliebten Roman gearbeitet und verlangte ein paar jo außergewöhnliche Dekorationen, daß nicht nur für das Ohr, fondern auch für das Auge Sorge getragen war. Dazu ein paar anfprechende Melodien, die Figur eines wirklich und wahrhaftigen treuen Bern- bardiner Hundes, deſſen Erjcheinen mit Laterne und Pro- viantkörbehen außerordentliche Erregung bei allen fühlenden Damenherzen ſowie den entjprechenden Applaus heroorrief, und die erite Oper Ermönyis hielt fich troß aller Spott- jucht der Kritif auf dem Repertoir und machte volle Häufer. Nun feierte jein zweites Werk heute abend jein Wiegen- feit, und der Komponift ftand verftedt zwifchen den Cou- liſſen und rieb fich bligenden Auges die Hände. Er hatte abermals kalkuliert und ſich auch diesmal nicht verrechnet. Seinem fcharfen Blid und jo trefflich ausgebildeten Spürfinn war die Eigenart Marga Dajas nicht entgangen. Es gab ja fo viele Wunderfinder, follte fich mit diefem großen „Kind“ nicht auch ein Wunder erzielen laſſen? Wenn man die rührende, elfenhaft wirkende Erfcheinung der auch ftimmlich hochbegabten Sängerin in das richtige Licht ftellte, mußte fich durch diefelbe eine außergemwöhn- liche Wirkung erzielen lafjen! Man ſah ja, wie Die Kleine als Mignon alle Herzen entflammte, follte ſich nicht . eine Ähnliche, fentimentale Rolle erfinnen lafjen, eine Role, in welcher Marga, mit ihren thränengefüllten, jehnjuchts- vollen Kinderaugen auf die Sentimentalität des Publi- fums wirft? Staffage gehört auch dazu, ein originelles, hier zu

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Land noch nicht geſehenes Märchenreih. Soll der Nil feine gelben Wogen um die Uarda wälzen? Sollen Opfer: feuer die todgeweihte Schweiter eines Aſra verjchlingen ? Sol Wüftenfand die Arabierin verjchütten? Es wird fich finden lajjen.

Und & fand fi. Sowohl der junge unbefannte Seminarift, der angehende Dichter, welcher voll glühender Begeifterung und Phantafie fein Beſtes giebt, um dem Halbgott eines gefeierten Komponiften zu genügen, als auch der wirkſame Tert, welchen Roman mit dem Raffine⸗ ment und liftigen Gejchid des Zigeunerjohnes einer Marga Daja anzupafjen weiß. Die Requiliten des Zugftüdes find da, auch die Muſik erhält ihre Hilfsmittel, mittels welcher fie jedermann, der fie nicht jchön finden kann, doch originell nennen muß.

Roman Ermönyi verjteht es. Er kannte das Publikum und fannte Die allmächtige, zwingende Göttin, welche „Sein oder Nichtjein” auf dem Repertoir beitimmte, die Theaterkafje.

Eine Aufführung welche volle Häufer erzielt, ift immer gut, mag fie noch jo jchlecht fein, und ein Komponift, welcher auf den Bühnen zuhauſe ift, ijt ftet3 ein gemachter Mann, mag er im wahren Reich der Kunft auch noch fo fremd fein. Je mehr gefchidte „Mache“, deſto „ge machter.”

„Sit das wahr?” Hatte Roman Ermönyi durch feine neue Oper gefragt, und der Beifall, welcher Marga Daja und fein Werf überfchüttete, war die Antwort darauf.

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Er Hatte feinen Zwei erreicht. Die junge Sängerin erwies ſich al3 reizendes Mittel dazu, fie wird auch in Zukunft als Locdvögelchen zu gebrauchen fein. So fehr wie der Erfolg auch das Blut des Komponiſten in Wallung brachte, jo begehrlich wie auch jein Herz der entzüdenden Vertreterin der Titelrolle entgegen ftürmte, jo fühl und berechnend blieben doch die Gedanken Hinter der Stirn, und juft diefen Gedanken wollte Roman Ermönyi hier in ungeftörter Zurüdgezogenheit noch eine furze Audienz geben..

Cein oder Nichtjein? Binden oder nicht binden? Zu— greifen oder laufen lafjen? da3 war der Generalge: Danfe, um welchen fich jeine Reflerionen drehten.

Er hatte Marga Daja mit dem Gedanten, die Seine zu werden, „geködert“ hatte fie zu der Leidenfchaftlichkeit der Empfindung entflammt, welche die Seele eines Weibes in den Körper des Kindes hauchte. Sollte er nun Wort halten und Ernſt machen? oder follte er den Kopf gefchictt wieder aus der Schlinge ziehen, jet, nachdem ja der Mohr feine Schuldigfeit gethan? Da galt es ein gründliches Überlegen.

Der Erfolg, welchen die Kleine heute abend feiert, ift außerordentlich und läßt fie hoch empor fchnellen. Der Intendant ift entzüct und erhebt Marga Daja jelber auf die Rangftufe einer erften Diva. Ihr Kontraft an der hiefigen Oper ift abgelaufen, neue Offerten, welche man ihr von hier oder auswärts macht, müfjen nach diefem Abend jehr glänzend fein.

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Roman Ermönyi kennt die Gagen, die eine Prima donna bezieht. Sie ftechen ihm in die Augen. Es ift fein übel Ding um eine rau, welche Millionen in der Kehle trägt, und Roman fann und wird mur eine reiche Frau heiraten, welche ihm ein behagliches Leben garantiert, auch dann, wenn er auf die LXorbeeren des Komponiſten verzichten wird. Da Diefe Zorbeeren für ihn jtet3 einen recht bitteren Beigejchmad von Mühen und Arbeit haben, legt er feinen großen Wert darauf, fondern erwartet voll Sehnſucht die Beit, fich auf den big jetzt erworbenen gründ: lich auszuruhen!

Er hatte öfters den Gedanken gehabt, eine reiche Erbin heimzuführen. Dieſe Spezies iſt aber leider nicht allzu: dicht gefät, und Roman Ermönyi fand ftet3 fehr viel Wenn und Aber, wenn fich endlich eine pafjende Partie zu bieten jchien.

Meistens jchredte ihn der Anhang der Erwählten ab. Da war e3 der ehrbare Bürger und Gejchäftsmann, welcher al3 Papa die jtrenge Hand über die junge Ehe halten würde, oder es war die goldprogige Schwieger:- mama, welche regierend auf den Geldjäden jap.

Roman aber hatte feit jeher einen Widerwillen gegen alle geordneten bürgerlichen Verhältnifje, er, welcher feit Kindes Beinen an ein zügellofeg Nomadenleben, an eine Criftenz ohne jedwede folide Bafis gewöhnt war.

Er haßte alles Spießbürgerliche, er revoltierte gegen Sittenftrenge und Gejehe der Ordnung, wie ein uns dreffierter, wild aufgewachjener Stier ingrimmig das

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Joch vom Naden fchleudert und die Stallfette nicht dul- den will.

Auch diefer Punkt ift einer Marga Daja gegenüber zu erwägen, und er fällt fchwer in die Wagichale.

Die Sängerin iſt frei, unabhängig und ganz das Werkzeug in jeiner Hand. Ihr Geld gehört ihr beziehungs: weile ihrem Gatten. Keine läjtige VBerwandtichaft kann fich aufdrängen, ſchutz- und hilflos ift das „Kind“ dem Wollen und Willen des Gatten anheimgegeben. Auch die Sänge: rinnen haben auf Erden fein bleibend Quartier und ein folch unftetes, abwechslungsreiches Leben ift es juft, wa3 dem ruhelofen Dann zufagt.

Keine geordneten Verhältniffel Aus dem Koffer, auf der Achje leben —! So war er es gewohnt und fo will er es haben.

Nicht? langweilt ihn mehr, als das Stillſitzen und Kleben an ein und demjelben Punkt.

Kann es aber etwas Amüfanteres geben, ala wie ein luftiges Neifeleben, kreuz und quer, ohne alle Anftrengung, als wie höchitens Die eine, das Geld einzufaffieren, wenn die rau vor ausverkauften Häufern fingt?

Das ift bequem und ſchön, daß ijt ein menfchen- würdiges Dafein. Und Roman Ermönyi Hat es fich zu— geſchworen, jehr vorfichtig zu fein, was feine forgenfreie Zufunft anbelangt. Aber nicht allein all diefe materiellen Punkte fallen bei Marga Daja in erfter Linie ing Gewicht, fie ift nebenbei auch ein anmutiges, entzüdendes Gefchöpf, vollbercchtigt, die Sinne eined Mannes zu entflammen.

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Und Romans wülte Leidenfchaftlichkeit findet Gefallen daran, auch einmal ein fylphenhaftes „Kind“ in die Arme zu jchließen.

Sehr amüfant und auf die Dauer feffelnd ift ja die Kleine gerade nicht, aber dafür ift fie ja auch feine haus: badene Bürgerstochter, welche den Hausſchlüſſel voll eifer- ſüchtiger Anwandlung in die Tafche tet. Darum forgt ih ein Mann wie Ermönyi am wenigften. Er wird nie- mals die Iyrifchen Baffionen jeiner Gattin, welche ja jchon der Beruf für alle Welt auf die Bretter ftellt, beeinfluffen, er wird der Devije Huldigen: „Leben und leben lafjen!”

Marga fcheint in diefer Hinficht auch recht vernünftig zu fein. Sie quälte ihn noch nie mit der geringiten An- -wandlung von Mißtrauen oder Eiferfuhht und wird in ihrer Hilflofen Naivetät leicht zu behandeln fein.

Erjüllte fie die Hoffnungen, welche ihr Mann in fie jegt, jo foll fie e8 fehr gut haben, ein wahres Götter: leben, und jet ſich das Engelchen etwa nach der Hoch: zeit die Teufelähörnchen der Satanella auf, nun, fo ilt Ermönyi der Mann dazu, fie mit der nötigen Härte, Schärfe und Rüdfichtzlofigkeit abzufchleifen.

Alles in Allem betrachtet erfcheint Marja Daja eine gute und wünjchenswerte Bartie für ihn, und foweit wie ed möglich iſt, wird er fich nicht an fie verkaufen, fondern in Der gefeierten Sängerin das Lebensglück erhandeln, nach welchem er jtrebt.

Soll er nun alfo Ernft machen: und der Kleinen ſchon heute abend das bindende Ningelein an den Finger ftreifen,

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oder fol er fie noch ein Weilchen zappeln laffen, um fie Schon jetzt möglichft von feiner Überlegenheit zu überzeugen? Man darf jelbjt der Ummorbenen nicht allzu viel weiß: machen und fie nicht thörichterweife jelbjt auf einen Thron erheben, welchen fie nach der Hochzeit ja Doch dem Herrn und Gebieter räumen muß!

Das blafie, jcharfgejchnittene Geficht des Sinnenden hob fih; er laufchte mit aufglühenden Augen auf einen ftürmifchen Applaus, welchen Marga Daja bei offener Scene erntete.

Ein Ausdrud halb HZufriedenheit, halb Unruhe trat in feine Züge. Sa, die Kleine ward gewaltig ver: wöhnt, und es wäre wohl nicht allzu erftaunlic), wenn diejer Itarfe Lorbeerduft dem naiven Kind zu Kopfe ftieg.

Man hat es ja ſattſam erlebt, daß aus einer be- Icheidenen Debütantin, welche mit rotgeweinten Augen und zitternden Gliedern die Bühne ‚betrat, über Nacht eine prätentiöfe, übermütige, unnahbare Diva wurde, welche, ihren eigenen Wert erfennend, fich plöglich jelber jo Hoc) . im reife jtellte, daß manch fiegesgewifjer Verehrer des Abends am nächſten Morgen jchon ein überwundener Standpunkt war.

Und warum follte Marga Daja bei diefem plößlichen Aufflug nicht auch die Macht ihrer Flüglein erproben und die Anwandlung befommen, noch viel, viel höher zu fliegen wie bis an das Herz eine Roman Ermönyi?

Warum fcehidten die eleganten Herren ihr Blumen über Blumen Hinter die Bühne?

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Wäre es ein übler Gedanke, die Gattin eines fteinreichen Bankier zu werden, auf Gummirädern durd) das Leben zu rollen und fich alles gewähren zu fünnen, was ein Herz nur wünfchen und begehren mag?

Dder jticht jolch eine Kleine Grafen: oder Freiherrn⸗ frone nicht etwa auch in die Augen? Iſt es nicht ftet3 das höchite Ziel der berühmten Sängerinnen geweſen, ala Gemahlin eines vornehmen Mannes der Bühnenlaufbahn Balet zu jagen? Ob eine Ariftofratin des Geldes oder des Blutes eins ift fo lockend wie das andere, und Marga Daja iſt ein Kind, welches fich von folchen Koſtbarkeiten reizen läßt, ein unberechenbares Kind, welches in der einen Minute ein Herz als Spielzeug füßt und foft, um es im nächiten Augenblick zerbrochen in die Ede zu werfen!

Roman Ermönyi ſtrich mit der Hand über die Stim und grub die jpigen Zähne in die Lippe. Was follte er thun? |

Abermals ein Applaus. Neben feiner Couliſſe erfcheint das neugierig lugende Geficht eines Bühnenarbeiters. Roman fieht, daß derjelbe ein wundervolle Bouquet und einen Kleinen Brief in der Hand hält.

„Für wen?” fragte er kurz.

„Für die Daja !”

„Wer ſchickt es?“

Der Mann grinſt und zuckt die Achſeln. „Det wird wol in det Liebesbriefchen drinne ſtehn!“

Sa, e8 wird wohl manches in dem Briefchen ftehen!

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Mehr des Schönen vielleicht, als wie ein Noman Ermönyi jemal3 der verwöhnten kleinen Prinzeß bieten kann. Das giebt den Auzfchlag.

Seine Lippen prejjen fich zuſammen, fein Kopf zuckt jählingg in den Naden: „Zum Zeufel du Tuftige Freiheit du!” zieht es Durch feinen Sim. Es ift doch wohl ficherer, bei Beiten zuzu— greifen und feitzu- halten, und wenn erit Die Verlobung Stattgefunden, joll die Hochzeit auch nicht lange auf fich

warten laſſen.

Der junge Roms ponilt tritt einen Schritt vor umd haut auf Die Bühne. Die Oper nähert fi) ihrem Ende. Margas Finale jeßt ein.

Er fieht fie vor fich ftehen, glühend, fiebernd, in höchiter Erregung. Kein Schmud und Glanz mehr, das weiße Totenkleid fließt wie ein lichter Schein um fie her,

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wirr, von der Leidenfchaft durhwühlt fluten die Haare über Bruft und Arme und ihre Augen brennen wie in ftummem SHilfefchrei auf dem Publikum. Bezaubernd!

Und nun fingt fie. Das muß ein Beifallzitnrm werden, welcher zum Orkan anwächft!

3a taujendmal ja! Es ift hohe Zeit, diefen Edel- ftein ficher, fehr ficher zu faſſen.

Ein neuer Gedanke blikt durch Romans Sinn. Wäre es vielleicht vorteilhafter, eine heimliche Ehe zu Schließen ? Der Schwarm der Anbeter ift nicht zu verachten, und foftbare Geſchenke nimmt man ja ganz gern mit in den Kauf! Uber... e3 ift doch ein mißlich Ding, und andererjeit3 wäre es gleichzeitig die bejte und erfolgreichite Reklame für ihn, wenn Marga in Zufunft feinen Namen führt, ihn mit doppeltem Lorbeer zu fränzen.

Warum fol nicht auch eine Frau ihre Verehrer Haben? Es wird fchnell genug befannt werden, daß der beneidete Gatte nicht eiferfüchtig ift.

So mag denn der Würfel fallen! Nach) Romans Be: rechnung fann er nur die weiße Seite zeigen.

Wieder brennt fein Blid auf der anmutigen Erjcheinung Margas, welche juft in rührender, herzbezwingender Rlage die Kinderhändehen hebt und mit brechender Stimme Ihluchzt: „Laß ab von mir ich bin die Todgeweihte, laß ab von mir, das Unheil folgt mir nah —“

Er lächelt. Wie vorzüglich fie das Gemisch von Angft und Schmerz wiedergibt! Es ift geradezu fpaßhaft, daß lich Hunderte. von Augen mit Thränen füllen, weil eine

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fleine Komödiantin, deren Herz vor lauter Luft und Glüd- eligfeit zerfpringen möchte, in eingebildeter Todesangſt fich vor ihnen verzehrt!

Ja, fie ift eine gute Sängerin und eine gute Ko— möbiantin, darum will er ihr nicht nachitehen und auch ein guter Komödiant fein.

Er will Marga Daja freien, teils aus Liebe, wenn das Gefühl lüfterner Begehrlichkeit, welches er empfindet, Liebe ift teild aus Spekulation, wenn das Gejchäft, welches er mit dem Trauring zu machen hofft, in der That ein gutes ift!

Roman ftreift mit feinem Lächeln die Handſchuh ftraffer an den Fingern empor, räufpert fich und fteht mit hämmern— den Schläfen bereit, an der Seite feiner Diva den lebten Anfturm von Applaus über fich ergehen zu lafjen.

Marga ftirbt, der Chor verflingt, und aus den Flammen, welche foeben die Todgemweihte umlodern, wird die lebens- froheſte und glüdjeligjte Braut jteigen, in deren Kleiner Kehle dag Gold verborgen liegt, mit welchem fie heute abend das Glück erfauft.

Zum leßtenmal rollt der Vorhang nieder.

Die legten Klänge des DOrchejter® werden von dem lauten Beifall verjchlungen, welcher das Haus durchtoft.

Schon fteht Roman neben der Vertreterin feiner Titel- rolle und reicht ihre beide Hände entgegen.

„Komm Marga komm! Meine Marga!“ ringt es fich halb erjtidt von feinen Lippen.

Sie fpringt mit ftrahlendem Lächeln.von dem Holz:

N. v. Eſchſtrutb, IM.

Rom. u. Nov., Stern des GlüdR I.

; |

BE

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ftoß herab; eine der goldenen Locken ftreift durch die Tlamme einer Bechfadel, welche ein Feuerwerker Ban löfchen will, und fladert auf.

Noman ftürzt fi) mit beiden Händen darauf und er- ftite die Gefahr im Keim. Er bat in dem Schreden ihre fchlanfe Gejtalt an fich geriffen und preßt fie an die Bruft, fein heißer Atem ftreift ihre Wange, fein Auge glüht nah in dem ihren.

Auch der Feuerwerfer ift voll Entjegen zugeiprungen und preßt die wallenden Haare zwiichen den Händen.

„Nehmen Sie fih in acht, Fräulein! Durch dieſe verdeimwelte Rolle fommen Sie noch zu Schaden!” warnte er erregt, ohne daran zu denken, daß der Komponiſt neben ihm fteht. „Man fol nicht mit dem euer fpielen! ... Wiffen Sie nicht, daß man bei uns im Theater fagt: „Unglüd zum Anfang bringt Unglüd fürs Ende?” und heute haben wir eine Premiere!”

Marga lachte. „Daß Sie doch immer unfen müffen, Wallert! Habe ich etwa Schaden genommen?” fie lächelt jchelmifch auf und flüftert: „Das Feuer hat mid) in deine Arme getrieben, Roman, könnte das ein Un: glück fein?”

„Sal Wer weiß, ob dich die Feuersbrunſt meiner übermächtigen Liebe nicht zu Tode brennt, Kleine Göttin!“ murmelte er leidenjchaftlich, und gleichzeitig Löft er feinen Arm, um ihre Hand zu fallen.

„Vorhang hohl” ruft der Regiſſeur. „Sie müſſen heraus, Ermönyi und Daja!“

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Marga ruft nach den Vertretern der anderen Haupt- partien, und Roman ftredt denfelben mit verbindlichiten Dankes- und Lobesworten die andere Hand entgegen. „Bir gehören zufammen, meine Herrichaften! Dieſer Ap- plaus ruft uns alle!” lächelt er in feiner gewohnten ruhigen Weife.

Mieder und wieder mußten fi) Komponift und Dar: jteller dem dankbaren Publikum zeigen, auch der Dichter des Textes wird gerufen. Margas Namen aber Hingt am lauteften und enthufiaftiichiten von allen Lippen.

Ihr Blick ſchweift voll ftrahlender Freude zu Benedilta empor, welche fic) über die Logenbrüftung neigt und ihr herzlich zumwinft, auch zu der Schaufpielerloge blidte fie empor und fucht Edert. Die Kollegen haben ihr während einer Zwiſchenpauſe erzählt, ein ganz drolliger Kauz aus der Provinz weine Thränen der Nührung und Elatjche fih die Hände entzweil Man wiſſe gar nicht, wie dieſer jeltfjame Gaſt unter die Künftler geraten fei?

Marga lächelt ohne zu antworten, und jebt jucht fie ihn, aber fie findet ihn nicht.

Sollte er in feiner Begeifterung ſchon berabgeftürmt fein, fie perfönlich zu beglüdmwünjchen ?

Poor boy! Welch eine fatale Überrafchung wird es für Did) fein, wenn Roman Ermönyi dir feine Braut zu— führt! Dann Klagen die feinen Tyrannen der Kinderſtube zu Floringhof doch vielleicht ein paar Tage lang über Papachens fchlechte Laune und üble Stimmung!

Zange kann fich Marga bei diefem Gedanken nicht auf: 16°

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halten, nur wie im Fluge zieht er durch ihr Köpfchen, dann beanfpruchen die Blumenfpenden, die jubelnden Zu— rufe all ihre Aufmerffamfeit, unter dem blendend hellen Licht, welches die neu aufjteigende Ruhmesſonne fo plöß- lich über die junge Sängerin wirft, verblaffen alle Er- innerungen an eine Beit, in welcher Marga Daja noch nicht ein Stern eriten Ranges geweſen!

Als fich der Ausbruch ſtürmiſcher Anerkennung gelegt, als die Bühne fi) mehr und mehr leert, und der Inten- dant mit anerfennendem Händedrud die bedeutungsſchweren Worte gefprochen: „Meinen Glückwunſch, Fräulein Daja! Sie haben Großartiges geleiftet, wir |prechen morgen nod) Näheres darüber!” bietet Roman Ermönyi der Gefeierten den Arm, um fie in die Garderobe zurüczuführen.

Berfchiedene Herren drängen eilig herzu, der entzüden- den „Todgeweihten“ noch perfönlih ein paar Worte glühendften Lobes zu jagen.

Die Anweſenheit des Komponiften jcheint fie etwas zu ftören, obwohl Roman voll ſcharmanteſter Liebenswürdig— feit fofort den Arm der jungen Dame frei gibt und dis— fret zurüdtritt, bi8 Marga ihn jelber voll nervöfer Eile an ihre Seite ruft.

„Tante Lore wartet gewiß voll höchiter Ungeduld in der Garderobe auf mich!” entſchuldigt fie fich mit fühlem Lächeln und einem unerwiderten Händedrud, „und will nicht allein mir, fondern auch dem Schöpfer des herr: lichſten aller Werke gratulieren !”

Sie nimmt Romans Arm aufs neue und eilt weiter.

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‚Aber Herzchen! Du darfit nicht jo rückſichtslos gegen die Herren fein! Ich fürchte, dein abweilendes Benehmen hat fie beleidigt!” jchüttelt Ermönyi etwas bejorgt den Kopf.

Sie lachte hell auf: „Dieſe Coulifjenhelden find wohl noch an ganz andere Abfertigungen gewöhnt! Ich habe mir früher nicht von ihnen huldigen lafjen, wie jollte ih es jet, wo nur noch ein Einziger all meine Liebe, all mein Intereſſe beanjprucht I”

Sie blicdte innig, glüdftrahlend zu ihm auf, und Roman drüdte ihren Arm zärtlih an fich und fbiftert mit glut- vollem Blid: „Du füßes, füßes Kind! Ad, daß ich erft mit dir allein fein fönntel Warum muß Tante Lore al3 Gerberus dein Zimmer bewachen! ch lechze nach ein paar Minuten ungeftörter Ausſprache!“

Sie jchmiegt ſich an ihn: „Vor Ddiefer treuen Seele habe ich ja feine Geheimniffe, Herzlieber!”

„Sie ift eine dritte Perſon, und alles Dritte ift bei ſüßem Minnekojen läftig und überflüffig I”

‚Ad, Roman, welch eine glüdjelige Zeit langen, un: getrübten Alleinjeins fteht uns, jo Gott will, bald be- vor!”

Er nit aufgeregt und legt den Arm um fie, derweil fie die Treppe emporfteigen! ‚Bald, bald!! Die Flammen auf der Bühne haben nicht allein dich, fondern auch mein Herz verschlungen! Es verzehrt fih in der Sehnfucht nach dieſem Alleinfein! Iſt e3 Dir recht, Geliebte, fo ſchlage id) aus Tante Lores Anmwefenheit Brofit und bitte fie fo- gleich um deine Hand!”

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Sie bleibt momentan |tehen, neigt das Köpfchen wie in atemlojem Lauſchen zurüd und lächelt verklärt.

„Ad, Roman welche Freude, endlich unſer zärt- liches Geheimnig aller Welt verraten zu können!“

Er blickte fie ernjt an. „Und du würdejt auch bereit fein, bald zu heiraten und meinen Namen mit deinem jebigen auch auf dem Theaterzettel zu vertaufchen ?“

„Das iſt wohl ſelbſtverſtändlich, Beliebter” nick fie harmlos. Plöglich aber tritt ein Ausdrud der Bangig- keit in ihr Antlitz ‚Schon jo bald heiraten? Wird dag denn möglich fein, Roman? Noch verdiene ich nicht viel, und deine Einfünfte müſſen fich auch erft fteigern, ehe wir einen Hausſtand gründen können ?”

„Unfere beiderjeitigen Einnahmen werden nad) dem heutigen Erfolg anjchwellen wie cin Waldbach nach dem Gewitter.”

Ein energifcher Zug zeigt fih um ihre Lippen: „Es ift immerhin feine fihere und beftimmte Revenue!“ ſagt fie Eopffchüttelnd. „Sch werde nur in eine baldige Heirat willigen, wenn ich am X'r Hoftheater mit hohem Gehalt engagiert werde, und wenn Du, was die Haupt: fache ift, dafelbit die Dirigentenftelle annimmſt.“

Ein feltfames Zuden ging über fein Geficht, welches meiften® anzeigte, daß Roman Ermönyi feine innere Hef: tigfeit nur gewaltjam beherrjchte.

„Sieh, fieh, meine Heine Göttin macht ihre Bedin- gungen und jchwingt das Bantöffelchen ſchon vor der Hochzeit! Je nun, du weißt ja, Liebchen, daß ich Wachs

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in deinen Händen bin! Obwohl mir eine fefte Stellung, ein Binden und Feſſeln an beftimmten Fleck und in be: ſtimmten Berhältniffen gräulich unfympathifch ift, fo ge: . horche ich doch willig deinem Befehl und füge mich deiner Tyrannei! Bilt du zufrieden damit, Kind?“

Sie drüdte feinen Arm ftürmifch an fich. „Du beiter, du einzigfter Mann! Iſt e8 nicht unfer beider Wohl und Glück, welches ich bedenke und ficher gründen will? Wie jchön fteht e8 dem Leu, wenn er fich vor dem weißen Lämmchen duckt“ fie lacht filberhell auf und blinzelt ihn nedifch an: „und wie gut und artig von dem Lämm-— hen, wenn es ſich als Gegenleiltung mit Haut und Haar von dem König der Wüſte verjchlingen läßt! Alfo unfer Pakt ift gefchloffen! Nun ſchnell, ſchnell zu Tante Lore, Damit fie unſeren Herzenzbund jegnet und eine ellenlange Depeſche an Onkel und Tante nach) Floringhof vom Stapel läßt!“ |

Sm Sturmſchritt geht's weiter. Lachend, glüdjelig, ganz und gar „Kind“, Ichmiegt fie ſich an jeinen Arm. „Benedikta wird auch in die Garderobe kommen, und fie muß natürlich aud) fofort Zeuge unferes Glüdes werden! Nicht war, Roman? Ich fann Dich Doch gleich ala Sieger, al3 doppelten Sieger „vor und hinter den Couliſſen“ prä- ſentieren ?”

„Das verfteht fich, Heiner Engell Ich werde den Hut . hinhalten und meinen Dank von der Baronefje einſammeln, daß ich ihre Sugendgefpielin Marga über Nacht zur be rühmten Sängerin machte!”

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Er fagte es mit einer gewiffen Betonung, gibt ihren Arm frei und reißt die Garderobenthür auf, um mit ju: beinden Zuruf bei Tante Lore einzutreten.

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PB ic alte Dame fit vor dem Tiſch

R und blickt mit lächelndem, ſtillzu— friedenem Geſicht auf den Berg von Blumen und Kränzen nieder, welche man ihrer berühmten Nichte ges ipendet. Sie iſt die Witwe eines Kanzleibeamten, fteht allein und finderlos in der Welt und bat fich auf die dringenden Bitten von Margas Bormund feiner: zeit entjchloffen, die junge Waiſe in ihrer gefährlichen Bühnenftellung zu bemuttern.

Frau Rätin Kirchſtück hat es mit ſchwerem Herzen gethan. Sie iſt jehr ungern in die Nefidenz übergefiedelt, fie, die Kränfliche, immer Leidende, welche an ihrer klein— jtädtifchen Heimat hängt und oft voll bitteren Heimwehs nach dem jchattigen Dörfchen und den Gräbern ihrer Lieben die Hände ringt.

Sie hat jelber dem Vormund und den Berwandten

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in Floringhof in kläglichen Briefen verſichert, daß ſie ſich abſolut nicht zum Schutz ihrer Pflegebefohlenen eigne. Sie iſt viel zu elend, um das aufreibende Leben mitmachen zu können, ſie liegt viel zu oft im Bett, um Marga über— allhin begleiten zu können, wie es ihr Pflicht und Ge— wiſſenhaftigkeit vorſchreiben.

Sie thut, was in ihren ſchwachen Kräften ſteht, und das iſt nicht viel.

Wenn ſie dem kleinen Haushalt vorſteht, die Einkünfte und Ausgaben der Nichte überwacht, und ſie morgens und abends unter Thränen beſchwört, allen Verſuchungen zu widerſtehen und ihren Ruf und ihre Ehre als höchſtes Kleinod zu wahren, jo hat fie das ihre gethan. Auf Schritt und Tritt hinter dem ruhelojen Elfchen berlaufen, vermag fie bei ihren grauen Haaren nicht.

Blaß und fummervoll blidt ihr hageres Geficht aus der fchwarzen Spitenhaube heraus, ſtets geneigt, ein paar Thränen der Sorge und Rührung zu vergießen, immer bereit, den Zuhörer durch eine endloje Leidenzgejchichte zu deprimieren.

Sie paßt jo gar nicht unter das lebensfrohe Völkchen der Künftler, und das empfindet fie jelber und hält fid) ihm mit Vorliebe fern.

Der Gedanke, diejes entjeßliche Leben zwifchen himmel: hohen Steinwänden, Fabrikeſſen und lärmenden Groß— ftadtftraßen noch jahrelang führen zu müffen, hat fie wie ein Alp bedrüct, und ihre Miene von Monat zu Monat unglüclicher geitaltet.

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Da kam ein rettender Hoffnunggitrahl in Geltalt des Komponiſten Roman Ermönyi.

Marga, welche nie ein Geheimnis vor der Tante ae: habt, machte fie auch zur Mitwiſſerin all der glüdjeliaen Hoffnungen, welche fich an den heutigen Premierenabend fnüpfen, und dieſe Ausficht, die junge Sängerin bald zu verheiraten und dem thatfräftigen Schuß cines Gatten übergeben zu fönnen, übte einen unbefchreiblich glücklichen Einfluß auf die heimwehfranfe, alte Frau aus.

Kun Tannte fie faum noch ein anderes Gebet, wenn fie ihre vertrodneten Hände faltete, als eine inbrünftige Bitte zum Himmel, dieſe verhängnisvolle Premiere mit Erfolg zu krönen.

Gab ihr diejelbe Doch die Freiheit und die Heimat wieder, zwei Begriffe, welche fich zu zehrender Sehnſucht der Leidenden geitaltet hatten.

Die Aufregung und Spannung, mit welcher fie dem heutigen Abend entgegenfah, wirkten nicht günftig auf ihre Nerven, und als fie voll zitternder Angſt hinter den Couliſſen jaß und auf den Applaus laufchte, reitte der Gedanke um jeden nur möglichen Preis der Dual dieſer Stellung zu entgehen, in ihrem gemarterten Hirn. |

Wie eine Erlöfung überfam es fie bei dem Sturm des Beifall3, welchen Ermönyi und ihre Kleine ernteten und die Bühnenarbeiter und Choriften, welche die blafie, fränfliche Frau in dem fchwarzen Kleid kannten, blidten vol Nührung auf ihre zufammengejunfene Geftalt, wie

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fie mit gefalteten Händen da faß, und Thräne um Thräne haltlos über die runzligen Wangen floß.

Ein Häuflein Unglüd inmitten eines himmelhoch jauch- zenden Glücks.

Bol übermütiger Seligfeit ſchlang Marga in den Bwijchenpaufen die Arme um fie und häufte Blumen und Lorbeeren mit immer vollen Händen um die Tiefergriffene.

„Du bilt ja wieder ganz und gar Thränenweide, Tantchen!” lachte fie nedend, „und regſt dich hier ganz unnötig auf! Komm! Bad die Schönen Blumen auf und ruhe dich in der Garderobe duß! Dann überlegft du Dir, ob du dieſe jchönen, frifchen Lorbeerblätter zuerft an eine Fiſchſauce oder an ein Ragout verwendeit, und wenn du an das fchöne, delifate Ragout denkſt, wird dir wieder wohl und vergnügt zu Sinn!”

Die alte Frau lächelte gutmütig, jtreichelte ihrem be- rühmten, Heinen Schelm voll Härtlichkeit die Wangen, pacte die Blumen mit beiden Armen zufammen und zog fi) gehorfam in die Garderobe zurüd.

Irgend welche Empfindung von Stolz oder Genug: thuung angeficht3 diefer Dvationen war Tante Lore völlig fremd. Sie verjtand nicht viel von der Kunft und dem Künftlerruhm und Tonnte die Tragweite eine Erfolges nicht recht bemefjen. Für fie genügte der Gedanke, daß eine günftige Aufnahme der Oper Marga zur Gattin des Komponijten machen jolle.

So weit, wie fie in ihren: engbegrenzten Berftandes- und Lebenshorizont die Fühlfäden ausſtrecken konnte,

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hatte fie e8 gethan, um fid) nach Perſon und Ruf Roman Ermönyis zu erkundigen.

Was ſie hörte, gereichte ihr ſehr zur Beruhigung. Er war der Sohn des berühmten Vaters, welchem die Welt offen ſteht. Sein Talent berechtigte zu den ſchönſten Hoffnungen und wies bereits ſchönſte Erfolge auf. Nahm er die ſichere Stelle eines Dirigenten oder Kapellmeiſters an, war wohl ſein täglich Brod geſichert. Was ſeine Perſönlichkeit anbelangte, fo fand man den juiigen Mann allgemein ſehr intereffant und liebenswürdig, ohne ihm irgend eine üble Charaftereigenjchaft oder ein Lafter nad)- Sagen zu künnen. Es waren ja meijt nur Mitglieder der Dper, welche Tante Lore befragen konnte, und daß die: felben einen Mann in mancher Beziehung jehr nachfichtig beurteilen, entging der Beobachtung der alten, jchlichten Frau.

Was ihr jedoch am maßgebendſten erſchien, war die ſchwärmeriſche Verehrung Margas, welche in Roman Ermönyi das Ideal ihrer Mädchenträume anbetete. Sie ſchmückte ihn vor den Augen der Rätin mit dem vollſten Blütenkranz aller männlichen Tugenden, und wenn ja auch manch weltkluge und erfahrene Mutter viele dieſer Tugenden recht mißtrauiſch unter die Lupe genommen und nach genauerer Beſichtigung durchaus nicht als Tugend anerkannt haben würde, ſo war Tante Lore weit entfernt, die Menſchenkenntnis ihrer klugen, bewunderten und an- geftaunten Nichte auch nur im mindeſten anzuzweifeln.

Sie hatte fich daran gewöhnt, Margas Anfichten ſtets

al3 maßgebend zu erachten, denn das junge Mädchen ſtand mit offenen Augen und Ohren in einer Welt, welche ihr, der halb Abgeftorbenen, in jeder Hinficht weit ent- fernt lag.

So verftand fie aud) Roman Ermönyi, den eigen- artigen, interejlanten Künftler, nicht recht zu würdigen, und verließ fich auch in feiner Beurteilung vollfommen auf das, wa3 ihr die Nichte mit jtrahlenden Augen ver- ficherte.

Sie hatte einmal etwas fchüchtern geäußert, die bleiche Gefichtsfarbe und das fleifchlofe Antlig Rpomans be— ängftigten fie etwas. Solch ein Auzfehen ſei Doch unna- türlich bei einem jungen, lebensfriſchen Hochzeiter, welcher augfchen müßte wie die ftrogende Gejundheit. Die Sängerin hat laut aufgelacht und voll fchaudernder Ab- wehr die Händchen an die Ohren gepreßt.

„Aber Tantel Welch ein horribler Gedanke! Wie darf ein Künftler mit roten Apfelbäckchen und einem Doppelfinn in der Welt herumlaufen! Wo Yliebe da die Poeſie und Äfthetifl Im Gegenteil, fo intereffant wie möglich muß er ausſehen, ein Geficht wie aus einem Totenreigen Augen wie ein Höllenbrand ein Lächeln, wie ein Vampyr —”

„Am Gottes Himmelöwillen, hör auf!” entjeßte ſich die Tante. „Wie gut, daß der Geſchmack verſchieden ift. Aber das it ja deine Sache, du heiratejt deinen inter: effanten Künftler, nicht ich; und wenn er mit dem Toten: reigengeficht nachher an der Schwindfucht oder fonjt einer

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Ichredlichen Krankheit leidet, mußt du ihn pflegen, Herzchen, nicht ich 1“

Marga Daja Hatte diefen Ausspruch jo über die Maßen jchauderhaft und für ihr Ideal beleidigend ge: funden, daß fie in Thränen, recht Eindifche, eigenfinnige Thränen ausbrach, und Tante Lore fi) tagelang mit bitteren Selbjtvorwürfen quälte, dem in allen Dingen tadellofen Ermönyi vielleicht zu nahe getreten zu jein.

Sie bemühte fih, durch beſonders fchmeichelhafte Äußerungen über den Komponiſten die gekränkte Nichte zu verföhnen, und während ihres Lobes redete fie fich jelber in den feligen Glauben, daß es der Sohn des be- rühmten Vaters thatlächlic) verdiene.

Sie hatte den ftürmifchen Applaus gehört, Hatte die zahlreichen Ovationen gefehen, welche man der Darftellerin und dem Schöpfer des Werfes zollte, und war Hoch: Elopfenden Herzens in daS Garderobezimmer geeilt, in der feften Borausfegung, daß nun die ſehnlichſt erhoffte Ver: lobung fie aus allen ÜÄngften und Nöten befreien werde.

Sie war darum nicht fonderlich überrafcht, ald Roman Ermönyi ihr voll Glück ftrahlender Erregung die Nichte zuführte und mit erhobener Stimme verficherte: „Hier Tante Lore, bringe ich Ihnen unfere Marga, welche ich fraft ihrer unmiderftehlichen Rolle heute abend hoch empor an den Himmel der erjten Sterne der Kunjt gehoben babe! Können Sie fi) wundern, teuerfte Frau Rätin, wenn ich für eine ſolche große That auch einen großen Lohn verlange? Nicht? geringere als wie dieſes

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,blitzende Sternlein‘ ſelbſt, welches mir ja längft mit offenen Armen und heißem Herzen al3 mein vielholdes Bräutchen zublintt |“

Er 309 die junge Sängerin ungeftüm an fich und füßte voll Leidenschaft die Lippen, welche feine Melodien ſoeben voll fieghafter Schöne in die Welt getragen. Die reipeftvolle, etwas fteife und anbetende Scheu, welche die Frau Rätin ihrerzeit an ihrem werbenden Bräutigam fo tief gerührt und geehrt hatte, vermißte fie bei dieſem Freier vollfommen. Es lag vielmehr ein verjtedter Zug von Herablafjung in feinen Worten, als thue er der Eängerin, welche durch feine Muſik groß geworden, eine befondere Ehre durch feine Wahl an.

Frau Lore würde das an ihrem Fri etwas verlegend gefunden haben, auch die Art und Weife der Liebkoſungen fand fie nicht allzu taftvoll da aber Marga weder durch eine einzige Miene, noch durch daß leiſeſte Wort ver- riet, daß fie diefe Anficht teile, tröjtete jich die Rätin aber: mals in dem Gedanten, daß ſolch ein ehrfurchtuolles Liebes: werben wohl auch altmodijch und unfünftlerifch fei, und freute fich ohne weitere Reflexionen der Thatjache, die Hand der Nichte mit überftrömenden Augen vergeben zu fünnen. Sie wagte einen fchüchternen Verſuch, auf Die pekuniären Zukunftsverhältniſſe anzutippen, ward aber jehr furz von dem Schwiegerneffen in spe abgefertigt, daß diefe alberne Profa ſchon genugjam erörtert fei; er lebe jebt fo voll- . fommen in allen Glüdshimmeln, daß er nicht an Die Mijere dieſer Thränenwelt erinnert fein wolle!

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Da verftummte Frau Kirchftüd abermals in Scheuer Hochachtung, denn Marga rief voll ausgelafjener Luftig-

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BR —F ten

feit: „Unbeſorgt, Tantchen! Beleidige einen Ermönyi

nicht durch den mindeſten Zweifel an feine Eriltenz! Was N. v. Eſchſtruth, IN. Rom. u. Nov., Stern des Glüds L 17

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glaubſt du von einer zugkräftigen Oper! Sie ift eine un: erichöpfliche Goldquelle I“ |

„Und was glauben Sie von einer Nacjtigallenfehle a la Marga?” lachte der Komponift mit aufblienden Augen; „ich werde ſchon Sorge tragen, daß man diefem Sängerlein einen goldenen Käfig baut” und er griff mit beiden Händen in Die duftigen Blumenjträuße, riß die Blumen heraus und warf fie in duftigem Negen über ſein „Feenkind!“ Er war plößlich von einer tollen Zuftig- feit, wie oftmal3 eine Anwandlung wildeiten Gefühlser- guſſes über den „Marmorkühlen” tommen konnte. Marga vermochte kaum ihn zu beitimmen, fie auf dem Korridor zu erwarten, da es die höchite Zeit für fie fei, ſich um: zufleiden. Juſt, als Roman voll übermütigen Abfchiedes die Thüre öffnen wollte, wich er vor einer hoben, fchier majeftätifchen Frauengeſtalt zurüd, neben welcher feine ſchmächtige Kleine Figur wie ein Schatten vor der Sonne zujammen fchrumpfte.

„Benedikta! Benedikta! —“

Mit lautem Jubel ftürmte Marga ihr entgegen und warf fi) in ihre Arme, dann riß fie fich wieder log, faßte Romans Hand und zog ihn mit fprechender Gefte an ſich.

Fräulein von loringhoven verjtand fie. Mit den herzlichften Glückwünſchen bot fie dem jungen Paar beide Hände dar, aber ihr Blick ſchweifte fo jählings und unruhig durd) dad Zimmer, als ſuche fie Je— manden.

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Roman liebte feine Damen, welche fo vornehm im: ponierend auf ihre Mitwelt herniederbliden wie die Enkelin des Minifters. Obwohl er fich mit der verbindlichiten Miene und höflichiten Geſte verneigte, fagte er jehr un- geniert zu Marga: „Bitte, bedeute ihr, daß wir eilig find und von Freunden erwariet werden!”

Abermals empfand es Benedikta unendlich |chmerzlich, wie verlegen und unerquidlich der Verkehr mit einer tauben Berfönlichkeit ift; fie vermißte auch in Romans Geficht jede Spur von zartfühlender Teilnahme, welche fie ermutigt hätte, ihm eine fchriftliche Unterhaltung zu— zumuten. |

Das unangenehme Gefühl, welches fie ftet3 bejchlichen, wenn Marga von ihm fchrieb und erzählte, drängte fich ihr bei feinem Anbli in noch erhöhtem Maße auf. Die PBerjönlichfeit Romans wirkte direkt abjtoßend auf fie, und ihre wunderbar ſcharf ausgeprägte Menſchenkenntnis durchſchaute in ihm den herz- und gefühllofen Egoiften, welcher eine Marga Daja lediglich aus Gewinnfucht an ſich feſſelte.

Während das Brautpaar in erregtem Ton flüſterte wie e ſchien, wollte die Sängerin ihren Bräutigam beftimmen, Baroneß Floringhoven zum Souper einzuladen, was ihm höchſt überflüffig und langweilig ſchien wandte fih Benedikta an Tante Lore, um aud) ihr einen Glüd- wunfch zu fagen, welcher immer weniger von Herzen fommen wollte. Da fie die Antwort der alten rau nicht veritand, fuhr fie haftig fort: „War mein Infpektor aus

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;sloringhof nad) der Aufführung fchon hier?” Frau Kirch: ſtück fchüttelte verftändnislo8 den Kopf, und mit be- ſorgtem Geficht wandte fich die junge Dame wieder zu Marga, welche ihr mit flehendem Bitten die bejchriebene fleine Tafel reichte.

Noman zog fich mit formeller VBerbeugung und einem jehr einjtudiert gewinnenden Lächeln zurüd, während Bene- dikta jehr freundlich, aber jehr entjchieden die Einladung zum gemeinjamen Souper ablehnte.

„Sind Sie zu Stolz dazu, liebjte Freundin? Roman behauptet es!“ kritzelte Marga etwas fchmollend nieder, während fie begann, fich voll fliegender Haft umzu- kleiden.

„Ihr Herr Bräutigam kennt mich nicht, darum kann mich ſeine Annahme nicht befremden, von Ihnen, liebe Marga, hätte ich ein beſſeres Verſtändnis für meine Un⸗ fähigkeit, an Gejellichaften teilzunehmen, erwartet.’

Benedikta jeufzte tief auf und jah fo traurig aus, daß Marga voll inniger Teilnahme ihre Hände in die ihren nahm und füßte. Ja, fie wußte eg, wie qualvoll der Berfehr mit heiteren Menfchen jür die Kranke war.

„Haben Sie Edert nad) der Aufführung gejehen, Marga? Nein? o mein Gott ich bin jo bejorgt um den Armen. Fraglos hat er von Ihrer Verlobung gehört, daß er jo ſpurlos verſchwunden iſt! Und ich Hatte mich fo fehr bemüht, ihn auf dieſe Schmerzensfunde vor: zubereiten I”

Marga fah jedoch mehr geſchmeichelt als bejtürzt aus

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„Ich war doch ſehr nett zu ihm heute, nicht war?“ ſchrieb ſie ſchnell auf, während Tante Lore und die Kammerjungfer die blonde Perrücke von ihrem Köpfchen löſten.

„Viel zu nett, Sie Turandot! Das hat ihn erſt in alle Himmel gehoben, um ihn alsdann deſto tiefer ſtürzen zu laſſen. Wenn der nur keinen unüberlegten Streich macht!”

Marga war viel zu ausgelaſſen, um einen erniten Ge- danken fafjen zu können. „Wie jollte er! Da müßte er doch zuvor fein Oberfommando in der Kinderftube um Erlaubnis fragen, ob er ind Waſſer gehen darf oder nicht !”

Der ernite Blid Benediktas flammte vorwurfsvoll auf fie nieder. „Marga! Margal vielleicht Hagt Sie jein brechendes Auge jchon vor Gottes Nichterftuhl an!“

Tante Lore fing vor Schred an zu weinen, und die junge Sängerin machte plöglich auch ein ganz betroffenes Geſicht. | |

„Aber liebſte Benedilta glauben Eie etwa im Ernſt?“

„Warum ſollte er ſo ſpurlos verſchwinden, wenn er nicht in höchſter Erregung das Theater verlaſſen hätte?“

Marga ſchlug mit der kleinen Fauſt heftig auf den Tiſch und ſtampfte wie ein ungezogenes Kind mit beiden Füßchen auf die Erde. „Zum Kuckuck mit dem albernen Menſchen! Was geht er mich denn an? Was habe ich mit ihm zu ſchaffen?“ rief ſie weinerlich, „er ſtört mir

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den ganzen jchönen Abend! Warum bildet fich der freche Patron Dinge ein, die fich nicht erfüllen können? Warum wagt er e3, feine Augen zu mir zu erheben!‘

Fräulein von Yloringhoven verjtand Fein Wort und nahm an, daß ein bitterer Ausbruch von Reue und Angft die arme Marga derart fchüttele. Sie legte freundlich tröftend den Arm um fie: „Ich hoffe ja aud) zu Gott, daß er vernünftig ijt, liebjte Marga, daß er vielleicht unten bei Sophie auf mich wartet! Leben Sie wohl, und fommen Sie bald zu mir, auf daß wir über den heutigen fchönen Erfolg noch ausführlich plaudern fünnen, das heißt, wenn Sie in Ihrem jungen Glück noch Beit für alte reunde haben! Wenn Edert drunten auf mich wartet, jende ich Ihnen fofort Nachricht herauf! Und nochmals Gott befohlen!

Möchte der heutige doppelte Glüdstag zum Heil und Segen für Ihr ganzes Leben werden!” Marga neigte ihr Gefichtchen abermals küſſend auf die Hand der Sprecherin, diesmal um ihr ſchamrotes Antlitz zu ver: ſtecken und Benedikta verabjchiedete fih von Tante Lore, welche al? jtumme Jammergeſtalt noch immer Die Augen trodnete. Sie fannte zwar Herrn Edert nicht und ahnte nicht, um was es ſich handelte, aber fie hatte fo nahe an das Waſſer gebaut, und das leiſeſte tragifche Stichwort genügte, um ihre Thränen haltlos rinmen zu laffen. Das Weinen war ihr eine liebe Gewohnheit geworden, und gleich wie andere Menjchen am Sonntag eine ichöne Bartie machen, oder al3 beſonderes Vergnügen

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Kuchen in den Kaffee ftippen, fette ich Tante Lore be: haglich in das Sopha und weinte ein Stüdchen zu ihrer Unterhaltung und Erholung.

ALS fich die Thüre hinter Fräulem von Floringhoven geichloffen, riß Marga dag Spitzentuch vom Tiſch und fnäulte es ärgerlich in den Händen. „Gott jei Dank ift der Unglüdsrabe davon geflattert. ine bodenlofe Rück— fichtslofigfeit, mic) an dem heutigen Tage derart zu ängitigen und aufzuregen! Mag dod ihr thörichter Onkel Bräfig bleiben, wo der Pfeffer wächſt! Hätte viel zu thun, wenn ich hinter allen jentimentalen Fünglingen berlaufen wollte, welche für Maraa Daja Feuer fangen! Schnell doch, Tante, mein Kleid der! Wie lange fol Noman warten! Ich glaube wahrhaftig, es hat fich heute alle gegen mich verfchworen!” und das Kind be- fam wiederun eine Anmwandlung jenes findijchen Unge- ſtüms und Eigenfinns, welcher Tante Lore jtet3 zu bleichen Wangen ängftigte. Gott jei Lob und Dank, daß fie ver- lobt war! daß dieſes Elend bald aufhören wird! Die Nätin feufzte tief auf und fuhr in ratlofer Aufregung mit den Händen in alle Eden, um das Gejuchte noch lange, lange nicht zu finden. Doris hatte nämlich das Kleid Schon längit ihrer jungen Herrin übergeworfen.

„Sag mal, Tante Lore, kommſt du eigentlich heute abend mit in das Neftaurant? 3 gehört fich doch, daß du unfere Verlobung proflamierft und fie in eriter Linie mit ung feierft!”

Die Rätin nahm vor Schred auf dem nächiten Stuhl

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Pla. „Ich? .. ih. . fol jebt noch fo furchtbar fpät nad al diefen Aufregungen —“ Stotterte fie und Ioderte jchon wieder das Tafchentuh. „O mein Gott, Marga, das hält ja meine Schwache Gejundheit nicht aus! Du weißt, ich kann keine Menfchen mehr ertragen, und nun gar bi8 in die Naht um 2, 3 Uhr dafiten und Wein trinfen! .. Du weißt doch, daß ich überhaupt feinen Wein trinken darf, weil jonft meine Nervenjchmerzen unerträglich werden! Ah, ich bin ja ein fo armes, krankes, unglüdliches Geſchöpf! —“ Und nun ftrömten die Thränen Haltlos in das weiße QTüchlein nieder. Marga war gereizt und ungeduldig. „Nun, dann bleib doch in drei Teufels Namen zu Haufel Es zwingt dich ja keine Menjchenfeelel Roman wird mich ficher und wohlbehalten heimbringen; Gott fei Dank hat er ja jetzt ein Necht dazu, mich zu begleiten! Thu mir nur die einzige Liebe und Hör mit deinem Gemeine aufl Sch bin fchon ganz nervös vor Angjt, auch nur das mindefte Wort zu jagen, weil du Dich ja prinzipiell bei jeder Äußerung in Salgwaffer auflöft” „Ad ja, Gott fei Dank ift ja nın Roman da, um dich zu beſchüren! Als Bräutigam iſt es zwar durchaus nicht paſſend aber ich denke, es ſind noch verſchiedene Damen da, und ihr könnt zu Vieren eine Droſchke nehmen! BER Ich möchte ja gern meiner Pflicht nachkommen, aber ich kann e3 nicht mehr, ich arme, wandelnde Leiche! Wenn nur der Onfel in Floringhof und der VBormund ihre Einwilligung zur baldigen Hochzeit geben!”

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Marga Stand fchon im Pelzmantel und Kopfſhawl, fie trat jähling® zu der Sprecherin heran und legte chmeichelnd den Arm um fie: „Hör, Tantchen, ich habe eine gute, eine jehr gute Idee! Wenn du jet jo hübſch till und ungeftört zu Haufe bift, jchreibjt du an die beiden Geſtrengen und meldeſt meine Verlobung, erzählt recht viel Gutes von Roman und holſt die Erlaubnis zur Heirat ein! Sieh mal, es ijt ja auch in deinem eigenen Intereſſe, nicht wahr, du arme3 Thränen- früglein? ber jchreib gleich dabei, nach Floringhof könne ich mit meinem Schaß nicht fommen, dazu ſei jebt abjolut feine Zeit! Erit als Ehepaar im nädjiten Sommer machen wir Antritt3- viſite! Alſo hörſt du, Tante, dur Schreibjt!” und mit einem übermütig zärtlichen Klapps gegen die runzlihen Wangen ftürmte Marga Daja durch die Thür, ihrem „Glück“ entgegen, welches in Geſtalt Roman Ermönyis ihrer harrte und mit einem: „Na, Donner: wetter! das bat heut aber lange gedauert, Liebchen!“ ent: gegen trat.

„Ja, es hat ewig gedauert! Mir fribbelte es auch ſchon in allen Fingern! Alfo tröfte dich, du Herrlichiter von allen, du bift nicht allein nervös |”

Nein, das konnte er jchon jeit langem merfen

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aber er wollte es nicht. Seine Gattin follte und durfte nicht nervös fein, war fie e3, jo nahm er feine Notiz davon.

Die ärgerliche Stimmung hielt bei beiden nicht lange bor. Dazu war die freudige Aufregung des Abends viel zu groß, eine Aufregung, welche mehr und mehr wie tolle Leidenjchaftlichkeit bei dem Sohne des Halbzigeuners zu Tage trat.

Er Hatte ftet3 eine überjchwengliche Weiſe gehabt, feine Liebe zu verfichern und zu befunden, jebt, als er endlich ungejehen und ungehört von Fremden feine Erwählte im Arme hielt, dieweil der Wagen im fchärfiten Tempo dem Nefjtaurant entgegen faufte, brach fich die Erregung in taufend liebeglühenden Worten Bahn, und beraufchte das „Kind“ mit dem füßen Gift Himmelftür- mender Leidenjchaft; Marga war geiftig viel zu unbe: deutend, um ſolch einen Ausbruch jähen Gefühl! richtig zu beurteilen, fie jchwelgte in der Überzeugung, über Maß und Biel geliebt zu fein, und in dem Triumph der Eitel- feit, den unberechenbarften und launenhaften Künftler fo völlig befiegt und lammfromm zu ihren Füßen nieber- gezwungen zu haben!

Hel wie das Morgenlidt lächelt die Ferne! Glückliche Sterne, täufchet mich nicht! wieder Hang e3 in leiſem Subel von ihren Xippen, und hätte fich nicht troß aller Leichtfertigfeit Doch eine Stimme in ihrem Innern geregt: „Wo blieb Edert?” hätte fih Marga Daja in der That ein wolkenloſes Glück erfauft. Für wie lange?

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Darnad) fragte fie nicht.

Der Wagen hielt vor dem glänzend erleuchteten Pe: ftaurant, und Roman faßte die junge Braut voll über: mütiger Seligfeit, um fie wie ein Kind aus der Equipage zu heben und noch ein paar Schritte über dag Trottoir zu tragen.

„Siehſt du, Feinsliebehen! jo werde ich dich durch dein ganzes Leben hindurch auf Händen tragen!” flüfterte er ihr wie ein Beraufchter in das Ohr.

Die Gasflammen und das eleftriiche Licht brannten jo blendend hell, und dennoch fand Adalbert Edert nicht Weg und Steg.

Er ſuchte auch nicht darnach, er fchritt gedanfenlos wie ein Träumender geradeaus, dahin, wo ihn der Strom des großftädtifchen Nachtleben Hintrieb. Wo follte er hingehen? Er wußte es felber nicht. Er empfand ledig: ih den Wunſch, möglihft ruhig und von Menfchen unbehelligt allein zu fein.

Und Hier, unter Hunderten von fremden Leuten, welche an ihm vorüberhafteten, war er allein, ganz allein mit feinen Gedanken.

Die Hite, die Muſik, die Lichter und Leute in dem Dpernhaus Hatten ihn verwirrt und fein Blut in Wallung gebracht. Da jaufte und braufte e8 durch feinen Kopf, und die bezaubernde Eirene auf der Bühne drunten glich einer Heinefchen Spufgeftalt, welche des Nachts fommt, den armen, liebestrunfenen Gejellen um Hirn, Herz und Ber: Stand zu bringen.

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Seht al3 die Nachtluft friſch und kühl um feine Stirn ftrich, atmete Eckert auf, als erwache er aus einem wüſten Traum.

Ja, er hatte geträumt. Nicht etwa das Furchtbare, Unerträglihe, daß ein anderer gefommen jei, ihm fein Glück, feine Liebe, feine Marga zu rauben, nein, ein ganz anderer, wunderlicher Traum hatte ihn Wochen und Monde lang gefangen gehalten. Ihm war es gewejen, als liebe er ein Mädchen, ein füßes, anmutiges Kind, welches er zum eritenmal im Floringhofer Inſpektorhaus gefehen, wo fie gleich einem lichten Engel in die Stube zu feinen Kindern getreten war, die Kleinen voll herzlicher Neigung zu koſen. Da war es ihm heiß, glühend heiß um das Herz geworden, da hatte er dieſes heiße, treuinnige Herz zu eigen gegeben. Sie war ein verwöhntes, elegantes Prinzegchen. Schredte ihn das zurüd? Nein. Geine erfte Frau, die Tochter des reichen Fabrikanten war wohl noch verwöhnter gewejen, und doch hatte fie fich in den jungen Gutsvolontär des Vaters verliebt und hatte ihn geheiratet, all ihr Glück, al ihr vieles Geld mit ihm teilend, biß der Bankrott der Fabriken fie arm gemacht. Marga war eine Sängerin. Schredte ihn das zurüd?. Wohl niemals aus demütiger Beicheidenheit, denn Adalbert Edert entſtammte einer foliden, hochgeachteten Beamten: familie, welche noch der altmodischen Anficht lebte, daß eine Ehe mit einer Komödiantin jtet3 eine Mesalliance fei. Er hätte nichts darnach gefragt, denn er liebte Marga mit feiner vollen, großen Ehrlichkeit, weil fie es

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ihm mit ihrem füßen Lachen und den blauen Kinderaugen angethan hatte. Die Kinder waren ja zeitlebens feine Liebe gewejen. Daß das junge Mädchen ihn unliebenz- würdig behandelte, ihn ſchroff und rückſichtslos kränkte, als fie feine Gefühle erfannte, hatte ihn auch nicht un angenehm berührt, im Gegenteil, er refpeftierte ihr Weſen als eine achtbare Sprödigfeit, welche fich einem Manne nicht fonder Kampf und Sieg, als allzu jchnell erobert, an den Hals werfen will. Er war viel zu harmlos und edel denfend, um die Zurüdhaltung Margas als Hochmut zu deuten. Warum follte fie ihn verjchmähen? Seine Vergangenheit war tadellod. Seine Armut fein Ber: brechen. Er arbeitete redlich und fleißig um fein täglich Brot, und das reichte aus, um eine Familie anjtändig zu ernähren.

Daß er ihr feinen Luxus bieten konnte, erachtete er bei feiner großen Anſpruchsloſigkeit und Bejcheidenheit als fein Hindernis. Die Liebe verlangt ja fo wenig, um glüdlich zu fein. Gehen Frieden und Eintracht Hand in Hand mit ihr, jo ift fie reicher, wie Die Könige dieſer Welt.

Menn man fo liebe, unjchuldige Augen Hat, wie Marga, kann man auh nidt an Flitter und Tand hängen, davon war er überzeugt, und feine Geele lebte fih hinein in einen wonnigen Zukunftstraum, deffen Verwirklichung ihm nur noch eine Frage der Zeit deuchte.

Und heute erwacdhte er, rauh und unbarmherzig auf: gerüttelt von der Hand des Schickſals. Er jah Marga

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Daja, die Sängerin, und die rofigen Schleier fanfen von feinen Augen, daß er Har und deutlich ſehen fonnte. Was er erblidte war falih. Was er hörte war falſch. Wie ein Zerrbild innerer und äußerer Schön beit jtand fie vor ihm, zujammengejebt aus Lug und Trug, welche im Lampenlicht wohl die Augen blendet, die. grele Tagesjonne der Wahrheit aber nicht vertragen kann.

Dad harmoniſche Ganze, von welchem er geträumt, war eitel Stückwerk, und das Herz, um welches er in treuer Liebe werben wollte, feilfchte mit Gold und Lorbeer um ein anderes Slüd, welches nicht der Himmel, fondern Die betrügeriiche Welt ver: fauft.

Ein fchwerer Traum und ein bittereg Erwachen machen Leib und Seele zerichlagen und müder noch, wie zuvor. Auch bei Edert? |

Wie im Halbjchlaf fchreitet er dahin, im Kampfe gegen ſich felber ringend, die Feſſel diefer Müdigkeit abzuitreifen. Und wie er emporblict, wo die Sterne fo freundlich leuchten, da deucht’3 ihm, als blickten die Augen jeiner Kinder auf

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ihn nieder. Wie Spuf und böfer Sauber verfliegt der legte Reit eines krankhaften Wehs. Tief aufatmend bleibt er jtehen umd lächelt: „Gott im Himmel fei gelobt, daß er meine Kleinen vor einer ſolchen Stiefmutter bewahrtel” murmelte er. Ein Gefühl froher Erleichterung über: fommt ihn. |

Mit hellen Augen blidt er ſich um.

Wohin ift er in der großen, fremden Stadt geraten? Bor ihm, in der weniger belebten Straße fchreiten zwei Herren.

„Ich habe Durft, Verehrtefter!” lacht der eine, „und da wir fo nahe an der Duelle find, laffen Sie uns Ein- fehr halten und den alten Adam regelrecht in einem Glaſe Kulmbacher oder Nierjteiner erfäufen; je nachdem Ahr Herz für Bayern oder das Niheinland fchlägt |”

‚Wenn dich die böjen Buben loden, jo folge ihnen nicht, fondern geh voran!” antwortet der andere luſtig. „Sie wiſſen, daß ich fein Spielverderber bin, amico !”

Ein friiher Trunk! |

Edert empfindet e3 plöglih, daß ihm der Hals wie ausgetrocdnet iſt. Das flüchtige, kaum angerührte Nacht: mahl bei der Baroneß ift das einzige gewejen, was er tagsüber, während der Neile, aenojjen. Nun verlangt die Natur ihr Recht.

Es iſt dem Inſpektor fo leicht und froh um das Herz gewejen, daß er das Haupt in den Naden jchüttelt wie ein Löwe, welcher die Bande und Ketten zerifjen und fid) feiner Sreiheit freut. Nun will er auf das Wohl jencz

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Eugen, waderen Mädchens trinfen, welches ihm die Augen geöffnet.

Die Herren vor ihm biegen in einen ftrahlend er: leuchteten, palmengejchmüdten Hausflur ein. Befradte Kellner treten ihnen entgegen und Bratenduft durchzieht die Luft.

Edert folgt mechanisch und tritt ein.

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XI.

NN * AR * 2" Fran F —* DD: - * En 2 oe 2 5

Jieder umfing den Ein: tretenden eleftrijches Licht, durch farbiges Glas gedämpft und von auffräufelndem

a Mi: Tabaksrauch 5 zart verſchleiert. +8 Eine ſelt—

ſame Luft weht ihm entgegen, das undefinier- bare Gemiſch, welches durch elegante Nez ſtaurationsräu— me der Groß: ſtadt weht. N.v. Eſchſtruth, IN. Rom. u. Nor., Stern des Glücs I. 18

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Starke Parfüms verfchiedenfter Art, von Damen und Halbdamen hereingetragen, untermifcht durch feing Ciga—⸗ rettendüfte und die Wölkchen fchwerer Havannas, durch die Blume guter Weine und das appetitliche Aroma alles deſſen, was die erlefene Speifefarte aufweilt, und fchließ- lich gekrönt durch den beraufchend füßen Hauch, welcher den Beilhen und Maiglödchen entjtrömt, welche uner- müdlich von blaffen Kindern oder übernächtigten Mädchen feilgeboten werden. Der Gasgeruch ilt durch das Glüh— licht verdrängt, er gehörte ehemals unlöglich zu diefem Gemifch, und der feine Beobachter des Nachtlebens konnte ih oft an Phyfiognomien eintretender Dandys und an⸗ ſpruchsvoller Damen ergößen, deren erhobenes Gelicht mit den. „witternd” aufgeblähten Nüjtern ftet3 die Dumme Frage verförperten: „Riecht e3 hier nicht nach Gas?“ Tempi passati. Die fpiegelblanfen Cylinder ſchwanken jet beim Eintreten nicht mehr rüdwärts, fie fteuern un: behelligt im ftrahlenden, duftlofen Glanz des „Elektriſchen“ den weißen Marmortifchen entgegen, welchen ein einziger Mint mit der Speifefolge, binnen Sefunden ein zauber: haftes „Deck dich!” befiehlt.

Momentan ftand Edert und blickte ſich in dem fäulen- getragenen, blumengefchmüdten Saal um, welcher um dieſe Beit, nad) Schluß der Theater, den höchſten Stand der anfchwellenden Menjchenflut erreicht hatte

Ein paar Gefichter wandten ſich ihm gleichgültig zu, zwei an einem Tijchchen allein figende, etwas auf: fallende Damen blitten ihn mit dunklen Augen ermutigend

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an, die Einfalt vom Lande fchritt harmlos an ihnen vorüber, einem Nebenzimmer zu, welches weniger bejucht erjchien.

Ein langer, bedeutend jchmälerer Raum, welcher nifchen: artige Seitenkabinetts aufweiſt.

Hier wird wohl ein ſtilles, menſchenleeres Plätzchen zu finden ſein.

Als er langſam vorwärts ſchreitet, ertönt aus einer der Niſchen, in welcher eine elegant gedeckte Tafel ſteht, jubelndes Hoch und Gläſerklingen: „Marga Daja! Roman Ermönyil” klingt es grell in die Ohren des Inſpektors, und wie vom Blitz getroffen ſteht er ſtill und ſtarrt auf die alſo Lärmenden.

Ein jäher Schreck lähmt ihm die Füße.

Vor ihm, von dem Arm des jungen Komponiſten umſchlungen, ſteht Marga, mit glühenden Wangen und ſtrahlenden Augen reihum anzuſtoßen! Die Gläſer bieten ſich ihr entgegen. Lachende Lippen, weinſelige Augen grüßen die reizende Braut.

„Hoch das Brautpaar! Hoch der unſterbliche Lorbeer!“ klingt es abermals von den Lippen des korpulenten Herrn, welchen Eckert ſchon in der Schauſpielerloge genugſam kennen gelernt, und indem Marga ihm lachend Beſcheid thut, wendet ſie das Köpfchen.

Ihr Blick ſchweift weiter und plötzlich brennt er in den weit aufgeriſſenen Augen des Inſpektors. Momentan ſtarrt fie ihn ſprachlos an, dann ringt ſich ein heller Jubel⸗ laut von ihren Lippen, und fich jählingd aus dem Arm

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des Verlobten befreiend, ftößt fie den Stuhl zurüd und ftürmt dem Gaſt aus Floringhof entgegen.

„Eckert! Edert!” lachte ſie. „Gott ſei Dank, daß Sie Ausreißer wieder da ſind! Wo haben Sie böſer Menſch geſteckt? Etwa als ‚Mullah auf verbotenen Wegen‘ wandelndd? Schämen Sie fi, Sie folider Mann! Wir dachten ja wirklich jchon, eine unglüdliche Liebe habe Sie fopfüber in den Kanal getrieben!”

Aller Augen blickten höchlichſt überrafcht auf den riefen: haften Mann, vor welhem Marga Daja wie ein bunter Schmetterling gaufelt, ihn an beiden Händen zu dem Tiſch beranziehend.

„Hier, meine Herrjchaften!” ruft fie übermütig, „ein Mann, welder Durſt nach Wein und Appetit auf junge Mädchenherzen verjpürt! Laßt ihn nicht ver- ſchmachten!“

„Fräulein Marga —“ ſtottert Eckert mit ernſtem Ge- ſicht, „ich bedauere lebhaft, nicht Platz nehmen zu kön— nen —“

„Papperlapap! Warum nicht? Hat Baroneß Sie nur hierher geſchickt, mich durch Ihren Anblick aus den tauſend Sorgen um Ihr junges Leben zu erlöſen?

„Baroneß?“ „Nun ja, kommen Sie nicht von ihr?“ „Nein, Fräulein Marga —“

„Um ſo beſſer!“ ſie lacht ſilberhell auf, „ſo folgten Sie aus eigenem Antriebe errötend meinen Spuren! Und wollen nicht Platz nehmen? Thorheit! Sie werden

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doch nicht ſo ungalant fein, es zu verweigern, auf mein Wohl zu trinten ?“ |

„Gewiß niht! Aber . .. es it fchon fehr Ipät —“

„Barum kamen Sie denn hierher ? 1”

Nun wird er blutrot. „Ich wollte in aller Eile noch ein Glas Bier trinten! Ich ahnte wirklich nicht, daß ich Sie hier treffen würde, Fräulein Marga!”

„Bann fällt Ihnen dieſes Glüd aljo ganz unverdienter: weife in den Schoß? lächelt Roman, mit höflicher Ver: beugung näher tretend, „und Doppelt unverantiwortlich wäre es, wollten Sie es nicht beim Schopfe faffen! Darf id) bitten, liebe Marga, mich deinem ANerEADenden Beluch befannt zu machen ?”

Marga legte ungeniert ihre Hand auf den Arm des Inſpektors und führte ihn vor den Stuhl, welchen ein Kellner dienfteifrig an die Tafel gefchoben, dann zeigte fie mit großer Gefte auf den Fremden und rief voll Pathos: „Meine Herrichaften, beißen Sie einen Mann willlomnen, welchem ich mein Leben verdante —“

„Donnerwetter Ihr Vater?” grunzte der Baß voll Humor, ein homerifches Gelächter veranlaffend, welches fich erſt allmählich wieder legte.

„Abicheulich 1” fchmollte Marga, „daß Sie doch auch niemal3 Stimmung halten fünnen, Kranzlow!“

„Bin ich eine Baßgeige?”

‚Mit dem Unterjchiede, daß nicht Sie, fondern meiſt Ihre Umgebung durch Sie verftimmt iſt!“

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„Srlauben Sie mal

„Still Weiter im Tert! Wenn alfo nicht Papa, dann Doch Lebensretter!“

„Hört, hört!“

„Sawohl, ganz richtig, mein Lebengretter! Stellen Sie fich vor, meine Herrjchaften, verjegen Sie fich in einen bitter=bittersgrimmig falten Schneefturm.”

„Ber . . ic) zittre vor Kälte! Kellner! Einen heißen Srog!”

„Richt unterbrechen, Kranzlow! Lieber die Zunge er: frieren, al3 wie einer Dame da3 Wort abjchneiden.”

„Alſo ein grimmig Falter Schneefturm —“

„Ich ſage Ihnen, meine Herrfchaften, ein Wetter, wie Sie e3 fich hier in der Triedrich- oder Leipzigerjtraße über: haupt gar nicht voritellen Fünnen —“

„Kellner! Malen Sie und zur beſſeren VBeranjchau- lihung einen Schneefturm an die Wand!”

„Schreien Sie nicht ſo! Sie fingen ja foeben nicht den Saraftro |”

„Kellner! Treten Sie mal den Herrn hier tot! Er unterbricht ung immer!“

„Rubel Es haben nur immer zwölf auf einmal das Wort!”

„Alſo, ein fchredlicher Schneeſturm —“

„Baroneß Floringhoven und ich hatten einen Par⸗ forcereiter gerettet, o, wenn Gie ahnten, wen, meine Herrfchaften Sie wären jtarr vor Hochach— tung —”

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„Sanz recht, ich war’3 |”

„Sie ritten Barforcee? Au! Gingen Schufters Rappen mit Ihnen durch?”

Kranzlow hob den Stiefel und fchaute auf die Sohle. „Ganz recht, fie gehen fogar ſchon wieder durch!“

„Au! Aul! Haut ihn!“

„Stil doch! Es wird ja jo interefjant! Alfo Marga rettete eine jehr rejpeftable Perſönlichkeit!“

„Sewiß Herrn Abbs! Der ijt jo ‚par force —“

„Sa wir rettetenl Und ließen den Berunglücdten in unjerem Schlitten transportieren.”

„Wo it die Medaille? Ich will erjt die Medaille jehen, ehe ich es glaube!”

„Hier ift fiel” Marga verfette dem Ruheſtörer einen Nafenftüber und fuhr eifrig fort: „Allein mutter- feelenallein ſtanden wir im tiefverjchneiten Winterwald —“

„Haben Sie jchon mal einen tiefverfchneiten So mmer- wald gejehen?”

„Zitternd vor Kälte, Sturm und Graujen! Mit brechenden Knien rangen wir uns dem fernen Schloß ent= gegen —“

„Barum war denn den Sinien fo übel geworden?“

Marga jtampfte wie ein ungeduldiges Kind mit dem Füßchen und wandte fich anflagend zu Ermönyi.

„Er it unerträglich, Roman!”

„Das habe ich Ihnen ja gleich gejagt, daß ‚er, Ihr Roman‘, unerträglich iftl Sie wollen fich aber trotzdem mit ihm verloben I” | |

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„Laß nur, Marga, wir laden nachher die großen Kanonen am Raftanienwäldchen und fchießen den Sünder zollweife tot!”

„Aber dann bitte mit dem neuen Pulver! Ich bin Nichtraucher!“

Koloſſale Freude. „Ignorieren Sie ihn doch, Marga, Sie wiſſen, daß dieſer verlorene Sohn unverbeſſerlich iſt!“

„Wer zahlt Finderlohn, wenn ich ihn wiederfinde?“

„Ich! hier... einen Handſchuhknopp zum erſten!!“

„Weiter doch, weiter!! Alſo Sie ſtarben beinahe im Schnee! Waren Wölfe oder Bären in der Nähe?“ forſchte die Naive mit rädergroßen Angſtaugen.

„Wie ſollen denn Bären dahin kommen! Ermönyi bindet die feinen ja nur hier in der Reſidenz an!”

„Da die Wälder jo endlos bei Floringhof find, Tonnte ih es immerhin nicht willen! Außerdem hatten fich vor etlichen Jahren Räuber darin aufgehalten!”

„Sehr wahr, zur Zeit des Fauftrecht3 durchitreiften Bujchklepperbanden die ganze Gegend. Etwas früher noch, als Thüringen nod) ein Stüd Dftfee war und die Meeres: fluten den Infelberg umfpülten daher der Name follen jogar Piraten per Schiff über die Echloßtürme von Floringhof Hinweggefahren ſein!“

Kranzlow jah fehr ernſt aus, als er dieſes fagte, und tranf fein Glas bis auf den legten Tropfen aus.

„Wie lange mußten fie denn in dem Wald aushalten ?”

„O es Waren wohl ein paar Stunden! Da in der höchſten Not, als ich ſchon in den Schnee nieder:

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ſank eben die Augen zum Todesſchlaf ſchließen wollte —“

ſolche Umftände? Ich Hätte fie ruhig offen gelafjen.”

„Als ich noch einmal jo recht wehmütig hierher dachte an Euch Alle, liebe Kinder —“

„Wenn Sie meiner man blos im Tejtament gedacht hätten, holde Daja das würde mich am meiften ge- rührt haben —“ ſchluchzte Kranzlow in feine Serpiette.

„Da nahte plößlich hoch zu Roß der Netter in der Not!”

„Am mir meine Erbfchaft wieder abzujagen!! —“

„Hier, dieſer brave, vortrefflihe Mann, Herr Injpeftor Eckert!“ Marga hob mit zauberifchem Lächeln ihr Glas zu dem Genannten „welcher mid) empor in feinen Sattel nahm, wie der Rieſe das Königsfind, welcher mich und mein Leben aufs neue der Welt wiederjchentte —“

„Srundgütiger! jetzt genießt Der gute Kerl ſchon wieder Mutterfreuden I“

„And welchen ic) darum als getreuen Freund und Gaſt in dieſem frohen Kreis willkommen heiße!“

Jubelndes Halloh. „Hoch klingt das Lied vom braven Mann wie Orgelton und Glockenklang! Hoch! Hoch! hochl!“

Ermönyi drückte dem Gefeierten ſtürmiſch die Hand und dankte ihm nicht nur für Margas gerettetes Leben, ſondern auch für ihre wohlerhaltene Kehle, ohne welche ja eine Sängerin feinen Wert habe!

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Das Klang im Munde eines Bräutigams und zärt- . lichen Liebhabers etwas feltfam und Edert ftarrte den Sprecher auch Höchlichft betroffen an: im Wein ſoll ja Wahrheit liegen, wäre es in dieſem Augenblid der Tall, würde e3 eine greuliche Wahrheit fein.

Das Borfpiel der Vorjtellung Hatte etwas lange ge: dauert und charafterifierte die Geſellſchaſt, in welche der Inſpektor eingeführt wurde.

In einen Schwarm übermut3toller Geifter, welche den erniten, jo wenig zur Heiterkeit aufgelegten Mann um tollten, war er wider Willen hineingedrängt, und jebt, al3 die Namen der Feſtteilnehmer wirr vor feinem Ohr Hangen, ala ihm voll gemütlicher Ungeniertheit die Hände entgegengeftredt wurden und man jeinen Stuhl ganz wie jelbftverjtändlich der Tafelrunde einreihte, da war es wohl unmöglich, einen pafjfenden Vorwand zu finden, Ddiejem Kreife den Rüden zu ehren.

Wunderlich! Soeben hatte er den feiten, freudigen Ent- ſchluß gefaßt, dem Trugbild, welches feines Herzens Ruhe geftört, für ewige Zeit zu entfagen und fich auf Nimmer- wiederjehen von ihm zu wenden, und eine halbe Stunde Ipäter jpült ihn eine unbegreifliche und unberechenbare Lebenswoge juft in ihre Nähe zurüd. |

Nun faß er Marga Daja abermal3 gegenüber, und als er fie anſah, als er ihre ausgelaffene Stimme hörte und merkte, daß fie fich bejonder8 bemühte, ihn durch Liebenswürdigfeit und Anmut aufs neue zu umitriden, da kam ihm plöglich das Verſtändnis, warum er noch

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einmal ihren Weg kreuzen ſollte. Um fich und feine männliche Standhaftigfeit zu prüfen, um fich zu über- zeugen, daß feine Augen wirfli und wahrhaftig fehend geworden Waren.

Die Marga, welche fich ihm ſoeben wieder in feder Weinlaune und angeheiterter Gefellfhaft zeigte, verlor den lebten, jchwachen Schimmer jenes Glorienfcheing, . welchen feine anbetende Liebe ihr ehemals um dag Köpf- chen gezaubert.

So wie er fie jeßt fennen lernte, entjprach fie in nichts mehr dem Ideal, welches er fich von ihr geichaffen. Adalbert Edert, der ftille, ftreng denfende Mann, welcher in den folideften Grundſätzen erzogen, die höchſten Anz forderungen an eine edle Weiblichkeit ftellte, fühlte fich duch den leichtlebigen Ton, die freien Scherze und ſeltſame Bertraulichfeit des Verkehrs, geradezu ab- geſtoßen.

Wie Entſetzen überkam es ihn bei dem Gedanken, dieſe luſtigen Freunde Margas womöglich in der trauten, feierlich ſtillen Stube ſeines Inſpektorhauſes zu empfangen, ſie als unlösliches Gefolge ſeiner Frau mit in den Kauf nehmen zu müſſen. Nein, dieſe ausgelaſſene Marga, welcher der Wein das Köpfchen rötet und die Zunge löſt, welche immer ungenierter ſcherzt und lacht, und in über— ſchwenglicher Weiſe ihren Erfolg, in geräuſchvollſter Art ihr junges Brautglück feiert, die gefällt ihm ganz und gar nicht mehr, und er ſtaunt ſich ſelber an, wie nüchtern und unempfindlich er ihr gegenüber ſitzt, ſelbſt unter ihren

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leuchtendften Bliden und Gunftbezeugungen mit feiner Wimper zu zuden.

Marga bat den neugierig forjchenden Damen ohne alle Diskretion laut lachend erzählt, daß Herr Edert ein junger, jehr annehmbarer Witwer in gefichertfter Lebens⸗ ftellung jet, daß fie felber „beinahe” euer für dieſen blonden Herkules gefangen hätte, wenn nicht Roman, der ſüße Böfewicht, furz zuvor ihr Herzlein gejtohlen hätte” und wa3 dergleichen Dinge mehr waren.

Nun Hatte fi) die Naive mit den fraufen Titus: lödichen und der niedlichen Stumpfnafe fehr findlich ver- traut neben ihn gejegt, ihn mit allem Naffinement und aller Runft zu bezaubern.

Sie ſchenkte ihm, ohne im mindeiten aufgefordert zu fein, von den Blumen, welche fie an der Bruft trug, Ichentte ihm, ſtets dringlicher nötigend, das Glas voll und stieß mit ihm auf Glück und Liebe, auf feliges Finden und Binden an. Sa, fie erzählte ihm ſogar voll herziger Unschuld, daß fie heute nacht ſchon von ihm geträumt babe, von einem großen, blondbärtigen Herrn, Zug für Zug das Angeficht des Inſpektors, welcher wie mit Sturmesflügeln hinter ihr hergeeilt ſei. Sie Habe fich anfänglich jchredlich gefürchtet, bis fie fchlieglich wie ein gehebtes Wild vor ihm auf die Knie gefunfen fei. Da babe er jie mit innigem Blid empor an feine Bruſt ge- zogen, habe fie gefüßt und ihr einen Ring angejtedt. —“

So leiſe, wie fie auch geflüftert hatte, die Nachbarin zur Rechten Eckerts Hatte fie dennoch veritanden.

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Sie hob das ſpitze Geficht mit fehr ironifchem Lächeln. „Zräume find Schäume, liebe Marietta‘, fpottete fie, und Zräume, welhe man erzählt, werden überhaupt nie= mals wahr!”

Mariettad jugendliches Gefichtchen ſah einen Augen: bli recht alt aus, dann lachte fie fcharf auf: „Darum eben erzähle ich ja, Teuerſte! Wäre e3 nicht ſchrecklich, wenn Herr Edert mich halb tot hetzen wollte? Gie wijjen, ich liebe nicht fonderlich eine Promenade zu Fuß, fahre lieber in der Droſchke und nun gar einen Dauer: lauf!” |

„Gewiß, gewiß, das Vorfpiel hat ja in der Regel mit dem Inhalt der Oper nur fo viel zu fchaffen, daß es Stimmung maden fol! Herr Edert nehmen Sie ſich vor der Heinen Here in Acht! Sie iſt den Männern jehr gefährlich) und hat ſchon manchen durch Tiebliche Träume über die fatale Wirklichkeit hinweggetäuſcht!“

Edert iſt es unmöglich, in einen derartigen Ton ein- zujtimmen. Derjelbe iſt für die Begriffe der leichtdenfenden und leichtlebenden großftädtifchen Künftler ein äußerft jolider und anftändiger. Dem Inſpektor aber, welcher einen wirklich frivolen Verkehr noch nicht Tennen gelernt, deucht die übermütige, unverblümte Weife der Gefellichaft entſetzlich. |

Die Stimmung wird immer gehobener, der Wein treibt das Blut ſtets hitziger durch die Adern, und der, welcher ihm am unerfättlichjiten zufpricht, ift Roman Ermönyi.

Die Zügellofigkeit feines Temperaments, die rückſichts⸗

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loſe Willkür feines nie gehegten und gepflegten Weſens, fie brechen durch die Glaſur, welche es in Form blafierter Gelafjenheit und intereffanter Nonchalance für gewöhnlich überzieht.

Die Freude über den Erfolg ſowohl vor wie Hinter den Couliffen, welche er zuvor zurüdgedämmt hatte, um fich nicht? durch dieſelbe zu vergeben, ſchäumt jeßt defto maßloßer über und wird unter dem Einfluß des Cham: pagnerz zu einem Naufch, welcher ihn nicht mehr denken und überlegen läßt.

Sein Benehmen gegen Marga entbehrt jeder Würde und jeden Reſpekts, und es gehört die ganze Harmlofig- feit und verblendete Eingenommenbheit diejes „Kindes“ dazu, um da3 Ungehörige in dem Benehmen diejes Mannes nicht zu durchſchauen.

Wer aber vermöchte das überhaupt in einem Kreife, deſſen Glieder faſt ſämtlich durch verglafte Augen bliden, deren Sinne fi) immer rofiger umnebeln, je weiter der Zeiger auf der Uhr vorrüdt, je öfter die leeren Flaſchen gegen volle umgetaufcht werden.

Edert iſt wohl der einzige, welcher als fteinerner Gaft, unberührt und unverändert auf feinem Platz fißt, wie ein grauer Felſen, um welchen ſchäumende Flut ihre Wellen wirft, um welchen die Niren ungejtört und ungewürdigt ihr Spiel treiben, vergeblich ihre bethörenden Lieder fingen und unerhört die weißen Arme heben.

Sein fteifes, abmweijendes Benehmen reizt die Damen ganz beſonders um der Seltenheit willen und die

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Citelfeit, diefen Schneemann x:it feurigen Bliden und Worten zu fchmelzen, treibt die Damen in einen feden Wettitreit, bei welchem fich felbjt Marga Daja, die junge Braut, voll übermütiger Laune beteiligt.

Roman iſt ja nicht eiferfüchtig.

Er jelber verfichert e8 und verlangt von feiner Zu: künftigen diejelbe Vernunft als Gegenleiftung.

Adalbert3 ftarrer Blid trifft ihn.

„Sie werden e3 erlauben, Herr Ermönyi, daß Ihre junge rau noch al3 Sängerin auftritt ?”

Hätte er türfiich gejprochen, würde ‚feine Frage dem KRomponiften faum unverftändlicher fein.

„Na verſteht fich, erſt recht! Warum etwa nicht?” fragt er mit zufammengefniffenen Augen, „glauben Sie, man läßt heutzutage einen Schag in der Kehle ruhen, ohne ihn zu heben.”

„Sie werden e3 gleichgültig anjehen, wie Ihre Gattin als bezaubernde, finnbethörendes Weſen, wie fie e8 heute abend war, auf den Brettern fteht und alle Männerherzen in Slammen tet?”

„Ah! bravo! bravol Daja, bedanken Sie fich für diejes unfreiwillige Kompliment I”

Ermönyis Tippen verziehen fich ironijch: „Gleichgültig ? o, nein, jo gleichgültig wird e8 mir gerade nicht fein, im Gegenteil, ich würde fehr böfe werden, wenn meine Gattin nur einhundert Männerherzen erobern wollte, wenn acht: hundert in dem Theater anmwejend find!”

„Sie würden aber jeden Einzelnen würgen, Herr

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Edert, der e3 wagte, Ihre Frau auf der Bühne an: zuſehen?“ jubelt Die Naive mit zärtlichem Blid. „Natürlich! Wer weiß, ob der Dynamitattentäter des Liceotheaterd nicht auch nur der eiferjüchtige Gemahl einer Diva war!” „Faktiſch, Inſpektorchen, würden Sie eiferfüchtig fein?” Eckerts Blick fchweift ruhig über die Tumultuanten. „Fraglos würde ich es fein, ich würde nie eine Frau heiraten, um fie mit der halben Welt zu teilen!” „ein, du wirft nicht nein, du wirft nicht, füßer Junge!“ flötet die Naive als Berline aus dem Don Yuan, und fie jchmiegt fich fo nah an den Sprecher, daß ihr Lockenköpfchen beinahe auf feiner Schulter ruht. Ermönyi lacht fchallend auf. „Gottlob, daß der Ge- ichmad verschieden iſt. Was follte aus den Opernhäufern werden, wenn ein Othello jede Thür bewachtel Sie haben gut gethan, Herr Eckert, fich auf das Krautpflanzen und Rartoffelernten gelegt zu haben, anftatt zu komponieren, dichten und fingen es iſt die Rettung für Darfteller

und Bubliftum! Sehen Sie, ich denke ganz anders darüber!

Sch werde felber die Toiletten meiner Frau fontrollieren, diefelben fo verführerifch und pridelnd wie möglich zu ge: ftalten, ich felber werde ihr die Anbeter zuführen, damit die Schar ihrer Vafallen anwachſe wie die Sterne am Himmel, wie der Sand am Meer!”

Hochaufgerichtet ſaß Adalbert und fehaute mit bleichem Antlig in das hochgerdtete Geficht des Sprecher, aus

deffen Augen in diefem Moment eine ihm deuchte es N. v. Eſchſtruth, IL Rom u. Nov., Stern des Glüds I. 19

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tierifhe Gemeinheit funkelte. Marga hatte lachend die Arme um ihn gefhlungen und fchien gar nicht zu ahnen, wa3 der Mann ihrer Wahl ihr mit feinen Worten anthat.

„Sp, jo —” nidte Eddert mechanijch, und dann fragte er plöglich mit rauber, lauter Stimme: „Lieben Sie denn Ihre Braut und fünftige Gemahlin, Herr Ermönyi lieben Sie Marga Daja?“

Subelndes, nicht endenwollendes Gelächter.

Auch Roman lacht, daß ſich das Weiße feiner Angen rot färbt. Er reißt feiner Braut da Glas aus der Hand, welches fie joeben zum Mund geführt hat, jchwingt es hoch und fingt mit heiſerer Stehle:

„Die Engel nennen es Himmelsfreud’, Die Teufel nennen e8 Höllenleid, Die Menfchen nennen e8 Liebel”

„Liebe, Liebe!” wiederholte der Chor johlend, dieweil Ermönyi die zarte Geftalt „des Kindes” an fich preßt, gleich wie ein Sturmwind, welcdher die weißen Roſen mit rauher Hand padt und entblättert. Er ftürzte den Wein hinab, füllt das Glas noch ein-, zweimal und leert feinen Inhalt mit unerfättlicher Gier. Dann atmet er tief auf und fchiebt Marga zurüd, um fich mit beiden Armen auf den Tiſch zu legen.

Sein ganze® Benehmen trägt den Stempel großer Unmanier und verrät bedeutenden Mangel an Bildung.

„Ob ich meine Braut liebe, Herr Edert?” fragte er fichtlich beluftigt: „Sa! ich Liebe fie. Denken Sie an ich Tiebe fiel Aber auf meine Art nicht auf die

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Ihre! Bei Ihnen und allen anderen Alltaggmenfchen, welche nicht unter dem Sternbild der Lyra und nicht im Zeichen eines Apoll geboren find, bedeutet die Liebe nichts

anderes al3 wie Tyranner, als wie eine Sette, welche Sklaven feſſelt und ihnen die Gelenke wundreibt! Liebe! Was bedeutet dem braven Bürger, dem ehrenhaften Sol: daten und Beamten, dem nüchternen, bejchränften Arbeiter

wohl das Wörtlein Liebe? Es iſt das Namensſchild | . 19* *

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für den Käfig, in welchen fich die ‚verliebten‘, pflicht- getreuen Ehegatten gegenfeitig einjperren, und an deſſen Gitter fie dennoch zeitlebens ingrimmig rütteln, wie ein König der Freiheit, welcher in unwürdigen und unnatür: lihen Banden fchmachtet. Sa, ſehen Sie mid) nur an, Sie Anbeter diefes Käfigs! Klingt Ihnen die Predigt eines reiheit3apofteld jo fremd in den Ohren? Dann hören fie nur weiter! Hören und lernen Sie! Ich bin ein Mann, welcher die unbeſchränkte Selbjtändigfeit über alles ſchätzt, welcher fie für fich felber unbedingt verlangt, und welcher fie auch anderen in demjelben Maße gönnt! Leben und leben laſſen. Es gibt fein Glüd, welches in irgend einer Hinficht, und fei es felbft in der gering- ften, eine Zwangsjacke trägt, e3 gibt fein Glüd, welches permanent Rückſichten nehmen fol, fich fügen und bequemen, fo wie es ein fremder Wille oder irgend eine Mode bedingt. Alles, was vorgejchrieben wird, iſt ein Zwang, und jeder Zwang ift unerträglich. Ich liebe die Sreiheit, nicht nur in der Liebe, jondern in allen Dingen. Ich Hafje jede Stellung, welche den Mann bindet und knechtet, ich haſſe jede Vorjchrift, welche ‚höherer‘ Wille diktiert, fei e8 der des Königs, derjenige der Polizei oder eines Agitator3, welcher unter der ſchönſten Devije ‚für die Freiheit‘ lediglich ein neue3 Regiment in anderer Fagon heraufrevolutionieren will. Wer befiehlt, ift ja gleichgültig, ob nur einer oder der wüſte Haufen des Volfes, ich mag mir von feinem befehlen Lafjen, nit von Männer-, nicht von Weiberhänden, ſelbſt

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von dieſen allerkleinften nicht. Ich erfenne nur einen Willen an, und das ift der meine. Ich Itelle e8 meiner Frau aber aud) frei, ganz genau ebenfo zu denfen und zu thun —“

„Himmel! wenn niemand fich fügen und nachgeben will, wa3 für einen permanenten Speltafel foll dag im Haufe geben?” lachte Die Naive hell auf.

„Spektakel?“ Roman zudte die Achjeln. „Narrheit. Es geht eben jedes den Weg, welcher ihm zufagt.”

‚Bravo! Sehr verninftigl Ermönyi foll leben!” jubelten die Stimmen der Zuhörer, welche fich abjolut nicht in der Laune befanden, lange Reden mit anzu: hören; Kranzlow hob jein Glas und ftieß lebhaft mit Marga an: „Na dann rate ich Ihnen, ſchöne Daja, nehmen Sie gleich) am Hochzeitätage ein Rundreiſebillet um die Erde, damit Sie fi) noch einmal im Leben mit Ihrem Gatten begegnen!”

„And Sie find mit den Anfichten Ihres Bräutigams einverftanden ?” fragte die jchlanfe Nachbarin zur Rechten Adalbertz, nicht ohne boshaftes Blinzeln gegen die Kollegin, über die Tafel herüber.

Marga blidte wie verklärt zu Roman empor: „Gewiß, ich bin eg! Sein eiferner Wille imponiert mir! ch liebe das Rauhe und Energifche an dem Mann.” Das hatte fie Edert fchon damals verjichert, als fie während des Ritts im Schnee feine „ſchwächliche“ Vaterliebe verfpottete.

Schweigend ftarrte er nieder in fein Glas, und während Kranzlow ein übermütiges, nicht allzu zarte Couplet an-

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ftimmte, welches die Freiheit der Liebe pries, während die Stimmung an der Tafel ſchon in jenes wunderjame Gemiſch von gewaltfamer Beraufchtheit und Übermüdung einlentte, z30g er die Uhr und blidte darauf nieder. Es war Die zweite Stunde.

Die Naive ri ihm die Kette aus der Hand, und die Schlanke Blondine zwang ihn mit fräftigen Armen auf den Stuhl zurüd: „Was da!! fein Spielverderber fein! Wie dürfen Sie Guben, ehe die würdige Mama da drüben befiehlt

„An dieſem Tiſch Huldigt man dem eigen en Willen !” gab Edert ſcharf zurüd.

„Bravo! Famos gegeben!’

„Dem eigenen Willen? Nur in 2iebesdingen, Ju: ſpektorchen!“

„Ganz recht! feſſelt ihn, Kinder!“

„Er gehorcht ja der Liebe nicht!”

„Kuſch dich, Löwe! kuſch!“

„Ha da hab’ ich's liche Händchen‘ trällerte Berline abermal2.

„Kinder, ich weiß eine fchöne Gedichte —“

„Hört, hört!“

„Kranzlow hat das Wort!”

„Ber kann fchneller rennen ein blindes oder ein jehendes Huhn?” |

Stürmifcheg Durcheinander. „Wer's rät, Darf dem Kellner einen Kuß geben!”

„Auflöfung, Kranzlow!“

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Der Geſangskomiker zog eine verjchmigte Grimaffe.

„Ihr wißt's nicht, Kinder?” Schämt Euch! ’3 liegt ja jo auf der Hand. Das blinde Huhn kann beifer laufen, das fteht doch außer allem Zweifel!”

„Sp? und warum denn?’

Kranzlow rücte vorfichtshalber an die Wand.

„Kun... weil e8 feine Hühneraugen hat!”

Niefiger Lärm.

Gelbft der jchlaftrunfene Kellner, welcher wie ein blaffes Bild des Jammers um den. Tijch gleitet, verzieht das Geſicht zu einem traumhaften Lächeln.

Und weiter wird getrunfen, immer weiter, bis fich Roman Ermönyi mit ftierem Öli nad) vorne neigt, und Marga abgeipannt auffteht.

„Nehmt e8 mir nicht übel, Kinder ich) muß nad) Haufe!”

„Nach Haufe gehn wir nicht, nad) Haufe gehn wir fange nicht!” lallt Roman und tajtet nad) dem Glas.

„Noch ein Hoch auf den Erfolg und auf das Braut: paar!”

„Hochl Hochl Hoch!“

Der Komponiſt erhebt ſich wankend, ſteht einen Augen: blick und ſinkt ſchwer auf den Stuhl zurück.

„Kinder! Kinder!! Leutchen er hat einen Schwipps!“ lachte Marga harmlos.

„Einen toloffalen Schwippg! Holt den Totenmwagen, ich werde den Unfterblichen nach Haufe bringen!” grunzt Kranzlow, felber nicht mehr ganz ficher auf den Füßen.

29%

„Aber, mon Dieu! wer fol mich denn begleiten?” entſetzt ſich Marga plöglic) ganz weinerlich.

„Anfinn, Täubchen ich bringe dich!” lacht Roman mit einem neuen Verſuch, fich zu erheben, „aber eine Drofchfe muß ich haben... . zu Fuße i8 nicht.”

Edert fteht neben der jungen Sängerin und zieht fie mit undefinierbarem Blick auf den Beraufchten von Er: mönyis Seite hinweg.

„Das it unmöglid —“ fagt er rauh. „Nehmen Sie, bitte, Ihren Mantel um, Fräulein Dallberg! Ich dürfte jetzt wohl ein zuverläffigerer Schuß fein wie ihr Herr Bräutigam.”

„Auch gut .. . meinetwegen ... . haft der Kerl bat recht und ... eiferfüchtig bin ich ja nicht, Kinder —“

Mit einem beinahe verächtlichen Ausdrud in den ernften Bügen wandte Edert dem Wankenden den Rüden, um Marga behilflich zu fein, den Mantel anzuziehen. Die Kleine ſchlang den weißen Spitzenſhawl um das Köpfchen und lächelt vertraulich zu ihm auf. „Sie find entzücend liebenswürdig, amico mio! So recht in Wahrheit ein getreuer Effehurd, welcher jtet3 zur Stelle ift, mir Hilfe zu bringen. Wundern Sie fich nicht über Roman! An einem folchen Sreudentag wie dem heutigen darf man es einem Künftler nicht übel nehmen, wenn er des Guten zu viel thut! Er trank ja auf mein Wohl, und Sie willen doch, lieber Edert: Wer niemals einen ns gehabt, der ift fein braver Mann!”

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Ein wunderliches Lächeln huſchte um feine Lippen.

‚3 glaube, jelbft der Rauſch Ihres Bräutigams

. . imponiert Ihnen, Fräulein Dallberg ?” fragte er.

Sie lachte filberhel auf. „Wenn ich ehrlich fein foll jal Es liegt fo etwas Männliches darin, etwas, was ih ihm nicht nachthun könnte und möchte Ein Dann kann auch im Lafter groß fein! Und folche Männer, welche wie gute, friedliche Kämmer nur immer den Weg tugend- bafter Pflicht trollen, die find unbejchreiblich langweilig I”

„Daja, Sie find ein Yuwell” lachte Kranzlow mit außgebreiteten Armen. „Wenn Sie 60 Pfund fjchwerer wiegen wollten, gäbe e3 feine befjere Frau für mich, als wie Sie!”

Marga ward momentan von Adalberts Seite gedrängt, was benfelben einer Antwort enthob. Er ftand und blidte falt, beinahe feindfelig auf dag Häuflein luftiger Menfchen, welche jo fündhaft und gewiſſenlos mit den heiligften Ge- fühlen fpielten. Bor einer furzen Weile noch hatte er das „Kind“ aus tiefjtem Grund feines Herzens bedauert. Da war es ihm zu Mute gewejen, als müfje er blutige Thränen um ihr Lebensglüd weinen jebt hatte er weder lagen noch Thränen mehr für fie. Ihre Kindifche Narrheit verdiente fein Mitleid, und es gejchah ihr recht, wenn fie im Leben jo lag, wie fie fich jetzt voll thörichter Laune bettete.

„Alles, alles geht vorbei,

Ach was bleibt von Glüd und Mai? Dürre Blätter! Dürre Blätter!”

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intonierte die jentimentale Liebhaberin, und Kranzlow legte den Arm um Marga Daja und tanzte mit ihr, ehe fie fich’3 verfah, einen flotten Walzer darnadjl

XI.

ie ichwüle Luft benahm dem Inſpektor den Atem. Er jah, wie Roman Ermönyi auf un: jiheren Füßen zu dem Zahlfellner trat und jeine Börje 309.

Mit schnellem Schritt ftand er an feiner Seite.

„Sch wünfche zu bezahlen, Kellner.”

Der Komponift umarmte ihn. „Geh nach Haufe, mein Jungchen . ... . leg Dich friedlich in Bett.... heute berappe ich für uns alle! Den ganzen Schwindel für mich angefreidet, Stellner die ganze Bagage da waren meine Gäjte!”

Adalbert jchob den Beraujchten ſehr energifch von ſich und benugte den Moment während Marga hochatmend

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berzueilte und zärtlichen Abjchied von ihrem „ganzen Mann” nahm, um mit dem Kellner für feine Perſon abzurechnen. Dann wandte er fich mit einer fühlen Ver: neigung zu der jungen Sängerin: ‚Darf ich bitten, Sräulein Dallberg! Es wird wohl Zeit, zu gehen!”

Ermönyi war wieder auf einen Stuhl gefunfen und ließ den Kopf tief auf die Bruft hängen: „Müde . . müdel ... .. eine Droſchke, Kinder! ... mir ilt es fo verdammt ſchläfrigl Kranzlow, Kleiner Satan du! fuch feine Händel mit mir... .. reize nicht den Löwen... du weißt ich kann fchauderhaft grob fein... .”

Der Komiker Elappte ihm ftatt aller Antwort mit dem weichen Filzhut auf den Kopf, jchob den Arm kräftig unter den des Gefeierten und eskortierte ihn ohne große Umftände durch die Thür.

Marga wollte ſich ausfchütten vor Lachen: ‚Nein es ift gar zu komiſch! Roman mit einem Schwipps

. D, wie werde ich ihn damit neden!” und dann nahm fie ungeniert Edert3 Arm und jchloß ſich dem fleinen Trupp ihrer Gäſte an. |

Nur wenig Flammen brannten noch in den leeren Sälen des Lokals, die ſchwere Luft machte fich unangenehm bemerklich.

„Sott fei Dank, ein frifcher Hauch!” atmete Marga hoch auf, als fie in den blumengejchmüdten Hausflur traten, „wie wohl das thut!”

Auf der Straße ein bewegter, lärmender Abjchied. Nach allen Seiten zerjtreute fich das übermütige Völfchen

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und die Drofchle, welche Roman und Kranzlow aufge: nommen, rumpelte jchläfrig Die Straße hinab.

„Ich kenne Ihren Heimmeg nicht, Fräulein Dallberg!“ fagte Edert im Weiterfchreiten zügernd, „wäre es nicht beffer, auch einen Wagen zu beugen?”

Sie fehüttelte haftig das Köpfchen. „Luft! Luft, Ela- vigol Ich freue mich ja, noch einmal tüchtig ‚Durch: atmen‘ zu können. Das Wetter ift auch fo ſchön —“

„Es droht mit Regen.”

„Nur eine kurze Querftraße noch, und wir find am Ziel Negen fürdhte ich nicht, nur den Wind, den ſchrecklichen Wind! Bor dem zittere ich!”

„Bringt er Ihnen Erkältungen mit?”

„Mein, dad würde meine geringite Sorge fein.”

„And was fcheuen Sie font an ihm?”

Da fchmiegte fie fich ganz feit an ihn und flüfterte mit angjtvol großen Augen: „Ich bin furchtſam! Sch graule mich wie ein Baby vor Dingen, welche ich nicht begreifen fann. Und den Wind, diefes unfichtbare, un: heimliche Weſen, begreife ich nicht! Iſt es nicht ein graufiger Gedanfe, plötzlich von jemand gefaßt, gezauft und gejchüttelt zu werden, den man gar nicht fieht? Etwa3 heulen und pfeifen zu hören, wa3 man nicht feft- halten und mit Augen fchauen fann? Welch ein ge heimnisvolles Weſen fliegt um mid) her? Was für Geiſterhände berühren mich? Puh e8 ift fo fpuf: haft! Ich male mir jedesmal fchredliche Gefpenfter aus, welche da in der Luft herumtollen, und ich laufe

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fort vor ihnen. Sch verſtecke mic) im fernften Winkelchen, wenn die Sturmgeifter durch die Straßen toben!“

Er jchüttelte mit erniter Miene den Kopf. „Wie können Sie fich vor einer unferer harmlofeiten Natur- erjcheinungen entjeten, welche Ihnen jeder Gelehrte, ja wohl mancher Laie auf die einfachſte Art erklären kann? Sie find in der That ein Kind, Fräulein Dallberg, ein großes Kind. Vor dem Saufen und Wehen in der Luft fürchten Sie fi), und dem Sturm, dem wüften Sturm der Leidenjchaften in der Meenfchenbruft rufen Sie mit lachenden Lippen Beifall! Haben Sie nie daran gedadit, daß es viel gebotener jei, fich vor den unfichtbaren Ge- waltigen zu hüten, welche nicht Mantel und Hut zaufen, fondern den inneren Menjchen voll roher Gewalt jchütteln?”

„Rein, an fo etwas denfe ich nicht!” lachte fie naiv. „Barum auh? Was gehen mich fremde Leidenfchaften an. Und was meinen Sie überhaupt mit dem ‚inneren‘ Menfchen ?”

„Ich meine die Laſter, welche derart über einen Menſchen hinbraufen können, daß fie ihn zu einem Tier erniedrigen und derart in den Staub herab drüden, daß fie alles in den Abgrund reißen, was Hand in Hand mit ihm geht!”

„Bas kümmern mich die Verbrecher? Der Sturm, welcher fie padt, brauft weit ab von mir.” |

„So? Wahrlich? ES giebt Verbrecher, welchen niemal® ein Zuchthaus droht, Verbrecher, welche nicht mit Dolch und Gift Menjchen töten, jondern welche heim: lich und Hinterliftig Tugend, Ehre, Sitte, Glück und Liebe

morden, Verbre⸗ cher, welche einen modernen Skla— venhandel treiben und ihren Opfern den Ning auf: zwängen, welchen nur Selbſtſucht und niedere Geld: gier gejchmiedet !” „Mein Gott, wie wunderlich Sie Iprechen! Sch ver: jtehe Sie wirklich nicht „Wirklich nicht ?“ Sie blieb unter einer Gaslaterne jtehen und ſah ei- nen Augenblid for- Ichend in fein ern— ſtes Geficht. Dann lachte fie plößlich hell auf und fchlug übermütig die Hände zufammen.

„Edert! Menjchenkind! Zielen Sie etwa auf meinen armen Roman? Wollen Sie das liebe Unſchuldslamm

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gar zum Berbrecher ftempeln, weil er heute abend ein Gläschen über den Durft getrunfen? Mein Himmel, was für Pendanten feid ihr doch, ihr braven, welt fremden Leute aus der Provinz! Als Sie ehemals Ihr landwirtichaftlicheg Eramen glüdlich beitanden und dieſes frohe Ereignis feierten, haben Sie da nicht aud) einen Raujch gehabt?”

„Mein! Sch geitehe e8 ehrlich ein, ſelbſt auf die Gefahr bin, Ihnen auch dadurd) abfolut nicht zu imponieren |”

„Das thun Sie allerding3 nicht. Seien Sie mir nicht böfe, aber ein Mann, der nicht trinfen und nicht bei guter Gelegenheit aud) einmal zu viel trinken kann, der ilt ein ſchlafmütziger Geſell, ein Echwächling, der niemals große Thaten vollbringen wird!”

„Ich darf Ihren Vorwurf ohne Erröten anhören. Ich bin zwar eine Schlafmüge und Schwädjling in Ihrem Sinn, denn ich habe mir nie eine Unregelmäßigfeit im Trinken zu fehulden fommen lafjen, aber meine Pflicht habe ich troßdem gethan. ch zug als Unteroffizier anno fiebzig mit in das Feld und bin al? Leutnant der Reſerve, als Ritter des eifernen Kreuzes heimgefehrt. War Herr Ermönyi auch Soldat?“

Marga biß ſich auf die Lippe: „Nein, Gott ſei Dank hat er ſich nie unter das rohe Kriegsvolk gemiſcht!“ trotzte ſie eigenſinnig; „denn er iſt gleich mir der Anſicht, daß nicht allein auf dem Schlachtfeld große Thaten gethan werden! Haben Sie heute abend nicht das Feld der Ehre geſehen, auf welchem er ſeine Lorbeeren pflückte ?”

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„Sie pflücdten noch mehr desfelben an feiner Seite, und ein Lorbeer, welchen auch Frauenhände ernten können, deucht mir doch nicht derjenige ftolzen Mutes und ftolger Mannhaftigkeit! Den Künftlerlorbeer kann meiner Anficht nad) jeder Shwächling ernten, jede Schlafmütze, welche als Soldat unbrauchbar fein würde!”

„Sie ſprechen nur von körperlichen Eigenfchaften, ein Schwächling des Geiſtes wird auch niemals den Künftler- lorbeer erwerben! Und ich lafje e8 jedem Gefchmad frei, der äußeren oder inneren Kraft den Vorzug zu geben !”

„Es bliebe abzuwarten, welcher Ehrenkranz fich dauer: hafter erweilt! Aus dem meinen hat nie eine Kritik ein einziges Blättlein gezupft!”

„Kritik!“ höhnte Marga. „Spielen Sie auf Zeitungs: fritit an? Treten Sie doch einmal mit Ihren Heldenthaten vor ein taujendföpfiges-und taufendzüngiges Publikum, und lafien Sie und dann abwarten, wie viele Blättlein Ihnen die Mißgunft und Oppofition an Ihrem Kranze läßt.“ Gie legte jählingd den Arm wieder in den feinen, lachte und hob mit reizendem Ausdrud ihr Gefichtchen. „Aber warum ftreiten wir ung um Kaiſers Bart, amico mio? Wir waren foeben auf dem beiten Wege, recht Icharf in? Zeug zu gehen, Thorheit! Halte Jeder den Kranz, den er im Schweiße feines Angeſichts erworben! Wüßte ich nicht, Sie Ritter ohne Furcht und Tadel, daß es lediglich die Eiferfucht ift, welche aus Ihnen fpricht und den Nebenbuhler verdächtigen möchte —“ fie lachte

N. v. Eſch ſtruth, FU. Rom. u. Nov. Stern des Glücks J. 20

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ichelmifch auf „jo würde ich Ihnen Ihre Worte bitter übel nehmen, aber jo in diejem Falle —“ |

„Siferfucht?” er fragte es ſehr fühl und fein Geficht blidte in dem fahlen Lichtichein fo fteinern zu ihr herab, daß die junge Dame neben ihm ganz betroffen verftummte. Dann fiegte abermals die übermütige Weinlaune, welche ſie noch völlig beherrſchte.

„Aber Inſpektorchen wollen Sie etwa leugnen —*

„Was ſoll ich leugnen?“

„Daß Sie immer ein großer Verehrer von mir ge weſen?“

„Nein, das leugne ich nicht.

„Sehen Sie, o Sie Duckmäuſer!“

„Ich verehre viel auf dieſer Welt; aber nur das, was mir wirklich der Verehrung wert deucht!“

„Sehr jchmeichelhaft. Alfo Sonne, Mond und Sterne!”

„Ganz recht, auch dieſe.“

„Wiſſen Sie nicht, daß man die Sterne nicht be- gehren ſoll?“

„Gewiß weiß ich das, dies gebietet die einfachite Ver: nunft!” „Und dennoch dennoch eiferfüchtig, Eckert?“ Sie ftüßte fich fefter auf feinen Arm und blidte mit zaube- riihem Lächeln zu ihm auf. Seine auffallend gleich- gültige und gelaffene Art überrafchte fie, und werte alle Teufelchen der Eitelfeit, eine Flamme zu jchüren, welche fie lediglich zu ihrer Beluftigung brennen fehen wollte.

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Er wandte erftaunt den Kopf, mit aller Selbſtbe⸗ berrfchung ſah er fie groß an. „Eiferfuht? Sie ge brauchen dieſes Wort zum zweitenmal, Fräulein Dallberg, und ich veritand es weder vorhin, noch jet!”

„Stolz lieb’ ich den Spanier! aber nicht meinen guten, alten Floringhofer Freund Edert! Warum wollen wir una nicht ehrlich außfprechen? Sie find erbittert, das merfe ich Ihnen aus jedem Wort und jeder Miene an, und doch möchte ich fo gern im guten, alten Frieden von Ihnen fcheiden !”

Seine Brauen zogen fich zufammen. „Sie Dichten mir Gefinnungen an, welche mir durchaus fern liegen! Wären unjere gegenjeitigen Beziehungen im mindeiten getrübt, würde ich in diefem Augenblid nicht an Ihrer Seite Ichreiten! Wie fommen Sie auf die feltfame Idee, daß ich erbittert oder eiferfüchtig fein foll?”

Sie ward unruhig, dieſer ungewohnte Ton ver: droß fie.

„Wie ich darauf komme?“ jchmollte fie mit der Miene eine eigenfinnigen Kindes. „Als ob ich auf dieſe Idee gefommen wäre!” Ä

„Nicht Sie? Wer ſonſt?“

‚„Benedittal wie fünnen Sie noch fragen! Sie war es, welche in größter Aufregung zu mir fam, nad) dem plößlich verjchwundenen Infpeftor zu fuchen! Da ſchuldigte fie mich direkt an, daß unglüdliche Liebe Sie gar in den Tod getrieben habe!”

Ein lautes, fehr herzliches Lachen. „Baroneß bat ſich

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wohl einen Scherz erlaubt! Welch eine Liebe follte jo groß fein, daß fie diejenige zu meinen Kindern entwurzeln fönnte! Nein, Fräulein Dallberg, fo jentimental, oder beijer gejagt, fo ehrlos bin ich nicht beanlagt, jemals um der Liebe willen die Vflicht zu vergeffen! Wie kam Fräu- lein von Floringhoven auf dieſe unglücliche Idee, zu welcher nicht die mindefte Veranlaffung vorlag?“

‚Reine Beranlaffung?” fuhr Marga piliert empor, ‚Nie glaubte wohl, der heutige Abend ſei Veranlaſſung genug !”

„Inwiefern? Berzeihen Sie, Fräulein Dallberg, ich Schlafmütze bin jchwer von Begriffen!”

Ihre Lippen zudten ironisch. „Sie wären wohl nicht der einzige Mann, welcher heute abend Feuer für die ‚Todgeweihte‘ gefangen!”

Abermal3 lachte er leife vor fich bin. „Und wenn ich es dennoch wäre?’

Sie braufte ärgerlich empor. ‚Dann wäre e3 eine Züge, welche ich nicht glaube!”

„Ei, ei, wie eingenommen ſolch ein junge Dame doch iſt!“ fpottete er, immer Fühler und faltblütiger werdend, je mehr fich feine Begleiterin erhißte, und ein Geſpräch beraufbejchwor, welches der folide Vedant an ihrer Geite ebenfo unpafjend wie abjtoßend fand. „Und warum find Sie jo überzeugt von meinem eroberten Herzen?”

Sie warf das Köpfchen zurüd. ‚Weil das Herz in den Augen liegt und fich bie und da verrät!”

„Sollte aber die Eitelfeit auch in dieſer Beziehung nicht

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mehr ſehen, als vorhanden ift, gerade nur das, was jie gern ſehen möchte?”

„Möchte 2”

„Fraglos möchte. Wäre e8 Ihnen gleichgültig, ob ich an „Ihrem Triumphwagen mitziehe oder nicht, würden Sie mir jet nicht gewaltjiam Gefühle aufnötigen, welche mir durchaus fern liegen!”

„Sie liegen Ihnen fern, jeit meine Verlobung ver: Öffentlicht ward!” ftieß fie brügf hervor. Die verwöhnte tleine Dame hatte niemals einen Widerfpruch ertragen und nie in eimem Streit vor dem Gegner die Waffen ge: ftredt; auch jest führte fie voll unüberlegten Troßes den Disput fort, gleichviel ob fie eine Hägliche Rolle dabei Ipielte oder nicht.

„Ich wußte noch nicht? davon, als ich das Theater verließ I”

Sie jtußte. „Und warum entflohen fie aus dem Theater? Aus Vernunft, um dem Einfluß eines Sterneg, welchen man nicht begehren darf, zu entgehen?” Sie lehnte fich feiter auf feinen Arm und blidte fchmeichelnd zu ihm empor. „Seien Sie doch nicht fo halzitarrig. Sit e8 denn jo jchlimm, einem Weibe gegenüber der Ber fiegte zu jen? Iſt e8 denn eine Schande zu lieben, war ed eine Sünde von mir, den Mann zu wählen, welchen mein Herz erfor? Warum wollen wir nicht aufrichtig zu einander fein? Sie jollen und müſſen als Freund von mir gehen!”

„pas thue ich, Fräulein Dallberg, und verfichere Sie

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abermals, daß ich Ihnen nichts, abjolut nichts übel ge nommen habel Wenn ich das Theater vorzeitig verließ, fo geſchah es aus Abneigung gegen eine Schauftellung, welche mir nicht fympathiih war. Die Marga Daja auf der Bühne drunten gefiel mir nicht jo gut wie Die: jenige in Floringhof.

„Wie? wie?” rief die junge Sängerin mit einem Ausdrud des Entſetzens in dem reizenden Geficht, welcher den Sprecher überrafchte. „Ich habe Ihnen nicht ge- fallen? Sie find unzufrieden mit mir?”

Er fah ihr ernſt in die Augen. „Nein, Fräulein Dallberg, Sie haben mir nicht gefallen!” fagte er feft. Ihr Herr Bräutigam ift nicht zugegen und kann meine Anficht nicht als DOppofition gegen die feine auffafjen. Ich achte in Ihnen die holde anmutige Weiblichkeit, welche es verftand, durch unbewußten Zauber zu entzüden. Heute abend entzücdten Sie das Publikum nicht unbemwußt, fie entzücdten e8 durch eine Menge von Kunftmitteln, welche Ihnen Ihr Beruf wohl gebietet, welche Sie aber in meinen Augen entwürdigten. Ich habe feinen Sinn für dag Theater, ich bin zu engherzig, um es zu billigen, daß eine Dame, die ich bochachte, als Bieljcheibe aller Wünſche und Begierden, aller Läſterſucht und frivoler Beurteilung auf die Bretter geftellt wird. Ich nenne mich nur Ihren Freund, Fräulein Marga, und bin in dieſem Falle Haben Sie vielleicht recht zu eifer⸗ jüchtig auf Ihre Würde, um Sie mit einem hundertföpfigen Publikum lachen und fofettieren zu fehen, wäre id)

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Ihr Verlobter oder Ihr Gatte, würde ich Sie zu lieb haben, um Sie auf der Bühne erbliden zu fünnen. Gie hören, ich bin ehrlich. Was vielleicht Hunderte von leichtdenfenden Männern entzüdt, hat mic) ernüchtert. Mein Geihmad, die Frauen betreffend, iſt ein anderer, und Margarete Dallberg in Floringhof war mir ohne Lorbeer, ohne Schimmer und Glanz, ohne Ruhm und Ehren taufendmal lieber als Marga Daja, welche heute abend den größten der Erfolge gefeiert!”

Wie vom Donner gerührt, ſtand fie an feiner Seite. Minutenlang rang fie nach Atem. Dann hob fie mit aufbligenden Augen den Kopf. „Sie jagen mit anderen Worten, Roman Ermönyi liebe mich nicht, weil er meinen Triumphzug über die deutfchen Bühnen nicht aus prüdem Egoismus verhindern will?” Ihre Stimme flang fcharf, fie löſte jähling3 die Hand aus feinem Arm und zog die Nachtglocke der Hausthür, vor welcher fie jtanden.

„Er liebt Sie aber... . wie er fagt auf feine Art!” Hochaufgerichtet ftand er neben ihrer Elfen: geitalt. |

„And jeine Art dürfte mir wohl die wahre und richtige dünfen! Ich danke Ihnen für Ihr Geleit, Herr Edert, ich bin zu Haufel

Er blicte fie ernithaft an. „Leben Sie wohl, Fräulein Marga, und wenn ich Ihnen noch einen Freundesrat mitgeben darf für Ihr zufünftiges Leben, fo folgen Sie dem Findlichen Snftinkt, welcher Sie mahnen will, fürchten Sie den Wind und Sturm —! Nicht jenen, der unter

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Gottes freiem Himmel weht, fondern jenen, welcher in den Menjchenherzen alle Glüd über den Haufen bläft!“ Er bot ihr die Hand zum Abjchied entgegen, mit furzent, fpöttifchem Auflachen wandte ihm das ‚Kind jedoch den Rüden und flog wie ein Schatten durch die breite Hausthür, welche der Bortier, auf ihr Klingeln er- jcheinend, vor ihr öffnete.

Ohne Gruß, ohne Abſchiedswort jchied fie, und die fchweren Thürflügel fchlugen laut krachend Hinter ihr zu.

Einen Augenblid noch ftand Adalbert Edert und war: tete, bi3 der fladernde Lichtichein Hinter den Slurfenftern verfchwand, dann bob er das Haupt in den Naden, ftolz und hochaufatmend wie ein Kämpfer, welcher einen fchönen Sieg errungen.

Und er hatte gefiegt, hatte die fchlimmen Gaufelbilder ſeines Herzens in die Flucht gejchlagen, jene trügerifchen Phantome, welche ihm Frieden und Glück rauben wollten! Als er die Reife nach der Nefidenz antrat, hatte er nur den einen jelig ſcheuen Wunſch gehabt, feinen Lieblingen daheim eine nene Mutter mitbringen zu können, da lebte Margas Bild noch im fledenlojen Glorienfchein feiner anbetenden Liebe, und jebt, als er heimfehrt, dankt er Gott auf den Knien, daß er feine Kinder vor einer Stief- mutter bewahrte, welche ihnen wohl manches, nur nicht dag, was fie je beglüden würde, zugetragen hätte.

„Ich Hatte einſt ein blondes Mädchen lieb, es war ein Traum!”

313

Wie oft hatte er unter dem Fenſter gelaufcht, wenn Benedikta dieſes Lied gefungen, wie oft hatte er lächelnd

das Haupt gefchüttelt und diejen eigenartigen Tert nicht recht begriffen. Es war ein Traum! Kann ein großer, vernünftig denfender Mann mit offenen Augen träumen?

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Sa, er kann eg, er kann wunderfüß träumen, ahnungslos, daß er an einem Abgrund ruht, aber er kann, gottlob, auch erwachen! Die Morgenluft ftreicht frifch daher, am Himmel flammt der erjte gelbrote Gruß des jungen Tages empor, und Adalbert Edert fchreitet ihm erlöſten Herzens entgegen.

Benediltad Stimme klingt ihm vor den Ohren: „Sch hatte einft ein blondes Mädchen lieb, . ... . . e8 war ein Traum.” Aber die Worte klingen nicht mehr tod: traurig wie in dem Turmzimmer von Floringhof, fondern auch durch fie Hallt ein heimlicher Frühlingstroft gefeg- neten Erwachens aus einem Winterfchlaf und Wintertraum.

Marga Daja drüdte das brennende Antlig in die Kiffen. |

Sie war fo müde gewefen, fo todmüde. _

Nun lag fie mit weit offenen Augen und konnte doch nicht Schlafen!

War es die Erregung, der haltlofe Jubel eines jungen bräutlichen Glückes, welche ihr die pochende Glut in die Schläfen trieben und rofige Zukunftsbilder vor ihr ent- rollten? Bilder voll Liebe und friedlichen Glücks, Bilder voll Paradiefeswonne und Geligfeit?

D nein, Marga Daja dachte faum an den Ring an ihrem Singer.

Sie hatte ja ſchon lange genug Zeit gehabt, fich feiner im voraus zu freuen und ihre Citelfeit in feinem Glanze zu fonnen. Was bedeutete dieſer goldene Reif für Marga Daja? Den Triumph, die Frau eines berühmten Mannes

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gu werden, um welchen fich die meiften Kolleginnen fo ſehr bemüht hatten, und welcher unter allen ihr den Vor: zug gegeben! Die angenehme Ausficht, in baldiger Ehe frei und jelbjtändig zu werben.

Marga Daja war eines jener unzähligen Mädchen, welche zu eingebildet find, um lange auf einen Mann warten zu wollen, welche darauf losheiraten, ohne zu überlegen, „ob ſich das Herz zum Herzen findet”, welche um jeden Preis je eher, je beſſer unter die Haube zu fommen Streben. Bol kindiſcher Illuſionen, leichtlebig, an= ſpruchsvoll und ahnungslos deffen, was die Hausfrauen- würde und Hausfrauenbürde von ihnen verlangt, rennen fie blindlings in Feſſeln hinein, welche fie nicht fehen wollen und welche fie nun doch für ein ganzes Leben ertragen follen |

Was Wunder, wenn der goldene Ring am Yinger zu dem erften Glied einer unerträglichen Kette, wenn der Treuefchwur des Verlöbniffes zur Kriegserklärung für die unglüdliche Ehe wird!

Marga Daja hatte niemals weit vorausgedadht. Der Reif, welchen Roman ihr unter Lachen und Scherzen an= geitecft, hatte feinen Zauber verloren, ſeit fie ihn bejaß, gleichwie ein Kind gelangweilt ein Spielzeug beijeite wirft, wenn es den Reiz der Neuheit verloren. Roman Ermönyi hatte fie anfänglich durch feine Gleichgältigkeit gar zu unbefchreiblich geärgert und ihre eigenfinnige Eitel- feit entflammt, gerade ihn, den Opponiften beherrjchen zu wollen. |

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Sie hatte e8 niemals ertragen, überfehen oder ver- nachläffigt zu werden, und hatte e8 auch dem jungen Kom— poniften gegenüber ſich in den Kopf gejegt, ihn wie alle anderen zu ihren Füßen zu ſehen; Trauben, welche hoch hängen, find für den Ehrgeiz nicht immer ſauer, fondern doppelt heiß begehrt. Es liegt in der menschlichen Natur, etwas dringend Erwünfchtes mit allen denkbaren Vorzügen und Bolllommenheiten auszufchmüden, und auch Margas Phantafie arbeitete fih gewaltſam in Illuſionen Hinein, welche Roman Ermönyi mit den Tugenden eine Halb: gottes umgaben.

Da fie nur das Beite an ihm fehen wollte, fo ſah fie es auch; denn teil3 war fie nicht ſcharfblickend und Menfchentennerin genug, um die Schwächen und Fehler zu entdeden, andererfeit3 jchloß fie gewaltjam die Augen, voll Eindifcher Eigenwilligkeit bei der Überzeugung ver- barrend: „Was ein Ermönyi thut, ift ein für allemal wohlgethan.”

Und nun lag fie mit fiebernden Pulſen in den Kiffen, ftarrte auf die Yenftergardinen, welche immer heller und rofiger von Dem erwachenden Tag durchleuchtet wurden, und frampfte in ohnmächtiger Erregung die Heinen Hände zujammen.

Sie dachte mit feinem Gedanken an den Bräutigam, der war befiegt und mit Roſenketten gebunden als über- wundener Standpunkt vor ihre Füße niedergelegt, fie dachte lediglich an ihn! Den Unerhörten, Empörenden, welcher e8 gewagt hatte, einer Marga Daja Dinge in

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das Geficht zu jagen, wie es noch Fein Sterblicher vor ihm fich erdreiftet!

Bar e8 auszudenken! Er, der Inſpektor Edert, der Mann ohne Sang und Klang! Der Bauer der Habenichts! Der Unteroffizier in Civil er, er hatte vor Schluß das Theater verlaffen, weil ihm Marga Daja in ihrer herzbeſtrickenden Glanzrolle nicht gefiel.

Iſt jolch eine Vermeſſenheit auszudenken?

Früher in Floringhof hat ſie ihm beſſer gefallen? Undenkbar! Iſt ſie während weniger Wochen etwa alt und häßlich geworden?

Nein, tauſendmal nein! Sie hat ja genugſam Beweiſe, wie viel Eroberungen ſie juſt geſtern abend gemacht, und er dieſer will ihr opponieren.

Sollte es nicht Haß und Rache gegen die „Braut des Anderen“ geweſen ſein? |

Keim, er ahnte ihre Verlobung noch nicht, als er das Theater verließ, er entjernte fich mit gleichgültigem Bore ſatz, Marga Daja nicht wiederzujehen; fein Erfcheinen in dem Lokal war thatfächlich der Zufall, das fah fie feinem entjeßten Geficht an, mit welchem er fie anftierte. Hatte fie ihn nicht beinahe gewaltfam in ihren Kreis feſſeln müſſen? Hat er nicht ftet3 von neuem verjucht, fich zu verabjchieden ?

Wieviele Hunderte hätten wohl alles darum gegeben, an diefem Abend einer Marga Daja gegenüber figen zu fönnen, und er, die Eimfalt vom Lande, wendete ihr un- gerührt den Rüden.

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Wie ift das möglich?

Er war ihr glühender VBerehrer, warum ift er es plöß- (ich nicht mehr? Sie Thörin hatte fich eingebildet, fein ftummes unbeholfenes Weſen in der Garderobe fei hoch: gradiges- Entzüden geweſen.

Unfinn! Es war wohl ſchon ein mißbilfigendes Muftern ihrer Perjönlichkeit.

MWehrte er e8 anfangs nicht auch oftenfibel ab, daß fie ihm noch ein Billet verfchaffte? Führte er fein Er: icheinen im Theater nicht lediglich auf einen Befehl Bene- diktas zurüd?

Was war geichehen?

Brennende Glut fteigt plöglich in Margas Wangen. Vielleicht war es unbedacht von ihr, ſich dieſem ſoliden Naturmenſchen in ihrem Theaterputz ſo ganz in nächſter Nähe zu zeigen! Seine ſcharfen Augen ſahen die fünft- lichen Hilfsmittel, welche ihre Schönheit bildeten. Und das hatte den ftrengdenfenden Moraliften ernüchtert.

Sagte er nicht: Sie entzücdten das Publikum nicht unbemwußt, fondern durch eine Menge von Runftmitteln? Fraglos! Ihr Koftüm, ihre Perrüde, ihre Schminte hat ihn entrüftetl Hahaha! diefer prüde Joſef! Marga möchte auflachen, aber fie kann es nicht, ihre Kehle ilt wie zugeſchnürt. Sie gräbt die fpiten Zähnchen in die Lippe.

Und waren e3 diefe Kunftmittel allein, welche er ver: dammte? Nein, er richtete ja auch ihr Lächeln und Kofettieren in das beifallfpendende Publikum. Er bat e8

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genau beobachtet, wie fie mit Blid und Miene bemüht war, das euer noch zu fchüren.

Einfaltspinfel der! Was verftand er von den Sitten und Gebräuchen einer Couliffenwelt.

Ein Schneeball zündet nicht! Und ein gleichgültiges und kaltes Publikum applaudiert nicht. Wo ſollte Erfolg und Renommee herkommen, wenn die Divas kein Lächeln, keinen feurigen Blick für die Menge übrig hätten?

Nur ein Pedant, ein derart beſchränkter Mann vom Lande kann ſolch verbauerte Anſichten ausſprechen. Was liegt Marga Daja daran?

Mag er doch zwanzigmal nach Hauſe ae! Es bleiben noch unzählige, maßgebende Augen, Ohren und Hände in dem Opernhaus, welche voll diſtinguierteren Ge: Ihmad8 eine erjte Sängerin auf den Schild heben!

Und doch, und doch!

Hier, tief innen, ganz heimlich und unbezwinglich regt fi) etwa3 in Margas eitlem Herzen, was einem tief verlegten Stolze gleicht!

Der Funken brennt, welcher eine Feuersbrunſt entzünden kann.

Es wurmt ſie! Es nagt ihr an der Seele. |

Noch nie hat ihr Selbitbewußtjein eine folch empfind- liche Niederlage erlitten.

Ein Mann, welcher fie geliebt hat, wendet fich gleich- gültig von ihr, in einem Augenblid, wo Marga Daja die höchfte Sproffe des Ruhmes erflommen. Wie ift das möglich? Ehemals ärgerte e8 fie, daß diejer Inſpektor

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ohne Namen und Mittel, dieſer fimple Mann aus dem Volke es wagte, die Augen zu ihr, der verwöhnten, an= ſpruchsvollen, Eleinen Theaterprinzeſſin zu erheben, und jegt verlegt und ergrimmt es fie noch taufendmal mehr, daß Diejer felbe Mann es wagt, fie faltlächelnd auf: zugeben!

Was je an Selbitüberhebung und Gefallfucht in ihr gefchlummert Hat, bäumt fi wild auf gegen dieſe Niederlage.

Sie will nicht von ihm überjehen und beifeite gejchoben fein! Er foll an ihre Macht glauben, er ſoll vor ihren Füßen im Staub liegen wie jeder andere, welcher Margas Weg kreuzt! Will er etwas Beſſeres fein, al® Roman Ermönyi?

Beim Himmel, er bildet es fich ein!

Wie ſtolz, wie verächtligy blidte er auf den Beraufchten nieder, welcher nicht mehr im jtande war, feiner Braut ein Schub und jicheres Geleit zu jein, als Roman den Arm um ihn legte mit der VBerficherung, die ganze Zeche bezahlen zu wollen!

Das duldete der Bettelftolz eines Gutsinſpektors nicht. Marga ballt die Hände und preßt fie gegen die Stirn.

Es it empörend! Es iſt eine Schandel

Warum paffierte Roman auch gerade an diejem Abend das Pech, fich zu berrinfen? Jeder wird es an ſolch glänzendem Doppelfeit öegreiflich und verzeihlich finden, nur er der Eitienrichter aus Floringhof nicht!

Und ihm gegenüber ärgert es Marga doppelt. Wie

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jelbftbewußt und prahleriich fagte er: „Ich war nie in meinen Leben unmäßig |”

Er! natürlich er, der keinen Grofchen zum Vertrinken hat! Früher ift er allerdings reich gewefen, aber pah! Er war wohl fchon damals derjelbe ſchlafmützige Patron wie heutzutage, welcher jeine Kinder wiegt, ihnen die Win- deln unterlegt und um die Wette mit ihnen frifche Kuh— milch kneipt! Könnte fie doch nur lachen! unbändig und hohnvoll lachen! aber fie kann es nicht!

Unmäßig! Welch ein Vorwurf für Roman! Es fehlt nur noch, daß er ihn einen Trunfenbold und Wüftling nennt! Im Herzen thut er es fraglos, fein verächtlicher Blick brennt ihr noch in der Seele. Und jo ſo wagte er einen Ermönyi anzufehen! Was gäbe fie darum, hätte Noman an diefen Abend weniger gezecht!

Sie erträgt die Geringſchätzung dieſes Bauerntölpels nicht!

Und wel ein Selbftbewußtjein! Welch ein Hochmut, mit welchen er e3 wagt, auf den berühmten Komponisten herabzubliden! Sein Lorbeerkranz deucht ihm womöglich verdienstooller, als jener des unfterblichen Künftlers!

Er ift Soldat gewejen! Lächerlich! jeder Bauern: junge mit geraden Knochen wird Soldat, da3 Hirn jpricht in dieſer Stellung nicht mit! |

Aber... er iſt als Offizier, er ift als Ritter de3 eifernen Kreuzes heimgefehrt, und daß zu jolch einer Aus: zeichnung und Dekoration nicht allein heldenhaftefter Mut, Sondern auch ein großer Teil Verftand, Geiftesgegenwart

N. v. Eſchſtruth, IN. Rom. u. Nov., Stern des Glücks I. 21

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und die erforderliche Bildung notwendig find, das weiß jelbjt eine Marga Daja!

Sie wühlt das Geficht in die Kiffen, Thränen leiden- Ichaftlicher Erbitterung treten ihr in die Augen. Warum it Roman nicht auch Soldat gewefen? Warum ward er nicht Nejerveoffizier? Warum holte er fich feine Defo- ration aus dem Feldzuge heim? Marga könnte ihn in diefem Augenblid darum hafjen!

Weil er nicht genug auf der Schule gelernt hat, weil er ein zu jchwächlicher, Fraftlofer Menfch war, um drei: jährig dienen zu können, um fich überhaupt zum Sriegs- dienst zu eignen.

Schwädling! fo Hatte fie Edert genannt, ihn, der wie ein Herkules, wie ein Rieje Roland, gefundheititrogend, marfig und heldenhaft neben dem kleinen, bleichen, hageren Noman Stand!

Jetzt fieht es Marga beinahe ein, daß fie fich mit diefer Anjchuldigung lächerlich gemacht!

Aber fie will es nicht einjehen, fie will eg nicht. Liegt die Kraft allein in den Fäuſten?

Auch den Kleinen, ſchwächlichen Künftler ſchmückt der Lorbeer.

Er ſchmückte ihn wohl nicht, wenn nicht die Helden- fraft und der ftolzge Siegegmut unjerer waderen Bater- landaftreiter den Feind aus den Gauen des lieben deutjchen Reichs ferngehalten! |

Wie kommt ihr diefer feberifche Gedanke? Will fie etwa dem Prahlhans Edert recht geben?

=, 393:

Sie beißt, außer fich vor Zorn und Leidenfchaft, die Zähne zujammen.

Sie will die beiden Männer nicht vergleichen, fie zittert in dem Gedanken, daß Romans lorbeergefrönte Zwerg: geitalt vollkommen Luft und Dunft neben dem blond: bärtigen Rieſen wird.

Sie will überhaupt nicht mehr an ihn denken! Wer fich unterfteht, eine Marga Daja fo tödlich zu beleidigen, wie er, muß in Zufunft aus dem Regifter alle Eriftierenden geftrichen fein!

Und doch möchte fie fo gern ihm gegenüber die Scharte ausweten! Sie empfindet e8 mit quälender Bein, daß fie fich jehr viel ihm gegenüber vergeben hat, daß fie fid) unsterblich blamierte mit ihren Bemühungen, ihn um jeden Preis zu ihrem unglücklich liebenden Verehrer zu Stempeln! Es überfommt fie wie eine finnloje Wut, ihn um jeden Preis, aus Nache, dazu zu machen!

Nur ihr Freund! Aud) der nicht mehr.

Er war al3 Freund felbit zu eiferfüchtig, fie auf der Bühne zu fehen, und die Anjchuldigung, Die cr Roman Dadurch entgegenschleudert, 0, Marga verſteht fie, und fie möchte wild auffchreien vor Empörung. Liebt Noman fie etwa auch nicht?

„O ja —“ hatte er ironifch gelächelt: Er liebt Sie, aber auf feine Art!”

Welch eine Art ift es? Eine Liebe, welche feine Giferfucht kennt, eine Liebe, welche fich ohne a

der glänzenden Erfolge der Gattin. freut! 21*

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Sit das Feine echte Liebe? Lächerlich! welch eine wäre pafjender und erwünfchter für eine Daja als juſt ſolche?

Würde es ihr angenehm ſein, ihr junges Leben hinter Floringhofs Mauern einſam zu vertrauern? Welch ein gräßlicher Gedanke! Das hieße ſie morden! Und doch ... Marga Daja hat überſpannte Ideale! Sie ſagte noch jüngſthin: „Wie beneide ich die Desdemona! Es muß doch ſchön ſein, ſo über alles, ſo voll wilder Glut geliebt zu werden! Beſſer unter den Händen eines ſolchen Liebhabers ſterben, als an der Seite eines gleichgültigen Mannes zollweiſe erfrieren!“

Daran dachte ſie jetzt. Tief erſchöpft ſank ſie in die Kiſſen zurück.

Plötzlich war es ihr, als ſtehe Adalbert Eckert vor ihr, rieſenhaft groß, ſtark und gewaltig wie Othello, mit Augen, welche wie ein Gemiſch von wahnfinniger Liebe und voll tödlichen Zornes glühen, ımd er faßt fie mit den ſtarken Armen und preßt fie an fi, daß fie erftiden muß wie Desdemona.

Sie will auffchreien fie kann es nicht. Seine Leiden— ichaft zermalmt fie. Ein Echauer riefelt durch ihre Glieder, Halb Wonne, Halb Todesweh.

Sie ftirbt fie vergeht in Liebe —!

Wild zuckt fie empor und ftarrt mit weit offenen Augen um fi.

Sie ift allein.

Adalbert Edert weilt fern von ihr und denkt nicht

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mehr an fie und Noman? Roman ijt ja nicht eifer: jüchtig. | ° Auffeufzend jchließt fie die Augen, fie vergeht nicht in den Untiefen allgewaltiger Liebe... .

es war ein Traum.

Langjam hebt jich die Frühlingsjonne über den Horizont.

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