SSENSCIF IN IHRER ENTWICKLUNG UND IN IHREM ZUSAMMENHANG DARGESTELLT VON FRIEDRICH DANNEMÄNN ZWEITE AUFLAGE ERSTER BAND : VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUM WIEDEEÄÜFUEBEN DER WISSENSCHAFTEN VERLAß VON WILHELM ENGELMANN IN LEIPZTO 4i. ^A^-^^r. Danneniann. Entwicklung der Xaturw. Bd. I. ARISTOTELES Mnrniorkopf im k. k. Hot'museum zu Wien). DIE NATURWISSENSCHAFTEN IN IHRER ENTWICKLUNG UND IN IHREM ZUSAMMENHANGE DARGESTELLT VON FRIEDRICH DANNEMANN ZWEITE AUFLAGE L BAND: VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUM WIEDERAUFLEBEN DER WISSENSCHAFTEN MIT 64 ABBILDUNGEN IM TEXT UND MIT EINEM BILDNIS VON ARISTOTELES LEIPZIG VERLAG VON WILHELM ENGELMANN 1920 Copyright 1920 by Wilhelm Engelmann, Leipzig. HERRN GEH. HOFRAT PROF. DR. EILHARD WIEDEMANN AUS DANKBARKEIT FÜR SEINE MITWIRKUNG BEI DER HERAUS- GABE DER NEUEN AUFLAGE • GEWIDMET Vorwort. Das vorliegende Werk wurde kurz vor dem Kriege vollendet. Die Aufnahme war so günstig, daß der erste Band schon während des Krieges vergriffen war. Leider konnte die zweite Auflage, weil das deutsche Verlagsgeschäft mit außerordentlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, nicht sofort erscheinen, so daß das vollständige Werk längere Zeit im Buchhandel fehlte. Die zweite Auflage stellt sich nicht nur als eine vermehrte, sondern, zumal in einem Punkte, als eine ganz wesentlich ver- besserte dar. Da es nämlich dem einzelnen nicht wohl möglich ist, auf allen Gebieten gleich gründliche Vorarbeiten zu machen, haben sich mir dieses Mal einige hervorragende Forscher zugesellt. Insbesondere bin ich den Herren Geh. Hofrat Prof. Dr. E. Wiede- mann (Erlangen), Prof. Dr. E. v. Lippmann (Halle a. S.) und Prof. Dr. J. Würschmidt (Erlangen) zu großem Dank verpflichtet. Ich empfing von den Genannten nicht nur zahlreiche Anregungen; sie haben auch die Korrektur des Satzes bis in alle Einzelheiten überwacht. -Die Mehrzahl der von ihnen ausgehenden Ver- besserungsvorschläge konnte noch Verwendung finden. Manches ließ sich erst am Schlüsse in einem besonderen Abschnitt (s. S. 478) bringen. Einzelne weitergehende Vorschläge mußten vorläufig zurückgestellt werden. Wenn ich die drei ersten Bände den Herren Wiedemann, v. Lippmann und Würschmidt widme, so ist dies nur ein schwacher Ausdruck meines Dankes. Auch verkenne ich nicht, daß diese Mitwirkung in erster Linie erfolgt ist, um das Werk für den Gebrauch geeigneter zu machen. Manche Anregung ging mir ferner in den zahlreichen Besprechungen, sowie von befreun- deter Seite zu. Eine Aufzählung würde zu weit führen. Doch drängt es mich, besonders für die nachfolgenden Bände den ver- storbenen Geh. Rat. Dr. G. Berthold, einen verdienten Forscher auf dem Gebiete der neueren Geschichte der Wissenschaften, zu nennen. Seine bedeutende Bibliothek, die durch Ankauf in den Dannemann. Die Xaturwissenscli.ifton. I. Bd. 2. Aufl. VI Vorwort. Besitz des Münchener Deutschen Museums für Meisterwerke auf dem Gebiete der Naturwissenschaften und der Technik übergegangen ist, stand mir jeder Zeit zur Verfügung. Auch der häufige persön- liche Verkehr mit Berthold, den die Bayrische Akademie der Wissenschaften mit der Abfassung einer von ihr herauszugebenden großen Geschichte der Physik betraut hatte i), war für die Neu- herausgabe des ganzen Werkes von Belang. Über die Ziele wiederhole ich hier die Worte, die ich der ersten Auflage vorausgeschickt habe: Die Anteilnahme an der Geschichte der Wissenschaften ist seit mehreren Jahrzehnten sehr lebhaft. Je mehr man erkennt, daß sich einer Enträtselung der Natur mit jedem Schritte weitere Schwierigkeiten entgegenstellen, um so lieber richtet man den Blick auch wieder rückwärts, um den durchmessenen Weg zu überschauen und aus dem reichen Gesamtergebnis der bisherigen Forschung neue Hoffnung auf ein immer tieferes Eindringen in den Zusammenhang der Natur- erscheinungen zu schöpfen. In dem Maße, wie sich ferner die Tätigkeit des einzelnen auf ein kleines Arbeitsfeld beschränkt, um so dringender wird das Bedürfnis, das Augenmerk häufiger auf die Gesamtwissenschaft zu richten. Sie in ihrem gegenwärtigen Umfange zu überschauen, ist nicht möglich. Wohl aber können wir sie uns in einem historischen Rückblick vergegenwärtigen, der die Haupttatsachen hervorhebt, sie verknüpft und zu einer ver- tieften Auffassung anregt. Eine wertvolle Frucht des geschichtlichen Studiums ist ferner darin zu erblicken, daß es vor dogmatischer Einseitigkeit bewahrt, wenn man sich die Wissenschaft als etwas Werdendes und infolge- dessen Unfertiges vergegenwärtigt. Auch gelangt man zu der Einsicht, daß uns dieselben oder ähnliche Methoden und Schluß- weisen, die man heute anwendet, in der Entwicklung der Wissen- schaft begegnen. Manche Gebiete lassen sich daher kaum dar- stellen, ohne an die früheren Untersuchungen, Vorstellungen und Gedankengänge anzuknüpfen. Aus diesem Grunde ist die gene- tische Betrachtungsweise nicht nur in manche Lehrbücher ein- gedrungen. Es sind auch zahlreiche Geschichten der Einzel- wissenschaften entstanden, und das Quellenstudium ist durch Neu- drucke der oft schwer zugänglichen älteren Arbeiten belebt w^orden. Erinnert sei hier nur an Ostwalds großes Unternehmen. Seine 1) Berthold hat diese Arbeit nicht vollendet. Sie wurde später Ger- land (—1800) und Würschmidt (1800-1900) übertragen. Vorwort. VII „Klassiker der exakten Wissenschaften" enthalten in 195 Bänden die grundlegenden Abhandlungen aus den Gebieten der Mathe- matik, Astronomie, Physik, Kristallographie und Physiologie. Das vorliegende Werk soll gewissermaßen den Rahmen für „Ostwalds Klassiker der exakten Wissen- schaften" abgeben und dartun, wie sich die einzelnen Gebiete gegenseitig auf ihrem Werdegange beeinflußt haben. Die Wissenschaftsgeschichte ist vor allem ein wichtiger Teil der Kulturgeschichte. Sie kann daher nur verstanden werden, wenn wir sie in ihrem Zusammenhange mit dieser und der all- gemeinen Geschichte betrachten. Eine von solchen Gesichtspunkten ausgehende Darstellung des Entwicklungsganges der Naturwissen- schaften ist von anderer Seite wohl kaum versucht Avorden. Wenn ein einzelner sie unternimmt, so muß er in mancher Beziehung um Nachsicht bitten. Eine Teilung der Arbeit unter viele erschien nicht angängig, wenn etwas Ganzes entstehen sollte. Nicht nur dem Historiker, sondern auch dem Fachmanne, der ein Einzelgebiet bearbeitet, dem Lehrenden, dem Techniker, dem Arzte und jedem, der sich für die Naturwissenschaften lebhafter interessiert, dürfte damit gedient sein, ein Werk zu besitzen, das einen Gedanken zu verwirklichen sucht, dem der Altmeister der historischen Forschung, Leopold v. Ranke, im fünften Bande seiner deutschen Geschichte Ausdruck verleiht. Ranke schreibt dort, es müsse ein herrliches Werk sein, einmal die Teilnahme, welche die Deutschen an der Fortbildung der Wissenschaften ge- nommen, im Rahmen der europäischen Entwicklung mit gerechter Würdigung darzustellen. „Zu einer allgemeinen Geschichte der Nation", fügt Ranke hinzu, „wäre ein solches eigentlich un- entbehrlich." Über dieses von Ranke gesteckte Ziel geht das vorliegende Werk allerdings noch hinaus, da es die Geschichte der exakten Wissenschaften in ihrem ganzen Umfange schildert. Im übrigen dürfte die von Ranke gestellte Aufgabe erfüllt sein, da sich die ..Geschichte der Wissenschaften in Deutschland" nicht anders als im Rahmen der Gesamtentwicklung darstellen läßt. Wenn wir die letztere im Auge behalten, so sind die Naturwissenschaften nicht nur als ein Ergebnis der gesamten Kultur zu betrachten, sondern auch in ihren Beziehungen zu den übrigen Wissenschaften, ins- besondere zur Philosophie , zur Mathematik , zur Medizin und Technil^; und es ist zu zeigen, wie sich diese Zweige des Denkens und der Forschung gegenseitig gefördert und bedingt haben. YIII A^orwort. Von einem Werke, das diese Aufgabe zu erfüllen sucht, darf man keine Vollständigkeit in Bezug auf die biographisclien und bibliographischen Daten erwarten. Doch sind zumal die letz- teren in solchem Umfange aufgenommen worden, daß es zwar nicht als Nachschlagebuch, wohl aber zur Einführung in das Stu- dium der älteren und neueren naturwissenschaftlichen Literatur dienen kann. Um diesem Zwecke zu entsprechen, bringt der letzte Band ausführliche, sich über alle Teile erstreckende Literatur-, Sach- und Namenregister. Die übrigen Bände enthalten ein kür- zeres Sach- und Namenverzeichnis. Die Geschichte der Naturwissenschaften ist einer der jüngsten Zweige der historischen Forschung. Daher ist besonders für die entlegeneren Zeiten vieles noch unaufgeklärt. Manches ist erst neuerdings mit dem Fortschreiten der archäologischen und der philologischen Untersuchungen bekannt geworden. Es sei nur an die wertvollen Ergebnisse erinnert, die uns die Erschließung der altorientalischen Kultur und die Erforschung der arabischen Litera- turschätze gebracht haben. Allerdings sind gerade hier die Urteile noch nicht genügend geklärt, ja häufig genug in wichtigen Punkten «inander widersprechend. Für denjenigen, der in zusammenhängen- der Darstellung die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Kenntnisse im Altertum und Mittelalter schildern will, ergeben sich daraus nicht geringe Schwierigkeiten. Manche Angabe wird bei dem einen auf Zustimmung, bei dem anderen auf Widerspruch stoßen. Das Gleiche gilt von den Ansichten, die wir uns über die Zusammenhänge und die Ursachen bilden können. Diese Umstände haben mich aber nicht abgehalten, ein Ge- samtbild zu entwerfen und damit eine schon lange angestrebte Aufgabe, deren Bewältigung immer dringender wird, in Angriff zu nehmen. Denn nur in dem Gesamtbilde erhalten die zahllosen Einzelergebnisse der Forschung erst ihren vollen Wert, während sie in ihrer Vereinzelung oft genug geringwertig oder gar be- deutungslos erscheinen. Zur Belebung der Wissenschaftsgeschichte ist bisher recht wenig geschehen. Umfassende Vorlesungen darüber fehlen selbst an den größeren Hochschulen wohl noch überall. Ja, es gibt sogar eine ganze Reihe von Universitäten, an denen auch nicht einmal das bescheidenste historische Kolleg über einen besonderen Zweig der so gewaltig emporgeblühten Naturwissenschaften gehalten wird, während Vorlesungen über die Geschichte der Phil(fsophie, der Kunst, der Literaturen usw. nirgends fehlen. Was uns not- Vorwort. IX tut, ist ein besonderer Lehrstuhl für die Geschichte der Natur- wissenschaften an jeder Hochschule. Solange solche fehlen, dürfte ein Werk wie das vorliegende dem wissenschaftlichen Nachwuchs einen gewissen Ersatz bieten. Ich habe es daher mit Freuden begrüßt, daß einzelne Hochschullehrer ihre Hörer auf die Wichtig- keit des eindringenderen geschichtlichen Studiums hinweisen. So schreibt Herr Dr. A. Stock, Prof. an der Universität Berlin und am Kaiser -Wilhelmsinstitut in Dahlem, seit Jahren empfehle er seinen Hörern in der einführenden Vorlesung über experimentelle Chemie „Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem Zusammenhange." Es ist also zu hoffen, daß das unter der Mitwirkung mehrerer Hochschullehrer erneut erscheinende Werk auch in dieser Hinsicht seine Aufgabe erfüllen wird. Friedrich Dannemann. Inhalt. 1. In Asien und in Ägypten entstehen die Anfänge der Wissen- schaften. (S. 1-62.) 1. Einleitendes. — 2. Die Kultur der alten Ägypter. — 3. Die Literatur der Ag}'pter. — 6. Mathematik und Technik der Agj'pter. — 14. Die Anfänge der Metallurgie. — 15. Die babylonisch-assyrische Kultur. — 17. Keilschrift- funde. — 18. Die Mathematik der Babylonier. — 20. Der Ursprung der Astro- nomie. — 22. Einteilung des Jahres. — 24. Anfänge der Astrologie. — 26. Astronomische Urkunden. — 28. Finsternisse, Kometen, Schaltjahr. — 31. Genauigkeit der Messungen. — 33. Die Chaldäer. — 35. Mondbewegung. — 36. Der Gnomon. — 38. Maße und Gewichte. — 41. Die Gewinnung des Eisens. — 42. Kupfer, Zink und Zinn. — 44. Glasbereitung. — 45. Die An- fänge der Heilkunde. — 48. Erstes naturgeschichtliches Wissen. — 51. Die alte Kultur Süd- und Ostasiens. — 53. Die Mathematik der Inder. — 56. In- dische Rechenkunst. — 59. Heilkunde und Chemie bei den Indern. — 61. Die Astronomie der Chinesen. 2. Die Entwicklung der Wissenschaften bei den Griechen bis zum Zeitalter des Aristoteles. (S. 63—103.) 65. Anfänge der griechischen Astronomie. — 67. Anfänge der Erd- beschreibung. — 69. Jonische ■■ Naturphilosophie — 71. Mechanische Natur- erklärung. — 73. Zweckbegrifi". — 79. Pythagoras und seine Schule. — 84. Quadratur des Kreises und Würfelverdopplung. — 86. Kegelschnitte. — 89. Kalenderrechnung. — 91. Die sieben Planeten. — 93. Die heliozentrische Weltanschauung. — 96. Gestalt und Größe der Erde. — 97. Pflanzenkenntnis der Griechen. — 99. Die Anfänge der Zoologie. — 100. Keime der Descendenz- lehre. — 101. Ursprung der griechischen Heilkunde. 3. Das aristotelische Zeitalter. (S. 104—151.) 104. Aristoteles und seine Zeit. — 107. Die Werke des Aristoteles. — 109. Die Philosophie des Aristoteles. — 112. Fall und Hebelgesetz. — 114. Parallelogrammgesetz. — 115. Die Anfänge der Akustik und der Optik. — 117. Das Himmelsgebäude nach Aristoteles. — 121. Die Xatur der Welt- körper. — 123. Anfänge der physischen Erdkunde. — 125. Einsicht in die geologischen Vorgänge. — 127. Die vier aristotelischen Elemente. — 129. Die Begründung der Zoologie. — 133. Die Einteilung des Tierreichs. — 137. Bau und Lebensweise. — 138. Ernährung und Sexualität der Pflanzen. — 141. Bo- tanik und Heilkunde. — 143. Geographie der Pflanzen. — 146. Bau und Ent- wicklung der Pflanzen. — 148. Mineralogie und Bergbau. — 149. Einfluß und Dauer des aristotelischen Lehrgebäudes. Inhalt. XI 4. Das alexandrinische Zeitalter. (S. 152-207.) 154. Die Begründung eines Systems der Mathematik. — 157. Das Leben und die Bedeutung des Archimedes. — 159. Die Erfindungen des Archimedes. — 163. Die Anfänge der höheren Mathematik. — 165. Rotationskörper. — 167. Kegelschnitte. — 170. Das archimedische Prinzip. — 172. Fortschritte der Optik und Akustik. — 174. Die Grundlagen der wissenschaftlichen Erd- kunde. : — 177. — Die Ausmessung der Erde. — 180. Die Bestimmung von Sternörtern. — 182. Entfernung und Größe von Mond und Sonne. — 184. Astro- nomie und Geometrie. — 186. Die Entdeckung der Präzession. — 188. Die Anfange der wissenschaftlichen Kartographie. — 190. Physik der Gase und der Flüssigkeiten. — 193. Herons Apparate und Automaten. — 196. Wasser- orgel. — 197. Thermoskop. — 198. Flaschenzug. — 199. Wegmesser. — 200. Grundlagen der Vermessungskunde. — 201. Herons "Werke. — 205. Natur- beschreibung und Medizin im alexandrinischen Zeitalter. 5. Die Naturwissenschaften bei den Römern. (S. 208—245.) 208. Allgemeingeschichtliches. — 209. Einfluß des Hellenismus. — 211. Meß- kunst und Astronomie bei den Hörnern. — 213. Regelung des Kalenders. — 215. Pflege der Ingenieurmechanik. — 219. Die Literatur während der Kaiser- zeit. — 220. Plinius. — 222. Quellen des Plinius. — 226. Die „Naturgeschichte" des Plinius. — 233. Fortschritte der Anatomie und der Heilkunde. — 239. Die Botanik als Hilfswissenschaft der Heilkunde. — 240. Die römische Natur- auffassung bei Lukrez und Seneka. — 244. Chemische Kenntnisse und ihre Anwendungen. 6. Der Ausgang der antiken Wissenschaft. S. 246-284.; 246. Das ptolemäische Weltsystem. — 249. Die Epizyklentheorie. — 252. Hilfswissenschaften der Astronomie. — 255. Astronomische Meßwerk- zeuge. — 257. Fortschritte der Geographie. — 258. Astronomie und Geo- graphie. — 260. Physische Geogi'aphie. — 262. Forschungsreisen. — 265. För- dei-ung der Optik. — 267. Theorie des Sehens. — 268 Elektrizität und Magne- tismus. — 270. Die Anfänge der Chemie. — 272. Metallurgie und Alchemie — 277. Alchemie und Astrologie. — 278, Alchemistische Urkunden. — 281. Alter- tum und Mittelalter. 7. Der Verfall der Wissenschaften zu Beginn des Mittelalters. S. 285-295.) 285. Allgemeingeschichtliches. — 286. Wissenschaft und Kirche. — 289. Christentum und Germanentum. — 291. Wissenschaft und Klosterwesen. — 293. Die Erhaltung der alten Schriftwerke. — 294. Enzyklopädien der Wissen- schaften. 8. Das arabische Zeitalter. (S. 296-331.) 296. Die Wissenschaften und der Islam. — 299. Vermittlerrolle der Araber. — 301. Die Bedeutung der arabischen Literatur. — 303. Mathema- tische Geographie und Astronomie. — 305. Astronomie und Trigonometrie. — 306. Astronomische Instrumente. — 308. Der Kompaß. — 310. Die Rechen- kunst der Araber. — 312. Die Ausbreitung der arabischen Wissenschaft. — 314. Die Optik bei den Arabern. — 319. Die Chemie im arabischen Zeit- XII Inhalt. alter. — 322. Alchemistisclie Schriften. — 324. Säuren und Metalle. — 325. Al- chemistische Theorien. — 326. Stein der Weisen. — 327. Mineralogische Kennt- nisse der Araber. — 328. Arabische Bearbeitungen der Zoologie. — 329. Bo- tanische Schriften. — 330. Heilkunde. — 331. Verfall der arabischen Kultur. 9. Die Wissenschaften unter dem Einfluß der christlicli- germanischen Kultur. (S. 332-369.) 332. Allgemeingeschichtliches. — 335. Die Kultur im Reiche der Fran- ken. — 336. Anfänge einer mitteleuropäischen Literatur. — 338. Christliche Völker und Islam. — 341. Erweiterung des geographischen Gesichtskreises. — 342. Handel und Städtewesen. — 343. Die Wiederbelebung der alten Literatur. — 346. Die Zoologie im Mittelalter. — 350. Die Botanik im Mittelalter. — 352. Die „Tiergeschichte" des Albertus Magnus. — 353. Roger Bacon. — 355. Bacons Naturlehre. — 357. Bacons optische Kenntnisse. — 361. Mittel- alterliches Denken. — 365. Die Naturwissenschaften im 14. Jahrhundert. — 366. Das Weltbild des Mittelalters. 10. Das Wiederaufleben der Wissenschaften. (S. 370—402.) 370. Mittelalter und Renaissance. — 372. Dante und Petrarka. — 373. Die Ausbreitung des Humanismus. — 377. Humanismus und Kirche. — 379. Hu- manismus und Naturwissenschaft. • — 382. Lionardo da Vinci. — 384. Lio- nardos Manuskripte. — 386. Lionardos Erfindungen. — 388. Wechselwirkung von Kunst und Wissenschaft. — 392. Das Wiedererwachen der Astronomie. — 395. Astronomische Tafeln. — 396. Astronomische Instrumente. — 398. Astro- nomie xmd Nautik. • — 400. Die Wiederbelebung der Naturbeschreibung. 11. Die Begründung des heliozentrischen Weltsystems durch Koppernikus. (S. 403—419.) 403. Koppernikus. — 407. Die Vorläufer des Koppernikus. — 408. Das Koppernikanische Weltsystem. — 412. Aufnahme und Ausbreitung der helio- zentrischen Lehre. — 415. Das unendliche Universum. — 417. Astronomie und Kartographie. 12. Die ersten Ansätze zur Neubegründung der anorganischen Naturwissenschaften. (S. 420—445.) 421. Die Physik im 16. Jahrhundert. — 428. Entdeckungen auf dem Gebiete der Optik. — 429. Die Lehre vom Magnetismus. — 430. Anfänge der Dynamik. — 431. Alchemie und Jatrochemie. — 435. Paracelsus. — 437. Die Neubegründung der Mineralogie. — 439. Agricolas mineralogische Schriften. — 441. Anfänge der neueren Geologie. — 443. Anfänge der Paläontologie. 13. Die ersten Ansätze zur Neubegründung der organischen Naturwissenschaften. (S. 446—467.) 446. Naturwissenschaften und Entdeckungsreisen. — 450. Die Erneuerung der Botanik. — 451. Kräuterbücher. — 455. Die Anordnung der Pflanzen. — 458. Die Erneuerung der Zoologie. — 462. Das Wiederaufleben der Ana- tomie. — 464. Vesals anatomisches Hauptwerk. — 466. Anatomie und Chirurgie. 1. In Asien und in Ägypten entstehen die Anfänge der Wissenschaften. Den ersten naturwissenschaftlichen und mathematischen Lehr- gebäuden, die in der Blütezeit des griechischen Geisteslebens ent- standen, gingen ungemessene Zeiträume voraus, in denen die ein- fachsten Überlegungen und Beobachtungen, die Grundlagen aller Wissenschaft, teils zufällig, teils auch schon mit bestimmter Ab- sicht angestellt, selten aber nach ihrem Werte gesichtet und auf- gezeichnet wurden. Aus dieser Periode stammende Urkunden sind deshalb höchst spärlich, so daß sich die Wurzeln der Naturwissen- schaften wie so mancher anderen Betätigungen des menschlichen Geistes, im Dunkel vorgeschichtlicher Zeiten verlieren. Soviel ist jedoch gewiß, daß wir diese Wurzeln nicht in Griechenland zu suchen haben, wo uns die ersten wissenschaftlichen Systeme ent^ gegentreten. In den Niederungen des Nils und des Euphrats, den ältesten Stätten der Kultur, haben sich auch die ersten Kenntnisse ent- wickelt, die sich über die Ergebnisse der oberflächlichen Be- trachtung und der naiven Anschauung erhoben. Durch die Be- rührung mit den in Ägypten und in Vorderasien entstandenen Elementen entzündete sich alsdann der prometheische Funke, der in den Griechen schlummerte. Ihnen gelang es, diese Elemente nicht nur in sich aufzunehmen, sondern sie durch eigenes Forschen zu vervielfältigen und den Baum der Erkenntnis zu pflanzen, der nach einer langen Zeit der Dürre zu dem gewaltigen Stamme er- wuchs, von dem die Segnungen der heutigen Kultur in erster Linie ausgegangen sind. Die Entwicklung der Naturwissenschaften ist seit der frühesten Zeit mit derjenigen des mathematischen Denkens Hand in Hand gegangen. Auch in dieser Hinsicht sind die ersten Regungen auf die Ägypter und die Babylonier zurückzuführen. War man früher bezüglich dieser beiden Völker fast nur auf die uns durch die Literatur übermittelten, zum Teil recht zweifelhaften Berichte an- Dannemann, Die NaturwiKsensuhaften. I. Bd. 2. Aufl. 1 Die alten Ägypter. gewiesen, so hat unser Zeitalter, indem es den Schutt von den Ruinen Ägyptens und Mesopotamiens wegräumte und die alten Schriftzeichen entziffern lernte, die Geschichte, die Kenntnisse, ja das gesamte Leben jener ältesten Völker aus dem Dunkel und der Vergessenheit nach Jahrtausenden ans Licht gebracht. Zwar ist die Kultur im Osten und im Süden Asiens vielleicht ebenso früh entstanden wie diejenige, die in den Tälern des Nils und des Euphrats emporblühte. Dennoch wird eine Geschichte der gesamten exakten Wissenschaften auf Indien und China nur wenig Rücksicht zu nehmen brauchen, weil die dort wohnende Bevölkerung sehr abgeschlossen lebte und infolgedessen auf die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Kenntnisse in Vorderasien und Europa nur geringen Einfluß gehabt hat. Die Kultur der Ägypter. "Wenden wir uns daher zunächst den Ägyptern zu, dem Volke, das wohl die älteste Literatur und die ersten mathematischen, natur- wissenschaftlichen und medizinischen Kenntnisse hervorbrachte. Die griechische Überlieferung, nach welcher die Ägypter von Süden her aus Äthiopien in das Niltal eingewandert sind, hat der neueren anthropologischen und Altertumsforschung gegenüber nicht Stand gehalten i). Wir müssen vielmehr annehmen, daß die alten Ägypter protosemitischen Ursprungs, also mit den Babyloniern durch Ab- stammung verwandt waren 2). Darauf weisen nicht nur sprach- liche Eigentümlichkeiten, sondern auch der Umstand hin, daß die Kultur sich in Ägypten 3) von der Mündung aus stromaufwärts- ausbreitete. Der fruchtbare, zu beiden Ufern des Nils sich durch die Wüste hinziehende Streifen Landes, der das eigentliche Ägypten bildet, erwies sich in der Hand der geistig höher begabten Ankömmlinge als ein für die Entwicklung einer hohen Kultur vortrefflich ge- eigneter Boden. Zuerst erblühte sie in Memphis, in dessen Mauern 1) Die Verwandtschaft des Ägyptischen mit dem Semitischen wurde be- sonders durch Erman dargetan, der die ältesten Verbalförmen verglich und zahlreiche Übereinstimmungen auffand. Daß der altägyptische Typus von dem der Neger stark abweicht, hat Virchow durch die Untersuchung der Königs- raumien nachgewiesen (Ber. d. Berl. Akad. von 1888). 2| Siehe auch Wiedemann, Ägyptische Geschichte 1884. S. 22, sowie E. Meyer, Geschichte des Altertums 1. Bd. 1909. S. 44. 3) Näheres über den Namen und über die Geographie des alten Ägyptens- findet man in Paulys Realencykl. d. klass. Altertumswiss. Bd. I. S. 978. Ägyptische Bauwerke. die Wissenschaften gepflegt wurden und die Künstler Meisterwerke hervorbrachten. Die höchste Blüte entfaltete sie indessen, nachdem um das Jahr 1600 v. Chr. das neue Reich mit der Hauptstadt Theben gegründet war. In der Nähe der beiden Hauptplätze entstanden in der Wüste monumentale Begräbnisstätten, welche den Wechsel der Zeiten in solchem Maße überstanden haben, daß durch die neuere archäologische Forschung, wie einer ihrer Hauptvertreter sagt^), nach und nach das ganze alte Ägypten wieder emporsteigt und im vollen Lichte der Geschichte erscheint, so daß die Menschen jener entlegenen Zeiten für uns die gleiche Wirklichkeit erhalten wie die alten Griechen und Römer. Bis zum 19. Jahrhundert war man im wesentlichen auf die Berichte griechischer und römischer Schriftsteller angewiesen. Zahl- reiche, mit der ägyptischen Hieroglyphenschrift bedeckte Schrift- denkmäler waren zwar nach Europa gelangt. Die Kenntnis dieser Schrift, sowie der daraus durch Abkürzung entstandenen hierati- schen und demotischen Form 2), war aber mit dem Ende des 3. Jahr- hunderts infolge des siegreichen Vordringens des Christentums ver- loren gegangen. Um ihre Entzifferung bemühte man 3) sich schon im 17. Jahrhundert. Sie gelang erst, als nach dem ägyptischen Feldzuge Napoleons die archäologische Erforschung des Nillandes in Angriff genommen wurde. Epochemachend war die Entdeckung einiger in Stein gemeißelter Erlasse, wie desjenigen von Rosette (1799). Es ist das eine Basalttafel (jetzt im Britischen Museum), welche die nämliche Bekanntmachung (von 197 v. Chr.) in drei ver- schiedenen Sprachen enthält. Der eine Text bedient sich der alt- ägyptischen Sprache und der Hieroglyphenschrift. Die Übersetzun- gen dagegen sind in der Volkssprache und der ihr entsprechenden demotischen Schrift, sowie in griechischer Sprache und Schrift er- folgt. Das größte Verdienst um die Entzifferung hat sich Cham- pollion, der Begründer der Ägyptologie, erworben. Unter den Fortsetzern seines Werkes ist vor allem Lepsius, der eine 1) G. Maspero, Gesch. d. morgenländischen Völker im Altertum. Leipzig 1877. S. 63. 2) So entstand z. B. aus der Eule ^^, die in der Hieroglyphenschrift m bedeutet, das Zeichen ^ (hieratisch) und schließlich ^ (demotisch). Der de- motischen Schrift bediente man sich in der griechisch-römischen Zeit beson- ders im Verkehr. 3) Z B. Athanasius Kircher (1601—1680, der sich auch um die Natur- wissenschaften verdient gemacht hat s. a. anderen Stellen dieses Werkes). Ägyptische Bauwerke. preußische Expedition zur Erforschung der Denkmäler Ägyptens (1842 — 45) leitete, zu nennen. Er entdeckte das in zwei Sprachen abgefaßte Dekret von Kanopos (238 v. Chr.), das einen Ein- blick in die Zeitrechnung der alten Ägypter gewährt. Zu den Steininschriften sind in großer Zahl Texte auf Papyrus, Leder und Tonscherben getreten. Auch Keilschriften haben sich auf ägyptischem Boden (in Teil el-Amarna; siehe S. 15) ge- funden. Der Gründung der ersten ägyptischen Dynastie, die um 3300 V. Chr. durch Mena (Menes) erfolgte, müssen schon ausgedehnte Zeiträume einer ruhigen Entwicklung vorausgegangen sein, da uns schon während der ersten Dynastien, deren die ägyptische Ge- schichte bis zum Beginn der griechischen Herrschaft insgesamt dreißig zählt, eine hochentwickelte Kultur entgegentritt. Dies spricht sich sowohl in den erhaltenen Baudenkmälern, wie in den schriftlichen Überlieferungen jenes Zeitraumes aus. So sind die während der vierten Dynastie von Chufu, Chafra und Menkera errichteten großen Pyramiden nicht nur wahre Wunder der Bau- kunst, sondern die ganze Anlage dieser, im 4. Jahrtausend v. Chr. Geburt entstandenen Werke weist auf astronomische und mathe- matische Kenntnisse hin, die man in solch altersgrauer Zeit kaum vermuten sollte. So sind die vier Seiten der Pyramiden genau nach den Haupthimmelsgegenden gerichtet, während der Winkel, den die Seitenwände mit der Grundfläche bilden, wenig oder gar nicht von 52° abweicht, eine Tatsache, die, wie wir später sehen werden, auf elementare Kenntnisse in der Trigonometrie und Ahn- lichkeitslehre hinweist. Auch daß man schon ein Jahrtausend vor Menes, nämlich im Jahre 4241 v. Chr., in Unterägypten nach einem verbesserten Kalender zu rechnen begann, spricht dafür, daß die Ägypter bereits ein Kulturvolk waren, als sonst überall auf der Erde, Babylonien nicht ausgeschlossen, das Dunkel vorgeschichtlicher Zustände herrschte i). Daß für die Anlage der altägyptischen Bauwerke häufig astro- nomische Gesichtspunkte maßgebend waren, beweist uns auch die Lage mancher Tempel. So ist durch den englischen Astronomen Lockyer ein Tempel bekannt geworden, dessen Hauptachse gegen den Aufgangspunkt des von den Ägyptern als Gottheit 1) E. Meyer, Geschichte des Altertums. 1909. I.Band. S. 54. Siehe auch an späterer Stelle dieses Bandes. Literatur der Ägypter. verehrten Sirius gerichtet ist*). Nach Lockyer weist die Achse eines anderen Tempels auf den Punkt, an dem die Sonne zur Zeit der Sommersonnenwende untergeht. Bei der gewaltigen Länge des Tempels vermochten die Sonnenstrahlen nur an diesem einen Zeitpunkt des Jahres durch den ganzen Tempel hindurch zu scheinen. Auf solche "Weise wurden die Tempel zu astro- nomischen Observatorien, die eine genauere Bestimmung der Jahreslänge ermöglicht haben 2). Aus den ägyptischen Baudenkmälern läßt sich auch ermitteln, wann die Bewohner des Nillandes mit der babylonischen Sechsteilung des Kreises bekannt wurden. Bis zur Zeit der 18. Dynastie begegnen uns nämlich nur Verzierungen, die auf der Vierteilung des Kreises beruhen. Mit der 19. Dynastie tritt an Ornamenten und an Wagen- rädern die Teilung nach der Sechs auf. Nun ist bekannt geworden, daß um jenen Zeitpunkt, als Vorderasien den Ägyptern tribut- pflichtig wurde, Geschenke an den Hof der Pharaonen gelangten, welche die Sechs- und Zwölfteilung des Kreises auf weisen 3). Wir können also an diesem Beispiel verfolgen, auf welchen Wegen die Kenntnisse von Volk zu Volk übermittelt wurden. Der außerordentlich frühen Verwendung von Schriftzeichen entspricht es, daß die ältesten Dynastien bereits Aufzeichnungen sammelten. Im 3. Jahrtausend v. Chr. gab es schon besondere Beamte, welche die Bibliotheken verwalteten. Ja, ein Sohn des Mena, des Begründers der ersten Dynastie, wird als Verfasser medizinischer Schriften erwähnt*). Die ägyptische Bilder- oder Hieroglyphenschrift tritt uns auf den älteren ägyptischen Denkmälern als etwas Fertiges entgegen. Offenbar ist sie aber das Erzeugnis einer langen vorgeschichtlichen Entwicklung. Nicht nur Gegenstände, sondern auch abstrakte Be- griffe und Zeitwörter vermochte diese Schrift zum Ausdruck zu bringen. Ohne Verkürzung und Vereinfachung finden wir die Hiero- 1) Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft. 1904. S. 386. 2) Nach Nissen und Lockyer. Siehe die Abhandlung Charliers i. d. Zeitschr. der morgenl. Gesellschaft. 1904. S. 386 u. f. Danach wiederholte sich ähnliches bei den älteren christlichen Kirchen. Ihre Achse wurde mitunter gegen den Punkt des Horizontes gerichtet, an welchem die Sonne am Gedenk- tage des Heiligen der betreuenden Kirche unterging. Charlier will auf diese Weise das Alter von Kirchen auf astronomischem "Wege bestimmt haben. 3) M. Cantor, Vorlesungen über Geschichte der Mathematik. Ed. 1 1880). S. 59. *) G. M asper o, Geschichte der morgenländischen Völker im Altertum. Übersetzt von R. Pietschmann. Leipzig 1877. S. 54. 6 Mathematik und Technik der Ägypter. glyphen^) nur auf Steindenkmälern, deren sorgfältig bearbeitete Fl i eben jeden Beschauer in Erstaunen setzen. Für den täglichen Gebrauch wurden die Zeichen später in solchem Grade ver- einfacht, daß ihre ursprüngliche Form kaum wieder zu erkennen ist (s. S. 3). Indes nicht nur von den Geschehnissen, der Tracht und den Gebräuchen, sondern auch von dem Wissen jener Zeiten können wir uns auf Grund der aus den Gräbern und Tempeln von Memphis und Theben herrührenden Schriftdenkmäler heute ein ziemlich zu- treffendes Bild machen. Daß schon zur Zeit des alten Reiches in Ägypten eine um- fangreiche Literatur bestand, kann mit Sicherheit angenommen werden. Besaß doch, wie aus einer Grabinschrift bei Gizeh hervor- geht, ein Groß Würdenträger, der um 2200 v. Chr. lebte, den Titel „Verwalter des Bücherhauses" 2). Von jener ältesten Literatur sind jedoch nur spärliche Bruchteile erhalten geblieben. Neben reli- giösen, moralphilosophischen und geschichtlichen Schriften umfaßte diese Literatur auch Abhandlungen über Astronomie, Mathematik und Heilkunde, welche die Grundlagen für spätere vollständigere, auf uns gekommene ägyptische Schriftdenkmäler gebildet haben. Ihren Höhepunkt erreichte die altägyptische Kultur um das Jahr 2000 vor Christi Geburt Um diese Zeit wurde Ägypten zur Großmacht, die erobernd in Vorderasien eindrang und mit dem babylonischen Reich in enge Fühlung trat. Es entwickelte sich sogar ein reger schriftlicher Verkehr zwischen den Pharaonen und den Königen Babylons, sowie den asiatischen Vasallen. Dies be- weisen die in großer Zahl im Jahre 1888 in Ägypten 3) aufgefun- denen Tontafeln mit Keilinschriften, welche heute den wertvollsten Schatz der Museen von Kairo, London und Paris bilden. Mathematik und Technik der Ägypter. In Ägypten, sagt Aristoteles (Metaphys. I, 1), entstand die mathematische Wissenschaft, denn hier war den Priestern die dazu nötige Muße vergönnt. Nach einer Erzählung Herodots*) da- gegen entsprang für die Ägypter die Notwendigkeit, die Geometrie ij Um ihre Entzifferung hat sich zuerst Thomas Young und später ChampoUion die größten Verdienste erworben. 2j Lepsius, Denkmäler II. 50. 3) In Teil el-Amarna in Mittelägypten. *) Herodot II. 109. Das Handbuch des Ahmes. ZU erfinden, dem Umstände, daß die Grenzen ihrer Ländereien durch die jährlichen Überschwemmungen des Nils verwischt wurden und deshalb durch Vermessung wiederhergestellt werden mußten. Welche Bewandtnis es auch mit diesem Bericht des griechischen Geschichtsschreibers haben mag, jedenfalls ist die Geometrie der frühesten Kulturvölker aus den Bedürfnissen des Lebens hervor- gegangen. Die Ansicht, daß sie einem idealistischen Drange ent- sprungen sei, dürfte nur für die späteren Entwicklungsstufen zu- treffen ^j. Für das ehrwürdige Alter der Mathematik in Ägypten spricht auch die von dort stammende älteste Urkunde dieser Wissen- schaft 2), Es ist dies eine Art Handbuch für den praktischen Ge- brauch, das um das Jahr 1800 v. Chr. verfaßt wurde und neben zahlreichen arithmetischen Aufgaben, bei denen schon die Bruch- rechnung Anwendung findet, auch die erste Behandlung arith- metischer und geometrischer Reihen, Flächenberechnungen der ein- facheren Figuren, wie sie für die Absteckung der Felder in Betracht kommen, sowie die Bestimmung des Rauminhalts von Frucht- speichern enthält. Sogar der Flächeninhalt des Kreises wird in diesem Papyrus ermittelt. Dies wird in der Weise bewerkstelligt, daß man über dem um ^/g verminderten Durchmesser ein Quadrat errichtet. Hieraus läßt sich für jt der überraschend genaue Wert 3,16 (statt 3,14) berechnen. Bezeichnend sind die Worte, mit denen Ahmes sein Hand- buch einleitet. Sie lauten: „Vorschrift, zu gelangen zur Kenntnis aller dunklen Dinge und Geheimnisse, welche in den Gegenständen enthalten sind." Sie erinnern an die IY2 Jahrtausend später auf- tretenden Pythagoreer, die auch Zahl und Maß als wirkliche, in den Dingen geheimnisvoll schlummernde Wesen betrachteten. Auf das außerordentlich hohe Alter der Mathematik in Ägypten läßt sich übrigens auch daraus schließen, daß Ahmes in seiner Einleitung ausdrücklich sagt, er habe sein Buch nach alten Schriften verfaßt, die zur Zeit eines früheren Königs entstanden seien. Diese Schriften waren, wie aus jener Zeitangabe hervorgeht, etwa 500 Jahre *) H. Haukel, Die Entwicklung der Mathematik in den letzten .Jahr- hunderten. Tübingen 1869. 2) Der Papyrus Rhind des Britischen Museums in London, den der Schreiber Ahmes des Hyksoskönigs Ra-a-us verfaßte. Die Entstehung dieser Schrift fallt zwischen 1700 und 2000 v. Chr. Das Dokument wurde übersetzt und erläutert herausgegeben von Eisenlohr, Leipzig 1877. Eine eingehende Besprechung seines Inhalts findet sich in M. Cantors Vorlesungen über Ge- schichte der Mathematik. Leipzig 1880. Bd. 1. S. 19—52. 8 Das Handbuch des Ahmes. älter als das Buch des Ahmes und setzen ihrerseits wieder eine lange Periode voraus, in welcher die niedergelegten Kenntnisse langsam heranwuchsen, ohne schriftlich festgelegt zu werden. Ohne Zweifel hat man, da das Rechnen aus den Bedürfnissen des Lebens entsprungen ist, zuerst mit benannten Zahlen gerechnet und ist erst später zu abstrakten Zahlen übergegangen. Das Rechnen mit diesen stand, wie der Papyrus Bhind beweist, im 20. Jahrhundert v. Chr. bereits auf einer Höhe, wie man sie vor dem Bekanntwerden jener wichtigen Urkunde nicht vermuten konnte *). Ahmes setzt das Rechnen mit ganzen Zahlen voraus und befaßt sich in seinen Aufgaben unter Anwendung der Brüche be- sonders mit dem, was wir heute Gesellschaftsrechnung nennen. Die von ihm benutzten Brüche sind Stammbrüche, d. h. solche, die eins als Zähler haben. Einen Stammbruch schreibt er, indem er über die Zahl des Nenners einen Punkt setzt. Jeder andere Bruch wird als Summe von Stammbrüchen ausgedrückt, z, B. 2/5 durch 1/3 und Yi5, die ohne Additionszeichen nebeneinander gesetzt werden. Die Darstellung eines beliebigen Bruches durch Stammbrüche stellt Ahmes an die Spitze. Um Brüche, die keine Stammbrüche sind, in Summen von Stammbrüchen zu verwandeln, gibt Ahmes eine Tafel der Brüche 2) 2 von der Form ^ — — , (n = 1, 2, 3 ... 49). Brüche mit höherem 2n-)-l ^ ' ' Zähler werden in eine Summe gleichnamiger Brüche zerlegt. An solchen Stammbruchsummen werden die Grundrechnungsarten voll- zogen. Manche Aufgabe, die Ahmes bringt, stellt sich als eine Gleichung ersten Grades mit einer Unbekannten dar. Letztere wird als Haufen bezeichnet. So lautet ein Beispiel: „Haufen, sein 2/3, sein 1/2» sein 1/7, sein Ganzes, es beträgt 33." Das heißt nach heutiger Schreibweise : 2/3 x -f- 1/2 x + V? x + x ==: 33. Um x zu fin- den, wird dann (2/3-1-1/24-1/7^-1) so lange vervielfältigt, bis 33 herauskommt. Als weiteres Beispiel sei eine von den Aufgaben aus der Gesellschaftsrechnung mitgeteilt. Sie lautet: „Zu verteilen 700 Brote unter vier Personen, 2/3 für den Einen, Y2 für den Zwei- ten, V3 für den Dritten, V4 für den Vierten." Als Gleichung ge- schrieben würde die Aufgabe in der Ausdrucksweise der heutigen 1) J. Tropfke, Geschichte der Elementarmathematik. Bd. I. S. 52. 2) Eisenlohr, Ein mathematisches Handbuch der alten Ägypter (2. Aus- gabe). S. 46-48. Die Auflösung von Grleichungen. 9 Arithmetik lauten : 2/3^+ V2 x + Va x + 1/4 x = 700. Der Wert für X wird dann nach folgender Vorschrift gefunden: Addiere 2/3, 1/2, Vs ^ind V4; das gibt 1+V2+V4- Teile dann 1 durch 1 + V2 + V4; das gibt 1/2 + \/i4- Nimm dann V2 und 1/14 von 700; das ergibt 400 für x. Außer der Hieroglyphe für die Unbekannte (unser x) besaßen die alten Ägypter noch einige andere Operationszeichen. Z. B. galt ein Zeichen, das schreitende Beine darstellt, je nach der Richtung als Zeichen für die Addition oder als solches für die Subtraktion. Auch für die Gleichsetzung war ein Zeichen vor- handen. Bekannt war auch schon der Begriff der Wurzel. Bis vor kurzem nahm man an, daß die alten Ägypter diesen Begriff nicht kannten. Neuerdings sind aber Papyrusfragmente (aus der 12. Dynastie) bekannt geworden, in denen sich vermerkt findet, daß V16 = 4, -1/674 = 272 und Vl%6 = li/4 isti). Das Verfahren des Wurzelziehens dagegen ist wahrscheinlich erst in der pythagoreischen Schule entwickelt worden, als man größere Quadratzahlen bildete, deren Grundzahl nicht ohne weiteres ersichtlich war, vor allem aber, als es galt, nach dem pythagoreischen Lehrsatz die Hypotenuse aus den Katheten zu berechnen. Ferner begegnen uns Gleichungen wie die folgenden: 22 + (11/2)2 = (21/2)2 62 + 82 = 102. Endlich sind Bollen aus der Zeit um 2000 v. Chr. bekannt geworden, in denen sich Anweisungen über die Festlegung der Wandrichtungen bei Tempelbauten finden. Das Verfahren be- stand im „Seilspannen", das heißt, man teilte ein Seil im Ver- hältnis 3:4:5 und bildete aus diesen Stücken ein Dreieck, um so den gesuchten rechten Winkel zu erhalten. Darauf stützt sich die Ansicht, daß der pythagoreische Lehrsatz wohl auf ägyptische Anregungen zurückzuführen sei 2). Ganz geschickt waren die Ägypter, wie aus dem Handbuch des Ahmes hervorgeht^ auch schon in der Lösung von Aufgaben, die auf die Anwendung von arithmetischen und geometrischen Reihen hinauslaufen. Auch hier mögen einige Beispiele uns mit den ersten Schritten auf diesem Gebiete bekannt machen. Ahmes stellt die Aufgabe, 100 Brote an 5 Personen in arithmetischer 1) Schak im 38. und 40. Band der Zeitschrift für ägyptische Sprache. 2) Cantor im Archiv für Mathematik und Physik. S. Bd. 1904. 10 Die Summierung von Reihen. Progression so zu verteilen, daß die zwei ersten Personen, welche die geringeren Anteile erhalten, zusammen Y7 von dem bekommen, was auf die 3 übrigen Personen entfällt. Ahm es setzt zunächst das kleinste Glied gleich 1 und sagt dann ohne Begründung: „Mache, wie geschieht, den Unterschied gleich 51/2"- So erhält er die arithmetische Reihe: 1, 6V2) 12, 17 1/2, 23. Sie genügt zwar der Bedingung, daß die Summe der beiden ersten Glieder gleich 1/7 von der Summe der drei letzten ist. Indessen enthält diese Reihe statt der gegebenen 100 nur 60 Einheiten. Da aber 100 das 12/3 fache von 60 ist, verbessert Ahm es den unrichtigen, aber auch nur vorläufigen Ansatz, indem er jedes Glied der Reihe mit IV3 multipliziert. Er findet so ganz richtig die allen Bedingungen entsprechende Reihe IV3, lOVe, 20, 29%, 881/3. Bei einer anderen Aufgabe schimmert schon die Kenntnis der Summierungsformel 1) für die geometrische Reihe durch. Als Summe der fünf ersten Potenzen von sieben: 7 + 49 + 343 + 2401 + 16807 wird 19607 gefunden. Dies geschieht nicht nur durch Addition, sondern indem Ahm es das Produkt von 2801 und 7 bildet. Letzteres Verfahren steht nun in auffallender Überein- Q n 1 Stimmung mit der Summenformel s = :r- • a- Denn für den a — 1 vorhegenden Fall ist ^— ^ • a = ^'^^ • 7 = 2801 • 7. a — 1 o Weit verbreitet war bei den Ägyptern wie bei den Griechen und den übrigen Völkern des Altertums das Rechenbrett (Abacus). Die Zahlen wurden eingeschrieben oder durch Steinchen, Stifte oder sonstige Marken bezeichnet 2). Vergegenwärtigt man sich die Wunder der Ingenieur- und der Baukunst, welche die alten Ägypter schufen, sowie ihre von Herodot erwähnten Kenntnisse in der Vermessungskunde, so muß man annehmen, daß die Geometrie bei diesem Volke nicht minder wie das Rechnen gepflegt wurde. Höchst wahrscheinlich gab es auch für die Geometrie schon Lehrbücher von der Art, wie uns der Zufall ein solches in dem Handbuch des Ahm es für die Arithmetik in die Hände gespielt hat. Leider ist ein ausschließlich der Geometrie gewidmeter Papyrus bisher noch nicht entdeckt worden. Indessen hat sich das Hand- buch des Ahmes auch für die Kenntnis des geometrischen Wissens 1) Cantor, Vorlesungen über Gesch. d. Mathem. Bd. I (1880). S. 37. 2; Näheres über das Verfahren und die erhaltenen Exemplare siehe bei Cantor, Vorlesungen über Gesch. d. Mathem. Bd. I. S. 43—45; 109—112 usw. Dreiecksberechnung. 11 der Ägypter als eine Fundgrube erwiesen i). In welcher Weise die Fläche des Kreises ermittelt wurde, haben wir schon er- wähnt. Hier sei noch ein Beispiel für die Dreiecksberechnung mitgeteilt. Es handelt sich um ein gleichschenkliges Dreieck, dessen Schenkel 10 und dessen Grundlinie 4 Maßeinheiten lang sind. „Die Hälfte von 4 wird mit 10 vervielfältigt; sein Flächeninhalt ist es." So lautet die Lösung bei Ahmes^). Eine Begründung dieses Ver- fahrens, das ja zwar kein richtiges, indessen, wenn die Basis ver- hältnismäßig klein ist, ein von der Wahrheit nur wenig abweichendes Ergebnis liefert, findet sich bei Ahmes nicht. Seiner Lösung liegt die Formel ^ • a zugrunde (siehe Abb. 1), während die richtige Formel b -i/ P ^ • |/ a2 — ^ lautet. Letztere läuft also auf die Ausziehung einer Quadratwurzel hinaus, ein Verfahren, das bei Ahmes nirgends vorkommt, und das er vermutlich auch nicht kannte, so daß wir eine genaue Berechnung des Flächeninhalts von ihm auch nicht erwarten dürfen. Handelte es sich um das Ausmessen von weniger einfachen Figuren, so bedienten sich die Ägypter der Zerlegung durch Hilfslinien. So hat man alte Zeichnungen gefunden, in denen das Paralleltrapez auf mehrfache Weise zerlegt ist (s. Abb. 2). In den Geräten und Zie- raten, die auf der Kreisteilung beruhen, kommt die Teilung in 4 und 8, sowie in 6 und 12 Sektoren vor, während man einer Teilung in 5 und 10 Sektoren nicht begegnet 4). Nicht nur mit Flächen- und Inhaltsbestimmungen, sondern auch mit Streckenverhältnissen und den Eigenschaften der Winkel waren die Ägypter zur Zeit des mittleren Reiches schon bis zu einem gewissen Grade vertraut. Auch die Konstruktion des recht- winkhgen Dreiecks aus den Strecken 3, 4 und 5 scheint ihnen schon sehr früh bekannt gewesen zu sein, wenn sie auch nicht 1] Cantor, Bd. I. S. 46. 2) Eisenlohr, Papyrus. S. 125. ■i, Cantor. Bd. I. S. Ö8. Abb. 6 u. 7. *) M. Cantor, Vorlesungen über Gesoh. d. Mathem. Bd. 1. S. 59. Abb. 2. Geometrische Elemente in alt- ägyptischen Verzierungen 3;. 12 Die Geometrie der Ägypter. durch mathematische Ableitung, sondern als Erzeugnis der Er- fahrung in ihren Besitz gelangt sein werden i). Um die große Genauigkeit zu erklären, die uns bei den Pyra- miden nicht nur in den Abmessungen des ganzen Bauwerkes, sondern auch in der Bearbeitung der einzelnen Steine begegnet, muß man bei den alten Ägyptern schon einige Bekanntschaft mit den Grund- lehren der Ahnlichkeitslehre und der Trigonometrie voraussetzen. Dafür sprechen auch die Abschnitte, die Ahm es in seinem Hand- buch dem Pyramidenbau widmet. In diesen Abschnitten begegnet uns nämlich ein Ausdruck 2), der wahrscheinlich das Verhältnis der halben Diagonale zur Seitenkante der Pyramide bedeutet, also dem Cosinus des Winkels, den diese beiden Linien bilden, entsprechen würde. Dieses oder ein entsprechendes Verhältnis muß den Bau- leitern und Steinmetzen stets gegenwärtig gewesen sein, da sich die genaue Übereinstimmung der Winkel, welche die Kanten mit dem Erdboden bilden, sonst nicht erklären läßt. In Anbetracht dieser frühen Entwicklung der Geometrie muß es auffallen, daß die Ägypter die Kunst des perspektivischen Zeichnens noch nicht entwickelt haben, wie aus ihren Reliefs und Wandgemälden, die in so großer Fülle und in solch vortrefflichem Zustande auf unsere Zeit gelangt sind, hervorgeht. Das Handbuch des Ahmes beweist, daß die Mathematik fast zwei Jahrtausende vor Beginn unserer Zeitrechnung in Ägypten schon eine hohe Entwicklungsstufe erreicht hatte. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß sich in dieser Urkunde manche Fehler finden, welche die Vermutung nahe legen, daß es sich hier nur um eine Schülerarbeit handelt. An die Mathematik der Ägypter haben zunächst die Griechen angeknüpft. Die ägyptische Stamm- bruchlehre läßt sich sogar über die Zeit der Araber hinaus, bis in das deutsche Mittelalter verfolgen. Ferner ist die Beweisform des Euklid, der wir noch heute folgen, ägyptischen Mustern nach- gebildet 3). Wie auf dem Gebiete der Wissenschaften, so haben die Ägypter auch auf dem Gebiete der Technik Grundlegendes ge- schaffen. Vergegenwärtigt man sich ihre Leistungen auf diesem Gebiete, so erscheint es durchaus berechtigt^ von einer Ingenieur- technik und einer Ingenieurmechanik schon bei den alten Ägyptern 1) Cantor, a. a. 0. Bd. I. S. Ö9. Siehe auch S. 9. 2] Er lautet Seqt. Siehe Cantor, Gesch. d. Mathem. Bd. I. S. 52, sowie Eisenlohr, a. a. 0. S. 135 (Anm. 3). 3) Tropfke, Gesch. d. Elementarmathematik. Bd. I. S. 74. Beginn der Ingenieurtechnik. 13 ZU redeni). Durch ähnliche Bedingungen hervorgerufen, entstanden diese Zweige menschlichen Schaffens bei den Bewohnern des Zwei- stromlandes, um dann ihre weitere Entwicklung zu erstaunlichen Leistungen bei den Griechen und den Römern zu erfahren. Die Ingenieurtechnik entstand im steten Kampfe des Menschen mit den Kräften der Natur und durch sein Bestreben, sich nicht nur gegen diese Kräfte zu behaupten, sondern sie sich dienstbar zu machen. Die frühesten Aufgaben der Ingenieurtechnik betrafen das Wasser in allen seinen Formen und Wirkungen. Durch alle Mittel der künstlichen Bewässerung gelang es den Ägyptern und den Babyloniern, ihre Wohnsitze zu Kornkammern für die Alte Welt zu machen. Mit der Pflege und mit der Vernachlässigung der hierfür geschaffenen Einrichtungen stieg und sank die Be- deutung jener Länder und ihrer Bewohner. Da dem Unterlauf des Nils, sowie Mesopotamien der Regen fast ganz fehlt, so ließ sich der Ackerbau in diesen Landstrichen nur dadurch heben, daß ein verwickeltes System von Stauwerken und Kanälen unter Anpassung an die wechselnde Wassermenge der Flüsse ge- schaffen wurde. Aufgaben ganz anderer Art erwuchsen der Ingenieurmechanik schon im Altertum aus dem Bemühen, das Wasser als Verkehrs- mittel zu benutzen, Wasserwege zu schaffen. Das Großartigste, was uns auf diesem Gebiete im alten Ägypten begegnet, ist die Herstellung einer Verbindung zwischen dem Mittelländischen und dem Roten Meer. Man ist geneigt, die Idee und die Ausführung dieses Projektes als etwas ganz Neuzeitliches zu betrachten, und dennoch sind der Plan und seine Verwirklichung uralt. Schon zur Zeit Ramses des Zweiten, um 1300 vor Christi Geburt, be- stand ein Kanal, welcher den mittelsten der kleinen, auf der Landenge von Suez befindlichen Seen mit einem etwa 70 km west- lich fließenden Arm des Nils verband. Was lag näher als der Gedanke, eine Fortsetzung nach dem Roten Meere zu schaffen und so zwei Weltmeere, wenn auch durch die Vermittel ung eines Flusses, in Verbindung zu setzen? Unter den Ptolemäern und den Arabern wurde diese Wasserstraße ihrer Bedeutung ent- sprechend gut im Stande gehalten. Erst vom 8. Jahrhundert n. Chr. an verfiel der Kanal, welcher dem später infolge der Ent- *) C. Merkel, Die Ingenieurtechnik im Altertum. Berlin. J. Springer. 1900. An dies größere Werk lehnen sich die „Bilder aus der Ingenieurtechnik" an, die Merkel als 60. Bändchen der Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt" veröfiFentlichte (B. G. Teubner. Leipzig 1904). 14 Anfänge der Metallurgie. deckungsreisen aufkommenden Weltverkehr auch nicht genügt haben würde. Geradezu rätselhaft sind die technischen Leistungen, die uns im alten Ägypten dort begegnen, wo es sich um die Fortbewegung gewaltiger Lasten handelt. Auf weite Strecken wurden Stein- massen fortgeschafft, deren Gewicht sich auf 3 — 400 Tonnen be- ziffert. Das Aufrichten der aus einem einzigen Granitblock ge- meißelten, bis zu bO m hohen, ein Gewicht von 3 — 400000 kg besitzenden Obelisken würde selbst der heutigen Technik große Schwierigkeiten bereiten i). Über die Ausführung bestehen nur Vermutungen. Daß es dabei an maschinellen Hilfsmitteln nicht fehlte, unterliegt indessen keinem Zweifel. Ungeheure Sklaven- heere ersetzten zwar im Altertum bis zu einem gewissen Grade die Maschinen. Dies allein genügt indes nicht zur Erklärung solcher Leistungen. Es mußten intelligente Führer, die mit der Konstruktion und der Handhabung mechanischer, wenn auch nur empirisch beherrschter Mittel vertraut waren, hinzukommen. Auch mit der Metallbereitung waren die Ägypter früh be- kannt. Um die Zeit des Menes (3300 v. Chr.) war das Kupfer schon ziemlich verbreitet. Es wurde besonders auf der Halbinsel Sinai gewonnen. Silber und Eisen waren fast ebenso früh bekannt. Bis zum Jahre 3000 etwa haben die Ägypter reines Kupfer verwandt. Von diesem Zeitpunkt an haben sie das Kupfer mit Zinn legieren gelernt. Das erste Metall, das die Völker der Alten Welt kennen und bearbeiten lernten, war ohne Zweifel das Gold. Für die Ägypter kam als Fundort besonders das Bergland zwischen dem Nile und dem Roten Meer in Betracht. Auch Arabien war reich an Gold. An den Küsten des Roten Meeres wird wohl auch Salomos Gold- land Ophir zu suchen sein. Eigentümlich ist dem ägyptischen Wesen, daß es vorwiegend auf das Praktische gerichtet war. Die alten Ägypter besaßen eine hochentwickelte Heilkunde; sie waren geschickt im Feld- messen und im Rechnen. Sie haben sich schon gut am Himmel zu orientieren verstanden. Die Sterne zu deuten, wie es die Babylonier taten, lag ihnen jedoch fern. 1) Ist doch bekannt, welche Mühe es kostete, den Obelisken von Helio- polis auf dem Platze vor der Peterskirche in Rom mit Hilfe zahlreicher Göpel und Flaschenzüge aufzurichten. Dieser Obelisk ist eine einzige Steinmasse von über 300000 kg Gewicht. Näheres siehe bei Beck in seinen Beiträgen zur Geschichte des Maschinenbaus. Berlin 1899. S. 192. Die babylonisch-assyrische Kultur. 15 Die babylonisch-assyrische Kultur. Viel später als die Kultur der alten Ägypter ist diejenige der Babylonier auf Grund der archäologischen Durchforschung ihres Landes bekannt geworden. Auch hier lieferten die zwischen den Ruinen untergegangener Städte aufgehäuften oder verschüt- teten Trümmer eine bei weitem zuverlässigere und wertvollere Ausbeute als die auf uns gekommene, die Babylonier betreffende Literatur. Das älteste Volk Mesopotamiens, von dem wir Kenntnis be- sitzen, sind die Sumerer. Man nimmt an, daß sie zur mongo- lischen Rasse im weiteren Sinne gehörten. Es würde danach ein gewisser Zusammenhang zwischen der ältesten ostasiatischen und der ersten Kultur Vorderasiens bestanden haben. Der Beginn, der letzteren wird bis in das 5. Jahrtausend v. Chr. zurückverlegt.- Um das Jahr 3000 drang ein Volk semitischer Abstammung in Mesopotamien ein. Bis in jene Zeit hinauf besitzen wir ge- schriebene Urkunden, die allerdings über die Eroberung selbst nichts besagen 1). Wie in Ägypten entstanden zuerst einzelne kleine Reiche, die später vereinigt wurden. Als der älteste König des gesamten Babyloniens wird der um 2200 v. Chr. lebende Hammurabi genannt. "Wie später in Europa das Lateinische, so blieb in Vorder- asien das Sumerische als die Sprache des älteren Kulturvolkes lange Zeit erhalten und für wissenschaftliche Zwecke im Gebrauch. Die frühzeitige, hohe Entwicklung des geistigen Lebens der Baby- lonier erkennen wir daraus, daß dieses Volk sich schon gegen das Ende des dritten Jahrtausends v. Chr. mit grammatischen Studien, wichtigen Rechtsfragen und vor allem mit der aufmerksamen Er- forschung der Himmelserscheinungen beschäftigte. Daß die Beziehungen des babylonischen Reiches bis nach Ägypten reichten, beweisen die erwähnten, aus dem 16. Jahrhun- dert v. Chr. stammenden Teil el-Amarna^j-Funde, unter denen sich • 1) Siehe „Der alte Orient." I., herausgegeben von der vorderasiatischen Gesellschaft. 2) Ort zwischen Kairo und Theben, wo eine Anzahl Keilschrifttafeln entdeckt wurden. Sie befinden sich zum Teil im Museum der vorderasiati- schen Altertümer in Berlin. In einem der Briefe (um 1400 v. Chr.) findet sich die erste Erwälmung Jerusalems. Die Berliner Sammlung enthalt auch zahl- reiche Tafeln der ältesten babylonischen Zeit (3000 v. Chr.). Bei ihrer Auf- fijidunj waren die Schriftziige durch Auflagerungen unkenntlich; nach An- 15 Keilschriftfunde. Briefe des Königs von Babylonien an den ägyptischen Herrscher Araenophis IV. befinden. Neben dem babylonischen und dem ägyptischen bestand in Kleinasien das Reich der Hettiter (Chatti) '). Daß auch Griechenland mit dem alten Orient in engen Beziehungen stand, hat die neuere archäologische Forschung gleichfalls dar- getan. Die Vermittlung erfolgte insbesondere durch die Phönizier, die bis zum Jahre 1300 v. Chr. im Besitz von Kreta waren und damals das Agäische Meer beherrschten. Um 1300 V. Chr. eroberten die Assyrer das Zweistromland. Sie haben es durch ausgedehnte Bewässerungsanlagen gehoben, über die uns Herodot berichtet hat 2). Nicht minder wurde die Wissenschaft gepflegt. Besonders seit der Zeit des Assyrer- königs Assurbanipal oder Sardanapal (7. Jahrhundert v. Chr.) entwickelte sich die Astrologie zur astronomischen, auf steten und genauen Beobachtungen fußenden Wissenschaft. Mit der Ent- deckung der Bibliothek dieses Königs gelangte auch ein großes babylonisches Werk über die Astrologie ans Tageslicht 3), das seit- dem die wichtigste Quelle für die astronomischen Kenntnisse der älteren babylonischen Zeit bildet. Die in Ninive, Babylon und an anderen Stätten in neuerer Zeit durch die Ausgrabungen der Engländer, Amerikaner und neuer- dings auch der Deutschen in großer Menge an das Tageslicht ge- förderten Schriftdenkmäler sind gebrannte Tontafeln, auf denen die Schriftzüge als keilförmige Eindrücke eingeritzt sind (s. Abb. 3). Wendung verschiedener Reinigungsverfahren traten sie mit voller Deutlichkeit hervor. Erwähnenswert ist auch ein sumerisch-babylonisches Wörterbuch. Von den Teil el - Amarna - Tafeln gelangten etwa 200 nach Berlin; die wertvollsten sind in London. Siehe auch C. Niebuh r, Die Amarna -Zeit. „Der Orient" I. 2. Heft. Berlin 1899. 1] Hettitische Schriftdenkmäler wurden in Nordsyrien und in Boghaz-Kiri (Kappadozien) gefunden. Sie bilden einen Teil der Berliner Sammlung vorder- asiatischer Altertümer. Die Hettiter haben Bedeutendes auf dem Gebiete der Metallurgie geleistet. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß durch sie metallur- gische Kenntnisse, z. B. die Art der Gewinnung des Eisens, nach Ägypten und nach Babylonien gelangt sind (E. Beyer, Altorientalische Metallurgie. Zeitschrift der orientalischen Gesellschaft. 1884. S. 149). 2j Merkel, „Die Ingenieurtechnik des Altertums", enthält darüber und über den Wasserbau der übrigen alten Völker (Chinesen, Griechen, Römer) das Nähere. 3) F. X. Kugler, Sternkunde und Sterndienst in Babel. Münster 1907. Der Inhalt der astrologischen Keilschriftfunde wurde im III. Bande des Lon- doner Inschriftenwerkes veröffentlicht. Die Übersetzung der astronomischen Keilschrifttafeln begann 1874. Keilschriftfunde. 17 Ihre Entzifferung gelang erst, seitdem man (1835) mehr- sprachige Texte entdeckte. Für diese Entzifferung und damit für die Erforschung der babylonischen und assyrischen Geschichte sind die Inschriften grundlegend gewesen, die sich in den Ruinen der persischen Königspaläste in Persepolis und Susa befinden. Heute sind Hunderttausende von Keilschrifttafeln zutage gefördert i). Eine ganze Bibliothek entdeckte 1848 der englische Altertums- forscher Layard^). Für die Kenntnis der ältesten Entwicklung der Mathematik sind die sogenannten ..Nippurtexte" von großer Wichtigkeit. Sie umfassen etwa 50000 Keilschrifttafeln, die in dem Tempel zu Nippur aufbewahrt und durch amerikanische Ausgrabungen ans Tageslicht gefördert wurden. Die „Nippurtafeln" sind in der Zeit von 2200—1350 v. Chr. entstanden. In Nippur wurden, wie die Texte bezeugen, nicht nur Mathematik, sondern auch Astro- nomie und Heilkunde betrieben 3). Aus den gefundenen Multipli- kationstafeln geht hervor, daß die Babylonier das Prinzip des Stellenwertes kannten, allerdings ohne sich der Null zu bedienen^). Es ist anzunehmen, daß die Keilschrift in ähnlicher Weise aus einer hieroglyphischen oder Bilderschrift entstanden ist, wie es mit der hieratischen Schrift der Ägypter der Fall war. Durch Keilstriche wurden auch die Zahlen bezeichnet Der Vertikalkeil ^ bedeutete die Einheit. Zehn wurde durch zwei einen Winkel bil- dende Keile ausgedrückt ^ und weitere Zahlen durch Nebenein- anderstellung dieser beiden Elemente gebildet. Für hundert war ein besonderes Zeichen, nämlich ein Vertikalkeil in Verbindung mit einem rechts davon stehenden Horizontalkeil im Gebrauch y>~. Größere Zahlen wurden meist durch Nebeneinanderstellen, aber auch durch Vervielfältigung gebildet, indem die Zahl links von dem Zeichen als Faktor auftrat. Tausend z. B. wurde ^f*^, also 10 mal hundert geschrieben. Tausend selbst wird wieder mit Koeffizienten versehen, um größere Zahlen auszudrücken, so daß z. B. \\ j*^ nicht etwa 20 mal hundert, sondern 10 mal tausend, also 10000 bedeutet. Es ist also eine Vervielfältigung von Einheiten ver- 1) Bezold, Ninive und Babylon, Monographien zur Weltgeschichte. 1903. Mit 102 Abbildungen.) 2) A. H. Layard, Niniveh and its remains (1848). 3) Die Nijjpurtexte wurden unter der Oberleitung Hilprechts ver- öffentlicht: The Babylonian expedition of the university of Pennsylvania, Philadelphia. 4) Siehe S. 19. Dannemann, DU; Xiiturwissenschaften. I. Bd. 2. AtiU. 2 18 Die Mathematik der Babylonier. schiedener dekadischer Ordnung, die uns bei den Babyloniern be- gegnet. Auch in der Bibel wird dieses Verfahren, in offenbarer Anlehnung an das babylonische, zur Abschätzung großer Mengen gebraucht i). Die Keilschrifttafeln besaßen vor den Papyrusrollen den Vor- zug, daß sie so gut wie unzerstörbar waren, zumal wenn sie ge- brannt wurden. Ein sehr reiches Material förderte die Entdeckung der Biblio- thek Assurbanipals (Sardanapals) durch Layard (s. vor. Seite) zu- tage. Dieser König (668 — 626) unterhielt eine Bibliothek, für die er zahlreiche Werke anderer Archive, die bis auf das Jahr 1900 V. Chr. zurückgehen, abschreiben ließ. Von dieser Sammlung sind etwa 25000 Tafeln auf uns gekommen. Sie sind die wichtigste Fundstelle der babylonisch-assyrischen Literatur. Für die Ge- schichte der Wissenschaften sind sie dadurch besonders wertvoll, daß sie manches Bruchstück mathematischer, medizinischer und astrologischer Werke enthalten. Bei der Eigenart und Unvoll- ständigkeit dieser Urkunden kann es nicht wundernehmen, wenn sich im Beginn ihres Bekanntwerdens auch manche unhaltbare Kombination auf ihnen aufgebaut hat. Die Bibliothek Sardanapals- befindet sich heute im Britischen Museum. Sie wm-de besonders in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in Ninive ausgegraben und enthält allein etwa 4000 Tafeln mit astrologischen Aufzeichnungen. Seitdem erkannte man mit Bestimmtheit, daß die Astrologie auf die Babylonier und die Assyrer zurückgeht, während man früher darüber nur die Nach- richten der griechisch-römischen Literatur (z. B. Diodor, Biblio- theca historica 2, 29 u. f.) besaß. Die astrologischen Keilschrift- funde der Bibliothek Sardanapals sind die weitaus wichtigsten, die man kennen gelernt hat. Die Mathematik der Babylonier. Außer der dezimalen Schreibweise findet sich bei den Baby- loniern eine andere, die auf dem Sexagesimalsystem beruht und mit der Teilung des Kreisumfanges durch Abtragen des Radius, sowie der Einteilung des Jahres in 360 Tage zusammenhängt. Die Auffindung und die Entzifferung von Keilschrifttafeln hat bewiesen, 1) Beispiele führt Cantor Bd. I. S. 71 in größerer Zahl an. So heißt 68 Samuel I. 18: Saul hat tausend geschlagen, David aber zehntausend. Und an anderer Stelle: Tausend mal tausend dienten ihm (Daniel 7. 10). Das Sexagesimalsystem. 19 daß das Sexagesimalsystem von den Babyloniern schon unter Be- rücksichtigung des Prinzips des Stellenwertes angewandt wurde. So enthält eine Tafel, die 1854 bei Senkereh gefunden wurde, die ersten 60 Quadratzahlen in folgender Anordnung: 1 ist das Quadrat von 1 4 » » » »2 9 > > » •-> o Anstatt 64 » » » »8 usw. heißt es aber^) 1 + 4 >> » » » 8 1 + 21 » * » »9 1 + 40 .» . » »10 Dies ist nur verständlich, wenn die 1 vor 4, 21 und 40 als sexagesimale Einheit höherer Ordnung, nämlich als 60 aufge- faßt wird. Ein anderes Täfelchen von Senkereh enthält die Kubikzahlen von 1 bis 32 unter Anwendung des Sexagesimalsystems und des Prinzips des Stellenwertes. Ob für fehlende Einheiten ein beson- deres Symbol, also etwas, das der Null entspricht, gebraucht wurde, ist nicht ersichtlich, weil unter den Kubikzahlen von 1 bis 32 keine vorkommt, die nur aus Einheiten der ersten und dritten Stufe zu- sammengesetzt ist 2). Neben ganzen, nach dem Sexagesimalsystem gebildeten Zahlen kommen auch Sexagesimalbrüche vor. Während die Ägypter dem Zähler ihrer Brüche den konstanten "Wert 1 beilegten, begegnet uns in den Brüchen der Babylonier der konstante Nenner 60 oder 3600 (60x60). Die Brüche 1/2 oder 1/3 wurden durch ^0/^^ oder 20/^^ ausgedrückt und eine der Dezimalbruchform ähnliche Schreibweise benutzt 3). Das Sexagesimalsystem nahmen später die griechischen Astro- nomen an. Ihrem Beispiele folgten die Araber und das Mittel- alter, bis endlich in der Neuzeit die dezimale Schreibweise aufkam. Die für die Geschichte der Mathematik so wichtigen Tafeln von Senkereh dürften etwa um dieselbe Zeit entstanden sein, in ij Auf den Tafeln sind die Zahlen selbstverständlich ohne Zeichen neben- einander gestellt. Unter den neubabylonischen Tafeln der Berliner Sammlung findet sich der Grundriß eines größeren Gebäudo. Auf diesem Grundriß sind die Ab- messungen durch Zahlen nach dem Sexagesimalsystem verzeichnet, z. B. 11-60-1- 40 (= 700). -) Nach E. V. Lippmann ist es sogar sehr unwahrscheinlich. 3) Siehe auch Tropf ke, Geschichte der Eiementarnjathematik. ßd.I. S.7(5. 2* 20 I^cr Ursprung der Astronomie. der das mathematische Handbuch des Ahm es in Ägypten verfaßt wurde. Die Rechenkunst der Chaldäer war, nicht nur nach den gefundenen Schriftdenkmälern, sondern auch nach griechischen Quellenschriften zu urteilen, eine uralte. So heißt es bei Theon von Smyrna >) , die Ägypter hätten bei der Untersuchung der Planetenbewegungen gezeichnet, die Chaldäer dagegen gerechnet, und von diesen beiden Völkern hätten die griechischen Astronomen die Anfänge ihrer Kenntnisse erhalten. Daß indessen auch die geometrischen Kenntnisse der Babylonier nicht gering waren, ist aus ihren Wandzeichnungen und ihrer hochentwickelten Baukunst — wandten sie doch bereits lange vor den Etruskern Bogengewölbe an — zu schließen. So findet sich die Sechsteilung des Kreises als bewußte geometrische Konstruktion; eine Tontafel geometrischen Inhalts enthält sogar die Dreiteilung des rechten Winkels. An die Sechsteilung des Kreises schloß sich ferner die Teilung des ganzen Kreisumfanges in 360 Grade. Der Ursprung der Astronomie, Nachdem wir die Anfänge der Mathematik kennen gelernt haben, wenden wir uns den frühesten naturwissenschaftlichen Pro- blemen zu, an denen sich das mathematische Denken erproben sollte. Die am Himmel sich abspielenden Vorgänge waren es, die zuerst den Begriff einer gesetzmäßig verlaufenden Erscheinung auf- kommen ließen. Es ist daher kein Zufall, daß man sich diesen Vorgängen vor allen anderen mit forschendem Blick zuwandte und daß die Astronomie neben der Mathematik zu den ersten Be- tätigungen des menschlichen Geistes gehört, die Anspruch auf den Namen einer Wissenschaft erheben können. Auch auf diesem Gebiete sind nicht etwa die Griechen die Urheber gewesen, son- dern Hand in Hand mit der Entstehung der Mathematik ent- wickelte sich bei den Ägyptern und den Chaldäern, begünstigt durch die wolkenlose Atmosphäre des Niltals und Mesopotamiens, eine Summe von astronomischen Kenntnissen, die für die Griechen und die späteren Völker die Grundlage für jeden weiteren Fort- schritt geworden sind. Die frühesten astronomischen Eindrücke, denen sich der Mensch selbst auf der tiefsten Stufe seiner Entwicklung nicht entzogen 1) Theo Smyrnaeus (ed. Ed. Hiller). Leipzig 1878. S. 177. Fixsterne und Planeten. 21 haben kann, sind die scheinbare tägliche Bewegung der Gestirne, die im steten Wechsel sich wiederholenden Lichtgestalten des Mondes, sowie die scheinbare jährliche Bewegung der Sonne mit dem da- durch bedingten Kreislauf der Jahreszeiten gewesen. Einer etwas aufmerksameren Beobachtung konnte es nicht entgehen, daß die Mehrzahl der Sterne ihre Stellung zueinander nicht verändert, während die Sonne, der Mond und die bald in die Augen fallenden Wandelsterne an den Fixsternen vorüberziehen. So unterschieden schon die älteren ägyptischen Sternkundigen die „nimmer ruhenden" von den „sich nie rührenden" Sternen. Zu den ersteren zählten sie Jupiter, Saturn, Mars, den sie seiner Farbe wegen auch den Roten nannten, Merkur und Venus. Die Gruppierung der Sterne zu Sternbildern als erstes Mittel zur Orien- tierung am Fixsternhimmel rührt nicht, wie man früher annahm, von den Griechen her. Die Sternbilder entstanden vielmehr, wie die Astronomie überhaupt, im alten Orient. Ein aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert stammendes ägyptisches Verzeichnis der Planeten und Tierkreisbilder ist vor einigen Jahren bekannt geworden i). Es lautet: Das Verzeichnis der fünf lebenden Sterne: Horus (Saturn) Horus, der Rote (Mars) Stern des Thot (Merkur) Gott des Morgensterns (Venus) Stern des Ammon (Jupiter). Die Tierkreisbilder werden genannt „Die zwölf Sterne für jeden der zwölf Monate". Es gelang, die ägyptischen Benennungen für folgende Tierkreisbilder zu identifizieren: Wage, Stier, Zwillinge, Krebs (?), Löwe, Jungfrau, Schütze (?), Skorpion und Fische. Schon den ältesten Beobachtern mußte es auffallen, daß her- vorragende Fixsterne bald in der Nähe der untergehenden Sonne gesehen werden, dann in ihren Strahlen verschwinden, um nach einiger Zeit vor der aufgehenden Sonne zu erscheinen, und schließ- lich wieder in der Nacht zu glänzen. So gelangte man zu der Erkenntnis, daß die Sonne im Laufe einer Periode, die sich mit demjenigen Zeitraum deckt, innerhalb 1) Wilhelm Spiegelberg, ürientalistiache Literaturzeitung, 1902. S. 6, Es fand sich unter einer großen Menge Ostraka (durch Einritzen beschriebene Tonscherben), welche die Straßburger Bibliothek erwarb, und wurde von Spiegelberg entziffert. Der Text ist demotisch. 22 Einteilung des Jahres. dessen sich die Jahreszeiten abspielen, einen Umlauf am Himmel vollendet. Diejenigen Sternbilder, durch welche sich das Tages- gestirn dabei hindurchbewegt, nannte man den Tierkreis. Unter allen Fixsternen schenkten die alten ägyptischen Astro- nomen dem Sirius die meiste Beachtung. Sie nannten ihn Sopd, woraus die Griechen Sothis gemacht haben. Mit dem heliakischen Aufgang!) (Jes Sirius, der mit dem Beginn der Nilschwelle zu- sammenfiel, ließ man das Jahr anfangen. Man teilte es in zwölf Monate, von denen jeder dreißig Tage zählte 2). Sternwarten be- fanden sich in Dendera, Memphis und Heliopolis. Dort wurden alle deutlich sichtbaren Sterne aufgezeichnet und in ihrer Bewegung verfolgt. Von den auf diese Weise entstandenen Tafeln sind nur wenige Trümmer auf uns gelangt. Den Himmel stellte man sich, wie es später der Verfasser der biblischen Schöpfungsgeschichte getan, als eine die Erde umgebende Flüssigkeit vor. Auf dieser ließ man die Gestirne schwimmen. Dementsprechend sehen wir auf ägyptischen Denkmälern jedes Gestirn, durch seinen Genius in Menschen- oder Tiergestalt repräsentiert, in einer Barke hinter dem Sonnengott Osiris herfahren. Anfangs werden die Ägypter wie wohl alle Völker nach Mo- naten gerechnet haben. Daß sie so früh zu einem Sonnenjahr übergingen, hängt damit zusammen, daß die Nilschwellen, nach denen sich das Leben in Ägypten regelt, von dem Gang der Sonne abhängen. Das erste Anschwellen des Niles fiel Jahrtausende mit dem heliakischen Aufgang des Sirius, d. h. mit seinem Erscheinen in der Morgendämmerung zusammen 3). Mit dem Zeitpunkt, an dem der Sirius frühmorgens wieder sichtbar wurde, ließen die Ägypter ihr Kalenderjahr beginnen. Es zerfiel in drei Jahres- 1) Geht ein Gestirn gleichzeitig mit der Sonne auf, so spricht man von seinem heliakischen oder Frühaulgang. Dabei ist der wahre Frühaufgang, der wohl ermittelt, aber nicht beobachtet werden kann, von dem sichtbaren Frühaufgang zu unterscheiden. Letzterer Zeitpunkt tritt ein, wenn das Gestirn schon etwas vor dem Aufgang der Sonne erscheint, so daß es in der Dämme- rung wahrzunehmen ist. Der Zeitunterschied beläuft sich auf etwa 20 Tage. Ähnlich liegen die Verhältnisse beim heliakischen Untergang. 2) Der Beginn der ersten ägyptischen Kalenderordnung wird in das Jahr 4241 v.Chr. verlegt. (E. Meyer, Ägypten zur Zeit der Pyramidenerbauer. Leipzig 1908. Sendschrift der deutschen Orientgesellschaft.) 3) Der Sirius (Sothis) galt daher als der Stern der Isis, welche die Über- schwemmung dadurch bewirkte, daß sie, die große Naturgöttin, eine Träne in den Strom fallen ließ. Siehe auch die Abhandlung „Die Nilschwelle" von W. Capelle in den neuen Jahrbüchern f. d. klass. Altertum. 1914. S. 317. Beginn der Zeitmessung. 23 Zeiten (Überschwemmung, Aussaat, Ernte) von je 4 Monaten zu 30 Tagen. Nach Ablauf dieser 360 Tage wurden 5 Tage ein- geschoben, bevor man das neue Jahr beginnen ließ. Da aber das Jahr nicht 365, sondern etwa 3651/4 Tage umfaßt, so mußte sich der Frühaufgang des Sirius alle vier Jahre um einen Tag ver- schieben, und erst nach Ablauf von 4-365 Jahren fiel der Früh- aufgang des Sirius wieder mit dem Beginn des bürgerlichen Jahres von 365 Tagen zusammen. Daß es sich so verhielt, erkennt man noch aus manchen Grabinschriften, die das bürgerliche und das Siriusneujahr nebeneinander aufweisen i). Wie die astronomischen Elemente entstanden sind, hat gleich- falls die neuere archäologische Forschung dargetan, Die Astronomie wurde erst dadurch ermöglicht, daß zur Bestimmung von Winkeln und zur Ausbildung des Ziffernsystems und der Rechenkunst die Zeitmessung hinzutrat. Als die Erfinder eines Verfahrens, die Zeit genauer zu messen und einzuteilen, müssen die Babylonier gelten. Sie bedienten sich dazu der Wasseruhren (Kiepshydren) 2). In dem Augenblicke, in dem sich der obere Rand der Sonnen- scheibe am Horizonte zeigte, öffnete man ein mit Wasser gefülltes Gefäß, das durch Zufluß stets gefüllt blieb. Der Abfluß geschah tropfenweise in einen Behälter und dauerte solange, bis sich der untere Rand der Sonnenscheibe vom Horizonte löste. Von diesem Augenblicke an sammelte man das abtropfende Wasser in einem zweiten, größeren Behälter, bis die Sonne am folgenden Morgen wieder aufging. Die Wassermengen in dem kleineren und die- jenige in dem größeren Behälter wurden genau gewogen. Sie er- gaben nicht nur ein bestimmtes Zeitverhältnis, sondern mit einiger Genauigkeit auch das Verhältnis des scheinbaren Sonnendurch- messers zum ganzen Kreise. Waren die Wassermengen q und Q, so ergab (Q + q) : q == 360": D für den Durchmesser D der Sonne den Wert von etwa einem halben Grad. Die Babylonier setzten deshalb das Verhältnis des Sonnendurchmessers zur Ekliptik = 1:7203). 1) Näheres über die Sothisperiode und andere im Altertum gebräuchliche Aren, d. h. der Einrichtung, die Jahre von einem allgemein anerkannten, festen Zeitpunkt ab zu rechnen, enthält Paulys Real-Encycl. d. klass. Alter- tumswissensch. unter „Aera" (1898. S. 606). 2) Ideler, Über die Sternkunde der Chaldäer. Abhandlungen der Ber- liner Akad. d. Wissensch. 1814/15. S. 214. Wie die alten Astronomen hierbei verfuhren, hat Pappus in seinem Kommentar zum V. Buche des Almagest geschildert. 3) K. F. Ginzel, Die astronomischen Kenntnisse der Babylonier. In den Beiträgen zur alten Geschichte. Bd. I (1902). S. 350. 24 Die Anfänge der Astrologie. Genau würde dieses Verfahren ja nur unter dem Äquator ge- wesen sein. Da indessen die Schiefe der Sphäre im Lande der Chaldäer nicht allzu groß ist, so ergab sich ein für rohe Messungen genügendes Resultat ^). Aus den babylonischen Überlieferungen ist ferner ersichtlich, daß man das Sonnenjahr zu 365 Tagen rechnete und selbst die ungleich schnelle Bewegung der Sonne während eines Jahres bemerkte 2). Den Tag teilten die Chaldäer in 12 Doppelstunden. Die Doppelstunde wurde erhalten, indem man die Zeit, welche die Sonnenscheibe gebraucht, um am Himmel um ihren eigenen Durch- messer vorzurücken, und die man als Doppelminute bezeichnen kann, dem Sexagesimalsystem gemäß mit 60 multiplizierte. Dieses durch die Verbindung von Mathematik und Astro- nomie gewonnene System der Zeitmessung blieb für die Folge bestehen, so daß Babyloniens Kulturmission schon allein hieraus ersichtlich ist. Daß später der Zeitabschnitt, nach welchem man den Tag einteilte, und dementsprechend die Unterabteilungen jener Einheit, halbiert wurden, wodurch die heutige Stunde, Minute und Sekunde entstanden, ist von nebensächlicher Bedeutung. Die Astronomie wurde von den ältesten Völkern nicht nur ihres Nutzens halber gepflegt, sie war gleichzeitig Vorbedeutungs- lehre, so daß sie infolge der fatalistischen, von der Phantasie beherrschten Anlage der Orientalen sehr bald in Astrologie aus- artete. Dazu kam, daß jene Wissenschaft besonders von der Priesterkaste gepflegt wurde, die sich bemühte, ihr Ansehen zu erhöhen, indem sie ihr Tun und Treiben mit dem Schleier des Übernatürlichen und Geheimnisvollen umgab. Die Anfänge der Astrologie, der man einen semitischen Ur- sprung zuzuschreiben hat, begegnen uns bei den Sumerern. Be- sonders der Venus schrieben sie Bedeutung zu. Auch die Symbole der Sonne und des Mondes kehren in ihren Urkunden wieder. Daneben findet sich oft eine Schlange, die vielleicht die Milch- straße vorstellen sollte. Die Anfänge einer wissenschaftlichen Astronomie entwickelten sich erst, nachdem der Stamm der Chal- däer um 1000 V. Chr. in Babylonien eingedrungen war. Von diesem Volksstamm ging der Name „Chaldäer" auf die baby- lonische Priesterschaft über. Wie diese Namensübertragung zu- 1) Vielleicht haben die Babylonier die Wasserwägung auf den Durchgang der Sonne durch den Meridian bezogen und so den durch die Schiefe der Sphäre bedingten Fehler vermieden. -') Siehe K. F. Ginzel a. a. 0. S. 351. Astronomische Urkunden. 25 stände kam, ist nicht bekannt ^j. Man teilte jetzt, zwar immer mit dem Hauptzweck, die astrologischen Untersuchungen methodischer zu gestalten, Äquator und Ekliptik in 360 Grade, bediente sich der Tierkreiszeichen, verfolgte die Wandelsterne und sammelte zahlreiche Sternbeobachtungen, besonders seit der Regierung Nabo- nassars (747 — 734), die später die Astronomen Alexandriens be- nutzt haben, so daß sie uns noch heute im Almagest^) begegnen. Was vor dem chaldäischen Zeitalter an astronomischen Kennt- nissen bestand, verdient nicht den Namen einer wissenschaftlichen Sternkunde. Daraus, daß man auf alten steinernen Urkunden mit- unter ein Sternbild mit _______^____^___________^^, dem Bildnis einer Gottheit ►►-4 P'7P^ ^ JT t£ M^ -^W^ vereinigt findet, darf man keine allzuweit gehenden Schlüsse ziehend). ^ >\^ *^ H m ^^ ^^4^ Es kann nicht wun- ►M T»»»» dernehmen, daß uns unter T i 1 • 1 -ni Abb. 3. Keilschriftprobe. den astrologischen -fla- , , , , Dilbat ina sensi adi Istar kakkabi netenbeobachtungen am -p..,, , . .... ^.,. ... ° . Dllbat ma anbi i3uit iJi häufigsten solche über die t% ttu ^ i * ^ ° Die Übersetzung lautet: Venus begegnen. Ist sie ^.^ ^^^^^^^^ ^^. ^^i^,^,^^,, gönne ist die doch, von Mond und Sonne Istar unter den Sternen, abgesehen, das einzige Ge- Die Delephat bei untergehender Sonne ist die Stirn, das mitunter am Beltis unter den Göttern. Tage, selbst um Mittag, Dies bedeutet, daß die Delephat, d.i. die Venus, wahrgenommen wird. Die ^'« Morgenstern der Stern der Istar-Astarte und . ... als Abendstern der Stern der Beltis-Baaltis ist. Annäherung der Venus (III. Rawlinson 53, 36. 37.) an den Jupiter, den Mars und den Saturn, ihr Eintritt in den Hof des Mondes, ihr Ver- schwinden und ihre Wiederkehr galten als bedeutungsvolle Er- eignisse. Daß die Venus als Abend- und als Morgenstern dasselbe Gestirn ist, wußten die Babylonier schon in der älteren Periode ihrer Astronomie, d. h. um 2000 v. Chr. (S. Abb. 3.) An Fixsternen und Sternbildern zählen die Texte nach den bisherigen Feststellungen etwa 200 auf. Darunter begegnen uns schon früh als wichtigste gewisse Tierkreisbilder (Stier, Löwe, Zwillinge;. Die Zuweisung von zwölf Tierkreisbildern an eben- 1) E. Meyer, Geschichte des Altertums. Bd. III. 1901. S. 132. 2) Arabischer Name des astronomischen Hauptwerkes von Ptolemäos. 3) E. Meyer, Geschichte des Altertums. Bd. I. S. 527. 26 Astronomische Urkunden. soviel Regionen der Ekliptik findet sich indessen erst in späteren rein astronomischen Texten i). Neben den Keilschrifttafeln (s. Abb. 4) sind auch die Dar- stellungen, die sich auf Grenzsteinen, Eeliefs und Grabdenkmälern 2) finden, zu erwähnen, Sie gehen bis ins 14. Jahrhundert zurück. Der hier wiedergegebene Grenzstein umfaßt 16 Symbole. Auf der dargestellten Seite befinden sich zu oberst die Venus, dann die Mondsichel und daneben die Sonne. Die linke Seite nimmt eine thronende Gottheit ein, zu deren Füßen ein Hund sitzt. In der Kopfhöhe sehen wir einen Skorpion und darunter in der Höhe der Arme eine Lampe. Regelmäßige Beobachtungen der Bahnen, welche die Planeten am Fixsternhimmel beschreiben, setzen erst um 750 ein. Später werden die fünf Planeten bestimmten Gott- heiten zugeteilt und gelten als „Lenker der Schicksale". Seitdem ist die Sternbeob- achtung von Astrologie und Fatalismus beherrscht und allein diese Periode ist es, von der die alten Schriftsteller Herodot (um 450 V. Chr.), Diodor (um 45 v. Chr.), Plinius (70 n. Chr.) berichten 3). Seit der Erschließung der Keilschrift- funde (die erste Übersetzung von Keil- schrifttafeln astronomischen Inhalts er- schien im Jahre 1874) wurde nachgewiesen, daß manche Namen von Sternbildern, in der ihnen von den Griechen und uns bei- gelegten Bedeutung, schon bei den Baby- loniern vorkamen. In Mesopotamien aufgefundene Grenzsteine besitzen sogar graphische Darstellungen der Tierkreiszeichen, deren wir uns noch jetzt in Sternatlanten bedienen*). Wie es noch heute geschieht, teilten die Chaldäer den Tierkreis in 12 Stern- bilder ein. Unter diesen begegnen uns die Wage, der Widder, Abb. 4. Babylonischer Grenzstein. 1) C. Bezold, Die Astrologie der Babylonier in Bolls Sternglaube und Sterndeutung. B. G. Teubner, Leipzig. 1918. S. 9. 2j So erscheinen die Plejaden in der Siebenzahl auf der Stele (Grab- s'äule) eines Königs des 7. vorchristlichen Jahrhunderts. 3) E. Meyer, Geschichte des Altertums. I (2). S. 369. 4/ Ginzel, Die astronomischen Kenntnisse der Babylonier. Die Einteilung des Tierkreises. 27 der Stier, die Zwillinge, der Skorpion und der Schütze, die wir noch besitzen. Die übrigen Bilder haben sich geändert. Yon Babylon hat sich die Zwölfteilung der Sonnenbahn dann nach Ägypten und nach Griechenland ausgebreitet. So wurde im An- fange des 19. Jahrhunderts in Dendera (Oberägypten) an der Abb. 5. Der Tierkreis von Dendera. Wi = Widder; Str = Stier; Z = Zwillinge; K = Krebs; L = Löwe; J = Jungfrau; 'W = Wage; Sk =: Skorpion ; Seh = Schütze; St = Stein- bock ; Wt = Wasserträger; P = Fische. Decke eines Tempels eine Darstellung des Tierkreises aufgefun- den, die in Paris aufbewahrt wird. Die Tierkreiszeichen sind hier •den ägyptischen Bildern eingefügt (Abb. 5). Man schrieb diesem Dokumente anfangs ein sehr hohes Alter zu. Doch gilt es heute als ausgemacht, daß der Tierkreis von Dendera aus der Zeit der Römerherrschaft stammt. Man nimmt ferner an, daß die Griechen ihre Zeichen von den Chaldäern übernahmen und daß die Ägypter 28 Finsternisse und Kometen. die chaldäischen Zeichen mit ihren eigenen Bildern in Verbindung setzten. Für die astrologische Richtung*) der ältesten Astronomie spricht ein chaldäisches Literaturdenkmal, das etwa zu der- selben Zeit entstanden ist, als in Ägypten das älteste auf uns gelangte mathematische Lehrbuch geschrieben wurde (um 1700 V. Chr.). Es handelt sich um einen mit astrologischen Prophe- zeiungen versehenen Vorbedeutungskalender, den die moderne Orient- forschung entziffert hat 2). Dieser Kalender enthält Voraussagen von Finsternissen nebst Andeutungen, welche Ereignisse die Folge jener Finsternisse sein würden. Li besonders hohem Grade werden ungewöhnliche, die Mensch- heit in abergläubische Furcht versetzende Himmelserscheinungen, wie Finsternisse und Kometen, die Aufmerksamkeit auf die Sternen- welt gerichtet haben. Bezüglich der Finsternisse und der Kometen wurden auch zuerst Aufzeichnungen gemacht. Sie reichen bei den Chinesen, den Ägyptern und den Chaldäern Jahrtausende vor den Beginn unserer Zeitrechnung zurück. Welcher Zeitraum mag verflossen sein, bis die Chaldäer endlich die Regel erkannten, daß die "Wiederkehr der Finsternisse innerhalb 6585 Tagen erfolgt. Für das hohe Alter der orientalischen Astronomie spricht auch die Erzählung, daß Aristoteles 3) die Begleiter Alexanders des Großen bat, in Babylon nach den alten astronomischen Beobach- tungen der Chaldäer zu forschen. Daraufhin sollen denn auch Ziegel nach Griechenland gelangt sein, auf welchen Nachrichten über 2000 Jahre vor Alexander zurückreichende Beobachtungen eingegraben waren ^). Die chinesischen Nachrichten über Kometen reichen wahrscheinlich ebensoweit zurück. Und die astronomi- schen Jahrbücher der Ägypter endlich berichten von nicht weniger als 373 Sonnen- und 832 Mondfinsternissen, die vor Beginn der alexandrinischen Periode beobachtet wurden^). Die Dauer eines Umlaufs der Sonne wurde in Ägypten wie in Babylon anfangs zu 12 Monaten, jeder zu 30 Tagen, also zu 1) Eine ausführliche Abhandlung von Rieß über die Astrologie im Alter- tum enthält Paulys Reallexik, d. klass. Altert. Bd. 11 (1896]. .S. 1802. 2) A. H. Sayce, The astronomy and astrology of the Babylonians with translations. London 1874. Siehe auch Cantor I. S. 38 (3. Aufl. 1907). 3j Nach Simplicius, Kommentar zu Aristoteles „De coelo". *) Wolf, Geschichte der Astronomie. S. 10. 5) H. Suter, Die Geschichte der mathematischen "Wissenschaften. Zürich 1873. S. 18. Die Einrichtung des Schaltjahres. 29 360 Tagen gerechnet. Jeder Monat zerfiel in 3 Dekaden, das Jahr somit in 36 Dekaden, denen 36 hervorragende Einzelsterne und Sternbilder zugeteilt waren. Die Abweichung eines Zeitraums von nur 360 Tagen von dem tropischen, auf 3651/4 Tagen sich belaufenden Jahre war jedoch so groß, daß sie schon in der ältesten Zeit auffallen mußte. Man schaltete daher nach jedem Jahre 5 Tage ein, die man „die übrigen Tage" nannte. Diese Änderung der Zeitrechnung erfolgte jedenfalls schon während des alten Reiches, ja sie wird von den Ägyptern selbst in die Zeit vor Mena zurückverlegt. Aber auch nach dieser Einrichtung be- merkten die Ägypter nach längerer Zeit, daß das Jahr zu kurz bemessen sei und infolgedessen eine Verschiebung der Feste ein- trat. Diese Beobachtung führte dann zu einer 238 v. Chr. in Kraft tretenden Anordnung i), nach welcher jedes vierte Jahr zu 366 Tagen gerechnet werden sollte, „damit es nicht vorkommt, daß einige der öffentlichen Feste, die man im Winter begeht, der- einst im Sommer gefeiert werden". Die Ägypter sind also dasjenige Volk, denen wir die Ein- richtung des Schaltjahres verdanken. Die astronomischen Ratgeber, welche Cäsar bei seiner Kalenderverbesserung vom Jahre 46 v. Chr. zu Rate zog, kannten nämlich die in Ägypten getroffene Einrich- tung. Dieser Umstand schmälert jedoch keineswegs das Verdienst Cäsars ; ihm verdankt das Abendland die bis ins 16. Jahrhundert dauernde Feststellung seiner Zeitrechnung, die so sehr in Unord- nung geraten war, daß im Jahre 46 v. Chr. nicht weniger als 85 fehlende Tage eingeschaltet werden mußten. Bis in das 19. Jahrhundert beschränkte sich unser Wissen von der Astronomie des Altertums im wesentlichen auf dasjenige, was uns die Griechen davon übermittelten. Einen weit tieferen Einblick in die Entstehung der Astronomie hat uns die Entziffe- rung der Keilschriftfunde gebracht, in denen die Chaldäer ihre astronomischen Kenntnisse niedergelegt haben 2). Heute gilt als 1) R. Lepsius, Das bilingue Dekret von Kanopus. Berlin 1866. Die betreßende Inschrift wurde von Lepsius im Jahre 1866 in Unterägypten gefunden. 2j Die aus dem Altertum auf uns überkommenen Nachrichten über die Astronomie der Babylonier hat Ideler zusammengestellt: Über die Stern- kunde der Chaldäer (Abhandlungen der Berliner Akademie d. Wissensch. v. 1814/15;. Die in Idelers Schrift zusammengestellten und erläuterten Fragmente waren bis zur Entziflerung der Keilschriftfunde, also bis 1870 etwa, die wich- tigste Quelle für die Geschichte der babylonischen Astronomie. 30 Planetenbeobachtungen. sicher, daß die Babylonier den Äquator und die Ekliptik, die meisten Sternbilder des Tierkreises und der übrigen Regionen des Himmels, sowie die Wandelsterne festgestellt hatten und daß sie die Sterne systematisch beobachteten, lange bevor die Griechen dazu übergegangen waren ^). Zuerst wurde von der Keilschriftforschung Capella (ein Fix- stern erster Größe im Fuhrmann) aus Abbildungen identifiziert. Dann geschah dasselbe für zahlreiche Sterne der Ekliptik. Sehr alt sind nicht nur die Tierkreiszeichen, die man auf Grenzsteinen aus dem 12. Jahrb. v. Chr. auffand, sondern auch die Einführung der etwa 30 Planeten- und Mondstationen, deren Gebrauch von Babylon wahrscheinlich nach Indien und nach China gewan- dert ist 2). Ferner begegnen uns schon in sehr alten Keilschrifttexten Namen für die Planeten. Sie sind mit bestimmten Gottheiten in Verbindung gesetzt, so Venus mit Istar (Astarte ?), Mars mit dem Kriegsgott. Letztere Zuweisung begegnet uns bekanntlich fast immer wieder und ist aus der rötlichen Farbe des Gestirns er- klärlich. Die Planeten beobachtungen der Babylonier beschränken sich im wesentlichen auf die Angabe der Stellung zu den Sternbildern, der Oppositionen und der Kehrpunkte, sowie der heliakischen Auf- und Untergänge. Ein Beispiel 3) ist folgendes: „Im 7. Jahre des Kambyses, am 22. Abu des Jahres 523 v. Chr. befand sich Jupiter im ersten Teile von Siru (der Jungfrau) im heliakischen Untergange. " Die Finsternisse und die Kometen wurden frühzeitig als Vor- bedeutungszeichen von ganz besonderer Wichtigkeit betrachtet und aus diesem Grunde mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Es finden sich auch Berichte über die Stellung, die bestimmte Planeten während einer Finsternis einnahmen. Solche, aus astrologischem Interesse unternommenen Auf Zeichnungen gehen außerordentlich weit zurück. Aus ihnen entwickelte sich ein regelmäßiger Beobachtungs- dienst 4), der bis ins 8. Jahrhundert v. Chr. zurückreicht und sich 1) F, Boll, Astronomische Beobachtungen im Altertum. Neue Jahr- bücher f. d. klass. Altert. 1917. S. 17. 2) Siehe Ginzel, „Die astronomischen Kenntnisse der Babylonier und ihre kulturhistorische Bedeutung"; in den Beiträgen zur alten Geschichte (Klio). 1 Bd. (1901). 3) Nach Ginzel a. a. 0. S. 191. 4j Siehe Ginzel a. a. 0. (Klio). Genauigkeit der Messungen. 31 nach der Regierungszeit Sardanapals, während des neubabylonisch- chaldäischen Reiches, wie die jüngsten Aufschlüsse i) ergeben haben, zu hoher Blüte entfaltete. Das erwähnte, der Bibliothek Sardanapals entstammende astrologische Werk enthält 2) Listen von Fixsternen, Angaben über Planeten, Kometen, Meteore, Verfinsterungen usw. Doch scheint weniger Wert auf die Tatsachen als auf die ihnen zugeschriebene Bedeutung gelegt zu sein 3). Seit 700 v. Chr. zeigt sich aber deut- lich das Bestreben, die Bewegungen der Himmelskörper mit mög- lichster Genauigkeit räumlich und zeitlich zu verfolgen. Die Winkel werden bis auf 6 Minuten, der Zeitablauf bis auf 3/4 Minuten richtig bestimmt*]. Die Zeitunterschiede zwischen Sonnenuntergang und Mondaufgang wurden so genau ermittelt, daß die erhaltenen Angaben noch für die heutige Astronomie von Wert sind. Nach Kugler, der sich um die Entzifferung der astronomischen Keil- schrifttexte das größte Verdienst erworben hat, war es mit Hilfe dieser Texte möglich, einen Fehler aufzudecken, den die heutigen Berechnungen der Mondbewegung aufwiesen. Wie weit sich die Genauigkeit einer Bestimmung durch die, über lange Zeiträume fortgesetzte Beobachtung einer periodischen Bewegung steigern läßt, zeigt folgendes Beispiel. Die Babylonier ermittelten, daß der Mond in 669 Monaten 723 32/360 Umläufe am Fixsternhimmel zurücklegt 5]. Daraus ergibt sich für die mittlere Dauer des syno- dischen Monats ein Wert von 29'^ 12'' 44' 7,5". Die heutige Astro- nomie berechnet den mittleren synodischen Monat zu 29** 12^44' 2,9". Die Abweichung beträgt also nur wenige Sekunden. Die mittlere tägliche Bewegung des Mondes, d. h. den Bogen, den dieses Gestirn durchschnittlich in 24 Stunden durchläuft, be- stimmten die Babylonier G) zu 13" 10' 35". 1) „Was auf diesem Gebiete die Assyriologie geleistet, gehört zu den erstaunlichsten Ergebnissen der Altertumsforschung und bildet einen der größten Triumphe der Keilschriftenentziflerung" iBezold, Ninive und Babylon 1903. S. 89j. Unter den Männern, welche die Astronomie und die Keilschriften- kunde in einer Person vereinigen, ist besonders F. X. Kugler zu nennen. 2) Nach Kugler. 3j F. X. Kugler, Sternkunde und Sterndienst in Babel. Münster 1907. 4) Nach Ginzel, Die astronomischen Kenntnisse der Babylonier. 5) Ginzel, Die astronomischen Kenntnisse der Babylonier. 6) Wie Geminos mitteilt. Wann Geminoa lebte, ist nicht genau be- kannt (100 V.— 100 n. Chr.). Er stammte aus Rhodos und schrieb eine Ein- führung in die Astronomie {elaaywyr, eh' rtc rptarö/ncrft). Eine Ausgabe mit deutscher Übersetzung veröffentlichte K. Maniiius. Leipzig 1898. 32 Nachrichten über die Chaldäer. Mit gleicher Sorgfalt wurden die Bewegungen der Planeten verfolgt. Sie galten den Babyloniern gleich Mond und Sonne als göttliche Wesen und ihre Wanderung durch die Sternbilder des Tierkreises, den die Babylonier als das „himmlische Erdreich" be- zeichneten, war ihrer Ansicht nach für die Geschichte der Erd- bewohner von ausschlaggebender Bedeutung'). Diesen mythologi- schen Grundzug der babylonischen Sternkunde hat schon Diodor dargestellt. Er schreibt darüber; „Die Chaldäer 2) behaupten, die Welt sei ihrem Wesen nach ewig, sie habe nie einen Anfang genommen und könne auch niemals untergehen; aber durch eine göttliche Vorsehung sei das All ge- ordnet und ausgebildet worden, und noch seien alle Veränderungen am Himmel nicht Wirkungen des Zufalls, auch nicht innerer Ge- setze, sondern einer bestimmten und unwandelbar gültigen Ent- scheidung der Götter. Über die Gestirne haben die Chaldäer seit langer Zeit Beobachtungen angestellt, und niemand hat genauer als sie die Bewegungen und die Kräfte der einzelnen Sterne erforscht. Daher wissen sie auch so vieles von der Zukunft den Leuten vor- herzusagen. Am wichtigsten ist ihnen die Untersuchung über die Bewegungen der fünf Sterne, die man Planeten heißt. Sie nennen sie: , Verkündiger'. Dem, der bei uns Saturn heißt, geben sie als dem ausgezeichnetsten, dem sie die meisten und die bedeu- tendsten Weissagungen verdanken, den Namen , Sonnenstern*. Die vier andern aber haben bei ihnen dieselben Benennungen, wie bei unseren Sternkundigen: Mars, Venus, Merkur und Jupiter. Ver- kündiger nennen sie die Planeten deswegen, weil sie, während die anderen Sterne von ihrer ordentlichen Bahn nie abirren, allein ihre eigenen Bahnen gehen und eben damit die Zukunft andeuten und den Menschen die Gnade der Götter kund machen. Vor- bedeutungen, sagen sie, könne man teils an dem Aufgang, teils an dem Untergang der Planeten erkennen, manchmal auch an ihrer Farbe, wenn man aufmerksam darauf achte. Bald seien es heftige Stürme, die sie anzeigen, bald ungewöhnlich nasse oder trockene 1) Wie die Bewegung der Gestirne, so galt auch das Verhalten gewisser Tiere als Omen. In Babylon hat, nach dem Inhalt mancher Keilschrifttexte zu urteilen, der Skorpion in dieser Hinsicht eine Rolle gespielt, wie sie heute beim Volke noch der Spinne zugeschrieben wird. Aus dem Verhalten der Skorpione suchte man z. B. das Schicksal der Heere oder den Verlauf öffent- licher Angelegenheiten vorherzusagen. (Mitteilungen zur Gesch. d. Medizin und der Naturwissensch. 1906. S. 326.) 2j Siehe Diodors von Sizüien historische Bibliothek, übersetzt von J. F. Wurm. Stuttgart 1827. Buch II. Kap. 30. Nachrichten über die Chaldäer. 33 Witterung, zuweilen Erscheinungen von Kometen, Sonnen- und Mondfinsternissen, überhaupt Veränderungen jeder Art im Luft- raum, welche Nutzen oder Schaden bringen für ganze Völker und Länder nicht nur, sondern auch für Könige und gemeine Leute. Dem Laufe der Planeten seien Sterne untergeordnet, welche ,be- ratende Götter' heißen. Die eine Hälfte dieser Sterne führe die Aufsicht in dem Raum über der Erde, die andere unter der Erde. So überschauten sie, was unter den Menschen und was am Himmel vorgehe. Je nach 10 Tagen werde von den oberen zu den unteren einer der Sterne als Bote gesandt und ebenso wiederum einer von den unteren zu den oberen. Die Bewegung der untergeordneten Sterne sei fest bestimmt und gehe regelmäßig fort im ewigen Kreislauf. ,Fürsten der Götter' gebe es zwölf, und jedem von ihnen gehöre ein Monat und eines der zwölf Zeichen des Tier- kreises zu, durch welche die Bahn der Sonne, des Mondes und der fünf Planeten gehe. Dort vollende auch die Sonne ihren Kreis in einem Jahre, und der Mond durchlaufe dort seinen Weg in einem Monat. " Die chaldäischen Priester haben ihre astrologische Tätigkeit auch nach dem Beginn der Perserherrschaft eifrig fortgesetzt. Ahnlich wie die Mönche der späteren Zeit erblickten sie ihre Hauptaufgabe darin, daß sie das vorhandene Wissen durch Ab- schriften erhielten. Ihr Ansehen beruhte vor allem darauf, daß sie aus den Sternen Menschen- und Völkerschicksal verkündeten. Zu diesem Zwecke unterhielten sie in Verbindung mit den Tempeln Observatorien und an diesen wieder Schulen. Ihre Beobachtungen leiteten zu gewissen Zahlen, nach denen sie Finsternisse und Stern- konjunktionen berechneten. Solche Berechnungen sind noch auf Tontafeln erhalten, z. B. diejenige über die Mondfinsternis vom 16. Juli 523, die in den Almagest übergegangen ist. Nach der herrschenden Anschauung sollten sich die Götter in den Gestirnen, besonders in den Planeten verkörpern und letztere die irdischen Vorgänge bestimmen. Es galt daher, für jede wichtige Handlung den richtigen Zeitpunkt zu bestimmen und ungünstige Konstel- lationen zu vermeiden. Eine Priesterschaft, die es wie die chal- däische verstand, diesen Glauben zu nähren, besaß dadurch Macht und Ansehen, sowie die Möglichkeit, sich reiche Mittel zu er- werben '). ij Eingehender handelt von der kulturgeschichtlichen Bedeutung der babylonischen und der ägyptischen Priesterschaft E. Meyer im 1. Bande (1,2) seiner Geschichte des Altertums. Danncmann, Die Natiirwissenscliafteu. I. Bd. 3. Aufl. 3 34 Umlaufszeiten der Planeten. Bei den Planeten achteten die Chaldäer vor allem auf die gegenseitige Stellung, ihre Entfernung von Mond und Sonne, den Wechsel der Bewegungsrichtung und ihren Kehrpunkt. Man kann sich leicht vorstellen, mit welcher Spannung die alten Astro- nomen z. B. das Verschwinden der Venus in den Strahlen der Abendsonne (den heliakischen Untergang des Planeten) und ihr Wiederauftauchen kurz vor Sonnenaufgang (den heliakischen Auf- gang der Venus) verfolgten. Die Beobachtungen der heliakischen Auf- und Untergänge bildeten das Fundament der Planetenkunde \\ Die Umlaufszeit eines Planeten ist bekanntlich diejenige Zeit, nach welcher der Planet, von der Sonne gesehen, wieder bei demselben Fixstern angelangt ist. Nun läßt sich wohl der geozentrische Ort des Planeten direkt beobachten, nicht aber der heliozentrische. Dagegen war man in der Lage, durch die Beobachtung der heliakischen Auf- und Unter- gänge wenigstens annähernd die Zeit zu bestimmen, die zwischen zwei Konjunktionen des Planeten mit der Sonne verläuft, d. h. die synodische Umlaufszeit zu ermitteln. Ließen sich die Konjunk- tionen selbst auch nicht beobachten, so nahmen die Planeten doch während der heliakischen Auf- oder Untergänge dieselbe relative Stellung zur Sonne ein. Um die Wanderung eines Planeten durch die Tierkreisbilder zu verfolgen, ist kein Gestirn geeigneter als Jupiter. Sein Durch- gang zwischen den Hyaden und den Plejaden z. B. ist ein astro- nomisches Schauspiel, das sich den ältesten Beobachtern des Himmels einprägen mußte. Daß sich der Vorgang nach etwa 12 und beim Saturn nach etwa 30 Jahren wiederholt, mußte früh- zeitig auffallen. Während für diese beiden, von Sonne und Erde weit entfernten und außerhalb der Erdbahn befindlichen äußeren Planeten die Umlaufsbewegung, vom geozentrischen und vom helio- zentrischen Standpunkte gesehen, sich annähernd decken, waren die Erscheinungen für Mars, Venus und Merkur ihrer Nähe wegen bedeutend verwickelter. Doch ergaben die beiden scheinbaren Stillstände, die Opposition des Mars und das Verschwinden in den Sonnenstrahlen auch für diese Planeten eine Periode von steter Wiederkehr und bestimmter Dauer. 1) Nach Kugler, Sternkunde und Sterndienst in Babel. Assyriologische, astronomische und astralmythologische Untersuchungen. I. Buch: Entwick- lung der babylonischen Planetenkunde von ihren Anfängen bis auf Christus. Münster 1907. S. 41. Die Mondbewegung. 35 Zur Seleucidenzeit gelangte man sogar zu Planeten-Epheme- riden. Für Saturn z. B. wurde eine Periode von 59 Jahren, für Venus eine solche von 8 Jahren ermittelt. Der Fehler in der ersteren belief sich auf etwa einen halben Grad. Die aus den Ephemeriden berechnete Bewegung der Venus wich von der beob- achteten sogar nur um 5 Minuten ab^). Venus galt mit Mond und Sonne als die Beherrscherin des Tierkreises. Die Symbole dieser Dreieinigkeit erscheinen seit dem 14. Jahrhundert auf den Spitzen der Grenzsteine (s. Abb. 4 auf S. 26)2). Diese Bedeutung der Venus erklärt sich daraus, daß sie alle übrigen Planeten an Glanz weit übertrifft. Beeinflußt durch chal- däische Weisheit nennt daher Plinius die Venus Nebenbuhlerin von Sonne und Mond^ denn sie verbreite ein so helles Licht, daß es Schatten werfe. Mit gleicher Sorgfalt Avie die Bewegung der Sonne haben die Babyloilier auch die Mondbewegung verfolgt. Welch langer Zeit- raum mag dazu gehört haben, bis ihre Aufzeichnungen jene Periode von 223 synodischen Monaten erkennen ließen, innerhalb deren der Mond bezüglich seiner Knoten und seiner Entfernung von der Erde fast zur selben Stellung zurückkehrt. Jene Periode von 18 Jahren und 11 Tagen bezeichneten die babylonischen Astronomen als Saros. Die Kenntnis dieser Periode ermöglichte ihnen die Voraussage von Finsternissen. Auch Ptolemäos handelt in seinem Almagest, dem bedeutendsten astronomischen Lehrbuch des Altertums, von dem wir später noch ausführlich handeln werden, von mehreren Mondfinsternissen, welche die Chaldäer auf- zeichneten. Die älteste chaldäische Beobachtung einer Mondfinster- nis, die Ptolemäos verwertete, datiert vom Jahre 721 v. Chr. Daß Ptolemäos nicht auf noch ältere, zweifellos vorhandene chal- däische Daten zurückgriff, ist wohl daraus erklärlich, daß er den älteren Angaben keine hinreichende Genauigkeit zuschrieb 3). Die letzten chaldäischen Beobachtungen, die Ptolemäos erwähnt, ge- hören der Zeit um 240 v. Chr. an. Sie beziehen sich auf Ver- gleichungen von Merkur und Saturn in ihrer Stellung zu den Fixsternen. Um die erwähnte Zeit hatte indessen schon eine gegen- seitige Durchdringung chaldäischer und griechischer Gelehrsamkeit stattgefunden. Schrieb doch schon um 280 v. Chr. der Babylonier J) Siehe Kugler, Sternkunde und Sterndienst in Babel. Münster 1907. 2) Kugler, Im Bannkreis Babels. S. 57. 3j Wolff, Geschichte der Astronomie. S. 10. 3* 36 Der Gnomon. Berososi) über die Geschichte seines Volkes ein Werk in griechischer Sprache, von dem leider nur Bruchstücke bei anderen Schriftstellern erhalten sind. Es ist das um so bedauerlicher, als das Werk manche Mitteilung über die Sternkunde der Chaldäer enthielt. Auch die jetzt durch die Keilschriftforschung erwiesene, offenbare Übereinstimmung der biblischen mit der babylonischen Schöpfungsgeschichte geht schon aus dem Bericht des Berosos hervor 2). Von den Chaldäern wanderte auch das älteste astronomische Werkzeug, der Gnomon, nach dem Zeugnisse Herodots nach Griechenland. Wann dies geschah, läßt sich mit Sicherheit nicht feststellen, zumal von alten Schriftstellern verschiedenen Personen (darunter Anaximander um 550 v. Chr.) das Verdienst zuge- schrieben wird, dieses wichtige Werkzeug in Griechenland eingeführt zu haben. Der Standpunkt, den die Astronomie bei den Chaldäern schließ- lich erreicht hatte, läßt sich in der Kürze wie folgt kennzeichnen ^) : Beobachtungen, bei denen die Winkel bis auf 6' und die Zeit bis auf 40" genau bestimmt waren, reichten bis ins 7. Jahrhundert v. Chr. zurück. Der Lauf der Sonne und die ungleiche Länge der Jahres- zeiten waren bekannt. Vielleicht besaß man sogar eine rohe Kenntnis der Präzession der Nachtgleichen •*). Die Länge der 1) Berosos war Priester in Babylon. Er gibt selbst an, daß er unter Alexander, dem Sohne Philipps, gelebt habe. Näheres siehe in Christ, Ge- schichte der griechischen Literatur. 1889. S. 412. 2) K. A. V. Zittel, Geschichte der Geologie u. Paläontologie. 1899. S. 2. Die Aufzeichnungen des Berosos (Christ, a. a. 0.) erregten bei den Juden und den Christen besonderes Interesse durch die mit der Bibel überein- stimmenden, jetzt auch durch Keilschrifttexte bestätigten Mythen von der Sündflut, dem Turmbau zu Babel usw. 3) Nach Ginzel, Das astronomische Wissen der Babylonier. (Klio. 1901.) *) Nach einer von H. "Wmckler aufgestellten, jedoch sehr fragwürdi- gen Ansicht. Nach Win ekler begann das babylonische Jahr mit dem Frühlingsäquinoktium. Nun wandern die Äquinoktialpunkte in 26000 Jahren durch den ganzen Tierkreis. Der Frühlingspunkt verweilt somit in jedem Tierkreisbild etwa 2000 Jahre. In Anbetracht des großen Zeitraums, über den sich die babylonischen Beobachtungen erstreckten, konnte die Wanderung der Äquinoktien den Babyloniern nach Win ekler nicht entgehen. Als ihre Beobachtungen, soweit Urkunden darüber vorliegen, begannen, befand sich der Frühlingspunkt im Stier. Im 8. Jahrhundert v. Chr. war die Frühjahrssonne in den Widder getreten, während sie jetzt schon in den Fischen steht. Damit hängt vielleicht zusammen, daß die Aufzählung der Sternbilder in dem be- kannten Verse: Sunt aries taurus . . . mit dem Widder beginnt. Daß die Namen der Tierkreisbilder zum Teil mit babylonischen Benennungen zu- Chaldäische und griechische Astronomie. 37 Monate hatte man mit einer Genauigkeit ermittelt, welche der von Hipparch erreichten gleichkam. Der Begründung der Trigono- metrie war durch eine Art Sehnenrechnung vorgearbeitet, so daß auch hierin die Chaldäer als die Vorläufer der Alexandriner, ins- besondere des Hipparch, gelten können. Endlich vermochte man mit Hilfe von Ephemeriden den Lauf des Mondes und der Sonne, sowie das Eintreten der Finsternisse mit ziemlicher Sicherheit an- zugeben. Die besonders von Winckler vertretene Annahme von dem hohen Alter der babylonischen Astronomie hat neuerdings Kugler auf das richtige Maß zurückgeführt i). Nach ihm gab es vor dem 8. Jahrhundert noch keine Himmelsbeobachtungen von wissenschaft- licher Genauigkeit. Man kann den Babyloniern daher nach Kugler auch nicht die Entdeckung der Präzession zuschreiben, wie es Winckler (siehe Anm. 4 S. 36) getan hat. Erblicken wir das Ziel der Wissenschaft darin, daß man das Eintreten zukünftiger Erscheinungen mit einem gewissen Grade von Genauigkeit vorherzusagen vermag, so müssen wir zugeben, daß die Babylonier diese Stufe auf dem Gebiete der Astronomie schon erreicht hatten. Allem Anschein nach ruhte das astro- nomische Wissen eines Hipparch und eines Ptolemäos, an / welche im 15. Jahrhundert Regiomon tan und Koppernikus an- I knüpften, in letzter Linie auf den in Babylonien geschaffenen ■ Grundlagen der Sternkunde 2). yr:^ Ptolemäos beruft sich 13 mal auf babylonische Beobach- tungen. Sie fallen alle in die Jahre 721 — 229 v. Chr. Die Astro- nomie hat danach wenigstens zum Teil ihren Weg nach Griechenland über Ägypten genommen 3). Auch ihre astronomischen Hilfsmittel verdankten die Griechen zum Teil den Babyloniern, wie sie auch die Ekliptiksternbilder, die Einteilung der Ekliptik in 360 Grade und anderes mehr übernahmen. Durch die Babylonier sind sie ferner mit der Sarosperiode (s. S. 35), sowie mit der mittleren täghchen Geschwindigkeit des Mondes (13° 10' 36") bekannt geworden. \ sammenfallen, weist darauf hin, daß sie, wenn auch auf Umwegen, von den Babyloniern auf uns gelangt sind. (S. auchBezold, Ninive u. Babylon. 1903.) 1) F. H. Kugler, Im Bannkreis Babels. Münster 1910. 2) Ginzel, Das astronomische AVjssen der Babylonier (Klio. 1901. S. 209). 3) Dies entspricht auch einer Angabe des Joseph us (Antiquit. I, 8). Siehe auch Kufjler a. a. 0. S. 117. 38 Maße und Gewichte. Die ersten Maße und Gewichte. Über die von den alten Völkern gebrauchten Maße und Ge- wichte hat schon vor 80 Jahren Boeckh, den man als den Begründer der vergleichenden Metrologie zu betrachten hat, eingehende Unter- suchungen angestellt^). Boeckh kam zu dem Ergebnis, daß die meisten antiken Systeme von den Babyloniern herstammen, daß sich bei dieser Entwicklung indessen auch in einem nicht geringen Grade ägyptischer Einfluß geltend macht. Diese Auffassung hat denn auch die neuere archäologische Forschung bestätigt und wesentlich vertieft 2), Die Babylonier fanden nicht nur die Mittel zur Zeitmessung und ein Zeitmaß, das sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat, sondern sie schufen, wie neuere archäologische Forschungen dar- getan, auch ein Maß- und Gewichtssystem, das für das Altertum grundlegend wurde. Die Einheit für die Längenmessung, die Doppelelle, war 992 1/3 mm lang. Dies Maß ist neuerdings auf Statuen bei Aus- grabungen entdeckt worden. Daß die babylonische Doppelelle und das Sekundenpendel fast übereinstimmen ^j, ist wohl als Zufall auf- zufassen. Dagegen hat man angenommen, daß die Gewichtseinheit, die Mine, wie das heutige Kilogramm nach einem bestimmten Grundsatz aus der Längeneinheit abgeleitet worden sei^j. "Wird die Doppelelle nämlich in 10 Teile zerlegt und dieses Zehntel als Kantenlänge für einen Würfel gewählt, den man mit Wasser füllt, so kommt das Gewicht dieser Wassermasse einem Kilogramm sehr nahe, da ja die Doppelelle nur wenig von dem Meter abwich. Das Gewicht dieser Wassermasse stimmt mit der Mine (984 g) nahezu überein. Die Hälfte dieses Gewichtes, die leichte Mine von 492 g, war während des ganzen Altertums ge- bräuchlich ^j. 1) A. Boeckh, Metrologische Untersuchungen über Gewichte, Münzfüße und Maße des Altertums in ihrem Zusammenhange. Berlin 1838. 2) Siehe den Artikel „Gewichte" von Lehmann- Haupt in Paulys Real- lexikon der klass. Altertumskunde. Supplement -Bd. III. (1918. S. 588—654. 3) Lehmann ist geneigt, hier eine absichtliche Verknüpfung anzunehmen. Beiträge zur alten Geschichte. Bd. I. (1902.) S. 355. 4j C. F. Lehmann, Über die Beziehungen zwischen Zeit- und Raum- messung im babylonischen Sexagesimalsystem (Klio. Bd. I. S. 381 u. f.). 5) Von anderer Zeit wird bestritten, daß die alten Babylonier schon das Gewicht aus dem Längenmaß abgeleitet hätten und auf das Bedenkliche der- artiger Spekulationen, wie sie Lehmann und besonders Winckler (s. S. 36) Maße und Gewichte. 39 Mit der Anwendung des Heilmitteln usw. waren schon Die Ausgrabungen in Meso- potamien haben zahlreiche, mitunter sehr handlich ge- staltete (s. Abb. 6) Gewichts- stücke zutage gefördert. In Ägypten hat man nicht nur solche bis herab zu Stücken, die wenige Gramm anzeigen, sondern auch zahlreiche Ab- bildungen von Wagen (siehe Abb. 7) gefunden. Die ägypti- schen Wagen waren sämtlich des Gestelles befand sich ein Hebels zum Abwägen von Waren, die ältesten Kulturvölker vertraut. Abb. 6. Altbabylonisches Gewichtsstück. Nach Layard. zweiarmig. An dem oberen Teile Lot, um die richtige Einstellung der Abb. 7. Wage, einem altägyptischen Totenbuche entnommen. Wage zu kontrollieren. Die Ägypter müssen es verstanden haben, schon ziemlich empfindliche Wagen herzustellen. Aus den Rezepten anstellten, hingewiesen. Siehe u. a. E. Meyer, Geschichte d. Altertums. 1909. S. 618. Die Anfänge der Metallurgie. des Papyrus Ebers geht nämlich hervor, daß man als kleinstes Gewichtsstück ein solches benutzte, das nur 0,71 g wogi). Nach den bisher gewonnenen archäologischen Aufschlüssen haben sich die Ägypter der ungleicharmigen Wage noch nicht be- dient. Daß die Ägypter aber mit der Wirkung des ungleicharmigen Hebels schon in grauer Vorzeit bekannt waren, beweisen die Wand- gemälde Thebens. Die auf dem Prinzip des ungleicharmigen Hebels beruhende Schnellwage begegnet uns zuerst in Italien. Gut erhaltene Exem- plare wurden in Etrurien und in Pompeji ausgegraben'-). Die Anfänge der Metallurgie und anderer chemisch- technischer Gewerbe. Nicht nur auf den Gebieten der Mathematik und der Astro- nomie, die wir bisher vorzugsweise gewürdigt haben^ erlangten die Babylonier und die Ägypter im großen und ganzen die gleiche Stufe der Entwicklung, sondern auch im übrigen ist die Höhe des Wissens und der Kultur im allgemeinen bei den beiden ur- alten, unter fast gleichen Bedingungen lebenden und wohl auch stammverwandten Völkern fast dieselbe gewesen. So haben die neueren Forschungen erwiesen, daß die Babylonier wie die Ägypter Eisen herstellten und verarbeiteten. Schon Lepsius hat darauf aufmerksam gemacht 3), daß auf den, auch in den Farben so wohl- erhaltenen, ägyptischen Wandbildern der Kriegshelm blau gemalt ist. Im Grabe Rhamses des Dritten sind auch die Schwerter blau gemalt. In beiden Fällen kann es sich wohl nur um die Wieder- gabe eiserner Waffen handeln. Gemalte Holzlanzen der ägyp- tischen Gräber tragen rote und blaue Spitzen. Wir erkennen daraus, daß neben Eisen auch Kupfer zur Herstellung von Waffen gebraucht wurde. Um den Granit in solch vollkommener Weise 1) Das Medizinalgewicht , das der Verfasser des Papyrus Ebers seinen Rezepten als Einheit zugrunde legt, betrug nach F. Hultsch (Griech. u. röm. Metr. 1882, S. 374 u. 376) ungefähr 6 g und das kleinste Gewicht namens pekO,71 g. Vgl. R. Lepsius, Abhandl. d. Berliner Akademie, 1871. S. 41— 43 und F. Chabas, Recherches sur les poids, mesures et monnaies des anc. Egypt. Paris 1876. S. 21, 38. 2; Näheres über die Geschichte der "Wage, der Gewichte und des Wagens enthält die Schrift: Th. Ibel, Die Wage im Altertum und Mittelalter. Er- langen 1908, 3) Lepsius, Die Metalle in den ägyptischen Inschriften. Abhandl. d. Akademie d. Wissensch. zu Berlin. 1871. S. 111. Die Gewinnung des Eisens. 41 zu bearbeiten, wie es ihre Sarkophage und Obelisken zeigen, mußten die Ägypter wohl auch schon mit dem Härten des Eisens vertraut sein^). Neuerdings haben sowohl die ägyptischen als auch die baby- lonischen Ausgrabungen zahlreiche Beweisstücke für eine frühe Be- kanntschaft mit dem Eisen zutage gefördert. Immerhin ist nach Ansicht der meisten Agyptologen das Eisen im alten ägyptischen Reich noch sehr wenig in Gebrauch gewesen. Als älteste Spur dieses Metalls gilt ein in dem Mauerwerk der um 2500 errichteten Cheops-Pyramide gefundenes Eisenstück. Ahnliche Funde liegen aus anderen fast ebenso alten Pyramiden vor (E. V. Lippmann, Alchemie, 1919, S. 610j. Abb. 8. Gewinnung von Eisen nach altägyptischen Wandgemälden. Sicher ist die Erfindung des Eisens nicht einem bestimmten Volke zuzuschreiben, sondern sie ist zu verschiedenen Zeiten überall dort erfolgt, wo leicht reduzierbare Eisenerze zur Verfügung standen. Das war nicht nur in Ägypten, sondern auch in Indien, Persien, Palästina und anderen Ländern der alten Kulturwelt der Fall. Eisenerz fehlte auch im mittleren und südlichen Afrika nicht, und es ist anzunehmen, dali man auch dort auf eine primitive Art der Eisengewinnung, die man selbst bei den Hottentotten antrifft, ge- kommen ist. Die Frage, ob etwa die Ägypter durch die Nubier oder durch die Bewohner Vorderasiens mit der Eisengewinnung bekannt geworden sind oder ob sie sie selbständig entdeckt haben, wird sich wohl kaum je mit Sicherheit entscheiden lassen trotz aller Kontroversen, die schon über diese Frage geführt wurden. *) A. Rösaing, Geschichte der Metalle. 1901. 42 Kupfer, Zink und Zinn. Die Art, wie die Ägypter Eisen darstellten, ist aus vorstehender Abbildung ersichtlich i). Sie benutzten Blasebälge aus Leder, die mit den Füßen getreten wurden. Ein Arbeiter bediente zwei solcher Säcke, von denen abwechselnd der eine durch den Zug einer Schnur mit Luft gefüllt wurde, während sich der andere unter dem Druck des Fußes entleerte. Die gepreßte Luft gelangte in eine Feuerung, in welcher das Eisenerz unter der reduzierenden Wirkung eines Kohlenfeuers zu Eisen niedergeschmolzen wurde. Den altägyp- tischen ähnliche Blasebälge sind noch heutzutage im Innern Afrikas in Gebrauch. Daß auch die Babylonier Eisen herstellten und ver- arbeiteten, ist nicht nur durch keilschriftliche Aufzeichnungen, son- dern auch durch Funde von Helmen, Panzern und Geräten erwiesen. Noch leichter als das Eisen aus seinen Erzen ließ sich das Kupfer aus Malachit erschmelzen. Zudem besaßen , die alten Ägypter Fundstätten, an welchen dieses Metall vorkam. So betrieb dieses Volk bereits im 5. Jahrtausend v. Chr. auf der Insel Meroe einen umfangreichen Bergbau auf Kupfer 2). Metallisches Zink 3) und reines Zinn waren zwar den beiden ältesten Kulturvölkern nicht bekannt"*), doch verstanden sie es, durch einen Zusatz von Erzen dieser Metalle, insbesondere von Galmei, beim Niederschmelzen der Kupfererze Bronze herzustellen, deren Verwendung zu Waffen, Schmucksachen und Geräten bis in die älteste Zeit hinaufreicht. Oft tragen auch die Bronzegegenstände Spuren einer Bearbeitung mit Stahl ^j. Am frühesten sind Silber 1) A. deRochas. Les origines de la science et ses premieres applications. 2) ßÖ8sing, Geschichte der Metalle. S. 11. 3) Die erste schriftliche Erwähnung findet das Zink bei Paracelsus. Er nannte es ..ein gar fremdes Metall, sonderlich seltsamer als die anderen". 4) Neuerdings hat man Gegenstände aus ziemlich reinem Zinn in spät- ägj'ptischen Gräbern gefunden. Die Römer unterschieden es als Plumbum can- didum von dem Blei, das sie als Plumbum nigrum bezeichneten. 5) Rössing, a. a. 0. S. 3. In manchen untersuchten Bronzen ist das Zinn ganz oder zum Teil durch Antimon ersetzt. Entweder wurde dieses Metall in Form von Antimonerz bei der Verhüttung der Kupfererze zugesetzt oder man war im Altertum schon mit der Gewinnung des metallischen Antimons vertraut. Die letztere Ansicht vertritt Helm. Siehe den Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft 1902. III. S. 26—82. (Stadlers Literaturbericht.) Einen bei den Ausgrabungen in Sakkara zutage geförderten Bronzebarren von der Form, wie ihn die alten Abbildungen zeigen, untersuchte Berthelot (Comptes Rendus 1905. S. 183), Quelques metaux trouves dans les fouilles archeologiques en Egypte. Dieser Barren enthielt 87,50/0 Kupfer und ll,470/o Zinn. Der Rest bestand aus Blei und Patina. Technische Leistungen. 43 und besonders Gold gewonnen und verarbeitet worden, da beide Metalle an vielen Orten gediegen vorkommen und ihres Glanzes und ihrer Beständigkeit wegen geschätzt wurden. Die Ägypter betrieben Goldbergwerke in Nubien. Sie kannten die Kunst des Vergoldens und schmolzen Gold in einem bestimmten Verhältnisse mit Silber zu einer Legierung zusammen. Die Ausbeute Nubiens an Gold soll sich zur Zeit Rhamses des Zweiten auf viele Millionen jährlich beziffert haben. Ein interessantes Schriftdenkmal aus jener Zeit ist ein Gruben- riß, der sich auf einem in Turin bewahrten Papyros aus dem 15. Jahrhundert v. Chr. befindet. Er stellt den Plan eines Tage- baues auf Gold in allen seinen Einzelheiten dar und ist das älteste Dokument dieser Art, das auf uns gekommen isti). Eine aus Kupfer hergestellte Wasserleitung weist ein um 2500 V. Chr. entstandener Tempel auf, der in der Nähe des alten Memphis freigelegt wurde. Die Leitung hatte eine Länge von 400 Metern. Die Röhren bestanden aus getriebenem Kupfer und besaßen etwa 4 cm Durchmesser und 1 mm Wandstärke 2). Die althergebrachte Meinung, daß der Name Kupfer von Cypern stamme, ■wird neuerdings angefochten. Das Kupfer wurde schon im Alter- tum auch in den Alpen und in Skandinavien gewonnen. Sein latei- nischer Name „Cuprum" wurde wahrscheinlich von den Römern den nordischen Völkern entlehnt 3). Ein Beispiel von den Leistungen der alten Völker im Schmieden ist die berühmte Eisensäule in Delhi. Sie wiegt 11000 kg und hat ein Alter von etwa 2000 Jahren 4). Die Säule besteht aus sehr reinem Eisen und ist trotz des feuchten Klimas des Landes kaum verrostet. Die Reisenden des Mittelalters erwähnen sie unter Ausdrücken der größten Bewunderung. Sie ist etwa 71/2 m hoch und besitzt einen Durchmesser von ^/o m. Hand in Hand mit der Gewinnung und der Verarbeitung der Metalle ging die Herstellung von Glas, Email, gefärbten Glaswaren 1) E. Gerland im Archiv f. d. Gesch. d. Naturw. u. d. Technik. 1910. S. 304. 2j Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften. 1909. S. 300. 3) L. Wilser in den Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften. 1907. S. 487. Nach A. Ludwig stammt das Wort aus dem Hebräischen (Zeitschr. f. d. Kunde des Morgenlandes. 1905. Bd. XIX. S. 239—240). *) Rössiiig, Geschichte der Metalle. S. 14, sowie die Abhandlung Eisen und Stahl in Indien von Dr. E. Schnitze im Archiv f. d. Gesch. d. Naturw. •u. d. Technik. 1910. S. 360. 44 Glasbereitung. und von Erzeugnissen der Töpferei. Sowohl in Babylonien als in Ägypten war man mit diesen Gewerben vertraut. Die Glas- flüsse und Emaillen wurden mit Kupferoxyd und mit Kobaltver- bindungen rot und blau gefärbt. Daß man es auch in der Kunst des Schleifens weit gebracht hatte, beweist die Auffindung einer Linse durch Layard^) in den Ruinen Ninives. Diese Linse be- findet sich im Britischen Museum; sie ist 0,2 Zoll dick und besitzt eine Brennweite von 4,2 Zoll. Welchem Zweck sie diente, läßt sich nicht angeben. Die Glasbereitung, deren Erfindung man mit Unrecht den Phöniziern zugeschrieben hat, wurde in Ägypten schon in der ältesten Zeit geübt. Als Materialien wurden Sand, Soda, Muschel- schalen usw. verwendet. Das bekannte Relief von Beni Hassan stellt nicht, wie man früher annahm, Glasbläser, sondern wahrscheinlich Metallarbeiter vor. Das Blasen des Glases kam nämlich erst um den Beginn unserer Zeitrechnung auf. Anfangs wurden die Gläser über einem Tonkern geformt, oder man goß die flüssige Glasmasse in Tonmodelle, die man hin- und her- schwenkte, um dem erkaltenden Glase die gewünschte Form zu geben 2). Eine ausführliche Darstellung über das Glas im Altertum verdankt man A. Kisa (A. Kisa, Das Glas im Altertume. 978 Seiten mit 395 Abbildungen im Text und zahlreichen Tafeln. Leipzig, K. W. Hiersemann 1908). Kisa erwähnt ägyptische Glasfabriken, die zur Zeit Amenophis des Vierten in Teil el Amarna bestanden. Die Ägypter vertrieben ihre Erzeugnisse (z. B. Glasperlen) schon im Massenexport. Von Ägypten aus wurden die Phönizier und die übrigen Mittelmeervölker mit der Bereitung und der künstlerischen Verarbeitung des Glases bekannt. Von sonstigen chemisch-technischen Gewerben wurden nicht nur die Töpferei unter Anwendung von Email, sondern auch die Färberei mit Benutzung des Alauns als Beize ausgeübt. Als Mineralfarben gebrauchte man Zinnober und Eisenoxyd, wie sie die Natur darbietet. Mennige, Bleiweiß und Kienruß wurden künstlich hergestellt. Indem man die in Ägypten natürlich vor- kommende Soda der Natronseen mit Ol behandelte, gelangte man zur Erfindung der Seife. 1) A. H. Layard, Niniveli and its remains. London 1849. 2) A. C. Kisa, Die Erfindung des Glasblasens. Jahrbuch für Altertums- kunde I. S. 1. Die Anfänge der Heilkunde. 45 Die Anfänge der Heilkunde. Ein erstaunlich hohes Alter besitzt auch die Heilkunde. Manches ist darüber aus den in Ägypten gemachten Papyrusfunden und aus babylonischen Keilschrifttexten bekannt geworden, doch ist es oft nicht möglich, aus den Beschreibungen die Krankheiten wiederzuerkennen. Welche Entwicklung die Heilkunde in Ägypten genommen, das nebenbei als ein gesundes Land galt, erkennen wir aus den Angaben Herodots. Er erzählt: „Die Heilkunde ist bei ihnen geteilt, jeder Arzt beschäftigt sich mit einer Art von Krankheit. Die einen sind Augenärzte, die anderen Arzte für den Kopf, andere für die Zähne und wieder andere für nicht sichtbare Krankheiten" ^). Nicht nur das Bedürfnis, Krankheiten zu heilen, sondern auch der Brauch, Leichen zu mumifizieren, wird die Ägypter frühzeitig zur Beschäftigung mit dem Bau des menschlichen Körpers geführt haben, wenn auch religiöse Gründe einer, zu wissenschaftlichen Zwecken erfolgenden Zergliederung der Leichen im Altertum wie im Mittelalter recht hindernd im Wege standen. Das hohe Alter der ba])ylonischen Heilkunde geht schon daraus hervor, daß die Gesetzessammlung Hammurabis auch von medi- zinischen Gebühren und von der Haftpflicht der Chirurgen han- delt. Ein Paragraph 2) bestimmt unter anderem, daß man einem Chirurgen, der das Auge eines Menschen öffne, um den Star zu operieren, beide Hände abhauen solle, wenn das Auge durch den chirurgischen Eingriff zerstört werde 3). Nicht minder barbarisch 1) Herodot IL 84. 2) Kodex Hammurabis. Siehe Mitteilungen z. Geschichte d. Medizin u. d. NaturAvissenschaften. 1903. Heft 1. S, 90. Hammurabi (Chammurabi) regierte von 1958—1916. Er hat die herrschenden Rechtsgnindsätze zusammen- gestellt. Das Gesetzbuch Hammurabis wurde 1901 gefunden. 3) Die Staroperation, der man bisher ein Alter von etwa 2000 Jahren zu- schrieb, ist infolge dieser Erwähnung in der Gesetzessammlung Hammurabis um weitere 2000 Jahre zurückzudatieren. Siehe H. Magnus, Zur Kenntnis der im Gesetzbuche des Hammurabi erwähnten Augenoperationen. Deutsche med. Wochenschrift. 1903. Nr. 23. Es läßt sich mit Bestimmtheit annehmen, daß diese Gesetze schon vor ihrer Kodifizierung durch lange Zeiträume hindurch Geltung besaßen. Der 118. Paragraph der Sammlung Hammurabis lautet: „Wenn ein Chirurg jemandem eine schwere Wunde mit dem kupfernen Skorpionpfriemen macht und den Menschen tötet oder den Star eines Menschen mit dem kupfernen Skorpionpfriemen öffnet und das Auge des Menschen wird zerstört, seine Hände soll man ihm abhauen." 46 Älteste Heilmittel. waren die ägyptischen Vorschriften. Berichtet uns doch Diodor^), daß Ärzte, wenn der Patient starb, Gefahr liefen, als Mörder be- straft zu werden. Da jene ältesten Arzte ihre Heilmittel aus allen Naturreichen wählten, so waren Medizin und Naturkunde von vorn- herein aufs engste miteinander verschwistert. Die medizinischen Papyrusfunde zählen über 50 Pflanzen auf, die zu Heilzwecken gebraucht wurden. Daneben fanden auch Organe und Sekrete von Tieren, wie Herz, Leber, Blut, Galle usw., ferner Mineralien wie Kupfersalze und Natron Verwendung. Ein interessanter Abschnitt aus der Geschichte der Heilkunde ist auch die Behandlung der Zahnkaries. Die Babylonier nahmen an, daß das Hohlwerden der Zähne von Würmern herrühre, welche die Zähne ausnagen sollten. Eine Heilung erwartete man von Beschwörungsformeln. Diese Formeln verbreiteten sich nach Europa und erhielten sich dort bis ins Mittelalter. An die Stelle der Beschwörung oder neben diese trat aber schon sehr frühzeitig eine sachgemäße Behandlung der Krankheit. Man stillte den Schmerz mit giftigen Kräutern und füllte den hohlen Zahn mit Harz 2). Ein Keilschrifttext, der erkennen läßt, in welcher Art oft kosmogonische Vorstellungen mit Gebetformeln und Heil Vorschriften vereinigt wurden, lautet folgendermaßen: „Als Gott Anu schuf den Himmel, der Himmel schuf die Erde, die Erde schuf die Flüsse, die Flüsse schufen die Kanäle, die Kanäle schufen den Schlamm, der Schlamm schuf den Wurm. Da ging der Wurm; beim Anblick der Sonne weinte er. Vor das Angesicht des Gottes Ea kamen seine Tränen: Was gibst du mir zu meiner Speise? Was gibst du mir zu meinem Tranke? Ich gebe dir das Holz, das faul ist und die Frucht des Baumes. Was ist für mich faules Holz und die Frucht des Baumes? Laß mich nisten im Innern des Zahnes. 1) Diodor, I. 82, 3. 2) In einem altbabylonischen Texte wird Bilsenkraut als „die Pflanze, welche die Glieder lähmt" und „Fett vom Baume" (Harz) empfohlen. Mitteil. z. Gesch. d. Med. u. d. Naturwissensch. 1904. S. 221. Volks- und Wohnungshygiene. 47 Seine Höhlungen gib mir als Wohnung. Aus dem Zahne will ich saugen sein Blut. "Weil du dies gesagt hast, Wurm, möge dich schlagen der Gott Ea mit der Stärke seiner Hände. Dies diene zur Beschwörung für den Schmerz der Zähne. Dabei sollst du Bilsenkraut pulvern und mit Baumharz zu- sammenkneten. Dies sollst du in den Zahn bringen, während du die Be- schwörung dreimal hersagst')." Daß sich durch das Zusammenleben in den oft stark bevöl- kerten Städten der alten Kulturwelt auch schon eine gewisse Wohnungs- und Volkshygiene herausbildete, darf als sichergestellt gelten. Die Erbauung der Städte erfolgte oft schon nach be- stimmten Plänen. Einen Stadtplan von Ninive hat man auf einer Statue gefunden, deren Alter auf 5000 Jahre beziffert wird. Selbst Wasserleitungen und Kloaken begegnen uns schon bei den Baby- loniern und bei den Ägyptern. Wahrscheinlich sind die Griechen, wie in so vielen anderen Dingen, auch hierin die Schüler dieser Völker gewesen. Bei den Assyrern gab es um 700 v. Chr. Städte mit geraden, gepflasterten Straßen^ die sogar Bürgersteige auf- wiesen ^j. Welchen Umfang die Kenntnisse der Ägypter in medizinischen, botanischen und zoologischen Dingen besaßen, kann man kaum noch feststellen. Viele Einzelheiten lassen sich zwar aus Abbildungen und den auf uns gekommenen Papyrusfunden entnehmen. Wir wissen ferner, daß die angewandte Botanik in Ägypten und in Vorderasien ihren Ursprung genommen hat. So wurden in Ägypten drei Weizen- und zwei Gerstenarten, sowie die Hirse (Sorghum) gebaut 3). Auch betrieb man den Anbau des Rizinus, der Dattel und der Feige, des Weinstocks, der Linsen, Erbsen usw. 1) F. V. Oefele, Zwei medizinische Keilschrifttexte in Urschrift, Um- schrift und Übersetzung. (Mitteil, zur Gesch. der Med. u. d. Naturwissensch. 1904. S. 217 u. f.j 2) H. A. Nielsen, Die Straßenhygiene im Altertum. Arch. f. Hygiene. Bd. 43 (1902). S. 85-115. 3) Eine Liste der in Ägypten und in Palästina angebauten Pflanzen ent- hält die Abhandlung von Warburg, „Geschichte und Entwicklung der an- gewandten Botanik" (Berichte der Deutschen botanischen Gesellschaft. 1901. S. 153). Für Ägypten kommen unter anderen in Betracht: drei Weizenarten, zwei Gerstenarten, Knoblauch, Porree, Schalotten, Lein, Papyrus, Ölbaum, 48 Erstes naturgeschichtliclies Wissen. Das umfangreichste medizinische Schriftdenkmal ist der Pa- pyrus Ebers. Er stammt aus Theben und wurde vermutlich um 1500 V. Chr. niedergeschrieben. Der Papyrus Ebers ist in der Hauptsache eine Sammlung von Rezepten (z. B. Rizinus gegen Verstopfung), Gebeten und Beschwörungsformeln für die verschie- densten Krankheiten. Er gestattet daher keinen Schluß auf den Stand der Medizin im allgemeinen. Obgleich wir keinen, die Chi- rurgie in gleicher Ausführlichkeit behandelnden Text besitzen, läßt sich aus den Beobachtungen gut geheilter Knochenbrüche und ähnlicher Dinge an Mumien wohl schließen, daß der Stand dieses, durch anatomische Kenntnisse bedingten medizinischen Wissens- zweiges ein verhältnismäßig hoher gewesen ist^). Die Bereitung der Arzneien erfolgte anfangs durch die Arzte selbst. Indessen begegnen uns schon im alten Alexandrien und im alten B,om besondere Arzneibereiter. Die Einrichtung von Handapotheken geht bis in die älteste ägyptische Zeit zurück. Die ägyptische Sammlung des Berliner Museums besitzt eine aus dem Jahre 2000 v. Chr. stammende Handapotheke einer ägypti- schen Königin. Diese Apotheke war laut geschriebener Widmung ein Geschenk. In den mit Pfropfen verschlossenen Alabaster- gefäßen befinden sich noch Wurzeln, die Heilzwecken dienten 2). Erstes naturgeschichtliches Wissen. Manchen Aufschluß über das Verhältnis der alten Ägypter zu der sie umgebenden Tier- und Pflanzenwelt erhalten wir aus den Wandgemälden der Gräber und den Verzierungen der den Toten mit ins Grab gegebenen Schminktafeln. Der Papyrus Ebers enthält auch einige Andeutungen über die Entwicklung des Skara- bäus aus dem Ei, der Schmeißfliege aus der Larve, des Frosches Weinstock, Dattel, Feige, Melonen, Kürbis, Artischocke, Spargel, Rettich, Ackererbse, Pferdebohne, Linse, Kohl, Fenchel, Anis, Absynth, Schlafmohn, Rizinus, Granatapfel. Die meisten dieser Pflanzen wurden auch in Palästina angebaut, wo man auch schon das Pfropfen verstand. Als Werkzeuge sind der Pflug, die Egge, Sicheln, Hecheln und Dreschbretter nachgewiesen. 1) Im Papyrus Ebers finden sich einige Andeutungen, die erkennen lassen, daß die alten Ägypter die Heilung von Wunden durch Nähte förderten. Die erste Beschreibung dieses Verfahrens findet sich bei Celsus. Siehe Gurlts Geschichte der Chirurgie, sow^ie Erhardt, Die in der Chirurgie gebräuch- lichen Nähte und Knoten in historischer Darstellung. (Volkmanns klin. Vor- träge Nr. 580/81.) 2) Tierärztliches Zentralblatt. 1903. Nr. 18. Kulturpflanzen und Haustiere. 49 ans der Kaulquappe*). Eine Fülle wohlerhaltener Abbildungen von Tieren und Pflanzen enthalten die aus dem alten Reiche (der V. Dynastie) stammenden Gräber des Ptahhotep und des Ti. Sie gehören der Nekropole des alten Memphis an und liegen in der Nähe der Stufenpyramide von Sakkara. Das Grab des Ptahhotep zeigt uns den Verstorbenen umgeben von seinen Windhunden und Schoßaffen. Diener sind mit dem Schlachten von Opfertieren be- schäftigt, oder sie führen Jagdbeute herbei, wie Gazellen und Löwen. Die Jagdszenen enthalten manche Beobachtung aus dem Tierleben, z. B. einen Löwen, der einen vor Schreck gelähmten Ochsen überfällt. Ausführlich wird die Weingewinnung dargestellt. Die Bilder zeigen die Pflege des Weinstocks, die Traubenlese und das Keltern. Sehr früh verschwinden aus den Abbildungen die Dar- stellungen phantastischer Mischgestalten. Besonders die Schmink- tafeln (die alten Ägypter schminkten die Augenbrauen) zeigen, daß man schon von der ersten Dynastie an mit wenigen Ausnahmen nur wirklich beobachtete Tierformen zur Darstellung brachte 2). Mit dem Pferde sind die Ägypter und die Babylonier erst verhältnismäßig spät bekannt geworden. So enthält die Gesetzes- sammlung Hammurabis zahlreiche Bestimmungen, in denen von Rindern, Eseln, Schafen und anderen Haustieren die Rede ist, aber keine, die das Pferd betreffen. Dieses ist allem Anschein nach erst zu Beginn des 2. Jahrtausends durch arische Stämme, die vom Aralsee her vordrangen, nach Vorderasien und Ägypten gelangt. Durch die Einführung d^s Pferdes kam der Streitwagen in Aufnahme, welcher der Kriegsführung ein ganz neues Aus- sehen verlieh. Den Übergang von Kulturpflanzen und Haustieren aus Asien nach Europa behandelt Victor Hehn auf Grund der Angaben der griechischen und der römischen Schriftsteller. In seinem Buche konnten, als es 1870 zuerst erschien, die wesentlichsten Ergebnisse der ägyptologischen und assyriologischen Forschungen noch nicht berücksichtigt werden. Die neueren Auflagen des seinerzeit epoche- machenden Buches von Hehn haben sich darin nur wenig ge- ändert. Es ist das Verdienst Hehns, zuerst nachdrücklich darauf hingewiesen zu haben, daß die Fauna und die Flora der Kultur- länder durch die Einwirkung des Menschen ganz wesentlich um- 1) R. Burckhardt, Geschichte d. Zoologie. S. 12. Leipzig, Göschensche Buchhandlung. 1907. 2j Eduard Meyer, Ägypten zur Zeit der Pyramidenerbauer. Leipzig 1908. (Sendschrift der deutschen Orientgesellschaft.) Dannemaun, Die Naturwissenschaften. I. Bd. 2. Aufl. 4 50 Die ersten chemischen Kenntnisse. gestaltet wurden. Dabei bediente sich Hehn indessen noch vor- wiegend der rein philologischen Untersuchung. Daß z. B. das Huhn erst verhältnismäßig spät in Vorderasien und in Europa bekannt wurde, schließt Hehn daraus, daß dieses Tier im Alten Testa- mente nicht erwähnt wird und sich auch nicht auf den ägyptischen Wandgemälden findet, die im übrigen alles, was den Haushalt der alten Ägypter betrifft, vor Augen führen. In bezug auf Italien kommt Hehn zu dem allgemeinen Ergebnis, daß seine Pflanzen- welt unter dem Einfluß des Menschen immer mehr einen südlichen und asiatischen Charakter angenommen habe i). Meldet doch Plinius, daß z. B. der Kirschbaum erst durch Lucullus von der pontischen Küste nach Italien verpflanzt sei. Die literarischen Belege und die Abbildungen von Pflanzen und Tieren finden eine wertvolle Ergänzung durch die Naturgegen- stände selbst, die man in den alten Nekropolen Ägyptens gefunden und in dem großen Museum von Kairo vereinigt hat. Man findet dort zahlreiche Mumien von Hunden, Krokodilen, Fischen, Vögeln ;besonders dem Ibis), Spitzmäusen, Bos africanus usw. Die In- sekten sind besonders durch Skarabäen vertreten. Nicht minder zahlreich sind die Pflanzenreste. Die Ägypter gelangten auch zu chemischen Operationen, deren Ziel die Herstellung von Heilmitteln aus pflanzlichen Stoffen war. So ist bekannt geworden, daß sie in späterer Zeit zu diesem Zwecke die Destillation ausübten 2) und sich dabei der. von ihnen erfundenen Glasgefäße bedienten. In geringem Umfange fanden auch schon anorganische Stoffe, wie Eisenoxyd, Alaun usw., als Heilmittel Verwendung, so daß schon in den ältesten Zeiten ein gewisser Zusammenhang von chemischem Können mit der Pharmazie sich herausbildete-^). Der ägyptische Alaun galt als der beste (Plin. 35, 184). Be- sondere Älaunwerke, die großen Gewinn abwarfen, bestanden nach Diodor (V, 15) auf Lipara. Wie heute wurden mehrere Abarten unterschieden. Man benutzte Alaun nicht nur in der Heilkunde, sondern auch als Beize, zum Imprägnieren von Holz, um es vor Feuer zu schützen, zum Gerben (Plin. XXXV, 190), also zu vielen Zwecken, denen er noch jetzt dient. ij V. Hehn, Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem Übergange aus Asien. Berlin 1902. S. 520. 2) Gerland und Traumüller, Geschichte der physikalischen Experi- mentierkunst. Engelmann, Leipzig 1899. S. 9. 3) Meyer, Geschichte der Chemie. S. 16. Die alte Kultur Süd- und Ostasiens. 51 Die alte Kultur Süd- und Ostasiens. Nachdem wir das Entstehen der ersten Wurzeln von Kultur und Wissenschaft in Vorderasien und Ägypten geschildert haben, erübrigt noch eine kurze Betrachtung der in Indien und in China entstandenen Elemente. Die Bedeutung der Inder für die Ent- wicklung der Wissenschaften ist erst auf Grund der neueren Sanskritforschung in das rechte Licht gerückt worden, wenn auch noch manche Zweifel und Unklarheiten geblieben sind. Erst seit der Begründung der neueren vergleichenden Sprachforschung ist man zu der Erkenntnis gelangt, daß die Inder mit den Griechen, Römern und Germanen eines Stammes sind. Welches die Heimat des vermuteten indogermanischen Urvolkes war, wird sich wohl nie ermitteln lassen. Soviel dürfen wir indessen annehmen, daß es sich um ein Hirtenvolk handelte, das innerhalb eines gemäßigten Klimas erstarkt war und infolgedessen zu wandern begann. Der neue Boden mußte aber nicht nur der Natur, sondern auch einer auf niedriger Stufe stehenden Urbevölkerung abgerungen werden. So drangen die Inder mit ihren Rossen und Rindern von Nordwesten her, einige Jahrtausende vor Beginn unserer Zeitrechnung, in die nach ihnen benannte Halbinsel ein. Zunächst setzten sie sich im Gebiete des Indus fest und drängten von hier aus die dunklen Urbewohner nach Süden und in die Gebirge zurück. Während der ersten Stufen, welche die Entwicklung in Indien durchlief, wird keine oder nur eine geringe Fühlung mit den Mittelmeervölkern bestanden haben. Indes schon mit dem ersten Aufdämmern der Geschichte ist ein Verkehr Indiens mit dem Westen wie mit China nachweisbar, so daß der frühere Glaube an die völlige Abgeschlossenheit der süd- und ostasiatischen Kultur einer anderen Auffassung hat weichen müssen. In der allerersten Zeit war es der Handel, der eine Verbindung herstellte und dabei den Seeweg bevorzugte. Auf diesem Wege gelangten die Erzeug- nisse Indiens nach dem Arabischen Meerbusen und von dort den Euphrat und Tigris hinauf. Selbst die Ostküste des entfernten Ägyptens unterhielt lebhafte Handelsbeziehungen zu Indien. Und in späterer Zeit durchfuhren selbst römische Schiffe das Rote Meer und den Indischen Ozean, in welchem sich die Seefahrer den regelmäßigen Wechsel der Monsunvvinde zunutze machten^). 1) Ein ausführlicher Artikel über Industrie und Handel im Altertum findet sich im 9. Bande von Paulys Reallexikon, S. 1381 — 1535. Der Ver- fasser ist Gummer US. 4* 52 Die indische Literatur. Einem Austausch der Waren wird zu allen Zeiten ein Aus- tausch des Wissens parallel gegangen sein. Ein weiteres kräftiges Ferment für eine wechselseitige Befruchtung waren ferner die Ausbreitung der Religionen und die Eroberungszüge. So ent- standen später infolge des Alexanderzuges an den Grenzen Indiens griechische Königreiche, die einen regen Austausch auch geistiger Erzeugnisse zwischen den Bewohnern der Mittelmeerländer und Südasiens vermittelten. Zur römischen Kaiserzeit .und während der byzantinischen Periode fand sogar ein Verkehr zwischen den indischen und den westlichen Hufen durch Gesandtschaften statt. Ja, unter Kaiser Antoninus ist sogar eine römische Gesandtschaft am chinesischen Hofe erschienen i). Für die Geschichte der Wissenschaften kommt insbesondere der Einfluß in Betracht, den die Inder auf medizinischem und astronomisch-mathematischem Gebiete auf die westlich von ihnen wohnenden Völker ausgeübt haben. Besaßen doch später die Araber nicht nur in Galen, sondern nicht minder in den Indern Lehr- meister in der Anatomie und Chirurgie. Unter den Naturerzeug- nissen Indiens befand sich ferner mancher Stoff, der von den Be- wohnern als heilkräftig erkannt und anderen Völkern übermittelt wurde. So hatten sich bei Alexander 2) geschickte indische Arzte eingefunden, die sich besonders auf die Heilung von Schlangen- bissen verstanden. Als ein Beweis für das Alter der indischen Medizin mag auch gelten, daß die Arzte bei den Indern in hoher Achtung standen 3). Unter den späteren astronomisch - mathematischen Schrift- stellern der Inder sind besonders Aryabhatta (um 500 n. Chr.) und Brahmagupta (um 600 n. Chr.) zu nennen. Bei der Be- urteilung ihrer Leistungen ist indessen zu berücksichtigen, daß in den Werken der Sanskritliteratur, die vor Aryabhatta ent- standen, auch griechische Einflüsse auf die indische Wissenschaft nachweisbar sind. Hatte es doch lange den Anschein, als ob manche Lehren älterer Sanskritwerke von den Griechen stammen*). Doch wird neuerdings den Erzeugnissen der Sanskritliteratur eine größere Selbständigkeit zuerkannt. 1} Von den Vorstellungen der Alten über Indien handelt sehr ausführlich Wecker in Paulys Reallexik, d. klass. Altert. Bd. IX. (1914). S. 1264—1325. Diebeste Darstellung der antiken Kenntnisse über Indien findet sich in der „Geo- graphie" des Ptolemäos (s. a. spät. Stelle). 2) Nach Arrian. 3j Lassen, Indische Altertumskunde. II. 511. 4) Cantor, I. 509. Die Geometrie bei den Indem. 53 Die ältesten Schriften der indischen Literatur sind die Ye das. In ihnen spiegelt sich das religiöse und soziale Leben der Inder wieder; sie enthalten aber auch die ersten Anfänge der Wissen- schaften, die sich bei diesem merkwürdigen Volke zumeist im engsten Zusammenhange mit religiösen Gebräuchen und Empfin- dungen entwickelt haben. In höchst eigenartiger Weise hat z. B. der Opferdienst die Entwicklung der indischen Mathematik beein- flußt. Die Gestaltung der Altäre war nämlich nach der Ansicht der Inder für den Erfolg des Opfers von der allergrößten Bedeu- tung. So heißt es in einer Vorschrift: „Wer die himmlische Welt zu erlangen wünscht, schichte den Altar in Gestalt eines Falken." Diese Aufgabe setzt aber eine bedeutende Kenntnis der Flächen- geometrie voraus, da sämtliche Steine einer Schicht polyedrisch gestaltet und lückenlos aneinander gefügt die Figur des Falken ergeben mußten. Erhöht wurde die Schwierigkeit dadurch, daß die zweite Schicht, die gleich der ersten etwa zweihundert Steine enthielt, 'eine andere Anordnung aufweisen und dennoch als Ganzes die erste Schicht decken mußte. Dabei war jedes Formverhältnis von entscheidender Wichtigkeit, da es nach der Auffassung der Inder Segen oder Unheil bringen konnte i]. Die Schrift über die Altäre ist nach der Ansicht des Heraus- gebers (Bürk, s. unten) im 4. oder 5. Jahrhundert v. Chr., wenn nicht früher, verfaßt worden. Durch ihre, beim Bau der Altäre geübte Technik sind die Inder wahrscheinlich auch mit dem Satze vom Quadrat der Hypothenuse schon vor dem 5. Jahrhundert v. Chr. bekannt geworden. Damit ist jedoch nicht etwa gesagt, daß sie den allgemeinen Beweis des pythagoreischen Lehrsatzes gefunden hätten. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, daß auch die unmittel- bare geometrische Anschauung sehr oft die Quelle neuer Wahrheiten gewesen ist. So finden wir, daß bei gewissen indischen Altären vier Quadrate (Abb. 9) sich zu einem größeren Quadrat ergänzen. Die vier Diagonalen der kleineren Quadrate ergeben ein neues, über der Hypothenuse AC des gleichseitigen rechtwinkUgen Dreiecks ABC errichtetes Quadrat. Hier beweist Abb. 9. Geometrische Konstruktionen der Inder. 1) Bürk in der Zeitschrift der Deutschen morgenländischen Gesellschaft. Bd. 65 u. 56. 54 Rechtwinklige rationale Dreiecke. die unmittelbare Anschauung die Gültigkeit des pythagoreischen Lehrsatzes für diesen besonderen Fall. In der von Bürk ver- öffentlichten indischen Quelle i) heißt es demnach in weiterer Ver- allgemeinerung: „Die Diagonale eines Rechtecks bringt beides hervor, vs^as die längere und die kürzere Seite des Rechtecks jede für sich her vorbringen 2^." Die früher wohl geltende Meinung, daß die indische Geo- metrie in der Hauptsache griechischen Ursprungs sei, kann also heute, nach der Veröffentlichung wichtiger indischer Quellen^), nicht mehr aufrecht erhalten werden *). Unter den rechtwinkligen rationalen Dreiecken waren den Indern im 8, vorchristlichen Jahrhundert z. B. diejenigen bekannt, deren Seiten sich verhalten wie: 3: 4: 5 5 : 12 : 13 8:15:17. Um einen rechten Winkel abzustecken, bediente man sich, wie in Ägypten und später in Griechenland, des Verfahrens des Seil- spannens. Die Seitenlängen, welche die Inder dabei benutzten, verhielten sich in der Regel wie 15:36:39^), entsprachen also gleichfalls dem pythagoreischen Lehrsatz. Trotz alledem bleibt es wahrscheinlich, daß erst die Griechen von den zahlreichen, bekannt gewordenen Einzelfällen zu dem allgemeinen, früher dem Pytha- goras zugeschriebenen, geometrischen Satz gelangt sind. Auch für eine annähernde Quadratur des Kreises findet sich**) bei den alten Indern eine Regel. Handelt es sich darum, einen dem Quadrate ABCD flächengleichen Kreis zu finden, so wird ME=AM und zwar senkrecht zu AB gezogen (Abb, 10). Zu MG wird NG= Vs GrE hinzugefügt. Mit der so erhaltenen Strecke 1) Kap. I. 4. in der Zeitschrift der Deutschen morgenländischen Gesell- schaft. 56. Bd. (1902.) S. 328. 2) Die Konstruktion von Altären unter Verwendung rechtwinkliger Drei- ecke, deren Seiten sich wie ganze Zahlen verhalten, geht vielleicht in das 8. vorchristliche Jahrhundert zurück. Mitteil. z. Geschichte d. Medizin u. Natur- wissenschaften. 1906. S. 473. 3) Vor allem des Apastamba Sulbasutra. 4) Siehe Zeuthens Bemerkungen in der Biblioth. mathem. (3. Folge). V. 97-112. 5) Cantor, Über die älteste indische Mathematik. Arch. f. Math, und Physik. 1904. 6, Ap. Sulb. Sutra. III. 2. Zeitschr. d. morgenl. Gesellsch, Bd. 55 u. 56. Abhandlung Bürks. Die Quadratur des Kreises. 55 MN als Radius wird dann der Kreis um M geschlagen. In der indischen Vorschrift heißt es: „Soviel wie (an den Ecken) verloren geht, kommt (die Segmente) hinzu." Von jeher haben die Inder als ein besonders für die Arith- metik beanlagtes Volk gegolten. Ist es doch ihr Verdienst, das Positionssystem und seine irrtümlich als arabisch bezeichneten Ziffern erfunden zu haben. Wie uns die Tafeln von Senkerehi) i^e- weisen, besaßen die Babylonier ein Positionssystem, das sexagesimal war, aber die Null entbehrte. Die späteren Inder entwickelten durch Einführung der Null und der dekadischen Einheiten die heutige Positionsarithmetik, die dann dem Abendlande durch die Araber übermittelt wurde. Je mehr die archäologischen Forschungen uns mit dem Wissen des alten Orients bekannt machen, um so mehr befestigt sich die Überzeugung, daß in einer drei- bis viertausend Jahre zurück- liegenden Zeit die Babylonier, die Inder und die Agy^Dter einen gemeinsamen Besitz an Kennt- nissen besaßen. Ohne Zweifel sind jene ersten Kulturvölker unabhängig voneinander in den Besitz mancher Wahrheit gelangt. Doch hat gewiß auch ein viel regerer Austausch der Kenntnisse stattgefunden als man bisher angenommen hat 2). Für die engen Beziehungen, die zwischen Babylon und Ägypten bestanden, fehlt es nicht an Beweisen 3). Als ein Zeichen, daß , der babylonische Einfluß auch nach Indien, ja selbst bis China ', reichte, kann die Tatsache betrachtet werden, daß die indischen und die chinesischen Quellen die Dauer des längsten Tages auf 14'' 24' angeben, ein AVert, der für Babylon bis auf eine Minute ; zutrifft 4). Während die wechselseitige Beeinflussung des ältesten ägyp- tischen, babylonischen und indischen Wissens mehr vermutet als Abb. 10. Die Quadratur des Kreises bei den Indem. 1) Siehe S. 19. 2) Cantor, Über die älteste indische Matliematik i. Arch, f. Math. u. Phys. 8. Ed. (1904). 3) Siehe S. 6. *) Cantor, a. a. O. S. 71. 56 Rechenkunst und Algebra bei den Indern. im einzelnen nachgewiesen werden kann, sind die Beziehungen einerseits zwischen indischer, andererseits zwischen griechischer und arabischer Wissenschaft deutlich zu erkennen. Insbesondere hat zwischen Indern, Griechen und Arabern ein Austausch mathe- matischer und astronomischer Kenntnisse stattgefunden. Da wir auf die Inder in späteren Abschnitten nicht mehr zurückkommen werden, so soll an dieser Stelle noch einiges über die Entwick- lung, die besonders die Rechenkunst bei den für die Arithmetik so gut beanlagten Indern genommen hat, ins Auge gefaßt werden. Unbestritten ist das Verdienst der Inder, die neuen Zahl- zeichen und die Null geschaffen und das Ziffernrechnen unter An- wendung des Stellenwertes zu hoher Ausbildung gebracht zu haben. Das Rechnen mit der Null ist schon zur Zeit des Brahmagupta in Gebrauch gewesen. Auch die Schreibweise für . die Brüche und die Bruchrechnung weichen von den heute geltenden Regeln kaum ab. Zwar fehlte der Bruchstrich, doch wurde der Zähler schon über den Nenner gestellt. Bei gemischten Brüchen kamen die 2 Ganzen in eine dritte, noch höhere Stufe; 2^/^ schrieb man z. B. 3. 4 Das Multiplizieren der Brüche lehrt Brahmagupta mit folgen- den Worten: „Das Produkt aus den Zählern teile durch das Produkt aus den Nennern." Bei den indischen Mathematikern finden sich ferner Regeldetriaufgaben mit direktem, indirektem und zusammengesetztem Ansatz. Letztere werden in mehrere ein- fache Regeldetriaufgaben zerlegt. Es sind sogar besondere Kunst- ausdrücke für die Regeldetri-Rechnung in Gebrauch i). Wie die Inder durch Einführung der Null und des Positions- systems den größten Fortschritt für die Arithmetik schufen, so er- warben sie sich für die Algebra kein geringeres Verdienst durch die Einführung der Begriffe positiv und negativ. Sogar die Erläute- rung dieser Begriffe durch die Worte Schulden und Vermögen, ja ihre Erklärung durch Vorwärts- und Rückwärtsschreiten auf einer gegebenen Strecke war ihnen schon geläufig. Wollte man eine Zahl als negativ bezeichnen, so wurde ein Punkt darüber gesetzt. Selbst bei den Gleichungen wurden negative Lösungen, welche Diophant (350 n. Chr.) noch für unstatthaft erklärte, zugelassen. Was die arithmetischen und die geometrischen Reihen, die Quadrat- und die Kubikzahlen anbelangt, so konnten die Griechen in dieser Hinsicht von den Indern wenig lernen. Letzteres Volk 1) Tropf ke, Geschichte der Elementarmathematik. Bd. I. S. 98. Rechenkunst und Algebra bei den Indern. 57 schuf jedoch die Kombinationslehre und die Anfangsgründe der Algebra. Ferner gelangte man in Indien dadurch über die Lehre von den Potenzen einen Schritt hinaus, daß man für die irrationale Quadratwurzel eine Bezeichnung einführte. An das Erheben in die 2. und die 3. Potenz schlössen die Inder als Umkehrungen dieser Operationen das Ausziehen der Quadrat- und der Kubikwurzel. Hierbei bedienten sie sich schon der binomischen Formeln für (a + b)2 und (a + b)^. Ja, ihre Art, die Wurzeln zu finden, stimmte soweit mit dem heutigen Verfahren überein, daß bei ihnen selbst das Abteilen der zu radizierenden Zahl zu je zwei oder drei Stellen nicht fehlte. Auf dem Gebiete der Algebra entwickelten die Inder vor allem die Lehre von den Gleichungen verschiedenen Grades. Für die unbekannte Größe wird ein Zeichen - gebraucht. Als ein Beispiel zugleich für die poetische Form, in welche die Inder solche Auf- gaben einkleideten, diene folgendes: Von einem Schwärm Bienen läßt y4 sich auf einer Blume nieder, 2/3 fliegt zu einer anderen Blume, eine Biene bleibt übrig, indem sie gleichsam durch den lieblichen Duft beider Blumen angezogen in der Luft schwebt. Sage mir, reizendes Weib, die Anzahl der Bienen. Noch bedeutender waren die Leistungen der Inder in der Theorie der Zahlen, doch würde ein näheres Eingehen auf diese Seite der Mathematik zu weit von dem Zwecke dieses Buches entfernen, das die Mathematik nur insoweit berücksichtigen will, als sie für die Entwicklung der Naturwissenschaften von Be- deutung gewesen ist. Für die Auflösung von kubischen Gleichungen findet sich bei den Indern wie beiDiophant nur ein vereinzeltes Beispiel. Nicht uninteressant ist ein kurzer Überblick über den Umfang der indischen Arithmetik. Sie umfaßte zwanzig Operationen und acht Bestimmungen, die jedem Meister der Rechenkunst geläufig sein mußten!). Zu den 4 Grundrechnungsarten, dem Potenzieren und dem Wurzelziehen traten 6 Operationen mit Brüchen und 5 als einfache und zusammengesetzte Begeldetri; ferner gab es eine Regel über den Tausch. Die Bestimmungen betrafen Mischungen, Flächen- und Körperinhalte, Zinsberechnung, Schattenrechnung usw. Nach Burkhardt (Wie man vor Zeiten rechnete, Zeitschr. f. d. math. u. naturw. Unterr. 1905. 1. Heft) läßt sich annehmen, daß seit dem 5. Jahrhundert n. Chr. in Indien im wesentlichen ebenso i) Siehe Arneth, Die Geschichte der reinen Mathematik. S. 14.S. 58 Die Anfange der Trigonometrie. gerechnet wurde, wie heute bei uns. Auch steht fest, daß die Araber ihre Ziffern und ihre Rechenmethode von den Indern er- halten haben. "Was man in den Sanskritwerken an geometrischen Lehren an- getroffen hat, ist weniger bedeutend und nach Cantor wohl zum Teil auf alexandrinischen Ursprung, insbesondere auf Heron zu- rückzuführen 1). Davon, daß die Inder mit den Kegelschnitten be- kannt gewesen, findet sich nirgends eine Andeutung. Dieser Teil der Geometrie ist ausschließlich griechischen Ursprungs. Dagegen blieb es den Indern als dem vorwiegend für die Arithmetik veranlagten Volke vorbehalten, die ersten allgemeinen Sätze der Kombinations- lehre zu finden, eine Errungenschaft, zu der die Griechen, soweit unsere Kenntnis reicht, nicht durchgedrungen sind. Einen wesentlichen Fortschritt erfuhr die Trigonometrie bei den Indern, indem sie für die Sehne des Winkels deren Hälfte und somit den Sinus einführten. Es war dies ein Fortschritt, den erst die Araber in seiner vollen Bedeutung erkannten und zur Geltung brachten. ' Die erste indische Sinustabelle begegnet uns um 500 n. Chr. 2). Der Kreis hat dort wie bei den Babyloniern und den Alexandrinern 360 gleiche Teile. Jeder Teil zerfällt in 60 kleinere Abschnitte (unsere Minuten), von denen der ganze Kreis also 60 • 360 = 21600 enthält. Der Radius wird durch diese kleinsten Teile des Kreises gemessen. Nach einem von den Indern für das Verhältnis der Peripherie zum Durchmesser angenommenen Werte ergab sich für den Radius die Zahl 3448. Da der Sinus, als halbe Sehne des doppelten Winkels betrachtet, für 90° gleich dem Radius wird, so erscheint für 90° in der Tabelle jener Wert 3448. Für sin 60° wird 2978, für sin 30° wird 1719 angegeben. In bezug auf die Naturwissenschaften besaßen die Inder zwar zahlreiche Einzelkenntnisse. Zur Aufstellung naturwissenschaftlicher Lehrgebäude gelangten sie indessen ebensowenig wie die Babylonier oder die Ägypter. Diese Tat blieb vielmehr den Griechen vor- behalten. In physikalischer Hinsicht ist erwähnenswert, daß die Kenntnis des Brennglases und der Brennspiegel bei den Indern sehr weit zurückreicht. So erwähnt eins ihrer ältesten Bücher 3), daß getrockneter Mist sich entzünde, wenn man die Sonnenstrahlen 1) Cantor, Geschichte der Mathematik. Bd. I. S. 540. 2j Sie findet sich bei Aryabhatta (geb. 476 n. Chr.), dem ältesten indi- schen Astronomen, dessen Schriften auf unsere Zeit gekommen sind. 3j Das Nirukta. Medizin und Chemie bei den Indern. 59 mittelst eines Steines oder Glases oder auch eines Metallgefäßes darauf werfe'). Übrigens kannten die Griechen im Zeitalter des Aristoteles gleichfalls schon die Feuererzeugung mit Hilfe eines durchsichtigen Steines 2). Auf Grund einiger Sanskritstellen hat man den alten Indern die Kenntnis des Schießpulvers zugeschrieben. So wird ein König aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert genannt, der „Feuerwerke" angeordnet habe. Daraus aber auf eine so frühzeitige Kenntnis der Inder zu schließen, erscheint doch recht gewagt 3). Daß die so überaus üppige Natur eines Landes wie Indien ein frühzeitiges Emporblühen der Pflanzenkunde und einer auf ihr beruhenden Heilkunde hervorrief, ist leicht erklärlich. In der Sanskritliteratur fehlt es daher nicht an Werken, die eine große Menge von Heilmitteln, Nahrungsmitteln und Giften anführen. Es ist jedoch nur selten möglich, die Art, um die es sich handelt, zu bestimmen. Am häufigsten wird Nelumbium speciosum, eine prächtige Seerose, erwähnt. Neben den Pflanzen wurden aber auch Metalle und Chemikalien von den alten Indern zu Heilzwecken ver- wendet. Am ausführlichsten berichtet über den Stand ihrer natur- wissenschaftlichen und medizinischen Kenntnisse die Ayur-Veda Susrutas. DasWerk umfaßt sechs Bücher, die sich im wesentlichen mit der Lehre von den Heilmitteln, der Anatomie, der Pathologie und der Therapie beschäftigen. Das Knochensystem des Menschen enthält nach Susrutas Aufzählung 300 Knochen. In der Schule des Susruta wurden schon Leichen zergliedert und in fließendem Wasser präpariert. Daraus erklärt sich die erstaunliche Höhe der anatomischen Kenntnisse, welche die Inder schon im 6. Jahrhundert v. Chr. besaßen 4). Susruta war auch schon mit dem diabetischen Zucker bekannt, während die Beobachtung, daß der diabetische Harn auffallend süß ist, in Europa erst im 17. Jahrhundert gemacht wurde 5). 1) Roth, „Indische Feuerzeuge'". Zeitschrift der morgenländischen Ge- sellschaft. 1889. 2j Aristophanes, Wolken, v. 766 u. f. Aristophanes erzählt dort, ein Schuldner ^labe seinen Gläubiger dadurch geprellt, daß er die Wachstafel, welche die Forderung enthielt, mittelst einer der Linsen geschmolzen habe, die zum Erzeugen von Feuer gebraucht würden. 3) Über die „Schießpulverfrage im alten Indien", siehe die Mitteilungen zur Gesch. d. Äled. u, d. Naturwissensch. 1905. S. 1 u. f. *j Hoernle, Studies in the Medicine of ancient India. Oxford 1907. 5) B. v, Lippmann, Abhandlungen und Vorträge. 1906. 60 Die ostasiatische Kultur. Unter den Heilmitteln i) erwähnt Susruta Quecksilber, Silber, Arsen, Antimon, Blei, Eisen und Kupfer. Auch Alaun und Salmiak fanden sich im Arzneischatz der alten Inder. Wann die Ayur- veda entstand, ist nicht sicher bekannt. Einige legen die Zeit ihrer Entstehung weit vor Christi Geburt. Susrutas Werk erwähnt nicht weniger als 760 Heilmittel, die zum weitaus größten Teile aus dem Pflanzenreiche stammen 2). Wie die alten Babylonier, so operierten auch die Inder den Star. Nachrichten darüber reichen etwa bis zum Beginn unserer Zeit- rechnung zurück. Die Operation wurde mit zwei Instrumenten ausgeführt. Das eine diente zum Offnen des Augapfels ; mit dem andern wurde die getrübte Linse entfernt =^). Weit isolierter als die indische Kultur, welche doch mit der griechischen und mit der arabischen Welt in mannigfache Be- rührung kam, blieb die chinesische. Nicht nur, daß China durch riesige Gebirge und weite, öde Länderstrecken von den Völkern Vorderasiens und der Mittelmeerländer getrennt war, es fehlte auch die Rassengemeinschaft, welche die Arier Indiens mit den Persern und den westlichen Indogermanen verband. Dennoch hat schon im Altertum der Handel eine Verbindung zwischen dem äußersten Osten Asiens und dem Mittelmeer geknüpft. Diese Ver- bindung erfolgte durch den Seeverkehr über den Indischen Ozean. China lieferte dem Westen besonders Seide und empfing dafür Edelmetall, Glasgegenstände und Bernstein. Durch die immer weitere Ausdehnung ihrer Eroberungszüge kamen das römische und das chinesische Reich am Kaspischen Meere einander nahe. Sogar der Einfluß der in Vorderasien entstandenen Nestorianersekte hat sich bis nach China ausgedehnt. Ein in Singanfu errichtetes Denk- mal mit chinesischer und syrischer Inschrift gibt uns davon Kunde*). Trotzdem hat keine andere Kultur der alten Welt so wenig Ein- flüsse von außen erfahren und so wenig wiederum nach außen ge- wirkt wie diejenige Chinas, so daß dieses Land für die Entwicklung, 1) Berendes, Das Apothekenwesen, seine Entstehung und geschicht- liche Entwicklung. Stuttgart 1907. 2) Ein Sanskrittext, der sich gegen den Genuß des Fleisches, der ge- gohrenen Getränke und gegen die geschlechtliche Liebe wendet, findet sich in der Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft, Jahrg. 1907, in der Übersetzung wiedergegeben. 3j S. Hirschberg, Der Starstich der Inder. Zeitschr. f. prakt. Augen- heilk. Januarheft 1909. 4) Lindner, Weltgeschichte. Bd. L S. 413. Die Astronomie bei den Chinesen. 61 welche die Wissenschaften genommen haben, kaum in Betracht kommt. Zwar hat sich das Interesse seiner Bewohner frühzeitig mathematischen und astronomischen Dingen zugewandt, ein wenn auch unvollkommenes Verfahren des Buchdrucks wurde erfunden, und eine Literatur entstand, die der arabischen an Umfang wohl gleich kam. Die gewerblichen Erzeugnisse übertrafen oft die- jenigen der westlichen Völker. Dennoch war der Einfluß nach außen sehr gering. Selbst eine so wichtige Erfindung wie die- jenige des Kompasses, die in China erfolgte, blieb den Mittel- meervölkern über ein Jahrtausend unbekannt. Für das hohe Alter der Astronomie bei den Chinesen spricht die frühzeitige Erwähnung von Kometen- und Planetenkonjunktionen in ihrer Literatur. Als Europa mit der Literatur der Inder näher bekannt wurde, erstaunte man über das hohe Alter der astro- nomischen Tafeln dieses Volkes. Das gleiche gilt von den Chinesen, deren astronomische Literatur zu Beginn des 18. Jahrhunderts durch Jesuiten, die in China Aufnahme gefunden hatten, bekannt wurde. Es zeigte sich, daß die Astronomie dort schon um 1000 v. Chr. eine nicht geringe Höhe erreicht hatte. Indessen ist ihre weitere Entwicklung nur sehr langsam gewesen i). So geht z. B. ein Ko- metenverzeichnis bis auf das Jahr 2296 v. Chr. zurück 2). Ferner erwähnt einer der Jesuiten, welche die Chinesen mit der euro- päischen Astronomie bekannt machten 3), eine von den Chinesen auf- gezeichnete Planetenkonjunktion vom Jahre 2461 v. Chr. ^). Es ist jedoch wahrscheinlich, daß es sich dabei nicht um eine wirkliche Beobachtung, sondern nur um eine rückwärts berechnete astrono- mische Erscheinung gehandelt hat. Mit dem Gnomon waren die Ohinesen schon um 1100 v. Chr. bekannt. Sie ermittelten daran die Schiefe des Ekliptik, bestimmten die Dauer des Jahres zu 1) Siehe auch W. Förster, Die Astronomie des Altertums und Mittel- alters. Berlin 1876. 2) Wolff, Geschichte der Astronomie. S. 11. •*) Der Jesuitenorden, dem ja neben der Verteidigung auch die Verbrei- tung des katholischen Glaubens oblag, ließ sich schon im 16. Jahrhundert in den außereuropäischen Ländern nieder. In China gewann er besonderen Ein- fluß dadurch, daß er für die Kalenderrechnung, die dort sehr in Unordnung geraten war, eine Neuordnung auf astronomischer Grundlage schuf. Eine solche Neuordnung war deshalb sehr wichtig, weil man eine verworrene Zeit- rechnung als ein ungünstiges Omen für die Verwaltung und damit die Zu- kunft des Staates ansah. *) Baden-Powell, History of natural philosophy. London 1834. S. 11. 62 China und das Abendland. » 3651/4 Tagen ^) und kannten schon die regelmäßige Wiederkehr der Finsternisse. Es kam vor, daß man Astronomen mit dem Tode bestrafte, wenn sie eine Finsternis nicht richtig vorhergesagt hatten. Ein Fall dieser Art soll sich schon um 2000 v. Chr. zugetragen haben 2). Daß Ostasien auch während des Mittelalters mit der übrigen Kulturwelt Beziehungen unterhielt, beweist uns das Auftauchen alchemistischer Bestrebungen in China um 800 n. Chr. Die chine- sischen Quellen lassen erkennen, daß auch die theoretischen Vor- stellungen, denen die Alchemisten im Reiche der Mitte huldigten, von den Arabern stammen 3). 1) Siehe auch H. Lö sehn er, Über Sonnenuhren. Beiträge zu ihrer Ge- schichte und Konstruktion nebst Aufstellung einer Felilertheorie. Graz 1905. 2j Mitteilungen zur Gesch. der Medizin und der Naturwissenschaften. 1908. S. 35t. 3) Näheres enthält die Abhandlung E.. Ehrenfelds in den Mitteilungen zur Gesch. der Medizin und der Naturwissenschaften. 1908. S. 144 u. f. 2. Die Entwicklung der Wissenschaften bei den Griechen bis zum Zeitalter des Aristoteles. Manche von den in Vorderasien und Unterägypten entstande- nen Grundlagen der Wissenschaften wurden nebst anderen Kultur- elementen von den Phöniziern aufgenommen, welche sie, als das wichtigste Handelsvolk der alten Welt, den übrigen Anwohnern des Mittelmeeres überbrachten. Bei den Griechen, die mit der am Nil und am Euphrat entstandenen Kultur später auch in unmittel- bare Fühlung kamen, fielen diese aus dem Orient stammenden An- sätze auf den fruchtbarsten Boden. Sie wurden nicht etwa nur auf- genommen, sondern als das Fundament für geradezu bewunderns- werte Neuschöpfungen verwendet. Die Phönizier verbreiteten als das wichtigste Mittel für jede weitere Entfaltung wissenschaft- licher Tätigkeit auch die Buchstabenschrift ^), die sich aus den, Silben und ganze Wörter bezeichnenden Hieroglyphen entwickelt hatte. Erst nachdem dies geschehen, vermochte man mit klarem Bewußtsein das Abstrakte von den Dingen zu trennen und auf solche Weise zur Ausbildung systematisch geordneter Wissen- schaften vorzudringen 2). Eine wichtige Rolle spielten in dieser Übermittlung der orien- talischen Kulturelemente auch die Bewohner Kretas und Vorder- ^) Auch H. Win ekler wendet sich in einer Abhandlung über die Be- deutung der Phönizier für die Kulturen des Mittelmeeres (Zeitschr. f. Sozial- wissenschaft. 1903. Bd IV. Nr. 6 u. 7) gegen die Auffassung, als ob die Phö- nizier die Buchstabenschrift erfunden hätten. Er ist der Ansicht, daß sich das Verständigungsmiltel geistigen Lebens an dessen Mittelpunkt entwickelt haben wird und die phönizische Schrift im Anschluß an die Keilschrift literatur entwickelt ist. Übrigens haben auch die arischen Perser die zu monumentalen Inschriften beibehaltene Keilschrift zu einer Buchstabenschrift umgestaltet (L. Wilser in den Mitteil. z. Gesch. d. Med. u. Naturwissensch. 1905. S 32). Die ältesten uns erhaltenen Inschriften im griechischen Alphabet und in griechischer Sprache gehen kaum über den Anfang des 7. vorchristlichen Jahr- hunderts hinaus. Siehe ßeloch, Griechische Geschichte. Bd. I. 2. S. 2 1913. -} K, Suter, Geschichte der mathemat. Wissenschaften, Zürich 1878. 64 Der Beginn der Naturwissenschaft bei den Griechen. asiens. Auf die letzteren hat Babylonien Jahrtausende eine tiefe Wirkung ausgeübt. In reh'giöser Hinsicht hat dieser Einfluß be- sonders stark auf das Judentum und damit weiterhin auf die Ent- wicklung des Christentums gewirkt. Das Neue an der phönizischen Schrift bestand darin, daß sie für jeden Konsonanten und für jeden Vokal ein besonderes Zeichen besaß. Die ältesten in dieser Schrift verfaßten Urkunden begegnen uns um das Jahr 950. Sobald die Griechen aus dem Dunkel der Sage in das Licht der Geschichte treten, zeigt sich uns bei ihnen das Bestreben, die "Welt der Erscheinungen nicht bloß betrachtend in sich aufzu- nehmen, sondern sie auch in ihrem ursächlichen Zusammenhange zu begreifen. Dies geschah einmal dadurch, daß sie die Anfänge der mathematischen Erkenntnis auf die Naturvorgänge anwandten. Zum anderen aber auch, indem sie, weit über alles Maß hinaus- schreitend, sofort den letzten Grund des Geschehens zu begreifen trachteten. Und zwar erfolgten diese ersten Regungen des wissen- schaftlichen Denkens nicht im eigentlichen Hellas, sondern in den ionischen Kolonien, Letztere nahmen zwischen der asiatischen Welt und dem jungfräulichen Boden Griechenlands eine vermit- telnde Stellung ein. Auch hatten sie schon einige Jahrhunderte vor dem Beginn der Philosophie und der Naturwissenschaften ihre Blütezeit auf dem Gebiete der Dichtkunst erlebt. Der Beginn der griechischen Naturwissenschaft. Als der erste Grieche, der in den beiden soeben gekenn- zeichneten Richtungen wirkte, gilt Thaies von Milet. Obgleich von ihm herrührende Werke nicht auf uns gekommen sind und er seine Lehren wahrscheinlich auch nur mündlich überliefert hat, sind uns doch letztere, sowie seine Entdeckungen und sein Lebensgang durch die Aufzeichnungen alter Schriftsteller hin- länglich bekannt geworden, um uns ein ungefähres Bild von Thaies M machen zu können. 1) Im Archiv für Geschichte der Philosophie (1902. S. 311) hat Peith- mann in einer Abhandlung über die Naturphilosophie vor Sokrates neuer- dings die Anschauung zu begründen versucht, daß Thaies sich nicht als Philosoph, sondern nur als Astronom und Ingenieur verdient gemacht habe. Nach Peithmann hat es den Anschein, daß erst Aristoteles den Thaies un- verdientermaßen zu einem Philosophen gemacht hat. Die Ansicht wird nach v. Lippmann jedoch nicht allgemein anerkannt. Anfänge der griechischen Astronomie. 65 Thaies wurde um 640 v. Chr. geboren, wirkte also zu der Zeit, als Athen durch Solon die Grundlagen seiner Verfassung erhielt. Darin, daß Thaies in Ägypten gewesen und dort mit der Priesterkaste, damals die Hüterin aller mathematischen und astronomischen Kenntnisse, in Berührung getreten sei, stimmen alle Berichte überein. „Thaies, der nach Ägypten ging", so wird uns erzählt, „brachte zuerst die Geometrie nach Hellas. Vieles entdeckte er selbst, von vielem aber überlieferte er die Anfänge seinen Nachfolgern" i). An anderer Stelle heißt es von ihm: „Er beobachtete den Himmel, musterte die Sterne und sagte öffentlich allen Miletern vorher, daß am Tage Nacht eintreten, die Sonne sich verbergen und der Mond sich davorlegen werde 2)." Die älteste Auffassung, die uns bezüglich der Finsternisse begegnet, ist die, daß der Sonne oder dem Monde durch irgend- eine fremde Macht Gewalt angetan würde. Es erscheint zweifel- haft, ob die Babylonier schon einen wirklichen Einblick in den Vorgang besaßen. Seine natürliche Ursache erkannten wohl erst die Griechen. Nach einigen war es Anaxagoras, nach anderen waren es die Pythagoreer, denen die Astronomie diesen Fortschritt verdankte 3). Die Vorausbestimmung des Thaies ist nicht etwa eine solche im heutigen Sinne. Sie erfolgte nämlich nicht durch Messen und Rechnen, sondern beruhte ausschließlich auf der Beobachtung der- jenigen Periode, innerhalb deren die Finsternisse regelmäßig wieder- kehren. Jene Periode war den Babyloniern nicht entgangen. Sie befanden sich im Besitz von Aufzeichnungen, die sich über Jahr- hunderte erstreckten und einen Zeitraum von 6585 Tagen bezüg- lich der regelmäßigen Wiederkehr der Finsternisse erkennen ließen. Innerhalb dieses 223 Monate umfassenden Zeitraums, den die Babylonier Saros nannten ^j, kehrt nämlich der Mond fast genau in dieselbe Stellung zur Erde und zur Sonne zurück. Allerdings machte man auch die Erfahrung, daß sich der Saros, insbeson- 1) Cantor, Greschichte der Mathematik. Leipzig 1880. Bd. I. S. 113. 2) A. a. 0. S. 114. 3j Ein Verzeichnis der von den antiken Schriftstellern erwähnten Finster- nisse findet sich in Paulys Reallexikon der klass. Altertumswiss. im 6. Bande auf S. 2352—2:564. Dort findet sich auch (S. 2339-2364) ein ausführlicher, von Boll verfaßter Beitrag über die Finsternisse. Die erste verbürgte Mach- richt betrifft eine Mondfiasternis, die am 19. 3. 721 in Babylon beobachtet wurde. ♦j Siehe oben S. 35. Dannemann, Die Naturwissenschaften. I.'Bd.;2. Aufl. 6 66 Erste astronomische Vorstellungen. dere für die Voraussage der Sonnenfinsternisse, nicht immer be- währte 1). Auch bei der Benennung der fünf Planeten hat sich an- scheinend der sehr früh einsetzende (s. S. 30) babylonische Ein- fluß geltend gemacht. Die alten griechischen Namen bezeichneten nämlich Eigenschaften (Mars hieß der Feurige, Jupiter der Leuch- tende usw.). Seit dem 4. vorchristlichen Jahrhundert bedient man sich dagegen folgender Namen: Stern des Hermes (Merkur), » der Aphrodite (Venus), . » des Ares (Mars), » des Zeus (Jupiter), » des Kronos (Saturn). Die kurze Bezeichnung Hermes, Aphrodite usw. kam erst später auf. Es ist anzunehmen, daß hierin die Griechen den Babylonieru gefolgt sind, die gleichfalls die Planeten ihren Hauptgöttern geweiht hatten. Mit einigen Elementen des babylonischen Wissens sind nach neuerer Annahme schon die Pythagoreer bekannt gewesen 2). Wie unentwickelt im übrigen die astronomischen Vorstellungen der Griechen zur Zeit des Thaies noch waren, geht daraus her- vor, daß nach den ihm zugeschriebenen Lehren die Erde eine vom Okeanos umflossene Scheibe ist, über die sich der Himmel wie eine Kristallglocke wölbt. Unter solchen Umständen konnte noch nicht einmal von einer Kreisbewegung der Gestirne die Rede sein. In Übereinstimmung mit dieser Lehre nahm man zur Zeit des Thaies an, die Sterne sänken bei ihrem Untergange in den Ozean und schwömmen in diesem am Rande der Scheibe entlang zu ihren Aufgangspunkten zurück. Auf Thaies werden ferner von den Griechen, die über die Mathematik geschrieben haben, einige der wichtigsten geometri- schen Sätze zurückgeführt, so der Satz von der Gleichheit der Winkel an der Grundlinie eines gleichschenkeligen Dreiecks, sowie der Satz, daß ein Dreieck durch eine Seite und die anliegenden 1) Thaies hat die am 18. Mai 603 eingetretene große Sonnenfinsternis wahrscheinlich in Ägypten beobachtet. Er konnte deshalb damit rechnen, daß etwas mehr als 18 Jahre später eine neue Finsternis stattfinden würde. Sie fand denn auch am 22. Mai 585 statt H. Diels, Antike Technik. 1914. S. 3). Siehe auch J. Zech, Astronomische Untersuchungen über die wichtigsten Finsternisse, welche von den Schriftstellern des Altertums erwähnt werden. Leipzig 1853. -) Neue Jahrbücher f. d. klass. Altertum. 1911. S. 5. Anfänsre der Erdbeschreibung. 67 Winkel bestimmt ist. Mit Hilfe dieses Satzes wurde z. B. die Entfernung der Schiffe vom Lande ermittelt. Bezüglich der geometrischen Kenntnisse des Thaies läßt sich jedoch nicht mehr entscheiden, wieviel Eigenes und wievi 1 von den Ägyptern Entlehntes darunter ist. Eine bekannte Anwendung der Mathematik ist seine Schattenmessung. Es ist dies ein Ver- fahren, die Höhe hervorragender Gegenstände zu bestimmen. Thaies soll dadurch die Bewunderung seiner Zeitgenossen erregt hal)en. Das Verfahren bestand darin i), daß er zu der Zeit, wenn Schatten und Höhe der Körper gleich sind, was er an einem Stock ermittelte, den Schatten des betref- fenden Gegenstandes, z. B. einer Pyramide, maß, womit dann auch sofort die Höhe des Gegenstandes gefun- den war. Mit dem Gno- men, einem Werk- zeug, das zur Bestim- mung des Mittags aus der Schattenlänge diente, sollen die Grie- chen durch Anaxi- mander von Milet, den bedeutendsten Schüler des Thaies, bekannt geworden sein. Anaximander (610— 546 v.Chr.) hat nach Strabon auch die erste Karte der Welt, soweit damals die Länderkenntnis reichte, entworfen 2). Sein Landsmann Hekataeos (geb. um 550), der weite Reisen gemacht hatte, soll die neue Kunst in solchem Maße entwickelt haben, daß er Erstaunen erregte. Hekataeos verfaßte eine Erd- beschreibung, der er eine Weltkarte beigab. Er gilt als der älteste griechische Geograph und der Vorgänger Herodots. Erhalten ist von den Karten jener Zeit nichts mehr. Sie glichen wahr- scheinlich den Kadkarten des früheren Mittelalters (Abb. 11), d. h. Radkarte der Erde. 1) Nach Plutarch, Vol. 111, pag. 174, ed. Didot, sowie nach Plinius XXX VI. 12 2j A. Forbiger, Handbuch der alten Geographie. I. 44. 6* 68 Weltentstehungslehre. sie waren lediglich rohe Orientierungen ohne jeden wissenschaft- lichen Wert, so daß sie den Spott Herodots herausforderten. Die Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen Dingen, zu welcher Thaies bei den loniern allen Nachrichten zufolge den Anstoß gab — nennt ihn doch Aristoteles den „Beginner" der philosophischen Naturforschung i) — rief nun auch ein Streben nach einer ursächlichen Erklärung der gesamten Erscheinungswelt hervor. Eine auf den letzten Gründen fußende Erklärung ist seit- dem das Ziel der Philosophie gewesen, ohne daß sie, wie es in der Natur der Sache liegt, jemals zu einer befriedigenden Lösung eines so weit gespannten Problems gelangt wäre. Was die Frage nach dem Ursprung der griechischen Philosophie anlangt, so neigt ihr hervorragendster Geschichtsschreiber, Zell er, zu der Ansicht, daß sie selbständig geworden und nicht orientalischer Herkunft sei2). „Wenn es je ein Volk gegeben", sagt Zell er, „das seine Wissenschaft selbst zu erzeugen imstande war, so waren es die Griechen". Dem ersten Ausdruck für ihre Weltanschauung begegnen wir bei den Dichtern. Insbesondere war es der im 8. Jahrhundert V. Chr. lebende Hesiod, der in den „Werken und Tagen" die Frage nach der Weltentstehung auf warf. Für Hesiod war die Weltentstehungslehre wesentlich Götterlehre. Kosmogonie und Theogonie waren in jenem Zeitalter noch zu einer in mystisches Gewand gekleideten Einheit verschmolzen. Thaies und seinen unmittelbaren Nachfolgern, die sich über den Begriff des Stoffes kaum zu erheben vermochten, genügte dann die Annahme, daß alle Dinge auf einen einzigen Urstoff zurückzuführen seien. Als solcher' dünkte dem Thaies nichts geeigneter als das Wasser, weil es ihm, nach seinen Eigenschaften zu urteilen, zwischen der Erde und der Luft zu stehen schien. Eine Stütze fand diese Lehre in gewissen Beobachtungen. Wurde doch z. B. Ägypten, woher viele Anschauungen des Thaies stammten, als ein Erzeug- nis des Niles angesehen. Entwickelten sich nicht ferner aus der feuchten Erde die Pflanzen? Selbst als man später genauer be- obachten lernte, hat jene Lehre immer wieder Anhänger gefunden. Van Helmont, ein hervorragender Forscher des 17. Jahrhunderts, war noch in ihr befangen. Erst Lavoisier und Scheele, die an der Schwelle der neuesten Zeit stehen, vermochten den Glauben 1) A r i s 1 0 1. , Mef aphys. I, 3. 2j Zelle r, Die Philosophie der Griechen. Bd. I. (5. Aufl.) S. 35. Ionische Naturphilosophie. 69 an die Umwandlung des Wassers in Erde, der stets wieder auf mangelhafte Beobachtungen gestützt wurde, durch einwandfreie Versuche endgültig zu widerlegen. Das Streben nach einer Erklärung der Welt in ihrer Be- ziehung zum Menschen hat seit der Zeit des Thaies nicht auf- gehört, die hervorragendsten Geister zu beschäftigen. Hier ist es nur insofern von Belang, als die Ergebnisse des philosophischen Denkens einen Einfluß auf die weitere Entwicklung der Natur- wissenschaften ausgeübt haben. Letztere steckten sich alsbald das bescheidenere, aber erreichbare Ziel, einen Einblick in den gesetz- mäßigen Zusammenhang der Erscheinungen zu gewinnen. In dem Maße, wie man dieses Ziel ins Auge faßte, hat sich die Be- seitigung phantastischer Auswüchse vollzogen, wie sie in der Alchemie und Astrologie z. B. zum Ausdruck kamen, und in eben demselben Maße näherte sich die Wissenschaft ihrer jetzigen Gestalt. Mit der ionischen Naturphilosophie trat „ein neues Element in das geistige Leben der Menschheit". Es begegnen uns zum -ersten Male wissenschaftliche Persönlichkeiten mit eigenen Über- zeugungen, die durch angestrengte Geistesarbeit zu ihren Ergeb- nissen gelangen. Für die weitere Entwicklung echter Wissenschaft war ein solches Hervortreten der Individualität die unerläßliche Voraussetzung!). Die rein philosophische Betrachtungsweise besitzt trotz der Nachteile, die ihr gegenüber der exakten Forschung innewohnen, doch unleugbar das Verdienst, die empirischen AVissenschaften ununterbrochen angeregt zu haben. Manche philosophische An- sicht, welche das griechische Altertum entwickelte, beeinflußte bis in die neuere Zeit hinein die Naturwissenschaften. So hat sich z. B. das Bestreben, die Mannigfaltigkeit der Stoffe auf einen einzigen Urstoft' zurückzuführen, bis auf unsere Tage erhalten. Zuerst wurde von den ionischen Philosophen eine der bekannten Materien, wie die Luft oder das Wasser, zu einem solchen Urstoff gestempelt. Später faßte Aristoteles Luft, Wasser, Erde und Feuer als die verschiedenen Erscheinungsformen eines und des- selben Urprinzips auf. Infolgedessen hielt man eine Verwandlung der bekannten Stoffe ineinander für möglich. Und so war es be- sonders die aristotelische Philosophie, auf die sich im Mittelalter das Bemühen, unedle Metalle in edle überzuführen, stützen konnte. 1) E. Meyer, Alte Geschichte. Bd. IV. 1901. S. 199. ■70 Die Lehre von den Elementen. Die Lehre von den Elementen ist ihrem Ursprung nach auf Empedokles aus Agrigent (um 440 v. Chr.) zurückzuführen. Für ihn waren die Urstoffe ewig, selbständig und nicht ausein- ander ableitbar. Durch zwei bewegende Kräfte, die Freundschaft und den Streit, den Heraklit den Vater aller Dinge nannte, wurden die Elemente gemischt und zu Dingen gestaltet. Die Ent- mischung sollte in der Weise erfolgen, daß die Teilchen des einen Stoffes sich unsichtbar von den Teilchen des anderen ablösen. Auf diesem Wege ließ Empedokles auch die Sinnesempfindungen entstehen i). Empedokles wußte sich auch über die Naturdinge im be- sonderen manche zutreffende oder doch beachtenswerte Meinung zu bilden. So nahm er anstatt des Zentral feuers, um das die Pythagoreer die Erde kreisen ließen, einen feurig- flüssigen Erd- kern an, von dem die heißen Quellen und die Vulkane ihre Wärme erhalten sollten. Das unterirdische Feuer sollte ferner die Ge- birge emporgehoben haben. Aus großen, auf Sizilien gefundenen Knochen schloß Empedokles auf die vorgeschichtliche Existenz eines Riesengeschlechts. Seine Ansichten entwickelte er in einem' Gedicht „Von der Natur". Leider sind davon nur wenige Bruch- stücke erhalten. Diese lassen indes erkennen, daß Empedokles auch über die Natur der Pflanze nachgedacht hat. Letztere er- klärte er für beseelt. Als Zeichen der Beseelung deutete er aller- dings Erscheinungen, die man heute mechanisch erklärt, wie das Erzittern, das Ausstrecken der Zweige und das kräftige Zurück- schnellen gebogener Aste. Auch die Behauptung, daß die Pflanzen zweierlei Geschlecht besäßen, wird auf Empedokles zurückgeführt. Selbst die später oft wiederkehrende Lehre von den periodischen Weltumbildungen begegnet uns schon bei diesem Philosophen. Man darf deshalb 2) aus den vorhandenen Bruch- stücken altgriechischer Philosophie schließen, daß eine der wich- tigsten Annahmen der neueren Geologie, die Lehre nämlich, daß unser Erdball eine Reihe von Umwandlungen erlitten, bei denen Tiere und Pflanzen untergingen, um sich in anderen Arten wieder zu erneuern, als Ahnung schon im Altertum vor- handen war 3). », Zell er, Die Philosophie der Griechen. 5. Aufl. Bd. I. S. 769. 2) E. Meyer, Geschichte der Botanik. Bd. I (1854). S. 45. 3j Zeller, Über die griechischen Vorgänger Darwins, Abhandlungen d. kgl. Akademie d. Wissensch. zu Berlin. 1878. S. 115. Mechanische Naturerklärnng. 71 „Der Tatsachen, auf die man sich dabei stützte'*, waren viel- leicht nicht viele, um so schärfer war aber der Blick, der schon das Richtige traf^i). Erster Versuch einer Erklärung der Natur aus den Prinzipien der Mechanik. Hatte man zuerst die Stoffumwandlungen, denen man auf Schritt und Tritt begegnete, als ein Entstehen und Vergehen auf- gefaßt, so waren es Philosophen, welche lehrten, daß alle Ver- änderung auf ein Mischen und Entmischen zurückzuführen sei, und daß dabei der Stoff selbst weder sich bilde noch vernichtet werde. Dem philosophischen Denken entsprang ferner die Vorstellung, daß der Stoff aus kleinsten Teilchen bestehe, durch deren Umlagerung jenes Mischen und Entmischen bedingt sei — beides Grundsätze, deren sich die Forschung bemächtigte, um sie als Leitsterne bei ihren, auf die denkende Erfassung der Natur gerichteten Be- mühungen zu verwerten. Die angedeutete Durchführung der mechanischen Naturerklä- rung vollzog sich im Anschluß an die Lehren des Empedokles durch die Atomisten genannten Philosophen Leukipp und Demo- krit. Ihre Anschauungen lassen sich in folgende Sätze fassen: Das All ist anfangslos und auf keine Weise von irgend jemandem geschaffen. Überhaupt ist alles seit ewigen Zeiten in der Not- wendigkeit begründet, sowohl was war, als auch was ist und was sein wird 2), Das Weltall besteht aus qualitativ gleichen Teilchen, den Atomen, die ihrer Form nach verschieden sind und ihre Lage gegeneinander ändern. Damit letzteres möglich ist, muß der Raum im übrigen leer sein. Die Atome sind ewig und unzerstörbar. Aus Nichts wird nichts. Nichts kann vernichtet werden. Jede Veränderung besteht nur in der Verbindung und in der Trennung der Atome. Aus der Zahl, der Gestalt, dem Zusammentreffen und der Trennung der Atome geht die Mannigfaltigkeit der Dingr hervor. Die Vorgänge in der Natur hängen nicht von den Launen übernatürlicher Wesen ab, sondern sind ursächlich bedingt; nichts geschieht zufällig^). Die Bewegung der Atome ist seit Anbeginn vorhanden, sie hat zur Bildung unzähliger Welten geführt. Außer den Atomen und dem leeren Raum gibt es nichts. Eine Schwäche 1) E. Meyer a. a. 0. 2; So heißt es bei Plutarch, Strom. VII. Dox. Gr. S. 581. 3) S. auch Windelband, Die Lehre vom Zufall. Berlin 1870. 72 Die ersten Atomisten. dieser atomistischen Lehre, die ihr auch heute noch anhaftet, liegt darin, daß nach ihr auch das Seelische aus Atomen, und zwar aus Atomen feinerer Art bestehen soll, welche die gröberen Körper- atome durchdringen, sehr beweglich sind und auf diese Weise die Erscheinungen des Lebens hervorrufen. So wurden z. B. die Empfindungen des Süßen, Herben, Scharfen daraus erklärt, daß die Atome teils kugelig, teils kantig, teils zackig seien. Die "Wahr- nehmung, sowie überhaupt jede Wirkung der Dinge aufeinander sind nach Demokrit durch Ausströmung und Einströmung be- dingt. Aus diesem Grande mußten die Körper zwischen den Atomen Poren haben. Die Zahl der Atome ist unendlich groß und ihre Form unendlich verschieden. Qualitativ sind sie jedoch einander völlig gleich. Bei ihrer Bewegung durch den unendlichen Raum stoßen sie aufeinander. Dadurch entstehen Wirbel, aus denen die Weltkörper hervorgehen. Letztere entstehen und ver- gehen und sind in ihrer Zahl gleichfalls unbegrenzt. Diese Lehre von der Weltenbildung i) wurde im 18, Jahrhundert durch Kant und durch Laplace zu neuem Leben erweckt. Sie hat auch Giordano Bruno zu seinen Spekulationen über die Unendlich- keit der Welten angeregt. Demokrit wurde um 460 v. Chr. in der ionischen Kolonie Abdera geboren und starb um 370. Er sammelte auf vielen Reisen zahlreiche Kenntnisse. „Ich habe", sagt er, „unter allen Menschen meiner Zeit die größten Länderstrecken durchwandert, das Entfern- teste erforscht, die meisten Länder gesehen und kundige Menschen gehört." Von seinen zahlreichen Schriften ist leider nur wenig er- halten geblieben. Soviel läßt sich jedoch erkennen, daß er in syste- matischen Werken, sowie in Einzelabhandlungen das ganze Gebiet menschlichen Wissens zu umspannen gesucht hat. Er schrieb nicht nur über Sternkunde, Medizin, Ackerbau, Technologie, Kriegskunst wie viele andere vor ihm, sondern von ihm rührt auch der erste Versuch einer wissenschaftlichen Zoologie, Botanik und Mineralogie her 2). Gefördert und bereichert hat Demokrit die Wissenschaften im einzelnen kaum in erhebhchem Maße. Ihn als den größten Naturforscher des Altertums zu bezeichnen, ist daher nicht be- rechtigt. In der Astronomie haben ihn Oenopides und Meton übertroffen. Hielt er doch an der Scheibengestalt der Erde fest, so daß er in seinen kosmischen Vorstellungen weit unter Piaton 1) A. Brieger, Die Urbewegung der Atome und die Weltentstehung bei Leukipp und Demokrit. Halle 1884. 2j E. Meyer, Alte Geschichte. Bd. V. 1902. S. 340. Zufall und Zweckbegrifi'. 73 stand. Auch die Mathematik hat er trotz zahlreicher mathe- matischer Schriften nicht wesentlich gefördert. Trotzdem muß man bedauern, daß von seinen Werken nur geringe Bruchstücke i) übrig geblieben sind. Demokrit war ohne Zweifel der größte Polyhistor (d.h. kein bloßer Vielwisser) vor Aristoteles. Letzterer rühmt von ihm, daß er" überall die natürlichen Ursachen aufge- sucht und vieles früher Vernachlässigte festgestellt habe. Trotz seiner materialistischen Weltanschauung war Demokrit nach den Zeugnissen der Alten eine edle, reichbegabte, für Wahrheit und Wissenschaft begeisterte Natur. Hatte Demokrit die von Leukipp (um 500 v. Chr.) her- rührende atomistische Lehre in ein System gebracht, so ist für ihre Weiterverbreitung besonders Epikur tätig gewesen. Während des römischen Zeitalters wurde sie dann durch Lucretius Carus (um 50 V. Chr.) in einem „Über die Natur der Dinge" betitelten Lehrgedicht 2) dargestellt. Am meisten Schwierigkeiten machte es diesen als Atomisten be- zeichneten Philosophen, die zweckmäßige Beschaffenheit der Natur-, erzeugnisse, die auch Demokrit nach einer Stelle des Aristoteles bewundert haben soll, ohne die Mitwirkung einer Zwecktätig- keit, sondern lediglich aus der Notwendigkeit zu erklären. Ari- stoteles (Physik II, 8) wirft die Frage auf, „ob die Natur nur infolge einer blinden Notwendigkeit oder nach Zwecken handle". Falle doch auch der Regen nicht etwa, damit das Getreide wächst, sondern weil die aufsteigenden Dünste sich verdichten. Daß das Getreide dann wächst, treffe sich nur so nebenbei. ..Könnte nicht", fragt Aristoteles, „dasselbe von allen Naturerzeugnissen gelten und könnten beispielsweise die Vorderzähne nicht zufällig scharf und die Backenzähne zufällig stumpf sein. Dann wäre der Dienst, den sie uns leisten, eine unbeabsichtigte Folge dieses Zufalls und dem Zusammentreffen ähnlich, das zwischen der Verdichtung der 1) Gesammelt durch Mull ach, Berlin 1843. (Völlig veraltet; s. auch Diels' „Vorsokratiker"). Ist auch die Zahl der authentischen Fragmente nur klein, so sind wir über Demokrits Lehren doch besser unterrichtet als über die Ansichten zahl- reicher anderen Philosophen. Man hat mit Recht bemerkt, daß er eifriger ausgeschrieben als abgeschrieben wurde (F. A. Lange, Gesch. d. Materialis- mus. 1873. Bd. I. S. 11). Zumal durch Aristoteles und durch Lukrez sind wir mit Demokrits Anschauungen ziemlich genau bekannt. Selbst in der Überlieferung erscheinen sie als „so klar und folgerichtig, daß sich das kleinste Bruchstück mit Leichtigkeit dem Ganzen einfügen läßl" (Lange, a. a. 0.). 2) Lucretius Carua, De rerum natura. S. an späterer Stelle dies. Buches. 74 Zufall und Zweckbegriff. Dämpfe und dem "Wachsen des Getreides besteht. Diejenigen Wesen nun, bei denen sich alles so traf, wie wenn es zu einem Zwecke entstanden wäre, blieben erhalten, dagegen ging unter und geht noch fortwährend zugrunde, was der Zufall nicht zweckmäßig gebildet hat". Aristoteles weist diese Einwendungen, die man, wie er sagt, machen könnte, zurück. Nach ihm gibt es überall einen Zweck („ein Weswegen") in dem, was von Natur geschieht. In ihr herrsche der Zweck ebenso wie in der Kunst. Wie sich die Atomisten die Welt ohne eine Zwecke setzende Tätigkeit entstanden dachten, ersieht man aus einigen Stellen des Lukrez, so insbesondere aus folgenden Versen *): ..Sage mir ferner, woher ist gekommen den Göttern das Vorbild Der zu erzeugenden Dinge, ja selbst der Begriff nur des Menschen; Daß sie wußten und sahen im Geiste, was schaffen sie wollten. Woher erhielten sie jemals von Kräften der Urstoffe Kenntnis, Was durch veränderte Ordnung sie alles zu leisten vermöchten, Hätte Natur nicht selbst eine Probe des Schaffens gegeben? Denn gar viele der Urkörper pflegten seit ewigen Zeiten Durch ihr eignes Gewicht und durch Stöße von außen getrieben, fSich zu bewegen und mischen auf alle nur mögliche Weise Und zu versuchen, was sie für Verbindungen schaffen wohl könnten, Wenn sie bald so, bald anders sich zueinander gesellten. Ist da wohl zu verwundern, daß endlich sie nun auch in solche Lage gerieten und auch in solche Bewegungen kamen, Durch die das ganze All jetzt besteht und stets sich erneuert?" Und etwas später 2): ..Denn nicht haben Atome nach reiflich erwogenem Plane Jedes zur richtigen Stell' sich begeben mit rechnendem Geiste, Wahrlich auch nicht durch Verträge bestimmt eines jeden Be- wegung." Den Gedanken, daß die Natur oft neue Arten schaffe, die wieder untergehen, wenn sie sich nicht erhalten können, hat nach dem Wiederaufleben der Wissenschaften zuerst Cardanus ausge- sprochen ^j. Er tat dies in Anlehnung an die durch Lukrez ver- 1) 5. Buch. 181—194. 2) 5. Buch. 419 u. f. 3) Cardanus, De subtilitate. lib. XL (Cardani operum tom. III. Lugduni 1663. p. 549.) Auf diese Stelle machte mich Leopold Löwenheim auf- merksam. Siehe auch die von ihm herausgegebene Schrift: Die Wissenschaft Demokrits und ihr Einfluß auf die moderne Naturwiss. Von Louis Löwen- eim. Berlin 1914. Schicksale der atoraistischen Lehre. 75 breiteten Lehren Demokrits und Epikurs. Es ergibt sich somit ein ununterbrochener Zusammenhang zwischen den schon im Alter- tum ausgesprochenen Vorahnungen der Deszendenztheorie und ihrer wissenschaftlichen Gestaltung durch Lamarck und Darwin. Übte doch die um 1715 entstandene Schrift de Maillets eineli be- deutenden Einfluß auf die Entwicklung der evolutionistischen Ideen aus, der sich besonders ein Jahrhundert später bei Lamarck bemerklich machte (s. i. IV. Bande). Wie Cardanus ist aber auch de Maillet sehr wahrscheinlich durch die aus dem Alter- tum stammenden Keime zur Aufstellung seiner Lehre veranlaßt worden 1). Mag man vom philosophischen Standpunkte aus der mecha- nischen Welterklärung Wert beilegen oder sie für überwunden halten, man wird immer die vorurteilsfreie und konsequente Denk- weise ihrer Schöpfer anerkennen müssen. Besteht doch auch heute das Bestreben der Forschung darin, Qualität auf Quantität zurück- zuführen und in der Meßbarkeit einer Erscheinung ihre Erklärung zu finden. „Wer weiß, daß erst durch diese Methode die großen Triumphe der Naturwissenschaft errungen wurden, wird die Größe des demokritischen Gedankens zu würdigen wissen. Die atomistische Theorie ist zwar ein Gewebe von Hypothesen. Und doch haben wir kein besseres Netz, um die Naturerscheinungen für unser Ver- ständnis einzufangen"2). Die atomistische Lehre hat ein sonder- bares Schicksal erlitten. Auf das Zeitalter, in dem sie entstanden war, hat sie nur einen geringen Einfluß ausgeübt. Erst 2000 Jahre später wurde sie durch Gassendi und besonders durch Dalton wieder ins Leben gerufen. Seitdem hat sie die größte wissen- schaftliche Bedeutung erlangt, weil die Mechanik der Atome allen Naturerscheinungen zugrunde gelegt wurde 3). 1) Über diese Zusammenhänge siehe auch die soeben erwähnte Schrift Löwenheims. Ülier den Einfluß, den die demokritischen Anschauungen auf die weitere Entwicklung der Wissenschaften ausgeübt haben, wurden von Louis Löwen- heim eingehende Untersuchungen angestellt. Löwenheims Arbeit ist bis- her nur im Auszuge (s. S. 74 Anm. 2] veröffentlicht. Sie ist dem Verfasser nach dem Erscheinen seines Werkes durch den Sohn des verstorbenen Forschers im Manuskript zugestellt worden, um bei einer neuen Auflage berücksichtigt zu werden. Dies konnte an mehreren Stellen dieses Bandes geschehen. 2) Fr. Schnitze in der Zeitschrift Kosmos. 1877. 8. u. 9. Heft. 3) Siehe auch H. C. Liepmann, Die Mechanik der Leukipp-Demokriti- schen Atome. Leipzig 1885. 76 Die idealistische Weltanschauung. Der Beginn der idealistischen Weltanschauung. Eine weitere Tat der alten Philosophie bestand in der Auf- stellung und Durchführung des Zweckbegriffs an Stelle der von den Atomisten behaupteten bewußtlosen Notwendigkeit durch Anaxa- goras. Nach allem, was wir von ihm wissen, war Anaxagoras einer der bedeutendsten Philosophen des Altertums. Er wurde um 500 V. Chr. in Kleinasien geboren und siedelte nach den Perserkriegen nach Athen über, wo er zu Perikles in freund- schaftliche Beziehungen trat. Anaxagoras erblickte im Nach- denken über die Natur und das Geschehen seine Aufgabe und verpflanzte diese Art des Philosophierens nach Athen, das in der Folge zum Mittelpunkt des geistigen Lebens der Alten wurde. Seine Schrift über die Natur war zur Zeit des Sokrates sehr verbreitet. Von dieser Schrift sind leider nur Fragmente erhalten geblieben'). Wie Empedokles geht Anaxagoras von der Ansicht aus, daß alles Geschehen ein Gemischtwerden und eine Entmischung sei, wobei sich die Menge des Stoffes im Weltall weder mehre noch mindere. Die hierzu erforderliche bewegende KJraft erblickte er in einer vom Stoff gesonderten, freiwaltenden, selbst unbewegten Intelligenz. Diese nach Zwecken handelnde Intelligenz wird aber von ihm mehr vorausgesetzt als nachgewiesen. Daher werfen ihm Plato und Aristoteles vor, sein „vovg''^) habe ihm zur Er- klärung nur als deus ex machina gedient. Aus dem Urzustände oder dem Chaos hat der „rovc;" nach An-axagoras als ordnendes, nicht als schaffendes Prinzip das Universum entstehen lassen. Eine Erschaffung aus dem Nichts ist eine orientalische Vorstellung, welche dem griechischen Geiste wenig zusagte und uns daher bei den griechischen Philosophen kaum begegnet. Der „j/oög" und die Urbestandteile der Dinge sind vielmehr von Anbeginn vorhanden. Es ist der philosophische Keim der Lehre von der Erhaltung von Stoff und Kraft, der uns hier begegnet. Der ,.vovg''^ versetzte die Masse in eine Art Wirbel- bewegung, welche das Gleichartige zusammenführte und das Weltall in seiner jetzigen Verfassung entstehen ließ. Die später von Kant und Laplace entwickelte Nebularhypothese besagt, wie wir sehen 1) Schaubach, Anaxagorae fragmenta. Lipsiae 1817. Mullachius, Fragm. phil. graec. Parisiis. I u. II. 1860 — 1867. Vor allem aber Diels' „Vorsokratiker". -) D. h. Vernunft hier Weltvemunft. Philosophie und Naturwissenschaft. 77 werden, im Grunde dasselbe. Nur daß die Neueren diese Vor- stellungen von der alten geozentrischen Ansicht loslösten und sie vom Standpunkte der koppernikanischen Lehre entwickelten. In- folge der Wirbelbewegung trennen sich nach Anaxagoras Äther, Luft, Wasser und Erde voneinander. Vom letzteren Elemente verharren einzelne Massen infolge der Wirbelbewegung im Äther, der ihnen Leuchtkraft verleiht und sie uns als Gestirne erscheinen läßt. Für diese Ansicht sprechen nach Anaxagoras die vom Himmel fallenden Meteoriten, von denen er den 423 v. Chr. in Aegospotamoi (Thrazien) gefallenen erwähnt. Er meint, dieses Eisenstück, das bei Tageslicht auf die Erde herabgefallen sei^), stamme von der Sonne, und mache es wahrscheinlich, daß letztere aus glühendem Eisen bestehe. Auch der Mond sei ein Welt- körper wie unsere Erde und besitze Berge und Täler, eine Vor- ahnung, deren Richtigkeit erst 2000 Jahre später durch Galilei er- wiesen werden konnte 2). Anaxagoras teilte das Schicksal vieler aufgeklärten Geister. Er wurde im hohen Alter als Gottesleugner ins Gefängnis geworfen und nur auf die Verwendung des Perikles hin wieder in Freiheit gesetzt. Die Anklage stützte sich besonders darauf, daß Anaxagoras die Sonne für einen glühenden Meteor- stein erklärt hatte. Ihm, wie später dem Sokrates und Aristo- teles, hat das atheniensische Volk mit Undank gelohnt. Erwies sich auch der auf Anaxagoras zurückzuführende Be- griff der Zweckmäßigkeit, der in den platonischen Ideen seine Fort- bildung fand, während der späteren Entwicklungsstufen der Wissen- schaft als unzureichend, so war er doch für die Naturforschung des Altertums von Bedeutung und bei dem Aufbau des das Wissen jener Zeit umfassenden, aristotelischen Lehrgebäudes das eigentlich Treibende. Hinderlich wurde die alte Philosophie der Wissenschaft zu- weilen dadurch, daß sie sich mehr dichterisch schaffend als kritisch forschend verhielt. Man war zu leicht geneigt, das Wort für das Ding und den Begriff für das eigentliche Wesen des Dinges zu nehmen. „Durch die Wörter", sagt daher Lange in seiner Ge- schichte des Materialismus 3) mit Recht, „ließen Sokrates, Plato 1) Es besaß die Größe eines Mühlsteins und wird auch von Plutarch und Plinius erwähnt. 2j Anaxagoras nahm an, daß die Sonne mehrere Male so groß sei wie der Peloponnes und daß der Mond ihr an Größe etwa gleich komme. Letzterer sei wie die Erde ein Wohnsitz lebender Wesen. 3) Lange, Geschichte des Materialismus. Bd. I. S. 57. 78 Die Begründung der griechischen Mathematik; und Aristoteles sich täuschen. Wo ein Wort war, wurde ein Wesen vorausgesetzt. Gerechtigkeit z. B. mußte doch etwas be- deuten. Es mußte also Wesen geben, welche den Ausdrücken ent- sprechen." In Pia ton (427—347) erreichte die griechische Philosophie ihren Höhepunkt. Sein System gipfelt darin, daß er die Idee als die Ursache und den Zweck des Geschehens betrachtet und auf diese Weise das Geistige und die Körperwelt aus einem Prinzip ableitet. Obgleich Piaton wenig Eigenes auf dem Ge- biete der Mathematik geschaffen hat und seine Neigung zu den Naturwissenschaften nur gering war, hat er dennoch diese beiden Wissensgebiete in nicht geringem Maße befruchtet. Groß war vor allen Dingen der persönliche Einfluß, den er als Gründer der atheniensischen Akademie auf seine Schüler ausübte. Zu ihnen zählten Aristoteles, Eudoxos und Herakleides Pontikos. Piaton selbst wurde besonders durch die Pythagoreer angeregt, mit deren Lehren er in Großgriechenland bekannt geworden war. Auch in Ägypten ist Piaton gewesen. Seine Ansichten über die Natur entwickelt Piaton in dem- jenigen seiner Dialoge, der den Titel „Timäos" führt. Diese Schrift ist in besonders hohem Grade durch mythische und pythagoreische Lehren beeinflußt. Nach Piaton besteht die Welt nicht seit Ewigkeit, wie der fast gleichzeitig lebende Demokrit lehrte, son- dern sie hat einen Beginn und einen Schöpfer. Ewig sind nur die Ideen, welche der Schöpfer, das ist das bewegende Prinzip, mit dem zunächst ungeformten Urgrund der materiellen Welt (etwa dem Chaos zu vergleichen) verbindet. Das Ergebnis ist nicht eine Unendlichkeit von Welten, sondern nur eine Welt, der die voll- kommenste Gestalt, das ist die Kugelform, zukommt. Auch in den Einzelheiten weicht die platonische Auffassung in solchem Maße von der mechanischen ab, daß sie nicht die Grundlage der nach einer Erklärung aus mechanischen Prinzipien suchenden Naturwissenschaften werden konnte. Die Begründung der griechischen Mathematik. In gleichem Maße, wie die ersten philosophischen Bestrebungen anregend auf die Forschung gewirkt haben, war dies auch hinsicht- lich der Mathematik der Fall. Zur vollen Erkenntnis der Wahr- heit, daß nur durch die Vereinigung des mathematischen Verfahrens mit der experimentellen Forschungsweise Aussicht auf eine Lösung Pythagoras und seine Schule. 79 der naturwissenschaftlichen Probleme vorhanden ist, sollte jedoch erst die neuere Zeit gelangen. Es ist ein wesentlicher Mangel der \ Alten, welche die Mathematik wohl zu handhaben wußten, daß sie j sich nicht in gleichem Maße für die Ausübung des Experiments befähigt zeigten. Mannigfache Gründe s^ind hierfür ins Feld ge- führt worden. Einer der wichtigsten bestand wohl in dem Über- schätzen der reinen Geistestätigkeit gegenüber jeder Beschäftigung mit materiellen Dingen. Auch der Umstand, daß die Ausübung gewerblichen Schaffens eines freien Mannes unwürdig galt und in die Hand der Sklaven gelegt wurde, war dem Entstehen der ex- perimentellen Forschungsweise in hohem Grade hinderlich i). Wenn wir die Entwicklung der Mathematik, die hier gleich den Ergebnissen der Philosophie nur soweit in Betracht kommt, wie sie die Naturwissenschaften beeinflußt hat, nach ihren ersten, an ägyptische und babylonische Elemente anknüpfenden Schritten weiter verfolgen, so richtet sich unser Blick von lonien nach einem anderen Hauptsitz hellenischer Bildung, nämlich nach Groß- griechenland. Hatte man den Wert der mathematischen Betrach- tungsweise in lonien überhaupt erst schätzen gelernt, so finden wir dort, bei Pythagoras und seinen Anhängern eine beträcht- liche Überschätzung derselben. Wichtig ist vor allem, daß auch im übrigen Griechenland Männer auftraten, die in der denkenden Betrachtung der Welt ihre Lebensaufgabe erblickten. Als einer der ersten wird uns Pythagoras genannt. Da indes von seinem Leben fast nichts verlautet und auch keine von ihm herrührende Schrift auf uns gekommen ist, so tritt uns in Pythagoras wie in Thaies eine sagenumwobene Gestalt entgegen. Ersterer galt lange als der eigentliche Begründer der griechischen Mathematik, während für Thaies und Anaximander die Mathematik als Hilfswissenschaft zur Lösung astronomischer Aufgaben in Betracht kam. Heute ist das Urteil über die Bedeutung des Pythagoras wesentlich eingeschränkt worden (s. S. 80). ») Man darf den hier gerupften Mangel der Alten aber auch nicht über- treiben, wie es z.B. Du Bois Reyrnond vKulturgeschichte und Naturwissen- schaft] getan hat. Daß das Experiment auch im Altertum eine Rolle spielte, und zumal bei den Alexandrinern zu wichtigtn Ergebnissen führte, darf nicht verkannt werden. Im Mittelalter waren insbesondere die Araber bemüht, die ihnen von den (jriechen übermittelten Wissenschaften durch experimentelle Untersuchungen weiter auszubauen. Siehe auch K. Wiedemann, Über das Experiment im Altertum und Mittelalter (Unten-ichtsblätter für Mathem. und Naturwissensch. 1906. Nr. 4 — 6). 80 Di© Zahlenmystik der Pythagoreer. Pythagoras wurde um 550 v. Chr. in Samos geboren. Über die Gründung seiner Schule gehen die Nachrichten sehr auseinander. Es läßt sich annehmen, daß er sich vorher gleich Thaies in Ägypten, rielleicht auch in Babylon i) aufgehalten hat. Auch in diesem Falle würde es sich also um eine Verpflanzung orientalischer Wissenschaft auf den, ihrer weiteren Entwicklung besonders gün- stigen Boden Griechenlands gehandelt haben. Pythagoras und seine Schüler gingen, mehr ahnend als in wirklicher Erkenntnis, von der Voraussetzung aus, daß eine durch Maß und Zahl bestimmte Gesetzmäßigkeit alles natürliche Geschehen beherrsche. In einseitiger Übertreibung dieses Gedankens erblickten sie dann in den Zahlen den ursächlichen Grund der Erscheinungs- welt. „Den Pythagoreern," sagt Aristoteles, „ward die Mathe- matik zur Philosophie." Es handelte sich indessen bei ihnen mehr um bloße Zahlenmystik, als um die Pflege und Förderung exakter Wissenschaft. So bezogen sie die Sechs auf Belebung, die Sieben auf Gesundheit, die Acht auf Freundschaft usw. Diese Zahlenmystik der Pythagoreer ist zum Teil wohl auf akustische Versuche und das Nachdenken über das Wesen der Harmonie zurückzuführen. Man hatte bemerkt, daß der Ton einer Saite von bestimmter Span- nung in die Oktave übergeht, wenn man die Länge der Saite auf die Hälfte herabsetzt, oder daß gleich gespannte und gleich dicke Saiten konsonierende Töne geben, wenn sich ihre Längen wie 1:2, 2:3, 3:4, 4:5 verhalten. Den Grund dieser Erscheinung suchten die Pythagoreer nun in dem geheimnisvollen Wesen der Zahlen. Auch darin kam die Vorstellung von der Bedeutung der Har- monie zum Ausdruck, daß die von der pythagoreischen Schule beeinflußte Medizin Gesundheit als die Symmetrie gewisser Qualitäten wie Warm, Kalt, Trocken, Feucht usw. betrachtete, während Krankheit in der Störung dieser Symmetrie bestehen sollte 2). Auf die Pythagoreer werden zurückgeführt — wobei sich in- des nicht unterscheiden läßt, was selbst gefunden und was an fremden Elementen aufgenommen wurde — die Sätze über die Winkelsumme im Dreieck, über die Kongruenz der Dreiecke, der sogenannte pythagoreische Lehrsatz, sowie die Kenntnis des gol- denen Schnitts; ferner die ersten Kenntnisse der Stereometrie, ins- besondere der fünf regelmäßigen Polyeder und der Kugel. 1) Cantor, Geschichte der Mathematik. 1880. Bd. I. 128 u. 158. 2) Näheres siehe bei Diels, Antike Technik, S. 21. Die Pythagoreer. 81 Zeugnisse für geometrische Entdeckungen des Pythagoras enthält die Literatur des Altertums an etwa zwölf Stellen. Bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit dieser Zeugnisse ist indessen zu berücksichtigen, daß die ältesten Angaben 500 Jahre, die Haupt- quelle (Proklos) sogar 1000 Jahre nach Pythagoras nieder- geschrieben wurden 1). Proklos, der sich auf die beiden verloren gegangenen Schriften des Eudemos, des ältesten Geschichts- schreibers der griechischen Mathematik 2j, stützt, hat Pythagoras nicht für den Entdecker des Begriffes der irrationalen Größen ge- halten und ihm weder die Konstruktion der regulären Körper noch die Entdeckung des pythagoreischen Lehrsatzes zugeschrieben. Auch Zeller, der Geschichtsschreiber der griechischen Philosophie, ist schon der althergebrachten Ansicht entgegengetreten, nach welcher Pythagoras selbst als Mathematiker Hervorragendes ge- leistet haben soll. Das Ergebnis aller neuereh Nachforschungen besteht darin, daß sich eine bestimmte Leistung auf dem Gebiete der Mathematik Pythagoras mit Sicherheit überhaupt nicht zu- weisen läßt. Die den Griechen im allgemeinen nachgerühmte Strenge der Beweisführung war bei den Pythagoreern noch wenig entwickelt. Sie verfuhren häufig noch induktiv und wußten das Allgemeine von den Einzelfällen noch nicht recht zu trennen. Immerhin kommt ihnen das Verdienst zu, daß sie die Mathematik von den Bedürfnissen des Lebens gesondert und sie als reine "Wissenschaft aufgefaßt haben 3). Vor allem wurde die Lehre vom Dreieck durch Pythagoras und seine Schule so vollständig entwickelt, daß 1) H. Vogt, Die Geometrie des Pythagoras. Siehe Bibl. math. (3. Folge 9. Bd. S. 15 u. f. Danach sind neuerdings auch Zweifel erhoben, ob Pythagoras mit der Konstruktion der fünf regulären Körper schon vertraut gewesen. Auch mit dem Begriif des Irrationalen wurden die Griechen wahrscheinlich erst viel später bekannt. 2j Die Griechen haben schon über die Entwicklung der Mathematik geschrieben. Eudemos, ein Schüler des Aristoteles, verfaßte eine Geschichte der Astronomie und der Geometrie, die bis auf wenige, auch die erwähnten Angaben über Thaies enthaltende Bruchstücke verloren gegangen ist. Ferner schrieb Theophrast von Eresos eine Geschichte der Mathematik. Sie ist leider ganz verloren gegangen (Suter, Geschichte der mathematischen Wissenschaften. 1873. S. 21). Die Fragmente des Eudemos wurden von L. Spengel gesammelt und herausgegeben: Eudemi fragmenta, quae supersunt. Berlin 1866. Zu erwähnen ist auch Menon. Er war gleichfalls ein Schüler des Aristoteles und schrieb eine Geschichte der Medizin. Die erhaltenen Bruchstücke veröffent- lichte Diels (Suppl. Arist. III, 1. Berlin 1893]. 3, Tropfke. Geschichte der Mathematik. II, S. 5. Dannemann, Die Naturwissenschaften. I. Ud. 2. Aufl. 6 82 Die Pythagoreer. Euklid, als er die mathematischen Kenntnisse der Griechen in seinen „Elementen" zusammenstellte, nur wenig hinzuzufügen brauchte. Daß die Winkel des Dreiecks zusammen zwei Rechte betragen, bewiesen die Pythagoreer, indem sie durch eine Ecke eine Parallele zur Gegenseite zogen >]. Auf den nach Pythagoras be- nannten Satz wurde man wahrscheinlich dadurch geführt, daß man die aus Ägypten oder Babylon zu den Griechen gedrungene Er- kenntnis, ein Dreieck sei rechtwinklig, wenn sich seine Seiten wie 3:4:5 verhalten, mit dem arithmetischen Satze, daß S^-]- 42 gleich 5* ist, zu verbinden wußte; wie denn überhaupt die Stärke der späteren Pythagoreer in der Anwendung der Zahlenlehre auf die Geometrie bestand. Auch den Satz, daß die drei Winkelhalbierenden eines Dreiecks sich in einem Punkte schneiden, haben die Pythagoreer gekannt und zur Auffindung des dem Dreieck eingeschriebenen Kreises verwertet^). Eingehend haben sie sich ferner mit den regelmäßigen Polygonen und mit den fünf regelmäßigen Polyedern beschäftigt. Von letzteren waren der Würfel, das Tetraeder und das Oktaeder schon Gegenstand der orientalischen Mathematik ge- wesen. Das Ikosaeder und das Dodekaeder dagegen hat erst die pythagoreische Schule konstruiert. Alle fünf Körper legten die Pythagoreer ihren mystischen Welterklärungsversuchen zugrunde. Die Welt sollte die Form des Dodekaeders besitzen, die vier übrigen regulären Körper dagegen für die Teilchen der vier Grundstoffe, Feuer, Erde, Luft und Wasser, formbestimmend sein 3). Zu der Erkenntnis, daß es nur fünf reguläre Polyeder gibt, d. h. Körper, die von gleichen, gleichseitigen und gleichwinkhgen Ebenen be- grenzt sind, gelangte erst Euklid. Wie für die Geometrie, so wurde damals auch in der Arith- metik eine Grundlage geschaffen, welche den raschen Aufschwung ermöglichte, den die Mathematik bald darauf in Griechenland er- fuhr. Die Pythagoreer schufen die Begriffe der Prim- und der relativen Prim- oder teilerfremden Zahlen. Aus dem Orient über- nahmen sie dann die Begriffe Quadrat- und Kubikzahl, mit denen die Babylonier schon im 3. Jahrtausend v. Chr. vertraut waren. Auch die Lehre von den Proportionen wurde von den Pythagoreern gepflegt, da die Proportionen sich für manche Aufgaben, die man heute durch Gleichungen löst, als besonders geeignet erwiesen. J) Proclos, ed. Friedlein. S. 379. 2) Tropfke, n. 88. 3) Nach Angabea von Piaton (Timäos) und Vitruv (De architecturaj. Näheres siehe Tropfke. II. 400. Der Beorriff des Irrationalen. 83 Neben der arithmetischen (a — b = c — d) und der geometrischen (a : b =: c : d) erregten auch die durch Gleichsetzung der inneren Glieder sich ergebenden stetigen Proportionen (a — b = b — c und a:b = b:c) die Aufmerksamkeit der pythagoreischen Schule. Auf den Begriff des Irrationalen wurden die Pythagoreer geführt, indem sie erkannten, daß die Diagonale und die Seite eines Quadrates kein gemeinschaftliches Maß besitzen. Die systema- tische Darstellung der Lehre von der Irrationalität erfolgte durch Euklid. Er dehnt sie auf mehrfache Quadratwurzeln aus, be- handelt aber nur solche Ausdrücke, die sich mit Zirkel und Lineal konstruieren lassen i). Einige Jahrhunderte unausgesetzter Pflege der mathematischen Wissenschaften, mit denen sich auch die hervorragendsten unter den Philosophen, wie Piaton und Aristoteles, beschäftigten, genügte dann, um in den Werken des Apollonios und des Archimedes Leistungen allerersten Ranges heranreifen zu lassen. Besonders in der Hand des letzteren wurde die Mathematik zu einem Werk- zeug, mit dem schon die Bewältigung mancher physikalischen Auf- gabe gelang. In der Geschichte der griechischen Mathematik nimmt der um 440 wirkende Hippokrates von Cliios eine vermittelnde Stellung zwischen der älteren Schule der Pythagoreer und den Mathematikern des 4. Jahrhunderts v. Chr. ein. Hippokrates begründete eine strengere Beweisführung. Auch war er der erste, der ein mathe- matisches Lehrgebäude veröffentlichte 2). Am bekanntesten ist sein Satz von den Möndchen (Lunulae Hippokratis). Er lautet: Gegeben sei ein dem Halbkreise eingeschrie- benes, gleichschenkliges, recht- winkliges Dreieck. Errichtet man dann Hnlbkreise über den Kathe- ten, so sind a und a, (die Lunulae) Abb. 12. Der Saiz des Hippokrates. den Stücken b und b, flächengleich (Abb. 12). Hippokrates hat ferner bewiesen, daß sich die Kreis- flächen wie die Quadrate der zugehörigen Durchmesser verhalten. Auf ihn ist wahrscheinlich auch die Exhaustionsmethode zurück- zuführen, die uns im Verfolg der weiteren Entwicla/joA/;i) des Rechteckes an die Gerade den Namen Parabel erhielt. Er zeigte weiter, daß sich der für die Würfel- verdoppelung gesuchte Wert x als Schnittpunkt einer Parabel mit einer Hyperbel oder als Schnittpunkt zweier Parabeln ermitteln läßt. Doch würde ein weiteres Eingehen auf diese Konstruktionen hier zu weit führen. Jedenfalls steht fest, daß Menächmos mit einer punktweisen Konstruktion beider Kurven und mit ihren Grundeigenschaften, ja sogar mit den Asymptoten der Hyperbel Abb. 13. Konstruktion zur Lösung des delischen Problems. 1) Diese Konstruktion, welche Eutokios in seinen Erläuterungen zu Archimedes brinjjt, wird Piaton zugeschrieben. Archimedes, ed. Hei- berg, lU., S. 66—70. Die Anfänge der Stereometrie. 87 bekannt wari). Die Beziehung der von ihm untersuchten Kurven zur Kegeloberfläche hat Menächmos wahrscheinlich noch nicht erkannt, jedenfalls gelangte er zu diesen Kurven, indem er sich bemühte, für einen arithmetischen Ausdruck den zugehörigen geo- metrischen Ort zu bestimmen 2). Auch die Aufgabe, einen Winkel in drei gleiche Winkel zu zerlegen, führte, wie das delische Problem, auf kubische Glei- chungen und höhere Kurven. So gelang es um 400 v. Chr.^) die Dreiteilung des Winkels mit Hilfe der Quadratrix genannten Kurve auszuführen*). Die Beschäftigung mit dem delischen Problem und den Kegel- schnitten führte im Verlauf der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts V. Chr. auch zu einem tieferen Eindringen in die Wahrheiten der Stereometrie. Vor allem sehen wir Piaton und seine Schüler auf diesem Gebiete tätig. Auf den unbefriedigenden Zustand dieser Wissenschaft wies er mit folgenden Worten hin: „Hinsichtlich der Messungen von allem, was Länge, Breite und Höhe hat, legen die Griechen eine in allen Menschen von Natur vorhandene, aber ebenso lächerliche wie schmähliche Unwissenheit an den Tag". Piaton gebührt aber auch das allgemeinere Verdienst, die mathematische Methode dadurch verbessert zu haben, daß er jeden Satz auf Vordersätze zurückführte, bis er endlich zu Axiomen und Defi- nitionen als den, weitere Voraussetzungen entbehrenden Grund- lagen der Mathematik gelangte. Auch die Erfindung des indirekten ßeweisverfahrens wird Pia ton zugeschrieben 5). Unter den stereometrischen Sätzen, welche die platonische Schule auffand, verdienen besonders zwei hervorgehoben zu werden. Es ist das der Satz von der Raumgleichheit der Pyramide mit dem dritten Teile des Prismas von gleicher Grundfläche und gleicher Höhe. Ferner erkannte man, daß Kugeln sich in bezug auf den Rauminhalt wie die dritten Potenzen ihrer Durchmesser verhalten^!. 1) Näheres bringt die von Cautor (Bd. I. S. 199) nach Eutokios gegebene Darstellung der von Menächmos gefundenen Sätze. 2) Ging man ähnlich wie bei der Ableitung der Parabel vor, stellte aber die Bedingung, daß von den an die Grei'ade anzutragenden Rechtecken stets ein Stück übrig bleibt, so ergab sich als geometrischer Ort die Ellipse- {t).)sineiy heißt übrig bleiben). Überragten dagegen die Liechtecke die Gerade, so ergab sich die Hyperbel {vntoßÜA'/.nir heißt überragen). •') Hippias von Elis. 4) Näheres Cantor, I. 167. •'>) Tropfke, Geschichte der Elementarmathematik. Bd. II. S.o. 6) Beide Sät/e werden Piatons Schüler Eudoxos von Knidos zugeschrieben. 88 ' Die Anfänge der griechischen Astronomie. Um jene Zeit scheint auch die Entdeckung stattgefunden zu haben, daß Ellipse, Parabel und Hyperbel wie der Kreis als Kurven auf der Kegeloberfläche (Kegelschnitte) entstehen, wenn man Ebenen in verschiedener Neigung zur Kegelachse durch den Kegel legt i). Die Anfänge der griechischen Astronomie^). Nicht so erfolgreich wie auf den Gebieten der Philosophie und der Mathematik sind die Griechen während dieser Periode in der Astronomie gewesen. Die Anfänge dieser Wissenschaft verdankten sie den Sternwarten Mesopotamiens, so die Kenntnis der Ekliptik, der Tierkreiszeichen, der Planetenreihe usw. Auch das Duodezimal- sowie das Sexagesimalsystem und die auf diesen Systemen be- ruhenden Maße gelangten über die ionischen Städte, welche dem babylonischen Einfluß weit geöffnet waren, nach Griechenland 3). Große Schwierigkeiten bereitete den Griechen ihre Zeitrechnung, der sie anfangs die Bewegung des Mondes zugrunde legten. Man sah dieses Gestirn in rascher Folge einen Wechsel von Lichtgestalten durchlaufen und gelangte dadurch zur Aufstellung des synodischen Monats, dessen Dauer 29 Tage 12 Stunden und 44 Minuten be- trägt. Es ist nun sehr wahrscheinlich, daß der erste Versuch, die Rechnung nach Mond und Sonne zu regeln, zur Festsetzung eines Zeitraums von 12 Monaten zu 30 Tagen führte. Ein solcher Ka- lender konnte den Bedürfnissen jedoch nicht lange genügen, da er dem tatsächlichen Verlauf der himmlischen Bewegungen zu wenig entsprach. Der nächste Schritt bestand deshalb darin, daß man den Monat abwechselnd zu 29 und 30 Tagen rechnete. Da- durch wurde das Jahr aber auf 354 Tage verkürzt. Mit diesem Zeitabschnitt rechneten die Griechen, bis Solon den bedeutenden Ausfall, den man erlitten, dadurch ausglich, daß er jedem zweiten Jahre einen vollen Monat von 30 Tagen zulegte. Auf das Jahr kamen also im Mittel - ^ = 369 Tage, was noch immer eine starke Abweichung von der wirklichen Dauer bedeutete. Einer der 1) Diese Entdeckung wird auf Aristaeos (um 320 v. Chr.), der ebenfalls der platonischen Schule angehörte, zurückgeführt. Er soll auch das erste Werk über die Kegelschnitte geschrieben haben. Cantor I, 211. 2) Eine ausführliche Darstellung mit zahlreichen Literaturangaben enthält Paulys Eealenzykl. f. d. klass. Altertum in Bd. n. (1896.) S. 1828—1862. Sie rührt von Hultsch her. 3) F. Cumont, Babylon und die griechische Astronomie. Neue Jahr- bücher f. d. klass. Altertum. 1911. S. 1. Die Kalenderrechnung. 89 ersten, der sich (um 460 v. Chr.) bemühte, die Kalenderrechnurg durch einen besseren Ausgleich zwischen dem Mondumlauf und dem Sonnenjahr zu regeln, war der Astronom Qenopjdes auf Chios, zu dessen Schülern wahrscheinlich Hippokrates von Chios zählte. Oenopides setzte 730 Mond-Monate 59 Sonnen-Jahren gleich und kam so zu einer Jahreslänge von 365,373 Tagen. Er soll auch viel zur Übermittlung der ägyptischen und babylonischen Astro- nomie beigetragen und den aus gleichen Abschnitten bestehenden Tierkreis in Griechenland eingeführt haben. Auch dadurch hat er sich einen Namen gemacht, daß er die regelmäßig wieder- kehrenden Xilschwellen auf kosmische Ursachen zurückführte. Die Verwirrung, in welche der Kalender der Griechen geraten war, hat ihr großer Lustspieldichter Ari st oph an es i) dadurch ver- spottet, daß er den Mond über einen solch unhaltbaren Zustand sich beklagen läßt. Erst dem atheniensischen Mathematiker Meton gelang 433 v. Chr. die endgültige Beseitigung dieses Wirrsals. Er führte einen Zyklus ein, der 19 Jahre und innerhalb dieses Zeit- raums 125 ,. volle" und 110 „leere" Monate umfaßte, so daß das Jahr jf^ = 365,263 Tage enthielt, während der wahre ly Wert des Sonnen jahres sich auf 365,242 Tage beläuft 2). Die Einteilung nach Stunden, für die sich bei Herodot noch keine besondere Bezeichnung findet, scheint erst gegen das Ende des 4. vorchristlichen Jahrhunderts in Gebrauch gekommen zu sein. Vorher begnügte man sich damit, daß man aus der Schattenlänge des eigenen Körpers oder eines senkrechten Sonnenzeigers auf das Vorrücken der Tageszeit schloßt). Zu einer annähernden Bestimmung des Sonnenjahres mußte man gelangen, sobald man zur genaueren Messung der Schatten- länge mit Hilfe des Gnomons überging. Man erkannte, daß die Mittagshöhen und damit die Tageslängen und die Jahreszeiten inner- halb einer Periode von 365 1/4 Tagen wiederkehren. Zu dieser Er- kenntnis Kam die Beobachtung, daß innerhalb derselben Periode 1) Aristophanes, Wolken. 615—619. 2) Es ist wahrscheinlich, (laß Meton sich hierzu der Tabellen bediente, welche die Chaldäer Jahrhunderte vorher für die Mondbewegung und die Finsternisse entworfen hatten. 3) Das Wichtigste über die Hilfsmittel, welche im Altertum für die Zeit- messung zur Verfügung standen, bringt die Realenzykl. d. klass. Altertumswiss. von Pauly-Wissowa-KroU (8. Bd. Sp. 2416 — 2483) in dem Beitrag ..Horo- logium'" von A. Kehm. 90 Mond und Sonne. gewisse Fixsterne nacheinander in der Nähe der auf- oder unter- gehenden Sonne gesehen werden. Daraus schloß man, daß die stete Änderung in der Kulmination der Sonne daher rühre, daß dieses Gestirn im Laufe eines Jahres einen zum Himmelsäquator geneigten Kreis beschreibt. Um die Neigung dieses, als Ekliptik •) bezeichneten Kreises zu bestimmen, war es erforderlich, die größte und die geringste Mittagshöhe an einem Orte zu messen und das Mittel aus der Differenz dieser Höhen zu nehmen. Der erste Grieche, der die Schiefe der Ekliptik auf diesem Wege bestimmte, soll Anaximander gewesen sein^). Indes begegnen wir weit früheren Angaben. So fanden chinesische Astronomen schon um 1100 V. Chr. für die Schiefe der Ekhptik ziemlich richtig den Wert von 23" 52'. Hinsichtlich der Beschaffenheit des Mondes gelangte man schon frühzeitig zu der Vorstellung, daß es sich um eine freischwebende, von der Sonne beleuchtete Kugel handele. Seine Flecken wurden von einigen als Unebenheiten, von anderen (wie Aristoteles) als Spiegelbilder unserer Erdteile und Meere aufgefaßt. Schon Anaxa- goras hat sich die Frage vorgelegt, weshalb ein, der Erde so naher und vermutlich um vieles kleinerer Himmelskörper nicht zur Erde herunterfalle. Er trifft auch so ziemlich das Richtige, wenn er die Mondbewegung mit der Bewegung in einer Schleuder ver- gleicht, durch deren raschen Umschwung die Neigung zu fallen gleichfalls aufgehoben werde. Während die Entdeckung der größeren Planeten aus der Ver- änderung ihrer Stellung zu den Fixsternen auf den ersten Blick erfolgen mußte, setzte die Auffindung des Merkur, der sich im Mittel nur um 23 Grade von der Sonne entfernt und daher in höheren Breiten nur in der Dämmerung mit guten Augen wahr- zunehmen ist, schon eine größere Aufmerksamkeit voraus. Auch der Saturn wird wegen seines langsamen Fortrückens erst ver- hältnismäßig spät als Wandelstern erkannt worden sein. Eine systematisch geordnete Reihe von Beobachtungen gehörte dazu, die Zeiten festzustellen, innerhalb deren die Planeten in ihre frühere Stellung zurückkehren. So gelangte man zu der Erkenntnis, daß Jupiter in 12, Saturn dagegen erst in 30 Jahren ihren Weg am Fixsternhimmel vollenden. 1) Der Name Ekliptik [txlEtntiy.o^ y.v/.'Kog) ist im Altertum erst spät in Gebrauch gekommen. 2) Um 560 V. Chr. Siehe auch Darmstädter, Handbuch der Geschichte der Naturwissenschaften. Die Planeten. 91 Größere Schwierigkeiten boten der Mars und die innerhalb der Erdbahn befindUchen Planeten Merkur und Venus dar. Da letztere beiden jedoch stets in der Nähe der Sonne erscheinen, so mußten sie der geozentrischen Vorstellung gemäß etwa dieselbe Umlaufszeit besitzen. Als Grund dieser sämtlichen Unterschiede nahm man einen verschieden großen Abstand der Himmelskörper von der im Mittelpunkte ruhend gedachten Erde an. Saturn, dessen Umlauf die längste Zeit erfordert, mußte dementsprechend auch am weitesten von der Erde entfernt sein, während der Mond, der zwölfmal in einem Jahre seinen Umlauf vollendet, als der dem Mittelpunkte am nächsten befindliche Himmelskörper galt. Man gelangte daher zu dieser Reihenfolge: Mond, Sonne, Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn. Die Pythagoreer legten sich zuerst die Frage nach dem Ver- hältnis der Abstände der Planeten vor. Sie bewegten sich hierbei jedoch auf dem Gebiet der bloßen Zahlenmystik. Da sie bei ihren akustischen Untersuchungen auf einfache Beziehungen zwischen den Längen harmonisch tönender Saiten gestoßen waren, hielten sie sich für berechtigt, auch am Himmel solche einfachen Verhält- nisse ohne weiteres anzunehmen. So nahm später Piaton an, daß sich Mond, Sonne, Venus, Merkur, Mars, Jupiter, Saturn in Abständen von der Erde befänden, die sich wie 1 : 2 : 3 : 4 : 8 : 9 : 27 verhielten 1). Durch das Obwalten solcher Beziehungen sollte dann, ähnlich wie im Reiche der Töne, eine Konsonanz entstehen. Man dachte sich nämlich, jeder Planet rufe als ein in rascher Bewegung befindlicher Körper einen Ton hervor, und dies verursache die Harmonie der Sphären. Über die Entfernung der Fixsterne, welche der äußersten der acht konzentrischen Sphären angehören sollten, läßt Pia ton nichts verlauten. Derartige Spekulationen, so überflüssig sie . auch nach der Entdeckung der tatsächlich obwaltenden Verhältnisse erscheinen mögen, sind für die Entwicklung der astronomischen Wissenschaft durchaus niclit ohne Belang gewesen. Sie waren es, die zu Ver- suchen anregten, die Richtigkeit der angenommenen Werte zu prüfen. Und wir werden sehen, auf welche Weise man in der nächstfolgenden, schon der Messung zugewandten Periode der griechischen Astronomie, der Lösung dieser Aufgabe näher kam. 1) Derartigen Versuchen, die Abstände der Planeten in eine mathe- matische Regel zu fassen, begegnet man bis ins 18. Jahrhundert (Titiussche Regel; 1766j. 92 Die Anfänge der heliozentrischen Weltanschauung. Zu allen Zeiten hat der Weg der Forschung darin bestanden^ daß auf einer gewissen Stufe der Erkenntnis Hypothesen ersonnen wurden, an welche sich die weiteren Versuche behufs einer Prü- fung anschlössen. Auch als später Kepler das Problem, das wir jetzt verlassen, wieder aufnahm, trat er mit der vorgefaßten Meinung an dasselbe heran, die Planeten müßten, wie so manches in der Natur, nach einfachen Verhältnissen geordnet sein. So ist das von den Pythagoreern aufgeworfene Problem bis in die neueste Zeit eine der fundamentalen Aufgaben geblieben, welche die Astro- nomie mit immer größerer Genauigkeit zu bewältigen strebt. Hatten die Chaldäer und die Ägypter die Himmelserscheinungen in Jahrhunderte umfassenden Beobachtungsreihen nur aufgezeichnet und dadurch das wertvollste, den Griechen zu Gebote stehende Material für eine weitere Entwicklung der Astronomie geschaffen, so ging das jüngere, der Ergründung der Ursachen mit regem Geiste zustrebende Volk zuerst zu einer Erklärung dieser Erschei- nungen über. Einen besonderen Anreiz bot diese Aufgabe den Schülern Piatons, der in seinem Timäos die Frage nach der Entstehung und der Anordnung des Weltgebäudes aufgeworfen hatte. Mehr aus philosophischen als aus deutlich erkannten astro- nomischen Gründen war man gleich den Pythagoreern geneigt, der Erde keine das AU beherrschende, zentrale Stellung zuzuschreiben. Dieser Gedanke wurde von Piatons Schüler Herakleides Ponti- kos weiter verfolgt und zu einer heliozentrischen Theorie erweitert, welche besonders durch Aristarch von Samos im 3. Jahr- hundert V. Chr. ausgebildet wurde. Über die Anfänge der heliozentrischen Weltanschauung, die bis in die Schule des Pythagoras und Piatons zurückreichen, haben insbesondere die Forschungen Boeckhsi) und Schiapa- rellis^) Licht verbreitet. Es ist früher wohl behauptet worden, daß Pythagoras selbst schon die Bewegung der Erde gelehrt habe. Für die Ansicht, daß Pythagoras eine andere als die im frühen griechischen Altertum herrschende geozentrische Ansicht gelehrt habe, spricht jedoch nichts Sicheres. Dagegen müssen wir annehmen, daß die Lehre von der Kugelgestalt der Erde in der pythagoreeischen Schule schon galt, als sie in Griechenland noch 1) August Boeckh, Philolaos des Pythagoreers Lehren nebst den Bruchstücken seines Werkes. Berlin, Vossische Buchhandlung. 1819. 2) Schiaparelli, Die Vorläufer des Kopernikus im Altertum. 1873.. Übersetzt von Curtze. Die Anfänge der heliozentrischea Weltanschauung. 93 unbekannt war*). Früher als die Erde stellte man sich den Himmel als eine Kugel vor, an deren Oberfläche die Sterne angeheftet seien. Als man jedoch bemerkte, daß der Mond, die Sonne und die Planeten an den Sternbildern vorüberziehen und die Planeten mitunter für kurze Zeit von dem Monde verdeckt werden, da konnte man sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß die Ent- fernungen der Himmelskörper von der Erde verschieden seien. Den Versuch, die Bewegung und die gegenseitige Stellung der Himmelskörper in ihrem Verhältnis zur Erde zu erklären, machten unter den Griechen zuerst die Pythagoreer. Unter ihnen war es der im 5. Jahrhundert lebende Philolaos, dem wir die ersten schriftlichen Aufzeichnungen über diese, für die weitere Entwick- lung der Weltanschauung grundlegenden Lehren verdanken. Man hat es hier keineswegs mit bloßen Phantasieerzeugnissen zu tun. Mit Recht sagt daher Schiaparelli: ..Das System des. Philolaos ist nicht die Erucht einer ungeordneten Einbildung, sondern es ist aus der Tendenz entstanden, die Daten der Beobachtung mit einem prästabilierten Prinzip über die Natur der Dinge in Über- einstimmung zu bringen" 2): Dieses Prinzip war die in der pytha- goreischen Schule entstandene Lehre von der Harmonie, die überall, also auch im Kosmos, herrschen sollte. Bei der Wichtigkeit der durch Philolaos übermittelten Lehren für das Verständnis der von Piaton, von Herakleides und Aristarch entwickelten Ansichten wollen wir an der Hand der von Boeckh herausgegebenen Bruchstücke uns ein Bild von diesen frühesten kosmologischen Vorstellungen zu machen suchen; letztere führten in ihrer weiteren Entwicklung schon im Altertum zu einer heliozentrischen Weltansicht. Nach Philolaos gibt es nur eine Welt, den Kosmos, und dieser besitzt die Gestalt einer Kugelt). In der Mitte des Alls befindet sich das Zentralfeuer. Die Peripherie wird von dem un- begrenzten Olymp gebildet, der seiner Natur nach ebenfalls Feuer ist, wenn wir dieses völlig farblose Feuer auch nicht wahrnehmen können. Nur durch die Sonne, die an sich ein dunkler, glas- artiger Körper ist, wird das Feuer des Olymps so modifiziert, daß 1) Dies gilt z. B. von Anaxagoras, der nach der Begründung der pythago- reischen Schule lebte. 2j Schiaparelli, a. a. 0. S. 7. 3) Piaton erklärte im „Timäos": ..Vom Ganzen, welches kugelförmig ist, zu behaupten, daß es einen Ort unten, den anderen oben habe, ziemt keinem Verständigen" (siehe „Timäos", G2 u. 63). 94 Die Anfänge der heliozentrischen Weltanschauung. wir es wahrnehmen. Vielleicht ist man durch die Milchstraße zu der Annahme eines alles umschließenden feurigen Olymps geführt worden. Zwischen dem letzteren und dem Zentralfeuer bewegen sich zehn göttliche Körper, nämlich die Fixsternsphäre, die fünf Planeten, dann die Sonne, unter ihr der Mond, wie man aus den Verfinsterungen der Sonne schließen mußte, dann die Erde und endlich, dem Zentralfeuer zunächst, die Gegenerde. Während Piaton im „Timäos" die Erde als den Mittelpunkt bezeichnet, wird also bei Philolaos — und zwar zuerst — der Erde eine Be- wegung zugeschrieben. Erde und Gegenerde bewegen sich in 24 Stunden um das Zentralfeuer. Daraus erklärt sich die täg- liche Umdrehung des Fixsternhimmels. Die Gegenerde ist im Grunde genommen die den Bewohnern des Mittelmeeres entgegen- gesetzte Hemisphäre. Denken wir uns diese Hemisphäre von der den Griechen bekannten losgelöst und das Zentralfeuer, das man später in den Mittelpunkt der Erde versetzte, gleichfalls in den Weltraum hinausverlegt, so erkennen wir, daß Philolaos mit seiner Erde und Gegenerde und ihrer gleichlaufenden täglichen Bewegung um das Zentralfeuer die scheinbare tägliche Bewegung des Fixsternhimmels begreiflich gemacht hat. Bei einer solchen Bewegung bekommen wir die Gegenerde natürlich nie zu sehen, ebensowenig wie wir die der unseren ent- gegengesetzte Hemisphäre von unserem Standort aus erblicken können. Indem sich die Gegenerde innerhalb der Erdbahn um das Zentralfeuer bewegt, und zwar so, daß sich die Gegenerde stets zwischen der Erde und dem Zentralfeuer befindet, bekommen wir die weit außerhalb des Systems „Zentral feuer, Gegenerde, Erde" befindliche Sonne während dieser parallelen und konzentrisch er- folgenden Bewegung der Erde und der Gegenerde so lange nicht zu sehen, als wir uns auf der von der Sonne abgekehrten Seite befinden. Wir sind dann im Schatten der Gegenerde, die uns das Sonnenlicht während der Hälfte des Tages genau so verbirgt, wie es in Wirklichkeit die aus der Vereinigung von Erde und Gegenerde hervorgehende Erdkugel tut. Derjenige, der an Stelle der täglichen Bewegung um ein Zentralfeuer die tägliche Rotation unseres Planeten um seine Achse setzte und damit die Annahme der Gegenerde und jenes Zentrums überflüssig machte, war Herakleides Pontikos, Herakleides^) 1) Er lebte etwa von 390-310 und war den Pythapforeern in mancher Hinsicht geistesverwandt. Er verfaßte zahlreiche Schriften, von denen nur Die Anfänge der heliozentrischen Weltanschauung. 9& ging aber noch einen Schritt weiter, indem er die Sonne schon als Mittelpunkt für die Bewegungen der beiden inneren Planeten^ Merkur und Venus, ansprach. Diese Vorstellung hat später be- kannthch Tycho auf alle Planeten mit alleiniger Ausnahme der \ Erde ausgedehnt'). Die Annahme, daß Merkur und Venus sich um die Sonne bewegen, entsprang der Beobachtung, daß beide Planeten sich nur wenig von der Sonne entfernen, nämlich Merkur im Mittel 23", Venus höchstens 48°. Daher sagt auch Vitruv: „Merkur und Venus haben, da sie sich um die Sonne als Mittelpunkt ihres Laufes bewegen, ihre Stillstände und Rückläufe in die Sonnen- strahlen eingetaucht" 2). Auch Piaton beschäftigt sich mit diesem Problem, und zwar im „Timäos". Nach ihm setzte Gott den Mond in den ersten Kreis um die Erde, die Sonne dagegen in den zweiten Kreis. Von Merkur und Venus heißt es dort 3), sie seien in die Kreise gesetzt worden, „welche an Schnelh'gkeit sich zwar mit dem Kreislauf der Sonne gleich bewegen, jedoch eine diesem ent- gegengesetzte Wirksamkeit erlangt haben. Deswegen holen die Sonne, Merkur und Venus auf gleiche Weise einander ein und werden voneinander eingeholt." Mit solchen dunklen Andeutungen { war das Problem der Stillstände und Rückläufe indessen nicht 1 gelöst. Eine Theorie, die sich diesen Erscheinungen schon besser anpaßte, gab Eudoxos durch die Annahme von „homozentrischen Sphären". Vermittelst dieser Theorie gelang es, die Bewegungen des Jupiter und des Saturn vom geozentrischen Standpunkte aus begreiflich zu machen. Da die Hypothese des Herakleides Pontikos eine Er- klärung für das Verhalten von Merkur und Venus gab, während die Theorie der homozentrischen Sphären hier versagte, lag es nahe, zu untersuchen, ob die Hypothese des Herakleides sich nicht auf die äußeren Planeten ausdehnen ließe. So gelangte man zu dem System, das später Tycho annahm. Mond und Sonne be- die Titel und Fragmente bekannt sind. Letztere den Titeln zuzuweisen, ist schwierig und uft nit;ht möglich. Über Herakleides siehe auch Gomperz, Giiechisclie Denker. I, 98. 1, Siehe die spätere Darstellung und Abbildung des Tychonischen Systems. 2] Vitruv, De architectura. Von den meisten Schrift-tellern wird der Ursprung dieser Lehre den Ägyptern zugeschrieben. Kop]iernikus selbst kannte sie durch Martianus Capeila (siehe an späterer Stelle bei Kop- pernikus . 3 Fiat uns „Timäos". 38. 96 Gestalt und Größe der Erde. wegen sich danach um die Erde, während die sämtlichen Planeten gleichzeitig die Sonne umkreisen. Alle übrigen Gestirne betrachtete man wohl als Gesteins- massen, welche durch die Schnelligkeit des Umschwungs erglühten. So dachten Demokrit und Anaxagoras, während andere sie für Öffnungen des Himmelsgewölbes hielten, aus denen das äußerste Element, das Feuer, hervorbrechen sollte. Später sah man die Fixsterne als Weltkörper an, die ihrem Wesen nach der Sonne und dem Monde gleich seien. Nach Herakleides Pontikos (s. vorige Seite) endlich war jedes Gestirn wie das unsere eine Welt für sich. Daß die Fixsterne sich in verschiedener Entfernung von uns befinden könnten, vermutete man im Altertum noch kaumi). Es herrschte vielmehr die Vorstellung, daß sämtliche Fixsterne einer Sphäre angehörten^). Piaton und Herakleides waren dagegen der Ansicht, daß das Weltall unendlich und ebenso wie jedes einzelne Gestirn beseelt sei. Gleichzeitig mit den ersten Beobachtungen und Spekulationen über die Himmelskörper beginnt die Frage nach der Beschaffen- heit unseres irdischen Wohnsitzes den forschenden Geist zu be- schäftigen. Lange dauerte es, bis man sich von dem Eindruck, daß die Erde eine kreisförmige Scheibe sei, losgerungen hatte. Homer und Hesiod waren noch darin befangen. Letzterer läßt die Sonne während der Nacht im Ozean nach Osten schwimmen, wo sie sich frühmorgens wieder erhebt. Der Himmel selbst ist nach ihm ein Gewölbe von solcher Höhe, daß ein schwerer Gegen- stand von dort neun Tage und neun Nächte fällt, bis er die Erde erreicht. Die Überzeugung, daß die um das Mittelmeer gelegenen Länder nur einen kleinen Teil der Erde ausmachen, hatte schon vor Aristoteles Platz gegriffen. So sagt Piaton im Phaedon^): „Die Erde ist groß. Wir haben davon nur einen kleinen Teil um das Mittelmeer herum inne, während andere Menschen viele andere ähnliche Räume bewohnen." In derselben Schrift heißt es, die Erde schwebe in der reinen Himmelsluft oder dem Äther und sei, von ferne betrachtet, einem Balle ähnlich. 1 Siehe S. 93. 2) Ein ausfuhrlicher, von Boll herrührender Beitrag über die Fix- sterne findet sich in Paulys Realenzyklopädie f. d. klass. Altert. VI. Bd. S. 2407-2431. 3) Piatons Phaedon. cap. 58. Leipzig, Wilhelm Engelmann. 1852. Pflanzeukenntnis der Griechen. 97 Der Ursprung der Zoologie und der Botanik. Während die Mathematik, die Philosophie und die Astronomie bei den Griechen der voraristotelischen Zeit schon deutlich als be- sondere Wissenszweige hervortreten, ist dies bezüglich der Botanik und der Zoologie noch kaum der Fall. Den Pflanzen wandte man sich aus medizinischem und landwirtschaftlichem Interesse zu. So erzählt uns Tlieoph rast, den wir als einen der frühesten botani- schen Schriftsteller kennen lernen werden, von den Rhizotomen (Wurzelgräbern) und den Pharmakopoen (Arzneihändlern) der ersten griechischen Zeit. War das Ziel dieser Männer auch ein über- wiegend praktisches und ihr Tun mit vielen abergläubischen Ge- bräuchen gemischt, so schufen sie doch die erste Quelle des Wissens, nämlich die empirische Grundlage, zu der dann später die Speku- lation als zweites nicht weniger wichtiges Element hinzutreten mußte, um mit der Empirie vereint zu wahrer Wissenschaft heran- zuwachsen i). Theophrast sagt von den Rhizotomen, sie hätten vieles richtig bemerkt, vieles aber auch marktschreierisch übertrieben. Daß sie beim Ausgra))en der Wurzeln auf den Flug der Vögel und den Stand der Sonne achteten, erschien Theophrast als Torheit. Die Pflanzenkenntnis der Griechen und die Zahl der den Hirten, Jägern, Landleuten und den erwähnten Rhizotomen be- kannten Pflanzen waren bei einer so vielseitigen, mehrere tausend Blütenpflanzen umfassenden Flora, wie sie Griechenland beherbergt, gewiß nicht unbedeutend. Einen Rückschluß gestattet uns der Sprachschatz jenes Zeitalters. In den homerischen Gesängen z. B. werden 63 Pflanzen erwähnt. In den hippokratischen Schriften finden sich 286 Püanzennamen, und bei Theophrast, dem Zeit- genossen des Aristoteles, begegnen uns gar 455, unter denen nur wenige sind, die nicht der Flora Griechenlands angehören. Die ältesten fragmentarischen Aufzeichnungen über botanische Dinge treffen wir bei dem Philosophen Empedokles, dem Be- gründer der Lehre von den vier Elementen oder, wie er sich aus- drückte, den Wurzeln der Dinge 2). Vom wissenschaftlichen Stand- punkte aus sind die Ansichten, welche Empedokles über die 1) Meyer, Geschichte der Botanik. Bd. 1. S. 5. 2) Ausg. v. Sturz, Vers 160—163. Seine Worte lauten: „Jetzt zuvörderst vernimm des Alls vierfältige Wurzeln: Feuer und Wasser und Erd' und des Äthers unendliche Höhe. Daraus ward, was da war, was da sein wird, oder was nun ist.'' Uanneniiuin, liiu .NatuiwUsi-nscliiilteii. I. IUI. 2. Aufl. 7 98 Die Natur der Pflanzen. Natur der Pflanze äußert, nicht allzu hoch einzuschätzen. Er meint, unter allen lebenden Wesen seien zuerst die Bäume aus der Erde hervorgegangen. Seiner Lehre von der Allbeseelung der Natur entspricht die Meinung, daß die Pflanzen wie die Tiere Gefühle der Lust und Unlust, ja Einsicht und Verstand besäßen. „Wisse denn, alles erhielt Anteil an Sinn und Verständnis" ist ein Wort, das man dem Philosophen zuschreibt i). Aus der Beseelung der Pflanzen erklärte Empedokles Er- scheinungen, die wir auf mechanische Ursachen zurückführen, wie das Erzittern, das Ausstrecken der Zweige gegen das Licht und das Emporschnellen herabgebogener Aste 2), Auch die ersten Keime der Lehre von den Geschlechtern der Pflanzen begegnen uns bei Empedokles, wenn es sich bei ihm auch nur um eine dunkle Ahnung handelte. So berichtet Aristoteles, Empedokles habe gemeint, auch die Bäume brächten Eier hervor. Und wie in dem Ei aus einem Teile das Tier entstände, das Übrige aber Nahrung sei, so entstehe auch aus einem Teile des Samens die Pflanze, das Übrige aber diene dem Keim und der ersten Wurzel als Nahrung 3). Auch anderen griechischen Philosophen werden Äußerungen über die Natur der Pflanzen zugeschrieben. Sie verdienen zum Teil Erwähnung, wenn wir uns von den Vorstellungen jener Männer auch kein solch abgerundetes Bild machen können, wie von den- jenigen des Empedokles. So soll auch Demokrit aus Abdera über die Pflanzen geschrieben, und einer seiner Schüler soll be- merkt haben, daß die Blätter einer im Orient wachsenden Pflanze bei der Berührung zusammenfallen. Wahrscheinlich handelt es sich um eine dort wachsende Mimosenart. Anaxagoras nennt die Sonne den Vater und die Erde die Mutter der Pflanzen. Auch soll er den Blättern das Vermögen zu atmen beigelegt haben. In fast noch engerer Beziehung als zu den Pflanzen befand sich der Mensch zur Tierwelt. Hier fesselten ihn nicht nur die Formen, sondern auch die den seinen oft so nahe verwandten Lebens- äußerungen und der innere Bau, der bei den höheren Tieren so große Übereinstimmung mit dem Bau des menschlichen Körpers darbot. Vor allem waren es die Haustiere, an denen die ersten zoologischen Kenntnisse gewonnen wurden. Beim Schlachten und Opfern gewann man einen Einblick in die Anatomie dieser Ge- 1) Meyer, Geschichte der Botanik. Bd. I. S. 51. 2) Plut. V. cap. 26. 3; Aristoteles, De gen. animalium. Bd. I. S. 23. Die Anlange der Zoologie. 99 schöpfe. An Haustieren besaßen die Griechen vornehmh'ch das Rind, das Pferd, das Schaf, die Ziege, das Schwein und den Hund, auch wurden Hühner, Gänse, Enten und Tauben gehalten. Was die übrige Tierwelt anbetrifft, so blieben den Griechen die anthro- pomorphen Affen unbekannt. Dagegen kannten sie manche andere Affenart, wie die Paviane und die Makaken. Mit den großen Raubtieren wurde man besonders bekannt, nachdem Alexander und später die Römer ein Weltreich gegründet hatten. So gelangten durch Po m pejus die ersten Tiger und schon um 200 v. Chr. die ersten Löwen nach Rom. Von den Waltieren war besonders der Delphin bekannt. Die Papageien erwähnt Aristoteles als indische Vögel. Außer zahlreichen Arten der Knochenfische kannte man auch die Haifische und die Rochen, zumal den elektrischen Rochen, ziemlich genau. Von den Weichtieren hatten besonders die Tinten- fische die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Kenntnis von den niederen Tieren blieb, vielleicht von den Insekten abgesehen, indessen auf einer niedrigen Stufe. Einer der ersten, der allgemeine Betrachtungen über das Wesen der Tierwelt anstellte, war wieder Empedokles, mit dessen An- sichten über die Pflanzen wir uns soeben beschäftigt haben. Empe- dokles suchte nämlich, bei der näheren Ausführung seiner Lehre von den vier Elementen, Bestandteile des Tierkörpers, wie das Fleisch, das Blut und die Knochen, auf eine Mischung jener vier Elemente zurückzuführen. Vom Rückgrat der Säugetiere meinte er, es sei bei der Entstehung in einzelne Wirbel zerbrochen i). Unter den späteren Philosophen soll besonders Demokrit Tierzergliederungen vorgenommen haben. Seine Ansichten finden bei Aristoteles oft Erwähnung und zeugen mitunter von einer klaren Einsicht. Der Gegensatz zwischen Demokrit und Aristoteles geht besonders aus der Bemerkung des letzteren hervor, daß Demokrit nie vom Zwecke gesprochen habe, sondern „alles, dessen sich die Natur bedient, auf die Notwendigkeit zurückführe" 2). Demokrit hat seine Ansichten über das Wesen des Organi- schen in einer besonderen Schrift entwickelt. Leider ist uns nur der Titel (Über die Ursachen der Tiere) bekannt^). Bei den spekulativen Neigungen der Griechen kann es nicht Wunder nehmen, daß uns schon bei den ältesten griechischen 1) Aristoteles, De part. anini. I. S. fi-lOa. 2) Aristoteles, De generatione animalium. V. 8. 3) Diogenes Laertius IX. 47. 7* 100 Keime der Deszendenzlehre. Philosophen Anklänge an die Deszendenztheorie begegnen*). So lehrte Anaximander, durch die Sonnenwärme seien im Schlamme zuerst blasige Gebilde entstanden. Daraus seien dann fischartige Geschöpfe hervorgegangen. Einige von ihnen seien auf das Land gekrochen. Die so bedingte Änderung der Lebensweise habe auch zu einer Umwandlung der Gestalt geführt. Auf diese Weise sollten zunächst die landbewohnenden Tiere und endlich der Mensch ent- standen sein. Von letzterem nahm man an, daß er ursprünglich einem Fische ähnlich gewesen sei. Die gleichen Ansichten hat Demokrit entwickelt. Auch Epikur betrachtete alle Geschöpfe einschließlich des Menschen als Kinder der Erde, die nur stufen- weise Verschiedenheiten aufweisen. Bei dem Römer Lucretius, der in seinem Werke „De natura rerum" im wesentlichen die Ansichten der griechischen Naturphilo- sophen wiedergibt, finden sich gleichfalls Anklänge an die Selek- tionstheorie, unter anderm auch der Gedanke, daß das Unzweck- mäßige untergehe 2). Derartige, gelegentlich geäußerte, später als zutreffend anerkannte Gedanken haben indessen mit der wissenschaftlichen Begründung der Deszendenztheorie nur wenig gemein. Letztere ist und bleibt eine Tat des 19. Jahrhunderts, für die in erster Linie Lamarck und Darwin in Betracht kommen. Daß Darwin übrigens von den deszendenztheoretischen An- sichten des Altertums, zwar ohne sie genauer zu kennen, wußte, geht aus seinen eigenen Worten hervor, in denen er „von den auf seinen Gegenstand zu beziehenden Andeutungen in den Schrift- stellern des klassischen Altertums" spricht. 1) E. D a c q u e , Der Deszendenzgedanke u. seine Greschichte. München 1903 . 2) Die auf Epikur und Demokrit zurückzuführenden Yerse des Lu- cretius lauten folgendermaßen: Denn wer nur immer sich jetzo erfreut der belebenden Lüfte, Den hat entweder List oder Stärke beschützt oder Schnelle Seit seiner frühesten Jugend und so sein Geschlecht stets erhalten. Viele jedoch existieren, die unserem Schutz es verdanken, Daß sie erhalten blieben, dem sichern Verderben entrissen. Denen jedoch von alledem nichts die Natur hat gegeben, Daß sie aus eigener Kraft vermochten ihr Leben zu fristen, Diese sind selber zur Beute geworden. Ursprung der griechischen Heilkunde. 101 Erste Schritte zur Begründung der griechischen Heilkunde. Zu den frühesten Ursachen, die zur Begründung der Natur- wissenschaften führten, gehört auch das Bestreben, die Krankheiten des menschlichen Körpers zu heilen. Dieses Bestreben schärfte das Beobachtungsvermögen und lenkte den Blick auf die umgebende Natur, die man der Heilkunde dienstbar zu machen suchte. Bevor wir die erste Periode der Entwicklung der griechischen Wissen- schaft verlassen und zu Aristoteles und seine Schule übergehen, wollen wir daher einen kurzen Blick auf eine der wichtigsten An- wendungen der Naturwissenschaft, auf die Medizin, werfen. Es ist dies zum Verständnis des Folgenden um so wichtiger, als Aristoteles aus einer alten Arztefamilie hervorgegangen war und bei der Errichtung eines philosophischen und naturwissenschaftlichen Lehrgebäudes zum Teil auf medizinischen Anschauungen fußte. Aus dem Orient und Ägypten stammende Kenntnisse und (ieheimlehren haben ohne Zweifel die griechische Heilkunde stark beeinflußt, ja sie bilden vielleicht die Grundlage, auf der sich die Heilkunde in Griechenland weiter entwickelte. Es blieb jedoch den Griechen vorbehalten, das Zauberwesen, das den Anfängen dieser Wissenschaft anhaftete, allmählich abzustreifen und auch hier nach unbefangener Erkenntnis und Verknüpfung der Tatsachen zu stre- beni). Unter den älteren Ärzten ist besonders Alkmäon von Kroton, ein Schüler des Pythagoras, zu nennen^). Er wird als der Be- gründer der Embryologie betrachtet und hat manche wertvolle anatomische und physiologische Beobachtung gemacht. Nach ihm wird jede Empfindung durch das Gehirn vermittelt und jede Be- wegung von dort aus geleitet. Alkmäon war der Hauptvertreter der im Einklang mit den Vorstellungen der Pythagoreer ausge- bildeten Lehre, daß Gesundheit und Krankheit aus der harmoni- schen Mischung gewisser Qualitäten oder deren Störung zu erklären seien (s. S. 80). Dieser Lehre liegt die uns sogleich begegnende Anschauung von den vier Temperamenten zugrunde, die auch auf richtiger Mischung beruhen sollten. Das wichtigste Dokument, das wir über die medizinische Wissenschaft der Griechen besitzen, ist die sog. hippokratische Büchersanimlung. Wir begegnen dieser Sammlung seit der Be- ij E. Meyer, Geschichte d. Altert. Bd. IV. 1901. S. 205. '-J Über die den Alkmäon bctretienden Fragmente siehe die Angaben von Meyer in seiner Geschichte des Altertums Bd. IV. 1901. S. 207. 102 Anatomische Kenntnisse. gründung der großen Bibliotheken in Alexandrien. Als das Werk eines einzigen Mannes sind die hippokratischen Bücher nicht zu betrachten 1), wenn sich auch nicht in Abrede stellen läßt, daß Hippokrates als Begründer der wissenschaftlichen Heilkunde, der zuerst das Zerstreute sammelte und zum Gesamtbild vereinigte, zu be- trachten ist2). Außer Hij^pokrates^), der den Beinamen der Große erhielt, sind noch sechs andere Arzte gleichen Namens aus der alten Literatur bekannt. Es kann daher nicht Wunder nehmen, wenn die Frage nach der Person des großen Hippokrates wenig geklärt ist, zumal keine zuverlässige Biographie über ihn existiert. Daß nicht Hippokrates allein der Verfasser der ihm zugeschriebenen Schrif- ten sein kann, wird daraus geschlossen, daß sich in diesen Schriften^) nicht nur manche Widersprüche finden, sondern daß uns darin sogar eine Polemik der einzelnen Verfasser gegeneinander begegnet ^j. Was die Anatomie anlangt, so stützt sich das in den hippokra- tischen Schriften enthaltene medizinische Wissen vorzugsweise auf die Untersuchung der Tiere; doch lagen auch für den Menschen insbesondere auf dem Gebiete der Osteologie zahlreiche Beobach- tungen und Erfahrungen vor. Am wenigsten waren den Alten der Bau und die Aufgabe des Nervensystems bekannt. Als besondere Ausläufer dieses Systems entdeckte man wohl zuerst den Seh- nerven, den Gehörnerven und den Trigeminus. Im übrigen wurden die Nerven und Sehnen zunächst zusammengeworfen. Empfindung und Bewegung hielt man für immanente Fähigkeiten. Als ihre Quelle galt das „Pneuma", das vom Gehirn aus durch die Adern zu allen Teilen des Körpers fließen sollte 6). 1) Th. Beck, Hippokrates' Erkenntnisse. Jena 1907. 2) Piatons Protagoras. Kap. III. 3) Hippokrates aus Kos lebte um 400 v. Chr, *) Als Corpus Hippocraticura sind der Nachwelt etwa 100 griechische und 30 lateinische Schriften übermittelt worden. Mit völliger Sicherheit lassen sich nur wenige Bücher auf Hippokrates selbst zurückführen. Man hat übrigens nie alle für echt gehalten. Näheres siehe in dem sehr ausführ- lichen Beitrag über Hippokrates in Paulys Reallexik. d. klass. Altert. Bd. VIII (1913). S. 1801 - 1852. 5) Beck, Hippokrates' Erkenntnisse. Jena 1907. Das Werk enthält außer einer Untersuchung über die Entstehung und die Bedeutung der Hippokrati- schen Sammlung eine Auslese der wertvollsten Stellen mit Bezugnahme auf die moderne Heilkunde. 6j Haeser, Geschichte der Medizin. Bd. I (1875;. S. 141. Nach den Ansichten, die Piaton im „Timäos" entwickelt, bewirkt das Herz die Verknüpfung der Adern. Es ist die Quelle des durch alle Glieder heftig herumgetriebenen Blutes. Zur Abkühlung des Herzens dienen die Lungen. Die Heilung der Krankheiten. 103 Ein großer Fortschritt gegenüber der ältesten dämonologischen Auffassung der Krankheiten bestand darin, daß die hippokratischen Schriften die psychischen Störungen als Wirkungen körperlicher Krankheitszustände auffaßten. Letztere werden durch eine Störung des Gleichgewichtes zwischen den vier Flüssigkeiten (Humores) aufgefaßt, die den Körper bilden. Als solche galten das Blut, der Schleim, die gelbe und die schwarze Galle. Die Natur wird als heilbringender Faktor gewürdigt. Sie finde, heißt es von ihr, auch ohne Überlegung immer Mittel und Wege. Auch einer vernünftigen Prophylaxe wird das Wort geredet. Die Gicht wird z. B. auf Wohlleben zurückgeführt und Mäßigkeit und Unverdrossenheit hygienisch außerordentlich hoch gewertet. Als therapeutisches Mittel wird schon die Musik empfohlen. Von der Höhe der ge- samten Auffassung, die uns in den hippokratischen Schriften be- gegnet, zeugt der Ausspruch: Das Kennen erzeugt die Wissen- schaft, das Nichtwissen den Glauben. Jedoch war man sich der Grenzen des ärztlichen Könnens wohl bewußt und erkannte an, daß der beste Arzt die Natur selbst sei. Im Einklang damit war man in erster Linie bestrebt, den natürlichen Vorgang der Heilung zu unterstützen. An Amputationen wagte man sich noch nicht heran, da man das Unterbinden der Adern noch nicht verstand. Bekannt ist der Hippokratische Satz: „Was die Arzneimittel nicht heilen, heilt das Eisen. Was das Eisen nicht heilt, heilt das Feuer. Was endlich das Feuer nicht heilt, das ist überhaupt nicht zu heilen" ^). Unter den hippokratischen Schriften ist diejenige „Über die Diät" in zoologischer Hinsicht wichtig. Sie enthält nämlich unter den Nahrungsmitteln eine Aufzählung von etwa 50 Tieren in ab- steigender Reihenfolge. Auf die Säugetiere folgen die Land- und Wasservögel, die Fische, dann die Muscheltiere und endlich die Krebse. Reptilien und Insekten werden nicht erwähnt, weil sie nicht gegessen wurden. Dieses Tiersystem, das man wohl als das „koische" bezeichnet hat (etwa 410 v. Chr.), kann als ein Vorläufer des Aristotelischen Tiersystems, das uns im nächsten Abschnitt beschäftigen soll, betrachtet werden 2). 1) In der lateinischen Fassung von Schiller seinen „Räubern'* als Motto vorangestellt: Quae medicamenta uon sanant, ferrum sanat. Quae ferruin non aanat, ignis sanat. 2; R. Burckhardt. Geschichte der Zoologie. S. 18. 3. Das aristotelische Zeitalter. Für das griechische Volk war mit dem vierten vorchristlichen Jahrhundert schon eine Zeit des staatlichen Niederganges ange- brochen. Kunst und Philosophie hatten gleichfalls ihre Blütezeit gehabt. Die wissenschaftliche Entwicklung tritt indessen jetzt in eine Phase, welche für die Folge von nicht geringerem Einfluß als die von den Griechen auf dem Gebiete des staatlichen Lebens und der künstlerischen Betätigung geschaffenen Vorbilder sein sollte. Es ist das wissenschaftliche, auf die Erfassung des Naturganzen in seinem Zusammenhange gerichtete Streben des Menschengeistes, das uns jetzt zum ersten Male in seiner vollen Bedeutung ent- gegentritt. Dieses Streben verkörpert sich in Aristoteles und seinen Schülern. Mögen auch die Vorstellungen, welche diese Männer leiteten, mit den Prinzipien der heutigen Naturforschung oft nicht vereinbar erscheinen, so kann man dennoch das Grund- legende ihrer Tätigkeit und die Bedeutung, die sie nicht nur für das Altertum und für das Mittelalter, sondern auch für die Ent- stehung der neueren Naturwissenschaft besitzen, nicht in Abrede stellen. Aristoteles. In Aristoteles begegnet uns eine der bedeutendsten Erschei- nungen des Altertums, in der sich die Wissenschaft jenes Zeit- raums gleichsam verkörperte i). Er war der Sprößling einer griechi- schen Arztefamilie^), die am mazedonischen Hofe in hohem An- sehen stand. Aristoteles wurde im Jahre 384 v. Chr. in Stagira, einer in der Nähe des Athos gelegenen griechischen Kolonie, ge- boren. Seine Erziehung lag, wie es damals häufiger der Fall war, in der Hand eines einzigen Mannes. Diesem bewahrte Aristoteles eine Dankbarkeit, wie sie später ihm selbst wieder von seinem 1) Stahr, Das Leben des Aristoteles, als I. Teil von Stahrs Aristotelia. Halle 1830. 2) Sein Vater Nikomacbos war Leibarzt des Königs Amyntas von Mazedonien. Aristoteles und seine Zeit. 105 großen Schüler Alexander erwiesen wurde. Im übrigen fehlen über die Jugend und den Entwicklungsgang des Aristoteles nähere Nachrichten. Doch darf man annehmen, daß er gemäß der in seiner Familie herrschenden Tradition für den ärztlichen Beruf bestimmt war und sich zunächst für diesen vorbereitete. Auf diesen Umstand wird vor allem der empirische Grundzug der aristotelischen Philosophie zurückzuführen sein. "War das Wissen im 5. Jahrhundert noch im Besitze weniger hervorragender Geister, so wird es im vierten immer mehr zum Ge- meingut der Gebildeten. Die Literatur wuchs an Umfang und an Spezialisierung. Schon in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts gab es kaum noch einen Gegenstand, über den nicht bereits Schriften erschienen wären i). Der Brennpunkt des geistigen Lebens war um die Mitte des vierten vorchristlichen Jahrhunderts Athen. Hier hatte So k rate s gelehrt und Piaton eine blühende Philosoi)henschule gegründet. Was Wunder, daß der begüterte und für die Wissenschaft be- geisterte Jünghng seine 'Schritte zunächst dorthin lenkte. Im Jahre 367 trat er in die Akademie ein, an welcher Piaton lehrte. Er gehörte ihr bis zu dem 347 erfolgenden Tode des Meisters un- unterbrochen an. Piaton soll Aristoteles seines unermüdlichen Lernens halber den Leser genannt und ihn mit einem anderen Schüler mit den Worten verglichen haben, dieser bedürfe des Sporns, Aristoteles dagegen des Zügels. Mit Recht ist Aristo- teles auch später als einer der fleißigsten Gelehrten bezeichnet worden, den die Geschichte der Wissenschaft kennt '^). Sein Ruf muß unterdessen ein hervorragender geworden sein. Es wird näm- lich berichtet, daß König Philipp von Mazedonien, als er ihm im Jahre 343 die Erziehung seines im 14. Lebensjahre stehenden Sohnes übertrug, folgende Worte an Aristoteles geschrieben liabe: „Ich fühle mich den Göttern zu Dank verpflichtet, daß sie den Knaben zu Deiner Zeit geboren werden ließen. Denn von Dir erzogen, hoffe ich, soll er der Nachfolge auf meinem Throne würdig werden." Und so wurde denn — ein Verhältnis, das einzig in der Geschichte dasteht — der bedeutendste Denker jener Zeit mit der Erziehung des größten Herrschers betraut. Über das Erziehungswerk selbst, das nur die ersten Jahre des mazedonischen Aufenthaltes unseres Philosophen (343 — 340) ») E Meyer, Gesch. d. Altertums. V. Bd. 19Ü2. S. 338. 2j Zeller. Die Philosophie der Griechen. Bd. II, 2. S. 172. 106 I-^iß Lehrtätigkeit des Aristoteles. umfaßte, fehlen nähere Nachrichten. Auch sind die Erzählungen, daß der königliche Schüler seinem Lehrer 800 Talente ij, sowie einen ganzen Trupp Leute zum Sammeln von Naturkörpern zur Verfügung gestellt habe, mindestens übertrieben. Soviel ist jedoch gewiß, daß Alexander wohl zu schätzen wußte, was er dem Aristoteles verdankte. Durch unverschuldete Umstände geriet letzterer gegen das Ende der Regierung Alexanders in Ungnade. Nach Ablauf eines acht Jahre umfassenden Aufenthaltes in Maze- donien, der eine Zeit des Sammeins und der Vorbereitung gewesen ist, in welcher ihn der Gedanke, eine Enzyklopädie der Wissen- schaften zu verfassen, jedenfalls schon beherrscht hat, kehrte Ari- stoteles im Jahre 335 nach Athen zurück. Um eine solch umfassende wissenschaftliche Tätigkeit auszu- üben, wie sie uns bei Aristoteles begegnet, waren bedeutende Mittel erforderlich. Ob ihm diese durch die Gunst der mazedoni- schen Könige oder aus eigenem Vermögen zur Verfügung standen, läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden. Sehr wahrscheinlich trafen beide Umstände zusammen und ermöglichten es dem Ari- stoteles, daß er, als erster unter den griechischen Philosophen, in den Besitz einer größeren Bibliothek gelangte. Die Herstellung von Büchern war damals eine mühselige und kostspielige Arbeit, und die Anzahl der Exemplare einer Schrift naturgemäß gering. Es ist daher begreiflich, daß bedeutende Summen dazu gehörten, um die Schriften seines Zeitalters sich in solchem Maße zugäng- lich zu machen, wie es Aristoteles verstanden hat. Allein für die Werke eines Philosophen soll er drei Talente bezahlt haben 2). In Athen hat Aristoteles im Lykeion, einem gymnastischen Spielen dienenden Gebäude der Stadt, unterrichtet. Nach der Gewohnheit des Meisters, dies im Auf- und Abwandeln zu* tun, erhielt seine Schule den Namen der Peripatetiker. Während Alexander die Welt eroberte, war Aristoteles hier ein König im Reiche der Wissenschaften. Von seinen zahlreichen Schriften ist indes nur der kleinere, aber wichtigere Teil erhalten geblieben. Die Stellung des Aristoteles in dem antimazedonisch ge- sinnten Athen, wo er als Fremder und wegen seiner Beziehungen zu dem verhaßten großen Könige von manchem ungern gesehen wurde, ist während seines 13 jährigen Aufenthalts in jener Stadt eine wenig angenehme gewesen. Als 323 v. Chr. die Kunde von 1) Ein Talent hatte in Reichsmünze den Wert von etwa 4700 Mark. 2) Zeller, Die Philosophie der Griechen. Bd. II, 2. S. 33. Die Werke des Aristoteles. 107 dem plötzlichen Tode Alexanders eintraf und von den meisten als ein Zeichen zur Befreiung vom mazedonischen Joche begrüßt wurde' erhoben sich daher zahlreiche Neider und Widersacher gegen Aristoteles. Er wurde der Lästerung der Götter geziehen, zog es aber vor, nicht eine Gerichtsverhandlung abzuwarten, son- dern der ihm feindlich gesinnten Stadt den Rücken zu kehren, damit diese, wie er im Hinblick auf Sokrates sagte, sich nicht zum zweiten Male an der Philosophie versündige. Wie richtig Aristoteles seine Lage erkannt hatte, geht daraus hervor, daß der Areopag ihn bald darauf, trotz seiner Abwesenheit, zum Tode verurteilte. Aristoteles hatte sich indessen nicht weit entfernt. Er war nach Euböa übergesiedelt in der Erwartung, durch einen Sieg der Mazedonier über die Athener nach seinem langjährigen Wohnsitz zurückgeführt zu werden. Diese Hoffnung sollte jedoch nicht in Erfüllung gehen, denn schon in dem auf das Ende Alexanders folgenden Jahre, bevor man in Griechenland die frühere Ordnung wieder hergestellt hatte, setzte der Tod seinem reichen Leben ein Ziel. Die Schriften und die Bücher des großen Philosophen gingen zunächst in den Besitz seines Lieblingsschülers, des Theophrast, über. Manches wird unvollendet gewesen und später ergänzt worden sein. Theophrast hinterließ die Schriften wieder einem Schüler. Anderthalb Jahrhunderte blieben sie darauf verborgen. Endlich gelangten sie, nachdem Sulla Athen erobert hatte, nach Rom, wo sie in zahlreichen Exemplaren abgeschrieben und verbreitet wurden. Daß dabei manches verunstaltet und verdorben wurde, unterliegt wohl keinem Zweifel. Die auf uns gekommenen Werke nehmen im Oktavformat fast 3800 Seiten in Anspruch i). Davon ist indessen ein Teil als unecht zu betrachten 2). Eine gänzlich unverändert gebliebene Schrift des Aristoteles gibt es sehr wahrscheinlich nicht. Auch bei einigen Hauptwerken handelt es sich wohl um Ausarbeitungen der Schüler. Dafür spricht unter anderem auch das Fehlen feines einheitlichen 1) Heller, Geschichte der Physik. Bd. I. S. 48. 2) Gedruckt wurden die Schriften des Aristoteles zuerst im Jahre 1473 in Rom, und zwar in lateinischer Übersetzung. 1493 erschien die erste ge- druckte griechische Ausgabe. Augenblicklich gilt als beste die im Auftrage der Berliner Akademie der Wissenschaften veranstaltete Ausgabe von Bekker. Eine griechisch-deutsche (unvollendete) Ausgabe rührt von Prantl her. Sie erschien in Leipzig bei Wilhelm Engelmann und wurde der hier gegebenen Darstellung der aristotelischen Lehren besonders zugrunde gelegt. 108 Die Philosophie des Aristoteles. Stiles. Andere Schriften sind bloße Entwürfe oder Zusammen- stellungen von Auszügen. Dazu kommen von späteren Heraus- gebern herrührende Zusätze, die selten als solche kenntlich ge- macht sind. Endlich fehlt es nicht an Werken, die zwar den Namen des Aristoteles tragen, die indessen als unecht oder nur zum geringen Teil als aristotelisch gelten. Unter diesen sei nur die von Nikolaos Damaskenos im augusteischen Zeitalter heraus- gegebene Schrift „Über die Pflanzen" genannt. Über diesen Gegen- stand gab es eine echte Schrift, die verloren ging (s, S. 138). Auch eine mit Abbildungen versehene Schrift „Über die Zergliederung der Tiere" ist leider nicht auf uns gelangt. Aristoteles als Philosoph und seine Stellung zur Naturwissenschaft. Den breitesten Raum unter den Werken des Aristoteles nehmen seine naturwissenschaftlichen Schriften ein. Sie betreffen das gesamte Universum von den allgemeinen Bedingungen der Körperwelt und dem Weltgebäude bis herab zur Beschreibung und Zergliederung der die Erde als Tiere und Pflanzen bevölkernden • Einzelwesen. Folgende Schriften naturwissenschaftlichen Inhalts sind bei der nachfolgenden Darstellung des aristotelischen Lehr- gebäudes vor allem in Betracht gezogen: „Die physikalischen Vor- träge", „Über das Weltgebäude", „Über Entstehen und Vergehen", „Die Meteorologie" und „Die mechanischen Probleme" i). Unter den rein philosophischen Werken des Aristoteles verdient wegen ihrer Bedeutung für jeden Zweig besonderer Wissenschaft das später „Organon- genannte hervorgehoben zu werden. Es sind dies die von Aristoteles zum ersten Male in ausführlicher Darstellung entwickelten Grundzüge der formalen Logik. Des Aristoteles Verdienst um die Naturwissenschaften ist I ein doppeltes. Einmal hat er das zerstreute Einzel wissen seiner / Vorgänger vereinigt und der Nachwelt durch eine außerordentlich j fruchtbare schriftstellerische Tätigkeit überliefert. Zum andern I beschränkte er sich keineswegs auf eine kritiklose Kompilation ' dieses Wissens. Vielmehr stellte er sich die gewaltige Aufgabe, aus philosophischen Prinzipien heraus ein System aller Wissen- / Schäften zu entwickeln. Die Philosophie, das Streben nach i Welterklärung, war also der Ausgangs- und der Angelpunkt, *) Diese Schrift ist indessen als nichtaristotelisch erkannt. Die Philosophie des Aristoteles. 109 aus dem bei ihm die Wissenschaft erwuchs. Denken und Welt in ihrem Gegensatz und in ihrer Wechselbeziehung wollte Ari- stoteles begreifen und begreiflich machen. Die Philosophie, die bei Piaton noch voll poetischen Schwunges gewesen, wurde bei Aristoteles nüchterne Betrachtung des Ichs mit seiner Denktätigkeit und seinen Anschauungsformen, sowie der Welt mit ihren Einzeldingen. In ihnen suchte er die Idee, welche bei Pia ton über und hinter den Dingen stand, sowie die Zwecke nach- zuweisen. Man kann Piaton den Vorwurf nicht ersparen, daß er I die Wirklichkeit allzusehr vernachlässigte und an ihre Stelle ein System aus häufig inhaltsleeren Begriffen setzte, während Aristo- teles sich von der Überzeugung leiten ließ, daß wirkliche Er- kenntnis nur aus der Erfahrung entspringen kann. Aristoteles fordert daher, man solle „zuerst die Erscheinungen auffassen und [ dann erst die Ursachen angeben". In der Befolgung des dialektischen Verfahrens, das er meister- haft zu handhaben wußte, ist Aristoteles ein Jünger des So- Icrates und des Piaton. Während indessen die Philosophie der letzteren vorzugsweise auf dem Boden der Dialektik wurzelte, sucht Aristoteles das beobachtende Verfahren der Naturwissenschaft mit der Dialektik zu verknüpfen, was seine Lehrmeister nicht vermocht hatten. „Zwar gelang es ihm nicht, beide Elemente völlig ins Gleichgewicht zu bringen, doch hat er durch ihre Verknüpfung das Höchste unter den Griechen geleistet" i). Sokrates und Piaton . hatten zuerst nach den Begriffen gefragt und die oft nur aus der 1 Betrachtung des Sprachgebrauches und der herrschenden Meinung \ gewonnene Erkenntnis des Begriffes dem weiteren Forschen zu- ' gründe gelegt, während Aristoteles außer dem Begriff die be- wegenden und stoffhchen Ursachen ins Auge faßte. Er ist nicht nur ein scharfer Denker, sondern ein solch unermüdlicher Beob- achter, daß ihm nicht selten ein übertriebener Empirismus zum Vorwurf gemacht worden ist. Die bei der Naturerklärung zu be- folgenden Grundsätze finden sich bei ihm nicht zusammenhängend entwickelt, sondern in zahlreichen Einzelbemerkungen zerstreut. Aus ihnen läßt sich folgendes entnehmen : Stets hat der Erklärung die Beobachtung vorauszugehen. Daß man die Theorie auf die Erkenntnis des Einzelnen stützen müsse, wird häufiger betont. Von der Beobachtung wird verlangt, daß sie sorgfältig, umfassend und vor allem frei von jeder vorgefaßten Meinung sei. Handelt es 1) Zeller, Die Philosophie der Griechen. 110 Die Philosophie des Aristoteles. sich um die Beobachtungen anderer, so ist strenge Kritik anzu- legen. Kurz, es begegnen uns bei Aristoteles Grundsätze, wie sie die dem Empirismus huldigenden Philosophen der neueren Zeit, wie Bacon, kaum besser entwickelt haben. Indessen entsprach dem Wollen, wie es auch bei Bacon der Fall war, nicht das Ver- mögen. Es lassen sich dafür verschiedene Gründe anführen. Ein- mal waren die Hilfsmittel der wissenschaftlichen Forschung zur Zeit des Aristoteles noch sehr wenig entwickelt. Vor allem mangelte es auf fast allen Gebieten noch an der Möglichkeit einer schärferen Bestimmung der quantitativen Verhältnisse. Aristo- teles empfindet dies schon, wo er von dfer AVärme handelt. Von einer Vervollkommnung der Sinne und der dadurch zu ermög- lichenden weitgehenden Schärfung der Beobachtung besaß er aber wohl keine auch nur dunkle Ahnung. Was für die Sinne nicht existierte, galt ihm noch als nicht vorhanden i). In treffender Würdigung der aristotelischen Denkweise sagt Zell er: „Da die griechische Wissenschaft mit der Spekulation angefangen hatte und die Erfahrungswissenschaften erst spät zu einiger Ausbildung gelangten, so war es natürlich, daß das dialektische Verfahren eines Sokrates und Piaton einer stren- geren Empirie den Rang ablief. Auch Aristoteles hält sich zu- nächst an dies Verfahren, ja er bringt es theoretisch und praktisch zur Vollendung. Daß die Kunst der empirischen Forschung bei ihm eine gleichmäßige Ausbildung erfahren werde, ließ sich nicht erwarten. Und ebenso lag ihm eine schärfere Unterscheidung beider Methoden noch fern. Diese ist erst durch die höhere Entwick- lung der Erfahrungswissenschaften und, von philosophischer Seite, durch die erkenntnistheoretischen Untersuchungen herbeigeführt worden, welche die neuere Zeit ins Leben gerufen hat." Eine Reihe von Grundbegriffen oder Kategorien sind es, unter welche Aristoteles sämtliche Gegenstände der denkenden Be- trachtung einzugliedern suchte. Die wichtigsten sind Substanz, Quantität, Qualität, Lage, Wirken und Leiden. Als Endzweck der gesamten Natur erschien ihm der Mensch. Im Besitz der aristotelischen Philosophie und Wissenschaftslehre hat letzterer an dieser ihm zugewiesenen Stellung zwei Jahrtausende festgehalten, 1) Ein Beispiel dafür findet sich nach Eucken in de gener. et corr. (328,23). Aristoteles meint dort, wenn ein großes Quantum mit einem sehr kleinen vereinigt werde, so entstehe keine Mischung, sondern das kleinere schlüge in das größere um. So werde ein Tropfen Wein in zehntausend Maß Wasser geradezu zu Wasser. Die Grundlehren der Mechanik. Hl bis man den Zweckbegriff durch den Begriff der mechanischen \ KausaHtät ersetzte und den Menschen als ein Glied in der Kette \ der übrigen "Wesen begreifen lernte. Die Grundlehren der Mechanik bei Aristoteles. Wir gehen nach dieser allgemeinen Charakteristik zu dem Verhältnis über, in welchem Aristoteles zu den Einzelwissen- schaften gestanden hat. Die Bedeutung der Mathematik hat er in seinen Schriften oft hervorgehoben, doch sind eigentliche mathematische Entwick- lungen in ihnen nicht enthalten. Wohl aber bieten sie manche be- achtenswerte Äußerung über schwierige Begriffe, wie über den Grenzbegriff und das Unendhche. „Stetig", sagt Aristoteles z. B., „ist ein Ding, wenn die Grenze eines jeden von zwei auf- einander folgenden Teilen, in der sie sich berühren, eine und die nämliche v.'ird." Er löste ferner das Paradoxon vom Durchlaufen unendlich vieler Baumpunkte in endlicher Zeit dadurch, daß er innerhalb der endlichen Zeit unendlich viele Zeitteilchen von un- endlich kleiner Dauer annahm. Das Unendliche ist ferner für ihn nichts Wirkliches, sondern es gibt nur Endliches von beliebiger Größe und von beliebiger Kleinheit^). Am meisten Erfolg hatte man auf dem Gebiete der Natur- wissenschaft dort aufzuweisen, wo die rasch emporblühende Mathe- matik Anwendung finden konnte. Wie die ersten erfolgreichen Schritte auf dem Gebiete der Astronomie, so waren die Anfänge der Mechanik von dem Erreichen einer gewissen Stufe des mathe- matischen Denkens abhängig. Dem Verlauf der mechanischen Vorgänge angemessene Begriffe entwickeln sich daher weit später als das Vermögen, die Gesetze der Mechanik anzuwenden, ohne sich ihrer klar bewußt zu sein. Das letztere mußte nämlich schon bei der frühesten Ausübung jeder gewerblichen Tätigkeit eintreten. Mit den Grundfragen der Mechanik hat sich die griechische Philosophie schon in der vorsokratischen Zeit beschäftigt. Ins- besondere wandte man sich den Problemen der Schwere und der Bewegung zu 2). Auch daß aus der Bewegung, infolge der damit verbundenen Reibung, Wärme hervorgeht, wurde frühzeitig erkannt. 1) Eine Zusammenstellunpf der auf die Mathematik bezüglichen Stellen hat schon Biancani veröffentlicht: Aristoteles loca matheniatica. 1615. 2) E. Haas, Grundfragen der antiken Dynamik (Archiv f. d. Geschichte d. Naturwiss. u. d. Technik. 1908. 1. Heft). 112 I^iß Lehre vom Fall der Körper. Anaxagoras wollte sogar das Licht der Gestirne aus diesem Vor- gange herleiten (s. S. 77). Zu den alltäglichsten Erscheinungen, die vor allem dazu an- getan sind, das Nachdenken wachzurufen, gehört die Bewegung frei fallender Körper. Diese Erscheinung, von der ausgehend später Newton zur Entdeckung des Weltgesetzes geführt wurde, faßte Aristoteles irrig auf. Bezeichnend für seine ganze Greistes- richtung ist es, daß er nicht von der Erscheinung selbst, sondern von begrifflichen Festsetzungen ausging und bei diesen stehen blieb. Er betrachtet zunächst die Bewegung im allgemeinen und unter- scheidet zwei Arten derselben, die begrenzte, geradlinige, und die unbegrenzte, kreisförmige. Letztere, als die angeblich vollkom- menere, schreibt er den himmlischen Körpern zu. Die geradlinige Bewegung wird aus einem entweder zum Zentrum hin oder vom Zentrum fort gerichteten Streben der Körper erklärt, und so werden die Begriffe Leichtigkeit und Schwere abgeleitet. Die erstere Eigen- schaft wird der Luft und dem Feuer, die zweite dem Wasser und der Erde, d. h. allen flüssigen und festen Körpern zugeschrieben. Aus diesen Erklärungen folgt nun für Aristoteles mit zwingender Notwendigkeit, daß der schwerere Körper, weil sein Streben zum Zentrum ein größeres sei, sich schneller abwärts bewegen müsse als der leichtere. Hieraus wurde dann später geschlossen, daß die Körper genau in demselben Verhältnis schneller fielen, je größer ihr Gewicht sei, so daß beispielsweise ein hundertpfündiges Stück Eisen auch hundertmal so schnell zxff Erde gelange wie ein solches von einem Pfund Gewicht. Jeder, ohne Voreingenommenheit an- gestellte Versuch, hätte diesen Schluß als unhaltbar dartun müssen. Trotzdem blieb er, wenn schon sich hin und wieder Zweifel regten, in Geltung, bis Galilei ihn durch seine Fallversuche glänzend widerlegte. Man kanni) die Unterscheidung zwischen irdischen und himm- lischen, sowie zwischen natürlichen und erzwungenen Bewegungen in erster Linie als das Hindernis ansehen, das der Entwicklung der Mechanik im Altertum und Mittelalter im Wege stand. Erst als diese Schranken fielen, war die Errichtung der neueren Me- \ chanik möglich. Zu den Schwächen der antiken Mechanik rechnet ■ auch der Umstand, daß man nicht zu einer klaren Vorstellung von dem Begriff des Beharrungsvermögens gelangte. Zwar finden sich 1) Mit Haas a. a. 0. (Archiv f. d. Geschichte d. Naturwiss. u. Technik. 1908. S. 47. Das Hebelgesetz. 113 Ansätze 1), doch hielten alle Physiker an der Annahme fest, ein Körper könne sich unmöglich bewegen, wenn nicht eine äußere Kraft oder die ihm innewohnende Schwere und Leichtigkeit auf ihn wirkten 2). Den letzteren Begriff vermieden wenigstens die Atomisten, die alle Körper als schwer betrachteten. Über den Inhalt der mechanischen Lehren des Aristoteles sei noch einiges im einzelnen mitgeteilt. Die Art der Darstellung besteht darin, daß der Philosoph an Erfahrungstatsachen eine An- zahl von Fragen anknüpft 3), die er selten auf mathematischem Wege, wie später mit so großem Erfolge Archimedes, sondern meist, ausgehend von bestimmten Definitionen, durch dialektische ' Kunststücke zu lösen sucht. Den Stoff zu seinen Untersuchungen bieten ihm das Rad, der Hebel, das Ruder, die Zange, die Wage und andere bekannte Werkzeuge. Die Beantwortung der Fragen geschieht oft wieder in Frageform. So heißt es im 6. Kapitel: „Warum das an sich kleine Steuer, am Ende des Schiffes an- gebracht, eine so große Gewalt hat? Weil vielleicht das Steuer ein Hebel ist, die Last das Meer und der Steuermann das Be- wegende". Auffallend erscheint es Aristoteles zunächst, daß eine große Last durch eine kleine Kraft bewegt werden kann, wie beim Hebel. Die an diesem Werkzeug sich das Gleichgewicht haltenden Lasten setzt Aristoteles ganz richtig den Längen der Hebelarme um- gekehrt proportional. Den Grund für dieses Gesetz findet er darin, daß die kleinere Last, ihrer größeren Entfernung vom Stützpunkt entsprechend, einen größeren Kreisbogen durchlaufen müsse. Auf den Hebel wird auch der Keil und der Tragbalken zurückgeführt. Letzteres geschieht (Abb. 14) durch folgende Erörterung: „Zwei Leute tragen auf einer Stange AB eine Last G." Warum, fragt G Abb. 14. Der Tragbalken bei Aristoteles. Aristoteles, wird der am stärksten gedrückt, dem G am nächsten ist? AB sagt er darauf, wird hier gebraucht wie ein Hebel. Der G nächste Träger bei A ist das Bewegte, der andere Träger bei *) Besonders bei Plutarch und bei Lukrez. 2) Haas a. a. 0. S. 44. 3) Daher lautet der Titel des Werkes auch „Quaestiones mechanicae". Dan ne mann, Die Naturwissenschaften. I. Bd. ?. Aufl. 8 114 1^*8 Parallelogrammgesetz. B ist das Bewegende. Und je weiter dieser von der Last entfernt ist, desto leichter bewegt er." Den einarmigen Hebel hat Aristo- teles nicht als eine besondere Art betrachtet. Ein wichtiger Abschnitt des aristotelischen Werkes ist auch derjenige, der den Satz vom Parallelogramm der Bewegungen ent- hält. „Wenn etwas", heißt es dort, „nach irgendeinem Verhältnis bewegt wird, so daß es eine Linie durchlaufen muß, so wird diese Gerade die Diagonale einer Figur sein, welche durch die nach dem gegebenen Verhältnis zusammengesetzten Linien bestimmt wird. Sei zum Beispiel das Verhältnis der Bewegung dasjenige, welches AB zu AG hat. Es werde also A nach B getrieben, AB aber nach CG. Ebenso gelangt in derselben Zeit A nach D, in welcher AD nach E F gelangt. Ist dann das Verhältnis der Bewegung in letzterem Falle dasselbe, d. h. verhält sich AD: AE wie AB: AC, so ist das kleine Parallelogramm dem größeren ähnlich; und es wird folglich die Diago- nale AF in die Diagonale AG fallen. ,-.£,, T^ 1, 1 Hieraus wird also offenbar, daß ein auf der Der batz vom l'arallelo- ' gramm der Bewegungen. Diagonale nach zwei Richtungen bewegter Gegenstand notwendig in dem Verhältnis der Seiten bewegt wird. Andern dagegen zwei Bewegungen in jedem Augenblick ihr Verhältnis, so kann der Körper unmöglich eine geradlinige, sondern er muß eine krummlinige Bewegung durch- laufen." Auch der Satz, daß die Bewegung im Kreise aus zwei Bewegungen, die nach dem Mittelpunkt und in der Richtung der Tangente erfolgen, zusammengesetzt gedacht werden kann, ist auf x\.ristoteles zurückzuführen. Ferner hat sich Aristoteles mit dem Problem des Stoßes beschäftigt, das erst durch Wallis, Wren und Huygens seine Lösung finden sollte. Er stellt nämlich die Frage, weshalb ein geringer Stoß auf einen Keil viel ausrichten könne, während ein gegen den gleichen Keil ausgeübter Druck nur wenig leiste 1). In exakt-wissenschaftlicher Hinsicht sind dem Aristoteles noch zwei Verdienste zuzuschreiben. Einmal war er wohl einer der ersten, der seine Erörterungen durch Zeichnungen zu unter- stützen suchte. Ferner befindet sich bei ihm der Keim zu dem Gedanken, die in Beziehung zu setzenden Größen mit Buchstaben zu bezeichnen. 1) Mechanische Probleme. Ausg. von Poselger 1881. S. 34. Anschauungen über den Schall und das Licht, ][15 Die Anfänge der Akustik und der Optik. Ein anderes Gebiet, das sich gleichfalls schon im Altertum der exakten Behandlung zugänglich erwies, war die Akustik. So hatten z. B. die Pythagoreer erkannt, daß die Längen von gleich dicken und in gleichem Maße gespannten Saiten, wenn sich Kon- sonanzen ergeben sollen, in einem einfachen Verhältnis stehen müssen. Dieses Verhältnis fanden sie für die Oktave gleich 1:2. Und zwar geschah dies mit Hilfe eines Monochords. Der Apparat besaß die Einrichtung, daß eine Saite über einen Steg geführt und durch Gewichte beliebig gespannt werden konnte. In dieser Vorrichtung begegnet uns der erste Apparat, f vermittelst dessen auf experimentellem Wege ein Naturgesetz , gefunden wurde. Auch bei Aristoteles finden wir einige zu- treffende Vorstellungen über akustische Vorgänge. Aristoteles schreibt z. B. der Luft die vermittelnde Bolle bei den Schall- erscheinungen zu und führt die letzteren auf Schwingungen zu- rück, die sich bis zu unserem Ohre fortpflanzen. ,.Ein Ton", sagt er, „entsteht nicht dadurch, daß der tönende Körper der Luft, wie einige glauben, eine gewisse Form einprägt, sondern dadurch, daß er die Luft auf eine angemessene AVeise in Be- wegung setzt. Die Luft wird dabei zusammengedrückt und aus- einandergezogen und durch die Stöße des tönenden Körpers immer wieder fortgestoßen, so daß sich der Schall nach allen Richtungen ausbreitet." Auch das Echo wurde von Aristoteles ganz richtig als ein Reflex erkannt. Die gleiche Anschauung, die er sich vom Schall gebildet, \ übertrug Aristoteles auf das Gebiet der Optik. Vor ihm hatte : sich die wunderliche Vorstellung entwickelt, das Sehen sei eine ' Art Tasten, bei dem das Auge sich aktiv verhalte und sozusagen Fühlfäden nach den Körpern hin erstrecke. Nach den ältesten An- sichten ist das Auge sogar feuriger Natur. Auch bei den Indern , begegnen wir dieser Meinung. So schreibt Susruta der Linse,! die häufig als das Hauptorgan des Auges betrachtet wurde, ewiges Feuer zu^j. In Übereinstimmung damit betrachteten die ältesten/ griechischen Philosophen, wie die Pythagoreer, das Sehen als eine heiße Ausdünstung, die vom Auge nach dem wahrgenommenenj Gegenstande strömen sollte. 1) Haas, Antike Lichttheorien (Archiv für Geschichte d. Philos. 20. Bd. 1907. 3. Heft. 8* 116 Das Sehen und die Farben. Aristoteles wendet dagegen ein^), daß man dann auch wäh- rend der Nacht zum Sehen befähigt sein müsse. Ahnlich wie beim Schall die Luft zur Übermittlung erforderlich sei, setze auch die Lichtetnpfindung zwischen dem Auge und dem gesehenen Gegen- stande ein Medium voraus, das die Wirkung zu übertragen ver- möge. Das Innere des Auges ist ferner nach Aristoteles des- halb durchsichtig, weil sich der Sitz des Sehvermögens auf der hinteren Seite befinde. Auch an eine Erklärung der Farben wagt sich Aristoteles. Sie sollen aus der Mischung von Weiß und Schwarz, die er als Grundfarben bezeichnet, hervorgehen, ein Ge- danke, der später oft wiederkehrte. Er wendet sich dann gegen die Annahme, die Farben seien Ausflüsse der farbigen Körper. „Man muß nicht annehmen," fügt er hinzu, „daß alles durch Berührung empfunden wird. Sondern es ist besser zu sagen, die Empfindung des Sehens erfolge durch eine Bewegung des Mittels zwischen dem Auge und dem Gesehenen." Es begegnet uns also hier schon im Keime der Widerstreit zwischen der Emanations- und der Vibrations- theorie, der sich durch das 17. und 18. Jahrhundert hindurchzog und erst im 19. entschieden wurde 2). Trotz mancher Unrichtig- keiten, die sich bei Aristoteles finden, hat kaum ein anderer Denker des Altertums solch klare Vorstellungen über optische Dinge entwickelt, wie er. Daher knüpft selbst Goethe in seiner Schrift „Zur Farbenlehre" wieder an ihn an und gibt dort eine Darstellung der aristotelischen Ansichten über das Licht und die Farben 3). Erwähnt sei noch, daß die von den Atomisten (Leukipp, Demokrit) geschaffenen optischen Vorstellungen einen Rück- schritt bedeuteten. Die Atomisten fielen eigentlich in die alten Vorstellungen zurück. Sie kehrten das Verhältnis aber um und ließen Abbilder der Dinge von den Gegenständen sich loslösen und ins Auge strömen. Mit beiden Anschauungen brach Ari- stoteles, indem er die Bedeutung des Mediums für den Vor- gang des Sehens erkannte. Im Mittelalter glaubte man von jeder physikalischen Erklärung absehen zu dürfen, da die Seele keiner äußeren Beihilfe bedürfe^). Man nahm vielmehr beim Sehen eine 1) Aristoteles, Über die Sinne. Kap. II. 2) Wilde, Über die Optik der Griechen. Berlin 1832. 3) Die aristotelische Schritt über die Farben gilt allerdings nach neueren Untersuchungen als unecht. *) Haas. a. a. 0. S. 386. Piaton hatte die Lehre von den Sehstrahlen und den Abbildern zu einer Theorie der Zusammenstrahlung (Synergie) verschmolzen. Das Himmelsgebäude nach Aristoteles. 117 unvermittelte Fernwirkung an und schuf damit einen Begriff, der lange dazu dienen mußte, einen aus mechanischen Prinzipien nicht zu erklärenden Vorgang wenigstens mit einem Worte zu verbinden. Obgleich die Beschäftigung mit Fragen der Mechanik, der Optik und der Akustik ganz besonders zu wissenschaftlichen Be- obachtungen und zu Versuchen anregt, finden wir bei Aristoteles, wie fast überall im Altertum, nur geringe Ansätze nach dieser Richtung. Stets wird an die Meinungen früherer angeknüpft, dar- auf werden Tatsachen der gewöhnlichen Erfahrung herangezogen und daraus auf dialektischem Wege, unter Gedankensprüngen und logischen Kunstgriffen, ein Ergebnis gewonnen, das sich dem herrschenden System anpaßt, oft aber auch auf eine bloße Wort- erklärung hinausläuft. Das Ergebnis der so geübten Spekulation sucht Aristoteles mitunter wieder durch neue Beispiele aus der Erfahrung zu stützen. Das Unzulängliche seines Verfahrens scheint ihm indessen manchmal selbst zum Bewußtsein gekommen zu sein. So sagt er au einer Stelle: „Noch sind die Erscheinungen nicht hinreichend erforscht. Wenn sie es aber dereinst sein werden, ist der Beobachtung mehr zu trauen, als der Spekulation und letzterer nur insoweit, als sie mit den Erscheinungen Übereinstimmendes ergibt." Das Himmelsgebäude nach Aristoteles. Auf dem Gebiete der Astronomie hat Aristoteles den so- eben erwähnten Grundsatz, den im übrigen erst die neuere Natur- forschung zur vollen Geltung brachte, auch hin und wieder be- folgt i). Andererseits verleugnet er in seinem, von diesem Gebiete handelnden Werke an manchen Stellen die an ihm gewohnte Denkart nicht. So bemüht er sich, aus Vernunftgründen darzutun^ daß es nur ein Himmelsgewölbe geben könne und daß das Uni- versum ohne Ursprung und unvergänglich sei. Sehr klar ist seine Zusammenstellung der Gründe für die Kugelgestalt der Erde. Der betreffende Abschnitt möge hier in etwas freierer Wiedergabe folgen 2): „Daß die Erde eine Kugel ist, ergibt sich auch aus der Sinneswahrnehmung. Bei den Mondfinsternissen ist nämlich die abgrenzende Linie, welche der Schatten der Erde zeigt, immer ge- krümmt. Ferner ist durch das Erscheinen der Sterne nicht bloß augenfällig, daß die Erde rund ist, sondern auch, daß sie nicht 1) Wolff, Geschichte der Astronomie, S. 42. 2) Nach der Ausgabe von Prantl. WQ Das Himmelsgebäude nach Aristoteles. eben groß sein kann. Wenn wir nämlich nur eine geringe Orts- veränderung gegen Süden oder Norden vornehmen, so zeigen die Sterne über unserem Haupte eine große Veränderung, denn einige Sterne werden in Ägypten gesehen, hingegen in den nördlichen Ländern nicht. Und diejenigen Sterne, welche in den nördlichen Gegenden immerwährend am Himmel stehen, gehen in den süd- lichen unter. Folglich ist die Erde nicht nur kugelförmig, sondern auch nicht groß, denn sonst würde sich bei einer nur so geringen Orts Veränderung nicht die beschriebene Erscheinung zeigen. Es ist daher nicht unglaublich, daß die Gegend um die Säulen des Herkules mit jener von Indien zusammenhängt und daß es auf diese Weise nur ein Meer gibt. Ferner behaupten die Mathematiker, daß der Umfang der Erde etwa 400000 Stadien betrage. Auch daraus würde folgen, daß die Erde nicht nur kugelförmig, sondern im Vergleich zu den übrigen Gestirnen nicht groß ist." Gleichzeitig mit der Lehre von der Kugelgestalt der Erde entstand die Vorstellung, daß es Antipoden geben müsse. Schon die Pythagoreer sollen dies angenommen haben i). Als der „Er- finder" des Wortes Antipoden wird Piaton genannt. Daß die Erde in ihrem ganzen Umfange bewohnt sei, wird indessen nicht etwa als Tatsache, sondern nur als nicht zu umgehende Annahme hingestellt. Von eigener Beobachtung eines seltenen astronomischen Er- eignisses zeugt folgende Stelle, die gleichfalls im Wortlaute mit- geteilt sei 2): „Wir haben nämlich gesehen, wie der Mond einmal halbkreisförmig war und unter dem Mars vorüberging. Letzterer verschwand an der dunklen Hälfte des Mondes und kam an der beleuchteten wieder hervor. In gleicher Weise berichten solches, auch bezüglich der übrigen Gestirne, diejenigen, die schon seit einer sehr langen Reihe von Jahren Beobachtungen angestellt haben, nämlich die Ägypter und die Babylonier, von denen wir viele beglaubigte Nachrichten betreffs eines jeden Gestirns be- sitzen." Die Kugelform legt Aristoteles nicht nur der Erde, sondern auch dem Himmelsgewölbe bei. Letzteres müsse notwendig kugel- förmig sein, denn die Kugel sei sowohl für das Wesen des Uni- versums die am meisten ansprechende, als auch von Natur aus 1) Nach Diog:. Laertius VIII, 26, der aber wenig zuverlässig ist. 2 Nach der Übersetzung von Prantl, Aristoteles' vier Bücher über das Himmelsgebäude. Leipzig 1857. Verlag von W. Engelmann. S. 180 — 181. Die Bewegung der Planeten. 119 die ursprünglich erste Form*). Für die "Welt nimmt Aristoteles räumliche Begrenzung an. Die Gestirne seien aus Äther gebildet, dessen Bewegung die kreisförmige sei, während den irdischen Elementen die geradlinige zukomme. Die fünf Planeten, die Sonne und der Mond sollen, wie schon Eudoxos behauptet, jeder in seiner eigenen Sphäre bewegt werden. An diesen Sphären, unter denen man sich konzentrische, die im Mittelpunkte ruhende Erde umgebende Kugelschalen vorstellte, sind diese sieben Welt- körper befestigt, während die Fixsterne eine gemeinsame Sphäre besitzen und ihre gegenseitige Lage innerhalb dieser Sphäre nicht Ändern. Astrologische Vorstellungen kommen in den Schriften des Aristoteles nicht vor. Zwar hatte Piaton die Ansicht ver- treten, daß die Gestirne göttliche Wesen seien. Aristoteles teilte diese Ansicht, sowie die Lehre von der Sterndeutung jedoch nicht, wenn auch den Griechen damals schon die astronomischen und die astrologischen Lehren der Chaldäer bekannt waren. Auch Eudoxos, der sich zur Zeit Piatons eingehend mit der Astronomie befaßte, verhielt sich diesen Lehren gegenüber ablehnend. Erst in der späteren, als hellenistisch bezeichneten Periode wurde die Astrologie zu einer herrschenden geistigen Strömung. Um die Ungleichheiten in der Bewegung der Planeten zu er- klären, hatte schon Eudoxos, der Begründer der Theorie der homozentrischen Sphären, für jeden Wandelstern mehrere Sphären eingeführt. Für jedes dieser Gestirne mußte, da es wie die Fix- sterne auf- und unterging, eine der Fixsternbewegung entsprechende Sphäre angenommen werden. Eine zweite, deren größter Kreis in die Ekliptik fiel, bewegte den Planeten dann entgegengesetzt zur täglichen Drehung, also von West nach Ost, in einer Zeit, innerhalb welcher der Planet den Tierkreis durchläuft. Weitere Sphären waren zur Erklärung der Stillstände und der zeitweiligen Rückwärtsbewegung von Ost nach West nötig. Für den Mond und für die Sonne waren gleichfalls zwei Sphären nicht ausreichend. Im ganzen benötigte Eudoxos zur Darstellung der Bewegungen der Himmelskörper 27 Sphären. Zu diesen fügte Kalippos 7 und Aristoteles noch 22 weitere hinzu. Dadurch wurde der Mechanismus so verwickelt, daß man ihn endlich auf- gab und durch die Epizyklentheorie ersetzte. 1) De coelu II, 4. 120 Himmelsgloben. Eine Bekonstruktion der Anschauungen des Eudoxos ver- danken wir Schiaparellii). Es handelt sich bei der Annahme der Sphären um keine mystischen Ungereimtheiten, sondern um eine kinetische Hilfsvorstellung zur möglichst genauen Beschreibung der beobachteten Vorgänge. Man darf bei der Beurteilung älterer Hypothesen nie vergessen, daß auch unsere modernen Theorien im Grunde genommen solche Hilfsvorstellungen sind, die mit dem Fortschreiten der Wissenschaft oft durch neue Vorstellungen ver- drängt werden. Man darf ferner wohl annehmen, daß Eudoxos selbst seine Hilfsvorstellung als das betrachtete, was sie war, und daß erst Spätere seinen homozentrischen Sphären Wirklichkeit bei- gemessen haben. Bezeichnend ist auch der Ausdruck, der bei den alten Schriftstellern oft wiederkehrt, daß man für die Bewegung der Himmelskörper Theorien aufgestellt habe, „um die Erschei- nungen zu retten", d. h. sie mit einer, den Verstand befriedigenden, kinetischen Darstellung in Einklang zu bringen. Hielt man an dem Grundsatz fest, am Himmel seien nur gleichmäßige und kreisförmige Bewegungen möglich, so boten die Sphärentheorie und später die Epizyklentheorie eine Lösung der den alten Astro- nomen gestellten Aufgabe, die dem damaligen Stande des Wissens entsprach. Die Vorstellung, die Erde und der Himmel seien kugelförmig, führte schon im Altertum zur Verfertigung von Globen. Zuerst begegnen uns Himmelsgloben. Ein solcher ist uns in dem „Far- nesischen Globus" erhalten geblieben. Er wird im National- museum zu Neapel aufbewahrt und bildet die Marmorkugel, welche der „Parnesische Atlas" trägt. Dieser Globus ist vermutlich eine Nachbildung einer von Eudoxos hergestellten Sphäre. Auf dem Farnesischen Globus sind die Sternbilder in relief artiger Darstellung gemeißelt. Nach der Lage des Frühlingspunktes zu urteilen, stammt das Kunstwerk aus dem 3. vorchristlichen Jahr- hundert. Später haben die Araber, unter Benutzung der griechischen Sternverzeichnisse, in der Anfertigung von Himmelsgloben Hervor- ragendes geleistet. Von solchen aus dem 13. Jahrhundert stammen- den Globen sind mehrere erhalten 2). Die Verfertigung von Erd- globen kam erst im Zeitalter der Entdeckungen auf, als sich der geographische Gesichtskreis über die gesamte Erde auszudehnen *)Schiaparelli, Le sfere omocentriche di Eudosso, di Calippo e d'Aristotele. Mailand 1876; deutsch von Hörn. Abhandl. z. Gesch. d. Math- 1. Heft. 2) Siehe Wolf f, Geschichte der Astronomie. S. 195. Die Natur der Weltkörper. 121 begann*). Die von den Himmelskörpern ausgehende Wärme und ihr Licht führt Aristoteles darauf zurück, daß „die Luft unterhalb der Sphäre erhitzt wird''. „Denn," fügt er hinzu, „von Natur aus versetzt Bewegung sowohl Hölzer als auch Steine ur.d Eisen in Feuerhitze 2)." Aber nicht nur die Erde und das Himmels- gewölbe sind nach Aristoteles kugelförmig, sondern er legt diese Form den Gestirnen ganz allgemein bei 3). Die Ansicht, letztere müßten eine Art Sphärenmusik erzeugen, kann er nicht teilen. Denn übermäßiges Geräusch, meint er, zerstöre selbst die widerstandsfähigsten Körper*). Bei der Erklärung des Flimmerns fällt er in die an anderer Stelle von ihm bestrittene Sebtheorie zurück. Er meint nämlich, die Planeten besäßen ein ruhiges Licht, weil sie nahe seien und der „Blick sie deshalb in seiner vollen Kraft erreiche". „Hingegen auf die Fixsterne gerichtet," fährt er fort, „wankt der Blick wegen der Länge des Abstandes, daher flimmern die am Himmel fest eingefügten Sterne, die Planeten aber nicht ^)." Was endlich die Kometen anbetrifft, so rechnete Aristoteles sie nicht zu den Himmelskörpern, sondern er hielt sie für Gebilde der irdischen Atmosphäre. Welchen Wert man dieser Meinung beilegte und wie sehr die Kometen das allgemeine Interesse fesselten, geht daraus hervor, daß noch am Ende des 17. Jahr- hunderts in manchen Ländern kein Professor angestellt wurde, wenn er nicht öffentlich erklärte, daß er außer mit den übrigen Grundsätzen des Aristoteles auch mit dessen Ansichten über die Kometen einverstanden sei^). Bis auf Aristoteles zurückzuverfolgen ist auch eine andere Lehre (orientalischen Ursprungs), die in ihren letzten Konsequenzen das paradoxeste Erzeugnis des menschlichen Geistes darstellt, die Lehre von der steten Wiederkehr'). Aristoteles spricht an einigen Stellen seiner Werke den Gedanken aus, ähnlich der Be- wegung der Gestirne vollziehe sich alles irdische Geschehen periodisch in stetem Kreislauf. So finde z. B. auch ein steter Wechsel zwischen ») Siehe Martin Behaim, 1492. 2) De coelo II, 7. 3j De coelo II, 8. *) De coelo II, 9. 5) De coelo II, 8. öj Kaiser, Der Sternenhimmel. Berlin 1850. '') Daß Nietzsche dieser unoxaiäajaai^ genannten Lehre einen beson- deren Wert beilegte, ist bekannt genug. J22 Astronomisöhe Perioden. Meer und Land statt^). Spätere Philosophen, so die Stoiker, waren schon, wie später Nietzsche, in maßloser Übertreibung eines an sich richtigen Gedankens, auf die sonderbare Lehre ge- kommen, daß in großen Weltperioden in steter Folge selbst das Einzelwesen in seiner ganz bestimmten Individualität, z. B. ein bestimmtes Dorf, ein Sokrates usw. mit allen gleichzeitigen Wesen, Dingen und Erscheinungen wiederkehren müsse 2). Erklär- i lieh wird dieser Irrgang des menschlichen Geistes daraus, daß f ür die Gestirne, denen man einen maßgebenden Einfluß auf alles Werden und Vergehen zuschrieb, eine Rückkehr in die Anfangs- stellung angenommen wurde. Sobald diese erreicht sei, sollten sich alle Geschehnisse in der gleichen Folge von neuem abspielen. Man unternahm es sogar, auf Grund der vorhandenen Beobach- tungen die Rückkehr der Planeten in dasselbe Ortsverhältnis zu berechnen. Aristarch hatte dafür einen Zeitablauf von 2484 Jahren angenommen. Andere hatten Jahrmillionen herausgerechnet. Unter den Neueren hat sich selbst Tycho mit der Berechnung dieses „annus mundanus" genannten Zeitraumes befaßt und 25816 Jahre gefunden. Ganz aufgegeben wurde dieser Gedanke wohl erst, als man erkannte, daß die Zahl der Planeten weit größer ist, als bisher angenommen war. Zu den astronomischen Grundlagen der Lehre von der steten Wiederkehr ist auch Hipparchs Entdeckung der Präzession der Nachtgleichen zu rechnen. Sie führte gleichfalls auf eine Periode von etwa 25000 Jahren, die als platonisches Jahr bezeichnet wurde. (Siehe a. spät. Stelle.) Außer den astronomischen kommen auch geophysische Grund- lagen für diese Lehre in Betracht, indem man die regelmäßige Wiederkehr gewaltiger Überflutungen oder auch von Perioden ge- steigerter vulkanischer Tätigkeit voraussetzte. Gewöhnlich wurden diese Ereignisse in der Art miteinander verbunden, daß man die irdischen Katastrophen an die periodisch wiederkehrenden astro- nomischen Erscheinungen knüpfte 3). Um die regelmäßige Wiederkehr der Überflutungen zu er- klären, dachte man sich entweder die Erde von Adern und Spalten \\ 1) E. V. Lasaulx, Die Geologie der Griechea und Römer. München 1851. S. 32. 2] Auch im Neuen Testament findet sich ein Anklang an diese Lehre (Apostelgeschichte 3. 21). 3] S. Günther, Die antike Apokatastasis. Sitzungsber. d. k. bayer. Akad. d. Wissensch. math. phys. Kl. 1916. S. 83—111. Anfänge der physischen Erdkunde. 123 durchzogen, die das Wasser in sich aufnehmen und sich wieder leeren sollten, oder man nahm an, daß sich in den oberen Schichten der Atmosphäre die Luft in Wasser verwandele. Zu den An- hängern dieser Auf fassung gehörte Aristoteles, der sich mit den meteorologischen Erscheinungen eingehend beschäftigte. Die Grundzüge der physischen Erdkunde und der Geologie. In seinen vier Büchern über die Meteorologie beschreibt und erörtert Aristoteles das Auftreten der Kometen und der Sternschnuppen, welche er als Erzeugnisse unserer Atmosphäre betrachtet, die Gestalt und die Höhe der Wolken, die Bildung von Tau, Eis, Schnee, die Entstehung der Winde und des Gewitters usw. Im ersten Buche ^) spricht Aristoteles von Erscheinungen, die wohl nur dahin gedeutet werden können, daß es sich um das Nordlicht handelt. Er erzählt, daß man in klaren Nächten mit- unter Schlünde erblicke, die blutigrote Fackeln hinauszuschleudern schienen. Die Erscheinung mache den Eindruck, als ob sie von einem weit entfernten Brande herrühre. Weniger bestimmt lassen sich einige bei Plinius und Seneca vorkommende Stellen auf das Nordlicht deuten. Erdbeben werden nach Aristoteles durch eingeschlossene Luft erzeugt. Sehr ausführlich wird vom Regenbogen gehandelt. Aristoteles sucht diese Erscheinung einzig aus der Reflexion des Lichtes abzuleiten. Die Wassertröpfchen, meint er, seien Spiegel- chen, die indessen infolge ihrer Kleinheit nicht die Form, sondern nur die Farbe des leuchtenden Gegenstandes, gemischt mit ihrer eigenen Farbe, zurückwürfen. Dem Regenbogen werden nur die drei Farben rot, grün und violett zugeschrieben. Doch zeige sich zwischen rot und grün eine fahle Farbe (das Gelb). Auch die Beziehung des Regenbogens zur Sonnenhöhe wird erörtert und es wird erwähnt, daß es um Mittag im Sommer in Griechen- land keinen Regenbogen gebe. Den Mondregenbogen, sagt Aristo- teles, habe er in 50 Jahren nur zweimal beobachtet. Die Er- scheinung sei so selten, weil sie nur bei Vollmond eintrete. Auch der künstliche Regenbogen, der sich im zerstäubten Wasser zeigt, findet Erwähnung. ») Kap. 4 u. 5. 124 Geologische Vorstellungen. Die ersten geologischen Vorstellungen begegneten uns schon bei Thaies und bei Empedokles (s. S. 70). Bei dem mit vielen Teilen der Erde bekannt gewordenen Demokrit hatten diese Vorstellungen eine erstaunliche Höhe erreicht. Man kann das aus der auf Demokrit zurückgehenden Darstellung schließen, welche Aristoteles über die geologischen Vorgänge gibt. Seine Worte lauten 1): „Nicht immer sind dieselben Orte der Erde feucht oder trocken, sondern sie verändern sich je nach dem Entstehen und dem Verschwinden der Elüsse. Ebenso verändert sich das Verhältnis des festen Landes zum Meere. Wo festes Land ist, da wird Meer, und wo jetzt Meer ist, da entsteht wiederum festes Land2). Man muß annehmen, daß dies periodenweise geschieht^). Da die ganze natürliche Entstehung eines Landes allmählich und in Zeiträumen vor sich geht, die im Ver- gleich mit unserem Leben außerordentlich lang sind, so bemerken wir nichts davon*). Ägypten z. B. scheint immer trockner geworden zu sein. Das ganze Land muß wohl als eine Anschwemmung des Niles betrachtet werden. Ahnlich verhält es sich mit Argos. Vor alters war diese Landschaft sumpfig und fast unbewohnt. Heute dagegen ist sie angebaut. Was von dieser engbegrenzten Gegend gilt, das ge- schieht auch bei ganzen Ländern. Einige nehmen an, daß die Ursache solcher Vorgänge eine Veränderung des ganzen Himmels- gebäudes ist, als sei dies dem Wechsel unterworfen. Oder man behauptet, das Meer nehme ab, indem es austrockne. Dabei über- sieht man, daß gleichzeitig Teile der Erde trocken werden, während das Meer andere überflutet 5)." 1) Ar ist., Meteor. 1, 14. 2) Ahnliche Anschauungen entwickelten auch Strabon und Erato- sthenes. S. a. spät. Stelle. Strabon knüpfte seine Theorien an seine Kennt- nis der vulkanischen Erscheinungen an, während Erat osthenes von der Be- obachtung von Versteinerungen im Innern der Kontinente ausging. 3) Die Begründung, die Aristoteles hierfür gibt, sei übergangen. Er spricht von der Blütezeit und dem Alter der einzelnen Teile der Erd- oberfläche. *) Aristoteles führt dann des Näheren aus, weshalb die Erinnerung an solche Vorgänge selbst im Gedächtnis der Völker, die vor dem eindringenden Meere zurückwichen oder in neuentstandene Länder einwanderten, nicht fest- gehalten worden ist. 5) Barthelemy St. Hilaire erklärt diese Darlegungen des Aristoteles in der Vorrede zu seinem Werke „Meteorologie d'Aristote". Paris 1863, für geradezu bewunderungswürdig. Wechsel von Land und Meer. 125 Die Annahme, daß die Menge des Meeres geringer werde und das Meer schließlich ganz verschwinden müsse, rührt von Demokrit her. Letzterer ist zu dem großartigen Gedanken, daß die Konfiguration der Erdoberfläche sich im Lauf der geo- logischen Perioden ändere, schon vor Aristoteles gelangt i). Auch die Ansicht, daß die geologischen Änderungen auf kosmologische Ursachen zurückzuführen seien, rührt von Demokrit her. Aristo- teles verwirft sie, weil er den Himmel als den Ort des unver- änderlichen Seins betrachtet. Wir sehen aus alledem, daß Demo- krits Naturauffassung in vielem höher steht als diejenige des Ari- stoteles und sich der unseren nähert, denn die Einwirkung kos- mischer Vorgänge auf die säkularen Änderungen der Erdoberfläche wird heute nicht mehr in Abrede gestellt. Ferner entspricht Demo- krits Annahme einer steten Verringerung der auf der Erde befind- lichen Wassermenge den heutigen geologischen Vorstellungen. Das Ende dieses Vorgangs würde darin bestehen, daß alles Wasser durch die Verwitterung und andere Veränderungen der Gesteine gebunden ist. Daß das Meer nicht etwa dadurch verschwindet, daß es sich durch die Sonne in Dampf verwandelt, war Demokrit ganz klar, denn er wußte, daß das Wasser des Meeres immer wieder in Gestalt von Regen auf die Erde herabfällt. Dies ist aus seiner Erklärung der Nilüberschwemmungen ersichtlich 2). Es ist anzunehmen, daß Demokrits ganz klare Lehre vom Kreislauf des Wassers der von Aristoteles gegebenen Dar- 1) Ovid hat diesen Gedanken in seinen ,, Metamorphosen" in poetischer Form zum Ausdruck gebracht (XV, 260 u. f.). Es heißt dort: 260 So auch hat gar oft sich gewendet der Gegenden Schicksal. Ich sah selber als Meer, was fester und trockener Boden Vormals war; ich sah aus Wogen gewordene Länder. Fern ab lagen vom Meer in der See einheimische Muscheln, 265 Und man entdeckte sogar auf Gebirgshöhen Anker der Vorzeit. Was erst Ebene war, das schuf der Gewässer Herabsturz Um zum Tal, und der Berg ward niedergeschwemmt in die Fläche. Vordem sumpfiges Land ist lechzend von trockenem Sande, 269 Während von stehendem Sumpf feucht ist, was früher gedürstet. Zu 265: Pomponius Mela berichtet, im Innern Numidiens seien „Reste von Schnecken, von den Fluten abgeschliffenes und von Strandsteinen nicht unterscheidbares Gestein, in Felsen haftende Auker (?), sowie andere Zeichen dafür gefunden worden, daß einst das Meer bis in diese Gegend gereicht habe". 2) Diodori bibliotheca historica I, 39. Dieser Darstellung der geologischen Ansichten Demokrits ist die oben erwähnte Schrift Löwenheims (siehe S, 75) zugrunde gelegt. 126 Einsicht in geologische Vorgänge. Stellung zugrunde gelegen hat. Sie lautet: ..Einige behaupten^ daß die Flüsse nicht allein in das Meer fließen, sondern auch aus demselben." Das Wasser des Meeres verdampfe und steige nach oben. Dort werde es durch Abkühlung wieder verdichtet und falle infolgedessen wieder zur Erde herunter i). Für das Entstehen der ersten geologischen Anschauungen ist der Umstand von großer Bedeutung gewesen, daß das Land, in dem das älteste Kulturvolk der Ägypter wohnte, alle Anzeichen dafür darbot, daß es sich in langsamer, stetiger Änderung be- findet. Die Erinnerungen und Aufzeichnungen der Ägypter um- faßten einen Zeitraum von Jahrtausenden, der wohl erkennen ließ, daß sich das Land am unteren Lauf des Niles fortgesetzt nach Norden ausdehnte 2). Die salzigen Seen auf der Landenge von Suez konnten kaum anders denn als Überbleibsel des Meeres ge- deutet werden. Auf das allmähliche Eraportauchen Ägyptens aus dem Meere wiesen auch die in seinen gebirgigen Teilen sich findenden Versteinerungen hin. Trotzdem ist es erstaunlich, daß man auf Grund von einer immerhin nur geringen Summe von Beobachtungen im Altertum schon zu einer so klaren Einsicht in 1 die geologischen Vorgänge gelangt ist, wie sie uns bei Era- tosthenes, bei Aristoteles, der allerdings nur berichtet, und ganz besonders bei Demokrit begegnet. Es läßt sich nicht verkennen, daß diese antiken Anfänge der geologischen Wissen- schaft auf ihre eigentliche Begründung im 16. und 17. Jahr- hundert von nicht geringem Einfluß gewesen sind, wie an späterer Stelle gezeigt werden soll. Dieser Einfluß geht so weit, daß zwischen den am klarsten von Demokrit entwickelten Lehren des Altertums eine besonders durch Aristoteles vermittelte Wir- kung auf die Geologie der Neuzeit nachzuweisen ist. 1) Aristoteles bemerkt an dieser Stelle, daß er es lächerlich finde, wenn einige annehmen, die Sonne werde durch die feuchten Dünste ernährt und mache deswegen ihren Umlauf, da ihr nicht immer dieselben Orte die Nahrung liefern könnten. 2 So sagt Plutarch: „Die Insel Pharos, die einst eine Tagfahrt von Ägypten entfernt war, ist jetzt ein Teil des Landes. Sie bewegte sich aber nicht an das Land heran, sondern das dazwischen liegende Meer wich vor dem, festes Land bildenden Flusse zurück." Weiter bemerkt Plutarch: „Ägypten war nämlich ein Meer. Daher findet man noch jetzt viele Muscheln in den Schächten und auf den Bergen. Alle Quellen und Brunnen haben salziges und bitteres "Wasser als Rest des ehemaligen Meeres" (Plutarch, „Über Isis und Osiris", herausgegeben von Parthey, Berlin 1850. S. 70 u. 71). Die vier Elemente. 127 Die vier aristotelischen Elemente. Am Schlüsse seiner „Meteorologie" handelt Aristoteles von den vier Elementen. Ausführlichere Darlegungen über diesen Gegenstand enthält die Schrift über „Entstehen und Vergehen". Dali nur vier Elemente möglich seien, beweist Aristoteles auf spekulativem Wege. Seine Ausführungen sind für die Beurteilung der aristotelischen Denkweise so bezeichnend, daß wir auf sie etwas näher eingehen wollen'). Es gibt, meint er, vier Grundempfindungen: warm, kalt, feucht und trocken. Diese Empfindungen werden paarweise vereint wahr- genommen. Mathematisch betrachtet, können sich sechs solcher Vereinigungen (sechs Kombinationen zu zwei) bilden. Doch sind zwei als sich widersprechend unmöglich, nämlich die Vereinigung^ warm und kalt und die Vereinigung feucht und trocken. Es bleiben folglich nur vier Gegensätze bestehen, und dementsprechend sind nur vier Elemente möglich. Dem Gegensatz kalt und trocken ent- spricht die Erde, kalt und feucht das Wasser, warm und feucht die Luft, warm und trocken das Feuer. Durch die Mischung dieser vier Elemente entstehen nun nach Aristoteles sämtliche irdischen Stoffe 2). Ferner kommt jedem Element sein bestimmter „natürlicher" Ort zu, gegen den hin es sich bewegt. Die Materie setzt Aristoteles als gegeben voraus. Sie kann nicht etwa aus dem Nichts entstehen, auch sich nicht vermehren oder sich vermindern 3). Sie ist vielmehr nur der Veränderung fähig. Veränderungen werden dadurch hervorgerufen, daß Un- 1) Auch Piaton entwickelte schon die Lehre von den vier Elementen, sowie Ansichten über die Stoffe, aus denen sich die Mineralien, die Pflanzen und die Tiere zusammensetzen. Alchemistische Vorstellungen begegnen uns bei Piaton und bei Aristoteles noch nicht, dennoch sind ihre Lehren von der Natur der Stoffe von großem Einfluß auf die Entstehung der Alchemie gewesen. Näheres hierüber enthält die Abhand.ung 0. E. v. Lippmanns, Chemisches und Physikalisches aus Pia ton 'Journal für praktische Chemie, Bd. 76. S. 513 u. f.). Siehe auch v. Lippmanns Abhandlungen und Vorträge zur Gesch. d. Naturwiss. Bd. II, Leipzig 1913. 2) Von den chemischen Kenntnissen des Aristoteles und seinen Vor- stellungen handelt E. v. Lippmann im Archiv für die Gesch. der Naturwiss. u. d. Technik. 1910. Bd. 2. S. 236-300. 3j Nach der „Physik", nach „Entstehen und Vergehen" und der Schrift „Über das Himmelsgebäude". Die betreffenden Stellen hat 0. E. v. Lipp- mann im zweiten Bande des Archivs für die Gesch. d. Naturwissensch. u. d. Technik zusammengestellt. Dort findet man auf S. 235—300 eine große Zahl weiterer, die Hauptgedanken des Aristoteles wiedergebender Zitate. 128 Bewertung der Keime und Vorahnungen. gleichartiges oder Gegensätzliches aufeinander wirkt. Dies setzt Berührung voraus. Letztere braucht nicht immer eine unmittel- bare zu sein. Es kann vielmehr auch eine Vermittlung durch eine Zwischensubstanz stattfinden, von der jeder Teil den zunächst „liegenden in Bewegung setzt. In letzter Linie beruht jede Ver- 'iänderung, einerlei ob sie qualitativ oder quantitativ ist, auf Be- wegungen. Ist ein Körper einmal in Bewegung, so ist kein Grund denkbar, daß er stillstehen sollte, wenn er keinen Widerstand findet. Indes auch das Ruhende widerstrebt und verharrt an seinem Orte^). In all diesen Sätzen begegnen uns schon Keime und Vor- ahnungen, die sich später ganz oder teilweise bewahrheiten sollten. Der Andeutung des Gesetzes von der Erhaltung der Materie trat auch schon eine Vorahnung des Energiegesetzes zur Seite. Sie begegnet uns in dem Ausspruch,- daß die in der Natur vorhandene Bewegung weder entstehen noch vergehen könne 2). Man darf indessen nicht außer Acht lassen, daß Aristoteles mitunter rein zufällig das Richtige trifft. So, wenn er sagt, die Luft bestehe aus zwei Bestandteilen. In der Nähe des Erdbodens herrsche nämlich ein feuchter und kühler, in der Höhe dagegen ein trockner und warmer vor. Für das Entstehen gibt es nach Aristoteles drei Ursachen, den Stoff, als das dem Werden zugrunde Liegende, die Form als Zweck und die Bewegung als Veranlassung. Die den Stoff ge- staltende Form ist nach Aristoteles für die Lebewesen mit dem, was wir Seele nennen, einerlei. Die Artunterschiede der Seele sollen die Stufenreihe der Lebewesen bestimmen. Die niedrigste 1) Mechanische Probleme. S. 9 u. 32. Die in dieser Schrift entwickelten allgemeinen Ansichten entsprechen denjenigen der älteren peripatetischen Schule. Trotzdem wird die Schrift nicht für echt aristotelisch gehalten, weil die Probleme und Lösungen im einzelnen auf praktische Anwendungen hin- zielen. Dies gilt nämlich als unaristotelisch und entspricht mehr der Rich- tung Stratons, der nach dem Tode des Theophrast die Leitung der peii- patetischen Schule übernommen hatte. Über grundlegende kritische und er- klärende Ausgaben siehe Paulys ßeallex. der klass. Altertums wiss. IL Bd. (1896) S. 1012—1055 (Aristoteles). 2) „Physik" Vill, 1 und „Metaphysik" XII, 6. Man darf solche Vorahnungen nicht zu hoch einschätzen, vor allem aber sie nicht den neuzeitlichen Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung als gleich- wertig zur Seite stellen. Andererseits läßt sich auch nicht in Abrede stellen, daß sie häutig durch die Jahrhunderte hindurch anregend und befruchtend gewirkt haben. Man vergleiche z. B. hierzu die Beziehungen des Koppernikus zu den alten Schriftstellern. Die Begründung der Zoologie. 129 Seelenstufe ist die vegetative. Sie beschränkt sich auf die Nah- rungsaufnahme und die Fortpflanzung und ist in den Pflanzen wirksam. Die Tierseele ist außerdem der Empfindung fähig, zu welcher bei dem Menschen noch die Vernunft hinzutritt. Der Mensch selbst erscheint dem Aristoteles als Zweck und Mittelpunkt der ganzen Schöpfung. In ihm gelangt das göttliche Empfinden zum Bewußtsein 1). Die Seele ist indessen für Aristoteles nichts für sich Bestehendes. Sondern sie ist an den Stoff gebunden, ohne gelbst körperlich zu sein. Sie ist es, welche aus dem Stoff den Leib aufbaut und bewirkt, daß letzterer zweckmäßig eingerichtet ist. Die Lehre von den vier Elementen genügte schon den Hippo- kratikern und auch Piaton, um daraus die Entstehung der Krank- heiten abzuleiten. Da der Körper aus Erde, Feuer, Luft und Wasser zusammengesetzt sei, so müsse ein Zuviel oder Zuwenig von einem dieser Grundstoffe, sowie eine Veränderung ihres Sitzes Aufruhr, d. h. Krankheit, zur Folge haben. Auch Aristoteles führt einige Krankheiten auf ein Über- maß an Feuchtigkeit, andere auf ein Zuviel an Wärme zurück. In den Lungen häufen sich nach ihm mit zunehmendem Alter erdige Bestandteile an, durch die das Feuer endlich erlischt und der Tod eintritt. Die Elemente sind bei Aristoteles nicht etwa Grundstoffe im heutigen Sinne. Andererseits verwirft er aber auch den Hylo- : zoismus der jonischen Naturphilosophen („daß nur Eines, z. B. \ Luft, das Sämtliche sei, ist nicht möglich")^). Aristoteles ist I der Ansicht, daß es „eine Substanz der sinnlich wahrnehmbaren Körper gibt, die aber immer mit einer Gegensätzlichkeit verbunden ist, aus welcher die sogenannten Elemente entstehen"^). Die Begründung der Zoologie. Während die Mathematik und die Astronomie schon vor dem Auftreten des Aristoteles die ersten Stufen ihrer Entwicklung zurückgelegt hatten und in zielbewußter Weise die Lösung be- stimmter Aufgaben anstrebten, war das Gleiche bezüglich der be- schreibenden Naturwissenschaften noch nicht der Fall. Zwar waren die Grundlagen auch auf diesem Gebiete wie auf dem- 1) Aristoteles, Politik. 1,8. 2) Aristoteles, Zwei Bücher über Entstehen und Vergehen. Über- setzung von Prantl. Leipzig, W. Engelmann. 1867. S. 461. 3) A. a. 0. S. 437. Dannemann, Die Naturwissenschaften. I. Bil. 2. .\ufl. 9 ]^30 I^iß Tierkunde des Aristoteles. jenigen der Astronomie in der sich unmittelbar aufdrängenden > Beobachtung gegeben. Dem Aristoteles und seiner Schule blieb indes die erste denkende Erfassung und die systematische Gestal- itung der noch wenig zusammenhängenden naturgeschichtlichen 'Einzelkenntnisse vorbehalten. Das wichtigste zoologische Werk des Aristoteles ist seine Tierkunde 1). Es ist ein grundlegendes Werk und das bedeutendste zoologische Buch des Altertums. Es enthält nicht nur Beschrei- bungen der Tiere, sondern es geht auch auf den Bau und die Ver- richtungen der Organe, sowie auf die Entwicklung und die Lebens- weise ein. Eine kurze Betrachtung möge uns eine Probe von dem Wissen des Aristoteles und der Art, wie er seinen Gegenstand behandelt, bieten. Begonnen wird mit der Beschreibung des menschlichen Körpers. Zur Erforschung der inneren Organe mußte jedoch das Tier dienen, da man sich noch nicht an die Zergliede- rung menschlicher Leichen heranwagte. Die anatomischen Kennt- nisse des Aristoteles sind infolgedessen noch gering. Das Herz^ von dem er sagt, es enthalte von allen Eingeweiden allein Blut, ist ihm auch allein das Organ, in dem das Blut be- reitet wird 2). Vom Herzen aus läßt er diese Flüssigkeit sich durch den ganzen Körper verbreiten, ohne jedoch damit die Vor- stellung von einem Kreislauf zu verbinden ^J. Das Blut ist ihm ferner der Träger der dem Menschen eingepflanzten Wärme. Die Aufgabe der Atmung soll darin bestehen, diese Wärme auf das richtige Maß herabzumindern. Man darf sich nicht wundern, daß die Anschauungen des Aristoteles noch so weit von den heute als richtig erkannten und jedermann geläufigen abweichen. Denn 1) Aristoteles' Tierkunde, kritisch berichtigter Text mit deutscher Übersetzung, sachlicher und sprachlicher Erklärung und vollständigem Index von H. Aubert und Fr. Wimmer. 2 Bände. Mit 7 lithograph. Tafeln. Gr. 8. Leipzig, Verlag von Wilh. Engelmann. 1868. 2; Aristoteles, Teile der Tiere. 111,4. 3) Als Probe für die Art, wie Aristoteles die anatomischen Verhält- nisse betrachtet, möge folgende Stelle aus seiner Schrift über die Teile der Tiere dienen (Aristoteles, Vier Bücher über die Teile der Tiere. Griechisch und Deutsch; herausgegeben von Franzius. Leipzig, W. Engelmann. 1853): ,,Da das Blut eine Flüssigkeit ist, so muß notwendig ein Gefäß da sein, für welchen Zweck die Natur die Adern bildete. Für diese muß notwendig ein einziger Anfang sein. Denn, wenn es sein kann, ist einer besser als viele. Das Herz aber ist der Anfang der Adern, denn sie ent- springen offenbar aus diesem, nicht aber gehen sie durch das Herz hin- durch, und dessen Beschaffenheit als eines verwandten Teiles ist aderartig." Zeugung und Entwicklung. 131 gerade die Erforschung der Vorgänge, die sich in den Lebewesen abspielen, hat den späteren Jahrhunderten die größten Schwierig- keiten gemacht, so daß wir selbst zurzeit noch kaum zu einem be- friedigenden Einblick in den Zusammenhang dieser Vorgänge ge- langt sind. Die Aufdeckung eines solchen Zusammenhanges ist nämlich vor allem von den Fortschritten der Chemie und der Physik abhängig gewesen, Wissenschaften, die zur Zeit des Aristoteles erst im Keime vorhanden waren. So konnte, um hier nur eins zu erwähnen, der Vorgang der Atmung und der Entstehung tierischer Wärme erst richtig gedeutet werden, nachdem man die Zusammen- setzung und die Rolle der atmosphärischen Luft erkannt hatte. Und dies geschah erst gegen das Ende des 18. Jahrhunderts, an der Schwelle des letzten Abschnittes der Geschichte der Natur- wissenschaften. Es ist Verdienst genug, daß Aristoteles die Fragen nach den Verrichtungen, sowie nach der Entwicklung der organischen Wesen ^) gestellt und dadurch späteren Geschlechtern den Anlaß geboten hat, die Erforschung dieser Dinge weiter zu betreiben. So ist die Entwicklung des Hühnchens im Ei ein Problem, das schon Aristoteles beschäftigte. Die eingehendere Untersuchung wurde indes erst 2000 Jahre später wieder auf- genommen und erst in neuester Zeit, auf Grund der Vervoll- kommnung aller Hilfsmittel, zu einem gewissen Abschluß geführt. Mit Recht mag es dagegen Verwunderung erregen, daß Aristo- teles nicht nur die niederen, sondern selbst höher entwickelte | Tiere_d.urch Urzeugung entstehen ließ. Es begegnet uns auch hier wieder ein Problem, das wir durch den Verlauf der Jahr- hunderte in seinen Wandlungen verfolgen werden, bis es endlich im neuesten Zeitalter seine Lösung gefunden hat. Zwar ist es begreiflich, wenn Aristoteles Läuse aus Fleisch und Wanzen aus tierischen Feuchtigkeiten herleitet. Man höre aber, welch sonderbare Vorstellungen er sich über die Entstehung der Aale gebildet hat: „Sie legen", sagt er 2), „keine Eier. Und man hat noch nie in ihnen einen der Fortpflanzung dienenden Teil ent- decken können. Es gibt sumpHge Teiche, in denen sie wieder ent- stehen, wenn auch das Wasser und der Schlamm herausgeschafft sind, sobald diese Teiche wieder durch den Regen gefüllt werden. 1) Aristoteles, 5 Bücher von der Zeugung und Entwicklung der Tiere, übersetzt und erklärt von H. Aubert und Fr. "\V immer. Leipzig, Verlag von W. Engelmann. 18üO. -, Nach einem von 0. Lenz in seiner Zoologie der Griechen und Römer mitgeteilten Auszug. S. dort S. 619. 9* 132 Urzeugung. Die Aale gehen nämlich aus Regenwürmern hervor, die sich von selbst aus dem Schlamme bilden." Zur Entschuldigung mag es demgegenüber dienen, daß die Fortpflanzung der Aale bis in die neueste Zeit hinein ein dunkles Gebiet der Zoologie ge- wesen ist. Keineswegs nahm aber Aristoteles die Urzeugung für die niederen Tiere als den einzigen "Weg der Entstehung an. So sagt er von den Insekten ausdrücklich, sie zeugten, entständen aber auch spontan. Die Urzeugung war ihm und späteren Zoologen ein Glaubenssatz, um aus der Verlegenheit, in die man häufig durch Unkenntnis der obwaltenden Verhältnisse geraten war, herauszu- kommen. Über den Vorgang der Entwicklung selbst läßt Aristo- teles sich in seiner Schrift über die Zeugung und Entwicklung der Tiere mit folgenden zutreffenden Worten aus: „Entweder ent- stehen alle Teile des Tieres auf einmal; oder sie entstehen nach- einander Avie die Maschen eines Netzes. Daß letzteres geschieht, ist deutlich. Denn man sieht, daß manche Teile schon vorhanden sind, andere aber noch nicht. Es ist unzweifelhaft, daß man sie nicht nur etwa ihrer Kleinheit wegen nicht sieht. Obgleich die Lunge nämlich einen größeren Umfang hat als das Herz, so zeigt sie sich doch später als dieses i)". Bezüglich der anatomischen Kenntnisse des Aristoteles sei hervorgehoben, daß er die schneckenförmige Gestalt des inneren Ohres und die Verbindung zwischen dem Gehörorgan und der Mundhöhle kannte. Vom Innern des Auges, sagt er, es bestehe aus einer Flüssigkeit, welche das Sehen vermittle. Um diese sei eine schwarze und außerhalb der letzteren eine weiße Haut vorhanden. Beim Gehirn unterscheidet er die stärkere, dem Schädel anliegende Haut von der schwächeren, welche das Gehirn unmittelbar um- schließt 2). Auch die Drüsen der Verdauungsorgane hat Aristoteles im ganzen richtig beschrieben und sie sogar bei einigen Wirbel- losen gekannt. Ferner hat er seine Schriften durch Zeichnungen erläutert und soll hierin vorbildlich gewesen sein. Andererseits wußte Aristoteles Nerven und Sehnen noch nicht scharf genug zu unterscheiden. Die Bedeutung der Muskeln war ihm noch nicht bekannt. Er führte vielmehr die Bewegungen der Glieder 1) Lenz, a. a. 0. S. 137. 2j Zwischen der von Aristoteles erwähnten harten und weichen Haut (dura und pia mater) befindet sich noch die sehr zarte Spinnwebenhaut (Arachnoi'dea). Die Einteilung des Tierreichs. 133 auf die Tätigkeit der Sehnen zurück und betrachtete das Fleisch als das Organ für die Empfindung. Es sind etwa 500 Tierformen, die Aristoteles in den auf uns gelangten Schriften erwähnt; doch lassen sich diese Formen nicht sämtlich identifizieren. So werden zwar mehrere Arten von Vierhändern unterschieden, mit den menschenähnlichen Affen war man zur Zeit des Aristoteles jedoch noch nicht bekannt ^j. Auch wußte man sehr wenig von den niederen Tieren. Doch bewältigt i und beherrscht Aristoteles die ihm bekannten Formen, — und das ist sein wesentlichstes Verdienst — , indem er sie in ein der i Natur entsprechendes, wissenschaftliches System gliedert, das erst | durch Cuvier im Beginn des 19. Jahrhunderts eine wesentliche Verbesserung gefunden hat. Es erscheint deshalb gerechtfertigt, auf diesen ersten und auch gleich so wohlgelungenen Versuch eines natürlichen Systems der Tiere etwas näher einzugehen. Zunächst teilte Aristoteles das gesamte Tierreich in Blut- tiere und Blutlose. Ging er auch hierbei von der unrichtigen An- nahme aus, daB die rote Farbe ein notwendiges Kennzeichen des Blutes sei, so decken sich doch tatsächlich seine beiden großen Gruppen, wie wir aus ihrer weiteren Einteilung erkennen, mit unseren heutigen Wirbeltieren und Wirbellosen. Die Bluttiere zerfallen bei Aristoteles in lebendig gebärende Vierfüßler (Säuge- tiere), Vögel, eierlegende Vierfüßler (unsere heutigen Klassen der Reptilien und Amphibien, zu denen er ganz richtig trotz des Fehlens der Gliedmaßen, wegen ihrer sonstigen Beschaffenheit, die Schlangen rechnet) und in die von den Fischen scharf ab- gesonderten Waltiere. Für letztere gibt er an, daß sie durch Lungen atmen und lebendig gebären. „Die lebendig gebärenden Vierfüßler", sagt Aristoteles, „sind fast alle dicht behaart. Sie sind ferner entweder vielzehig wie der Löwe, der Hund und der Panther, oder zweihufig wie Schaf, Ziege und Hirsch. Oder sie besitzen nur einen Huf wie das Pferd. Den Tieren, welche Hörner tragen, hat die Natur meist zwei Hufe verliehen. Ein Einhufer mit Hörnern ist uns niemals zu Gesicht gekommen. Auch im Gebiß weichen die Tiere untereinander und vom Menschen viel- fach ab. Zähne besitzen alle lebendig gebärenden Vierfüßler. Und zwar haben sie in beiden Kiefern entweder zusammenhängende 1) S. Günther, Geschichte der antiken Naturwissenschaft. Handbuch der klass. Altertumswissensch. Bd. V. 1. Abt. S. 100. Selbst den Elefanten, der bald darauf zu Kriegszwecken in die Mittelmeerl'ander eingeführt wurde, kannte Aristoteles nur vom Hörensagen (Bei och, Griech. Geschichte). ]^34 ^^^ Einteilung des Tierreichs. Zahnreihen oder unterbrochene. Allen Hörnertragenden fehlen nämlich die Vorderzähne im Oberkiefer. Doch gibt es auch Arten mit unvollkommenen Zahnreihen ohne Hörner, wie das Kamel. Manche haben Hauzähne, z. B. der Eber, Ferner gibt es Tiere mit Reißzähnen, wie der Löwe, Panther und Hund. Hauzähne und Hörner zugleich besitzt kein Tier. Auch kommen nicht Reiß- zähne neben Hauzähnen und Hörnern vor." Obgleich Aristoteles hier manche Mitteilungen und Ver- allgemeinerungen über die Zähne und den Bau der Füße bei den Säugetieren macht, gelangt er doch nicht etwa zur Aufstellung von Ordnungen oder Unteror(ifiungen im heutigen Sinne. Bei den Vögeln indessen unterscheidet er die Ordnung der Raubvögel von den Ordnungen der Schwimm- und der Stelzvögel. Besonders ge- kennzeichnet wird die Gruppe der Vögel noch durch folgende Be- merkungen: „Sie allein unter allen Tieren sind zweibeinig wie der Mensch, sie haben weder Hände noch Vorderfüße, sondern Flügel. Das sind Organe, welche dieser Tierklasse eigentümlich sind. Alle haben mehrspaltige Füße. In der Regel sind die Zehen getrennt. Bei den Schwimmvögeln aber sind die gegliederten, deutlich ge- sonderten Zehen durch Schwimmhäute verbunden. Die Vögel, welche hoch fliegen, haben sämtlich vier Zehen, von denen meistens drei nach vorn und eine nach hinten gestellt sind. Einige haben zwei nach vorn und zwei nach hinten gerichtete Zehen." Für seine fünfte und letzte Gruppe, die Fische nämlich, hebt er das Vorhandensein von Kiemen und Flossen hervor i). Auch ist ihm bekannt, daß nicht nur die Waltiere, sondern auch ge- wisse Haie lebendige Junge zur Welt bringen. Ja, er zeigt sich mit Verhältnissen in der Entwicklung der Haie vertraut, welche erst in neuerer Zeit ihre Bestätigung gefunden haben. So erzählt er, daß es unter den Haien eierlegende und lebendig gebärende gäbe, und unter den letzteren auch solche, bei denen der Fötus mit dem Uterus wie bei den Säugetieren durch einen Mutterkuchen ver- bunden sei (s. Abb. 16). Diese Tatsache wurde erst im 19. Jahr- hundert durch Johannes Müller an Mustela laevis wieder ent- deckt 2). Unter den Blutlosen (Wirbellosen) gelten ihm als die ent- wickeltsten die Kopffüßler (Tintenfische), mit deren Bau und 1) Er unterscheidet Knorpelfische (Haie) und Grätenfische. 2; Vgl. J. Müller, Über den glatten Hai des Aristoteles. Abhandl. der Berliner Akademie. 1840. Die Einteilung des Tierreichs. 135 Lebensweise er sich eingehend befaßt. „Sie besitzen", sagt er, „Füße, die sich am Kopf befinden, einen Mantel, der das Innere umschließt, und Flossen rings um den Mantel. Es sind acht mit Saugnäpfen versehene Füße vorhanden. Einige Arten, wie die Sepien, haben außerdem zwei lange Fangarme. Mit diesen er- greifen sie die Nahrung und führen sie zum Maule. Bei Sturm befestigen sie diese Arme wie Anker an einem Felsen und lassen sich so von den Wogen hin und hertreiben. Auf die Füße folgt bei allen der Kopf, in dessen Mitte sich das mit zwei Zähnen versehene Maul befindet. Darüber liegen die großen Augen, und Abb. 16. Der Embryo des glatten Hais des Aristoteles. Dp, der Mutterkuchen in Verbindung mit dem Uterus i). zwischen diesen eine knorpelige Masse, welche das Gehirn ein- schließt." Dann folgen die Krebse, von Aristoteles Weichschalige ge- nannt. Die dritte Gruppe bilden die Kerbtiere. Aristotele^s begreift darunter sämtliche Tiere mit geringeltem Körper, also nicht nur die Insekten, sondern auch die Spinnen, die Tausend- füßler und die Gliederwürmer. Er hebt hervor, daß der Körper aller Insekten in drei Abschnitte zerfällt, den Kopf, den Körperteil, welcher Magen und Darm enthält, und drittens den dazwischen liegenden Abschnitt, dem bei anderen Tieren Brust und Rücken entsprechen. „Außer den Augen", fährt Aristoteles fort, „haben die Insekten kein deutliches Sinnesorgan. Manche besitzen einen Stachel, der sich entweder innerhalb des Körpers befindet, wie bei den Bienen und 1) Claus, Lehrbuch der Zoologie. 1883. S. 677. 136 Die „Erhaltungsmäßigkeit". Wespen, oder außerhalb, wie beim Skorpion ij. Letzterer ist allein unter allen Insekten lang geschwänzt; ferner besitzt er Scheren. Einige Insekten haben über den Augen Fühler, z. B. die Schmetter- linge und die Käfer. Im Innern findet sich ein Darm, der in der Regel bis zum After gerade verläuft, mitunter aber auch ge- wunden ist." Bei den Insekten fesseln Aristoteles besonders der Bau und die Lebensweise der Honigbiene. Er erwähnt, daß sie das Bienen- brot an den Schenkeln einträgt und den Honig in ihre Zellen speit. Er erzählt von dem Bau der Waben, den Maden und Puppen und kennt die Herkunft, sowie die Rolle, die das sogenannte Vorwachs besitzt, so daß wir vor Swammerdam, welcher durch die An- wendung des Mikroskops und durch die Befolgung der Grundsätze der neueren Naturforschung zu einem weit tieferen Einbhck be- fähigt war, kaum eine gleich gute Schilderung dieses wichtigen Insektes antreffen. Die vierte Gruppe, ausgezeichnet durch harte Schalen, die einen weichen ungegliederten Körper umschließen, bilden die Schnecken und die Muscheln, die von Aristoteles als Schaltiere zusammengefaßt werden. Der fünften und letzten Gruppe, den See walzen, Seesternen und Schwämmen, wird eine vermittelnde Stellung zwischen dem Tier- und Pflanzenreiche zugewiesen. Viele Betrachtungen, die Aristoteles in seinen zoologischen Schriften anstellt, lassen erkennen, daß er, wenn auch vom tele- ologischen Standpunkt, doch schon von dem Gedanken geleitet wird, den die neuere Biologie als Erhaltungsmäßigkeit bezeichnet. Das Wort soll ausdrücken, daß Lebensweise, Aufenthaltsort und Einrichtung eines Tieres einander entsprechen. Nicht minder stehen aber die einzelnen Organe zueinander und zum Gesamtbau in einem gewissen Verhältnis, das Cuvier, der größte Zoologe der Neuzeit, als die Korrelation der Organe bezeichnet hat. In welchem Maße Cuvier und die neuere Biologie hierin mit Aristoteles überein- stimmen, lassen z. B. dessen Betrachtungen über die Zähne erkennen. Sie lauten 2): „Die Zähne haben die Tiere im allgemeinen zur Zer- kleinerung der Nahrung, dann aber auch als Waffen zu Angriff und Abwehr. Von denen, die sie zu Schutz und Trutz besitzen, 1) Der Name Insekten, welcher heute die sechsfüßigen Arthropoden be- zeichnet, wurde von Aristoteles in viel weiterem Sinne gebraucht; er rech- nete auch die Spinnentiere, sowie die Tausendfüßler und Eingeweidewürmer, kurz alle Geschöpfe mit Einschnitten rings um den Körper, zu den Insekten. 2) Im dritten Buch der Schrift „Über die Teile der Tiere". Die Ernäliruug der Tiere. 137 haben einige Hauer wie der Eber, andere scharf ineinander greifende Zähne. Die Stärke dieser Tiere beruht auf ihren Zähnen. Diese müssen also scharf sein und zweckmäßig ineinander greifen, damit sie sich nicht durch gegenseitige Reibung abstumpfen. Ferner haben die spitzzähnigen ein weit geschlitztes Maul. Da nämlich ihre Wehr im Beißen besteht, haben sie ein weites Maul nötig, denn sie werden mit um so mehr Zähnen und um so stärker beißen, je weiter das Maul geschlitzt ist^).'' Auch über die Ernährung der Tiere wie über diejenige der Pflanzen hatte sich Aristoteles schon Vorstellungen gebildet, die viel Zutreffendes enthalten. Sämtliche Bestandteile des Körpers läßt er durch die Umwandlung der aufgenommenen Nahrungsmittel entstehen 2), Für einzelne Substanzen wie das Fett, die Galle usw. gebe es wahrscheinlich auch bestimmte Nährstoffe. Diese sollen aus dem Blute durch die Wandungen der Adern hindurchsickern und auf diese Weise an den Ort gelangen, wo sie abgeschieden werden. Das Fett entstehe aus mehliger und süßer Nahrung, die sich leicht in Fett umwandele. Als die wichtigste Ausscheidung des Blutes betrachtet Aristoteles den Samen. Er enthalte neben Wasser und Erde vor allem den warmen, leben- erregenden Luftgeist, das Pneuma (s. S. 102), Wie sich die Erde in ein Mineral verwandeln könne, so verwandele die im Samen ent- haltene Erde sich in einen Menschen. Tiere mit starken Knochen läßt Aristoteles aus einem besonders erdhaltigen Samen hervor- gehen. Seele und Körper der Lebewesen bilden nach ihm eine Einheit, allerdings nur in dem Sinne, daß der Körper das Organ der Seele ist 3). Dafür spreche auch, daß manche Tiere, die man zerschneide, in jedem ihrer Teile weiterleben. 1) H. Stadler zieht einen Vergleich mit dieser Betrachtungsweise des Aristoteles und derjenigen moderner Biologen (Biologie und Teleologie, in den neuen Jahrbüchern für das klass. Altert. 1910. S. 147). Als Beispiel führt er folgende Stelle aus dem Lehrbuch der Zoologie von Schmeil an: „Schließt die Katze das Maul, so greifen die Zähne des Oberkiefers dicht an denen des Unterkiefers entlang. Da die Zähne aneinander vorbeigleiten, reiben sich ihre Kronen nicht ab, sie bleiben also stets scharf und schneidend, wie dies für ein Raubtier notwendig ist. Wenn die Katze gähnt, sieht man, daß ihr Maul weit gespalten ist. Sie vermag daher ihre Zähne tief in das Opfer ein- zuschlagen." Ahnlich drückt sich auch Goethe in seiner Metamorphose der Tiere aus [siehe Dannemann, Aus der "Werkstatt großer Forscher, 3. Aufl. W. Engelmann 1908. S. 4;. 2) Tierkunde I, 69. 3) De anima. I, 4 u. 5. 138 Beginn der Pflanzenkunde. Aristoteles über die Pflanzen. In seinem Bestreben, das gesamte Wissen seinjer Z^ vom Standpunkte des Philosophen zu sammeln, zu prüfen und systematisch zu gliedern, konnte Aristoteles auch an der Pflanzenwelt nicht achtlos vorübergehen. Leider ist indessen seine diesem Gegen- stande gewidmete „Theorie der Pflanzen" verloren gegangen. Was wir an Ansichten des Aristoteles über die Natur der Pflanzen kennen, sind vereinzelte, aber immerhin zahlreiche Äußerungen des Philosophen, die sich in seinen übrigen Werken zerstreut finden i). Von besonderem Interesse ist, was Aristoteles über die Ver- wandtschaft der Tiere mit den Pflanzen sagt^). Die Natur geht allmählich vom Unbeseelten zum Beseelten über. Auf die unbeseelten Dinge läßt sie zunächst die Pflanzen folgen. Unter diesen unter- scheide sich die eine von der anderen darin, daß sie teils mehr, teils weniger Anteil am Leben zeige. Vergleiche man die Pflanzen mit den leblosen Dingen, so seien erstere wie beseelt, dagegen er- scheine die Pflanze im Vergleich zum Tiere wie unbeseelt. Und doch sei der Übergang zwischen Pflanze und Tier ununterbrochen. Denn bei einigen Wesen des Meeres könne man zweifeln, ob sie Tiere oder Pflanzen seien. Auch über die Teilbarkeit der Pflanzen und der Tiere stellt Aristoteles Betrachtungen an 3), „Nimmt man von einer Zahl", sagt er, „eine Zahl weg, so bleibt eine andere Zahl. Die Pflanzen dagegen und viele Tiere bleiben be- stehen, wenn man sie teilt." Die niederen Tiere und die Pflanzen stimmen, wie Aristoteles richtig hervorhebt, eben darin über- ein, daß ihnen die Einheit der Organisation fehlt. Infolgedessen können abgetrennte Teile des Organismus fortleben und sich zu selbständigen Wesen entwickeln*). Auch darin seien sie ein- ander ähnlich, daß bei beiden der Hauptzweck die Fortpflanzung sei und alle Einrichtungen sich auf diesen Zweck zurückführen ließen. Auch über die Ernährung der Pflanzen hat Aristoteles nachgedacht. Die Wurzeln nennt er ein Analogon des Mundes, da ij Eine Sammlung dieser Fi-agmente aristotelischer Pflanzenkunde gab "Wimmer heraus. Fr. Wimmer, phytologiae Aristotelicae fragmenta. Breslau 1838. Eine Übersetzung dieser Fragmente findet sich in E. Meyer, Ge- schichte der Botanik, Bd. 1. S. 94 u. f. 2j Histor. animal "VIII. cap. 1. 3) De anima. cap. 6. *] De part. animal. 4, 5. Ernährung und Sexualität der Pflanzen. 139 beide die Nahrung einnehmen *). Die Erde enthalte eine für die Pflanze zubereitete Nahrung und diene ihr sozusagen als Bauch, während die Tiere gleichsam die Erde als Inhalt des Darms in sich trügen, aus dem sie, wie die Pflanzen mit den Wurzeln, mit etwas Ahnlichem die Nahrung aufnehmen müßten 2). Wem fällt bei dieser originellen, im Grunde aber richtigen Auffassung des Philosophen nicht die so treffende Benennung der Darmzotten als innere Wurzeln des Tieres ein? Ein ähnliches Verhältnis, wie für die Ernährung von Tier und Pflanze, nimmt Aristoteles für die Entwicklung an. Er sagt nämlich: „Wie sich die Gewächse des Bodens bedienen , so bedienen sich die Embryonen des Uterus" 3j. Was die Entstehung anbetrifft, so wird auch für die Pflanzen angenommen, daß sie entweder aus Samen oder von selbst ent- ständen. Letzteres geschehe, wenn die Erde oder Pflanzenteile faulten. Was endlich die Sexualität anlangt, so meint Aristoteles, ; bei den Pflanzen sei das Männliche und das Weibliche nicht ge- trennt; sie zeugten daher aus sich selbst. Das Gleiche finde ge- wissermaßen bei den Tieren statt. Denn wenn sie zeugen wollten, so werde sozusagen ein Tier aus zweien. Die Tiere seien somit gleichsam Pflanzen, in denen das Männliche und das Weibliche voneinander geschieden sei. Aus den zerstreuten Bemerkungen des Aristoteles erkennen wir somit, daß das Nachdenken über botanische Dinge rege geworden war und manche wertvolle Be- obachtung und Verallgemeinerung vorlag. Der erste, dem wir ein zusammenhängendes Werk über die Pflanzen verdanken, ist denn auch ein Schüler des großen Philosophen, Theophrast. Dieser nimmt der Botanik gegenüber eine ähnliche Bedeutung ein, wie sie Aristoteles für die Zoologie- besitzt. Theophrast begründet die Botanik. Über das Leben des Theophrast sind wir besonders durch Diogenes Laertios und durch Plutarch unterrichtet. Doch sind seine Lebensumstände wenig bekannt und durch Sagen und Übertreibungen verdunkelt. Theophrast wurde 371 v. Chr. zu Eresos auf der Insel Lesbos geboren. Er widmete sich der Philo- sophie. Und zwar schloß er sich zuerst an die Atomisten (Leu- 1) De animalibus II. cap. 1. 2) De part. animal. II. cap. 3. 3) Politic. VIl. cap. 16. 140 -Die erste Zusammenfassung der Pflanzenkunäe. kipp), dann an Piaton und schließlich an Aristoteles an. Theo- phrast nannte man ihn seiner Beredsamkeit wegeni). Nach dem Tode des Aristoteles, dessen Lieblingsschüler und langjähriger Freund er war, übernahm Theophrast die Führung der von Aristoteles in Athen gegründeten Philosophenschule, die er zur höchsten Blüte brachte. Theophrast genoß in Athen das größte Ansehen. Sein Euhm drang auch ins Ausland, so daß Ptolemäos der Lagide ihn nach Alexandrien zu ziehen suchte. Wie sehr man Theophrast in seinem Vaterlande schätzte, geht auch aus folgender Erzählung hervor. Theophrast wurde des Mangels an ßehgion beschuldigt. Man gab indessen dieser Klage nicht nur keine Folge, sondern es fehlte nicht viel, daß der Kläger selbst in den Anklagezustand gesetzt wurde 2), War Theophrast auch nicht an schöpferischer Kraft mit Aristoteles zu vergleichen, so überragte er ihn durch den Um- fang seiner naturwissenschaftlichen Einzelkenntnisse, Auf die Be- obachtung zahlreicher Einzelfälle, wodurch man allein zur Bildung richtiger Begriffe gelangen könne, legte er den größten Wert. Wo Theophrast nur fremde Beobachtungen zu Gebote stehen, ver- hält er sich durcbaus kritisch und macht aus etwaigem Zweifel kein Hehl, Sein Fleiß war unermüdlich und begleitete ihn bis ins höchste Alter, Sterbend klagte er noch im Hinblick auf das Aufhören seiner wissenschaftlichen Tätigkeit über die Kürze des menschlichen Lebens-^). Das Altertum pries auch seine Umgangs- formen, Cicero läßt ihn sagen, die rauhe Tugend allein mache keineswegs die Glückseligkeit aus. Er galt ferner als einer der bedeutendsten Redner, -der vortrefflich und wohlberechnet seine Worte mit seinen Gebärden und seinem Mienenspiel in Einklang zu bringen wußte. 1) Diogenes Laert. 5, 38, 51, Diogenes Laertios schrieb im 3. Jahrhundert n. Chr. „Zehn Bücher über das Leben, die Lehren und Aussprüche der in der Philosophie be- rühmten Männer". Das Werk ist indessen nur oberflächlich und wenig zuverlässig. Von Plutarch rührt eine Schrift her, die unter dem Titel „Über die Meinungen der Philosophen" bekannt ist. WahrscheinUch ist das Vorhandene nur ein Auszug einer Schrift des Plutarch. Trotz ihrer Unvollkommenheiten sind die erwähnten Schriften wichtige Quellen, weil sie über manches berichten, was anderweitig nicht mehr fest- gestellt werden kann. 2) Diogenes 39, 37. 3) Cicero, tuscul. disput. 3. 28. Botanik und Heilkunde. 141 Von einem ganz ungewöhnlichen Fleiße legt auch die Zahl seiner Schriften Zeugnis abi). Leider sind die wichtigsten verloren gegangen. Sie erstreckten sich auf Mathematik, Astronomie, Bo- tanik, Mineralogie und alle Teile des von Aristoteles gegründeten philosophischen Systems. Theophrast starb 286 v. Chr. Er ist also 85 Jahre alt geworden. Seiner Schule soll er einen Pflanzen- garten und eine Halle, in welcher der Unterricht stattfinden sollte, vermacht haben 2). Außer dem botanischen Hauptwerk, dessen neun Bücher voll- ständig auf uns gekommen sind, und mit dessen Inhalt wir uns im nachfolgenden in der Hauptsache bekannt machen wollen, ver- faßte Theophrast noch eine Schrift „Von den Ursachen der Pflanzen". Sie ist leider nur unvollständig vorhanden. Die Schrift von den Ursachen der Pflanzen [rceol rpvrcop aiv/ai) verhielt sich zur Geschichte der Pflanzen ähnlich wie die mehr philosophischen zu den beschreibenden Büchern, die Aristoteles über die Tier- kunde verfaßt hatte 3). Vor Aristoteles hatte man sich den Gewächsen, soweit sie nicht dem unmittelbaren Unterhalt von Mensch und Tier dienten, vorzugsweise aus medizinischem Interesse zugewandt. Das Sammeln der Pflanzen und ihre Verarbeitung zu heilkräftigen Säften wurde berufsmäßig von den schon erwähnten Rhizotomen (Wurzelschnei- dern) betrieben. Es waren dies die Vorläufer unserer heutigen Pharmazeuten. Jetzt wandte sich das wissenschaftliche Interesse neben der Tierwelt auch dem Pflanzenreiche zu. Wenn wir von der verloren gegangenen Schrift des Aristoteles über die Theorie der Pflanzen absehen, heferte Theophrast die erste, eingehende Bearbeitung der den Griechen bekannten Gewächse unter Berück- sichtigung ihrer Lebensbedingungen, sowie der allgemeinen Morpho- logie. Die Schrift, auf die wir jetzt näher eingehen wollen, führt den Titel: Naturgeschichte der Gewächse-*). Was beim Lesen dieses Buches zunächst auffällt, ist das Fehlen genauer Beschreibungen, die erst später in immer höherem Grade 1) Diogenes führt 227 Titel an. 2) Zeller, Thilos, der Griechen. II. 2. S. 642. 3) Über die Schriften des Theophrast siehe auch W. Christ, Griechische Literaturgeschichte. Nördlingen 1889. S. 435 u. f. *) Theophrast, Naturgeschichte der Gewächse, übersetzt und erläutert von K. Sprengel. 1822. Die Hauptausgabe seiner Werke rührt von Wimmer her. Breslau und Leipzig 1842—1862. Theophrasti Eresii Opera, quae super- sunt, omnia. — Theophrast fußt auf Schriften anderer, die jedoch nicht auf uns gelangt sind. 142 Kenntnis der Pflanzenformen. als das nächstliegende Ziel der botanischen "Wissenschaft erkannt wurden. Oft fehlt eine Beschreibung der zur Besprechung ge- langenden Pflanze ganz, da Theophrast sie als den Lesern hin- reichend bekannt voraussetzt. In anderen Fällen beschränkt er sich darauf, augenfällige Eigentümlichkeiten hervorzuheben, so daß es später oft schwer, ja manchmal unmöglich gewesen ist, selbst nachdem man die Flora Griechenlands genauer kennen gelernt hatte, die Identität der einzelnen Pflanzen festzustellen. Als gegen den Ausgang des Mittelalters die Botanik eine Weiterentwicklung erfuhr, war man zunächst in der Vorstellung befangen, alle Pflanzen, über welche die Alten, insbesondere der später zu erwähnende Dios- kurides geschrieben, seien auch im westlichen Europa zu finden. Erst nachdem man sich lange in dieser Richtung abgemüht und nur in wenigen Fällen etwas erreicht hatte, weil man der geo- graphischen Verbreitung der Gewächse noch nicht die gebührende Beachtung schenkte, ging man zur möglichst genauen Beschreibung der Pflanzen über. So entstanden die Kräuterbücher der ersten neueren Botaniker. Die Schwierigkeit, die von den Alten be- schriebenen Pflanzen zu identifizieren, wurde noch durch den Um- stand vergrößert, daß sich die Flora der in Betracht kommenden Länder im Laufe der Jahrtausende durch Wanderungen, durch klimatische Änderungen und ganz besonders durch die Einwirkung des Menschen geändert hattet). Das den Griechen zur Zeit des Theophrast floristisch bekannt gewordene Gebiet war ein sehr beträchtliches. War man doch durch die Züge Alexanders des Großen auch mit Persien, Baktrien und Indien bekannt geworden, während man schon vorher über die in Vorderasien und Ägypten vorkommenden Pflanzen vieles erfahren hatte. Allerdings lernten die Griechen auf ihren Er- oberungszügen die Naturkörper zunächst mehr im Vorübergehen kennen und achteten fast nur auf das, was auf den fremden Märkten ihr Erstaunen hervorrieft). Ein neues Licht haben die Untersuchungen Bretzls auf die botanischen Ergebnisse des Alexanderzuges geworfen 3). Das grie- 1) Eine Untersuchung über die einigermaßen sicher zu bestimmenden Pflanzen des Theophrast findet sich in Sprengeis Geschichte der Botanik. I. S. 58-90. 2) Strabon sagt von den Nachrichten der Griechen über Indien: Was sie sahen, erkannten sie nur auf den Feldzügen im Vorbeigehen. Buch 15. Ausgabe von Grosskur d. Bd. III. S. 108. 3) H. ßretzl, Botanische Forschungen des Alexanderzuges. Mit 11 Abb. Anfänge einer Geographie der Pflanzen. 143 chische Heer wurde von Gelehrten begleitet. Ihre Aufzeichnungen bildeten einen Teil dessen, was man heute das „Generalstabswerk" über den indischen Feldzug nennen würde. Dieses Werk ist leider verloren, doch sind Auszüge in Theophrasts Geschichte der Pflanzen 1) übergegangen. Von den fremden Vegetationsbildern,^ welche Theophrast genauer schildert und mit der Vegetation der Länder des östhchen Mittelmeeres vergleicht, ist vor allem die Mangroveformation des persischen Golfes zu nennen. Theophrast gibt eine genaue Beschreibung der eigenartigen Pflanzen jener Formation. Er schildert die Lebensweise der Mangrovegewächse,^ die auf Stelzenwurzeln weit über das Meeresufer hinauswachsen, so richtig, daß neuere Reisende, wie Schweinfurth, seine Angaben nur bestätigen konnten. Einen „Glanzpunkt" nennt Bretzl die Beschreibung, welche Theophrast vom indischen Feigenbaum ge- geben^ der mit seinen, von den Asten her in die Erde eindringenden, Stützwurzeln einem Walde gleicht. Daß es sich bei den Stützen, welche die fast horizontal sich ausbreitenden Aste in den Boden hinabsenden, um eigentliche Wurzeln handelt, erkannte schon Theo- phrast, wie er auch das Bambusrohr als eine Schilfart erkennt und das vom Rande her einreißende Blatt der Banane sehr zu- treffend mit den Schwungfedern eines Vogels vergleicht. Wahrscheinlich sind die Griechen auch mit der Baumwolle erst nach den Zügen Alexanders genauer bekannt geworden, während in Ägypten die Baumwollweberei schon früh anzutreffen war. Durch die Beobachtungen, die man auf dem Alexanderzuge anstellte, wurden die Griechen auch mit der Tatsache vertraut, daß gewisse Pflanzen Bewegungen ausführen, wie man sie bisher nur bei den Tieren kannte. Es handelt sich um die periodischen Bewegungen der Blattfiedern von Tamarindus indica. Diese Bewegungen werden in ihren einzelnen Stadien so genau beschrieben, daß sie bis zum Beginn der neueren physiologischen Untersuchungen über diesen Gegenstand die beste Schilderung sind, die wir über den Pflanzen- schlaf besitzen. Die betreffende Stelle lautet bei Theophrast-): „Der Baum besitzt zahlreiche Fiederblättchen. Sie legen sich während der Nacht leise zusammen. Bei Sonnenaufgang öffnen sie sich, und um Mittag entfaltet sich der Baum völlig. Am Nach- mittage ziehen sich die Blättchen allmählich Avieder zusammen und und 4 Karten. Gedruckt mit Unterstützung der Kgl. Gesellschaft der Wissen- schaften zu Göttingen. Leipzig, B. G. Teubner. 1903. 412 Seiten. 1) ((jrnnira iwr ifvithi'. 2) Bist plant. IV. 7, 8. Siehe Bretzl a. a. 0. S. 121. 144 Anfänge einer Geographie der Pflanzen. in der Naclit schließt sich die Pflanze wieder. Man sagt dort zu Lande, sie schlafe." Dadurch, daß die Griechen die Pflanzenwelt vom Mittelmeer- becken bis in die tropischen Gebiete Asiens kennen lernten, wurden sie nicht nur mit gewissen Grundtatsachen der Pflanzengeographie, sondern auch schon mit einigen wichtigen, pflanzengeographischen Gesetzen bekannt, so daß es nicht ganz zutreffend ist, die Anfänge dieser Wissenschaft auf A. v. Humboldt zurückzuführen. Die Er- scheinung, daß die Flora ihren Charakter mit der Erhebung des Bodens über das Meer ändert, hatten die Griechen schon in ihrer Heimat beobachtet. Sie hatten dort bemerkt, daß sich an die Mittel- meerflora mit ihren immergrünen Gewächsen zunächst eine Laub- waldregion, darüber Nadelholzwälder und noch höher hinauf eine Region anschloß, die wir heute als alpin bezeichnen würden. Die gleiche Erscheinung nahmen sie noch deutlicher wahr, als sie an den Fuß der Berge gelangten, die Indien vom Rumpf des asiatischen Kontinentes trennen. Dort herrschte noch die tropische Flora mit ihren Palmen und Bananen in reicher Fülle. Unmittel- bar darüber erblickten die Griechen Pflanzen, die sie an diejenigen der Mittelmeerländer erinnerten. Dann folgten wieder Laubhölzer, Nadelhölzer und alpine Pflanzen. Einen ähnlichen Wechsel der Flora nahmen sie wahr, als sie die Pflanzen nördlicher Landstriche mit denen südlicher verglichen. Dieser Vergleich drängte sich ihnen nicht nur in Europa^ sondern auch in Asien auf. Auch hier fanden sie in den nördlicher gelegenen Teilen die mächtigen dunklen Nadelholzwaldungen wieder, die sie als charakteristisch für das mittlere Europa betrachtet hatten. In Theophrasts „Geschichte der Pflanzen" überwiegt das praktische Interesse häufig das wissenschaftliche. Die Beschrei- bung gewisser technischer Verrichtungen , wie der Gewinnung von Holzkohle, Pech, Harz und Spezereien, ferner der Verwendung der Holzarten, insbesondere aber der Wirkung von Pflanzen auf den menschlichen Körper, nehmen dementsprechend einen breiten Raum ein^). Aber auch von der geographischen Verbreitung, den KJrankheiten, der Lebensdauer, dem Einfluß des Klimas, sowie der Ernährung der Pflanzen ist die Rede. Daß dabei zu einer Zeit, in der man kaum beobachten, geschweige denn mit Pflanzen experimentieren gelernt hatte, manche irrtümliche Ansicht aus- 1) Die Wirkung der Pflanzen auf den Menschen wird im 9. Buch ge- schildert, das aber gerade in diesen Teilen unecht ist (H. Stadler, Neue Jahrbücher f. d. klass. Altertum. 1911. S. 86). Die Sexualität der Pflanzen. 14Ö gesprochen wird, ist leicht begreiflich. So führt Theophraat die Erscheinung, daß die Bäume, wenn sie dicht gedrängt stehen, keinen kräftigen Wuchs aufweisen, sondern dünn und lang werden, nicht auf den Einfluß des Lichtes, sondern auf Mangel an Nahrung zurück. An Krankheiten der Pflanzen erwähnt er den "Wurm- stich, den Rost des Getreides und den Honigtau. Letzteren leitet er aus einem zu großen Feuchtigkeitsgehalt der Pflanzen ab, während es sich in der Tat um Ausscheidungen von Blattläusen handelt. Als eine Wirkung des Klimas betrachtet Theophrast die Er- scheinung, daß in heißen Ländern der jährliche Laubfall bei Pflanzen unterbleibt, die in den Mittelmeerländern ihr Laub im Winter verlieren. Dies sei z. B. bei dem Feigenbaum und dem Weinstock der FalU). Als Ernährungsorgane werden nicht nur die Wurzeln, sondern auch die Blätter betrachtet. Die Ernährung soll auf beiden Flächen durch Einsaugung vor sich gehen. Das Wachstum der Blätter und das Ansetzen der Früchte stehen, wie Theophrast sehr richtig bemerkt, in solchem Verhältnis, daß, wenn der eine Vorgang stattfindet, der andere zurückgehalten wird 2). Auch die Möglichkeit, daß sich die eine Pflanzenart in eine andere um- wandele, ein häufig wiederkehrender Irrtum, wird bei Theophrast erörtert. So sagt er: „Die wilde Minze soll sich in Gartenminze umändern, auch soll sich der Weizen in Lolch verwandeln." Von der Sexualität der Pflanzen vermochte er sich ebensowenig wie das übrige Altertum eine klare Vorstellung zu machen. Doch erwähnt er, daß man bei den Dattelpalmen das Ansetzen von Früchten dadurch fördere, daß man die stauberzeugenden Zweige über die fruchttragenden hänge: „Manche Bäume", sagt er, „werfen ihre Früchte vor der Reife ab, wogegen man auch Anstalten trifft. Bei den Datteln besteht das Bülfsmittel darin, daß man die männliche Blüte der weiblichen nähert, denn jene macht, daß die Früchte dauern und reif werden. Es geschieht dies aber auf folgende Weise: Blüht die männliche Pflanze, so schneidet man die Blütenscheide ab und schüttelt sie mit dem Staube auf die weibliche Frucht. Wird diese so behandelt, so dauert sie aus und fällt nicht ab." Anknüpfend an diese und ähnliche Beobachtungen der Alten begründete in der neueren Zeit Camerarius die Lehre von der Sexualität der Pflanzen. *) Gesch. der Pflanzen. 1, 5. 2) Von den Ursachen der Pflanzen. 2, 14. DannemanD, Die Naturwissenschaften. I. Bd. 2. Aufl. 10 146 -B^^ u°d Entwicklung der Pflanzen. Ein Verdienst erwarb sich Theophrast auch durch die begriffliche Bestimmung, sowie die Morphologie der wichtigsten Pflanzenorgane. Z. B. begegnet uns bei ihm der Begriff des ge- fiederten Blattes, das man bis dahin für einen Zweig gehalten hatte. Dagegen gelang es ihm nicht, eine naturgemäße Einteilung des Pflanzenreichs zu schaffen und damit das zu leisten, was Aristo- teles für die Zoologie getan. Theophrast unterscheidet Bäume, Sträucher, Stauden und Kräuter und spricht innerhalb dieser vier Gruppen wieder von zahmen und wilden Pflanzen. So überschreibt er z. B. ein Kapitel: „Von den wilden Bäumen", während er ein anderes mit den Worten beginnt: „Jetzt soll von den Gewächsen der Flüsse, Sümpfe und Teiche die Rede sein." Immerhin werden bei seiner Einteilung der Kräuter mitunter natürliche Gruppen angedeutet. Endlich verdanken wir dem Theophrast auch eine Eeihe wertvoller Mitteilungen über den Bau und die Entwicklung der Pflanzen. Sie erscheinen ihm als lebende Wesen, welche als Voraussetzungen des Lebens Wärme und Feuchtigkeit in sich bergen. Daher ist er auch bemüht, eine Ähnlichkeit im Bau der Pflanzen und der Tiere nachzuweisen. Als innere Teile der Pflanzen unterscheidet er Rinde, Holz und Mark. Diese Teile seien aus Fasern, Adern, Fleisch und Saft gebildet. Das Fleisch entspricht dem, was wir heute als Parenchym oder Grundgewebe bezeichnen. Die Fasern sind dagegen die Gefäßbündel. Theophrast bemerkt sogar, daß sie mitunter regelmäßig angeordnet, bei anderen Pflanzen, wie den Gräsern und Palmen, dagegen unregelmäßig im Fleisch (Grundgewebe) zerstreut seien. Auch über die Entwicklung der Pflanzen finden sich bei Theophrast einige Beobachtungen. Er weist darauf hin, daß- der Keim sowohl Wurzel als Stamm enthält i), und daß die Wurzel zuerst aus dem Samen hervorbricht. Darauf entwickle sich der Stamm, dessen erste Blätter durch einfachere Gestalt von den späteren abwichen. Treffend wird ferner bemerkt, daß das Winklige und die Gliederung mit dem Fortschreiten der Entwicklung zu- nehmen^). Daß uns die Botanik bei Theophrast sofort als eine ziemlich entwickelte Wissenschaft entgegentritt, darf uns nicht in Erstaunen setzen, denn ohne Zweifel konnte Theophrast auf Vorgänger fußen, die er zum Teil auch erwähnt 3), Neben 1) Gesch. d. Pflanzen. 8, 2. 2) 0. Warburg, Berichte der Deutsch, bot. Gesellschaft XIX (1901) S. 153. 3) Ursache d. Pflanzen. I. 6, 5. Die Begründung der Mineralogie. 147 Theophrast wären zwar noch einige Mitglieder der peripatetischen Schule zu nennen, die sich mit Botanik beschäftigt haben. Da sich aber nicht viel mehr als ihre Namen und die Titel ihrer Schriften erhielten, wollen wir uns mit dem weiteren Schicksal der botanischen Wissenschaft erst wieder befassen, wenn sie uns bei den Römern von neuem begegnen wird. Wie für die Tiere so sahen die Griechen auch für die Pflanzen, als eine besondere Art der Vermehrung, die Urzeugung an. Man nahm sie nicht nur für kleinere Pflanzen, sondern mitunter selbst für Bäume in Anspruch. Theophrast war dieser Ansicht gegen- über indes schon skeptisch. Er suchte angebliche Fälle von Ur- zeugung auf die Verbreitung der Samen durch Regengüsse, Vögel, Überschwemmungen oder durch den Wind zurückzuführen. Auch darauf weist er hin, daß manche Samen ihrer geringen Größe wegen leicht übersehen werden. Die Fortpflanzung durch Samen erklärt er für die gewöhnliche. Der Pflanzensamen sei dem tierischen Ei zu vergleichen. Beide enthielten die erste Nahrung des Keimes in sich. Daß aber Urzeugung insbesondere bei kleineren Pflanzen vorkomme, stellt er nicht in Abrede. Er nimmt vielmehr an, daß Pflanzen sowohl wie Tiere bei der Zersetzung von Stoffen unter dem Einfluß von Feuchtigkeit und Wärme entstehen können. Theophrast als der Begründer der Mineralogie. Auch die dritte der beschreibenden Naturwissenschaften, die Mineralogie, fand ihre erste Bearbeitung in demselben Zeitalter, in welchem die Zoologie und die Botanik ins Leben gerufen wurden. Dies geschah gleichfalls durch The oph rast, und zwar in seinem Werke „Über die Steine" i). Jedoch handelt es sich hier in noch höherem Grade wie in der Botanik um eine Zu- sammenstellung von chemischen und mineralogischen Einzelkennt- nissen, in deren Besitz man durch die Ausübung hüttenmännischer Prozesse gelangt war. Mit dem Eisen war man schon in der raykenischen Zeit bekannt. Obgleich Griechenland reich an Eisenerz war, benutzte man das Metall anfangs nur zu Schmuckgegenständen (z. B. zu Ringen). Nachdem man es härten gelernt hatte, diente es auch zur Herstellung von Waffen. Bei Homer ist meist von Bronze die Rede, doch wird das Eisen auch öfters erwähnt 2). 1) TTfin ).i,'h auf die Entwicklung von umfassenden Lehrsystemen gerichtete Grundzug des griechischen Geistes, so tritt uns in dem auf j Alexander den Großen folgenden Zeitabschnitt mehr die Rich- tung auf das Empirische und Nützliche, in Verbindung mit einer : raschen Entwicklung der Mathematik und einer Beschränkung der 1 Spekulation auf ein bescheideneres Maß, entgegen. Neben den Forderungen des praktischen Lebens (Handel, Vermessungen usw.) indessen nicht Euklid, sondern Hypsikles von Alexandria (um 150—120) zugeschrieben. Wahrscheinlich rührt aber nur das erste Buch von ihm her. Beide handeln von den regelmäßigen Körpern. Näheres siehe bei Cantor, Oesch. d. Math. I (1907). S. 3ö8. 158 Das Leben und die Bedeutung des Archimedes. waren es drei Probleme der reinen Wissenschaft, welche die Mathe- matik bei den Griechen schon vor Archimedes i) auf eine unge- wöhnliche Höhe gebracht hatten. Es waren dies die Quadratur des Kreises, die Würfelverdoppelung und die Dreiteilung des Win- kels. So hatten die vergeblichen Versuche, den Kreis zu quadrieren, Hippokrates zur Auffindung des Satzes geführt, der noch jetzt unter dem Namen der Lunulae (kleine Monde) Hippokratis bekannt ist. Hippokrates 2) hatte mit Hilfe des erweiterten pythagorei- schen Lehrsatzes bewiesen, daß sich zwei von krummen Linien be- grenzte Flächen auf ein aus geraden Linien gebildetes Flächenstück zurückführen lassen 3). Die Würfelverdoppelung oder das Delische Problem forderte, die Seite (a) eines Würfels zu finden, der doppelt so groß ist wie ein gegebener Würfel. Anders ausgedrückt, wenn x^ = 2 a2 gegeben ist, soll x durch Konstruktion gefunden werden. Das Bemühen^ dies Problem zu lösen, wurde durch die Auffindung^ einer Anzahl neuer Kurven (Cissoide, Konchoide, Kegelschnitte) belohnt. Auch das Problem der Dreiteilung des Winkels führte zur Auffindung neuer, bestimmte Eigenschaften aufweisender und auf Grund derselben konstruierbarer, krummer Linien. Eine Zu- sammenfassung der mathematischen Kenntnisse der Griechen er- folgte durch Euklid, von dem zu Beginn des vorigen Abschnitts die Rede gewesen ist. Über Archimedes ist wenig Zuverlässiges bekannt. Er wurde um 287 V. Ohr. in Syrakus geboren, gehört also in die für Sizilien sa bewegte Zeit der großen Entscheidungskämpfe, welche Eom und Karthago um die Weltherrschaft führten. Die Geschichtschreiber dieser Periode, Livius, Polybios und Plutarch, sind es auch, denen wir die meisten Nachrichten über Archimedes verdanken. Was diese und andere über ihn erzählen, setzt sich indessen zum großen Teil aus Anekdoten zusammen, mit denen das Altertum das Leben seiner berühmten Männer, insbesondere seiner hervorragenden Denker, auszuschmücken liebte. Archimedes war nach Plutarch^) ein Verwandter Hierons H., des Tyrannen von Syrakus. Sein Vater war Astronom und machte ihn sehr früh mit astronomischen Be- 1) Einen ausführlichen Beitrag über Archimedes bringt Hultsch in Paulys Kealenzykl. d. klass. Altert. Bd. II (1896). S. 507. -) Hippokrates stammte aus Chios. Er lebte in der zweiten Hälfte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts in Athen. 3) Siehe S. 83. 4) Nach Cantor (Gesch. d. Mathem. Bd. I. S. 253) ist es wahrscheinlich^ daß er von niederer Abkunft war. Die Erfindungen des Archimedes. 15^ obachtungen vertraut. Archimedes lebte, ohne ein öffentliches Amt zu bekleiden, ganz der Wissenschaft. Eine Zeitlang hielt er sich in Ägypten auf. Dort war nach dem Tode Alexanders des Großen in der alexandrinischen Akademie, zu der man Archimedes rechnen kann, eine Stätte hellenischer Weisheit emporgeblüht, die berufen war, in den nachfolgenden Jahrhun- derten die Fackel der Wissenschaft hochzuhalten. Die alexandri- nische Schule soll deshalb auch noch in einem späteren Abschnitt Gegenstand der Betrachtung sein. In Alexandrien zählte Archi- medes zu den Schülern des Mathematikers Konon. Diesem soll Archimedes auch nach seiner Rückkehr nach Syrakus, wo er den Abb. 17. Vorriclitung zum Heben großer Lasten. größten Teil seines Lebens zubrachte, Schriften zur Durchsicht geschickt haben, auch stand er mit ihm in regelmäßigem brief- lichen Verkehr. Seine Beziehungen zu den syrakusanischen Macht- habern veranlaßten ihn, sein außerordentliches Geschick in mecha- nischen Dingen auf die Vervollkommnung der Schleuderwerkzeuge und anderer Kriegsgeräte zu verwenden. Die Alten schrieben Archimedes die Erfindung zahlreicher Maschinen zu. Unter diesen werden der Flaschenzug und die Archimedische Schraube genannt. Letztere findet noch heute in Ägypten zum Bewässern der dem Nil benachbarten Ländereien Verwendung. Bei manchen Angaben, insbesondere denjenigen, die sich auf die von Archi- medes geleitete Verteidigung seiner Vaterstadt beziehen, ist es nicht leicht, AVahrheit und Irrtum voneinander zu scheiden. Archi- medes dürfte z. B. wohl selbst die Wirkung der Brennspiegel besser gekannt haben als die späteren Schriftsteller, die ihm das Unmög- liche zuschrieben, er habe die Schiffe der Belagerer mit Brenn- 160 Die Erfindungen des Archiraedes. spiegeln in Brand gesetzt. Es wird ferner erzählt, Hieron habe ihn aufgefordert, vermittelst einer geringen Kraft eine große Last zu bewegen. Dies habe Archimedes zur Erfindung des Flaschen- zuges geführt, mit dem er dann vor den Augen des erstaunten Königs eine schwer beladene Triere ohne Anstrengung an das Land zog. Vielleicht hat Archimedes auch zu diesem Zwecke die Schraube ohne Ende in Verbindung mit einer Zahnradüber- setzuug benutzt*), einen Apparat, den uns die vorstehende Ab- bildung vorführt. Große Bewunderung erregte ferner eine Art Planetarium, das Archimedes konstruierte. Im Mittelpunkt befand sich die Erde. Mond, Sonne und Planeten wurden durch einen, wahrscheinlich hydraulisch betriebenen, Mechanismus um den Zentralkörper herum- geführt. Cicero erwähnt dieses Kunstwerk, das als Vorbild für die im Mittelalter (z. B. an der ühr des Straßburger Münsters) entstandenen Planetarien diente 2). Ausführlicher lauten die Berichte über die letzten Lebens- jahre des Archimedes, da sie in die Zeit der Belagerung von Syrakus fallen. Hierbei hat Archimedes, den Nachrichten der Geschichtschreiber 3) zufolge, eine wichtige Rolle gespielt und schließlich ein trauriges Ende gefunden. Auch bezüglich der über diese Begebenheit auf uns gelangten Nachrichten sind Wahrheit und Dichtung vermengt. Der zweite punische Krieg, der über das Schicksal Siziliens entscheiden sollte, hatte im Jahre 218 v. Chr. mit einem Siegeslauf Hannibals begonnen, wie ihn die Welt seit den Tagen Alexanders nicht gesehen. Bald jedoch wandte sich das Glück, und während Hannibal sich nur durch geschickte Züge in Italien zu halten wußte, brachten die Römer eine Stadt Siziliens nach der andern zu Fall, bis sich endlich die ganze Insel in ihren Händen befand. Am meisten Schwierigkeiten bereitete dem römi- schen Feldherrn Marc eil us die Stadt Syrakus. Daß sie viele 1) W. Schmidt, Aus der antiken Mechanik (Jahrbuch für das klassische Altertum). Bd. 13 (1904;. S. 329. Die Abbildung (Abb. 17 S. 159) ist der Heronausgabe von Schmidt entnommen (Op. II, 1. Fig. 62 . 2) 0. Spieß, Archimedes von Syrakus. Mitteilungen zur Geschichte der Mediz. u. Naturwiss. lU. Bd. S. 230. Siehe auch Cicero, De rep. I, 14 und die Abhandlung von F. Hultsch, Über den Himmelsglobus des Archimedes, in Schlömilchs Zeitschr. H. XXTT. A. 106—108. 3j Polybios, Geschichte. Übersetzt von Haakh. Stuttgart 1868. S.Buch. Kapitel 5—9. Plutarchos: Marcellus 14—19. Erfindungen des Archinaedes. 161 Monate der Belagerung zu trotzen vermochte, wird vor allem den Verteidigungsmaßregeln des Archimedes zugeschrieben. Wurf- maschinen von ganz hervorragender Wirkung und Treffsicherheit, die nach Pinta rch Steinblöcke von Zentnerschwere auf große Entfernung schleuderten, schreckten die Stürmenden zurück. Dem Angriff der Flotte suchte man mit Feuerbränden zu begegnen. Spätere Berichterstatter haben daraus die erwähnte, völlig un- glaubwürdige Erzählung gemacht, Archimedes habe die Schiffe der Belagerer mit Hilfe von Hohlspiegeln in Brand gesetzt. Als endlich die Römer Sjrakus einnahmen und die Soldaten, voll Wut über die erlittenen Mühsale und Verluste, ein furcht- bares Gemetzel anstellten, zählte Archimedes zu den Opfern. Über sein Ende, das Marcellus sehr betrübt haben soll, lauten die Berichte verschieden. Am bekanntesten ist die Erzählung, Archimedes sei, in Xachdenken über ein mathematisches Problem versunken, von einem römischen Soldaten niedergestoßen worden. Seine letzten Worte sollen „Noli turbare circulos meos" gelautet haben. Das Grab des Gelehrten wurde mit einem Stein ge- schmückt, in den die von dem Zylinder eingeschlossene Kugel ein- gemeißelt war. So soll Archimedes es selbst gewünscht haben, ein Zeichen, welchen Wert er auf seine Entdeckung legte, daß der Inhalt der Kugel zum Inhalt des umschließenden Zylinders sich wie 2 : 3 verhält. Dieses Grabmal, das Marcellus errichten ließ, wurde später von Cicero in einem sehr vernachlässigten Zu- stande wieder aufgefunden und der Vergessenheit entrissen *). Seine Bewunderung für den größten Mathematiker des Alter- tums hat Cicero in die Worte gekleidet, Archimedes habe mehr 1) Cicero erzählt diese Begebenheit (Tusculanae disputationes V. 23) mit folgenden Worten: „Als ich in Sizilien Quästor war, fand ich das Grab des Archimedes, das die Syrakusaner selbst nicht kannten. Mir waren näm- lich einige kleine Verse in der Erinnerung, die man auf dem Grabmal ein- gemeißelt hatte. Die Verse weisen darauf hin, daß sich an dem oberen Teile des Monumentes eine Kugel mit einem Zylinder befindet. Nun bemerkte ich unter den vielen Gräbern, die sich vor dem nach Agrigent führenden Tor be- finden, eine kleine Säule, die nur wenig aus dem Gestrüpp hervorragte und auf der sich das Bild einer Kugel mit einem Zylinder befand. Sogleich sagte ich zu den Syrakusanern, von denen mich die vornehmsten begleiteten, dies sei das gesuchte Grabmal. Wir ließen den Platz mit Hacken erschließen und säubern. Darauf erschien auf der Vorderseite des Sockels jene Inschrift . Die vornehmste und einst so gelehrte Stadt Großgriechenlands besäße also keine Kenntnis von dem Grabe ihres größten Denkers, wenn nicht ein Fremder es ihren Bürgern gezeigt hätte.'' Dannemann, Die Naturwissenschaften. I. Bd. 2. AuÜ. 11 162 Höhepunkt der griechischen Mathematik. Genie besessen, als mit der menschlichen Natur verträglich zu sein scheine i). An Vielseitigkeit und Genialität kann ihm unter den Neueren vielleicht nur Gauß an die Seite gestellt werden 2), Die Probleme, welche etwa 100 Jahre nach Aristoteles den Archimedes beschäftigten, betrafen insbesondere das Gebiet der Statik. Sie wurden nach echt naturwissenschaftlichem Ver- fahren, d. h. gestützt auf Versuche und mathematische Ableitung und deshalb mit dem besten Erfolge, behandelt. Seine Werke sind daher als das hervorragendste Erzeugnis des griechischen Geistes auf exaktem Gebiete zu bezeichnen. Es scheint kein Zu- fall zu sein, daß diese Werke nicht in dem vorwiegend der Kunst und der Philosophie zugewandten Mutterlande, sondern in Groß- griechenland entstanden sind, wo der Handel blühte und eine gewisse, die forschende Tätigkeit begünstigende Nüchternheit des Verstandes vorherrschte. Die griechische Mathematik erreicht in Archimedes und in Apollonios ihren Höhepunkt. Die wissenschaftliche Bedeutung des Archimedes^) ist in gleicher Weise auf den Gebieten der reinen Mathematik und der Mechanik zu suchen. Außer dem soeben erwähnten, wichtigen Satze über den Inhalt der Kugel und des sie umschließenden Zylinders, deren Oberflächenverhältnis er gleichfalls auffancl, lieferte Archi- medes eine Arbeit über die Kreismessung, die eine Berechnung der Zahl n enthält. Diese Arbeit ist, sowohl nach ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Geometrie, als auch für die Geschichte der Rechenkunst, von Wichtigkeit. Sein Verfahren ist das in der elementaren Geometrie noch jetzt gelehrte. Ausgehend von dem Satze, daß der umfang des Kreises kleiner als der Umfang des umschriebenen und größer als derjenige des eingeschriebenen regel- 1) De republica I, 22. -) So urteilt auch H. Di eis in dem Archimedes gewidmeten Abschnitt seines Buches „Antike Technik". 3j Archimedes' von Syi'akus vorhandene Werke. Aus dem Griechischen übersetzt und mit erläuternden und kritischen Anmerkungen begleitet von Ernst Nizze. Stralsund 1824. Eine neuere Archimedesausgabe rührt von Heiberg her. Sie erschien im Jahre 1880: J. L. Heiberg, Archimedis opera omnia cum comentariis Eutocii. Leipzig, bei B. G. Teubner. Eine neue erweiterte Ausgabe erfolgte 1910. Eutokios, der einen Teil der Archimedischen Schriften kommentierte, lebte zur Zeit Justinians (um 550 n. Chr.). Anfänge der höheren Mathematik. 163 mäßigen Vielecks ist, berechnet Archimedes als Grenzwerte für 71 die Zahlen 3,141 und 3,142. Es sind dies die Werte, die sich für den Umfang des ein- und umgeschriebenen regelmäßigen 96-Ecks ergeben. Das erwähnte Verfahren wird als Exhaustionsverfahren bezeichnet, könnte aber auch die Integrationsmethode der alten Mathematik genannt werden. Aus dem Bestreben, bei derartigen Aufgaben die Grenzwerte beliebig nahe zu rücken, ohne dazu umständliche, zeitraubende Berechnungen nötig zu haben, ist im 17. Jahrhundert die Infinitesimalrechnung erwachsen. Auch mit isoperimetrischen Problemen, d. h. Aufgaben, bei denen es sich um die Bestimmung größter oder kleinster Werte handelt, beschäftigte sich schon das Altertum. So war schon vor Aristoteles bekannt, daß der Kreis unter allen Flächen gleichen Umfangs den größten Flächeninhalt und die Kugel unter allen Körpern von gleicher Oberfläche den größten Rauminhalt besitzt'). Das Exhaustionsverfahren wurde von den Alten nicht nur auf krummlinige Figuren, sondern auch auf Flächen und auf Raum- gebilde angewandt. Das Verfahren lief stets darauf hinaus, den Unterschied zwischen der zu messenden Linie, Fläche oder Raum- größe und den diesen Formen sich nähernden, leicht zu berechnen- den Hilfsgebilden immer kleiner zu machen. Man erhielt eine noch größere Sicherheit, wenn man zwei Hilfsgebilde, z. B. das ein- und umgeschriebene Polygon beim Kreise, wählte und auf diese Weise zwei Grenzwerte für die zu messende Größe ermittelte. Was den Inhalt des Kreises anbetrifft, so bewies Archimedes, daß er gleich demjenigen eines rechtwinkeligen Dreiecks ist, dessen eine Kathete gleich dem Halbmesser und dessen andere gleich dem Umfang des Kreises ist. Die Behandlung ebener Figuren wurde von Archimedes je- doch über das Gebiet der elementaren Mathematik hinausgeführt, indem er den Inhalt der Parabel und der Ellipse berechnen lehrte und die Eigenschaften von Kurven höherer Ordnung, wie der Spi- ralen, ermittelte. Mit Hilfe der soeben besprochenen Exhaustions- methode wies Archimedes z. B. nach, daß das Parabelsegment ■*^3 eines Dreiecks von gleicher Grundlinie und Höhe beträgt. Für die Ellipse zeigte er, daß sich ihre Fläche zur Fläche eines mit der großen Achse als Durchmesser geschlagenen Kreises wie die kleine Achse zur großen Achse verhält usw. Die merkwürdigste 1) Nach Simplicius. Siehe auch die Abhandlung von W. Schmidt über laoperimetrie im Altertum (Eibl. math. 1901. S. ÖJ. 11* 164 Anfänge der höheren Mathematik. Schrift über die Kurven ist sein Buch von den Schneckenlinien. Die nach ihm als archimedische Spirale bezeichnete Schnecken- linie definiert er mit folgenden Worten: „Wenn eine gerade Linie in einer Ebene um einen ihrer Endpunkte, der unbeweglich bleibt, mit gleichförmiger Geschwindigkeit sich dreht, und wenn gleich- zeitig in der bewegten Linie ein Punkt vom unbewegten Endpunkte aus sich gleichförmig bewegt, so beschreibt dieser Punkt eine Schneckenlinie." Eine derartige, zuerst bei Hippias anzutreffende Verbindung von zwei bestimmt gekennzeichneten Bewegungen stellte eine nicht geringe Bereicherung der Wissenschaft d^^ri). Auch gelang es Archimedes, durch ein ähnliches Verfahren, wie er es beim Kreise und bei der Parabel anwandte, die Qua- dratur der Schneckenlinie zu finden. Sogar das Tangenten- problem vermochte er für diese Kurve zu lösen, indem er zeigte, wie die Berührungslinie an irgend einen ihrer Punkte gezogen werden kann. Daß Archimedes sich schon einer Methode bediente, die in ihrem Wesen unserem heutigen Litegrationsverfahren entsprach, läßt sich noch deutlicher, als aus den hier besprochenen Werken, aus der vor kurzem durch Heiberg entdeckten Methodenlehre (Ephodion) ersehen 2). Es hat den Anschein, als ob Archimedes die im Epho- dion enthaltene Infinitesimalmethode gewissermaßen nur zu seinem Privatgebrauch entwickelt hätte, weil die Anwendung der ünend- lichkeitsbegriffe bei den Mathematikern, welche die Einwände der Philosophen fürchteten, verpönt war. Als vollgültig wurde für die hier in Betracht kommenden Probleme nur das Exhaustionsver- fahren angesehen. In dieses kleidete Archimedes, offenbar der herrschenden Schule zuliebe, Sätze, die er zunächst ausgehend von der Mechanik oder mit Hilfe seiner Infinitesimalmethode ge- funden hatte. Als Beispiel dafür verdient der Satz vom Zylinder- ij Hippias von Elis lebte um 420 v. Chr. Seine unter dem Namen der Quadratrix bekannte Linie ließ Hippias durch die Verbindung einer drehen- den mit einer fortschreitenden Bewegung entstehen. Mit Hilfe dieser Linie hoffte man zur Quadratur des Kreises zu gelangen. Näheres bei Cantor, Gesch. d. Math. I (1907). S. 197. 2) Heiberg entdeckte sie in einem in Konstantinopel aufbewahrten Palimpsest und veröffentlichte sie in der Zeitschrift „Hermes". Berlin 1907. S. 235 u. f. In der neuen Archimedesausgabe von Heiberg (1913) findet sich die „Methodenlehre" mit lateinischer Übersetzung (Bd. II. S. 427). Eine deutsche Übersetzung veröffentlichte Heiberg mit Zeuthen in der Bibl. mathem. Ul. Folge. VII (1907J. S. 322 u. f. Untersuchungen über Rotationskörper. 165 huf genannt zu werden i). Für diesen gibt Archimedes einen mechanischen Beweis, einen Beweis nach dem Exhaustionsverfahren und einen solchen mit Hilfe seiner jetzt bekannt gewordenen In- finitesimalmethode. Letztere bestand darin, daß er die Flächen auf Gerade und die Körper auf Flächen zurückführte, wie es unter den neueren Mathematikern zuerst Cavalieri getan. Erläutert wird die neue Methode unter anderem an dem Satz vom Flächen- inhalt des Parabelsegments und an mehreren Sätzen über Volum- und Schwerpunktsbestimmungen. Ein Buch des Archimedes über das Siebeneck im Kreise und ein anderes über die Berührung von Kreisen sind leider ver- lorengegangen. Von hervorragender Wichtigkeit sind die er- halten gebliebenen archimedischen Schriften über die Kugel und den Zylinder. Es wird darin bewiesen, daß die Kugeloberfläche dem Vierfachen ihres größten Kreises gleich ist (0 = 4 r^ 71). Ferner wird die Oberfläche der Kalotte oder des Kugelabschnittes berechnet. Und endlich wird gezeigt, daß ein Zylinder, der zur Grundfläche einen größten Kreis der Kugel, zur Höhe aber den Durchmesser der Kugel hat, mit anderen Worten, daß ein der Kugel umschriebener Zylinder seinem Inhalt nach sich zur Kugel selbst wie 3 : 2 verhält. Die Oberfläche dieses Zylinders fand Archimedes gleich dem Anderthalbfachen der Kugeloberfläche. Die betreffende Figur hat nicht nur auf seinem Grabstein Platz gefunden. Sie erhielt sich auch auf Münzen der Stadt Syrakus. Seine Untersuchungen über die Kugel führten Archimedes endlich noch auf die Rotationskörper, welche durch die Umdrehung von Kegelschnitten entstehen, seine Konoide und Sphäroide. Auch in diesen Fällen bediente er sich der Exhaustionsmethode, indem er die zu kubierenden Körper in Scheiben von gleicher Dicke zer- legte und die ein- und umgeschriebenen Zylinder summierte. Die erhaltenen Summen stellen Grenzwerte dar, die sich dem zu er- mittelnden Rauminhalt um so mehr nähern, je geringer der Ab- stand der Schnitte ist. Über die Kegelschnitte hatte schon Euklid geschrieben. Doch hat sich um die Begründung dieses Gegenstandes keiner unter den alexandrinischen Mathematikern ein so großes Verdienst erworben wie Apollonios von Pergä. Er war ein Zeitgenosse von Archimedes und Eratosthenes. Seine Werke entstanden in der Zeit von 240 — 200 v. Chr. Erhalten ist nur das bedeu- 1) Heiberg, a. a. 0. S. 302. 166 Die Lehre von den Kegelschnitten. tendste, als -/.lovivm (Kegelschnitte) bezeichnete Werk. In diesem zeigte Apollonios, daß die als Ellipse, Parabel und Hyperbel bezeichneten Kurven auf der Oberfläche eines Kegels entstehen, wenn durch letzteren Ebenen gelegt werden. Auch das schwierige Gebiet der Asymptoten, die sich den Asten der Hyperbel nähern, ohne sie zu schneiden, hat Apollonios erschlossen. Seine acht Bücher über die Kegelschnitte ^) erregten nicht nur bei den Zeit- genossen, sondern auch bei den späteren Geschlechtern die größte Bewunderung, wenn auch von einigen Verkleinerern dem Apol- lonios mit Unrecht vorgeworfen wurde, daß er sich zu sehr auf die von Euklid und Archimedes geschaffenen, indes verloren- gegangenen Vorarbeiten über diesen Gegenstand gestützt habe 2). Besteht doch eine grundlegende Neuerung des Apollonios schon darin, daß er sich nicht wie seine Vorgänger auf den geraden Kegel beschränkte, sondern nachwies, daß alle Schnitte auch an dem schiefen Kegel hervorgebracht werden können. Auch war er der erste, welcher an den Kegelschnitten die Mehrzahl derjenigen Eigenschaften nachwies, die man heute aus den Gleichungen dieser Kurven ableitet. Der Inhalt seines Werkes ist der Hauptsache nach folgender. Zunächst wird der Kegel als die Oberfläche defi- niert, welche durch eine Linie entsteht, wenn man sie in einer Kreisperipherie herumführt, während diese Linie zugleich durch einen festen, außerhalb der Ebene des Kreises liegenden Punkt geht. Jeder Schnitt, welcher durch den festen Punkt geht, erzeugt ein Dreieck. Liegt in der Schnittebene auch die Verbindungs- grade zwischen dem Mittelpunkt des Kreises und dem festen Punkt, welcher die Spitze des Kegels bildet, so nennt man das entstandene Dreieck, weil es jene Verbindungsgrade oder die Achse enthält, ein Achsendreieck. Neue Schnittebenen liefern dann, je nach ihrer Richtung, die verschiedenen Kegelschnittkurven auf der Oberfläche des Kegels. Es werden sodann Betrachtungen über konjungierte 1) Des Apollonios Schrift über die Kegelschnitte wurde 1861 in deutscher Bearbeitung von H. Balsam herausgegeben. Die in der Ursprache erhaltenen Schriften gab Heiberg heraus (Leipzig 1891 — 1893}. Das Werk über die Kegelschnitte umfaßt 8 Bücher. Die ersten vier sind in der Ur- sprache, Buch 5 — 7 in arabischer Übersetzung erhalten. Das achte dagegen ist verlorengegangen. Eine gute Bearbeitung rührt von dem englischen Astro- nomen Halley her (1710), der das Werk unter Beifügung des griechischen Textes, soweit er vorhanden war, ins Lateinische übersetzte und verlorenge- gangene Teile zu rekonstruieren suchte. -) Die ersten Ansätze zur Erforschung der Kegelschnitte finden sich schon bei dem im 4. Jahrhundert v. Chr. lebenden Menächmos. Die Lehre von den Kegelschnitten. 167 Durchmesser, über die Tangente an irgendeinen Punkt des Kegel- schnittes, sowie über die Asymptoten der Hyperbel angestellt. Ein- gehend wird auch von denjenigen Punkten gehandelt, die wir heute als die Brennpunkte der Kegelschnitte bezeichnen. Bewiesen wird der wichtige Satz über die Gleichheit der Winkel, welche die Normallinie mit den beiden Brennstrahlen des Berührungspunktes bildet, sowie auch der Satz von der Konstanz der Summe, bzw. der Differenz der Brennstrahlen. Die betreffenden Abschnitte des Werkes enthalten also fast sämtliche grundlegenden Sätze der Lehre von den Kegelschnitten. Auf dem Satz, daß die Summe der Brennstrahlen gleich der großen Achse ist (r + r' = 2a), beruht bekanntlich die gebräuch- liche Fadenkonstruktion der Ellipse. Dies Verfahren findet sich jedoch noch nicht bei Apollonios, sondern es kam erst weit später auf. Hinsichtlich der Hyperbel sei bemerkt, daß man vor Apollonios die Zusammensetzung der Kurve aus zwei Asten nicht kannte, sondern die Untersuchungen immer nur an einem Ast anstellte. Apollonios selbst führte den zweiten Ast noch unter einem besonderen Namen auf. Die Quadratur der Hyperbel gelang den alten Mathematikern nicht. Sie erfolgte erst, als im 17. Jahrhundert neuere, die höhere Mathematik ausmachende Me- thoden gefunden waren. Den Höhepunkt des Werkes bildet das Buch, das von größten und kleinsten Werten handelt, die in Verbindung mit den Kegel- schnitten auftreten *). Insbesondere sind es Untersuchungen über die längsten und kürzesten Linien, die von irgendeinem Punkte der Ebene an einen Kegelschnitt gezogen werden können. Infinitesimalbetrachtungen, die sich schon bei Euklid und Archimedes finden, vermochten die x\lten noch nicht zu einer allgemeinen Methode zu erweitern. Die alte Mathematik hat viel- mehr in den Werken des Archimedes und des Apollonios das erreicht, was ohne den Besitz der Infinitesimalmethode und des analytischen Kalküls, die erst im 16. und 17. Jahrhundert zu all- gemeinerer Anwendung gelangten, zu erreichen möglich war 2). Mit der Lehre von den Kegelschnitten wurde für die spätere Entwick- lung der Astronomie und der Mechanik eine wichtige Grundlage 1; Das 5. Buch. 2; Daß Archimedes bei Volum- und ITächeubestimumngen sich schon einer dem Verfahren Cavalieris entsprechenden Infinitesimalmethode be- diente, und zwar neben den üblichen Beweisverfahren, hat die Entdeckung des „Ephodion" bewiesen (s. S. 164). 168 Das Gebiet der großen Zahlen. geschaffen. Das gleiche gilt auch von der Trigonometrie, die aus den Bedürfnissen der Astronomie entsprang und von den späteren Alexandrinern begründet wurde. Wie wir später sehen werden, konnte Aristarch, als er den Sonnenabstand aus gegebenen Stücken eines Dreiecks ohne die Hilfsmittel der Trigonometrie be- rechnete, die gesuchte Größe nur auf umständlichem Wege durch Näherungswerte bestimmen. Anhangsweise sei hier noch eine Schrift des Archimedes erwähnt, die früher viel gelesen wurde und auch heute noch Be- achtung verdient. Es ist dies seine „Sandesrechnung". Zum Ver- ständnis der in dieser Schrift gelösten Aufgabe müssen wir vor- ausschicken, daß die Griechen etwas unserem heutigen Ziffern- system Entsprechendes noch nicht besaßen. Die Zahlen wurden durch Buchstaben bezeichnet. Größere Zahlen zu schreiben, war daher sehr unbequem, weil man das Prinzip des Stellenwertes, das erst durch Vermittlung der Araber aus dem Orient nach Europa gelangte, noch nicht kannte und auch noch kein Zeichen für die Null besaß. Es ist erstaunlich, wie weit es die Alten trotzdem in der Arithmetik gebracht haben. Wagte sich Archimedes doch sogar an die geometrische Reihe 1, 1/4, Yie, Ved • • •) deren Summe er gleich ^/g fand. Sie diente ihm bei der Berechnung der Fläche des Parabelabschnittes. Auch vermochte er es schon, schwierige Quadratwurzeln zu berechnen *). In der Sandesrechnung 2) wird gezeigt, daß sich jede, noch so große Menge durch eine Zahl ausdrücken läßt. Indem Archi- medes die Abmessungen der aristarchischen Fixsternsphäre zu- grunde legt, berechnet er, wieviel Sandkörner von bestimmter Größe darin Platz finden können. Die meisten Sternkundigen ver- standen zur Zeit des Archimedes unter dem Ausdruck Welt eine Kugel, deren Zentrum der Mittelpunkt der Erde und deren Radius eine gerade Linie zwischen den Mittelpunkten von Erde und Sonne ist. In seiner Schrift „Wider die Sternkundigen", so er- zählt uns Archimedes, suchte nun Aristarch von Samos zu beweisen, daß die Welt ein Vielfaches der oben bezeichneten Kugel ist. Er sei zu der Annahme gelangt, die Fixsterne samt der Sonne seien unbeweglich, die Erde aber werde in einer Kreislinie um die Sonne, die inmitten der Erdbahn stehe, herumgeführt. „Der Durch- messer der Fixsternkugel möge sich", sagt Archimedes, „zu dem- 1) Tropfke, Geschichte der Elementarmathematik. I. S. 253. 2) Eine gekürzte Wiedergabe enthält Dannemann, Aus der Werkstatt großer Forscher. Verlag von Wilhelm Engelmann. Leipzig 1908. S. 10. Die Prinzipien der Mechanik. 169 jenigen der Welt (in dem zuerst erwähnten Sinne) verhalten, wie der letztere zum Durchmesser der Erde." Er behauptet dann, wenn es auch eine Sandkugel gäbe von der Größe dieser aristarchischen Fixsternsphäre, so lasse sich doch eine Zahl angeben, deren Größe selbst die Menge der Körner in der gedachten Kugel übertreffe. Nach einigen Voraussetzungen über den Umfang der Erde, das Größenverhältnis von Erde und Sonne, aus dem, nach Bestimmung des scheinbaren Sonnendurchmessers, die Entfernung der Sonne zu 10000 Erdhalbmessern ermittelt wird, berechnet Archimedes die Zahl der Sandkörner, die innerhalb der Fixsternsphäre Platz linden, auf' 10 63 oder 1000 Dezillionen. Archimedes entwickelt die Prinzipien der Mechanik. An hervorragenden Mathematikern besaß das Altertum keinen Mangel. Wir brauchen neben Archimedes nur Euklid und Apollonios zu nennen. Es gab aber niemanden bis in die neuere Periode der Geschichte der Wissenschaften, der ähnliche Leistungen auf dem Gebiete der Mechanik vollbracht hätte wie Archimedes. Letzterer muß als der Hauptbegründer dieser Wissenschaft be- zeichnet werden. Es sind die wichtigsten Sätze vom Hebel, vom Schwerpunkt und aus der Hydrostatik, die uns bei Archi- medes, zum ersten Male klar ausgedrückt, begegnen. Die Ge- setze vom gleicharmigen Hebel spricht Archimedes in folgenden Worten aus: a) Gleich schwere Größen, in ungleichen Entfernungen wir- kend, sind nicht im Gleichgewicht, sondern die in der größeren Entfernung wirkende sinkt. b) Ungleich schwere Größen sind, bei gleichen Entfernungen, nicht im Gleichgewicht, sondern die schwerere wird sinken. c) Wenn ungleich schwere Größen in ungleichen Entfernungen im Gleichgewicht sind, so befindet sich die schwerere in der klei- neren Entfernung. d) Ungleiche Gewichte stehen im Gleichgewicht, sobald sie ihren Entfernungen umgekehrt proportional sind. An den letzten, das Hebelgesetz zum Ausdruck bringenden Satz knüpft sich das Archimedes zugeschriebene Wort: „Gib mir einen Ort, wo ich mich hinstellen kann, und ich will die Erde bewegen !).•' 1) d'wf f.ioi nol aiöj xu'i xii'ü ttjt^ y^i*' (Pappus V^III, 11, ed. Hultsch). 170 Das archimedische Prinzip. Die Schwerpunktsbestimmungen dehnt Archimedes im zwei- ten Teile der Abhandlung vom Gleichgewicht i) sogar auf das Parabelsegment aus, nachdem er zuvor die Quadratur der Parabel gelehrt hat. In den Büchern, die von den schwimmenden Körpern handeln, leitet er aus den Grundeigenschaften der Flüssigkeiten, nämlich der leichten Verschiebbarkeit ihrer Teilchen und der Druckfortpflanzung, eine Reihe von Sätzen ab, von denen die wichtigsten folgendermaßen lauten: a) Die Oberfläche einer jeden zusammenhängenden Flüssigkeit im Zustande der Ruhe ist sphärisch, und ihr Mittelpunkt fällt mit dem Mittelpunkt der Erde zusammen. * b) Feste Körper, die bei gleichem Rauminhalt einerlei Gewicht mit einer Flüssigkeit haben, sinken, in diese eingetaucht, so weit ein, daß nichts von ihnen über die Oberfläche der Flüssigkeit hervorragt. c) Jeder feste Körper, der leichter ist als eine Flüssigkeit und in diese eingetaucht wird, sinkt so tief, daß die Masse der Flüssig- keit, die dem eingesunkenen Teil an Volumen gleich ist, ebenso- viel wiegt wie der ganze Körper. d) Wenn Körper, die leichter sind als eine Flüssigkeit, in diese eingetaucht werden, so erheben sie sich wieder mit einer Kraft, die gleich ist dem Gewichte des dem Körper gleichen Volumens Flüssigkeit, vermindert um das Gewicht des Körpers selbst. e) Feste Körper, die bei gleichem Rauminhalt schwerer als eine Flüssigkeit sind und in diese eingetaucht werden, sinken, solange sie noch tiefer kommen können, und werden in der Flüssigkeit um so viel leichter, wie das Gewicht einer Masse Flüssigkeit von der Größe des eingetauchten Körpers beträgt. Das zuletzt erwähnte Gesetz, das archimedische Prinzip, ist für die Mechanik der Flüssigkeiten von derselben fundamentalen Bedeutung wie das Hebelgesetz für die Mechanik der festen Körper 2). Auf das nach ihm benannte hydrostatische Prinzip soll Archi- medes nach der Erzählung des Vitruv^) durch einen besonderen Anlaß gekommen sein. Danach hatte Hieron aus einer abgewogenen Menge Gold einen Kranz anfertigen lassen. Als man ihm nun hinterbrachte, daß ein Teil des Goldes unterschlagen und durch 1) Archimedes' Werke. Ausgabe von Nizze. S. 26 tf. ~j Die erwähnten hydrostatischen Grundgesetze finden sich in Archi- medes' erstem Buch von den schwimmenden Körpern. Siehe die Archiraedes- ausgabe von Nizze. S. 225—228. 3) Vitruvius, de architectura IX. Übersetzt von Y. Reber. Stutt- gart 1865. Das archimedische Prinzip. 171 Silber ersetzt worden sei, wurde Archimedes zu Rate gezogen, um den Betrug nachzuweisen. „Dieser, eifrig damit beschäftigt," fährt Vitruv fort, „kam zufällig in ein Bad. Als er dort in die gefüllte Wanne stieg, bemerkte er, daß das Wasser in gleichem Maße austrat, in welchem er seinen Körper in die Wanne nieder- ließ. Sobald er auf den Grund dieser Erscheinung gekommen war, verweilte er nicht länger, sondern sprang, von Freude ge- trieben, aus dem Bad und rief, nackend seinem Hause zulaufend, mit lauter Stimme : Ev^rf/.a\ evQrjyf.a\ (Ich habe es gefunden!)." Die Lösung des von Hieron gestellten Problems, der soge- nannten Kronenrechnung, erzählt Vitruv mit folgenden Worten: „Dann soll Archimedes, von jener Entdeckung ausgehend, zwei Klumpen von demselben Gewicht, das der Kranz besaß, den einen von Gold, den andern von Silber, hergestellt haben. Hierauf füllte er ein weites Gefäß bis zum obersten Rande mit Wasser und senkte dann den Silberklumpen hinein, worauf das AVasser in gleichem Maße ausfloß, wie der Klumpen in das Gefäß getaucht wurde. Nachdem er den Klumpen wieder herausgenommen hatte, füllte er das Wasser um so viel wieder auf, als es weniger geworden war, und maß dabei die zugege])ene Menge. Daraus ergab sich, welches Gewicht Silber einem bestimmten Rauminhalt Wasser entspricht. Nachdem er dies erforscht hatte, senkte er den Goldklumpen in das volle Gefäß und füllte das verdrängte Wasser vermittelst eines Hohl- maßes nach. Es ergab sich, daß diesmal von dem Wasser um soviel weniger abgeflossen war, wie der Goldklumpen einen minder großen Rauminhalt besaß als ein Silberklumpen von gleichem Ge- wicht. Nachdem er hierauf das Gefäß abermals gefüllt und den Kranz selbst in das Wasser gesenkt hatte, fand er, daß mehr Wasser bei dem Kranze als bei dem gleichschweren Goldklumpen abfloß, und entzifferte aus dem, was mehr bei dem Kranze abfloß, die Bei- mischung an Silber und machte so die Unterschlagung offenbar." Im weiteren Verlaufe seiner Abhandlung über das Schwimmen untersucht Archimedes die Stabilität gewisser schwimmender Körper, wie des Kugelabschnitts und des parabolischen Konoids, wobei es ihm offenbar mehr auf eine Betätigung seines mathe- matischen Geschicks als auf eine Bereicherung der Mechanik ankam. Auch mit Scliwerpunktsbestimmungen befaßte sich Archimedes. So war ihm bekannt, daß der Punkt, in welchem sich zwei Seiten- halbierende treffen, der Schwerpunkt des Dreiecks ist. Überhaupt erweisen sich die mathematischen Hilfsmittel des Archimedes den ihn beschäftigenden mechanischen Problemen gegenüber als der 172 Fortschritte der Optik. überlegene Teil, während in der neueren Periode mitunter das um- gekehrte Verhältnis obwaltete, so daß der von Leibniz herrührende Ausspruch: „Wer in die Werke des Archimedes eindringt, wird die Entdeckungen der Neueren weniger bewundern" wohl gerecht- fertigt erscheint. Fortschritte der Optik und Akustik. Durch die bedeutenden Fortschritte der Mathematik wurden vor allem die Physik, die Astronomie und die mathematische Geo- graphie gefördert. Die ältesten Ansichten über den Schall und über das Licht haben wir bei den Pytha- goreern und bei Aristoteles kennen ge- lernt. Den Alexandrinern, die ja besonders zur Zusammenfassung des Wissens neigten, verdanken wir die erste zusammenfassende Bearbeitung der Optik. Diese Bearbeitung wird dem Euklid zugeschrieben. Sie er- folgte in zwei Büchern, der „Optik" und der „Katoptrik", und ist wohl der erste Ver- such, die Greometrie, unter Benutzung des Satzes von der geradlinigen Fortpflanzung des Lichtes und des Beflexionsgesetzes, auf die Erklärung der scheinbaren Größe, der Gestalt, der Spiegelung und anderer opti- schen Erscheinungen anzuwenden 1). Von In- teresse ist der Satz 2), daß „von Hohlspiegeln, welche gegen die Sonne gehalten werden, Feuer erzeugt wird". Doch wird irrtümlich behauptet, die Entzündung erfolge im Krümmungsmittelpunkt. Euklid sucht dies geometrisch durch obige Figur •■^) (Abb. 18) darzutun und bemerkt zu seiner Konstruktion: ..Alle Strahlen, die von der Sonne [z/EZ] aus durch das Zentrum & des Spiegels [ABF] Abb. 18. Das Verhalten des Hohl spiegeis nach Euklid *) 1) Euklids Optik und Katoptrik wurde 1557 zu Paris griechisch und lateinisch herausgegeben. Eine neuere Ausgabe von Gregory erschien im Jahre 1703. Die Hauptausgabe rührt von Heiberg und Menge her. Bibl. Teubn. 1883. 2) 30. Theorem der Katoptrik Euklids. 3) Euklids Optik und Katoptrik findet sich im 7. Bande der Gesamt- ausgabe von Heiberg und Menge. *) Gesamtausgabe Bd. 7. S. 343. Siehe auch die Abhandlung von Wür- schmidt in den Commemoration Essays, Oxford 1914. Fortschritte der Optik. 173 gehen, fallen in das Zentrum 0 zurück. Durch diese Strahlen wird daher im Zentrum die Sonnenwärme gesammelt und infolge- dessen ein dort befindhcher Körper entzündet." Die Annahme, daß die Sonnenstrahlen parallel in den Hohlspiegel fallen, hätte Euklid zur Auffindung des richtigen Verhältnisses leiten müssen. Den Irrtum Euklids erkannte schon Apollonios^). Die Spiegelung an Konkav- und Konvexspiegeln wird von Euklid dahin erläutert, daß an ihnen, wie an ebenen Spiegeln, die Strahlen unter gleichen Winkeln zurückgeworfen werden. Zur Er- läuterung dient folgende Abbildung'^). Auch mit einem der be- Abb. 19. Die Spiegelung an einem Konkav- (links) und an einem Konvex-Spiegel (rechts) nach der Darstellung Euklids. kanntesten Versuche über die Brechung des Lichtes war Euklid schon vertraut. Er berichtet darüber mit folgenden Worten-^): „Legt man einen Gegenstand auf den Boden eines Gefäßes und schiebt letzteres so weit zurück, daß der Gegenstand eben ver- schwindet, so wird dieser wieder sichtbar, wenn wir Wasser in das Gefäß gießen.'' Wie die Geometrie von gewissen Grundsätzen ausgeht, die sich auf wenige Axiome zurückführen lassen, so geht auch die Optik Euklids von einer Anzahl — es sind acht — Grunderfahrungen aus, aus denen Euklid seine Theoreme durch geometrische Kon- struktion ableitet. Die wichtigsten der von Euklid hervorge- hobenen optischen Grundtatsachen sind die folgenden: Die Licht- strahlen 4) sind gerade Linien. Die von den Strahlen eingeschlossene Figur ist ein Kegel, dessen Spitze im Auge Hegt, während der Grundfläche dieses Kegels die Umgrenzung des gesehenen Gegen- standes entspricht. Unter größerem Winkel gesehene Gegen- 1) E. Wiedemann, Über das Experiment im Altertum und Mittelalter (Vortrag). 2) Gesamtausgabe Bd. 7. 3) 7. Erfahrungssatz der Katoptrik. *) Eigentlich müßte man Sehstrahlen sagen, da nach der Vorstellung Euklids die Strahlen aus dem Auge kommen. 174 Fortschritte der Akustik. stände erscheinen größer als unter kleinerem Winkel gesehene, oder die schßinbare Größe eines Gegenstandes hängt von dem Sehwinkel ab. Auch in der Katoptrik wird von bestimmten Erfahrungssätzen — es sind deren 7 — ausgegangen. Aus ihnen werden etwa 30 Theoreme abgeleitet. Höchstwahrscheinlich sind die optischen Schriften Euklids in sehr verdorbener Gestalt auf uns gekommen. Sie waren indes trotz mancher Mängel und Unrichtigkeiten bis zur Zeit Keplers, der die Optik um ein Bedeutendes förderte, allgemein im Gebrauch. Auch mit akustischen Problemen hat man sich in Alexandrien befaßt. Hatten die Pythagoreer die Erscheinung der Konsonanz und Dissonanz von Tönen einfach als Tatsache hingenommen, so finden wir bei Euklid zum ersten Male das Bestreben, sich von der Ursache dieser merkwürdigen Erscheinung Rechenschaft zu geben. Dissonanz ist für ihn die Unfähigkeit der Töne, sich zu mischen, wodurch der Klang für das Gehör rauh werde, während konsonierende Töne sich zu mischen vermöchten. Euklid kommt damit vorahnend der später gegebenen Erklärung nahei). Die Grundlagen der wissenschaftlichen Erdkunde. Im engsten Zusammenhange mit dem Fortschreiten der ge- samten Kultur, der politischen Entwicklung und den übrigen Wissenschaften erreichte in diesem Zeitalter die Erdkunde eine Höhe, die sie bis zum Beginn der Neuzeit nicht überschritten hat. Vor allem kommt für das alexandrinische Zeitalter in Betracht, daß das Verkehrs- und Nachrichtenwesen den damaligen Gelehrten schon ausgedehnte Reisen und weitreichende Erkundigungen ge- stattete. Die Bekanntschaft mit dem fernen Osten wurde der wissenschaftlichen Erdkunde durch den Alexanderzug erschlossen. Daß die auf diesem Zuge gesammelten Erfahrungen die Grund- lagen der Pflanzengeographie entstehen ließen, haben wir schon an früherer Stelle gesehen. Afrika wurde seit der Ptolemäerzeit immer weiter von Ägypten aus erschlossen. Nach Norden hatte sich der geographische Gesichtskreis fast bis zum Lande der Mitter- nachtssonne erweitert. Mit den nördlichen Ländern Europas wurde das Altertum besonders durch die Reisen des Massiliers Pytheas, eines Zeit- 1) Von Smith und Helmholtz. Der geographische Gesichtskreis der Alten. 175 genossen Alexanders des Großen, bekannt. Pytheas unternahm eine Forschungsreise bis zur Nordspitze Britanniens. Die frühere Annahme, er sei bis nach Island vorgedrungen, hat man nicht aufrechterhalten können. Jedenfalls brachte er aber Kunde von der Erscheinung, daß im hohen Norden in der Mittsommerzeit die Sonne nicht untergehe. Im Zusammenhange damit erwähnt er das sagenhafte Thule^j. Der geographische Gesichtskreis der Alten hat sich also von der südlichen Halbkugel bis zum nördlichen Polarkreis erstreckt 2]. Die Ergebnisse der alten Forschungsreisen waren besonders wert- voll, wo es sich, wie bei Pytheas, um einen Mann handelte, der mit physikalischen und astronomischen Kenntnissen ausgerüstet war. Leider sind eigene Schriften von Pytheas nicht erhalten und die von ihm gewonnenen Ergebnisse nur zum geringen Teil durch Fragmente bei anderen Schriftstellern bekanntgeworden 3). Verarbeitet wurde das reiche, durch die Züge Alexanders und durch Entdeckungsreisen gleich derjenigen des Pytheas ge- wonnene Material durch Dikaiarchos, einen Schüler des Ari- stoteles, und etwa ein halbes Jahrhundert später am umfassend- sten durch Eratosthenes. Dikäarch schätzte die Breite der den Alten bekannten Welt von Meroe bis zum Polarkreis auf 40000 Stadien. (Die Länge des attischen Stadiums belief sich auf 177,6 Meter.) Die Längenausdehnung von den Säulen des Her- kules (der Straße von Gibraltar) bis zur Mündung des Ganges wurde von ihm auf 60000 Stadien veranschlagt ■*]. Nach Dikäarch (350—290) sollten die Säulen des Herkules, die Straße von Messina, die peloponnesische Halbinsel, die Süd- küste Kleinasiens und Indien auf dem nämlichen Breitenkreise liegen und dieser sollte die Ökumene, d. h. den als bewohnt an- genommenen Teil der Erde, etwa halbieren. Die Oricntierungs- fehler, die Dikäarch bei der Feststellung dieser Linie beging, waren also nicht unerheblich. >) Nach Stadler handelt es sich hier nicht um eine Insel, sondern um Skandinavien (Jahrbücher f. d. klass. Altert. 1911. S. 86 . Auch Island oder die Shetlandsinselu galten wohl für Thule. Siehe Peschels Geschichte der Erdkunde. 1877. S. 2. -j Genauere Angaben über die räumliche Begrenzung der griechischen und der römischen Erdkunde enthält der erste Abschnitt von Peschels Ge- schichte der Erdkunde.. 3) Die von ihm erhaltenen Fragmente gab M. Fuhr heraus. Darm- stadt 1841. ■*] Beloch, Griechische Geschichte. Bd. III. I.Abt. S. 476 (1904). 176 Höhenbestimmungen. Von Dikäarch rühren auch die ersten Höhenbestimmungen her, die über bloße Schätzungen hinausgingen. Anfangs hatten die Alten übertriebene Vorstellungen von der Höhe der Gebirge. So ließ Aristoteles die Höhen des Kaukasusgebirges noch 4 Stunden, nachdem die Sonne für den Fuß des Gebirges unter- gegangen war, in ihrem Lichte glänzen, und Plinius schätzte die Alpen zehnmal zu hoch ^). Er hätte eine solche Übertreibung vermeiden können, wenn er die Werte mehr beachtet hätte, die Dikäarch und nach ihm Eratosthenes schon für bedeutende Höhen ermittelt hatte. So bestimmte Dikäarch die Höhe des Pelion (1620 Meter) und die Höhe von Akrokorinth (575 Meter) annähernd richtig. Als allgemeines Ergebnis hob er schon hervor, daß solche Werte im Vergleich zum Durchmesser der Erde ver- schwindend klein seien. Dikäarch ist wohl als der Begründer der mathematischen Erdkunde bezeichnet worden 2). Dieser Ehren- titel bleibt indessen besser dem etwa ein halbes Jahrhundert nach ihm lebenden Eratosthenes vorbehalten. Eratosthenes wurde 275 v. Chr. in Kyrene geboren. Ptole- mäos III Euergetes berief ihn nach Alexandria und ernannte ihn zum Bibliothekar der großen alexaildrinischen Bibliothek. Des Eratosthenes Hauptwerk war seine ..Erdbeschreibung", das erste wissenschaftliche Werk über Geographie, das indes nur aus Bruch- stücken bei Strabon bekannt ist^). Es zerfiel in drei Bücher. Das erste handelte von der physikalischen, das zweite von der mathematischen Geographie, während das dritte die Ohorographie, d. h. die Beschreibung der einzelnen Länder, enthielt. Außerdem hat Eratosthenes auch auf den Gebieten der Astronomie Her- vorragendes geleistet. Vorhanden ist ferner ein Brief, in dem er sich mit dem berühmten delischen Problem der Verdoppelung des Würfels beschäftigt. Auch eine Regel zur Auffindung der Prim- zahlen rührt von ihm her. Im Jahre 220 v. Chr. soll Erato- 1) Plin. lib. n. cap. 65. Plinius verweist an dieser Stelle auch auf die Angaben Dikäarchs. Aus der Angabe des Aristoteles würde sich für den Kaukasus eine Höhe von etwa 70000 m ergeben haben. 2) A. Gercke und E. Norden, Einleitung in die Altertumswissenschaft. II. Bd. S. 314. B. G. Teubner. 1912. 3; Siehe Bernhardy, Eratosthenica, Berlin 1822, eine Sammlung von Bruchstücken der Schriften des Eratosthenes. Eratosthenes starb um 194 v.Chr. Bernhardys Schrift ist veraltet. Doch fehlt eine neuere zusammen- hängende Darstellung aller Fragmente. Ferner H. Berger, Die geographi- schen Fragmente des Eratosthenes. Leipzig 1880. Die Ausmessung der Erde. 177 äthenes in Alexandrien Armillen^) aufgestellt und damit den Ab- stand der Wendekreise zu ^Vsa des Kreisumfauges, das sind 47,7 Bogengrade, ermittelt haben. Nachdem man erkannt hatte, daß die Erde die Gestalt einer Kugel besitzt, lag der Gedanke nahe, die Größe dieser Kugel zu be- stimmen. Der Ruhm, den richtigen Weg zu einer solchen Messung eingeschlagen und auf ihm ein, im Verhältnis zu den vorhandenen Mitteln annähernd richtiges, Ergebnis gefunden zu haben, gebührt gleichfalls dem Eratosthenes^). Bei größerer Ausdehnung der Reisen mußte es den Alten auf- fallen, daß die täglichen Kreise, welche bekannte Sterne beschrei- ben, nicht überall die gleiche Neigung zur Ebene des Horizontes besitzen. Insbesondere konnte ihnen dies nicht lange bezüglich der Sonne verborgen bleiben. So wußte Eratosthenes, daß dies Gestirn zur Zeit der Sommersonnenwende im süd- lichen Ägypten mittags durch den Zenit geht, während es in Alexandrien an diesem Tage einen südlich vom Zenit gelegenen Punkt durchläuft. Infolge- dessen zeigte der Gnomon an dem Mittag jenes Tages in Syene^) keinen Schatten. Anknüpfend an diese, ihm bekannte Tatsache, ging Eratosthenes bei der Lösung seiner Aufgabe von einigen Voraussetzungen aus, die zwar nicht ganz zutreffend sind, der Wahrheit aber doch so nahe kommen, daß bei dem nur rohen Verfahren, um das es sich hier handelt, das Ergebnis dadurch nicht wesentlich be- einflußt wird. Zunächst war dies die Annahme, daß die Erde eine vollkommene Kugel sei. Ferner, daß die genannten Städte auf demselben Meridian gelegen seien, während sie in Wahrheit einen Längenunterschied von mehreren Graden*) aufweisen. In A (Abb. 20) befindet sich das Instrument, das die Alten bei der Bestimmung der Sonnenhöhe gewöhnlich benutzten. Es >) Siehe S. 180. -) Siehe auch Günther, Die Erdmessung des Eratosthenes (in der Deutschen Rundschau für Geographie und Statistik. III. Band). 3) Am ersten Nilkatarakt, fast unter dem nördlichen Wendekreis gelegen (das heutige Assuan). *) Alexandria liegt um 3" 14' westlich von Syene. 5) Das Skaphium. Siehe Schaubach, Geschichte der griechischen Astro- nomie. Tab. III. Fig. 2. Dannemann. Die Xaturwissenschafteo. I. Bd. 2. Aufl. 12 Abb. 20. Das zum Messen der Sonnenhöhe dienende Instrument der Altena). 178 Diß Ausmessung der Erde. war dies eine halbkugelige Höhlung, aus deren Mitte sich ein Gnomon (G C) erhob. Dieses Werkzeug wurde so aufgestellt, daß der Gnomon senkrecht zum Horizonte stand, also die Verlängerung des Erdradius bildete. Der Winkel EDA (Abb. 21) ließ sich auf einer Gradeinteilung ablesen. Er war gleich dem zu messenden Bogen AB des Meridians (siehe Abb. 21). Eratosthenes fand nun EDA gleich Y50 des Kreisumfanges oder gleich 7° 12'. Er schätzte ferner die Strecke Syene-Alexandrien auf 5000 Stadien. Genauere Landesvermessungen gab es nämlich nur für das untere Ägypten, so daß Eratosthenes auf die Angabe von Reisenden angewiesen war, welche die Entfernungen in Tagesmärschen auf- gezeichnet hatten i). Der Umfang der Erde ergab sich somit gleich Abb. 21. Die Gradmessung- des Eratosthenes. 5000 X 50 = 250000 Stadien, eine Größe, die sich in heutigem Maße auf etwa 45000 Kilometer beläuft, während der wahre Wert 40000 Kilometer beträgt^). Diese wissenschaftliche Tat des Eratosthenes erregte die Bewunderung des Altertums, das nur in den besprochenen Messungen des Aristarch etwas Ahnliches aufzuweisen hatte. Das Nächstliegende wäre nun gewesen, die Gradmessung auf einem nicht lediglich abgeschätzten, sondern genauer gemessenen Teil des Meridians zu wiederholen. Eine solche Untersuchung gelangte jedoch erst viel später zur Ausführung. 1} S Cantor, Bd. I. S. 283. '-) Näheres siehe bei L e p s i u s , Das Stadium und die Gradmessung des Eratosthenes auf Grundlage der ägyptischen Maße, in der Zeitschrift für ägyptische Sprache u. Altertumskunde. 1877. 1. Heft. S. 3—8. Nach Lepsius kann es keinem Zweifel unterliegen, daß das Stadium des Eratosthenes eine Länge von 180 Metern besaß. A. a. 0. S. 7. Dies war die Länge des griechischen Stadiums. Das ägyptische Stadium belief sich auf 179 Meter. Die Anfänge der heliozentrischen Lehre. 179 Wie Dikäarch, so hat auch Eratosthenes die Messung der . Erdoberfläche durch die Bestimmung der sie überragenden Höhen zu ergänzen gesucht. Eratosthenes verfuhr dabei wie Dikäarch auf trigonometrischem Wege und gelangte zu dem Ergebnis, daß es sich bei den höchsten von ihm gemessenen Berg- höhen um Werte von etwa 10 Stadien handele. Die Anfänge der heliozentrischen Lehre. Daß schon während der ersten Periode der alexandrinischen Akademie die Astronomie zur Wissenschaft heranreifte, indem sie sich von der Spekulation der messenden Beobachtung zuwandte, ersehen wir vor allem aus den im dritten vorchristlichen Jahrhun- dert entstandenen Arbeiten der Alexandriner Aristyllos und Timocharis, sowie des mit der alexandrinischen Schule in enger Fühlung stehenden Aristarchos von Samos. Dem letzteren gebührt das Verdienst, die heliozentrische Theorie in voller Klarheit entwickelt zu haben. Daran, daß die Erde im Mittel- punkt der Welt ruhe, haben zuerst die Pythagoreer gezweifelt. Unter ihnen entwickelte Philolaos eine Theorie^), nach der sich die Erde innerhalb eines Tages um ein Zentralfeuer drehe. Auf diese Weise wurde die tägliche Bewegung des Himmels als eine nur scheinbare erklärt. Sobald man das Zentralfeuer in die Mitte der Erdkugel verlegte, hatte man den einen Bestandteil der koppernikanischen Lehre, nämlich die Drehung unseres Weltkörpers um seine Achse, schon vorweggenommen. Der Kern dieser Lehre, die Umlaufsbewegung der Erde und der übrigen Planeten um die Sonne, läßt sich heute in seiner all- mählichen Entwicklung zurückverfolgen. Den Ausgang bilden die Beobachtungen an Venus und Merkur. Sie führten, wie wir sahen 2), zu der Lehre des Herakleides Pontikos, nach welcher diese Himmelskörper um die Sonne kreisen. Von dieser Lehre, die früher wohl den Ägyptern zugeschrieben wurde, hat Koppe rnikus nach seinen eigenen Worten sehr wohl gewußt. Von hier aus konnte man leicht zu einer richtigen Auffassung des Weltsystems gelangen, wenn man die Sonne als Mittelpunkt der Bahnen auch der übrigen Planeten betrachtete. Sieht man von den heute schwer sicherzustellenden Spekulationen der Pythagoreer ab, 1) Siehe S. 93. 2j Siehe S. 9ö. 12* 180 Die Bestimmung von Sternörtern. , SO war es vor allem Aristarch, der die heliozentrische Welt- ansicht mit voller Klarheit aussprach. Ihn soll die Überzeugung, daß die Sonne weit größer als die Erde und der Mond sei, zur Aufstellung seines Systems geführt haben. Auch ohne eine Kennt- nis der Gesetze der Dynamik fühlte Aristarch sozusagen durch, daß es ungereimt sei, den Umlauf eines gewaltigen Weltkörpers um einen im Verhältnis winzig kleinen anzunehmen. Kopperni- kus fügte zu diesem Grund noch den hinzu, daß die Sonne als Leuchte der Welt auch in deren Mitte gehöre^). Bis zum Ende der ersten, etwa bis Aristoteles reichenden Periode der griechischen Astronomie hatte die Spekulation über- wuchert. Zum Glück traten jedoch in der alexandrinischen Schule, und im Zusammenhange mit dieser, Männer auf, die sich mit nüchternem Sinne der Erforschung der Himmelserscheinungen zu- wandten. Die Astronomie ging damit von den durch mangelhafte Beobachtung gestützten Philosophemen zum messenden Verfahren über und erhob sich dadurch auf die Stufe einer Wissenschaft im strengen Sinne des Wortes. Als diejenigen unter den Griechen, die zuerst diesen Weg beschritten haben, sind die Alexandriner Aristyll und Timocharis und vor allem der schon erwähnte Aristarch von Samos zu nennen. IMit der Forschertätigkeit dieser Männer heben zwei Probleme an, die seitdem den menschlichen Geist beschäftigt haben und mit immer größerer Schärfe ihrer Lösung zugeführt worden sind. Es sind dies die Topographie des Fixsternhimmels, d. h. die genaue Bestimmung möglichst vieler Sternörter, sowie die Ermittelung der Abmessungen der Erde und unseres Planetensystems, zunächst der Entfernung der Sonne und des Mondes. In welchem Maße die Ägypter und ganz be- sonders die Chaldäer den alexandrinischen Astronomen durch das Sammeln eines reichen, sich über lange Zeiträume erstreckenden Beobachtungsmaterials vorgearbeitet hatten, wurde an früherer Stelle dargetan. Aristyll und Timocharis, die ihre Beobachtungen um das Jahr 300 v. Chr. anstellten, bedienten sich der Armillen, d. h. ge- teilter Kreise, von denen der eine in der Ebene des Äquators lag, während der andere um die Weltachse gedreht werden konnte. ISIit Hilfe dieses Apparates bestimmten sie die Lage einzelner Sterne, in- dem sie ihre Deklination oder den Bogenabstand vom Äquator bis auf Bruchteile von Graden ermittelten und gleichzeitig den Ort der *) Koppernikus, De revolutionibus I, 10. Die Größenverhältnisse des Planetensystems. 181 Sterne auf den Frühlingspunkt bezogen. Das von ihnen herrührende Verzeichnis, das bis auf wenige Angaben verlorengegangen ist, gab 170 Jahre später Hipparch die Möglichkeit, das Vor- rücken der Nachtgleichen zu entdecken *). Timocharis bediente sich bei seinen astronomischen Beobachtungen auch der Stunden- angaben. Die (babylonische) Zwölfteilung des Tages läßt sich bei den Griechen nicht vor Alexander dem Großen nach- weisen^). Vorher richtete man sich im praktischen Leben nach der Länge des eigenen Schattens und verabredete z. B. eine Zu- sammenkunft für die Tageszeit, wann der Schatten 6 oder 8 Fuß lang sei. Über die Größenverhältnisse des Planetensystems hat Ari- starch die ersten Untersuchungen angestellt. Er war ohne Zweifel einer der bedeutendsten Astronomen seiner Zeit. Von seinem Leben ist indessen keine nähere Kunde auf uns gelangt. Aristarch wurde um das Jahr 270 v. Chr. in Samos geboren. Das einzige, was von seinen Schriften erhalten blieb, sind Teile einer Abhand- lung, die von der Größe und den Entfernungen des Mondes und der Sonne handelt 3). Die Abstände dieser Weltkörper von der Erde verhalten sich nach Aristarch etwa wie 1 : 19, während das wahre Verhältnis annähernd 1 : 400 ist. Zu seinem Ergebnis gelangte Aristarch durch folgende Überlegung. Erscheint von einem Punkte E der Erde (siehe Abb. 22) der Mond genau zur Abb. 22. Aristarchs Verfahren, die Entfernung des Mondes und der Sonne zu bestimmen. Hälfte von der Sonne beleuchtet, so bildet jener Punkt E mit den Mittelpunkten des Mondes und der Sonne ein rechtwinkliges 1) Siehe an späterer Stelle dieses Bandes. 2) G. Bilfinger, Die antiken Stundenangaben. Stuttgart 1888. S. 74. 3) Aristarchos, Über die Größen und Entfernungen der Sonne und 182 1*16 Entfernung von Mond und Sonne. Dreieck, in welchem der Abstand des Mondes eine Kathete (M E) und die Entfernung der Sonne die Hypotenuse (E S) ist. Der Winkel bei E mißt nun nach Aristarch 87", während er in Wahr- heit viel weniger von einem Rechten abweicht und sich auf 89" 50' beläuft. Das gesuchte Verhältnis, das Aristarch auf mühsame Weise in die Grenzen 1 : 18 und 1 : 20 einschloß, ist gleich dem Cosinus des Winkels bei E, unter dem beide Weltkörper in dem angegebenen Falle von der Erde aus gesehen werden (E M : E S, siehe Abb. 22). Auch die Raum Verhältnisse der Weltkörper berechnete Ari- starch. So fand er, daß der Mond etwa 25 (statt 48) mal so klein, die Sonne dagegen 300 (statt 1300 000) mal so groß wie die Erde sei '). Der Weg, auf dem Aristarch seine Aufgabe zu lösen suchte, ist, theoretisch genommen, zwar richtig. Daß sich trotzdem ein Resultat ergab, das von dem heute gültigen Wert in solch erheb- lichem Maße abwich, ist aus mehreren Umständen zu erklären. Einmal war man zu jener Zeit noch nicht imstande, solch kleine Winkelunterschiede wie diejenigen, um die es sich hier handelt, zu messen. Zum andern aber besitzt die gesuchte Grenze zwischen dem beleuchteten und dem dunklen Teile des Mondes keine hin- längliche Schärfe. Immerhin verdiente Aristarch in vollem Maße die Anerkennung, die ihm das Altertum dieser Bestimmung wegeil zollte. Daß Aristarch die heliozentrische Theorie IY2 Jahr- tausende vor Koppernikus klar aussprach, geht auch aus einer Äußerung des Archimedes hervor. Sie lautet: „Aristarch ge- langt zu der Annahme, die Fixsterne samt der Sonne seien unbe- weglich. Die Erde aber werde in einer Kreislinie um die Sonne, in der Mitte der Erdbahn stehe, herumgeführt 2)." Zu den Vorläufern des Koppernikus ist auch der Pytha- goreer Niketas zu rechnen. Auf ihn führt Koppernikus selbst die Anregung zurück, die ihn veranlaßte, den geozentrischen Stand- et wegli ^ die i des Mondes. Übersetzt und erläutert von A. Nokk. Als Beilage zu dem Freiburger Lyzeumsprogramm von 1854. Aristarchs Schrift wurde durch eine 1488 erschienene lateinische Über- setzung bekannt. Den griechischen Text hat erst 1688 "Wallis nach einem Manuskript veröffentlicht. Erneut wurde der griechische Text dann 1856 durch E. Nizze herausgegeben. Eine Ausgabe des griechischen Textes mit deutscher Übersetzung wird von K. Manitius vorbereitet. 1) Aristarch, Über die Größen usw., Lehrsatz 15 — 18. 2j Des Archimedes Sandesrechnung (D annemann, Aus der Werkstatt großer Forscher. S. 13). Fortschritte der messenden Astronomie. 183 punkt aufzugeben. Von der Lehre des Niketas gibt uns eine kurze Bemerkung Kunde, die sich bei Cicero findet und auf die sich später Koppernikus berufen hat. Sie lautet: „Niketas aus Syrakus nimmt an, wie Theophrast erzählt, daß der Himmel, die Sonne, der Mond und die Sterne stillstehen, und daß sich außer der Erde nichts im Weltall bewegt. Die Erde dreht sich um eine Achse. Dadurch scheint sich der Himmel zu bewegen." Ohne Zweifel ist dies ein deutliches Zeugnis dafür, daß man im frühen Altertum, wenn auch nur vereinzelt, den Versuch gemacht hat, die scheinbare tägliche Umdrehung des Himmels aus einer Rota- tion der Erde zu erklären. Auch auf Plutarch konnte sich Koppernikus berufen, da Plutarch in seiner Schrift „Von den Meinungen der Philosophen" die astronomischen Lehren des Philolaos und des Herakleides Pontikos erwähnt sowie an anderer Stelle auch auf die Ansichten Aristarchs bezug ge- nommen hat. Fortschritte der messenden Astronomie. Die bedeutendste Förderung während des vorchristlichen Ab- schnittes des alexandrinischen Zeitalters erfuhr die Astronomie durch Hipp ar eh. Seine wissenschaftliche Tätigkeit fällt etwa in die Zeit von 160—125 v. Chr. Von seinem Leben ist wenig be- kannt. Er lebte in Rhodos, hielt sich wahrscheinlich aber auch in Ägypten aufi). Hipparch erleichterte die Arbeit des Astro- nomen vor allem dadurch, daß er als trigonometrisches Hilfsmittel eine Sehnentafel schuf. Sie enthielt für die Winkel im Kreise den Wert der zugehörigen Sehnen, in Teilen des Halbmessers aus- gedrückt. Die Berechnung war sehr mühsam. Sie geschah, in- dem man von den Sehnen der AVinkel 120°, 90°, 72°, 60°, 36° ausging. Diese Sehnen ließen sich als Seiten des regelmäßigen 3-, 4-, 5-, 6- und 10-Ecks leicht in Teilen des Radius ausdrücken. Mit Hilfe des Pythagoreischen Lehrsatzes und eines Hilfssatzes •) Über Hipparch handelt ein Artikel von A. Rehm in der Real- enzyklopädie des klassischen Altertums von Pauly-Wissowa- Kroll. H. Bd. Sp. 1666—1681. Hipparchs ..Geogfraphische Fragmente'' wurden von H. Berg er ge- sammelt und bearbeitet; eine weitere Sammlung von Fragmenten liegt bisher nicht vor. Daß sich wissenschaftliche Bedeutung wohl mit astrologischen Vor- stellungen vereinigen läßt, hat Hipparch ähnlich wie später Kepler be- wiesen. Im Original erhalten ist von Hipparch nur ein Jugendwerk von geringerer Bedeutung {Ttjjt' j-i^tuivv y.u] Kvöödov (puifouii'iüy i^/jyrjaiujr itS).ia\ 184 Astronomie und Trigonometrie. bestimmte man dann die Sehnen von halben Bogen, sowie die Sehnen von Bogensummen und Bogendifferenzen und gelangte so zu einer Tafel von zahlreichen Bogen nebst den entsprechenden Sehnen. Anfangs wies diese Tafel bedeutende Lücken auf, die man indessen durch Interpolation nach und nach ausfüllte. Erst von Ptolemäos wmrden die Sehnen aller Winkel, nach halben Graden fortschreitend, mit hinreichender Genauigkeit bestimmt. Seine Tafel, die einen wesentlichen Teil des l'/^ Jahrtausende die Astronomie beherrschenden Ptolemäi sehen Werkes aus- machte, hat während jenes langen Zeitraumes den Astronomen an Stelle unserer heutigen trigonometrischen Tabellen große Dienste geleistet. Ptolemäos teilte den Radius in 60 Teile und führte diese Teilung sexagesimal weiter. Die Sehnen wurden dann für die ver- schiedenen Winkel in Sechzigsteln des Radius ausgedrückt. So wurden feststehende Verhältnisse gew^onnen, da die absolute Größe des Radius und der Sehnen nicht in Betracht kam. Es kam auch vor, daß Ptolemäos mitunter statt der ganzen die halben Sehnen benutzte, doch blieb die konsequente Durchführung dieser Maß- regel, die ja die Einführung der Sinusfunktion bedeutet haben Avürde, den Indern vorbehalten. Die Trigonometrie beschränkte sich bei den Alten auf das rechtwinklige Dreieck. Die Ausdehnung der trigonometrischen Funktionen auf Winkel von 90° — 180" erfolgte erst durch die Araber, die auch die Trigonometrie des schiefwinkligen Dreiecks begründeten i). Kamen solche Dreiecke für die alten Astronomen in Betracht, so wurden sie in rechtwinklige Dreiecke, die man be- rechnen konnte, zerlegt. Aus den Fortschritten, welche die Mathematik im alexandri- nischen Zeitalter erfuhr, zog unter allen Wissenschaften die Astro- nomie auch weiterhin den größten Nutzen. Es begann für sie die Periode der systematischen, messenden Beobachtungen. Und wenn das Ergebnis auch noch nicht in der allgemeinen Annahme des wahren Weltsystems bestand, so gelangte man doch zur klaren Auffassung vieler, nur vermöge exakter Messung wahrnehmbarer Erscheinungen. Vor allem ist hier Hipparch zu nennen, der für die Astronomie dieselbe Bedeutung besitzt, die Aristoteles hinsichtlich der Zoologie und Archimedes in bezug auf die Mechanik zugeschrieben werden muß. 1; J. Tropf ke, Geschichte der Elementarmathematik. Bd. II. S. 223. Fixsternverzeichnisse. 185 Während der ersten Entwicklungsstadien der Astronomie hatte man sich darauf beschränkt, die Stellung der wichtigeren Fixsterne dadurch festzulegen, daß man am Himmel gewisse Figuren ein- zeichnete. Mitunter brachten diese Sternbilder auch äußerliche Ähnlichkeiten zum Ausdruck, wie z. B. beim Wagen. In die Blütezeit der alexandrinischen Schule fällt nun der Versuch einer genaueren, durch Winkelmessung ermittelten Orts- bestimmung der wichtigsten Fixsterne. Man bezog ihre Stellungen auf die Punkte, in denen die Ekliptik den Himmelsäquator schnei- det, und bestimmte bei einer größeren Anzahl auch den Abstand vom x\quator bis auf Teile eines Grades. Ein solches, von Aristyll und Timocharis herrührendes Fixsternverzeichnis, das etwa 150 Angaben umfaßte, befand sich in den Händen des Hipparch, als plötzlich, im Jahre 134 v. Chr., ein seltenes astronomisches Er- eignis, nämlich das Auftreten eines neuen Sternes erster Größe, eintrat 1). Bot aber die Fixsternregion, die Aristoteles als den Ort des unwandelbaren Seins bezeichnet hatte, derartige plötz- liche Veränderungen dar, so mußte sich in den Astronomen der Wunsch nach einer genauen Topographie des Himmels regen, um auf solche Weise späteren Zeiten eine stete Kontrolle zu ermög- lichen. In den auf jenes Ereignis folgenden Jahren bestimmte deshalb Hipparch etwa tausend Sternörter2). Hipparch löste dadurch nicht nur die gestellte Aufgabe, sondern er machte außer- dem die wichtige Entdeckung, daß der Frühlings- und der Herbst- punkt ihre Lage langsam ändern. Für einen der hervorragendsten Sterne des Tierkreises, die Spica in der Jungfrau nämlich, ergab sich, daß er 6" vom Herbstpünkte entfernt war, während der 170 Jahre früher gemessene Abstand 8" betrug. Die Breite der Fixsterne war dagegen unverändert geblieben. Dieses Vorrücken der Äquinoktialpunkte 3] glaubte Hipparch aus seinen und den ij Der neue Stern trat, wie auch aus chinesischen Berichten hervorgeht, im Sternbilde des Skorpions auf. ') F. Boll, Die Sternkataloge des Hipparch und des Ptolemäos (Bibl. math. Jahrg. 1901. S. 185). Nach Boll umfaßte Hipparchs Katalog 8.Ö0 Sterne. 3} Die Erscheinung erklärt sich daraus, daß die Erdachse innerhalb eines Zeitraums von etwa 26000 Jahren einen Kegelmantel beschreibt. Infolge- dessen ändert der Himmelsäquator, der sich als eine Projektion des Erd- äquators darstellt, gleichfalls seine Lage innerhalb derselben Periode. Der Vorgang wird als Präzession oder Vorrücken der Nachtgleichen bezeichnet, weil dabei der Frühlings- und der Herbstpunkt langsam ihren Ort im Sinne der täglichen Umdrehung ändern. IQQ Die Entdeckung der „Präzession". älteren Beobachtungen auf mindestens einen Grad für ein Jahr- hundert, also auf 36" für das Jahr ansetzen zu dürfen, während es in Wahrheit 50" beträgt. Die Arbeiten, in denen Hipparch von der Präzession der Nachtgleichen handelt, sind leider bis auf dasjenige, was der .,A1- magest-' darüber bringt, verlorengegangen. Nach Tannery be- läuft sich der von Hi})parch gefundene Betrag des Yorrückens auf 1° 23' 25" für das Jahrhundert i). Auf die Entdeckung der Präzession gründet sich die Vorstellung von einem 26000 Jahre umfassenden Zeitraum (dem platonischen Jahr), der mit der Lehre von der steten Wiederkehr in Beziehung gebracht wurde. Auf diese Lehre abzielende Andeutungen finden sich schon bei Piaton, später auch bei Cicero, Seneca und anderen Schriftstellern des Alter- tums. Die Vorstellung, daß die Natur einem regelmäßig wieder- kehrenden Wechsel unterliegt, hatte ja auch manches für sich. Die Kirchenväter verhielten sich jedoch ihr gegenüber ablehnend, weil sie den christlichen Vorstellungen nicht entsprach. Unter den Arabern finden sich dagegen wieder Anhänger der Lehre von der steten Wiederkehr 2). Auch daß sich die Erde in der Sonnennähe schneller bewegt als in der Sonnenferne, wurde von Hipparch beobachtet, wenn er auch diese Bewegung auf unser Zentralgestirn übertrug, an dem sie ja scheinbar vorsichgeht. Da man im Altertum an der aristotelischen Voraussetzung festhielt, daß die Bewegung der Himmelskörper gleichförmig und in Kreisen erfolge, so erklärte Hipparch die beobachtete Erscheinung aus der Epizyklentheorie, indem er die Sonne einen Kreis durchlaufen ließ, dessen Mittel- punkt sich auf einem größeren, um die Erde gespannten Kreise fortbewegen sollte. Die genauere Erforschung der scheinbaren Sonnenbewegung führte Hipparch ferner zu der Entdeckung, daß die Länge des Jahres, d. h. der Zeit zwischen zwei Durchgängen des Sonnenzentrums durch den Frühlingspunkt, nicht, wie vor ihm angenommen, 365 V4 Tage beträgt, sondern daß sie etwas kürzer ist^]. 1) Mitteilungen zur Gesch. d. Mediz. u. d. Naturwissenschaften. Nr. 53 (1913). S. 431. 2j Siehe auch S. 121 dieses Bandes. 3) Hipparch nahm die Dauer des tropischen Jahres zu 365 Tagen 5 Stunden 55' an, während sie in Wahrheit 365 Tage 5 Stunden 48' 51" beträgt. Mond- und Planetenbewegungen. 187 Eine schärfere Bestimmung der Mond- und der Planeten- bewegungen, wie sie am Himmelsgewölbe vorsichzugehen schei- nen, hat Hipparch gleichfalls in Angriff genommen. Die Lösung dieser Aufgabe gelang jedoch erst mehrere Jahrhunderte später dem Ptolemäos, dessen Bedeutung für die astronomische Wissen- schaft späterer Würdigung vorbehalten bleibt. Auch das durch die Zahlenmystik der Pythagoreer angeregte, schon von Aristarch behandelte Problem, die Entfernungen und die Größe der Himmelskörper zu bestimmen, beschäftigte Hip- parch. Behufs der Lösung dieser Aufgabe führte er den Begriff der Parallaxe ein. Man versteht darunter den Winkel, unter dem der Erdhalbmesser von dem Gestirne aus erscheint, dessen Ab- stand gemessen werden soll. Hipparchs Bestimmungen ergaben für die Entfernung des Mondes 59 Erdhalbmesser. Dieser Wert kommt der Wahrheit ziemlich nahe^), während die von Hipparch herrührenden Werte für die Entfernung und die Größe der Sonne von der Wirklichkeit erheblich abweichen. Die wichtigsten Lehren der antiken Astronomie wurden nach dem von Hipparch gewonnenen Standpunkte von Geminos zu- sammengestellt. Geminos aus Rhodos lebte um 70 v. Chr. in Rom. Seine Einführung in die Astronomie [elaaycoyi'i) wurde 1590 unter dem Titel Elementa astronomiae herausgegeben'^). Sie zeugt von großer Sachkunde, ist frei von allem hergebrachten Aber- glauben, kurz, durchaus wissenschaftlich gehalten. Einen ent- schieden ablehnenden Standpunkt nimmt Geminos manchen herr- schenden Lehren gegenüber ein. So spricht er sich z. B. dahin aus, daß die Hitze des Sommers nicht von dem Hundsstern (Sirius) abhänge, sondern in dem Stande der Sonne ihre Ursache habe. Für Geminos liegen ferner die Fixsterne nicht sämtlich in einer Sphäre. Ihre Entfernung von der Erde werde wohl sehr ver- schieden sein. Es fehle uns nur an einem Mittel, diese Verschie- denheit wahrzunehmen. Das Werk des Geminos hat späteren Zeiten als wertvolle Quelle für die antike Astronomie gedient. 1) Die mittlere Entfernung zwischen den Mittelpunkten von Mond und Erde beträgt 60,27 Halbmesser des Erdäquators oder 384400 km. 2) Durch den in Jever geborenen Hildericus. Eine spätere Ausgabe besorgte 1819 Halma im Anschluß an seine Ptolemäosausgabe. 188 Die Anfänge der wissenschaftlichen Kartographie. Die Anfänge der wissenschaftlichen Kartographie. Die geschilderten Fortschritte der Astronomie trugen dazu bei, daß auch die Geographie immer mehr einen wissenschaftlichen Grundzug erhielt. Dies sprach sich vor allem darin aus, daß man sich der astronomischen Ortsbestimmung zu bedienen anfing. An- fangs waren die geographischen Karten bloße Itinerarien, d. h. sie wurden auf Grund der von den Reisenden angegebenen "Wegelängen und der eingeschlagenen Himmelsrichtung entworfen. Während Eratosthenes bei seiner Bearbeitung der Länderkunde sich auf die Angabe der Polhöhe eines Ortes oder einer Landschaft beschränkte, führte Hipparch die Bestimmung nach geo- graphischer Länge und Breite ein. Um die Breite eines Ortes zu finden, brauchte man nur die Höhe der Sonne um Mittag während der Zeit der Tag- und Nacht- gleiche zu ermitteln und den so erhaltenen Win- kel von 90° abzuziehen. Dazu bediente man sich des Gnomons. Bei diesen D A Abb. 23. Breitenbestimmung mit dem Gnomon. Messungen, die bis auf 1 — 2 Bogenminuten genau erfolgten, be- gingen die alten Astronomen einen Fehler von 16 Bogenminuten, ein Wert, der dem Halbmesser der Sonne gleichkommt. Den Ursprung dieses Fehlers erläutert Abb. 23. Sie läßt erkennen, daß aus dem Schatten als Höhenwinkel der Winkel BDA resul- tiert, während die wahre Sonnenhöhe BOA ist*). Hipparch teilte den Äquator in 360 Grade. Als Anfangsmeridian wählte er denjenigen, welcher die Insel Rhodos schneidet, da er hier einen Teil seiner Beobachtungen angestellt hatte. Während die Breite, nachdem man ihren Zusammenhang mit der Polhöhe erkannt, leicht bestimmt werden konnte, machte die Feststellung der Länge 1] Genaueres über diese Messungen siehe in Peschels Geschichte der Erdkunde. München 1877. S. 43—45. Die Physik der Gase und der Flüssigkeiten, 189 Schwierigkeiten. Diese wurden noch im Zeitalter Newtons leb- haft empfunden und erst durch die immer weiter gehende Ver- vollkommnung der Ohronometer gehoben. Auch Hipparch brachte eine Art von chronometrischem Verfahren in Vorschlag. Unter der Voraussetzung, daß der Eintritt einer Himmelserscheinung, z. B. der Beginn einer Mondfinsternis, von allen Bewohnern eines Erdteils in demselben Augenblick gesehen wird, sollte die Zeit des Eintritts für verschiedene Orte festgestellt und aus dem Unter- schied der Ortszeiten der Unterschied der Längen berechnet werden. Abb. 24. Pol A C ß Stereograiiliisclie und orthographische Projektion. Für die kartographische Darstellung bediente sich Hipparch zur Abbildung des Himmels der stereographischen i), zur Abbildung von Ländern meist der orthographischen Projektion. Bei der ersten Projektionsart wird eine Ebene zwischen das Auge und die abzu- bildende krumme Fläche gebracht. Jeder Strahl, der einen Punkt der letzteren mit dem Auge verbindet, schneidet jene Ebene. In- folgedessen projizieren sich die Punkte der krummen Fläche in der Weise auf die Ebene, daß das Auge von dem Bilde auf der Ebene denselben Eindruck bekommt, den es von der krummen Fläche, z. B. der Halbkugel des Himmels, erhält. Bei der ortho- graphischen Projektion dagegen wird von jedem Punkte der dar- zustellenden krummen Fläche eine Senkrechte auf die Projektions- ebene gefällt. Das Bild auf dieser macht also den Eindruck, den die krumme Fläche einem weit entfernten Auge bietet. Die Begründung einer Physik der Gase und der Flüssigkeiten. Während die Astronomie und die Geographie sich mächtig entwickelten und im 2. Jahrhundert nach dem Beginn der christ- 1) Die stereographische Projektion wurde auch von Ptolcmäos empfohlen. Ob Hipparch sie kannte, ist nach Hoppe nicht sicher. 190 Fortschritte der Mechanik. liehen Zeitrechnung innerhalb derselben alexandrinischen Aka- demie durch Ptolemäos eine zweite Blütezeit erlebten, schien die wissenschaftliche Mechanik nach den hoffnungsvollen Anfängen, 1 die man dem Archimedes verdankte, zum Stillstande verurteilt zu sein, obgleich sich auch diese Wissenschaft für die Anwendung des durch die Mathematik gebotenen, deduktiven Verfahrens so ■; sehr eignete. Abgesehen von der Schwerpunktsbestimmung körper- licher Gebilde — Archimedes hatte sich hierbei auf Flächen be- schränkt — machte die theoretische Mechanik kaum wesentliche Fortschritte. Jene Bestimmungen rühren von Pappos von Alexan- drien her, der im 4. nachchristlichen Jahrhundert lebte und somit einer späteren Periode angehört. Pappos befaßte sich nach dem Vorbilde des Archimedes auch mit der Untersuchung von Rotationskörpern und kam dabei auf einen wichtigen allgemeinen Satz, der später unter dem Namen der Guldinschen Regel bekannt geworden ist. Pappos fand nämlich, daß der Inhalt eines Rotationskörpers aus der Fläche der sich drehenden Figur und dem von ihrem Schwerpunkt beschrie- benen Kreise berechnet werden kann. Diese Regel wurde im Laufe der Jahrhunderte vergessen und von Guldin (1577 — 1643), nach dem sie heute die Guldin sehe Regel genannt wird, von neuem gefunden. Weit mehr als um die Fortbildung der theoretischen hat man sich während der alexandrinischen Zeit um die der praktischen Mechanik bemüht. Man versah z. B. die Wasseruhren mit einer .Zeigervorrichtung und erfand die Feuerspritze i). Diese besaß, nach einem im 18. Jahrhundert aufgefundenen, aus der römischen Kaiserzeit herstammenden Exemplar 2) zu urteilen, schon im Alter- tum eine im wesentlichen der heutigen entsprechende Einrichtung. (Abb. 25.) Auch gewann man damals einige Kenntnis von der Natur der Gase und der Dämpfe. Besonders verdient um dieses Gebiet machte sich Heron von Alexandrien, dessen Name noch heute in einem bekannten Apparat unserer physikalischen Sammlungen, dem Heronsball, fortlebt 3). Herons Tätigkeit fällt vielleicht um das Jahr 100 v. Chr. Doch ist die Frage, welchem Zeitalter er 1) Die Erfindung der Feuerspritze wird dem Ktesibios (um 150 v. Chr.) zugeschrieben. Siehe Vitruvius, De architectura X, 7. 2) 1795 in der Nähe von Civitavecchia ausgegraben. 3) Einen sehr ausführlichen Artikel über Heron enthält Paulys Real- enzyklopädie f. d. klass. Altert. Bd. VIII (1913. . S. 992—1080. Die Erfindung der Feuerspritze. 191 eigentlich angehört hat, noch immer nicht mit Bestimmtheit gelöst. Näheres über diese ..Heronische Frage" enthält die Einleitung der unten erwähnten Ausgabe der Werke Herons (s. S. 192 Anm. 4). Sein Verdienst bestand darin, daß er zahlreiche Erfindungen der alten Physiker und Techniker zusammenstellte und dadurch die Entwicklung, welche die Physik seit dem 16. Jahrhundert nahm, in hohem Grade befruchtete. Von eigenen Erfindungen Herons ist in seinen Schriften kaum die Rede. Seine „Pneumatik" ist das erste auf uns gelangte Werki), das sich mit Versuchen über Abb. 25. Die Feuerspritze nach Heron. die Eigenschaften der Luft und der gespannten Dämpfe ; be- schäftigt. Daß Heron auf diesem Gebiete zahlreiche Vorgänger besaß, ist daraus ersichtlich, daß er seine „Pneumatik" mit folgenden Worten beginnt: „Die Beschäftigung mit Luft- und Wasserkünsten ist von den alten Philosophen und Mathematikern hoch geschätzt worden. Es ist daher notwendig, das seit alters darüber Bekannte in gehörige Ordnung zu bringen ..." 1] Herons von Alexandria Pneumatica et Automata. Griechisch und deutsch herausgegeben von Willielm Schmidt. Teubner, Leipzig 1899. Herons „Pneumatik" wurde 1575 durch Commandinus aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt und im Druck herausgegeben (Heronis Alexandrini Spiritualium Über. A Federico Commandino Urbinate. Ex Graeco nuper in Latinum conversus. Urbini 1575). Der Urtext wurde zuerst 1693 von Thevenot veröffentlicht. 192 Geschichtliche Zusammenhänge. Unter den Vorläufern Herons ist als einer der frühesten, der uns bekanntgeworden ist, Ktesibios von Alexandrien zu nennen (um 140 v. Chr.). Letzterer fand einen Nachahmer in Philon von Byzanz. Bei ihm findet sich schon die Beschreibung des Heronsballs, der also eigentlich als Philonsball bezeichnet werden müßtet). Auch das Thermoskop begegnet uns schon bei Philon^). Philons „Pneu- matik" und Herons „Mechanik" waren bis vor kurzem nur in spärlichen Fragmenten bekannt. Da entdeckte man, daß arabische Übersetzungen der griechischen Texte existieren. So wurde man 3) 1894 mit der „Mechanik" Herons und 1897 mit der „Pneumatik" des Philon von Byzanz bekannt. Die Gesamtausgabe der Werke Herons ist für die Geschichte der Mathematik sowie der reinen und der angewandten Naturwissenschaften von großer Bedeutung. Das Automatenwerk Herons ist auch kunstgeschichtlich von Wichtigkeit, da es manchen Aufschluß über die antiken Bühnen- einrichtungen gibt*). Heron beschreibt in seiner „Pneumatik" eine große Anzahl von Apparaten, welche durch erwärmte Luft oder Dampf in Bewegung gesetzt werden. Die Abbildungen, von denen wir einige hier wiedergeben, rühren nicht von Heron selbst, sondern von einem späteren Herausgeber her^). Handelt es sich zum Teil auch um physikalische Spielereien, so begegnet uns doch manches, was den Anstoß zu späteren Er- findungen gegeben hat. Insbesondere gilt dies von einem Apparat, bei dem der Dampf in derselben Weise einen Körper in drehende Bewegung versetzt, wie es das ausströmende Wasser bei den Reaktionsrädern bewirkt. Die Maschine Herons (Abb. 26) be- steht aus einem Kessel, von dem zwei senkrechte Röhren aus- gehen. Zwischen ihnen befindet sich eine drehbare Halbkugel mit zwei Ansätzen, aus welchen der in die Halbkugel geleitete Dampf 1) W. Schmidt, Aus der antiken Mechanik. Neue Jahrbücher für das klassische Altertum. Bd. 13 (1904). S. 329. 2] W. Schmidt, Die Geschichte des Thermoskops (Abhandl. z. Gesch. d. Mathem. Bd. VIII. S. 161—173). 3) Durch Carra de Vaux. Dieser gilt jedoch als wenig zuverlässig. 4) Heronis Alexandrini Opera quae supersunt omnia. Leipzig, B. G. Teubner. Bd. I: Druckwerke und Automatentheater, griechisch und deutsch herausgegeben von W. Schmidt. 1899. Bd. II: Herons Mechanik und Kat- optrik, herausgegeben und erläutert von L. Nix und W. Schmidt. 1901. Bd. III: Herons Vermessungslehre und Dioptra, griechisch und deutsch von H. Schoene. 1903. 5) Baldo V. Urbino. Dampfkugel und Heronsball. 193 in tangentialer ßichtung entweicht. Dadurch wird die Kugel in Drehunsf versetzt. Abb. 26. Heron verwendet den Dampf zum Betriebe einer maschinellen ] Einrichtungr. Den nach ihm benannten Ball (s. Abb. 27) beschreibt Heron in folgender Weise: „In die Öffnung eines Gefäßes wird eine Röhre ein- gelötet, die fast bis auf den Boden reicht und in eine enge Mündung ausläuft. Durch eine seitliche Öff- nung gießen wir AVasser in das Gefäß. Darauf blasen wir in diese Öffnung hinein, während wir auf die enge Mündung der senkrechten Röhre den Finger legen. Schließen wir (^ann die seitliche Öffnung und nehmen wir den Finger von der senkrechten Röhre fort, so wird in ihr das Wasser durch die hineingeblasene, zusammengepreßte Luft empurgetriel)en." Abb. 27. Der Heronsbal Uau iiemunu, Die Naturwisseimclinlteii. l. Lfd. 2. Aufl. 13 194 Die Natur der Luft. Endlich sei hier noch Herons Abbildung des Hebers wieder- gegeben (s. Abb. 28). „Befindet sich", sagt Heron in seiner Er- läuterung dieses Apparates, „die Hebermündung in gleicher Höhe mit dem Wasserspiegel, so wird der Heber, obgleich er voll Wasser ist, nicht fließen, sondern gefüllt bleiben. Es ist nämlich^ wie bei einer Wage, das Wasser in diesem Falle im Gleichgewicht, indem es bestrebt ist, auf der Seite S^ ß sich zu heben und auf Seite ß y sich zu senken. Ist aber die äußere Mündung des Hebers niedriger als der Wasserspiegel, so fließt das Wasser aus, da das in dem Ab- schnitte v.ß befindliche Wasser, das schwerer ist als das in ß ^, letzteres überwältigt und anzieht." Was die Natur der Luft betrifft, so meint Heron, daß sie aus Teilchen bestehe, die wie die Körnchen des Sandes durch leere Zwischenräume getrennt seien. Dies beweise zumal der Umstand, daß sich noch Luft in eine Kugel zu der darin vorhandenen füllen lasse, was darauf beruhe, daß die neuen Luftteilchen an Stelle der leeren Räume treten. Wolle man annehmen, die Luft fülle den vor- handenen Raum ganz aus, so würde eine Kugel beim Hineinbringen einer weiteren Luftmenge platzen müssen. Gäbe es keine Vakua, fügt Heron noch hinzu, so könnten weder Licht noch Wärme durch Wasser oder andere Flüssigkeiten dringen. Wenn nämlich die Flüssig- keit keine Poren hätte, die Strahlen also mit Gewalt ins AVasser drängen, so müßten volle Gefäße überlaufen * . Jeder Körper be- steht deshalb, nach Heron, aus kleinen Teilchen und dazwischen befindlichen leeren Räumen. Ein kontinuierliches Vakuum sei da- gegen ohne Mitwirkung einer äußeren Kraft nicht möglich 2). Daß die Luft ein Körper ist, beweist Heron, indem er ein leeres Gefäß umgekehrt ins Wasser taucht. Auch bemerkt er, die Luft habe eine eigentümliche Spannkraft, indem sie sich, wie Abb. 28. Herons Abbildung eines Hebers. 1) Ausgabe von Schmidt. S. 24. 2- Ansgftlie von Schmidt. S. 29. Automaten und Wasserorgeln. 195 ein trockener Schwamm, nach dem Zusammendrücken wieder ausdehne. Zu welch überraschenden Kunststücken man diese Kenntnisse zu verwerten wußte, zeigt uns die, durch nebenstehende Abbil- dung (29) erläuterte, auf der Ausdehnung und der Zusammen- ziehung der Luft beruhende Vorrichtung. Wird auf dem Altar E ein Feuer angezündet, so treibt die erwärmte Luft infolge ihrer Ausdehnung das Wasser, das sich in der Kugel P befindet, in das aufgehängte, mit einem Dreh- werk verbundene Gefäß M. Letzteres sinkt infolge seiner Gewichtszunahme und öffnet die Tür. Nach dem Erkalten der Luft strömt das Wasser durch die Röhre L nach P zurück, und die Tür wird durch das Gegengewicht D geschlossen, während das Gefäß M in seine frühere Lage zurückkehrt. Sowohl eine Beschrei- bung in Herons „Pneuma- tica", als auch die archäo- logischen Funde liefern den Beweis, daß man im spä- teren Altertum schon Orgeln mit Klaviaturen besaß, die man wie unsere heutigen Orgeln und Klaviere benutzte (Abb. 30). Sie wurden durch Wasser betrieben, mit dessen Hilfe man die Luft in einem Kasten zusammenpreßte (Wasserorgel oder hydraulus). Eine aus Ton verfertigte Orgel wurde vor einiger Zeit in Karthago auf- gefunden. Sie läßt außer den Einrichtungen, die zur Herstellung des Luftstromes dienen, drei Reihen von Orgelpfeifen und eine Klaviatur erkennen 2), Abb. 29. Herons Automat zum Offnen der Tempel i). 1) Heronis Alexaudrini spiritualium lilicr. Amstelodami 1680. Siebe auch Mach, Die Prinzipien der Wärmelehre. Leipzig 1896. S. 5. -) Das ..Klavier" der alten Römer (Mitteil, zur Geschichte d. Medizin u. Naturwiss. 1905. S. 342 . Der Bau der Wasserurgeln hat sich während des Mittelalters im oströmischen Reich erhalten, so daß die Konstruktion nicht, wie man früher annahm, gegen den Ausgaiiji des Mittelalters von neuem ent- deckt \ve;ilen mußte. 18* 196 Feuerspritze. Heron bringt ferner eine Beschreibung der Feuerspritze, deren Rekonstruktion in Abb. 25 wiedergegeben wurde (s. S. 191). Seine Beschreibung lautet: „Es seien a ß y d und str]-^ zwei bronzene Stiefel, deren Inneres für zwei Kolben ausgedrechselt ist. Die Kolben müssen luftdicht in die Stiefel passen. Letztere seien durch das an beiden Enden offene Rohr § o d L. miteinander ver- bunden. Außerhalb der Stiefel, aber innerhalb dieses Rohres, sollen Abb. 30. Wasserorgel oder hydraulus. Klappenventile 7c und q derart angebracht sein, daß sie sich nach der Außenseite öffnen können. Die Stiefel sollen auch auf dem Boden runde Löcher haben, die mit kleinen, geschliffenen Scheib- chen bedeckt werden. Letztere sind durch Stifte und Häkchen so angebracht, daß sie sich wohl auf- und abbewegen, aber sich nicht von den Offnungen seitlich entfernen können. Mit den Kol- ben seien Kolbenstangen und ein Querbalken verbunden. Mit dem Rohre, das die beiden Stiefel verbindet, stehe ein vertikales Steig- rohr in Verbindung. Dieses verzweige sich bei g zu einem Doppel- arm, der zu einer drehbaren Mündung führt')." Die beschriebene ij Schmidt, a. a. Ü. S. 133. Thermoskop und Saugkerze. 197 Vorrichtung stimmt also mit der heutigen Feuerspritze überein, nur daß der Windkessel fehlt. Ein Teil der zahlreichen, in Herons „Pneumatica" beschrie- benen Versuche stammt von Philon von Byzanz, der gleich Heron ein Schüler des Ktesibios war. Da einige von diesen Versuchen eine grundlegende Bedeutung haben, so seien sie hier angeführt. So stellte Philon ein Thermoskop her, das auf der Ausdehnung der Luft durch die Wärme beruhte. In eine Bleikugel a wurde das doppelt gebogene Rohr b (s. Abb. 31) luftdicht eingefügt. Das andere Ende des Rohres mündete unter Wasser. Brachte man die Bleikugel in die Sonne, so strömte die Luft durch b aus. Wurde dagegen die Bleikugel ab- gekühlt, so gelangte] Wasser durch b in die Kugel a'). Abb. 31. Philons Thermoskop. Abb. 32. Philons Saugkerze. Die Abbildung 32 zeigt uns Philons Saugkerze. In dem Gefäße a befindet sich Wasser und eine brennende Kerze. Über diese wird d gestülpt 2). „Man wird", sagt Philon, „bald das Wasser aufwärtssteigen sehen. Dies geschieht, weil die in d ent- haltene Luft durch die Bewegung des Feuers verflüchtigt wird. Das Wasser steigt empor, je nach der Quantität Luft, welche ver- flüchtigt wird." Daß stets nur eine gewisse Menge Luft ver- schwindet, entging also der Beobachtung des alten Physikers. Immerhin begegnet uns hier schon derselbe Versuch, den im 18. Jahrhundert Scheele und andere anstellten, um zu beweisen, daß die Luft aus zwei verschiedenen Gasen zusammengesetzt ist. ') Heronis Alexandrini opera, ed. Schmidt. S. 47ö. 2) Ausgabe von Schmidt. Abb. 115. 198 Flaschenzug. Weitere Fortschritte der Mechanik. Heron hat auch über die Mechanik der festen Körper ein Werk geschrieben, das lange als verloren galt und nur auszugs- weise durch den späteren Alexandriner Pappos (um 3QP n. Chr.) erhalten geblieben ist*). Wie Pappos mitteilt, hat Heron in diesem Werk die fünf Potenzen behandelt, nämlich den Hebel, das Rad an der Welle, den Keil, die Schraube und den Flaschenzug. ß=B=^ Abb. 33. Herons Flaschenzug. So wird, um ein Beispiel zu bringen, der Flaschenzug mit folgenden Worten beschrieben: „Wenn wir eine Last aufziehen wollen, so müssen wir an einem daran gebundenen Seil mit einer Kraft ziehen, welche der Last gleich ist. Wenn wir aber das eine Ende des Seils an einem festen Ort anbinden und das andere Ende um eine an der Last befestigte Rolle legen, so werden wir die Last leichter bewegen. Und wenn wir an dem festen Ort eine zweite Rolle an- bringen und das Seil auch um diese legen, werden wir die Last 1) Pappi Alexandrini collectionis lib. VIII, ed. F. Hultsch. Berlin 1878. Über die vor kurzem entdeckte arabische Bearbeitung der Mechanik Herons siehe die folgende Seite. Wegmesser. 199 Seine Einrichtung ist aus noch leichter bewegen. Aber wir bringen nicht die einzelnen Rollen an dem festen Ort, sondern, um ihre Achse drehbar, in einem hölzernen Gehäuse an, das wir eine Flasche nennen, und binden diese Flasche mit einem Seile an den festen Ort. Die- jenigen Rollen, die mit der Last verbunden werden sollen, schließen wir in eine andere, der ersten gleiche Flasche eini,. Je zahl- reicher die Rollen, desto leichter läßt sich die Last heben.'- An anderer Stelle löst Heron die Aufgabe, durch Zahnradübertra- gungen vermöge der Kraft 5 die Last 1000 zu heben (s. Abb. 17)2). Durch eine ähnliche Übertragung finden wir schon bei Heron das Prinzip des Taxameters gelöst. Abb, 84 ersichtlich. An der Nabe des Rades befindet sich ein Stift, der das horizontale, mit 8 Speichen versehene Rad E Z jedesmal um eine Speiche weiter dreht. Einer Umdrehung des Rades E Z entspricht eine Fortbewegung des über E Z befindlichen Zahnrades um einen Zahn. Die Übertragung er- folgt durch das Schneckengewinde über E Z. Diese Übertragung wiederholt sich so oft, daß eine Umdrehung des letzten Zeigers mehrere tausend Um- drehungen des Wagenrades oder auch direkt den zurückgelegten Weg in Stadien anzeigt^). Neuerdings ist die Mechanik Herons nach einer arabischen Handschrift in französischer Übersetzung herausgegeben worden''). Heron bringt nicht nur die Beschreibung und die Theorie der fünf einfachen Maschinen, sondern er beschäftigt sich auch ein- gehend mit Schwerpunktsbestimmungen. So findet er den Schwer- Abb. 34. Herons Wegmesser ■ ») Ausgabe von Schmidt. Bd. IL S. 102. -] Papp. Kap. X. Heron, Opera omnia, Ausgabe v. Schmidt. Bd. IL LTeil. S. 259. 3, Di eis, Ant. Teclinik, Abb. 28. ■•, Näheres über derartige antike Automaten enthält Diels' Antike Technik im 8. Abschnitt. Leipzig, B. G. Tcubner. 1914. ••; Von Carra de Vaux im Journal asiatique X, 1—2. Von dem griechi- schen Text sind nur einige Fragmente vorhanden. Bd. II der Opera omnia (Ausg. V. Schmidt) enthält die Übersetzung der Mechanik nach der arabi- schen Bearbeitung dieser Schrift Herons. Die Katoptrik wurde nach einem lateinischen Text übersetzt. 200 VermessungskuTifle. punkt des Dreiecks als den Schnittpunkt der Mitteltransversalen, die sich im Verhältnis 2 : 1 teilen. Um den Schwerpunkt des un- regelmäßigen Vierecks zu finden, zerlegt er es durch eine Diago- nale in zwei Dreiecke, verbindet deren Schwerpunkte und teilt dann diese Verbindungslinie im umgekehrten Verhältnis der Ge- wichte dieser Dreiecke. Beim Hebel und beim Flaschenzug untersucht Heron das Ver- hältnis des Kraftweges zum Lastwege oder das der Zeiten, welche die Last, je nach dem Kraftgewinn, zum Emporsteigen auf eine bestimmte Höhe gebraucht. Er gelangt dabei zu dem Gesetz, das wir heute als die goldene Regel der Mechanik bezeichnen. Die Fassung, welche er diesem Gesetz gibt, lautet: „Das Verhältnis der Zeiten ist gleich dem umgekehrten Verhältnis der bewegenden Kräfte i)." Nicht so klar ist Heron die Theorie der Schraube und des Keiles geworden. Hier vermag er das Verhältnis von Kraft zu Last nicht anzugeben. Es rührt dies daher, daß er Keil und Schraube nicht auf die schiefe Ebene zurückführt, sondern sich ver- geblich abmüht, sie aus der Hebelwirkung zu erklären. Die schiefe Ebene wird von ihm nicht zu den einfachen Maschinen gerechnet und gleichfalls in ihrer Wirkung noch nicht richtig erkannt 2). Die wissenschaftlichen Grundlagen der Vermessungskunde. Eine besondere Würdigung verdienen noch Herons Bemühun- gen um die Ausgestaltung der Feldmeßkunst. Heron verfaßte eine Schrift „Über die Dioptra" ^). Es ist das ein Meßapparat, in dem wir das Urbild des heutigen Theodolithen erblicken müssen. Eine Rekonstruktion des interessanten Instrumentes ist in neben- stehender Abbildung wiedergegeben *). Die Hauptteile waren die auf dem Stativ ruhende Platte A B und das Zahnrad FJ^ welches 1) Journal asiatique IX, 2. S. 264 u. f. 2j Eine gute Übersicht über das physikalische Wissen Herons bietet die Programmabhandlung von F. Knauff, Sophiengymnasium, Berlin. Ostern 1900. 3) Der griechische Text wurde 1858 von Venturi und Vincent mit französischer Übersetzung herausgegeben, und zwar in den Notices et extraits des manuscrits de la bibliotheque imperiale XIX, 2. Paris 1858. Dioptra heißt etwa Sehrohr oder Instrument zum Visieren durch zwei sich gegen- überstehende Offnungen (siehe die Abb. 35). *) Sie rührt von Hermann Schöne her und wurde im Jahrbuch des Kaiserl. deutschen archäolog. Institutes (Bd. XIV. 1899. Heft 3) veröffentlicht. TV inkelmeßapparat. 201 durch die Archimedische Schraube E Z in Bewegung gesetzt wurde und dadurch eine Drehung des ganzen Instrumentes um eine verti- kale Achse ermöglichte. Eine zweite Archimedische Schraube be- fand sich über K^. Man erkennt, daß sie die Aufgabe hatte, vermittelst des vertikal gestellten , halbkreis- förmigen Zahnrades die oberste, mit demVisier- lineal versehene Platte um eine horizontale Achse zu drehen. Da die Platte nicht un- mittelbar auf dem halb- kreisförmigen Zahn- rade aufsaß, sondern an eine rechteckige Fort- setzung des letzteren angeschlossen war, so konnte die Drehung um die horizontale Achse vermittelst der oberen Archimedischen Schraube so lange fort- gesetzt werden, bis die große Platte eine senk- rechte Stellung ein- genommen hatte. Es ließ sich somit jeder Horizontal- und jeder Höhenwinkel mit Hilfe dieses Apparates mes- sen, so daß die Dioptra zur Lösung von Auf- gaben der Feldmeßkunst vortrefflich geeignet war. Die Ein- stellungen wurden durch Wasserwage und Bleisenkel vermittelt. Ferner besaß das Diopterlineal, um auch kleinere Winkel noch ablesen zu können, eine bedeutende Länge. Von den zahlreichen Aufgaben, für welche Heron in seiner Schrift das einzuschlagende Meß- und Berechnungsverfahren an- Abb. 35. Herons Witikclmeßapparat. 202 Vermessunjj: eines Feldes. gibt, seien hier nur einige erwähnt. Die wichtigste Aufgabe war die Aufnahme eines Feldes von beliebiger Umgrenzung. Heron verfuhr dabei wie folgt: Zunächst wurde ein großes Rechteck so abgesteckt, daB es innerhalb der Umgrenzung lag (siehe Abb. 36). Dann wurde für viele Punkte der Umgrenzung der senkrechte Abstand von der zugewandten Seite des großen Rechtecks ge- messen. Auf diese Weise wurde der außerhalb des Rechtecks liegende Teil des zu messenden Feldes in kleinere Abschnitte von möglichst regelmäßiger Form zerlegt, deren Flächeninhalt leicht annähernd ausgemessen werden konnte. 11 Abb. 36 .0 1 31 Herons Vermessung eines Feldes. Ein Blick auf die Abbildung lehrt uns, daß Heron hier mit rechtwinkligen Koordinaten arbeitet, und daß er die umgrenzende Linie recht genau in den Plan einzeichnen konnte, wenn er nur recht viele Senkrechte von den Punkten der Linie aus nach den Rechteckseiten errichtete und ausmaß. Weiter zeigt Heron, wie man die Breite eines Flusses er- mittelt, ohne ihn zu überschreiten. In einem andern Abschnitt wird die Aufgabe gelöst, ein Feld mit Hilfe eines Planes wieder abzustecken, wenn die Umfriedigung mit Ausnahme weniger Grenz- steine verlorengegangen ist^). Ein Abschnitt (30) entwickelt die i; Siehe Abschn. 25 des Heron sehen Werkes sowie Cantor, Geschichte der Mathematik. Bd. 1. S. 324. Herons Formel. 203 Heronsche Formel für die Fläche eines Dreiecks, dessen drei Seiten gegeben sind. Sie lautet: 1/ a + b + c a + b — c a+c — b b + c — a ^—y 2 2 ■ 2 2 üb Heron diese Formel selbst gefunden oder anderen entlehnt hat, ist nicht bekannt. Auch weiß man nicht, wie groß sein An- teil an der Konstruktion der Dioptra ist. Sicherlich bestand die Feldmeßkunst in Ägypten schon Jahrtausende vor Heron. Doch waren ihre Regeln zum Teil recht mangelhaft, so daß mani) an- nimmt, daß Heron, auf den Arbeiten seiner Vorgänger fußend, ein amtliches, zahlreiche Verbesserungen aufweisendes Lehrbuch der Feldmeßkunst lieferte. Dieses hat dann auch den Römern als Handbuch gedient. Stand doch bei diesem Volke die Ver- messungskunde, wie bei dem praktischen Grundzuge der Römer nicht anders zu erwarten ist, in hoher Blüte. Wie hätte sich z. B. die Anlage ausgedehnter Wasserleitungen ermöglichen lassen, wenn die Kunst des Nivellierens, für welche man sich ebenfalls der Dioptra bediente, den Römern nicht geläufig ge- wesen wäre. Während der griechische Text der „Dioptra" schon seit 1858 bekannt ist, entdeckte man erst 1896 Herons „Metrika", ein Werk, das seit dem 6. Jahrhundert verschollen war. Die „Metrika"' Herons 2) stellen ein Handbuch dar, das eine Anweisung zur Tei- lung und Berechnung von Flächen enthält, während die „Dioptra" 3) Herons die Beschreibung der wichtigsten geodätischen Hilfsmittel und eine Anzahl von Aufgabenbeispielen lieferte. Zu den Aufgaben, deren Lösung Heron bringt, gehört außer den Nivellierungen auch die Absteckung von Geraden zwischen zwei Punkten, von denen der eine nicht vom andern aus gesehen werden kann. Die Aufgabe war schon im Altertum praktisch wichtig, z. B. wenn es galt, einen Tunnel durch einen Berg zu graben. Daß die alten Ingenieure schon Tunnelbauten von beträchtlicher Länge ausführten, beweist die im Jahre 1884 erfolgte Freilegung eines Tunnels von etwa 1000 m Länge durch den Kastroberg (auf Samos). ij Siehe Cantor, Geschichte der Mathematik. I (1907). S. 382 u. f. 2) Heronis Alexandrini Opera, (piae supersunt omnia. Auegabe von Schmidt. Bd. I -III. Leipzig 1889, 1900, 1903. Die „Metrika" finden sich im III. Bande; sie wurden von R. Schöne 1896 entdeckt. 3j Siehe S. 200. Anm. 3. 204 Herons Tunnelaufgabe. Wie Heron die Aufgabe löste, einen Berg zu durchstechen, wenn die Mündungspunkte des Durchstichs gegeben sind, zeigt uns Abb. 37. Wir sehen, daß er sich auch hierbei wieder eines Systems von rechtwinkligen Koordinaten bediente. Heron schließt seine Darstellung mit den zuversichtlichen Worten: „Wird der Tunnel auf diese Weise hergestellt, so werden sich die Arbeiter von beiden Seiten treffen." Der Tunnel durch den Kastroberg ist durch deutsche For- schungen wieder entdeckt worden. Er hatte den Zweck, eine jen- seits des Berges befindliche Quelle mit der Stadt zu verbinden. Abb. 37. Herons Tunnelaufgabe. Diese Anlage, die Herodot als ein Wunderwerk preist, ent- stand zur Zeit des Polykrates. Sie verdient auch deshalb Be- wunderung, weil die Arbeit ja ohne die modernen Sprengmittel geleistet werden mußte ^). Ein weiteres Beispiel für den Tunnelbau der Alten bietet der noch jetzt vorhandene Abfluß (Emissar) des Albaner Sees. Dieser Abflußkanal ist ein Stollen von 1200 m Länge. Seine Breite be- trägt IY2 ni, seine Höhe 2 — 3 m^j. Als eine Ingenieurarbeit größeren Umfangs ist aus der griechischen Geschichte die Trocken- legung des Kopaissees unter Alexander dem Großen zu er- wähnen 3). 1) Diels, Antike Technik. S. 9. 2) E. Merkel, Die Ingenieurtechnik ira Altertum. 1899. S. 151. 3) F. Zink, Die Entwicklung der Entwässerungen mit offenen Gräben Naturbeschreibung und Heilkunde. 205 Bei Heron begegnen uns auch die ersten Anweisungen dar- über, wie man sich beim Bergbau unter der Erde zu orientieren hat. Aus diesen Anfängen hat sich, besonders seit dem Zeitalter Agricolas, des Begründers der neueren Mineralogie (16. Jahr- hundert), die Markscheidekunst entwickelt. Durch Herons Schriften wird man am besten mit dem kon- kreten Messen und Rechnen seiner Zeit und mit den damals ge- bräuchlichen Maßen bekannt. Für das kaufmännische Rechnen fehlt es leider an einer ähnlichen Überlieferung i). Doch be- gegnet uns bei Heron die schon im alten Ägypten gepflegte Verteilungs- und Gesellschaftsrechnung. Bekannt ist beispiels- weise Herons Brunnenaufgabe. Es wird darin nach der Zeit gefragt, innerhalb deren durch mehrere Röhren ein Behälter mit "Wasser gefüllt werden kann, wenn man die Füllzeit für jede einzelne Röhre kennt. Heron hat auch eine Katoptrik geschrieben. Sie läßt uns erkennen, daß schon im Altertum die Ansicht bestand, daß die Natur nichts vergeblich tue. Von diesem Prinzip ausgehend, wurde die gradlinige Ausbreitung des Lichtes erklärt. Die gleiche Be- trachtungsweise leitete Heron bei dem Nachweise, daß der Weg, den das einfallende und das reflektierte Licht zurücklegt, nur dann ein Minimum ist, wenn der Einfallswinkel gleich dem Re- flexionswinkel ist 2). Naturbeschreibung und Heilkunde im alexandrinischen Zeitalter. Bei der Beurteilung der Schriften eines Ptolemäos, Euklid und Heron läßt es sich schwer entscheiden, was diese Männer auf den von ihnen behandelten Gebieten Eigenes, Neues geschaffen, und was sie ihren Zeitgenossen und Vorgängern entlehnt haben. Es kann indessen auch gar nicht die Aufgabe der hier gebotenen, zusammenhängenden Darstellung einer Geschichte der Wissen- schaften sein, im einzelnen Prioritätsansprüche gegeneinander ab- zuwägen. Diese, in der Regel wenig fruchtbringende Aufgabe muß und Drainagen von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. — Drainierungs- anlagen mit Tonröhrea wurden in Babylonien schon um 1900 v. Chr. her- gestellt. 1) Tropf ke, Geschichte der Elementarmathematik. Bd. I. S. 98. -j Haas, Antike Lichttheorien, im Archiv für Geschichte d. Philosophie. 20. Bd. (1907). S. -Jüü. 206 Naturbeschreibung und Heilkunde. der historischen Einzelforschung überlassen bleiben, eine Ein- schränkung, die hier auch gleich für die Behandlung späterer Perioden der "Wissenschaft gemacht sei. Für uns ist es viel wich- tiger, in den jeweiligen Stand der Kenntnisse einzudringen und den logischen Zusammenhang, die bedingenden Ursachen aufzu- weisen. Für diesen Zweck war die etwas ausführlichere Darstel- lung, die wir den genannten drei alexandrinischen Gelehrten ge- widmet haben, von Wert. Während die Astronomie, die Mathematik und einige Zweige der Physik von den Alexandrinern sehr gepflegt und gefördert wurden, wandten sie den beschreibenden Naturwissenschaften eine geringere Anteilnahme zu. Vielleicht ist dies in der kommentatori- schen Gelehrsamkeit der Alexandriner begründet. Bestand doch ihre Hauptaufgabe darin, Handschriften zu vergleichen, zu erläu- tern und zu ergänzen. So sagt Plinius von ihnen: „In den Schulen sitzen und Vorträge anhören, war angenehmer, als durch Einöden zu gehen und Tag für Tag neue Pflanzen zu suchen i)." Als selbständige Wissenschaft hörte die Botanik auf. Sie bestand in der alexandrinischen Schule nur noch als ein Zweig der Heil- kunde, als Heilmittellehre, weiter. Es war deshalb von Bedeutung für die Entwicklung der Botanik, daß auch die Geographen dieses Zeitalters der Pflanzenwelt ihre Aufmerksamkeit zuwandten. Vor allem ist hier Strabon als der größte unter den Geographen der spätalexandrinischen Schule zu nennen. Wenn dieser Mann auch nicht selbst Pflanzenkenner war, so nahm er doch die Pflanzen- und die Tierwelt als Gegenstand seiner Wissenschaft mit Recht in Anspruch, so daß seit Strabons Auftreten die Bedeutung der Botanik für die allgemeine Erdkunde stets gewürdigt worden ist. In höherem Maße als die Botanik wurde die Anatomie bei den Alexandrinern gepflegt. An erster Stelle sind hier Hero- philos (um 300 V. Chr.) und Erasistratos^) (um 280 v. Chr.) zu nennen. Von Herophilos, einem der bedeutendsten Arzte des Altertums 3), rührt die erste eingehendere Untersuchung des Auges her, während Erasistratos die blutführenden Venen von den, nach damaliger Ansicht, mit Pneuma gefüllten Arterien unterschied. 1) Meyer, Geschichte der Botanik. Bd. I. S. 215. 2) Einen ausführlichen Beitrag über Erasistratos enthält Paulys Real- enzyklopädie f. d. klass. Altertum. Bd. VI (1909). S. 333. Er rührt von Well- mann her. 3) Wie Di eis (Antike Technik, S. 24) angibt, maß Herophilos den Puls seiner Kranken mit Hilfe einer Taschenwasseruhr. Anatomie. 207 Erasistratos war auch nahe daran, den Kreislauf des Blutes zu erkennen. Er scheiterte nur an dem soeben erwähnten Irrtum, daß die Arterien das Pneuma (den Luftgeist) enthielten. Anderer- seits erkannte er ganz richtig das Herz als den Ausgangspunkt der Gefäße, sowie das Gehirn als die Ursprungsstelle der Nerven. Vor allem wurde die Anatomie dadurch auf eine sichere Grund- lage gestellt, daß man die Sehnen von den Nerven unterschied und letztere als die Organe der Empfindung sowie die Muskeln als die Werkzeuge der Bewegung kennenlernte. Allerdings waren die Alexandriner in ihren Mitteln nicht sehr wählerisch, da sie selbst vor Vivisektionen an Menschen nicht zurückscheuten '). 1) Haeser, Geschichte der Medizin. Bd. I. S. 233. 5. Die Naturwissenschaften bei den Römern. Weit später als in Griechenland und in dem von Griechen bewohnten Süden Italiens entwickelte sich eine höhere geistige Kultur in Mittelitalien. Die Hauptmasse der Bevölkerung dieses Teiles der Apenninenhalbinsel war in vorgeschichtlichen Zeiten, als ein den Hellenen und Kelten verwandtes Volk, über die Alpen eingedrungen. Sie war dort zunächst mit den Etruskern, einem Volk, dessen Abstammung zweifelhaft ist, in Berührung ge- treten. Erst weit später machte sich der Einfluß der in Süditalien bestehenden griechischen Ansiedelungen auf die mittelitalischen Völkerschaften geltend. Es geschah dies erst, nachdem letztere unter der Führung Roms eine staatliche Einigung erfahren hatten. Während man sich in den unserer Zeitrechnung vorangehen- den Jahrhunderten in der Stille des alexandrinischen Gelehrten- tempels die Welt zu erkennen mühte, hatte man sie von Mittel- italien aus durch die Gewalt der Waffen unterjocht. Griechenland war schon länger als ein Jahrhundert römische Provinz, als im Jahre 30 v. Chr. Ägypten dasselbe Schicksal ereilte. Die politische Umgestaltung dieses Landes vollzog sich jedoch allmählich, da der römische Einfluß sich schon lange vor jenem Zeitpunkt in stetig wachsendem Maße geltendgemacht hatte. Diese Umgestaltung war daher auch für die Wissenschaften nicht von solch einschnei- dender Bedeutung, wie später das Hereinbrechen entfesselter, bar- barischer Horden. In dem Maße nämlich, wie die Römer das dem Osten sein geistiges Gepräge verleihende Griechenland politisch überwanden, nahmen sie den Inhalt der griechischen Bildung in sich auf. Sie wurden die Herren, aber zugleich die Schüler der Griechen. Auch aus den reichen literarischen Schöpfungen der Semiten und der Ägypter vermochten die Römer zu schöpfen i). Meister sind sie auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft indessen nicht geworden. Weit mehr entsprach ihrem ganzen Sinne sowie ihren Bedürfnissen eine Fortentwicklung der Technik. Auf diesem Felde 1) Lindner, Weltgeschichte. Bd. I. S. 26. Einfluß des Hellenismus. 209 haben sie, wie die großartigen Überreste ihrer Werke noch heute bezeugen, die Griechen zweifelsohne übertroffen. Doch erfuhr die wissenschaftliche Grundlage der Technik, die Mechanik nämlich, durch die Römer keinen wesentlichen Fortschritt. Wurde auch während der Kaiserzeit Rom, nachdem es zum politischen Mittel- punkt der Welt geworden, neben Alexandria mehr und mehr zu einem Sitz der Wissenschaften, so kann man doch von einem römi- schen Zeitalter der letzteren nicht sprechen. Darüber, sich die Elemente *der griechischen Bildung anzueignen, sind die Römer kaum hinausgekommen, während in dem römisch gewordenen Alexandria ein neuer, bedeutender Aufschwung die ersten Jahr- hunderte unserer Zeitrechnung ausfüllt. Als der Hellenismus etwa um die Zeit des zweiten punischen Krieges das römische Geistesleben zu durchdringen begann, hatte die römische Literatur noch keine Schöpfung von einiger Bedeu- tung aufzuweisen. Ein mit wissenschaftlichen Dingen sich be- fassendes Prosaschrifttum fehlte ihr bis zu dem angegebenen Zeit- punkt noch fast gänzlich. Was auf diesem Gebiete vorhanden war, betraf lediglich die Grundlagen des Rechtswesens, die Führung von Chroniken, den Kultus und die engeren Bedürfnisse des prak- tischen Lebens. Vom größten Einfluß auf die Literatur des römischen Volkes wurde seine Berührung mit den Griechen, zu- nächst mit den Kolonien Süditaliens und später mit dem griechi- schen Mutterlande. Eingeleitet wurde die Berührung zwischen Römer- und Griechentum durch den Handel. Zu einer innigeren Durchdringung kam es jedoch erst durch den kriegerischen Zu- sammenstoß, der die römischen Heere in die griechischen Kolonien und nach Hellas führte und umgekehrt zahlreiche Griechen sowie griechische Kunst- und Wissensschätze nach Rom gelangen ließ. Diese Umwälzungen begannen im 3. vorchristlichen Jahrhundert mit dem tarentinischen (282 — 272) und dem ersten punischen Kriege (264 — 241). Um 200 folgte die Besiegung Makedoniens, und wenige Jahrzehnte später wurde durch Aemilius Paulus dem einst dem römischen an Umfang und Bedeutung gleichen makedonischen Reiche durch die Schlacht bei Pydna (168 v. Chr.) ein Ende bereitet. Zahlreiche Geiseln, zumeist vornehmen und ge- bildeten hellenischen Familien entsprossen, kamen infolge dieses Sieges nach Rom. Eins der wertvollsten Beutestücke, welche der Sieger heimbrachte, war die Bibliothek des makedonischen Königs. Infolge dieser Geschehnisse bildete sich in Rom ein stetig wachsen- der Kreis von Freunden griechischer Bildung, die voll Bewunde- Danuemann, Die Naturwissenschaften. I. Bd. 2. Aufl. 14 210 Einfluß des Hellenismus. rung den Vorträgen nach Rom gewanderter Rhetoren und Philo- sophen lauschten. Aus dieser geistigen Verbrüderung trat mit immer größerer Deutlichkeit das Bestreben hervor, durch die Ver- einigung der realen römischen Macht mit dem Inhalt des griechi- schen Geisteslebens innerhalb eines einzigen Staatsgebildes ein von den bisherigen engen nationalen Schranken befreites Weltbürger- tum entstehen zu lassen. Unter den Männern, die sich gegen diese Entwicklung stemmten, ohne sie jedoch nur im geringsten hemmen zu können, ist besonders Marcus Portius Cato zu nennen. Dem Haß, mit dem er in jeder Sitzung des Senats die Zerstörung Karthagos forderte, kam seine Erbitterung gegen griechische Bildung und griechisches Geistesleben gleich. Aus dieser Stellungnahme er- wuchsen Catos „Unterweisungen", ein Werk, das eine Art Enzy- klopädie darstellte und zeigen sollte, daß die ältere römische Literatur es mit der besonders ihrer Neuheit Avegen so hoch ein- geschätzten griechischen wohl aufnehmen könne. Von Catos „Unterweisungen" sind nur einige Fragmente erhalten geblieben. Dagegen besitzen wir in seinem Buche über die Landwirtschaft (De agricultura) das älteste auf unsere Zeit gekommene Werk des lateinischen Prosaschrifttums. Es ist eine der wichtigsten Quellen für die an späterer Stelle ausführlich zu besprechende „Natur- geschichte" des Plinius gewesen. Von dem die Hellenen beherrschenden Streben, im Einzelnen das Allgemeine, die Idee zu finden, gingen die Römer später zu einem mehr empirischen, oft unkritischen Beobachten des Äußer- lichen über und gelangten auf diesem Wege mitunter zu Platt- heiten, wie sie uns bei Cicero begegnen, der da meinte, die Naturwissenschaft suche entweder nach Dingen, die niemand wissen könne, oder nach solchen, die niemand zu wissen brauche. Es sind manche Vermutungen darüber ausgesprochen worden, weshalb die Römer das von den Griechen begonnene Werk nicht fortgesetzt haben, so daß auf die Begründung der Wissenschaften unmittel- bar ihr weiterer Ausbau gefolgt wäre. Die einen erblicken die Ursache dieser Erscheinung in dem Fehlen der experimentellen Forschungsweise, obgleich doch, wie wir sahen, die Ansätze zu einer solchen in der Blütezeit der alexandrinischen Periode wohl vorhanden waren. Andere meinen, die Römer, welche zwar die berufenen Erben der Griechen gewesen seien, hätten bei ihrer Auf- gabe, die Welt zuerst zu erobern und sie dann zu beherrschen, weder Zeit noch Sinn für die Beschäftigung mit wissenschaftlichen Meßkunat und Astronomie. 211 Dingen gehabt. Auch den Mangel an Werkzeugen für die wissen- schaftliche Arbeit, wie sie die neuere Zeit in Fülle hervorbrachte, hat man dafür verantwortlich machen wollen, daß die Wissenschaft nach ihrer Begründung zunächst keine wesentlichen Fortschritte aufwies. Die Einflüsse, welche die in Frage stehenden sowie ähnliche Erscheinungen in der Entwicklung der Zivilisation und des Geistes- lebens herbeigeführt haben, sind für uns, die wir solch entlegene Zeiten durch ein sehr getrübtes Medium erblicken, nicht mehr scharf erkennbar. Jedenfalls haben hier nicht nur eine oder einige der genannten Ursachen mitgespielt, sondern es hat ein Zusammen- wirken zahlreicher Umstände stattgefunden. Die natürlichen An- lagen, die auch bei nahe verwandten Völkern nicht immer die gleichen sind, sowie die Macht der politischen und der religiösen Verhältnisse werden jedenfalls hierbei in erster Linie den Aus- schlag gegeben haben. So war') „die ganze Geistesanlage der Römer nach wesentlich anderen Gebieten gerichtet als dem der reinen Wissenschaft". Und selbst als Rom Weltreich geworden, betonte Cicero, daß die griechischen Mathematiker auf dem Ge- biete der reinen Geometrie das Glänzendste geleistet, während sich die Römer nur auf die Ausübung des Rechnens und des Aus- messens beschränkt hätten 2). Meßkunst und Astronomie bei den Römern. 1)ie Römer hielten die Feldmeßkunst für wenigstens eben so alt wie Rom. Sie wurde zuerst von Priestern ausgeübt, um das zu den Tempeln gehörende Land abzugrenzen. In der Kaiserzeit war die Feldmeßkunst sehr entwickelt. Wer sie ausüben wollte, mußte eine Schule durchmachen und eine Prüfung ablegen 3\ Die ersten Kenntnisse in der Feldmeßkunst verdankten die Römer sehr wahrscheinlich den Etruskern. Als Meßapparat be- nutzten sie ein Winkelkreuz, das aus zwei in der horizontalen Ebene sich schneidenden Linealen bestand. Eine Abbildung dieses Apparates wurde auf dem Grabe eines römischen Feldmessers ge- funden^). An den Enden der Lineale befanden sich Lote. Die 1) Nach einem Ausspruch Cantors (Gesch. d. Matli. Bd. I. S. 40). '-) Cicero, Tuscul. disput. Lib. I. 2, 5. 3) Siehe Cantor, Rom. Agrimensoren. Leipzig 1875. *) Die betreffende Grabschrift wurde im XIV. Bande der II. Serie der Abhandlungen der Turiner Akademie veröffentliclit. 14* 212 Römische Meßapparate. alten Italer vermochten mit Hilfe dieses Instrumentes, der Groma, und der Meßstange schon die Breite eines Flusses von einem Ufer aus zu bestimmen, ohne den Fluß zu überschreiten. Für diese Aufgabe war sogar eine bestimmte Bezeichnung im Gebrauch i). Das erwähnte, von den Römern benutzte Winkelmeßinstrument haben neuere Aus- grabungen ans Licht gebracht. Die neben- stehende Abbildung 38 stellt ein bei der » K. Abb. 38. Der Meßapparat der Römer. i,- B Limesforschung 2) entdecktes Exemplar dar. Die Abbil- ^ düng 39 zeigt uns eine Re- ^^b. 39. Die Rekonstruktion der Groma. konstruktion. Das Instru- ment 3) der Römer bedeutet gegen Herons Dioptra einen Rück- schritt. Sie benutzten es zur Festlegung der Nord-Süd-Linie und 1) Siehe Cantor, Bd. I. S. 456. 2) In der Nähe von Regensburg. 3) Näheres siehe bei Schmidt, Neue Jahrbücher f. d. klassische Alter- tum. Bd. 13 (1904). S. 329. Ferner Bibl. math. 3. Folge. 4. Bd. Die Frage, ob die römischen Feldmesser von Heron abhängig waren, wird von Schmidt außer Betracht gelassen. Regelung des Kalenders. 213 zum Abstecken rechter Winkel. Als Nivellierlineal bedienten sie sich einer Art Kanalwage. Besonders fand die Groma Verwen- dung, wenn es sich darum handelte, eine Niederlassung oder eine Flur durch ein System rechtwinklig sich schneidender Wege ein- zuteilen. Einen Aufschwung erfuhr die Mathematik zur Zeit Cäsars. Es zeigten sich die Anfänge einer eigenen mathematischen Lite- ratur, wie denn auch Cäsar selbst als Schriftsteller auf mathe- matischem Gebiete tätig gewesen ist. Hat doch Plinius ein von Cäsar verfaßtes und „De astris'* betiteltes Werk vielfach als Quelle für das XVIII. Buch seiner „Naturgeschichte" benutzt. Cäsar hatte sich zwei große Aufgaben auf dem Gebiete der angewandten Mathematik gestellt. Er wollte den in die größte Verwirrung ge- ratenen römischen Kalender verbessern und eine Vermessung des ganzen römischen Reiches ins Werk setzen. Bis zum Jahre 46 v. Chr. hatte man in Rom nach Mondjahren gerechnet und durch ziemlich regelloses Einschieben von Schalt- monaten den Kalender den Jahreszeiten anzupassen gesucht. Der Fehler war indessen schließHch so groß geworden, daß um die Zeit Cäsars der Tag der Frühlingsnachtgleiche 85 Tage vor die wirk- liche Nachtgleiche, also mitten in den Winter fiel. Nach der Rück- kehr von dem ägyptischen Feldzug (47 v. Chr.) regelte Cäsar den Kalender unter Mitwirkung des alexandrinischen Astronomen Sosi- ge nes. Es gelangte die Zeitrechnung zur Einführung, von der uns das Dekret von Kanopus schon Kunde gibt^j. Das Jahr wurde nämlich in der Folge zu 365 Tagen gerechnet und im 4. Jahre, jedesmal vor dem 24. Februar, dem dies sextus ante calendas Martis, ein Tag als bissextus (daher auch annus bissextilis) ein- geschaltet. Die von Cäsar geplante Vermessung des römischen Reiches ist wahrscheinlich auch durch alexandrinische Gelehrte angeregt worden. Die Verpachtung der Provinzen, die Heereszüge und die Ausdehnung der Kriegs- und Handelsflotte ließen diese Arbeit als dringend erforderlich erscheinen. Da Cäsar indessen vorzeitig durch Mörderhand hinweggerafft wurde, blieb die Ausführung dem August US vorbehalten. Die Vermessung, welche der Augustus nahestehende Feldherr und Staatsmann Agrippa leitete, wurde nach fast dreißigjähriger Arbeit im .Jahre 20 v. Chr. beendet und besaß für Italien, Griechenland und Ägypten einen ziemlich hohen 1) Siebe S. 4 dieses Bandes. 214 Vermessung des römisclien Reiches. Grad von Genauigkeit, während andere Länder nur durch Leute, die man Dimensoren nannte, ausgeschritten wurden. Ihr Ergebnis war eine gewaltige Karte, welche in einer für diesen Zweck er- richteten Säulenhalle „der Welt die Welt als Schauspiel" darbot i). Neuerdings sind Zweifel darüber entstanden, ob diese auch wohl nach Agrippa benannte Karte auf Grund genauerer Messungen entworfen wurde. Indessen, .selbst wenn es unentschieden bleibt, welchen Wert die Karte besessen, so ist Agrippas Unternehmen Abb. 40. Peutingers Karte (Balkanhalbinsel). doch ohne Zweifel das Vorbild für spätere, den orbis terrarum umfassende Karten gewesen. Von diesen ist noch heute ein Exem- plar erhalten, das offenbar für strategische Zwecke gedient hat. Es ist unter dem Namen der Tabula Peutingeriana bekannt, ent- hält die Heerstraßen für das ganze römische Reich und befindet sich in Wien 2J. Abb. 40 zeigt den Teil, der die Balkanhalbinsel darstellt. 1) Plinius, Hist. nat. III. 2. -} Ihr früherer Besitzer hieß Peutinger. Er lebte im Anfang des 16. Jahrhunderts in Augsburg und erhielt die Karte von Konrad Celtes, der sie 1500 aufgefunden hatte. Entworfen wurde die Karte im Jahre 375 n. Chr. Celtes war einer der bedeutendsten Humanisten Deutschlands. Er bevorzugte die Realien des Altertums gegenüber den literarischen Erzeugnissen. Pflege der Ingenieurmechanik. 215 Die ganze Karte (Abb. 40 stellt ein Stück aus der Mitte dar), besteht aus einer Rolle von 11 Pergamentblättern und ist etwa 7 m lang und 0,3 m hoch. Die eigentümliche Verzerrung in der Richtung Ost -West ist aus der Rollenform zu erklären. Bei dem Entwurf trat nämlich offenbar der kartographische Gesichtspunkt hinter dem rein praktischen, eine bequeme Übersicht über die Wege zu haben, zurück. Durch die hakenförmigen Unterbrechungen der Wege (Itinerarien) sind die Stationen angedeutet. Ihre Ent- fernungen sind durch Zahlen bezeichnet. Meist handelt es sich um römische Meilen, das sind 1000 Schritte (milia passuum) oder 1482 ml). Mit astronomischen Dingen haben sich die Römer erst ver- hältnismäßig spät und meist nur aus praktischen Gründen be- schäftigt. Mit den Sonnenuhren wurden sie 2) erst um die Mitte des 3. vorchristlichen Jahrhunderts, mit den Wasseruhren etwa ein Jahrhundert später bekannt, während die Chaldäer sich der Sonnenuhren schon 750 v. Chr. bedienten"^). Die Pflege der „Ingenieurmechanik". Wie die Mathematik und die Astronomie, so wurde auch die Mechanik bei den Römern weniger ihrer selbst, als ihres prakti- schen Nutzens wegen gepflegt. Es erwuchs ein Gebiet, das die Bezeichnung Ingenieurkunst oder Ingenieurmechanik verdient und bei den Römern zu hoher Blüte gedieh^). Einen guten Einblick in die Ingenieurmechanik der Römer erhält man durch das den wenig zutreffenden Titel „Über die Architektur*' tragende Werk Vitruvs^). M. Vitruvius Pollio lebte zur Zeit des Augustus. Er befaßte sich besonders mit dem Bau von Kriegsmaschinen und wurde von Augustus mit der Lei- tung des Bauwesens betraut. Eine kurze Inhaltsangabe des Werkes von Vitruv möge uns den damaligen Stand des Wissens erläutern. ') Eine neuere Ausgabe der Karte mit Erläuterungen rührt von K. Miller her. Stuttgart 1916. 2) Plinius, Vn. 60. Siehe auch Bilfinger, Die antiken Stunden- angaben. Stuttgart 1888. S. 75. 3) H. Löschner, Ül)er Sonnenuhren. Beiträge zu ihrer Geschichte und Konstruktion. Graz 1905. Das Buch enthält zahlreiche Quellenangaben. *) C. Merkel, Die Ingenieurmechanik im Altertum. Mit 261 Abbild. Springer, Berlin 1903. •'■') Vitruvius. Zeim Bücher über die Architektur. Übersetzt von Reber. Stuttgart 1865. 216 Pflegte der Inffenieurmechanik. Vitruv beginnt damit, daß er für den Ingenieur eine vielseitige wissenschaftliche Ausbildung verlangt. Er soll nicht nur in der Mathematik bewandert, sondern auch mit den Grundzügen des Rechtes und mit der Heilkunde vertraut sein. Komme doch letztere schon in Frage, wenn es sich um die Wahl passender und gesunder Bauplätze handle. Sehr zutreffend ist auch, was Vitruv über das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis sagt: „Diejenigen, die ohne Wissen- schaft nur nach mechanischer Fertigkeit strebten, haben sich durch ihre Arbeiten niemals maßgebenden Einfluß erwerben können. Umge- kehrt scheinen diejenigen, die sich lediglich auf die Wissenschaft ver- lassen haben, dem Schatten nach- gejagt zu sein. Nur die, welche Theorie und Praxis gründlich be- herrschen, haben die volle Rüstung, um das Ziel, das sie sich gesteckt haben, zu erreichen." Die in diesen Worten ausge- sprochene Mah- nung gilt bis auf den heutigen Tagi). Im zweiten Buche bespricht Römisches Hebezeugs. Vitruv die Bau- materialien. Ge- schildert wird das Brennen und das Löschen des Kalkes. Auch die Puzzolanerde, die mit Kalk vermischt für Wasserbauten Ver- wendung fand, wird erwähnt. Dann folgen Angaben über den Bau von Häusern, Tempeln, Bädern usw. In einem Abschnitte über die Wandmalerei werden als geeignete Farben Zinnober, Kupfergrün und Ocker genannt. Das achte Buch handelt von den Quellen und der Anlage von Wasserleitungen. Erwähnung finden Abb. 41. 1) Beherzigenswert sind die Worte, welche Di eis an sie knüpft, wenn er sagt, es sei der Archimedische Punkt der Pädagogik, in der Jugend welt- offene Anschauung und praktische Fertigkeit, verbunden mit Wissen und wissenschaftlicher Einsicht, zu wecken (Antike Technik, 1914. S. 32,. ^) Terquem. La science romaine ä l'epoque d'Auguste. Paris 1H85. S. 7ö. Fig.. 9. Die Ausbildung der Ingenieure. 217 auch bittere Quellen und Erdölquellen sowie der Asphaltsee bei Babylon, welcher das Bindematerial für die dortigen Bauten lieferte. Im neunten Buche ist besonders von physikalischen und astronomi- schen Dingen die Rede, während das letzte von Pumpwerken, Feuer- spritzen und anderen Maschinen handelt. Von den praktisch-physi- kalischen Instrumenten ist die Schnellwage, die auch heute noch den Namen der römischen Wage führt, wohl dasjenige, das die Römer selbständig erfunden haben und schon in der altrömischen Zeit an- wandten i). Abb. 42 zeigt uns zwei in Pompeji entdeckte Schnell- wagen. Sie werden, wie die Mehrzahl der in Pompeji gemachten Funde, im Nationalmuseum in Neapel aufbewahrt. Die Erfindung der römischen Wage reicht mindestens bis in das 3. Jahrhundert v. Chr. zurück. Das Laufgewicht wurde sehr oft künstlerisch ge- staltet, indem man diesem Teil der Wage die Form einer Frucht (Granatapfel) oder einer Büste (Merkur) gab. Die Leistungen der Römer gingen auf den Gebieten der Architektur und der In- genieurkunst (Brückenbau, Schiffsbau, Anlage von Wasserleitungen, Heerstraßen, kriegs- technischen Arbeiten) jedenfalls über das rein handwerksmäßige Schaffen hinaus. Diese Leistungen setzen nämlich wissenschaftlich und praktisch vorgebildete Architekten und Ingenieure voraus. Besondere Schulen, wie sie für Philosophie, Rhetorik, Jurisprudenz und Medizin bestanden, gab es für die Ingenieure zwar nicht. Wer das Ingenieurfach ergreifen wollte, wurde in jugendlichem Alter einem Fachmann in die Lehre gegeben. Voraussetzung für die Erlernung der Ingenieurkunst waren Kenntnisse in der Mathematik, der Optik, der Astronomie, der Geschichte und im Rechtswesen. Während der Kaiser- zeit wirkten in Rom neben den Lehrern für Rhetorik, Heil- kunde usw. auch solche, die in der Mechanik und in der Archi- tektur unterrichteten. Für Gehalt und Lehrsäle sorgte der Staat. Auch befreite er wohl die Väter, die ihre Söhne die Ingenieur- kunst erlernen lassen wollten, von der Zahlung der Steuern. Die gleiche Vergünstigung erhielten Ingenieure, die sich als Lehrer in Al)b. 42. Römische Schnellwagen. 1 Gerland und Traumüller, Geschichte der physikalischen Experi- mentierkunst. S. öfi. Leipzig 1899. W. Engelmann. 218 Die Ausbildung der Ingenieure. ihrem Fache auszeichneten. Wie sehr man die Bedeutung der Ingenieure zu würdigen wußte, beweist folgende Stelle aus einem Briefe, den Kaiser Konstantin (323 — 337) an einen seiner Statt- halter richtete. Sie lautet: „Wir brauchen möglichst viele In- genieure. Da es an solchen mangelt, veranlasse zu diesem Studium Personen, die ungefähr 18 Jahre alt sind und die zur allgemeinen Bildung nötigen Wissenschaften bereits kennengelernt haben. Be- freie die Eltern von den Steuern und gewähre den Schülern aus- reichende Mittel!)." Die Mechanik hatte also, wo es sich um praktische Anwen- dungen handelte, zur Zeit der Alexandriner und der Römerherr- schaft schon manche Frucht gezeitigt. Anders stand es um die Mechanik als wissenschaftliche Disziplin. Welch unvollkommene Vorstellungen in mechanischen Dingen die meisten Schriftsteller des Altertums hegten, davon läßt sich manches Beispiel nachweisen. So erzählt Plinius folgende Fabel von dem Schiffshalter (Echineis remora), einem Fisch des Mittelmeeres, der eine Anzahl Saugnäpfe auf der Stirn trägt, mit denen er sich an Schiffen und anderen Gregenständen festhält: „Mögen die Stürme wüten und die Wogen rasen, dieses kleine Geschöpf spottet ihrer "Wut, zähmt ihre Kraft und zwingt ein Schiff zu stehen, während kein Tau und kein Anker dazu imstande sind. Und zwar hemmt es den Ansturm und be- zwingt es die Elemente nicht durch eigene Arbeit oder Gegen- wirkung, sondern einzig und allein dadurch, daß es sich anhängt." Eine solche Unklarheit herrschte also bezüglich eines so ein- fachen mechanischen Begriffes, daß ein Schriftsteller wie Plinius, lange nachdem die ersten erfolgreichen Schritte auf dem Gebiete der Mechanik durch Archimedes getan waren, derartige Fabeln ohne Widerspruch aufnahm. Hierin zeigt sich aber auch, daß Archimedes auf das physikalische Denken der auf ihn folgenden Jahrhunderte einen nur geringen Einfluß ausgeübt hat. Das volle Verständnis für seine Werke sowie die Fähigkeit, an das von ihm Geleistete anzuknüpfen und darauf weiterzubauen, scheint in den nächsten anderthalb Jahrtausenden mit geringen Ausnahmen ge- fehlt zu haben. 1) C. Köhne, Die Ausbildung der Ingenieure in der römischen Kaiser- zeit. Mitteil. z. Gresch. d. Medizin u. d. Naturw. 1907. S. 17. Die Literatur während der Kaiserzeit. 219 Die Literatur während der Kaiserzeit. Die Literatur eines Volkes ist stets nicht nur von seiner Eigen- art und fremden Einflüssen, sondern auch von dem Gange der politischen Entwicklung in hohem Grade abhängig gewesen. Diese Abhängigkeit war im Altertum weit größer als in der Neuzeit, in der das geistige Leben weniger an nationale Schranken gebunden ist und die Freiheit der Einzelpersönlichkeit erheblich zugenommen hat. Wie im alten Athen, in Alexandria und in anderen wissen- schaftlichen Mittelpunkten, so war auch im kaiserlichen Rom die Stellung, welche das Oberhaupt des Staates zu Kunst und Wissen- schaft einnahm, für das Gedeihen dieser Gebiete von großer Be- deutung. Schon Augustus, der die kaiserliche Gewalt begrün- dete, brachte der Literatur Interesse und Verständnis entgegen. Hat er sich doch selbst als Dichter und als Prosaschriftsteller versucht. Augustus wußte auch in vollem Maße zu würdigen, daß die Literatur der staatlichen Macht, von der sie abhängt, ent- weder dienstbar gemacht oder durch eine verkehrte Behandlung in einen Gegensatz zur Staatsgewalt gebracht werden kann, wo- durch die letztere stets mehr oder minder Abbruch erleidet. Auf die reiche Entfaltung der römischen Literatur im Augu- steischen Zeitalter folgten unter der Herrschaft des finsteren Ti- berius und des dem Cäsarenwahn verfallenen Caligula Jahr- zehnte, die weniger günstig waren. Der lähmende Druck, der damals auf allen Kreisen lastete, machte sich auch auf dem Ge- biete des geistigen Schaffens fühlbar. Er wich erst, als nach dem Tode Neros mit Vespasian ein milder Herrscher den Kaiser- thron bestieg, auf den ihm — leider nur für wenige Jahre — sein Sohn Titus folgte. Plinius stand zu beiden in naher Beziehung, insbesondere zu Titus. Zwar ist dieser erst in dem Jahre zur Regierung gekommen, in dem Plinius starb. Doch hat Titus schon bei Lebzeiten seines Vaters wie im Staats- so auch im wissen- schaftlichen Leben einen bedeutenden Einfluß ausgeübt. Während Vespasian noch in erster Linie Kriegsmann war, hatte sich Titus mit der gelehrten Bildung seines Zeitalters schon in dem Maße befreundet, daß er, wie Plinius berichtet, ein Gedicht über das Erscheinen eines Kometen verfaßte. Ein Erzeugnis dieses für die Literatur so günstigen Zeitalters der Kaiser aus dem Hause der Flavier ist die „Naturgeschichte" des Plinius. Sie ist das umfassendste Denkmal, das wir von den naturwissenschaftlichen Kenntnissen der Römer besitzen und ent- 220 Plinius. hält zahlreiche Angaben, die ohne die gewissenhaften Aufzeich- nungen des Plinius verlorengegangen wären. Sie wurde, wie aus der Vorrede zu entnehmen ist, im 77. oder 78. Jahre n. Chr. voll- endet. Plinius. Cajus Plinius Secundus Major wurde im Jahre 23 n. Chr. zu Como geboren. Er empfing den Beinamen Major (der Altere), um ihn von seinem gleichfalls als Schriftsteller bekanntgewordenen Neffen gleichen Namens, der den Zusatz Minor (der Jüngere) er- hielt, zu unterscheiden. Plinius kam frühzeitig nach Rom, wo er sich den Pomponius Mela zum Vorbild erkor. Dieser hatte es verstanden, mit einer verantwortungsvollen amtlichen Tätigkeit eine große Vorliebe zum literarischen Schaffen zu verbinden. Hierin ist ihm Plinius gefolgt. Gleich Pomponius Mela war er mili- tärischer Befehlshaber. Von Vespasian wurde er häufig als Be- rater zu den Regierungsgeschäften herangezogen. In jüngeren Jahren hat ihn der Kriegsdienst auch nach Germanien geführt. Obgleich er höhere Amter bekleidete und stets im Drange der Geschäfte lebte, fand Plinius doch Muße, das Wissen seiner Zeit in einem Sammelwerke zu umspannen. In der an Titus gerich- teten Widmung sagt er von seinem Unternehmen: „Der Weg, den ich wandeln werde, ist unbetreten; keiner von uns, keiner von den Griechen hat es unternommen, allein das Ganze der Natur zu be- handeln. Gelingt mir mein Unternehmen nicht, so ist es doch großartig und schön, danach gestrebt zu haben." Die „Naturgeschichte" wird um 77 n. Chr. ziemlich abge- schlossen gewesen sein. Da ihr Verfasser bald darauf plötzlich aus seiner Tätigkeit herausgerissen wurde, so erfolgte die Heraus- gabe durch seinen Neffen, den schon erwähnten Plinius Secun- dus Minor. Offenbar hat dieser nur wenig an dem Werk geändert. Er nennt es^) ein „weitläufiges gelehrtes Werk, das nicht minder mannigfaltig wie die Natur selbst ist". Bekannt ist das tragische Ende des Plinius. Als er sich im Jahre 79 n. Chr. in der Nähe von Neapel aufhielt, begann plötz- lich jener furchtbare Ausbruch des Vesuvs, durch den Herculanum und Pompeji vernichtet wurden. Der unerschrockene Römer ließ sich nicht abhalten, der Stätte des Verderbens zuzueilen; mag ihn nun Pflichtgefühl oder Wißbegierde dazu getrieben haben. Nach 1) Epistol. ni, 5. Plinius. 221 der Landung ist er dann der Wut der entfesselten Elemente zum Opfer gefallen. Die Katastrophe selbst hat der jüngere Plinius in einem an den Geschichtsschreiber Tacitus gerichteten Briefe geschildert. Aus diesem mögen einige Stellen hier Platz finden: „Du bittest mich, dir den Tod meines Oheims zu schildern, eines Mannes, der das Glück hatte, große Taten zu vollbringen und herrliche Bücher zu schreiben. Ein wunderbares Geschick fügte es, daß er beim Untergange einer herrlichen Landschaft den Tod fand. Sein Andenken wird jedoch ewig leben. Mein Onkel befand sich mit der Flotte, die er als Admiral befehligte, bei Misenum. Am 22. August meldete man ihm, daß sich eine Wolke von ungewöhnlicher Gestalt zeige, Sie hatte das Aussehen einer Pinie, deren Stamm sich himmelhoch erhebt und deren Zweige sich schirmartig ausbreiten. Mit dem Eifer eines Naturforschers, der etwas zu untersuchen wünscht, befahl mein Oheim, sogleich ein Schiff zur Abfahrt bereit zu machen. Noch bevor er es bestiegen, erhielt er einen am Fuße des Vesuvs ge- schriebenen Brief, in dem er um Hilfe gebeten wurde. Infolge- dessen mußte die ganze Flotte auslaufen. Mein Oheim steuerte auf dem Admiralsschiff kühn der Gefahr entgegen und beobachtete vom Verdeck aus den Verlauf der furchtbaren Erscheinung. Gleich- zeitig diktierte er seine Beobachtungen einem Schreiber. Als man sich der Unglücksstätte näherte, fiel die Asche immer dichter und heißer auf die Schiffe. Sogar Stücke von Bimsstein und Lava mengten sich darunter. Man landete in Stabiae. Unterdessen wurde es Nacht. Vom Vesuv brachen die Flammen hoch empor. Gleichzeitig bebte die Erde, so daß das Haus, in dem sich Plinius mit seiner Begleitung aufhielt, ins Wanken geriet. Man verließ das Haus, nachdem sich jeder zum Schutze gegen den Steinregen ein Kissen über den Kopf gebunden hatte. Als man dem Schwefel- qualm und der Feuersglut zu entkommen suchte, sank Plinius plötzlich erschöpft nieder. Einmal gelang es ihm noch, sich mit Hilfe zweier Sklaven wieder aufzurichten. Dann brach er sterbend zusammen." Auch über die Persönlichkeit und die Arbeitsweise seines Onkels hat der jüngere Plinius einiges mitgeteilt^). Was ihn da- nach auszeichnete, war ein unglaublicher Fleiß. Er schlief nur wenig und aß auch nur wenig, und zwar nach der Sitte der Väter 1) Epistol. 111, 5. 222 Die Quellen des Plinius. ganz einfach. Auch auf seinen Reisen studierte er unermüdlich. Dabei hatte er seinen Schreiber stets neben sich. Die literarische Fruchtbarkeit des Plinius war eine ganz un- gewöhnliche. Außer der „Naturgeschichte" hat er noch eine Reihe anderer Werke geschrieben, die indessen verlorengegangen oder nur in Fragmenten, d. h. als Bestandteile anderer Werke, erhalten geblieben sind. So verfaßte Plinius während seines Aufenthaltes in Germanien ein Werk, das von den Kriegen handelt, welche die Römer auf germanischem Boden geführt haben. Die Quellen des Plinius. Aus nicht Aveniger als 2000 Werken hat Plinius den Stoff für seine „Naturgeschichte" geschöpft. Seine Leistung verdient um so größere Anerkennung, als er nur die Stunden, die ihm die Geschäfte übrig ließen, also besonders, wie er selbst erzählt, die Nacht, auf sein Werk verwenden konnte. Ohne Plinius würden wir von manchen Schriften keine Kenntnis besitzen. Andererseits muß aber betont werden, daß Plinius sich nicht auf die Stufe selbständigen Forschens und Denkens erhebt. Er bringt sogar manches, was er offenbar nicht einmal richtig verstanden hat. Oft wird Wahres und Falsches von ihm miteinander vermengt. Man gewinnt den Eindruck, daß Plinius sein Wissen weniger aus der Natur, sondern vorzugsweise aus Büchern geschöpft hat, was bei einem Manne, der schon einen Spaziergang als Zeitvergeudung betrachtete, nicht wundernehmen kann. Das Verzeichnis der Quellen, aus denen Plinius nach seiner Angabe schöpfte, umfaßt 146 römische und 327 fremde Schrift- steller. Unter diesen befinden sich viele, deren Schriften ganz verlorengegangen sind und von denen man auch nicht einmal die Namen wüßte, wenn Plinius sie nicht unter seinen Gewährs- männern aufzählte. Unter den römischen Schriftstellern, auf welchen Plinius fußt, ist vor allem Marcus Terentius Varro (116 — 27 v. Chr.) zu nennen. Er hat eine ganze Anzahl von Wissenschaften enzy- klopädisch bearbeitet. Seine Schriften sind das Vorbild für die im Mittelalter so häufig anzutreffenden Werke über die „sieben freien Künste" gewesen i). Wie Cato, so bemühte sich auch Varro, den alten Wissensschatz zu sammeln und ihn der ein- 1) Siehe Abschnitt 7 dieses Bandes. Die Quellen des Plinius. 223 dringenden griechischen Literatur gegenüber in seiner Selbständig- keit und in seinem wahren Werte hervortreten zu lassen. Unter den Varronischen Schriften, die Plinius benutzt hat, ist vor allem das Werk über die Landwirtschaft zu nennen (Rerum rusti- carum libri IIIj. Varro handelt darin vom Ackerbau, von der Viehzucht, den Bienen, den Fischen und dem Wild. Wenn sich Varro auch an Cato (s. S. 210) anlehnt, so entwickelt er doch überall ein sicheres, auf reicher Erfahrung und umspannendem Wissen gegründetes Urteil. Von besonderem Interesse ist eine Stelle 1), in der man eine Art Vorwegnahme der Bazillentheorie erblicken kann. Varro vermutet nämlich, in sumpfigen Gegenden entstünden Lebewesen, die so winzig seien, daß man sie nicht sehen könne. Diese Geschöpfe sollen nach ihm durch den Mund und die Nase in den Körper eindringen und schwere Krankheiten ver- ursachen. Der Wert solcher mit unseren heutigen Anschauungen sich teilweise deckenden Vorstellungen wird von philologischer Seite oft überschätzt. Varro s Meinung ist für die Begründung der modernen Bazillentheorie sicherlich belanglos gewesen, eben so wenig wie die Ansichten Epikurs^) Lamarck oder Darwin zur Aufstellung ihrer Theorien veranlaßten. Trotzdem haben divinatorische Eingebungen, wie sie uns in der Entwicklung der Wissenschaften so oft begegnen, ein Anrecht darauf, in der Ge- schichte des menschhchen Geistes genannt zu werden. Ihr Wert ist unbestritten. Nur darf man sie in ihrer Bedeutung nicht derart überschätzen, daß man sie mit sicheren neuzeitlichen Forschungs- ergebnissen in Parallele zu stellen sucht. Unter den medizinischen Schriftstellern, die Plinius den* Stoff für seine der Heilkunde gewidmeten Bücher geliefert haben, ist neben Hippokrates, Erasistratos und vielen anderen be- sonders Cornelius Celsus (etwa 35 v. Chr. bis etwa 45 n. Chr.) zu nennen. Ahnlich wie Varro und schon lange vor ihm Cato suchte Celsus das Wissen seiner Zeit in einer Enzyklopädie zu- sammenzufassen. Sie erhielt den Titel „Artes". Erhalten geblieben ist nur der Teil, der von der Heilkunde handelt. Auf diesem Gebiete vermochte es Celsus, ohne selbst Arzt zu sein, auf Grund von Erfahrungen eigene Anschauungen zu entwickeln. Als griechische Quellen hat Celsus neben den Hippokratischen 1) Rerum rustic. libri tres. J. 12, 2. -j Siehe S. 100 dieses Bandes. 224 Die Quellen des Plinius. hauptsächlich die alexandrinischen Schriften benutzt. Mit diesen und den Schriften Galens hat man das medizinische Buch des Celsus auf eine Linie zu stellen *). Es behandelt in klarer, schmuckloser Darstellung zunächst die Lebensweise, darauf die Krankheiten und endlich deren Heilung durch Arzneien und chi- rurgische Eingriffe 2). So beschreibt Celsus das Verfahren des Unterbindens, das die Hippokratischen Schriften noch nicht er- wähnen, wenn man auch schon sehr früh blutstillende Mittel, die verklebend oder zusammenziehend wirkten, benutzte. Derartige Mittel finden nämlich schon bei Homer Erwähnung^). Sehr zutreffend hat Celsus unter anderem die Krankheiten der Leber und des Magens beschrieben. Das von ihm bei diesen Krankheiten empfohlene Heilverfahren und seine Begründung auf diätetischen Regeln ist selbst heute noch von Wert-*). Einer etwas späteren Zeit als Celsus gehört Asklepiades an. Er war hellenischer Herkunft^) und lebte im Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr. in Rom. Asklepiades wirkte dort zuerst als Lehrer der Beredsamkeit. Später erwarb er sich als Arzt große Anerkennung. Er wird als der Erfinder der Tracheotomie genannt. Anklänge an die moderne Zellentheorie enthält seine Lehre, daß die Lebewesen aus einer sehr großen Zahl von Kör- perchen zusammengesetzt seien. Sie sollten sich in steter Be- wegung und Veränderung befinden und beim Menschen durch ihr Verhalten und ihre Beschaffenheit Gesundsein und Krankheit bedingen. Auch den als Schöpfer der Anei'de bekannten Virgil erwähnt Plinius als Quelle für eine Anzahl seiner Bücher. In einer '„Georgika" genannten Dichtung schildert und preist nämlich Vir- gil das Leben auf dem Lande. In der Hauptsache handeln die „Georgika- vom Ackerbau, der Baumpflege, der Viehzucht und 1) Haeser, Lehrbuch der Gesch. d. Medizin. Jena 1875. 1. Bd. S. 254. -) Cornelius Celsus, Über die Grrundfragen der Medizin, als 3. Band von Voigt länders Quellenbüchern herausgegeben von Dr. Th. Mey er- Stein eg. Celsus war kein Arzt, wenn er auch eins der besten medizini- schen Werke geschrieben hat. Er wurde wahrscheinlich in Verona geboren und starb in Rom. 3) Siehe Heeger, Zur Geschichte der Blutstillung im Altertum und Mittelalter (Wiener klin. Wochenschrift 1910. S. 1006 u. 1079). Über Pares Verfahren der Arterienunterbindung siehe später. *) Pron, Les maladies de l'estomac et du foie et leiir traitement dans Celse. La France Medic. 1910. S. 374. äi Seine Vaterstadt war Prusa in Bithyuieu. Die Quellen des Plinius. 225 der Imkerei. Das Leben der Bienen wird anschaulich und in der fesselnden Sprache des Dichters geschildert. Von den zahlreichen ausländischen Schriftstellern, die Plinius als seine Quellen nennt, seien hier nur folgende genannt: Thaies, Aristoteles, Theophrast, Demokrit, Hipparch, Herö- philos, Eudoxos, Pytheas, Juba usw. Juba war nach Be- siegung seines Vaters als Geisel aus Numidien nach Eom gekommen. Dort widmete er sich ganz den Wissenschaften. Auch Piutarch und andere Schriftsteller gehen häufig auf Juba zurück, von dessen Schriften nur noch Fragmente erhalten sind. Die Frage nach den Quellen, die Plinius benutzte, hat eine umfangreiche Literatur hervorgerufen. Insbesondere hat man das Verhältnis eingehend erörtert, in dem Plinius zu Aristoteles, zu Cato und zu Varro steht ^). Als Schriftsteller, dem besonders die Rolle eines Vermittlers zwischen Plinius und der griechischen Literatur zuzuschreiben ist, wird Juba betrachtet. Letzterer ging auf Aristoteles und Theophrast zurück und hatte für Plinius hinsichtlich der grie- chischen Literatur etwa die Bedeutung, die Varro für ihn bezüg- lich der römischen besaß. Gebricht der „Naturgeschichte" des Plinius auch die Ein- heitlichkeit des Aufbaues, so ist doch eine vom Allgemeinen zum Einzelnen fortschreitende Gliederung des Stoffes nicht zu ver- kennen. Plinius beginnt seine Darstellung mit der Schilderung des Weltgebäudes sowie den Erscheinungen , die uns das Luft- meer und die Oberfläche der Erde im allgemeinen darbieten. Darauf folgt das Wesentlichste aus der Geographie und der Völker- kunde. Im Anschluß daran werden die Tiere, beginnend mit den Säugetieren und schließend mit den Insekten, behandelt. Es folgen die Bücher über die Pflanzen sowie über die dem Pflanzenreich entstammenden Heilmittel und ihre Wirkungen. Den Schluß bil- den die Bücher mineralogischen Inhalts. Den Edelsteinen sowie den Mineralfarben sind je ein besonderes Buch gewidmet. In den letzten Büchern wird die Verwendung der Metalle und der Ge- steine zu künstlerischen Zwecken eingehend unter Aufzählung zahl- reicher hervorragender Kunstwerke geschildert 2). 1) Montigny, Quaestiones in Plinii nat. Jiist. de animalibus libros. 1844, und Müntzer, Beitrage zur Quellenkritik der Naturgesch. des Plinius. 1897. 2) In einem Plinius gewidmeten Bande der „Klassiker der Naturwissen- schaft und Techaik", die bei Eugen Diederichs in Jena erscheinen, habe ich dasjenige aus der „Naturgeschichte" zusammengestellt, was besonders geeignet Danneraann, Die Xaturwissenschaften. I. Bd. 2. Aufl. 15 226 r)iß ..Naturgeschichte" des Plinius. Unter den Geographen, auf die sich Plinius stützte, ist vor allem Pomponius Mela, ein Zeitgenosse des Kaisers Claudius, zu nennen. Seine „Chorographie" (Ortskunde) entstand wahrschein- lich um das Jahr 43 n. Chr. Sie ist das älteste römische Werk über Geographie, das uns erhalten gehlieben ist*). Pomponius beschreibt, den Küsten folgend, die Länder und enthält über die mathematische Geographie, mit der Plinius sein Werk anhebt, fast nichts. Die „Naturgeschichte" des Plinius. Wir gehen jetzt zu Plinius selbst über. In seiner ,.Natur- geschichte-, die 37 Bücher umfaßt, stellt er sich die Aufgabe, das in den zahlreichen erwähnten Quellen zerstreute Wissen seiner Zeit zu sammeln und zu sichten. Durch die mühevolle Lösung dieser Aufgabe hat er sich ein großes Verdienst erworben, wenn er auch oft kritiklos zusammenträgt und den Stoff nicht immer beherrscht. So hält er beispielsweise die fabelhaftesten Nachrichten über afri- kanische Völker für erwähnenswert. Er berichtet von einem dieser Volksstämme, seine Angehörigen besäßen keine Köpfe, sondern trügen Mund und Augen auf der Brust. Der Grundgedanke, welcher das Werk durchzieht, ist der, daß die Natur des Menschen Avegen alles erzeugt zu haben scheine. Die beschriebenen Natur- körper werden daher kaum als solche, sondern vorzugsweise in ihrer Beziehung zum Menschen betrachtet 2). Über den Menschen selbst spricht er sich in folgenden, für ihn charakteristischen Worten aus: „Die anderen Tiere fühlen sich sogleich im Besitz ihres Wesens. Nur der Mensch kann nichts ohne Unterweisung. Er allein kennt Ehrgeiz, Habsucht, sorgt für sein Grab, ja sogar für die Zukunft nach seinem Tode. Keinem Geschöpf raubt die Angst so die Besinnung. Bei keinem wird die Wut heftiger. Alle anderen Tiere leben mit ihresgleichen in Frieden. Die Löwen kämpfen trotz ihrer Wildheit nicht gegeneinander, ebensowenig ist, von dem wissenschaftlichen Geist des Altertums, soweit er sich in Plinius spiegelt, und den Errungenschaften jener Zeit ein Bild zu geben. Die Heraus- gabe ist durch den Krieg verzögert worden, wird aber voraussichtlich im nächsten Jahre erfolgen. i; Eine Handschrift, nach der die übrigen angefertigt wurden, findet sich im Vatikan. Ein von Dr. H. Philipp herrührender Auszug erschien als 11. und 31. Band von Voigtländers Quellenbüchern. 2) Als Beispiel diene der 6, Abschnitt von Dannemann, Aus der Werk- statt großer Forscher. Leipzig, AV. Engelmann. 1908. Astronomisches bei Plinius. 227 die Seeungeheuer. Aber fürwahr, dem Menschen schafft das größte Leid der Mensch" i). Daß Plinius übrigens sich des öfteren auch mit den Gegenstän- den selbst bekannt machte und sich eine eigene Meinung bildete, geht aus verschiedenen Stellen seines Werkes hervor. Manches von den Dingen, über die er berichtet, wird ihm auch das vielgestaltige Leben der Kaiserzeit ganz von selbst aufgedrängt haben. Gar manches Tier, das er beschreibt, wurde zur Befriedigung der Schau- lust, für die Arena oder für den Gaumen aus den entferntesten Teilen des .Orbis antiquus nach der Welthauptstadt gebracht. Ahnlich stand es mit den Pflanzen. Erzählt doch Plinius von einem botanischen Garten 2j, den ein römischer Gelehrter unter- hielt, um die Wirkungen der Kräuter kennen zu lernen. Unter seiner Anleitung ist Plinius mit zahlreichen heilkräftigen Pflanzen bekannt geworden. Zu der Lehre von der Kugelgestalt der Erde ist die Ansicht getreten, daß das Menschengeschlecht viel weiter verbreitet sei, als man früher glaubte, ja, daß es Gegenfüßler geben müsse. „Die Wissenschaft und die Meinung des großen Haufens", sagt Plinius 3), „befinden sich in gewaltigem Widerspruch. Jener zufolge wird die Erde ringsum von Menschen bewohnt, so daß sie mit den Füßen gegeneinander stehen und den Himmel alle gleichmäßig über dem Scheitel haben. Nach der anderen Mei- nung fragt man, weshalb denn die Antipoden nicht abfielen. Als ob nicht die Gegenfrage zur Hand wäre, Avarum jene sich nicht verwundern, daß wir nicht abfallen. Am meisten aber sträubt sich der große Haufe, wenn man ihm glaublich machen will, daß auch das Wasser gewölbt sei. Und doch ist nichts augenfälliger, denn überall bilden hängende Tropfen sich zu kleinen Kugeln." Aus der Tatsache, daß der längste Tag in Alexandrien 14, in Italien 15 und in Britannien 17 Stunden hat, folgert Plinius, daß die dem Pol benachbarten Länder im Sommer 24 Stunden Tag, zur Zeit des Wintersolstitiums dagegen eben so lange Nacht haben müssen'). Bei Plinius finden wir unter den Beweisen für die Krümmung der Erdoberfläche auch die Erscheinung angeführt, 1) Plinius, VII. 1. -] Einen ausführlichen Artikel über Gartenbau im allgemeinen enthält Paulys Realenzyklopädie f. d. klass. Altert, im VII. Bande auf S. 768—841. '^) Plinius, Naturgeschichte. II, 65. *) Plinius, Naturgeschichte. II. 75. 15* 228 Astronomisches bei Plinius. daß auf dem Meere zuerst der Mast der Schiffe und erst später der Rumpf sichtbar wird. Während zur Zeit der römischen Weltherrschaft die Lehre von der Kugelgestalt der Erde zu einem Gemeingut der Gebildeten geworden war, hat man vereinzelt auch schon eine richtige Auf- fassung vom Verhältnis der Sonne zu den Planeten gehegt. In- folgedessen blieben die bei den Griechen entstandenen Keime der heliozentrischen Lehre bei den späteren Schriftstellern nicht un- beachtet. Koppernikus konnte seine Lehre daher unmittelbar an die aus dem Altertum überlieferten Anschauungen anknüpfen'). Dem Monde und sogar den Fixsternen, denen wir heute keine nachweisbaren Einfiiisse auf irdische Vorgänge beimessen, schrieben die Römer, wie wir aus der „Naturgeschichte" des Plinius ersehen, solche zu. So heißt es dort 2): „Daß beim Aufgang des Hundes der Einfluß dieses Gestirns auf die Erde in der weitesten Aus- dehnung empfunden wird, wer wüßte das nicht? Bei seinem Auf- gang schäumt das Meer, der Wein wird unruhig in den Kellern und die Sümpfe beginnen zu gären." Daß der Mond bei der Er- regung von Ebbe und Flut eine wichtige Rolle spielt, hatte man wohl erkannt, doch erklärte man diese Erscheinung in einem durchaus mystischen Sinne, indem man den Mond, als das Gestirn des Odems ansah. Daher sollten sich bei der Annäherung des Mondes alle Körper füllen. Plinius behauptet sogar, daß bei zunehmendem Monde die Muscheln größer würden. Ja, auch das Blut im menschlichen Körper mehre und mindere sich wie das Licht dieses Gestirnes 3), „Ebbe und Flut des Meeres", sagt Plinius, „haben bei aller Abwechslung doch ihre Ursache nur in der Sonne und in dem Monde, Indessen treten die Gezeiten nie wieder zu derselben Stunde ein wie am Tage zuvor, weil sie dem gierigen Gestirn, das alle Tage an einer anderen Stelle auf- geht, gewissermaßen dienstbar sind. Bei Vollmond ist die Flut am heftigsten. Auch tritt die Flut zwei Stunden später ein, als sich der Mond aus der Mittagslinie abwärts senkt, da die Wir- kungen aller Erscheinungen am Himmel erst später zur Erde ge- langen, als die Erscheinungen selbst stattfinden. Die offene, große Fläche des Meeres empfindet die Macht des weithin wirkenden 1) Koppernikus erwähnt, er habe bei Cicero und Plutarch gelesen, daß die heliozentrische Lehre im Altertum Anhänger gefunden habe. Coper- nicus, De revolutionibus (Ausg. v. CurtzeJ. S. 6. 2; Plinius, Naturgeschichte. II. 40. 3) A. a. 0. II. 99. Weltanschauung zur Römerzeit. 229 Gestirns nachdrücklicher als engbegrenzte Räume. Daher werden weder Seen noch Flüsse auf solche Weise in Bewegung versetzt^)." Die Zahl der Sterne, welche die Astronomen mit Namen be- zeichnet hatten, gibt Plinius auf 1600 an^). Sie sollen aus dem das All umgebenden Feuer entstanden sein und werden nach ihm von der belebenden, alle Räume durchdringenden Luft, die sich dem Feuer am nächsten befindet, in der Schwebe gehalten. Von der Luft getragen, ruht die Erde, verbunden mit dem Wasser als viertem Element, im Räume. Zwischen der Erde und dem Himmels- gewölbe schweben der Mond, die Sonne und die fünf Planeten. Ihrer Bewegung wegen würden diese wohl Irrsterne genannt, ob- gleich keine weniger irrten als gerade sie. Das ist in großen Zügen das Weltbild, das sich das Altertum gebildet. In dieser Vorstellung gab es keinen Raum mehr für die anthroporaorphen Götter der früheren Zeit, an denen das Volk unter der Führung der Priester festhielt. Ein unüberwindlicher Zwiespalt zwischen Wissen und Glauben war somit auch im Alter- tum das Ergebnis der ganzen geistigen Entwicklung. Dem Fort- schreiten der Erkenntnis hat sich indessen stets der religiöse Glaube anzupassen gesucht. So hat im Altertum der Gang der Wissen- schaft einer neuen, monotheistischen Gestaltung der Religion vor- gearbeitet. Hatten in dem gewonnenen Weltbilde die vielen Gott- heiten der früheren Zeit keinen Raum mehr, so mußte, wie Pli- nius es ausdrückt, die Welt selbst als Gottheit gelten. Dem pantheistischen Standpunkte des Plinius entspricht seine Auf- fassung, daß, wenn man von einer Gottheit rede, damit nur die Natur gemeint sein könne. Von der Auffassung, die Welt sei ein Ganzes, zu dem Ghiuben, daß die Welt zwar nicht Gott selbst, wohl aber die Kundgebung eines einzigen Gottes sei, war aber nur ein Schritt. Und dieser führte in dem Zeitalter, von dem wir handeln, zur Begründung des Monotheismus. Weil der alte Götterglaube für den Gebildeten überwunden war, fehlte es an einem innerlichen Verhältnis zwischen Gott-Natur und dem Men- schen. Dalier das Unbefriedigte und der pessimistische Grund- zug, welcher der christlichen Religion in jener Zeit den geeignet- sten Boden bereitete. Bezeichnet es doch Plinius als den ein- zigen Trost gegenüber der ünvollkommenheit des Daseins, daß der Mensch diesem Dasein jederzeit freiwillig entsagen könne. 1) A. a. 0. II. 97. 2j A. a. 0. XI. 3. 230 Zoologie und Botanik. Auf dem Gebiete der beschreibenden Naturwissenschaften finden wir bei Plinius einen Rückgang gegen Aristoteles und Theophrast. Manche zoologische Mitteilung älterer Schrift- steller, die Aristoteles in das Gebiet der Fabel verwiesen hatte, nimmt Plinius unbedenklich wieder auf. Von einem systemati- schen Aufbau der Zoologie und der Botanik ist bei ihm nicht die Rede. Bezüglich der letzteren bleibt er weit hinter Theo- phrast zurück, da er bei der Einteilung der Pflanzen den reinen Nützlichkeitsstandpunkt vertritt. Er unterscheidet nämlich Arznei- pflanzen, Spezereien usw. Eine richtige Auffassung finden wir hin- gegen bei Plinius bezüglich derjenigen Tiere, die Aristoteles „Blutlose" genannt hatte. „Daß die Insekten kein Blut haben", sagt er, „gebe ich zu, doch besitzen sie dafür eine gewisse Lebens- feuchtigkeit, die für sie Blut ist." Seine der Botanik gewidmeten Bücher beginnen mit den Bäumen. Nicht etwa, daß er in ihnen die höchste Stufe pflanz- licher Organisation erblickt hätte, sondern weil sie zuerst die ein- fachsten Bedürfnisse des Menschen befriedigten. Zunächst be- spricht er (12. und 13. Buch) die bemerkenswerteren fremden Bäume nach ihrem geographischen Vorkommen. Dann handelt er vom "Weinstock, vom Ölbaum und von den Obstbäumen. Ein Buch ist den Zierpflanzen und den Bienenpflanzen gewidmet. Letztere unterscheidet er in empfehlenswerte und in solche, die den Honig verderben. Am ausführlichsten werden die Arzneipflanzen behandelt. Plinius ist dabei von dem Gedanken durchdrungen, daß auch das unscheinbarste Kraut seine, wenn auch oft noch verborgenen, Heilkräfte haben müsse. Wie hier, so ist auch an den übrigen Stellen der ..Naturgeschichte" der leitende Gedanke der, daß die Natur alles um des Menschen willen erzeugt habe. Das Nütz- lichkeitsprinzip beherrscht also die Darstellung, die dement- sprechend oft recht trocken ist und nicht selten auf eine bloße Aufzählung hinausläuft. Stellenweise erhebt sie sich jedoch auch zu rhetorischem Schwung, zumal wo Plinius seine stoische Welt- anschauung durchblicken läßt oder, wo er sich als laudator tem- poris acti, d. h. als Lobredner auf die gute alte Zeit, zu er- kennen gibt. Die Hauptquelle für die botanischen Kenntnisse des Plinius ist Theophrast. So entnahm er z. B. Theophrast die Schilde- rung der indischen Pflanzenwelt. Doch geschah es ohne tieferes Urteil und Verständnis. Das Feine und Exakte ist zumeist ver- Pliniua und die späteren Jahrhunderte. 231 wischt und kaum merklich hebt sich bei Plinius dieser Teil aus der Menge der übrigen Einzelheiten ab^). Eigene Beobachtungen kann Plinius in Anbetracht seiner oben erwähnten Lebensweise nicht oft gemacht haben. Wenn er gelegentlich in seinem Werke von Erfahrungen spricht, so ist damit wohl in den meisten Fällen ihm mündlich zuteil gewordene Auskunft gemeint. Die Zahl der bei Plinius vorkommenden Pflanzen ist eine recht beträchtUche. Sie beläuft sich auf nahezu tausend, etwa das Doppelte der bei Dioskurides aufgezählten Arten 2). Es entspricht das zwar dem enzyklopädischen Grundsatz des Plinius, verdient aber immerhin Beachtung, wenn wir bedenken, daß Linne den Pflanzenreichtum der ganzen Erde auf nur 10000 Arten schätzte. Auch über die Wirkung, welche die „Naturgeschichte" des Plinius auf die Nachwelt ausgeübt, und über die Würdigung, die das Werk erfahren hat, mögen hier einige Bemerkungen Platz finden. Hatte doch die „Naturgeschichte" für die gesamten nach- christlichen Jahrhunderte bis zum Wiederaufleben der Wissen- schaften eine Bedeutung wie nur wenige Bücher. Sie war die wichtigste Quelle für jede Belehrung über naturwissenschaftliche und viele andere Dinge. Dies dauerte so lange, bis man das eigene Beobachten und Forschen höher als Autorität und Bücher- weisheit einschätzen lernte und damit die Grundlagen für einen Neubau der Naturwissenschaften zu schaffen begann. Daß die Elemente des alten Wissens nicht nur manches wert- volle Stück für diesen Neubau lieferten, sondern auch durcli ihre Unzulänglichkeit den Anstoß zur Weiterentwicklung gegeben haben, wird bei der Beurteilung der antiken Schriften oft vergessen. Da- her rührt es, daß das Urteil je nach der Stellung, die man ein- nimmt, außerordentlich schwankend und widerspruchsvoll ist. Es gilt das von Plinius nicht minder wie von Theophrast, Aristo- teles und viele andere. Man hat sie bald hoch gepriesen, bald herabgesetzt, selten aber sie nach Gebühr gewürdigt. Selbst ein (Uivier und ein Buffon, Forscher, die zu den ))edeutendsten der Neuzeit zählen, haben Plinius ihre Anerken- nung nicht versagt. So schreibt Buffon in seiner großen „Natur- geschichte", der er ein Wort des Plinius voranstellt, ül)er diesen: „Sein Werk umfaßt nicht nur die Tiere, die Pflanzen und die ' Nach H. Bretzl, Die botanischen Forschungen des Alexanderzuges. Leipzig 1903. Siehe auch S. 142 dieses Bandes. 2) E. Meyer, Geschichte der Botanik. 4 Bände. 1854. 232 Würdigung des Plinius. Mineralien, sondern auch die Erd- und Himmelskunde, die Medizin, die Entwicklung des Handels und der Künste, kurz alle Wissen- schaften. Erstaunlich ist, wie bewandert Plinius sich auf allen Gebieten zeigt. Erhabenheit der Gedanken und Schönheit des Ausdrucks vereinigen sich bei ihm mit tiefer Gelehrsamkeit." Auch A. V. Humboldt, der uns im 2. Bande seines „Kosmos" eine Geschichte der physischen AVeltanschauung hinterließ, hat für Plinius Worte der Anerkennung. Er bezeichnet die „Natur- geschichte", dem das Altertum nichts Ahnliches an die Seite zu stellen habe, als das großartige Unternehmen einer Weltbeschrei- bung. Trotz aller Mängel des Werkes habe dem Verfasser ein einziges großes Bild vorgeschwebt. Man möchte hinzufügen, daß Plinius für seine Zeit das versucht hat, was v. Humboldt im „Kosmos" anstrebte. Und wenn Plinius selbst sein Werk als eine Enzyklopädie bezeichnete, so ist zu bedenken, daß dieses Wort seit dem Altertum seine Bedeutung gewechselt hat. Es bedeutete nämlich etwa soviel wie „Vollkreis und Inbegriff der allgemeinen Wissenschaften"^), während man heute eine Art Wörter- und Nachschlagebuch darunter versteht. Neuere geschichtliche Dar- stellungen, deren Verfasser die „Naturgeschichte" vielleicht nicht einmal genauer kennen, haben Plinius mitunter als enzyklopädi- schen Vielschreiber und geistlosen Kompilator abgetan. Dabei ver- fielen sie selbst in den Fehler, zu Nachbetern der absprechenden Urteile zu werden, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts über das Altertum und seine Schriftsteller (besonders von naturwissen- schaftlicher Seite) in Umlauf gesetzt wurden. Heute ist dagegen eine sachlichere Würdigung der geschichtlichen Entwicklung im Entstehen begriffen, so daß man es wohl allgemein ablehnen würde, wenn jemand Plinius oder Aristoteles an dem Maße eines neueren Forschers messen wollte. Um den richtigen Maßstab zu gew^innen, müssen wir sie aus der Zeit, die sie erzeugt hat, zu ver- stehen suchen und ihre Werke mit denen der nämlichen oder einer noch naheliegenden Periode vergleichen. Dabei richtet sich der Blick zunächst auf die christliche und die arabische Literatur des Mittelalters. Und wenn man die „Naturgeschichte" des Plinius mit einem Erzeugnis jener Literatur, das das gleiche Ziel verfolgt, z. B. mit dem „Buch der Natur" des Konrad Megenberg, vergleicht, dann erscheint das Werk des Römers in einer ganz anderen und vor allem in der richtigen Beleuchtung. ») V.Humboldt. Kosmos. Bd. n. 1847. S. 230. Anatomie und Heilkunde. 233 Der Anerkennung, die man der „Naturgeschichte" des Plinius während des ganzen Mittelalters zollte, entspricht es, daß aus die- sem Zeitraum eine große Zahl von Handschriften — es sind nicht weniger als zweihundert — auf uns gelangt sind. Von den älteren ist allerdings keine einzige vollständig. Sie sind sogar oft sehr fragmentarisch. Sämtliche neueren Handschriften lassen übrigens erkennen, daß sie auf einen Archetyp (d. h. die nämliche alte Vorlage) zurückzuführen sind. Fortschritte der Anatomie und der Heilkunde. Für die Beschäftigung mit den Tieren und den Pflanzen waren bei den Römern, wie in der alexandrinischen Akademie, an erster Stelle medizinische und landwirtschaftliche Gesichtspunkte maß- gebend. Wichtig war es auch, daß man sich über die Bedenken hinwegsetzte, die bis dahin von einem Eindringen in den Bau und die Verrichtungen des menschlichen Körpers abgehalten hatten. Schon bald nach Aristoteles, dessen anatomisches Wissen, wie wir sahen, wenigstens in bezug auf den Menschen, noch gering war, unterschied man Arterien und Venen. Auch bemerkte man, daß ihre Verzweigungen dicht nebeneinander liegen. Da man die Arterien jedoch beim Zerschneiden des toten Körpers leer fand, so glaubte man, daß es ihre Aufgabe sei, im lebenden Organismus Luft zu führen. Zu einer zwar noch mit vielen Unrichtigkeiten durchsetzten Vorstellung von der Bewegung des Blutes, deren wahren Verlauf erst Harvey im 17. Jahrhundert erkannte, kam der römische Arzt Galen') (131 — 201 n.Chr.). Galen wurde in Pergamon geboren. Er empfing seine Ausbildung in Griechen- land, übte aber die ärztliche Kunst in Rom aus (von 164—201 n. Chr.) und hielt dort auch Vorlesungen über Anatomie, für die er schätzenswerte Beiträge auf Grund zootomischer Untersuchungen lieferte. Galen erkannte die Anatomie und die Physiologie als die Grundlagen der Heilkunde und bemühte sich schon, physiologische Fragen auf experimentellem Wege zu entscheiden 2). Die Bewegung des Blutes schildert er folgendermaßen, wobei wir uns der heutigen 1) Galen fußte besonders auf Erasistratos, einem der bedeutendsten Anatomen der vorchristlichen Zeit (geb. 280 v. Chr.), der auch den Bau des Gehirns untersucht haben soll. Sein Zeitgenosse Herophilos lieferte eine genaue Beschreibung des Auges. 2) A.Hirsch, Geschichte d. Medizin. S. 10. 234 Atmung und Blutkreislauf. Bezeichuungweise bedienen wollen^): „Durch die Venen gelangt das Blut zum rechten Teile des Herzens. Mittels der Wärme des Herzens werden die noch brauchbaren Teile von den unbrauch- baren geschieden. Die letzteren werden durch die Lungenarterie zu den Lungen geführt und beim Ausatmen entfernt, während gleichzeitig die Lungen Pneuraa aus der Atmosphäre anziehen 2). Das Pneuma gelangt durch die Lungenvenen zum linken Herzen, verbindet sich hier mit dem Blut, das durch die Herzscheidewand treten sollte, und wird alsdann durch die Aorta in alle Teile des Körpers und endlich wieder in die Yenen zurückgeführt." Von dem großen Kreislauf des Blutes hatte Galen 3) also schon eine Vorstellung, während ihm unbekannt blieb, daß die ganze Masse des Blutes nach Vollendung dieses Kreislaufs durch die Lungen getrieben wird. An die Stelle einer richtigen Auf- fassung von der Bolle des Luftsauerstoffs, die erst durch die fort- schreitende Einsicht in den chemischen Prozeß ermöglicht wurde, tritt bei Galen die Annahme des mystischen Pneumas. Darunter dachte man sich nicht die Luft selbst, sondern ein ihr inne- wohnendes, belebendes Prinzip. Über die Fortschritte, welche die Anatomie zur Zeit der Eömerherrschaft erfahren, gibt uns das Werk Galens die beste Auskunft 4). Es verdient auch deshalb besondere Beachtung, weil es die einzige ausführliche, aus dem Altertum vorhandene Dar- ^) H. Haeser, Lehrbuch d. Gesch. d. Medizin. Jena 1853. Bd. I. S. 154. -) Grälen meint, daß man den belebenden Bestandteil der Luft, den er als Pneuma bezeichnet, später noch entdecken werde. 3) Galen war ein außerordentlich fruchtbarer und vielseitiger Schrift- steller. Man kennt (nach Christ, Geschichte der griech. Literatur, S. 630) mehr als 350 Galen sehe Schriften, von denen 118 echte und 45 zweifelhafte erhalten sind. Die meisten sind medizinischen Inhalts. Geschätzt war vor allem eine kurz gefaßte Therapeutik [rtyj'r^ latoiy.r.), die im Mittelalter unter dem Namen „Mikrotechnikum" bekannt war. Außerdem hat Galen auch Schriften philosophischen und grammatischen Inhalts verfaßt, z. B. Kommen- tare zu Piatons ..Timaeos", zu Aristoteles uad zu Theophrast. Die Hauptausgabe der Galenschen Schriften ist die Aldina i.l525 ;; ed. Chartrier, Paris 1679,. Eine ausführliche Darstellung der Bedeutung Galens enthält Paulys Realenzyklopädie des klass. Altert. Bd. VII. S. 578 — 591. 4; Galen OS. Sieben Bücher Anatomie des Galen. J\.iT0}nKl2N ErXEIPHIEÜN BIBJION 6 -EI. Zum ersten Male veröffentlicht nach den Handschriften einer arabischen Übersetzung des 9. Jahrh. n. Chr., ins Deutsche übertragen und kommentiert von Dr. med. Max Simon. I.Band: Arabischer Text. Einleitung zum Sprachgebrauch, Glossar mit 2 Faksimiletafeln, LXXXI u. 362 S. gr. 8» u. 2 Tafeln. II. Band: Deutscher Anatomie und Physiologie. 235 Stellung der Anatomie ist. Galen beginnt mit der Anatomie des Gehirns und der daraus entspringenden Nervenpaare. Es folgt die Beschreibung des Auges, der Zunge und der Lippen. Die Bewegung wird aus dem Verhalten der Muskeln erklärt, von denen Galen angibt, daß sie sich zusammenziehen und wieder er- schlaffen i). Zu sehr wichtigen physiologischen Ergebnissen gelangte Galen, weil er sich als einer der ersten des vivisektorischen Versuchs bediente. So finden wir in seinem Buche die Wirkungen geschildert, welche das Durchschneiden des Glossopharyngeus (Zungenschlundkopfnerv), des Seh- und des Gehörnerven zur Folge hat. Besonders fesselnd sind die an dem Zungenschlund- kopfnerven vorgenommenen Experimente. Galen erwähnt, daß sich auf jeder Seite der Zunge zwei Nerven befinden. Schneide man das eine Paar durch, so sei die ganze Zunge der willkür- lichen Bewegung beraubt, während die Durchschneidung nur eines dieser Nerven nur die Hälfte der Zunge lähme 2). Das zweite Nervenpaar, sagt Galen weiter, vereinige sich nicht mit den Muskeln, sondern verteile sich in der Decke der Zunge und ver- mittle die Empfindung. „Der Nerv bringt die Geschmacksempfin- dung vom Gehirn herab", heißt es bei ihm. Hervorzuheben ist auch Galens Beschreibung des Lidhebe- muskels und ganz besonders seine anatomische Untersuchung der Text. Kommentar, Einleitung zur Anatomie des Galen. Sach- und Namen- register. — Leipzig, J. C. Hinrichs, 1906. LXVIII u. 366 S. gr. 8o. Die ersten 8 Bücher von Galens Anatomie und ein Stück des 9. Buches sind im griechischen Urtext bekannt. In ihnen werden die Gliedmaßen, Kopf, Hals, Rumpf, die Organe der Verdauung und die Atmungswerkzeuge be- schrieben. Das 9. — 15. Buch, die Simon nach der arabischen Handschrift herausgegeben hat, waren bisher so gut wie unbekannt. Das 9. Buch bringt die Beschreibung des Gehirns. Im 10. werden die Augen, die Zunge und die Speiseröhre, im 11. der Kehlkopf, im 12. die Geschlechtsorgane beschrieben. Buch 13 handelt von den Gefäßen, Buch 14 und 15 von den Nerven. Es handelt sich in diesen sieben Büchern fast überall um eigene anatomische Untersuchungen am lebenden und toten Tiere, wobei stets auf den Menschen bezuggenommen wird. An manchen Stellen wird der berühmte alexandrinische Anatom Erasistratos zitiert. Ausdrücklich wird gefordert, daß jeder, der über Anatomie liest, es nicht versäumen solle, die einzelnen Dinge am Tier- körper mit eigenen Augen anzusehen. 1) Bd. II der Ausgabe von Simon. S. 45. 2) Bd. II der Ausgabe von Simon. S. 94. Der häufig anzutrefTende Zusatz Klaudios zu Galenos ist nicht berechtigt. Der große Arzt ist nicht Klaudios Galenos, sondern nur Galenos zu benennen. Siehe Mitteil zur Gesch. d. Med u. d. Naturwissen- schaft. 1902. S. 3. 236 Chirurgie und Mechanik. Nerven und Muskeln des Kehlkopfs, eine Untersuchung, bei der es ihm vor allem auf die Feststellung des Wesens der Stimm- bildung ankam. Ein Buch Galen s handelt von den Venen und den Arterien, ein zweites von den Fortpflanzungsorganen. Auch der Fötus mit seinen Hüllen und die Plazenta (Mutterkuchen) werden beschrieben. Ist es für die Entwicklung der Medizin von großer Bedeu- tung, daß ein Galen in einem umfassenden Lehrgebäude das Ganze der griechischen Heilkunde zur Darstellung brachte, so ist es von rein wissenschaftlichem Standpunkt das Verfahren Galens, das unser höchstes Interesse beansprucht. War er es doch, der b o a' d e / g Abb. 43. Chirurgische Instrumente. zuerst in größerem Umfange durch seine an lebenden Tieren aus- geführten Untersuchungen sich der Erforschung der Verrichtungen des Organismus zuwandte. Mit Recht verdient deshalb Galen als der Begründer der experimentellen Physiologie bezeichnet zu werden 1). In welchem Grade die Heilkunde schon durch die Leistungen der Mechaniker gefördert wurde, zeigen uns die aus dem Altertum erhaltenen ärztlichen Bestecke (Abb. 43). Erwähnt sei noch, daß Galen, wie Jahrhunderte vor ihm die Verfasser der hippokratischen Schriften, auf die hygienisch- diätet'sche Seite der Heilkunde großen Wert legte. Galen hat eingehend seine An- sichten über die Wirkuns: der Luft und der Nahrunsrsmittel ent- 1) H. Haeser, Geschiche der Medizin. Bd. I (1875). S. 364. Unter anderem hat Grälen schon versucht, sich eine Vorstellung von dem Sitz der einzelnen Funktionen des Gehirns zu machen, indem er die Ge- hirumasse schichttnweise abtrug. Siehe Falk, Galens Lehre vom Nerven- system. Leipzig 1871. Arzneimittellehre. 237 wickelt und auch Schlaf und Wachen, Ruhe, Bewegung und Ge- mütszustände vom ärztlichen Standpunkte aus gewürdigt. In dieser prophylaktischen Richtung folgte ihm im Mittelalter die Schule von Salerno '). Erst dadurch, daß Galen zu einem im ganzen' richtigen Ver- ständnis des Wesens der Muskeln, Sehnen und Nerven gelangte, wurde die Heilkunde auf die Stufe einer Wissenschaft empor- gehoben. Vor allem war es die Chirurgie, die aus der gewonnenen Einsicht in den anatomischen Bau des Körpers Nutzen zog. Die Zoologie und die Botanik büßten dagegen im Vergleich zu der Behandlung, die Aristoteles und Theophrast diesen Gebieten angedeihen ließen, an Wissenschaftlichkeit ein und wurden nur noch mit Rücksicht auf das medizinische Bedürfnis gefördert. So entstmd, kurz bevor Plinius schrieb, die Arzneimittellehre des Dioskurides2). In ihr finden wir etwa 600 Pflanzen er- wähnt, die indes so oberflächlich beschrieben sind, daß es meist schwer hält, die Arten sicher zu erkennen. Bei den Bearbeitern der Schriften des Dioskurides finden wir nämlich als einen Grundzug, der uns bei allen naturwissen- schafthchen Schriftstellern des Mittelalters begegnet, daß man dem Wort eine fast größere Bedeutung zuschrieb als dem Dinge selbst. Genaue Überlieferung der Namen, möglichst vollständige Aufzählung der Synonyme, der volkstümlichen und der Geheim- bezeichnungen nehmen in jenen Schriften den ersten Platz ein. Ja, es gab Schriftsteller, deren Hauptgegenstand die Nomenklatur der Pflanzen und im Anschluß daran angestellte Betrachtungen über Besonderheiten der Grammatik und der Synonymik war 3). Die Botanik berücksichtigte Dioskurides nur insoweit, als es 1) Näheres siehe Gerster- Braun fels, Abriß der Geschichte der Jatro- hygiene vom Altertum durchs deutsche Mittelalter bis zur Neuzeit. -] Dioskorides lebte im 1. Jahrhundert n. Chr. Die authentische Namensform ist Dioskurides; Dioskorides ist aber die allgemein übliche. Er war Grieche und besuchte als Arzt im Gefolge römischer Heere viele Länder. Seine Werke wurden griechisch und lateinisch von Sprengel heraus- gegeben. Leipzig 1829. (Diese Ausgabe ist völlig überholt durch die neuere von Wellmann.) Sie sind in vielen Handschriften erhalfen. Berühmt ist der mit Abbildungen versehene Kodex der Wiener Bililiothek aus dem G. Jahi'- hundert, der in Konstantinopel für Maximilian II. erworben wurde. (Siehe W. Christ, Geschichte der griechischen Literatur. München 1889. S. 629.) Zu beachten ist auch der Artikel über Dioskorides von M. Wellmann in Pauly-Wisso was Realenzyklopädie. V. 1131. 3] E. Meyer, Geschichte der Botanik. Bd. IL S. 113. 238 Botanik und Landwirtschaft. sein Zweck erforderte. Die bei manchem seiner Vorgänger übliche alphabetische Anordnung der Pflanzen verwarf er, um sie nach ihm natürlich erscheinenden Gruppen zusammenzustellen. Doch begegnete ihm dabei mancher Mißgriff. Freilich ist es schwer, zu entscheiden, was er selbst gefunden und was er seinen Vor- gängern entlehnt hat. Das Werk des Dioskurides blieb für das gesamte Mittel- alter und noch darüber hinaus von großer Bedeutung. „Was einer späteren Zeit", sagt Meyer in seiner Geschichte der Botanik i), „Linnes Systema naturae wurde, das war für jene Zeit die Arznei- mittellehre des Dioskurides; nur mit dem Unterschiede, daß man auf Linnes Werk fortzubauen nicht lange säumte, auf dem des Dioskurides dagegen wie auf einem Ruhekissen schlummerte." Indessen galt Dioskurides nicht nur für das Mittelalter als un- anfechtbare Autorität auf dem erwähnten Gebiete, sondern noch die Begründer der neueren Botanik knüpften im Anfange des 16. Jahr- hunderts vielfach an ihn an. Sie waren dabei von dem Bemühen geleitet, die von Dioskurides beschriebenen Pflanzen wieder auf- zufinden, wodurch die Liebe zur Natur zu neuem Leben erweckt wurde. Während die Griechen sich auf dem Gebiete der Pflanzen- kunde mehr als Theoretiker erwiesen, haben die Römer, ihrem auf das Nützliche gerichteten Sinne entsprechend, vorzugsweise die an- gewandte Botanik gefördert ^j. Eine Anregung dazu empfingen sie von den Karthagern. Dort entstand schon im 6. Jahrhundert v. Chr., also lange vor den griechischen Georgikern, Magos Werk über die Landwirtschaft, das der römische Senat später ins Lateinische über- setzen ließ. Die Bedeutung der Karthager auf diesem Gebiete ist wohl auf ihre Abhängigkeit von der phönizischen Kultur zurück- zuführen 3). Der Sinn für die Pflanzenkunde wurde bei den Römern auch dadurch gefördert, daß sie sich mit besonderer Vorliebe dem Gartenbau zuwandten. So kamen bei ihnen auch die Fensterbeete auf, welche die jungen Pflanzen vor Kälte schützten, aber durch ihre Marienglasscheil)en die Sonnenstrahlen hindurchließen *). 1) Bd. II. S. 94. 2) 0. Warburg, Geschichte der angewandten Botanik (Berichte der Deutsch, bot. Gesellsch. XIX [1901]. S. 159). 3) War bürg, a. a. 0. — Das Wichtigste über den Ackerbau bei den alten Völkern enthält der Artikel „Ackerbau" in Paulys Realenzyklopädie der klass. Altertumswiss, 1894. S. 261 u. f. *) Seneca erwähnt solche Beete als neuere Erfindung. Botanik und Heilkunde. 239 Berühmt waren die Gärten, welche Kaiser Hadrian bei sei- nem Landsitz in Tihur, dem heutigen Tivoli, unterhielt. Auch die Landsitze, mit denen die römischen Großen die felsigen Gestade des Mittelmeers umsäumten, erhielten reichen gärtnerischen Schmuck. Die römischen Gärten wiesen jedoch auch manche Künsteleien auf, so daß sich Stimmen erhoben, die, wie z. B. Horaz, die Rückkehr zur Natur predigten. Eins der besten Werke über die Landwirtschaft verfaßte M. Portius Cato, der durch sein Bemühen, die Römer zur Ein- fachheit und Sittenreinheit zurückzuführen, bekannt gewordene Zensor. Das Werk *) beginnt mit dem Lobe des Landbaues und enthält Vorschriften über die Obstzucht, den Anbau des Getreides und die Pflege anderer nützlicher Gewächse 2). Wir haben es schon als eine der Quellen, aus denen Plinius schöpfte, gewürdigt. Die Botanik als Hilfswissenschaft der Heilkunde. Vom medizinischen Standpunkte aus hat sich auch der als Anatom und Arzt zu großer Berühmtheit gelangte Galen mit den Pflanzen beschäftigt. Auf seinen Eeisen, die ihn nach Griechen- land, Kleinasien, Ägypten und Palästina führten, bemühte er sich, alle Pflanzen, denen man Heilwirkungen zuschrieb, an ihrem natürlichen Standorte zu beobachten und zu sammeln. Welchen Wert man diesem Gegenstande beimaß, geht auch daraus her- vor, daß die römischen Kaiser jener Zeit Kräutersammler auf Kreta unterhielten, weil die Arzneipflanzen dieser Insel beson- ders hoch geschätzt waren. Galen bekämpfte diese Meinung und vertrat die Ansicht, daß Italien ebenso wirksame Arzneipflanzen beherberge. Durch manchen archäologischen Fund ist unsere Zeit mit den Pflanzen selbst bekannt geworden, mit denen sich das Alter- tum beschäftigte. Zu jenen, welche die Mumiensärge Ägyptens lieferten, sind vor allem die pflanzlichen Reste getreten, die bei der Ausgrabung Pompejis zutage gefördert wurden. Sie sind im 1) Cato, De rc rustica. Eine tretl'liche Ausgabe rülirt von Keil ^1892) her. Cato starb 149 v.Chr. 2) Auch Marcus Terentius Varro, der zur Zeit Ciceros lebte, schrieb ein Buch über die Landwirtschaft. Näheres siehe unter den Quellen des Plinius. Varms ..De re rustica" wurde 1884 gleichfalls von Keil herausgegeben. 240 Römische NaturauftassuBg. Nationalmuseum in Neapel aufbewahrt und zum Teil so gut er- halten, daß sie identifiziert werden konnten i). Ein besonderes Interesse, das mitunter selbst gekrönte Häupter beherrschte, wandte man im Altertum der Erforschung giftiger Pflanzen zu. König Attalos von Pergamon, so erzählt uns Plutarch^), baute giftige Gewächse, wie Bilsenkraut, Nieswurz, Schierling, Sturmhut, und machte ein besonderes Studium daraus, ihre Säfte kennen zu lernen und zu sammeln. Überhaupt wett- eiferte Pergamon eine Zeitlang in der Pflege der Wissenschaften mit Alexandrien. Die römische Naturauffassung bei Lukrez und Seneca. Außer Plinius sind insbesondere noch zwei andere römische Schriftsteller zu nennen, die über die Naturwissenschaften ge- schrieben haben, Lukrez und Seneca. Lucretius Carus (er starb 55 v. Chr.) hat seine naturphilosophischen, auf Epikur zu- rückgreifenden Anschauungen in einem Lehrgedicht entwickelt, das manche beachtenswerte Stelle enthält. Es führt den Titel „De rerum natura", wurde unter den literarischen Erzeugnissen der vor- augusteischen Zeit hoch geschätzt und ist sowohl der Form als dem Inhalt nach griechischen Mustern entlehnt. Als seine Quellen nennt Lukrez neben Empedokles, dem „herrlichsten Schatz des gaben- reichen sizilischen Eilands", vor allem Epikur. Aus den Schriften dieses Mannes, welcher „die anderen Weisen überstrahle wie die Sonne die Sterne verdunkle, habe er die goldenen Worte ent- nommen", welche uns sein Lehrgedicht biete. Eine dankbare Auf- gabe für einen Dichter war es wohl kaum, die mechanische Welt- anschauung poetisch zu entwickeln. Um so mehr verdient die Art, 1) L. Wittmack, Die in Pompeji gefundenen pflanzlichen Reste. Englers Botanische Jahrbücher. 33. Bd. (1903). S. 38 — 63. Identifiziert wurden unter anderem: Alliura Cepa, Amygdalus communis, Castanea vesca, Corylus Avellana, luglans regia, Lens esculenta, Olea europaea, Panicum italicum, Panicum miliaceum, Phoenix dactylifera, Pinus Picea, Pisum sativum, Prunus persica, Triticum vulgare, Vicia Faba, Vitis vinifera. Es handelt sich bei diesen Resten um Samen und Früchte. Auf den Wandgemälden Pompejis sind etwa 50 Pflanzen dargestellt, die sich identifizieren ließen, während dies bei manchen nicht möglich war. Comes, Darstellung der Pflanzen in den Malereien von Pompeji. Stutt- gart 1895. 2j Plutarch, Vita Demetrii. Atomtheorie der Alten. 241 wie Lukrez sie löste und durch die er den Kranz der Musen davontrug, unsere Bewunderung. Es ist nicht nur die Schönheit der Gleichnisse und die lebensvolle Schilderung gewaltiger Natur- erscheinungen, die uns in seinem "Werke fesselt, sondern vor allem die Genialität der auf der Ablehnung alles Götter- und Aber- glaubens beruhenden Lebensauffassung. Bezüglich seiner Auf- fassung der I^Taturvorgänge ^j müssen wir uns hier auf einige An- deutungen beschränken. Nichts entsteht aus nichts, sagt Lukrez mitDemokrit und Epikur, wenn selbst die Götter es wollten. Sondern die Natur erzeugt stets das eine aus dem andern. Die Dinge läßt Lukrez aus unendlich feinen Teilchen bestehen. Sonst sei z. B. das all- mähliche Dünnerwerden der im Gebrauch befindlichen, metallenen Gegenstände ganz unerklärlich. Da bei absoluter Eaumerfüllung Bewegung unmöglich sei, so müsse man annehmen, die Teilchen seien nicht dicht zusammengedrängt, sondern durch leere Zwischen- räume geschieden. Alles sei ferner schwer. Im leeren Räume müsse selbst die Flamme schwer sein. Ihr Emporsteigen sei da- durch bedingt, daß der Lufthauch sie trotz ihrer natürlichen Schwere in die Höhe treibe, wie ja auch das schwere Holz im Wasser emporschnelle. Schall, Licht und Wärme sind für Lukrez körperliche Ausflüsse. Sonderbar ist seine, dem Epikur entlehnte Bildertheorie. Wir nehmen nach ihr die Dinge wahr, indem sich dünne Häutchen von ihrer Oberfläche lösen und durch die Lüfte zu unserem Auge schwimmen. Die magnetischen Erscheinungen wer- den gleichfalls aus der Annahme erklärt, daß feine Teilchen von dem Magneten ausströmen. Selbst den Blitz 'läßt Lukrez aus glatten und winzigen Teilchen bestehen. Eine Andeutung des Gesetzes von der Erhaltung des Stoffes und der Kraft kann man in folgenden Zeilen erblicken: „Denn er (der Stoff) vermehrt sich nie, noch vermindert er sich durch Zerstörung, Ferner war die Bewegung, die jetzt in den Urelementen Herrscht, schon von jeher da, und so wird sie auch künftig noch da sein. — Denn kein Platz ist vorhanden, nach welchem die Teile des Urstoffs 1) Vergil widmete Lukrez die Worte: „Felix, qui potuit rerum cognos- cere causas", ein Ausspruch, der später auf Newton angewandt wurde. Siehe Vergils Georgica II, 490. Dannemann, Die Naturwissenschaften. I. Bd. 2. Aufl. 16 242 Geographie und Physik. Könnten entfliehen, kein Platz, von wo aus erneuerte Kräfte Brächen herein, die Natur und Bewegung der Dinge zu ändern!)." Interessant ist, wie Lukrez das Verhältnis von Empfindung und Materie erörtert. Er schreibt die Empfindung nämlich nicht den Atomen, sondern nur ihrer Zusammenfassung zu. Denn, so meint er, die Menschenatome könnten doch nicht weinen und lachen. Indem er das tut, erhebt sich Lukrez über den krassen Materia- lismus der demokritischen Lehre. Des weiteren bringt er be- merkenswerte Anschauungen über Gegenstände der physikalischen Geographie. So erklärt er den gleichmäßigen Bestand des Meeres als eine Folge des Kreislaufs des Wassers. Nach seiner Annahme gelangt das Wasser aus dem Meere auf unterirdischem Wege in die Gebirge zurück'-) und speist dort unter Abgabe des Salz- gehaltes die Quellen. Die Erdl)eben werden darauf zurückgeführt, daß die Erde mit Höhlungen, Strömen, Sümpfen und geborstenem Gestein ausgefüllt sei. Durch den Einsturz der Höhlen entständen Erschütterungen, die man als Erdbeben bezeichne. Nicht minder merkwürdig als die Schrift des Lukrez sind die 3) „Quaestiones naturales" des römischen Dichters und Philo- sophen Seneca, der im Jahre 65 n. Chr. starb. Seneca meint, das Gesicht sei der trügerischste Sinn, da z. B. ein Ruder im Wasser wie gebrochen erscheine. Den Regenbogen hält er für das Spiegelbild der Sonne, denn einige Spiegel, sagt er, sind so beschaffen, daß sie die Gegenstände zu einer entsetzlichen Größe ausdehnen. Bei Seneca findet sich auch die einzige Stelle, welche darauf hindeutet, daß die Alten das Prisma gekannt und das Spektrum beobachtet haben. Seneca sagt nämlich, wenn man Glasstücke mit mehreren Kanten anfertige und die Sonnenstrahlen auf sie fallen lasse, so erblicke man die Farben des Regenbogens. Er erwähnt ferner mit Wasser gefüllte Glaskugeln und ihre Eigen- schaft, dahinter befindliche Gegenstände vergrößert zu zeigen-*,. Dafür, daß die Römer mit den optischen Eigenschaften geschliffener Gläser bekannt waren, soll auch eine Angabe des Plinius sprechen. Es heißt dort, daß Nero sich eines Smaragds bediente, 1) Lucretius. Deutsch von Max Seydel. München, R. Oldenbourg, 1881. 2. Gesang, V. 258 u. f. 2) Nach Vitruv dagegen werden die Quellen durch das in den Boden sickernde Regenwasser gespeist. 3) allerdings wohl vielfach interpolierten. *) Quaest. natur. 1, 6. Kosmologische Ansphauungen. 243 um besser sehen zu können. Dieser Stein sei konkav und dadurch geeignet gewesen, „die Sehstrahlen zu sammeln"*). Man hat auch bei Ausgrabungen (so in Pompeji) linsenförmig geschliffene Gläser gefunden und nimmt an, daß sie als Brenngläser gedient haben. Auch bei den Ausgrabungen in Ninive hat man eine plankonvexe Linse aus Bergkristall entdeckt, die angeblich auch optischen Zwecken gedient hat^j. Der Schall ist für Seneca ein Druck der Luft. Er begegnet sich in dieser, annähernd das Richtige treffenden Anschauung mit Vitruv, der im Gegensatz zu dem, alles als Ausflüsse auffassenden Lukrez den Schall als eine Lufterschütterung betrachtet. Diese Erschütterung läßt Vitruv ähnlich entstehen, wie sich durch einen Stein im Wasser die Wellenkreise bilden. Nur entständen die Wellen beim Schall nicht allein in der Fläche, sondern sie dehnten sich auch in die Breite und in die Höhe (somit kugelförmig) aus. Im 3. Buche findet sich ein Anklang an den als Apokatastasis bezeichneten periodischen Wechsel. Die Erde sollte danach 3) ver- brennen, wenn alle Wandelsterne im Krebse zusammenkämen und somit eine gerade Linie bildeten. Dagegen würde eine allgemeine Überschwemmung eintreten, wenn sich diese Konstellation im Stein- bock wiederhole. Die Höhe der Naturanschauung Senecas zeigt sich besonders in den Ansichten, die er über die Kometen entwickelt*). Seine Zeitgenossen, sagt er, seien der Meinung, die Kometen entständen aus verdichteter Luft. Er aber halte sie für „ewige Werke der Natur", und zwar deshalb, weil auch ihnen ein Kreislauf eigen sei. Von Beobachtungsgabe und Scharfsinn zeugen auch die An- sichten, die Seneca über die geologischen Erscheinungen ent- wickelt. Die Erdbeben werden teils auf den Einsturz von Höhlungen des Erdinnern, teils auf dort angesammelte Gase zurückgeführt. Die Vulkane stellen die Verl)indung zwischen der Oberfläche und dem glutflüssigen Erdinnern her. Unter den Vulkanen, welche Seneca aufzählt, findet der Vesuv keine Erwähnung, während Strabo ihn wegen der in seiner Nähe sich findenden Schlacken als einen erloschenen Vulkan betrachtete. Manche Bemerkungen Senecas über die lösende und die abtragende Tätigkeit des 1) Plinius, Hist. nat. 37,5. Diese Stelle ist jedoch unklar und ihre Deutung nur unsicher. 2) Poggendorffs Ergänzungsband 4. S. 452. •*) Nach einer Mitteilung des Berosos. ■*; Seneca, Quaestiones VII. 22 u. 23. 16* 244 Chemische Kenntnisse. Wassers und die Bildung von Ablagerungen stimmen mit den neueren geologischen Anschauungen gut überein und „verraten durchweg ein gesundes Urteil" i). Auch Vitruv äußert in seiner Schrift „De architectura" die Ansicht, daß in der Nähe des Vesuvs das Innere der Erde glühend sein müsse. Er schließt dies daraus, daß bei Bajae heiße Dämpfe aus dem Boden entweichen. Vitruv erwähnt ferner auf Grund der Überlieferungen, daß die Glut des Erdinnern in alten Zeiten Ausbrüche des Vesuvs veranlaßt habe, daher rühre auch wohl der Bimsstein in der Nähe von Pompeji, der infolge der Hitze aus einem anderen Steine entstanden sei. Vitruv erwähnt auch, daß es Quellen gäbe, die vermöge ihrer Säure Blasensteine aufzulösen vermöchten, wie der Essig die Eier- schalen löse 2). Chemische Kenntnisse und ihre Anwendungen. Über die mineralogischen und die chemischen Kenntnisse der Römer erfahren wir manches durch Plinius^), Eingehender be- faßt sich dieser mit dem Glase. Er schildert seine Herstellung aus Sand, Soda (Nitrum) und Muschelschalen 4). Auch ist ihm bekannt, daß man mit Kugeln aus Glas oder Kristall sowie mit kugeligen, mit Wasser gefüllten Glasgefäßen in der Sonne Hitze erzeugen kann^). Die Römer stellten sogar Treibhäuser mit gläser- nen Wänden her, um auf diese Weise frühzeitig frisches Gemüse zu erhalten. Aus Glas verfertigte Spiegel finden gleichfalls schon bei Plinius Erwähnung. Neuere Ausgrabungen haben solche auch zutage gefördert. Der Belag dieser antiken Spiegel besteht bald aus reinem Blei 6), bald aus anderen Metallen. Auch über die wichtigsten Farbstoffe und ihre Verwendung berichtet Plinius. Er erwähnt den Krapp und den Indigo, mit denen man die Wolle färbte. Wie man in Indien den Indigo ge- 1) A. v. Zittel, Geschichte der Geologie und Paläontologie. 1899. S. 10. 2) Vitruv, De architectura 8, 3. 3) Die chemischen Kenntnisse des Plinius in E. v. Lippmanns Ab- handlungen u. Vorträge zur Geschichte der Naturwissenschaften. Leipzig 1906. Im 2. Bande der Abhandlungen und Vorträge von Lippmanns (Leipzig 1913) findet sich in der zweiten Abteilung Wichtiges über die chemischen und physi- kalischen Kenntnisse der Griechen zusammengestellt, 4) Plinius 36,64- 5) Plinius 36, ßg u. 67- 6) Jahresbericht über die Fortschr. d. klass. Altertumswiss. 1902. Bd. III. S. 26-82 (Stadlers Bericht). Chemische Kenntnisse. 245 winnt, ist ihm indessen nicht bekannt. Am weitesten hatten es in der Kunst zu färben nach Plinius die Ägypter gebracht. Er erzählt von ihnen, daß sie die Stoffe vor dem Färben mit beson- deren Flüssigkeiten (Beizen) behandelten. Plinius kannte auch schon die Seife. Er erzählt, daß sie von den Galliern und den Germanen durch Kochen von Talg mit Pflanzenasche hergestellt werde. Wahrscheinlich wurde die Aschen- lauge durch Zusatz von Kalk kaustisch gemacht ij. Mancherlei über die chemischen Kenntnisse zur Zeit der Römerherrschaft erfahren wir auch durch die um 75 n. Chr. ent- standene Arzneimittellehre des Dioskurides. So spricht dieser vom Verzinnen von Kesseln 2). Daß gewisse Mineralien beim Übergießen mit Essig Gas entwickeln, war im Altertum bekannt. Plinius knüpft daran die Bemerkung, der Essig sei stärker als das Feuer, denn er bezwinge Felsen, die dem Feuer Widerstand leisteten '). 1) E. V. Meyer, Geschichte der Chemie. 1914. S. 17. 2) E. V. Lippmann, Abhandlungen u. Vorträge z. Gesch. d. Naturwissen- schaften. Leipzig 1906. S. Ö6. 3) Die bekannten Erzählungen über das „Auflosen" der glühend gemachten Felsen mit Essig durch Hannibal, u. dgl., gehen jedoch nach v. Lippmann auf die rein abergläubische Vorstellung zurück, daß der Essig von äußerster Kälte sei und daß deshalb das Zusammentreffen dieses Extrems mit der Glut des Feuers auch ganz außergewöhnliche Wirkungen bedinge. 6. Der Ausgang der antiken Wissenschaft. In die Zeit der römischen Weltherrschaft fällt eine noch- malige Blüteperiode der alexandrinischen Akademie. Die mit ihr verbundene große Bibliothek war zwar im Jahre 47 v. Chr. zum größten Teile vernichtet worden. Als Ersatz dafür gelangten zahl- reiche Rollen der pergamenischen Bibliothek nach Alexandrien (s. S. 153). Eine zweite kleinere Bibliothek befand sich dort im Serapeion. Sie wurde gegen das Ende des 4. Jahrhunderts bei einem von den Christen hervorgerufenen Aufstand zerstört. Trotz- dem blieb Alexandrien noch lange über das 4. nachchristliche Jahr- hundert hinaus die bedeutendste Hochschule des Orients M. Das ptolemäische Weltsystem. Als ruhmvollster Name unter den alexandrinischen Gelehrten der nachchristlichen Jahrhunderte leuchtet uns derjenige des Ptolemäos entgegen. Mit seinen Verdiensten um die Fortent- wicklung der Astronomie und der Geograj)hie haben wir uns zu- nächst zu beschäftigen. Ptolemäos lebte im 2. Jahrhundert n. Chr. in Alexandrien. Er hat sich als Mathematiker, Astronom, Physiker und Geograph die größten Verdienste erworben. Wahrscheinlich ist er in Ptolemais in Oberägypten geboren. Im übrigen ist über sein Leben fast nichts bekannt. Ptolemäos hat zahlreiche Schriften verfaßt, die zum Teil im Original, zUm Teil in arabischer oder in lateinischer Sprache er- halten geblieben sind. Die wichtigsten sind die .,Erd])eschreibung", der „Almagest" (das astronomische Hauptwerk) und die „Optik". Das Weltsystem des Aristarch war zwar ein glücklicher Ein- fall gewesen; die heliozentrische Auffassung allein vermochte jedoch 1) Über die alexandrinischen Bücherschätze und deren Schicksale siehe auch Ritschel, Breslau 1838, sowie F. Schemmel, Die Hochschule von Alexandrien im 4. u. 5. Jahrh. n. Chr. Neue Jahrbücher f. d. klass, Altertum. 1909. S. 438. Nach der dort gegebenen Darstellung wurde die große Biblio- thek mit ihren 400000 Bänden erst 272 n. Chr. zerstört. Ptolemäisches "Weltsystem. 247 nffch nicht, der genaueren Beschreibung der sich am Himmel ab- spielenden Vorgänge eine sichere Grundlage zu bieten. Dies System konnte daher im Altertum keine allgemeine Geltung finden, zumal es an den mechanischen Begriffen fehlte, welche damit in Einklang gebracht werden mußten. So erhob Ptolemäos den später auch Koppernikus und Galilei gegenüber gemachten, von letzterem aber entkräfteten Einwand, daß eine Drehung der Erde um ihre Achse die Ablenkung eines senkrecht in die Höhe geworfenen Körpers zur Folge haben müßte. Ferner galt der von Aristoteles herrührende Satz, daß die Bewegungen der Himmels- körper, weil die letzteren göttlich und ewig seien, gleichmäßig und im Kreise vor sich gehen müßten, dem Ptolemäos, wie dem ge- samten Altertum, als eine unumstößliche Wahrheit. Zwar hatte es den Anschein, als ob s^ch die Planeten, sowie die Sonne und der Mond am Fixsternhimmel bald schneller, bald langsamer be- wegten; erstere schienen sogar zeitweilig stillzustehen und sich bald vor-, bald rückwärts zu bewegen. Die Unregelmäßigkeit der jährlichen Sonnenbewegung machte sich dem Ptolemäos vor allem darin bemerkbar, daß die Sonne 178 Tage und 18 Stunden gebraucht, um im Verlaufe des Winter- halbjahres vom Herbstpunkt zum Frühlingspunkt zu gelangen, während sie die andere Hälfte der Ekliptik, also den Weg vom . Frühlings- zum Herbstpunkt, in weit längerer Zeit, nämlich in 186 Tagen und 11 Stunden, zurücklegt i). Diese als die erste Un- gleichheit bezeichnete Unregelmäßigkeit entspringt, wie wir heute wissen, daraus, daß die Himmelskörper sich nicht in Kreisen, son- dern in Ellipsen bewegen. Die zweite Ungleichheit, die nur bei den Planeten auftritt, wird dadurch hervorgerufen, daß wir unsere Be- obachtungen von der Erde aus anstellen, die sich ihrerseits wieder um die Sonne bewegt. Dieser Umstand ist es, der die scheinbaren Stillstände und Rückgänge der Planeten verursacht. Auch daß an dem Monde eine als Evektion bezeichnete Ungleichheit in die Er- scheinung tritt, bemerkte Ptolemäos schon"-). Wir führen sie heute auf Störungen zurück, welche die Mondbewegung durch die Sonne erleidet. Sie ist die bedeutendste unter den Unregelmäßigkeiten der Mondbewegung und erreicht einen Betrag von mehr als einem Grad. 1) Johannes Frischauf, Crrundriß der theoretischen Astronomie und der Geschichte der Planetentheorien. 2. Auflage. Leipzig 1903. S. 104. Die Änderung der Geschwindigkeit der scheinbaren Sonnenbevvegung erklärt sich daraus, daß die Erde im Winter der Sonno näher ist als im Sommer. 2) Frischauf, a. a. 0. S. 103. 248 Sphärentheorie. Schon Piaton hatte es als die wichtigste Aufgabe der Astro- nomie bezeichnet, die beobachteten, scheinbar unregelmäßigen Be- wegungen auf gleichförmige zurückzuführen, da, wie er sagte, keine Ursache dafür vorhanden sei, daß die himmlischen Körper sich anders als gleichförmig bewegen sollten. Der erste, der eine Lösung der von Piaton gestellten Aufgabe versuchte, war sein Schüler Eudoxos von Knidos. Er bediente sich dazu der Theorie der homozentrischen Sphären; und es gelang ihm so, die zweite Ungleichheit als ein gesetzmäßig bestimmtes Bewegungs- phänomen darzustellen. Nach Eudoxos ist jeder Planet auf einer rotierenden Sphäre befestigt. Die Pole dieser Sphäre liegen in einer zweiten Sphäre, die ebenfalls um eine Achse rotiert. Es kam nun darauf an, die Geschwindigkeiten jener Sphären und die Lage ihrer Achsen so zu wählen, daß ^dadurch dem tatsächlichen Verlauf der Erscheinungen möglichst Rechnung getragen wurde. Zu diesem Zwecke mußten für den Mond und für die Sonne je drei und für jeden Planeten vier Sphären angenommen werden. Am besten gelang es auf diese Weise, die Bewegungen der ent- fernteren Planeten Saturn und Jupiter gewissermaßen in eine Eegel zu fassen. Die größten Schwierigkeiten bereitete der Mars, an dem später Tycho und Kepler den wahren Ablauf der Planeten- bewegungen nach endlosen Mühen entdecken sollten. Um die Theorie mit den Erscheinungen in besseren Einklang zu bringen, wurde später die Zahl der Sphären noch vermehrt i). Einen anderen Weg schlugen Hipparch und Ptolemäos ein. Sie benutzten zur Auflösung der ersten Ungleichheit exzentrische Kreise und zur Bewältigung der zweiten Ungleichheit den Epi- zykeP). Hipparch erklärte die Erscheinung, daß die Sonne auf ihrer jährlichen Bahn eine größte und eine geringste Geschwindig- keit annimmt, indem er die Erde aus dem Mittelpunkt rückte und die Sonne um sie in gleichförmiger Bewegung einen exzentrischen Kreis beschreiben ließ. Die Größe der Exzentrizität ließ sich nun leicht so wählen, daß damit dem Verlauf der Erscheinungen Rech- nung getragen wurde. Die Annahme von exzentrischen Kreisen hatte aber nicht einmal die Bewegung des Mondes, geschweige denn diejenige der Planeten zu erklären vermocht. Ptolemäos griff deshalb einen Gedanken auf, den der Mathematiker Apol- lonios geäußert hatte, und nahm zwei oder mehr Kreisbewegungen 1) Durch Kalippos. 2j Der exzentrische, mit dem Epizykel verbundene Kreis wurde als der deferierende Kreis bezeichnet. Epizykl entheorie. 249 zu Hilfe. Zur Erklärung diene Abb. 44. Es sei E die Erde, um die mit einem Radius R = Mm ein exzentrischer Kreis gezogen ist. Auf letzterem bewegt sich indes nicht der in Frage kommende Himmelskörper, sondern der Mittelpunkt der Kreisbahn p q t s, in der erst der Planet mit gleichförmiger Geschwindigkeit sich bewegt. Diese Kreisbahn wird der Epizykel, die Theorie da- her die Epizyklentheorie genannt. Es ist ersichtlich, daß der Himmelskörper, von der Erde gesehen, sich in p rascher bewegt als in t, wo seine Bewegung derjenigen des Epiz'ykels entgegen- gesetzt ist. Auch ist klar, daß trotz der gleichförmig gedachten Bewegung, mit deren Annahme der Forderung Piatons Genüge geleistet war, scheinbare Stillstände und Rück- gänge eintreten können. Es kam nur darauf an, das Verhältnis von r und ME zu R, sowie die Umlaufszeiten um M und m so zu wählen, daß dem Verlauf der Erscheinungen durch die hypothetischen Bewegungen Genüge geleistet war und erstere aus den an- genommenen Verhältnissen berechnet werden konnten. Stimmten dann die Berechnungen mit neuen, auf Grund der Rechnung angestellten Beob- achtungen nicht überein, so führte man einen dritten Epizykel ein, dessen Mittelpunkt den Kreis p q t s beschrieb. Durch eine Verknüpfung derartiger Kreis- bewegungen läßt sich offenbar jede, nach einem bestimmten Ge- setze auf beliebiger Bahn ablaufende Bewegung darstellen. Ptolemäos wandte die Epizyklentheorie zunächst auf die Er- klärung der Mondbewegung an. Daß die Entfernung des Mondes von der Erde beträchtlichen Schwankungen unterworfen ist, hatte sich ihm aus der Tatsache ergeben, daß der scheinbare Durch- messer des Mondes nach seinen Beobachtungen zwischen 31 1/3 und 35'/3 Minuten schwankt. Aristoteles hatte also recht, wenn er behauptete, „daß derselbe Diskus, bei sich gleichbleibender Ent- fernung vom Auge, den Mond bald bedecke, bald nicht". Um die Ungleichheiten des Mondumlaufes zu erklären, ließ Ptolemäos das Gestirn einen Epizykel beschreiben, der sich innerhalb eines Zeitraumes vollziehen sollte, in welchem der Mond A)jb. 44. Zur Erläuterung der Epizyklentheorie. 250 Epizyklentheorie. zu demselben Endpunkte seiner großen Bahnachse zurückkehrt. Der Mittelpunkt dieses Epizykels umlief die Erde in einem Kreis- lauf, der gegen die Ekliptik, der Neigung der Mondbahn ent- sprechend, schief gerichtet war. Die Zeitdauer dieses Kreislaufs währte bis zur Rückkehr zu den Knoten, den Punkten, in denen die Ekliptik und die Mondbahn sich schneiden. Auf diese Weise erzielte Ptolemäos, daß sich Rechnung und Beobachtung, wenig- stens für den damaligen Stand der astronomischen Wissenschaft, in etwa deckten. Dasselbe Ziel suchte Ptolemäos bezüglich der Planeten- bewegung unter Zuhilfenahme der Epizyklen und der exzentrischen Kreise zu erreichen. Doch waren die Schwierigkeiten hier fast noch größer. So lange man die Epizyklentheorie als bloße Hilfshypothese ansah und benutzte, ließ sich gegen sie nichts einwenden. Wir bedienen uns noch heute zur Beschreibung von Naturvorgängen mancher Fiktionen, die dem Fortschritt der Erkenntnis nur dann gefährlich werden, wenn wir uns daran gewöhnen, in ihnen den wahren Grund der Erscheinungen zu erblicken. Erinnert sei nur an die Annahme magnetischer und elektrischer Fluida, an deren wirkliches Vorhandensein kein Physiker glaubt, obgleich sie einer elementaren Beschreibung der magnetischen und der elektrischen Vorgänge zugrunde gelegt werden. Mit der zunehmenden Kom- pliziertheit solcher Hypothesen wird indes ihre Anwendung immer mehr erschwert. So trug schon aus dieser Ursache die Epizyklen- theorie den Keim des Todes in sich, wenn auch ihre Herrschaft noch lange dauern sollte. Denn selbst Koppernikus war, nach- dem er die Sonne, wie er sich ausdrückt auf ihren königlichen Thron in die Mitte d^r sie umkreisenden Gestirne gesetzt hatte, sofort gezwungen, sich der Epizykel wieder als Hilfskonstruktion zu bedienen, weil er an der Vorstellung einer kreisförmigen Be- wegung der Planeten festhielt. Zwar kam bei Annahnie der heliozentrischen Lehre die so- genannte zweite Ungleichheit in Fortfall, da sie ja daraus ent- sprang, daß man die Erde als den Mittelpunkt der Bewegungen betrachtete. Anders stand es mit der ersten Ungleichheit, welche daraus hervorgeht, daß die Himmelskörper sich nicht in Kreisen, sondern in Ellipsen bewegen. Da Koppernikus an die Möglich- keit einer anderen als der kreisförmigen Bewegung noch gar nicht dachte, so blieb ihm zur Erklärung der ersten Ungleichheit nichts anderes übrig, als auf sie die Epizyklentheorie anzuwenden. Das Fixstern Verzeichnisse, 251 astronomische und das trigonometrische Wissen seiner Zeit legte Ptolemäos, nachdem es durch ihn eine beträchtliche Vermehrung erfahren, in einem Lehrbuche nieder, das von den Arabern Al- magest^) genannt wurde und dem gesamten Mittelalter in astro- nomischer Hinsicht als ein Evangelium galt. Das Bedürfnis nach einer Verbesserung der von Ptolemäos mitgeteilten Planetentafeln machte sich schon im Mittelalter gel- tend. Um das Jahr 1250 berief daher König Alfons von Kastilien eine Anzahl Gelehrter, welche neue astronomische Tafeln, die so- genannten alfonsinischen, entwarfen, die einen wesentlichen Fort- schritt gegenüber denjenigen des Ptolemäos bedeuteten. An der Epizyklentheorie wurde indes trotz ihrer wachsenden Kompliziert- heit nicht gerüttelt, was Alfons zu dem Ausspruch veranlaßt haben soll, die Welt wäre einfacher geworden, wenn Gott ihn bei ihrer Erschaffung zu Rate gezogen hätte. Außer der vorstehend skizzierten, dem damaligen Standpunkte der Astronomie genügenden Epizyklentheorie finden wir im Al- magest die schon von den älteren alexandrinischen Astronomen sowie von Hipparch in Angriff genommene Bestimmung der Fix- sternörter fortgesetzt-). Das von Ptolemäos entworfene Ver- zeichnis 3) umfaßt 1022 Sterne, die nach ihrer Lage innerhalb der von den Griechen angenommenen Sternbilder, sowie nach Länge und Breite bestimmt sind. Auch die Untersuchung der von Hipparch entdeckten und ihrer Größe nach gleich etwa einem Grad für das Jahrhundert an- 1) A.US dem arabischen Artikel und dem ersten Wort des griechischen Titels {>i atyiaiv, nvi^tuiig) entstanden. Die Übersetzung ins Arabische fand spätestens um 827 statt. Seit dem 12. Jahrhundert wurde der Almagest wieder- holt ins Lateinische übertragen. Eine ungenügende Ausgal)e des griechischen Textes nebst einer Übersetzung ins Französische veranstaltete Halma (2 Bde., Paris 1813 — 1816). Eine griechisch-lateinische Ausgabe besorgten Wilberg und Grashof, Essen 1838 — 1845. Unter den neueren Schriftstellern, die den Almagest zugänglich gemacht haben, ist neben Heiberg besonders Man itius zu nennen (Des Claudius Ptolemaeus Handbuch der Astronomie. Aus dem Griechischen übersetzt und mit erklärenden Anmerkungen versehen von Karl Manitius. Leipzig 1912. B. G. Teubner). 2) Die Zahl der mit bloßem Auge sichtbaren Fixsterne beläuft sich auf 4 — 5000. Hipparch stellte das erste wissenschaftliche Fixsternverzeichnis .mit Angabe der Positionen und der Größenverhältnisse auf •■*) Es bildet das 7. Buch des Almagest und wurde 1795, übersetzt und erläutert, herausgegeben von J. E. Bode: J. E. Bode, Claudius Ptolemäus' Be- obachtung und Beschreiliung der Gestirne. Berlin 1795. 252 Hilfswissenschaften der Astronomie. gegebenen Präzession der Tag- und Nachtgleichen wurde von Ptole- mäos wieder aufgenommen. Eine Bestätigung dieser Erscheinung war nämlich sehr wichtig, da Hipparch sich nur auf die wenig ge- nauen Beobachtungen der älteren Alexanririner stützen konnte. Bevor wir die Schilderung der astronomischen Verdienste des Ptolemäos beenden, sei noch einiges aus dem Inhalt des AI- magest mitgeteilt, woraus sich der Standpunkt, den die Stern- kunde in Alexandrien erreicht hatte, ermessen läßt. Die Erde ist eine Kugel. Sie befindet sich in der Mitte des Himmels, kann aber im Vergleich zu den Himmelsräumen nur als ein Punkt betrachtet werden. Während die Erde unbeweglich fest- steht, bewegen sich die Gestirne in kreisförmigen Bahnen. Dies sind die Sätze, welche an der Spitze des Werkes stehen. Die Länge des Jahres wird im Almagest zu 365 Tagen 5 Stunden und 55 Minuten angegeben. Die Erde ist 39 mal so groß wie der Mond, während die Sonne den Mond 6600mal an Größe über- treffen sollte. Bezüglich der Entfernungen wird angegeben, daß der Mond 59, die Sonne dagegen 1210 Erdhalbmesser von uns entfernt sei. Die Abstände der Gestirne von der Erde regeln sich nach Ptolemäos folgendermaßen: Auf den Mond folgt zunächst Merkur, dann Venus und darauf die Sonne. Die weitere Reihenfolge ist Mars, Jupiter und Saturn. Auf diese sieben Wandelsterne, deren Zahl erst durch Herschels Entdeckung des Uranus vermehrt wurde, folgen die Fixsterne. An die Beschreibung dieses seinen Namen tragenden Welt- systems schließt sich eine Darstellung der Grundzüge der ebenen und der sphärischen Trigonometrie, der wichtigsten Hilfswissen- schaft der Astronomen. Hilfswissenschaften der Astronomie. Die astronomischen Leistungen des Ptolemäos wurden da- durch ermöglicht, daß die beiden wichtigsten Hilfswissenschaften der Astronomie, die Mathematik und die Meßkunde, bedeutende Fortschritte aufzuweisen hatten. Die wichtigste Vorarbeit auf dem Gebiete der Mathematik lieferte der Astronom Menelaos von Alexandrien, dessen Sternbeobachtungen im Almagest Erwähnung finden. Menelaos verfaßte ein Werk über die Berechnung der Sehnen, das verloren ging, und ein zweites, „Sphärik-' genannt, welches die Grundzüge der sphärischen Trigonometrie entwickelte, Naturwissenschaft und Mathematik. 253 indessen nur in Übersetzungen bekannt geworden ist^). Menelaos bringt schon den Satz, daß in jedem sphärischen Dreieck die Summe der drei Winkel größer als zwei Rechte ist. Er zeigt, daß gleichen Seiten desselben sphärischen Dreiecks gleiche, ungleichen Seiten ungleiche Winkel gegenüberliegen, und zwar den größeren Seiten die größeren Winkel. Sein Werk enthält die wichtigsten Sätze über die Kongruenz sphärischer Dreiecke, ferner diejenigen Sätze über Transversalen im ebenen und im sphärischen Dreieck, die man noch jetzt als die Sätze des Menelaos bezeichnet. Ptolemäos vollendete, was Hipparch und Menelaos auf dem Gebiete der ebenen und der sphärischen Trigonometrie begonnen hatten. Er gab dieser Wissenschaft für den astronomischen Ge- brauch eine Form, die sich, wie seine Lehre, länger als ein Jahr- tausend erhalten hat. Als der letzte unter den großen Mathematikern des Altertums ist Diophant von Alexandrien zu nennen. Dieser schrieb ein Werk über Arithmetik, das etwa zur Hälfte erhalten geblieben ist 2). Er betitelte es ccQtD^f^irjvi/.c( und erschloß damit ein bisher kaum be- tretenes Gebiet. Bei Diophant begegnen uns schon gewisse Zeichen und Ab- kürzungen, während vor ihm die Rechnungen zumeist nur durch Worte auseinandergesetzt wurden und höchstens gewisse Fachaus drücke (wie bei den alten Ägyptern) wiederkehren. Für die Unbe- kannte (unser x) gebrauchte Diophant z. B. das Sigma, g, den ein- zigen griechischen Buchstaben, der keine bestimmte Zahl bedeutete. Für die zweite Potenz lautet sein Zeichen ö'' [dvvauig = Quadrat), für die dritte yy {-Avßog = Würfel). Für die sechste Potenz schrieb Diophant x" yp. Höhere Potenzen kommen bei ihm nicht vor. Für die Subtraktion verwendet er ein besonderes Zeichen [cfi = umgekehrtes ip). Zu addierende Größen dagegen werden ohne ein Zeichen nebeneinander gestellt. Selbst ein Gleichheitszeichen {i als Abkürzung von lool, gleich) fehlt nicht-'). Diese Beispiele zeigen zur Genüge, daß uns bei Diophant schon ein Verfahren begegnet, das seine hervorragenden Erfolge erklärlich macht. Ein wesentlicher Mangel der diophantischen Algebra besteht darin, daß sie den Gegensatz von positiv und negativ noch 1) Die beste Ausgabe rührt von Halley her. Sie erschien in Oxford im Jahre 1758. 2) Eine lateinische Übersetzung von Xylauder (Basel 1575) vermittelte zuerst die Kenntnis von Diopliants Werken. 3j M. Cantor, Greschichte der Mathematik. Bd. I. S. 402. 254 Naturwissenschaft und Mathematik. nicht kennt. Dies hat darin seinen Grund, daß Diophant nur Differenzen bildet, bei welchen der Minuend größer als der Sub- trahend ist. Eine größere Zahl von einer kleineren abzuziehen, die algebraische Operation, die ja zum Begriff der negativen Zahl geführt hat, erschien ihm als etwas Unmögliches. Führte die Lösung einer Gleichung auf negative Werte, so erklärte Diophant einen derartigen Fall für unzulässig. Eine Rolle spielte diese Be- schränkung besonders bei der Auflösung quadratischer Gleichungen, mit der Diophant sich sehr vertraut zeigt. Bei ihm begegnet uns auch die erste kubische Gleichung. Doch bleibt der Fall vereinzelt. Auch ließ sich die betreffende Gleichung auf einen niedrigeren Grad reduzieren^). Dicj^hant gibt die Lösung, ohne jedoch sein Verfahren anzudeuten. Was Diophant vor allem auszeichnet, ist die Art, in der er sich bei fast allen Problemen von den Einzelfällen loslöst und sich zur allgemeineren Betrachtung erhebt. Die Stellung, die Diophant in der Entwicklung der Wissen- schaften einnimmt, ist infolgedessen eine ganz einzigartige. Einmal treten uns seine Schöpfungen, die von allem, was vor ihnen liegt, so sehr verschieden sind, ganz unvermittelt entgegen. „Eine ganz andere Luft weht in den Schriften dieses Arithmetikers als in denjenigen der klassischen Geometer" 2). Und wie es an nach- weisbaren Vorstufen und Vorläufern fehlt, so mangelt es in dem auf Diophant folgenden Jahrtausend auch an Mathematikern, die das von ihm Begonnene fortgesetzt hätten. Erst zu Beginn der neueren Periode vermochte man an Diophant anzuknüpfen und eine höhere Mathematik zu schaffen, deren wichtigstes Ele- ment, wie bei Diophant, allgemeine Zahlen, für sich betrachtet und in ihrer Beziehung zu geometrischen und physikalischen Größen, sind. Diophant lebte vermutlich im 3. nachchristlichen Jahr- hundert, jedenfalls ist aber sein Werk später als die Schriften des Ptolemäos verfaßt. Auf die Entwicklung der alten Astro- nomie hat es keinen Einfluß ausgeübt 3). Die Förderung, welche die Meßkunde bei den Vorgängern des Ptolemäos erfahren hatte, wußte dieser sich nicht weniger als i) Diophant, lib. VI. 19. Näheres siehe Cantor, I. S. 407. 2) H. Hankel, Die Entwicklung der Mathematik in den letzten Jahr- hunderten, S. 10. 3) Die erste brauchbare Ausgabe rührt von Halley her. Sie erschien in Oxford im Jahre 1758. Mathematik und Meßkunde. 255 die mathematischen Fortschritte zunutze zu machen. Im Jugend- zeitalter der Astronomie wird man wohl die Entfernungen am Himmelsgewölbe nach Mondbreiten abgeschätzt und dabei wahr- scheinlich zwei um ein Scharnier drehbare Stäbe, in deren Treff- punkt sich das Auge des Beobachters befand, gebraucht haben. Die Alexandriner benutzten zwei Arten von Winkelmeßinstru- menten. Bei der einen kam eine geradlinige, bei der anderen die Kreisteilung in Anwendung. Zur ersten Art gehört das paral- laktische Lineal, auch Regula Ptolemaica genannt, das Ptolemäos im Almagest beschreibt. Es besteht aus einem lotrecht und drehbar aufgestellten Stabe, um dessen oberen Endpunkt sich ein gleich langer Stab mit Dioptern, zum Anvisieren des Gestirnes, bewegen ließ. Am unteren Ende des senk- rechten Stabes war ein dritter drehbarer Stab mit Längs- einteilung angebracht. Dieser Stab ließ sich in einer Rille des Diopterlineals verschie- ben. Bef jeder Höhenmessung konnte die Lage des Diopter- lineals auf der Gradeintei- lung des zweiten beweglichen Lineals abgelesen und da- nach der entsprechende Winkel aus der Sehnentafel entnommen werden. Indessen bediente sich Ptolemäos nach dem Beispiel von Aristyll und Timocharis (300 v. Chr.) auch der mit Gradein- teilung versehenen, miteinander verbundenen Kreise, der sogenannten Armillen. Eratosthenes hatte 220 v. Chr. in Alexandrien Ar- millen von bedeutender Größe errichtet und vermittelst dieser In- strumente den Abstand der Wendekreise zu 1^33 des Kreisumfanges bestimmt. Eine der von Ptolemäos benutzten Armillen zeigt uns die Abbildung 46 1) auf S. 256. Sie bestand aus einem aus Kupfer oder Bronze verfertigten Ring, der in 360 Grade geteilt war. Der Ring war in senkrechter Lage auf einer Säule errichtet Abb. 46. Das parallaktisclie Lineal. 1) Aus ßepsuld , Zur üescliichte der astronomischen Meßwerkzeuge. 1908. 256 Astronomische Meßwerkzeusre. und fiel mit dem Meridian zusammen. Diesem Hinge war ein zweiter drehbarer Ring mit zwei diametral gegenüber befindlichen Vorsprüngen eingepaßt. Wollte man z. B. die Mittagshöhe der Sonne messen, so wurde der innere Ring gedreht, bis der Schatten des einen Vorsprunges auf den anderen Vorsprung fiel. Eine Armillarsphäre (Ringkugel) bestand aus zwei festverbundenen, rechtwinklig zueinander stehenden Kreisen, von denen der eine in der Ebene des Meridians, der andere in der Ebene des Himmels- äquators lag. In dem Meridiankreis war ein dritter Kreis drehbar angebracht, dessen Drehachse mit der Weltachse zusammen- fiel. In diesem dritten Kreise befand sich , konzentrisch und verschiebbar, ein vierter. Durch Diopter wurde ein An- visieren ermöglicht, während Gradeinteilungen ein Ablesen der Deklination und des Stundenwinkels gestatteten. Dem Instrument lag also der Gedanke zugrunde, die an der Himmelskugel erkannten Kreise und Kreisbewegungen im kleinen nachzubilden. Zum Messen von Winkeln diente auch wohl der astronomische Ring oder das Astrolabium i). Es bestand aus zwei konzentrischen, gegeneinander verschiebbaren Ringen, die mit je zwei gegenüberstehenden Dioptern versehen waren. Wollte man Horizontalwinkel messen, so wurde der Ring hingelegt. Handelte es sich um das Messen von Höhenwinkeln, so hing man ihn auf. Außer den Armillen benutzte Ptolemäos, wie die chal- däischen Astronomen, auch aus Stein verfertigte Mauerquadranten, die in der Ebene des Meridians errichtet waren. Abb. 46. Solstitial-Armille des Ptolemäos. Schematische Skizze nach dem Almao[est. 1) D. h. Sternfasser. Über noch vorhandene Astrolabien gibt der Bericht über die Ausstellung im South Kensington Museum (Berlin 1877. S. 394 u. f.) Auskunft. Nach dem Almagest (V, 1) war das von Ptolemäos benutzte Astrolab eine Art Armillarsphäre, da es aus einem System teils fester, teils beweglicher, mit Absehen (Dioptern) versehener Ringe bestand. Die Zeitbestimmung. 257 Wir erkennen, daß schon bei den frühesten astronomischen Beobachtungen der Forscher wesentlich auf die Geschicklichkeit des Mechanikers angewiesen war. Die Entwicklung der Astronomie ist daher mit der steten Vervollkommnung und mit der wachsenden Genauigkeit der Meßwerkzeuge Hand in Hand gegangen i). Schon die Herstellung der Ringinstrumente, welche die Alexandriner be- nutzten, erforderte eine hervorragende Fertigkeit. „Noch jetzt", so lautet das Urteil eines hervorragenden Kenners der Präzisions- mechanik, „würde nur von einem geschickten, mit einer Drehbank ausgerüsteten Arbeiter die auch nur für primitive Beobachtungen genügende Genauigkeit solcher Meßinstrumente zu erwarten sein" 2]. Die für die Astronomie gleich wichtige Zeitbestimmung er- folgte, wie es schon bei den Chaldäern geschah, durch Wasser- messung. Schon im 5. Jahrhundert v. Chr. begnügte man sich nicht mehr mit einer Abschätzung der Tagesstunden aus der Länge des Schattens, sondern man baute Wasseruhren (Klepsydren). Ja sogar solche mit Weckvorrichtung begegnen uns schon im 4. vorchristlichen Jahrhundert ^j. Die hierbei Verwendung finden- den Instrumente vervollkommnete der um 270 v. Chr. lebende Alexandriner Ktesibios, der auch als der Erfinder der Feuer- spritze, der Wasserorgeln usw. genannt wird, und der in Heron einen Fortsetzer seiner Arbeiten fand. Damit die Öffnung, durch welche das Wasser bei seinen Uhren strömte, unverändert blieb, stellte Ktesibios diese Öffnung nicht in gewöhnlichem Metall, sondern in Gold oder Edelstein her. Ferner sorgte er für ein konstantes Niveau des Wassers in dem Abflußgefäß, damit in gleichen Zeiten stets gleiche Mengen ausströmten. Mitunter wurden durch das ausströmende Wasser Gegenstände gehoben, die ihre Bewegung wieder auf ein Räder- oder Zeigerwerk übertrugen. Fortschritte der Geographie. Wie durch Hipparch, so erfuhr auch durch Ptolemäos die Geographie eine bedeutende Förderung. Das von letzterem 1) Im einzelnen hat dies neuerdings Repsold dargetan. S. S. 256. 2) Repsold, a. a. 0. S. 6. 3) Diels, Antike Technik. S. 2.5. In dem noch erhaltenen Turm der Winde in Athen befand sich eine Wasseruhr, während außen eine Sonnenuhr und eine Wetterfahne angebracht waren. Unter dem Gesimse sind die acht Hauptwinde allegorisch dargestellt. Auf sie zeigt der Pfeil der Wetterfahne je nach der Richtung des herrschenden Windes l>n !i n em.'i nn , Die Xaturwissenschaften. I. Bd. 2. Aufl. 17 258 Astronomie und Geographie. um 140 n. Chr. geschaffene Lehrbuch i) dieser Wissenschaft genoß, gleich dem Almagest, bis gegen das Ende des Mittelalters eine unbestrittene Herrschaft. Durch beide Schriften ist Ptolemäos einer der großen Lehrer für alle Zeiten geworden, da an den „Almagest" und die „Geographie" die großen Entdeckungen an- knüpften, welche die Neuzeit auf astronomischem und geographischem Gebiete gemacht hat. Wie der „Almagest", so enthält auch die „Geographie" eine erstaunliche Fülle von Tatsachen. Nicht weniger als 5000 Punkte des damals bekannten Teiles der Erdoberfläche werden nämlich in der „Geographie" nach Länge und Breite an- gegeben. Und zwar sind nicht nur Städte, sondern auch Fluß- mündungen, Berge und andere bemerkenswerte Orte berücksichtigt. Die Ermittelung der Breite geschah mit einer solchen Genauigkeit, daß die nach Ptolemäos' Angaben entworfenen Karten in meridio- naler Richtung nur geringe Verzerrungen aufweisen. Ptolemäos selbst hat Anleitungen für die Ortsbestimmung und das Entwerfen von Karten gegeben. Die den alten Handschriften seiner Geo- graphie beigegebenen Karten 10 über Europa, 5 über Afrika und 12 über Asien) entstammen indessen erst dem 6, Jahrhundert, wenn sie auch zweifellos auf antike Vorlagen zurückgehen. „Sie sind", sagt Ritt er 2), die Grundlage aller neueren Landkarten geworden. Ohne sie würden die unserigen schwerlich ihren jetzigen Grad von Vollkommenheit erlangt haben." Das bei den Alten übliche Verfahren der Läugenbestimmung wurde schon erörtert 3). Es lieferte sehr unvollkommene Ergeb- nisse*). Auch wechselte man schon im Altertum mit der Lage des Nullmeridians. So rechnete Ptolemäos nicht nach dem durch die Insel Rhodos gezogenen Meridian, sondern er ver- legte den Anfang der Zählung nach den „glücklichen Inseln" des äußersten Westens. Diese Einrichtung bot den Vorzug, daß für die in Betracht kommenden Gegenden der Erde die Unter- 1) Herausgegeben von Nobbe. 3 Bde., Leipzig 1843 — 1845. Eine deutsche Übersetzung findet sich im 1. Bande der „alten Geographie" von Georgii (Stuttgart 1838; auf dem Titel als Anhang angekündigt, ist aber nie erschienen. Eine Übersetzung der Kapitel 21 — 24 findet sich im Jahresbericht des Kgl. Gymnasiums zu Chemnitz von 1909. Sie rührt von Th. Schöne her. 2) C. Eitter, Geschichte der Erdkunde u. d. Entdeckungen. Berlin 1861. 3) Siehe S. 189. 4) So hatte Marinus die Längenausdehnung der den Alten bekannten Welt (von den glückseligen Inseln bis zur Südostküste Chinas) auf 225" an- gegeben. Ptolemäos beschränkte diese Ausdehnung auf 180". Ihr tatsäch- licher Wert ist 140". Astronomie und Geographie. 259 Scheidung zwischen westKcher und östlicher Länge in Weg- fall kam. Bei der kartographischen Darstellung des ihm bekannten Teiles der Erdoberfläche konnte Ptolemäos ihre Krümmung nicht mehr unberücksichtigt lassen. Es galt daher, eine Methode zu benutzen, welche Teile einer Kugelfläche in der Ebene zu zeichnen ermöglichte. Diese Aufgabe löste Ptolemäos, indem er eine Projektionsart empfahl, die grundlegend für die weitere Entwicklung der Kartographie gewesen ist. Mar in US von Tyrus, der Vorgänger des Ptolemäos, hatte die Parallel- und die Längenkreise sämtlich als gerade Linien und die letzteren parallel zueinander gezeichnet. Die Längengrade wurden dadurch für die nördlichen Gegenden der Erde viel zu groß, was Ptolemäos durch sein Projektionsverfahren zu ver- meiden suchte. Ptolemäos erläutert es mit folgenden Worten: „Es wird richtig sein, zwar die Meridiane als gerade Linien zu zeichnen, die Breitengrade dagegen als Stücke von Kreisen, die um ein und dasselbe Zentrum gezogen sind. Dieses wird senk- recht über den Nordpol gedacht. Von dort aus wird man die Meridiane als gerade Linien zeichnen müssen, damit die annähernde Ähnlichkeit mit der Kugelfläche gesichert wird. Dies geschieht dadurch, daß die Meridiane senkrecht zu den Breitenkreisen bleiben und in dem gemeinsamen Pole zusammenlaufen" *). Während der mathematische Teil der Erdkunde infolge der bedeutenden Fortschritte der Astronomie sehr gefördert wurde, blieb auch die physische Erdkunde nicht zurück. Von großem Einfluß war hier die Erweiterung des Gesichtskreises durch die römischen Eroberungszüge und der dadurch bedingte kosmopoli- tische Zug, welcher die gesarute Erde als Wohnsitz des Menschen aufzufassen lehrte. Insbesondere spricht sich dieser Zug in Strabon aus, von dessen Erdbeschreibung Humbold t^) sagt, sie übertreffe an Mannigfaltigkeit und Großartigkeit alle geographischen Arbeiten *) Siehe die Abhandlung von Th. Schöne über „Die Gradnetze des Ptolemäos im ersten Buche seiner Geographie." Chemnitz 1909 (Programm- beilage des Kgl. Gymnasiums). -} Strabons Erdbeschreibung, übersetzt von Forbiger, Stuttgart 1856—1862. Eine neuere Ausgabe veranstaltete Meineke, Leipzig 1866. Siehe A. v. Humboldt, Examen critique de l'histuirc de la geographie. I. 152 — 154. Strabun war griechischer Abstammung, lebte indes meist in Rom. Er wurde 63 v. Chr. geboren und lernte einen großen Teil des römischen Weltreichs durch eigene Anschauung kennen; er schrieb in griechischer Sprache. 17* 260 Physische Geographie. des Altertums. Strabon läßt Inseln und ganze Kontinente, in Übereinstimmung mit den Ansichten der heutigen Geologen, durch vulkanische Kräfte emporgehoben werden. „Nicht nur kleine Inseln können gehoben werden", heißt es bei Strabon \), „sondern auch große, ja selbst Festland". Von Sizilien sagt er, man möchte es „nicht für ein Bruchstück Italiens halten, sondern ver- muten, es sei durch das Feuer des Ätna aus der Tiefe empor- gehoben worden". Doch erörtert Strabon auch die Möglichkeit, daß Sizilien durch ein Erdbeben von Italien getrennt worden sei. Als Beweis, daß Inseln auf vulkanischem Wege entstehen, führt er an, daß sich im Jahre 196 v. Chr. in der Nähe von Thera, dem heutigen Santorin, unter Feuererscheinung eine Insel von 12 Stadien Umfang erhoben habe. Wie Sizilien, so betrachtete Strabon auch Capri und andere der Küste benachbarte Inseln als frühere Teile des Festlandes, während inmitten des Meeres gelegene Inseln, wie jene Neubildung in der Nähe Theras, durch vulkanische Tätigkeit entstanden sein sollten. Bei Strabon begegnet uns übrigens auch zuerst die Ansicht, daß die Vulkane Sicherheitsventile der Erde seien. Die Alten wollten nämlich beobachtet haben, daß Sizilien in Zeiten einer erhöhten Tätigkeit der in der Nähe dieser Insel liegenden Vulkane und des Ätna weniger unter Erdbeben zu leiden habe. Auch die Versteinerungen werden von Strabon richtig ge- deutet. So tritt er bei der Besprechung der linsenförmigen Nummuliten des Kalksteins, aus dem die Pyramiden von Gizeh erbaut sind, der Meinung entgegen, daß es sich hier um erhärtete Überreste von den Speisen der Erbauer handeln könne. Schon Eratosthenes habe erwähnt, daß Tausende von Stadien vom Meere entfernt Schnecken und Muscheln gefunden würden 2). Man müsse daher annehmen, daß einst große Teile des Festlandes für eine gewisse Zeit überschwemmt gewesen und dann wieder trocken geworden seien. Der Boden des Meeres sei ferner uneben wie die Oberfläche des Landes und das Meer infolgedessen von verschie- dener Tiefe. Als Beweis für eine außerordentliche, in historischer Zeit er- folgte Verschiebung der Meeresküste erwähnt Strabon von einer früheren Seestadt südlich der Pomündung, daß sie 90 Stadien vom Ufer entfernt liege.- Seit jener Zeit ist diese Küste bekanntlich 1) Im 3. Abschnitt seines I. Buches. 2) Eratosthenes erblickte auch in den Salzseen der Landenge von Suez den Beweis dafür, daß diese Landenge früher vom Meere bedeckt war. Ausdehnung des geographischen Gesichtskreises. 261 um einen weiteren erheblichen Betrag meerwärts hinausgeschoben worden, so daß Ravenna, das z. B. zur Zeit Strabons noch See- stadt war, jetzt sieben Kilometer von der Küste entfernt liegt. Strabön besitzt auch bezüglich der erodierenden Tätigkeit des "Wassers, der Ursache von Ebbe und Flut, sowie der Abnahme der Temperatur mit der Erhebung richtige Vorstellungen. Er ahnt sogar das Vorhandensein einer zweiten Kontinentalmasse neben der von Europa, Asien und Afrika gebildeten, wenn er sagt: „Es ist wohl möglich, daß in demselben gemäßigten Erdgürtel, welcher durch das Atlantische Meer geht, außer der von uns be- wohnten Welt noch eine andere oder selbst mehrere liegen." Columbus ließ sich dagegen von der Vorstellung leiten, daß eine Fahrt nach Westen unmittelbar zu den östlichen Gestaden des asiatischen Festlandes führen müsse. Auch bei den Römern war man auf dem Gebiete der physi- kalischen Geographie gegen den Ausgang des Altertums zu ziemlich klaren Vorstellungen gelangt. So verdankt man dem Vitruvius*) eine im ganzen richtige Theorie der Quellenbildung nebst einer darauf beruhenden Anweisung zur Auffindung von Quellen, während Seneca2) die durch das Wasser auf der Erdoberfläche hervor- gerufenen Veränderungen recht gut schildert und die Springfluten darauf zurückführt, daß bei ihnen außer dem Monde auch die Sonne zur Wirkung gelangt. Nicht gering waren ferner die Kenntnisse auf dem Gebiete der Länderkunde während der letzten Jahrhunderte vor Beginn unserer Zeitrechnung. Was die Kenntnis der einzelnen Länder anbelangt, so ergänzt die Erdbeschreibung Strabons in glückhcher Weise diejenige des Ptolemäos. Strabon hat mehr die euro- päischen, Ptolemäos dagegen mehr die asiatischen Länder be- rücksichtigt. Nur in bezug auf das nördliche und östliche Ger- manien ist der Bericht des Ptolemäos wieder als der reichhal- tigere zu bezeichnen. „Ptolemäos eröffnete", sagt Ranke 3), „durch seine Beschreibung der Länder jenseits des Rheines und der Donau gleichsam eine neue "Welt." Er zerstörte ferner den Wahn, daß das Kaspische Meer in das Weltmeer münde und 1) Vitruvius, De architectura VIII, 1. 2) Seneca, Naturales quaestiones III, 5 und 28. Seneca, römischer Dichter und Philosoph, lebte von 4 v. Chr. bis 65 n. Chr. Eine Übersetzung seiner Werke veranstalteten Moser und Pauly, Stuttgart 1828—1855. Eine neuere Ausgabe rührt von Haase her (Teubner, 1893 und 1895). 3) L. v. Ranke, Weltgeschichte III, 313. 262 Forschungsreisen. wies die Abgeschlossenheit jenes Beckens nach. Seine Darstellung stützte Ptolemäos besonders auf die geographischen Kenntnisse der Phönizier und auf die Berichte, welche ihm der Karawanen- handel zuführte. Auch die Züge Alexanders, die gewaltige Aus- dehnung der ßömerherrschaft, sowie die Reisen, welche die da- maligen Geographen im Gefolge der Heere, der Statthalter und Gesandtschaften unternahmen, hatten eine Fülle von Material geliefert. So wußte man z. B. über Indien zur Zeit des Ptole- mäos viel mehr als zur Zeit Mercators am Schlüsse des 16. Jahr- hunderts i). Nach Herodots Erzählung (IV, 42) ließ der ägyptische König Necho um 600 v. Chr. phönizische Schiffer vom Roten Meere aus Afrika umsegeln und durch die Straße von Gibraltar nach Ägypten zurückkehren. Die Fahrt soll 3 Jahre gedauert haben. Herodots Erzählung ist oft angezweifelt worden. Soviel ist indes gewiß, daß im Altertum der Äquator überschritten wurde. Denn die Schiffer sagten aus, bei ihrer Fahrt um Lybien herum nach Westen habe die Sonne um Mittag zur rechten Hand, also im Norden, gestanden. Herodot fügt dieser Angabe hinzu, er könne das nicht glauben; vielleicht gäbe es andere, die es glauben könnten. Diese Erzählung Herodots hat man als einen Beweis dafür be- trachtet, daß die Fahrt wirklich stattgefunden hat 2). Die Quelle, aus welcher Ptolemäos bei der Abfassung seiner, acht Bücher umfassenden, Geographie besonders schöpfte, waren die Reiseberichte des Marin us aus Tyrus^). In den phöni- zischen Häfen besaß man auf Grund des ausgedehnten Handels, der von dort aus getrieben wurde, eine ausgedehnte Kenntnis aller von phönizischen Schiffen besuchten Länder, Inseln und Meere. Nach diesem Material entwarf Marinus eine Karte, die sich unter dem Namen der Tyrischen Weltkarte in der Bibliothek zu Alexandrien befand. Die Längen- und die Breitengrade waren bei Marinus ge- rade Linien, die sich unter rechten Winkeln schnitten. Für den damals bekannten Teil der Erde (30. — 40. Breitengrad) ergab diese Projektionsart, die man wohl als die „platte" bezeichnet, ein Netz von Rechtecken. Für den Äquator als mittleren Breitengrad würde das Netz aus Quadraten bestanden haben. 1) 0. Peschel, Geschichte der Erdkunde. S. 12. 2) C. Ritter, Gesch. der Erdkunde und Entdeckungen. Berlin 1861. 3) Marinus aus Tyrus lebte im 2. Jahrhundert n. Chr. kurz vor Ptole- mäos. Er bemühte sich, für jeden Ort die Länge und die Breite festzustellen. Fortschritte der Mechanik. 263 Marinus von Tyrus wurde durch seine Plattkarte der Be- gründer der mathematischen Geographie. Er ging von einem Gradkreuz aus, das er aus dem Meridian und dem Breitenparallel von Rhodos (36°) bildete und zu einem Netz rechtwinklig sich schneidender Linien erweiterte. Ptolemäos sagt von Marinus, auf dessen Arbeiten er sich besonders stützt, dieser habe einen so großen Reichtum an Nach- richten der Alten und der Neueren zusammengebracht und so viele Reiseberichte und "Werke berücksichtigt, wie keiner seiner Vor- gänger. Dementsprechend sind auch die Angaben, die Ptolemäos von den asiatischen Ländern macht, weit reichhaltiger als die- jenigen, welche durch die römischen Geographen auf uns ge- kommen sind. So nennt Ptolemäos viele Städte, Flüsse und Berge der Lisel Ceylon (Taprobane), von der Plinius kaum etwas zu erzählen weiß. Ptolemäos kennt auch die Sundainseln. Vorderindien ist ihm so gut bekannt, daß er von 39 Orten nicht nur die Lage, sondern auch die Dauer des längsten Tages nach genaueren Beobachtungen angibt. Die Flüsse und Berge Indiens, die er nennt, sind den Europäern bis ins 16. Jahrhundert hinein unbekannt geblieben. Die geographischen Kenntnisse der Phönizier, auf denen Ptolemäos fußte, erstreckten sich also keineswegs nur auf die Meere und die Küsten, sondern auch auf das Innere der Konti- nente. Sogar der Weg über Land vom Euphrat über Baktrien und ein hohes Gebirge, das sich bis nach China erstrecke, wird beschrieben M. Weitere Fortschritte der Physik. Wir haben die Fortschritte, welche die Astronomie und die mit ihr emporblühende Geographie in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten erlebten, als die wichtigsten wissenschaftlichen Er- eignisse an die Spitze dieses Zeitraumes gestellt. Es gilt jetzt, der Naturlehre und der Naturbeschreibung, die weniger hervor- treten, eine kurze Darstellung zu widmen. Die Mechanik hatte in der vorchristlichen Zeit in Archimedes und in Heron ihren Höhepunkt erreicht. Als ihr Hauptvertreter während des jetzt zu 1) Die in den auf uns gekommenen Handschriften „der Geographie" enthaltenen Karten rühren allerdings nicht von Ptolemäos selbst, sondern von einem jüngeren Zeitgenossen her, der die vorhandenen Karten einer Durchsicht und Verbesserung unterzog. 264 Förderung der Optik. schildernden Zeitraumes ist der Alexandriner Papp o s zu nennen, der sich auch um die Weiterbildung der Mathematik verdient ge- macht hat. PajDpos lebte gegen das Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. Sein auf uns gekommenes Werk besteht aus 8 Büchern und führt den Namen „Die Sammlung" i). Besonders das letzte Buch bringt geometrisch begründete Lehren der Mechanik, wie die Lehre vom Schwerpunkt und von der schiefen Ebene. Es behandelt auch die Aufgabe, eine gegebene Last durch eine gegebene Kraft mit Hilfe von Zahnrädern zu bewegen, deren Durchmesser in ge- wissen Verhältnissen stehen. Das 7. Buch des Pappos enthält jenen wichtigen Satz, der unter dem Namen der Guldinschen Regel erst im 17. Jahrhundert wieder allgemeiner bekannt wurde, den Satz nämlich, daß der Lihalt eines Rotationskörpers gleich dem Produkt aus der rotierenden Fläche und dem Wege ihres Schwerpunktes ist. Erwähnt sei ferner noch, daß sich bei Pappos in solch ausgedehntem Maße die Verwendung von Buchstaben zur Bezeichnung allgemeiner Zahlen findet, wie bei keinem Schrift- steller vor ihm, so daß uns bei Pappos schon die Elemente der Buchstabenrechnung begegnen. Von der Förderung der Optik und der Akustik während der ersten Blütezeit der alexandrinischen Schule wurde an früherer Stelle gehandelt. Bemerkenswert ist, daß die Optik auch während der zweiten Blütezeit erheblich gefördert wurde. Und zwar ge- schah dies durch denselben Ptolemäos, dessen Verdienste auf dem Gebiete der Astronomie und der Geographie wir soeben als so hervorragend anerkannt haben 2). Wir finden nämlich bei Ptolemäos einen der merkwürdigsten Ansätze zu der dem Alter- tum im übrigen nur wenig geläufigen induktiven Behandlung einer physikalischen Erscheinung. Es handelt sich um die Ablenkung, die ein Lichtstrahl beim Übergänge aus einem Mittel in ein zweites von anderer Dichte erfährt, während das Licht sich in ein- und derselben Substanz 1) Eine Ausgabe mit lateinischer Übersetzung gab Fr. Hultsch heraus. Berlin 1875—1875. Im Jahre 1871 erschien das VII. und YIII. Buch mit deutscher Übersetzung von Gerhardt. 2) Über die eigentümlichen Schicksale der „Optik" des Ptolemäos be- richtet Wilde in seiner Geschichte der Optik, Bd. I. S. 51 u. f. Danach war das "Werk Roger Bacon, Begiomontan und auch noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts bekannt. Dann galt es lange als verloren, bis es vor einigen Jahrzehnten in einer lateinischen Übersetzung aus dtm Aiabischen vieder- entdeckt wurde. Eine kritische Ausgabe besorgte Gilberte Govi: L'ottica di Claudio Tolemeo. Torino 1885. Förderung der Optik. 265 geradlinig fortpflanzt. Selbst der frühesten Beobachtung konnte es nicht entgehen, daß diese Brechung um so größer ist, je schräger das Licht die Grenzfläche zwischen beiden Mitteln trifft. Der erste Schritt auf dem Wege des induktiven Verfahrens mußte darin bestehen, daß man die Erscheinung messend verfolgte und für eine Reihe von Einfallswinkeln die Größe der entsprechenden Brechungswinkel durch den Versuch bestimmte. Letzteres geschah durch Ptolemäos. Mit einem für diesen Zweck verfertigten Werkzeug maß er für die Einfallswinkel von 10°, 20°, 30° usw. die zugehörigen Brechungswinkel. Sein Apparat bestand aus einer Scheibe, die in Grade geteilt war und bis zum Mittelpunkt in Wasser tauchte (Abb. 47). Das Ver- fahren war folgendes: Ein Licht- strahl BC wurde durch eine Marke B des über dem Wasserspiegel MN be- findlichen Scheibenstückes nach dem Mittelpunkte C der Scheibe geleitet. An dieser Stelle fand beim Eintritt in das Wasser die Brechung statt. Der gebrochene Strahl CD setzte seinen Weg unter Wasser fort, bis er den Umfang der Scheibe in einem auf der Gradeinteilung abzulesenden Punkt D wieder traf. Die Werte, welche Ptolemäos auf solche Weise erhielt, sind in folgender Tabelle zusammengestellt: Einfallswinkel (a) Brechungswinkel (/?) 10° 8° 20° 15" 30' 30° 22° 30' 40° 29° 50° 35° 60° 40° 30' 70° 45° 50' 80° 50° Abb. 47. Ptolemäos mißt die Brechucefswinkel. (statt 7° 29') 14° 51') 22° — ) 28° 49') 34° 3') 40° 30') 44° 48') 47° 36') Der Brechungsexponent für den Übergang des Lichtes aus Luft in Wasser ergibt sich daraus gleich 1,31, während dieser Wert nach neueren Messungen 1,33 beträgt * Das Ergebnis war 1) Die "Werte in Klammern sind aus dem Prechungsindex n = 1.3335 berechnet (nach J. H irschberg, Zt-itschr. f. Psychologie u. Physiologie der Sinnesorgane. XVI. S. 331j. 266 Förderung der Optik. also im Hinblick auf die Art des Verfahrens recht genau, ein Be- weis, daß eins der wichtigsten Erfordernisse der exakten Forschung, die Schärfe der Messung nämlich, dem Ptolemäos nicht mangelte. Ptolemäos benutzte sein Ergebnis auch zur Erklärung einer astronomischen Erscheinung. Er schloß nämlich, daß der Licht- strahl auch beim Durchgange durch die Atmosphäre eine Brechung erleidet, die vom Zenith nach dem Horizont allmählich zunimmt und unter dem Namen der atmosphärischen Refraktion bekannt ist. Diese Refraktion machte sich ihm z. B. dadurch bemerklich, daß er die Poldistanz eines Gestirnes beim Auf- und Untergang kleiner fand als zur Zeit der oberen Kulmination. Nach dem Messen besteht der nächste Schritt auf dem Wege des induktiven Verfahrens in dem Auffinden einer gesetzmäßigen Beziehung zwischen den gegebenen und den gefundenen Größen. Ptolemäos' hat auch diesen Schritt auf dem Gebiete der Physik zu machen versucht. Wenn es ihm auch nicht gelang, die ge- fundenen Beziehungen auf einen mathematischen Ausdruck zurück- zuführen, so sprach er doch das Grundgesetz der Dioptrik dahin aus, daß der Lichtstrahl beim Übergange aus einem dünneren in ein dichteres Mittel zum Einfallslote hin gebrochen wird. Er findet es sogar wahrscheinlich, daß für je zwei Stoffe stets ein bestimmtes Verhältnis zwischen dem Einfalls- und Brechungs- winkel obwaltet. Nachdem das Problem der Brechung soweit gefördert war, hat es lange geruht. Zwar beschäftigte es die gerade auf dem Ge- biete der Optik sehr tätigen Araber*]. Doch gelangten diese nicht wesentlich über Ptolemäos hinaus. Auch Johann Kepler hat sich damit befaßt, indem er nach einem später zu beschrei- benden Verfahren Messungen über die Brechung anstellte und den Begriff des Grenzwinkels einführte. Seine Lösung fand das Pro- blem indes erst im 17. Jahrhundert durch Snellius, den wir als den Entdecker des Brechungsgesetzes kennen lernen werden. Erwähnung verdient auch des Damianos Schrift über die Optik2). tjber die Lebensumstände Damians ist nichts Näheres bekannt. Seine Schrift über die Optik ist jedenfalls später als diejenige des Ptolemäos verfaßt. Eigentümlich ist die Begrün- dung, welche Damian über die optischen Ansichten der Griechen 1) Alhazen im 7. Buche seiner Optik. Siehe an späterer Stelle dieses Bandes. 2) Sie wurde griechisch vind deutsch von R. Schöne herausgegeben (Berlin 1897). Theorie des Sehens. 267 bringt. Es sollen hier deshalb einige Stellen in freier Übersetzung Platz finden: „Die Gestalt unserer Augen, die nicht wie die übrigen Sinnes- werkzeuge hohl und dadurch für die Aufnahme von irgend etwas eingerichtet, sondern kugelförmig sind, beweist^ daß eine Aus- strahlung von uns ausgeht. Daß diese Ausstrahlung Licht ist, das zeigen die von den Augen aufleuchtenden Blitze. Bei den Nachttieren erscheinen die Augen bei Nacht sogar leuchtend. Noch deutlicher wird diese Ansicht, wenn wir die Gleichartigkeit unseres Sehorgans mit der Sonne dargelegt haben werden. Da die Sehstrahlen, die von unserem Auge ausgehen, mög- lichst schnell zu dem sichtbaren Gegenstande gelangen sollen, so müssen sie sich in gerader Linie bewegen. Und ferner, wenn sie davon möglichst viel erfassen sollen, werden sie in Kreisform darauf losgehen. Denn alles was den lebenden Wesen nützlich ist, pflegt die Natur zu tun. Um die sichtbaren Gegenstände in Kreisform zu treffen, müssen die Sehstrahlen entweder die Ge- stalt eines Zylinders oder eines Kegels haben. Ein Zylinder kann nicht in Betracht kommen, weil dann nicht Gegenstände erfaßt werden könnten, die größer als das Auge sind. Die Sehstrahlen haben daher die Gestalt eines Kegels. Die geradlinige Fortbewegung des Sehstrahls, seine Zurück- werfung und seine in große Entfernung reichende und zeitlos sich vollziehende Fortbewegung: Dies alles kann man auch an den Sonnenstrahlen beobachten. Auch vermag unser Sehstrahl durch diejenigen Gegenstände, durch welche die Sonnenstrahlen hindurchdringen, wie Glas und Wasser, gleichfalls seinen Weg zu nehmen." Nach der Betrachtung der Fortschritte, die sich besonders unter der Mitwirkung des Ptolemäos auf dem Gebiete der Astro- nomie, der Geographie und der Physik vollzogen, wollen wir uns in großen Zügen den Besitz vergegenwärtigen, über den das Alter- tum während der römisch-alexandrinischen Periode in den übrigen Zweigen der Naturwissenschaften verfügte. Während die Mechanik, die Optik und die Akustik ihre Grundlagen erhielten, blieb man auf den Gebieten der Wärme, des Magnetismus und der Elektrizität bei einigen rohen Beobach- tungen und dunklen Deutungen stehen. Der Magnetstein und seine Eigenschaft, das Eisen anzuziehen, waren schon dem frühesten griechischen AlterLuiii bekannt. Da man der Seele das Vermögen, 268 Elektrizität und Magnetismus. etwas za bewegen, zuschrieb, glaubte man, daß der Magnet, ähn- lich wie das Tier und die Pflanze, beseelt sei^). Auch die Eigenschaft des Magneten, durch andere Stoffe hin- durch zu wirken, konnte nicht lange verborgen bleiben. So erzählt Lukrez, der in seinem Werke „De rerum natura" die magne- tischen Erscheinungen mit behaglicher Breite schildert: „Ich sah eiserne Span' aufkochen und wallen in ehernen Schalen, wenn der magnetische Stein denselbigen untergelegt ward" 2). Auch die bei Uneingeweihten das größte Staunen erregenden, schon Piaton bekannten Ketten, welche aus eisernen, magnetisch gemachten Ringen bestanden, die nicht ineinander griffen, sondern sich nur berührten, beschreibt Lukrez. Er wagt sich sogar an eine Er- klärung der magnetischen Erscheinungen. Wie von manchen Kör- pern, so sollen auch vom Magneten Teilchen ausströmen, welche die benachbarte Luft zurückdrängen. Infolgedessen „stürzen ur- plötzlich des Eisens Stoffe sich hin nach dem Leeren, und also geschieht es"^]. Daß der Magnet zwei Pole besitzt, und zwischen diesen eine Indifferenzzone liegt, scheint den Alten entgangen zu sein 4). Auch die ßichtkraft kannten sie nicht, während die Chi- nesen mit ihr schon vor Beginn unserer Zeitrechnung vertraut waren. Die Grunderscheinung der Reibungselektrizität ist den alten Völkern jedenfalls bekannt geworden, sobald sie durch den Handel in den Besitz des Bernsteins gelangten, da dieser in besonders auffallender Weise nach dem Reiben leichte Körperchen anzieht. So sagt Plinius: „Übrigens zieht Bernstein, wenn er durch Reiben mit den Fingern Lebenswärme erhalten hat, trockene Blätter, Spreu und Bast gerade so an wie der Magnet das Eisen" ^). 1) So heißt es bei Aristoteles (de anima I. 2): „Auch Thaies scheint die Seele für etwas Bewegendes gehalten zu haben, da er von dem Magneten sagt, daß. er eine Seele besitze, weil er das Eisen bewegt." 2j Lukrez VI, v. 1043—1044. Lukrez lebte von 98 bis 55 v. Chr. Seine aus sechs Büchern besiehende Schrift „De rerum natura" befaßt sich mit den Grundlehren der Physik, der Psychologie und der Ethik. Von den Ausgaben sei hier diejenige Lachmanns erwähnt. 4. Aufl. Berlin 1871. Eine Über- setzung rührt von Seydel München 1881) her. 3j Lukrez VI, v. 1005-1006. *) Eingebend berichtet üher die Kenntnisse der Alten auf dem Gebiete der magnetischen und elektrischen Ers) Die Erklärung des Maurolykus beruht gleichfalls auf der geradlinigen Fortpflanzung des Lichtes; jeder Punkt der Öffnung wird dabei als die Spitze eines von der Sonne ausgehenden Strahlenkegels betrachtet, der auf der andern Seite der Öffnung seine Fortsetzung findet. 422 Portas „Natürliche Magie". Unrichtigem, von Klarheit mit Mystik und Aberglauben, die heute, nachdem das Niveau der gesamten Bildung ein so viel höheres geworden ist, eigentümlich anmutet. Das Streben dieser Männer nach größerer Einsicht ging ferner mit einem markt- schreierischen Treiben Hand in Hand, durch das sie ihr eigenes Ansehen und das ihrer "Wissenschaft den Zeitgenossen gegenüber heben wollten. Das Buch, in dem Porta, ganz dem Geschmacke seiner Zeit entsprechend, die Naturwissenschaften behandelt, ist „Die natürliche Magie" betitelt'). Es ähnelt in manchen Teilen einem modernen Zauberbuche, da es dem Verfasser nicht selten darauf ankommt, den Leser zu unterhalten oder durch das Überraschende der Erscheinung in Verwunderung zu setzen. Wichtig ist, daß Porta in seinem Buche eine von ihm getroffene Verbesserung der Camera obscura beschreibt. Bis dahin hatte man bei diesem Apparat das Licht durch eine Öffnung auf einen dahinter befind- lichen Schirm fallen lassen. Porta brachte in der vergrößerten Öffnung eine Linse an, wodurch die Bilder bedeutend an Schärfe gewannen 2). Von Interesse ist ferner eine von Porta herrührende Ein- richtung, den Dampf zum Heben von Wasser zu benutzen. Das Wasser befindet sich in einem Gefäß; der Dampf drückt auf die 1) J. P. Portae Neapolitani, Magia naturalis. 1653 (nicht mehr vor- handen). 1560. 1589. 2) Eine Beschreibung der schon viel älteren Lochkamera findet sich auch bei Lionardo da Vinci. Sie lautet: „Wenn die Bilder von beleuchteten Gegenständen durch ein kleines Loch in ein sehr dunkles Zimmer fallen, so sieht man diese Bilder im Innern des Zimmers auf weißem Papier, das in einiger Entfernung von dem Loche aufgestellt ist, in voller Form und Farbe. Sie sind aber in der Größe verringert und stehen auf dem Kopfe." Die UmkehruDg des Bildes leitete Lionardo da Vinci ganz richtig von dem Gang der Lichtstrahlen ab. Von früheren abendländischen Gelehrten haben sich Vitello, Peckham und Roger Bacon mit der Abbildung der Sonne durch verschieden gestaltete Öffnungen beschäftigt; im 14. Jahrhundert hat sich Levi ben Gerson der Camera obscura zu Beobachtungen bei Sonnen- und Mondfinsternissen bedient, Maurolykus im 15. Jahrhundert eine genügend richtige Abbildung der Sonne durch eine enge Öffnung gegeben. Von den arabischen Gelehrten hat schon Alkindi (750 — 800j den Strahlengang für den Fall der Lochkamera untersucht, dann haben der große Ibn al Haitam und sein ebenfalls bedeutender Kommentator Kamäl al Din die Theorie ausführlich entwickelt. 'J. Würschmidt, Zeitschr. f. math. u. naturwiss. Unters. 1915, 466.) Portas „Natürliche Magie". 423 Oberfläche des Wassers und treibt es durch ein heberartiges, bis auf den Boden tauchendes Rohr aus dem Behälter heraus. Eine derartige Vorrichtung, die gegen das Dampfi-ad Herons keinen wesentlichen Fortschritt bedeutet, als die erste Stufe der Dampf- maschine zu bezeichnen, ist nicht gerechtfertigt. Doch läßt sich nicht verkennen, daß man durch die von Heron und Porta be- schriebenen Versuche mit der Wirkung gespannter Dämpfe ver- traut wurde, und daß dadurch der Gedanke, diese Wirkung auf die einfachen Maschinen der Mechanik zu übertragen, allmählich heranreifte. Erst von diesem Fortschritt 'an, den wir später zu betrachten haben, kann von einer eigentlichen Dampfmaschine die Rede sein. Es zeigt sich hier wie auch bei Galilei und anderen For- schern, daß die Physik der Gase und der Flüssigkeiten im 17. Jahr- hundert besonders infolge der Anregungen ausgebaut wurde, die man dem Altertum in Herons Schriften verdankte i). So schuf Porta eine „Pneumatik", die zwar keine bloße Wiedergabe der „Pneumatik" Herons ist, indessen auf ihn zurückgeht 2). Auch Schwenter (s. folg. Seite) hat in seinen „Erquickstunden" manche Angaben Herons, besonders diejenigen, die in Herons Druck- werken enthalten sind, verwertet. Dasselbe gilt von Schott, dem Freunde Guerickes, und seiner 1657 erschienenen „Mechanica hydraulico-pneumatica". Sogar de Caus, dem die Franzosen die Erfindung der Dampfmaschine zuschreiben möchten, geht auf Heron zurück 3). Selbst die Wasserkünste der fürstlichen Gärten des 17. Jahrhunderts sind teilweise den von Heron ausgehenden Anregungen zu verdanken. Auch den magnetischen Erscheinungen wandte man jetzt eine größere Aufmerksamkeit zu. Indessen gerade dieses Gebiet wurde von Porta und Männern verwandten Geistes noch außerordentlich mit Mystik und Aberglauben verwoben. Mit der Deklination, deren Größe Porta für Italien gleich 9" östlich angibt, war man schon vor Columbus bekannt geworden. Letzterer machte die Beob- achtung, daß sich die Deklination (sie war damals im ganzen Gebiete des Mittelraeeres östlich) bei einer Reise nach Westen 1) W. Schmidt, Heron von Alexandrien im 17. Jahrhundert. In den Abhandlungen z. Gesch. d. Mathem. 8. Heft (1898;. S. 195. 2) Porta, Pneumaticorum libri tres. Neapoli 1601. 3) Seine Vorrichtung, mit Hilfe gespannter Dämpfe Wasser zu heben, kann noch nicht als Dampfmascliinc bezeichnet werden. Außerdem ist es zweifelhaft, ol) de Caus ein Franzose oder ein Deutscher war. 424 Die Physik vor dem Auftreten Galileis. verringerte und schließlich in eine westliche überging. Auf Grund dieser Erkenntnis suchte sich Columbus auf seiner zweiten B,eise, wenn die Schiffsrechnung unsicher war, durch einen Vergleich der Deklinationen zu orientieren. Es war dies der erste, später oft wiederholte Versuch, die Deklination zur Auffindung der geographi- schen Länge zu verwerten. Eine brauchbare Lösung des Längen- problems, das schon Hipparch und Ptolemäos große Schwierig- keiten bereitet hatte, sollte jedoch nicht auf diesem Wege, sondern erst durch die Erfindung genauer Chronometer ermöglicht werden. Das zweite Element des tellurischen Magnetismus, die Erscheinung nämlich, daß die um eine horizontale Achse drehbare Nadel eine geneigte Lage einnimmt, hat zuerst der Engländer Norman ge- nauer beobachtet. Er gab im Jahre 1576 die Größe dieser, als Inklination bezeichneten Neigung für London zu 71° 50' an*). Auf die wechselnde Intensität des Erdmagnetismus wurde man dann gegen das Ende des 18. Jahrhunderts aufmerksam, so daß erst seit dieser Zeit eine allseitige, auch das Qnantitative in der Er- scheinung berücksichtigende Kenntnis dieser Naturkraft Platz greifen konnte. Unter den Männern, die etwas später die Naturwissen- schaften ganz im Geiste Portas behandelten, ist Daniel Schwenter zu nennen (geboren 1585; gestorben 1636 als Pro- fessor der Mathematik in Altdorf). Sein bekanntes Werk, „Die mathematischen und philosophischen Erquickstunden" 2), ist ein würdiges Seitenstück zu Portas „Magia naturalis" und erscheint besonders geeignet, um den Standpunkt, den die Naturwissen- schaften zumal in Deutschland vor der großen, durch Galilei, Kepler und ihre Mitarbeiter hervorgerufenen LTmwälzung ein- nahmen, erkennen zu lassen. Bezeichnend ist zunächst, daß Schwenter es für nötig hält, die Beschäftigung mit der Natur gegen den Vorwurf zu verteidigen, es handele sich dabei um eine unnütze, ja kindliche Tätigkeit. Ein Kind, sagt er, werfe wohl einen Stein ins Wasser und freue sich über die vielen Kreise. Das sei eine kindliche Freude. Die Ursache dieser Erscheinung nachzuweisen, sei dagegen kein Kinder- werk. Einige Beispiele mögen dartun, wie unzulänglich und un- 1) Grilbert, De magnete. Ij 1. Von dem Deutschen Georg Hartmann (1489 — 1564) rührt eine noch ältere, aber ganz ungenaue Beobachtung der In- klination her (9 Grad anstatt etwa 70 Grad). 2) Deliciae phj-sico-mathematicae. Nach dem Tode Schwenters er- schienen. Eine Übersetzung rührt von Harsdörffer her. Die Physik vor dem Auftreten Galileis. 425 bestimmt die Ansichten waren, die man an der Schwelle des 17. Jahr- hunderts noch hegte. Wir werden dann den großen Fortschritt, den die Wissenschaft um jene Zeit durch die Begründung der induktiven Forschungsweise erfuhr, um so besser würdigen können. So ist das ganze Wissen Schwenters über die Fallbewegung in folgenden Sätzen enthalten i) : ., Wenn ein Körper fällt, so bewegt er sich um so geschwinder, je näher er der Erde kommt. Je höher der Körper herabfällt, eine um so größere Gewalt besitzt er. Denn alles was schwer ist, eilt nach der Philosophen Meinung unver- hindert zu seinem natürlichen Ort, d. i. zum Zentrum der Erde, wie der Mensch, der in sein Vaterland zurückkehrt, um so be- gieriger ist, je näher er kommt, und daher um so mehr eilt. Dazu kommt noch eine andere natürliche Ursache. Die Luft nämlich, die von der Kugel zerteilt wird, eilt über der Kugel geschwind wieder zusammen und treibt sie immer stärker an. Was aber schon bewegt ist, läßt sich leichtlich weiter und geschwinder be- wegen". Ein Fortschritt dem Aristoteles gegenüber ist in diesen Auffassungen nirgends zu bemerken. Im Gegenteil, man muß sie als rein aristotelisch bezeichnen. Nicht minder gilt dies von Schwenters Auffassung der Wurfbewegung. Er setzt sie aus drei Bewegungen zusammen, die er als genötigte, als gemischte und als natürliche Bewegung bezeichnet. Danach treibt z. B. das Pulver die Kugel in einer genötigten Bewegung schräg aufwärts, bis der höchste Punkt der Flugbahn erreicht wird. Dann fängt, „nachdem eine solche gewalttätige Bewegung schier ihr Ende nehmen will, die gemischte Bewegung durch einen Bogen an". Endlich gehe die Kugel in die natürliche Bewegung über und falle senkrecht auf die Erde. Aus dieser Theorie sucht Schwenter die Erfahrungs- tatsache abzuleiten, daß die größte Schußweite bei einem Winkel von 45" erzielt wird. Interessant sind auch die Bemerkungen über den senkrechten Schuß. Er verleihe dem Geschoß weit mehr Gewalt als der hori- zontale Schuß, „weil das Feuer von Natur über sich begehre". Wenn ferner das Geschütz in die Höhe gerichtet werde, so presse die Kugel das Pulver und widerstrebe der Gewalt des Pulvers auch mehr. Dadurch werde bewirkt, daß sich das Pulver gleichsam erzürne, ehe es die Kugel austreibe. Endlich werde eine schwere Kugel, welche widerstreben könne, viel weiter getrieben als eine leichte, z. B. eine solche von Holz, die nicht widerstreben könne. 1) A. a. 0. 3. Teil XIX. 426 Die Physik vor dem Auftreten Gralileis. Die Tatsache, daß die Kugel beim senkrechten Schuß in der Nähe des Geschützes wieder niederfällt, wird als Beweismittel gegen die koppernikanische Lehre verwertet i): „So die Kugel 2 Minuten in der Luft bleibt, müßte indessen der Böller 30 deutsche Meilen gelaufen sein. Dies ist unmöglich, denn man würde dann keine Kugel mehr finden". Die Koppernikaner, sagt Schwenter, seien zwar der Ansicht, die Luft bewege sich mit der Erde und zwar mit der gleichen Geschwindigkeit wie die Erde. Die empor ge- worfene Kugel müsse daher von der Luft getrieben nicht weit von dem Böller niederfallen. „Es ist aber", fügt Schwenter hinzu, „nicht glaublich, ja unmöglich, daß die Luft imstande ist, eine schwere Kugel in solch kurzer Zeit 30 Meilen fortzutreiben." Diese Schwierigkeit stand der Annahme des koppernikanischen Systems also noch 100 Jahre nach seiner Aufstellung im "Wege. Sie konnte erst durch die allgemeine Anerkennung des Beharrungsgesetzes ^ gehoben werden. In dem optischen Teil werden die Camera obscura, das Glas- prisma, die Lichtbrechung und der Regenbogen abgehandelt. Trotz- dem Schwenter den letzteren auch an Springbrunnen und an mit Regentropfen bedeckten Spinnengeweben beobachtet hat, hält er ihn dennoch für ein übernatürliches Werk. Der Regenbogen ist für ihn „ein Spiegel, in dem der menschliche Verstand seine Un- wissenheit am hellen Tage sehen kann". Die Physiker hätten „durch ihr vielfältiges Nachsinnen nichts anderes darin gefunden^ als daß sie noch das Wenigste, so in der Natur verborgen sei, ausspekuliert hätten". Gelegentlich der von ihm für glaubwürdig gehaltenen Erzäh- lung von den Brennspiegeln des Archimedes bemerkt Schwenter, daß man auch durch eine Anzahl flacher Spiegel Pulver entzünden könne, wenn man die Sonnenstrahlen durch die Spiegel sämtlich auf einen Punkt werfe. In dem Abschnitt, der von der Wärme handelt, beschreibt Schwenter auch ein Instrument, mit dem man den Grad der Hitze und der Kälte messen könne. Er bringt in ein Gefäß mit langem Halse etwas Wasser und kehrt das Gefäß dann unter Wasser um, so daß die Flüssigkeit einen Teil des Halses füllt. Im Winter, sagt Schwenter, steigt das Wasser hoch herauf, so daß es fast den ganzen Hohlraum füllt; im Sommer dagegen sinkt es tief herab. ') A. a. 0. 11. Teil XVIII. Die Physik vor dem Auftreten Galileis. 427 Schwenter ist nocli mit Porta der Ansicht, daß sich das Wasser durch einen Heber über hohe Berge leiten lasse. Man solle, meint er, eine Röhre über den Berg legen und an der höch- sten Stelle der Röhre einen Trichter anbringen. Verstopfe man dann die beiden Mündungen der Röhre, so könne man sie ganz mit Wasser füllen. Nach diesen Vorbereitungen sei es nur nötig, die Mündungen gleichzeitig zu öffnen. Das Wasser werde dann fort und fort aus dem Behälter, in den man die eine Mündung getaucht, durch die Röhre ausströmen, wenn nur die zweite Mündung tiefer gelegen sei. Jeder Versuch würde Porta und Schwenter gelehrt haben, daß über einen „Berg" von 10 Metern Höhe das Wasser nicht durch einen Heber geführt werden kann. Daß Schwenter indessen fremde Angaben auch nachprüft, geht aus manchen Stellen seiner Schrift hervor. So hat ihm je- mand mitgeteilt, das Wasser steige aus einem tiefer befindlichen Gefäß in ein höher gelegenes, wenn man beide Gefäße durch einen wollenen Faden verbinde. Schwenter bemerkt dazu: „Ich finde durch den Versuch, daß diese Kunst nicht angeht, denn es ist damit wie mit einem Heber beschaffen. Das Wasser läuft nämlich nicht durch das wollene Band, wenn sein Ende nicht tiefer liegt als der Wasserspiegel, in den das andere Ende eintaucht". Wir haben Schwenters Werk etwas ausführlicher behandelt, nicht etwa, weil es die Wissenschaft durch neue Gedanken oder Entdeckungen bereichert hätte, sondern weil wenige von den in Deutschland zu Beginn des 17. Jahrhunderts verfaßten Schriften über das gesamte Gebiet der Naturlehre so geeignet sind, uns eine Vorstellung von dem Wissensstand und den Anschauungen zu geben, die damals herrschten. Im gleichen Sinne wie Porta und Schwenter wirkten während der ersten Hälfte des 17. Jahr- hunderts in Deutschland Athanasius Kircher, Kaspar Schott und andere Männer. Sie alle waren Gelehrte von oft polyhisto- rischem Wissen, die uns wohl dickleibige, zur Beurteilung jener Zeit wichtige Folianten liinterlassen, die Wissenschaft selbst aber weder durch neue Ideen, noch durch Entdeckungen bereichert haben. Insbesondere der gelehrte Jesuit Kircher verdient mehr als bloße Erwähnung. Athanasius Kircher wurde in der Nähe von Fulda im Jahre 1601 geboren. Er wirkte als Professor der Mathematik zu- nächst an der Universität Würzburg, später in Rom, wo er 1680 starb. Von Kirch er s zahlreichen Scliriften sind besonders drei hervorzuheben, weil sie uns einen Einblick in den damahgen Zu- 428 Entdeckungen auf dem Gebiete der Optik. stand der Naturwissenschaften gewähren. Es ist das Werk vom Licht und vom Schatten (Ars magna lucis et umbrae 1646), ferner ein Werk über den Magnetismus (Magnes, sive de arte magnetica 1643) und drittens die für die Entwicklung der geologischen Vor- stellungen wichtige Schrift über „Die unterirdische Welt" (Mundus subterraneus 1664). In dem optischen Werke Kirch er s wird u. a. schon auf die Fluoreszenz hingewiesen. Kircher nahm sie an dem wässerigen Auszug wahr, den man aus einem mexikanischen Holz, dem „Nieren- holz", herstellt!). Diese Lösung zeigte im auffallenden Lichte eine tiefblaue Farbe, während die Flüssigkeit beim Hindurchblicken farblos wie Brunnenwasser aussah. Unter Umständen erschien sie auch grün oder rötlich. Eine Erklärung dieser auffallenden Er- scheinung vermochte Kircher nicht zu geben. Sehr ausführlich handelt er von dem bononischen (Bologneser) Leuchtstein. Ein Alchemist hatte den in der Nähe von Bologna vorkommenden Schwerspat unter Beimengung reduzierender Mittel im Ofen erhitzt und wahrgenommen, daß der Bückstand im Dunkeln leuchtet, wenn er vorher von der Sonne beschienen wurde. Die Entdeckung 2) erregte, wie begreiflich, das größte Aufsehen. Auch Galilei beschäftigte sich damit. Er meinte, sie spreche deutlich gegen die Ansicht, daß das Licht eine un- körperliche Qualität sei, weil der Stein das Sonnenlicht auf- nehme, als ob es ein Körper wäre, und es nach und nach wieder zurückgebe. Kircher ist derselben Meinung. Er stellte den 1) Dieses Holz hatten Jesuiten in Mexiko kennen gelernt; es wurde Nieren- holz (lignum nephriticura) genannt, weil man es gegen Nieren- und Blasen- krankheiten anwandte. Ausführlicher hat G. Berthold über die Geschichte der Fluoreszenz in Poggendorffs Annalen der Physik und Chemie, Bd. 158 (1876 S. 620, be- richtet. Danach rührt die älteste Nachricht über die Fluoreszenz eines Auf- gusses des lignum nephiiticum von Monardes (16. Jahrh.) her. Auch Boyle, Grimaldi, Newton und andere haben sich mit dem Phänomen beschäftigt. Newton hat zuerst den Aufguß in homogenem Lichte untersucht. Eingehender geschah dies durch E. Wünsch (Versuche und Beobachtungen über die Farben. Leipzig 1792). Bei Musschenbroek findet sich die Bemerkung, daß Erdöl dieselbe Erscheinung zeige wie der Aufguß des Nierenholzes fintroductio ad philos. nat. 1762. Bd. II. S. 739). Goethe beschrieb sie an dem Aufguß der frischen Rinde der Roßkastanie (Nachträge zur Farbenlehre. Nr. 10). Da in- dessen die Erklärung dieser Erscheinung nicht gelang, geriet sie in Vergessen- heit, bis sie um die Mitte des 19. Jahrhunderts zum Gegenstande sehr ein- gehender Experimentaluntersuchungen gemacht wurde. (Siehe Bd. IV.) 2) Sie soll um 1630 erfolgt sein. Die Lehre vom Magnetismus. 429 Bologneser Stein her, indem er den Spat mit Eiweiß und Leinöl mischte und das Gemenge glühte. Überraschende Entdeckungen sind fast immer in ihrer Trag- weite überschätzt und zu kühnen, nicht stichhaltigen Erklärungen verwertet worden. Dies gilt auch von dem Bologneser Leucht- stein. So schrieb Kirch er dem Auge die gleichen Eigenschaften zu, die dieser Stein besitzt, um die von ihm zuerst geschilderten physiologischen oder subjektiven Farben zu erklären. Gemeint ist die Erscheinung, daß das Auge, nachdem es längere Zeit auf farbige Gegenstände und dann auf eine weiße Fläche gerichtet wird, die Umrisse jener Gegenstände in gewissen Farben erblickt. Dies sollte daher rühren, daß das Auge, wie der Leuchtstein, das Licht einsauge und es alhnählich wieder ausstrahle. Ein Zeit- genosse Kirch er s suchte sogar das graue Licht des von der Sonne nicht beleuchteten Teiles der Mondoberfläche durch die Annahme zu erklären, daß auch der Mond ein Bologneser Stein sei. Von gutem Beobachtungsvermögen zeugen Kirchers Be- merkungen über den Farbenwechsel des Chamäleons. Er brachte das Tier auf weiße und rote Tücher und zeigte, daß sein Farben- wechsel dadurch beinflußt wird. Bei Kirch er begegnet uns ferner eine genaue Beschreibung der Laterna magica. Man hat ihn daher als den Erfinder dieses Apparats bezeichnet, wahrscheinlich aber mit Unrecht^). Kirch er bediente sich schon der transparenten Glasbilder. Ein erbauliches Beispiel für seinen theologischen Eifer möge nicht unerwähnt bleiben. Die Zauberlaterne erscheint ihm nämlich als ein vortreff- liches Mittel, Gottlose durch Vorführung des Teufels auf den rechten Weg zurückzubringen. Kirch ers Werk über den Magneten steht hinter der viel früher erschienenen, den gleichen Gegenstand behandelnden Schrift des Engländers Gilbert weit zurück. Hervorzuheben ist Kirchers Verfahren, mittelst der Wage die Tragkraft des Magneten zu be- stimmen. Auch stellt er die durch Jesuitenmissionäre im Auslande gemachten Beobachtungen über Größe und Änderungen der Dekli- nation in einer Tabelle zusammen. Wie kritiklos indessen auch auf diesem Gebiete Kircher und Schwenter häufig verfahren, geht daraus hervor, daß sie die alte Fabel, daß der Magnet durch gewisse Pflanzen seine Kraft verliere, ohne Nachprüfung aufnehmen. >) Siehe Wilde, Geschichte der Optik. Bd. I. S. 294. 430 Anfänge der Dynamik, Der Magnet verliert, sagt Schwenter, durcli Feuer und durch Knoblauch seine Kraft. „Wie die Erfahrung bezeugt'' setzt er sogar hinzu. Wie Schwenter handelt Kircher im übrigen bei der Be- sprechung der magnetischen Erscheinungen oft von Spielereien, deren Schilderung mit starken Übertreibungen und Fabeln aller Art durchsetzt ist. Beide Schriftsteller erörtern beispielsweise die Möglichkeit, vermittelst des Magneten eine Art Telegraphie zu be- werksteUigen. Zwei Personen, von denen die eine in Paris, die andere in Born sein könne, müsse man mit kräftigen Magneten ausrüsten. Bei genügender Stärke werde der eine Magnet auf den anderen zu wirken vermögen. Es sei dann nur erforderlich, unter jeder Nadel eine Scheibe mit Buchstaben anzubringen. Der Sprechende habe nur seine Nadel auf die verschiedenen Buch- staben einzustellen, um die Nadel des Empfängers zu den gleichen Einstellungen zu veranlassen. Kurz, es ist der Grundgedanke des Zeigertelegraphen, der uns hier entwickelt wird. Nur schade, daß das Mittel zur Übertragung nicht ausreichte. Das sah auch Schwenter ein, denn er fügt hinzu: „Die Invention ist schön, aber ich achte nicht davor, daß ein Magnet solcher Tugend auf der Welt gefunden werde." Das bedeutendste Ereignis der folgenden Periode ist die Begründung der Dynamik durch Galilei. Auch dies geschah nicht unvermittelt. Fanden sich schon bei Lionardo da Vinci klare, wenn auch noch nicht hinreichend durchgearbeitete Begriffe auf diesem Gebiete der Physik, z. B. bezüglich des Fallens über die schiefe Ebene i) vor, so mehren sich die Ansätze, je weiter wir uns dem Auftreten Galileis nähern. Vor allem greift eine bessere, schon auf physikalischen Grundsätzen beruhende Auffassung der Wurfbewegung Platz. Man erkennt, daß die Bahn des geworfenen Körpers eine einzige krumme Linie ist, nicht aber aus geraden und krummen Stücken besteht, wie die Peripatetiker behaupteten, sowie daß die größte Wurfweite bei einem Elevationswinkel von 45° erzielt wird 2). Auch die Meinung der Aristoteliker, daß ein Körper um so schneller falle, je schwerer er ist, wird schon 1) Schon im 13. Jahrhundert versuchte der Deutsche Jordanus Nemo- rarius, mechanische Probleme auf dynamischem Wege zu lösen (Liber Jor- dani Nemorarii de ponderibus. Herausgegeben von Peter Apian, 1533). Näheres siehe Gerland und Traumüller, Geschichte der physikalischen Ex- perimentierkunst. Leipzig, W. Engelmann. 1899. S, 78 u. f. 2) Tartaglia, Nuova scienza (Venedig 1537). Die Chemie zu Beginn der neueren Zeit. 431 vor Gralilei, der sie glänzend widerlegt, durch den Italiener Tartaglia erschüttert. Dieser lehrte, daß Körper von ver- schiedenem Gewicht beim freien Fall in gleichen Zeiten gleiche Strecken zurücklegen, sowie daß ein im Kreise geschwungener Gegenstand beim Aufhören der Zentralbewegung sich in tangen- tialer Richtung fortbewegt. Obwohl man solche Vorarbeiten als die Anzeichen des be- ginnenden Umschwunges hoch bewerten muß, ist doch erst Galilei als der eigentliche Begründer der Dynamik zu betrachten, weil durch ihn wie mit einem Schlage fast alles beseitigt wurde, was jener Wissenschaft an Verschwommenheit und aristotelischer Be- trachtungsweise noch anhaftete. Für die Chemie sollte ein entsprechender Fortschritt noch lange auf sich warten lassen. Zwar wurde er hier durch aner- kennenswerte Leistungen weit mehr vorbereitet als die fast un- vermittelt uns entgegentretenden Errungenschaften Galileis. Die Umgestaltung zur exakten Wissenschaft vollzog sich aber trotzdem auf dem Gebiete der Chemie erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts. Während nämlich die Grundlagen der Mathematik, der Astronomie und der Statik der neueren Epoche schon in wissenschaftlicher Gestalt vom Altertum überliefert wurden, war die Alchemie, deren Grundlagen zwar auch im Altertum, wenn auch erst in den letzten Jahrhunderten dieses Zeitraums entstanden, doch im wesentlichen ein Erzeugnis des Mittelalters und, dem Hange jener Zeit entsprechend, durch mystische Zusätze stark getrübt. Wie Roger Bacon und Albertus Magnus wandelten die Vertreter der Chemie zu Beginn der neueren Zeit noch ganz in den vom Mittelalter vorgezeichneten Bahnen. An den Stein der Weisen, dessen Herstellung nach wie vor das Hauptziel aller Bemühungen blieb, knüpfte man die abenteuerlichsten Hoffnungen. Der Stein sollte nicht nur, wie bei den älteren Alchemisten, beim Zusammen- schmelzen mit unedlen Metallen Gold erzeugen, und zwar unbe- grenzte Mengen, oder wenigstens 1000x1000 Teile, sondern er sollte auch das Leben verlängern, dem Alter die Jugend zurück- geben und alle Krankheiten heilen. Doch begegnen uns diese Vorstellungen auch schon in weit früherer Zeit'). Von der Überzeugung, daß die Darstellung der Materia prima gelungen, und Gold mit ihrer Hilfe dargestellt sei, war man übrigens fest durchdrungen. Die Alchemie erlangte sogar eine gewisse poli- ») Nach V. Lippmann. 432 Die Chemie zu Beginn der neueren Zeit. tische Bedeutung. An den Fiirstenhöfen besaßen Männer, die sich angeblich im Besitze des Geheimnisses befanden, großen Ein- fluß. Nachdem z. B. die englische Begierung die Gelehrten und die Geistlichen aufgefordert hatte, die Hilfe Gottes zu erflehen, damit die Herstellung des Steins der Weisen endlich gelinge und man die Staatsschulden bezahlen könne i), gedieh die Sache bald darauf schon weiter. Dasselbe Land nahm nämlich keinen An- stand, aus alcheinistischem Golde geprägte Münzen in Umlauf zu bringen. Doch war man, zumal in den geschädigten Nachbar- ländern, aufgeklärt genug, um bald zu erkennen, daß es sich hier um eine arge Täuschung handelte^). So bildete denn während des langen Zeitraums von mehr als einem Jahrtausend das Suchen nach Gold 3) die treibende Kraft für die chemische Wissenschaft. Denn als eine Wissenschaft müssen wir die Chemie auf jener Entwicklungsstufe gelten lassen, wenn auch als eine rein empirisch betriebene. Wurden doch während dieses ausgedehnten Zeitraums eine unübersehbare Fülle von Tat- sachen über das chemische Verhalten der Körper beobachtet, eine Unzahl neuer Verbindungen hergestellt, die wichtigsten chemischen Operationen ausgebildet, kurz eine breite Grundlage geschaffen, die für die spätere Errichtung eines Lehrgebäudes ganz unerläß- lich war. Wir dürfen ferner bei der Beurteilung der Alchemisten nicht vergessen, daß viele von ihnen von einem heißen, wenn auch noch unklaren Streben nach dem Eindringen in die für sie mit dem tiefen Schleier des Geheimnisvollen und Unerklärlichen ver- hüllte Natur erfüllt waren und weiter, daß auch heute noch die Hoffnung auf materiellen Gewinn oder wenigstens auf Nutzen für das Gemeinwohl für sehr viele wissenschaftliche Unternehmungen, insbesondere für diejenigen, welche der Staat mit seinen Mitteln fördert, die wichtigste Triebfeder ist. 1) Dies geschah im Jahre 1423. 2] Übrigens betrieb Karl VII. von Frankreich, dem die Engländer den Thron zugunsten ihres Königs Heinrich VI. streitig machten, dieselbe Art von Falschmünzerei. Siehe auch H. Schelenz: „Hermes und seine Kunst, Alchemie in Eng- land". Pharmazeutische Post. Wien 1902. Nr. 6. Danach wurde im Jahre 1440 einer englischen Firma sogar das Privileg zur Herstellung von künstlichem Gold gegeben. Doch sank dadurch der Wert der englischen Goldmünzen um die Hälfte. Nach v. Lippmann handelte es sich um gefälschte Münzen. 3) Es lehrte, sagt Chamberlain treffend, schärfer beobachten, ver- doppelte die Erfindungsgabe, flößte die kühnsten Hypothesen ein und schenkte endlose Ausdauer und Todesverachtung (Chamberlain, Grundlagen. S. 766). Das Zeitalter der Jatrochemie. 433 Zu den eifrigsten Beschützern der Alchemisten und der Astro- logen gehörte der deutsche Kaiser Rudolf IL, der auf den Lebens- gang des großen Kepler einen solch tiefgreifenden Einfluß aus- geübt hat. Als Rudolf IL im Jahre 1612 starb, fand man in seinem Nachlaß große Mengen Gold und Silber, die als Erzeug- nisse der alchemistischen Kunst betrachtet wurden. Wenige Jahre später berichtet vanHelmont, ein Mann, von dessen Ehrlichkeit in wissenschaftlichen Dingen wir überzeugt sein dürfen, der aber ein ganz unklarer Phantast war, daß es ihm gelungen sei, acht Unzen Quecksilber mit '/4 Gran der gesuchten Substanz, die auf eiÄe etwas mysteriöse Weise in seine Hände gelangt war, in Gold zu verwandeln. Unter den ersten, die sich von der Alchemie, wie auch von der Astrologie, abwandten, ist der an anderer Stelle wegen seiner Verdienste um die Geologie genannte Franzose Palissy (1510 bis 1590) zu nennen. Für seinen Zeitgenossen Rabelais waren die Astrologen und die Alchemisten sogar ein unerschöflicher Gegenstand beißenden Spottes. Etwa, zur selben Zeit wandte sich auch Lionardo da Vinci gegen die „lügnerische und verderbliche Kunst der Alchemie und ihre betrügerischen Anhänger". Er be- stritt, daß Schwefel und Quecksilber Bestandteile der Metalle seien und erklärte die künstliche Darstellung des Goldes für ebenso un- möglich wie die Quadratur des Kreises und das Perpetuum mobile^). Daß die alchemistischen Bestrebungen stets von neuem Nah- rung fanden, und sich bis in das 18. Jahrhundert^) hinein fort- setzen konnten, so daß wir auf sie noch zurückkommen müssen, darf unter solchen Umständen nicht wundernehmen. Die Chemie erhielt jedoch in dieser Periode, wenn sich ihr Gesamtcharakter zunächst auch wenig änderte, eine Anregung, die für ihre weitere Entwicklung von Bedeutung werden sollte. Als zweite wichtige, die Erzeugung des Steines der Weisen immer mehr in den Hinter- grund drängende Aufgabe wurde es nämlich betrachtet, geeignete Präparate zum Heilen der Krankheiten herzustellen. Es beginnt damit das Zeitalter der medizinischen oder Jatrochemie. 1) Siehe in v. Lippmanns Werk „Die Alchemie" (1919) den Abschnitt, der von der Alchemie nach 1300 handelt (S. 495 u. f.). 2j Vereinzelt selbst bis ins 19. Jahrhundert. So entstand 1894 in Paris eine Societe hermetique und bald darauf eine Societe alchimique. Fristeten diese Regungen ilir Dasein immer wieder durch ihre Verbindunj^ mit Mystik und Okkultismus, so erhielten sie neue Nahrung durch die Umwandlungen, die man am Radium und den radioaktiven Stoffen entdeckte. ÜaDnemann, Dih Naturwlasenschafteu. I. Bd. 2. Aufl. 28 434 Das Zeitalter der Jatrochemie. Der Hauptvertreter der Jatrochemie war Paracelsus. Dieser merkwürdige Mann, dessen Lebenslauf hier nicht eingehender be- trachtet werden kann, wenn er auch ein Stück Kulturgeschichte zu entrollen geeignet ist, wurde im Jahre 1493 zu Einsiedeln in der Schweiz geboren. Theophrastus Paracelsus (von Hohen- heim) bekleidete eine Zeitlang eine Professur in Basel, führte je- doch im übrigen ein unstätes Leben, bis er 1541 gänzlich mittel- los starb. Sein ganzes Auftreten kennzeichnet ihn als einen Ver- treter des reformatorischen Geistes jener Zeit, der sich keines- wegs auf das kirchliche Gebiet beschränkte. Insbesondere wandte sich Paracelsus gegen die anerkannten wissenschaftlichen Autori- täten, die bislang auf dem Gebiete der Chemie und dem der Medizin gegolten hatten. Paracelsus spricht es unumwunden aus, daß der wahre Zweck der Chemie nicht darin bestehe, Gold zu machen, sondern daß es ihre Aufgabe sei, Arzneien zu bereiten, die man bis dahin nach dem Vorgänge Galens fast ausschließlich dem Pflanzenreiche entnommen hatte. In etwas theatralischer Weise übergab Paracelsus, als er seine Vorlesungen in Basel gegen alles Herkommen in deutscher Sprache eröffnete, ältere Werke, deren Inhalt er bekämpfte, den Flammen, und zwar geschah dies, bald nachdem Luther die Brücke dadurch hinter sich vernichtet hatte, daß er die päpstliche Bannbulle öffentlich verbrannte. Paracelsus hat bis vor kurzem als umherschweifender, dem Trünke ergebener Charlatan gegolten Die neuere Paracelsus- forschungi) hat mit dieser Auffassung gebrochen. Der Wander- trieb des Paracelsus ist aus einer gründlichen Abkehr vom herkömmlichen Bücherstudium und aus seinem Triebe zur Natur- erkenntnis zu erklären. Paracelsus begründet sein ihm oft zum Vorwurf gemachtes Verhalten mit folgenden Worten : „Mir ist not, daß ich mich verantworte von wegen meines Landfahrens. Daß ich so gar nirgends bleiblich bin, zeichnet den Weg derer, die den Büchern den Rücken wenden und in die Natur hinaustreten. Mein Wandern hat mir wohl erschlossen, daß keinem sein Meister im Haus wachset noch seinen Lehrer hinter dem Ofen hat. Die Künste sind nicht verschlossen in Eines Vaterland, sondern aus- geteilt durch die ganze Welt, sie sind nicht in einem Menschen oder an einem Ort, sie müssen zusammengeklaubt werden und ge- sucht, da sie sind. Die Kunst geht keinem nach, aber ihr muß nachgegangen werden. Wie mag hinter dem Ofen ein guter Kos- 1) Besonders die Studien Sudhoffs. Paracelsus. 435 mographus wachsen oder ein Geograph?" An einer andern Stelle sagt er: „Die Weisheit ist eine Gabe Gottes. Da er sie hingibt, in demselbigen soll man sie suchen. Also auch da er die Kunst hinlegt, da soll sie gesucht werden . . . Die Schrift wird er- forschet durch ihre Buchstaben, die Natur aber von Land zu Land, so oft ein Land so oft ein Blatt. Also ist Codex Naturae, also muß man ihre Blätter umkehren" ^j. Paracelsus verhielt sich den Anhängern Luthers und Zwingiis gegenüber ebenso ablehnend wie gegen das Papsttum und seine Lehre. Er stand über den kirchlichen Streitereien seiner Zeit. Seine Frömmigkeit war eine rein menschliche, sein Herz erfüllt von der Liebe zum Nächsten. Diese solle die Berufstätig- keit des Arztes durchdringen 2). Am größten ist der Einfluß des Paracelsus auf die da- malige, häufig nur auf verderbter Überlieferung der alten Literatur beruhende Heilkunde gewesen. Die Werke Galens, das hervor- ragendste Erzeugnis der antiken Heilwissenschaft, hatten nämlich einen großen Umweg gemacht, um nach Mitteleuropa zu gelangen. Die Araber hatten sie überliefert. Die Erläuterungen waren vor- zugsweise in Spanien und Italien entstanden, und schließlich waren Galens Werke noch in jenes barbarische Latein übertragen, das vor dem Emporblühen des Humanismus die Schriftsprache der mitteleuropäischen Universitäten war. Als Lehrbuch wurde be- sonders der um das Jahr 1000 entstandene Kanon des Avicenna (Ihn Sina) benutzt, ein umfangreiches Werk, welches das Ganze der antiken und frühmittelalterlichen Chemie und Medizin um- faßtes). Diesem Zustande machte Paracelsus durch sein kühnes Auftreten ein Ende, Er war es, der zuerst die in bloßer Buch- gelehrsamkeit erstarrte Heilkunde wieder als reine Erfahrungs- wissenschaft auffassen lehrte^). Im Verkehr mit Bergleuten, Hand- werkern und den auf sich angewiesenen, der Natur noch unbe- fangen gegenüberstehenden Bewohnern einsamer Wälder und 1) Siehe F. Strunz, Theophrastus Paracelsus, sein Leben und seine Per- sönlichkeit. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte der deutschen Renaissance. Leipzig, E. Diederichs. 1903. 2j Siehe E. Sudhoffs Bericht über die neuesten Wertungen Hohen- h ei ras in den Mitteil. z. Gesch. d. Medizin u. Naturwiss. 1904. S. 475. 3] Im Druck erschien es zuerst 149.S und zuletzt in Basel in fünf Bänden 1523, also kurz bevor Paracelsus dort auftrat. 4) Voll Selbstbewußtsein sprach er einst das Wort: „Engländer, Fran- zosen, Italiener, ihr mir nach, nicht ich euch!*' 28* 436 Paracelsus. Gebirge sammelte er seine Kenntnisse. Der Natur müsse man nachgehen von Land zu Land, und die Augen, die „an der Er- fahrenheit Lust" hätten, seien die wahren Professoren. In Para- celsus lebte ein tiefer Geist, der aber „von dem einen Punkte, den er ergriffen, die Welt erobern zu können meinte: viel zu weit ausgreifend, selbstgenügsam, trotzig und phantastisch" ^). Auf die wunderlichen medizinischen Vorstellungen des Paracelsus näher einzugehen, nach denen z. B. eine schaffende Kraft alle Lebens- tätigkeiten regelt, ihrerseits aber wieder in einem engen Zusammen- hange mit den Gestirnen steht, verbietet sich von selbst. Die Verbindung der Heilkunde mit der Chemie ergibt sich nach Paracelsus daraus, daß die Krankheiten auf Änderungen in der chemischen Zusammensetzung des Körpers zurückzuführen seien. Chemisch wirksame Mittel müßten also den normalen Zustand wieder herbeiführen können. Alle Krankheiten sind von diesem Gesichtspunkte aus entweder durch Zufuhr oder durch Beseitigung des im gegebenen Falle in Betracht kommenden Elementes heil- bar. Fieber wird auf ein Überwiegen von Sulfur (Schwefel), Gicht auf die Ausscheidung von Mercurius (Quecksilber) zurück- geführt, Elemente, die nach der Lehre des Paracelsus neben Sal (Salz) die Grundbestandteile aller Dinge sind. Kupfervitriol, Quecksilberchlorid, die schon vor Paracelsus als Heilmittel emp- fohlenen Verbindungen des Antimons und zahlreiche andere, teils giftige, teils ungiftige Präparate wandern damit in das Arsenal der ärztlichen Heilmittel. Aus den oben genannten drei Elementen sind nach Paracelsus alle Mineralien, Pflanzen und Tiere zu- sammengesetzt. Es ist im wesentlichen die alte, auf die aristote- lischen Elemente zurückzuführende Lehre der Alchemisten. Der Sulfur war für Paracelsus das Prinzip der Verbrennlichkeit, Mer- curius bedingte die Verflüchtigung, Sal endlich galt als der feuer- beständige Anteil, der nach dem Verbrennen übrig bleibt. Seit dem Zeitalter der Jatrochemie entwickelt sich der Stand der chemisch vorgebildeten Pharmazeuten, aus dem manches für den weiteren Ausbau der Wissenschaft bedeutende Talent hervor- gegangen ist. Waren doch seit dem Verschwinden der schwarzen Küche der Adepten bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts die Apotheken vorzugsweise diejenigen Stätten, von denen die prak- tische Beschäftigung mit der Chemie und die Fortbildung dieser Wissenschaft ihren Ausgang nahmen. 1) Strunz a. a. 0. Die Neubegründung der Mineralogie. 437 Schon Kaiser Friedrich IL erließ eine Verordnung, nach der die Arznei genau nach Vorschrift des Arztes und zwar zu einem bestimmten Preise herzustellen war. In Deutschland entstanden die ersten eigentlichen Apotheken erst gegen die Mitte des 13. Jahr- hunderts. Die Einrichtung breitete sich indessen nur langsam aus, denn die Gründung der ersten Apotheke in Berlin erfolgte erst im Jahre 1488. Weit später folgten die nordischen Länder (Schweden 1552) i). Mit der Entwicklung der Chemie ist das Emporblühen der Mineralogie stets eng verknüpft gewesen. Um 1500 begegnet uns das erste, sogar deutsch geschriebene mineralogische Lehrbuch, das nicht ein bloßer Abklatsch der aus dem Altertum überkommenen Werke ist, sondern Selbständigkeit und Beobachtungsgabe verrät. Es führt den Namen „Bergbüchlein" 2) und wurde dem lange Zeit als Verfasser zahlreicher chemischer Schriften geltenden Basilius Valentinus zugeschrieben. Wir haben es indessen bei diesem nicht mit einer historischen, sondern mit einer erst später (um 1600) erdichteten Persönlichkeit zu tun. AuchParacelsus schrieb über die Mineralien. Als der eigent- liche Vater der neueren Mineralogie ist jedoch Georg Bauer zu betrachten. Er wurde 1494 in Zwickau geboren, wo er auch einige Jahre als Rektor einer Schule vorstand, und nannte sich, nach der damaligen Gelehrtenmode seinen Namen latinisierend, Agri- cola. Später studierte er in Leipzig und Italien Heilkunde und wirkte von 1527 an zuerst in Joachimstal, später in Chemnitz als Arzt. Er starb im Jahre 1555. Das Interesse für den Bergbau und das Hüttenwesen seiner Heimat bewogen Agricola, die Zeit, welche der Beruf ihm übrig heß, auf die Beobachtung jener Zweige der Gewerbtätigkeit zu verwenden und alles, was er vorfand, mit den mineralogischen 1) Über die Anfänge des Apothekenwesens im frühen Mittelalter siehe S. 294 d. Bds. 2) Es wurde im Jahre 1505 veröffentlicht. Der Titel lautet: .,Ein wol- geordnet vü nutzlich büchlin wie man Bergwerck suchen und finden sei / von allerley Metall / mit seinen figuren / nach gelegenheyt, des gebijrges / artlych angpzeygt / Mit anhangenden Bercknamen / den anfahenden Bergleuten vast dienstlich." In dem Buch spricht „Daniel der Bergner stendig / zum jungen Knappjo". Einen Abdruck dieses seltenen AVerkes hat die „Zeitschrift für Bergrecht" in Band XXVI gebracht. Siehe die Besprechung von 0. Vogel in den Mitteilungen z. Gesch. d. Medizin u. d. Naturwiss. 1909. S. 299. Ferner W. Jacobi, Das älteste Lehr- buch für den Bergbau. Der Erzbergbau. 1909. Heft 3. S. 52. 438 Die Neubegründung der Mineralogie. Kenntnissen der Alten, deren Schriften ihm bekannt waren, zu vergleichen. Agricolas Aufmerksamkeit wurde auch dadurch auf die Mineralogie gelenkt, daß in der alten Literatur metallische Heilmittel erwähnt werden, deren man sich besonders bei äußeren Krankheiten bediente. Er sammelte daher alle mineralogischen Kenntnisse der Alten in der Hoffnung, damit seinen, im gewerb- lichen Leben stehenden Zeitgenossen nützen zu können. Zu seinem Erstaunen ward er aber gewahr, daß ohne jedes Zutun der zunft- mäßigen Wissenschaft in den deutschen Gebirgsländern eine Kennt- nis der Metalle, Mineralien und Gesteine, sowie der metallurgi- schen Prozesse entstanden war, die eine neue, den Alten fast unbekannte Welt bedeutete. Es galt nur, die Erfahrungen, Ent- deckungen und Erfindungen, die man im Verlauf des Mittelalters gemacht hatte, in der Sprache der Gelehrten darzustellen, um so eine neue Wissenschaft den früheren anzureihen. „Dies getan zu haben und zwar mit eigener Einsicht und dem unabhängigen Eifer, der allein wissenschaftliche Erfolge zu sichern vermag, ist Agri- colas Verdienst. Er hatte das Glück, nicht Anfänge oder zweifel- hafte Versuche, sondern erprobte und zusammenhängende Kennt- nisse, beinahe Systeme der Mineralogie und der Metallurgie dar- bieten zu können, die eine Grundlage der späteren Studien ge- worden sindi)." Als überzeugter Anhänger der Alchemie kann Agricola nicht betrachtet werden. Jedenfalls sprach er sich offen gegen ihre Grundlehre aus, daß die Metalle aus Sulfur und Mer- curius beständen. Auch äußerte er sich über die Möglichkeit der Metallverwandlung sehr zurückhaltend. Die Ergebnisse seiner Bemühungen legte Agricola in mehreren Schriften nieder, die, wie Werner, der Lehrer Alexanders von Humboldt und Leo- polds von Buch dankbar anerkannte, das Fundament der Mine- ralogie bis zur neuesten, insbesondere durch die drei genannten Forscher begründeten Epoche dieser Wissenschaft gewesen sind. Das bedeutendste unter den Werken Agricolas ist das erst im Jahre 1556 vier Monate nach dem Tode des Verfassers erschienene Bergwerksbuch 2). Es bietet ein vollständiges Bild des damaligen 1) Beckmann, Geschichte der Erfindungen. Bd. III. Siehe auch Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. V. S. 348. 2) Agricolas Bergwerksbuch'. Übersetzt von Bechius 1621. Vgl. auch Agricolas mineralogische Schriften, übersetzt und mit Anmerkungen von E.Lehmann. Freiburg 1816. Der Titel des Originalwerkes lautet: De re Agricolas mineralogische Schriften. 439 Berg- und Hüttenwesens, sowie der Probierkunde und enthält zahl- reiche treffliche Holzschnitte, die nicht nur die hüttenmännischen ,^rrrrT"/ mmri Al)b. 63. Hüttenwerk nach Agricola. Prozesse, sondern auch geologische Einzelheiten, wie Erzgänge, Durchsetzungen, Verwerfungen usw. darstellen. metallica libri Xll. 1556. Ein Jahr nach dem Erscheinen von Agricolas „De re metallica*' wurde eine deutsche Übersetzung von Ph. Beck unter dem Titel „Vom Bergwerk XII Bücher' herausgegeben. Sie erlebte mehrere Auf- lagen (1580, 1621). Eine neuere deutsche Übersetzung gibt es nicht, wohl aber eine vorzügliche englische vom Jahre 1912 (0. Vogel, Stahl und Eisen. Jahrg. 1916. S. 405;. 440 ^^^ Bergbau im Mittelalter. Die Verwendung des Kompasses zu bergmännischen Zwecken wird in dem Buche zum ersten Male geschildert. Agricola bringt auch eine Abbildung des bergmännischen Kompasses. Das Ver- fahren, mit seiner Hilfe Gruben anzulegen nennt er Marktscheidern. Etwas später begegnet uns die erste ausführliche Anleitung zu dieser Kunst i). Die maschinellen Einrichtungen, die Agricola beschreibt, unterscheiden sich nur wenig von den aus dem Altertum bekannten. Doch tritt schon deutlich das Bemühen hervor, an die Stelle der Menschenkraft diejenige der Tiere oder der unorganischen Natur zu setzen. Die Pumpen z. B. werden durch "Wasserkraft betrieben, ebenso größere Hämmer, wie die aus Agricolas Werk herrührende Abb. 63 erkennen läßt. Die Ventilationsapparate werden durch den Wind in Bewegung gesetzt usw. Man faßte also im Mittel- alter die großen Aufgaben, welche der Technik harrten, schon ins Auge, wenn auch die Lösungen, zu denen man gelangte, noch recht unvollkommen waren 2). Von den neueren metallurgischen Verfahrungsweisen erwähnt Agricola auch den Amalgamationsprozeß, der für die Ausbeutung der neuentdeckten, an Gold und Silber reichen Länder Amerikas später eine solch große Bedeutung gewinnen sollte. Zwar war man schon im Altertum mit dem Verhalten des Quecksilbers gegen Gold und Silber bekannt. Die Verwendung des erstgenannten Metalles zur Gewinnung der Edelmetalle aus dem Muttergestein blieb jedoch der Neuzeit vorbehalten. Erfunden ist das Amal- gamationsverfahren in Deutschland 3). In großem Maßstabe wurde es aber zuerst in Mexiko 4) und in Peru ^) angewandt. D'Acosta beschrieb es in seiner Natur- und Sittengeschichte Indiens ß], die uns auch über die ersten Entdeckungen auf botanischem und zoo- logischem Gebiete Auskunft gibt. Das Silbererz wurde der Ein- wirkung von Kochsalz und Quecksilber ausgesetzt und das ge- 1) Vom Marktscheiden, kurzer und gründlicher Unterricht durch E. Rein- hard. Erfurt 1574. 2j Über die Anregungen, die der Bergbau im Laufe der Kulturgeschichte der Naturwissenschaft und der Technik gegeben hat, berichtete E. Gerland im Archiv für Geschichte der Naturwissensch. u. der Technik. Jahrg. 1910. S. 301 u. f.). 3) Lindner, Gesch. Bd. IV. S. 431. *) Seit 1566. 5) Seit 1574. 6) Historia natural y moral de las Indias. Anfänge der neueren Geologie. 441 wonnene Amalgam durch Erhitzen zerlegt. Agricola bringt auch Mitteilungen über das Erdöl i). Zu der Zeit, als Agricola schrieb, glaubte man noch allgemein, die Welt sei noch heute im wesentlichen in dem Zustande, in dem Gott sie erschaffen habe. War es doch kein geringes Wagnis, dem in der Bibel enthaltenen Schöpfungsbericht zu widersprechen, an dem selbst die Gebildeten damals blindlings festhielten 2). Dem gegenüber vertrat Agricola die Anschauung, daß die Gesteine und die Mineralien den Naturkräften ihren Ursprung verdanken. Durch welche Kräfte er sich die Berge entstanden denkt, schildert er mit folgenden Worten 3): „Da wir sehen, daß die Gänge durch das Gestein der Gebirge gehen, so muß ich zunächst die Entstehung der letzteren und darauf den Ursprung der Gänge auseinander- setzen. Die Hügel und die Berge werden durch zwei Ursachen hervorgebracht, nämlich durch den Andrang der Gewässer und durch die Kraft der Winde, Zerstört und aufgelöst werden die Hügel und die Berge durch drei Ursachen, denn zu den beiden soeben genannten kommt noch die innere Glut der Erde hinzu. Daß die Gewässer die meisten Berge erzeugen, liegt klar vor Augen. Sie spülen zunächst die weiche Erde fort. Dann reißen sie die härtere Erde weg und endlich wälzen sie die Steine herab. Indem sie auf diese Weise Höhlungen hervorrufen, bewirken sie in vielen Menschenaltern, daß das stehenbleibende Land bedeutend hervorragt. Von dem steilen Abhang solcher Hervorragungen werden dann durch häufige Regengüsse erdige Massen so lange abgelöst, bis sich ein steiler Abhang in einen geneigten verwandelt." Agricola schildert somit schon ganz zutreffend den talbildenden Vorgang, den man als Erosion bezeichnet, sowie die Abtragung der Gebirge. Hätte er schon eine Vorstellung von der gebirgs- 1) Näheres siehe in den Mitteilungen z. Gesch. d. Med. u. d. Naturwiss. Nr. 69. S. 592. 2) Diejenigen Stellen der Bibel, welche der Entwicklung der Geologie besonders hinderlich waren, lauten nach der Ausgabe von E. Kautzsch, Die Heilige Schrift des Alten Testaments, 1896, S. 1 und S. 750: Da sprach Gott: Es sammle sich das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort, so daß das Trockne sichtbar wird. Und so geschah es, und Gott nannte das Trockne Erde, die Ansammlung der Gewässer aber nannte er Meer. (Die Schöpfung der Welt. Text S. 1.) Ehe die Berge geboren, und die Erde und der Erdkreis ,hervorgebracht wurden' und von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du, o Gott. (Text S. 750. Ps. 90.) 3) Agricola, De ortu et causis subterrancorum. Basileae 1546. Liber tertius, p. 36. 442 Anfänge der neueren Geologie. bildenden Tätigkeit des Vulkanismus gehabt, so würden seine An- schauungen sich den heutigen noch mehr genähert haben. Er fährt dann fort: „Auch die Vertiefungen, die jetzt die Meere aufnehmen, waren einst nicht sämtlich vorhanden. An vielen Stellen war Land, bevor die Kraft der Winde das in der Bran- dung aufbrausende Meer in das Land hineintrieb. In gleicher Weise zerstört auch der Andrang der Gewässer die Hügel und die Berge vollständig. Obgleich all diese Veränderungen in großem Maße stattfinden, bemerkt man sie gewöhnlich nicht, da sie infolge der langen Zeiträume, die sie beanspruchen, aus dem Gedächtnis der Menschen schwinden." Diese Worte erinnern an diejenigen des Aristoteles (S. 124), den Agricola an vielen Stellen seiner Schriften zitiert. Auch Avicenna (S. 312) hat eine Theorie der Entstehung der Gebirge gegeben, die mit derjenigen Agricolas fast überein- stimmt, weil beide direkt oder durch Vermittlung auf dieselben alten Schriftsteller zurückgingen. Über die Ansichten Avicennas berichtet Lyell'). Danach erwähnt Avicenna als Ursache der Gebirgsbildung die Erdbeben, durch die „Land erhoben wird und einen Berg bildet". Eine weitere Ursache ist nach ihm wie nach Agricola „die Aushöhlung durch Wasser, wodurch Hohlräume entstehen und bewirkt wird, daß das angrenzende Land hervorragt und ein Gebirge bildet". Die zur Zeit des Wiederauflebens der Wissenschaften unter dem Einfluß der antiken Schriftsteller entstandenen geologischen Elemente fanden ihre Fortsetzung besonders durch Steno, von dem an einer späteren Stelle die Rede sein wird. Ein Jahrzehnt vor dem Erscheinen des Bergwerksbuches ver- öffentlichte Agricola sein grundlegendes Buch über die Mine- ralien 2). In diesem Werk begründete er das erste, auf den äußer- lichen Kennzeichen beruhende Verfahren zum Bestimmen der Mineralien. Trotz aller Unvollkommenheiten verdient es doch Be- achtung, weil die späteren Versuche von dem System Agricolas ausgingen. Agricola berücksichtigt Farbe, Glanz, Darchsichtig- keit, Geschmack, Geruch und die Wirkung auf den Tastsinn (Fettigkeit, Glätte, Rauhigkeit usw.). Ferner kommen für ihn als Mittel zur genauen Beschreibung der Mineralien die Zähig- 1) Principles of geology. 11. Aufl. Bd. 1. London 1872. S. 27—28. 2) Georgius Agricola, De natura fossilium. Basel 1546. Anfange der Paläontologie. 443 keit, Biegsamkeit, Schwere und Spaltbarkeit in Betracht. Seine Angaben über die Gestalt der Mineralien sind noch sehr unbe- stimmt. Er unterscheidet tafelförmige, eckige (drei- bis sechs- eckige und vieleckige) und gewissen Gegenständen ähnliche Mine- ralien (pfeilförmig, sternförmig, linsenförmig usw.). Die Brauch- barkeit dieser Übersicht wurde für spätere Mineralogen dadurch erhöht, daß jedes der erwähnten Kennzeichen nicht nur angegeben, sondern durch typische Mineralien erläutert und auf diese Weise gute Vergleichspunkte geschaffen wurden. Schon während des Altertums hatte man die Versteinerungen von den Mineralien unterschieden und erstere ganz richtig als die Überreste organischer Wesen gedeutet. Im Mittelalter dagegen war man auf Grund der aristotelischen Lehre von der elternlosen Zeugung niederer Tiere zu der sonderbaren Vorstellung gelangt, daß die Versteinerungen einem im Erdinnern wirkenden Bildungs- trieb, einer vis plastica oder formativa, ihren Ursprung verdankten'). Es dauerte Jahrhunderte, bis die im 15. Jahrhundert wieder auf- lebende Wissenschaft sich von dieser Lehre frei zu machen wußte. Ihren letzten Ausläufern begegnen wir sogar noch um die Mitte des 18". Jahrunderts. Nach Agricolas Auffassung waren also die Versteinerungen Überreste von Organismen. Insbesondere macht Agricola diesen Ursprung für fossiles Holz, Blattabdrücke, Kno- chen und die bekannten Fischabdrücke des Mannsfelder Kupfer- schiefers geltend. Dagegen hält er die in den Gesteinen einge- schlossenen Muscheln, Ammonshörner und Belemniten für „ver- härtete Wassergemenge." Auch in Frankreich und in Italien, wo es geringere Schwierig- keiten bot, die Ähnlichkeit fossiler Konchylien mit noch jetzt in den benachbarten Meeren lebenden Arten zu erkennen, neigten aufgeklärte Zeitgenossen Agricolas der richtigen Annahme zu, daß die Versteinerungen organischen Ursprungs seien. Erst als die Geologie ihr Hauptziel in der Deutung des mosaischen Schöpfungs- berichtes erblickte und die Versteinerungen für die wichtigsten Zeugen der Sintflut ausgab, fand diese Lehre allgemeinen Anklang. Die heute geltende Ansicht findet sich wohl zuerst bei Lionardo da Vinci und vor allem bei dem in Verona lebenden Arzt Fra- 1) Als Begründer dieser irrigen Ansicht ist Avicenna (980—1037) zu betrachten. Auch Albertus Magnus huldigte ihr. Doch meinte er, Tiere und Pflanzen könnten auch wohl an solchen Orten zu Stein erhärten, wo eine steinmachende Kraft vorhanden sei. (Zittel, Geschichte d. Geol. u. Paläont. 1899. S. 15.) 444 Anfänge der Paläontologie. castoro (1483 — 1553) ganz klar ausgesprochen. Als man in Verona, bei der Errichtung von Bauten, Muscheln aus dem Erd- innern zutage förderte, erklärte Fracastoro, daß es sich hier weder um die Schöpfungen einer vis plastica noch um Zeugen der Sintflut handeln könne. Etwaige Beweisstücke einer allgemeinen Über- flutung müßten nämlich, wie er ausführt, die Oberfläche der Erde bedecken, während die gefundenen Dokumente tief im Boden ge- funden seien. Als einzige Annahme bleibe übrig, daß die Ver- steinerungen von Geschöpfen herrühren, die an der Stelle, wo sie sich befinden, früher gelebt haben und so erkennen lassen, daß das Meer einst dort wogte, wo jetzt festes Land ist. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts begegnen uns auch die ersten, mit Abbildungen versehenen "Werke über Versteinerungen, unter denen dasjenige Gesners, des deutschen Plinius, hervor- zuheben ist^). Allerdings gelangte auch er hinsichtlich der Ver- steinerungen zu keiner klaren Ansicht. Er vergleicht sie zwar mit Pflanzen und Tieren, ohne sie indessen bestimmt als Überreste organischer Wesen anzusprechen 2), Den Standpunkt Fracastoros vertrat unter den Schrift- stellern, die im 16. Jahrhundert über Gegenstände der Geologie schrieben, vor allem der Franzose Bernhard Palissy. In einem, klares Denken und vorurteilsfreie Beobachtung bezeugenden Werke weist er darauf hin 3), daß manche Versteinerungen den noch jetzt lebenden Tieren und Pflanzen gleichen und offenbar an Orten entstanden sind, die früher vom Meere oder von süßem Wasser bedeckt waren*). Die häufig anzutreffende Annahme, daß Lionardo da Vinci, Fracastoro und Palissy lediglich durch eigenes, vorurteils- freies Denken zu richtigen Vorstellungen über die Versteinerungen und den Wechsel von Meer und Land gekommen seien, ist nicht zutreffend. Auch diese Männer empfingen die Anregung zu ihren Spekulationen ganz offenbar aus den Schriften der Alten, be- sonders aus den Büchern des Aristoteles, welche der Neuzeit die Vorstellungen übermittelten, zu denen die griechischen Forscher, 1) Konrad Gesner, De omni rerum fossilium genere. 1565. 2) Zittel, Geschichte der Geologie und Paläontologie. 1899. S. 18. 3j Palissy, Discours admirable de la nature des eaux et fontaines, des metaux, des sels et salines, des pierres, des terres, du feu et des emaux. Paris 1580. Nach E. v. Lippmann wird seine Originalität neuerdings stark bezweifelt. *] Zittel, a. a. 0. S. 22. Die Versteinerungen. 445 besonders Demokrit, in geologischen Dingen gelangt waren. Palissy bedient sich in seinem „Discours admirable" betitelten Buche der Form des Dialogs. Seine eigenen Ansichten legt er der „Praxis", die gegnerischen der „Theorie" in den Mund. Auf einen Einwurf der „Theorie" antwortet Palissy: „Wie wäre es möglich, daß Holz sich in Stein verwandelt, wenn es sich nicht längere Zeit in mineralhaltigen Gewässern befunden hätte. Wären letztere nicht ebenso flüssig und fein wie die gewöhnlichen, so hätten sie nicht in das Holz eindringen und es in allen seinen Teilen durchtränken können, ohne ihm irgendwie seine ursprüngliche Form zu nehmen. Wie das Holz, so wurden auch die Muscheln in Stein verwandelt, ohne ihre Form zu verlieren". Palissy war ein einfacher Töpfer. Er hatte indessen bei dem gelehrten Cardanus gelesen, daß die Schalen der Muscheln an vielen Orten dadurch versteinert seien, daß die Substanz sich änderte, während die Form erhalten bliebt). Wie es kommt, daß die versteinerten Organismen sich nicht nur an der Oberfläche der Erde finden, sondern das ganze Gebirge durchsetzen, schildert Palissy zutreffend mit folgenden AVorten: „Die versteinerten Orga- nismen wurden an demselben Orte erzeugt, an dem wir sie finden und zwar zu einer Zeit, während sich an der Stelle der Felsen nur Schlamm und Wasser vorfand. Letzterer ist seitdem mit den Organismen versteinert. Und zwar versteinerten die Erde und der Schlamm durch dieselbe Kraft, die auch die Fossilien erzeugt hat, nämlich durch die alles durchdringenden Minerallösungen." In einem Punkte urteilt Palissy richtiger als Cardanus. Letz- terer glaubte nämlich mit den meisten Gelehrten seiner Zeit, so- weit sie nicht die Versteinerungen für bloße Naturspiele oder „Schöpfungsübungen Gottes" hielten, die versteinerten Organismen seien Überbleibsel einer die gesamte Erde bis zu den Spitzen der Berge bedeckenden Flut, also gewissermaßen Zeugen der Sintflut. Gegen diese Ansicht wendet sich Palissy mit dem Hinweis darauf, daß sich die Fossilien nicht nur an der Oberfläche der Erde be- fänden, sondern auch an den tiefsten Stellen, an die man durch das Ausbrechen der Steine gelange. „Durch welches Tor", fragt er seine Gegner, „drang denn das Meer ein, um die Fossilien in das Innere der dichtesten Felsen zu tragen?" ^ Nach Löwenheim stimmen Palissy und Cardanus mitunter fast wörtlich überein. Siehe S. 74 u. 7ö. 13. Die ersten Ansätze zur Neubegründung der organischen Naturwissenschaften. Nicht nur für die anorganischen Naturwissenschaften, ein- schließlich der Mineralogie und der Geologie, wurden im 16. Jahr- hundert G-rundlagen geschaffen, auf denen sich mit Erfolg weiter bauen ließ, sondern das Gleiche gilt auch von den übrigen Gebieten der Naturbeschreibung, der Botanik, der Zoologie, sowie der Lehre vom Bau und von den Verrichtungen des menschlichen Körpers. Diese Gebiete wurden zunächst durch das Bekanntwerden der auf sie bezüglichen Schriften der Alten zu neuem Leben erweckt. Dann trat aber für sie noch ein zweiter günstiger Umstand hinzu. Li- folge der Entdeckungsreisen und durch die daran sich anknüpfenden neuen Handelsverbindungen wurde nämlich die europäische Mensch- heit mit einer solchen Fülle neuer Naturerzeugnisse bekannt, wie es nie zuvor in gleichem Maße geschehen war. Naturbeschreibung und Entdeckungsreisen. Die Geschichte der Entdeckungsreisen gilt schon in der üb- lichen, mehr das Persönliche und Zufällige schildernden Darstel- lung als eine der fesselndsten Episoden der Weltgeschichte. Sie gewinnt aber außerordentlich an allgemeinem Literesse, wenn wir sie in ursächliche Beziehung zu dem Gange der wissenschaftlichen Entwicklung setzen. Letztere ist es, welche die Entdeckungsreisen bedingt hat, um andererseits durch sie auch wieder den gewaltig- sten Impuls zu empfangen. Wir haben schon an anderer Stelle erfahren, daß die Schiff- fahrt gegen den Ausgang des Mittelalters durch die Einführung des Kompasses, sowie die Entwicklung der Astronomie und der auf astronomischen Prinzii^ien beruhenden nautischen Instrumente viel von ihren Gefahren und Zufälligkeiten verloren hatte. Infolge- dessen vermochte die Nautik sich auch weitere Ziele zu stecken. Da der Verkehr zu Lande mit den südlichen und östlichen Teilen Naturwissenschaften und Entdeckungsreisen. 447 Asiens, die ja schon im Altertum in den Gesichtskreis der Euro- päer getreten waren und für Europa gegen den Ausgang des Mittel- alters immer mehr an Bedeutung gewannen, in hohem Grade mühsam, kostspielig und gefährlich war, so regte sich in weiter- schauenden Männern der Gedanke, ob jene asiatischen Länder nicht durch eine Fahrt nach Westen oder durch eine Umschiffung Afrikas zu erreichen seien. Dieser Gedanke fand den günstigsten Boden in Portugal und Spanien, die durch ihre Lage mehr als Italien auf das offene Meer hinausgewiesen waren und durch das Übergewicht, das Venedig im Mittelmeere ausübte, auf neue Wege für ihren Handel hingedrängt wurden. In Portugal wurde dieses Streben besonders durch Heinrich „den Seefahrer" \! unterstützt. Um diesen scharten sich gelehrte und kühne Männer, unter anderen der Geograph und Astronom Martin Behaim^) aus Nürnberg. Um die Mitte des 15. Jahr- hunderts begann das Vordringen entlang der Westküste Afrikas. Das Auftauchen bewaldeter Vorgebirge zerstörte zunächst das mittelalterliche Vorurteil, daß in der Nähe des Äquators alles Leben von der Glut der Sonne versengt sei. Ferner bemerkte man, daß die Küste Afrikas immer weiter nach Osten zurück- weicht, wodurch die Hoffnung, einen östlichen Seeweg nach Indien zu entdecken, neue Nahrung empfing. Durch Bartholomeo Diaz, der 1486 die Südspitze des dunklen Erdteils erreichte, und durch Vasco da Gama, der 1498 nach der Umschiff ung Afrikas in Ost- indien landete, wurde diese Hoffnung endlich verwirklicht. Rasch breiteten sich die Herrschaft und der Handel der Portugiesen über das südliche Asien und die im Südosten dieses Kontinentes ge- legenen Inseln aus. Mit welcher Fülle von neuen Naturerzeugnissen die euro- päische Menschheit dadurch bekannt wurde, kann hier nur an- gedeutet werden. An den Küsten und auf den Inseln Ostafrikas fielen besonders die gewaltigen Dracaenen und der riesige Brot- fruchtbaum (Adansonia digitata) auf. In Ceylon gelangte man in den Besitz der Zimtwälder. Man wurde mit der wunderbaren maledivischen Nuß, mit dem Gewürznelkenbaum und denjenigen Pflanzen bekannt, welche die Muskatnüsse, den Kampfer, Benzoe, Indigo, Strychnin usw. liefern. In nicht geringerem Maße wurde die Wissenschaft durch die Entdeckung zahlreicher neuer Tier- *) Den jüngsten Sohn Könipf .lohanns des Ersten. 3) Siehe S. 399. 448 Naturwissenschaften und Entdeckungsreisen. formen bereichert. Und der gelehrte Clusius (geb. zu Arras 1526) unternahm es, das Wichtigste über die neuen fremdländischen Naturerzeugnisse zusammenzustellen 1). Bei Clusius begegnen uns zum ersten Male, in Abbildungen und Beschreibungen, der fliegende Hund, der Molukkenkrebs, die gewaltigen, plumpen, zur Ordnung der "Waltiere gehörenden Sirenen, der heute ausgestorbene Dodo, jener unbeholfene Vogel, den Vasco da Gama auf den Masca- renen in so großer Menge antraf. Auch die Bewohner Amerikas, seine Faultiere, Gürteltiere und Kolibris und endlich die so aben- teuerlich gestalteten Fische, die das Meer der Tropen beleben, schildert Clusius. Den Portugiesen wurde der indische Handel durch die Nieder- länder entrissen, deren Seegeltung so machtvoll emporwuchs, nach- dem sie das spanische Joch abgeschüttelt hatten. Die wissenschaft- liche Erforschung der neuentdeckten Länder nahm unter diesem Volke, das auch daheim den regsten wissenschaftlichen Sinn be- kundete, einen bedeutenden Aufschwung. War doch auch Clusius ein Niederländer. Der Gedanke, durch eine Seefahrt nach Westen die Küsten Ost- und Südasiens zu erreichen, tauchte im Renaissancezeitalter zuerst in dem Florentiner Astronomen Toscanelli (1397 — 1482) auf. Dieser Mann, der auch durch seine Einwirkung auf Nico- laus von Cusa zum Wiederaufleben der Astronomie in Deutsch- land beigetragen hatte, wußte den großen Genuesen, dem Europa die Entdeckung der westlichen Hemisphäre verdankt, für seinen Gedanken zu erwärmen. Dennoch sollten zehn Jahre nach dem Tode Toscanellis verfließen, bis Columbus nach Überwindung zahlloser Schwierigkeiten in Westindien landete. Schon auf der ersten Reise wurde man mit dem Tabak, der Yamswurzel und dem Mais bekannt. Bald folgte die Entdeckung der Ananas, von Agave Americana, Theobroma Cacao, der Batate, der Sonnen- blume, von Manihot und zahlreichen anderen, wichtigen und charakteristischen amerikanischen Pflanzen. Nachdem Cabot (1497) das nordamerikanische Festland, Cabral (1500) Brasilien entdeckt hatten, und Cortez und Pizzaro erobernd in das Innere des neuen Kontinentes eingedrungen waren, begann eine sorgfältige naturgeschichtliche Erforschung der ent- deckten Länder. Vor allem waren es gelehrte Kleriker, die sich dieser Aufgabe mit Eifer und Erfolg widmeten. So schrieb der 1) Exoticorum libri X. Naturwissenschaften und Entdeckungsreisen. 449 Jesuit d'A Costa eine „Natur- und Sittengeschichte der Tndier", in der auch die gewaltigen fossilen Knochen Südamerikas Er- wähnung finden. d'Acosta hielt sie für Überreste von Riesen und erörtert ganz ernsthaft die Frage, wie die Tiere Amerikas nach ihrem heutigen Wohnsitz gelangten, da sie doch in der Arche Noahs eingeschlossen gewesen seien. Mit noch größerem Eifer als den Pflanzen und den Tieren wandte man sich den Bodenschätzen der neu entdeckten Länder zu. In Mexiko und Peru wurde der Bergbau bald mit so großem Erfolge betrieben, duü die Einfuhr des dort gewonnenen Edel- metalls in Europa umgestaltend auf die wirtschaftlichen Verhält- nisse dieses Erdteils wirkte. Auf die Erschließung des neuen Kontinentes folgte ein Austausch seiner Erzeugnisse mit den- jenigen der alten Welt. So wird der Tabak schon 1559 in Portugal gebaut 1), um in Europa zunächst als Mittel gegen Geschwüre Verwendung zu finden. Zu den ersten, die ihn rauchten, gehörte der große Naturforscher Gesner. Die neue Welt empfing dagegen u. a. den Kaffeebaum, das Zuckerrohr und die Obstarten. Hand in Hand mit der unendlichen Bereicherung, welche die Wissenschaft durch die Entdeckungsreisen erfuhr, ging ein Auf- schwung der gesamten Kultur und eine Erweiterung des gesamten Gesichtskreises, wie ihn kein früheres oder späteres Zeitalter er- fahren. Der Handel hörte auf, das Privilegium einiger mächtigen Süd- und mitteleuropäischen Städte zu sein und wurde Welthandel. Die Mittelmeerländer waren nicht fürder eine Welt für sich, son- dern die ganze Erde wurde zu einer Domäne der weißen Rasse. Und innerhalb dieser Rasse erlangte endhch immer mehr das germanische Element das Übergewicht. Waren doch die Völker germanischen Stammes den Romanen an Tatkraft überlegen, an Intelligenz mindestens gleichwertig, und endlich durch ihre Wohn- sitze am offenen Weltmeer auf die Fortentwicklung des durch die Entdecker und Konquistadoren eröffneten Welthandels ganz be- sonders hingewiesen. Alles Momente, welche in Verbindung mit der im nördlichen Europa entstehenden Glaubens- und Gewissens- freiheit, die Verpflanzung der in Italien wiedergeborenen Wissen- schaft nach Mittel- und Nordwesteuropa ganz besonders begün- stigten. 1) Sprengel, Geschichte der Botanik. Bd. I. S. 352- Dannemann, Die Naturwissenschaften. I. Bd. 2. Aufl. 450 Die Erneuerung der Botanik. Die Erneuerung der Botanik. Wir wenden uns nach diesen allgemeineren Ausführungen den organischen Naturwissenschaften im einzelnen zu. Daß man im Zeitalter der Renaissance und der Entdeckungsreisen die Augen öffnen lernte und die Fesseln des Autoritätsglaubens und der Büchergelehrsamkeit abstreifte, ist für die weitere Entwicklung der beschreibenden Naturwissenschaften von großem Einfluß ge- wesen. Waren diese Wissenszweige früher nur nebenbei und meist zu Heilzwecken gepflegt worden, so bot sich jetzt eine solche Fülle von neuem Material, daß die Tätigkeit derjenigen, die sich der Naturbeschreibung widmeten, dadurch vollauf in Anspruch ge- nommen wurde. Damit trat die Beziehung dieser Fächer zur Heil- kunde, ihrer eigenen Bedeutung gegenüber, allmählich zurück. Besonders für die Botanik trat im 16. Jahrhundert der Zeit- punkt ein, in dem dieser Wissenszweig sich über die Grenzen der Heilmittellehre hinaus entwickelte, da man die Pflanzen ihrer selbst wegen zu betrachten begann ^). Auch wurde mit dem lange herrschenden Vorurteil gebrochen, als hätten die Alten schon die ganze Fülle der Pflanzenwelt erschöpft. Der Trieb nach eigener wissenschaftlicher Betätigung äußerte sich auf botanischem Gebiete in diesem Zeitalter vor allem darin, daß eine Anzahl von Spezial- floren mit Abbildungen, die sogenannten Kräuterbücher, entstan- den. In weiten Kreisen wurde diesen Erzeugnissen des empor- blühenden Buchgewerbes Interesse entgegengebracht. Infolgedessen verwandten die Verleger die größte Sorgfalt auf die Ausstattung der Kräuterbücher mit musterhaften Abbildungen. Und in dem Maße, wie die Kunst des Holzschnittes auf diesem Gebiete Fort- schritte machte, nahm auch die Fähigkeit des Beschreibens mit zutreffenden Worten einen Aufschwung. Infolge der wachsenden Pflanzenkenntnis und der Verschärfung der Beobachtung wurde aber auch die natürliche Verwandtschaft immer mehr durchgefühlt, so daß man häufig zur Vereinigung verwandter Arten zu Gattungen, ja selbst ähnlicher Gattungen zu familienähnlichen Gruppen ge- langte. Einen Ansatz zu dieser Art von Systematik hatte zwar schon das Altertum zu verzeichnen, indem z. B. Theophrast ver- schiedene Arten von Eichen, Fichten usw. zusammenfaßte. Da jedoch die allgemeine Botanik, abgesehen von dem vereinzelt ge- bliebenen Bemühen des Albertus Magnus, keine Fortschritte 1) E. Meyer, Geschichte der Botanik. Bd. IV. S. 290. Pflanzenabbildungen. 451 gemacht hatte, so verfuhr man bei diesen ersten Schritten an der Schwelle der Neuzeit mehr intuitiv, ohne imstande zu sein, die gewonnenen Begriffe durch klare Definitionen festzuhalten. Der im vorstehenden kurz gekennzeichnete Fortschritt der Botanik ist vor allem das Verdienst einiger deutschen Gelehrten, die man wohl als die Väter der Pflanzenkunde bezeichnet hat. Sie heißen Brunfels, Bock und Fuchs. Mit demselben Rechte, mit dem man Agricola den Vater der neueren Mineralogie genannt hat, kann man die Genannten als die Begründer der neueren Botanik bezeichnen. Ihre Kräuterbücher wurden dadurch ver- anlaßt, daß die kommentatorischen Bemühungen, die man auf die botanischen Werke der Alten verwendet hatte, aus mehreren Gründen gescheitert waren. Bei dem Glauben an die Unfehlbar- keit der Alten war man nämlich an ihre botanischen Schriften in der Meinung herangetreten, daß die darin abgehandelten Pflanzen das gesamte Pflanzenreich darstellten. Des weiteren suchte man die von den Alten beschriebenen Pflanzen, ohne von der geo- graphischen Verbreitung eine klare Vorstellung zu besitzen, in Mitteleuropa, wo sie bei der bedeutenden Verschiedenheit der Floren Griechenlands und Deutschlands nur zum kleinsten Teil gefunden werden konnten. Erst als man die Unhaltbarkeit jener Voraus- setzungen einsah, verlegte man sich auf das genaue Beschreiben derjenigen Gewächse, die man in der Heimat vorfand. An der Spitze der neueren Botaniker steht Otto Brunfels. Brunfels wurde um 1490 in der Nähe von Mainz geboren und empfing dort gelehrten Unterricht. Nachdem er einige Zeit ein Schulamt bekleidet, erwarb er die Würde eines Doktors der Medizin^). Sein Hauptverdienst um die Botanik besteht darin, mit Hilfe eines hervorragenden Künstlers die erste Sammlung naturgetreuer, künstlerisch vollendeter Pflanzenabbildungen heraus- gegeben zu haben. Das Werk erschien unter dem Titel „Herbarum vivae eicones" im Jahre 1532. Es enthielt mehrere hundert Ab- bildungen in so sicheren Umrissen, daß die dargestellten Pflanzen 1) Eine ausführliche Schilderung des Lebenslaufes von Brunfels und seiner Verdienste um die Botanik enthält die Abhandlung von F. W. E. Koth: „Otto Brunfels, 1489 — 1534, ein deutscher Botaniker". Botanische Zeitung 1901. S. 191 u. f. Brunfels trat als Kartäusermönch mit den bedeutendsten Humanisten, darunter mit Ulrich von Hütten, in Verbindung. Mit Hilfe des letzteren entfloh Brunfels dem Kloster, um ofi'en als Lutheraner aufzu- treten. Später wirkte er als Lehrer am Gymnasium in Straßburg. Er starb im Jahre 1534, nachdem er einige Jahre vorher die medizinische Doktorwürde erworben hatte. 29* 452 Dürers Pflanzen- und Tierzeiclmungen. gar nicht verkannt werden konnten. Es handelte sich dabei in erster Linie um die wildwachsenden, häufiger vorkommenden Pflanzen der oberrheinischen Tiefebene. Der Text, den Brunfels diesen Abbildungen beigegeben, ist von geringerem Wert. Er lehnt sich noch in der Haui^tsache an die älteren Schriftsteller an und ist bestrebt, die heimatlichen Pflanzen mit den von Dioskurides, Plinius und Galen be- schriebenen zu identifizieren. Brunfels gab seinem Kräuterbuche folgende Einrichtung. Unter jede Abbildung setzte er zuerst einen deutschen Xamen. Hinzugefügt wurden dann die lateinischen und die griechischen Benennungen, sowie Angaben aus Theophrast, Dioskurides, Plinius usw. Den Schluß bildeten Mitteilungen über die "Wirkungen der Pflanzen. Gewisse Versuche, die heimathchen Pflanzen naturgetreu ab- zubilden, wurden übrigens in Deutschland schon vor Brunfels im 15. Jahrhundert gemacht. Vorbildlich war nach dieser Rich- tung vor allem die Kunst eines Albrecht Dürer (1471 — 1528). Die Pflanzendarstellungen, die sich auf seinen Gemälden, sowie denjenigen mancher älteren deutschen Künstler finden, waren recht naturgetreu. Dürer liebte es, auf seinen Bildern als Beiwerk Pflanzen und Tiere zu malen. Er folgte darin einem damals herrschenden Brauche. Im ganzen hat Dürer etwa 180 ver- schiedene Pflanzen und Tiere dargestellt. Zumal im reiferen Alter des Künstlers zeigen diese Bilder, wie z. B. Veilchen, Pfingstrosen, Lilien usw., einen unübertrefflichen Grad von Naturwahrheit. „Dürer gebührt daher in der Geschichte der naturkundlichen Illustration, die freilich erst geschrieben werden muß, ein dauern- der Ehrenplatz"!). Kunst und Wissenschaft wetteiferten somit darin, die Natur- kunde wieder auf eigene Beobachtung zu gründen und sich von den überkommenen Schriften der Alten, die bis zum 15. Jahr- hundert als einzige Quelle dem Studium zugrunde gelegt wurden, frei zu machen. Daß trotzdem der neueren Wissenschaft nur nach und nach die Flügel wuchsen, hat die verschiedensten Gründe. Ein Mitarbeiter des Brunfels ist Hieronymus Bock 2). Bock wurde 1498 in der Nähe von Zweibrücken geboren, studierte 1) S. Killermann, Dürers Pflanzen- und Tierzeiclinungen und ihre Be- deutung für die Naturgeschichte. Heft 119 der Studien zur deutschen Kunst- geschichte. Mit 22 Tafeln. Straßburg 1910. ~] Brunfels lernte, wahrscheinlich im Jahre 1533, die Sammlungen Bocks kennen und veranlaßte ihn zur Herausgabe des Kräuterbuches. PHaiizenbeschreibungen. 453 alte Sprachen und wurde durch den Pfalzgrafen von Zweibrücken mit der Aufsicht über dessen Garten betraut. Zu gleicher Zeit bekleidete er die Stelle eines Lehrers. Bock stellte botanische Wanderungen in der Eifel, dem Hunsrück, den Vogesen, dem Jura, den Schweizer Alpen an und beobachtete überall die dort wachsenden Pflanzen mit der größten Sorgfalt. Sein Fehler, dem jedoch sein Zeitgenosse Fuchs, wie wir gleich hören werden, ent- gegentrat, bestand darin, daß er den von ihm aufgefundenen Pflanzen griechische und lateinische Namen der alten Botaniker beilegte, mit welchen diese ganz andere, in Südeuropa heimische Gewächse bezeichnet hatten. Bock wagt sogar den Versuch einer natürlichen Anordnung und stellt zum Beispiel die Lippenblüter, die Kompositen und die meisten Kreuzblüter zusammen. Das Werk, das ihn in der Ge- schichte der Botanik unsterblich gemacht hat, führt den Titel „New Kreutterbuch" i). Es erschien zuerst im Jahre 1539, und zwar ohne Abbildungen, während die späteren Auflagen mit solchen versehen waren. Die Abbildungen Bocks bleiben hinter denjenigen des Brunfels zurück, dafür hat es aber Bock in der Kunst des Beschreibens viel weiter gebracht als jener, so daß er sich den Ruhm erwarb, er vermöge in seinen Beschreibungen die Natur wirklich zu malen. Vor allem versteht es Bock, den ganzen Habitus der Pflanze vortrefflich zu beschreiben, während er auf die Beschreibung der Blumen und Früchte geringere Sorgfalt ver- wendet. Auch berücksichtigt er keine Pflanze, die er nicht selbst gesehen, „soviel derselben im Teutschen Land ihm zu banden ge- stoßen". Auch das Vorkommen und die Zeit des Blühens der be- schriebenen Pflanzen findet man berücksichtigt. Ferner erklärt sich Bock entschieden gegen die alphabetische Anordnung, durch welche ähnliche Pflanzen getrennt würden. Im ganzen hat Bock sechshundert Pflanzen beschrieben. Als Probe möge hier seine Beschreibung der Ackerwinde (Convolvulus arvensis) und der Zaunwinde (Convolvulus sepium) Platz finden. Sie lautet: „Zwei gemeine Windenkräuter wachsen in unserem Land allenthalben mit weißen Schellen- oder Glocken- blumen. Das größte sucht seine Wohnung gern bei den Zäunen, kriecht über sich, wickelt und windet sich. Das kleine Glocken- kraut (0. arvensis) ist dem großen in der Wurzel, den runden 1) Hieron yraus Bock (1498—1554), New Kreuterbuch von Under- scheidt, Würkung und Namen der Kreuter, so in teutschen Landen wachsen. 454 Kräuterbücher. Stengeln, den Blättern und den Glocken gleich, in allen Dingen aber dünner und kürzer. Etliche Glockenblumen an diesem Ge- wächs werden ganz weiß, etliche schön leibfarben, mit braunroten Strömlein gemalt. Diese wachsen in dürren Wiesen und Gärten. Es schadet dadurch, daß es mit seinem Kriechen und Umwickeln andere Gartenkräuter zu Boden drückt. Auch ist es schwer aus- zurotten". Die Anordnung der Pflanzen in den Kj-äuterbüchern war meist die alphabetische. Allmählich entwickelte sich aber auf Grund der zahllosen Einzelbeobachtungen das Gefühl für die Zusammen- gehörigkeit des Ahnlichen und damit die Voraussetzung zur Be- gründung eines natürlichen Systems. So wurden bald die Nadel- hölzer, die Lippenblüter, die Korbblüter und andere Familien als natürhche Gruppen herausgefühlt, ein großer Fortschritt gegen die Einteilung in Bäume, Sträucher und Kräuter, d^ wir im Altertum zumeist begegnen. Das medizinische Element nahm jedoch in den Kräuterbüchern immer noch einen breiten Raum ein, wie es auch bei der Anlage botanischer Gärten maßgebend war. Naiv genug mutet uns noch manches in den Kräuter- büchern, diesen Erstlingserzeugnissen der neueren botanischen Wissenschaft an. So beginnt Bock mit folgenden Worten: „Nach Erkundigung aller Geschrift erfindet sichs klar, daß der allmächtige Gott und Schöpfer der allererste Gärtner, Pflanzer und Baumann aller Gewächse ist." Sodann wird Adam als der zweite Botaniker gepriesen, weil er alle Pflanzen mit ihrem rechten Namen belegt habe. Auf ihn folgen die Botaniker Kain, Noah usw. Als dritter in der Reihe der Begründer der neueren Botanik ist der Bayer Leonhard Fuchs zu nennen. Er wurde 1501 geboren, studierte wie seine Vorgänger Medizin und alte Sprachen und gab im Jahre 1542 seine berühmte „Historia stirpium", eine Beschreibung vieler in Deutschland wild wachsender Pflanzen heraus, zu denen noch etwa 100 Gartenpflanzen kamen. Das Werk stellt sich denjenigen von Bock und Brunfels als ebenbürtig an die Seite. Fuchs war ein sehr gelehrter Mann. Seine ein- dringende Gelehrsamkeit ließ ihn die Mängel, die den arabischen Schriften über Medizin und Botanik und ihren lateinischen Nach- ahmungen anhafteten, klar erkennen. Er drang deshalb darauf, daß man in der Medizin auf die griechischen Urschriften, in der Botanik aber auf die Natur selbst zurückgehen solle. Letzteres erschien ihm als der einzige Ausweg, aus der Verwirrung heraus- Die Anordnung der Pflanzen. 455 zukommen, welche durch die Übertragung der alten Pflanzennamen auf die heimatlichen Gewächse entstanden war^). Unter den Botanikern des 16. Jahrhunderts ist auch der Niederländer Dodonaeus zu nennen, wie denn überhaupt die Niederländer frühzeitig unter den Neubegründern der Naturwissen- schaften und der Philosophie hervorragten, eine Erscheinung die sicherlich in der geographischen Lage des Wohnsitzes und in der staatlichen und religiösen Entwicklung dieses Volkes begründet ist. Dodonaeus wurde 1517 in Mecheln geboren. Sein Haupt- werk 2), „Die Naturgeschichte der Gewächse", erschien im Jahre 1583. Was Dodonaeus unter den zeitgenössischen Botanikern be- sonders hervorhob, war das bewußte Streben, eine wissenschaftliche Anordnung der Pflanzen zu finden. Zwar blieb es bei einem rohen Versuch, doch hat er viele Gattungen und Familien und manche wenig ins Auge fallende verwandtschaftliche Beziehungen der Pflanzen schon erkannt. Die Pflanzen, die er beschreibt, gehören teils der heimatlichen Flora an, teils sind sie den Gärten ent- nommen, die von den Niederländern schon damals sehr gepflegt und infolge der ausgedehnten Handelsbeziehungen dieses Volkes mit mancher seltenen Art versehen wurden^). Selbst Dodonaeus vergleicht noch die ihm vorliegenden Pflanzen mit den von den alten Schriftstellern erwähnten. Doch hindert ihn das nicht, seine eigenen Beschreibungen auf genaue und eingehende Beobachtungen zu stützen, so daß seine Beschreibungen ausführlicher als diejenigen irgendeines seiner Vorgänger ausgefallen sind. Weit vielseitiger und vorgeschrittener als die genannten Männer war der große Polyhistor Konrad Gesner, ein Mann, der für 1) Einige der von Fuchs zum ersten Male abgebildeten deutschen Arten seiea hier aufgezählt: Ligustrum vulgare, Salvia pratensis, Hordeum vulgare, Avena sativa, Convolvulus arvensis, Lysimachia Nummularia, Cyclamen euro- paeum, Liliuni candidum, Paris quadrifolia, Daphne Merzereum, Saponaria officinalis, Euphorbia Cyparissias, Prunus spinosa, Clematis Vitalba, Ranunculus acris, Digitalis purpurea, Genista tinctoria, Orchis Morio, Equisetum arvense, Pteris aquilina usw. 2) Dodonaei stirpium historiae pemptades sex sive libri XXX. Ant- werpiae, ex officina Christophori Plantini, 1583, in fol. 3) Von der Einführung amerikanischer Pflanzen handelt S. Killermann in der Naturwiss. Wochenschrift. 1909. S. 193. Danach ist der Mais in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach Europa gekommen. Die Agave ameri- cana wurde nach Caesaljjin 1561 eingeführt. Weitere Angaben finden sich über Nicotiana tabacum, Solanum tuberosum, Capsicum annuum usw. Mitgebracht hat den Mais übrigens schon Columbus, wie er (nach E. V. Lippmann) selbst bezeugt. 456 Gesners Naturgeschichte der Pflanzen. sein Zeitalter etwa die Bedeutung besaß, wie sie Albert dem Großen für das 13. Jahrhundert beizumessen ist. Konrad Gesner wurde im Jahre 1516 in Zürich als der Sohn eines armen Kürschners geboren. Er erhielt jedoch mit Unterstützung seines Oheims eine gute Schulbildung. Sein Oheim, der ein großer Gartenfreund war, erweckte auch in dem jungen Gesner die Liebe zur Naturwissenschaft. Gesner studierte in Straßburg und Paris Medizin und Naturwissenschaften. Bedenkt man, daß derselbe Mann auch praktischer Arzt war und eine Zeitlang eine Professur der griechischen Sprache bekleidete, so erhalten wir einen • Begriff von der vielseitigen Gelehrsamkeit, die uns in der auf das Emporblühen des Humanismus folgenden Zeit so häufig begegnet. Seine Neigung zur universalen Bildung brachte ihn mit den mannig- faltigsten älteren und neueren Schriftwerken in Berührung i). Zu- nächst verwaltete Gesner ein Lehramt. Dann ließ er sich als Arzt in Zürich nieder, wo er gleichzeitig eine Professur für Philo- sophie bekleidete. Erst 1558 erhielt er die sichere und besser be- soldete Professur für Naturgeschichte. Aber schon wenige Jahre später, im Dezember 1565 wurde er durch die Pest dahingerafft. Das Lebenswerk Gesners ist eine große Naturgeschichte der Pflanzen und Tiere, ein Unternehmen, das Zeit und Kräfte des Einzelnen trotz unermüdlicher Arbeit bei weitem überstieg. Für die Naturgeschichte der Pflanzen hat Gesner im wesenthchen nur die Abbildungen, etwa 1500 an der Zahl, gesammelt und ge- zeichnet oder zeichnen lassen. Das große Verdienst, das er sich trotzdem um die Botanik erworben hat, besteht darin, daß uns in seinen Abbildungen zum ersten Male genaue Zeichnungen der Blütenteile und der Früchte begegnen, die seine Vorgänger fast ganz vernachlässigt hatten 2). Aus Gesners Briefen geht hervor, daß er diesen Teilen der Pflanze besonderen Wert beilegte, wenn es sich um die Verwandt- schaft handelte. Er unterscheidet auch mit klaren Worten Gat- tungen und Arten. »Ich halte dafür", sagt er, „daß es fast keine Pflanzen gibt, die nicht eine Gattung bilden, welche wieder in zwei oder mehr Arten zu teilen ist" 3). Auch der Begriff der Spielart begegnet uns schon bei Gesner. Als ihm einst ein Zweig von 1) E. Meyer, Geschichte der Botanik. Bd. III. S. 325. 2) Conradi Gesneri, Opera botanica. 2 Bde. Nürnbeig 1751 — 1771. Dieser Nachlaß Gesners wurde also erst lange nach seinem Tode heraus- gegeben (durch Schmiede 1). 3) E. Meyer, Geschichte der Botanik. Bd. IV. S. 334. Botanische Gärten. 457 Hex aquifolium gesandt wurde, dessen Blätter nur eine Spitze aufwiesen, bat er den Einsender festzustellen, ob diese Abweichung konstant sei oder nicht. Der Gedanke, medizinisch wertvolle und auch andere Pflanzen nicht, nur vom Zufall geleitet, im Freien zu suchen, sondern sie in Gärten anzubauen, um dadurch jederzeit über sie ver- fügen zu können, begegnet uns zu allen Zeiten. Von den Gärten, welche Theophrast und Mithridates unterhalten haben sollen, können wir uns keine Vorstellung mehr machen. Besser sind wir durch die Kapitularien über die Gärten zur Zeit Karls des Großen unterrichtet 1). Von dem Kalifen Abdurrahman I. wird erzählt daß er einen botanischen Garten bei Cordova anlegen und ihn mit Gewächsen Asiens bepflanzen ließ 2). Die Gärten, die in Salerno und in Venedig im 14. Jahrhundert entstanden, dienten wohl nur medizinischen Zwecken. Den venetianischen Garten legte ein Arzt an, um „die für seine Kunst erforderlichen Kräuter zur Hand zu haben" ^). Ein im eigentlichen Sinne botanisches Forschungsmittel von höchstem Werte wurde aus solchen Gärten erst, als man sie seit der Mitte des 16. Jahrhunderts als ein notwendiges Lehrmittel der Universitäten zu betrachten anfing und gleichzeitig die Botanik über eine bloße Heilmittellehre hinaushob. Die ersten Universitätsgärten entstanden in Padua und Pisa^). In Pisa waren es die Mediceer, die Land für einen solchen Garten zur Verfügung stellten und dafür sogar Samen und Pflanzen im fernen Orient sammeln ließen. Bald darauf erhielten auch Florenz und Bologna botanische Gärten. In Venedig sorgten die Cornaros und die Morosinis durch ihren weitverzweigten Handel und die Anlage von Gärten gleichfalls für die Belebung des botani- schen Interesses. Nachdem die reichen italienischen Handelsstädte ein solch rühmliches Beispiel in der Pflege der mit ihren Inter- essen Hand in Hand gehenden Naturwissenschaft gegeben, wollten auch die übrigen Länder in der Betätigung dieses Sinnes nicht zurückstehen. So entstanden denn in Montpellier, in Bern, Basel, Straßburg, Antwerpen, Leipzig, Nürnberg und an manchen anderen Orten, teils in Verbindung mit Universitäten , teils aus privaten Mitteln, noch im 16. Jahrhundert Einrichtungen, die als botanische Gärten bezeichnet werden können. 1) Siehe S. 337. 2) A. V. Humboldt, Kosmoe. Bd. II. S. 256. ^) Pro horhis nocossariis artis suae. 4) 1040 und 1647. 458 Die Erneuerung der Zoologie. Etwa zur selben Zeit begegnet uns zum erstenmale das Ver- fahren, Pflanzen zu pressen und in Herbarien auf Papier geklebt aufzubewahren. Das Herbarium Bauhins (1550 — 1624) wird noch heute in Basel gezeigt ^j. Als der Erfinder der Herbarien gilt Luca Ghini, der von 1534 — 1544 in Bologna lehrte ^j. Die Erneuerung der Zoologie. Wie auf botanischem, so regte sich auch auf zoologischem Gebiete das Bestreben, über das von den Alten überlieferte Maß an Kenntnissen hinauszuschreiten und die bekannten Tierformen, deren Zahl sich durch Entdeckungsreisen immerfort vergrößerte, auf Grund eigener Beobachtung zu beschreiben und mit möglichster Naturtreue darzustellen. So entstanden mehrere umfassende Werke, wie diejenigen des Schweizers Konrad Gesner (1516 — 1565) und des Italieners Aldrovandi (1522—1607). Weit größer als in der Botanik war Gesners Einfluß auf die Entwicklung der Zoologie. Hier gebührt ihm das große Ver- dienst, zum ersten Male die zu seiner Zeit bekannten Tierformen vom Standpunkte des Naturforschers aus geschildert zu haben. Dies geschah in seiner großen, vom Jahre 1551 ab erschienenen Geschichte der Tiere (Historiae animalium lib, V). Von den fünf Foliobänden behandelt der erste die Säugetiere, der zweite die eierlegenden Vierfüßer, der dritte die Vögel und der vierte die Fische und Wassertiere. Ein fünfter, die Insekten behandelnder Band wurde aus Gesners Nachlaß zusammengestellt. Gesner, dem sein Vaterland das erste Naturalienkabinett verdankt, be- schrieb in seinem Werke den äußeren Bau der Tiere unter Be- rücksichtigung ihres Vorkommens, ihrer Lebensweise, des Nutzens, den sie gewähren usw. Seine Anordnung ist die alj)habetische, was in bezug auf Systematik gegen Aristoteles, der die großen natürlichen Gruppen, wie wir sahen, schon erkannt hatte, einen offenbaren Bückschritt bedeutet. Doch macht sich bei Gesner das Bestreben geltend, die Zoologie von den gerade auf diesem Gebiete so sehr überwuchernden Fabeln zu reinigen. Letztere werden zwar gewissenhaft angeführt, doch geschieht dies nicht, ohne daß Bedenken dagegen erhoben werden. 1) E. Meyer, Geschichte der Botanik. Bd. IV. S. 270. 2; H. Schelenz, Über Kräutersammlungen und das älteste deutsche Herbarium. Verhandlungen der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte. 1906. n. 2. Gesners Naturgeschichte der Tiere. 459 Während Albert der Große das zoologische "Wissen im engen Anschluß an die dem Abendlande übermittelten naturwissenschaft- lichen Schriften des Aristoteles wiederzugeben suchte, ging Gesners Plan dahin, unter Einschränkung des in den mittel- alterlichen Schriften überwuchernden, philologischen Yerbalismus, alles was man zu seiner Zeit vom Tierreich wußte, zusammenfassend darzustellen. Gleichzeitig suchte er jede Tierform, die er zum Gegenstande seiner Betrachtung machte, unter Berücksichtigung der Medizin und der Kulturgeschichte zu schildern. War auch die Anordnung, die er innerhalb der großen, natürlichen, schon Aristoteles geläufigen Gruppen befolgte, die alphabetische, so erkennt er doch selbst an, daß ein solches Verfahren sich nur aus Gründen der Bequemlichkeil empfiehlt und naturwissenschaft- lich von keinem Wert sei. Jedes Geschöpf wird in Gesners Geschichte der Tiere nach folgenden Gesichtspunkten behandelt. Der erste Abschnitt gilt der Nomenklatur. Der zweite ist der wertvollste; er betrifft das Vorkommen und bringt die Beschrei- bung des Tieres. Dann folgt eine Schilderung der biologischen Erscheinungen unter Berücksichtigung der Krankheiten. Hieran schließt sich eine Schilderung des seelischen Lebens, d. h. der dem Instinkt entspringenden Handlungen. Die folgenden Ab- schnitte handeln dann von dem Nutzen der Tiere, insbesondere ihrer Jagd, Haltung und Zähmung, ferner von ihrer Nahrung, den Heilmitteln, die sie etwa darbieten usw. Mitunter fehlen auch nicht die Fabeln, Wundergeschichten und Weissagungen, die man von jeher an manche Tierarten geknüpft hatte. Solche Mitteilungen gibt Gesner indessen mehr der Vollständigkeit halber und nicht etwa kritiklos wie manche seiner Vorgänger. Dabei versäumt er selten, das Unwahrscheinliche zurückzuweisen oder wenigstens seinem Zweifel Ausdruck zu verleihen. Besteht doch der große Fortschritt, der sich bei Gesner geltend macht, darin, daß er seine Beschreibungen nach planmäßiger Beobach- tung abfaßte, während man vor ihm die eigene Beobachtung nur gelegentlich zur Bestätigung der überheferten Angaben an- wandte und diesen stets den ausschlaggebenden Wert beimaß. Ferner beschränkt sich Gesner nicht auf eine Beschreibung des äußeren Körperbaues, sondern er geht auch auf anatomische Eigen- tümlichkeiten ein. Doch werden diese noch nicht durch Ver- gleichen in Beziehung gesetzt, so daß es an einer wissenschaftlichen Verwertung der anatomischen Kenntnisse zur festeren Begründung natürlicher Gruppen bei Gesner noch fehlt. 460 Gesners Naturgeschichte der Tiere. In bezug auf die Abbildungen ragt sein Werk über alle früheren zoologischen Schriften hervor. Unter den Künstlern, die ihm zur Seite standen, ist Alb recht Dürer zu nennen. Beruht das Werk Gesners auch zum größten Teile auf der Verarbeitung des zu seiner Zeit vorhandenen zoologischen Wissens, so ist ihm deshalb doch nicht etwa der Vorwurf der bloßen Kompilation zu machen. „Das Talent zu einer solchen", sagt ßanke^), „ist nicht so häufig, wie man meint. Soll sie der Wissenschaft dienen, so muß sie nicht allein aus vielseitiger Lektüre hervorgehen, sondern auf echtem Interesse und eigener Kunde beruhen und durch feste Gesichtspunkte geregelt sein. Ein Talent dieser Art von der größten Befähigung war Konrad Gesner". Gesner ist als der früheste deutsche Zoologe zu bezeichnen. Sein Werk über das Tierreich 2) ist die Grundlage für die neuere Zoologie geworden. Gesners Grundsatz war, nichts zu wieder- holen und nichts fortzulassen. Da ein einzelner die unermeß- liche Arbeit nicht bewäligen konnte, setzte er zahlreiche ein- heimische und auswärtige Hilfskräfte in Bewegung. War somit auch sein Werk in erster Linie die Leistung eines geschickten, seinen Stoff beherrschenden Sammlers, so ist doch sein Nutzen für das Leben nicht minder wie für die Wissenschaft ein bedeuten- der gewesen. Dem Menschen hat Gesner keinen Platz innerhalb des Tierreiches angewiesen. Auf dem Boden Italiens erstand Gesner ein gleichstreben- der Genosse in dem etwas jüngeren Aldrovandi. Auch er ver- suchte eine enzyklopädische Darstellung der Tierkunde, die zwar im ganzen die Arbeit Gesners nicht ereicht, in Hinsicht auf die anatomischen Verhältnisse und die Anordnung indessen einen Fort- schritt darbietet 3). Den Versuch einer mehr systematischen, auf die großen aristotelischen Gruppen zurückgehenden Anordnung des Tierreichs hatte in der Zeit zwischen dem Erscheinen des Gesnerschen Werkes und desjenigen Aldrovandis mit gutem 1) L.Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Beformation. 5. Bd. 4. Aufl. S. 346. 2) Conradi Gesneri, Historiae animalium libri, opus philosophis, medi- cis, grammaticis, philologis, poetis et Omnibus rerum linguarumque variarum studiosis utilissimum simul jucundissimumque. 3) Ulisse Aldrovandi wurde 1522 in Bologna geboren. Er gründete dort 1567 einen botanischen Garten. Sein Nachfolger in der Leitung dieses Gartens war der Botaniker Caes alpin. Aldrovandi, Opera omnia. 13 Bde. Bau und Anordnung der Tiere. 461 Erfolge der Engländer Edward Wotton (geboren in Oxford 1492) gemacht. Auf dieser Grundlage konnte Aldrovandi fußen. Wotton gab im Jahre 1552 eine Schrift „Über die Verschie- denheiten der Tiere" 1) heraus, die nicht nur eine allgemeine Schilderung des tierischen Organismus und seiner Teile enthält, sondern auch eine auf den Grundzügen der natürlichen Verwandt- schaft beruhende Übersicht bietet. Gleich Aristoteles beginnt Wotton die Reihe der blutführenden Tiere mit dem Menschen. Es begegnen uns die Gruppen der Einhufer, der Zweihufer und der Spaltfüßer. Die eierlegenden Vierfüßer werden mit den Schlangen zusammengefaßt. Die niederen Tiere werden in Insekten, Weichtiere (Kopffüßer), Krustentiere, Schaltiere und Pflanzentiere eingeteilt. Zu letzteren rechnet Wotton schon die Seesterne, Medusen, Holothurien und Schwämme. Wotton machte also, im Anschluß allerdings an Aristoteles, zum ersten Male unter den Neueren den Versuch einer natur- gemäßen Einteilung des gesamten Tierreichs, und hierin folgte ihm Aldrovandi, der im Jahre 1599 die Herausgabe seines großen zoologischen Werkes begann. Es sollte zwar die ganze Naturgeschichte umfassen, doch konnte Aldrovandi selbst nur fünf Bände erscheinen lassen, nämlich drei Bände über die Vögel, einen Band über die Insekten und endlich einen Band über die „übrigen Blutlosen". Die weiteren Bände wurden von anderen Zoologen herausgegeben. Aldrovandi konnte infolge der ausgedehnten Entdeckungs- reisen seines Zeitalters manche Tierform berücksichtigen, die Gesner noch nicht kannte, doch verfuhr er im allgemeinen mehr kompilatorisch und weniger kritisch als sein großer Vorgänger. Trotz seines Strebens nach besserer systematischer Gruppierung bringt er es noch fertig, die Fledermaus und den Strauß zu einer Abteilung der „Vögel mittlerer Natur" zu vereinigen, während schon Wotton die Fledermäuse den Säugetieren zugerechnet hatte. Ein weiterer, wichtiger Fortschritt auf zoologischem Gebiete bestand darin, daß man sich nicht mehr auf das Beschreiben der äußeren Form beschränkte, sondern in den Bau der Tiere einzu- dringen suchte. Wir finden bei Aldrovandi schon Abbildungen des Skeletts, der Muskulatur, sowie der Eingeweide. So wird z. B. das Skelett des Adlers abgebildet. Beim Huhn sind mehrere. 1; De differentiis aninialiuni. 462 Das Wiederaufleben der Anatomie. allerdings nur ungenaue Zeichnungen zur Erläuterung des inneren Baues beigegeben. Das Skelett der Fledermaus und des Straußes finden sich gleichfalls unter den Zeichnungen, die mitunter ana- tomische Einzelheiten, wie die Zunge mit ihrer Muskulatur beim Spechte, das Brustbein des Schwans und anderes mehr be- treffen. Die Muskulatur wird bei mehreren Vögeln genauer be- schrieben. Groß waren die Opfer, welche die Naturhistoriker jener Zeit mitunter bringen mußten, um ihre Pläne zu verwirklichen. So beschäftigte Aldrovandi, wie er in der Vorrede mitteilt, zur Herstellung seiner Originalfiguren 30 Jahre einen Maler gegen ein Gehalt von 200 Goldstücken. Außerdem setzte er noch mehrere Zeichner und Holzschneider in Tätigkeit. Das Verdienst von Männern wie Gesner und Aldrovandi ist darum besonders hoch zu schätzen, weil sie zuerst Klarheit und Übersicht in dem immer mehr anschwellenden zoologischen Material zu schaffen suchten und in weiteren Kreisen ein lebhaftes Interesse für die Tierkunde und damit für die Naturkunde im allgemeinen erweckten. Das Wiederaufleben der Anatomie. Das Wiederaufleben der Anatomie läßt sich bis in das 13. Jahr- hundert zurückverfolgen. Ein besonderes Interesse wandte der freigeistige Staufenkaiser Friedrich II. i) diesen Wissenszweigen zu. Er verfaßte eine Schrift über die Falken 2), ließ ausländische Tiere nach Europa kommen und gestattete die anatomische Unter- suchung menschlicher Leichen. In den nachfolgenden Jahrhun- derten wurden diese Zergliederungen zu medizinischen und rein wissenschaftlichen Zwecken immer häufiger ausgeübt. Wurde schon dadurch der Sinn für die Natur erschlossen und das Studium von der bloßen Buchgelehrsamkeit abgelenkt, so steigerte sich das Interesse für die Anatomie dadurch um ein Bedeutendes, daß nicht nur die Gelehrten, sondern auch die großen Künstler der Renaissance mit offenem Auge und frei von Vorurteilen in den Wunderbau des Organismus einzudringen suchten. Hier ist vor allem, als einer der größten unter ihnen, Lionardo da Vinci zu nennen. Seine anatomischen Zeichnungen sind von einer der artigen Vollendung und Treue, daß sie alles bisher auf diesem 1) Nach Dantes Inferno ruht Friedrich II. in einem feurigen Grabe. 2) Siehe S. 313. Das Wiederaufleben der Anatomie. 4ö3 Gebiete Geleistete übertrafen. Die Zeit für eine Neubegrün- dung der Anatomie, ohne Rücksicht auf die Autorität Galens und aufgebaut auf selbständige Erforschung der Natur, war also gekommen. Diese Neubegründung erfolgte durch die Italiener Fallopio (t 1562) und Eustachio (f 1571)i), vor allem aber durch den Niederländer Vesal. Letzterer ist als der eigent- liche Begründer der wissenschaftlichen Anatomie des Menschen zu nennen. Andreas Vesal (1514 — 1564) war der Sprößling einer aus Wesel stammenden deutschen Arztefamilie. Er wurde in Brüssel geboren. Schon als Knabe wandte sich der spätere Professor der Anatomie und Chirurgie und Leibarzt Kaiser Karls V. der anatomischen Untersuchung kleinerer Tiere zu. In den letzten Jahrhunderten des Mittelalters hatten zwar hin und wieder Zer- gliederungen menschlicher Leichen stattgefunden; man verfolgte dabei indes keinen anderen Zweck als den, die Lehren Galens, der eine unbedingte Autorität genoß, als richtig zu bestätigen. Wie schwierig es selbst später war, sich Material zum Studium der Anatomie zu verschaffen, geht unter anderem daraus hervor, daß der junge Vesal, um in den Besitz eines menschlichen Ske- letts zu gelangen, einen Gehenkten mit Gefahr seines Lebens vom Galgen entwenden mußte. Ahnlich lagen die Verhältnisse in Deutschland. So galt es als eine Aufsehen erregende Neuerung, daß im Jahre 1526 ein Anatom einen menschlichen Kopf zergliederte 2). Es blieb aber zunächst bei solchen gelegentlichen Versuchen, die Anatomie auf die Unter- suchung von Leichen zu gründen. Erst Vesal brach gänzlich mit den alten Vorurteilen, indem er das Lehrgebäude der Anatomie von Grund aus und sogleich in fast unübertrefflicher- Weise als reine Erfahrungswissenschaft errichtete. Sein großes Hauptwerk führt den Titel „Über den Bau des menschlichen Körpers". Als es erschien, hatte Vesal noch nicht das dreißigste Lebensjahr überschritten. Durch scharfe Erfassung und klare Wiedergabe des Gegenstandes, durch Ursprünglichkeit des Inhalts und Schönheit der sprachlichen Darstellung ragt sein 1) Eustachio lieferte unter andei-em eine genaue Untersuchung des Gehörorgans und entdeckte dabei den Steigbügel (um 1546). Hammer und Amboß waren schon früher aufgefunden (um 1480). Haeser, Geschichte der Medizin. Bd. II. S. 61. 2) L. V. Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. V. S. 345. 464 Vesals anatomisches Hauptwerk. Werk weit über alle ähnlichen Erzeugnisse jener Periode hervor und erregte die höchste Bewunderung der späteren Jahrhunderte. Die meisterhaften Abbildungen des Werkes, die besonders zu seiner großen Verbreitung beitrugen, rühren von einem Schüler i) Tizians her. Um dem Leser einen Begriff von ihrer naturge- treuen Ausführung zu geben, ist in der nachfolgenden Abbildung 64 eine der zahlreichen, das Muskelsystem betreffenden Tafeln wieder- gegeben. Das Abhängigkeitsverhältnis, in das Vesal zum Hofe Karls V. geriet, hat ihn leider gehindert, seine Untersuchungen zu voll- enden. Auch hatte er am Hofe von den Anhängern Galens zu leiden 2). Im Beginn seiner Laufbahn hatte Vesal mehrere Male in Padua die Anatomie nach Galen vorgetragen, sich dann aber ent- schieden davon losgesagt. Seine wissenschaftliche Überzeugung über die anerkannte Autorität zu setzen, war damals kein geringes AVagnis. Freunde hatten ihn vor der Herausgabe seines großen Werkes gewarnt. Als es erschienen war, erhob sich zunächst ein Sturm der Entrüstung. Man erklärte Vesal für einen wahn- sinnigen Ketzer. Das Buch wurde der Inquisition vorgelegt. Vesal verließ deshalb Italien. Später lebte er in Spanien als Leibarzt Philipp des Zweiten. Schließlich wurde er, vielleicht infolge neuer Verfolgungen seitens der Inquisition, schwermütig^). Vesal beschränkte sich keineswegs auf den Menschen, son- dern er flocht zahlreiche Hinweise auf die Anatomie der Tiere in seine Darstellung ein. Es war das um so weniger zu verwundern, als er ja von der anatomischen Untersuchung der Tiere ausge- gangen und sich erst später der Anatomie des Menschen zu- gewandt hatte. Vesals Hauptwerk erschien 15434). Die sieben Bücher behandeln: 1. Das Skelett. 2. Bänder und Muskeln. 3. Gefäße. 4. Nerven. 5. Eingeweide. 6. Herz. 7. Gehirn und Sinnesorgane. Große Verdienste um die Fortbildung der Anatomie auf der von Vesal geschaffenen Grundlage hat sich auch Eustachio er- worben. Doch ist bezeichnend, daß dieser, obgleich auch ihm die ij Namens Johann Stephan von Calcar. Jedoch ist dessen Autor- schaft nicht sichergestellt. Siehe Mitteilungen z. Geschichte d. Medizin u. d. Naturwiss. 1903. S. 282. -] Sprengel, Geschichte der Arzneikunde. Bd. III. § 46 — 78. 3, Wunderlich, Geschichte der Medizin. Stuttgart 1859. S. 70. *, De humani corporis fabrica libri VII. Basel 1543. Vesals anatomische Tafeln. 465 S E C V N D Abb. 64. Abbildung aus Vesals De humani corporis fabrica. 1543. (Zweite, da.s Muskel.system betreffende Tafel.) Dannemann, Die Naturwiasenschafteu. I. Bd. 2. Aufl. 30 466 Anatomie und Chirurgie. Abweichungen seiner Befunde von den Angaben Galens klar zutage lagen, lieber eine Veränderlichkeit des Körperbaues an- nehmen als der gefeierten Autorität des Altertums Abbruch tun wollte. Vor dem Auftreten eines Vesal und Eustachio waren bei dem großen Mangel auf eigener Anschauung beruhender ana- tomischer Kenntnisse erfolgreiche chirurgische Eingriffe kaum mög- lich. Erst nach der durch diese Männer bewirkten Erneuerung der Anatomie konnte sich aus den bis dahin üblichen, rohen, ja oft barbarischen Operationsverfahren eine auf wissenschaftlicher Grundlage beruhende Chirurgie entwickeln. Daß dies geschah, war vor allem das Verdienst von Ambroise Pare (1517—1590), der sich den Ehrennamen eines Reformators dieses Zweiges der Medizin verdient hat. Pare war gleich Vesal Militärchirurg und als solcher dem Stande der gelehrten Arzte verhaßt, zumal er kein Latein ver- stand. Sein hervorragendes Buch über Schußwunden (1545) ist das erste in französischer Sprache geschriebene wissenschaftliche medizinische Werk^). Pare wandte bei Amputationen zuerst das Verfahren des Abbindens der Arterien an. Vor ihm hatte man sich der Cauterisation mittelst des Glüheisens bedient. Auch der Gebrauch des Bruchbandes ist auf Pare zurückzuführen. Die Feindschaft der Arztezunft wurde besonders heftig, als Pare die Wirksamkeit einiger der gebräuchlichsten Arzneien anzweifelte. Trotzdem wurde Pare vom Könige sehr geschätzt. Er soll einer der wenigen Hugenotten gewesen sein, die der König in der Bartholomäusnacht zu schonen befahl. Die Erkenntnis, daß sich ein volles Verständnis der Form erst durch das Studium ihrer Entwicklung erschließen läßt, be- gegnet uns gleichfalls schon im 16. Jahrhundert, wenn sich auch diese Erkenntnis erst in späteren Perioden, gestützt auf die Ver- schärfung, welche der Gesichtssinn durch das Mikroskop erfuhr, allseitig Bahn brechen konnte. So wird die Entwicklung des Hühn- chens im Ei, ein Problem, das schon Aristoteles beschäftigt hatte, zum Gegenstand eingehender Untersuchungen gemacht. Dies geschah durch den verdienten itahenischen Anatomen F ab ricio 2). Er bemerkte auch, daß sich die Klappen der Venen nach dem Herzen zu öffnen. Diese Entdeckung hat nebst anderen, die 1) "Wunderlich, Geschichte der Medizin. Stuttgart 1859. 2) Fabricio ab Aquapendente (1537— 1619i, De formatione ovi. Schlußbetrachtung. 467 Organe des Kreislaufs betreffenden Beobachtungen i) einen der größten Fortschritte des 17. Jahrhunderts, die Entdeckung des Blutkreislaufs durch Harvey nämlich, vorbereitet. Hiermit schließt der erste Teil dieser Schilderung, die von den Anfängen bis gegen den Ausgang des 16. Jahrhunderts ge- führt hat. Der zweite Band wird die Begründung der neueren Naturwissenschaft, die etwa mit der Schwelle des 17. Jahrhunderts anhebt, zur Darstellung bringen. 1) Zum Beispiel, daß die Herzscheidewand, durch die Galen das Blut aus dem rechten in den linken Ventrikel hindurchtreten ließ, undurch- dringlich ist. 30* Verzeichnis der im I. Bande enthaltenen Abbildungen. Figur 1. Gleichschenkliges Dreieck 2. Geometrische Elemente aus altägyp- tischen Verzierungen 3. Keilschriftprobe 4. Babylonischer Grenzstein 5. Der Tierkreis von Dendera 6. Altbabylonisches Gewicht 7. "Wage, einem altägyptischen Toten- buche entnommen 8. Gewinnung von Eisen nach altägyp- tischen Wandgemälden 9. Geometrische Konstruktionen der Inder 10. Die Quadratur des Kreises bei den Indern 11. Radkarte der Erde 12. Der Satz des Hippokrates 13. Konstruktion zur Lösung des delischen Problems 14. Der Tragbalken des Aristoteles 15. Der Satz vom Parallelogramm der Kräfte 16. Der Embryo des glatten Hais des Aristoteles 17. Vorrichtung zum Heben großer Lasten 18. Das Verhalten des Hohlspiegels nach Euklid 19. Die Spiegelung an einem Konkav- und einem Konvex- Spiegel nach der Dar- stellung Euklids 20. Das zum Messen der Sonnenhöhe die- nende Instrument der Alten 21. Die Gradmessung des Eratosthenes 22. Aristarchs Verfahren, die Entfernun- gen des Mondes und der Sonne zu be- stimmen Cantor, Bd. I. 1880, S. 58, Abb. 6 u. 7. nach Layard. Ibel, Die Wage im Altertum und Mittelalter. A. de Rochas, Les origines de la science et ses premieres appli- cations. Cantor, Geschichte der Mathe- matik. Bd. I. 1880. Fig. 34. Claus, Lehrbuch der Zoologie. 1883. S. 677. Heronausgabe von Schmidt. Op.II. 1 Fig. 62. Euklidausgabe von Heiberg und Menge. Bd 7. Schaubach, Geschichte der grie- chischen Astronomie. Tab. III Fig. 2. Verzeichnis der Abbildungen, 469 Figur aus 23. Breitenbestimmung mit dem Gnomon Peschel, Geschichte d. Erdkunde 1877. S. 44. 24. Stereographische und orthographische Projektion 25. Die Feuerspritze nach Heren Herons Pneumatik. Ausgabe v. Schmidt. Bd. I. Fig. 29. 26. Heren verwendet den Dampf zum Be- treiben einer maschinellen Einrichtung 27. Der Heronsbali 28. Herons Abbildung eines Hebers 29. Herons Automat zum Offnen der Tempel 30. Wasserergel 31. Philons Thermoskop 32. Philons Saugkerze 33. Herons Flaschenzug 34. Herons Wegmesser 35. Herons Winkelmeßapparat 36. Herons Vermessung eines Feldes 37. Herons Tunnelaufgabe 38. Der Meßapparat der Römer 39. Die Rekonstruktion der Groma 40. Peutingers Karte 41. Römisches Hebezeug 42. Römische Schnellwagen 43. Chirurgische Instrumente 44. Zur Erläuterung der Epizyklentheorie 45. Das parallaktische Lineal 46. Solstitial-Armille des Ptolemäos 47. Ptolemäos mißt die Brechungswinkel 48. Destillierapparat 49. Probe aus dem Stockholmer Papyrus 50. Albirunis Bestimmung des Erdumfanges 61. Trigonometrische Berechnungen 52. Einführung der Tangensfunktion Herons Pneumatik. Ausgabe v. Schmidt, desgl. desgl. Mach, Prinzipien derWärmelehre. Leipzig 1896. S. 5. Heronausgabe V.Schmidt. Fig. 115. desgl. Opera omnia. Ausgabe v. Schmidt. Bd. IL S. 102. Jahrbuch des kaiserl. deutschen archäolog. Instituts. Bd. XIV 1899. 3. Heft. Herons Opera omnia. Ausgabe V. Schmidt. desgl. Neue Jahrbücher f. d. klass. Alter- tum. Bd. 13 (1904). desgl. Gerland u. Traumüller, Geschichte der physikal. Experimentier- kunst. 1899. Fig. 58. desgl. Montucla, Histoire des mathe- matiques. Bd. I. S. 307. Repsold, Zur Geschichte der astro- nomischen Meßwerkzeuge. Archiv für Geschichte der Natur- wissenschaften und derTechnik. Bd. I. S. 66. 470 Verzeichnis der Abbildungen. Figur 53. Alhazens Darstellung des Auges 54. Alhazen untersucht die Brechung 55. Alhazen bestimmt die Höhe der Atmo- sphäre 56. Lionardo da Vincis Hygrometer 57. Lionardos Windmesser 58. Lionardos Erläuterung des Sehens 59. Peurbachs Quadratum geometricum 60. Der Kreuzstab 61. Schematische Erläuterung des Kreuz- stabes 62. Das Koppernikanische Weltsystem 63. Hüttenwerk nach Agricola 64. Das Muskelsystem darstellende Tafel Gerland u. Traumüller, Geschichte der physikal. Experimentier- kunst. Fig. 62. Gerland u. Traumüller, Geschichte der physikal. Experimentier- kunst. Fig. 65. Gerland u. Traumüller. Fig. 99. ßepsold, Zur Geschichte der astro- nomischenMeßwerkzeuge. Fig.7. Repsold, a. a. 0. Fig. 12. Aus Koppernikus Werk über die Bewegung der Weltkörper. Aus Vesals Werk: De humani corporis fabrica. Namen- und Sachverzeichnis. A. Abendstern 25- Aberration, sphärische 358. Abu Mansur 321. Acosta D' 440, 449. Ägyptische Bauwerke 3. Ägyptische Kultur 2. Äquinoktialpunkte 36. Agricola 437, 443. Ahmes 7, 11. Akustik 115. Alaun 50. Albattani 304, 306. Albertus Magnus 346-353, 443. Albiruni 303. Alchemie 278, 353, 363, 431, 432. Alchemistische Theorien 325. Aldrovandi 460, 461. Alfarabi 312. Alfons von Kastilien 251. Alfragani 304. Algebra 57, 253, 311. Alhazen 314, 315, 316, 357. Alkmäon 101. Alkohol 322. Alkuin 336. Alliaco 398. Almagest 33, 255, 302. Altäre 53. Altertum, Verfall 283. Amalgamationsprozeß 440. Amulette 300. Anatomie 59, 102, 206, 235, 326, 366, 462, 463, 464. Anaxagoras 76, 77, 98. Anaxiniander 36, 67, 79, 90, 100, 269. Antii)oden 118. 227, 289. Apianus 404, 418. Apokatastasis 243. Apollonios 248. Apotheken 48, 60, 437. Arabische Kultur 381. Archimedes 218. Aristarch von Samos 92, 93, 122, 408. Aristophanes 89. Aristoteles 28, 69, 73, 74, 78, 97—151, 233, 345, 355. Aristoteliker 421. Armillen 255, 256. Arsenik 321. Aryabhatta 52, 58. Arzneipflanzen 230. Asklepiades 208. Astrolabium 306, 396. Astrologie 16, 24, 31, 364. Astronomie 20, 332, 393. — , griechische 80. — , Ursprung 20. — , Wieder er wachen 393. Astronomische Meßwerkzeuge 256. — Urkunden 26. Asymptoten 86. Atmosphäre, Höhe 317. Atome 71, 75, 241. Attalos 240. Aufgang, heliakischer 22. Auge 315, 389, 420. Augustin 289, 287. Averroes 313. Avicenna 270, 312, 321, 435, 442, 443. B. Bacon, Francis 414. Bacon, Roger 353—362. Bartholomeo Diaz 447. Bäume 230. Baumzucht 329. Bazillentheorie 223. 472 Namen- und Sachverzeichnis. Behaim 396, 397, 447. Benedikt von Nursia 271. Bergbau 334, 437, 440. Bernstein 268. Berosos 368- Bessarion 394. Bibel 18. Bibliothek, alexandrinische 297. Bibliotheken 301, 302. Blitzableiter 269. Blütenteile 456. Blutkreislauf 234. Boccaccio 372, 373. Bock 458. Boethius 293. Bologneser Leuchtstein 429. Botanik, Erneuerung 450. Botanische Gärten 400, 457. Brahmagupta 52, 56, 310. Brechung 260, 265, 316. Brennglas 58. Brennkugel 358. Brennspiegel 58, 395, 428. Brillen 318, 360. Bronze 42. Brüche 19. Brunfels 451, 452. Brunnenaufgabe 205. Buffon 231. Bussole 308. C. Caesar 213. Camera obscura 423, 426. Capitulare de villis 337. Cardanus 74, 445. Cassiodor 292. Cato 210, 239. Celsus 223. Celtes 214. . Chaldäer 32, 33, 37, 89. Chemes 274. China 60. Chinesische Astronomie 61. Chirurgie 48, 466- Chronometer 424. Cicero 210, 407. Clusius 448. Columbus 261, 362, 375, 398, 423, 424, 448. D. Damianos 266. Dämmerung 317. Dante 372. Datumsgrenze 379. De Caus 423. Deklination 423. Delisches Problem 85. Demokrit 71, 73, 75, 78, 99. Destillation 50, 321. Destillierapparat 276. Deszendenzlehre, Keime 100. Diamanten 328. Dionysios der Große 287. Diophant 56, 57, 253, 254. Dioptra 201, 203- Dioskurides 231, 238, 245, 337, 401. Dodonaeus 455. Doppelelle, babylonische 38. Doppelstunden 24. Dreiecksberechnung 11. Dreiteilung eines Winkels 84. Dürer 377, 452, 460. Dynamik, Begründung 430. E. Einhardt 302. Eisen 41. Ekliptik, Schiefe 90. Elemente 70, 436. Ellipse 87. Elmsfeuer 269. Emissar 204. Empedokles 70, 76, 97—99. Entdeckungsreisen 362, 398, 448, 449. Enzyklopädie 292. Ephemeriden 395. Epikur 75, 100. Epizyklentheorie 120, 249, 250. Erasistratos 206, 233. Erasmus v. Rotterdam 378. Eratosthenes 255. Erdbeben 368. Erde, Bewegung 381. — , Gestalt 96, 117, 227, 289. Erdkern 70. Eudemos 81, 95. Eudoxos 78, 119, 120, 248. Euklid 82. Namen- und Sachverzeichnis. 473 Eutokios 85- Evektion 247. Exhaustionsmethode 84. Experimente 79, 235, 356, 359, 391. F. Fabricio 466. Fallversuche 412. Farbenwechsel 429. Färber 327- Färberei 280, 320. Fechner 415. Feldmeßkunst 200, 211. Fernrohr 360. Feuervergoldung 280. Fibonacci 339. Finsternisse 65. Flaschenzug 198. Flavio Gioja 308. Fluorescenz 428. Fracastoro 444. Francesco Petrarca 364. Friedrich II. 313, 437, 462. Fuchs 454. G. Galen 233—237, 239, 270. Galle 103. Gas 277. Gassendi 75. Geber 322. Gebirgsbildung 442. Gegenerde 94. Geld 14. Geminos 31. Gemma Frisius 417. Geologie 70, 391, 411. Geometrie 6, 53, 66. Gerbert 333. Gerhard von Cremona 338. Germanentum 290. Gesner 447, 449, 455, 460. Gewichte 38. Gewichtsstücke 39. Gewitter 269, 367. Gezeiten 358. Gift 240. Gilbert 424. Giordano Bruno 415. Glas 44, 244. Gleichungen 9, 56, 254, 311, 340. Globus 120, 397, 417. Gnomon 36, 61, 67, 89, 380. Gold 43. Gradmesser 303. Grenzstein 26. Groma 212. Guldinsche Regel 264. H. Hammurabi 45. Harmonie 80. Harmonie der Sphären 91. Hartmann 424. Haustiere 49. Hebelgesetz 113. Heber 194. 427. Hebezeug, römisches 216. Heilkunde, Anfänge 45, 101, 236, 294, 314, 330, 435. Heilmittel 46, 60. Heilvorschriften 46. Hekataeos 67. Hellenismus 209. Helmont, van 433. Herakleides Pontikos 78, 92, 93, 94, 96. Heraklit 70. Herbarien 401, 458. Hermes Trismegistos 275. Herodot 6, 36, 45, 89, 262. Heron 58, 193, 205, 257. Herophilos 206, 233. Herons Automaten 195. Herons Ball 193. Herons Dampfkugel 193. Heronsche Formel 203. Hesiod 68, 96. Hettiter 16. Hexenglauben 364. Hieroglyphenschrift 3. Hildegard von Bingen 337. Himmelsgebäude 118. Himmelsgloben 120, 306. Hipparch 37, 122, 248, 251. Hippias von Elis 87. Hippokrates von Chios 83, 84, 89. Hippokrates aus Kos 102. Hochöfen 234. 474 Namen- und Sachverzeichnis. Höllenstein 324. Homer 96. Horaz 239. Humanismus 372, 374. Humboldt 232. Hütten 378. Hüttenwesen 437. Hs'grometer 386. Hyperbel 86, 87. J. Jahr 88. Jatrochemie 433, 434. Ibn al Haitam 314. Ibn Alawwam 329. Ibn Batuta 329. Ibn Junis 306. Ibn Musa 311. Ibn Roschd 329. Ibn Sina 298, 312, 328, 330. Indien 51. Indigo 245. Ingenieur 217, 218. Ingenieurmechanik 13, 215. Inhaltsbestimmungen 11. Inklination 424. Insekten 230. Instrumente, chirurgische 236. Johannes von Sevilla 339. Jordanus Nemorarius 430. Irrationalität 83. Isidor von Sevilla 294. Islamitische Kultur 338. Jupiter 34. K. Kaiserzeit 219. Kalender 88, 89, 213, 357. Kanäle 13. Karl der Große 335. Karten 380. Kartographie 259, 381, 417, 419. Katakaustik 358. Kegelschnitte 86. Keilschriftfunde 16, 17, 25. Kepler 92, 411. Kirchenväter 286. Kircher 427—429. Knochenbrüche 48. Königswasser 321. Kombinationslehre 57. Kometen 61, 121, 243, 367. Kompaß 61. Konformität 419. Konjunktionen 34, 361. Koppernikus 403—414. Krankheiten 101. Kräuterbücher 453, 454. Kreis 5, 7. Kreta 63. Ktesibios 257. Kugel 87. Kulturpflanzen 49. Kupfer 14, 42, 43. L. Lactantius 287, 288. Länderkunde 261. Landwirtschaft 238. Längenbestimmungen 395. Längenproblem 424. Laterna magica 429. Leidener Papyros 279. Leonardo von Pisa 339. Leukipp 71, 73. Levi ben Gerson 396. Liber Abaci 340. Licht 318. Lionardo da Vinci 382—392, 400. Literatur, babylonisch-assyrische 18. Literatur, indische 52. Luca Ghini 458. Lucretius Carus 74, 100, 240, 242, 268. Luft 194. Lunulae Hippokratis 83. Luther 414. M, ■ Magie 422. Magnet 268, 429, 430. Mago 238. Marco Polo 329, 341. Marcus Graecus 310. Marinus 259, 262, 263. Martianus Capella 294, 333, 407, 408. Maschinen 385. Maße 38. Mathematik, Anfänge 7. — , griechische 78. Namen- und Sachverzeichnis. 475 Maurolykus 420, 421. Mechanik 111, 218, 385. Mediceer 375. Megenberg 232, 365, 368, 369, 401. Melanchthon 414. Menächmos 87. Menelaos 252. Mensch 226. Mercator 397, 417, 418, 419. Meßapparat 212. Metallurgie, Anfänge 40. Metallveredelung 278. Meteoriten 77. Metrologie 38. Milchstraße 358. Mine 38, Mineralien 327, 369, 442. Mineralogie, Neubegründung 438. Mönchstum 291. Mond 37, 88, 90. Mondbewegung 31, 35. Monddistanzen 404. Mondfinsternis 33. Morgenstern 25. Musik 293. Münster 417. N. Naturalienkabinett 458. Naturerklärung 71. — Philosophie 69. Nestorianer 299, 300. Nicetas 407. Nicolaus von Cusa 379, 382. Nikolaus V. 374. Nippurtafeln 17. Nonius 400. Norman 424. Null 56. Nullmeridian 258. O. Obelisk 14. Observatorium 5 Oenopides 89. Olympiodor 277. Optik 341. Opus majus 357. Oslander 406. P. Paläontologie, Anlange 443. Palissy 438, 444, 445. Pappos 198, 264. Papyrus Ebers 48. — Rhind 7. Parabel 86, 87. Paracelsus 42, 434 - 436. Parallaktisches Lineal 255. Parallelogrammgesetz 114. Pare 466. Peregrinus 353. Perpetuum mobile .386. Perspektive 389. Petrarka 372, 373. Peurbach 393. Peutingers Karte 214. Pflanzenabbildungen 451. — beschreibungen 351, 453. — kenntnis 47, 59, 97. Pflanzen, Anordnung 455. — , Beseelung 70. — , Nahrung 382. — , Schlaf 350. — , Sexualität 350. Philolaos 92, 93, 94. Philon 197. Philons Saugkerze 197. Phönizier 63. Phosphoreszenz 428. Physiologie 388. Physiologus 347. Pico von Mirandola 363. Pierre d'Ailly 362. Pius II. 375. Planeten 32, 34; 66, 90, 91, 114, 247, 248, 251. Piaton 78, 85, 92, 95, 96, 102, 118, 119, 248, 268. Plattkarte 2ü8. Plinius 206, 210, 218, 220—232, 239, 244, 245, 268, 270. Plinius der Jüngere 221. Plutarch 407. Pneuma 207. Polyeder, reguläre 82. Pompeji 240, 243. Pomponios Mela 220, 226. Positionssystem Ö6. 476 Namen- und Sachverzeichnis. Präzession der Nachtgleichen 122, 252, 415. Projektionsart 262. Proklos 81. Prokop 289. Proportionen 82. Pseudo-Demokritos 281, 278. — -Gebersche Schriften 323. Ptolemäos 35,^246-266. Pyramiden 4, 12, 87. Pythagoras 79-82, 101. Pythagoreer 80, 91. Pythagoreischer Lehrsatz 9, 53. Q. Qazwini 327. Quadratrix 87. Quadratum geometricum 393. Quadratur des Kreises 54, 84. Quadrivium 332. Quecksilber 272. Quecksilberoxyd 324, 327. Quellen 242. R. Radkarte der Erde 67. Raymundus LuUus 363. Rechenkunst 20, 56. Reformation 355, 377. Refraktion, atmosphärische 266, 318. Regenbogen 359, 428. Regiomontanus 394, 395, 399. Reguläre Körper 81. Reihen 9, 56. Renaissance 334, 371. Rennarbeit 334. Rhabanus Maurus 289, 336. Rhases 323. Römer 208. Rudolf n 433. S. Salpeter 300. — säure 321, 323. Salzgewinnung 334. Saros 37, 65. Sehen 116, 315, 389, 390. Sehstrahlen 267. Seife 245. Seilspannen 54. Seneca 242, 243, 261. Sexagesimalsystem 18. Sinus 69, Sirius 22. Snellius 268. Sonnenbewegung 247. — bildchen 421. — jähr 22. — Uhren 62, 215, 333. Sosigenes 213. Spektrum 242. Spezifische Gewichte 318. Sphären, homozentrische 118. Sphärenmusik 121. Spiegel, parabolische .357. Spielart 456. Sumerer 15. Summierungsformel 10. Susruta 59, 64, 115. Sch. Schall 243. Schaltjahr 29. Schattenmessung 67. Schießpulver 59, 310, 361. Schnellwagen 217. Schott 427. Schwenter 424, 427. St. Städtewesen 342. Stein der Weisen 275, 326, 431. Sterne, Zahl 229. Sternwarte 399. Stereometrie 87. Stockholmer Papyrus 279, 320. Strabon 206, 259, 260. T. Tacitus 221. Tafeln von Senkereh 19. Tartaglia 431. Telegraphen 430. Teil el Amarna-Tafeln 16. Thaies 64, 65, 67, 79. Theophrast 97, 107, 230. Thermoskop 197. Thomas von Cantimpre 348, 365. Namen- und Sachverzeichnis. 477 Tiefenmesser 382. Tiere, Anordnung 461. — , Naturgeschichte 459, 460. Tierfabeln 328, 347. Tierformen 328. — kreis von Dendera 27. — kreisbilder 25, 36. — System, koisches 103. — Zeichnungen 452. Timäos 95, 102. Töpferei 44, Toscanelli 380, 448. Tragbalken 113. Transmutation 275. Treibhäuser 244. Trigonometrie 4, 37, 58, 253, 305, 395. Trivium 332. Tunnelaufgabe 204. — bauten 203. Tycho 95, 122. Tyrische Weltkarte 262. U. Universitäten 344, 376. Universum, unendliches 416. Untergang, heliakischer 22. V. Variation 250. Varro 222, 223, 292. Vasari 371. Vasco da Gama 447. Vedas 53. Venus 25, 35. Verbrennung 387. Vermessung dee römischen Reiches 213. Vernier 400. Versteinerungen 260, 380, 443, 445. Vesal 366, 463. Vesuvausbruch 221. Virgil 224. Vitello 341. Vitruv 95, 216, 216, 244, 261. Vögel 314. Vulkane 248, 260. W. Wagen 39, 333, 382. Walfisch 368. Waltiere 99. Wasserbäder 324. — orgel 196. — Uhren 23, 257, 302. Wegmesser 199. Weltanschauung, heliozentrische 93. — bild des Mittelalters 367. — entstehungslehre 68, 72. — karte 381, 418. — System, heliozentrisches 402, 409 bis 413. Weyer, Jacob 364. Wiederkehr, stete 121. Windmesser 387. Winkelmeßinstrumente 255. Wirbelbewegung 77. Wissenschaften, ihr Verfall 285. Wohnungshygiene 47. Wotton 461. Wurf bewegung 425, 430. Würfelverdoppelung 85. Wurzeln 57. ■ . Z. Zahlenmystik 80. Zahnkaries 46. Zahnradübertragung 199. Zeitmessung 23. Zellentheorie 224. Zentralfeuer 93. Ziffernsystem, indisches 305. Zink 42, 271. Zinn 42, 271. Zitterrochen 270. Zoologie, Anfänge 99, 458. Zosimos 274, 276, 277. Zucker 322. Zweckbegriff 73, 74. Ergänzungen, Zusätze und Berichtigungen*). (Aufgenommen, soweit der Raum es erlaubte.) Zu S. 2: In Anmerkung 2 muß es heißen „Siehe auch A. Wiedemann (Wi)«. Zu S. 11: Bezügl. der Dreiecksberechnung ist die Hypothese zu beachten, die M. Simon in seiner Geschichte der Mathematik im Altertum 1909 auf S. 46 gibt. Danach würde es sich nicht um gleichschenklige, sondern um rechtwinklige Dreiecke handeln (Wü). Zu S. 14: Über die ältere Geschichte der Metalle findet sich eine sehr ausführliche Darstellung in dem Anhang zur „Alchemie" von Lippmanns. Kupfer wurde danach in Ägypten schon in der Steinzeit zu Geräten verwandt (S. 539). Silber und Eisen lernte man erst später kennen (Li). Zu S. 15 : Die Herkunft der Sumerer ist nicht sicher festgestellt. Sie sind nicht semitischen Ursprungs und hatten schon vor 3000 eine hohe Kultur- stufe erreicht, u. a. besaßen sie eine ausgebildete Schrift , die Keilschrift (Li). Zu S. 19: vergleiche man E. Hoppe, Mathematik und Astronomie im klassischen Altertum S. 17 u. f. (Wü). Zu S. 19: Es verdiente schon hier erwähnt zu werden, daß die Araber neben dem Sexagesimalsystem auch das Dezimalsystem benutzt haben (Wi). Zu S. 31 (Dauer des synodischen Monats): Die genaue Übereinstimmung beruht darauf, daß eine sehr große Anzahl von Umläufen genommen wurde und nicht etwa darauf, daß die Beobachtungen bis auf Sekunden genau waren. Es wäre wohl angebracht, hierauf besonders hinzuweisen (Wi). Zu S. 38, unten: Die Übereinstimmung ist sicher Zufall. Sie rührt daher, daß die menschliche Elle rund i/o ™ la^Qg ist. Die Assyriologen haben aber stets die Neigung zum Geheimnisvollen gehabt (Wi). Zu S. 43 Anm. 3: Man vergleiche damit die von derjenigen Wilsers zum Teil abweichende Ansicht, die E. von Lippmann in seiner „Alchemie'' über die ältere Geschichte des Kupfers entwickelt. Die Meinungen der Forscher gehen hier, zumal was das Auftauchen von Kupfer in Nord- und Mitteleuropa betrifft, noch stark auseinander. Zu S. 50, Anm. 2: Nach E. v. Lippmann hat sich die Destillation aus unvollkommenen Anfängen entwickelt, so daß sich bestimmte Angaben über ihren Ursprung nicht machen lassen. Die ältesten Abbildungen und Be- schreibungen von Destillierapparaten finden sich in Schriften, die angeblich im 1. Jahrh. n. Chr. entstanden sind („Alchemie", S. 46 — 48). Zu S. 60 (Ayur-Veda) : Die Entstehung der Veden fällt in die Zeit von 1500 bis 500 v. Chr. Das Wort Veda bedeutet das Wissen. 1) Sie rühren zuni größten Teile von E. Wiedemann (Wi), E. v. Lipp- mann (Li) und J. Würschmidt (Wü) her. Ergänzungen, Zusätze und Berichtigungen. 479 Zu S. 67: Über seine Methode der Schattenmessung für beliebige "Winkel vergleiche man E. Hoppe, Math. u. Astr. i. klass. Altertum (Wü). Danach hat Thaies (nach Plutarch) seinen Stab bei irgendeiner Sonnenhöhe in den Endpunkt des Schattens gesteckt und gelehrt, daß die Schattenlänge des Stabes sich zur Schattenlänge der Pyramide verhalte wie die Länge des Stabes zur Höhe der Pyramide. Zu S. 80, unten-: Näheres über die fünf regelmäßigen Körper (platonische Körper) siehe bei E. v. Lippmann (Alchemie, S. 127). Zu S. 90 : Die früheren Angaben über die Schiefe der Ekliptik sind nach V. Lippmanns Mitteilung vermutlich babylonischer Herkunft. Ob tatsächlich chinesische Astronomen schon um 1100 v. Chr. den ziemlich richtigen Wert von 23 "52' für die Schiefe der Ekliptik kannten, bleibe dahingestellt (Li). Zu S. 113: Über die Frage der Echtheit der „mechanischen Probleme" siehe die Anm. auf S. 128. Auf S. 115 heißt es richtiger 2 : 1 statt 1 : 2. Zu S. 116: Das "Wort Rückschritt ist hier nicht zeitlich zu nehmen, da Leukipp und Demokrit ihre Vorstellungen vor Aristoteles entwickelten. Zu S. 123 : Das Nordlicht ist auch in unseren Zeiten , wenn auch sehr selten im südlichen Europa beobachtet worden. Zu S. 128, Anm. 2: Mit Recht warnt auch E. Wiedemann davor, sol- chen Vorahnungen und Andeutungen einen zu hohen Wert beizumessen. „Ich stehe", bemerkt er, „ihnen sehr skeptisch gegenüber, denn man kann im Alter- tum alles finden, positiv und negativ". Zu S. 156: Bezüglich des 14. und 15. Buches der „Elemente", die nicht von Euklid herrühren, findet man das Nähere in E.Hoppes Mathematik und Astronomie im klassischen Altertum 1911, S. 314 u. f. (Wü). Zu S. 171 (Archimedisches Prinzip): Hierzu sind die Dissertationen von Th. Ibel, Die "Wage im Altertum und Mittelalter, Erlangen 1908 und von H. Bauerreiß „Zur Geschichte des spezifischen Gewichtes im Altertum und Mittelalter", Erlangen 1914 zu vergleichen ("Wi). Zu S. 178, Anm. 2: Nach Hoppe, Math. u. Astr. i. klass. Altertum, S. 283, beläuft sich der Wert des griechischen Stadiums auf 185,136 m und derjenige des kleinen pharaonischen Stadiums auf 174,5 m. Siehe auch Decourdemanche Traite pr. d. poids et mesures. 1909. p. 134 (Wü). Zu S. 183, Anm. 1: Da der Hang zur Astrologie zu dem Bilde, das man sich im übrigen von Hipparch als kühlem Forscher macht, wenig paßt, so hat man seine Beschäftigung mit astrologischen Dingen wohl angezweifelt. Sie kann aber heute für ihn wie auch für Ptolemäos als erwiesen betrachtet werden. Zu S. 189: Ob Hipparch die stereographische Projektion kannte, ist nach Hoppe, Math. u. Astron. i. klass. Altertum nicht sicher (Wü). Siehe dort S. 325. Zu S. 200: Schreibweise ist Theodolit. Die Herkunft des Woites ist unbekannt. Zu S. 215: Ausführliches über die Uhren findet sich bei E. AViedemann und J. Würschraidt (Wü). Zu S. 228, Anm. 1 : Günther und mit ihm auch Würschmidt und andere bevorzugen die Schreibweise Copernicus. Siehe indessen die Anm. 1 auf S. 403. Die erwünschte Einigung in solchen Dingen ist kaum herbei- 480 Ergänzungen, Zusätze und Berichtigungen. Einfachste Form eines Astrolabiums nach Peschel. (Gesch. d. Erdk. S. 386.) zuführen, da in der gesamten Literatur die verschiedenen Schreibweisen neben- einanderlaufen. Zu S. 251, Anm. 1: Der Heibergsche Text ist dem von Halma vor- zuziehen (Wi). Zu S. 256 : Über die Geschichte des Astrolabs berichtet ausführlich Josef Fr ank in den Sitzungsberichten der physikalisch -medizinischen Sozietät zu Erlangen (Bd. 50. 51. 1918/19). Die Abhandlung ist durch eine Anzahl Ab- bildungen erläutert. Das ursprünglich für die Aufnahme der Sterne bestimmte Instrument erhielt allmählich verschiedene Abänderungen, die alle als Astrolabien bezeichnet wer- den und sich in den älteren astronomi- schen "Werken abgebildet finden. Zu S. 261 : Ob der Verfasser der Naturales quaestiones mit dem Tragöden Seneca identisch ist, steht immer noch nicht fest (Li). Zu S. 264, Anm. 2: NachE.Wiede- mann ist die „Optik" des Ptolemäos vor Govi wohl auch von anderen, z. B. Venturi, bemerkt worden. Zu S. 271: Über die Kenntnis und Verwendung von Zink und Zinn im Alter- tum siehe von Lippmanns „Alchemie" v. S. 577 — 603. Zu S. 274: Über die ersten Erwähnungen der Chemie und ihres Namens sowie über die Herkunft des Namens Chemie handelt E. v. Lippmann sehr ausführlich in seiner „Alchemie" S. 282— 314. Etwas Sicheres läßt sich da- nach über die Herkunft des Namens „Chemie" nicht feststellen. Auch V. Lippmann gibt als älteste Quelle für das Vorkommen des Namens „Chemie" Zosimos an. Dieser gehört danach schon dem 3. Jahrhundert an. ^r schrieb eine Anzahl griechischer Werke, die, wenn auch in entstellter Form zum Teil noch erhalten sind und ausdrücklich die Chemie als Kunst des Gold- und Silbermachens erwähnen (Chem. Ztg. 1914, S. 685). Die Ab- leitung des Wortes Chemie von Chemes findet sich nach v. Lippmann bei Zosimos jedoch nicht. Zu S. 275: Ebenso unsicher wie die Ableitungen des Wortes „Chemie" sind alle Nachrichten über den „Stein der Philosophen" oder „der Weisen". Nach von Lippmanu kommt diese Bezeichnung zuerst in Schriften vor, die wahrscheinlich im 1. nachchristlichen Jahrhundert entstanden sind („Alchemie" S. 51). Zu S. 277: Dunkel sind nach v. Lippmann auch die mystischen Be- ziehungen zwischen der Alchemie und der Astrologie, wie sie sich in der auf S. 277 gegebenen Zusammenstellung der Metalle mit bestimmten Planeten ausgesprochen finden. Z. S. 303: AI ßiruni (973—1048 etwa) war Mathematiker, Astronom und Geograph. Er hat besonders wissenschaftliche Beziehungen der arabischen Welt zu Indien vermittelt. Ergänzungen, Zusätze und Berichtigungen. 481 Meisterhaft schilderte AI Biruni die Dämmerungserscheinungen, unter denen auch das Zodiakallicht deutlich erkennbar ist. Die kupferrote Mondfarbe, die bei einer totalen Mondfinsternis infolge des Erdscheins auftritt, vermochten weder AI Biruni noch die übrigen ara- bischen Astronomen zu erklären. (Nach Meyerhofs Sammelbericht; S. S. 314.) Zu S. 304: Albattanis Werk wurde von Nallino arabisch und latei- nisch in trefflicher Bearbeitung herausgegeben (Wi). Z. S. 310: Zu Marcus Graecus' Schrift schreibt v. Lippmann: „Sie ist erst um 1250 verfaßt. Berthelots Angabe, Marcus Graecus habe den Salpeter gekannt, ist ganz unhaltbar. Diels ist ihm mit Unrecht gefolgt". (Li.) Z. S. 310, unten: Man kann ein ganzes Verzeichnis der Umschreibungen des Namens Alchwarizmi zusammenstellen. Ruska (Zur ältesten arabischen Algebra und Rechenkunst, Heidelberg 1917) führt etwa ein Dutzend solcher Umschreibungen an. Der vollständige Name lautet Muhammed ihn Musa Alchwarizmi. Z. S. 311: Ausführlicher über Ihn Musa handelt die Schrift von Ruska: Zur ältesten arabischen Algebra und Rechenkunst, Heidelberg 1917 (Sitzungs- ber. d. Heidelb. Akad. d. Wissensch.). Nach Ruska sind über die Grundlagen der arabischen Algebra viele sich ausschließende Ansichten geäußei-t worden. Eine genauere Vergleichung der Texte und der Übersetzungen war danach nötig. Eine Algebra im heutigen Sinne hat Ibn Musa nicht geschrieben. Sein Buch will weiter nichts sein, als eine auf zahlreiche Musterbeispiele gestützte Einführung in das ange- wandte Rechnen (a. a. 0. S. 7). "Woher Ibn Musa seinen Stoff hat, deutet er nirgends an. Die verschiedenen Übersetzungen der Ausdrücke algabr und almukabalah vermögen keine klare Vorstellung von ihrem mathematischen Sinn zu geben. Cantor spricht von Wiederherstellung und Gegenüberstellung, Ruska dagegen von Ergänzung und Ausgleichung. In dem Abschnitt, der von den sechs Formen der Gleichungen handelt, wird nämlich gesagt, daß jede andere Gleichung durch das erwähnte Verfahren auf eine der sechs Normalformen gebracht werden könne. Zu S. 314: Bezüglich der Optik der Araber kommt der neueste Stand- punkt in Meyerhofs zusammenfassenden Abhandlungen zum Ausdruck (Wi): Siehe M. Meyerhof, „Die Optik der Araber" i. d. Zeitschrift f. ophthalmo- logische Optik. Berlin, Verlag v. J. Springer 1920. Z. S. 314: In Ergänzung der im vorliegenden Werk gegebenen Dar- stellung sei nach diesem Sammelbericht noch auf folgendes hingewiesen: Die Verfasser der seit dem 8. Jahrhundert in arabischer Sprache ent- standenen Literatur waren zum allergeringsten Teile Araber, dagegen vor- wiegend Perser, Syrer, Ägypter, Mesopotamier, und zwar nicht nur Mohamme- daner, sondern auch Christen und Juden. Die bedeutendste optische Schrift der Araber, der Thesaurus Opticae des Alhazen (Ibn al-Haitham) ist zwar seit dem 13. Jahrhundert der abend- ländischen Welt Ijekannt. Die genauere Erforschung der arabischen Optik auf Grund der Übersetzung der Urtexte erfolgte jedoch erst in den letzten Jahr- zehnten und zwar auf ophthalmologischem Gebiete durch J. Hirschberg, auf physikalischem durch E. Wiedcmann. Leider ist der arabische Urtext der Optik Alhazens trotz aller Bemühungen bisher noch nicht gefunden worden. Da nnem an D, Die Naturwissenschaften. I. Dd. 2. Aufl. 31 482 Ergänzungen, Zusätze und Berichtigungen. Die Lebensgeschichte Alhazens ist von E. Wiedemann getreulich nach den arabischen Gelehrtenbiographien dargestellt worden. (Archiv f. d. Gesch. d. Naturw. u. d. Technik 1910. 3, S. 1—53. Die Übersetzung ins Lateinische, welche der ßisner'schen Ausgabe zu- grunde liegt, ist vermutlich im 13. Jahrhundert entstanden. Eine genauere Inhaltsangabe der 7 Bücher gibt M. Meyerhof in seinem Sammelbericht in der Zeitschr. f. ophthalmolog. Optik. VIII (1920; Heft 3. Z. S. 315: Bei der Darstellung der Anatomie des Auges stützt sich Alhazen im wesentlichen auf Galen. Wie er unterscheidet er 3 Feuchtig- keiten (Kammerwasser, Linse, Glaskörper) und 4 Häute. Die Linse verlegt auch Alhazen in den Mittelpunkt des Auges. Z. S. 316: Im Gegensatz zu den meisten Griechen und seinen arabischen Fachgenossen stellt Alhazen vollbewußt die Theorie auf, daß das Sehen durch Strahlen zustande kommt, die in gerader Linie vom Gegenstande zum Auge hinziehen (Meyerhof, a. a. 0. S. 42). Z. S. 317: Daß das Licht zu seiner Fortpflanzung Zeit gebraucht, glaubt Alhazen daraus schließen zu dürfen, daß die Farben des Farbenkreisels (der schon Ptolemäos bekannt war) bei rascher Umdrehung nicht mehr einzeln unterschieden werden (a. a. 0. S. 43). Z. S. 318: Daß die Gestirne in der Nähe des Horizontes größer erscheinen als im Zenit erklärt Alhazen als eine optische Täuschung. Diese entstehe dadurch, daß das Auge die Größe der Gegenstände nach derjenigen des Ge- sichtswinkels und der mutmaßlichen Entfernung schätzt. Letztere erscheint am Horizont wegen der dazwischen liegenden Gegenstände größer. Aus dem gleichen Grunde erscheine das Himmelsgewölbe abgeplattet (a. a. 0. S. 45). Die erste Erwähnung der Dunkelkammer findet sich Inder von E. Wiede- mann übersetzten Schrift Alhazens „Über die Gestalt des Schattens". Es heißt dort nämlich: „Tritt das Licht der Sonne zur Zeit ihrer Verfinsterung aus einem engen runden Loche heraus und gelangt zu einer gegenüber liegenden Wand, so hat das Bild Sichelgestalt". Den Beweis gibt Alhazen durch eine ausführliche Abhandlung (Übersetzt v. E. Wiedemann). Sein Kommentator Kemal al-Din, der etwa 300 Jahre später lebte, entwickelt die Theorie der Camera sehr eingehend. J. Würschmidt nimmt an, daß die abendländischen Gelehrten die Erfahrungen der Araber über die Dunkelkammer übernahmen. Die Tatsache, daß bei einer Sonnenfinsternis hinter einer engen Öffnung ein sichelförmiges Bild der Sonne entsteht, war schon im Altertum bekannt. In seiner Schrift „Über Brennspiegel nach Kegelschnitten" (herausge- geben von J. L. Heiberg und E. AViedemann, Bibl. math. III. Folge, Bd. 10, Heft 3) erwähnt Alhazen die Beobachtung der Alten, daß Spiegel von der Form eines Umdrehungsparaboloids alle Strahlen in einem Punkte vereinigen und wirksamer sind, als alle anderen Spiegel. Die Entdeckung soll von Diokles um 350 v. Chr. gemacht worden sein. Alhazen vermißt die theo- retische Konstruktion, die er dann vollständig gibt. Indessen hatte schon Appollonios die richtige Lage des Brennpunktes bei paraboloiden Hohl- spiegeln festgestellt. Z. B. 318: Einen guten Überblick über den Stand, den die Augenheil- kunde bei den Arabern erreicht hatte, gibt eine von C. Prüfer und M. Meyer- Ergänzungen, Zusätze und Berichtigungen. 483 hof in der Zeitschrift „Der Islam" (6. Jahrg. 3. Heft 1915) herausgegebene ausführliche Abhandlung über diesen Gregenstand. Z. S. 319: Daraus, daß in dieser Tabelle der Alkohol fehlt, schließt von Lippmann, daß man um 1120 den Alkohol noch nicht kannte. Nach ihm ist dieser gar keine arabische Entdeckung, sondern eine verhältnismäßig späte abendländische. Bisher war man allgemein der Ansicht, daß der Alkohol schon seit dem 9. Jahrhundert den Arabern bekannt gewesen sei. Über die Geschichte des Aräometers siehe auch v. Lippmanns Ab- handlung in der Chemiker-Zeitg. 1912, Nr. 68. Z. S. 319: „Über Wagen bei den Arabern" handelt E. Wiedemann (Sitzsber. d. Phys. Mediz. Soziet. in Erlangen Bd. 37, 1905, S. 388 u. f.). Wiede- mann berichtet dort von der Verwendung physikalischer Kenntnisse zu allerhand Betrügereien. So stellte man Wagen her, deren Balken hohl war und etwas Quecksilber enthielt. In einem arabischen Werk, das eine Reihe von Taschenspielerkunststücken schildert, heißt es : „Soll das Gold leicht er- scheinen, so läßt man das Quecksilber nach der Seite der Gewichte fließen". Auch dadurch wurde betrogen, daß der Bankier einen Ring trug, in dem sich ein Magnetstein befand. Diesen brachte er beim Wägen in geeigneter Weise an die eiserne Zunge der Wage. Daß derartige Betrügereien recht alt waren, geht auch daraus hervor, daß schon der Koran dagegen eifert. Zu S. 318 und 327: AI Qazwini und AI Khazini sind zwei verschie- dene arabische Schriftsteller. AI Khazini lebte um 1130. Von ihm rühren die sehr genauen Bestimmungen einer Anzahl von spezifischen Gewichten her. AI Qazwini, der Verfasser des Steinbuches, lebte etwa hundert Jahre später. Er schrieb eine große Erdbeschreibung: „Die AVunder der Schöpfung und die Denkmäler der Länder". Sein vollständiger Name lautet: Zakarija ibn Muhammad ibn Mahmud al-Qazwini. Die arabischen Steinbücher enthalten auch Vorschriften zur Gravierung von Planetenbildern auf die den einzelnen Planeten zugeteilten Steine. Bei jedem der sieben Planeten wird angegeben, bei welcher Konstellation das genau beschriebene Planetenbild in den dem Planeten geweihten Stein graviert werden soll und welche Wirkung das Amulett hat, wenn noch gewisse rituelle Vorschriften erfüllt werden. Dem Saturn entspricht ein Stein in einem Ring aus Blei, dem Mars ein Stein in einem Ring aus Eisen usw. Näheres bei J. Ruska, Griechische Planetendarstellungen in arabischen Steinbüchern. (Sitzgsber. d. Heidelb. Akad. d. Wiss., Heidelberg 1919.) Zu S. 320, 8. Z. V. oben : Neben Spanien verdient Sizilien Erwähnung, da auch von hier aus die arabische Wissenschaft dem Abendlande übermittelt wurde (Wi). Z. S. 322: Über Geber berichtet avisführlicher und dem Ergebnis der neuesten Forschungen entsprechend v. Lippmann in seiner „Alchemie". Zu S. 322: Nach v. Lippmann ist der Alkohol eine Erfindung des Abendlandes, die vermutlich erst im 11. Jahrhundert gemacht wurde und zwar wahrscheinlich in Italien (Alchemie 472). Das Wort „Kohol" bezeichnet ur- sprünglich ein sehr feines Pulver. AI ist der ai-abische Artikel. Näheres siehe bei v. Lippmann, Chemiker-Zeitung 1913, S. 1313, ebd. 1917, S. 865. 484 Ergänzungen, Zusätze und Berichtigungen. Z. S. 325: Es sei bemerkt, daß die Gleichungen unter 2) nur zur Er- läuterung dienen. Die Salzsäure, durch die hier die Zerlegung bewirkt wird, war damals noch nicht bekannt. Z. S. 326: Wunderbare Wirkungen wurden dem Stein der Weisen indessen auch schon von den frühesten griechischen Alchemisten beigelegt (Li). Zu S. 327, unten: Es muß jedoch anerkannt werden, daß die Araber recht gute botanische Kenntnisse besaßen (Wi). Z. S. 330: Über die medizinischen Kenntnisse bei den Arabern hat aus- führlich Gr. Seidel in den Sitzungsber. d. phys. med. Sozietät in Erlangen be- richtet (Bd. 47, S. 1915). Z. S. 352: Die Albertus Magnus 'zugeschriebenen, eigentlich alche- mistischen Werke sind nach v. Lippmann Fälschungen. Zu S. 390: Inbezug auf die Optik Lionardos sei auf Werners in Erlangen erschienene Dissertation hingewiesen. Werner weist nach, daß sich in den optischen Studien Lionardo da Vincis zahlreiche Andeutungen finden, die auf seine Bekanntschaft mit den Schriften Alhazens schließen lassen. Zu S. 401 : „Ortus" wird im Mittelalter häufig statt „Hortus" gebraucht. Einige Auszüge aus den Besprechungen der ersten Auflage. Des Verfassers Grundriß einer Geschichte der Naturwissenschaften hat in zweiter Auflage G. "W. A. Kahlbaum I, 160 und III, 75) in anerkennend- ster "Weise besprochen und zugleich die Gefühle ausgesprochen, die angesichts der Erfolge dieses Werkes jeden Historiker der Naturwissenschaften beseelen müssen, j^us den gleichen Gründen begrüßen wir es heute freudigst, daß unser Gesellschaftsmitglied und Mitarbeiter den zweiten Teil dieses Buches zu einem vierbändigen Werke ausgestalten will und davon bereits den ersten Band vorzulegen vermag. (H. Stadler in den Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, Bd. X, 2. Heft.) Der soeben erschienene 2. Band dieses großen Werkes behandelt die Zeit von Galilei bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, also jene Epoche, in welcher die Grundlagen der neueren Naturwissenschaften gelegt wurden. Auch in diesem Bande hat sich der Verfasser mit Erfolg bemüht, eine Darstellung zu schafi'en, die nicht nur dem Historiker dient, sondern für jeden anregend ist, der sich überhaupt für die Naturwissenschaften interessiert. (Kölnische Zeitung, 20. Februar 1911.) Ähnlich wie Cantors Vorlesungen über Geschichte der Mathematik ein „Standard work" allerersten Ranges bleiben werden, so wird auch Danne- manns Werk von bleibendem Wert sein, das für den Geschichtsforscher wie für den Mediziner, für den Lehrer wie für den Techniker großen Nutzen haben und dessen Lektüre für jeden, der sich für die Naturwissenschaften interessiert, eine Quelle hohen Genusses bilden wird. (Monatsschrift für höhere Schulen, 1911, 6. Heft.) Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll, die überraschende Be- lesenheit des Autors oder seine Gabe, selbst die schwierigsten Probleme wissen- schaftlicher Forschung nicht nur dem Kenner, sondern auch dem interessierten Laien leichtfaßlich in ernst- vornehmer Form vorzutragen. (Pharmazeutische Zeituug, 1911, Nr. 13.) Besonders dankenswert erscheint, wie Dannemann in allen diesen Wissenschaften die verbindenden großen Gedanken herauszuschälen weiß, die im hohen Maße geeignet sind, die Vertreter der einzelnen naturwissenschaft- lichen Disziplinen vor Einseitigkeit zu bewahren. (Ärztliche Kundschau, 1910, XX. Jahrgang, Nr. 47.) 486 Einige Auszüge aus den Besprechungen der ersten Auflage. Dem Techniker, dem Lehrer, dem Arzte, jedem, der sich lebhafter für Naturwissenschaften interessiert, vor allem also auch unseren Studierenden, dürfte das Buch eine unerschöpfliche Quelle des Genusses und der Anregung sein. Einen ganz besonderen Wert besitzt das Werk dadurch, daß es gewisser- maßen den Rahmen für Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften abgibt und so die Beziehungen aufweist, durch welche die einzelnen Gebiete sich gegenseitig beeinflußt haben. Für die Hebung der Kultur unseres Volkes kann dieses Buch, das die Wissenschaft und ihre Erfolge als etwas Werdendes vorstellt, von größtem Nutzen sein, da es die Erfolge fortschrittlichen Denkens gegenüber den Schwächen dogmatischer Gesinnung aufs deutlichste vergegenwärtigt. (Prometheus, 26. November 1910, XXII. Jahrgang.) L'ouvrage me parait excellent; il a d'ailleurs une qualite inappreciable ; c'est de n'avoir pas d'equivalent. (Revue generale des Sciences. Paris 15. III. 1912.) Das Gesamtwerk, dessen Inhalt durch gute Register und Literaturver- zeichnisse übersichtlich zusammengehalten wird, liegt nun, auch in äußerlich schönem Gewände, vollständig vor; es gehört fraglos zu den besten, best- geschriebenen, originellsten und nutzbringendsten der neueren naturwissenschaftlichen Literatur und ist mehr als jedes andere ge- eignet, den immer unheilvoller hervortretenden Folgen der völligen Zersplit- terung unter den Naturforschern abzuhelfen und deren allgemeine Fortbildung wieder zu heben. Es gereicht dem Verfasser zur Ehre, nicht minder aber auch der ganzen deutschen Literatur. (Prof. Dr. E. 0. von Lippmann in der Chemiker-Zeitung 1913.) Seit Jahren empfehle ich meinen Hörern in der einführenden Vorlesung über experimentelle Chemie das D annemann sehe ausgezeichnete, noch nicht nach Gebühr verbreitete Werk „Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem Zusammenhange". (Dr. A. Stock, Prof. a. d. Univ. Berlin und am Kaiser-Wilh.-Inst. Dahlem, in d. Monatsschrift f. d. ehem. u. biol. Unterr. 1920.) Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig. Yon dem Verfasser erschienen ferner: Leitfaden für die Übungen im chemischen Unter- richt der oberen Klassen höherer Lehranstalten. 6. Aufl. B. G. Teubner, Leipzig 1920. Aus der Werkstatt großer Forscher. 430 Seiten. 3. Aufl. Leipzig 1908. AVillielm Engelmann. Gebunden M. 9.- und bO% V.-T.-Z. ,,Es sei jeder, der sich bisher noch nicht mit diesem vortrefflichen Werke bekannt gemacht hat, daraufhingewiesen, die sehr wertvolle Bekanntschaft nicht länger hinauszuschieben." (Prof. Dr. Wilh. Ostwald.) Der naturAvissenschaftliche Unterricht auf praktisch - heuristischer Grundlage. Hannover 1907. Hahnsche Buchhandlung. Geh. M. 6.—, geb. M. 6.80. ,,Das Werk entwickelt in recht überzeugender Weise die Be- deutung und die Grundzüge des pi'aktisch-heuristischen Verfahrens. — Der Arbeit kann das Verdienst nicht vorenthalten werden, mit Gründlichkeit und Energie für eine gute Sache eingetreten zu sein.'' (J. Norrenberg, in der Zeitschrift für lateinloses Schulwesen 11)08.) Naturlehre für höhere Lehranstalten, auf SchÜlerÜbungen gegründet. Hannover 1908. Hahn- sche Buchhandlung. ,,Der Verfasser hat so alle Momente vereinigt, die zur Ertei- lung eines zeitgemäßen Unterrichts von Belang sind und zwar so, daß zu dem neuen Plane ein Übergang von dem bestehenden her möglich ist." (Deutsche Literaturzeitung, 1909, Ar. 6.) Handbuch für den pliysikalischen Unterricht. J. Beltz, Langensalza 1919. ,,Was in diesem Buche gesagt wird, faßt alle lebenskräftigen Reformgedanken der letzten Jahre in geschickter Weise zusammen." (R. Windcrlicli, i. d. Ztschr. f. (1. inatli. ii. iiaturw. l'iiterr.) VERLAG VON WILHELM ENGELMANN IN LEIPZIG Geschichte der physikalischen Exjjerimentier- klinst von Prof.Dr.E.Gerland und Prof. Dr. F. Traumüller. Mit 425 Abbildungen zum größten Teil in Wiedergabe nach den Originalwerken. (XVI und 442 Seiten, gr. 8.) Geheftet M. 14.—. In Halbfranz gebunden M. 17.— . Aus den Besprecbung-en: ,,Das treffliche Bucli darf weder in der Bibliothek einer mitt- leren oder höheren Lehranstalt, noch in der eines Experimental- physikers fehlen." (Monatshefte f. Mathematik und Physik. 1900. Heft 1.) ,,Eine eingehende Kenntnis der Geschichte der Physik läßt den Lehrer erst den wahren Wert der einzelnen Tatsachen, Begriffe und Theorien erkennen, liefert ihm überaus dankbare Mittel, den Unterricht kräftig zu beleben, und macht ihn auf die Schwierig- keiten aufmerksam, die der menschliche Geist bei dem ersten Ein- dringen in die einzelnen Gebiete der Physik zu überwältigen hat. Das vorliegende Werk erschließt in trefflicher Weise ein neues und wichtiges Gebiet der Geschichte der Physik; es darf in der Hausbibliothek keines Lehrers fehlen, dem sein Unterricht und die ihm anvertraute wissensdurstige Jugend am Herzen liegt." (Habn-Macheuheimer, Zeitschr. f. d. physik. u. ehem. Unterricht. März 1900. Heft 2.) Zur Geschichte der astronomischen Meßwerk- zeuge von Purbach bis Reichenbach 1450 — 1830 von Job. A. Repsold. 1. Band. Mit 171 Abbildungen (VIII und 132 Seiten gr. 8). M. 16.—. Aus den Besprechungen: ,,Das Buch, das sich überall als eine reiche Quelle der Be- lehrung über die Zweckdienlichkeit und die sachgemäße Verwendung der Instrumente, sowie über die Vorteile und Nachteile der ein- zelnen Konstruktionen darbietet, wird gewiß nicht verfehlen einen dauernden, großen Nutzen für die Wissenschaft zu stiften." (Astronomische Nachrichten, Bd. 17 7, Nr. 6.) ,,Ein höchst interessantes, lehrreiches Werk ist es, das der Ver- fasser, der wie kein anderer dazu berufen war, es zu schreiben, den Mechanikern und Astronomen darbietet." (Zeitschrift für Instrumentenkuurte. XXVIII. Jahrg., Sept. 1908.) Auf vorstehende Preise 50 o/o Verleger-Teuerungszuschlag. THE LIBRARY UNIVERSITY OF CALIFORNIA Santa Barbara THIS BOOK IS DUE ON THE LAST DATE STAMPED BELOW. Series 9482 000 657 469 3