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Datalp vun Eſchſtruth

21222

AIlluſtrierte Romane und Bovellen

Bierte Serie

Bmeiter Band

Die Bären vun Bohen-Esp

Leipzig Verlagsbuchhandlung von Paul Till.

Die Bären von Bohen-Esp

Roman

von

Dataly von Eſchſtruth

Mit Uluftrationen von J. Schwormſtädt

II

Leipzig Berlagsbuchhandlung von Paul Lift.

Alle Nechte vorbehalten.

o ſchweigſam wie Graf Hohen-Esp bei Tische war, fo fprudelnd heiter und amüſant war jeine Nachbarin.

Die Heine Ede der langen Tafel war bald eine recht fidele, und Thea beobachtete es voll Genugtuung, daß Guntram Krafft energijch feine Mißſtimmung bezwang und, wenn auch nicht fröhlich, jo Doch etwas gejprächiger wurde.

Als Komteſſe Sevarille das Thema jehr gejchieft auf die See lenkte, und Die umſitzenden Damen aufs cifrigite in ihr ſchwärmeriſches Entzücken einjtimmten, Teuchtete es

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fogar in Guntram Kraffts ernjten Mugen wie heiße Sehnjuht auf, und als man gar anfing, ihn um fee männifche Dinge zu befragen und feinen Bemühungen, die Damen und Herren für die Beranjtaltungen zur Rettung Schiffbrüchiger zu interefjieren, ein lebhaftes Verſtändnis entgegenbracdhte, da bemächtigte fich jeiner ſogar eine gewifje freudige Erregung, welche für den Augen blik die Schatten von feiner Stirn fcheuchte.

Dieſes Geſpräch mährte freilich nicht lange, dazu war die Jugend zu übermütig gejtimmt, ja, ein Neferen= dar fagte jogar mit fehr tragijcher Geſte: „Es iſt jelt- jam, daß man hier auf dem Feitland jo wenig Sinn und Teilnahme für das Nettungswefen hat! Die Küſte mit all ihren drohenden Gefahren, ihrem „Seemann in Kot” und ihrer ſchauerlich-ſchönen Sturmpoefie liegt den Leuten bier zu fern, um fie zu interejjieren! Eine Ge- fahr, welche fie fich nicht vorjtellen können, exiſtiert nicht für fie, und ein Eifenbahnunglüd wird ihnen ſtets mehr zu Herzen gehen, wie eine Schiffsfataftrophe. Für Die Waifenfinder, das Blindenafyl und Yindelhaus zahlt wohl jede Mutter gerührten Herzens ihr Scherflein, aber eine wackere Gejellfchaft, welche manch tapfern Seehelden den Wogen entreißen und manch unglüdlichen Schiffer von feinem Wrad einholen möchte, für die findet fich faum eine offene Hand!”

- „Mnd wie not tun unferm Baterlande gerade Die quten, ftarfen Hilfen am Strand!” nidte Guntram Krafft mit finfterm Blick, feine vergeblichen Beſuche des heutigen

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Morgens, feine gejcheiterten Bemühungen famen ihm mit all ihrer niederdrücenden Erfolglojigfeit in das Ge— dächtnis zurüd. „Deutſchlands Zukunft ruht auf der Cee! und jeder gute Patriot jollte bemüht fein, im Sinne feines Raifer3 zu handeln und dem Seewejen in vollem Umfang, jei e8 der Marine, dem Lotſen- und Nettungs- wejen oder den Seemanngheimen fein tatfräftiges Intereſſe zuzumenden! Hier tut Hilfe not! Hier trägt jede gute Tat ihren reichen Segen! Warıım begeijtern fich die deutichen Frauen jo viel dafür, die Vergangenheit zu ehren, gründen Schiller und Bismardvereine und denfen fo wenig an die Zukunft ihres Vaterland? Dieje iſt wichtiger wie alles andere! Einmal haben ſich Deutjch- lands Frauen allerdings fehon treu bewährt, haben das Schiff „Frauenlob“ von dem Ertrag ihrer Sammlungen gebaut, und es bewiejen, daß jelbit die Kleinfte Hand fräftig genug ift, an Deutſchlands Macht und Herrlichkeit mitzuarbeiten! Seht aber tft mit wenigen Ausnahmen ſo gut wie gar fein Intereſſe für die dringende Not an der Kifte vorhanden, und doc fteht unjer Rettungs- weſen noch auf recht fchwachen Füßen, obwohl gerade in le&ter Zeit jo manche Kunde über das tragiſche Schid- ſal Schiffbrüchiger wie ein mächtiger Hilfefchrei durch das Land hallte!“

Mit erftaunten Blicken hatte man den Sprecher ge: mujtert, welcher in feiner Erregung ein Bild edlen Eifers bot und in nichts mehr an den ungewandten, tolpat- Ihigen Bären von Hohen-Esp erinnerte!

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Die Damen ſtimmten lebhaft zu und ließen nur zum Schluß die etwas ängſtliche Frage laut werden: „Wer ſoll aber ſo etwas in die Hand nehmen?“

Und die Herren zuckten zweifelnd die Achſeln und verſicherten: „Das iſt ja ganz unmöglich! Ein einzelner kann dabei gar nichts tun, wenn die Sache nicht von maßgebender Seite angeregt wird!“

Ein grimmes Lächeln zuckte um die Lippen Guntram Kraffts.

„Dieſe Antwort iſt mir heute ſchon öfters geworden“, ſagte er beinahe verächtlich, „und ich fürchte, ich werde ſie noch mehrfach hören müſſen. Gerade in dieſer An— ſicht liegt der Fehler, welchen alle begehen, weil keiner den Anfang machen will. Warum ‚von maßgebender Seite?‘ Dies ijt die Schanze, hinter welcher fich die Tatenlofigkeit verfriecht! Wenn jeder einzelne das Seinige täte, wäre uns geholfen.”

Die legten Worte verflangen bereit3 in dem Lärın, welchen das Zurüdjchieben der Stühle und die lebhaftere KRonverjation bei Aufbruch der Tafel verurjachten der Graf von Hohen-Esp ſchwieg und verneigte ſich vor feiner Dame, fie in den Saal zurüdzuführen.

Thea flüfterte begeifterte Worte der Anerkennung zu ihm auf, fie verficherte, daß fie noch mehr über Diejes Thema hören müfje, welches ihr bis jeht unbegreiflicher: weiſe noch fo fremd geblieben ſei, der Graf aber jchien zerjtreut, weit ab mit allen Gedanken. Er ſah jeltiam verändert aus, er hatte fo gar feine Ähnlichkeit mehr mit

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dem ehedem ſo linkiſchen, bei jedem Wort errötenden Jüngling, welchen die Spottluſt der Großſtädter den modernen Parzival genannt.

Er neigte flüchtig den Kopf.

„Ich tanze keinen Walzer, Komteſſe, geſtatten Sie, daß ich Ihnen einen zuverläſſigeren Tänzer beſorge!“

„O nicht doch ich möchte tauſendmal lieber mit Ihnen plaudern, Graf! Jener Platz am Fenſter dort iſt jo gemütlich ...“

Er ſchien ihre Worte zu überhören, wandte ſich zu einem ſeiner Tiſchnachbarn, welcher keine Dame geführt hatte und bat ihn, bei Komteſſe Sevarille zum Tiſch— walzer für ihn einzutreten, da er nicht tanze.

„Selbitverftändlich, mit größten Vergnügen!” ver- fiherte der Angeredete, nachdem er den Grafen ein wenig erjtaunt gemuftert hatte, verneigte ſich vor Der jungen Dame und flog auf wiegenden Klängen mit Thea

davon.

Guntram Krafft aber wandte ſich kurz um und ſchritt dem Ausgang zu.

Er dachte nicht daran, ob er ſich verabſchieden müſſe oder nicht; es gingen verſchiedene Damen und Herren ſchon jetzt nach dem Souper. So ging auch er, nahm haſtig Pelz und Hut und trat in die kalte, ſtürmiſche Winternacht hinaus.

Seine Verpflichtungen gegen Thea hatte er erfüllt, nun hielt ihn nichts mehr. Wie ein Verdürſtender at— mete er die klare, kalte Luft, ſein gequältes Herz

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hämmerte in der Bruſt und ſeine Augen brannten ſo heiß, als glühten ungeweinte Tränen darin. Welch eine Beherrſchung Hatte die letzte Stunde von ihn verlangt!

Als er Gabriele Worte gelejen, war e3 ihm zumute, wie einem Menjchen, welchem das Glück jählingg aus den Händen gleitet und in Scherben zerbricht.

Es war der cerite große, leidenfchaftliche Schmerz, der jein Herz traf, es war die erſte tiefe, unausſprechlich wehe Wunde, die ihm gejichlagen ward.

Seine Seele, welche bisher nicht? anderes gekannt hatte, al3 den ftillen Frieden der Heimat, als die Treue, Liebe und Aufrichtigkeit der Seinen, fie lernte zum erjten- mal alle Bitterfeit einer Enttäufchung, alle Dual einer hoffnungslofen, unerwiderten Neigung Tennen.

Wie Feuer brannte der kleine Zettel auf feiner Bruft, wie verzehrendes Feuer glühte ihm das Leid im Herzen.

Sebt erft, nachdem er Gabriele für immer verloren, begriff er es, wie voll, wie ganz und innig er fein Herz an fie gehängt hatte. So auf den erjten Blick!

So gläubig und vertrauend, wie ein Kind, welches die Echönheit in feinem Märchenbuch lieb gewonnen und voll jehnenden Entzüdens die Arme nad) ihr ausbreitet, wenn fie ihm im Leben unverhofft begegnet. Welch ein fchwerer, tobender Kampf in feinem Innern, nach all dem friedlichen Glüd vergangener Jahre!

Dazu fam die herbe Enttäufchung, welche er in der Angelegenheit feiner erjehnten Rettungsſtation erfahren.

Diefer Mißerfolg allein hatte jchon etwas fehr Nieder:

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drückendes für ihn und trug auch noch dazu bei, jeine Stimmung zu verdüftern. Ä

Eine Mutlofigkeit, ein Widerwillen gegen Welt und Leben, wie er ihn zuvor faum geahnt, überfam ihn plötzlich.

Die Luft in dem Ballſaal war ſo ſchwül, ſo heiß geweſen, die Menſchen ſo ungewohnt, die Muſik ſo ſchrill und laut.

Hier war es ſtill und einſam in den verſchneiten Park— anlagen, und der Wind ſauſte ihm fo friſch und gewaltig entgegen, wie ein alter, treuer Freund, welcher in toller MWiederfehnsfreude die Arme um ihn wirft, ihn reißt und Ichüttelt und ungejtüm ruft: „Wo bliebft du jo lange? Komm heim! Komm heim!”

Und über ihm das fahle Gezweig fnarıt und greint wie Rahe und Segel... und die fernen Wipfel raujchen wie brandende See ...

Da überfommt ihn ein wildes, unbändiges Heimweh! Ein übermächtiges Sehnen nach der jtillen Heimat, nad) allem, wa3 er liebt und was auch ihm in treuer, Schlichter Liebe ergeben ift!

Guntram Krafft breitet jählings die Arıne aus und ftöhnt aus tief verrwundetem Herzen: „Heim! ja, id) will heim! Was foll ich noch Hier? Meines Schid- ſals Würfel find gefallen. Sch bin fein Held! Nic und nimmermehr wird Gabriele mir ihre Liebe jchenfen ... was hält mich noch hier?”

Und er ftürmt mit hämmernden Pulſen in das Hotel

und fündet dem äußerjt betroffenen Anton an, daß er die Koffer paden folle, am nächſten Tage fehre er nad) Hohen-Esp zurüd.

„Herr Graf!” ftottert der alte Mann mit forgenvoll prüfendem Blick in das verftörte Geficht feines Herrn: „Was wird Ihre Gnaden, die Frau Gräfin jagen?”

„Sleichviel. ch reife heim.” -

Anton hört es dem balberiticdten Klang der Stimme an, bier gibt es Fein Widerjprechen. Was mag ge: ichehen fein?

Eine Dame it wohl nicht im Spiel, es iſt allein der Ärger über die Mißerfolge bei dem Miniſter und dem Geheimen Nat, der Graf ſprach ihm ja jelber Davon, wie wenig Verjtändnis und Teilnahme er für fein Projekt finde. |

Man nimmt den Bären von Hohen-&3p nicht ernit, man legt den Worten und Wünſchen des .verbauerten Srautjunfers feinen Wert bei!

„Haben der Herr Graf daran gedacht, daß wir zu:

vor Abjchiedsbefuche machen müſſen?“ | ‚sa; ich beitellte bereit bei dem Portier den Wagen. Wir werfen nur Karten ab; einzig bei der Gräfin Seva— rille wünfche ich gemeldet zu jein. Sch werde jebt nod) die neu eingelaufenen Einladungen beantworten.”

Und der Graf wirft Pelz und Hut ungeduldig ab und tritt mit ummwölfter Stirn in das Nebenzimmer.

Dort fißt er und erledigt voll nerpöfer Haft die Ein: ladungen.

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Es ijt Schon ſpät in der Naht, Anton lugt be— ſorgt durch die Tür.

Da ſieht er Guntram Krafft über einen kleinen zer— knitterten Zettel geneigt, das Antlitz bleich und verfallen, wie bei einem Kranken. „Wollen Herr Graf nicht zur Ruhe gehen?“

Er ſchrickt empor, ſtreicht langſam über die Stirn und nickt.

„Du haſt recht, ich gehe.“

Er ging aber den Zettel nahm er mit ſich.

Am nächſten Mor— gen wurden in größter Eile die Beſuche ab— gefahren.

Da es eine unge— wöhnlich frühe Stunde war, nahm Gräfin Se— varille noch keine Beſuche an.

„Frau Gräfin ſind bei der Toilette und Komteſſe ſchlafen noch.“

Guntram Krafft nickte. „Weiter!“ befahl er kurz.

In ſeiner großen Harmloſigkeit fiel es ihm nicht einen Augenblick auf, daß Gräfin Thea ebenſo großſtädtiſch

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(ange fchlief, wie ihre Freundin Gabriele, und fie hatte dag Doch gejtern abend noch jo jcharf verurteilt. Zum Bahnhof! Fort! Fort von hier! Er jtirbt vor Cehnjucht nad) der Heimat.

Der Zug ſetzt fich langjam in Bewegung und führt in den falten, nebligen Wintermorgen hinein, und als die Häujer und Türme der Stadt hinter dem modernen Tarzival verlinten, da atmet er tief auf, wie erlöjt von einer unfeligen Laſt.

Da wird es allmählich wieder til und ruhig in feinem Herzen, und als er endlih im Schlitten ſitzt und durch die heimatlichen Wälder dahinjagt, als er mit aufleuchtendem Blick und mweitgeöffneten Armen das blei- grau rollende Meer begrüßt ... . da jchaut er plößlich um fich wie ein Menjch, der aus tiefem Schlaf erwacht, wie ein Menich, den ein böjer, quälender Traum be— fangen hielt.

—— ——

Gräfin Thea war nie ſo aufgeregt, ſo übellaunig und nervös von einem Balle heimgekehrt, wie von dem Tanz— feft in dem Hotel St. Vetersburg.

Ihre Augen brannten wie im Fieber, mit unficheren Händen riß ſie den Kranz aus ihrem Haar.

Warum hatte der Graf dus Felt jo unvermittelt haftig, ohne ein Wort des Abjchieds verlajjen?

Mohin ging er?

Wird er tatjächlich verfchwiegen fein?

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Hat ſie vielleicht zu kühn gehandelt? Sprach ſie zu unbedacht die Unwahrheit und grub ſich ſelber eine Grube?

Wenn Gabriele nun gar nicht krank war? Wenn der Hohen-Esp vielleicht ſchon nähere Beziehungen zu Gabriele hatte, als ſie ahnte? Wenn Frau von Sprendlingen des Grafen Bewerbung unterſtützt hatte?

Theas Zähne ſchlugen wie im Schüttelfroſt zuſammen.

Er war ſo ſeltſam verändert, als er den Zettel ge— leſen, auch gegen fie verändert, kühl, zerſtreut ... zum Schluß, als er ohne Abſchied ging, ſogar unhöflich.

Zweifelte er an der Echtheit des Zettels? Wollte er der Wahrheit nachforſchen? War der junge Bär doch nicht jo naiv und harmlos, wie fie angenommen ? Was fol daraus werden, wein ihre Intrige an den Tag kommt?

D, welch entfegliche Blamage!

Thea wühlt das Geſicht in die Kiffen und beißt vor Aufregung die Lippen blutig.

Wie im Fieber rajeı neue Gedanken, neue Pläne dur) ihr Hirn.

Wenn jede Schuld ihre Strafe in fich jchliegt, jo erleidet fie Gräfin Thea in diejer dunklen, endlojen Nacht.

Sie ſchläft nicht, fie ift aufgeregt bi3 zum Wahn: ſinn.

Erit jpät am Morgen, als das Mädchen fchon um Dfen das Feuer anzündet, jchläft fie ein.

Und als fie erwacht, erhält fie die Nachricht, daß

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Graf Hohen-E3p bereit3 dagewejen fei. Sie ftarrt Die Sprecherin an wie eine Viſion.

„Sr war hier?” Das Elingt wie ein heijerer, jubelnder Auffchrei. |

Sie preßt die Hände gegen die Schläfen fie lacht jähling® auf wie aus Todesängjten erlöft. Dann macht fie in rajender Eile Toilette, frühjtüct und geht in ſehr gehobener Stimmung auf das Ei3.

AS fie wiederfommt, fieht ſie troß der Kälte blaß und veritört aus.

Um ihre Augen liegen tiefe Schatten, und der Mund zeigt die Linien, welche man im ganzen Haufe fürchtet, fie zeigen an, daß die Komteſſe fich in höchjt gereizter und ſchwer geärgerter Stimmung befindet.

Dann wirft und fchleudert fie alles umher.

Sp aud) jeßt.

Cie bringt zwei Neuigkeiten mit nach Haufe.

Die erjte it die, daß Fräulein von Sprendlingen perſönlich ſehr wohl und gefund ijt, daß aber ihr Vater, gerade als er im Begriff ftand, für das Tanzfeſt im Hotel St. Petersburg Toilette zu machen, von einem Schlaganfall getroffen wurde.

Er liegt feıt geftern abend bewußtlos, und die Ärzte fürchten das Schlimmite.

Das würde Komteſſe Sevarille ziemlich gleichgültig fein, im Gegenteil, wenn „die Königin der Feſte“, Fräulein Gabriele, Trauer befäme und feine Bälle bejuchen könnte, würde es für die Freundin Thea nur vorteilhaft fein.

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Aber bie zweite Neuigfeit!

Graf Hohen-Esp iſt Knall und Fall abgereiſt. Kein Menfch weiß warum. Man vermutet, daß er Nach⸗ richten von zu Hauſe erhielt. | Ob er wiederfommen wird?

Viele behaupten „ie, manche, „nein, Gräfin Thea weiß es genau, nein, er kommt nicht wieder. ‚Und; dieſe Überzeugung fann fie wütend machen ‚wütend! Sie fchließt fich in ihr Zimmer -ein und tobt.

N.v. Eſchſtruth, IM. Nom. u. Nov, Die Bären v. Hoben-EapIT. 22

eneral von Sprendlingen war begraben, und in der Nefidenz wurde nur ein einziges Thema beiprochen, die finanzielle Yage feiner Gattin und Tochter.

Wie ein Lauffeuer war e3 durch die Stadt gegangen, daß der alte Herr infolge einer ungeheuren Aufregung den Schlaganfall erlitten hatte.

Viele behaupteten, es jei längjt fein Geheimnis mehr gewejen, daß der penjionierte Offizier jpefuliert hatte, um den Ausfall des hohen Gehaltes durch reichere Zinjen auszugleichen.

Seine Damen jowohl wie er jelbjt, waren fo jehr

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verwöhnt, ein Banffrach hatte ihm vor kurzem Schwere Berlufte gebracht, was Wunder, wenn der alte Herr dem Beiipiel jo vieler folgte, welche das Geld für fich arbeiten ließen, nachdem Sie jelber als verabjchiedete Offiziere die Hände in den Schoß legen mußten.

Das Glück iſt aber heutigen Tages noch) dasjelbe wetterwendijche und launijche Weib, welches e3 jtet3 ge- wejen, und jo wandte e8 Herrn von Eprendlingen treu: (08 den Rüden, um jeinen Goldregen über andere zu ftreuen, welche für den Augenblic feine Günftlinge waren.

Der General erhielt die verzweifelte Nachricht, daß alles verloren ſei, jujt in dem Augenblid, als er fich an ſchickte, mit Frau und Tochter den Kavalierball im Hotel St. Petersburg zu bejuchen, und fie traf ihn derart, daß er als ein zu Tode getroffener Mann unter ihr zu— fammenbrad).

Frau von Sprendlingen ſchien nicht ganz fo unvor— bereitet gemefen, wie man anfänglich angenommen, fie war gefaßter als man glaubte, und Gabriele blicte fo ruhig und zuverfichtlich aus den tränenglänzenden Augen, daß man wohl annehmen konnte, ihre Zufunft ſei durch eine nahe bevorftehende Heirat gejichert.

In Billa Monrepos vollzog ſich voll graujamer Haft und Nüchternheit die traurige Wandlung, welche derartigen Ereignifjen zu folgen pflegt. Die notwendige Auktion Hatte jtattgefunden, und die Damen bereiteten fi) zur Abreiſe vor, denn da fie über feine weiteren

Mittel als die farge Witwenpenſion verfügten, fchien e3 22*

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fraglich, ob fie ein eigenes Heim in der Reſidenz gründen fonnten, vorläufig folgten fie der Einladung einer finder: [ofen Verwandten, welche Frau von Sprendlingen und Gabriele für die Dauer des Trauerjahres zu ſich ge: beten hatte.

Zum lebtenmal ſaßen Mutter und Tochter in den fiebgervordenen Räumen, in welchen fie fo viele, glückliche Fahre verlebt, beifammen. Bon allen Seiten waren ihnen viele herzliche Zeichen von Liebe und Teilnahme geworden, und faſt ununterbrochen famen und gingen die Bifiten, lauter gute Freunde, welche den fo all- gemein beliebten Damen vor dem Abſchied noch die Hand drüden und ihnen Hilfe, Rat und Tat anbieten wollten. Frau von Sprendlingen ftand am Fenſter, und ihr erjt jo ruhiges, bleiches Antlıt jah plößlich fo verſtört, fo ver— zweifelt und verfallen aus, als fei eine Ichte Hoffnung, welche fie im Herzen gehegt, für immer vernichtet worden.

In der erjten Zeit des Schmerzes und der Auf: regung hatte fie an den Grafen von Hohen-Esp gedadıt, wie an einen Netter in der Not, welcher ficher kommen muß, das bitterfte Elend von ihnen abzumenden.

Sie hoffte von Tag zu Tag auf feinen Kondolenz- befuch, er blieb aus.

Sie brachte es nicht über ſich, nach ihm zu fragen und fo erfuhr fie erjt heute zufällig durch eine befreun= dete Dame, daß Guntram Krafft am Morgen nach dem Hotelball Knall und Fall abgereift jei, ohne daß jemand einen Grund für dieſen fluchtartigen Abſchied mußte.

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Den Tod des Herrn von Sprendlingen habe er wohl gar nicht erfahren. |

Tränen tiefiter Hoffuungslofigfeit glänzten in den Augen der verwitweten Frau, und als Gabriele an ihre Seite trat, zärtlic) den Arm um die Weinende zu legen, . da fchluchzte fie laut auf und flüfterte: „Ach meine are, arme Gabriele! Was foll nın aus dir werden?‘

Das junge Mädchen hob das Antli wie tn ſeligem Vertrauen zum Himmel, es ſah in all dein Leid jo verflärt und ruhig aus, als fer ihr nie ein Zweifel an den Glück der Zukunft gekommen.

„Er liebt mih, Mama!”

„Wer?“

Da ſenkte Gabriele dus Köpfchen.

„Hans Heidler! D, Mütterchen, du ahnſt es ja nicht, wieviel liebe Worte er mir noch auf dem le&ten Hofball fagte, wie er mir die Hand drückte, wie unaus— jprechlich viel fein Auge mir gejtand —“

„Sein Auge, aber nicht jeine Zunge!” murmelte Frau von Sprendlingen bitter. „Gabriele, glaubft du wahrlich), daß Heidler je an heiraten gedacht und daß er jogar jetzt noch daran denkt?“

Das junge Mädchen atınete Hoc) auf, preßte wie in begeijterter Verficherung die Hände gegen die Bruſt und nidte.

„Sa, id) glaube es, ich weiß es beitimmt! Ein Mann, der fo ritterlich, fo heldenhaft, fo edel ift wie Hang, betrügt fein Mäpdchenher‘.’

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„Sprachſt du ihn nad) Papas Tode?”

„Ich jah ihn nur bei der Beerdigung! Aber wie er mir die Hand küßte ... wie er mich anſah ...“

Frau don Spreudlingen machte eine ungeduldige Bemegung.

„O Rind! Kind!!“

„Er ſagte mir, daß er in den nächſten Tagen kommen werde —“

„Aber er kam nicht!“

„Er wird kommen!“

„Morgen reiſen wir ab!“

„So kommt er heute noch! Warum mißtrauſt du ihm ſo ſehr, Mama? Warum zweifelſt du an ſeiner Aufrichtigkeit?“

Frau von Sprendlingen ſchlang krampfhaft die Hände ineinander. „Weil ich die Menſchen beſſer kenne wie du, Kind!“ ſagte ſie gepreßt.

„Du biſt jetzt nervös und verbittert, Mamachen, du wirſt einſehen, wie unrecht du ihm tuſt!“

Das ſcharfe Klingeln der Hausglocke drang zu ihnen herauf, Gabriele zuckte mit leuchtenden Augen empor, und auch die Baronin blickte wie in jäher Hoffnung nach der Tür. |

Nach wenigen Minuten ftand der Portier auf der Schwelle, er hielt einen köſtlichen Strauß von Orchi— deen und Tuberojen, jowie eine Vilitenfarte in der Hand.

„Eine ſchöne Empfehlung von dem Herrn Leutnant von Heidler, und er ließe den Damen herzlichit Lebewohl

u Bf er.

jagen und eine. glüdfiche Reife wünſchen! Der Herr Leutnant wäre gern jelber noch .vorgefommen, er. iſt aber zu feinem großen Bedauern verhindert!”

Da die beiden Damen bleich ‚und ſchweigend wie zwei Marmorſäulen vor ihm ſtanden und keine Hand ſich hob, den Strauß in Empfang zu nehmen, legte Ihn der Sprecher: feitlich auf den Tiſch. | „Es iſt nämlich Die Echlittenpartie heute, Die der Herr Oberleutnant arrangierte!” fuhr er fort, mehr aus momentaner Verlegenheit wie aus Geſchwätzigkeit. „Der Enfelin des Herrn Minifiers: zu Ehren, wie meine Frau ſagt, die Hilft ja. manchmal in der Küche bei Exzellenz aus, wie die Damer wiljen! Na, da hört fie fo mancher: lei. Der Herr Oberleutnant ift- jeßt beinahe alle Tage da im Haufe! Die Fräulein Enkelin fol ja wohl ftein= reich: jein, Darum gibt’3 fo ein Felt ums andere! Ja, und was ich noch fagen wollte, Frau Baronin, die werden morgen früh ſchon um ſechs Uhr abgeholt .

Die Dienſtmänner können es nicht gut anders machen... . ud... wie ift es mit einer Drojchke, ſoll id) fie für Die Damen. beitellen? 3 gebe nachher doch noch

mal aus ...“ |

„Ich danke Shen, Hartüch, wir gehen zu Fuß. Die Koffer ſtehen auf dem Flur bereit. Guten Abend!“

Der Portier blickte die Sprecherin betroffen an. So geiſterhaft bleich hatte er die Damen noch nie zuvor ges ſehen, und die Stimme der Gnädigen klang wie aus dem Grabe. |

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* Cr verbeugte fic) und ging.

Wie ſchwer wurde den AÄrmſten der Abfchied! Du fieber Gott, ja, wenn in jolch feine Häufer mal das Unglüd hereinbricht, Dann liegt es immer Doppelt jo ſchwer wie da, wo man gewohnt. war, es von Kindes— beinen auf mit ſich herumzuſchleppen. |

Als fich die Tür gefchlofjen, breitete Frau von Sprend- lingen ſchweigend die Arme nad) ihrer Tochter aus, und Gabrieles Köpfchen ſank wie eine BET Ylüte an die Bruft der Mutter nieder.

Sie ſprach nicht, nur: ein leiſes Zittern rann durch den weichen, fchmiegfamen jungen Körper.

Und dann hob fie jählings das Haupt und blidte

wit herzzerreißendem Lächeln empor. Ich kann es nicht: glauben, daß er nicht mehr kommen wollte, Mama! Er muß ja alle diefe Ver: gnügungen arrangieren, er verfehrt viel im Haufe des Miniſters, weil man ihn viel einlader! Sein Herz weilt jicher bei mir, Mama! Es ift ja ganz unmöglid), daß dieſe meine berrlichite Idealgeſtalt jo kläglich in a und Nebel zerrinne!”

Frau von Sprendlingen küßte die Stirn ihrer Tochter und wiederholte nur leife: „O du armes, armes Kind!“ Dunn wandte fie fi) zur Tür, in.welcher das Stubenmädchen erſchien und mit betrübtem Geficht Die gnädige Frau um ihr Abgangszeugnis bat.

Gabriele blieb allein.

Sie ftand an dem Fenſter und Fee mit erloſchenem

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Blid auf die ftille, winterliche Straße hinab, wo bie Sonne auf Eis und Cchnee glißerte und fröhlich plaudernde Menjchen mit den Schlittichuhen vorüber: cilten.

Sclittengeflingel ertönte von fern und näherte fich in flottem Tempo.

Gabriele ſchrak empor, neigte ſich vor und ſtarrte mit weitoffenen Augen hinab.

Die Schhlittenpartiel

Da flogen fie heran, die Roſſe, mit den bunten, luftig flatternden Schneededen, da klingelten und raffelten die Schellen durch die ſchmetternden Muſikklänge, und die erften Schlitten mit den Trompetern jagten vorüber.

Dann mehrere „Familienſchlitten“ mit den Müttern, Tanten und Papas, und dann, als eriter an der Täte der Jugend, Hans von Heidler neben Fräulein Henny von Larſen. Sie verfchwindet beinahe in dem mächtigen gelben Löwenpelz, ihr ſpitzes Gefichtchen ift dem Dra- goner zugefehrt, und dieſer neigt fich jo vertraut und keck, wie es feine fiegesbewußte Art ift und lächelt der Meinen juft „tief in die Seele!”

D, Oabriele fennt diejeg Lächeln dieſe Augen, dDiefe betörende und beſtrickende Art!

Ihr Herzfchlag tot, fie neigt fich noch weiter vor und ftarrt hinab ... ihre Lippen öffnen ſich, al3 wollten fie voll herben Wehes aufjchreien: „Hans! Hans! haft du feinen einzigen Blid mehr für mi?”

Nein, er hat weder Blick noch Gedanfen mehr für

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die öde, verlajjene Billa, in welche über Nacht die Mrmut eingezogen iſt.

Der Schlitten fliegt vorüber, ohne daß Herr von Heidler Zeit gefunden, einen einzigen Bli nad) dem Fenſter emporzumerfen, hinter welchem das bleiche, lieb— liche Mädchen jteht, dem noch vor wenigen Wochen feine leidenjchaftlichjten Huldigungen galten. Gabriele taumelt zurüd und ſinkt auf einen Stuhl, fie jchlägt die falten, zitternden Hände vor das Antlig und möchte weinen meinen Daß ihre ganze Seele in den Tränen Ddahinfchmelze,.. . . aber ihre Augen bleiben troden und ftarr, und ihr Herz blutet ftill verborgen aus der Wunde, welche faljche Liebe ihr jo graufam gefchlagen.

Ein Jahr war vergangen. Frau von Sprendlingen lebte mit ihrer Tochter fernab der Refidenz in dem ein- jamen Landhaus der Tante, welche viel zu jchrullenhaft, unliebenswürdig und jchroff war, um den beiden ver- lafjenen Frauen auf die Dauer ein behagliches Heim bieten zu können.

Mutter und Tochter hatten fchweren Herzens be— Ichloffen, fich zu trennen.

Frau von Sprendlingen fonnte zur Not von ihrer Witwenpenfion leben, wenn Gabriele ein anderes Unter= fommen fand.

Diefes aber fand ſich troß eifrigfter Bemühungen nicht. Die Stelle einer Hofdame, welche die Herzogin

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für fie an befreundeten Hofe erhofft, war gegen alles Erwarten anderweitig bejeßt, undere Ausfichten zer- ſchlugen fich ebenfalls.

Voll banger Sorge bewarb man ſich dort und hier, doch ſtets ohne Erfolg. |

Da la3 Frau von Sprendlingen eines Tages in einer Frauenzeitung eine fehr annehmbar erfcheinende Dfferte.

Eine ältere Dame auf dem Lande fuchte ein junges, liebenswürdiges und heitereg Mädchen aus vornehmer Familie zur Gefellichafterin. Die Einfendung einer Photographie war zur Bedingung gemacht.

Die Baronin las Gabriele die Anzeige vor, und beide blickten fi in jtummem, wehmütigen Cinver- ftändnis in die Augen. Zur jelben Stunde nod) fehickte Frau von Sprendlingen Gabrieleg Bild an die ange: gebene Chiffre ab.

Ernst und still blidte Gabriele in den leuchtenden Frühlingsinorgen hinaus. Wird eine Antwort fommen ? Wird fie die Stelle erhalten?

Ad, ihr Schidjal, ihre Zukunft find ihr fo gleich- gültig geworden.

Seit fie, faum drei Wochen nad) ihrem Scheiden aus der Nefidenz, Herrn von Heidlers Verlobung mit Kenny, der reichen Erbin las und jehr bald danach durch dei Brief einer Freundin aus der Heimat erfuhr, daß Die Hochzeit des jchneidigen Dragoners troß Der großen Jugend der Braut fehon in den erjten Tagen des Mai

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ftattfinden folle, —- war die Welt Teer und tot für fie geworden. |

Der Mann, welchen ſie bewundert, verehrt, vergöttert hatte, trat ihr Herz voll egoiſtiſcher Rückſichtsloſigkeit unter die Füße.

Er, der kühne, mutige und anerſchrockene Held war zu feige geweſen, den Kampf um die Exiſtenz an der: Seite eines geliebten Weibes aufzunehmen. Und diefe Enttäufchung traf Gabriele herber als der Verluft ihres: eigenen Glückes.

ALS Guntram Krafft fo unvermutet ſchnell nad) Hohen: Esp zurüdgefehrt war, ruhten die Augen der Gräfin. poll bangen Forſchens auf dem erniten Antlit des Sohnes, als könne fie Die Gedanken Hinter feiner Stirn lejen und die Gründe erforfchen, welche ihn jo plöglich heim⸗ getrieben. |

„Warum omft Sn ſchon jetzt zurück, Guntram Krafft? Iſt dir etwas Unangenehmes begegnet?“

Er blickte ihr, ganz gegen ſeine Gewohnheit, nicht in die Augen.

„Wenn du alle geſcheiterten Hoffnungen betreffs einer eigenen Rettungsſtation unangenehm nennſt, dann Pal ift mir viel Argerliches begegnet!“ |

„Und nur darum bift du Hals über Kopf abgereift?” |

Er antwortete nicht direkt auf diefe Frage, ſondern er ſtrich ſich langſam die blonden Haare aus der Stirn:

„Ich befam Heimweh, Mutter!” jagte er leije, mit

einem beinahe jchwermütigen Klang in der Stimme, „es gefiel mir nicht zwiſchen all den freinden Menfchen. Sch fam mir jo überflüjjig, fo vereinfamt dort vor. Ihre Intereſſen find nicht die meinen, ihre Sitten und An: fichten find neu, Die meinen alt. ch verjtehe das Tanzen und Plaudern gar nicht, oder doch jehr fchlecht im Ber: gleich zu den anderen Herren. Die Leute waren nicht unfreundlih zu mir, aber auch nicht fo, daß ich mich tatfächlih unter ihnen wohl gefühlt hätte. Dazu wehte der Sturm fo vorwurfspoll daher und mahnte mich, daß es gerade jeßt viel ernite Arbeit daheim gäbe. Da hielt es mich nicht länger. ch jehnte mich heim zu dir, Mutter, hier ijt mein Plah! Du haft mid) lieb... . gleichviel wie ich bin!’

Die lekten Worte Elangen noch leifer und wehmütiger wie zuvor, und Gundula trat neben feinen Cefjel und drückte voll weicher Innigkeit das Haupt des Sohnes an die Bruft.

Ihr Blick ward nachdenklich und verjchleiert, wie eine bange Sorge fam es plößlich über fie.

Waren dies die Früchte, welche fie von ihrer ftarren und eigenwilligen Erziehung erntete? Hatte fie ihr Kind der Welt und dem Leben fo völlig entfremdet, daß e3 nun einfam und verlaffen blieb, jein Leben lang? Wiederum durchbebte die alte Bitterfeit ihr Herz.

Hatte fie darum zeitleben® gearbeitet und raſtlos geichafft, die verlorenen Güter zurüdzuerwerben, um ihren Sohn als trübfeligen alten Junggeſellen darauf zurüd-

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zulaſſen? Oder war es eine heimliche Kinderliche, welche

Guntram Srafft jo feit und treu im Herzen jaß?

Er hatte jtets jo gern mit Mike, der blonden fleinen Fiſcherdirne ges ſpielt, er hatte als Füngling tm Dorffrug mit ihr getanzt... . wäre es möglich, daß er ſein Herz an fie verloren, troßdem die Gräfin ihn jo ſorgſam

in den Anfichten, Manieren und Pflichten feines Standes erzogen hat?

Gundula feufzte tief auf.

ge nun, mußte jie das Glück für ihr Kind auch tief, tief von unten heraufholen ... . es jofl ihm werden, beſſer er freit ein Fiſchermädchen als feine.

Die anfänglich fo ſchwermütige Stimmung des jungen Grafen ſchwand von Tag zu Tag. Der Sturm heulte daher und fchien nur auf die Rückkehr Guntram Kraffts gewartet zu haben, um jeine gewaltige Saft nit Der des Bären zu meljen!

Da gab es feine müßige Beit mehr, = war es vor⸗ bei mit dem wehmütigen Sinnen und Grübeln!

Täglich faſt gab es ſchwere Arbeit!

Schiff in Not! Und der Bär von Hohen⸗ Esp reckte voll kühnen Muts die Pranken, ſcharte ſeine Getreuen um ſich und warf ſich in tollem Wagemut gegen die brandende Flut, der Tiefe ihre Opfer zu ent— reißen.

Die Kälte ward von Tag zu Tag grimmiger, im Hamelwaat knirſchte das Eis... . das war die böſeſte Zeit.

Zwei Tage lang lag der Nebel did und feſt wie ein Brett vor der Eee; als ihn ein neu einfeßender Sturm auseinanderriß, Jtürzte ein Schiffer zur Burg und mel- dete, daß aus dem Waat das Wrack eines gejunfenen Schoner3 rage. In den Maſten jei noch Mannjchaft zu erfennen. Das war ein fürchterlicher Tag und eine granenpolle Fahrt!

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Das erſte Bot zerichellte in der Brandung, und Guntram Srafft und feine freiwilligen Lotſen fonnten felber kaum geborgen werden; doch kaum, daß fidh die Erjchöpften erholt, bemannte der Graf ein zweites Boot, welches er in aller Eile zwedmäßig eingerichtet hatte.

Er ließ den fehlenden Luftfaften durch leere Fäffer, welche möglichit gut verjpundet und unter die Duchten gelajcht wurden, erjegen, ließ Ballaft einlegen und einen Lenzſack nachbugfieren, um das Boot möglichit vor See zu halten und ein Beidrehen zu verhindern.

Dann ging e3 mit frifchem Mut abermals hinaus, und nach zmeiftündiger jchwerer Arbeit braufte das jubelnde Hurra der Heimfehrenden durch das Heulen der Flut. Sie hatten ſechs Mann eingeholt.

Raum, daß man die Schiffbrüchigen noch zu den Lebenden zählen konnte.

Zwei Tage und Nächte lang waren fie ohne Nahrung gewefen, ihre Zage in der Tafelage bei Sturm und bit: terer Kälte bedeutete eine geradezu unbejchreibliche Dual.

Gräfin Gundula ließ die Öeretteten nach Hohen-Esp Schaffen und nahm ihre erfrorenen Glieder in Pflege, bis ein Arzt zur Stelle war.

Diefe heldenmütige Rettung wurde befaunt. Gun— tram Rrafft und feine Lotſen erhielten die Rettungs— medaille und ein anjehnliches Geldgefchent, und mit leuchtenden Augen jtürmte der Graf in da3 Bimmer

feiner Mutter: „Nun können fie heiraten! ich habe Nv.Cihftrutd, I. Iom.u. Nov., Die Bären von Hohen-Esp I. 23

meinen Anteil an Jöſchen abgetreten, dann reicht’3 zur Ausitattung, und den Kleinen Kathen am Seehaus habe ih ihm ja fchon lange versprochen, den fann er fich in Gottes Namen zur Wohnung einrichten!”

„Jöſchen will heiraten?” fragte die Gräfin über- rafcht; „davon ahne ich nichts; wen hat er fich zum Schatz genommen?”

‚Kun, die Mike! Die beiden find doch ſchon von Kindesbeinen an Brautlente!” lachte der Bär von Hohen: Cap. „Wie mand) liebes Mal hat der Jöſchen ihr feinen Apfel gefchentt, und als er von der Marine zurücfam, brachte er ihr fchon den Ring mit. Es jollte nur nicht laut werden, bi3 fie Austicht hätten zu freien, find ja beide fo blutarm! Aber nun ijt das Geld beifammen, und ich denfe, fie warten den Mai faum ab!

Gundula blidte ſtarr in das friſch gerötete Antlig des Sohnes.

Mike heiratet den Jöſchen! und Guntram Krafft er: zählt e3 ihr mit lachendem Munde. Nein, fo fieht feiner aus, der felber in das Mädel verliebt ift.

Nachdenklich jenft die Gräfin das Hauvt, ihr Sohn aber ſetzt ſih nahe an ihre Seite und ırlımmt zärtlich ihre Hand zwiſchen die feinen.

Er fieht fie an, fo findlich bittend wie ſtets, wenn er etwas auf dem Herzen bat.

„Mutter !”

„Was willſt du?“

„Warſt du zufrieden mit unſerer Arbeit?“

„Sehr zufrieden, Gott lohne ſie euch!“

„Sie hat ung aber einen jehr ſchweren Verluſt ges

bracht!“ „Wieſo das?“ „Unſer einzigſtes Rettungsboot, welches wir mit ſo vieler Mühe als ein Peakeboot zu— rechtgemacht hatten, iſt von der Seezerſchlagen!“ „O! es wird ſich Erſatz finden!“ „Mutter!“ flüſterte Guntram Krafft und legte den Arm um die Gräfin: „Möchteſt du mich wohl einmal recht glücklich ſehen?“

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„Welche Frage!“

„Du boteſt mir jüngſt an, ich ſolle auf Reiſen gehen, fremde Länder und Völter ſehen . ..“

„Ganz recht! Haſt du dich entſchloſſen?“

„Nein, Mutter. Ich möchte dich aber recht inſtändig bitten, mir das Geld, welches ſolch eine Reiſe koſtet, zu geben!“

„Wozu das?“

Guntram Krafft hob mit leidenſchaftlicher Bewegung das Haupt.

„Es iſt ſeit Jahren mein ſehnlichſter Wunſch, eine regelrechte Rettungsſtation hier zu errichten. Mit der nötigen Ausrüſtung und Unterſtützung brauche ich meine braven Jungens nicht annähernd ſo zu exponieren wie jetzt. Von fremder Seite haben wir keine Unterſtützung zu erwarten, wollte man uns helfen, hätte man es jetzt getan, nachdem die Rettung der Schiffbrüchigen die Aufmerkſamkeit auf uns gelenkt. Da heißt es alſo hilf dir ſelber! Ich habe keine andere Paſſion, keine anderen Intereſſen mehr auf der Welt, als wie das Rettungsweſen, ich kenne keinen höheren Wunſch, als aus eigenen Mitteln einen Schuppen mit Ausrüſtung, Boot und Apparaten hier aufzuſtellen.“

Gundula ſah dem Sprecher tief in die Augen.

„Wenn es dir ernſtlich darum zu tun iſt, ſo ſteht der Ausführung deines Planes gewiß nichts im Wege!“

„Mutter!“ Der Graf war dunkelrot geworden, „und das Geld dazu?“

357

„Du bit majorenu und fannjt über dein Vermögen verfügen !”

Er umframpfte die jchlanfe Hand der Gräfin: „Mein Vermögen? Alles, was. wir bejißen, halt du verdient, e3 it dein Eigentum, Mutter ... und zehntaujend Marf ilt wohl das mindefte, was ich benötige !”

Gundula lächelte, zum erftenmal ſah ihr ernſtes Antlit beinahe heiter aus in dem Gefühl, dem Sohn, welchen fie über alles liebte, einen Wunsch erfüllen zu fünnen.

„Du weißt, daß ich für Dich arbeitete, und du Halt mir feit Jahren redlich dabei geholfen. Die zehn- taujend Mark Haft du dir felber reichlich verdient. Nie du fie anwenden willſt, ift deine Sache fie liegen bereit!”

Das Antlib des Grafen piegelte die unausjprechliche Freude, welche er empfand. Er fchlaug die Arme um die Sprecherin und dankte ihr fo ftrahlend glücklich, als jet das Geld ihm zu Genuß und Vergnügen, nicht aber für fremde Not gejpendet.

Seit langer Beit hatte man Guntram Krafft nicht fo heiter und lebhaft mehr gejehen wie jebt, wo er voll ungeduldigen Eifers fogleich) den Bau des Nettungs- ihuppens in Angriff nehmen und feine notwendige Aus— rüftung berjtellen ließ.

Alles leitete und ordnete er ſelbſt, und bei der rege Beichäftigung blieb ihm feine Zeit, trüben Gedanken nachzuhängen.

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Die Gräfin atmete, wie von Bentnerlaften befreit, auf.

Sie glaubte nun überzeugt zu fein, daß feine uns glückliche Liebe das Herz des Sohnes erfranfen ließ und feine zeitweife, unerflärliche Schwermut in der Tat nur dem Kummer entfprang, welchen jeine vergebliche Miſſion in der Nefidenz ihm verurjadht.

Gundula grübelte und fann, wie fie ihren Liebling zu einem glüdlichen Mann und Gatten machen Fünne.

Ihn in die Welt zu ſchicken, hatte feinen Zwed, denn der Graf war zu ungewandt und fremd in der Gefell- ichaft, um den Mut zu Haben, als Freier aufzu— treten.

Auch ſchien es ihr ratfamer, dem fo fehr Uner- fahrenen in dieſer wichtigen Angelegenheit zur Seite zu ſtehen. So verging Monat um Monat, da fam ihr ein guter Gedanfe.

Sie ſuchte in einer viel gelefenen Frauenzeitung eine junge Gejellichafterin aus bejter Familie, und mählte aus den eingefandten Photographien diejenige heraus, welche ihrem ſcharfen Auge am pafjenditen für ihren Plan erjchien.

Zu diden Stößen famen die Briefe an.

Die Gräfin jaß in ihrem ftillen Turmzimmer, in welches die Zrühlingsjonne ihre goldhellen Strahlen warf und erbrach voll lebhaften Intereſſes ein Schreiben nad) dem andern.

Wie viel verſchiedene Schriften, Schidjale, Bilder! Gundnla ſah ein jedes derjelben lange fcharf und prüfend

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an, doch da war feines, welches ihr fo recht von Herzen iympathijch war.

Die nächſten Tage brachten neue Mafjen von Zus Ichriften, und die Bärin von Hohen-Esp lag und über- legte und prüfte, bis fie plößlic) daS Haupt jählings vorneigte und beinahe betroffen auf ein reizendes Mäd- chenantli jchaute, welches mit wunderſam erniten, großen, Haren Augen aus dem Brief zu ihr empor fchaute.

Dem Anzug nad) jchien fie in er Trauer, sticht, einfach und anſpruchslos.

Die Gräfin überflog den Brief, welcher nur fehr furz im Verhältnis zu den meilten anderen war. Sie jah nach der Unterfchrift: „Marie Antoinette, Freifrau von Sprendlingen, geborene Freitn von Dryfurth.”

Ein guter Name. Und fie jchrieb, daß fie für ihre Tochter Gabriele, 23 Jahre alt, muſikaliſch, perfekt im Engliſchen und Franzöſiſchen, geichidt in Hundars beiten, aber noch unerfahren im Haushalt, eine Stelle als Gefellfchafterin juche. Ihre Verhältniffe, welche jeit dem Tode ihres Mannes jehr traurige feien, zwängen fie leider, fi) von ihrem Kinde zu trennen.‘

Gundula nickte nachdenklich vor ſich Hin. Eine Witwe, welche ein Unterfommen für die Tochter ſucht ... Arme rau!

Mieder und wieder nahm fie Gabrieles Bild zur Hand, auch dann noch, als fie alle anderen Schreiben geöffnet und die Photographien recht gleichgültig beifeite gelegt hatte.

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Wie eine geheime, unerflärliche Gewalt zog es fie zu dem entzückenden Antliß mit den rätjelhaften Augen.

Ein Bild täufcht ja jehr, vielleicht war die Kleine in Wirklichkeit nicht annähernd ‚fo ſympathiſch, aber gleid)- viel, darauf mußte man es eben ankommen laffen und es abwarten, ob Fräulein von Sprendlingen dem Ge— Ihmad Guntram Kraffts entiprechen wird.

Kurz entjchlofjen griff die Gräfin zu Feder und Papier und fchrieb an Frau von Sprendlingen, daß fie gewillt jei, ihre Tochter voll herzlicher Freundlichkeit in ihren Haufe aufzunehmen.

M

XVIII.

Ein paar Tage waren ver— gangen.

Es dämmerte. Guntram Krafft war ſoeben von dem beinahe voll— endeten Rettungsſchuppen heimge— kehrt, hatte die Kleider gewechſelt und trat haſtig in das große, uraltmodiſche Wohngemach der Gräfin, um ihr voll lebhafter Begeiſterung von dem vorzüglichen Boot eigener Konftruftion einem zweck— mäßigen Gemijch von Françis- und Peakeſyſtem welches man jveben geprobt hatte, zu berichten.

Gundula trat ihm entgegen, lebhafter, elaftijcher Ichreitend wie fonjt.

Sie hielt einen Brief in der Hand und Hub bereits von weiten an zu jprechen:

„Endlih kommſt du heim, Ountram SKrafft; ich wartete mit Sehnfucht auf dich, um eine Angelegenheit

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mit dir zu bereden, für welche du bisher noch niemals recht Zeit hattet. Nun ift fie vollendete Tatſache und die höchfte Zeit, daß du davon erfährjt

Der Graf blickte die Sprecherin erjtaunt an, jchob ihr voll ritterlicher Höflichkeit einen Sefjel herzu und lehnte ſich erwartungsvoll ihr gegenüber an ben Tiſch.

Die Gräfin ſetzte ſich nieder und ſchien gewaltſam gegen eine gewiſſe Befangenheit anzukämpfen. „Ich bin ſeit langen Jahren ſo allein, entbehre jeden Verkehr mit Damen und werde nun auch ſo alt und abſtändig, daß ich kaum noch allein dem großen Hausweſen vorſtehen kann . . .“

Guntram Krafft lachte beinahe übermütig auf, ſchwieg aber und blickte die Sprecherin aufmerkſam an.

„Ich habe mir daher eine Geſellſchafterin engagiert und hoffe, daß du aus Rückſicht für mich mit dieſem Zuwachs einverſtanden biſt!“

„Ah! Das nenne ich vernünftig!“ rief der Bär von Hohen-Esp ſehr erfreut und durchaus harmlos: „Dieſe Idee iſt einen Dukaten wert und hätte dir bereits zehn Jahre früher kommen ſollen! Haſt du ſchon jemand gefunden?“

Die Gräfin öffnete mit geheimnisvollem Lächeln hei Brief, entnahm ihm eine Photographie und reichte jie dem Sohn dar.

„Wie gefällt dir meine künftige kleine Genoffin, welche, fo Gott will, frijches Leben und recht viel Sonnenjchein mit in das Haus bringt ?” |

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Guntram Krafft nahm lächelnd das Bild und trat demit in die Fenjternifche, um beſſer jehen zu können.

„Wenn fie nur deinen Beifall findet, Mama, dann bin ich gern mit einer jeden zufrieden!”

Er neigte fich vor und blidte auf das Bild. Einen Augenblik jtarrte er es an, feine Hand zudte und fein Antlig überzog eine tiefe Bläffe.

Regungslos ftand er und fchaute in dag füße, ernite, finnende Gelichtchen.

Ein Zittern flog durch feinen Körper, wie feurige Nebel wogte und wallte es plöglich um ihn her und fein Herz lag regungSlos, um plötzlich in deſto wilderen Schlägen, atemraubend loszuftürmen.

Er ftand abgewandt von der Gräfin und dieje fah nicht die auffallende Veränderung, welche mit dem jungen Mann vor fich ging.

„Run?“ fragte fie endlich: „äußere dich Doch! Sit das Geficht nicht entzüdend? Wenn die Augen alles dus halten, was fie hier verjprechen, jo muß die Kleine ein jehr liebenswertes Mädchen fein!“

„Wie heißt fie?” ſtieß Guntram Krafft kurz und beinahe raub hervor. |

„Ab fol Ich vergaß, dir Fräulein Gabriele von Sprendlingen im Bilde vorzuftellen —“

„Sabriele von Sprendlingen!” Das Hang wie ein leiſes, faum verjtändliches Aufjtöhnen.

Die Gräfin beachtete es nicht, fie ſah nur voll großer Senugtuung, daß der junge Weiberfeind dag Bild noch

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immer in der Hand hielt, daß fein Anblid ihn fraglos ebenjo fejjelte, wie zuvor die Mutter.

„Der Vater war General, ftarb vor einem Jahr un= gefähr, ganz plöglich und da er durch das Fallijjement einer bedeutenden Firma jein ganzes Vermögen verlor, hinterließ er Frau und Tochter in den drüdenditen Ver: hältnijjien. So entſchloß ſich Frau von Sprendlingen nun, die Tochter fortzugeben —“

„Bot fie dir diefelbe an?” Guntram Krafft ſtieß die Worte furz hervor.

„Auf meine Annonce in der Zeitung hin —“ „Inſerierteſt du unter deinem vollen Namen?’ „Aber Guntram! Hier ift der Zeitungsausfchnitt, erbat die Antworten unter Chiffre ©. H. 1000.” „Und darauf antwortete fie?!”

„Wie fragit du fo wunderlich! Gewiß!“

„Wo lebt Frau von Sprendlingen ?’

Die Gräfin blidte auf den Brief nieder und nannte eine fleine Stadt des Herzogtums, der Bär von Hohen-Esp aber blidte ftarr zu dem Fenſter hinaus und ſchwieg.

„Du meinſt doch auch, daß ich den Verſuch mit Gabriele wage?“ fuhr die Gräfin ein wenig unge— duldig fort.

Er ſtrich langſam mit der Hand über die Stirn, ſein fahles Antlitz ſah ſo gequält aus, wie bei einem Menſchen, welcher die Folter erduldet. „Darüber haſt du allein zu beſtimmen —“

ich

m

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„Ich bin völlig einig mit mir und habe der Baronin bereit3 geſchrieben!“

Mieder zudte der Graf zufammen: „Nun, fo iſt e8 ja entſchieden!“ ſagte er tonlos.

„Willſt du das Bild noch behalten?“

Er machte eine jähe Bewegung. Sein Blick traf wieder das füße Antlitz, welches ihn mit den mwunderfamen Nirenaugen fo groß und ruhig anſah. Dann fchob er die Photographie jäh von fih, feiner Mutter zu.

„Rein; ich danke.“

„Se nun, ich hoffe, du lernt bald das Driginal kennen.“

„Wann ... wann trifft die junge Dame hier ein?”

„Anfang nächſten Monats. Es gibt zuvor wohl noch verjchtedene Angelegenheiten zu erledigen.”

„Sagteſt du nicht, daß fie verlobt ſei?“

Die Gräfin hob erjtaunt das Haupt. „Durchaus nicht! Die Damen ftehen ganz allein und ohne Schuß in der Welt! Wie kommſt du darauf?”

Guntram Krafft neigte finfter das Haupt. „Ich irrte mich) wohl. Mir geht heute fo viel im Kopf herum. Heute nachmittag haben wir eine Eleine Probe: fahrt mit dem neuen Boot gemacht, darüber wollte ich dir berichten.”

Die Gräfin ſchob dag Bildchen in den Brief zurüd, erhob fich Haftig und legte den Arm in den des Sohnes.

„Sa, erzähle mir! Du haft foeben meinen Anz gelegenheiten dein Intereſſe gejchenft, num wollen wir

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bon dem plaudern, was dir am Herzen liegt!” Sie trat in das hellere Senfterlicht und ſah betroffen in das Antlit des jungen Bären empor: „Haft du Ärger und Verdruß gehabt, Guntram Krafft?” fragte fie beforgt, „du ſiehſt ganz veritört aus... oder fühlt du did) etwa krank?“

Er zwang fi) gemwaltfam zu einem beitern Ton. „Seinen gefunden Hofjungenärger hat man ja öfters, Mutter, und daß die Eiche nicht auf den eriten Streich fällt, und bie und da noch Heine Mängel zutage treten, iſt felbftverjtändlih. Im großen ganzen bin id) jehr zufrieden mit dem Schuppen und voll Glück und Dank gegen Gott und dih! Daß in Walgleben das neue Arbeiterhaus fehon im Rohbau aufgeführt ift, weißt du?’

„Selbitverftändlich.”

„er beauflichtigt die Sache eigentlich?”

„Run, der Inſpektor, du warſt doch damit ein« verſtanden!“

Der Graf wandte ſich zur Seite und ſchob den ſchweren Damaſtvorhang noch mehr von den Butzen— ſcheiben des Erkerfenſters zurück.

„Ich habe viel darüber nachgedacht, Mama! Es iſt eigentlich recht vertrauensſelig und leichtſinnig von uns, daß wir uns nicht ſelber um den Bau kümmern!“

„Wir wiſſen, daß dieſe Angelegenheiten ſeit fünfzehn Jahren in den beſten Händen liegen, Inſpektor Braun iſt doch wohl als durchaus zuverläſſig erprobt.“

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„Es würde mich interejlieren, das Haug einmal in Augenschein zu nehmen, man fann doc) jo manches noch ändern und befjern . . .”

„Selbftverjtändlih! Sch würde jehr glücklich fein, wenn du einmal hinführjt! Möchteft du gleich morgen...”

„Morgen? nein!” Der Graf unterbrady die Spre: cherin mit einer gewiſſen Haſt: „Momentan Tann ich nicht gut hier abfommen, id) muß die Zeit wahr: nehmen, wo die Änderungen an dem Boot vorgenommen werden, die Tafel haft zu leicht aus... und die Niemen müffen oben auf den Duchten feitzulegen fein .. .”

„Nun, wann denkſt du zu fahren?”

Guntram Krafft wandte ſich noch mehr zur Seite.

„So bald wie möglich! Vielleicht Anfang nächiten Monats —“ jagte er leichthin, wandte fich plößlich und bot der Mutter den Arm: „Und nun begleite mich noch einmal in den Garten, Mamachen! Es iſt ein wunder: voller Abend, und ich möchte jehen, wie weit der Gärtner mit Den neuen ne gekommen iſt!“

Gabriele von Sprendlingen war im Reiſekleid und legte noch die letzten Gegenſtände in den kleinen Hand— koffer, um pünktlich bereit zu ſein, wenn der alte Kutſcher vorfuhr, ſie zur Bahnſtation abzuholen. Sie ſah ſo ſtill und ernſt und ruhig aus, als ob all der Wechſel und Wandel, welcher ſich nun mit ihr begeben ſollte, u die mindefte Erregung wert fei.

Sie follte die Gefellichafterin einer alten, einfamen

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Frau werden, einer Frau, welche man in der Welt als verbittert, hart und menjchenfeindlich fchilderte.

Es war jerojtverftändlich, daß ein junges Mädchen in ihrer Umgebung mit dem Leben abgejchlofjen haben mußte, und weil Gabriele dies getan, weil e3 in ihrem Herzen alt und dunfel geworden war, jeitdem die jirahlende Sonne ihres Ideals, ihres Schwärmens und ihrer Be: geifterung aus ihrer ftolzen Höhe herabgejunfen war, zertrümmert und vernichtet für ewige Zeiten, weil jeit diefer Stunde das Dafein doch allen Wert und Reiz für fie verloren, deuchte e8 ihr fein Opfer, fich jet jchon lebendig in Hohen-E3p zu begraben.

Als ihre Mutter mit aufgeregt heißen Wangen zuerit die Nachricht brachte, daß es die Gräfin Hohen-Esp fei, welche die Gefellichafterin fuche, und daß fie Gabriele vor allen andern Bewerberinnen den Vorzug gegeben und fie engagiert habe, blickte das junge Mädchen jo gleich- gültig auf den Brief Gundulas nieder, als gehe fie der- jelbe faum etwas an.

Und als Frau von Sprendlingen in ihrer Erregung eine Andeutung machte, daß nun das Glück vielleicht doch noch einmal bei ihnen anflopfe, wenn Guntram Krafft feiner ehemals jo jchnell entflammten Neigung treu geblieben, da wuchs die jchlanfe Mädchengeftalt hoch und ftolz empor, und die Haren Augen blibten jo abweijend wie ehemals, als fie die Bewerbungen des Grafen voll ehrlicher Gleichgültigfeit zurückwies.

„Wenn Du Dich ſolch trügerifchen Hoffnungen hin—

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gibit, Mama iſt es beſſer, ich nehme die Stelle über- haupt nit an! Glaubt du, die Armut und Ver: lafjenheit hätte mich derart entnervt und erbärmlich gemacht, daß ich einen ungeliebten Mann heirate? So unmoralifch werde ich niemals denfen und niemals handeln!”

„Ber fagt, daß du ihn nicht lieb gewinnen wirft?!”

Ein herbes Lächeln fpielte un Gabrieles Lippen. „Die Liebe iſt ein jo ſehr verfchiedener Begriff, dem einen ift fie nur Mittel zum Zweck nur Beitvertreib ein Nechenerempel oder Geſchmacksſache. Für mic) wird fie ftet3 der Höhepunkt leidenſchaftlicher Be— wunderung und Berehrung fein... Du haft oft über dDiefe ſchwärmeriſche und fchrullenhafte Anficht gelacht, Mama, geändert habe ich fie trogdem nicht. Ich will in dem Mann, welchen ich liebe und welchem ich ange: höre, mehr fehen, wie einen Durchſchnittsmenſchen, er foll das deal verförpern, welches mein Patriotismus, mein ftolzer, begeijterter Sinn ſich gefchaffen. Das kann der Graf von Hohen-Esp nicht, denn es iſt nichts in feinem Weſen und Handeln, was mein Herz höher Ichlagen, was es in fcheuem Staunen erzittern und in juuchzender Bewunderung erglühen läßt! Sein Nanıe, jein Geld, fein hübſches Geficht exiftieren für mich nicht, denn fie machen mir nicht den mindeiten Eindrud. Darum bitte ich dich von Herzen, Mama, nähre feine falſchen Hoffnungen, die Enttäufchung würde zu bitter ein.“ N.v. Eſchſtrut h, Ill. Rom. u. Nov., Die Bären v. Hohen⸗EspII. 24

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Seufzend neigte die Baronin das Haupt und fehmwieg, jett aber, als fie von der Tochter Abjchied nahm und die jchlanfe, graziöfe Mädchengeftalt in die Arme jchloß, da blickte fie noch einmal mit flehendem Blid in ihre Augen und fagte nur leife: „Wie würde ich jo glücklich fein, Gabriele!“

„Das glaube ich nicht, Herzensmama! Kine Mutter, die ihr Kind wahrhaft lieb hat, ijt niemals glüdlich, wenn fie dasfelbe unglüdlich ſieht!“

Das war leider Gottes eine Wahrheit, gegen welche fich nicht ftreiten ließ, und jo fah rau von Sprendlingen ihre Tochter in der Überzeugung fcheiden, daß Gabriele tatfächlich entjchloffen war, eine glän— zende Zukunft ihrer Gefühlsfeligfeit und Phantafterei zu opfern.

Es war ein regnerischer Yrühlingstag.

Der Himmel verſchwamm in grauen Dunſtmaſſen, müdes Dämmerlicht lag über den fnojpenden Wäldern, durch welche Gabriele der Burg Hohen-Esp entgegenfuhr, und nur hie und da ftrich ein feufzender Windhauch da= ber, die fchweren Regentropfen gegen die Wagenfenjter zu werfen.

Bon der See jah man nichts, der Nebel hatte fie ver- Ihlungen, und als Hohen-Esp mit jeinem dunflen, ur— alten, epheuumjponnenen Gemäuer aus den Wipfeln auf: tauchte, machte e3 einen noch melancdholijcheren und öderen Eindrud wie ſonſt.

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Der ſtumpfe Turm, der eckige Quaderbau mit den kleinen, unregelmäßigen Fenſtern, der ſchilfbewachſene Wallgraben und die wunderliche Zugbrücke, welche immer noch zu dem grauen, mit Türmchen flanfterten Tor auf— ‚gezogen werden fonnte, machten den Eindrud eines ver- räucherten Spufneftes, einer echten, rechten Bärenhöhle, bei deren Anblie man fich eines leichten Grauens nicht erwehren kann.

Sehr günjtig war der erjte Eindrud, welchen Gabriele von dem Stammfiß der Hohen-Esp erhielt, nicht, aber das junge Mädchen war fo weit entfernt von aller fin= diichen Furcht und Voreingenommenheit, daß fie inter: ejjiert und von der Cigenartigfeit dieſes Schlofjes ge-

feſſelt, um fich blidte, als der Wagen langjam in den 24*

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engen Burghof einiuhr. Da jtanden wie zwei gewaltige, unheimliche Wächter, gleih rechts und linfs von dem Tor die fteinernen Bären, welche mit der einen Pranfe das Wappenſchild, mit der anderen eine ‚yadel empor= hielten, ın welcher abends eine rotleuchtende Laterne brannte.

Die alten Geſellen ſind von grünlicher Moosjchicht überzogen, ebenſo verwittert und alt, wie die anderen Bären, welche auf den Sodeln der zyreitreppe jtehen.

Cine gewölbte, ziemlich niedere Pforte mit ſchweren Gijenbejchlägen führt in das Innere der Burg, über ihr prangt abermals, zwijchen zwei liegenden Bären, das Wappen.

Die eingemeißelten Verzierungen, welche ſich in ſchmalen Feldern unter den Fenſtern hinziehen, zeigen ebenfalls Bärenköpfe, und wohin Gabriele im erſten Augenblick ſchaut, blickt ſie auf grimmig geöffnete Rachen, drohend erhobene Pranken oder in zornmutige Bären— augen, welche trotz Alter und Verſtaubtheit wunderbar lebendig auf ſie herabſtarren. Und im erſten Augen— blick erſcheint ihr auch die hohe, markige Frauengeſtalt, welche ihr in der Pforte entgegentritt, mehr bärenhaft, wie menſchlich. |

Das dunkle Trauergewand, welches an der imponie— renden Figur in vollen Falten hernicderfällt, der breite, ſchwarze Pelzfragen um die Schultern, welchen Gundula des falten Wetter3 wegen umgelegt, lafjen die Gräfin von Hohen-Esp noch gewaltiger erjcheinen wie ſonſt.

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Sie tritt der Ankommenden entgegen und bietet ihr mit herzlichem Willkommen die fchlanfe, weiße Hand zum Gruß, und unter den filbernen Scheiteln und der Haren, hohen Stirn leuchten Gabriele ein Paar jo jchöne, edel- bliclende Augen entgegen, daß fie das Empfinden hat, als ftröme es unter diefem Blick ganz ſeltſam warm zu ihrem Herzen.

Sie küßt die Hand der Gräfin, fie dankt für das gütige Wohlwollen, welches fie hierher kommen hieß, und Gundula ſchaut einen Augenblid tief und ernſt in das Antlik des jungen Mädchens, nidt freundlich und drüdt die kleine Hand fräftig in der ihren.

„Gebe Gott, daß wir einander lieb gewinnen, und daß Sie gerne bei ung weilen!” fagt fie jchlicht, wendet fih an den alten Diener und gibt Befehl, das Gepäd in das Zimmer des gnädigen Fräuleins zu fchaffen.

„Ich führe Sie, liebe Gabriele! Wenn e8 Ihnen recht ift, fchlafen Sie in meiner Nähe, denn anfänglich wird es Shnen ungewohnt und unheimlich genug bei ung fein!” Sie jchreitet nach der enggemwundenen, tief dunkel— gebräunten Holztreppe und legt die Hand auf einen der Bärenköpfe, welche die Schniberei zeigt... „Fürchten Sie fich nicht vor diefen zottigen Burfchen, welche Ihnen bier auf Schritt und Tritt begegnen! Sie find unjere lieben Freunde, fie gehören zu uns und in dieſes Haus wie gute Schubgeifter, welche man nicht vertreiben darf. Fürchten Sie ſich vor den Bären?‘

Gabriele lächelt.

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„Sicht im mindelten, Frau Gräfin! Ich bin über: zeugt, daß diejelben aud) mich bald als Freundin diejes Haufes erkennen und bejchügen werden.”

‚Hier ift Ihr Zimmer, ein Turmſtübchen, fo Klein und niedrig, wie es unjere Altvordern gemütlich fanden. Der Blick ift ſchön, Sie jehen aus dem Fenſter Wald und See, und wenn Ihr Herzchen nicht ullzujehr an der bunten Welt und ihrem Leben und Treiben hängt, wird Ihnen diefe ftille Poeſie ficher gefallen.”

„Ich wußte, daß Sie mid) erwartet, Frau Gräfin, und bin gern gefommen. Wenn man die Welt durch Tränen anfieht, tun ihre grellen Farben dem Auge weh.”

Wieder blidt Gundula in das ernfte, finnende Antlitz der Sprecherin, fie legt die Hand auf ihre Schulter.

„Beh und Leid haben Ihr junges Herz krank ge= macht, gebe Gott, daß e8 bier gefunde! Be icheiden Sie die Leute, wo Ihre Koffer aufgejtellt werden follen, recht? zur Seite hier befindet fich ein geräu- miger Wandſchrank. Paden Sie allein aus oder wünſchen Sie Hilfe? Hanne fteht zu Ihrer Verfügung.”

„Ich danke, Zrau Gräfin; ich bin gewohnt, mid) allein zu bedienen.”

Gundula nidt jehr befriedigt. „Das iſt recht. Mir gefällt e3 gut, wenn ein Mädchen jelbjtändig iſt. In erfter Zeit werden Sie allerdings noch manches erfragen müffen, bi8 Sie auf Hohen-Esp Beicheid wilfen, am liebften ift eg mir, Gabriele, Sie wenden fi) an mich, ich habe jtet3 Zeit für Sie.‘

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„Ich danke von Herzen, Frau Gräfin.“

„Und jetzt laſſe ich Sie allein, Sie werden eine kurze Zeit der Ruhe bedürfen. Im zwei Stunden er- warte ich Sie zum Eſſen. Wir find vorläufig allein im Haufe, mein Sohn mußte für furze Zeit nach Walsleben fahren. Alfo auf Wiederfehn, liebe Gabriele, Gott der Herr jegne Ihren Eingang in dies Haus.”

Die Sprecherin zieht das junge Mädchen an fich und berührt mit ernftem Kuß feine Stirn, dann geht fie.

Wie im Traum fchaut Gabriele der hohen Frauen geitalt nad).

Sie fieht aus, wie ein fchönes, ehrwürdiges Bild, welches aus dem Rahmen gejtiegen, durch diefe dämmrig ſtillen Räume zu fchreiten. Wie paßt fie in diefes Haus!

Fürwahr eine Bärin von Hohen-Esp.

So hatte ſich Gabriele fie nicht vorgeftellt.

Sie glaubte eine finftere, jtrenge, Falte Matrone vor: zufinden, eine Herrin, welche mit weltfeindlichem Sinn bier gebietet, nicht aber dieſe friedliche, milde, Ichlichte und einfache rau, welche bei all ihrer vornehmen Würde fo viel herzgewinnende Güte hat.

. Schon auf den erſten Blid gefiel ihr „Frau Herze: leide” und Gabriele empfindet es wie eine glüdjelige Borahnung, daß fie dieje Frau lieb gewinnen wird mic eine Mutter.

Der Sohn ift verreijt!

Unwillkürlich atmet fie auf.

So warm e3 ihr bei dem Anblid der Gräfin um das

= SW.

Herz geworden, fo unbehaglich wird es ihr zumute, wenn jie an den Sohn denkt.

Sie kann ſich diefen fchüchternen, linkiſchen Menjchen jo gar nicht in diefem Bärenneft vergegenwärtigen!

Hier in diefen Mauern weht ein Odem alter, verfun= fener Ritterherrlichkeit.

Hier atmet alles troßige, fernige, ftolze Urwüchligfeit.

Hier fann man fich die Bären von Hohen-Esp nur vorftellen als kriegeriſch rauh, kühne und wehrhafte Männer, nicht als verlegen errötende Jünglinge, welche über ihre Lackſchuhe ſtolpern.

Gabriele blickt ſich ſinnend um.

Welch ein Stück uralter, langvergangener Zeit um— gibt ſie!

Wie unverändert die Geſimſe, Möbel und Geräte.

Einfach und anſpruchslos, aber traut und gemütlich, anheimelnd ſo wie Gräfin Gundulas Anblick.

Auf der dunklen Holzkonſole neben dem Bett liegt eine Bibel.

Darin las wohl ſchon die Urahne.

Die Grafen von Hohen-Esp waren ſeit jeher fromme, gottesfürchtige Leute, darum ruhte der Segen des Herrn auf ihrem Hauſe.

Nur der Vater Guntram Kraffts, der hatte ſein ſtilles Ahnenſchloß verlaſſen, war in die verführeriſche, ſündige Welt hinausgezogen und hatte in dunkler, troſtloſer Stunde ſeinen Gott vergeſſen.

Schwere, ſeidendurchwirkte Gardinen hängen in ſteifen

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alten zu beiden Ceiten des Bette hernieder, ein ge- ſchnitzter Seſſel jteht an dem ſpitzen Bogenfenfter; unter altmodijchem Spiegel, deſſen verblaßter Goldrahmen in jeinem Mitteljtüd eine Bärenjagd zeigt, fteht der Wafch- tiih mit der eingelafjenen LBinnfchüffel von feltfamer Neliefarbeit. Gabriele tritt an das Fenſter und blickt hinaus.

Der Regen riejelt an den kleinen, bleigefaßten Scheiben herab und trommelt einförmig auf dem Sims.

Man fieht nicht viel, nur den Eindrud hat man, daß man tief Hinabblidt auf flaches Land und endlos gedehnte Waldungen. Fern im Hintergrund liegt wohl die See, die eintönige und einfürmige See, welche fich fo träge dehnt, fei es in blendender Sonnenhige oder grau in grau, wie ein Nebelbild an regnerischem Früh— lingStage.

Sleichgültig wendet fi) Gabriele von ihrem Anblid ab und niet vor dem Koffer nieder, um das Auspaden zu beginnen. Sie iſt ſtets im Leben pünktlich geweſen und will bi3 zur Eſſensſtunde fertig fein, um alsdann ihre Dienfte der Gräfin widmen zu fünnen.

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XIX. AU 2 as fchlechte Wetter hielt an und zwang die Damen, STEH im Zimmer zu verweilen.

*

Gabriele war eifrig bemüht, ſich mit den Räumlichkeiten der Burg bekannt zu machen und der Gräfin möglichſt zur Hand zu gehen. Zu ihrer Über- rafchung bemerkte fie, daß es fo gut wie gar feine Arbeit für fie gab, denn Gundula verrichtete nad) wie vor alle Dbliegenheiten der Hausfrau und beauffichtigte, fchaltete und waltete wie jonjt in Haus und Hof.

Gabriele begleitete fie zwar auf Schritt und Tritt und . bemühte fich, hier und da Kleine Handreichungen zu leiften, doch ſchien ihr diefe Befchäftigung fchließlich fo unbedeu— tend, daß fie die Gräfin um Arbeit bat.

Dieſe lächelte.

„Ihre Arbeit ift die, bei mir zu fein, liebe Gabriele! jagte fie ruhig. „Fürerſt ſehen Sie fich alles an, wie id) gewohnt bin, den Tag einzuteilen, und falls e3 einmal nottut, vertreten Sie mich. Am Nachmittag ift es oft ftille Zeit, Dann werde ich mich am meijten Ihrer Gejell- jchaft freuen. Heute zeige ich Ihnen die Zimmer der Burg, welche wir für gewöhnlich nicht bewohnen.”

Das geichah.

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Den riefengroßen Schlüffelbund an der Gürteltafche, ichritt Gundula mit ihrem jungen Gaft durch die wunder: lichen Gemächer, in welchen eine längſt vergangene Zeit gleich einem Dornröschen in tiefem Zauberſchlafe lag.

Wie düfter, wie ftill ringsum.

Die Schritte hallten auf den eingefunfenen Dielen, hier und da Hufchte der graue Schatten einer Maus unter altgejchnigtem Schrank oder filberbeichlagener Truhe hervor.

Am meiften intereffierten Gabriele die Ölgemälde in dem Ahnenjaal, einem vieredigen Gemach mit niedriger, getäfelter Dede und Parkettplatten, welche jchreitende Bären als Mujter aufwiefen.

Hier hingen die Yamilienbilder, und Gabriele las ernsten Blicles die Namen auf den kleinen Schildern, während Gundula wie in tiefen, ſchwermütigen Gedanken langjam weiterjchritt und mit umflorten Bliden zurüd- ichaute in eine Zeit, wo fie zum erjtenmale am Arm des Geliebten diefen Saal betreten, ein überglüdliches, leiden— ichaftlich empfindendes Weib, welches ſich bei dem Anblid diefer alten Bilder zu all dem begeijterte, was ſie jpäter für ihren Sohn gefchaffen, erjtrebt und erreicht.

Gabriele las mit einigem Befremden unter verjchie- denen Gemälden diejelbe Anmerkung.

Hier eine jtolze, marfige Männergeftalt in ſchlichtem Wams und hohen Wafjerftiefeln.

„Chriſtoph Caſpar von Hohen-Esp, geb. anno do— mini 1522, ertrunken den 14. März 1570.“

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Und hier eine ſchlanke, blühende Jünglingsgeſtalt, blondlockig, mit lachend hellem Blick eine entſchiedene Ähnlichkeit mit Guntram Krafft.

„Wulffhardt von Hohen-Esp, geb. 1481, ertrunfen um 1503.”

Und dort —! Diejelbe redenhafte Geftalt, wie fie faft ‚alle Bären von Hohen-Esp aufmeijen, diejelbe troßig-feite Stirn, die fühn blidenden Augen und die energifche Hand, welche hier ein breite Schwert über ein Segeljchiff neigt.

„Diethelm von Hohen-Esp, Schirmvogt zu Land und See, geb. 1361, ertrunfen im Kampf gegen jeeräuberijc) Gefindel um 1433.”

Und bier noch eins zwei andere Bilder, mit latei- nischen Snfchriften, dem ſchwarzen Kreuz und der Wieder: holung des Spruches: „Und das Meer wird feine Toten wiedergeben.“

Gabriele wandte ſich zu der Gräfin.

„Wie kommt es, das ſo viele Grafen ertrunken ſind?“ fragte ſie leiſe, „mir deucht es ſeltſam, daß ein derart ſeltener Unglücksfall ſich ſo merkwürdig an in einer Familie wiederholt!“

Gundula blieb vor dem Bilde Wulffhardts ſtehen und nicte ihm wehmütig zu: „Das wundert Sie bei Männern, Gabriele, welche Schirmvögte einer Küjte waren, die ſo— wohl wegen ihrer gefährlichen Strömungen, als auch wegen der Piraten, die in den undurchdringlichen Wäldern bier hauften, allgemein gefürchtet und verrufen war? Die Bären von Hohen-Esp haben aufgeräumt mit dem Ee—

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jindel, haben manch vermwegenen Kampf zu Wafjer und zu Lande mit ihnen bejtanden und find manch arment, ihiffbrüchigem Seefahrer in Sturm und Not zu Hilfe ge— fommen! Und wie gar mancher brave Soldat jeine Treue mit dem Tod befiegelt, jo haben auch die Hohen-Esp ihr Leben im Dienft für Fürft und Vaterland, für Recht und Pflicht gelafjen! Sehen Sie dort... und dort... und da drüben... und an jener Seite dort... fie alle find den Heldentod auf dem Meere gejtorben, Väter und Söhne, von den ältejten Tagen, bis in die heutige Zeit hinein! Ein ritterlich Geſchlecht, deſſen jchönfter Ehrenſchmuck jenes Schwarze Kreuz über dem Wappenjchild, deſſen Heiligjter Trojt der Spruch de3 Herrn war: „Und das Meer wird jeine Toten wiedergeben!’

Gundula jchwieg, es war ftill und dämmrig, und Wulffhardt3 lachende Augen hafteten in beinahe unheim= licher Lebendigkeit auf Gabrieles Antlitz.

Dem jungen Mädchen war es plößlich jo feierlich, als ſtünde e3 in der Kirche.

Ein tiefer Atemzug bob ihre Bruft, ihre Wangen färbten fich höher, und ihr Herz, welches jeit jeher fo begeiftert für Mannesmut und Heldentum gejchlagen, hämmerte in ihrer Bruft.

Und während Gundula an das Fenſter trat, um es für kurze Zeit zu Öffnen, ftand fie und blidte wie im Traum zu Wulffhardt3 jungem Heldenantliß empor.

Ya, er glich) Guntram Kraft... und do... nein! da war dennoch feine Ähnlichkeit!

353

Hier der Fühne, mutige Blid mit den blitenden Augen und der Stolzen Haltung er hatte nichts gemein mit dem jchüchternen, errötenden Nachkommen, welcher nichts ift, nichts leiſtet . .. welcher nur behaglich Hinter dem Dfen fißt und erntet, was Die Mutter gejät! .

Gabriele faltet bei dieſem Gedanken unmutig die Stirn, wendet ſich haftig und folgt der Gräfin, welche ihr zu der Waffenhalle vorausſchreitet, vor deren fchmicde- eifernen Tür zwei wirkliche, echte Bären, ausgejtopft, ftaubig und mottenzerfrejjen, aber dennoch durch ihren Anblick Grauſen erregend, die Wache halten.

Bon Tag zu Tag gewann Gabriele die Gräfin lieber, und aud) Gundulas Herz jchlug immer wärmer und zärt- licher für daS anmutige Mädchen, an welches fich ihre liebjten und geheimjten Zukunftspläne fnüpften.

Der faft ununterbrochene Verkehr im einfamen Hauje führt die Menjchen jchneller zujammen und geftaltete auch das Verhältnis zwijchen Gundula und ihrem jungen Gaſt von Stunde zu Stunde inniger.

Das ſehr ruhige, ernite und Doch liebenswürdige Weſen des Fräulein von Sprendlingen war der alternden Frau jehr fympathifch, die große Aufrichtigfeit, ihr ehr: (iches Beſtreben, fich nüßlich zu machen und fleißig zu fein, fowie ihre anınutige Schönheit gewannen ihr vollends ihr Herz.

Immer ungeduldiger fah jie dem Tag entgegen, an welchem Guntram Krafft heimfehren wollte, und nun

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verfchob er dieſen Zeitpunkt bereit3 zum drittenmal und deutete an, daß er fürerjt überhaupt noch nicht an die Heimreije dene.

Die regnerifchen Tage hatten lachendem, jonnenhellen Frühlingswetter daS Feld geräumt, und Gabriele jchritt zum erftenmal an der Ceite der Gräfin in den Park hinab.

Der Inſpektor trat den Damen mit reipeftvollem Gruß entgegen, ftarrte einen Augenblick wie gebannt in das reizende Mädchengeficht, dejfen Anblid ihm fo über- rafhend wurde und in dieſer alten Welt doppelt wohl: tat, und meldete der Gräfin mit etwas unficherer Stimme, daß das neue Weitpferd, welches der Herr Graf ange: fauft habe, nach Walsleben nachgefchiett werden jolle.

„Das ist ein Unfinn, lieber Möller! ch hoffe, daß mein Sohn diejer Tage zurücdfommt und will auf alle Fälle erſt noch einmal jchreiben, ehe dem Tier der un: bequeme Transport zugemutet wird!”

„Befehl, Frau Gräfin!”

Die Damen fehritten weiter, und Gabriele blickte voll harmlofen Staunen? zu der Burgherrin auf.

„Seit wann reitet Ihr Herr Sohn fo gern, daß er fi) fogar das Pferd nachkommen lafjen will! Er fagte mir Doch in der Nefidenz, daß der einzige Sport, welchen er gern ausübe, das Rudern jet?

Gundula war ftehen geblieben und ftarrte Die Sprecherin an, al3 höre und verftehe fie nicht recht.

„Mein Sohn fagte Ihnen . . .“ wiederholte fie

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langfam, „ja um alles in der Welt, Fennen Sie ihn denn, Gabriele?”

Gabriele große Augen blicdten ebenjo erjtaunt wie die der Gräfin.

„Sa, gewiß! Ich lernte den Grafen in der Reſidenz auf einem Hofball fennen und nahm an, daß ich es feiner gütigen Fürfprache verdanfte, hier im Hauje auf- genommen zu jein! Hat Ihr Herr Sohn meinen Namen nicht erfahren ?”’

Gundula ſchüttelte langjam den Kopf. „Kein Wort hat er mir davon gejagt... und er Jah doc) jogar Ihr Bild, Gabriele!‘

N.v. Eſchſtrutb, IM.NRom. u. Nov. Die Bären v. Hoben⸗Esp IT. 25

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Das junge Mädchen ſchritt ruhig an der Seite der Sprecherin weiter. „O, ſo hat er mich wohl gar nicht wiedererkannt! Er hat ſo unendlich viele fremde Ge— ſichter zu ſehen bekommen und ſo viele Namen gehört, daß es nur ganz natürlich iſt, wenn er die einzelnen nicht im Gedächtnis behielt!“

Gundulas Augen bekamen plötzlich einen auffallenden Glanz. |

„Aber er tanzte mit Ihnen?“

„Do nicht, Zrau Gräfin. Der Graf fam fehr jpät zu mir, da waren meine Tänze vergeben!”

„So bat er wenigjten3 um einen?”

„Sr war fo höflich!’'

Ruhig und gleihmütig wie ftet3 Klang ihre Stimme.

„And holte fich feine Extratour?“

„Auch dabei waltete ein Mißgeſchick. Gerade als wir tanzen wollten, ſchwieg die Muſik.“

„Ah, das hat er gewiß jehr bedauert. Plauderten Sie nicht zur Entſchädigung zuſammen?“

„Ber Tiſch, gnädigite Gräfin. Ihr Herr Sohn ſaß neben mir. Sehr viel fprachen wir aber nicht, und was wir fprachen, weiß ich nur noch dem Sinne nad. Wir waren verfchiedener Anficht, der Graf liebte das Meer, ic) nicht. Sehr liebenswürdig erjchien ich ihm ficherlich nicht, wenn er überhaupt meinen Worten Wert beilegte, was ich bezmeifle.”

„Die Jugend war nicht plaziert bei Tiſch?“

„Rein, nur die verheirateten Herrichaften!”

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„So wählte Ountram Krafft felber den Platz an ihrer Seite?”

Gundula ſprach heiter und jehr ruhig, wohl nur um die Unterhaltung fortzuführen.

„Ihr Herr Sohn war fehr fremd in der Gefellichaft, und da ich ihm zufällig ſchon befannt war, jo dachte er wohl... .”

„Sie waren ihm fchon befannt?”

„Durch einen kleinen Unfall, welchen ich mit dem Schlitten auf der Straße der Nefidenz erlitt. Der Graf fam mir zu Hilfe, richtete den Schlitten auf und ſam— melte mich aus dem Schnee empor!” Gabriele lächelte. „Ich dankte meinem Netter in der Not, doch jtellte er ſich in der Eile nicht vor und erfuhr aud) meinen Kamen nicht!”

„Und dann jahen Sie fi erit auf dem Hofball wieder?”

„Einmal faß mir der Graf noch im Theater qegen- über, doc lernten wir uns dort nicht kennen.“

Die Burgherrin von Hohen-Esp fragte noch jo mans cherlei, und Gabriele erzählte von dem Leben und Treiben in der Reſidenz. Sie kannte fo viele Menjchen, für welche jich die Gräfin noch lebhaft interejlierte, und fo legten die Damen den Spaziergang in jehr angeregter Unterhaltung zurüd.

In der darauffolgenden Nacht lag Gundula mit meit- offenen Augen jchlaflos in den Kiffen. Ihre Wangen

brannten in heißem Rot, und ihre Lippen lächelten. 25*

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Eine außerordentliche Aufregung hatte ſich der ein— ſamen rau bemächtigt, ſeit fie durch Gabriele erfahren, daß Guntram Krafft ſie bereits kannte.

Da war es, als ob plötzlich ein Schleier vor ihren Augen zerriſſen ſei.

Sie entſann ſich plötzlich der jeltfamen Veränderung, welche mit dem jungen Mann vor ſich ging, als er Gabrieles Bild ſah, ſie rief ſich ſein Benehmen in das Gedächtnis zurück und hatte den Schlüſſel dafür gefunden. |

Guntram Krafft hatte fein Herz an das auffallend reizende Mädchen verloren, das bewies ihr fein Verhalten auf dem Balle und feine Erregung bei dem Anblid ihres Bildes.

Gabriele gab es jelber ehrlich zu, daß fie nicht fonderlich liebenswürdig zu ihm geweſen fei, das hatte der weltfremde, unerfahrene Mann für eine direfte Ab- weifung gehalten und ergriff in planlojer Verwirrung die Flucht.

Und fo wie er damals die Nefidenz um des jungen Mädchens willen verließ, jo fehrte er auch jebt in der ersten Aufregung Hohen-Esp den Rüden, um ein Wieder- jehen zu vermeiden.

Die Gräfin lächelte.

Welch ein Kinderherz! als ob fich diefe Flucht auf die Dauer durchführen ließe!

Vielleicht macht ihn feine Liebe auch fcheu und be- fangen, er flieht aus Verlegenheit. Seine Schwer:

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mut, fein jo ganz veränderte Weſen feit der Heimkehr, beitätigen dieſe Anficht.

Und nun fügt es Gottes Gnade und Barmherzigkeit, daß die Mutter felber die Geliebte des Sohnes unter fein Dach führt!

Welch eine wunderbare, unbegreifliche Yügung! Wäre tatſächlich von Gabrieles Seite eine fchroffe und defini- tive Abweijung erfolgt, jo wäre das junge Mädchen nad) Anlage ihres Charakters nie nad) Hohen-Esp gefommen. Auch hätte fie nie jo ruhig und gleihmütig von Gun: tram Krafft gefprochen.

Gabriele ijt durchaus ahnungslos, und ihre Ruhe und Gelaſſenheit jind echt.

Gundula bejitt Menjchenfenntnis, und weil fich ihre liebſten und jehnjücdhtigjten Pläne an das junge Mädchen fnüpfen, hat fie dasfelbe mit dem argwöhnifchen Scharf: blick einer forgenden Mutter beobachtet. Das Refultat diefer Beobachtungen war ein fehr günjtiges, denn Die große Aufrichtigfeit, welche Gabriele hie und da vielleicht etwas fchroff erjcheinen ließ, ſchätzte die Gräfin als eine Garantie dafür, daß fie nie aus Heuchelei oder Berec)- nung nad) dem Ehering jtreben wird.

Guntram Krafft ift noch zu jung und weltfremd, um dies richtig zu beurteilen, und wenn Gabriele felber jagt, daß fie ihm wohl nicht liebengwürdig erjchten, weil fie abiprechend über Meer und Strand geurteilt, jo war der Schwärmer Guntram möglicherweife tief verlegt von diefer Offenheit.

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Auf alle Fälle ift es feine Abficht, Hohen-E3p um Gabrieles willen fern zu bleiben, und mit Vernunfts— gründen richtet man bei verliebten Leuten nicht? aus, alſo muß die Gräfin eine Heine Liſt gebrauchen, den Flüchtling heimzuholen. Der Zweck heiligt die Mittel.

Sm Berfehr mit Gabriele wird jie den Sohn als— dann unauffällig beobachten, und e8 wird ihr nicht ſchwer fallen, feines Herzens heimlichjte Gedanken zu er— forschen.

Die Ehen werden im Himmel gejchloffen, und wäre Gabriele nicht für ihren Liebling beftimmt, fo würde Gott der Herr fie nicht in jo wunderbarer Weiſe hierher in die Einſamkeit geführt haben.

Mit einem Lächeln auf den Lippen jchlief die Gräfin ein, und als fie früh am Morgen erwachte, fchrieb fie alliogleich ein paar Zeilen an Guntram Krafft.

Sie teilte ihm mit, daß fie fich nicht wohl fühle, daß fie die Nacht meijt jchlaflos verbracht, fie fei eine alte Frau, welcher jeden Augenblid etwas zujtoßen könne. Die Abwejenheit ihres einzigen Kindes jei ihr ungewöhnt und beunruhige fie, die Sehnjucht nach ihm wirke nach— teilig auf ihren Zuftand ein. So lieb wie fie Gabriele in der furzen Zeit jchon gewonnen habe, ſei ihr diejelbe doch eine Fremde, welche den Sohn nicht erjegen könne. Außerdem jei der alte Klaaden einige Male dagemejen, um voll Ungeduld nach dem Herrn zu fragen, wahr: jcheinlich fei jeine Anmefenheit aus irgend einem Grunde dringend notwendig. Und zum Schluß bat fie den

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Sohn, unverzüglich abzureifen und zu kommen, falls er fie nicht noch fränfer machen wolle!”

Ein beinahe jchelmifches Lächeln fpielte um Gundulas fonft jo herbe und ernſt gejchlofjfenen Lippen, als fie das Schreiben adrefjierte und durch einen reitenden Boten jo: gleich bejorgen ließ.

Kun wußte fie es bejtimmt, daß Guntram Srafft noch an demjelben Tage eintreffen werde.

Aber ihre kleine Komödie mußte fie nun durchführen, und darum klagte fie aud) ©abriele, daß fie eine jchlechte Nacht gehabt und jich leidend fühle.

Das junge Mädchen war aufrichtig erjchredt und bejorgt und bemühte fich, auf jede Weiſe die Kranfe zu hegen und zu pflegen. Du jah Gundula, welch ein weiches, zärtlicheg Gemüt ſich Hinter all der erniten Gemefjenheit ihres Wejens verftecdte, und fie freute fich deſſen von Herzen.

Auch beobachtete fie es voll Intereſſe, mit wieviel Berftändnis und Umficht Fräulein von Sprendlingen das ihr jo ungewohnte Amt einer Hausfrau übernahm und die Gräfin in Küche und Keller erſetzte.

Da lag es wie ein milder Sonnenglanz auf dem ſchönen, bleichen Antliß der „Frau Herzeleide”, und zum erſtenmal feit langen, jchweren Jahren brannte ihr Herz in lebhafter, freudiger Erwartung auf ein Glüd, welches fiher fommen mußte, ficher und bald, das fühlte fie.

——

Als Gabriele in die große, gewölbte Küche trat, ſah

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fie eine dunkel gefleidete, trübjelig dreinfchauende Frau, welche in einem Topf Efjen empfing und mit bejchjei= denem Dank und Gruß davonjchritt.

„Wer war die Frau? Eine Kranke?“ fragte Ga— briele die Mamſell.

„ein, gnädiges Fräulein, dag war die Witwe des Fiſchers Riek, welcher bei der lebten Rettung der Sciff- brüchigen von dem Wrad der „Sophie Johanne“ er= trunfen iſt.“

Ertrunfen!

Gabriele jah plößlich die Bilder aus dem Ahnenjaal vor ji), unter denen neben ſchwarzem Kreuz dieſes Wort geichrieben ftand.

„Es ertrinfen wohl viele Männer hier?’ fragte fie nachdenflich.

Die Alte nidte laut jeufzend. „Daß Gott erbarm! Ach, gnädiges Fräulein, es iſt ein gar ſaures Stüdchen Brot, welches die Fischer und Seeleute effen, und trägt wohl jeder alle Stund’ fein Totenhemd auf dem Leibe.”

„Ich babe gar nicht gedacht, daß es fo jehr gefährlich iit, auf dem Waller zu fahren!”

„sm Binnenlande kann man fi) das mohl meift nicht recht vorftellen! Wenn man die See aber einmal recht bös und grob gejehen und den Sturm aus Nordoit pfeifen hörte, dann begreift man's.“

„Kommt das oft dor?”

„Mehr wie zu oft, Gott jei gelobt, daß es gerade jeßt, wo der Graf abwejend war, nicht arg geweht hat!“

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„Der befindet fich ja auf dem Lande in Walsleben! Da iſt doc) feine Gefahr für ihn!“ Es zudte wie berber Spott um die Lippen Der

Sprecherin, aber die Mamſell jah es nicht, fie zerftampfte eifrig die Kartoffeln für den Schweinetrog.

„Für ihn nicht, bewahre! Aber für die Seefahrer! Und wenn was pafjiert wäre meinte noch gejtern der alte Klaaden fo hätten fie mit den neuen Apparaten doch noch nicht ohne den Grafen zu Wege kommen können!”

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„Ah der Graf unterweiſt ſie darin?“

„Wer anders denn er! Ja, wenn der junge Herr nicht wäre, gnädiges Fräulein!“

Gabriele ſah zwar noch nichts jo Unerſetzliches und feinen jo gewaltigen Berdienft darin, die Fiſcher ein wenig anzuleiten, aber fie nidte zuftimmend und fchritt weiter nad) dem Kleinen Küchengarten, welcher im hellen Sonnen= ſchein feine jungen Kräutlein und frifcherfchlofjenen Kirfch- blüten badete. Fern ſah fie einen Strich der blauen See glänzen, jo jtill und blau, wie fie damals in Herings— Dorf vier Wochen lang gelegen, und fie jehüttelte gedanfen- voll den Kopf und begriff eg nicht, daß dies glatte Waſſer jo gefährlich und unheimlich fein follte.

u m ——

Da e8 in dem großen, hallenartigen Speifezimmer noch falt war, brannte ein loderndes Kaminfeuer, und Gräfin Gundula Hatte ihren Seſſel nahe Hinzu rücen lafjen und verlangte nach ihrem Spinnrad.

„Ich Tann e3 nicht ertragen, die Hände jo müßig zu falten !” antwortete fie auf Gabriele3 bejorgte Bitte, heute ruhig zu bleiben, und als das Rad fröhlich ſchnurrte und der Faden lief, ließ das junge Mädchen die feine Stidarbeit finfen und blidte mit leuchtenden Augen zu.

„Wie Schön! wie poetiich das ift! D, das möchte ic) auch lernen, Frau Gräfin!”

„Sewiß, Liebe Gabriele, meine Mägde fpinnen alle und können Ihnen jogleich ein Rad leihen! ch bin jo

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fehr für das eigengefponnene Leinen! Es ift derb und hält bedeutend länger wie gefauftes Gewebe, namentlich in der Küche und für das Gefinde ift es durchaus praftifch 1”

„So darf ic) mir ein Rad holen?”

„Selbitverjtändlich; ich unterweife Sie gern!”

Gabriele eilte davon und trug fich nach kurzer Beit ein Spinnrad herzu.

„Dieſes ‚radeln‘ ift mir lieber, wie das moderne”, icherzte die Gräfin; „wir find hier gut Hundert Jahre zu: rüd gegen die neumodijche Welt!’

„Das ift Schön, darum wohnt hier noch die Poeſie in all ihrer unverfälfchten Schönheit!”

„Sie lieben dieſelbe?“

„Mber alles. Mama nedte mic) oft, daß e3 für mid) befjer gemwejen wäre, zu eined König Artus Heiten zu leben. Ich begeiftere mich jo ſehr für alles Nitterliche, Edle, Kühne und Herrlic)e und gerade daran iſt unjere profaiiche Zeit jo arm.”

„Nicht arm, Gabriele, e3 tritt nur nicht fo auf- fällig hervor wie ehemals.’

„Sibt es noch Helden im neunzehnten Jahrhundert ?”

„Gewiß! Sie ziehen nur nicht mehr in glänzender Rüſtung durch das Land und ſuchen Frau Aventiure im Buch.”

„Unſere Männer und Jünglinge ziehen in den Krieg und werden totgejchofjen, ehe fie dem Feind nur ins Ge- fiht jchauen fonnten; das ift fein heldenhafter Kampf,

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ſondern nur Disziplin und müde Reſignation, welche auf Kommando ſtirbt!“

„bo, ©abriele! Diefes refignierte, gehorſame Sterben, diefe8 treue Ausharren auf dem Poſten, inmitten des feindlichen Kugelregens ift die höchſte und Heiligjte Tugend des Soldaten!”

„Das wohl, aber mir deucht, dieſes fühne Aug in Auge mit dem Feind, dieſes todesmutige Hineingehen in eine Gefahr iſt poetifcher, und das findet fich im Kleinen Überreft wohl nur noch bei der Kavallerie, wenn fie eine ſchneidige Attade reitet!”

„And der tapfere Infanteriſt, welcher die Düppeler Schanze die Spichererhöhe im Sturme genommen?’

„Das it Todesveradhtung! Das erfenne ic) aud) als ſchöne und glänzende Soldatentat an, aber man hat ala Mädchen Leine rechte Vorftellung von der Tat des Einzelnen! Und gerade dieje macht die Poefie des Helden- tums aus! Hätte Barzival, Dietrich von Bern, Effe oder Peomwulf in der großen Menge mitgefämpft, man hätte nicht die fühne, heldenhafte Vorftellung von ihren Taten wie fo, wo wir jeden ihrer einzelnen Kämpfe bis auf den kleinſten Schwertitreich verfolgen können! Sch tue unferen modernen ZQTapferen vielleicht jehr unrecht mit folcher Anficht, aber einem Mädchen verzeiht man es wohl, wenn e3 fich feine Ideale etwas eigenwillig bildet. Ich möchte einen Helden fehen, feine tolltühne Tapfer: feit jelber jchauen, und das ift Doch nur noch bei einem waghaljigen Neiter der Fall, welcher alle Gefahren

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eine3 Rennens vor unjern Bliden herausfordert und überwindet!”

Gundula lächelte ganz feltfam. „Sprachen Sie über dieſes Thema vielleicht auch mit meinem Sohn?“

„Ich glaube ja. Möglicherweife verargte er es mir.”

Die Gräfin jchob das Spinnrad ein wenig zurüd und hob laufchend das Haupt.

Bon dem Hof herein tönte Huffchlag, lautes Rufen und eilige Schritte.

Glückſelig verklärt blidten Gundulas Augen, fie atmete, wie von Unruhe und Spannung erlöjt, auf und ſagte leife:

„Sr fommt! Es iſt Guntram Krafft!“

Gabriele erhob fich und trat eilig an das Fenſter, um hinauszublicken.

‚Sa, es üt der Graf!” rief fie der Burgfrau zu, und ihre Stimme klang nicht um einen Hauch erregter wie ſonſt.

W

XV.

v2 abriele wollte dus erſte Wiederſehen zwiſchen Mutter und Sohn nicht ftören, und da bereits der jchwere, ſpornklirrende Schritt Guntram Krafft3 auf den Steinftufen der Vortreppe ertönte und fie die Türe der Halle nicht mehr erreichen konnte, ohne von dem Eintretenden gejehen zu werden, blieb fie an dem Fenſter ftehen und blidte mit nicht gerade ſym— pathijchen Empfindungen dem jungen Mann entgegen. Wie ungeniert und behaglich hatte man ohne ihn hier gelebt! Kun wird fjelbjtredend ein gewiſſer Wandel eintreten und das gemütliche Zufammenjein beeinträchtigen. Gabriele wird fi) gern einem jeden Zwang fügen, welchen der Verkehr mit einem jungen Herrn mit fic) bringt, wenn ihr der Bär von Hohen-Esp nur nicht mit dem anbetenden Entzücken begegnet, wie in der Reſidenz! Das würde ihr furdtbar jein und ihren Aufenthalt hier unmöglich machen, und doch tät es ihr leid, von der Gräfin und der Burg hier zu fcheiden.

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Die Gräfin hat fie bereit jehr lieb gewonnen und das alte Bärennejt ift jult das, was auf ihr jo poetiſch veranlagtes Gemüt einen hohen Neiz ausübt!

Guntram Krafft als Freund, wie jchön wäre das! Als Bewerber um ihre Gunjt und Xiebe, wie un: erträglih!

Mit heimlichem Seufzer fchlingt fie die Hände inein— ander und blickt der hohen Männergeitalt entgegen, melche voll ungeftümer Haft über die Schwelle tritt und mit ausgebreiteten Armen der Gräfin entgegeneilt.

Er hat den weichen Filzhut abgerifien, die blonden Haare fallen etwas wirt von dem eiligen Ritt gefeuchtet in die Stirn und auf dem heißgeröteten Antlit liegt ein Ausdruck großer Angft und Sorge, welcher bei dem An— blid der Gräfin ſchwindet und einer beinahe leidenjchaft- lichen Zärtlichkeit Plat macht.

„Mutter! Du biſt hier! Du liegjt, Gott ſei Lob und Dank, nicht zu Bett?”

Er ruft es mit halb erftickter Stimme, neigt fich über den Sefjel und jchlingt die Arme um die Gräfin, zart und behutfam, wie man etwas jehr Zerbrechliches an— faßt.

Sein Blick ſucht den ihren, und Gundula füßt feine Lippen, jtreicht über fein Haar und fagt innig: „Du guter Menſch! Bilt du den ganzen Weg dahergejagt! Sollteft dih ja nicht ängjtigen, fondern nur heim fommen |”

Er läßt fich neben ihr auf das Knie nieder, nimmt

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ihre Hand zwijchen die feinen und blickt noch immer be— jorgt zu ihr auf.

„Bas fehlt dir, Mutter? Haft du ſchon zu dem Arzt geſchickkt? War es etwa wieder Atemnot, wie fie damals nach der Snfluenza kam?“

Gundula lächelt: „Sch werde alt, Guntram Krafft und mag nicht mehr allein fein! So treu und lieb Gab- riele mich auch hegt und pflegt, gegen die Sehnjucht hat auch fie noch fein Mittel entdeckt!“ und die Sprecherin wendet plögßlich den Kopf: „Liebe Gabriele... . wo ſtecken Sie? Sind Sie noch im Zimmer?”

Das junge Mädchen hatte nachdenklich auf das ſchöne Bild vor dem lodernden Kaminfeuer gefchaut. Ja, ein ſchönes Bild, und eine gerechtfertigte Angjt und Gorge und doc fchien fie Gabriele nicht männlich und im: ponierend! Hatte fie nur ein Vorurteil, daß fie in Gun: tram Krafft nie mehr erblicdte, al3 wie das bange Mutter- föhnchen, welches nach wie vor an der Schürze der Mutter hängt?

Ja, er gleicht dem Wulffhardt auf dem Bild droben, aber welch anderer Charakter und Mut troßt auf dem lachenden Geſicht jenes Borfahren!

Seht, ald die Gräfin ihren Namen ruft, fchridt er eınpor, erhebt fich und weicht jäh zurüd. Nun wird er fie wieder anftarren, verlegen lächeln und erröten, wie damals in der Reſidenz.

Gabriele tritt langfam von dem Fenſter herzu, reicht dem Grafen jehr gelaffen die Hand und fagt zwar

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freundlich, aber doch ſehr fürmlich und fühl: „Sch Freue Graf Hohen-Esp und Hoffe,

nich, Sie wiederzufehen,

« 27 S er R & ** < = en _ px —X = a. *

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Cie gönnen mir ein Pläbchen an der Seite Ihrer Frau

Mutter!’

Cie verjucht jogar zu jcherzen und iſt ein wenig über: rajcht, daß Guntram Krafft nicht mit entzücktem Lächeln N.v. Efhftruth, IM. Nom.u. Nov, Die Fären v. Hoben-EspIt. 26

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quittiert. Der aber berührt faum ihre Hand in flüchtigem Gruß, verneigt fich fehr tief, ohne fie anzufehen und jagt fo feft und ruhig, wie fie feine Stimme noch nie ver: nommen: „Ich danfe Ihnen, mein gnädiges Fräulein, daß Sie den Opfermut befiten, in diefe Einfamfeit zu fommen und meiner teuren Mutter Gejellichaft zu leilten. Möchte Ihnen Hohen-Esp nicht allzu eintönig erſcheinen!“ | |

Und dann fügt er die Hand der Gräfin und bittet: „Geſtatte, Mama, daß ich mich umtkleide, der Nitt war eilig und der Weg grundlos! In fürzefter Zeit ftehe ich wieder zu deiner Verfügung |” |

„Selbitverjtändlih, Guntram! Wir warten mit dem Abendbrot auf dich!“

Er verneigte fich noch einmal furz und fpornflirrend vor den Damen und fchreitet durch die Halle zurüd.

Nachdenklich blickt ihm Gabriele nah. Welch eine Veränderung ift in der äußeren Erfcheinung de3 Grafen vor fich gegangen! Wie ftattlich und marfig fah er in diefem etwas vermwilderten Neitkoftüm aus, jo ganz anders, wie in dem hocheleganten, gräßlichen rad und den Zadjchuhen, welche jo geborgt und unvorteilhaft an ihm ausfahen. Gewiß wird er fich jet wieder als Dandy zurecht machen und als fehr jchider, moderner Jüngling wiederfehren.

Schade darum!

Währenddeſſen ftürmte Guntram Krafft die gewundene Holzitiege empor, nach feinen Zimmern.

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Er ſtieß ungejtüm ein Fenſter auf und atmete wie ein Erfticlender die fühle Abendluft.

Sein Herz hämmerte zum zerjpringen. Der ul: volle, gefürchtete Augenblid, das Wiederjehn mit Gabriele war überwunden, aber ihm deuchte es, als müßte diefer fihtbare Spuren in fein Antlitz gegraben haben. Er Hatte e8 nicht für möglich gehalten, daß er ihre Hand Halten, mit Höflichen Worten zu ihr ee könne.

Er hatte gezittert vor ſeiner eigenen Schwäche und auch der wilden, leidenſchaftlichen Heftigkeit, welche gegen die erſtere revoltierte.

Er glaubte ihren Anblick nicht ertragen zu können, und hatte doch ruhig und ernſt vor ihr geſtanden und zu ihr geredet, ohne mit einer Wimper zu zucken.

Wie war das möglich geweſen?

Weil Gabriele ſelbſt ihm jo ruhig, jo yarnılen, jo freundlich gelafjen entgegen fam.

Da zudt es ihm plößlich durd) den Sinn: „Du Narr! Warum erregft du dich? Warum fürchtejt du es, ihr in die Augen zu fehen? Haft du es nicht auch in der Re— fidenz getan? Und was ift feit jener Zeit anders ge- worden?“

Nichts!

Gabriele ähnte ja nichts von der Indiskretion, welche Thea an ihr begangen!

Sie läßt es ſich nicht träumen, daß der kleine Zettel, auf welchem ſie ſich ſo grauſam für ewige Zeit von dem

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ruhm= und tatenlojen Hohen-Esp Iosfagt, wie freffend Gift auf feiner Bruft liegt!

Sie weiß e3 nicht, welche Qualen fein Herz um ihretwillen erduldet, wie es tropfenmeife verblutet ift an dem eriten, großen, namenlos bitteren Leid, dag ihm widerfahren iſt.

Kein, davon ahnt und weiß fie nichts!

Guntram Krafft reckt fich plötzlich empor und drückt die Hände gegen die Bruft, als fei ein eijerner Panzer, welcher jie eingepreßt, jähling3 zerfprungen.

Er atmet hoch auf, er wirft das Haupt in den Naden und jchliegt momentan die Augen.

Daß er fi) darüber nicht ſchon früher Klar ge— worden iſt!

Gabriele kam völlig ahnungslos und harmlos hierher, er braucht weder ihr Mitleid noch ihren Spott zu fürchten.

Weiß fie denn, wie fehr, wie unausſprechlich er fie geliebt ?

Kein!

Weiß fie, daß er um ihretwillen die Reſidenz verließ, wie in wilder Flucht?

Kein!

Dies alles liegt in feiner Bruft verfargt und feines Menfchen Seele wird es je erfahren. Was fürchtet er?

Warum will er auch jet noch vor ihr, der Ahnungs⸗ lojen, fliehen?

Das Vergangene iſt überwunden.

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Daß Gabriele ihn nie lieben und nie heiraten wird, weiß er, und Daß er viel zu ſtolz ift, um Die Liebe als Almofen zu erbetteln, da3 weiß er aud).

„Ritter . . . treue Schmweiternliebe widmet eud) dies Herz __ 4

Heißt e3 nicht jo im Gedicht?

Und warum joll fie nicht, als Schwefter neben ihm hergeben, warum foll er fünftighin noch mehr in ihr jehen, denn ſolch eine ftille, freundliche, gleichmütige Schweiter?

Um der Mutter willen, deren Herz fie auch fchon be= zaubert und gewonnen hat, um der armen, einfamen Mutter willen, muß er jich in das Unvermeidliche fügen.

Der Bär von Hohen-Esp lehnt fich weit vor in dem Fenſter und blidt über die blühenden Obſtbaumzweige hinweg, über die dunklen, ſchweigenden Wälder hinaus. Da Hinten... fern Hinter den Wipfeln glänzt ein Streifen der See im filberuen Mondlicht! |

Wie hat Guntram Krafft fich in den Stillen, einfamen Tagen von Walsleben nach ihrem Anblick gefehnt!

Bol Teidenschaftlicher Innigfeit breitet er Die Arme nach dem funfelnden Silberſtreif aus.

„Du biſt meine Geliebte, du blaue, herrliche, uner— gründliche See! Dir habe ich Treue gelobt, und dir halte ich fie! Auf deinem geheimnisvollen Grunde wohnen Nixen, die bliden aus denſelben Frijtallhellen, wunder— jamen Augen wie Gabriele! Die haben Mitleid mit liebeskranken Menfchenherzen, nehmen fie in die weißen

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Arme und betten fie Drunten zu ewiger Ruhe, wenn ihnen das Leben zu jchwer und unerträglich wird! Dih will ich lieben, du blaue See und du wirft den ruhm= und tatenlofen Mann nicht von Dir weiſen!“

Und Guntram Krafft hob mit finſter trotzigem Blick das Haupt, ent— zündete eine Kerze und warf bei ihrem Flacker— licht die beſpritzten Klei— der von ſich.

Sein Blick ſtreifte die eleganten Anzüge, welche er aus der Welt draußen mit heimbrachte. Soll er ſie jetzt wieder zu Ehren kommen laſſen?

Ein beinahe rauhes Lachen.

Nein! Jene Zeit iſt vergangen und nichts ſoll ihn mehr daran erinnern.

Kam das Fräulein von Sprendlingen in die Bären— höhle, je nun, ſo mag ſie ſich auch mit dem bärenhaften Anblick ihres Bewohners abfinden!

Und er nimmt die ſchlichte Düffeljoppe und wirft ſie über.

Der Bär von Hohen-Esp iſt jetzt daheim! Da duldet

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fein gottiger Pelz den Tand nicht mehr, welchen man ihm in der Fremde um die Schultern gehängt!

—— —— (—

Guntram Krafft begreift e3 felber nicht, wie es ihm möglich ift, jo ruhig und‘ Bean mit: un au verfehren...

Sie fehen ſich alerbings nicht Die, eigentlich nur während der Tiichftunden, und dann "vermeidet er es, fie anzufehen und antwortet ernſt und zurüdhaltend auf all das, was fie ihn freundlich und unbefangen fragt. . : Er Sieht und bemerkt es nicht, wie ihr Blick oft voll ftaunender Befriedigung feine hohe Geftalt jtreift, welche in der derben und praftifchen Kleidung fo ganz anders ausfieht, jo viel ficherer und ſelbſtbewußter einherjchreitet, wie dermalen auf dem Parkett.

Er. beobachtet es auch nicht, wie erleichtert das ; junge Mädchen aufatmet, als fie feine Ruhe und Gelafjenheit, die große Gleichgültigfeit im Verlehr mit ihr nl nimmt.

Diefe Veränderung deucht ihr eine Wohltat und macht fie fröhlicher und zutraulicher gegen ihn.

Sie redet ihn an, fie jucht ihn in das Geſpräch zu ziehen, ſie ſpricht ſelbſt lebhafter und heiterer wie zuvor, und wenn ſein Blick ſie hie und da flüchtig ſtreift, ſo ſieht er ihr ſonniges Lächeln und die ſtrahlenden Nixen— augen, welche zwar nicht mit dem Ausdruck auf ihm ruhen, wie ehemals auf dem bewunderten Dragoner, aber

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doch lange nicht mehr jo kalt und abweijend blicken wie damals.

Und gerade dies wird ihm zur Qual und erſchwert es ihm doppelt, ſeine unnatürliche Ruhe an ihrer Seite zu wahren.

Er hält fich beinahe den ganzen Tag am Strand auf und weilt nur fo kurze Zeit wie möglich bei ben Damen.

Gottlob Hatte fich die Gräfin fchnell erholt, und es deucht Guntram Krafft, ihr fonft jo ftrenges, rejigniert dreinschauendes Antlig babe das Lächeln gelernt und in ihren Augen leuchte es jeßt oft jo warm, wie nie zuvor.

Gabriele kehrt aus dem arten zurüd und fchreitet über den Hof.

Da fieht fie den alten Anton im Sonnenfchein jtehen und eifrig an ganz ſeltſamen und lederartigen Kleidern hantieren. |

Der Alte lächelt fie beinahe zärtlich an, denn die an— mutige Schönheit der jungen Dame hat auch fein Herz im Sturm genommen, fo wie alle in der Burg voll Ent: zücken den Zauber empfinden, welcher von ihrem Wejen ausgeht.

Fräulein von Sprendlingen nidt dem treuen Kammer: diener freundli zu und tritt mit forjchendem Blick näber.

„Ei, was haben Sie denn da für einen wunderlichen Anzug vor, Anton?” lacht fie. „Bei dieſem fchönen

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Metter wollen Sie doch nicht Ihren Regenrock hervor— holen?”

Anton dienert und freut ſich der Gelegenheit, ein wenig plaudern zu fünnen.

„Mein Regenrod? J bewahre, gnädiges Fräulein! Das ift ja das Ölzeug vom Herrn Grafen, welches ich mal wieder nachjehen und in den Nettungzfchuppen hinab: bringen ſoll!“

„Dlzeug des Herrn Grafen?” Gabriele muſtert überrafcht den feltfamen Rod, die mächtigen Stiefeln und den ganz eigenartigen Hut: „Zu was gebraucht der Graf die fchwere Kleidung? Zieht er die wirklich an?”

Anton reißt die Augen weit auf: „Nun, das verjteht fih! Herr Graf muß doch Olgeug tragen, wenn er in Sturm und Wogenſchwall Hinausfährt! Bei den Sprikern, die es da feßt, würde er ohne diefe Schußfleidung bald bis auf die Haut durchnäßt fein!“

„Er fährt mit hinaus? Auch bei fchlechtem Wetter?

Antons Arm mit dem Putzlappen finft herab. Er ftarrt die Fragerin ebenjo überrafcht an, wie fie ihn.

„Wiſſen denn dag gnädige Fräulein nicht, daß unfer Herr Graf alle Rettungen und Ausfahrten immer per— fönlich leitet? Daß er unfer kühnfter und unerjchrodenfter Seefahrer iſt? Seine Lotjen hat er fi alle allein herangebildet ebenjo wie er jet den ganzen Schuppen aus eigenen Mitteln erbaut und ausgerüftet Hat! Nun ift er fein eigener Herr, fo ein rechter, wahrer Lotjen=

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kommandeur, wie man noch einen zweiten finden fol! Das Hamelwaat hat nun wohl feine Schreden für Die Schiffer verloren, jo lange der Herr Graf als Netter in der Not die Riemen führt! Wußten das gnäßige Sn fein das wirklich noch nicht?”

Gabriele blickt wie im Traum auf den. Anzug in Antons Händen nieder. |

‚ein, das wußte ich nicht!” fagt fie mit leifer Stimme. „Iſt ſolch eine Rettung eigentlich gefährlich? Ich kann mir das gar nicht vorſtellen!“ F

„Gefährlich? Gott im Himmel erbarme ſich! Der. arme Riek iſt das letztemal dabei geblieben und ſeine Leiche iſt bis zum heutigen Tage noch nicht geborgen! Haben das gnädige Fräulein denn nicht von der kühnen Tat des Herrn Grafen und feiner Lotſen ... ich meine im vergangenen Winter... . gehört? Wie fie die Un- glüdsferle von dem Wrad der „Sophie Johanne“ geholt haben? Nein? Na, die Rettungsmedaille haben fie fich alle dabei verdient —“

„Die Nettungsmedaille? Auch der Graf?”

„Run der doch in erfter Linie!’

Gabriele ſtrich langjam mit der Hand über die Stirn: „Rein das mußte ich nicht!” murmelte fie; „aber... ich möchte doch wohl einmal an den Strand gehen und das Meer wiederſehen!“ „uUnd ob, gnädiges Fräulein! Etwas Schöner gibt e3 ja auf der ganzen Welt nicht |

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Bei Tiſch war Fräulein von Sprendlingen jtiller. wie fonft, ihr Blid haftete oft ſinnend und forjchend auf Guntram Krafft, als fchaue fie ihn heut zum erftenmal.

- Die Gräfin fchien ganz mit. der Zubereitung des. Salats beichäftigt.

„Gehſt du. heute wieder zum Dorf, Guntram Krafft 2” ſagte fie plößlich leichthin, „jo habe, bitte, Die Güte und nimm Fräulein Gabriele einmal mit! Denk dir, ſie Hat, feit fie Hier iſt, noch nicht ein einziges Mal ‚bie See in der Nähe geſehen.“

. Ein: beinahe finfterer Ausdruck ag auf ber Stirn de3 Grafen.

„Damit würde ich Fräulein von Seifen kaum einen Dienſt erweiſen, ſie liebt das Meer nicht!“

„Nein, ich liebe es nicht und begreife auch nicht, wie man es ſo ſchön finden kann!“ beſtätigte Gabriele harmlos. „Aber gerade darum möchte ich einmal wieder an den Strand gehen, um zu. jehen, ob .er hier a langweilig ift wie in Heringsdorf!”

- Gundula lachte: „Wie habe ich Ihre Aufrichtigkeit ſo gern, Gabriele! Wenn Sie ſich nun doch einmal zu ein paar anerkennenden Worten über unſer liebes Bern— ſteinmeer hinreißen laſſen, ſo weiß ich wenigſtens beſtimmt, daß es ihre wahre Meinung und nicht nur eine a Redensart iſt!“ |

„Ich kann Fräulein von Sprendlingen. unmöglich zu⸗ muten, fo lange drunten zu bleiben, wie ich. am Schup— pen zu tun babe. Sch bitte dich, uns zu begleiten,

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Mutter, damit Ihr beiden Damen jederzeit heimkehren könnt.“ |

„Gut! Sch bin gern bereit!” Gundulas Blick ftreifte das geneigte Antlig des Sohnes und fie lächelte aber- malß.

E3 war ein außergewöhnlich milder, jonniger Früh— lingstag.

Kein Lüftchen regte ſich.

Blau weit ... unendlich lag die See.

Voll kriſtallner Klarheit ſpannte ſich der Himmel darüber aus und verſchwamm am Horizont mit der Waſſerflut, ſo daß man kaum die zarte Linie unterſcheiden konnte, welche Himmel und Erde trennt.

Der Sonnenglanz lag breit auf dem Waſſer, es ſpiegelte und ſchimmerte, und die weißen Segel der Fiſcherboote zogen traumhaft ſtill durch die Ferne.

Der Strandhafer kniſterte leis unter den Schritten der Nahenden und über ihnen ſtiegen zwei Lerchen mit hellem Jubel in den offenen Himmel hinein.

Die Gräfin hatte eine Fiſcherfrau, welche am Strand faß und Steine und Tang aus den Neben lad, ange: fprochen und blieb momentan neben ihr jtehen, fich nad) dDiefem und jenem zu erkundigen, Gabriele und Guntram Krafft fchritten weiter, nahe herzu bis auf den feiten, hartgewaſchenen Sand, über welchen in graziöfen Linien der filberfchaumige Saum einer faum merklichen Bran- dung jpült.

Der Graf hatte den Hut von dem Haupt gezogen

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und blickte wie verflärt in die fonnige Pracht hinaus, es lag ein weicher, beinahe Findlich milder Zug auf dem Schönen Antlig und Gabriele jchaute verjtohlen zu ihm auf; fie fand zum erjtenmal, daß diefer Ausdruc doch nicht fo unfympathifch fei, wie e8 ihr im Balljaal geſchienen.

„Es iſt eine köſtlich friſche Luft hier!“ ſagte ſie nach kurzem Schweigen: „Aber die See liegt ebenſo ſtill und träge, wie damals in Heringsdorf und was Sie daran jo ſchön finden, erklären Ste mir bitte, Graf!”

f HA Ki * X = EN 2 FUWORMSTAU ’‚# NT: 5

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Er fah fie nicht an, aber das Entzücken, welches fein Auge jpiegelte, vertiefte fich.

„Wie kann man eine derartige Schönheit mit Worten nennen!” fagte er leife, „die analyfiert man nicht, ſondern empfindet fie! Mir deucht, Sie haben ſonſt jo viel Verſtändnis für Poeſie, mein gnädiges Fräulein, und Itehen ihr gerade bier, wo fie fich und am reichiten und vollkommenſten entjchleiert, fo blind gegenüber. Fühlen Sie e3 nicht mit allen Faſern ihres Herzens, welch ein Stüdlein Gottesfrieden jich rein und unverfälicht hier an der See erhalten Hat? Belommen Sie nicht eine Ahnung von der Unendlichkeit, wenn Sie über dieſe weite weite Flut fchauen, die fo ohne Anfang und Ende fcheint, wie der Himmel una zu Häupten? Und wenn Sie die Wellen fehauen, wie fie in ewig gleicher Weiſe, Tag und Nacht, Jahr um Jahr, hier gegen den Strand rollen, von feines Menfchen Kraft bewegt, ge heimnisvoll kommend und gehend, dem ewig weilen Willen eines Gottes gehorchend, vor deſſen Antli taufend Sahre find wie ein Tag jchauert Ihr Herz nicht zufammen in einem Gefühl unendlicher Andacht, in dem Empfinden jenes ſcheuen Entzüdens: ‚jede diefer Wogen ilt ein Pulsſchlag der Ewigfeit ?

Gabriele ſtand neben ihm, das Köpfchen laufchend erho⸗ ben, den Blid wie in ftaunendem Sinnen geradeaus gerichtet.

„Nein“, fagte fie leiſe, „dieſe Gedanken find mir noch nie gefommen. In Heringsdorf wurde nur gejcherzt und gelacht, aber nicht philoſophiert.“

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„Dies iſt Feine Philoſophie!“ Tächelte er, „im Gegen teil, hier fpricht nicht der Verſtand, jondern lediglich Herz. und Gemüt, aber gerade die ich glaube e8 wohl kommen überall zu furz, wo der Lärm der bunten Welt fein Recht behauptet!” |

Gundula trat berzu und Guntram Krafft wandt: lich, ihr den Arm zu bieten.

„Ich babe am Schuppen einen fleinen Auslug ane bauen laſſen, wo die Damen hinter ſicheren Glas— ſcheiben, gegen Zug und Wind geſchützt, ausruhen können. Darf ich dich hinführen, Mutter?“

„Macht es Ihnen Freude, die Rettungsſtation⸗ meines Sohnes zu ſehen, Gabriele?“

„Ich bitte darum, denn ich intereſſiere mich dafür. „Dann laß uns getroſt gehen, Guntram Krafft, und genaue Muſterung halten, wir wiſſen ja, daß Gabriele

keine Phraſen ſagt!“

In den Augen des jungen Mannes leuchtete es auf, lebhafter wie zuvor unterhielt er die Gräfin und ſchweig— ſamer wie ſonſt ſchritt Gabriele an Gundulas Seite.

Der Rettungsſchuppen trug äußerlich die Form einer großen, maſſiv gebauten Scheune.

Zwei breite Tore gewährten den Eintritt und unter dem fpiten Dad) war das Wappen der Hohen-Esp unter dem roten Sreuz im weißen Felde eingefügt.

Alle modernen Errungenschaften auf dem Gebiete des Rettungsweſens waren der inneren Einrichtung zugute gekommen.

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Das Rettungsboot, eine Mijchart der gebräuchlichſten Syfteine, war aus Stahlblech gebaut und trug den Namen „Guntram Krafft“ in goldenen Lettern.

Ein feiter, jehr dauerhaft und widerftandsfähig ge bauter Wagen trug e3 und Diente zu dem Zweck, das Boot bequem zum Strand zu transportieren und es un= mittelbar in da8 Meer zu laſſen.

Auch ein Rafetenapparat war zu fchleunigftem Ges brauch auf dem Wagen montiert.

Geitlih) und im Hintergrund des Schuppen waren alle erforderlichen Apparate und Gegenftände aufgeftellt oder an Geſtellen aufgehängt.

Die volle Ausrüftung der bedienenden Mannjchaft, welche ſich aus den mwaderen, unerjchrodenen Fifchern re: frutierte, und von ihrem jelbjtgewählten Kommandeur, dem Grafen Hohen-Esp, befehligt wurde, die Rettungs— geſchoſſe verjchiedener Art, Raketen, Mörjer und Hand: gemwehre, Seelenretter, Korkjacken, Gürtel, Schläuche, Riemen, Schlepper, Segel und Roggleinen, Kompaß, Fern: vohr und Handlot, Olfaß, Eimer, Pfropfe und Referve- dollen, Beil, Anfer und Signalflaggen.

Gabriele fonnte kaum fo ſchnell Schauen, al3 wie der junge Lotjenfommandeur an ihrer Seite mit blißenden Augen erklärte und bejchrieb, und während fie feinen Worten laujchte, jtreifte ihr Blick fein lebhaft erregtes Antlitz und fie begriff es nicht, daß es dasſelbe war, welches vor wenig Augenbliden noch in träumeriſchem Schwärmen hinaus auf die blaue See geblict, dasſelbe,

Ale

welches im Ballſaal ſo weibiſch ſchüchtern errötete und mit beinahe blöden Augen um ſich ſchaute. Hier reckte und dehnte der Bär von Hohen-Esp die kraftvollen Arme, hier hob er ſchwere Laſten wie eine Feder hin und her, hier ſchritt er feſt und ſelbſtbe— wußt in den ſchweren Fiſcherſtiefeln über einen Grund und Bo: den, welchem er aus eigener Kraft eine edle und hohe Bedeu⸗ tung gegeben hatte. Warum hatte ihr fein Menjch zuvor gejagt, daß fich Guntram Krafft die Nettungsmedaille verdient? Warum Seftete er fie nicht voll Stolz auf die Bruft, fo wie Heidler jeinen Orden trug? Und der war nur ein reuzlein, wel: ches ihm ein föniglicher Gaft des Herzogs, bei dem er ala Drdonnanzoffizier Dienft tat, in Gnaden verliehen hatte! N.v. Eſchſtruth, I. Nom. u. Nov., Die Bären v. Sohen-EspII.. 27

I ZSIFEIELF23,) [I IS) (SS I SS) (I I 5)

XXI.

Mer Lenz hatte einen außergewöhnlich frühen Ein— I En zug gehalten, und wenn auch die Tage ſonnen— Hell und warm waren, fo ftrich doch am Abend eine recht empfindlich kühle Luft von der See her— über und machte den Aufenthalt in warmen Zimmern notwendig.

Guntram Krafft hatte ſich anfänglich ſogleich nad) dem Abendeſſen empfohlen.

Er ſaß mit ſeinen Zeitungen und Büchern in ſeinem ſtillen Zimmer, ſtützte das Haupt träumend in die Hand und las nicht.

Oft war er voll nervöſer Unruhe aufgeſprungen und noch einmal hinaus in den Wald oder hinab an den Strand geſtürmt, aber Ruhe für ſein Herz fand er auch dort nicht, wo der ſilberne Mondſchein ſo bleich und kühl auf den Wogen ſpielte und ihm immer dasſelbe Bild vor die Seele zauberte: Gabriele!

Se länger er mit ihr zujammen weilte, deſto tiefer und inniger ward feine Liebe zu ihr, obwohl feine leiden-

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ſchaftliche Erregung nachließ und ihr heiteres, gleich- mütiges Wejen auch ihm Ruhe und Unbefangenheit gab.

Er gewöhnte fi) an ihre Gegenwart, er genoß voll heimlichen Entzüdeng ihren Anblid, jein Herz erzitterte bei jedem freundlichen Wort, welches fie zu ihm ſprach, bei jedem Anzeichen von Intereſſe an feinem Tun und Handeln, und doch Klang ihm unausgefebt das Dichter: wort durch die Seele: „Die Sterne, die begehrt man nicht, man freut fich ihrer Pracht!”

Auch Gabriele wollte er al3 als einen jener Holden, ewig fernen und unerreichbaren Sterne betrachten, welche dem jehnenden Schwärmer wohl freundlich zubliden, ohne jedoch gewillt zu fein, aus ihrer Höhe hernieder an fein Herz zu ſinken.

Als Fräulein von Sprendlingen an jeiner Seite durch den Schuppen feiner Nettungsitation ſchritt und mit großen, ftaunenden Augen alles betrachtete, was er barg, eifrig um Erklärungen bat und in ihrer aufrichtigen Weiſe fein Hehl daraus machte, wie fremd ihr alle dieſe Dinge waren, da ftürmte ihm das Herz in der Bruft und blißte aus feinen Augen, und er empfand es al3 unaugfprechliche Wonne, die Teilnahme der Geliebten an dem zu er- weden, was zum heiligen Inbegriff feine® Lebens ge- worden.

Auch während des AbendbrotS Hatte fich die Unter: haltung jehr lebhaft um feemännifche Dinge gedreht, und als Anton die dide, fchwarzlederne Poſttaſche mit den Beitungen brachte, erhob ſich Guntram Krafft nicht wie

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fonft, um fich in fein Zimmer zurüczuziehen, fondern trat näher an das Kaminfeuer und fagte: |

„Es iſt abends recht fühl bei mir droben, und ver- ‚miffe ich jeßt den warmen Dfen doch noch in dem großen Erferzimmer . . .”

„ber Guntram, fo füge doch Anton fofort, daß morgen nachmittag geheizt wird.”

Der Graf warf gerade ein neues Buchenfcheit in Die Slut und beobachtete angelegentlich, wie dieroten Flammen an ihm emporzüngelten. |

„Das wird leicht zu heiß, Mutter, und die zu große Wärme geniert mid) dann noch mehr wie die Kälte Am liebiten bliebe: ich hier. Was unternehmt ihr denn jet? Stört meine Anweſenheit?“

Ein ganz feines, ſchier unmerfliches Lächeln ging um die Lippen der Gräfin, fo froh und zufrieden, wie bei einem Menjchen, welcher geduldig gewartet Hat und nun dafür den gewünjchten Lohn erhält.

„Welch eine Frage!” ſchüttelte fie den Kopf und rückte ſich behaglich in ihrem hochlehnigen Seffel zurecht. „Wir freuen ung deiner Geſellſchaft. Geheimniffe haben wir durchaus nicht zu verhandeln! Ich lehre Gabriele den Gebrauch des Spinnrades und freue mich meiner flei- Bigen Schülerin.”

„Spinnen? Sie lernen ſpinnen?“

Guntram hob ganz betroffen den Kopf, als habe er nicht recht veritanden, Gabriele aber räumte die gemalten Wappenhumpen, aus welchen man zuvor ein Warmbier

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getrunfen und welche Anton foeben wieder aus der Küche zurüdbrachte, in den uralten Kredenzjchranf und jang lachend, ohne ſich umzuſehen:

„Ich kann ftriden, Ich kann flicken, Feines Leinen

Kann ich ſpinnen ..“

So fein, Graf, daß man fürerſt noch Kettenhemden daraus ſchmieden kann!“

Guntrams Augen leuchteten.

„Da ich Ihnen dieſe Kunſt doch nicht ablerne, ſo können Sie dieſelbe neidlos in meiner Gegenwart aus— üben!“ ſcherzte er, rückte ſich einen kleinen Tiſch herzu, breitete die Zeitungen aus und nahm in einem der Ritterſeſſel davor Platz.

Gabriele aber entzündete ſelber eine kleine Stehlampe, welche neben ihr auf dem Serviertiſch ſtand, hielt ſie, einen Augenblick ſie ſtumm betrachtend, in der Hand und ſtellte ſie dann vor dem Grafen nieder.

Dieſer dankte durch eine höfliche Verbeugung, griff ſchweigend nach den Zeitungen und ſchien ſchon im nächſten Augenblick völlig in ihre Lektüre ——

Aber er las nicht.

Er ſtarrte wie ein Träumender gedankenlos auf das Papier und gab ſich voll und ganz dem füßen Bauber, in Gabrieles Nähe zu weilen, hin.

So konnte er fie unbemerkt anjehen, fonnte ben weichen

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Wohllaut ihrer Stimme hören, und voll und ganz das ſüße Behagen empfinden, welches ihre Anmefenheit dem ganzen Haufe verlieh.

Wie Frieden zog es in jein jehnendes, gequältes Herz, und ein beinahe wunfchlojes Genügen, welches nicht mehr von dem Schickſal fordert, als wie e3 freiwillig gibt. Welch ein reizendes Bild war e3, die beiden Damen am

Spinnrad zu fehen! Über Gabrieles geneigtes Köpfchen zuckte das rötliche Flacerlicht des Kaminbrandes, das Antli trug den Ausdruck lächelnder Nachdenklichfeit, und die weißen Händchen arbeiteten, wenn auch noch unficher und zaghaft, jo doch grazidg und anmutig, wie alle ihre Bewegungen e3 waren.

Neigte ſich Gräfin Gundula Helfend und erklärend näher, jo traf fie der Blick der hellen Nirenaugen jo warm

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und herzlich, daß das Herz des Beobachters fchneller Ihlug in dem entzücten Empfinden: „fie liebt deine Mutter!” und Stand fie ihm felber auch ewig fremd und fern, diefe Liebe zu Gräfin Gundula jchlug dennoch eine Brüde zu feinem Herzen, welches ihn mit der Ge— liebten in gleichem Denken und Yühlen verband.

Die Bärin von Hohen-E3p neitelte an dem Woden, dejjen Flachsgewinde unter den Fingerchen Gabriels etwas in Unordnung geraten war, und derweil flog der Blid de3 jungen Mädchens durch die mattbeleuchtete ftille Halle und haftete wieder finnend auf der Lampe vor Guntram Kraffts Pla, deren Bronzefuß durch einen ichreitenden Bären gebildet wurde.

Und von da ſchweifte er weiter zu dem eigenartigen Kronleuchter, welcher von der gemwölbten Dede herab hing und in Art der alten Leuchterweibchen gearbeitet war, nur ſchwebte anitatt des Frauenkörpers der Oberleib eines Bären in den fchmiedeeifernen Ketten, und von ihm aus gingen acht mächtige Pranken, welche die Lichter hielten.

Die Sejjel, auf welchen man faß, ruhten auf ge= ichnigten, behaglich ausgeſtreckten Bären, welche die Füße erjegten, braungottige Bärenfelle lagen als weicher Teppich über dem Eitrih, Bären flanfierten rechts und (inf den Kamin, und wohin man nur fehauen mochte, zeigte die Täfelung der Wände das Bärenmwappen, blicten von Schränfen, Truhen und Geräten die Bärenföpfe mit ftarren Augen auf die einfamen Bewohner der Burg herab. Ä

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„Wie fommt e3 eigentlich, gnädigfte Gräfin, daß alles und jedes in Hohen-Esp das Bild eines Bären zeigt? fragte Gabriele leife, und neigte dag Köpfchen näher an die alte Dame heran, um den Leſenden nicht zu ftören. „Man findet in anderen Schlöffern auch die häufige Wiederholung des Familienwappens, aber fo, biß auf die Heinften Gegenftände herab, jah ich es noch nie an gebracht, und kam mir fchon früher der Gedanke, daß dies einen bejonderen Zweck haben müßte?”

Gundula fchüttelte lächelnd das Haupt.

„Eine Riebhabereil eine Zaune der Befiger! DieBären von Hohen-Esp gefielen fich Darin, ihre Höhle zu einem wirklich originellen, echten Bärenneft zu gejtalten. Der Urahne begann damit, und Kind und Kindesfinder führten e3 weiter und fchufen halb im Ernit und halb im Scherz diefe eigenartige Burg, in welcher die Nachkommen jenes erften Bären von Hohen-Esp ſtets daran erinnert fein follten, wem fie das Beſtehen ihres Geſchlechts ver⸗ danken!“

„Das Beſtehen ihres Geſchlechts? Was haben die Bären mit Ihrer Famile zu tun, gnädigſte Gräfin, und woher kommt es, daß die Hohen-Esp den ſeltſamen Namenszuſatz: die Bären‘ von Hohen-Esp erhielten?“

„Wenn es Sie intereſſiert, ſo erzähle ich Ihnen gern unſere alte Familienſage, liebe Gabriele!“

Frau Gundula ſchob das Spinnrad der Genannten wieder zu und ſetzte ihr eigenes Rädlein abermals in ſurrende Bewegunq, Guntram Krafft aber ließ mechaniſch

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die Beitung ſinken und blickte wie in jragenber Spannung zu dem jungen Mädchen hinüber.

‚And ob e3 mich interefjiert, verehrte Frau Gräfin!“ nickte Gabriele eifrig; „was könnte mir lieber fein, als wie mit der alten Welt, melche mich hier umgibt, vecht vertraut zu werden! D, bitte, erzählen Siel Zu einem Spinnrad gehören feit jeher die Romanzen, wenn nicht die gefungenen, fo doch die gefprochenen, und ich ver: mute, daß die Bärenfage diefer Burg ein Stüclein jener poefievollen Ritters und Heldenzeit üft, in meine Gedanken ſo gern noch leben!

„Nun, ſo hören Sie, Gabriele! Und wenn Ihr Herzchen ſich auch für die brave Bärin erwärmen kann, welche unſerm Stammvater einſt jo große Dienſte erwies, ſo bin ich überzeugt, daß die braunen Schutzpatrone dieſer Burg all ihre ſchirmende Liebe auf Sie, die junge Gaſtin dieſes Hauſes übertragen werden.“

Mit großen, forſchenden Augen ſchaute das junge Mädchen auf, ihr Blick hing an den Lippeu der alten Dame, als ob ſie, nur ſie allein in dieſer Halle an— weſend ſei, und Frau Gundulas Stimme klang tief und voll durch das leiſe, melodiſche Summen des Spinn- rades:

„Unſere alte Familienſage iſt anſcheinend eine Nach— bildung jenes phantaſtiſchen Ereigniſſes, welchem man die Entſtehung Roms zu verdanken glaubt, alſo weder neu noch originell und doch aus jener grauen Vorzeit ſtammend, von welcher man wohl ſicher annehmen kann,

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daß die Mär von Romulus und Remus ihr noch völlig fremd gemwejen. in Beweis dafür, wie launig Der Götterfunke Poeſie um den Erdball blitzt und in Nord und Süd Flammen zündet, welche dur) eine halbe Welt getrennt doc in gefchwifterlicher Ähnlichkeit leuchten und ein und dasſelbe Bild jpiegeln, nur mit dem Unterfchied, daß die rauhe, markige Wildheit der Deutfchen fi) die Eraftvolle Bärin zur Amme eines ritterlichen Ge- ichlecht8 wählte, während der kluge, gefchmeidige und liſtige Römer die fchlanfe Wölfin dazu auserfah!

Eine Jahreszahl nennt unfere Wappenjage nicht, fie greift weit, weit in die Dämmernde Vergangenheit zurüd und ſetzt da ein, wo die Grafen von Hohen-Esp bereits ein ritterliches und turnierfähiges Geſchlecht und als Schirmoögte bereit3 mit der Burg Hohen-Esp hierſelbſt belehnt waren. Da hebt fie an, von einer furchtbaren Seuche zu berichten, welche allerort3 die Lande verödete und die Menjchen dahinraffte wie Grashalme vor dem Meſſer des Schnitters. Auch hier an die Tore der Burg hatte die Peſt mit knöchernem Finger geflopft.

Der Burgberr, feine edle Hausfrau, zwei Söhne und zwei Töchter ftarben in einer Nacht dahin, im Burgfried lag das Gefinde zu Haufen uud hauchte fein Leben aus, und nur der Gräfin jüngjtes, neugeborenes Söhnlein eine alte Schweiter des Hausherren und die Amme des Kindes waren noch am Leben.

Da befahl das alte Fräulein in großer Angſt und Sorge, daß die Amme mit dem Neugeborenen fic) eilend

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aufmache und das Kind in das nahe Filcherdorf zu treuen Menſchen bringe, welche es aufnehmen und warten follten, bi8 daß der Würgeengel ſei vorübergezogen in dieſem Lande.

Ein Knappe ftieg zu Roß, der Magd und dem Knäb— lein ein ficher Geleit zu geben. Da fie aber faum eine halbe Stunde durch den Wald geflohen waren, fam den Mann die Todesihmwäche an, er ſank vom Roß und ftarb elendiglich anı Wege.

Vol Angit und Graufen lief das Weib mit dem Kindlein in den finftern Tann hinein, und kaum, daß fie das nahe Meer braufen hörte, fperrte ihr eine mächtige Bärin den Weg, ftellte ich auf, hob dräuend die Pranfen und brüllte aus blutigem Rachen.

Da wußte die Magd in ihrem Schreden nicht, was fie tat, fie warf das Kind, welches fie des falten Windes wegen in einen warmen Felljad geſteckt Hatte, von ſich und entfloh in finnlofer Furcht.

Sie fam in das FFilcherdorf und verbarg fich in einer Hütte und wagte es nicht, von dein Ende des Kindleins zu berichten. Die Zeit verging, und eine Tages kam plötzliih das totgeglaubte alte Burgfräulein in das Dorf, erforschte die Magd, trat vor fie und forderte das Kind.

Die Ungetreue ſank wehllagend in die Knie und beichtete von dem Tod des Knappen und dem Überfall des Bären, und daß fie bei der Flucht das Knäblein habe aus dem Fellſack verloren.

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Ein großes Wehklagen erhob fich, und das Fräulein rief Die Fiſcher und ſprach! „Laſſet uns im Tann -fuchen. Die Heiligen im Himmel haben meine Gebete für das Kind erhört, fo es ihr gnädiger Wille geweſen, erretteten fie e8 aus dem Rachen des Bären!”

Die Fiſcher fchüttelten zwar die Köpfe und das ſei vor eines Mondes Länge geſchehen und wohl kein Knöchlein von dem jungen Grafenkind mehr zu finden; aber ſie bewaffneten ſich und gingen in den Wald. |

- Und al fie an die Stelle famen, welche die Magd beichrieben, hörten fie ein gewaltige Brummen als: wie von einem Bären, und al3 fie durch das Dickicht herzu— ſchlichen, ſahen fie ein leibhaftiges Wunder. Da lag die Bärin im Moje ausgeftredt, und an ihr das noch in das Tell gewidelte Knäblein, welches fie jäugte.

Sie Iodten das Untier mit Gefchrei heraus, und ein Beherzter jprang herzu und ergriff das Kind. Das war lebend und gefund, ſtark und bärenfräftig, und ſolche Kunde drang bis zu dem Fürften des Landes.

Der lachte der abjonderlichen Mär, ließ das Knäb— lein vor fich bringen, wiegte e8 auf den Armen und lobte Gott.

„Ei, du Gräflein von Hohen⸗Esp, ſo dich Barenblut geſäuget hat, ſo wirſt du ſtark und kühn werden, und man wird Dich hinfort ‚den Bären von Eap' beißen.”

So ſprach er und gab ibm den neuen Namen und

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den Bären in das Wappenjchild, zur Erinnerung an das Gottesiwunder, weldyes ſich an dem Kind begeben.”

Frau Gundula unterbrach ſich und ließ momentan die fleißigen Hände ruhen, ihr Blick ſchweifte voll ftolzer Zärtlichkeit nach dem Sohn hinüber und umfaßte feine hohe, marfige Gejtalt, dann zog ſie abermals den feinen Faden aus dem Flachs und lächelte. „Und nun gehen Sie hinauf in den Saal, Gabriele, und jehen Sie fid) einmal das Bärengefchleht an! Es iſt wirklich ganz auffällig, wie die Bärenamme ihm ihren Stempel auf- gedrücdt Hat! So hoch und Fraftvoll gewachſen, fo bären= haft feit und trugig ift fein zweites. Die edige Stirn und die große Gutmütigfeit haben die Hohen-E3p ficher von den Bären geerbt, vor allen Dingen uber das mutige und fühne Drauf- und Drangehen in Kampf und Gefahr, die Furchtloſigkeit, wenn e3 gilt einen Feind zu paden, die zähe Ausdauer im Ringen mit dem Gegner, gleichviel ob derjelbe aus Fleiſch und Blut oder als Sturm und hohe Flut zum Gang auf Leben und Tod herausfordert !”

Gabriele Hatte bisher nur Augen und Ohren für Die Sprecherin gehabt, den ſchlanken blonden Mann in dem Fitterfeffel vor dem Kamin fchien fie völlig vergefjen zu haben. Seht plößlich hob fie dag Haupt, und ihr Blick traf Guntram Krafft.

Auge ruhte in Auge.

Wie wunderlich ſah ſie ihn an.

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So groß, fo forfchend, jo nachdenklich ... und Doch brannte e8 wie ein geheimer Vorwurf in ihrem Auge, wie ein jcharfer, ungejtümer Widerjpruch, welcher ver- ächtlih jagt —: nein! du irrft, Frau Gundula! Nicht alle Grafen von Hohen-Esp fogen Kraft, Mut und Kühn heit aus der Bärenmilch! Hier, diefer letzte feines Geſchlechts, ift entartet ganz und gar! Er ift fein Held: er imponiert mir nicht! und darum werde ich nun und nimmer diefen ruhm- und tatenlofen Mann freien!” Sprach e3 nicht fo aus ihrem Blick? aus den großen, wunderjam ernten Augen?

Guntram Krafft hört und verjteht nicht® mehr als diefe erbarmungslofen Worte, fein Borurteil ift zu groß... fein Blid iſt verjchleiert, er glaubt nicht mehr an das Glück und vermutet e3 nirgends.

Wieder jteigt es heiß empor in Stirn und Schläfen, er ſenkt finfter den Blid und begreift es nicht, daß er ſoeben noch fich ihres Intereſſes an feiner Familie ge- freut.

Die Hohen-Esp find feine verwegenen Reiter, welche in Kriegszeiten fich den Lorbeer aus feindlichem Feuer holen, und nur folche Heldentaten imponieren dem ſtolzen Sinn einer Sprendlingen!

Nach wenig Minuten rafft der junge Graf die Zei— tungen zufammen, jteht auf und empfiehlt ſich kurz.

Die Naht ift fo ſchön und miondhell, er will mit den Fiſchern Hinausfahren, wenn fie die Nebe aus-

werfen.

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Gabriele ſieht ihn erjtaunt an.

„Das tut man in der Nacht? Warum das? Sit folche Arbeit amı Tage nicht mühelojer und bequemer?”

Ein berber, beinahe etwas fpöttijcher Zug liegt plößlid) um jeine Lippen. | |

„Mühelos und bequem ift fie nach Anficht der Binnen- länder jtet3, gnädiges Fräulein, man rudert ein wenig bin und ber und jchöpft das Schiff voll Heringe und Dorſche! Db bei Sonnen: oder Mondenjchein das iſt höchſtens eine fleine Abwechslung in dem eivigen Einerlei!” | |

- Gräfin Gundula dreht mit ganz ſeltſamem Lächeln den Faden, welcher ihr gerifien, wieder zufammen, Fräu— fein von Sprendlingen aber fieht jo harmlos aus, als ob fie von den Worten des Sprecher ganz überzeugt jet und fagt nur nachdenflih: „Und dod) ertrinfen fo oft die Menfchen dabeil Ihre Fiſcher werden doch vor: fihtig fein?” |

Da lacht er laut und hart auf. „Unbeforgt,. mein gnädiges Fräulein, die See ift wie ein Tifchtuch, fie ift fo, wie Sie’3 nicht lieben, träge, ruhig und langweilig, und dann fordert fie feine Opfer!’

„Wird fie nicht bald einmal böſe und wild? Ich möchte fo gern eine befjere Meinung von ihr be— kommen!“

Ein beinahe finſterer Blick aus den ſonſt fo lachenden Blauaugen trifft fie.

„Kurze Zeit müſſen Sie fich wohl noch gedulden, die

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Ruhe ſcheint allen Wetterberichten nach noch anzudauern, aber in dieſer Jahreszeit pflegt ſie tatſächlich eine Ruhe vor dem Sturm zu ſein!“

Er verneigt ſich kurz, unhöflicher wie ſonſt, und geht, Gundula aber ſchüttelt ernſt das Haupt und ſagt mit leiſem Seufzer: „Sie wiſſen und verſtehen es noch nicht, was Sie da wünſchen, Gabriele! Für meinen Sohn be— deutet ein Sturm mehr wie ein ſchönes Schauſpiel, und für feine braven Fiſcher ebenſo! Warum wollen Sie diefe glüdlichen Tage der Ruhe fürzen? Warum fo viel Sorge und Not durch ein Unmetter heraufbeſchwören? it das Meer in feinem ruhigen Schlaf wahrlich fo langweilig? Gehen Sie morgen einmal an den Strand und ſehen Sie den Sonnenuntergang, er ift ver: förperte Poefie, das fchönfte Gedicht, meldyes unfer lieber Herrgott mit Farben an den Himmel gejchrieben !”

Gabriele nidte mit finnendem Blick, ihr fielen plötzlich Suntram Krafft3 Worte am Strand drunten ein.

Wenn er fie abermald lehren möchte mit feinen Augen zu ſchauen! |

Die Gräfin jchob ihr Spinnrad zurüd und erhob fich. Sie war müde und wollte zur Ruhe gehen, man machte frühen Feierabend auf Hohen-Esp.

Gabriele ſtand an dem geöffneten Fenſter ihres Turm— zimmerchens, und blickte hinaus in die ſtille, blüten- duftige Pracht des kleinen Gartens, über welchen der

N. v. Eſch ſtruth, Il. Rom. u. Nov, Die Bären v. Hohen⸗Esp II. 28

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Vollmond fein ſchier taghelles Silberlicht goß. Sie fonnte nicht Schlafen.

Wunderfame Gedanken freuzten Hinter ihrer Stirn und nahmen ihr die Ruhe.

- Sie dadjte zurüd an jene Stunde, wo fie neben Guntram Krafft am Strande ſtand und feinen fo eigen- artig poetiichen Worten laufchte.

Gerade aus feinem Munde berührten diefelben fo ſeltſam, weil Gabriele fie nicht erwartet hatte, und wenn ihr die Bartheit feine® Empfindens zuerst auch etwas unmännlich erjcheinen wollte, jo ward doch dieſer Ein: druc Schnell verwijcht Durch die Befichtigung des Rettungs— ſchuppens.

Noch nie zuvor war ihr der Graf ſo kraftvoll männlich erſchienen als wie hier in ſeiner energiſchen Art des Er— klärens und Zufaſſens, in ſeiner ſo ſchönen und friſchen Begeiſterung für die Sache.

Gabriele verſtand nicht viel von all den Dingen, aber fie fühlte inſtinktiv, daß es ſich hier um mehr han— delte, als um einen harmlojen Sport.

Vielleicht war es auch das Ungervohnte in dem Anz zug des Grafen, das denjelben ſchon während der ganzen Zeit feiner Anmejenheit auf Hohen-Esp jo verändert er- ſcheinen ließ.

Diefe ſchmuck- und Eunftlofe, derbe Kleidung paßte fo gut zu ihm, fie machte feine Erjcheinung ernft und eigenartig, fie gehörte zu Diejer Umgebung.

Ein Bär von Hohen-Esp ilt feine Nippesfigur, er

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muß in die Höhle pafjen, welche er bewohnt. Deucht es ihr nur fo, oder ijt auch fein ganzes Weſen ver— ändert?

Wie weggewijcht ilt das ſcheu verlegene Lächeln, Die ; linkiſche Unbeholfenheit und Un-⸗

ſicherheit! Hier iſt er Herr und Ge— bieter, wohl ein gütiger

freundlicher Gebieter, aber dennoch einer, deſſen Wort einen feſten, ſtolzen Klang hat!

Das Anſchmachten und ent— zückte Anſtaunen hat er ganz und gar verlernt.

Kaum, daß er ſie beachtet, ihr die notwendigſte Hofichten erweiſt!

Er ſucht ihre Geſellſchaft nicht, er meidet ſie eher.

Und das tft feine Kofetterie, fein Anreizen, es ift feine ehrliche, ſchlichte Meinung.

Warum gefällt ſie ihm nicht mehr?

Gabriele blickt gedanfenvoll in Die weißglänzende Pracht der Kirſchbäume hinab.

Anfänglich war es ihr ſo angenehm, von ihm über—

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fehen zu werben, jetzt grübelt fie, aus welchem Grunde es gejchehen mag.

Daß es jo gejchieht, ift gut, es fteht ihm wohl an, er gefällt ihr in dieſer fühlen Gelaffenheit.

Und wie ſeltſam jchaute er fie heute abend an, als Frau Gundula von dem Mut und ber Kühnheit ber Hohen-E3p fprach?

Erriet er in jenem Augenblid ihre Gebanten?

Was dachte fie Doch?

Sie jah ihn an die große, edige Stirn unter den blonden Haarloden, die herrliche, „bärenhafte” Geftalt ... und fie dachte... warum fehlt gerade ihm der Mut und die wilde Kühnheit, welche die verblendete Mutter an ihren Vorfahren preiſt? Er iſt wie gejchaffen zu einem Helden! Warum ift er’ nit?

Er ſchaut drein, wie Parzival, der Schildträger warum fit er ruhmlos daheim bei rau SHerzeleide? Verſtand er diefe Gedanken?

Las er fie von ihrem Antlit ab?

Sein Blid ward jo finiter, fo auffprühend zornig, ie fie ihn noch nie zuvor geſehen und er ftand auf und antwortete ihr voll fpöttifchen Trotzes auf ihre Fragen... und ging mit hallenden Schritten davon.

Das war ſchön! da war Jung PBarzival ein Mann! und fein Bild fchwebt ihr vor bis in dieſe ftille, einfame Stunde der Nacht.

Warum ging er? Warum zürnte er?

Woher kennt er die geheimften Gedanken ihres Herzens ?

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Cr fann fie nicht wiſſen, es war ein Zufall. Horch . .. . Drunten auf dem jchmalen Kiesweg, welcher durch den Garten nach dem Walde führt, erfchallen Schritte.

Das junge Mädchen neigt fich unmwillfürlich vor und ſchaut hinab.

Der Mond fcheint jo hell, fie erfennt ben Gras: balm am Wege und jene Geftalt, welche naht... . wer it das?

So Hoch ift nur einer in der Burg-gewachien, fo ftolz und elaftifch fchreitet nur ein Herr unter Knechten!

Es iſt Guntram Krafftl

Über wie ſeltſam fieht er aus?

Iſt's ein Scherz, daß er fich jo koftümiert hat, wie man e3 an den Filchern und Lotfen auf Seebildern fo maleriſch dargeftellt fieht? Nein, dem Grafen Hohen-Esp war es heute gewiß nicht nach Scherzen zumutel Der breite Südweſter fißt ihm weit im Nacken und gibt feinem Antlid einen eigenartig verwegenen Ausdrud, die Fifcher- jade fteht über der Bruft offen, das weiße Hemd leuchtet breit hervor und fällt in weichem Streifen über den Halz- fragen hinaus.

Die hohen Wafferitiefel reichen bis über die Knie empor, aber fie jehen nicht plump und häßlich aug, ſondern geben der fchlanfen Gejtalt etwas Keckes und Ritterliches, obwohl der Gang jehr ruhig und ernjt erjcheint.

Mit weitoffenen Augen ftarrt Gabriele hinab.

Ha, jo Schaut ein Seemann aus!

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Sie hat früher die Gemälde faum beachtet, welche ein Stück Seemannsleben vorjtellen, fie la3 feine Romane über Schiffervolf und Matrofen ... was interefjierte fie, die Refidenzlerin, folch eine fernliegende Welt!

Seht mit einem Mal deucht es ihr, als habe fie viel, jehr viel verfäumt.

Die Echritte drunten verhallen, die Schatten des Ge— büfches deden die hohe Männergeſtalt. Graf Ountram Krafft will mit feinen Fiſchern hinaus zum Fang fahren, er Stellt feine ftarfen Arme in den Dienft der Seinen, fo wie fie zu ihm ftehen, wenn er fie aufruft zu Schuß und Trutz der Gefährdeten.

Gabriele hat ſich das nie fo recht vorftellen können, jebt aber ift e3 ihr, als ob ein ahnungsvolles Verftehen in ihrem Herzen aufdämmere.

Kreift vielleicht jener Tropfen wilden Bärenblut3 den— noch in feinen Adern? |

Er ſchritt Still und ernft vorbei, er hob nicht das Haupt und blidte nicht empor zu ihr, und doch wußte er, daß dieſe Fenſter ihrem Zimmer angehörten.

Langſam wich Gabriele zurüd.

Drunten raufchten die dunklen Waldwipfel leife im Hauch der Nacht, und fernher glängte die See wie ein filberneg Märchenland.

XXI.

„Nun wird es mit dem ſchönen, ftillen Wetter vorbei fein!” jagte die Gräfin an dem Nachmittag des andern Tages: „der Wind hat aufgefrifcht, und die See ſetzt Fleine Kämme auf! Ich denfe mir, mein Sohn wird dies Wetter benugen, um mit dem neuen Segelboot hinauszugehen, er wartete auf eine friiche Briſe, um es ausprobieren zu können.“ |

„Sehen Sie heute an den Strand, gnädigſte Gräfin?”

„Das glaube ich nicht. Der Inſpektor hat fich mit den Abrechnungen angemeldet, und werde ic) wohl den ganzen Abend mit ihm zu tun haben! Wenn Sie aber einen Spaziergang machen wollen, liebe Gabriele, jo fönnen Sie getrojt auch allein gehen. Hier in unjerer Einjamfeit droht feinerlei Gefahr, der Weg zum Filcher: dorf ift kurz und nicht zu verfehlen, und wenn mein Sohn

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noch nicht gegangen ift, wird er fie gern bi an den Schuppen geleiten I”

„Ich danke, Frau Gräfin, und werde mir wohl ein- mal das Meer mit feiner krauſen Stirn anjehen! Ach fenne e3 ja noch gar nicht, wenn es bewegt ift. Der Graf ging bereit3 nad) dem Kaffee zum Strand und wird wohl längjt auf hoher See jchaufeln; ich fürchte mich aber durchaus nicht, allein zu gehen und freue mich auf den Sonnenuntergang, von welchem Sie mir geftern jo Rühmliches fagten, Frau Gräfin!” |

„Das ift recht! Suchen Sie unfere herrliche See zu verstehen und Tieb zu gewinnen! Sie fünnen uns allen durch nichts eine größere Freude bereiten, als durch ein herzliches Einftimmen in unfere Loblieder!“

Und Gabriele fchritt nachdenklich die moofigen Waldpfade hinab nah) dem Strand. Als fie das ſchützende Laubholz verlaffen, braufte ihr der Wind ent: gegen. |

Er riß an ihrem Mantel, er jagte ihr den Hut vom Kopf und in Iuftiger Jagd eilte fie dem Flüchtling nad), ihn wieder einzufangen. |

Welch ein Sturm war das!

Das ganze Haar zerzaufte er ihr, und das Ried— gra8 und die Seemannstreu bog er tief hinab zum gelben Sande! |

Aber es war fchön, wunderjchön! Solch ein freies, ungejtümes Wettlaufen mit dem Wind, das Tonnte fie in den engen, eleganten Straßen der ejidenz freilich

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nicht! Und jegt, als fie über die fehügenden Dünen em: porfteigt, da liegt e8 vor ihr, das weite Meer, dunfel- blau gefärbt, im vollen Strahlenglanz der finfenden Sonne, und es dehnt ſich nicht mehr fo träge und glatt wie ein Präfentierteller, jondern wogt und wallt und wirft hier und dort weiße Schaumföpfchen auf.

Sa, das ijt wahrlich ein fchöneres Bild denn fonft! Namentlich die Brandung gefällt ihr, welche fich wie duftige, Schmale Tülrüfchen an dem Strand entlang: ſchlängelt, fpiß auslaufend wie ein zierliches Valenzienne— mufter, oder breit emporjpülend um die Haufen von See— tang und angeſchwemmtem Gehölz! Ein zarter, filber: duftiger Schaum, hier und da von der Sonne mit rofa Dufthauch gefärbt. Sa, die See it im Sturm fchön, fraglos jchöner, wie in ihrem bleiernen Schlaf, aber etwas jehr Gewaltiges und Smponierendes hatfie auch jet noch nicht nach Gabrieles Gefchmad, und wenn die Gräfin in dem Sonnenuntergang ein verfürpertes Gedicht er- bliden will, fo begreift fie das auch jet noch nicht. Die rote Glut des Sonnenball3, die buntgefärbten Wolfen ... ja, das ift fraglos ein jchöner Anblid aber mehr darin fehen, wie Sonne, Wolfen und Waffer, nein, das fann fie nit!

Wie Iuftig dort ein Boot auf den Wellen fchaufelt! Am liebften möchte ſich Gabriele hineinjegen, und auf- und niedergleiten durch die blauen Wogen!

Käme doch eine Menfchenfeele, welche fie darum bitten könnte!

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Gabriele wendet ſich zurüd und blidt nach dem Rettungsſchuppen und ftößt einen leifen Laut der Über: raſchung aus.

Dort auf der Düne ſteht Graf Guntram Krafft! Ebenſo gekleidet wie heute nacht ..., er ſpricht mit zwei Fiſchern und ſcheint ihnen irgendwelche Anweiſungen zu geben.

Jetzt ſieht er ſie, und Gabriele hebt freudig die Hand und winkt ihm zu.

Er ſcheint einen Augenblick zu zögern, dann verab— ſchiedet er die Männer und ſchreitet ihr langſam entgegen.

Ein neuer Windſtoß läßt den kleinen Filzhut auf Gabriels Köpfchen abermals flüchtig werden, aber fie fängt ihn noch rechtzeitig auf und behält ihn in Der Hand.

Immer langjamer ſchreitet Guntram Krafft. Sein Herz Schlägt wieder heiß und ungeftüm bei ihrem Anblid, der ihm reizender dünkt, wie je.

Das dunkle Tuchkleid weht in weichen, graziöfen Salten um die zierlichen Füßchen, die entzückend zarten Formen ihrer Geltalt zeichnen ſich Icharf gegen den Schimmernden Hintergrund ab, und auf den lodigen Haaren, welche der Wind ihr um die weiße Stirn zauft, flimmert das rotgoldene Sonnenlicht und läßt tauſend geheimnisvolle Fünfchen darauf brennen. Wie friſch und- rofig ift das füße Geficht, wie lacht fie ihm mit weißen Hähnchen entgegen, wie leuchten Die Niyenaugen hinter den langen, dunflen Wimpern hervor.

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„Wie gut, daß Sie kommen, Graf!” ruft fie ihm heiter entgegen. „Ich hatte Sehnfucht nach Ihnen, große Sehnfucht! und wilfen fie auch warum?”

Er begrüßt fie von weiten, ohne ihr die Hand zu reichen.

„Warum?“ wiederholte er beinahe mechanisch und drücdt den Südweſter feiter auf den Kopf. ‚Nein, das weiß ich nicht, mein gnädiges Fräulein |”

„O, Sie tennen meinen Egoismus noch nicht!” fährt fie harmlos fort: „ich möchte gern einmal in einem Boot hinausfahren in die See, weil es fich gewiß herrlich auf dem Waffer jchaufelt |”

Seine Augen leuchten unmillfürlich auf, er tritt einen Schritt näher.

„Boot fahren, Fräulein Gabriele? Solch ein lang- mweilige® Vergnügen ?!”

„So fand ich es ehemals in Heringsdorf, wo fich fein Lüftchen regtel Aber Heute, wo ſolch Hohe Wellen find, wo wir ſolch argen Sturm haben . . .”

Gein lautes Auflachen unterbricht fie.

„Sturm?!“

„Jun jal Oder wollen Sie ihn ableugnen, wo ich nicht mal den Hut auf dem Kopfe haben kann?“

Er fieht heiterer aus, während er fpricht, und Gab— riele blickt überrafcht empor.

„Sch wollte Ihnen durch meinen Mut, heute auf dem Waſſer zu fahren, imponteren!’

„Sie imponieren mir jederzeit durch folch ein Verlangen !”

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„And werden Sie es erfüllen?” |

„Wenn e8 Ihr Ernit ift, mit großer freude. Wir find eben von einer Kleinen Probefahrt zurüdgefommen, das Boot liegt noch dort an der Buhne er deutete mit der Hand ftrandab „wollen Sie mir folgen, fo fahre ich Sie gern!”

Er jpricht jo ruhig wie ſonſt, und Gabriele fieht nicht, wie feine Lippen beben.

Cie dankt ihm mit der freudigen Haft eines Kindes.

Ihr Weſen deucht ihm überhaupt verändert, fie ift jo fröhlich und gejprächig wie nie zuvor, und ihre Augen leuchten zu ihm auf... täufcht er ſich? oder ift es wahrlich fo? .. Aber fo warm und innig blidte fie ihn noch niemals an.

„Wiſſen Sie auch, daß ich das Meer heute wirklich \hön finde? Und den Wind auh? Nun lebt erft die Welt ringsum! Nun atmet fie Abwechslung, nun wird fie mir verftändlicher) Ehrlich gejtanden habe ih mir das Meer im Sturm noch gewaltiger gedacht, weil ich darüber las, daß feine Wogen Schiffe zer: trümmerten und ganze Landſtriche wegſchwemmten, aber wie Sie jagen, iſt es heute noch fein richtiger Sturm —”

„a3 nicht ift, kann aber bald werden —“ er wid) ein wenig zur Seite, da ihre Kleiderfalten weich und Schmeichelnd um feine Füße mehten und fuhr voll beinahe trodener Gejchäftigfeit fort: „Die Wetterberichte lauten ungünftig, wir erwarten ftündlic) eine Sturm⸗

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warnung. Vielleicht lernen Sie die träge See noch von recht ungemütlicher Seite kennen!“

„Ich liebe alles Gewaltige, Wilde, Trogige! Am Menfchen fowohl wie an der Natur daher gefielen mir bislang die Alpen jo gut, dieje Titanen, welche den Himmel jtürmen! Wie gern möchte ich auch hier folche Rieſen finden, wilde, braujende Wogen, welche das Herz erzittern lafjen . . .”

„Und heldenhafte Menfchen ... . . welche mir impo- nieren!“ fügte er leije, mit wunderlichem Buden der Dichten Augenbrauen hinzu, „das Meer wird Ihre Wünfche ficher erfüllen, in die Macht der Menfchen aber ift es nicht gegeben, gewaltſam einen Himmel zu jtürmen, vor deſſen Tür das Schidjal fieben Siegel gelegt!“

Sie waren haſtig ausgejchritten und ſtanden jet vor dem Boot, welches zwei Fiſcher juft an den Strand ichieben wollten.

Zur Seite jaß ein alter Mann auf einem Holzjtamm und war Damit beichäftigt, Rejervedollen und Ruder Hampen zu ſchnitzen. |

Guntram Krafft rief die Männer in plattdeuticher Sprache an, fie unterbrachen fich, wateten heran und fchienen kurz mit dem Grafen zu beraten.

Ein prüfender Blid nach dem Horizont, eine ruhig azuftimmende Handbewegung.

„Wenn dat nich länger wiehrt, a’3 'ne half Stumm’, dann geiht dat wull noch an’! und fie warfen die Rie— men zurecht und bereiteten ſchweigend das Boot zur Fahrt.

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Der alte Mann ſtand auf, nahm die Turze Pfeife aus dem Mund und fragte: „Sall it Se beglieten, Herr Graf?”

‚ee, KRlaaden, da jull feener mit mi gahn, Dat düert hüt nich lang.”

Und dann flüjterte er noch ein paar Worte mit den Schiffern und wandte ſich abermals zu Gabriele.

„Es hält ſehr lange auf, das Boot an das Land zu ziehen, gnädige® Fräulein; Sie geitatten wohl, daß einer der Leute Sie in das Fahrzeug trägt!”

‚a, jo gehört fich das!” lachte Gabriele ein klein wenig verlegen. ‚Meine Freundin wurde in Helgoland bei dem Landen auch in das Boot getragen.”

Der Bär von Hohen-Esp wandte ſich ab und jchien jehr interefjiert eine zerbrochene Spiere, welche im Sande lag, zu befichtigen, der Fiſcher aber trat ruhig herzu, nahm Gabriele auf den Arm und watete mit ihr in das Waſſer.

„Hollen Se' ſick faſt!“ ſagte er und nach einem Augenblick mehr zu ſich ſelber im Kommandoton: „laß' ſack —!“ und gleichzeitig hob er die junge Dame und ließ ſie in das ſchwankende Boot nieder.

Guntram Krafft kam nun mit ſchnellen Schritten durch das ſeichte Waſſer, ſprang in das Fahrzeug und griff nach den Riemen.

„Ich möchte heute nicht ſegeln, ſondern mich in nächſter Nähe des Ufers halten, um erſt einmal zu ſehen, ob Sie feefeft find, mein gnädiges Fräulein!” fagte er

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mit fehnellen Lächeln. „Für meine Begriffe ift die See ſehr ruhig, für die Ihrigen vielleicht nicht.”

Die Starken Fäufte der Fiſcher machten das Boot frei, der Graf half mit den Riemen und jtieß fräftig ab, hoc) auf bäumte das leichte Fahrzeug und glitt über die erite Brandung hinaus. |

‚And da3 nennen Sie ruhige See?” fragte Gabriele feife und blidte mit großen Augen in den Gijcht, welcher um das Hed fprigte. „Sehen Sie doch, wie das ſchäumt und wogt!”

„Ich hoffe, Sie lernen es vom ficheren Lande aus noch beffer fennen! Heute jcherzt und fpielt das Waſſer nur, wenn es aber ernitlich) böje wird, fahre ich Sie nicht hinaus.”

„Dann iſt e8 gefährlich?”

„Sehr gefährlich! nicht für mich, fondern für Sie!”

Wieder zudte ihr Blid zu ihm hinüber.

„As Sie die Leute der ‚Sophie Fohanne‘ retteten, war e3 da ſolch ein Wetter wie heute?‘

Guntram Krafft wandte feine ganze Aufmerkfamteit dem Boote zu, da er gern jede gebrochene Welle, jo gut e3 anging, meiden und das Fahrzeug in Die Lage bringen wollte, daß die See ſich vor demſelben brach.

„Die größte Macht des Sturmes war wohl vorüber‘, fagte er lächelnd, „und das war ein Glüd für die Mann ichaft, ſonſt wäre es unmöglich) geweſen, bei derart ichwerer See an dem Wrad anzulegen. Es hängt da jo viel von der Geichidlichkeit, dem gefunden Urteil und

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der Geiltesgegenwart des Lotſen ab, daß ein günftiger Erfolg nie mit Sicherheit vorausgeſehen werden kann.“

Einen Augenblick herrichte Schweigen, dann fuhr Guntram Krafft fort. „Würden Gie die Güte haben, fi) mir gegenüber zu feßen, gnädiges Fräulein, Gie haben alsdann den vollen Anblid der finfenden Sonne.”

Das Boot hatte die Brandung pajliert und glitt nun in großen, ruhigen Bewegungen über die Wogen; der Graf, welcher erſt mit voller Kraft und Aufmerkjamfeit gerudert hatte, hielt die Riemen ruhiger und fchaute mit finnendem Blick nach dem Horizont, welchem der feurig- rote Sonnenball langfam entgegenfanf und einen breiten, funfelnden Golditreifen auf das Waſſer malte, in den das Boot juft hineintrieb.

Gabrieles reizende Gejtalt war von hellem Purpur⸗ licht übergofjen, und ganz verftohlen ftreifte fie der Blick des Grafen. Sein Atem ging jchwer, feine Hände um— frampften die Riemen.

War’s ein Traum?

Wie oft hatte er fich voll Teidenfchaftlicher Sehnfucht gewünscht, jo allein jo weltfern und einfam mit der Heißgeliebten auf der wogenden Unendlichkeit des Meeres zu treiben, und nun war es gejchehen, nun jaß fie ihm nah ganz nah gegenüber, die zauberifchen Nirenaugen jo oft mit langem Blid auf ihn gerichtet, daS lockige Haar vom Wind verweht, das reizende Antli jo träus merifch und ernft ihm zugefehrt.

Damals, als er die Mannfchaft der „Sophie Johanne“

rettete, donnerte die See und heulte der Sturm, aber in feiner Brujt war es jtill wie im Grab, und heute jauft e3 nur linde und jacht in den Lüften, aber in feinem Herzen brandet milde Flut, Schlimmer und totbrin= gender wie jene, welche er damals jo heldenhaft be— zwungen!

Und dieſer ſoll er erliegen?

Er atmet ſchwer auf, ſtreicht langſam über die Stirn und lauſcht ihrer Stimme wie im Traum.

„Ihre Frau Mutter ſagte mir: ein Sonnenuntergang fei ein verförpertes, oder bejjer gejagt ein gemaltes Ge— dicht! Iſt das auch Ihre Anficht? Ich ſehe viel Schönes,

N.v. Eſchſtrutb, Ill. Rom. u. Nov. Die Pären v. Hohen-Esp II. 29

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Glänzendes, Yarbenprächtiges vor mir, aber feinen poe— tiihen Sinn faſſe ich nicht. Meine Phantafie ift wohl noch nicht aus dem tiefen Schlaf erwacht, in welchem ſie inmitten alles Großſtadtſtaubes gelegen! Sie haben jüngft am Strande das fchlafende Dornröschen ſchon einmal gewedt, Graf, tuen Sie e8 auch heute! Lehren Sie mich mit ihren Augen fehen! Was bedeutet für Sie fold) ein Sonnenuntergang?”

Er jchiebt den Hut wieder aus der Stirn zurüd, feine großen Blauaugen befommen einen weichen, träumerifchen Glanz, fein Blick fchweift weit hinaus.

„Sr bedeutet für mic) einen Traum, er bezwingt mich wie da3 Opium feinen Raucher, alles logiſche Denken, alle Wirklichkeit verfinft in wallenden Nebeln und alles Unorganifche beginnt zu leben. Wir Seeleute be— raufhen und an der Einfamfeit, die heilige, erhabene Ruhe um uns her wirft wie eine Narfofe, die leiſe Muſik des Windes, das Rauſchen der Wogen, das Flüjtern des Niedgrajes, melancholiicher Möwenjchrei und das Niefeln des Sandes find in wunderſamem Gemiſch ein Schlummerlied, welches uns einlullt und die Welt des Neulen vor unfern Bliden verwilcht. Hier und da der grelle Blit einer Welle, welche die Sonne trifft ein frifcher Zufthauch, welcher die Stimm fühlt... . und man träumt träumt wie ein Fiebernder, um dejjen Lager giftige Blüten welfen .. .”

„Vom Sonnenuntergang?”

„Den jehe ich nicht. Sch habe eine Viſion. Vor:

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mir wachjen die geheinnispollen, glutroten Korallen aug der Tiefe des Waſſers, fie breiten ihr myſtiſches Geäfte aus über den Himmel, fie flechten ein Neb durch Luft und Wolfen, ein Neb von blutfarbenen Zweigen, an welchem weiße Perlen ſchimmern. Über. fie hin weht es wie lichte Schemen . . Duftig .... wejenlos ... grau verhauchend, fie breiten violette Schwingen aus... Die reichen von einem Ende des Himmel® bis zu dem andern ..... fehen Sie dort? da tauchen fie hinab in die grelle Feuersbrunft, die wabernde Lohe, welche hinter den Wolfenbergen lodert und ihre Blißfunfen weit empor gegen das Firmament wirft! Sehen Sie, wie die Farben fommen und gehen? m grellem Schein das graufame Schwefelgelb, welches dem Lächeln eines unbarmherzigen Weibes gleicht... . und das Franke Grün, das irifierende Weiß des Opals . . das füße, jchmeichelnde Roſa ... ein Kuß, welchen Engel3lippen auf eine Perlmuttermuſchel hauchten! Dort fchießen mächtige Lilien empor ... wie Phantome ... ein Glorienjchein umgibt fie... . riefen hafte Schmetterlinge umgaufeln fie... und darüber wölbt fich eine Kirchenfuppel, an welcher grelle Aubine wie zornige Augen jprühen! Sie ftürzt zuſammen und nun fcehlägt eine ungeheure Flamme empor... Sie wähnen, daß es die Sonne jei? nein! es ift das Stüd eines Weltenbrandes, der enticheidende Augenblid im wilden Kampf der Titanen! Das Goldgegliger auf dem Waſſer find feine Wellen, es find die goldenen Schuppenringe der Midgardichlange, welche fich fchillernd windet und 29 *

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auf: und niederrollt, welche in zitternden Windungen dur) das Weltmeer ſchießt und mit breitem, fcharfge- zähntem Rachen dem Feuermeer am Horizont entgegen bäumt! Sehen Sie, wie die Gewaltige den Glutenball verichlingt? Mehr und mehr verjchwindet er und die roten Korallen erbleichen und finfen zufammen ... die weißen Lilien brechen wie ftumme Klagen nieder . die Schmetterlinge zerjtieben und treiben wie müde, Kleine , Wolfenfloden in der Unendlichkeit ... . aus dem Meer aber jteigt ein wunderholdes Weib mit frijtallenen Nixen⸗ augen und windzerzauftem Kraushaar, die hebt mit müden, jtrengem Lächeln einen grauen Schleier und breitet ihn über Himmel und Erde, über die Augen des fiebernden Mannes, der folch wunderliche Träume hat, und fie jagt: Wach aufl es ift Zeit heimzufehren, die Sonne ging unter!”

Guntram Krafft fchwieg, er fah Gabriele an und lachte plößlich leiſe auf:

„Und ſolch närrijches Zeug denft ein großer, ver— nünftiger Menfch bei dem Anblid eineg Abendhimmels |“

Sie faß ihm gegenüber, die Blicke groß und finnend auf ihn gerichtet. Unverwandt, wie in jtaunender Frage.

„Sie find ein Dichter, Graf Hohen-Esp!“

„Wohl möglich, ich weiß es nur nicht.”

Der Wind erhob fich ftärfer, das Boot ftieg hoch auf und ſchoß tief hinab im grünglafigen Wafjergebirge.

„Sie ſehen fo blaß aus, Fräulein Gabriele, frieren Sie?"

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Sie nidt. „Der Wind ift kalt. Laffen Sie ung ums kehren.“ |

Er griff hinter fi) nach einem Lodenmantel, welcher auf der Bank lag, und reichte ihn zu ihr hinüber.

„Ich bitte, legen Sie ihn um. In wenigen Minuten find wir am Strande.“ |

Guntram Krafft wandte den Bug des Bootes nach der See hin und ſtrich dem Lande zu, jeder heranlaufenden See einige Schläge entgegenrudernd, damit ſie das Boot ſchneller paſſire. Wie ruhig er ſich bewegte, wie ener— gifch und ficher feine jtarfen Arme das Yahrzeug re: gierten.

Und wie ſchön er ausſah!

Nie Hatte Gabriele die glänzendfte Galauniform eines Mannes befjer gefallen, al3 diejer u fo wunderbar fleidfame Fiſcheranzug. |

Wie fernig, wie wetterfeft und männlich fah der Bär von Hohen-E3p darin aus, wie edel und kühn fein Antlik, welches fich joeben noch der finfenden Sonne zugewandt und ein Märchen voll jchwärmerischer Weichheit geträumt hattel

Gabriele war noch nie auf bemwegter See gefahreıt.

Ihr deuchte das Auf- und Niedergehen des Bootes gefahrvoll und beängjtigend, fie fühlte, wie ihr Herz ichneller fchlug, wie ihre Hände leiſe erbebten, wenn ein Schaumkamm Hoch aufftieg und drohte über das Schiff⸗ lein hinwegzubranden.

Mit keinem andern Fährmann hätte ſie in dieſem ge—

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brechlichen Fahrzeug fißen mögen, als mit dem Bären von Hohen-Esp, welcher ihr jo ruhig und unbejorgt gegenüberfaß, als habe er nur feine herzliche Freude an dem fcherzenden Spiel der Meerfrauen. Und immer jtärfer faufte der Wind, und immer fchneller jchoß das Boot der Küfte zu. Guntram Kraft wandte fich um und blickte nach dem Strand.

Eine jähe Betroffenheit malte fid) auf feinen Zügen.

„Die Fiſcher jcheinen und noch nicht zu erwarten!” fagte er, griff mit der einen Hand haftig in Die Tajche und führte eine Torpedopfeife an die Lippen. |

Niemand zeigte fi) in den Dünen. | |

„Wir müffen landen es wird immer kühler, und der Wind kommt auf!” |

„Sind wir noch nicht zur Stelle?”

Das Boot Schoß auf den Sand und faß mit hartem Ruck feſt, eine kräftige Welle fchoß über und übergoß eg mit ihrem Sprißer.

Guntram Krafft ftand aufrecht und blickte noch immer hilfefuchend nach dein Strand. Dann warf er die Riemen hin und fagte zu Gabriele, indem er fich aus dem Boot ichwang: „Wir haben leider feinen Landungsſteg hier, die Brandung duldet ihn nicht. Das Boot liegt aber noch halb im Wafjer. Sie müfjen geftatten, gnädiges Sräulein, daß id) Sie diefe paar Schritte an Land trage!”

Gabriele fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen ſchoß, aber fie erhob fi und trat fehr ruhig au den Rand des Kahnes.

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„Das wäre fehr freundlih, Graf, meine Schuhe find. nicht auf waten vingerichtet.‘

Er ſtand halb abgerrandt, legte den Arm um ſie, ohne fie anzus jehen, und hob fieanjeine Bruft. Mit jehr ha=

ſtigen Schritten erreichte er den

trockenen Strand und ließ die junge Dame janft hinabgleiten. Droben in den Dünen erſchienen im Laufſchritt Die Fiſcher.

„Wollen Ste die Güte Haben, vorauszugehen, wir müfjen das Boot erjt bergen!” Seine Stimme flang rauh, atenılos.

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„Ich habe Ihnen jo viel Mühe gemacht, Graf, ich danke Ihnen von Herzen!” fie reichte ihm die Hand Hin, und er umfchloß fie mit Furzem, frampfhaftem Drud. Er murmelte ein paar Worte fie verftand fie nicht, der Wind braufte daher, und Gabriele eilte geneigten

Hauptes zur Burg.

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XXIII.

Pie Bäume des Waldesraufch- ten im Mind und neigten fich, und blickten in Das bleiche, ernſte Ant: litz Gabrieles, wel: ches ihnen ſo ſelt—

ſam verändert

deuchte.

Wo war die kühle, gleich— gültige Ruhe geblieben, welche ſonſt aus ihren Augen geſchaut?

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Jetzt leuchtete es darin jo fchnell und irrlichtartig, wie Gedanken, welche aufzucen und ſchwinden, welche dem Frührot gleichen, dejjen Strahlen gegen die Schatten der Nacht fämpfen müjfen, ehe fie leuchtenden Sieg er: ringen.

War diejer kraftvoll energiſche Mann, welcher fie \oeben durd) jchäumende Wogen gerudert, welcher fie mit jtarfen Armen gehoben und an der Bruft gehalten hatte, mar e3 derjelbe jchüchtern verlegene Jüngling, welcher im Balljaal der Nefidenz fo unficher über das Parkett \chritt, al3 vermijje er daS Gängelband der Mutter?

War diefe poetifch jchöne Erjcheinung des wetter— harten Seemanns diejelbe, welche ehemals in Frack und Lackſchuhen fo ungefchiet einherjchritt, wie ein täppifcher Bär, welchen man zur Kurzweil in Masfentand gekleidet.

Nein, es war nicht derjelbe! Es war nicht möglid), nicht denkbar, daß binnen Furzer Zeit ein ſolcher Wechjel und Wandel mit einem Menjchen vor fich gehen fann!

Gabriele blieb ftehen und blickte mit weit offenen Augen dem vorjährigen Herbitlaub nad), welches der Wind rajchelnd vor ihr her, den Burgberg hinan trieb.

Ein Wundel?

Nein, es iſt kein Wandel.

Guntram Krafft iſt wohl ſtets der kernige Mann ge— weſen, wie er jetzt vor ihre Augen tritt, die kurze Gaſt— rolle aber, welche er in der Reſidenz gegeben, hatte ein Zerrbild aus ihm gemacht, deſſen weichliche Züge in nichts der Wahrheit glichen.

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St es nur das Neue, Überrafchende, was Gabricle jo feffelt, fo ungewöhnlich erregt? Iſt e8 Zauberſpuk, daß ſein ſchönes, eigenartiges Bild ihr vorſchwebt, ob fic es jehen mag oder nicht?

Scharf wie Adlerblid war fein Auge, als er prüfend See umd Himmel beobachtete, fichere Fahrt zu nehmen, und wie mild und tränmerifch ward es, al3 der Sonnen: untergang jeine geheimnisvollen Bilder vor.ihm fpiegelte, ala er ihr leis und ſchwärmeriſch feinen mit den Worten eines Dichter malte!

Das war nicht weibiſch und jentimental, das war nur wie das leiſe Säuſeln eines Windes, welcher ſtark genug iſt, in nächſter Stunde zum Orkan anzuwachſen.

Dieſes Sinnen und Träumen paßt zu dem einſamen Mann, in deſſen Herzen noch die Wunder der Natur leben, welche ihn rein und unverfälſcht umgibt.

Herr von Heidler konnte auch flüſtern in Worten des Dichters, aber das war eine ſchwüle, betäubende Poeſie, der Gifthauch des Modernen, welches nur die Sinne be— rauſcht und nichts gemein hat mit jenem unſterblichen Gotteshauch, welcher wie ein heiliger Lobgeſang alles Schönen und Edeln über den Wogen des Weltmeers ſchwebt!

Herr von Heidler borgte ſich den ſchillernden Mantel eines Dichters, um Erfolge zu erringen, um die Augen zu blenden und in frivolem Spiel Triumphe über Mädchen— herzen zu feiern, Guntram Krafft aber ſprach nur Worte, die ſeine eigene Seele geboren hatte, Worte, welche nicht

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um Beifall buhlten und feine jelbitjüchtigen Zwede ver: folgten. |

Er ſprach wie in kurzem Traum . . . und der Wind verwehte den Klang feiner Stimme, und als er erwachend das Haupt hob, war der Traum vergejjen. .

Da ſchafften feine ftarfen Arme vol eiferner Kraft, da madten fie ſich die Elemente untertan und be fiegten fie wie in harmlojem Spiel.

Und dann... |

Gabriele atmete plößlich ſchwer auf und fehritt beinahe ungejtüm weiter, dann umfing fie diefer kraftvolle Arm und trug fie durch den kräuſelnden Wellenſchaum, und fie umjchlang feinen Naden und war feinem Antlitz jo nahe wenngleich er das feine abwandte in rejpeft- voller Ritterlichkeit.

Warum fchlug ihr Herz fo heiß und leidenfchaftlid) auf in diefem Augenblid?

Warum gefiel es ihr jo gut, daß er fein Geficht weit wegfehrte von ihr, daß er fo fchnell und Haftig aus: fchritt, daß er fie nicht anfah, als er fie fanft zur Erde gleiten ließ?

Gibt es dennoch jene ſtolze Männertugend, welche nicht den gegebenen Augenblid auszunützen jucht?

D, wie ander® wäre Herr von Heidler in dieſem Augenblid gewejen.

Wie würde er fie in wild begehrlicher Weiſe an fich gedrüdt wie jüß und berüdend, wie zwingend und (ohnheifchend würde er ihr in das Auge gejchaut haben!

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Langſam ganz langſam wäre er wohl ausgefchritten und die Worte, welche er in ihr Ohr geflüftert Hätte, wären wohl auc) Dichterworte geivefen, aber folche, welche wie jengende Höllenfunfen in das Herz fallen!

Sm Spott und Übermut hat man den Bären von Hohen-Esp in der Reſidenz den modernen Parzival ge- nannt! Und do... . fein Name paßt fchöner und beſſer für ihn wie diefer! Einfalt, welche Tugend, Weltunflugheit, welche Edelfinn eines Ritters ift, deijen Händen ein Heiligtum zum Schuge anvertraut wird!

PBarzival, der Held!

Sit auch Guntram Krafft ein folcher?

Da zieht es wie ein Schatten über das verflärte Antliß des jungen Mädchens.

Ach, daß er es märe!

Daß fie eine einzige Tat der Kühnheit, des wage: mutigen Heldenfinnes bei ihm fchauen könnte!

Horch, wie der Wind durch die Baumfronen brauft, wie fpöttifches, grimmes Gelächter! Noch wenige Schritte und die grauen efeuumfponnenen Mauern von Hohen-Esp tauchten vor ihr auf.

Die fteinernen Bären jehen fie mit den bemooften Augen an, ald ob aud) fie lachten, und fie heben die Pranken und fehren ihr das alte Wappenfchild zu.

„Chriſte Kyrie

Bu Land und See Schirmherr der Not. Das walt' Herre Gott!

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Gabriele hat den ſeltſamen Spruch jchon oft ge= lejen, heute deucht es ihr, als fchaue fie ihn zum erjtenmal.

Schirmherr der Not!

Gibt es einen edleren Helden al3 einen Mann, welcher bochherzig und felbjtlos fein Neben einjeßt, der Not des Nächſten zu Hilfe zu fommen?

Die Grafen von Hohen-E3p aber haben feit vielen ‚sahrhunderten ihr Schwert und ihren jtarfen Arm in den Dienſt der Not geitellt.

Auch Guntram Krafft ijt ein Hohen-ESp!

Gräfin Gundula fchten ihre junge Geſellſchafterin be- reitS erwartet zu haben.

Sie trat ihr in der Halle entgegen und fah jehr heiter und zufrieden aus.

„Anton follte dem leichtfinnigen, Kleinen Fräulein noch ein warmes Tuch an den Strand nadıtragen!” fcherzte fie, „denn eine Stadtdame, wie Baroneffe Gubriele, muß fih erft an unfere frischen Brijen gewöhnen! Statt defjen fommt der Alte unverrichteter Sache zurüd und meldet, daß das guädige Fräulein mit dem Herrn Grafen hinaus: gerudert ſei! Das nenne ich Courage, liebe Gabriele, denn fo viel ich von bier aus beurteilen kann, iſt Die See bewegt!”

„And wie bewegt, Frau Gräfin! Für meine Begriffe war e3 Sturm!” |

Gundula lacht und fehrt das junge Mädchen dem Fenſter' zu.

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„Laſſen Sie fehen, wie Ihnen diefe Ertravaganz. be:

fummen iftl Nun ja... blaß, wie eine weiße Roſe! Das konnte ich mir ſchon denfen! Ich begreife meinen Sohn nicht, daß er fie zum erjtenmal bei Wind hinaus— gefahren hat! Schnell trinfen Sie ein Glas Wein, damit Sie wieder Farbe befommen!’

Jähe Glut jtieg in Gabrieles Wangen, fie bemühte fich, fo harmlos und heiter zu plaudern wie jonft, und empfand es doch, daß es ihr heute nicht fo leicht wurde wie zuvor.

„Ihr Herr Sohn war völlig unfchuldig, gnädigſte Gräfin, und nur ein Opfer jeiner großen Liebenswürdigkeit, welche ich hart auf die Probe ftellte.””

„Ah fo war es Ihr Wunfch zu fahren?” unter: brach) die Herrin von Hohen-Esp und jah noch erjreuier aus wie erit: „Hat unjer fchönes Meer es Ihnen mun doch angetan?”

„Es war in feiner Erregung entſchieden viel berüctender, wie in feinen dolce far niente!“ lachte das junge Mäd- chen und trat noch weiter aus dem Fenfterlicht zurück in die dämmrige Halle: „Sa, es war fo herrlich anzu: fehen, daß mich das unmideritehliche Verlangen ankam, nich einmal mutig hinauszuwagen. Der Graf fam mir juſt in den Weg, und da er die Gutmütigfeit der Hohen: Esp mit dem Bärenblut geerbt, jo erfüllte er jtehenden Fußes meinen unbejcheidenen Wunjch!”

„Er wird fich gewiß jehr gefreut haben! Man kann ihm ja nichts Lieberes antun, als Intereſſe für die See und alles, was ihr angehört, zu zeigen!’

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„Jedenfalls verſtand er es meilterlich, ſich in das Unvermeidliche zu fügen!“ |

„Und wo blieb er? Brachten Sie ihn nicht mit zurück?“

„Kein, liebe Burgfrau —“ Gabriele neigte dus Köpf— chen und füßte beinahe zärtlich die Hand der alten Dame, welche fich auf ihre Schulter legte „er muß nun erft wieder die Unordnung bejeitigen, welche mein Übermut unter feinen Segeln, Riemen ufw. im Boot gejchaffen! sch glaube, der edle Nenner fol erft für die Nacht in den Stall gejchafft werden!”

Gundula nidte heiter. „Der Wind jcheint tüchtig aufzufriichen, da werden fie zur Nacht wohl alles am Strande bergen wollen, falls eine ftärfere Boe einjegt! Wie war Ihre Fahıt? Erwieſen Sie fich feetüchtig ?’

„Es fchaufelte furchtbar, und ganz unter ung gejagt, Frau Gräfin, ich habe mid) fchredlich gefürchtet! Wollte mich nur nicht allzufehr vor dem Grafen blamieren, fonft wäre ich fehr bald wieder auzgeftiegen, als ich merkte, wie hoch die Wellen gingen!”

„Kürten? Wenn Guntram Kraft die Ruder führt?” mie ruhig, wie Stolz und zuverfichtlich Elangen dieſe Worte.

Gabriele neigte das Köpfchen: „Der Graf iſt gewiß ſehr ſtark und Fräftig, aber gegen Sturm und Meer aufs fommen vermag fchließlich niemand; ich glaube, Ihr Herr Sohn wußte e3 anfangs jelber nicht, wie arg der Wind war, jonft hätte er vielleicht die Fahrt gar nicht unter- nommen!’

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N.v. Eſchſtruth, AN. Rom. u. Nov., Die Bären v. Hoben-Esp II 30

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Nun lachte die Gräfin ebenſo laut auf, wie zuvor Guntram Krafft, als ſie von dem Sturm geſprochen.

„Ich wünſchte nur, Sie erlebten bald einmal das, was wir hier ‚grobe Eee‘ nennen!” ſagte fie dann mit jeltfjam leuchtendem Blick. „Ich glaube, Sie fennen big- her weder einen echten, vechten Zeejturm, noch das Meer, wenn es zornig wird, noch den Bären von Hohen-Esp, wenn er beiden Die Zähne weilt. Was bringen Sie, Anton? Wollen Sie Licht anſtecken? Wir warten mit dem Abendbrot auf den Herrn Grafen.”

Die Sprecherin war zu dem Sredenzjchranf getreten, ein kleines Spißglas voll Tofayer für Gabriele zu füllen, der alte Kammerdiner aber verneigte ſich rejpeftvoll und nahm eilig ein Tablett, dem gnädigen Fräulein den Wein zu fervieren.

„Halten zu Snaden, Frau Gräfin. Soeben bringt einer aus dem Dorfe die Nachricht, daß der Herr Graf nicht rechtzeitig zum Abendbrot kommen fünne. Man wiſſe nicht, was die Nacht bringe, und es ſeien mancherlei Vor— bereitungen am Strande zu treffen. Der Herr Graf laſſen die Damen bitten, allein den Tee zu trinken, da es ſpät bis zu jeiner Rückkehr werden könne.“

„Sut Anton; ich dachte es mir Schon. ES ift zivar noch feine telegraphiiche Sturmwarnung an meinen Sohn eingetroffen, aber der Seemann verjteht ſich ſchon auf Die Anzeichen, welche Vorſicht gebieten. So jteden Sie Die Zampe an und jagen Sie der Mamfell, daß für uns an— gerichtet werde.”

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Gabriele hatte hoch aufgeatmet bei der Nachricht, daß Guntram Krafft Heute fern bleiben werde. Sie wußte e3 felber nicht, warum fie ein gewiſſes Bangen empfand, ihm heute wieder in die Augen zu fchauen. Noch jchlug ihr Herz zu ungeftüm, wenn fie an den Augenblid dachte, wo er fie an der Bruft gehalten, e8 war gut, wenn jie Zeit gewann, ihre törichte Verlegenheit zu überwinden.

„Arme Mike!’ fuhr die Gräfin mitleidig fort, „fie bekommt gewiß einen ftürmifchen Hochzeitstag! Das Heulen, Saufen und Wogenbranden iſt zwar für eine wadere Filcherfrau gewohnte Mufit, aber es follte mir leid fein, wenn die Kleine Srau ihren jungen Ehemann alliogleich in bös Wetter hinausſchicken müßte!”

Mike?” fragte Gabriele nachdenklich, „ilt das nicht das blonde, hübjche Mädel, mit welchem Sie vorgeftern im Dorfe fprachen, Frau Gräfin?‘

„Ganz recht, dieſelbe. Sie heiratet morgen den Sugendgefpielen meine® Sohnes, Jöſchen Grotrian mit Namen, einen wackern, prächtigen Burfch, der Beſte unter Suntram Krafft3 Lotſen. Vorhin war Mife mit der Mutter bei mir, um ung alle nod) einmal feierlichft zur Hochzeit einzuladen! Ich Habe zugejagt, auch für Sie, liebe Gabriele, dem ich hoffe, Sie teilen unjere Vor: urteilslofigfeit in diefem Punkte! Wir Hohen-Esp und unjere bravenı Fiſcher drunten gehören in Freud und Leid zufammen! Wir find in der langen Neihe der Jahre wie eine große Familie geworden, und gemeinfame Not,

Angft und Sorge und manch einftimmiges Gebet am 30*

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Strande waren der Kitt, welcher unjere Herzen treu zu= jammengefügt hat. Da ift e8 undenkbar, daß ſich im Dorfe drunten jemand freuen oder betrüben könne, ohne daß wir innigen Anteil daran nehmen. Sie haben ge= wiß noch feine Fiſcherhochzeit mitgemacht, liebe Gabriele, und Die jehr primitiven Verhältniſſe folcher Feiern find Ihnen unbefannt! Dennoch hoffe ih, daß Ihr gutes Herz fih in all dies Fremde und für Sie gewiß jehr wenig ‚Hoffähige‘ finden wird, und daß Sie mir zu Liebe nicht das Näschen rümpfen, fondern Iuftig und guter Dinge mit den biederen Menſchen find!”

Der Blid der Sprecherin hatte fich wie in nachdent- lihem Forſchen auf das reizende Antlit des jungen Mädchens geheftet, und als fie das freudige Aufleuchten in den großen Augen und das Lächeln um den rofigen Rippen ſah, jtredte fie Gabriele jählings die Hand ent- gegen und jagte jo herzlich wie noch nie zuvor: „Ja, ich jehe es Ihnen an, Sie werden ung gern begleiten! Gie fühlen und denfen, wie wir, Gabriele, und ich danfe Gott dem Herrn, daß er Sie in unjer Haus geführt!”

Wieder drücdte Fräulein von Sprendlingen die Lippen auf die fchlanfen Finger Gundula2.

„Wo könnte e8 mir wohler fein, ala wie in Ihrer Nähe, Frau Gräfin, gleichviel, wohin Sie mich führen! So neu, wie mir diefe Welt auch noch ift, fo lieb iſt fie mir doch fchon geworden! Wo wird das junge Paar getraut werden? Müſſen wir alle in das Nachbardorf zur Kirche?”

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„O nein!“

‚ber drunten bei ung am Strande ift Feine!”

„Sahen Sie nod) nicht unjere alte, kleine Kapelle im Turm drüben?“

„Eine Kapelle? Hier in der Burg?”

„Wir benugen fie für gewöhnlic) nicht, um dem Pfarrer den jehr unbequemen Weg durch den Wald zu erjparen,

auch müßte er zweimal an jedem Sonntag predigen, in Karſtein und hier! Darım gehen wir alle zu ihm! Bei außergewöhnlichen Gelegenheiten aber fommt er hierher, und Mikes Hochzeit ijt jolch ein bejonderer Fall.’

„O, wie praftiich it das! Und wie angenehm für die Hochzeitägejellichaft !”

„Wir laſſen unſern lieben, fleinen Paſtor mit dem Wagen holen, die Kirche wird geſchmückt . . .“

2, Aal: &

„O, wie herrlich! Wer bejorgt das?”

„Immer Der, der fragt!” neckte Die Bärin von Hohen: Esp. „Die Guirlande nagelt freilich einer der Knechte über die Tür und die Tannenbäumchen ftellt wohl die Mamfell mit den Mägden um den Altar herum auf, aber wenn fich jonjt noch ein paar gejchiette Händchen finden wollten, den Altar jelber vecht ſchön und poetiſch zu jchmüden, fo wäre mir das ſehr lieb, denn für ge= wöhnlich war das meine Sorge, welche ich jet aber gern jüngeren Kräften überlafjen möchte!”

Gabriele Wangen Teuchteten in zarten Not. „OD, wie danke ich Ihnen für dieſe reizende Prlicht, Frau Gräfin, und wie freue ich mich darauf, die Kapelle zu ſehen!“

„Wenn die Mägde morgen früh mit fegen und ſcheuern fertig ſind, ſoll man Sie rufen, liebe Gabriele! Sie ſorgen wohl ſelber im Garten für die Blumen! Kaiſer— kronen, Narziſſen und Anemonen gibt es bereits, auch noch Krokus und Fürwitzchen, nehmen Sie alles, was Sie brauchen, die Sträuße können dann fpäter noch auf den Hochzeitstifch gebracht werden.”

Die Damen plauderten und die Stunden ver- gingen.

Spät erft fehrte Guntram Krafft heim.

Er Sprach nicht mehr in dem Wohngemach der Gräfin vor, jondern fchritt fogleich nach jeinen Zimmer hinauf.

Auch Frau Gundula ward müde, Füßte Gabriele auf die Stirn und fagte ihr „Gute Nacht.”

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Wie allabendlich begleitete ſie das junge Mädchen erſt nach ſeinem Erkerſtübchen.

Ganz erſchrocken wich Gabriele zurück.

„Was iſt das?“ fragte ſie betroffen.

Die Gräfin lachte und entzündete ihr Licht an der brennenden Kerze auf dem Toilettentiſch. „Das iſt der Wind! Hörten Sie ihn noch nie um altes Gemäuer laufen und heulen? Die Burg liegt ziemlich frei, da brauft es in allen Tonarten von der See herüber. Ich fürchte die Nacht wird fchlimm, aber Gottlob ijt niemand von unfern Leuten draußen. Die Armen aber, die auf hoher See mit Wind und Wogen fämpfen! Bergejjen Sie nicht ihrer im Gebet zu gedenken, Gabriele, aud) das iſt fo Sitte auf Hohen-Esp!“

Das junge Mädchen ftand regungslos und ftarrte nad) den fpigen Heinen Bogenfenjtern, um welche es pfiff und fchrillte.

„Fürchten Sie Jich, liebes Kind?” Gundula legte zärtlid) den Arm um die weiche, fehmiegfame Geftalt ihrer Gaſtin! „O, nit doch! Sie find hier ficher wie in Abrahams Schoß und es iſt heute nur das Unge— wohnte, was Sie ängftigt! Für mid) gibt eg faum nod) ein behaglicheres Schlummerlied, als wie dieſes Windes- braufen und das ferne Donnern der See! Auch Sie werden e3 bald lieb gewinnen! Wenn freilich der Wind zum Sturm und Orkan wird, dann läßt einem der Gedanfe an die Schiffe, welche draußen find, feine Ruh... dann fommt die Eorge, ob Guntram Krafft nicht hinaus muß,

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Hilfe zu bringen! Aber davon ift heute feine Rede, diefen Wind haben wir oft, fehr oft, wir achten feiner faum noch! Walls es Ihnen aber lieber iſt, Gabriele, will ic) die Tür nach meinem Zimmer öffnen, Sie fühlen fid) dann nicht fo vereinfamt!” |

„Rein, nein, liebe Frau Gräfin, das wäre noch jchöner, wenn ich ein folcher Hafenfuß fein wollte! Nun, wo ich weiß, was für Stimmen da draußen lärmen, lachen und rufen, fürchte ich mich nicht mehr vor ihnen.”

Und als fich nach herzlichem „Gute Nacht” die Gräfin zurüdgezogen, trat Gabriele an das Fenſter und blidte in die dunfle Nacht hinaus.

Der Wind jagte jchwarze Wolkenmaſſen über den Himmel die Bäume drunten bogen ſich und ächzten und die Fenfterflügel klappten und greinten wie mit leifem, wehmütigem Stlagelaut.

Gabriele jchloß die Borhänge und begab fich zur Ruhe,

Aber fie fand lange feinen Schlaf.

Ihr war's, als jäße jie noch in dem Boot, das auf und ab geſchleudert ward von toſenden Wellen.

Guntram Krafft ſaß ihr gegenüber und führte die Ruder und er ſah ſie nicht an, ſondern blickte ſtarr geradeaus in die gähnend finſtere Nacht und ſein Angeſicht glich dem jungen Wulffhardt von Hohen-Esp, der ertrunfen war um 1503!

Ertrunfen!

Gabriele fchauerte zufammen und preßte das Antlig in die Kiffen.

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Wie Fam ihr plößlich das Verſtehen für dies graufige, entfegliche Wort!

Ertrunfen!

Sie jchlingt die Hände ineinander und betet mit zuckenden Lippen für alle, welche mit Sturm und Wogen ringen ſo wie Frau Gundula es ihr geheißen, aber ihre Gedanken weilen dabei nur bei einem und vor ihren Augen ſchwebt ein Bild... Guntram Krafft, und auch unter dieſem farrt dag furchtbare Wort „er: trunken.“

Sie ſchrickt empor ... fie lauſcht ...

Droben, über Frau Gundulas Gemach liegt das Zimmer des Grafen.

Er ſchläft nicht, fie hört ihn auf- und abſchreiten ... e3 jchallt fo jehr in dem grabegitillen Haus.

Horch ... Hin und ber... Hin und her ...

Nuhelos wie fie!

2.

Gegen Morgen hat der Wind ein klein wenig ab— geflaut.

Die Sonne leuchtet am Himmel, hinter dem Wald blitzen die weißen Wellenkämme der See auf.

Gabriele iſt frühzeitig aufgeſtanden.

Sie hat geſtern im Wald ein wildes Birnbäumchen geſehen, das ſtand in voller Blüte.

Welch ſinnigeren Altarſchmuck könnte ſie finden, als dieſe duftigen, ſchneeigen Zweige.

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Als fie in den Hof tritt, Hört fie noch jenfeits der Zugbrücke Hufichläge verflingen Ein Knecht jteht, die Arme behaglich in die Seiten geftemmt und Schaut dem Reiter nad).

„Iſt eine telegraphiiche Nachricht gefommen, Ehriftian ? Die erwartete Sturmmwarnung von der Seewarte?“

Der Mann lacht die Fragerin mit feinen heflblauen Augen vergnüglich an.

‚ee, gnä Frölen! Dat wi nähltens doch ’n offen Düchtigen Freegen, dat weeten wi ganz alleen!”

„Ser ritt joeben fort?‘

„Dat wier nur unſ' junge Graf! He fell woll up’n Feldern nach'n Nechten Tiefen!”

„Auf den Feldern?“

„Wie hei jeggt! Du leime Tid! Wat het de Sraf nicht allen to bedenfen! Keen Ruh' nich bi Dag an Nacht. Un hätt dat ooch fo goar nid) nötig! Aber dat radert fich af! Keen Dagelöhner duht fich fo ſchinn'n a3 unſ' leive Jong! Um Glock fif rett hei weg, jebt däht Hei Frühftüd eten, un nu heidi wedder up't Pierd.“ ——

Tief in Gedanken verloren ſchritt Gabriele weiter.

Alſo darum war er ſo ſelten am Morgen zu ſehen, darum kehrte er neulich ſo ſtaubig und erhitzt zurück und hatte ſo viel Eiliges mit ſeiner Mutter zu verhandeln. Daß er nachts mit ſeinen Fiſchern ausfuhr, die Netze zu werfen, daß er am Tage oft ſegelte und ruderte und anftrengende Übungen mit feinen freiwilligen Lotſen

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machte, das war nur Erholung, nur Vergnügen nad) der Arbeit!

Und diefen Mann hatte fie oft einen Bärenhäuter genannt, ihn als müßigen Tagedieb beipöttelt und ver- achtet?

Mieder fteigt Gabriele das Blut heiß in die Wangen. Wie traurig ift e8 doch, wenn ein Mädchen fo gar feinen Begriff von Landarbeit und Seeweſen hat! Was für falfche, irrige Anfichten bildet man fich in der Stadt davon, wie bitter unrecht tut man oft den Fleißigften und Berdienitvolliten !

Gabriele iſt e8 plößlich zumute als Habe fie ein ſchweres Unrecht an Guntram Krafft gut zu machen.

Nicht nur der Mann, welcher mit der Waffe in der Hand zu Felde zieht, für Kaiſer und Reich zu kämpfen, erwirbt fich Verdienfte um fein Vaterland, fondern aud) der, welcher in ftillem Fleiß feinen Grund und Boden fultiviert, für feine Arbeiter forgt wie ein Vater, welcher gute Gefinnungen und edlen Patriotismug unter ihnen pflegt, welcher in treuer Celbitlofigfeit an der Küjte Wacht hält, ein „Schirmvogt der Not” zu fein!

Mit bebenden Händen pflücdt Gabriele die blühenden Zweige im Wald.

Ein Flodenregen riefelt auf fie nieder und ftreut bräutlich weiße Blättchen in ihr lodige8 Haar, il ihrem Herzen aber wächſt aus Fleinen Funken eine helle Flamme empor, noch fladernd und unficher, aber dennoch ſtark genug, daß fie fein Aſchenregen wieder erjtiden fann.

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Und dieſe Flamme brennt jo vieles zu Tode, was ehemals in dieſem Herzen als falſche Götzen gethront, ſie macht es ſo hell, wo es früher dunkel war, ſie läßt es ſo warm, ach ſo warm werden, wo früher Schnee und Eis geitarrt..

Die Arme und das hochgeraffte Kleid voll duftiger Blütenzweige ge- laden, kehrt Gabriele heim, und von der niedern, rund gewölbtenTurmtür, welche zu der Kapelle führt, tönt das helle Gelächter und der Geſang der Mägde.

Sie ſind noch fleißig bei der Arbeit, und die Mamſell tritt Gabriele

entgegen und bittet: „Wollen das gnädige Fräulein nicht noch ein halbes Stündchen warten! Dann iſt die Kapelle ſauber wie ein Schmuckkäſtchen und Baroneſſe haben einen ſo viel ſchöneren Eindruck davon!“

„Es iſt aber ſchon recht ſpät geworden, liebe Mamſell,

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und die Hochzeit ſoll ſehr präzife ftattfinden! Man heiratet hier jchon zu recht früher Stunde!”

„Ja, du liebe Zeit, gnädiges Fräulein, jo verliebte Reutchen haben es immer eilig, und Mile und Jöſchen vollends! Sit das ein Glüd: Man braudjt die beiden nur anzujehen, um zu wifjen, wie gut fie einander find! Aber vielleicht machen das gnädige Fräulein erjt Toilette, jo ein bifchen was Weißes oder Roſiges gehört fich doch für den heutigen Tag! ... Und die Zweige jtellen wir derweil noch in Waffer! Je kürzere Beit fie auf dem Altar liegen, deſto frifcher fehen fie aus!”

„Sie haben recht, Mamjell, das ift ein guter Gedantel So will ich mir denn ein hochzeitlich Gewand anziehen und bin in einer halben Stunde wieder hier!

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XXIV.

La der Mind ganz plötzlich wieder bedeutend aufgefrischt hatte und merflich kühl durch die blühende Flühlingspracht braujte, Hutte Ga— briele ein wollenes Kleid zu ihrem Anzug-gewählt, welches num in zart weißen Streppfalten an ihrer jchlanfen Ge— ftalt herniederfloß.

Es war noch eins ihrer „Fünfuhr-Tee“-Kleider, welche fie ehemals in der Nefidenz getragen, ſchick und elegant gearbeitet und Doc) einfach und anſpruchslos wirfend, einzig geſchmückt durch ein duftiges Spißengeriejel, welches über die Bruft fiel und den Saum des Nodes wie kräu— felnder Wellengifcht zierte. Die weiße Perlenjchnur, welche fie damal3 auf dem Hofball getragen, glänzte aud) jeßt auf ihrem graziöſen Naden und in dem Gürtel duftete ein fleiner Strauß weißer Narziſſen.

Haftig jchritt fie über den Hof nach der Kapelle, und die Mamſell trat ihr entgegen, faltete behaglich die fetten Hände über dem Magen und betrachtete das junge Mäd— chen mit unverhohlenem Entzäcken.

„Das laffe ich mir gefallen, Baroneſſe!“ nidte fie

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wohlgefällig. „Wenn jetzt ein Fremder hier einſchaute, der gehört hätte: „Auf der Burg gibt's eine Trauung“, dann würde er Stein und Bein darauf ſchwören, daß das gnädige Fräulein ſelber die Braut ſei, auf welche die Geſpielinnen mit dem Kränzchen und Schleier warten! Ra, ich denfe, den Tag erleben wir auch noch, und dann will ich aber den Badofen für den Hochzeitsfuchen heizen, daß die Flammen oben zum Schornftein hinaus— ſchlagen!“

„Ja nicht, Mamſell! Dann brennt der ſchöne Kuchen am Ende an!“ lachte Gabriele, aber ſie fühlte es doch, wie ihr das Blut unter dem ſchelmiſch zwinkernden Blick der Alten in die Wangen ſchoß. „Der Mike ſteht das Heiraten beſſer an, als mir, darum wollen -wir ihr recht viele Blumen auf den Weg ſtreuen!“

„Erſt ihr, dann Ihnen, guädiges Fräulein! Die Ylütenzweige ftehen in den Waſſerkübel neben dem Altar!”

Pod) ein nedendes Nicken und Grüßen, und die Mam— fell faßte Bejen und Staubtuch und ſchritt über den Hof zurüd, Gabriele aber trat in die Stapelle ein, welche leer und Still im Schimmer der bunten, Kleinen Glagfenfter vor ihr lag.

Bol andächtigen Entzücdens fchaute Gabriele um fid).

Nechts und links die wenigen Neihen der dunfelge- bräunten, hochgeſchnitzten SKirchenftühle, geradeaus der erhöhte Altar in jeinem verblichenen lila Sammetſchmuck, auf welchen die Silberjticlerei längſt Schwarz geworden war. Hocharmige Cilberleuchter, ein elfenbeingejchnißtes

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Kruzifix, an welchem noch die Roſenkränze der gräflichen Beter aus der katholiſchen Zeit hingen.

Rechts und links von dem Altar die Familienbilder frommer Hohen-Esp, hohe, ſteif ausſehende Geſtalten in ſchwarzen Nonnengewändern und weißen Kopftüchern, mit betend zuſammengelegten, wachsgelben Henden und Itarren hohläugigen Gefichtern.

Direkt Hinter dem Altar ein faum nod) erfenntliches Öemälde: „Die Auferftehung des Herrn.”

An dem offenen Grab Eniete anfcheinend der Stifter des Bildes, ein Graf von Hohen-E3p mit feiner Familie; die Burgfrau gleicht in Tracht und Ausſehen der Katha⸗ rina von Bora, und ähnlich wie Luthers Kinder ſind auch ihre acht kleinen Grafen und Gräfinnen gekleidet. Der Vater trägt ritterliche Rüſte, der älteſte Sohn ein kleines Schiff in der Hand. Alle erheben voll i inniger Anbetung die Blide zu dem fegnenden Heiland.

Zur Rechten erhebt ſich die alte Burg Hohen-Esp, wie fie damal3 wohl ausgejchaut, im Hintergrund wogt ein grellblaues, zadenwelliges Meer, aus welchem drei geifter- hafte Öejtalten emporjchweben. Offenbarung Joh. 20.13.

Seitlich von dem Altarbild find Gedenktafeln, zwei halbvermoderte Kirchenfahnen, Filchernege und ein zer- brochenes Ruder aufgejtellt.

Ein welker, fait zerfallener Totenkranz mit Trauer- flor ift um da3 Ruder gewunden.

Gabriele jchaudert zufammen.

Dieſes Ruder war wohl das einzige, was von dem

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N.v.Eihftrutb, I. Nom. u. Nov., Die Bären v. Hob

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Boot eines ertramfenen Hohen: Esp an das Land zurüde geſpült wurde,

Ihr Blick irrt weiter, über die mächtigen Bären- wappen, über die ſteinernen Grabplatten, welche die Fa—

miliengruft. ſchließen und jteife liegende Rittergeitalten zeigen, hinauf zu der niederen, gewölbten Dede, von welcher an rojtigen Ketten eine ganze Anzahl von Kleinen Schiffen herabhängen. Fromme Stiftungen der Fischer aus dem Dorfe drunten. Grob und plump gefchnigte Segelichiffe, in Form und Bau ihr hohes Alter zeigend, Kleine Boote und ſchwer⸗

fällige Kuffs, allerliebft und kunſtvoll getafelte, Heine Drei- maſter, an welchen fleißige Hände wohl ein Menfchenalter gearbeitet haben.

„Model der ‚Anne Marie Karften‘, Kapitän Jochen Ulrich Grot“ gejtrandet bei Kap Horn un Jahre des Herrn 1760. „Dein Wille geſchehe.“ tteht auf ſchwarzer Kleiner Tafel an dem. einen. |

Leifer Schritt erklingt auf den Steinfließen und Gab⸗ riele ſchrickt aus tiefen Gedanken empor nnd blickt ſich um,

Ein ſchmächtiges, altes Männchen jteht Hinter ihr und dreht reſpektvoll den jchäbigen alten Filzhut in der Hand,

„Ach verzeihen die gnädige Herrichaft” flüftert er mit devotem Kratzfuß, die lichte Gejtalt der jungen Dame wie eine Viſion anftarrend „ich bin der Küfter aus Rarftein und foll bei der Trauung das Harmonium ipielen! Die Frau Gräfin ſchickte mich, daß ich die Lieder erit einmal durchſpiele!“

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„O, das ift ja ſchön, Herr Küfter!” nickte ihm Gabe riele mit herzgewinnendem Lächeln zu, „da Habe ich dei Genuß Ichöner Mufif während meiner Beichäftigung!”

Der kleine Mann dienerte jehr gejchmeichelt und Hetterte die fchmale Holzwendeltreppe zu der Empore hinauf, Gabriele aber tritt an den Altar, nimmt finnend die weißen Blütenzweige und ſchmückt die teuren Heilig: tümer.

Wie wunderfam leuchten die frischen Blumenkelche auf dem uralten verjchojjenen Sammet, wie grell der Kontraft zwischen Tod und Leben, zwifchen dem fonnigen, bräutlichen Jetzt und dem grabegitillen, grauen Ehemals!

Ein ‚Sonnenftrahl bricht durch) das bunte Fenſter und malt goldige Lichter um die ſchlanke Mädchengeitalt, welche mit graziös erhobenen Händen die Blüten um das Kruzifix ſchlingt, welche die zarten Ziveige durch die Arme der Leuchter flicht, dann niederfniet vor der Altar: dee und auch an ihr empor den holden Schmud ranfen läßt, finnig und ſchön, fo feitlich, wie wohl diefer Tisch des Herrn feit langen Jahren nicht. mehr ausgejchaut bat. | |

Und während fie, felber wie ein bräutliches, junges Weib anzujchauen, ihres Tieblichen Amtes waltet, ertönen über ihr die jubelnden Klänge: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was. er Dir Gutes getan hat!“

Immer voller und duftiger geftaltete ſich der Altar- ſchmuck unter Gabrieles Händen, fie ftreut auch noch die weißen Blüten über die Grabjteine, fie nejtelt die duftigen

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Narziffen in die grünen QTannenzweige, welche das Ge: länder um den Altar verhüllen .. . und dann Steht fie plößlic) wieder ſchweratmend ftill und ftarrt auf das zerbrochene Ruder unter dem verjtaubten Trauer- fchleier.

Einen Schritt tritt fie näher ... noch einen und noch einen... .. bis fie davor fteht und ihre Hände, wie in jcheuer, banger Innigkeit über das wurmitichige Holz gleiten. |

Seht Fällt ihr Blick auch auf ein Fleines Paftellbildchen, welches an dem Pfeiler, kaum fichtbar von der Kirche aus, aufgehängt ift.

Eine fchlechte Kopie jenes Gemäldes aus dem Ahnen: faal droben. Wulffhardt von Hohen-Esp; ertrunfen um 1503. |

Armer, armer Füngling!

Die jubelnden Orgelflänge find leiſe und ernit ge- worden, fie halfen und flingen wie Seufzer der Wehmut durch die Kapelle, wie leife Engelsjtimmen, welche um die Toten Flagen.

Gabriele weiß nicht, warum fie es tut, aber fie fchlingt Die fchneeigen Blütenzweige zum Kranz und jchmüdt das Bild des Wulffhardt von Hohen-Esp und feine Augen ichauen fo lebendig drein ... fein Blick ſenkt ſich in den ihren und feine Lippen lächeln unter dem bräutlichen Schmud...

Wie gleicht er Guntram Krafft!

Wird auch jein Bild einft hier hängen, wird auch

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unter ihm das graufige Wort „ertrunfen‘ ſtehen ... wird... Ä

Gabriele macht eine jähe Bervegung und preßt ſchwer— atmend die Hand gegen das Herz und als fie ſich haftig zurückwendet, ringt fich ein leifer Schredenslaut von ihren Lippen.

Dort an dem Kirchenftuhl fteht Guntram Krafft, mit gefreuzten Armen, ſtill und regungslos und ftarrt fie aus weit offenen Augen an.

Blick ruht in Blick ... . und die Orgelflänge flüftern, ichmwellen wieder an und flingen jo voll und feierlich, als trügen fie ſchon jeßt das Dankgebet vereinter Herzen zum Himmel.

Der Graf macht eine Bewegung, als wolle er ſich mit beiden Händen jchwer auf die Lehne des Kirchen: jtuhles jtüßen, dann jchreitet er langjam näher, tritt neben fie und jchaut auf da3 gejchmücdte Bild Wulffhardts nieder.

„Barum taten Sie das?“ fragt er mit leijer, freinder Stimme.

Gabriele fieht nicht auf zu ihm, fie wendet fich und ordnet mit bebenden Händen unter den Blüten auf dem Altar, welche bereit3 jo wohlgeordnet Tiegen.

„Das Herz tut mir weh, wenn ich daran denfe, wie früh er fterben mußte!“

„Da, er ftarb früh, an der Schwelle des Lebens. Er kannte weder Glück noch Liebe und Doch wäre er wohl auch jo gerne glücklich geweſen!“

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Auch glüklich geweſen!

Klang das nicht wie ein geheimer, leidenfchaftlicher Scufzer der Sehnfucht? Gabriele antwortet nicht, fie neigt das Haupt nur tiefer. „Ich danke Ihnen im Namen jene3 Armen, Ein jamen —“ fährt der Graf fehr ruhig fort, „deſſen Sie jo barmherzig gedachten. Mir iſt's, als müßte er jebt ruhiger in der Gruft drunten jchlafen, al3 müßte er nun verjöhnter mit jeinem inhaltloſen Leben fein.’

„Sin inhaltlojes Leben, wenn ein Mann diejes Leben dahingab für die Brüder?’

„Er tat feine Pflicht!”

„Er tat mehr denn fie!”

Ein beinahe düfterer Blick brach aus Guntram Kraffts Augen.

„Wohl doch nicht in Ihrem Sinne, Fräulein Gabriele; er 309 weder in den Krieg, noch fonnte er große Taten für fein Vaterland tun! Der liebe Herrgott im Himmel, welcher auch das geringite Streben nad) treuer Necht- fichkeit in feinem Dienft anerkennt, war wohl zufrieden mit ihm, die Welt aber hat den einfamen Mann auf Hohen-Esp kaum "gekannt, noch anerkannt! Gein Name it in feinem Heldenbuch verzeichnet, fein Andenken wird weder durch Wort nod) Lied geehrt, jene Stelle, wo die tojende Flut einen Süngling verichlang, welcher einem gefährdeten Schiff Rettung bringen wollte, ijt durch feine Spur gezeichnet, die Wogen rollen darüber hin, und der

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Wind verweht die Stunde. Das Schickſal der Hohen: Esp! Mit weißen Totenblumen fchmückt eine mitletdige Mädchenhand nad) Jahrhunderten wohl noch unjer Bild und Grab, mit Lorbeerzweigen nicht.”

Er brad) furz ab und trat zurüd.

„Der Hochzeitzug jcheint zu nahen, Sie geitatten, daß ich meinen wacern jungen Freund im Burghof be— grüße!’

Gabriele Stand regungslos und ſchaute ftarren Blicks auf das Bild, war es nur Einbildung, oder ſahen die lachenden Augen Wulffhardts plötzlich ernft, beinahe wehmiütig unter dein weißen Blütenſchmuck auf fie nieder?

. nicht mit Lorbeerzweigen ... nicht mit dem Ehrenkranz, weldyer dem Helden geziemt!

E3 lag etwas jeltfam Herbes in der Stimme des Grafen, als er das gejagt, etwas Vorwurfsvolles, was fie nicht verſtand.

Hatte fie vielleicht damals auf dem Hofball nur den Mann einen Helden genannt, welcher auf dem Schlacht: feld fein Leben fir Reich und Kaifer läßt?

Wohl möglich; fo war es ja ehedem auch ihre Anficht.

Und jetzt?

Nachdenklich ſtreicht ſie die krauſen Löckchen aus der Stirn, jetzt iſt es ihr wie eine Ahnung gekommen, als ob ein Mann, welcher ſich kühn in Sturm und hohe Flut hinauswagt, auch ein Held ſein könne!

Zur Überzeugung iſt es ihr freilich noch nicht geworden,

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fie hat von Guntram Kraffts mutigen Taten gehört, ohne fich eine rechte Vorjtellung davon machen zu können, ohne fie mit eigenen Mugen gejchaut zu Haben.

Ach, daß fie eg einmal, nur einmal tun fönnte!

Wie eine heiße, leidenfchaftliche Sehnſucht überkommt e3 fie, gerade von ihm, von Guntram Krafft überzeugt zu werden, daß fie ihm ehemals in der Nefidenz bitteres Unrecht getan!

Seine Berjönlichfeit ift ihr fo gänzlich verändert hier entgegengetreten, ein Zug wunderjamer Romantik verflärt fie, der Bär von Hohen-Esp, der Schirmvogt der Notleidenden hat ihr Intereſſe aufs lebhafteſte gemwedt, eine einzige kühne, mutige Tat, fo wie fie für dieſe reden bafte und poefievolle Ceemannzgeftalt paßt und das Intereſſe wird. lodernde Leidenschaft, und die Leidenjchaft wird Liebe, Liebe, welche getreu iſt bis in den Tod.

Wehe ihr, wenn e8 gejchähel

Ehedem lachte ihr das Auge Guntram Kraffts voll ehrlichen Entzückens entgegen, jet blidt es ernjt und gleichgültig über fie hinweg.

Warum das?

Weil der Bär von Hohen-Esp zu ſtolz iſt, um ein Weib zu werben, welches ehemals ſeine Annäherung ſo ſchroff und beleidigend zurückgewieſen hat wie ſie.

Gabriele ſenkt das Köpfchen tief, tief zur Bruſt, ſchlingt die Hände ineinander und ſchreitet langſam die Stufen des Altars hinab, der Gräfin entgegen, welche

die Kapelle betre= ten hat, den Braut= zug in ihrem Hohen Kirchenſtuhl ſeit— lich des Traualtars zu erwarten.

Gundula nimmt die kalte, bebende Hand des jungen Mädchens in die ihre, ſtreift mit einem warmen Blick inniger Bewunderung die liebreizende Erſcheinung ihrer jungen Gaſtin und tritt mit ihr nach dem erhöhten Sitz,

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die Orgelflänge ertönen und mit dem golden durch die Tür hereinflutenden Sonnenlicht erfcheint das Braut- paar in der Kapelle.

Guntram Krafft führt es zum Altar.

Mike jchreitet zwifchen ihm und dem Geliebten, eine blühende, fraftvoll jchöne Braut. Cie trägt das gold- blonde Haar jchlicht gefcheitelt und in Zöpfen herab: bängend, ein Dider, grüner Myrtenkranz legt jich um den ganzen Kopf und endet in einer rofa Schleife, melde lang über den Rüden herabflattert.

Eine dunfelgrüne Tuchjacke, mit Ärmeln, welche oben jehr weit, unten jehr eng find, ein buntes, mit breiten

» Sranzen beſetztes Halstuch, ein jchwarzer Warprod,

welchen eine mächtig breite, geblünte Schürze beinahe, verhüllt, bilden den Staat der Braut, welche ihr Gejang- buch gegen das Herz preßt und mit niedergeichlagenen Augen und hochroten Wangen daherjchreitet, wie die Ver: förperung eines echten, rechten Glückes!

Und Jöſchen an ihrer Seite ſieht nicht minder ftrahlend aus, wenngleich jein frisches Geſicht mit den hellblauen, luftigen Augen und dem meißblonden Flaum auf der Dberlippe recht verlegen ob all der Ehre, welche ihm ge— ſchieht, drein ſchaut.

Sein dunkler, großer Filzhut iſt mit rotem Band und Blumenstrauß geſchmückt, ein ebenſolcher ziert die offen— ſtehende SFifcherjoppe, unter welcher eine ſchwarze Manz cheſter-Weſte mit rotem und grünem Sternchenmufter ſichtbar wird.

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Der Hemdfragen fällt blendend weis; über und wird von einem jehr grellfarbigen Schlips geſchloſſen.

Da Jöſchen ſich juft nagelmeue, hohe Wafferftiefeln hat machen laſſen, trägt er fie felbjtredend an feinem Ehrentag und jtampft jo kräftig durch die Kapelle, daß e3 auf den Steinplatten hallt.

Dem Brautpaar folgte die Schaar der Säfte, Fiicher und Filcherfrauen, wohl die gefamten Einwohner des seinen Dörfchen?.

Alle ernit und feierlich, in ehrwürdig, altväterifchem Staat, einem Gemifch von bäurifcher Tracht und einem eriten Anfang ftädtifcher Kleidung, wenngleich das bäu— rifche in diefem weltfernen Dörfchen bei weiten überwiegt.

Kinder mit Blütenzweigen oder bunten Sträußchen in der Hand, drängen ſich jcheu an die Mütter, alte, wetterharte Seeleute mit dem Priemchen zwijchen Zahn und Bade und dem Tonpfeifchen in der Nodtafche, folgen langjam im Zug, und dann jchließt ſich das Gejinde von Hohen-Esp an, alle fo jtrahlend heiter und feſt— freudig geſtimmt, als gehe Mike und Jöſchens Glück fie alle an, als jet diefe Hochzeit ihr aller. Ehrentag, von welchem ein warmer. Sonnenftrahl in jedermanns Herz fallt.

Zuerſt wurde geſungen, jehr lange und viel gefungen, wie e3 die Sitte verlangte, und Guntram Krafft3 Stimme lang fejt und laut hervor, ebenfo wie Gundula weicher Alt und die helle, fchmetternde Stimme der noch jehr Stuttlichen Brautmutter,

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Gabriele Hatte gejehen, daß der Graf ihr juft an der andern Seite von dem jungen Paar gegenüberitand, fie fühlte auch, daß fein Blick beinahe unverwandt auf ihr rubte, aber fie fchaute nicht auf, fie fang leife, kaum vernehmlich die Worte des Choral3 mit, nur ihre Lippen regten ſich.

Der Paſtor trat vor den Altar, fpracd) in fchlichter, finniger Weife viel Schöne und herzbewegende Worte, und wandte fi) ganz bejonders an Mike, fie auf die ſchweren Pflichten der Seemannzfrau aufmerffam machend. Wie treu, wie jelbitlos, wie aufopfernd muß das brave Weib eines Fiſchers fein, wie wenig an fich jelbit und das eigene Glüd denken, mie tapfer und mutig den Herz: liebjten in Sturm und Gefahr hinausschiden, wenn es gilt, fremder Not und gefährdeten Menjchenleben zu Hilfe zu kommen! Gerade in folchen Stunden höchiter Angſt und Gefahr müßte fi) die wahre Liebe eiries treuen Weibes bewähren, nicht durch. ftumpfes „Drein— ergeben”, nicht allein durch Handreichungen und fräftige Hilfe, jondern vor allen Dingen durch Gebet und Für- bitte, welche den Geliebten auf feiner fchweren Fahrt dur) Sturm und Wogen begleiten.

Da iſt fein befjeres Steuer, als die inbrünftige Bitte zu Gott dem Herrn, da ijt fein beſſeres Segel, als das Flehen eines liebenden Herzen? zum Himmel! Solch ein Steuer bricht nicht, jolch ein Segel reißt nicht! Die Hände, welche ein treue Weib im Gebet zu dem Herrn der Welten erhebt, find der Talisman, welcher den See—

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fahrer auch in höchſter Not beſchirmt, fie find der Felſen, an welchen die verderbenden Wogen zerichellen und des Sturmes Macht fi) bricht. „Darum legt eure Lebens— ichifflein an den einzigen Anker, welcher noch nie verjagt und im Stich gelaffen hat, den Anker feiter und freudiger Zuverſicht auf Gottes Gnade, den Aufer treuen Glaubens an feine Barmherzigkeit, den Anfer fronmer Ergebung in feinen Willen... . wenn derjelbe uns auch andere Wege führt, als wie wir gehen wollen!”

Mike bliette dem Paſtor mit ihren großen, treuherzigen Augen aufmerkjam in das gütige Antlig und fie nickte ihm zuſtimmend und fo recht von Herzen überzeugt zu, und Jöſchen machte auch hie und da eine unwillfürliche Bewegung, ala wolle er verfichern: „Ja wol, Herr Baftur, dat woll’n wi allens jo maken!“

Und dann fnielen fie nieder und wurden gejegnet und der Prediger nahm die Ninge und fteckte fie ihnen an.

Da rafchelte es leife an dem Steinpfeiler. Ein Blüten- zweig löfte fi) von Wulffgardts Bild und fiel nieder auf das morſche Ruder.

Niemand bemerkte es, nur Guntram Krafft und Gab— riele ſchauten auf und ihr Blick traf ſich plötzlich, ſie ſahen einander in die Augen. Da zog eine heiße Purpurglut über die Wangen des jungen Mädchens, ſie blickte verwirrt zu Boden und neigte das Köpfchen noch tiefer wie zuvor.

In der kleinen Dorfſchenke, welche über den einzigen

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Naum verfügte, in welchem ein befcheidenes Feſt abge— halten werden konnte, hatte der Graf von Hohen-Esp den Hochzeitäjchmaus für feinen Jugendgefpielen her— richten laſſen.

Hier in dem niedrigen verräucherten Saal, an dejjen Dedbalfen das Haupt des hochgewachjenen Bären bei- nahe anftieß, feierten die Fiſcher „Kaiſers Geburtstag”, „Sedan”, Hochzeiten und Kindtaufen, bier jaßen fie Sonntag3 und rauchten ihre Pfeifen beim Glaſe Bier, hier verjammelten fie fich, wenn es NAußergewöhnliches zu bejprechen gab, oder wenn ein Sohn, Vetter, Bruder oder Onfel nach langer Seefahrt heimfehrte und von viel ſchweren oder glüdlichen Yahrten zu erzählen Hatte. |

AS einziger Schmud hing das Bild eines lange verjtorbenen Landesfüriten, ſowie das Kaiſer Wilhelms de3 Großen an der Wand, darum her vergilbte Stiche und gewöhnliche SKreidezeichnungen von Schiffen, mit welchen Dorfbewohner als Matrojen und Kapitäne ge- fahren, und über der Tür, ganz nach gutem alten Brauch, der fliegende Holländer mit käſeweißem ©eficht, ſchwarzem Bart und großem Filcherhut, welcher ftarren Auges auf den Beſchaner herabfieht und unter welchen der Spruch fteht —: „Gott gnade dem Mann auf ſtürmiſchem Meer geht ihm der flyende Dutſchmann die Quer!”

Auf den wurmftichigen uralten Schränfen liegen große Korallen und fremdartige Mufcheln, jteht eine - chinefijche Vaſe, der der eine Henkel fehlt, und ein paar grellbunte,

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furchtbar fragenhafte Götzenbilder, vor welchen fich die Kleinen im Dorf über die Maßen „grugeln“!

In großen Glashäfen find jeltene Fiiche aus dem Südmeer, Schilöfröten und Seeteufel in Spiritus auf- bewahrt, eine Kleine, ſehr giftige Herrgottsfchlange be-

findet fih auch in emer Flaſche, und von ihr. herüber bis zu der Vaſe ziehen ſich Schnüre von getrodneten Seeiternen und fremdartigen Tangs, welche irgend ein Angehöriger des SchanfwirtS aus jenen Zonen heim= gebracht.

Ehemals lebte der ſchöne große ana und ergötzte die Säfte durch fein erftaunliches Geſchwätz, jegt iſt er

4%

anzgeftopft und fißt recht verftaubt und ftruppig auf einem Baumaſt an der Ofenwand.

Heute ift eine lange, lange Tafel inmitten des Saales aufgejtellt, mit groben weißen Tüchern belegt und durch Tannengrün und Blumenfträuße ganz befonders feierlich geſchmückt.

Teller von jeder Art und Sorte find aufgeſtellt, Napf- fuchen duften ſchon jetzt ſehr leder und feftlich von de Tiſches Mitte. und feitwärts lagert ein großes Faß Bier, auf welches mit Kreide „Vivat“ gefchrieben ift, und das von den eben anfommenden Fiichern mit ſchmunzelndem Entzücken zuerſt befichtigt wird.

Das junge Ehepaar und die Hochzeit3gäfte nahen, jür erft noch fo ſchweigſam und .ernit, wie e8 in der Art diefer wortfargen Menfchen liegt, welche es mehr gewohnt find, den fchmweren, forgenvollen Kampf um das .Dafein zu führen, als heitere Feſte zu feiern.

Der Wind, welcher mehr und mehr auffrifcht und manch altem, wettererfahrenen Schiffer ein bedenfliches KRopfichütteln und „Hm-Hm!“ abgenötigt hat, fpielte in den rofa Sranzbändern der jungen Frau und färbte ihre Wangen noch röter, und wenn auch Mike mit feſtem Händedrud ringsum die fchwieligen Hände faßt, und Jöſchen manch lieben Freund innig auf den Rüden Elopft, fo herrſcht dennoch fürerjt noch die feierliche, erwartungs= volle Stille, welche dem Nahen des Paftor und der gräflichen Herrichaft vorauszugehen pflegt.

Aber die hobe Düne vor dem Fiſcher— dorf ſtiegen Gräfin Gundula mit Dem alten Pfarrherrn, Gabriele und Guntram Krafft.

Der Paſtor hatte den lebhaften Wunſch ausgejprochen, das Meer bei dem immer ftärfer werdenden Wind in jeiner wogenden Schönheit zu fehen, und darum hatte man den fleinen Umweg gemacht und nahte dem Dorf nicht von dem Burgberg, jondern vom Strande aus.

Die Gräfin jprach fehr lebhaft und angeregt, und

Gabriele, welche eben fo fchweigjam wie der Bär von N.v. Eſchſtruth, IM. Nom. u. Nov, Die Bären v Hohen-Esp Il. 32

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Hohen-Esp, an deſſen Ecite ſchritt, gedachte der Worte des Predigers, welche diefer furz zuvor zu Ountram Krafft geiprochen. „Welch eine auffallende und ſehr erfreuliche Veränderung ift mit Ihrer Frau Mutter vor fic) gegangen! So heiter und lebhaft habe ich die Gräfin feit langen, langen Jahren nicht gejehen! Mir deucht, der finftere Ernft, Die tiefe Echwermut find erſt jet von ihr gewichen, und dafür jei Gott gelobt!” Er hatte dann Gabriele herzlich beide Hände entgegengejtreckt, und fuhr fort: „Das haben wir ganz entjchieden Ihrem jo günftigen Einfluß zu verdanken, mein gnädiges Fräulein! Sie haben den Sonnenschein wieder in das Haus der fo tief ge: beugten Frau getragen!”

Der Bli des Grafen hatte fie abermal3 getroffen, als er ſich ſtumm und höflich, wie in jchweigender Zus ftimmung verbeugte, und es hatte warm aufgeleuchtet in den ernten, traurigen Augen.

Ein paar gleichgültige Worte hatten fie fpäter auf dem Wege zum Strande gewechjelt, und als fie über Die waldige Höhe jchritten und zuerjt den Blick auf das Meer genofien, war Gabriele unwillkürlich ftehen ges blieben und hatte mit leiſem Ausruf des Entzückens auf die. weißjchäumende, hochgehende See hinausgeblidt.

„Richt wahr, jo gefällt fie felbjt Ihnen?” hatte der Graf gelächelt, und das junge Mädchen nickte mit jeltfam leuchtendem Blick und wiederholte: „ſelbſt mir!“

Dann braufte der Sturm daher, riß die weißen Narziffen aus ihrem Gürtel und verftreute fie Durch dag.

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Niedgras, und während Gabriele mit beiden Händen den Hut jejthielt, eilte Guntram Srafft den Blumen nach und fammelte fie.

Sein Blick überflog ihre fchlanfe, ſchneeweiße Gejtalt, um welche die weichen Stleiderfalten in graziöfem Spiele flatterten, und er behielt den Strauß in der Hand und jagte: „Ich werde die Narziffen bis zu dem Dorfe tragen, Sie haben jet genug au tun, Hut und Kleid zu halten !”

Und er trug fie, bis fie abermals in den Echuß der Dünen gelangten und das Wirtshaus „Zur blauen Woge“ vor ihren Bliden lag.

Du reichte er die Blüten zurüd.

„Bir alle haben uns feftlich geſchmückt, Graf, nur Cie allein tragen fein einziges Abzeichen, welches auf die frohe Bedeutung dieſes Tages fchliegen läßt!“

Um feine Lippen zudte ein refigniertes Lächeln.

„sc jelber vergaß es, und andere dachten nicht an mich!”

Da wählte fie die jchönjten Blumen aus ihrem Strauß und bemühte fich, jehr unbefangen zu lachen: „Welch eine grobe Unterlafjungsfünde! Erlauben Sie, Graf, daß id) das Verſäumte nachhole und ihr Knopfloch ſchmücke!“

Er nahm die Blumen und befeitigte jie an der Bruft.

„Wie freundlich Eie fich heute der Hohen-Esp an: nehmen!” jagte er jehr ruhig. „Den Ahnherrn Wulff- hardt und mich bedenken Cie in gütigjter Weiſe mit ſolch lieblichem Schmuck.“

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Alles Blut ftieg ihr in Die Wangen, vor ihren Ohren ſchwirrten plößlich wieder die Worte —: „mit weißen Totenblumen . . . doch nicht mit einem Lorbeer— franz . . .”

Sie fchüttelte den Kopf und fagte leife: „Ich verfüge ja über feinen beſſeren Schmud, Graf!”

„And weder Wulffhardt noch ich werden je einen bejjeren tragen |’

Das Geipräd ward unterbrochen, aus dem Saal des Wirtshauſes erjchallten die Iujtigen Weijen der Har— monifa, und daS junge Ehepaar trat den vornehmen Gäften entgegen, fie mit herzlichem Händedrud zu begrüßen und zum Hochzeitstiſch zu geleiten.

Sräfin Gundula ſaß zwifchen dem jungen Ehegatten und dem Baftor, Guntram Krafft an der Seite des bräutlichen Weibes, zu feiner Rechten war Gabriele der Pla angewiejen. Auf der Ofenbank faßen die beiden Harmonifafpieler und forgten durch lauter fchöne See: mannslieder und luftige Stüdlein für Unterhaltung, die— weil e3 bei Tiſch felber jehr ruhig zuging.

„Unfere Anmwejenheit fcheint die Leute in ihrer Fröh— lichfeit zu ftören!” flüfterte Gabriele zu dem Grafen auf.

Diefer lächelte: „O, durchaus nicht! Es würde eine Pichtachtung gegen die vergötterte Weinfuppe und den obligaten Schweinebraten fein, wollte man während diefer Genüfje viel Sprechen! Das ift nicht Sitte hier, und Die „Stimmung“ kommt zumeift erft mit dem Tanz. Dann werden Sie jehen, daß wir unfere Getreuen nicht ftören.

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Ich bin überzeugt, daß wir hier von allen noch fehr viel mehr geliebt wie refpeftiert werden!”

Und fo war es aud).

Als das, nach Anficht der fo wenig verwöhnten Leute, glänzende Hochzeitgmahl.beendet war, als die Tiſche bei- feite gerüdt wurden und der Kaffeeduft fo lieblich durch den Saal zog, daß allen frauen das Herz im Xeibe lachte, da fchallten die Stimmen lauter und lauter durd)- einander, da wagten fich die erjten verftohlenen Jauchzer hervor, und al3 die Harmonikas mit jchallendem Ton ° den „Großvatertanz“ anhuben, da umfaßte Jöſchen jeine itrahlende junge Frau und begann fich mit ihr fehr langjam und würdevoll im Kreije zu drehen.

Aller Augen fchauten auf den Grafen, ob er nicht mit dem mwunderjchönen jungen Fräulein jolchem Beifpiel folgen werde, aber der ftand und ſprach jo eifrig mit ein paar alten Fifchern, daß er gar nicht an den Tanz zu denfen fchien.

Da wagte ſich denn der Vater der Braut herzu, machte jeinen Kratzfuß vor Gabriele und tanzte mit ihr, ſchwer und wuchtig, al3 gelte es, eine holländische Kuff bei fonirärem Wind zu lapieren, und als er zum Schluß die junge Dame mit freundlichem Lob auf den Arm gepaticht, jtand ſchon ein junger Lotſe bereit und ſah fie treuherzig bittend an.

Gabriele nidte ihm lachend zu und tanzte weiter, und ihre jchlanfe, weiße Geftalt tauchte wie ein Traum zwifchen dem berben Schiffervolt auf, fo daß der Paftor ganz

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begeiftert zu Guntram Krafft trat und fagte: „Wiffen Sie, Graf, wa3 mir foeben bei dem Anblic des wunderholden Sräulein von Sprendlingen einfiel? Gin Gedicht von Heinrich Heine, ‚Wohl unter der Linde, da tönt die Mufik, da tanzen die Burjchen und Mädel... da tanzen auch zweie, die niemandfennt, fiefchauen ſoſchlank und foedel!! Sagen Sie jelbft, ift e8 nicht, al8 ob die weiße Waffernire aus der Flut geftiegen fei, fich unter das luſtige Fiſchervolk zu mifchen? Wie ein Märchen deucht mir die lilienhafte Mädchengeftalt, und wen Fräulein Gabriele mit den großen, Elaren, wunderfam glänzenden Augen anlächelt, der lernt an die Macht der Meerjrau glauben!”

„Man fagt, die Meerfei bringt Unglück dem, der fie Ihaut! Hören Sie, wie der Sturm um das Dach heult? Vielleicht wählt fich die Undine bereit3 ihre Opfer für die fommende Nacht aus!”

„Das verhüte Gott! Würchten Sie bös Wetter ?'

„In wenig Stunden haben wir eg.”

‚Arme junge rau! Das wäre eine üble Hochzeits- muſik!“

Jöſchen ſtand mit leuchtenden Augen vor feinem Ju— gendgeſpielen.

„Wollen Sie heute gar nicht tanzen, Herr Graf?“

Guntram Krafft richtete fich jäh auf. „Ich warte nur, daß du Mike einmal freigeben ſollſt!“

„vor fteiht je!” lachte der junge Ehemann, wieder in fein gemütliches Plattdeutſch verfallend, und der Bär von Hohen-Esp nidte, drückte dem Glüdlichen die Hand

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‚und holte jich die Braut mit den ze Wangen zum Ehrentanz.

„Nu leggt he los!“ flüſterte es im Areis, is man wartete, daß der Burgherr nach) der Mike das. „guä Srölen” zum Tanze holen werde, aber er trat mit um: wölkter Stirn zur Tür zurüd und hatte niit. Kriſchan Klaaden erſichtlich viel ernſte Dinge zu reden.

Und trotzdem das Rollen und Branden der See immer ſtärker und ſtärker herübertönte und der Sturm immer ſchriller durch die Taue des vor dem Hauſe aufgepflanzten Flaggenmaſtes pfiff, ward die Stimmung immer fröhlicher und ausgelaſſener, und ſchließlich ſtand die Mamſell von Schloß in einer Ecke und tuſchelte unter liſtigem Augen— zwinkern mit Mike und Jöſchen.

Die Weiber, Mädchen und Burſchen drängten drum herum, e3 gab ein leijes, jubelndes Gelächter, und dann lichtete ſich plößlich Der. Kreis, einer Der Fiſcher trat vor und rief mit kraftvoller Stimme:

„Tom Brutdanz binnen! Unſ' Mite ſall ſich ſin Nachfolger'n ſöken!“

Großer Jubel erhob ſich, Mike ging mit ſehr ſchalk— haftem Lächeln zur Gräfin Gundula und bot ihr eine Scheere dar, mit welcher die Burgfrau die beiden roſa Bänder der Kranzſchleife abſchnitt. |

Die alte Dame lächelte dabei jehr amüſiert, und in ihren Mugen leuchtete es auf, wie ein jehr wohlgefälliges Beritehen. | |

„Möchteſt du die Rechte treffen, Mife!” fagte fie und

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händigte der jungen rau die Bänder aus. Dieſe wandte fich, reichte Jöſchen flinf eines der Rofenbänder und fchnell wie der Gedanke jtürmte da3 junge Paar unter die laut freifchenden und jubelnden KHochzeitsgäjte.

Erſtaunt hatte Gabriele dem Beginnen zugejehen, als fie ihren Arm auch ſchon von Mike gefaßt und mit dem Band umfchlungen jah, gleicherzeit zerrten und drängten die Männer Guntram Krafft heran, an deſſen Arm Jöſchen das andere Band geknüpft hatte, und ehe die beiden aufs höchfte betroffenen jungen Leute recht wußten, wie ihnen geſchah, waren ihre beiden Arme durch die Bänder zu— fammengebunden, und ein jauchzendes Gefchrei erhob ſich: „Zom Brutdanz! tom Brutdanz!”

Guntram Krafft ftand momentan regung3los, nur feine Lippen bebten, und die breite Bruft hob und jenfte fich unter jtürmifchen Atemzügen, dann neigte er ſich zu Gab— viele herab und jtieß kurz hervor: „Befehlen Sie zu tanzen, mein gnädiges Fräulein?”

Sie blidte zu ihm auf, ihm deuchte es, ebenjo fühl und ruhig wie ſonſt und die Frijtallenen Nixenaugen leuchteten ganz nahe den feinen, und ihr roter Mund antwortete: „Sch füge mich der Sitte, Herr Graf!“ |

Da umſchloß fie fein Arm, er machte eine furze Be: wegung mit der freien Hand, daß man Kaum gebe, 2” dann tanzten fie.

Wie feurige Nebel wallte e8 vor feinen Augen, fie dend heiß braufte das Blut Durch feine Adern, wie bes

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fangen von einem wilden, leidenjchaftlichen Raufch flog er bahin, und die weiche, ſchmiegſame Geftalt ruhte wieber an feiner Bruft, und ihre krauſen Löckchen flimmerten vor ſeinem Blick. |

Freiwillig wäre er nie zu ihr gekommen nun trieb fie dag Schidjal jelber in jeine Arme, und er hielt die bleiche Meerfrau ... und drücte fie feft iminer fefter und aufgeregter an fich, jo feit, als wolle er fie nie wieder freigeben. | |

Seine Augen brannten wie im Fieber, all die heiße, unausſprechlich innige Liebe, welche er fo ſtolz und ges waltjam befämpft hatte, loderte in verzehrenden Flammen in feinem Herzen auf und benahın ihm alles Klare Denken und Handeln.

Er tanzte tanzte ohne Aufhören ... . und er hatte nur einen tollen, wahnwitzigen Gedanken jo hinab mit ihr durch Nacht und Sturm big zu den fchäumenden Wogen! Sein Lieb im Arm hinab in die. fühle, ge: heimnispolle Tiefe, in den Kriſtallpalaſt der- "Meetfei, wo die Perlen auf weißen Wafjerlilien glänzen’ und rote Korallen bis an das Abendrot des Himmels empor: wachſen ... da wird fie das bleiche Antlit lächelnd zu ihm heben, wird mit ihren fühlen, meerfarbenen Augen fein Leben trinfen und ihn füllen in traumhaft ſüßem Slüd .

Weiter und weiter tanzt er... . und um die SSenfter ichrillt der Sturm... und die Brandung donnert lauter und lauter empor ,,,

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Sabrieles Köpfchen aber finft plößlich tiefer und tiefer, und ihr Körper ruht jchwer in feinen Arm.

Da erwacht er plößlich wie aus tiefem Traum und ſtarrt fie an.

Wie blaß fie it!

Erjchroden hält er inne: „Verzeihen Sie, Gab: briele”, murmelte er, „ich war unbefcheiden ... ich tanzte zu lange —“

Sie lächelt und ringt nach Atem und um fie her erhebt fih abermals ein tojender Jubel. ‚Dat wier äwerft 'n Danz! Dat wier jo glief haf 'n Dutzend Dänz'!!“ Schalt es lachend im Sireife, und dann plöglich jähe Stille.

Ein Schuß?

Ertönte nicht draußen hoher See ein Schuß? ein Notlignal?

Alles laufcht einen Augenbli wie erftarrt, Guntram Krafft reißt das rofa Band, welches ihn an Gabrieleg Arm feſſelt, mit ſcharfem Ruck durch und ftürmt nach der Tür, Jöſchen, Kriſchan Klaaden und die andern Fiſcher folgen in jäher Haft.

Die lachenden, gerdteten Gefichter find plöglich blaß ah ernjt geworden, die Klänge der Harmonifa find verftumnt.

Gabriele iſt an die Seite der Gräfin geeilt, und hat mit angftvollem Aufblid ihre Hand gefaßt.

„Was bedeutet das, Frau Gräfin?”

Gundula legt den Arm um fie und fchreitet nad) dem fleinen Fenſter, einen Blick hinauszutun.

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„Gott der Herr verhüte es, daß ein Schiff in Not iſt“, jagt fie mit ſchwerem Atemzug.

„O, welch ein Wetter plößlich!” fchaudert Gabriele, „wie jchwarz die Nacht, und welch furchtbares Braujen und Donnern! Man hat e8 zuvor bei der Mufif nicht gehört, jebt merkt man erjt, wie fchlimm es ge- worden iſt!“

Cine alte Fiicherfrau tritt herzu und faltet die runz- lichen Hände „Das ift eine grobe See geivorden”, jugt fie leife. „Arme Mike... muß den Jöſchen heute nacht wohl hergeben!”

„Heute nacht?” wiederholt Gabriele mit entfjeßten, mweitoffenen Augen, „was jollte denn Jöſchen bei diejer Dunkelheit für ein Schiff draußen tun?”

Die Alte jchüttelt mit wehmütigem Lächeln den Kopf: „Hinaus muß er und Hilfe bringen, fall3 e3 not tut |”

„Hinaus? in diefe Finſternis? ... in diefen Sturm?” Gabriele hebt wie beſchwörend die Hände. „Das iſt ja gar nicht möglich ... dag wäre ja ein tollfühnes, nuß- loſes Aufopfern !”

„Es wäre feine heilige Pflicht!” unterbricht die Gräfin ernft und ruhig, „und wahrlid) nicht das erſte Mal, daß Guntram Krafft feine wackeren Lotſen in ein Un— wetter hinausführt!“

„Der Graf?” ftammelt Gabriele ..., „er jelber... er fährt auch mit hinaus?”

‚Wenn es not tut, jedesmal!”

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Da iſt es plötzlich, als wüchſe die fchlanfe Mädchen: geſtalt empor, als lauſche ſie atemlos dieſen Worten wie einer Offenbarung.

„Wo iſt er? Wo ſind die Fiſcher ?“ ſtößt ſie hervor.

„Wohl auf der Düne draußen nach dem Schiff zu ſpähen!“

„Laſſen Sie mich hin! laſſen Sie mich ſehen, Gräfin! ich bitte, ich beſchwöre Sie!“

„Undenkbar, Kind ... Sie find vom Tanz erhitzt, und Sie ahnen nicht, wie der Sturm draußen pfeift! Das Haus hier liegt ja noch Hinter der Düne geſchützt ... wenn Sie fi) auf die Höhe hinauswagen, können Sie faum atmen; Gie find ſolch einen Wind nicht gewohnt, Gabriele!‘

Eine fieberhafte Ungeduld leuchtet aus ihren Augen. „Sleichviel ... . ich Hülle mich warm ein... ad, id) flehe Sie an, Gräfin, laſſen Sie mich fehen, was da draußen vorgeht!” |

Einen Augenblid noch zögert Gundula, dann fagt fie kurz entfchloffen: „Gut; dort auf der Bank liegen Die warmen Sachen, welche Anton für den Heimweg brachte. Nehmen Sie ein Tuch um den Kopf und einen Mantel um, ich werde mit Ihnen gehen.”

Gabriele begriff eg nicht, wie dieſe rau fo ruhig und ftill bleiben fann, wo möglicherweife ihr einziges

Kind fih im nächſten Augenblid auf Tod und Leben hinaus in den Sturm wagen wird!

Ihre Hand zitterte nicht, als fie das weiße Spiben-

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tuch nimmt, es fehr ſorgſam um das lodige Köpfchen ihrer jungen Gaſtin zu fchlingen, fie prüft, ob der Muntel warın genug jei und jcheint mehr um das junge Mädchen wie um den Sohn bejorgt.

Gabriele dankt ihr herzlich, dann fchlingt fie den Arnı um die hohe Frauengeftalt und haftet nach der Tür.

"Hub, wel ein Sturm!

Er braujt ihnen entgegen, al3 wolle er fie voll zor— nigen Unwillens in das fichere Haus zurüddrängen, über ihnen freifcht die Kleine Wetterfahne, pfeift und fchrillt es im Tauwerk des Flaggenmaſtes, Fräulein von Sprend- lingen preßt unwillkürlich die Hände gegen die Bruft und ringt nach Atem, fie jtrebt vorwärts und hat doch kaum die Kraft, gegen das Ungewohnte anzufänpfen. Du um— faßt Gräfin Gundula die fchlanfe Geftalt mit ihrem fräftigen Arm und leitet fie wie ein ficherer Lotſe durch das Brauſen und Heulen.

Droben auf der Düne fteht Guntram Krafft, ſie fieht feine herrliche Geftalt wie ein Schattenbild gegen den bleifarbenen Himmel gezeichnet. Das Auge gewöhnt fich an die Dunkelheit. Die Nacht ift nicht jo rabenfchwarz, wie e3 ihr von dem erleuchteten Zimmer aus gejchienen, ſchwarze, phantajtijch wilde Wolfengebilde jagen über den Himmel und verhüllen den Mond, nur hier und da bricht fein falbes Licht hervor, wenn der Sturm die Maffen zerreißt. |

Noch verdedt die Düne vor ihnen das Meer, man hört nur die Brandung in nächiter Nähe, wie Donner:

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rollen und dumpfes, unheimliches Pfeifen jchallt fie empor. Gabriele hat fich im erften Moment wie ein angftzitterndes Vögelchen an die Gräfin gejchmiegt, aber fie überwindet das Grauen, fie fühlt, wie eine leiden- Ichaftlihe Erregung ſich ihrer bemächtigt, die fie unge- ſtüm vorwärts treibt an Guntram Kraffts Seite.

Wie ein Bild aus Erz fteht er vor ihnen, faum daß der Sturm fein lodige® Haar zerwühlt. Seine breite Bruft troßt dem wüſten Gefellen, Hoch und gebieterifch ift fein Arm im Gefpräch mit den Sifchern erhoben und weift auf die See hinaus, als fei es der Schirmvogt von Hohen-Esp, welcher hier zu gebieten hat, und nicht der zigeunerhafte, landfahrende Gejell, der Sturmwind!

Jöſchen liegt im Riedgras ausgeſtreckt, ſtützt die beiden Ellenbogen auf und fpäht dur) den langen Fernfiefer auf die See hinaus.

Die beiden Damen Tämpfen fi) vorwärts, Filcher- frauen und Kinder folgen ihnen, fejt aneinandergedrängt ftarren fie ftumm und ernft hinaus auf die wild empörten Waffer. Der Schuß der Düne hört auf, mit voller Wucht wirft fi) der Sturm den Nahenden entgegen. Einen Augenblid hat Gabriele das Empfinden, fie müffe eritiden, die Gräfin faßt fie feiter in den Arm und fehrt ihr Antlit dem Lande zu, da brauft es über fie hinweg und fie fann momentan aufatmen und neu zu Kräften Tommen.

Dann ringen fie abermals gegen Wind und Wetter, und Gabriele gewöhnt fich nad) den kurzen Anweifungen

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Gundula an das Atmen im Sturm, fie überwindet ihre Bangigfeit und Schwäche, fie will ſtark fein! fie will vor— wärts .. .. fie will jehen und hören!

Ounkam Krafft wendet fich flüchtig und blick sche aber all fein Intereſſe jcheint im Dienft der Pflicht zu ſtehen.

„Iſt es tatſächlich ein Notſignal?“ fragt die Gräfin.

Er nidt. „Vorläufig läßt fich noch nichts erkennen, wir müffen warten, bis die Wolfen vorüber find, minutenlang muß der Mond hervortreten!“

Dann trifft fein Blick Gabriele.

Sie fteht neben ihm, die Hände gegen die Bruft ge= drüdt, dag Antliß von dem weißen Spibentuch umflattert, mit einem leijen Schrei die Augen ftarr weitoffen auf die See gerichtet.

‚sit Dies dasjelbe Meer . . . dasjelbe Meer von geſtern und ehedem?!“

Schwarz und furchtbar gähnt es in weiter Unendlich— keit vor ihr, der hohe Wogenſchwall wälzt ſich donnernd heran, in zmei=, drei- und vierfacher Brandung kocht der weiße Gifcht am Strande auf, geſpenſtiſch rollen die auf- bäumenden Seen heran wie Ungeheuer, welche in wütender Gier Strand und Land verfchlingen wollen.

Da teilt ſich die dräuende Finiternis.

Der Mond bricht durch die Wolfen, fein mweißgelbes Licht fließt minutenlang wie ein magifcher Schein über die Waſſer.

„Dort ... dort... dat Schipp 11”

Wie ein Schrei gellt es von Jöſchens Lippen. „Richtig dor

is't!“

„A's 'n Turpedo ſieht's ut!!“

„Nee! nee! is 'ne lüttje Brigg . ..“ „Ich ſeh' keen Maſt nich —“ „De warn ja woll verlurn ſin!“ „An feen Licht nich... .” „Doch achterlich de gröne Lantern!“ Awerſt feen Signal nid) . . .” Wr Eſchſtruth, IU.Nom.u. Nov, Die Bären v Hoben-Esp II. 33

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„Doch! Obacht!“

„Dat Blulight!!“

Ein ſcharfes, bläuliches Licht blitzte auf See auf... hielt ſekundenlang an und verſchwand wieder, gleich— zeitig ein Kanonenſchuß ...

„Das Schiff treibt auf —! Brandung voraus!“ ſchrie Guntram Krafft. „Vorwärts, meine Braven, da ift feine Zeit zu verlieren! Zum Schuppen! gebt Signal! Boot Far zum Auslaufen!’

Die Stimmen Hangen jefundenlang in wilder Haft Durcheinander, die Männer jtürmten die Dünen hinab nach dem Rettungsschuppen. Wie in jähem Entjeßen hob Gabriele die Arme. „Seht hinaus in See? Gräfin... auf diefe See hinaus?!”

Gundula nidte. „Gebe Gott, daß fie noch zur rechten Beit fommen. Kehren Sie jebt zurüd in das Zimmer, Gabriele... . ich muß in den Schuppen hinab und alles vorbereiten, jall3 es gilt, einem Verunglüdten Hilfe zu bringen!”

Sie ſprach ruhig, beinahe tonlog, und ihr blafjes, ſchönes Antlig jah in dem Mondlicht wie verjteinert aus.

Das junge Mädchen jchüttelte aufgeregt den Kopf, in ihren Augen leuchtete e3 plöglich auf wie heiße, leiden- ſchaftliche Begeiſterung.

‚Sch bleibe bei Ihnen! Schnell, Gräfin ſchnell ... ach, laſſen Sie uns eilen . . . laſſen Sie mich das Un— begreifliche ſchauen!“

Und fie wartete nicht mehr auf den ſchützenden Arm

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Gundulas, jondern flog wie von Sturmesſchwingen ge: tragen, dem Rettungsſchuppen zu.

Ein grelles laderfeuer, wie von gejchtwungenen Teer: fadeln herrührend, flammte wieder auf dem gefährdeten Schiffe auf, gleicherzeit leuchtete am Strand drunten, Dicht neben dem Schuppen, ein rotes Licht, mehrere Augenblice gezeigt, dann wieder verſchwindend.

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XXVI.

WE in aufgeregtes, überhaſtiges Leben entwickelte ſich r am Strand.

Die Leute hatten in größter Eile ihre hoch— zeitlichen Kleider mit dem in dem Schuppen bereithängen= den lzeug vertauscht und waren foeben, voll auzgerüftet, bereit, den Wagen, auf welchem das Boot |tand, durch) den tiefen Sand bis an die See zu jchieben. Eine ſchwierige, unfagbar mühjelige Arbeit bei ſolchem Sturm!

Gabriele hatte jich in den Schuß des Gebäudes gegen die Mauer gedrüdt und ftarrte mit hochflopfendem Herzen Das fremdartige Treiben an.

Sie ſah Guntram Kraffts herrliche Geftalt in dem derben Lotſenanzug, welcher ihr fchöner und kleidſamer deuchte, wie die reichite Galauniform, grell bejchienen von den lodernden Fackeln, welche von ſchwieligen Fäuften gejehwungen wurden, jah, wie er mit Bärenfräften zufaßte und half und jchaffte, der erjte feiner Lotſen, ein ruhiger, bejonnener, gewaltiger Kommandeur, ein Mann, welcher nicht nur befiehlt, jondern felber arbeitet und Hand anlegt!

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Eine leife Stimme klang neben Gabricle.

„Dat wier fneller famen, a3 wie dachten!” feufzte Mike und Fnüpfte das wollene Tüchelchen fejter um den zerzauften Brautfranz in ihrem Haar, ihre hartgearbeiteten Hände griffen ein wenig unficher zu, und ihr erſt jo blühend frisches Geficht war blaß geworden.

„Ad, gnä’ Frölen un dat of grad an min Hochtid!“ |

Gabriele blickte voll tiefiten Mitleids in die traurigen Augen der Sprecherin. | |

„Arme Mike!’ fagte fie weich; „ja, das tft eine traurige Hochzeit! Aber fo Gott will, kehrt dein Cha bald gefund und Heil zurüd, und dann fannft du doppelt ſtolz auf ihn fein!” Sie atmete tief auf und wieder: holte mit glänzendem Blick, „ja ſtolz! jehr ſtolz mußt du doch auf einen foldhen Mann fein!’

Mike ſchien nicht ehrgeizig. Sie widelte die Hände in die geblümte Schürze und fagte refigniert: „Wenn he man wedder kümmt!“ und dann entjann fie fich, daß ja das gnädige Fräulein nicht gut plattdeutjch verſteht und fuhr nicht ganz ohne Mühe fort: „Vielleicht Eriegen fie die Mannfchafft mit der Nettungsboje herüber und brauchen nicht jelber Hinaus. Sehen Sie dort? Da Schaffen fie an dem Mörfer! Der Graf fchießt bannig gut, aber bei Dunkelheit ift es doch immer ein übles Ding damit, noch dazu bei dem Sturm heut, denn die Windrihtung und Stärfe fommt gar fehr in Betracht Dabei!” |

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„Man ſchießt nah dem Schiff?“ wiederholte Gabriele überrafcht. „Um alle in der Welt, warum dag?”

Mike war zu traurig, fonft hätte fie wohl gelächelt. Sie Strich wieder jeufzend mit der verarbeiteten Hand über ihren Brautfranz und fuhr erflärend fort: „Das tut ja feinen Schaden nicht, gnädiges Fräulein, im Gegen= teil! Au der Kugel ift man eine dünne Leine befeftigt, fie wird über dag Schiff hinübergefchojjen, und Die Leute müffen die Leine jo raſch wie möglich) auffangen und fefthalten. Wenn das geglüct ift, muß als Zeichen dafür ein Blaufeuer angeſteckt werden, oder man ſchwenkt auch nur eine Laterne wie ſie's auf jo 'nem wraden Schiff noch grad möglich machen fünnen . . . dann wifjen die Unfern hier Beicheid . . .

„Bas für Beſcheid? Was nützt die Leine?‘

„O, man alles nüßt die! Die Schiffsmannichaft muß die Leine dann vom Lande ber anholen, bis fie den Steertblod daran finden, durch welchen ein Jölltau gejchoren iſt!“

„And was foll damit?" Gabriele blickte die wort— farge Mike beinahe ungeduldig an, und das junge Weib fuhr monoton fort —: „Sa, fo, das feinen Sie man alles noch nicht: Diejer Steertblod muß am Maſt unter der Sahling bejefüigt werden . . . oder wenn die Majten ichon über Bord gejchlagen find, an einem andern hohen Gegenftand ... . und dann geben fie vom Wrad wieder ein Signal, die auf dem Lande das Rettungstan

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an dem Läufer befejtigen, das ziehen fie dann vom Strand rauf aufs Schiff... .”

„Mund Unfere bier ziehen damit das Schiff aufs Land?“

Nun ging doch ein ſchnelles, breites Lächeln über das Geſicht der jungen Fiſcherfrau.

„Ach aber nee! Dat geiht jo nich!“ ſchüttelte ſie den Kopf und fuhr ſich verbeſſernd fort: „daran wird man bloß die Hoſenboje nach den Geſtrandeten hinübergeſchickt, da ſetzt ſich die Mannſchaft nacheinander ein und wird übergeholt! Jetzt gleich wird es mit dem Schießen los- gehen . . . der Kriſchan zeigt jchon die rote Lantern'!“

Eine immer größere Aufregung hatte Gabriele erfaßt.

Die mwunderjame jchaurige Poeſie diejer nächtlichen Rettung wirkte wie beraufchend auf ihr fo leicht empfäng— liches Gemüt!

AU diejes fremdartige Halten und Treiben, die dro— hende Gefahr, die Angjt und Sorge um eigenes und freındes Leben, die unbefchreiblich großartige Schönheit der wild entjefjelten Elemente übten einen nie geahnten Zauber aus, es war, al3 habe Gabriele Herz in tiefem Schlaf gelegen und nur auf dieſe Stunde geharrt, welche e3 erwecken joll zu einem neuen, föftlichen Leben, zu der jauchzenden Erfenntnis alles dejjen, was ihre Ceele voll ſchwärmeriſcher Begeiſterung feit jeher erhofft und er: ſehnt. Und voll ungejtümer Leidenſchaft wandte fie ſich und fämpfte ſich durch den Sturm näher und näher zu Guntram Krafft heran, big fie beinahe an jeiner Seite

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ftand, bis fie fein Antliß Schauen feine Worte hören jede feiner fraftvollen Bewegungen beobachten konnte.

Ihr Auge glänzte wie im Fieber ihre Lippen lächelten wie im Traum.

Die Stimmen der Männer halten wirr und zumeiit unverftanden zu ihr her, mit gewaltigem Krach entlud ih das Nettungsgejchoß, die Rakete zilchte wie ein greller Feuerſtreif empor, nahm die Richtung nad) dem geitrandeten Schiff und ul ul im Dunfel der Nacht.

Voll banger Spannung harrte man auf das Signal, daß die Leine getroffen habe.

Guntram Krafft ſtand hocherhobenen Hauptes, den adlerſcharfen Blick ſeewärts gerichtet, als könne und müſſe ſein Blick die gähnende Finſternis durchdringen.

Ein paar Augenblicke tiefer Stille, nur der Sturm heult über ſie hinweg, und die See donnert und brauſt immer gewaltiger gegen den Strand.

Kriſchan Klaaden ſchüttelt den Kopf.

„Dat helpt nich ... dor fin’ keene Maſt's miehr, de Brandungen gahn all öwer dat Schipp weg!“

„Denn man tau! wi möten klor maken!“ Der Bär von Hohen-Esp wandte ſich in hoher Erregung zu ſeinen Lotſen.

„Vorwärts, Kinder! es iſt keine Minute mehr zu verlieren, wir müſſen hinaus!“

Ein leiſer, ſturmverwehter Schreckensſchrei. Mike wirft ſich an den Hals ihres Mannes, umklammert ihn

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jefundenlang mit den Armen. „Nee! nee!“ fchluchzt fie auf „an diſſen Dage nich!!“

Guntram Krafft eilt bereits nach dem Nettungsboot, er wendet hajtig das Haupt, ein Schein tiefer Wehmut geht über jein jchönes Antliß.

rar *2 x 2 er —* 3 * RETTEN

„Bliev torück, Jöſchen!“ flü— ſtert er, „dat geiht of ahn vi!’

Der junge Fiſcher richtet ſich jäh auf, küßt ſein bräut— liches Weib noch einmal haſtig auf die blaſſen Lippen und faßt ſie derb an den Schultern. „Denk' doran, was de Paſtur hüt ſeggt hätt'!“ ruft er, ſpringt haftig ſeinem jungen Kommandeur nach und lacht ein faſt grimmiges Lachen.

„Dat wier' woll dat ierſte Mal, dat ich fehlen deer!“

Gabriele hat feinen Blie für die fchluchzende Mike, fie folgt atemlos nach dem Boot, fie preßt die bebenden

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Hände gegen das Herz, ſie jtarrt mit weitoffenen Augen auf Guntram Krafft.

Sie ſieht nicht, wie Frau Gundula und der Prediger die Düne herabeilen, wie die Gräfin die gefalteten Hände zum Himmel hebt, wie ihr farbloſes Antlitz die Qualen ſpiegelt, welche ihr Mutterherz in dieſem Augenblick durch— beben, ſie ſieht nur, wie der Bär von Hohen-Esp in das Boot ſpringt, wie er ein paar kurze, begeiſternde Worte an ſeine Getreuen richtet, ſie zu vollſter, heiligſter Pflichterfüllung ermahnt, und ſie der ſtarken Hilfe deſſen verſichert, der Himmel und Erde gemacht hat! Und dann entblößen fie alle das Haupt

„Chryſte Kyrie... Cei mit und auf der See!”

„Amen! Amen!” Elingt die Stimme des Predigers durch den Sturm, und dann ein frifches, kraftvolles „Hohojohe! Remen los!!“ |

Noch einmal wendet Guntram Krafft das Haupt.

Sein Blick fucht Gabriele.

Er hebt die Hand er winkt ihr zu... und dann fteigt das Boot hoch auf, weiße Giſchtwogen feheinen es zu verſchlingen ... es ſinkt tief... tief... hebt ſich ... wie furchtbare Waſſerberge rollt es ſchwarz und grauenvoll gegen das winzige Fahrzeug heran ... gähnende Finſternis . . . der Sturm heult, und die Brandung kocht wild auf...

„Laßt und beten, meine Freunde!” ruft der Paſtor, er entblößt fein Haupt... die weißen Haare wehen

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um feine Stirn, um ihn her ſinken die Weiber und Rinder auf die Knie, banges Seufzen und Schluchzen klingt durch feine Worte, welche im Sturm verhallen. Auch Gabriele will niederfinfen und Die bebenden Hände zum Himmel heben ſie kann e3 nicht. |

Sie muß Stehen... . hochaufgerichtet ... . fie muß binausftarren auf das Meer, als könne fie dem Ffleinen Boot mit den Bliden folgen. Der Mond tritt hell aus den Wolfen mit Jubel und Dank gegen Gott begrüßt. |

Sa... man fieht daS Boot... man fieht das geitrandete Schiff - . -

Gabriele atmet fajt feuchend.

Ihre ganze Geſtalt bebt und jchüttert wie unter heißen Fieberſchauern.

Was weint und ſchluchzt ihr Weiber und Kinder?

Gabriele möchte laut aufjauchzend die Arme aus— breiten, möchte wie berauſcht von leidenſchaftlicher Glück— jeligfeit in den Sturm’ hinausjubeln möchte vergehen in der namenlojen Wonne und Begeifterung, welche ihre ganze Seele erfüllt und in blendende Helle taucht. Fit es ein Wahn? ein Traum? ... eine Viſion, welche fie ſchaut?

Sit jener heldenhafte, tollfühne Mann in jenen ge: brechlichen Fahrzeug wirklich der Bär von Hohen-Esp, derjelbe, welcher einft jo linfifch und mädchenhajt errötend auf höfifchem Parkett geſtanden?

Sit dieſer unerjchrodene, verwegene Held wahrlich) Guntram Krafft?

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O, wie gräbt ſich ſein herrliches Bild in dieſer Stunde, wie mit feurigen Linien gezeichnet, ſo unauslöſchlich in Gabrieles Herz.

Wie in bangem, wonnig wehem Ahnen all dieſer blendenden Erkenntnis hat es ſchon all die Tage vorher in ihrer Bruſt gezittert, aber ſie hat ſich gewehrt gegen dieſen Gedanken, wie gegen eine Unmöglichkeit!

Noch vorhin, als er ſie im Arm gehalten, als er ſie in nimmer endendem Tanz heiß und heißer an die Bruſt gedrückt, da ging es wie ein Morgendämmern der Liebe durch ihre Seele, da war es ihr, als müſſe ſie das Antlitz auf ſeine ſtarken, kraftvollen Hände drücken und ſagen: „ich weiß, was ſie Gutes tun und Edles ſchaffen und ich bitte dir all das ſchwere Unrecht ab, du wackerer Mann, welches ich dir ehemals jo verblendet zugefügt!“

Und in jener Stunde hatte fie nur feine Größe ge— ahnt und noch nicht mit Augen gejchaut wie jeßt!

Flammende Begeijterung durchglüht fie! Der Traum von edlem Heldentum, von ſieghaftem Mannesmut ift zur Wahrheit geworden! Welch eine Fahrt auf Tod und Reben!

Welch ein troßig fühner Kampf gegen die furchtbarften Gegner, gegen Sturm und donnernde Meeresflut, ge- waltig wie Die anftürmenden Heere des Feindes, ver- derblich wie die brüllenden Geſchütze auf dem Schlacht: jeld, welche Tod und DVerderben fpeien! Auch hier grinft der Tod aus jeder Woge, auch hier lauert Unter:

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gang und Vernichtung in der Tiefe, hier toft der Feind auch in den Lüften und jeßt feine urgemwaltige Titanen= fraft gegen ein paar armjelige Menjchenfäufte ein!

Wie ein eifiges Grauen will es Gabrieles Herz be— Ichleichen, wenn fie hinaus in die Nacht, auf die finfteren, tofenden Waſſer blickt!

Drüben liegt das Schiff!

Mattes Mondlicht huſcht gefpenftifch darüber Hin.

Man fieht, wie ſchwere Seen über fein Dec fchlagen, wie e3 immer tiefer auf die Seite finft, wie das Lotſen— boot fich gegen die furchtbare Strömung näher und näher heranfämpft.

Wird e3 gegen die Schiffswand gefchleudert werden und zerjchellen ?

Wird es durch das Zurüdprallen der See vollichlagen und fentern?

Gabriele hört wie im Traum die Worte der Um— Itehenden.

„Man jo nich” von de Luoſit' angeh’n!” jammert eine Alte. „Dat Sam ſitt' jo feit un’ die See brandet öwer weg!“

„Awerſt Mutting! de Graf is jo doarbi, der weet jo Biſcheid!“

„Wenn nur nicht zu viel Spieren und Stücke von der Takelung treiben!“ nickt die Mamſell und trocknet die Augen; „ich denke, der Graf nimmt die al wieder vom Bug oder Hed aus ins Boot!”

„Wenn fie nur erſt ranfommen!”

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Der Mond verfteckt fich wieder, eine bange, lange Stille, leis gemurmelte Gebete, Seufzen und Schluchzen.

Gräfin Gundula ift nach dem Schuppen zurüdge- gangen.

Sie hat dort einen Spiritug-Apparat entzündet, um itarfen, heißen Tee für die Heimfehrenden bereitzuhalten.

Auch richtet fie alles vor, im Fall fie einem Verun— glückten die erſte Hilfe angedeihen lafjen muß.

Wie oft hat fie ſchon dieſe Frottiertücher, die Bürften und belebenden Efjenzen zurechtgeftellt, jedesmal mit demſelben angjtbebenden Herzen, aber auch jedesmal mit demjelben Gottvertrauen und der feften Zuverficht wie heute.

Nuhig und umfichtig waltet fie ihres Amtes. Ihr Sohn, ihr Liebling, ihr einzige® Glück auf der Welt, wird auch heute von Gottes Baterhand heimgeleitet werden, wie in al jenen andern jchiveren Stunden, wo fie ihn dahingeben mußte als einen Schirmherrn der Not, als einen treuen, opfermutigen Mann, welcher für fremdes Leben jein eigenes wagt !

Warum jollte Gott feine wunderbaren Wege felber durchkreuzen, nachdem er fie fo herrlich und unfaßlich bis hierher geführt? O, Gräfin Gundula hat in den legten Tagen in dem Herzen ihres Sohnes gelejen, und fie hat Gabrieles erglühende Wangen gejchaut, fie weiß, welch ein Kampf in Ddiejen beiden jungen Menjchenherzen tobt und weiß, wie herrlich der Sieg fein wird, welcher ſchon jest jeine leuchtenden Strahlen vorausmirft.

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Wie ein Wunder deucht es ihr, daß fie Gabriele, juft diefe, zu fich in die ftille Strandburg rief, wie ein Wunder, daß das fo reiche, gefeierte Mädchen eine arme Waife ward, deren ehemals jo blinde Augen jehend werden follten!

Wie ein Wunder muß fie es anjehen, daß die einzige, für welche Guntram Kraffts Herz in heißer Liebe er— glühte, ihm hierher folgen mußte, nachdem er den Kampf um ihren Bejig als hoffnungslos aufgegeben.

Warım das? |

Gräfin Gundula weiß e8 nicht und fragt auch nicht danad).

Sie wartet, und fie ift gewiß, daß das, was Gott der Herr jo wunderjam begonnen, auch von ihm zu gutem Ende geführt wird!

Ein lautes, jubelndes Schreien, Jauchzen und Rufen ertönt wie ein verworrenes Echo von dem Strand empor.

Das Rettungsboot kehrt zurüd!

Die Bärin von Hohen-Esp hebt inbrünftig die ge: falteten Hände zum Himmel, ihre Lippen zittern und flüftern leife, ihre Augen glänzen feucht.

Und ruhig, ernst und hochaufgerichtet wie jtet3 fchreitet fie abermal3 über den lofen, wehenden Sand hinab, den Sohn zu erwarten.

Ihr jchmwarzes Gewand, das Trauertud) um ihre Schultern flattern im Sturm, wie verflärt leuchtet das bleiche Angeficht in dem Flackerſchein der hochgeſchwungenen Tadeln. Sie fieht, wie das Rettungsboot ſich durch die

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legte Brandung kämpft, fie hört die aufgeregten Menſchen lachen und jauchzen: „Sie bringen die Schirfbrüchigen ! fie find gerettet!” dann ſucht ihr Blick Gabriele.

Sie Steht regungslos noch auf demjelben led wie vorhin, die Hände wie in Berziidung nach dem Boot ausgeftredt, das ſchöne Antli in Gluten der Begeilterung getaucht.

Ad, daß Guntram Krafft fie fo erbliden möchte! Alles drängt den Nahenden entgegen, die Männer fpringen in das jchäumende, Waffer, das Fahrzeug mit hiljsbe- reiten Händen zu fafjen, um es auf den Strand zu ziehen, aber die Stimme des Grafen Klingt fräftig durch Wind und Wogengebraus: „Halt! laßt ab! mir müjjen noch einmal zurück! Landet die Mannſchaft . . . c3 find Norweger! Berjorgt fie!”

Noch einmal zurüd?

Der Jubel verftummt jühes Entjeßen malt fich auf allen Gelichtern. |

Gott erbarm fich! noch einmal zurüd! Noch find nicht alle Gejtrandeten geborgen!

Die fremden Seeleute jpringen über, bleich und er: mattet, aber alle gefund und lebend, nur einen Schiffg- jungen, welcher bewußtlos jcheint, hebt Guntram Ktrafft mit Starken Armen und trägt ihn felber an Land.

„Es it nichts, Mutter“, ruft er leuchtenden Auges, „als er über die Neeling kam, ift er hart aufgeichlagen, das betäubte ihn! den Kopf fühlen... . und einen Kognak! Sonſt allright!”

N.v. Cſchſtrutb, INM.Nom. u. Nov. Die Bären v. Soben-EspIl. 34

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Gundula ſchlingt die Arme um den Sohn und drückt ihn jefundenlang an das Herz.

„Noch einmal zurüc willſt du?” feufzt fie tief auf —; „muß e3 fein, mein Sohn?“ |

Er küßt haſtig ihre Hände.

„3a, e8 muß fein, Mutter! Drei Männer warten noch auf unfere Hilfe, unter ihnen der Kapitän. Das Schiff Hat bereits an fieben Fuß Wafjer im Raum! Das Ruder ift weggeftoßen, und der Fockmaſt ſchwankt der: art, daß er jeden Augenblid über Bord gehen ann! Das einzige Boot, welches noch vorhanden war, ift völlig let gejchlagen! Da ift feine Minute Zeit zu verlieren! gebe Gott, daß wir nicht fchon zu fpät fommen, Kur einen Schluck zur Stärkung für meine Leute, und dann wird ung der barmberzige Gott au zum zweiten Male helfen!”

Der Paſtor hat die Hände des Sprechers ergriffen und drüdt fie mit warmen Segendworten, die Frauen ‚reichen den Schiffbrüchigen und Lotjen die Becher mit dem Gemifch von ſtarkem Tee und Rum. Sie umarmen ‚ihre Männer, jtumm und ergeben wie zuvor, fie weinen ‚und Magen nicht, fie erfchweren ihnen ihre faure Pflicht nicht noch mehr, auch fie find. jtarf und heldenhaft, wie ſich's gebührt.

Kur Mike Hammert fich ein wenig feiter an ihren Neuvermählten und blickt ihm wieder und wieder in die Augen, bis Söfchen die Zähne zufammenbeißt, ſich los— veißt und nach dem Boote zurüchwatet!

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Auch Guntram Krafft wendet fich Haftig. Noch ein— mal drüdt er feiner Mutter die Hände dann trifft fein Blid Gabriele. Sie hat bisher ftumm zur Seite geftanden, jet plößlich ift es, ulg ob ein Beben und Schüttern Durch ihre fchlanfe Geftalt gehe, fie will nicht fie muß ihm entgegenwanfen, ihm die Hände reichen zu ihm aufblicken ...

Herr des Himmels, welch ein Blick! welch ein Aus: drud in dem mwunderholden Antlig! Er zudt zufammen, er Starrt fie an.

Co jah fie jelbjt damals Sei bon Heidler nicht an, als fie den kühnen Neiter um feiner Heldentaten willen bervunderte!

„Sabriele!” murmelt er. .

Ihre Lippen zittern, fie drücdt jeine Hände feiter, frampfhafter zwischen den ihren.

‘“ „Sie find jeßt erfchöpft, Graf Sie können, Sie dürfen das Furchtbare nicht zum ziveitenmal wagen !’

Wie ein Angſtſchrei Flingt e3 zu ihm empor. Heiße Nöte fteigt in jein Antlig, Diefelbe, welche ehemals im Balljaal feine Stirn färbte und ihr fo weibiſch und ver: ächtlich deuchte, jet fieht fein edles, fühnes Angeficht noch fchöner darunter aus wie zuvor.

„Ich weiß nicht was ich kann und tun darf, ich weiß nur, was ich muß!” Elingt es wie ein Aufjauchzen von feinen Lippen, fein ftrahlender Blid trifft noch einmal den ihren, dann gibt er ihre bebenden Hände jählings frei und ſpringt in das Boot zurüd.

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„Chryſte Kyrie Gei bei uns auf der Sce!”

Und abermals bäumt fi) dag Boot hoch auf und ichießt hinaus in die grauenvolle, fchäumende Wildnis der Waſſer ... . in die gähnende Finfternis hinein.

Die Gräfin legt die Arme um Gabriele und neigt jefundenlang dag Antlitz auf die Schulter des jungen Mädchens.

„Beten Sie für ihn, Gabriele! Beten Sie! Dieſe zweite Fahrt ift fchlimmer, viel ſchlimmer wie die erſte!“

Und dann richtet fi die Schirmvogtin von Hohen Esp energijch auf und folgt feiten Schritts den Männern, welche den bewußtloſen Schiffejungen nad) dem Rettungs— ſchuppen tragen. |

Kun gilt es auch für fie, treu und umfichtig ihres Amtes zu walten.

Sie muß dem Kranken die erjte Pflege angedeihen (affen, für feine Überführung nach Hohen-Esp forgen und das Unterkommen der geftrandeten Mannjchaft bedenfen.

Noch einmal zögert fie und blidt zurüd, fie will Gabriele zurüd an ihre Seite rufen, da ſieht fie im dämmernden Mondlicht, wie die fchlanfe, weiße Mädchen: geftalt auf die Knie herniederbricht, wie fie die Hände in heißem, inbrünjtigem ®ebet verichlingt.

Ein feliges Lächeln geht über ihr ernjtes Antlit. Nein, fie darf nicht rufen. |

Diefer lichte Engel muß am Strande treue Wacht halten!

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Es ift Stiller wie zuvor um Gabriele, die Männer bergen die Rettungsgeſchoſſe, welche überflüfjlig geworden find, die Weiber und Kinder üben Samariterdienite an den Schiffbrüchigen.

Boten müfjen nach der Burg gefandt werden, das Sngefinde hat Frau Gundula heimgeſchickt, alles für die Ankunft des Kranken und der Mannjchaft, welche in der „blauen Woge“ Fein Unterfommen mehr finder, vorzubereiten. Nun beginnt dag Hajten und Treiben nach Dorf und Burg zu, und nur wenige jturmzerzaufte Ge— Stalten jtehen wie dunkle Schatten am Strand bereit, die Heimfehr des Bootes rechtzeitig zu Fünden.

Still und einfam ift eg um Gabriele.

Die hohe, leidenschaftliche Aufregung, welche fich ihrer zuvor bemächligt, ift gewichen. Alles, was fie bisher empfunden, war eine glühende Begeifterung geweſen, das namenlofe Entzücden, endlid) das Bild ihrer Träume ver- förpert zu jehen, den todesmutigen Helden zu fehauen, welcher feit Fahren zum Inbegriff al ihres fchwärme: riichen Sehnens geworden war!

Mit jtürmendem Herzen hatte fie gejtanden und das herrliche Bild Guntram Krafft3 mit den Bliden umfaßt, als könne fie fich nicht fatt jchauen an einem folchen Schaujpiell. Da hatte ihre Ceele gejauchzt und den böchiten Flug genommen, da jagten ihre Pulfe wie im Sieber, und nur ein Gefühl Hatte fie beherrjcht, die unaugjprechliche Bewunderung eines Heldenmuts, deſſen Größe fie faum zu erfaſſen und begreifen vermochte!

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Er war zurücdgefehrt von jeiner verwegenen Fahrt, und ihr war e8 zumute geweſen, als müſſe fie vor ihm niederfnien, feine Hände an die Lippen drüden und tammeln: „Vergib, du Gewaltiger, Herrlicher! vergib einer Blinden, daß fie Dich ehemals fo bitter: und fo un= gerecht gekränkt! Seht erſt find meine Augen geöffnet, und ich habe gejehen, wer du bift!"

Gebt erit?

Ya, e3 ijt jo warm und licht in ihrem Herzen ge= worden, als ob nad) langer, dunkler Winternacht der goldene Lenz erwachen folle! |

Und als er ihr joeben in die Augen fchaute, der fühne, fieghafte Held, als er fich ftolz von ihr losriß, und nichts Höheres und Heiligere8 kannte, als feine Pflicht, da fluteten die erjten, heißen Sonnenftrahlen durch ihr Herz, da jauchzte es nicht mehr: „fahr Hinaus, und ſei ein Held, auf daß ich dich bewundern kann!” nein, da fchrie es auf in zitternder Angſt —: „bleibe hier, damit ich dic liebe!”

Verweht und vergangen iſt all die ſtolze Beoeifierung; mit welcher fie ihn das erfte Mal das Wagnis voll- bringen fah, da konnte fie nicht beten für ihn, fondern nur ſchauen, fchauen wie eine Beraufchte, mit blitenden Augen und wogender Brujt!

Sebt plötzlich riefelt es eisfalt durch ihre Adern, zitternde Todesangft kriecht ihr an das Herz und Die blei- chen Rippen möchten auffchreien in bitterer Not um den Geliebten.

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Wie ein Geſpenſt taucht plößlich das Bildnis Wulff: hardt3 vor ihr auf... das entjegliche Wort „ertrunfen |” Itarrt fie mit grellen Buchitaben aus der Schwarzwogenden See an „ertrunfen! ertrunfen . . „17

Ste hebt in qualvollem

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Entjegen die Hände, fie bricht nieder auf Die Knie... der Sturm weht über fie dahin und reißt dus Spibentud) von ihrem lodigen Haar. |

Scharf und jchneidend peitjcht er den feinen Sand gegen ihr Antlig und trinft gierig die Tränen, welche haltlos über ihre Wangen tauen.

Wie aus dem geöffneten Aachen eines Ungeheuer brüllt die Eee, die ehemals bejpöttelte, jo ver— ächtlich ‚belächelte See, und Gabriele fühlt, wie das Grauen fie ſchüttelt angeficht3 diefer zürnenden, furchtbar Gewaltigen!

Ertrunfen!

‚Herr des Himmels, erbarme di!

Die Worte des Predigers klingen ihr plöglic im Herzen, hell und zuverfichtlich, wie ein jauchzendes Hoſi— anna, welches alle Totengloden übertönt! „Das Ges bet feines treuen Weibes ift des Seemanns ficheriter Anker, ift der Maft, welcher nicht brechen kann, iſt das Segel, welches in Sturm und Wetter nicht verloren geht! Das Gebet der gläubigen Liebe ift die Engelsfchwinge, welche fein Schifflein durch Sturm und hohe Flut ficher in den Heimatshafen zurüdjührt.‘

Das Gebet der gläubigen Liebe!

Gabriele ift nicht das Weib des Schirmvogts von Hohen-Esp, fie hat nicht das Recht wie Mife, Die junge, bräutliche Frau, den Geliebten mit Engelsjchwingen jor: gender Fürbitte zu umgeben, aber Liebe! gläubige Siebe! Sa, die flammt ihr heiß und todgetreu im Herzen,

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eine Liebe, welche die Angjt und Qual dieſer finfteren Nachtitunde geboren!

Wo bleibt er?

Die Minuten fchleichen dahin, wie lange, wie entießlich lange währt diesmal die Fahrt!

Dort drüben liegt das Wrad ... ſchwarze undurd)- dringliche Nacht umgibt es!

Werden es die kühnen Netter ſehen und finden? Wird die tofende Flut ihr Boot gegen die Schiffswand jchleudern, daß es zerjchellt . .. daß alles junge Leben alle füße, junge Liebe ein Taltes und tiefes Grab auf dem Meeresgrunde finde?

Herrgott, erburme dich!

Immer inbrünſtiger, immer leidenfchaftlicher ringt Gabriele die Hände im Gebet und durd) den Sturm Klingt e3 wie goldene Harfen, und fernher vom Strand gellt ein Subelichrei: „Sie fommen! fie kommen!“

Ein Lächeln irrt um Gabrieles Lippen, ihre Augen haften an dem Himmel, fie regt fich nicht.

W

XXVII.

$ " ol jubelnder Haft ftürmte es abermals die Düne

BA von dem Nettungsichuppen herab.

Neue Fadeln glühten auf, und der Sturm griff in die Fnifternden Flammen hinein und jagte die funfenfprühenden Stüdchen des Teerbrandes über den Sand davon.

Allen voran drängte Mife nad) dem Strand. Gie Itrebte dem nahenden Boot jo ungeftüm entgegen, daß die Sprißer der Brandung helle Tropfen in ihren Braut: franz warfen und die rauen und Mädchen fie lachend und jo lebhaft, wie während der ganzen Hochzeitsfeier nicht, zurüdrifien und den guten Feſtſtaat vor weiterem Verderben retteten.

Das Einlaufen des Bootes an Land erwies ſich dies— mal noch ſchwieriger als zuvor, da die Brandung von Minute zu Minute furchtbarer ward und das nicht allzu ſchwere Fahrzeug jeden Augenblick beizudrehen drohte.

Jede Welle, welche es überholte, warf den Heck empor und drückte den Bug nieder, und der erſt ſo ungeſtüme Jubel der Harrenden verwandelte ſich wieder in angſt—

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volle Stille, ala man den jchweren Kampf beobachtete, in welchem die fühnen Netter rangen.

Das Sturingewölf war beinahe völlig hinweggefegt, der Mond ftand an dem bleifarbenen Himmel und be— leuchtete hell den leßten Aft des aufregenden Schaufpiels, welches fich in ftiller Nacht an dem einſamen, Be Strande abfpielte.

Die Brandung rollte unter dem Kiel des Buntes fort, die Kämme der See hüllten es in wahre Schaum: wolfen, und das ganze Fahrzeug mit den Fühn verwe— genen Geltalten der jo überaus angeftrengt arbeitenden Männer erjchten wie ein Schattenbild, weldyes ich in wilden Tanze nähert.

Und. eg fam näher und näher, und endlich Fonnten die zurückgebliebenen Fiſcher ihm mit rauhkeligem „Ho— hoje!” entgegenfpringen, es Eraftvoll zu paden und an Land zu fchieben.

Sın legten Augenblid erſt hatte ſich Guntram Srafft von feinem Sit erhoben, fein edles, leidenschaftlich er: regtes Antlitz fpiegelte nod) die Anftrengungen, mit welchen man in diejer fchweren Stunde gerungen, aber jeine Lippen lachten, daß die feiten, weißen Zähne durd) den Schnurr— bart blinften, und die großen Blauaugen bligten jo ſieges— freudig und glüdjelig, wie bei einem Menfchen, für welchen die gute Tat jchon allein ihren vollen Lohn in ih trägt!

Wie fchön war er! wie unbefchreiblich ſchön! Gab- riele ift Schritt für Schritt herzugemwanft, ınit glückzitterndem

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Herzen und brennenden Blick ſchaut fie ihm entgegen, und dann jchlägt dieſes Herz plöglich jo wild auf, daß fie vor feinem Ungejtüm felber erſchrickt und angſtvoll zu= rücweicht, weiter und weiter ..... dahin, wo die roten Lichter der Fackeln fie nicht mehr erreichten, wo feines Menjchen Blick erſpähen kann, welche Gefühle fich in ihrem Auge verraten!

Bol toller, ausgelafjener Freude ſpringt Föfchen als erjter über den Bootsrand, watet die letten Schritte durch das weit ausrollende Wajjer und umfängt jein junges Weib, um all das Glüd diefes Wiederjehens in fchallen= den Küffen auszudrüden.

„u hev' if mir min leiv lüttj Fru erft ganz un gor verdeint!” lacht er mit weithin tönender Stimme: „Mike, min Küking, biſt of tofreeden mit mi?’

Da gibt’3 einen hallenden Jubel ringsum, und der ſturmzerzauſte Brautfranz fliegt vollends auf die blonden Zöpfe zurüd, und Mike fieht wieder jo glühend rot aus wie zuvor, als noch fein bös Wetter ihr das Glüd ftreitig machte! |

Der Bär von Hohen-Esp eilt in die ausgebreiteten Arme jeiner Mutter und küßt ihr jtrahlend ſtolzes Geſicht voll inniger Zärtlichkeit, dann wendet er ſich und führt den barhäuptigen, bis auf die Haut durchnäßten Kapitän des „Bror Thyrſſen“, welcher mit Pitsch- pine-Holz nach Pillau unterwegs iſt, der Gräfin zu und empfiehlt ihn deren Gajtfreundjchaft und Sorge.

Kapitän Björnſon jpricht deutich, er dankt der Gräfin

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mit warmen, aus dem Herzen quellenden Worten für Die edle opfermutige Tat ihres Sohnes, welcher juſt zur rechten Zeit gekommen, fie alle aus ſehr übler Lage zu befreien. Der „Bror Thyrſſen“ hält zwar noch zuſammen, aber er liegt ſchwer auf der Seite, und die. See jchlägt hoch über Deck und wäſcht alles herunter, da handelte e3 fich wohl faum noch um eine Stunde, Daß jih eine Menfchenfeele hätte an Bord. halten fünnen.

Dann fragt er nad) dem Sciffsjungen und feinem Ergehen, und Gundula fann gute Nachricht geben, fie jchreitet dem Kapitän nach dem Nettungsfchuppen voran, bleibt aber noc) einmal ftehen und wendet fich zu dem Grafen. Sie hat gejehen, wie fein Blick umberirrt und unruhig unter den Anweſenden forjcht, jie weiß, wen er ſucht.

Lächelnd deutet ſie ſeitlich nach dem Strand, wo ein weißes Kleid aus dem Dunkel ſchimmert. |

„Willſt du fo gut fein, Guntram Krafft, und Gab— riele nach dem Wagen führen? Der Kutſcher Hält am Tannenweg! Das arme Kind fcheint von all der uns gewohnten Aufregung todesmatt! fage ihr, daß ich fie bitten lafje, mit dem Herrn Kapitän und dem Steuermann einftweilen nach der Burg zu fahren und den Wagen jogleich zurückzuſchicken, wir folgen augenblidlich mit dem Kranken, ſowie ex fich noch ein wenig mehr erholt hat! Mamjell weiß Beicheid und Hat alles vorbereitet. Begleiteft du uns, oder bringft du, gemohnterweile, erit das Boot und alles andere unter Dad) und Zach?”

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„Fürerſt bin ich hier noch nicht ablömmlih, Mama!” antwortete er jehr jchnell und lacht abermal3 über da3 ganze Geficht; „ich Habe Jöſchen heimgejagt und muß feine Fauſt noch bein Bergen der Sachen erjeßen. Aber Fräulein von Eprendlingen werde ich deine Beitellung ausrichten!” und fchon ftampft er in den ſchweren Waffer- Itiefeln davon, und das zerzaufte Blondhaar hängt ihm wirr und feucht in die Stirn.

Da fieht er ihre fchlanfe, lichte Geftalt im Mondes glanz vor fich, und fein Herz, welches ſoeben noch ruhig und furchtlog dem Tode getroßt, bebt plöglich in feiner Bruft.

Langſam tritt er näher.

Er dent an den Blid, mit dem fie ihm. vorhin in die Augen gejchaut, an den Augdrud ihres füßen Geſichts, welches während feiner Todesfahrt durd) Sturm und brandende Flut wie eine glüdjelige Viſion ihn be- gleitete. Der weiße Epibenfchleier weht lang von dem Haupt herab, der Sturm faßt ihn und wirbelt ihn dem Nahenden wie ungejtümen Gruß entgegen.

Da fteht er vor ihr, und fie hat die gefalteten Hände gegen die Bruft gedrückt und fieht mit unausſprechlichem Blick zu ihm auf.

Waos Soll er beitellen?

Er weiß es nicht, alles Blut brauft ihm ſchwin— delnd zum Herzen, er weiß felber nicht, was er tut, er reicht ihr nur im Übermaß feines Empfinden die Hand entgegen und jagt leife, wie in banger, jehnender Bitte ' um ein freundliches Wort „Gabriele!

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Da geichieht etwas Unfaßliches, Unbegreifliches. Sie nimmt jeine Hand mit jäher Bewegung zwiſchen die ihren, neigt ihr Antlitz und drüdt fie an Die weichen, zitternden Lippen. Wieder und wieder... . und an ihren Wimpern glänzt es feucht und perlt herab über feine Nechte.

„Sabriele!” fchreit er entjeßt auf. „Um alles in der Welt, wa tun Sie?’

Sie hebt das erjt jo demütig geneigte Köpfchen und reckt ihre fchlanfe Gejtalt hoch und ſtolz empor und fchaut ihn an mit den füßen Nirenaugen, aus welchen jubelnde Begeifterung und Berwunderung leuchten.

„Ich grüße einen Helden!” ſtößt fie mit halb er: ftickter Stimme hervor, „und danke ihm für all jene Men— Ichenleben dort, welche diefe fühne gewaltige Hand ge— rettet!”

Er hat feine Nechte gewaltfam befreit und preßt fie gegen die Stirn, ala könne er den Sinn ihrer Worte gar nicht faffen.

„Einen Helden!” wiederholt er leife; „und das Sagen Sie mir, Gabriele Sie?!"

„Wem anders wie Ihnen, Graf! Sie haben nıich gelehrt, was es bedeuten will, ein Schirmvogt der Not zu fein, Sie haben e3 mir bewiefen, daß auch hier in tiefiter, weltferner Einſamkeit ein kühner, unerjchrodener Mann leuchtende Tuten zu Ruhm und Ehre feines Vater: lande3 tut! Sie haben e3 jenen Normwegern gezeigt, wie ein deutfcher Mann im Sinne feines Raifer3 handelt!

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und... . Sie haben mich erkennen lafjen, wie viel... ach, wie viel ich Ihnen abzubitten habe!”

Sie hatte hajtig, aufgeregt, voll fieberijcher Leiden- ichaft gejprochen, bei den legten Worten janf ihre Stimme zu leiſem Flüftern herab, und ehe ſich Guntram SKrafft

aus jeiner Betäubung aufraffeı konnte, Hatte fich Die Sprecherin bereit3 dem eilig herzulaufenden Anton zus gewandt. |

„Snädiges Fräulein ... der fremde Herr Kapitän fit bereits in dem Wagen!” meldete er atemlos. „Darf ich bitten, jogleich einzuiteigen, Die Frau Gräfin erivartet die Pferde umgehend zurück.“

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„SH komme!“ nidte - Gabriele Huftig, der Bär von Hohen-Esp aber jchraf empor wie aus einem Traum.

„Kriſchan Klaaden läßt den Herrn Grafen bitten, bei dein Boot mit Hand anzulegen! Sie quälen fi) ab und wollen e8 auf den Wagen Friegen, aber ohne den Herrn Grafen wird's nicht8 damit! Und Kriſchan Klaaden meint, geborgen müfje e8 auf alle Fälle werden, denn die Flut fteige immer noch, und man könne nicht wiſſen, wie hoch fie in der Nacht noch käme!“

„But, gut, ich komme!“

Einen Augenblick noch rang er mit fi), ch er Gab— riele nicht folgen und fie in den Wagen bringen folle, aber Ihon entſchwand ihre lichte Gejtalt wie ein Schemen, fie floh dahin über das fnifternde Niedgras und mußte den Wagen bald erreicht haben. Wie war es auch möglid), mit diefem Sturm im Herzen ihr vor fremden Menſchen gleichgültige Dinge zu ſagen!

Guntram Krafft preßt die wetterharten Fäuſte gegen die Schläfen, und feine Bruft hebt und ſenkt fich unter feuchenden Atemzügen.

Wie ein Chaos von Licht und Schatten wallt es durch das finſtere Gewölk der langen Leidensnacht in ſeinem Herzen, funkelnde Strahlengarben brechen hervor und eine grelle, blendende, zauberhafte Sonne des Glücks ſteigt ſieghaft über feinen Leben auf!

Gubriele hatte das Antlig weinend auf feine Hand

geneigt, fie felber Hatte ihn einen tapferen, helden— N.v. Eſchſtruth, IA. Rom. u. Nov., Die Bären v. Hohen-Espll. 35

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haften Mann genannt, ihn, der doch nichts anderes getan, als ſeine Pflicht!

Das war ein Wunder, ein Gnadenwunder Gottes des Herrn, welches ihm ſo jäh und wonneſam das Herz der Geliebten zugewandt!

Wie ein Yubelfchrei will es über Guntram Kraffts Lippen brechen, aber er jchweigt, er blickt nur mit glän- zenden Augen zum Himmel empor.

Und dann preßt er die Hand gegen die Bruft, auf welcher noch immer der Zettel Gabrieles ruht und atmet tief, tief auf.

Seine Beit ift um.

Ein wüfter, graufamer Schickſalsſturm Hat ihn ehe- mal3 auf feinen Lebensweg geweht, daß er fich zur himmelhohen Scheidewand zwifchen ihn und all fein Glück baue, und nun fam ein anderer, frischer, köſtlicher Seefturm dahergebrauft, der blieg die trennende Schranke hinweg, der räumte alles aus dem Weg, was als Dorn und Neſſel die roten Nofen feiner Liebe überwuchern wollte!

Gabriele von Sprendlingen will Herz und Hand nur einem Helden zu eigen geben, und fie jelber hat den Bären von Hohen-Esp einen Helden genannt!

Drunten am Strand winfen die Männer ungeduldig harrend mit den Fadeln, und Guntram Krafft ſchwenkt ihnen mit jauchzendem „Hohojohe!“ den Südmelter zu und eilt heran, ihnen zu helfen, als flute neues Leben und neue Rieſenkraft durch feine Adern!

547°

Als Gabriele Hohen-E3p erreicht hatte, bemühte fie fi), der Gräfin in jeder Weife Hilfreich zur Seite zu jtehen, Gundula aber tat nur einen jchnellen Blic in ihr erregtes Antlig, auf welchem Glut und Bläfje wechielten, auf die Kleinen eisfalten Hände, welche es faum vermoch- ten, mit feſtem Griff zugufaffen, und fie ſchloß das junge Mädchen mit gar wunderſamem Lächeln in die Arme und neigte die Lippen Füffend auf den lodigen Scheitel.

„Sehen Sie zur Ruhe, mein Herzenskind, ich wünjche eg! Sie find von all der Aufregung nervös und ermattet und müſſen fchlafen, damit Sie morgen wieder bei friichen Kräften find! Ich kenne dieſe Sturm: nächte und lernte es in all den langen Jahren, ruhig Blut zu wahren! Was wollen Sie noch hier? Der Kranke iſt gebettet und jchläft bereit3 den Köftlichen feſten Schlaf der Jugend, den gebrochenen Arm babe ich ihm jhon in dem Schuppen drunten in einen Notverband gelegt, auch darin habe ich Übung! und der Schlag gegen den Kopf fcheint durchaus nicht bedenklich, denn der Zunge jprach nach feiner kurzen Betäubung völlig Har mit feinen Kameraden. Der Arzt wird morgen kommen, und, fo Gott will, nicht viel Arbeit bei ihm finden. Der Kapitän und Steuermann haben ihre najjen Kleider ge= wechjelt und fich mit Guntram Krafft3 längſt vermachjener Garderobe jehr fpaßhaft Koftümiert, fie fißen bei einem fteifen Grog in der Halle und wollen auf meinen Sohn warten, um noch jo mancherlei mit ihm. zu. beiprechen, ehe fie fich zur Ruhe legen, id) glaube nicht, daß

35*

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ihnen Damengeſellſchaft in ihrem momentanen Zuſtand ſehr angenehm iſt! Sonſt aber gibt es keine Arbeit mehr, und auch ich gehe allſogleich zur Ruhe, ſowie ich Gun— tram Krafft noch einmal die Hand gedrückt habe. Das iſt ſo Brauch bei uns.“

Gabriele atmete ſehr ſchnell und machte eine jähe Bewegung mit dem Köpfchen, ihre Augen blickten fo leuchtend und verflärt an der Gräfin vorüber, als jähen fie voll ſchwärmeriſchen Entzüdeng in nächtiger Ferne ein liebes, liebes Bild. Sie zog die Hand der Sprecherin ſtumm an die Xippen, wieder und wieder... wollte jprechen und ſchwieg dennoch.

„Der Sturm jcheint abzuflauen ... . morgen wird e3 gewiß ein ganz bejonders fonniger, wonniger Maien= tag werden !” fuhr Gundula weich und leife fort, und fie ftrich mit der Hand über das roſa Brautband, welches noch immer, in der Haft und Eile vergeffen, un Gabrieles Arm glänzte, fie lächelte: „Heben Sie diefe Schleife gut auf, fie bringt Glück —! Und ehe Sie die Augen ichließen, danken auch Sie Gott dem Herrn, daß er in diefer Nacht mit und war!”

Gabriele war heiß errötet, jie nickte erregt, ihre Lippen zitterten. Noch einmal neigte fie jich tief, tief über Die Hand der Gräfin, und dann trat fie Haftig über Die Schwelle, ihr einfam ftilles Zimmerchen zu erreichen. Sie preßte die Hände gegen die Schläfen und ftand zögernd auf der Treppe ſtill.

Mar e3 recht, daß fie ging? Gab es Doch vielleicht

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noch Pflichten für ſie zu erfüllen? Sie konnte ihnen heute nicht gerecht werden, heute nicht!

Welch ein Aufruhr tobt in ihrem Innern! Sie wandelt, handelt und ſpricht wie im Traum, ihre Gedanken ſind weit entfernt, von dem was fie tut.

- hr ganzes Sinnen und Denken weilt bei ihml Sie ſieht nur noch ein einziges, Guntram Kraffts kühnes, heldenhaftes Angeſicht, ſie fragt ſich tauſendmal immer wieder dasſelbe: Iſt es denn fein Traum, kein Fieber⸗ wahn geweſen? Hat er wahrlich das Unfaßliche, Herr⸗ liche vollbracht? |

- Mo weilt er noch? / *

Fiühlt, empfindet er es nicht, daß ihr Herz feinen Kamen jubelt in heißem, ann Sehnen unt Entzücken?

Wo bleibt er?

Horch ... eine Regenboe brauſt nieder, die Tropfen werben praſſelnd gegen das Fenſter gepeiticht.. . . nach wenig Minuten ift-e8 wieder til, und die Mondftrahlen hufchen durch das zerfeßte Gewölk. |

Das Heulen in den Lüften läßt nach, die Riegel und MWetterfahnen kreiſchen nicht mehr fo wie biöher.

Gabriele tritt an die Heinen bleigefaßten Scheiben und neigt das fieberheiße Gefichtchen dagegen.

Wo bleibt er?

Wird er wieder drunten auf dem Weg vorüber: Ichreiten, ohne einen einzigen Blick empor nach ihrem Fenſter zu tun?

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Wie in zitternder, qualvoller Angft preßt fie Die Hände gegen das Herz.

Sie fieht es plöglich wieder vor fich, jein ernftes, gleichgültiges, jo ganz veränderte Geficht, mit welchem er ihr begegnete, fo lange fie bier weilt. Lebt fein Fünk— chen jenes zärtlichen Interefjes, welches er in der Re— ſidenz für fie empfand, mehr in feinem Herzen?

Gabriele jchlingt wie in bebender Verzweiflung die Hände ineinander. Wehe ihr, und ihrem armen, armen, törichten Herzen!

Und doch . .. jener Blid als er von ihr ſchied, ala er zum legten Male noch ihre Hände faßte, ehe er zu jener furchtbaren Fahrt in das Boot jprang ... jener Blick war nicht mehr fühl und fremd, er war fo fiebes- innig fo heiß und weh...

Gabriele jchlägt plötzlich bie Hände vor das Antlitz und jchauert zufammen, als ob er Abjchied nahm für ewige Zeit!

D, dieſe Qual der lebten Stunden!

Wo bleibt er, wo bleibt er?

Wie fände Gubriele Schlaf und Ruhe, ehe fie fein teuere3 Haupt geborgen und unter diefem Dache weiß? Horh ... Stimmen ... Schritte drunten ...

Mit zitternder Hand löſcht fie das Licht und Öffnet laut- 108 das Fenſter ... Mondfchein glänzt auf dem Weg ... das Gezweig raufcht und fprüht filbernen Funkenregen.

Die Bedienjteten des Schloffes und zwei der fremden Matroſen nahen in lebhaften Geſpräch und in ihrer

Mitte... dieſe Hohe, föntgliche Geſtalt ... ſo ſchreitet nur einer! nur er! Und er zögert plöglich und geht langjanıer, er bleibt zurück und ſteht till. Sein mondbe- glänztes Antlitz wendet ſich ihrem Fenſter zu, wie mit jäher, lei— denſchaft⸗ licher Be— wegung hebt er die

Arme und breitet ſie nach ihr aus! Sieht er fie? Nein, es iſt dunkel und ſtill hier droben. Mit einem leiſen Auf— ſchluchzen des Ent— zückens ſinkt Gab— riele auf die Knie und das roſa Band von Mikes Brautkranz glänzt wie holde, glück— ſelige Ver— heißung an ihrem Arm.

XXVII.

räfin Gundula hatte recht behalten.

Der Sturm flaute,:;über Nacht und gegen Morgen mehr und mehr ab und wehte fchließ- lich nur noch als fräftig frifche Brife von der See her: über, dieweil die Eare, leuchtende Frühlingsfonne an dem Hinmel ftand und. die blühende Welt in goldenem Licht badete. Alle Wolfen, alle Dunft: und Nebelfchleier hatte der Sturmwind hinweggefegt, und nun wölbte ſich das Firmament fo tiefblau und flecdenlos wie ein einziger, funfelnder Saphir, und das Meer dehnte fid) jo azur- farben und endlos und wogte unter Tauſenden von ſchneeigen Schaumfämmen fo majeftätijch, wie Gabriele feinen Anblick jelbit im Traume nicht in gleicher en geſchaut!

Und weil Guntram Krafft jüngſt einmal geſagt, daß die Farbe des Himmels und der See diejenige ſei, welche er am meiſten liebe, ſo hatte Gabriele zum erſtenmal ein lichtblaues Kleid angelegt, juſt das, von welchen: ihre Mutter ftet3 gejagt, es ftehe ihr am beiten von allen.

Sie errötet, al3 fie iyr Spiegelbild erblickt und lächelt

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ihm doch voll füßer, inniger Träumerei zu, und atmet jo tief und blickt mit fo großen, glänzenden Augen umber, als ſchaue fie die fonnige Gotteswelt zum erjtenmal, als jei in ihr und um fie her alles ganz und gar ver: ändert feit der geftrigen Nacht. |

Guntram Krafft war mit den fremden Männern ſchon zu früher Stunde nad) dem Strand hinabgegangen, um zu näherer Befichtigung des Wracks mit ihnen hin: auszufahren; wie die Gräfin mit feinem Lächeln fagte: „ſo ſtrahlend glüdlich, wie noch nie zuvor im Leben!”

Und dann, al3 fie verftohlen die entzüdende Er: Icheinung des jungen Mädchen? mit dem Blick umfaßt, legt fie lächelnd die Hand auf die fleißigen Fingerchen, welche eifriger denn je nach dem Staubtuch greifen wollen, und fagt: „Hanna hat die Zimmer heute jehr gut in Ordnung gebracht, ich habe egoijtifchere Wünjche für Sie, liebe Gabriele! Sit eg ein Wunder, wenn nach all der Angſt und Sorge des gejtrigen Abends mein Herz heute defto glücjeliger in den hellen Sonnenschein bineinlaht? Wiffen Sie, wonach ich Sehnfucht Habe, liebte Gabriele? Nach einem Lied! Derweil ich hier in meinem Schreibtifceh Ordnung zu fchaffen habe, fingen Sie mir etwas vor! und dann gehen Sie in den Garten und holen ganz bejonders jchöne Blumen zum Schmud der Tafell Der Kapitän und der Paſtor find heute unfere Säfte, da kann der alte Sürgen Haas jein Gewächshaus auffchließen und uns einen Strauß feiner gehegten und gepflegten Lieblinge opfern, hören Sie, Gabriele? Holen

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Sie aus dem Gewächshaus heraus, was Ihnen hold und ſchön deucht! Co; und nun? befomme ich ein Lied?“

Gabrieles Augen leuchteten auf.

„O, gern, wenn Frau Gräfin fürlieb nehmen wollen

.. ich fang lange nicht!”

„And ich hörte gar lange, lange Zeit feinen Ton Mufif in diefen Räumen!” nidte Gundula voll leifer Wehmut, dann aber ging wieder das friedlich Stille Lächeln über ihr Antlig, und fie fügte kaum verjtändlich hinzu: „Nun bricht aber eine neue Zeit für die Bären burg an, und das Alte foll vergejjen fein!’

Und fie neigte fich, anfcheinend ſehr vertieft, über das geöffnete Schubfach, aber ihre Hände ruhten ftill im Schoß, und ihre Augen blickten voll lebhafter Spannung nach dem Flügel, auf welchem Gabriele zögernd ein Noten: heft aufitellte.

Was wird fie fingen?

Die Bärin von Hohen-Esp war eine gar gründliche Menſchenkennerin, und was Gabriele im tiefften Herzens: grund für Guntram Krafft empfand, das mußte jebt als Sang und Klang von ihren Lippen ftrömen.

„Sol ich die Arte aus dem ‚fliegenden Holländer‘ probieren?” fragt fie zögernd, mit jähem Erröten; „ich ftudierte fie vor Jahren bei meiner Lehrerin, fang fie aber nicht oft.”

„And warum nicht?”

„Sie war mir damals jo unverftändlich, ich Tannte weder See noch Sturm . . .”

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„Roc einen armen, einjamen Ceemann! O, mie freue ich mich gerade auf dieſe Arie!‘

Und Gabriele fang, erſt zaghaft, leife, unficher, dann immer voller, erregter und inniger, bis ihr ganzes Herz durch) die Töne zitterte in dem leidenfchaftlichen Em: pfinden: „— betet zum Himmel! —“

Gundula Haupt janf tiefer und tiefer zur Bruſt, immer glängender ward ihr Blid, immer freudiger das geheimnisvolle Lächeln um ihre Lippen ...

Und Gabriele durchblätterte mit glühenden Wangen die Noten

„Der Lenz it da!” von Hildadh.

Welch ein Jauchzen und Jubeln welch ein roh: (oden dem Lenz entgegen! und die Gloden läuteten jo tief und wundervoll aus den Taſten empor, jo ganz ab: fonderlich, als jeten e3 nicht Maien-, jondern Hochzeit3- gloden!

Gundula erhebt fich und fchreitet in das Nebengemach, und über die Lippen de3 jungen Mädchens flutet e3 weiter wie ein alles vergejjendes, glückſeliges Geftändnis.

„Er ift gefommen in Sturm und Negen, er hat ge- nommen mein Herz jo verwegen!“

Und dann ward es ftill.

Als aber die Gräfin mit bebeuder Hand den Tür: vorhang zurüdjchiebt und leife in das Zimmer jchaut, da fißt Gabriele, hat das Antlig in die Hände gedrückt und verharrt wie im Traum.

56

Der alte Jürgen Haas hat jeine blühenden Lieblinge im Gewächshaus ſtets mit Argusaugen gehütet, wie er aber in das wunderholde Antlit des Fräulein von Sprend— lingen jchaut, welche ihn lächelnd um einen Strauß bittet, da erhellt ſich das rungelige Geſicht des Getreuen,

und er nickt mit beinahe zärtlichem Blid —: „So veel, als Zug dat leev is!“ und er jchließt das geräumige Glashaus auf und fieht es ohne jedwedes Herzeleid, wie die fleinen weißen Hände. nach feinen jchönjten Blüten greifen. |

Plöglich zuct Gabriele zuſammen und jtarrt gerade- aus in die Ecke des Treibhaufes, woſelbſt die Dleander

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und großen Yaurostinogbäume nebſt etlichen auf⸗ gebaut ſind.

„Iſt das nicht ein Lorbeerbaum, Jürgen Haag?" fragt fie, und alles Blut fteigt ihr in das ehedem fo rofig zarte Gefichtchen.

„Ganz recht, een Zorbeer! Der man torück bleeven von uns’ Herrn Grafen fin Stonfirmafhon! Die Blätter fin ganz ampart un’ nüdlich, äwerſt Blaumens dreiht he nich !”’

Gabriele war haſtig herzugefchritten.

„Darf ich ein paar Zweige zu einem Kranz nehmen, lieber Haas? Und haben Sie ein wenig Baft zur Hand, daß ich ihn gleich winden kann?“

Der Alte murmelte: „allens, wat Se wollen!” kramte aus den grundloſen Tiefen ſeiner Jacke einen Flauſch Baſt, und derweil ſich Gabriele auf eine leere Blumen- treppe feßte und die grazidfen Zweige mit bebenden Händen zufammenmwand, ftand er vor ihr, kraute fich den weißen Kopf und ſprach in feiner kurzen, fchlichten Meile von der vergangenen Sturmnacdht, wo der liebe Herr Graf fih mal wieder Gottes Segen verdient babe.

Gabriele nickte mit leuchtendem Blid, erhob ſich und fchüttelte die Blätter von ihrem Kleid. Zwei Eleine Kränze hatte fie gewunden, die hing fie an ihren Arm, faßte den großen Strauß der blühenden Blumen zufammen und fagte dem beglücten Alten freundliche und herzliche Dankesworte, dann fchritt fie in tiefes Sinnen ver-

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loren durch die warme, lenzesduftige Luft nach der Burg zurüd.

Über ihr jubelten die Vögel im blühenden Gezweig, und in ihrem Herzen Hangen die Frühlingsgloden noch immer wie ein holdes, traumhaftes Echo!

In der Speifehalle ordnete fie till und gejchäftig die Blumen in Schalen und Bafen auf der Tafel, dann Itand fie einen Augenblid und jchlang zögernd die Fleinen Hände ineinander.

Alles war ftil im Haufe.

Die Gräfin hatte ſich in ihr Anfleidezimmer zurüd- gezogen, Anton hantierte an den Buffets und die Herren meilten noch am Strande.

Schnell ftieg Gabriele die Treppe empor nad) dem Wohnzimmer der Gräfin.

Ein Sonnenftrahl flimmerte über einen der braun: gejchnigten Bären zu ihrer Seite, da ſah es aus, ala ob feine Augen fich bewegten, als ob das grimmige Geficht ihr plößlich entgegenlache.

Auf dem Schreibtisch der Burgfrau jteht das große Bruftbild Guntram Kraffts, in der Seemannz- jade, mit dem verwegenen Südwelter auf dem lodigen Haar.

Gabriele neigt ſich und blickt heiß errötend in das edle, ühne, wunderſchöne Männergeficht, welches ihr mit den großen Blauaugen jo ganz, ganz anders wie font entgegenjchaut. Ihr Herz ftürmt in der Bruft, all die tifinnige, leidenfchaftliche Seligfeit jungerwachter Liebe

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durchbebt fie, und fie nimmt den Lorbeer und legt ihn um das Bild des heldenhaften Mannes.

Und wie fie ihn in diefem Schmude fchaut, glühen ihre Wangen, nnd ihr Blick flammt auf in jauchzender Wonne, wie Glut und euer rinnt e3 durch ihre Adern, ein kurzer, glüdzitternder Kampf zwiſchen banger Scheu und alles vergeljender Liebe, und fie drüdt das Bild an die Lippen, e3 wie in einem ſüßen Wonneraufch zu küſſen.

„Gabriele!!“

Gleich einem Schrei, halb erſtickt in ſtaunendem Ent- zücken, in namenloſer Erregung klingt es neben ihr.

Auf der Türſchwelle des Nebengemachs ſteht Gunt— ram Krafft, die Hände gegen die Bruſt gedrückt, das Haupt vorgeneigt, als könne er das Wunder, welches ſeine Augen ſchauen, nicht faſſen und begreifen.

„Gabriele!!“

Sie ſchrickt zuſammen, Leichenbläſſe bedeckt ihr erſt ſo holderglühtes Antlitz, das Bild ſinkt aus ihren zitternden Händen auf die Schreibtiſchplatte nieder.

Sie will, halb vergehend vor Scham und Ent: jegen, entfliehen, aber fie macht nur eine unfichere, wan— fende Bewegung und jchon ſteht er neben ihr, faßt fie mit feſten, ftarfen, fraftvollen Armen und drüdt fie an fein Herz, wild, ungeftim, wie der Bär, welcher fieg- haft feine Beute nimmt!

Kein, das ift nicht mehr der ſcheue Süngling, welcher fie ehemals mit zarter Hand aus dem Schnee emporhob,

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dies ift ein trogigkühner Mann, welcher fich feiner Helden fraft bewußt geworden ift!

„Du halt mich einen Helden genannt, du haft mein Bild mit Lorbeer geſchmückt und es gefüßt, Gabriele, damit haft du jenes Todesurteil zerrifien, welches du mir und meinem Glück gejchrieben. Jener taten und ruhmlofe Hohen-Esp, welchen du ehemals veracdhtend von dir ftießeft, würde nie und nimmer mehr gewagt haben, Die Hände begehrend nad) dir auszuſtkecken, aber hier der Mann, welchen du jelber dur) Kuß und Lorbeer zu einem Ritter gejchlagen, der wirbt nun voll fühnen Wage— mut3 um deine Xiebe, der fordert diefe Hand nun als jein heilig Recht: Gabriele, haft du’3 gehört? Mein biſt du, mein!“

Und wie ein Trunkener blickt er in das Angeſicht, welches mit den großen zauberiſchen Nixen— augen zu ihm auffchaut, welches in Holder Verwirrung nur leife, leife jeinen Namen flüftert —: „O, Du

Herrlichiter

Wie iſt es urplöglich jo warm fo duftig fo ſonnenhell in dem fonft jo fühlen und düfteren Gemach der Frau Gundula geworden!

Auf der Bank in der Fenfternifche fit Guntram Krafft, Hält fein Lieb im Arm und bededt ihr lächeln- des, überjeliges Antlit mit heißen, unerfättlichen Küffen!

Goldener. Eonnenglanz flutet über fie dahin, und fernher, durch die geöffneten Bugenfcheiben grüßt das weißjchäumende Meer mit donnerndem Yubelruf.

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Die Augen der Bärin von Hohen-Esp haben feucht geglänzt, al3 fie ihre Kinder mit leifem Segenswort an

>=.) 5 an in *

-

das Herz gedrüct, und während das Brautpaar auf Gabrieles Wunjch zur Kappelle jchritt, dort auch das

Bild des armen Wulffhardt mit Lorbeer zu befrängzen, ift N.v. Eſchſtrutbh, Ill. Rom. u. Nov. DieBärenv. Hoben-Esp II. 36

N

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Frau Gundula vor ihrem Schreibtijch niedergejunfen, hat jeit langen Jahren zum erftenmal wieder die verfiegelten Briefe und Photographien ihres Gatten zur Hand ge= nommen und heiße, bittere Tränen Darauf niedergeieint.

Dann ijt es jtill in ihrem Herzen geworden, ftill und friedlich wie an einen lichten Sommerabend, wenn alle Wetterſchwüle und alles Donnergrollen des Tages mit feinen dunklen Wolfen wie ein unbeilvoller Traum verjunfen it.

Nach dem Berlobungsefjen ift das Brautpaar zum Strand hinabgewandert, und Gabriele hat voll leiden- Ichaftlichen Enizüdens die Arme nach der blauwogenden Unendlichkeit ausgebreitet!

„Dich und dag Meer habe ich gejtern nacht in all eurer Größe und Herrlichkeit kennen gelernt!” flüftert fie voll weicher Innigfeit zu Guntram Krafft empor, „und weil von der Bewunderung bis zur Liebe bei uns Frauen nur ein Kleiner Schritt ift, jo nahmt ihr beide mein Herz tatjählid im Sturm! Wenn id) jebt hinaus in diefes Braufen und Schäumen, in dieſes Sonnengefunfel und Gegliger ſchaue, mit welchem ic) geftern in verzweifelter Todesangft im Gebet um mein Liebjteg um dich! gerungen, fo kommt e8 mir ganz unpaßlic) vor, daß ich folche Allgewalt und Gdtterherrlichkeit jemals eintönig und langweilig nennen konntel O, wie blind bin id) ge— wejen, und wie viel blendende Schönheit fehe ich jetzt!“

Sein Arm umſchlingt fie noch feiter, jeine Lippen glühen heiß auf diefen blauen Nirenaugen.

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„Geſchlafen und geträumt haft du, verzauberte Meer: fei, im fernen, fremden Binnenland, bis du heimfehrteft zu ung, bis dich der Sturmwind in die Arme nahm und dir die trauten Wiegenlieder der Woglinde und Well: gunde fang, bis dich mein Kuß aufweckte zu glückſeligem Begreifen und Verſtehen!“

Ein jubelndes „Hojohe!“ ertönt von der Düne herab, Jöſchen und Mike ſtürmen Hand in Hand über den wehenden Sand, und der junge Ehemann ſchwenkt ſchon von weitem den Hut und lacht, daß ſeine kerngeſunden Zähne im Sonnenſchein blinken.

Atemlos erreichen ſie das Brautpaar, und ihr Glück— wunſch iſt ſo ehrlich, ſo überſtrömend herzlich und auf— richtig, daß Guntram Krafft den wackeren Burſchen in die Arme ſchließt und ihn beinahe übermütig ſchüttelt.

„Wat ſeggſt nu, min oll Jung'? Dat heſt di woll nich drömen laten, wat?“ |

Da zwinfert der Lotje nur ſchalkhaft mit den Augen, und Mike hält Gabriele bei beiden Händen und flüſtert ganz ſchämig: „Dat hevven wi längſt mierkt, dat dor wat im Spöle was!“ Sie gehen noch ein Stückchen plaudernd zuſammen, big Mife einfällt, daß fie ja einen Topf auf dem Feuer Hat „grad jo weggeſtürzt fet fie bei der Nachricht!!” und fie fchütteln abermalz die Hände und haften davon durch Difteln und Niedgras.

Wie till iſt's wieder, wie fill!

Eine Möwe flatiert mit leiſem Echrei über der Bruns

dung, ihre Schwingen bligen im Sonnenlicht grell auf 36*

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wie filberne Schwertklingen langfam finkt fie Der blaumogenden Flut entgegen und badet das leuchteitde Gefieder im perlenden Schaum.

Bol träumerischen Sinnens folgt ihr Gabrieles Blid.

„Wie hätte ich mir jemals zuvor träumen lafjen, daß gerade die See, un deren Gunft ich nie geworben, mir fo verfchwenderijch alles Glück fchenfen würde! Jetzt, in ihrer lichten, majeftätifchen Pracht hat fie alle Schreden verloren, welche in der vergangenen Nacht mein Herz er— zittern ließen, und Doch werde ich fie ftetS in ihren to= benden Zorm am liebiten haben, weil gerade Sturm und wilde Flut es waren, welche mir dein heldenhaftes, un— vergeßlich ſchönes Bild geboren!’

Er jchüttelt langſam, ſchwer atmend den Kopf. „Schon einmal Haft du mich einen Helden genannt, Gabriele, und haft mein Bild mit Lorbeer geſchmückt, und doch leiftete ich nicht mehr und nichts Beſſeres, wie feit langen Sahren! Nur das unverdiente Glüd ift mir geworden, daß du mich und meine ftille Arbeit kennen lernteft, daß du mir durch deine Anerfennung den Mut gabjt, die Hände voll Tiebeheißen Verlangens nad) dir auszu— ſtrecken ...“

„Das hätteſt du ſonſt nicht getan?“

„O, nie und nimmermehr, und hätte ich ſterben müſſen an den Qualen, welche mein Herz zerriſſen!“

Beinahe demütig blickt ſie empor. „So ſehr zürnteſt du mir, weil ich in der Reſidenz deine Neigung ſo kühl und ſchroff abwies? Weil ich dein Meer nicht liebens—

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wert fand, weil ich dir, dem Fremden, nicht init offenen Armen entgegenfam?”’

. Ein fchnelles, beinahe Heiteres Lächeln zudte um feine Lippen, Gabriele aber fuhr mit weicher Stimme, Halb ernit,. halb jcherzend fort: „Glaubſt du, Liebſter, ich hätte e3 nicht empfunden, wie jehr verändert du mir in Hohen- Esp begegneteft?. Anfänglich war ich nicht böfe dar: über, im Gegenteil, e3 berührte mich ſympathiſch, weil mein Herz noch jo weit ab von dem rechten Wege irrte und viel zu fehr von feinem törichten Wahn befangen war, um alljogleich feine Heimat zu finden! Aber jpäter, wie e3 immer wärmer und lichter in mir ward, wie dein Weſen mir immer begreiflicher fchien, da habe ih oft darüber nachgedacht, warum du mir fo fehr zürnteſt, denn, ſag' felber, Herzlieber, ijt es wahrlich eine jo fchwere Schuld, wenn ein Mädchen nur dem Mann angehören will, welchen es liebt?”

Er lächelte noch mehr, beinahe geheimnisvoll.

„Rein, du Wonnigel im ©egenteil, feine größere Tugend vermag es zu geben, als diefen Stolz, welcher fih nur einem Helden zum Preiſe ſetzt!“

„And doch verargtejt du ihn mir?”

„O, wahrlich nicht! Meine ganze Seele, all mein Sein und Weſen gehörten dir, Gabriele, und habe ich dich je geliebt, jo war es in dieſen bitterfüßen Tagen, wo ich gegen dieſe Liebe kämpfen mußte, wie gegen eine Unmöglichkeit!”

: „Du wollteft mir nicht gut fein?”

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„Ich durfte es nicht!‘

D, wunderlicher Dann und wer verbot e8 dir?”

Er nahm langjam eine fchmale, rotjuchtene Brief: tajche von der Bruft, öffnete fie und entnahn ihr einen Kleinen zerfnitterten Zettel, deſſen verwifchte Bleiſtiftlinien faum noch zu entziffern waren.

„Du felber, mein graufamer Schaß!” jagte er leife und es war, als durchriefele ihn noch einmal wie ein banger Nachhall all das Weh, welches ihn fo oft beim. Anblick dieſes kleinen Papierjtreifens gequält. Federleicht war er und hatte Doc) ſchwer wie eine umnerträglicye Bentnerlaft auf jeiner Bruft gerubt.

Mit ftaunenden Augen neigte fich Gabriele und blidte auf feine Finger, welche den Zettel entfalteten.

„Das fieht ja aus, wie meine Schrift!” ſagte fie überrafcht.

„O, wie hätte ic) ehemal3 jo gern mein Leben ge— geben, wenn fie e3 nicht gemwejen wäre!”

Nicht ohne Mühe buchitabierte Gabriele die einzelnen Worte heraus.

Bol äußeriten Befremdens blidte fie empor.

„sa, dieſes Bekenntnis einer jchönen Seele habe ich ge= ſchrieben“, nidte jie finnend, „vor langen Jahren ſchon faum weiß ich noch, wie und bei welchem Vorkommnis..“

„Bor langen Jahren?”

„Ah! ganz recht, jetzt entjinne ich mi! In der. Meihnachtszeit war ed, al3 wir Badfischchen eines Abends zufammenfaßen und heimlich die Überrafchungen für den

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Chriſttiſch häkelten und jtidten. Die ganze Refidenz jprah damals von dir ſelbſtredend behandelten auch wir dieſes interefjante Thema!’

„Bon mir? ... als Badfifche?” wiederholte Gunt— ram Krafft mit fragendem Blid. 5

„Sanz recht! Man erwartete dich ala Freiwilligen bei Papas Regiment, wo du deiner Militärpflicht ge- nügen jollteft, aber ftatt deiner fam die Kunde, daß du wegen einer ganz unbedeutenden Kleinigkeit freigefommen feift und nicht dienen wollteſt!“

„Damals? zu jener Zeit jchriebit du diefen Zettel?‘ „Gewiß! in allerübeljter Laune jogar! Du kennſt ja meine Anfichten über Tapferkeit und Heldentum! nun, und ein Mann, welcher nicht mal den Schneid Hatte, Uniform zu tragen, der imponierte mir wahrlich nicht, der veizte mich zu trogigfter Oppofition! Thea Sevarille ver— ipottete mich um dieſer heiligen Entrüftung willen o ja! nun entfinne ich mic plößlich wieder ganz genau! fie behauptete, ‚der geſchmähte Hohen-E3p brauche nur auf der Bildfläche zu erfcheinen, um all meine ftolzen Grundſätze wie die Kartenhäufer über den Haufen zu blajen! Das reizte mich zu noch lebhafterem Wider: ſpruch. ‚Gibſt du e8 vielleicht fchriftlich?‘ ſpottete Thea, und ich nahm einen der Zettel, welche ſchon für ein Schreibfpiel vorbereitet zur Seite lagen und ſchrieb im Übermut diefe geharnijchte Kriegserflärung gegen den Bär von Hohen-Esp, welcher damals in meinen Augen nicht8 weniger war, wie ein Held! Hier fiehft du auf

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der Nüdfeite de Zettels, welcher zuvor ein Briefbogen gewejen, noch das vorgedrudte Datum ©.:., Billa Monrepos ... und bier von mir vollendet: den 22. November 18..! Es iſt mit Tinte ae und noch deutlich zu erkennen!“

Mit unſicherer Hand nahm der Graf das Popier, neigte ſich und ſtarrte die Zahlen an wie ein Träumen— der, dann ſtrich er langſam mit der Hand über die Stirn und murmelte beinahe atemlos „dieſes Datum hatte ich nicht bemerft ... wie war das möglich ... es muß mir in all der Aufregung, mit welcher ich je und je dieſe Heilen gelejen, usgangen fein id) war ja arglos wie ein Kind!.

Gabriele blickte plöglich ernft und forſchend in ſein tief erbleichtes Antlitz empor.

„Ich entſinne mich genau, daß ich ehemals dieſen Zettel ſchrieb, wo derſelbe aber an jenem Abend ge— blieben iſt, weiß ich nicht. Geradezu unbegreiflich und unfaßlich aber deucht es mir, wie dieſes Papier nach all den langen Jahren in deine Hände gelangen konnte! Sag es mir, Guntram Krafft, ich bitte dich darum!“

Heiße Glut ſtieg plötzlich in ſeine erſt ſo farbloſen Wangen, er knäulte den Zettel voll Te Zornes in der Hand zufammen.

„Wohl wäre ich nicht mehr verpflichtet, einem ſolch ichnöden Verrat gegenüber das gelobte Schweigen zu wahren, aber ich will nicht ebenjo verächtlich fein, wie fie, ich will dag Wort halten, welches ich gegeben!”

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Und er drüdte Gabrieles Hände an die Xippen und fagte: „Sch habe Diskretion zugejagt, und ich bitte dich, fie halten zu dürfen, Herzlieb!l Ich habe die große Melt ehemals nicht gefannt und beflage oft voll geheimer Sehnſucht, daß fie mir fo fremd und verjchlofjen geblieben, weil du darin lebteft und meiner Anficht nach der Weg zu deinem Herzen nur durch fie führte! Jetzt danke ich es Gott auf den Knien, daß fie mir mit all ihrem Falſch und Verrat jo fern liegt. Mein teures, heiliges Meer bat mir da8 Glück gebracht, welches ich Tor fo uns erreichbar wähnte, Gott der Herr hat gewußt, Gabriele, daß du reine Perle nicht in den Staub der Großſtadt, \ondern hierher in deine fturmumbraufte Heimat ge- hörſt!“

Mit tiefem, wunderjamem Blick fchaute fie ihn an. ‚Nein jag nicht den Namen derer, welche ein fo gewiſſenloſes und egoiſtiſches Spiel getrieben, ich Tenne fie ja! Sie hat dich ſelbſt von dannen getrieben und dadurch wieder bewiejen, daß jede Schuld ihre Strafe in fich jelber trägt. So groß aber ganz fo groß, wie du wähnft, war ihr Vergehen jedoch nicht!‘

Gabriele hob freimütig das ſchöne Haupt, ihr Auge leuchtete auf: „Hätte mich Thea an jenem Hofballabend noch einmal um dieje, meine Badfifchanficht befragt, ich würde fraglos Diejelben Worte noch einmal niederge- jchrieben haben. Der Bär von Hohen-E3p war auch in jenen Tagen noch derjelbe tatenlofe und ruhmloje Schwäch— fing für mich, der er geweſen, feit fein Name zuerft

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vor mir erflang! Erft hier in Hohen-Esp lernte ic) begreifen, welch ein bittere Unrecht ich ihm getan! Erft bier erfämpfte der berrlichite und fühnjte Mann feinen großen Sieg über mein ſtolzes Herz, welches er nun zu eigen genommen hat für alle Ewigkeit!“

Sie erhob fi) von dem Bootsrand, auf welchen fie ſich momentan niedergejeßt, und ftrich die wehenden Haar: löckchen von den Wangen zurüd, auf welchen heiß und ungejtüm feine Küſſe brannten.

„Wir wollen den Zettel zu Grabe legen, Geliebter!” lächelte fie, „damit nichts mehr an Die böje, ver: gangene Zeit gemahnen foll! Das Meer foll jene Zeilen abwaſchen und vernichten, und fie follen vergejjen fein in dem jauchzenden Glüd, welches feine jtürmende Flut uns geſchenkt!“

Sie traten näher herzu an die ſchäumende Brandung, Guntram Krafft zerriß das Papier und zerſtreute ſeine kleinen weißen Flocken in den ſprühenden Giſcht.

Friſch und köſtlich rein ſtreicht der Wind um die Stirn, und ſie ſtehen Arm in Arm in wortloſer Glückſelig— keit und ſehen zu, wie das letzte Streifchen im Wellen: Schnee verjchwindet.

„un it die lebte Spur von damal3 verwiſcht!“ lächelt Gabriele und fchmiegt fich feiter an die Bruft des geliebten Mannes.

„Damals! und heute?” fragte er nedend. Da Ichlingt fie die Arme um ihn und flüftert voll jtrahlenden Stolzes: „Heute lautete der Zettel, welchen ich fchrieb,

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freilied anders! Laſeſt du nicht die Depefche, welche ich meinem Mütterchen fchidte? D, Guntram Krafft, wie wird fie Nic us Glückes freuen!”

Das hat Frau von Sprendlingen nun fchon feit Jahren aus vollitem Herzen getan.

Sie ijt ein häufiger, voll wärmfter Freude begrüßter Saft auf Hohen-Esp geworden, eine [charmante Schwieger- mama, der Öuntram Krafft ftet3 die warmherzigen Sym= pathien erhalten hat, welche er der jo gütigen Mutter feiner Gabriele von Anbeginn entgegengebradjt. Auch eine liebe vertraute Freundin Gundulas ward fie, Deren Intereſſen jo gang und gar mit denen der Generalin ver— ſchmolzen.

Seit ein junges, friſches Geſchlecht in der alten Burg emporblüht, und die kleinen Bären in Halle und Hof herumpurzeln, hat Großmutter Gundula alle Hände voll zu tun, und es iſt ein wahrer Segen, daß ſie nach wie vor als guter Schutzgeiſt auf Hohen-Esp waltet, denn auf Frau Gabrieles Hilfe iſt nicht im mindeſten zu rechnen.

Zum höchſten Erſtaunen von Frau von Sprend— lingen hat ihre Tochter viel mehr Intereſſe für den Ret— tungsſchuppen, wie für Haus und Hof, und nie zuvor hätte fie geglaubt, daß Gabriele fich jo leidenjchaftlich für Die See und alles, was mit ihr und dem Rettungs— wejen zujammenhängt, begeiftern könne. Aber gerade das bildet das jauchzende, unbejchreibliche Entzücken des Grafen, den Höhepunkt all ſeines Glückes.

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- Da3 verbindet fein Herz doppelt feit und innig mit den jeines beldenhaften Weibes, welches ihn Hinaug- begleitet auf die See, in Sonnenglanz und Mondenfchein, bei Sturm und böfem Wetter.

Dann ſitzt auch auf dem lockigen Köpfchen der Gräfin der Südmelter gar bildhübfch und verwegen, auch fie trägt „Olzeug“ und weiß mit Ruder und Segel Beicheid wie der beite Lotſe!

Einjt Hatte ein jäh einjeßender Sturm fie weit braußen auf dem Meer überraiht. Es gab eine grobe See und Ichweres Wetter.

Gabriele aber war fejt und feetüchtig wie ein be= währter Matroje, mit bligendem Auge fchaute fie fühn und unerfchroden in das Wetter hinaus, und als es immer gewaltiger jtürmte, und dag Schifflein von hohen Wogen gejchleudert ward, da faßte fie die Hand ihres Mannes, fchmiegte fich feit an ihn und blicdte ihm in Die Augen.

Er umſchloß fie treu und innig: „Fürchteſt du dich, Herzlieb?“

Da lächelt ſie, faßt ſeine Hand noch feſter und ſagte ſchlicht „Weshalb? Wir find ja beiſammen!“

D, in diefem Augenblid hätte der Graf von Hohen Esp fein ſchwankendes Schifflein mit feinem Kaijerthron vertauscht!

Als Frau: von Sprendlingen aus der Nefidenz Die Nachricht mitbrachte, daß Herr von Heidler jchon jeit Fahr und Tag den Abjchied genommen und in’ füßem

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Nichtstun von den Renten jeiner Gattin lebe, dies jet behuglicher, wie da3 ewige Heben, Drillen und Streben im bunten Rod da ftarrte Gabriele die Sprecherin mit weitoffenen Augen fcehweigend an, Guntram Srafft aber fragte überrafcht: „Er war dod) paffionierter Sports⸗ man, und jo eine Leidenfchaft liegt im Blut! Neitet er nicht mehr privatim die Nennen mit?” Da lächelte die Generalin: „O, nein! Anfänglic) hatte er wohl den Wunſch, es zu tun, aber feine verwöhnte, kindiſche und eigemwillige Frau hat es ihm jtreng verboten, Da es zu gefährlich fei, und da Herr von Heidler fehr unter dem Puntoffel jteht, fügt er fich willenlos den Wünſchen jeiner reichen Oattin.”

Gabriele machte eine jähe, brüske Bewegung, wit beinahe verächtlichem Lächeln wandte fie jich ab.

„Mnd Gräfin Thea?”

„Ste tanzte Winter um Winter vergeblich. Jetzt hat jie fich der Frauenbewegung angefchloffen und jchreibt jehr zornmutige und ‚grünjpanige‘ Artikel gegen Die Männer. Wenn es ihr glücdt, it das ſtarke Gefchlecht binnen Jahresfriſt vernichtet!”

„Sottlob, daß Hohen-Esp jo weit aus der Welt liegt”, lachte Guntram Krafft, „hier erreicht mich ihre Feder hoffentlich nicht im ZTodesitog!” |

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* Die Rettungsſtation des Bären von Hohen-Esp hat viel bewundernde Anerkennung gefunden, und ſein edles Beiſpiel gab oft Veranlaſſung, auf dieſem Gebiete nach—

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zueifern und das Nettungswejen zur See zu fördern. Durch ihn ward in der Nefidenz die Aufinerfjamfeit des großen Publifums auf die bittere Not geleuft, mit welcher der Seemann an unferer heimatlichen Küfte zu kämpfen hat, und mand) hilf3bereite Hand tut fi) auf, die Sammı= lungen der Gefellfchaft zur Rettung Schiffbrüchiger durd) ein Scherflein zu unterftügen.

Da hatte der Bär von Hohen-Esp auch in weiterem Sinn für das Vaterland gewirkt und zu fein und feines Kaiſers Ruhm und Ehren zwar nicht das Schweıt, wohl aber das Ruder mit Fühner, tatenfroher Hand geführt.

Neben der Nettungsmedaille ſchmückt ein hoher Ver: dienitorden feine Bruft, und es war einer der fchönjten Tage in Gabriele Leben, als fie denfelben dem geliebten Mann vol ftolzer Anerkennung auf fein fchlichtes Fifcher- fleid heiten Konnte.

Bon dem Nettungsjchuppen flattert die Fahne der Hohen-Esp, weithin fichtbar nach dem blauen Meer, und um die Mauern und Binnen des alten Bärenfchlofjes weht und raufcht es auf geheimnisvollen Schwingen, ranken die roten Roſen und Duften heimlich von dem un— vergänglich großen Liebesglück, welches darinnen wohnt.

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Unverändert, Jahr um Jahr wogt die See gegen den gelben Dünenſand, wirft Muſcheln und Bernſteinbrocken aus und überſchüttet die Kinder, welche jubelnd von der Burg zum Strande ſtürmen, mit blinkenden Tropfen,

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ihre weißen Wellenarme breitet jie nach) dem neu heran wachjenden Heldengejchlecht aus, und der junge Bär von Hohen-Esp fett vorfichtig jein erſtes, jelbitgejchnigtes Schifflein auf das Salzwaſſer, jchlingt den Arm um den Nacken von „Jöſchen dem Jüngern“ und jagt: „Auch ich werde ein Schtiimdogt von Hohen-Esp fein, und wenn du und ich jo groß find wie der Vater, fahren wir beide als Matrojen zur See!”

Guntram Krafft hat's gehört, er zieht jein Holdes Weib an die Bruft, und fein glücdjtrahlender Blick fchweift hinaus über die jchimmernde Flut; wie ein Bjalter heißen Danfes jauchzt es in jeinem Herzen, und taujend blaue Wogen raujchen: „Halleluja! Amen!“

Drud von 3. B. Hirſchfeld in Leinzin.

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Wnie 3 1951 D01571565 P