■*««J«««DK.»«l>VW»l«9Wl}Bi/«.Wl8M'( Kl \ \ •Ol, V^^l 1 li- H" 'tV! I P W 'P A tf-^ Y T (■•-" »"-f-T STAV FISCHER -iSI HiHiiiiiiiii hU vanaA.BOUMANJr'' Naturwissenschaftliche Wochenschrift BEGRÜNDET VON H. POTONIE HERAUSGEGEBEN VON Prof Dr H. MIEHE IN LEIPZIG NEUE FOLGE. 13. BAND (DER GANZEN REIHE 19. BAND) JANUAR — DEZEMBER 1914 MIT 118 ABBILDUNGEN IM TEXT JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1914 Alle Rechte vorbehalten. Register. I. Größere Originalartikel und Sammelreferate. Andree, K., Die pelrographische Me- thode der Paläographie. 145. B a b a k , E., Zur Frage der Atemregulation in der Tierreihe. 374. Bach mann, H. , Das Nannoplankton. 389- Bagl ioni , S., Der lCinllul3 äußerer Schall- empfindungen auf die Tonhöhe der menschlichen Sprache. 481. Baich in , O., Die Temperaturverhältnisse der Polargebiete. 737- Baur, E, , Die Quelle der Muskelkraft. 273- Bilguer, v., Die afrikanische Wasser- frage. 673. Brandt, A. v. , Über Geschlechtswand- lungen. I. Bräuer, E. , Resonanzstrahlung. Ein Sammclreferat. 246. Bräu er, Stoßionisation (Sammelrefcrat). 599- Braß, A. , Lage und Beziehung der ita- lienischen Vulkangebiete zu gleichzeiti- gen Meeren oder Binnengewässern. 610. Breuer, C, Chromalpapiere. 261. Brockmeier, H., Kniische Betrachtun- gen über den Löß. 534. Bugge, G., Künstliche Seide aus Zellu- lose. 1S3. Bugge, G., Die Chemie des Chlorophylls. 27b. Bürger, O., Das Wesen der Enzym- wirkung. 211. Bürger, O., Ammoniaksynthesen. 518. Buttel-Re e pen , H. v. , Das Problem der Elberfelder Pferde und die Tele- pathie. 193. Czepa, A., Schutzfärbung und Mimikry. 49, 65, 81. Eckardt, W. R., Einbürgerungsversuche als Möglichkeiten zur Erforschung des Vogelzuges. 148. Eckardt, Wilh. R., Neues zur Psycho- logie und Ethologie der Männchenpaare der Anatiden, besonders von Schwänen und Gänsen. 662. Fehlinger, H., Über Variation. 819. Frank, M. , Die Bedeutung der Astro- photographie. 677. Franke, C., Die Bedeutung der diluvi- alen Menschenskelette für die Sprach- wissenschaft. 776. Frey, A., Die Ursachen der Eiszeiten. 209. Gothan, W., Das geologische Alter der Angiospermen. 497. Guenther,R., Physiognomik der Tropen- landschaft. 561. Guenther, K. , Verschiebungen in der Tierwelt durch den Menschen. 705. Greinach er, H. , Neue Vakuumröhren für Demonstrationszwecke u. technische Verwendung. 326. Halb faß, W., Vom Wasserhaushalt der Erde. 593. Hansen, A., Goethe's naturwissenschaft- liche Sammlungen im Neubau des Goethe- hauses zu Weimar. 578 (vgl. auch die Druckfehlerberichtigung. 67^). Heide, F., Neuere Meteoritenfunde in Europa (Sammelreferat). 310. Hansel, S., Begriff und Wesen der Meta- morphose der Insekten. 241. H e i n e k e , Über die biologische Wirkung der Radiumstrahlen, insbesondere über die Strahlenbehandlung von bösartigen Geschwülsten. 305. Hennig, Edw., Die deutschen Ausgra- bungen von Dinosauriern im letzten Jahrfünft. 417. Hennig, Edw., Die Grenzen des Indi- viduums und das Problem des Abster- bens. 817. Heß, W. R., Direkt wirkende Stereoskop- bilder. 646. Hohenstein, V., Neues aus der Geo- logie (Sammelreferat). 6. Hornig, G. , Die Groflfaltung der Erd- rinde (Sammelreferat). 657. Hundt, R. , Das älteste Leben Ost- thüringens. 129. Kafka, G., Neuere Untersuchungen über den Farbensinn der F'ische. 465. Kanngießer, Fr., Die Flora des Homer. 167. • Kathariner, L. , Das Fußskelett des Tapirs. 422. Kathariner, ly. , Die Ursache der Pellagrakrankheit. 707. Keyl, Fr., Methoden zur Untersuchung des ,, Sehens" der Tiere. 369. Knauer, Fr., Neue Ergebnisse des Ring- versuches. 225. Koch, A., Die modernen wissenschaft- lichen Forschungen über die Entstehung und willkürliche Bestimmung des Ge- schlechts. 177. Kfizeneky, J. , Das Hungern als för- dernder Faktor der organischen Ent- wicklung. 549. Krumbhaar, Physikalisches von unse- ren Feuerwaffen. 801. Küchler, C. , Die Spalteneruption der Hekla im Jahre 1913. 315. Lehmann, Über Keimverzug. 385. Lenk, F.., Tierische Farbstoffe. 545. Mayer, Ad., Über die Bewohnbarkeit der Sterne. 257. Mayer, Ad., Die Entstehung der Erstar- rungsgesteine. 499. Mayer, J. R., Eine Tour durch den Ur- wald von Sumatra. 113. Mecklenburg, W. , Die neuere Ent- wicklung der Lehre von der chemischen Affinität. 401. Meli, R., Die Chinesen und der Schmetter- ling- 25, 33. Meli, R., Die Ente, ihre Nutzung und Wertung in China. 641. Mengel, H., Über den Chemismus der alkoholischen Gärung. 506. Mötefindt, H. , Zerealienfunde vorge- schiclitlicher Zeit aus den thüringisch- sächsischen Ländern. 294. Mötefindt, H. , Diluviale menschliche Skelettreste aus den thüringisch-sächsi- schen Ländern. 787. Nachtsheim, H. , Die Bedeutung der Konjugation bei den Infusorien. 229. Nachtsheim, H. , Sind die Mitochon- drien Vererbungsträger? 580. Nachts heim, H., Das Verhalten der Bienenkönigin und anderer Hymeno- pterenweibchen bei der Eiablage. 452. Neger, F. W. , Neuere Ergebnisse und Streitfragen der Rauchschadenforschung (Sammelreferat). 529. Ra u t e r , G., Zur Kombinationslehre. 164. Richters, F., Steinwerkzeuge aus dem nordischen Gletschermergcl. 486. Robitsch, M. , F'.inige bemerkenswerte Registrierungen und Beobachtungen vom deutschen Spitzbergen - Observatorium 1912 — 13. 513. Schmidtsdorf, F., Die Methode ,,of trial and error" (des Versuchs und Irrtums) und ihre psychologische Be- deutung. 289. Schoy, C, Grundzüge einer vergleichen- den Geo- und Aphrodiiographie (Erd- und Abendsternkunde). 450, Schröder, Chr., Eine Kritik der Leistun- gen der ,, Elberfelder denkenden Pferde". 321, 337- Schröder, Chr., Auf den Höhen des Kilimandscharo. 753. Schutt, K., Reflexion und spektrale Zerlegung der Röntgenstrahlen (Sammel- referat). 437. Schutt, K., Lummer: Verflüssigung der Kohle und Herstellung der Sonnen- temperatur. 812. Schwangart, F., Die Reformbewegung in der angewandten Entomologie. 133. Stellwaag, F., Neuere Untersuchungen über den Farbensinn der Insekten. 161. Stellwaag, F., Welche Bedeutung haben die Deckflugel der Käfer. 97 (vgl. dazu die Berichtigung. 608). Storch, O. , Die modernen Herings- forschungen. 625. Stromer, E., Funde fossiler Wirbeltiere in den deutschen Schutzgebieten in Afrika. 760. Trojan, E., Das Leuchten und der Far- bensinn der F'ische. 785. 38S:{9 Register. Valentiner, S. , Probleme der Gas- theorie. 721. Valentiner, S., Das Prinzip der Rela- tivität. 769. Vogler, P., Vererbung bei vegetativer Vermehrung. 433. Völker, H, Zur Stammesgeschichte des ScbilJkrötenpanzers. 196. Wagner, W., Die Erdöl- und Asphalt- lagerstättea im Unterelsaß. 694. Wenzel, A., Kristallstruktur u. Röntgen- strahlen (Saramelreferat). 70. W e r t h , E., Die Mammuthflora von Borna. 689. Wulff, B., Heilkraft der Natur und Heil- kunst. 17. Wolf, K., Duften und Riechen. 583. Wurm, A., Die ältesten Dokumente palä- ontologischer Überlieferung. 353. II. Einzelberichte. A. Zoologie, Anatomie. Alluaud u. Jeannel: Raupen einer biologisch merkwürdigen Lycaenidenart. 617. Alverdes, Fr., Perlen und Perlbildung. 299. Amantea, Anzahl der Spermatozoen beim Coitus der Hunde. 361. Baker, E. St., Farbe und Zeichnung der Kuckuckseier. 299. Baltzer, F., Geschlechtsbestimmung bei Bonelüa. 555. Bieder mann-Imhoof, R., Spätbrutcn der Ringeltaube. 3 17. B 1 u n c k , Geschlechtsleben von Dytiscus marginalis L. 59. Boveri, Th. u. Herbst, C, Die Be- deutung der Mengenverhältnisse mütter- licher und väterlicher Substanzen für die Vererbung. 5S5. Bretscher, K. , Vogelzug über die schweizerischen Alpenpässe. 2S2. Bryandt, H. Ch., Nutzen und Schaden der westlichen Wiesenlerche. 444. Caesar, C. J., Stirnaugen der Ameisen. 557- Combault, A., .Atmung und Kreislauf des Regenwurms. 632. D rink wat er , H., Kurzfingrigkeit. 344. Eckmann, S., Problem des Vogelzuges. 37S. Ekman, Marine Relikte der nordeuro- päischen Binnengewässer. 92. Eycleshymer, C, Amphibienlarven ohne Kopf. 489. Forbes, A., Der horizontale Gleitflug der Möven. 317. Geyer, Sekundäre Geschlechtscharaktere. n8. Geyer zu Seh wepp enburg, IL, In- halt von Schreiadler-Gewöllen. 266. Grimm, K., Vorkommen des Rinder- bandwurms beim Säugling. 708. Grub er, G. B. , Toxinwirkungen, durch Trichinen bedingt. 456. Hertwig, G., Einwirkung von Radium auf die Kortpflanzungszellen von Wirbel- tieren. 119. Hesse, E., Form des Einflugloches des Schwarzspechts. 267. J oll OS, V., ..Dauermodifikationen" bei Mikroorganismen. 360. Keyl, Ein fremder Ansiedler der Warm- häuser. 521. Kowarzik, R., Der Schafochse. 119. Krizenecky, Die beschleunigende Wirkung des Hungerns auf die Meta- morphose. 220. Loeb, J., Umkehrbarkeit in der Ent- wicklung des Seeigeleies. 171. Lowe, R. P., Biologie der Hokkohühner. 317- Marc band, F., Epigastrius parasiticus. 603. Merkwürdige Bewohner der Sporangien von Pilobolus. 746. Metalnikov, Nahrungswahl bei Infu- sorien. 523. Picado, C., Bromelieufauna von Costa Rica. 569. Regen, J., Sitz des Gehörsinns bei niederen Insekten. 221. Regen, Die Anlockung des Weibchens von Gryllus campestris L. durch tele- phonisch übertragene Stridulationslaute des Männchens. 221. Rudolph, O., Verhältnis der Schädel- kapazität zum Gehirn. 394. Rüdiger, W. , Schellente in künstlicher Nisthöhle. 299. Seh arf enberg, U. v. , Experimentelle Beeinflussung der Dauereibildung und des Geschlechts bei Cladoceren. 395. Schlegel, R. , Leistungsfähigkeit des Haussperlings im Eierlegen. 282. Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. 59. S h u 1 1 1 Lebensfähigkeit der Dauereier von Hydatina senta und die Vererbung dieser Eigenschaft. 281. St ei nach, Feminierung von Männchen und Maskulierung von Weibchen. 188. Stingelin, Neue tropische Plankton- organismen. 396. Surbeck, G., Zahl der Eier einiger Süßwasserfische. 7S1. Surbeck, G., Geschlechtsverteilung bei den Fischen. 791. Tandler, J. u. Groß, S., Biologische Grundlagen der sekundären Geschlechts- charaktere. 631. Thilo, Das Schnellen der Springkäfer. 280. Thienemann, A., Sauerstoft'gehalt und Fauna des Tiefenwa'sers unserer Seen, loi. Traunsteiner, M., Dinoflagellatcn als Ursache des roten Schnees. 618. Uttendörfer, O., Verhältnis der Raub- vögel zur übrigen Vogelwelt. 252. Wohlgemuth, R., Fortpflanzung der Süßwasserostrakoden. 424. Woltereck, R., Schwebefortsätze pela- gischer Cladoceren. 154. Woodruff, L L., Kopulation von Pro- tozoen. 317. Woodruff, Konjugierende und nicht- konjugierende Rassen von Paramaecium. 503- Zander, Geruchsvermögen der Bienen. 102. B. Physiologie, Vererbungslehre. Adler, L., Entfernung der Thymus und Epiphyse bei der Froschlarve. 709. van Alstyne und Beebe, EinfluiS der Ernährung auf das Wachstum der Ge- schwülste. 650. I Aurcnche, H. und Loncheux, M. G., Abweichungen des Stoffwechsels von der Norm bei übermäßiger Muskelarbeit. 378. Baunacke, Die Statocysten. 822. Bayeux und Chevallier, Zunahme der Zahl der Blutkörperchen mit der Höhe. 6t8. Chauffard, Larosche u. Grigaud, Cholesteringehalt der Nebennieren- kapseln. 490. Decker, Kißkalt, Tierisches oder pflanzliches Eiweiß? 710. Droge, K., Einfluß der Milzexstirpation auf die chemische Konstitution des Tierkörpers. 750. Edinger, L. und Fischer, B., Mensch ohne Grol3hirn. 187. Funk, C, Ein unentbehrlicher Bestand- teil unserer Nahrung. 264. V. Gulat- Wellen bürg, Ein außer- ordentlicher Fall von menschlichem Wiederkauen. 253. Haempel, O. und Kolmer, B., Ab- hängigkeit der Hautfarbe von der Färbung der Umgebung besonders des Untergrundes bei Fischen. 793. Heß, C, Lichtsinn mariner Würmer und Krebse. 266. Heß, C, F'arbensinn ist bei Mensch und Tier verschieden. 299. Heß, C, Gesichtssinn der Fische. 300, Heß, C, Farbensinn fehlt den Krebsen. 301. Hinderer, Th., Die Verschiebung der Vererbungsrichtung unter dem Einfluß der Kohlensäure. 219. Küster, Cohendy, Wollmann, Baktcrienfreie Tiere. 633. Lecaillon, Rudimentäre natürliche Parthenogenese. 603. Lloyd, D.J. und Loeb, J., Künstliche Parthenogenese. 233. Mayer, A. und Schaefer, G., Lipoide. 709. Mauriac, P. und Strymbau, M., Cholesteringehalt des Blutes. 456. Miramond de Laroquette, Das Verhältnis der nötigen Nahrungsmenge zur Außentemperatur. 411. Modena, G., Totales Fehlen des Ge- hirns und Rückenmarks. 188. M u r i s i e r , .Abhängigkeit der Hautfärbung von äußeren Faktoren bei Am]>hibien.5o6. Newman, Vererbung bei Kreuzung von Knochenfischen. 523. Nußbaum und Oxner, Merkwürdige Doppelbildungen bei Nemertinen. 425. Osowski, Hirss-Elia, Die Beweg- lichkeit von Körperzellen. 3 16. Pezard, A. , Sekundäre Geschlechts- merkmale. 412. Phisalix, M., Verhalten der Kaltblüter gegen das Tolhvulgift. 650. Pogonoska, Einfluß chemischer Fak- toren auf die Farbveränderung des Feuersalamanders. 507. Przibram, H., Grüne tierische Farb- stoffe. 253. Sabatani, Kolloidaler Kohlenstoff als Gegenmittel bei Vergiftungen. 651. Secerov, S. , Die Wirkung der ultra- violetten Strahlen auf die Haarfarbe des Kaninchens und Meerschweinchens. 616. Terroine, E. F., Gehalt des Körpers an Fettsäuren und Cholesterin. 749. Register. m Volz, Baumeister, Harms, Das Auge von Periophthalmus, Boleophthal- mus und Anablcps. 362. C. Botanik, Bakteriologie, Bodenkunde. Hassali k, Zersetzung der Oxalsäure. 39. Boysen-Jensen, P. , Reizleitung im pliotolropen Keimling. 249. Buder, J. , Ein merkwürdiger Mikro- organismus. 413. D ' Angrem ond , A., Parthenokarpie der Eßbananen. 493. Darwin, Fr., Einfluß der Luftfeuchtig- keit und des Lichtes auf die Transpi- ration der Pflanzen. 714. Uuggar und Cooley, Einfluß der Bordeauxbrühe auf die Transpiration. 715- Ehrenberg, P. , Gasvergiftung bei Slraßenbäumen. 359. Ernst, Parthenogenesis von Balanophora. 74- Frimmcl, Fr. v., Antike Samen aus dem Orient. 6S0. Guillermond und C o m b e s , Vom Anthocyan. 171. Haberlandt, G., Barymorphose und Statolithentheorie. 394. Hansteen, B., Giftwirkung von Metall- ionen und der Lipoidgehalt der Zell- membranen. 357. Heilbronn, A., Zustand des Plasmas und Reizbarkeit. 744- Hesse, Haben polare Tiere einen sterilen Darm ? 203. Hook er, H. D. , Können die Pflanzen- wurzeln Temperaturunterschiede wahr- nehmen ? 521. Hoyt, W. D., Einwirkung kolloidaler Metalle auf Zellen. 379. Jacobacci, V., Zeugnis zugunsten der Statolithentheorie. 584. Koch, A. , Ungünstige Wirkung des Nadelhumus. 619. Kniep, H., Assimilation und Atmung der Mceresalgcn. 647. Knoll, F., Ausgleiten der Insektenbeine an wachsbedeckten Pflanzenteilen. 745. Kruis, Bakterienkerne. 40. Kylin, H., Enzymregulation bei Schim- melpilzen. 703. Lakon, G. , Protoplasmaströmung in Pflanzenzellen. 635. Lipmann, C. B. und Burgess, F. S., Einfluß der Schwermelallsalze auf Aramonifizierung und Nitrifizierung im Boden. 602. L i p m an , Ch. B., Antagonismus der Salze und seine Bedeutung für den Pflanzen- bau. 601. Magnus, P. , Der Eichenmehltau auf amerikanischen Eichen. 185. Magnus und Baccarini, P., Daedalea unicolor als Baumschadiger. 222. Neeff, Fr., Zellumlageruugen unter pola- rem Richtungsreiz. 552. Noack, Lichtrichtung und phototropische Erregung. 99. Peirce, Einfluß des Lichtes auf das Wachstum. 40. Petrucci, G. B., Entstehung der Terra di Siena durch Bakterienwirkung. S7I. Rasdorsky, W. , Die mechanischen Eigenschaften der Pflanzengewebe. 502. Rieh et, Gh., Erbliche Gewöhnung nie- derer Organismen an Gifte. 329. Schley, E. ü., Säuregehalt und geolro- pische Reaktion. 139. Sierp, Körpergröße und Zellengröße. 39. Söhngen, N. L. und Fol, J. G. , Zer- setzung von Kautschuk. 2 16. Stoklasa, J. und Zdobnicky, V., Einfluß der radioaktiven Emanation auf die Entwicklung der Pflanzen. 171. Wächter, W., Hydronastische Bewegun- gen. 153. Wolff, J., Eisen und Pflanzenwachstum. 140. Z a e p f e 1 1 , E. , Beziehungen zwischen Spaltöftnungen u. heliotrop. Empfind- lichkeit. 616. bleme der meteorologischen Forschung in der Antarktis. 445. Penck,A., .antarktische Probleme. 250. Reinhard, A. v., Eiszeit und Kaukasus. 779- Sapper, K., Abtragungsvorgänge in den regenfeuchten Tropen und ihre morpho- logischen Wirkungen. 426. Shitkow, Neues Land im Nordpol- beckcn. 343. Thoroddsen, Th. , Polygonboden und thufur auf Island. 214. Volz, W., Der malayische Archipel, sein Bau und sein Zusammenhang mit Asien. 121. Waibel, L., Der Mensch im Wald und Grasland von Kamerun. 554. D. Völkerkunde, Anthropologie. F- Geologie, Paläontologie. Boas, Fr. u. M. , Regionale Variations- breite der Kopfform der Bevölkerung Italiens. 747. Büchner, L. W. S. , Tasmaniermisch- linge. 734. Fehlinger, Zur Anthropologie Groß- britanniens. 794- Frobenius, Probleme der afrikanischen Völkerpsychologie. 89. Heape, Eine neue Erklärung von Exo- gamie und Totenüsmus. 89. Klaatsch, H., Anfänge von Kunst und Religion in der Urmenschheit. 441. Kuhn, Ph. , Pygmäen am Sanga. 668. Luschan, F. v.. Anthropologische Unter- suchungen auf der Insel Kreta. 186. Reitzenstein, R. v., Kreuzung von Menschenrassen. 279. Spencer, B., Die Stämme des Nord- Territoriums von Australien. 763. Stefan ss o n, V., Die „blonden Eskimo". 409. Thurnwald, Erforschung des geistigen Kulturbesitzes der Völker. 40. Thurnwald, Kulturbesilz der Papua- Melanesier. 75. Tillinghast, B., Vermehrung und fort- schreitende Bastardierung der Neger- bevölkerung der Vereinigten Staaten. 711. E. Geographie, Meteorologie. Behrmann, Oberflüchengestaltung des Harzes. lO}. Behrmann, W., Geographische Ergeb- nisse der Kaiserin-Augusta-Fluß-Expe- dilion. 489. Gehne, Heim,Mawson, Forschungs- reisen. 604. Hettner, Die Abhängigkeit der Form und Landoberflüche vom inneren Bau. 43- Hettner, Rumpfflächen und Pseudo- rumpfflächen. 103. Koch und We gener, Durchquerung Grönlands 1912/13. 2S3. Lautensach, Stand unserer Kenntnisse vom präglazialen Aussehen unserer Alpen. 58. I^ucerna, Die Flächengliederung der Montblancgruppe. 5Ö. Martinez, Meteorologisches von der Osterinsel. 360. Maurer, Ursache der Gletscherschwan- kungen. 252. Meinardus, W., Aufgaben und Pro- C a B 1 e r , R. S., Platte mit C r i n o i d e e n. 213. Beyschlag, F., Preußische Geologische Landesanstait , 40Jähr. Jubiläum. 504. Bill, Ph. C., Crustacecn aus dem Volt- ziensandstein des Elsasses. 679. Dahms, P., Verwitterungsvorgänge am Bernstein. 666. Dambergis, A. und Komnenos, T., Lößregen 537. Hundt, R., Neue Cyrtograptenfunde im Mittel- und Obersilur Ostthüringens (Sammelbericht). 701. Karmin, W., Ursachen der vulkanischen Ausbrüche. 587. Keilhack, K., Tropische und subtro- pische Flach- und Hochmoore auf Ceylon. 634. Keßler, P., Entstehung von Schwarz- wald und Vogesen. 602. Koenigsberger, J., Die Wärmeleitung der Gesteine und die Temperatur in der Tiefe. 2 14. Kranz, W., Militärgeologie. 792. Nopcsa, Fr., Lebensbedingungen der Dinosaurier. 821. Philipp, H. , Untersuchungen über Gletscherstruktur. 667. Quiring, H. , Niederschlesische Gold- vorkommen. 490. Reck, H., Fossiler Menschenfund in Deutsch-Ostafrika. 254. Stromer, R., Saurierfunde in Deutsch- Südwestafrika. 74S. G. Chemie, Mineralogie. .Anschütz, R-, Die Entwicklung der graphischen chemischen Formeln. 732. Asahina, Y., Anemonin. 393. Bechhold, Kolloidale Lösungen des Mononatriumurats. 525. Beckmann, Chemische Verbindung von Jod und Selen 121. Bellucci, J. und Corelli, R., Ver- bindungen des einwertigen Nickels. 298. Brandt, R., Absorption des Stickstoffs durch Calcium. 793- Chick, H. und Martin, C. J., Hitze- koagulation von Eiweißkörpern. 572. Dafert, F. W., u. Miklanz, R., Neue Verbindungen von Stickstoff und Wasser- stoff mit den Erdalkalimetallen. 282. Di eis. Ein neues Kohlenoxyd. i88. Dziewönski, K., und Leyko, Z., Neue hochmolekulare Kohlenwasser- stoffe. 762. Eberhardt, G., Das Scandium. 732. IV Register. Faust, Wieland u. Weil, Bufotalin, das Gift der Kröten. 38. Fenner, Cl. N., Stabililätsbeziehungen der Kieselsäuremineralien. 491. Fischer, E., Depside, Flechtenstoffe und Gerbstoffe. 55. Freundlich, H. u. Elissafoff, G. v., Wertigkeitsbestimmung des Radiums. 151. Gooch, F. A. und Kuzirian, S. B., Einwirkung von geschmolzenem Natrium- parawolframat auf die Salze flüchtiger Säuren. 262. Halle, W. u. Pfibram, E., Neue Bei- träge zur Chemie des Tabaks. 457. H edvall, J. A., Rinman's Giün und Kobaltmagnesiumrot. 713- Henglein, M., Ein neues Mineral. 297. Hofmann, K. A. u. H ö s cli e 1 e , K., Wasserfreies Magnesiumchlorid. 235. Joannis, Kaliumcarbonyl. 475. Kanolt, C. W., Die Schmelzpunkte einiger refraktärer Oxyde. 199. Knoevenagel, E., Neue Forschungen über Acetylcellulose. 699. Koh 1 sc hü tter, V., Über die Erschei- nungsformen de$ elementaren Silbers. 149. Lummer, Versuche über VerilüssigUDg und Sieden von Kohle. 37. iVIarcusson, Hydrolyse der Fette. 38. Mecklenburg, W. und Rosen- kränzer, F., Kolorimetrische Bestim- mung des Schwefel wasserstofles in Form des Methylenblaus. 413. Michel, H., Unterschied zwischen Birma- und Siamrubinen. 455. Ost, Zellulose, Zucker, Alkohol. 120. Palache, C. und Seh all er, W. T., Neue Mineralien. 474. R i e s e n f e 1 d , E. H. u. M i 1 c h s a c k , C, Bestimmung des Hydralionsgrades von Salzen in konzentr. wässr. Lösungen. 537- Rosenkränzer, Die Reaktionsgeschwin- digkeit in heterogenen Systemen. 747. Ruf f und Tschirch, Fluoride des Os- miums. 72. Skrabal, A. u. Weberitsch, S. R., Ein einfacher Fall von Abnahme der Reaktionsgeschwindigkeit mit steigender Temperatur. 219. Stock, A. u. Prätorius, P. u. Willf- roth, E., Darstellung und Eigen- schaften von Selenscliwefelkohlenstoff und Tellurschwefelkohlenstoft". 235. Strutt, R. J., Über eine chemiseh-aktive Modifikation des Stickstoffs. 102. The Svedberg, Die Ergebnisse der KoUoidforschung. 216. Traetta M osca, E., Chemie des Ta- baks. 457. U m p 1 e b y , J. B., S c h a 1 1 e r , W. T. u. Larsen, E. G., Custerit. 443. Wahl, W., Über die optischen Eigen- schatten von kristallisiertem Wasserstoff, Sauerstoff, Argon u. a. Stoffen. 137. Wienhaus, H., Ester der Chromsäure. 254. Wieland, H. u. Üffenbacher, M., Neues organisches Radikal mit vier- wertigem Stickstoff. 793. Will, W., Nitroverbindungen aus Toluol und Benzol. 263. Will, W., Hexanitroäthan. 457. Willstätter, R. u. Page, H. J., Pig- mente der Braunalgen. 7S1. Willstätter u. Everest, Die Farb- stoffe der Kornblume. 254. Wood, R. W., Eine einfache Methode zur Erzeugung einer sehr intensiven Natriumtlamme. 316. Katalytischc Wirkung des Rutheniums. 713- H. Physik. Barkla, Ch., Charakteristische Röntgen- strahlen. 152. Becker, A. und Ramsauer, C, Radio- aktive Meßmethoden und Einheiten. 700. Behnken, H., Lichtelektrische Zelle als Empfangsinstrument für drahtlose Tele- graphie. 633. Broglic, M. de, Methode, die Spektra der Röntgenstrahlen zu photographieren. 152. Brunert, L., Beeinflußbarkeit der Zer- fallsgcschwindigkeit von Radiumemana- tion. 262. Buchwald, E., Beugung des Lichtes an Raumgittern. 377. Dessauer, F., Radiumiihnliche X-Strah- lung. 762. Elster und G eitel, Verwendung licht- elektrischer Zellen zur Photometrie der ultravioletten Sonnenstrahlung. 100. Elster und Geitel, Radioaktivität der .Atmosphäre. 37. Eucken, A. , Adsorptionserscheinungen. 423- Kolhörster, W., Messungen der durch- dringenden Strahlungen. 649. Frank, J. und Hertz, G. , Zusammen- stöße zwischen Elektronen und den Molekülen des C,)uecksilbcrdampfcs und der Jonisicrungsspannung derselben. 648. Grotian u. Runge, Cyanbanden. 507. Hallwachs, Wiedma un, Freden- hagen, Neues von der Lichtelektrizilät. 343- Kalähne, A. , Akustisches Verfahren zur Dichtemessung von Gasen und Flüssigkeiten. 330. Kahler, K., Emanationsgehalt der Boden- luft. 170. Kerschbaum, F., Röntgenrohr nach Coolidge. 571. Langevin, Energieträgheit. 201. Lindemann, F. A., Die Grundlagen der Atommodelle. 359. Partington, J. R. , Bestimmung des Verhältnisses der spezifischen Wärmen des Chlors. 525. Planck, M., Dynamische und statistische Gesetzmäßigkeiten. S25. Planck, W., Optische Konstanten dünner Kupferschichten. 525. Reich, Energiemessungen an Empfangs- .antennen. 39. R o h m a n n , H., Röntgenspektroskop. 490. Schönborn, H. , Sammelbericht über die gegenwärtigen Kenntnisse über die (5-Strahlen. 440. Seemann, H. , Röntgenspektrum des Platins. 791. Stark, Darstellung von Argon. 92. Uspenski, N., Lochkamera für Röntgen- strahlen. 617. Wien, Die magnetische Beeinflussung der Wasserstoft'kanalstrahlen. 202. Wien, M , Programm der radiotelegra- phischen Ausbreitungsversuche bei Ge- legenheit der Sonnenfinsternis am 21. Aug. 1914. 649. Wieselsberger, C. , Luftwiderstand eines Freiballonmodells. 537. Wright, J. R. und Smith, O. F., Ra- diumemanation. 170. Wulf, Th., Einfadenelektrometer. s86. Zenneck, J,, Demonstration und Photo- graphie von Strommengen im Innern einer Flüssigkeit. 680. I. Astronomie. Belopolski, Spektrallinicn. 14I. Borelli, Veränderlichkeit der Nebel. 154- Chevalier, Photographie der Photo- sphäre. 222. D a n j o n , Umdrehungszeit der Venus. 666. Dcnning, Meteore. 474. Evershed, Druck in der umkehrenden Schicht der Sonne. 474. Fath, Nebelflecken. 343. Fessenkoff, Ursprung des Zodiakal- lichts. 763. Fournier, Comas Sola, Vorgänge auf dem Mars. 331. Furuhjelm, Begleiter zur CapcUa. 342. Guthnick, Veränderlichkeit der Satel- liten des Jupiter und Saturn. 619. Hayn, Bestimmung des Moudortes. 172. Hnatek, Durchmesser und Temperatur der Sterne. 423. Hofmeister, Sternschnuppen. 445. King, Lichtabsorbierendes Medium im Räume. 342. Lampland, Komet 1910a. 233. La place, Stabilität unseres Planeten- systems. 233. Lau, Planeten jenseits des Neptuns. 763. Le Morvan, Photographischer .Mlas des Mondes. 703. Lowell, Umdrehungszeit des Mars. 331, 666. Luizet, Die veränderlichen Sterne vom Typus S Cephei. 140. Lunt, Vergleichsspcktrum. 714. Müller u. Krön, Spektralphotometrische Messungen zur Bestimmung der .Aus- löschung des Lichtes in der Atmosphäre und der Energieverteilung im Sonnen- spektrum. 331. Nashan, Beziehungen zwischen Farbe, Spektrum und Parallaxe der Fi.xsterne. 444- Ol live, Elemente der bekannten Monde. 378. Picke ring, Veränderungen am Mond- krater Eimmart. 378. Roß, Tierkreislicht. 331. Shapley, H., Doppelsterne. 141. Shaw, Kn., Die dunklen Stellen in der Milchstraße. 412. Slipher, Umdrehung eines Spiralnebels. 666. Stürmer und Birkeland, Studium des Nordlichtes. 185. 60 zölliges Spiegelteleskop. 266. Immer engere Doppelsternpaare. 413. Kometenfamilie des Neptun. 456. Sterne mit auffallend großer Bewegung in der Gesichtslinie. 713. III. Kleinere Mitteilungen. a. Physik, Technik, Chemische Industrie. Radioaktivität und Atomtheorie. I08. Mesothorium. 123. Register. Technische Neuerungen der feinkerami- schea Industrie (Bürger). 827. Zellulose, Zucker, Alkohol (nach Will- stätter). 45. Neuere Verwendungsarten von Karbid und Azetylen und deren Rückwirkung auf die Entwicklung anderer Industrien (n. Fraenkel). 46. Dynamit im Dienst der Landwirtschaft. 60. Zur Geschichte der Zündhölzer. 61. Schlagwetteranzeige und die Haber'sche Schlagwcltcrpfeifc. 77. Die Nitra-Lampe. 107. Die BilliterKerze. I42. Quarzgut. 155. Geschichtliche Notizen zur allmählichen Vervollkommnung der Tinte (n. P. Mar teil). 190. Die Verwendung des Kupfers. 384. A.-E.-G.-Zweidecker. 527. Aluminiumlöt- und Schweifimethoden (n. Heraus). "Jib. Etwas von der Zelluloidindustrie. 795. Zusammensetzung der zur Einbalsamie- rung dienenden Harze (n. Reutter). 236. Über die Entfernung von Druck und Schriftzeichen aus bedrucktem Papier (n. Kurtz-H ähnle). 716. Aufnahme von kleinen Naturobjekten usw. (Or., Frank). 735. Stickstoffquellen. Ein neues Verfahren zur Gewinnung von Zellulose aus Holz und Gespinstfasern und zur Beseitigung der abfallenden Laugen (n. König u. H äsen bäumer). 267. Ein neues Verfahren von Unschädlich- machung und Wiedergewinnung von Abfalllauge (n. L o ch nerwe rk e). 735. Chemisches Mittel gegen Schädlinge der Kulturpflanzen (n. Molz). 106. Menhadenindustrie (n.Turr en tine). 125. b. Nahrungsmittelchemie. Heil- und Nahrungsmittelreste in alt- ägyptischen Leichen (n. Netoltzky). Bestimmung des Methylalkohols in Spiri- tuosen (n. H et per). 93. Giftigkeit des Methylalkohols (n. Kroe- ber). 174. c. Zoologie, Botanik. Walloneneiclien in ihrer Pflanzen- und wirtschaftgeographischen Bedeutung (n. K. Burk). 172. 70 proz. Alkohol zeigt die größte des- infizierende Wirkung (n. Tijmstra). 237. Der Einfluß des letzten nassen Sommers auf malakozoologischera Gebiet (Or., R. Schmitt) 267. Fischfang mit Draclien (Or., Mi ehe). 284. Postmortale Veränderungen beim Wild- pret (n. W e i s c h e r u. M ö 1 1 e r), 349. Wendehals und Sperber (Or., Brock- meier). Drohende Ausrottung von Fischotter und Fischreiher? (Or., Thienemann). Mit dem Hochwasser wandernde Schmetter- linge (Or., Brockmeier). Einige auffallende Beispiele von Mimikry bei tropischen Insekten (Or., Mi ehe). 651. Fremdkörper in Vogeleiern (Or., Rei- neck). 574. Delphine in der Gefangenschaft (n. T o w n s e n d). 'J\6. Einseitige Schädigung von Bäumen durch Rauchgase (Gr., W. Wenz). 795. d. Geologie, Urgeschichte. Ein wichtiger Fund aus der Ancyluszeit (Or., Philippsen). 236. Eine Austernbank aus der Litorinazeit (Or., Philippsen). Weitere Zerealienfunde vorgeschichtlicher Zeit aus den sächsich - thüringischen Ländern (Or., Mötetindt). 463. Über angebliche Hebungen und Senkungen an Pommerns Küsten nach der Litorina- zeit (Or., Kranz). 669. Zwei lehrreiche Profile aus dem Franken- wald. Zwei Natururkunden (Or., Hund t). 680. e. Meteorologie, Astronomie. Nebel von Schutt. 78. Eine Beobachtung des grünen Strahles (Or., Riera). 636. Wie dick sind die Wolken? (n. Kann). f. Medizin, Tierheilkunde. Mittel gegen Schlaflosigkeit (n. Ebstein) 350. Eugenik (n. Seilheim). 682. Über Geisteskrankheiten und andere Ent- artungszeichen im Indischen Reich. 717, Echinorbynchen im Darm des Wasser- geflügels (n. Zschoke und Feuer- eissen). 109. Sarkosporidien bei den Haustieren (n. Bergmann). 126. Stollbeule der Pferde (n. Sustmann u. Magnussen). 156. Tuberkulose und Milch (n. v. Oster tag) 383- Was ist Schweinepest? (n. Sehern u. Stange). 508. Kriegschirurgische Verletzungen im Balkan- kriege (n. Hertels). 127. Tuberkulosebehandlung (n. F r i e d m a n n). 142. Schlafkrankheit in Uganda (n. S c h i 1 1 i n g). 155- Tollwut (n. Koch). 173. Der heutige Stand der Organtransplan- tationen (n. Stich). 191. Wärmeapplikation (n. D r e e s e n , B u s s e). 2^7- Wiederanheilung einer fast vollständig abgeschnittenen Hand (n. Schloess- mann). 588. Linsenstar des Auges (n. F. Schanz). 715- g. Verschiedenes. Weltwirtschaftliche Probleme Ostasiens (n. v. W ies e u. K ais er s wal d au). 156. Steigerung des Fettgehaltes der Milch (n. Grumme). 527. IV. Bücherbesprechungen. Abderhalden, E., Abwehrfermente des tierischen Organismus usw. 459. Abel, O., Die Tiere der Vorwelt. 317. Andree, K., Über die Bedingungen der Gebirgsbildung. 45S. Annual Report of the Bureau of American Ethnology. 28, 416. Arber, A., Herbais, their origin and evolution. 63. .Auwers, K. v. u. Boennecke, A., Tabellen zur Berechnung der „theore- tischen" MolrefraUtionen organischer Verbindungen. 364. Auerbach, F., Die Weltberrin und ihr Schatten. 539. Banse, E., Illustrierte Länderkunde. 382. Barthel, E., Die Erde als Totalebene. 460. B a V i n k , .Mlgemeine Ergebnisse und Pro- bleme der Naturwissenschaft. 494. Bateson, W. , Problems of Genetics. 495- Bat es, O. , The Eastern Libyans. 76Ö. Bauer, H., Geschichte der Chemie I. 527. Bauer, H., Analytische Chemie des Methylalkohols. 12S. Bardeleben, K. v.. Die Anatomie des Menschen. 302. Benussi, V., Psychologie der Zeitauf- fassung. 192. Ben dt, Fr., Grundzüge der Differential- und Integralrechnung. 30I. Berg, L., Das Problem der Klimaände- rung in geschichtlicher Zeit. 751. Berg, A., Geographisches Wanderbuch, 346- Bergius, Fr., Die Anwendung hoher Drucke bei chemischen Vorgängen und eine Nachbildung des Eatstehungs- prozesses der Steinkohle. 346. Bernoulli, J. , Auswahl aus seinen mathematischen Vorlesungen. 576. Bjerrum, N. , Die Theorie der alkali- metrischen und azidimetrischen Titrie- rungen. 590. Bluntschli, H. , Über die individuelle Variation im menschlichen Körperbau usw. 416. Boas, J. E. V., Lehrbuch der Zoologie. 271. Bolk, L., Die Ontogenie der Primaten- zähne. 540. Bortkiewicz, L. v.. Die radioaktive Strahlung als Gegenstand wahrschein- lichkeitstheoretischer Untersuchungen. 622. Boveri, Th., Zur Frage der Entstehung maligner Tumoren. 637. Bragg, Durchgang der «-, /J-, ;'- und Röntgenstrahlen durch Materie. 463. Brandt, B. , Studien zur Talgeschichte der Großen Wiese im Schwarzwald. 510. Brehm's Tierleben. Säugetiere. 2. Bd. 830- Birkeland, Kr., Über die Ursachen der erdmagnetischen Stürme. 209. Brohmer, P., Fauna von Deutschland. Ein Bestimmungsbuch. 6S4. Bronsart v. Schellendorf, Fr., Novellen aus der afrikanischen Tier- welt. 415. Brunswig, H., Die E.Nplosivstoffe. 686. Brücke, E. Th. v. , Über die Grund- lagen und Methoden der Großhirn- physiologie. 575. Brückmann, R., Palmnicken, Beobach- tung über Strandverschiebung an der Küste des Samlands lU. 363 VI Register. Bryk, Kurzes Repetitoriuin. II. Orga- nische Chemie. 475. Chodat, P., Monographie d'algues en culture pure. 332. Church, G. E. , Aborigines of South America. 7S1. Clements, F. u. E. , Rocky Mountain Flowers. 718. Clifford, W. K., Der Sinn der e.xakten Wissenschaft. 204. Cresson, A., L'espuce et son serviteur. 205. Da hl, Fr., Vergleichende Physiologie und Morphologie der Siiinnentiere usw. 95- DeHaas-Lorentz, G. L., Die Brown- sche Bewegung usw. 192. Der Mensch aller Zeiten. 750. Diapositive zu H. Potonie's Entstehung der Steinkohle. 6S3. Die Ansiedlung von Europäern in den Tropen. 687. Dittrich, O., Die Probleme der Sprach- psychologie. 347. Doliarius, Alle Jahreskalendcr auf einem Blatt. 460. Drude, O., Die Ökologie der Pflanzen. 128. Dugmore, A. R., Wild -Wald -Steppe. 270. Eckard t, W. R. , Praktischer Vogel- schutz. 575. Egge 1 in g, H. , Physiognomie und Schädel. 415. Ehrlich , P. , Eine Darstellung seines wissenschaftlichen Wirkens. 620. Einstein, A. und Groß mann, M., Entwurf einer verallgemeinerten Rela- tivitätstheorie und einer Theorie der Gravitation. 52S. Eisenlohr, P. , Die Spektralchemie organischer Verbindungen usw. 540. Estreicher, Tad. , Über die Kalori- metrie der niederen Temperaturen. 429. Fester, G., Die chemische Technologie des Vanadins. 576. Festschrift für Karl SudhofT. 159. Findlay, AI., Der osmotische Druck. 479- Fischer, J., Das Problem der Brütung. 416. Flaskämper, P. , Die Wissenschaft vom Leben. 223. Forel, A., Die sexuelle Frage. 447. Fortschritte der Mineralogie, Kristallo- graphie und Petrographie. 557. Franke, H., Dre Umrisse der Kristall- flächen und die Anfertigung von Kristall- modellen. 590. Frech, F., Allgemeine Geologie. 718. Freundlich, H., Kapillarchemie und Phy.siologie. 478. Friedländer, J., Beiträge zur Kennt- nis der Kapverdischen Inseln. 493. Fuchs, C. \V. C., Anleitung zur Bestim- mung der Mineralien. 5 89. Gebhardt, P., Mit der Kamera auf Reisen. 590. G eitel, M., Schöpfungen der Ingenieur- tecbnik der Neuzeit. 640. Geologisch-agronomische Karte usw. Lie- ferung 164. 591. Geologische Karte von Preußen und be- nachbarter Bundesstaaten. 606. Gesellschaft für Linde's Eismaschinen Abteilung für Gasverflüssigung. Tech- nik der tiefen Temperaturen. 459. Geyer, Fr. X., Durch Sand, Sumpf und Wald. 671. Goeldi, E. A., Die Tierwelt der Schweiz. 1. Bd. 830. Gohlke, K., Die Brauchbarkeit der Serumdiagnostik für den Nachweis zweifelhafter Verwandtschaftsverhält- nisse im Pflanzenreich. 332. Goldbeck, Das edle französische Pferd. III. Goldhammer, A., Dispersion und Ab- sorption des Lichtes. 475. Goßner, B. , Kristallberechnung und Kristallzeichnung. 47S. Gradmann, R., Das ländliche Siede- lungswesen des Königreichs Württem- berg. 2S5. Großmann, H., Die Bestiramungs- methoden des Nickels und Kobalts usw. 345- Groos, K., Das Seelenleben des Kindes. 174. Grünvogel, Edw., Geologische Unter- suchungen auf der HohenzoUernalb. 736. Haberlandt, L. , Das Ilerzflimmern. 591. Haeckel, W., Ernst Ilacckel im Bilde. 334- Haenlein, Das Alter der Erde. 479. Hägglund, E. , Hefe und Gärung in ihrer Abhängigkeit von Wasserstoff- und Hydro.iylionen. 686. Hahne, Fr. , Leitfaden der Filmphoto- graphie. 7°4' Handbuch der naturgeschichtlichen Tech- nik für Lehrer und Studierende der Naturw. 510. Handbuch der Tropenkranklieiten. 26S. Hann, J., Lehrbuch der Meteorologie. 3. Aufl. 365, 816. Hansen, A., Repetitorium der Botanik usw. 79^' Hartmann, N., Philosophische Grund- fragen der Biologie. 203. Haub er risser, G., Herstellung photo- graphischer Vergrößerungen. 719. Hausschwammforschungen. 29. Hay, O. P., The extinct Bisons of North- America. 477. Hegg, E., Das Ewige im Zeitlichen. 704. Hegi, G, Aus den Schweizerlanden. 543. Heilborn, A., Entwicklungsgeschichte des Menschen. 302. Herpetologia europaea 28. Hesse, R. und Doflein, Fr., Tierbau und Tierleben, 111. Band. 655. Himmelbauer, A., Mineralogie und Petrographie usw. 127. Hirt, W., Das Leben der anorganischen Welt. 381. Hoffmann, C, Ältere und neuere An- sichten über das Erdinnere. 47S. Hoffmann- Giesenhagen, Alpen- flora. 685. Hönigswald, R-, Die Skepsis in Philo- sophie und Wissenschaft. 765. Hörn, C, Goethe als Energetiker. 42g. Hughes, A. L., Photo-Electricity. 446. Hundt, R. , Geologische Wanderungen im mittleren Eislertale. 509. Jacob i, A., Mimikry und verwandte Er- scheinungen. 15. Jahrbuch der Deutschen Mikrologischen Gesellschaft. 319. Janson, O., Das Meer und seine Er- forschung. 683. Jentsch, Ernst Robert Mayer, seine Krankheitsgeschichte usw. 381. Jezek, B., Aus dem Reiche der Edel- steine. 6S6. Johannsen, W., Elemente der exakten Erblichkeitslehre. 319. Jost, L. , Vorlesungen über Pflanzen- physiologie. 127. Kafka, G, Einführung in die Tier- psychologie usw. 366 (vgl. Berichti- _ gung. 704). Kalähne, A., Grundzüge der mathe- matisch-physikalischen Akustik. 459. Kammerer, P., Genossenschaften von Lebewesen auf Grund gegenseitiger Vorteile. 28. Karny, H. , Tabellen zur Bestimmung einheimischer Insekten. I. 285. Karte der nutzbaren Lagerstätten Deutsch- lands. 143. Kassowitz, M. , Gesammelte Abhand- lungen. 639. Keller, O., Die antike Tierwelt. Iio. K er n er V. Marilaun , A., Pflanzenleben. 268. Kerschensteiner, G., Wesen und Wert des naturwissenschaftlichen Unter- richts. 348. Klein, F. u. Sommerfeld, A. , Über die Theorie des Kreisels. 654. Klunzinger, C. B., Die Rundkrabben des roten Meeres. 205. Knauer, Fr,, Der Zoologische Garten. 684. Kochalsky, A., Das Leben und die Lehre Epikurs. 782. Kolk witz, R., Pflanzenphysiologie. 238. Kryptogamenflora für Anfänger Band IV. 7«3- Kultur der Gegenwart, 3. Teil, 4. Abtei- lung, 4. Band, 476. Lanessan, J. L. de, Transformisme et Creationisme. 349. Laue, M., Das Relativitätsprinzip. 528. Leifl, C. und Schneiderhöhn, H., Apparate und Arbeitsmethoden zur mikroskopischen Untersuchung kristalli- sierter Körper 76=;. Lenz, Fr., Über die krankhaften Erb- anlagen des Mannes und die Bestimmung des Geschlechts beim Menschen. 509. Lerch, L., Geologische Wanderungen in der Umgegend von Hannover. 380. Lorscheid, J. , Lehrbuch der anor- ganischen Chemie. 397. Löwenheim, L., Die Wissenschaft Demokrits usw. 237. Ludowici, A., Das genetische Prinzip. 766. Lundegardh, II., Grundzüge einer chemisch -physikalischen Theorie des Lebens. 495. Lux, H. , Das moderne Belenchtungs- wesen. 366. Magnus, W. , Die Entstehung der Pflanzengallen. 475. Mangold, E., Die Erregungsleitung im Wirbeltierherzen. 718. Martin, Die sogenannte Blutsverwand- schaft zwischen Mensch und Affe. 29. Maurer, Fr., Haeckel und die Biologie. 335- van Megeren, St. G. , Ausgewählte Kapitel aus der Geologie. 718. Meyer, W. Th., Tintenfische mit bes. Berücksichtigung von Sepia und Octo- pus. 109. Register. VII Mi not, Ch. S., Die Methode der Wissen- schaft 205. Mitchell, r. C, Die Kindheit der Tiere. 494- Mull, A. , Handbuch der Sexualwissen- schaften 736. Morgan, C. L., Instinkt und Erfahrung. '75- Mofi, G. F.., The Cambridge British Flora. 527. Münch, F., Erlebnis und Geltung. 365. Naturwissenschaftliche Jugendliteratur. 137. Neger, F. W., Die Laubhölzer. 382. Neophilosophos Tis, Der Mensch und seine Kultur. 509. Nernst, \V. und Schoen flies, A., Einführung in die mathematische Be- handlung der Naturwissenschaften.?. Aufl. 158. Newcomb - Engel mann, Populäre Astronomie. 237. Nußbaum, M., Karsten, G., Weber, M. , Lelirbuch der Biologie für Hoch- schulen. 621. Offner, M., Das Gedächtnis. 159. Oppel, A., Leitfaden für das embryo- logische Praktikum usw. 302. Ostwald, VV., Moderne Naturphilosophie. 797- Pal lad in , W. J., Pflanzenanatomie. 815. Perrin, J., Die Atome. 344. Philip, J. C. , Physical chemisiry, its bearing ou biology and medicine. 175. Philippson, -X., Das Mittelmeergebiet usw. 364. Planck, M., Das Prinzip der Erhaltung der Energie. 47. Planck, M. , Neue Bahnen der physi- kalischen Erkenntnis. 414. Plassmann, Po hie, K reich gauer, Waagen, Himmel und Erde. 640. Pohl, R. und Pringsheim, P. , Die hchtelektrischen Erscheinungen. 558. Poincare, H. , Wissenschaft und Me- thode. 541. Pole, J. C, Die Quarzlampe, ihre Ent- wicklung und ihr heutiger Stand. 447. Predinger, O, Die Photographie, ihre Grundlage und Anwendung. 287. Preul3, K. Th., Die geistige Kultur der Naturvölker. 656. Preyer, A. Th., Lebensänderungen. 302. Procter, H. R., Taschenbuch für Gerbereichemiker und Lederfabrikanten. 362. Rädl, E., Geschichte der biologischen Theorien in der Neuzeit. 397. Ramsay, W., Moderne Chemie II. 685. Reitz, .'\., Apparate und Arbeitsmethoden der Bakteriologie. Bd. I. 318. Reicheno w, A., Die Vögel, Bd. I. 415. Remsen, I., Einleitung in das Studium der Chemie. 558. Reuter, O. M. , Lebensgewohnheiten und Instinkte der Insekten usw. 175. Rignano, E., L'evolution du raisonne- ment. 204.- Rinne, F., Gesteinskunde. 590. Rothe, R., Darstellende Geometrie des Geländes. 415. Rothe, K. C, Vorlesungen über allge- meine Methodik des Naturgeschichts- unterrichts. 205. Rosenthal, W. , Tierische Immunität. 239- Röseler, P. und Lamprecht, H., Handbuch für Biologische Übungen. 287. Rusch, Fr., Winke für die Beobachtung des Himmels mit einfachen Instrumenten. 656. Rüst, E. , Grundlehren der Chemie und Wege zur künstlichen Herstellung von Naturstoffen. 590. Schaefcr, Cl, Einführung in die theo- retische Physik. 683. Scheffer, W., Das Mikroskop. 654. Scheid, K., Chemisches Experimentier- buch, n. Teil. 286. Scheiner, I., Der Bau des Weltalls. 671. Schlechter, R., Die Orchideen. 831. Schlenker, Lebensbilder aus deutschen Mooren. 47. Seh midiin, J., Das Triphenylmethyl. 364- Schmidt, II. W., Deutschlands Raub- vögel. 29. Schmidt, H. , Was wir Ernst Haeckel verdanken. 621. Schmidt, R. R,, Der Sirgenstein und die diluvialen Kulturstätten Württem- bergs. 428. Schoenichen, W. , Methodik und Technik des naturwissenschaftlichen Unterrichts. 303. Scholz, E. J. R., Bienen und Wespen usw. 143- Schrenck-Notzing, Freiherr v., Der Kampf um die Materialisationsphäno- mene. 380. Schrenck-Notzing, Freiherr von, Materialisationsphänomene. 206. Schröder, Chr., Handbuch der Ento- mologie. 239. Schumacher, S. v., Die Individualität der Zelle. 589. Sieberg, A., Einführung in die Erd- beben- und Vulkankunde Süditaliens. 207. S laden, F. W. L., The Humble-Bee. 751- Steinmann, P. und Breßlau,E., Die Strudelwürmer. 109. Stelz, L., Entstehung und Entwicklung des Menschen bis zur Geburt usw. 80. StendeU, W., Die Hypophysis cerebri. 8. Teil von Oppels, Lehrb. der vergl. mikr. .Anatomie der Wirbeltiere. 462. Stern, L., Über den Mechanismus der Oxydationsvorgänge im Tierorganismus. 766. Stickers, J., Was ist Energie. 222. Stratz, C. H., Die Darstellung des menschlichen Körpers in der Kunst. 428. Streißler, A., Öldruck, Bromöldruck und verwandte Verfahren. 286. Study, E., Die realistische Weltansicht und die Lehre vom Räume. 364. Süßwasserflora Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. 363. Swart, N., Die Stoffwanderung in ab- lebenden Blättern. 460. » Thomas, Fr. A. W. , Das Elisabeth- Linne-Phänomen (sog. Blitzen der Blüten) und seine Deutungen. 431. T ornquis t , A., Die Wirkung der Sturm- flut vom 9. — 10. Januar 1914 auf Sam- land und Nehrung. 574. Ulm er, G., Aus Seen und Bächen. 539. Urbain, Einführung in die Spektro- chemie. 540. Verworn,M,Die Mechanik des Geistes- lebens. 751. Verworn, M., Erregung und Lähmung. 460. Voigt, A., Die Riviera. 23S. Voigtländer's Qucllenbücher. 752. Voigtländers Tierkalender 1914. 239. Vol terra, V., Drei Vorlesungen über neuere Fortschritte der mathematischen Physik. 637. Vorträge über die kinetische Theorie der Materie und der Elektrizität. 605. War bürg, O., Die Pflanzenwelt. Bd. I. 332- Wedekind, E., Stereochemie. 399. Wegner, Th., Geologie Westfalens usw. 207. W e i m a r n , P.P. v., Zur Lehre von den Zuständen der Materie. 509. Weinberg, W., Die Kinder der Tuber- kulösen. 684. Weinschenk, E. , Bodenmais- Passau. Petrographische Exkursionen im Bay- rischen Wald. 719. Weinschenk, E. , Grundzüge der Ge- steinslehre I. Teil. 591. Weinschenk, E. , Petrographisches Vademekum. 478. Werner, A., Über die Konstitution und Kontiguration der Verbindungen höherer Ordnung. 365. Wien, W., Vorlesungen über neuere Probleme der theoretischen Physik. 143. Wohlgemuth, J. , Grundriß der Fer- mentmethoden. 204. Wölbling, H. , Die Bestimmungs- methoden des Arsens, Antimons und Zinns. 446. Zeeman, P., Magnetooptische Unter- suchungen usw. 671. Zenetli, P., Die Entstehung der schwä- bisch-bayrischen Hochebene. 685. Zernecke, E., Leitfaden für Aquarien- und Terrarienfreunde. 159. Ziehen, Th., Zum gegenwärtigen Stand der Erkenntnistheorie. 239. Zimmermann, A , Der Manihot-Kaut- schuk. 48. Zsc himmer, E., Philosophie der Tech- nik. 427. V. Anregungen und Antworten. Absolute, Begriff. 175. Akademische Ferienkurse, Hamburg. 288. Aplitische Injektion. 366. Aquarienkunde, Literatur. 96. Auster, Ansiedlung derselben. 400. Banane, Fruchtstand. 496. Beeren, Schädlichkeit einiger. 512. Bestimmungstabellen für das Tierreich. 496. Blitzen der Blüten, Kritische Bemerkungen dazu. 558. Calcium- und Aluminiumverbindung mit Silicium, Bor usw. 368. Chinesische Kenntnisse von der Verwand- lung der Schmetterlinge. 272. Comite de Bibliographie et d'Ktudes astro- nomiques, Aufruf. 160. Diatomeen, Literatur. 256. Dynamit in der Landwirtschaft , Entgeg- nung. 287. Eiweißstoffe, Molekulargewicht. 799- Entgegnung (A. Heilborn). 496. Falltachiskop. 31. Foraminiferen, marine. 400. — , karbonische, Literatur. 431. Gasbläschen, Bewegung der in Flüssig- keit. 239. Gehen , weshalb strengt langsames mehr an als rasches? 96. VIII Register. Geologischer Führer für Helgoland, Kieler Bucht usw. 367. Gewitter in der Pfalz am 21. Februar 1914. 304. Grüner Strahl, Kritische Bemerkung. 799. Harnfarbstoffe, zufällige. 800. Hasenscharte und Wolfsrachen. 384. Haut- und Zweiflügler, Literatur. 367. Hühnereier, im Innern bakterienfrei? 384. Institut für Gärungsgewerbe, .Adresse. 112. Käfer, schmutzige aufzupräparieren. 367. Käfer in schimmligen Hölzern. 688. Karbide, Löslichkeit, Literatur. 544. Kepler's opera omnia. 96. Kinematograph als Anschauungsmittel. 96. Kugelblitze. 192. Küchen- und Haushaltschemie, Literatur. 799. Lindenblatt, tütenförmiges. 48. Lispeln. 192. Maulwurf, sein Nutzen und Schaden. 272. Mechanische Erklärung der elektrischen Erscheinungen, Literatur, 320. Mistel, Keimen derselben. 544. Nußbaum im deutschen Volksglauben. 48. Okular, Funktion desselben. 240. Ovarium , Verschiedenheit der Eier im rechten und linken. 367. Phänologie, Literatur. 368. Photometrische Gesetze, Korrektur der- selben? Kritische Bemerkung. 624. Polreagenzpapier. 160. Relativitätsprinzip, Literatur. 176. Replilieneier. 272. Reptdien, fossile, Literatur. 464. Reliefs, geologische, ihre Herstellung. 6SS. Rheinlande, Geologie der, Literatur. 544. Roßhaare in Vogelciern. 704, 768. Sauerstoffgehalt des Wassers, maßanatyti- srhe Methode. 336. Schiffe, die vor der Ausreise einen Kreis beschreiben. 80, 160. Schifl'e, Bewegung flußabwärts treibender. So, 160. Segelflug, Höhengewinu dabei. 495. SelbstenizUndung von Heu. 719. Si.\-Maximum-Minimum-Thermometer. 160. Spezifisches Gewicht, Berechnung dessel- ben a. d. Atomgewichte. 512. Symbiose von Pflanzen mit Pflanzen. 48. Sympathisches Nervensystem. 223. Stachelschweine, afrikanische. 320. Strandflora, Literatur. 367. Thermostaten. 64. Torf als Heizungsmalerial. 112. Trommel, weshalb hört man die große aus der Ferne lauter? 239, 336. Tuberkulose, Übertragung durch Sing- vögel ? 288. Virginia-Zigarren, die Halme (Durchzugs- stroh) darin. 112. Welken von Blumen. 544. Wurzelknöllchen. 112. Zechsteinsalze, Versteinerungen darin. 240. Zellwachsium , Beobachtung desselben unter dem Mikroskop. 783. Zyklonen in Varesi. 240. VI. Nachrichten aus der wissenschaftlichen Welt. Otto Vahlbruch-Stiftung. 351. 86. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte. Programm. 3^1, ^92. Preisausschreiben der Berliner Gesellsch. für Rassenhygiene. 351. Ferienkurse in Jena. 351. Kurse für Meeresforschung. 351. V. Reinach-Preis für Paläontologie, 351. Das Treub-Laboratorium in Buitenzorg auf Java. 572. Preisausschreiben der Rheinischen Gesell- schaft für wissenschaftliche Forschung. 720. VII. Wetter-Monatsübersichten. Dezember 91.S. 62. Januar 1914. I 43- Februar 19 14. 223. März 19 14. 271 April 1914 35 r. Mai 1914. 431- Juni 1914. 479 Juli 1914. .S.S9. August 191 4. 6 23- September 1914 687. Oktober 19 14. 767. November 914. 832. Verzeichnis der Abbildungen. Acer platanoides, angegriffen vonDaedalea unicolor. 222. Ahornsprosse, welkende, mit und ohne SOj-Behandlung. :;33. Alpines Deckengebirge, Bewegungsrich- tungen. 659. Ameisen, Füße. 745. Ameisen, auf berußter Glasplatte. 746. Anadonta, frei an Fäden aufgehängt. 825. Arion, Verhalten in Wasser. S23. Aurignacmenschen, Skulpturen und Zeich- nungen. 442. Befruchtungsvorgang zwischen homogamet. und heterogamet. Elter, Schema. 182. Billaea pectinata, Endoskelett. 242. Calliphora erythrocephala , Querschnitt durch den Darm einer Larve. 245. Callisia repens, in normaler und Reizlage. 153- Carea sublilis, Raupe, einen Loranthus- keiifiling nachahmend. 653. Chelonia, Panzer. 198. Chloronium mirabile. 413. Doppelmißbildung. 604. Drynaria quercifolia. 285. Ebeltofthafen mit Föhnmauer. 518. Elodea canadensis, in schwefliger Säure. 532- Erdkugel, Hypothetischer Schnitt. 657. Eskimos. 409, 410. Euthalia spec, Raupe, Blattnervatur nach- ahmend. 652. Fischauge, Schema der Kontrastwirkungen in ihm. 468. Fischfang mit Drachen. 285. Galastocoris occulatus, Spermatozoenent- wicklung. 180. Geröllstrandwälle. 669, 670. Goethes Herbarium. 577, 578, 579. Hand , Wiederanheilung einer fast ab- geschnittenen. 58S. Heterochromosomen, verschiedene Formen. 179. Hering, Fanggebiet. 626. Hering, Schuppen. 627, 62S. Kautschukzersetzende Mikroorganismen auf Platte. 216. Kabremädchen. 91. Kabre, Terrassenfarmbau der. 91. Kieselschiefer, gefaltete. 681. Klift" am Schwedenufer. 670. Kurzfingrigkeit, Röntgenaufnahme. 344. Landschildkröte, Panzer. 198. Lederschildkröte, Ansichten des Panzers. 197. Lunularia cruciata, Initialzellen der Rhi- zoiden. 394. Mammutfundstelle, Profil. 693. Mesosaurus. 761. Mimikry bei Insekten. 653. Mombajünglinge. 90. Nadelholzzweige, mit H2SO4 und SOj be- handelt. 531. Papilio spec. Raupen mit ,, Augen". 652 653- Platygaster sp., Larvenform. 243. Polymorphismus von Larven. 243. Polcnlilla aurea, Frucht. 690. Puppe, ein Blatt nachahmend. 653. Radium , seine Wirkungen auf Kresse- keimlinge. 306. Radium, seine Wirkungen auf die Milz des Meerschweinchens. 307. Rauchbeschädigung bei einem Baume. 795. Rhomboidichthys podas, auf verschiedenem Untergrunde. 467, 469. Sattelbildung. 681. Sali.x polaris, herbacea, Blatt. 690. Schildkrötenahnen, Panzer. 198. Schneekristalle. 516. Springkäfer, Semiotus , auf dem Rücken liegend. 281. Springkäfer, Model eines. 281. Statocyste von Pterotrachea. 823. Steinwerkzeuge. 4S7, 488. Tapir, Fußskelett. 422. Tasmanietmischlinge. 734. Unufest in Buin. 76. Vakuumröhren nach Greinacher. 326 — 329. VVegschnecken, Verhalten im Wasser. 823. Wegichnecken, in Selbstwendung. 824. G. P.Htz'sche Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Nauiriluirg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13, t'aml ; der ganzea Reihe 29. Band, Sonntag, den 4. Januar 1914. Nummer 1. Die durch den Tod Potonie's verwaiste Redaktion der Naturwissenschaftlichen Wochenschrift übernimmt mit dem neuen Jahrgange Prof. Dr. H. Miehe in Leipzig. Die Ziele der Wochenschrift sollen die gleichen bleiben, wie sie ihrem Begründer und lang- jährigen Herausgeber vorschwebten und die er mit großer Hingabe zu erreichen bestrebt war. Auch weiterhin soll die Wochenschrift den naturwissenschaftlich interessierten Leser von den Hauptereig- nissen auf dem gesamten Gebiet der Naturwissenschaften planmäßig und zuverlässig unterrichten, in- dem sie in wissenschaftlich-kritischer aber verständlicher und in diesem Sinne populärer Form neben fortlaufenden Berichten über die wichtigsten Ergebnisse der Einzelforschung zusammenfassende Dar- stellungen besonders bedeutender Entdeckungen, Probleme, Ideen bringen soll. Insbesondere hofft dabei der Herausgeber auf die Mitarbeit der Forscher selber. Dazu kommen, wie bisher, kleinere Notizen über allgemeiner interessierende Tatsachen, Beobachtungen usw., sorgfältige Besprechung neuer Werke, Kongreßberichte, Anregungen, Fragen usw. Möge auch in Zukunft das Bestreben der Wochenschrift, den guten naturwissenschaftlichen Interessen zu dienen, tätige Unterstützung und Anerkennung finden! Dr. HugoMiehe, GustavFischer, a. o. Professor der Botanik an der Universität Leipzig. Verlagsbuchhandlung in Jena. Über Geschlechtswandelungen. Unter den bösen Omina, welche dem Einbruch Hannibal's in Italien vorausgingen, gehörte, laut Titus Livius, die Verwandelung einer Henne in einen Hahn und umgekehrt eines Hahns in eine Henne. Ähnliche Geschlechtsmetamorphosen galten im Mittelalter allgemein als Teufelsspuk und gelten als solcher noch heute manchem mitten im Aber- glauben steckenden Bauersmann: ein hahnenfedrig gewordenes Huhn muß ihm sofort ans Messer, jedoch bei Leibe nicht um von einem gläubigen Christenmenschen verspeist zu werden , das könnte ihm schaden. Und dabei handelt es sich doch durchaus nicht um eine besonders seltene Naturerscheinung: dieselbe ist vielmehr jedem Geflügelzüchter wohlbekannt und war es auch lange vor den Zeiten Hannibal's, da bereits Aristoteles sie beachtet hat. Die exakte Wissenschaft befaßt sich mit ähnlichen Geschlechts- wandelungen schon seit ein paar Jahrhunderten und besonders intensiv in der neuesten Zeit, wo- bei sich ihrer auch die nunmehr im Zeichen des Experiments befindliche Biologie aufs eifrigste bemächtigte. Auch das Interesse weiterer Kreise wurde geweckt, so durch eine kürzlich im ,, Kos- mos" erschienene Mitteilung unter dem sensatio- nellen Titel „Wie man ein Männchen zu einem Weibchen machen kann". Das Interesse, welches ich mir von jungen Jahren her ^) für dergleichen Fragen bewahrt habe, veranlaßt mich, der bekannten Regel „On revient toujours ä ses premiersamours" gehorchend, in einer kurzen populären Skizze die Frage nach den Geschlechtswandelungen zu beleuchten. Hierbei dürfte es zunächst geboten sein, den Begriff der Geschlechtsmerkmale festzustellen. In Bausch und Bogen, mit wenigen Worten läßt sich dies nicht abmachen, da sich ganze drei Grade, Stufen oder Kategorien von Geschlechtsmerkmalen unterscheiden lassen. Die erste und wichtigste, ja einzig und allein wesentliche, Stufe kommt ausschließlich den Ge- schlechtsdrüsen zu, ob es Eierstöcke sind, diese Bildungsorgane der Eizellen, ob Hoden, diese Bildungsorgane der Samenzellen, vulgo Samen- fäden oder gar Samentierchen , wie die ersten Mikroskopiker sie nannten. Als zweite Stufe der Geschlechtsmerkmale sind die Leitungswege für die Geschlechtsprodukte, Eier und Samen, an- zuerkennen, als da sind: die Samenleiter und das Glied beim Männchen, die Eileiter, die Gebär- mutter und die Scheide beim Weibchen; alles Gebilde, deren akzessorisclier Charakter schon durcli ihr Fehlen bei überaus vielen Repräsen- tanten des Tierreichs bewiesen wird. Es folgt schließlich die dritte Stufe oder Kategorie von Geschlechtsmerkmalen, weichein ihrer Verbreitung noch viel eingeschränkter ist und in keinerlei ^) Brandt, A., Anatomisches und Allgemeines über die sog. Hahnenfedrigkeit und anderweitige Geschlechtsanomalien bei Vögeln. Zeitschr. für wiss. Zool. XLVIII, 18S9, p. 101 bis 190, Taf. IX— XI. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. I direkten Beziehung zum Fortpflanzungsgeschäft steht. Hierher rangieren: beim Manne der Bart mit seinen Unterabteilungen Kinn-, Backen- und Oberlippenbart, beim Weibe die stark entwickelten Brüste, welche, den Hautdrüsen angehörend, übrigens dank ihrer reichlichen Absonderung zur Ernährung des Neugeborenen dienstbar gemacht sind und mithin einen Platz auch auf der zweiten Stufe der Geschlechtsmerkmale beanspruchen könnten. Innerhalb der Säugetierklasse sind als sehr bekannte männliche Abzeichen die Geweihe der Hirsche zu nennen. Die bei Pferden dem Hengst allein zukommenden Eckzähne mögen als weiteres Beispiel genannt werden. Für die Vögel mag an das schmucke Gefieder, den großen Kamm, die Sporen des Hahns, an den Pracht- schwanz des männlichen Pfaus erinnert werden. Männchen vieler anderer Vogelarten tragen ihr Schmuckgefieder nur als Hochzeitskleid. Auch bei kaltblütigen Wirbeltieren, bei Kriechtieren, Lurchen und P'ischen, ist das Männchen, wenn auch seltener, durch diese oder jene Merkmale in Gestalt und Färbung ausgezeichnet. Unter den Insekten , so bei vielen Käfern und Schmetter- lingen , steigern sich die nebensächlichen Ge- schlechtsunterschiede, wie dies namentlich an der Körpergröße, der Form der Fühler und am Farbenschmuck ersichtlich, bis zu einem Grade, welcher es gestattet von Geschlechtsdimorphismus zu reden. Bei aller Weite des angeschnittenen Themas der Geschlechtswandelungen dürfte es hier genügen für die einzelnen der drei Stufen oder Kategorien nur wenige markante Beispiele heranzuziehen. Es soll dies aus praktischen Rücksichten in umge- kehrter Reihenfolge der Stufenleiter geschehen. Da wäre zunächst die schon erwähnte Hahnen- fedrigkeit der Hühner. In den meisten Fällen sind es unfruchtbar gewordene alte oder auch kastrierte Hennen (Pularden), welche nach jeder Mauser im Gefieder einem Hahne ähnlicher werden, einen vergrößerten Kamm erhalten, dabei zu krähen anfangen und Versuche machen, Hennen zu treten. Doch sind bei Hühnern sowohl, als auch bei anderen Vögeln nicht gar selten Weibchen beob- achtet worden, welche bereits in der Jugend männchenähnlich wurden und dabei dem Geschäft des Eierlegens und Brütens in normaler Weise oblagen. Es ist also nicht ausschließlich und not- gedrungen die Keimdrüse das die tertiären Ge- schlechtsmerkmale Bedingende. Die tertiären Geschlechtsmerkmale gehören nämlich zu den Rasse- oder Artmerkmalen, und zwar sind es solche, die im steten Fluß der natürlichen Ge- staltenwandlung normaliter bisher nur vom über- haupt rascher vorwärtsstrebenden Männchen er- reicht wurden : das Weibchen humpelt da gleich- sam hinterdrein, wobei einzelne bevorzugte weib- liche Individuen über eine männliche Entwick- lungskraft verfügen. Wir können uns hierbei nicht lange aufhalten : nur ein Schattenriß der zugehörigen Argumentation sei gegeben. Die Vorfahren der Vögel haben wir uns samt und sonders, gleich den heutigen Nestlingen, als schmucklos vorzustellen. Eine bunte Färbung ist ein späterer Erwerb, und dieser wird zunächst von den Männchen gemacht. Als Beispiel eine kleine Stufenleiter. Die Nachtigall zeigt in beiden Geschlechtern ein braungraues, unscheinbares Kleid, das Sperlingsweibchen, im ganzen dem Männchen ähnlich, entbehrt nur des schwarzen Brustlatzes, das Gimpelweibchen hat in der Pracht des Ge- fieders das Männchen beinahe eingeholt : nur die Brust des Weibchens zeigt noch nicht das richtige reine Rot. Bei der Mandelkrähe, diesem Meister- stück unserer Ornis, trägt das Weibchen bereits vollständig die schmucke blaue Uniform des Männchens. Abnorme Hahnenfedrigkeit kommt somit nur bei solchen Vogelarten vor, bei denen die Männchen irgendwelchen Schmuck oder Waffen vor den Weibchen voraus haben : es ist eine prophetische, auf die Zukunft deutende Anomalie. Ein abnormes Männchen mit weib- lichem Gefieder ist im Gegensatz hierzu ein regressives, atavistisches Erzeugnis der Natur. Ähnliches gilt für die Säugetiere. Schritt für Schritt ist die Paläontologie bis auf die ältesten Vorfahren der Hirschfamilie zurückgegangen und hat sie als stark bezahnte, aber noch geweihlose Tiere erkannt. Es ließ sich durch die Reihen- folge geologischer Perioden verfolgen, wie nach Maßgabe der Rückbildung des Gebisses ein Ersatz dafür im Geweih gefunden wurde. Ursprünglich nur als einfaclie Spieße beim Männchen auftretend, komplizierten sich die Geweihe bei den meisten Arten, und zwar mit jedem Lebensjahre. Hierbei sind es immer nur die Männchen, die der Stirn- waffen teilhaftig wurden. Eine ganz isoliert da- stehende Ausnahme bildet das Rentier, dessen Weibchen es gleichfalls zu einem, wenn auch natürlich schwächeren Geweih gebracht hat. Es dürfte aber eine prophetische Form darstellen, in- sofern es ein Bestreben sämtlicher Hirscharten verwirklicht, nach Jahrtausenden auch dem Weib- chen die Stirnwaffe zu erwerben. Besonders pro- gressiv veranlagte Weibchen erreichen schon in der Jetztzeit bei den verschiedensten Hirscharten diese Gleichstellung mit den Rentierweibchen. Sie können sonst ganz normale, sich begattende und Kitzen setzende Individuen darstellen. Als Gegen- stück hierzu kommen männliche Hirsche vor, welche zeitlebens kein Geweih aufsetzen, also in diesem Geschlechtsmerkmal dritten Grades den weiblichen Typus innehalten , dabei aber sonst ganz gesunde, normale Männchen sein können. — Allerdings ist nicht zu leugnen — schon Aristoteles war dies bekannt — , daß Kastration die Geweihbildung in regressivem Sinne beeinflußt, ja sie ganz sistiert. Und doch hat man es hier wohl mehr mit einer bedingungsweisen Beein- flussung der Geweihbildung durch die innere Sekretion von Hodenzellen zu tun, denn auch anderweitige Schwächungen des Organismus, z. B. N. F. XIII. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. eine Schußwunde ins Schulterblatt, sah man den- selben Einfluß auf die Geweihbildung äußern. Und nun zum Menschen ! Hier gilt als Ge- schlechtsmerkmal dritten Grades die Körper- behaarung und vor allem der Bartwuchs. (Das in beiden Geschlechtern mit gleicher VVachstums- encrgie bedachte Scheitelhaar kommt nicht in Betracht.) Die Behaarung eines ausgebildeten Weibes entspricht ungefähr der eines 15 — 16 jäh- rigen Jünglings. Letzterer marschiert weiter auf dem Entwicklungspfade und erwirbt mit Stolz seinen Schnurr-, Backen- und Kinnbart. Bringt er es nur mangelhaft oder, in allerdings recht seltenen Fällen, zu gar keinem Bartwuchs, so ist er ein thelyides, weibchenähnliches Subjekt, ein Rückschritiler, ein Atavist; gleichzeitig auch ein Subjekt, welches auf einer Stufe mit so manchen exotischen Stämmen steht. Ein Weib hingegen, welches sich nach Erlangung der Pubertät einen schmucken Schnurrbart und einen stattlichen Backen- und Kinnbart anlegt, nennen wir ein Mannweib, eine Virago. Ein solches arrhenoides (männchenähnliches) Subjekt kann in allen übrigen Sexualverhältnissen ganz normal sein, ein halbes Dutzend Kinder in die Welt setzen und sie mit ihren Brüsten nähren. Es erscheint mir vom bio- logischen Standpunkte, den manche sonst aufge- klärte Damen durchaus nicht verzeihen wollten, ein progressives, ein prophetisches Individuum.^) Das Bestreben der Frau, es dem Manne im Haar- schmuck gleich zu tun, ihn einzuholen, ist übri- gens eine viel verbreitetere Erscheinung, als man meist glauben möchte. Gewöhnlich geht es hier- mit recht langsam, so daß erst nach der Klimax und in noch höherem Alter etwas Nennenswertes erzielt wird ; doch gibt es genug junge Frauen und Mädchen mit niedlichem Schnurbärtchen, und noch viel mehr solcher, welche daran zupfen, zu Depilatoren, Rasierzeug, galvanischer Punktion und, neuerdings, zu Röntgenstrahlen ihre Zuflucht nehmen. Hier dürften wir am passenden Markstein an- gelangt sein, um uns den Geschlechtswandlungen am Menschen und an Säugetieren zuzuwenden, wie sie durch fanatische oder grausame Verstüm- melungen einerseits und methodische Versuche andererseits erzielt werden. Zunächst mögen die Skopzen hier kurz heran- gezogen werden. Zu einer Zeit, als man die Ge- schlechtsdrüsen als jene einzigen Stempel betrach- tete, welche jedem Individuum das betreffende, männliche oder weibliche, Gepräge aufdrücken, hielt man dafür, daß Entfernung der Hoden den Mann zum Weibe, Entfernung der Eierstöcke, das Weib zum Manne umpräge : selbstverständlich nur ') Man vergleiche, außer der bereits oben zitierten (p. iSo) noch meine folgenden Publiliationen : Über Variabilität der Tiere. Wien und Leipzig 1892/98. (In Kommission bei Bernh. Liebisch, Leipzig); Über Variationsriclilungen im Tier- reich. Vorträge von Virchow und Wattenbach. N. F. X. Ser. Hamburg 1895; Eine Virago. Virchow's Arch. Bd. 146, 1896; Über den Bart der Mannweiber (Viragines). Biol. Centralbl. Bd. XVII, 1897, P- 226- in bezug auf die untergeordneten Geschlechts- merkmale. Es kommt diese Deutung namentlich auch (durch W. O. M i e r ze j e wsk i) in einer be- kannten Monographie russischer Skopzen der sechziger Jahre ') zum Ausdruck. Ich glaube (1. c.) als Erster diese Ansicht kritisch widerlegt und für die männlichen Skopzen (weibliche gibt es nicht!) nachgewiesen zu haben, daß es sich keineswegs um ein Umschlagen des Organismus ins andere, weibliche Geschlecht handelt, daß wir es vielinehr zu tun haben mit einer Hemmung der qualitativen männlichen Weiterbildung des Organismus. Dieser bleibt auf der jeweiligen Entwicklungsstufe mor- phologisch stehen, nimmt jedoch in seinen Dimen- sionen zu, schießt so zu sagen ins Kraut. Die scheinbaren Weiberähnlichkeiten der Skopzen im mangelhaften Haarwuchs, in der Stimme usw. sind infantile, bzw. juvenile Hemmungsbildungen. In der medizinischen Literatur findet sich ein Fall (von Gaillet) berichtet, in welchem bei einem Manne, nach operativer Entfernung der Hoden, sich die beim Manne normaliter rudimen- tären Milchdrüsen zu richtigen Brüsten unter Ab- sonderung von Bestmilch vergrößerten. Und Ha m m o n d erwähnt der sog. Mujaderes, abnormer männlicher Individuen, welche die Pueblo Indianer von Neumexiko, angeblich Nachkommen der alten Azteken, hei vorbringen. Es geschieht dies übrigens nicht etwa durch Kastration , sondern durch Er- zeugung einer paralytischen Impotenz. Die Muja- deres halten sich zu den Weibern, deren Kleidung, Wesen und Beschäftigungen sie teilen. Ihre äuße- ren Genitalien werden als verkümmert, dafür die Brüste als gleich denen eines schwangeren Weibes vergrößert angegeben. Ein Mujadero versicherte, er habe schon mehrere Kinder, deren Mütter ge- storben, gesäugt. (Zitiert nach Kamm er er.)-) Eines Indianers, welcher nach dem Tode seiner Frau für dieselbe als Amme einsprang, erwähnt bereits A. v. H u m b o 1 d. Übrigens ist die sog. Gynaecomastie eine für Tiere und Menschen, welche weder kastriert noch sonst impotent sind, bekannte Erscheinung, und zwar Gynaecomasiie sowohl ohne als auch mit Milchabsonderung. Schon Lieb ig veröffentlichte eine chemische Analyse der Milch eines Ziegenbockes. Fälle von milchenden Männchen und Männern stehen, als eine Form der Weibchenähnlichkeit, der Thelyidie, zwar vereinzelt da, doch ist diese Vereinzelung im Grunde nur quantitativen, nicht qualitativen Charakters; denn Spuren von Milch lassen sich aus den Milchwarzen überaus zahlreicher auch männlicher Individuen vom frühesten Kindesalter an pressen. Die Milchdrüsen sind lediglich über- bildete, er.st später in den Dienst des Fortpflan- zungsgeschäfts getretene Hautdrüsen. Daher ihr gelegentliches Vorkommen auch an abnormen ') Pelikan, E., Gerichtlich-medizinische Untersuchungen über d. Skopzensekte. St. Petersburg. 4. ^'j Kammerer, P., Ursprung d. Geschlechtsunterschiede. In Fortschritte d. naturw. Forschung, herausgeg. von Abder- halden-Halle. Bd. V, 1912. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. I Stellen der Körperoberfläche. Ihr lediglich be- dingungsweiser Zusammenhang mit der Pflege des Kindes wird durch Fälle von Milchabsonderung bei durchaus jungfräulichen menschlichen Indivi- duen bewiesen ; ja, man weiß von Kälbern zu berichten, welche es sich verlohnte regelmäßig zu melken. Als qualitativ normale, dominierende projektive Erscheinung verbleibt eine Beeinflussung der Milchdrüsen durch die Zeugung. (Im Spe- ziellen werden dabei verantwortlich gemacht: innere irritierend wirkende Ausscheidungsprodukte des Eierstocks, insbesondere des gelben Körpers, ferner des Mutterkuchens, der Frucht selber und, nach dem Geburtsakt, die Zusammenziehung der vergrößerten, blutstrotzenden Gebärmutter und die damit verbundene Umverteilung der frei ge- wordenen Blutmasse.) Nunmehr dürften wir über genügendes Material zur Beurteilung der neuesten, auch von der popu- lären Presse an die große Glocke gehängten systematischen Versuche von Steinach ^) über ,,Feminierung" männlicher Säugetiere verfügen. Dieser kastrierte junge männliche Ratten und Meerschweinchen und versah sie, statt der Hoden, mit von weiblichen Individuen entlehnten Eier- stöcken. Letztere wurden dem damit zu pfropfen- den kastrierten jungen Männchen entweder unter die Haut oder in die Bauchhöhle geschoben, wo sie vortrefflich anwuchsen und gediehen. Das Ergebnis waren ausgewachsene Tiere mit ausgesprochen weiblichen somatischen und psychi- schen Anklängen. Im Wuchs blieben sie gegen die normalen Männchen zurück, besaßen einen grazileren, mehr weiblichen Knochenbau, ein feineres Fell, wie es den Weibchen zukommt, eine stärkere Neigung zum F'ettansatz und ver- größerte Milchdrüsen. [Wie ein Zeitungstelegramm meldet, soll Steinach auf der jüngsten Versamm- lung deutscher Naturforscher und Arzte in Wien feminierte Kaninchenmännchen vorgeführt haben, welche Junge säugten.] Noch eigentümlicher: die feminierten Männchen bewiesen durch ihr Verhalten einen Annäherungs- trieb nicht zu Weibchen, sondern zu Männchen und leiteten ihrerseits normale Männchen irre, welche sich mit ihnen — selbstredend, vergeblich — zu paaren trachteten. Eine gewisse sexuelle Umstimmung in der Psyche und gleichzeitig auch wohl in der Körperausdünstung und im Habitus, sind hier also nicht zu leugnen, und doch sind, wie schon Kammerer bemerkt, die erzielten anatomischen Abweichungen nur quantitativer, nicht essentieller Art. Trotzdem ist die Arbeit von Steinach immerhin von hervorragendem Interesse, mag auch der Forscher bereits Vor- gänger gehabt haben. ') Steinach, E., Willkürliche Umwandlung von Säuge- tiermännchen in Tiere mit ausgeprägt weiblichen Geschlechts- charakteren und weiblicher Psyche. Pflüger's Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 144, 1911, S. "i — loS. Geschlechtswandlungen zweiten Grades, d. h. solche, die sich auf die Leitungsapparate, wie Samen- und Eileiter, Regattungsglied, Gebär- mutter und Scheide beziehen, werden nicht gar selten von der Natur selbst vorgenommen. Knüpfen wir an ein konkretes Beispiel an. Vor einigen Jahren hatte der bekannte Warschauer Frauenarzt Franz Neugebauer die Freundlichkeit, mir in dem von ihm geleiteten Evangelischen Hospital ein junges menschliches Wesen zu demonstrieren, welches sich in der Frauenabteilung befand, als Mädchen gekleidet und frisiert, auch als solches in Paß und Taufschein eingetragen war. In Wirk- lichkeit handelte es sich aber um einen verkappten Mann, der seine Pollutionen hatte. Wie bei einem Manne waren die Brüste unentwickelt, die äußeren Genitalien hingegen auf einer früheren, dem vollendeten weiblichen Typus nahen Entwick- hmgsstufe stehen geblieben ; die Hoden waren nicht aus der Leibeshöhle hervorgetreten, das Glied, wie beim normalen Weibe rudimentär. Essentiell ein Mann, eignet sich ein solches Sub- jekt für den Geschlechtsakt immerhin besser in der Rolle des Weibes. Nicht lange vorher erhielt Dr. Neugebauer zur Begutachtung ein ähnliches Subjekt. Es war gleichfalls als Mädchen aufge- wachsen. Bei seinem dringenden Anraten, sich als Mann umschreiben zu lassen, stieß Dr. Neu- gebauer bei dem soi-disant Mädchen auf energi- schen Widerstand, denn dasselbe wollte einen jungen Mann heiraten. Es blieb dabei; das junge Ehepaar wanderte nach Amerika aus und sandte von dort einen Brief, aus welchem ich mich mit eigenen Augen überzeugen konnte, daß es überaus glücklich geworden. Geben wir nolens- volens dem homosexuellen Paar unsern Segen, denn immerhin ist's so wenigstens besser, als ab- wechselnd bald unter der einen, bald unter der anderen Flagge zu segeln, wie es der in der Ge- schichte der Teratologie bekannten sog. Katharina Hohmann ergangen, welche bei ihren wieder- holentlichen Metamorphosen u. a. auch das Emploi einer Dirne bekleidete, um das Leben als Anatomie- diener zu beschließen. Man unterstellt derartige Subjekte der weiten Kategorie der Hermaphroditen; doch handelt es sich fast ausnahmslos um falschen Hermaphrodi- tismus, der nur die Leitungswege, nicht die allein wesentlichen Geschlechtsdrüsen betrifft. Nun sind aber diese Leitungswege samt und sonders bei allen Embryonen ursprünglich gleichförmig an- gelegt, und zwar in der Zahl zweier Paare von Kanälen. Beim angehenden Männchen metamor- phosiert sich das eine zu den Samenleitern, beim angehenden Weibchen das andere zu Eileitern, Gebärmutter und Scheide. Das jeweilig über- flüssige Paar der Kanäle verkümmert. Mehr oder weniger deutliche Überreste desselben finden sich aber stets zeitlebens, und manche Tiere, so der männliche Biber, besitzen zum Gedächtnis an eine indifferente oder, wenn man will, hermaphroditische Anlage eine recht stattliche Gebärmutter. N. F. XIII. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 5 Auch die äußeren Genitalien sind ursprünglich in beiden Geschlechtern gleichförmig, übereinstim- mend, und zwar nach weiblichem Typus ange- legt. Wir ersehen hieraus, daß unter diesen Um- ständen ein sexueller Umschlag kein Umschlag in ein Extrem bedeutet, sondern eher eine em- bryonal vorgesehene qualitative Umstimmung. Und nun zum Schluß zu den essentiellen Geschlechtsmerkmalen, zur ersten Stufe der Geschlechtsunterschiede, um zu konstatieren ob auch hier Geschlechtswandlungen möglich seien? Wohl den verblüffendsten Fall von individueller Geschlechtswandelung am erwachsenen Tier kennen wir für die Krabben. An der Unterfläche dieser Tiere, bedeckt vom untergeklappten Schwanz — richtiger Hinterleib — ist nicht selten ein Parasit, ein Sacktier, eine Sacculina, angewachsen. Ob- gleich, wie das frei schwimmende Jugendstadium beweist, gleichfalls ein, wenn auch niederer, Re- präsentant der Krebsklasse, tritt uns die parasitäre vollendete P'orm als weiches rundliches Säckchen entgegen, etwa von der Größe einer Erbse oder Haselnuß. Der Parasit ist mundlos und ernährt sich, gleich einer Pflanze, durch Wurzelausläufer. Letztere durchsetzen als überaus reichlich ver- zweigtes dichtes Netzwerk die Eingeweide und entziehen ihnen Saft und Kraft. Dieses gilt auch ganz besonders für die Geschlechtsdrüsen, welche schließlich aufgesaugt werden. Der Parasitenwirt erweist sich somit geradezu als kastriert. Eine Reihe von Forschern (Giard.G. Smith, Potts) stellten bei einer Anzahl von Krabbenarten eine auf die Kastration folgende verschiedengradige Beeinflussung der Sexualcharaktere auf. Die präg- nanteste wurde an den Dreieckkrabben (Inochus) männlichen Geschlechtes beobachtet. Diese er- warben zunächst äußere weibliche Merkmale, d. h. einen verbreiterten, zum Schutz des Eierklumpens bestimmten (umgeklappten) Schwanz und ver- längerte dem Weibchen zur Befestigung dieses Eierklumpens dienende Hinterleibsfüßchen. Darauf aber entstand, an Stelle des abhanden gekommenen Hodens, ein richtiger, offenbar aus heterogenem, nicht sexuellem Zellmaterial aufgebauter Eier- stock. Es dürfte dies das eklatanteste Beispiel einer richtigen essentiellen Geschlechtswande- lung beim ausgewachsenen Tiere sein. In den vorliegenden Fällen haben wir es mit einer gewaltsamen Beeinflussung der Sexualität zu tun. Die an sich unumstößliche Tatsache, daß zwischen pathologisch und normal keine strenge Grenze gezogen werden kann, gehört aber zu den noch nicht so recht allgemein zur Geltung ge- kommenen Wahrheiten. Schon aus diesem Grunde seien hier noch ein Paar Beispiele, und zwar unter normalen Verhältnissen vor sich gehender Ge- schlechtswandelungen essentieller Natur vorge- bracht. Da wäre unser gemeiner Süßwasser- oder Armpolyp, welcher, trotz seiner Winzigkeit den Grauen erweckenden systematischen Namen Hydra trägt. Im kontrahierten Zustande an Gestalt und Größe ein Stecknadelköpfchen an einer Wasser- pflanze, kann sich das Tierchen zu einem faden- dünnen Schlauche von einem Zentimeter Länge ausdehnen, dessen frei ins Wasser vorragendes Mundende mit einem zierlichen Kranz von langen F'angarmen umstellt ist. Von den im Hochsommer so zahlreich auftretenden Individuen läßt sich wohl schwerlich behaupten , sie wären so oder anders geschlechtlich prädisponiert, denn sie pflanzen sich nicht viele Generationen hindurch nur auf unge- schlechtlichem Wege, durch Sprossen fort, welche sich als neue selbständige Wesen vom Elterntier abschnüren. Unter Umständen macht diese un- geschlechtliche Fortpflanzung einer geschlecht- lichen Platz. Es treten an gewissen Stellen der Körperoberfläche entweder weibliche Geschlechts- produkte oder männliche auf, oder wohl auch an ein und demselben Individuum diese und jene zugleich oder nacheinander. Hierbei erweist es sich, daß reichlichere Kost und größere Wärme die Hydra zum Eier erzeugenden Weibchen, ge- ringe Wärme und schmale Kost zum Samen er- zeugenden Männchen stempelt. Nur im frühen Jugendstadium, als Larve, durchsegelt die Auster auf Nahrungssuche die Meeresfluten. Später wächst sie mit ihrer linken Schale am Meeresgrunde fest und verharrt von nun an zeitlebens als richtiger Faulenzer im per- manenten Symposion mit unzähligen Seinesgleichen auf der Austerbank, mit geöffnetem Maule Nah- rungspartikel aufnehmend, welche ihr reichlich und mühelos, gleich gebratenen Tauben des Schlaraffenlands, zuströmen. Wie im Nahrungs- erwerb, so zeigt sich die Auster auch im Ge- schlechtsleben durchaus indolent. Ihre gereiften Geschlechtsprodukte entleeren sich passiv ins um- gebende Wasser. Hier treffen sich Eier und Samen der vergesellschaftet angesiedelten Tiere und geht die Befruchtung vor sich. Augenlos, wie sie ist, hat die Auster nicht einmal das Zu- sehen bei diesen Geschlechtsvorgängen ; und doch könnte sie bei einer anderen Organisation, gleich dem mythologischen Hermaphroditen, abwechselnd als Mann und Weib empfinden. Ihr Hermaphrodi- tismus ist aber ein durchaus eigenartiger: in ver- schiedenen Lebensperioden erzeugen die Ge- schlechtsdrüsen ein und desselben Tieres entweder Samen oder Eier. So wechselt ein Individuum sein Geschlecht, indem es zuerst Männchen, dann Weibchen ist. ^) Wie aber ist dergleichen überhaupt mit unse- ') Nur der größeren Anschaulichkeit halber wurde hier bloß ein l^onkretes Beispiel aus dem Kreis der Weichtiere herangezogen. In Wirklichkeit haben wir es mit einer für die hermaphroditischen Gruppen sehr verbreiteten Erscheinung zu tun. In diesem Tierkreis finden sich alle erdenklichen For- men und Kombinationen von Sonderung und Vereinigung der Geschlechter. Zu diesen gehören auch verschiedenerlei Er- scheinungen von homochroner und heterochroner Reifung von beiderlei Geschlechtsprodukten. Protandrie dürfte die Regel sein ; ein Beispiel von Protogynie bieten die Limaeiden. Auf dem Wendepunkt der Sexualität ist die Zwitterdruse auch physiologisch eine solche, indem sich Eiej und Spermien in ein und denselben DrüsenfoUikeln nebeneinander entwickeln. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. I ren landläufigen Vorstellungen von weiblicher und männlicher Sexualität vereinbar? Es bleibt uns nichts weiter übrig-, als die Vor- stellung abzulegen, Weiblich und Männlich wären Gegensätze wie Schwarz und Weiß, Plus und Minus, Ormuzd und Ahriman. Tatsächlich sind Weiblich und Männlich nur Modifikationen ein und desselben Seins. In gemeinsamen indifferenten Urvvesen wurzelnd, prinzipiell identisch, gehen die Einzelindividuen später im Namen einer Arbeits- teilung auseinander, jedoch ohne jemals ihre prin- zipielle Identität zu verleugnen. Von einer weiteren Begründung dieser Vor- stellung heißt es für diesmal Abstand nehmen. Prof. A. v. Brandt-Dorpat. Neues aus der Geologie. Einen schätzenswerten Beitrag zur Kenntnis des Grundgebirges des Schwarzwaldes gab Hans Schwenke! in seiner musterhaft ausgestatteten Arbeit: ,, Die Eruptivgneise des Schwarzwaldes und ihr Verhältnis zum Granit", die Ende igi2 bei Alfred Holder, Wien erschien. In den einleitenden Bemerkungen betont Schwenkel, daß der Begriff „Gneis" ini Schwarz- wald durchaus geologisch gefaßt wird: ,,Man nennt alle Gesteine Gneise, die älter sind als der Granit und vollkristalline Beschaffenheit haben. Man subtrahiert von den Komponenten des Grund- gebirges die Granite, die Kieselschiefer des Kulm und das sog. Übergangsgebirge, dann bleiben als Rest die Gneise übrig". Der Granit enthält Varie- täten, die allein petrographisch betrachtet Gneise sind und der Gneis wiederum Varietäten, die als Granite anzusehen wären. Um eine geologische Trennung zu ermöglichen, wird auf eine rein petrographische Begriffsbestimmung verzichtet. Es erscheint deshalb am zweckmäßigsten, der Gneis- formation die Gran i t form ation gegenüber- zustellen. Zur weiteren Orientierung ist vorauszuschicken» daß nach L. van Werveke Schwarzvvald, Vogesen Haardt und Odenwald Teile einer infolge seithchen Druckes erfolgten Emporwölbung sind. Die Ur- sache dieser Faltung ist dieselbe wie die der Alpen. Durch weitere tektonische Vorgänge wurde dieses einheitliche Gewölbe zerteilt. Der Schwarz- wald verdankt seine heutige Gestalt dem tertiären Rheintaleinbruch. In der Tertiärzeit erfolgte ein gewaltiger Abtrag der hauptsächlich aus Jura und l'rias bestehenden Sedimentdecke, wodurch das Grundgebirge freigelegt wurde. Dieses stellt den Rest des alten variskischen Gebirges oder der karbonischen Alpen dar, die sich vom zentralen Frankreich nach NO bis in die Gegend der Kar- pathen erstreckten und denen die Vogesen, die Ardennen , das rheinische Schiefergebirge, der Harz, der Thüringerwald, das Firhtelgebirge, das Erzgebirge, der bayrisch-böhmische Wald usw. zu- zurechnen sind. Die von SVV nach XO streichende variskische Richtung ist im Schwarzwald ver- schiedentlich von Bedeutung und kann als die tektonische Hauptlinie des Schwarzwaldes be- zeichnet werden. Die Oberflächengrenzen der Granitmassive, die zahlreichen Eruptivgänge, die Quetschzonen und Gleitflächen verlaufen in dieser Richtung. Manche Täler sind durch diese Rich- tung beeinflußt. Die Auffaltung des variskischen Gebirges fand im Unterkarbon statt und bereits im Oberkarbon war es stark abgetragen. Im Anschluß an die karbonische Faltung erfolgte die Granitintrusion. Das Grundgebirge ist im Schwarzwald stark vertreten. Die Granite nehmen 4 große Massive ein : 1 . das Nordschwarzwälder Massiv mit dem Vorkommen von Baden-Baden, 2. dasTribergerMassiv mit den 3 Zungen von Schapbach.Wittichen und Schenkenzeil, 3. das Schluchsee Massiv, 4. das Blau en Mas si v. Dazu kommen noch 5. der Turmalingranit von Nordrach, 6. der Eisenbac'her Zweiglimmer- granit. Die Gneise nehmen den Raum ein, aus dem sie nicht von den Graniten verdrängt wurden. Ein großer zusammenhängender Gneiskomplex erstreckt sich vom Feldberg und Schauinsland über das Höllental, Elz- und Kinzigtal zum Rench- tal und unter der Sedimentdecke zwischen Kniebis und Hornisgrinde durch zum Murgtal. Zahlreiche kleine und größere Gneisschollen finden sich außerdem im südlichen und nördlichen Schwarz- wald. Die Gneise lassen sich natürlich in folgende 3 Gebiete gliedern : 1. die Kinzigtälermasse, 2. die Kandelmasse, 3. die Schauinsland-Feldberg masse. Der Gneiskomplex. Längere Zeit stand man der Gneisformation ziemlich ratlos gegenüber. Erst die reichen Er- fahrungen, die man in Kontakthöfen und in jüngeren F"altengebirgen sammelte, wirkten umgestaltend auf die alte Ansicht über das Grundgebirge, wo- nach dasselbe die erste Erstarrungskruste der Erde bilde. Verschiedentlich wurde der Beweis erbracht, daß in ihm sedimentäres Material auf- gearbeitet sei. Für den Schwarzwald waren die grundlegenden Arbeiten von A. Sauer im Erz- gebirge bahnbrechend. A. Sauer konnte sodann im Schwarzwald wie im Erzgebirge 2 große Gruppen von Gneisen aufstellen, deren Ausgang;s- material vermutlich verschieden war, nämlich für die eine eruptiv, für die andere sedimentär. N. F. XIII. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Im Schwarzwald bedient man sich jeweils folgender Bezeichnung: Sedimentgneis = Renchgneis = (Para = Körnelgneis). Eruptivgneis = Schapbachgneis = (Ortho = Granulitgneis). Entsprechend ihrer Entstehung sind die Gneise verschieden ausgebildet. Die Eruptivgneise sind körnige Gesteine von gleichartiger Beschafifen- heit mit einem mäßigen konstanten Glimmer- gehalt und reich an Feldspat. Die Sediment- gneise sind reicher an Glimmer (Biotit) und Quarz, glimmerschieferähnlich, arm an Feldspat; sie sind von rasch wechselnder Zusammensetzung, ausgezeichnet durch Einlagerungen von Quarzit und Graphitridschiefern (konkordant sich mehr- mals wiederholend) und gehen manchmal in graphitführende Gesteine über. Eme scharfe Trennung der Eruptivgneise und Sedimentgneise ist nicht immer durchführbar. In den Randzonen verwischen sich die charakteristi- schen Merkmale und es entstehen schwer zu ent- zififernde Mischgneise. Schwenkel führt eine Reihe von Merkmalen an, die zur Unterscheidung von Eruptivgneis und Sedimentgneis im Gelände dienen. Sofort in die Augen springend ist die sehr gleichmäßige Ausbildung der Eruptivgneise und die rasch wechselnde der Sedimentgneise, von denen sich oft im engsten Räume die verschieden- artigsten Abänderungen finden. Bereits bei der Verwitterung zeigen sich scharfe Unterschiede. Der Eruptivgneis verhält sich ganz ähnlich wie der Granit, ist meist frisch erhalten und bildet Blockhalden und Blockmeere. Der Sedimentgneis dagegen ist in der Regel verwittert, indem ein Zerfall nach den Glimmerlagen erfolgt. Dieses verschiedene Verhalten von Eruptiv- und Sedi- mentgneis hat seinen Grund in der verschiedenen Zusammensetzung, Struktur und Textur. In den Hauptgemengteilen unterscheiden sich beide Gneisarten nur durch verschiedene Mengen- verhältnisse, wogegen sich die Nebengemengteile mehr oder weniger auf die eine oder andere Art beschränken. Granit ist im Eruptivgneis weit verbreitet, während Cordierit im Sedimentgneis reichlicher auftritt. Orthit ist allein typisch für den Eruptivgneis. Charakteristisch für den Sedi- mentgneis ist der Reichtum an kalkführenden Silikaten den sog. Kalksilikatfelsen wie auch an reinem körnigem Kalk. Die abweichende mine- ralische Zusammensetzung beider Gneise hat ihren Grund in der Entstehung, welche auch auf die Anordnung der Gemengteile von Bedeutung war. Beim Sedimentgneis sind die Gemengteile deutlich in Lagen getrennt, indem eine Sonderung in Biotitlagen und Quarz-Feldspatlagen eingetreten ist, während beim Eruptivgneis die gleichmäßige richtungslose Verteilung von Quarz, Feldspat und Glimmer charakteristisch ist. Deshalb zeigt der Sedimentgneis echte Schichtflächen, die beim Eruptivgneis fehlen. Zusammenfassend läßt sich über die Eigen- schaften der beiden Gneisarten sagen, daß die Eruptivgneise eine einheitlich homogene Ausbil- dung zeigen, die wir bei den Sedimentgneisen vermissen, welche ein unruhiges Gepräge auf dem engsten Räume besitzen. Die Eruptivgneise des Schwarzwaldes bestehen aus Glimmergneisen und Granuliten. Sicher er- wiesen ist, daß manche Granulite saure Nach- schübe aus dem Magmaherd des Eruptivgneises darstellen. Eine große Anzahl von Pegmatiten und Apliten sind als Spaltungsgesteine des Erup- tivgneises zu betrachten. Die Gesteine der Erup- tivgneisformation haben ihre chemischen Äqui- valente in der Familie der Alkalikalkgranite. Der Mineralbestand und die Struktur ist beim Erup- tivgneis wie beim Granit auffallend ähnlich. Die Tektonik des Gneiskomplexes ist außer- ordentlich schwierig infolge der Vielheit der Er- scheinungen. Das Gneisgebirge des Schwarzwaldes ist sehr wahrscheinlich der uralte präkambrische Zentralkern der karbonischen Alpen. Wohlge- baute symmetrische Falten können nicht nachge- wiesen werden. Der vielfältige rasche und un- regelmäßige Wechsel von Eruptiv- und Sediment- gneis ist auf die Intrusion eines Magmas von granitischer Zusammensetzung in die Schichtfugen aufgefalteter Sedimente zurückzuführen, deren Falten hierbei ihren gesetzmäßigen Bau verloren haben. Diese alten Faltenzüge scheinen durch die karbonische Faltung nicht wesentlich verändert worden zu sein. Dieselbe löste sich vorwiegend mechanisch aus und bildete Quetschzonen und Risse, die meist senkrecht einfallen und variskisch (SW-NO) streichen; auf ihnen stiegen die Granite zur Zeit des Karbons auf. Im Kinziggebiet be- steht der Gneiskomplex aus zahlreichen schmalen parallelen Zonen von Eruptiv- und Sediment- gneisen, die im großen Ganzen variskisch orien- tiert sind. Untergeordnete Einlagerungen von länglichen Schollen oder Linsen des .Sedimentgneises kommen im PIruptivgneis vor und sind besonders in Form sedimentärer Amphibolite leicht zu erkennen. Der Eruptivgneis sendet viele Ausläufer in den Sedimentgneis hinein. Besonders dessen saure Abspaltungen, die Schizolithe, haben eine hohe Injektionstendenz, die sich in Form feinster Adern äußert. Entstehung der Gneise. Der Mineral- bestand wie die Struktur lassen auf eine Ent- stehung in großer Tiefe, also unter den Bedingungen der Regional metamorph ose (hohe Tem- peratur und hoher Druck) schließen. Dies ist aber nicht die Ursache der Gneisbil- dung, sondern erst die Intrusion des Magmas der Eruptivgneise in die Schicht- fugen eines alten (präkambrischen?) auf- gefalteten Schieferkomplexes führte zu einer mannigfaltigen Aufblätterung und Aufspaltung desselben. Unter der Kon- taktwirkung des Eruptivgneismagmas ging aus dem klastischen (präkambrischen?) Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. I Sediment der Sedimentgneis, aus dem flüssigen Magma der Eruptivgneis her- vor. Die Eruptivgneise zeigen eine normale Eruptivstruktur und kein kristalloblastisches Ge- füge. Die Paralleltextur ist nicht durch Kristalli- sationsschieferung entstanden, sondern sie ist eine primäre und als Fluidalerscheinung aufzufassen. Von großer Wichtigkeit ist noch die Beobachtung von Schwenkel, daß der Eruptivgneis Nachschübe von saurer (aplitischer) Zusammensetzung gebildet hat. Wenn diese Gesteine in größerer Mächtig- keit auftreten, ist ihre Textur eine umlaufende. Nach zahlreichen Beobachtungen müssen diese Gesteine den Gneis bereits parallelstruiert ange- troffen haben. Demnach scheiden die karbonische Faltung und der Granit von vornherein als Fak- toren der Metamorphose aus. Die Schwarzwaldgranite und ihr Ver- hältnis zum Eruptivgneis. Die Schwarzwaldgranite treten in mehreren Massiven und sie begleitenden Gangschwärmen auf. Nie ziehen sie sich in die Gneisfalten hinein oder bilden Lakkolithe. Ihre Grenzen stehen meistens seiger und schneiden die Gneise, soweit sie nicht auch seiger stehen, schief oder quer, also diskordant ab. Das Streichen der Gang- granite und Massivgrenzen ist in der Regel variskisch (SW-NO). Die Gneiszonen sind , wie bereits erwähnt, ähnlich orientiert. Da das Streichen und Fallen von Gneis- und Granit- grenzen diskordant ist, so können die langhin von SW nach NO sich erstreckenden Faltenzüge von Gneis und Granit ihren Grund nicht in der- selben Ursache haben. Für den Granit des Seh war z Waldes muß ein unterkarbonisches Alter angenommen werden. Der Schluchsee- granit drang in die Langkircher Kulmschiefer (Unterkarbon) ein und veränderte sie kontakt- metamorph (Schluchsee, Herzogenhorn), er ist also jünger als sie. Gerolle von Granit fanden sich im Oberkarbon von Berghaupten und Diersburg. Die Intrusion fällt also wohl in die Unterkarbon- zeit. Die Spalten und Risse, nach denen die Granite aufgestiegen sind, entstanden im Anschluß an die unterkarbonischen Faltungsvorgänge. Für die Gneise muß angenommen werden, daß die präkambrischen Faltenzüge schon vor der karboni- schen Faltung ungefähr in der Richtung SW-NO orientiert waren. Das alte präkambrische Falten- gebirge war also ähnlich orientiert wie das viel jüngere Faltengebirge der Karbonzeit. Die Kontaktwirkung des Granits gegen den Gneis ist verhältnismäßig geringfügig. Die Sedi- mentgneise wurden beträchtlicher verändert als die Eruptivgneise. Die vom Granit ausgehenden Injektionen sind immer lokal beschränkt und an den Kontakt geknüpft. Eigentliche Mischgesteine kommen nicht zustande. Giößere oder kleinere Gneisfragmente, die noch als Eruptiv- oder Sedi- mentgneis zu erkennen sind, sind häufig in den Granit eingeschlossen und mehr oder weniger am Rand umkristallisiert, selten eingeschmolzen oder resorbiert. Nach alledem muß also der Granit sowohl Eruptiv- wie Sedimentgneise in dem- selben Zustand angetroffen haben, in dem sie heute noch vorliegen. Wenn auch von verschiedener Seite behauptet wird, daß die Granite mit den Gneisen vollständig ver- schmelzen, ja sogar die Gneise geschaffen haben sollen, so tritt Schwenkel dieser Auffassung scharf entgegen. Die Granite des Schwarzwaldes sind in hohem Maße selbständig und abgegrenzt; ihr Alter kann mit größter Sicherheit als unterkarbonisch ange- geben werden. Die Gne ise dagegen sind älter, wohl präkambrischen Alters. Die bei der Gebirgsbildung sich äußernden gewaltigen Druckkräfte haben den Gesteinen mehr oder weniger ihren Stempel aufgedrückt. Plasti- sche Tonschiefer konnten dem Druck leicht nach- geben, wobei ihre kleinsten Teilchen glattgequetscht wurden und sich dabei senkrecht zur Druckrich- tung ordneten. Harte dünne Bänkchen, die keine Ausquetschung zuließen, erlitten nicht selten eine faltige Zusammenschiebung. Im h'ichtelgebirge, bayrischen Wald wie auch in Schottland, Skandi- navien usw. kommen in kristallinen Schie- fern intensiv gefaltete Adern graniti- scher Gesteine vor, die bis vor kurzem in ganz ähnlicher Weise erklärt wurden. Neuerdings ist verschiedentlich betont worden, daß die Faltung in irgendeinem Zusammenhang mit dem Eindringen des Granits in den Schiefer stehen müsse. In einer beachtenswerten Arbeit : „Über ptygmatische Faltungen"^) tritt J. J. Sederholm dieser Frage näher und bezeichnet die in Rede stehende Fal- tung, wenn sie in Arteriten, d. h. von Granit- adern durchzogenen Gesteinen (meist kristalline Schiefer) vorkommt, als ptygmatisch (nach jTTL'yua das ,, Gefaltete"). Es gibt wohl keine andere Erklärung als die, daß die überaus starke F'altung mit dem Ein- dringen des Granits und einer wahrscheinlich da- durch verursachten Erweichung des Schiefers im Zusammenhang stand. Die Faltung hat vor der vollständigen Erstarrung des Gra- nits stattgefunden, da selbst an stark um- gebogenen Stellen eine deutliche Druckschieferung und sonstige Kataklaserscheinungen nicht zu be- achten sind. Der Feldspat zeigt keine stärkeren Druckerscheinungen, der Quarz ist etwas zerdrückt, aber nicht stärker als bei Graniten entsprechend hohen Alters. Alle diese Tatsachen zwingen zu der Annahme, daß die Kristallisation des Adern- materials erst nach der Faltung stattgefunden hat. Dies ist nur in zweierlei Weise erklärlich. Ent- weder hat eine Umkristallisation nach der Faltung ^} Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Palä- ontologie XXXVI. Beil.-Bd., H. 2, S. 491—512, 1913. N. F. XIII. Nr. I NatLirwissenschaftliclie Wochenschrift. staltgefunden oder auch wurden die Adern im Magmazustande vor der Erstarrung gefaltet. Da keinerlei Anzeichen für eine Umkristallisation vor- liegen, indem der Feldspat große einheitliche Individuen bildet, die mit dem Quarz pegmatitisch verwachsen sind, so kann nur eine Faltung im Magmazustand in Betracht kommen. Von besonderer Bedeutung ist die Permeabilität des Schiefers für Gase und Säfte des Granitmagmas. Das granitische Magma befand sich unter hohem Druck und erkaltete relativ langsam. Bei sehr heftigen Bewegungen konnten auch im granit- durchtränkien, fast völlig flüssigen Gestein (Schiefer) Risse entstehen, längs welchen reines, relativ leichtflüssiges aplitisches Magma eindrang. Wenn nun später die ganze Gesteinsmasse in wallende Bewegung geriet, bewegten sich diese so entstandenen Adern hin und her und wurden dabei gefaltet. Die Hauptbedingung für die Entstehung der jihygma- tischen Faltung ist also neben der Permeabilität auch noch eine große Plastizität des Nebengesteins in unmittelbarer Nähe der Falten. Ist dieses Nebengestein völlig starr, so geschehen die Be- wegungen vorwiegend längs den Gangspalten. Auch die Bewegungen in den halbflüssigen Ge- steinsmassen geschahen wohl in vielen Fällen un- gefähr parallel zum allgemeinen Streichen der- selben. Wenn nun aber ein solches Hin- und Hervvallen der Gesteinsmassen vor sich ging, mußte es zu einer Faltung der ungefähr parallel dem Streichen verlaufenden Adern führen, wie man es tatsächlich häufig beobachtet. Nicht selten ist eine verschwommene Begrenzung gewisser Teile der gefalteten Adern. Auch in diesen verschwom- men begrenzten Teilen , wo der Aplit die Um- gegend gleichsam durchtränkt hat, sieht man noch undeutlich erhaltene Reste der gefalteten Adern. Die Faltung geschah somit früher, als die Grenzen zwischen Adern und umgebendem Gestein ver- wischt wurden. Man muß also annehmen, daß auch nach der Faltung das Magma in den gefal- teten Adern zirkulieren und sich über die an- liegenden Gesteine ausbreiten konnte. An vielen Stellen war zu beobachten, daß die gefalteten Adern von anderen durchschnitten werden , die ganz geradlinig verlaufen und dennoch im End- stadium derselben Granitisationsperiode entstanden sind, denn die Mineralien sind beidemal einander vollständig ähnlich. Nach Ansicht von Sederholm scheinen recht große Verschiedenheiten zu bestehen zwischen fluidalen Bewegungen in einem an der Erdober- fläche freifließenden Magma und den fraglichen Bewegungen hier. Nichts spricht dafür, daß ein stetiges Fließen in irgendeiner bestimmten Rich- tung stattgefunden hat, sondern es wird wohl eher eine hin- und herschwankende Bewegung anzu- nehmen sein. Sederholm bezeichnet die sehr ver- breiteten adergneisartigen (arteritischen) Gesteine, für welche diese Faltung das charakteristische Merkmal bildet, als Ptygmatite oder ptyg- matische Arterite (bzw. ptygmatische Mig- matik). Die ptygmatische Faltung muß streng von der durch rein mechanische Ursachen beding- ten Faltung von Adern unterschieden werden. In Sedimentkomplexen beobachtet man bis- weilen eine gefaltete Bank inmitten völlig unge- falteter Umgebung. Die Ursache der Faltung ist hier natürlicherweise ganz anders als im vorher- gehenden Fall. Auch nicht ein Zusammenschub durch gebirgsbildende Vorgänge kann die Ursache sein, da ein seitlicher oder senkrechter Druck im allgemeinen nichts verschont und nur schwächer oder stärker wirken kann. Die Ursache ist viel- mehr in Gleitungsvorgängen unter dem Einfluß der Schwerkraft zu erblicken. Lockere unter Wasser abgelagerte Schichten kön- nen, wenn sie auf einem schrägen Gang abge- lagert sind, allmählich ins Gleiten geraten und sich faltig zusammenschieben. Eine interessante Darstellung subaquatischerGangbewegun- gen und ihrer Unterscheidungsmöglichkeit von ähnlichen Deformationsvorkommen gibt F". F. Hahn in einer im Neuen Jahrbuch für Mineralogie, Geologie usw. 191 3, Beil. Bd. XXXVI, H. i, S. i bis 41 erschienenen Arbeit: Untermeerische Glei- tung bei Trenton Falls' (Nordamerika) und ihr Verhältnis zu ähnlichen Störungsbildern. Der Trentonkalk ist eines der versteinerungs- reichsten Glieder des amerikanischen Untersilurs. Ohne Zweifel bildet er die Ablagerung eines flachen epikontinentalen Ingressionsmeeres. Bei Trenton Falls (Staat New York) sind die Trenton- kalke vermutlich im ziemlicher Ufernähe abge- lagert. Alle Beobachtungen weisen auf ein Flach- wassersediment. Größtenteils liegen organogene Kalksande in unregelmäßiger Aufbereitung vor: Kreuzbettung, Wellenfurchen, Andeutung von Trocknungsrissen. Im Verlauf einer oberflächig abgelagerten Schichtfolge tritt plötzlich ein uner- wartet heftiges Störungsbild bis zu 4 m Mächtig- keit auf: Scharf verbogene Sättel und Mulden wechseln mit Streifen wirrer Zertrümmerung, um dann auszukeilen und zu weniger gestörten Bänken seitlich überzuleiten. Zwischen die Fossiltrümmer treten tonige Häute und Fladen derart, daß man unwillkürlich an eine Bewegung der organischen Fragmente innerhalb zähflüssigen Schlicks denken muß. Zu verschiedenen Erklärungen haben diese Bildungen Veranlassung gegeben (Belastungsdruck der überlagernden Schichtmassen, seitlicher Kon- gression usw.). Die Deformationsbilder ähneln zwar den tektonisch erregten , umso auffallender ist jedoch der Unterschied in den wesentlichen Begleitcharakteren. Keine gestriemten Ruschel- flächen, keine Streckungs- und Zerrungsphänomene, keine klare Schleifbahn liegt vor, vielmehr ist normaler Übergang in die auflagernde Sediment- reihe, allmählicher Ausgleich gar oft nicht zu ver- kennen. Weder im liegenden noch im hangenden 10 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. I Gesteinskörper zeigt sich, wie man das bei einer angenommenen Schubkraft aufs bestimmteste er- warten sollte, irgendwelche Beeinflussung. Nach alledem kann die cndostratische Störung von Trenton Falls als eindeutiges Beispiel für submarine Rutschung betrachtet werden. Weitere Vorkom- men von Unterwassergleitung sind sowohl aus der Gegenwart wie aus der geologischen Ver- gangenheit bekannt. A. Heim berichtet über neuzeitliche Vorkommen von subaquati- scher Gleitung (Zug im Jahre 1887, Horgen am Zürichersee 1875), wobei er ein rückwärtiges Nachgreifen des Gehängefließens, die Geringfügig- keit des notwendigen Anstoßes, die erstaunliche Kleinheit des erforderlichen Böschungswinkels (4 — 6"), eine Verbreitung bis zu 125 m Seetiefe bzw. 1020 m Störungsweite klarlegen koimte. Subaquatische Rutschungsvorgänge sowohl wie allmähliches Gehängefließen sind in größeren Seen unter dem Klima der gemäßigten Breiten mit ihrem kräftigen, jahreszeitlichen Wechsel von terrigener Materialzufuhr als Regel anzusehen. Nach A. Heim haben wir ähnliche Vorgänge auch im marinen Ablagerungsbereich zu erwarten; diese knüpfen sich in erster Linie an den unmittelbaren Küstensaum und besonders wieder an die Vor- schüttungsränder der Deltas, dann auch an unter- meerische Klippen und Barren. Längs des Küsten- schelfs \on Westeuropa beziffert sich der mittlere Böschungswinkel auf 13 — 14", im Maximum sogar auf 2,0". Unter besonders günstigen Umständen ist auch in größeren Tiefen eine Gleitverfrachtung denkbar. Das Bodenrelief ist nicht selten recht kräftig. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß wir subaquatische Rutschungen zunächst nur in der Küstenzone über dem Kontinentalsockel als häufigen Vorgang erwarten können. Dagegen wird dies unterhalb des Küstenschelfs , besonders in größeren Tiefen dabei nur in Ausnahmefällen an- zutreffen sein, da in erster Linie die rasche und unsortierte Materialzufuhr, erst in zweiter die Böschungsneigung hierbei in Frage kommen muß. Zunehmender Wasserdruck wird sogar dem Gang- abfließen ein Ziel setzen. Transport von Massen- teilchen wird dann nur mehr in suspendierter Form durch die Bodensole möglich sein. Sind in einer Formation echte Rutsch- und Staukeile häufig, so wird man gewöhn- lich auf ein echt litorales Becken schließen dürfen. In auffälligem Gegensatz zu der scheinbaren Dürftigkeit der rezenten Vorkommen, denen man bei Hafen- und Uferschutzbauten, Kabelreparaturen begegnet, steht die reiche Fülle von Stauchungs- phänomenen, die aus diluvialen und tertiären Schichten bekannt gemacht wurden. Insbesondere in den Gebieten ehemaliger Vergletscherung sind sie häufig. Wenn auch ein großer Teil dieser Fälle durch den Druck des Eises entstanden ge- deutet wird, so muß doch ein gewisser Teil sub- aquatischen Rutschungen zugeschrieben werden. Auch bei der Verlandung der weitverbreiteten jungtertiären Binnenseen Mitteleuropas entstanden recht günstige Bedingungen für subaquatische Rutschungen. Aus mesozoischen und paläozoischen Ablagerungen von litoraler Flachwassersedimen- tation sind Vorkommnisse echter submariner Rut- schung bekannt; so aus den Solnhofener Plattenkalken (Falten innerhalb der i — 1,5 m dicken Störungszone bis zu 5 m Länge), aus dem Oberen, Mittleren und Unteren Muschel- kalk Schwabens und Frankens, aus dem Unterdevon Ostkanadas, den bereits er- wähnten Trentonkalken des Untersilurs von Nordamerika und sogar aus dem Kam- brium. F.F. Hahn versteht unter subaquatischer Gleit ung nur jenen Bewegungsvorgang unter Wasser, der durch irgendeinen akut wirkenden Anlaß ausgelöst, einen zusammenhängenden Sedimentstreifen den Gesetzen des Hangabtriebs unter- wirft. Abwärtsbewegungen von mehr oder weniger unverfestigten Massen werden als sub- aquatisches (sublakristres bzw. submarines) Hanggekrieche, solche in halbsuspendiertem Zustand, somit irgendwelcher Deformationstextur entbehrend, als Gefließe zu bezeichnen sein. Nur der erste der beiden letzten Fälle wird in einem Profil noch identifiziert werden können. Das Äußere der bewegten Masse wird je nach ihrer Konsistenz von schichtungslosem Brei zu Pseudobrandungsbreccien, richtiger Gleit- fragmenten wechseln. Die Gleitbewegung kommt durch entgegenstehende Hindernisse oder nach Aufzehrung der lebendigen Kraft durch Rei- bung und Wasserdruck zur Ruhe, wobei aus dem Gleitstreif ein Staukeil hervorgeht. An der Stirn des Staukeils finden sich vorgeneigte, dicht gedrängte, an seinem sich verdün- nenden Ende zögernde seichte Stau- falten. Um aus der Ruhe in Bewegung gesetzt zu werden, bedarf jedes Teilchen eines auch noch so kleinen Impulses. Diese auslösenden Faktoren lassen sich in zwei große Gruppen zerlegen : 1. solche, die in der Eigenart des Sedimenta- tionsortes und der Sedimentationsart begründet sind, 2. solche, die fremde Eingriffe bedeuten. Zur ersten Gruppe gehören der ganz allmählich sich sammelnde Überlastungsdruck an dem Ver- schüttungsrande von Deltas usw., einschneidende Änderung der Strömungsstärken, des Wasser- drucks, der Temperatur, des Eisdruckes wie auch der Richtung von Strömungen und Bodensolen. Je ruhiger diese Faktoren eingreifen , desto un- scheinbarer ist die Bewegung (Gekrieche und Ge- fließe), je stärker und rascher der Impuls, desto energischer das Gleitphänomen (echte Rutschung bis zu rapider Förderung von Gleitfragmenten). Der zweiten Gruppe sind besonders die durch tektonische Ereignisse bedingten Störungen zuzu- N. F. XIII. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 1 1 weisen (unterseeische Eruptionen, Nah- und Fern- wirkungen von Seebeben, deren verheerende Kraft aus dem Karibischen Meere und der Südsee be- kannt sind). Selbst in Süßwasserseen vermögen Erdbeben nicht unbeträchtliche Bodenbewegungen auszulösen (Erdbeben vom i6. November 191 1 im Bodenseegebiet). Da die subaquatischen Gleitungen noch Ana- loga in ähnlichen Deformationen zeigen, so mögen diese noch kurz besprochen werden. Gegen- .stücke aufdem Lande sind Hangbewegungen seitens von Lawinen, Murgängen, Steinströmen, Böschungsverrutschungen. Bei täuschender Ähn- lichkeit muß die letzte Entscheidung, ob sub- aquatisch oder terrestrisch , stets auf Grund der Fazies des bergenden Sediments erfolgen. Schwie- rig ist es auch, Eisdruckphänomene von Glcitfaltcn auseinander zu halten. Neben der Untersuchung des ganzen in Betracht kommenden Sedimentverbandes dürfte das verlässigste Krite- rium in der Art der die Bewegung veranlassenden Kraft gegeben sein. Das Eis drückt auf die ent- gegenstehende Scholle. Die erste und stärkste Deformation bildet sich auf der dem Druck zu- nächst liegenden, der Stauungsrichtung aber ent- gegengesetzten Seite ; bei subaquatischen Störungen liegt Ausgang und Konzentration der Störung an der Stirn des Staukeils in der Bewegungsrichtung. Der Gleitfahung äußerst ähnlich sind auch tek- tonische Gegenstücke. Ganze Formations- pakete können als freie Gleitbretter bewegt wer- den und ihre plastischeren Komponenten mögen dann alle Arten sekundärer Stauchungsdeforma- tionen zeigen. Auch können einzelne leichter deformierten Glieder eines einzigen großen Druck- verbandes die Faltung mehr oder weniger absor- bieren. Als Unterscheidungskriterium im Vergleich mit subaquatischen Störungsformen muß beachtet werden, daß jede tektonische Faltungsdeformation fast ausschließlich ein Druckphänomen unter er- heblicher Hangendbelastung ist. Gleitflächen mit Streifung eines gesetzmäßigen Bewegungssinnes, die mehr oder minder intensive Mitbeeinflussung des ganzen die Störungslage umhüllenden Ver- bandes, vor allem die allgemeine örtliche Situation muß die Entscheidung ermöglichen. Eine weitere große Gruppe von Störungsphänomenen, die mit jenen der subaquatischen Gangbewegungen ver- wechselt wurden, hat F. Hahn unter dem Begriff: Diagenetische Deformationen zusammen- gefaßt. Die auffälligsten Vorkommen sind in leicht löslichen Gesteinen , wie sie vor allem im Gips- und Salzgebirge vorliegen, zu erwarten. Die innerhalb der Gips- und Salzmassen vor sich gehenden Umlagerungen vermögen sekundär ober- flächliche pseudotektonische Fältelung und Rreccien- bildung zu erzeugen. Trotz der fast horizontalen Lagerung werden immer wieder tektonische Kräfte zu Erklärungen herangezogen. Eine weitere Be- obachtung knüpft sich an die Untersuchung des mitteleuropäischen Muschelkalks. Die Flächen- wirkung kleinstzelliger organischer und anorgani- scher Strukturen vermag bei der Verwitterung ähnliche Bilder zu erzeugen. Als Kriterium für die diagenetischen Deformationen muß in erster Linie das Bild selbst gelten. Ty])isch multi- bis apolare Deformationen werden nur hier als Regel auftreten. * * * Viel umstritten ist immer noch die Frage nach den Ursachen des Vulkanismus. Auf der einen Seite suchen die Tektoniker die Hauptursache der vulkanischen Erscheinungen in tektonischen Störungen, während auf der anderen Seite die Physiker diese in physikalischen Vorgängen im Erdinnern erblicken. Beiden Ansichten gerecht werdend, meint Doelter: „Die Hauptursache des Vulkanismus liegt in der Gasimprägnation des tiefen Magmas, welche durch Druckverminderung explosiv wirkt. Die Druckverminderung wird durch tektonische Vorgänge hervorgebracht." Vielfach wird die Ursache zum Aufsteigen des Magmas in der Spannkraft der im Magma ent- haltenen Gase, besonders des Wasserdampfes ge- sucht. Zahlreiche Geologen nehmen an, daß der Wasserdampf als Urbestandteil im Magma ent- halten sei, während wieder andere ein Eindringen von Wasser auf Spalten von der EIrdoberfläche her annehmen. Da heutzutage die überwiegende Mehrzahl der Vulkane am Meere liegt, so glauben letztere ihre Ansicht darin bestärkt, daß gelegent- lich Wassereinbrüche erfolgen und durch ein Auf- brodeln die Eruption bedingen. Demgegenüber ist zu betonen, daß manche Vulkane fernab (bis zu Soo — 1000 km) vom Meere liegen. Ihre häufige Lage am Meere d. h. den Festlandrändern ist durch die gemeinsame Tektonik bedingt. Immer- hin zeigt der Vulkanismus eine große Bevorzugung der Küsten und so war es von Interesse festzu- stellen, ob in der Vergangenheit gleiche Verhält- nisse herrschten. In einer lesenswerten Arbeit: Lage und Beziehungen einiger tertiärer Vulkan- gebiete Mitteleuro ()as zu gleichzeitigen Meeren oder großen Seen nimmt Antonie Täuber*) an Hand eines Überblicks über die ungarischen, böhmischen, französischen und deutschen 'ehe- maligen Vulkane zu dieser interessanten FVage Stellung. An Größe und Zahl sind die ungarischen tertiären Vulkane allen anderen europäischen weit überlegen. Die vulkanische Zone durchzieht das ungarisch-steirische Neogenbecken vom Süd- abhang der Karpathen bis zum Ostrand der Alpen. Es gibt unter den ungarischen Vulkantypen solche mit nur einmaligem Ausbruch (hierzu gehören die basaltischen) ; die große Mehrzahl warf ihre Pro- dukte jedoch durch lange Zeiten hindurch aus. Die Ergußgesteine sind Rhyolithe, Trachyte, Andesite und Basalte. Die jüngeren Andesite überwiegen an Masse bedeutend die Trachyte. ') Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie U5w. Beil. Bd. XXXVI, H. 2, S. 413—490. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. I Basalte sind verhältnismäßig selten. Die Aus- brüche beginnen bereits im Eozän und setzen sich fort durch das Oligozän und Miozän bis ins Plio- zän, vielleicht noch ins Pleistozän. Nach Uhlig scheint sich „eine Art zeitlichen und örtlichen Wanderns der vulkanischen Tätigkeit und in Ver- bindung damit eine Modifikation der Eruptions- folge zu vollziehen, deren Wesen und Gesetz- mäßigkeit sich heute noch nicht in vollem Um- fange beurteilen lassen". Was die Beziehungen zwischen den ungarischen Vulkanen und dem ungarischen Meere betrifft, so scheint keinerlei Zusammenhang der Eruptionen mit dem Meere vorhanden zu sein. Der Vulka- nismus wird vielfach als Begleit- oder Ergänzungs- erscheinung der Faltung der Karpatlien angesehen. Der zeitliche und kausale Zusammenhang zwischen den bedeutenderen jüngeren Krustenbewegungen und den wichtigsten Eruptionen ist von Sawicki jüngst nachgewiesen worden. Das Ausmaß der Bewegungen war nicht überall gleich ; im W. zur Miozänzeit , im O dagegen zur Pliozänzeit am stärksten. Je weiter wir gegen Osten gehen, desto stärker und auch jünger ist die ganze Bewegung. Dem Wandern der Krustenbewegungen entspricht ein solches der Eruptionen; zur Mittelmiozänzeit im ungarischen Mittelgebirge, im Obermiozän weiter im O und im Pliozän in Südsiebenbürgen. Die Eruptionen fanden meist längs des Strandes oder auf Inseln, also an den Rändern des Senkungs- feldes und der stehengebliebenen Horste statt. Die ungarischen Vulkane erweisen sich demnach abhängig von Bodenbewegun- gen, besonders Bodensenkungen und dieses erklärt ihre Lage am Meere, das von den gleichen Erscheinungen ab- hängigist, da es jede zugängliche Senke erfüllt. Die böhmischen V^ulkane, welche vom Oberoligozän bis zum Pliozän tätig waren, liegen zumeist in der Senke, die im N. vom Erzgebirgs- rande begrenzt wird. Die Ausbruchsstellen sind jedoch auch weit über die Grenzen der Senke hin verstreut. Zahlreiche Basaltkuppen sind den flachen Wellen des Erzgebirges aufgesetzt. Gleich- zeitige Meeresablagerungen treten im böhmischen Vulkangebiet nicht auf. Die zunächst gelegene Meeresgrenze war 150 km davon entfernt. Einige kleinere Vorkommen lagen dem Meere näher, z. T. wohl auch an der Küste, denn bei Ostrau fanden sich basaltische Tuffe mit großen Meeres- konchylien. Größere und kleinere Süßwasser haben die nordböhmische Senke zur Zeit der ersten Eruptionen erfüllt. Doch dauerten die Ausbrüche noch an, als die Seen längst aufgeschüttet waren. Das Gebiet des böhmischen ^Mittelgebirges und seiner Umgebung war seit alter geologischer Zeit der Schauplatz vulkanischer Tätigkeit. Während des Tertiärs senkte sich der Norden Böhmens und brach vom Erzgebirge ab (Gesamtsprunghöhe stellenweise looo m). Dicht am Rande des Erz- gebirgsabbruchs, also an der schwächsten Stelle der Zerrüttungszone, wurde die Hauptmasse des Magmas herausgepreßt. Periphere Ausbrüche fanden sowohl im gesenkten Gebiet als auch auf den Horsten in großer Zahl statt. Der Vulka- nismus hängt also auch hier mit der Tektonik zusammen. Die Vulkane des französischen Zen- tralplateaus bilden eine Reihe von Gebirgen, die sich über eine Länge von 150 km erstrecken und eine Oberfläche von 8000 qkm einnehmen. Sie sind einer weiten geneigten Ebene aufgesetzt, deren höherer von den Cevennen gebildeter Rand steil gegen das Rhonetal abfällt, während sie sich sanft zu den Ebenen der Loire und Garonne senkt. Die Krustenbewegungen wie die vulkani- schen Ausbrüche dauerten vom Miozän durch das ganze Pliozän bis zu einem großen Teil des Quartär. Das Magma brach entweder an ver- einzelten Punkten oder längs Brüchen aus; manch- mal drang es an derselben Stelle oder an dicht benachbarten Punkten längere Zeit aus und häufte hohe Berge an. Die bedeutendsten Cantal und Mont-Dore müssen bis 3000 m hoch gewesen sein, während sie jetzt nicht 2000 m erreichen. Die mittleren Entfernungen der Vulkangebiete vom Meere betrugen ca. 200 km. Die Vulkane lagen während der ganzen Zeit ihrer Tätigkeit auf dem Festland. Das Wasser umliegender Seen kann keine wesentliche Bedeutung für den Vulka- nismus geliabt haben. Als Ursache für die vulkanischen Erscheinungen des Zen- tralplateaus werden jetzt fast allge- mein die alpinen Störungen angesehen. Süd- und Mitteldeutschland war haupt- sächlich zur Miozänzeit der Schauplatz reger, weim auch nicht heftiger vulkanischer Tätigkeit. Im süddeutschen Inseljura sind 3 Stellen von Bedeu- tung. Nahe dem südwestlichen Ende der Alb drangen im Hegau basische Schmelzmassen herauf, die heute als Basalt- und Phonolithkegel z. T. aus ihrem Tuffmantel heraussehen. Im Gebiete von Urach finden sich zahlreiche Ausbruchskanäle, die z. T. mit vulkanischem Tuff erfüllt sind. Das Nördlinger Ries zeigt einen vulkanischen Kessel, an und in dem liparitische Gesteine auftreten. Die Eruptionen fanden im Obermiozän statt. Zu dieser Zeit war das Meer mehr als 400 km von der Alb entfernt. Im Vergleich mit den bereits beschriebenen Vorkommen sind die geförderten Auswurfsmassen verschwindend. Ein eigentliches Ausbruchszentrum fehlt und nur winzige Vor- kommen, die vielleicht den kleinen peripheren \'orkommen der bisher besprochenen Vulkan- gebiete entsprechen, sind über eine weite Fläche verteilt. Danach könnte man schließen, daß die tektonischen Störungen im Gebiete des Inseljuras nicht so bedeutend sind wie in Ungarn, Böhmen und F'rankreicli, was auch tatsächlich der Fall ist. Von süddeutschen Vorkommen sind weiterhin noch zu erwähnen der Kaiserstuhl (miozän) im Rheintalgraben wie die geringen Eruptionserschei- nungen im Odenwald. N. F. XIII. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 13 Durch zahlreiche Ergüsse von Lavamassen, deren Überreste z. T. auch heute noch stattliche Vulkangebirg-e darstellen, ist die mitteldeutsche Gebirgsch welle ausgezeichnet. Es sind haupt- sächlich zu erwähnen im Rheingebiet: Eifel, Sieben- gebirge, Westerwald, in der Hessischen Senke und deren Rändern: Knüllgebirge und Habichtswald, daran anschließend weiter nach N: Die Eruptionen der Bergländer zu beiden Seiten der Weser, im O nahe der Werra: der isolierte Tafelberg des Meißner, im hessigen Waldgebirge: die Rhön und südwestlich davon die Basaltgänge des Grabfeld- gaus. Im Wetteraugebiet werden ca. 2500 qkm von den Laven des Vogelsberg, der größten deut- schen Vulkanruine, bedeckt. Viele übereinander- geflossene Lavaströme wechseln mit Tuffen und tertiären Konglomeraten. Das ausgeflossene Ma- terial blieb nicht immer gleich. Zuerst begann die eruptive Tätigkeit mit Ergüssen von Phono- lithen und phonolithoiden Trachyten. Dann folgten abwechselnd in der Eruptionsfolge verschiedene Basalte mit Trappe. Mit geringen Ausnahmen sind die mitteldeutschen Vulkane nicht älter als das Miozän. Die Entfernung der Meeresküste von den Vulkanen betrug im Mittelmiozän durch- schnittlich 100—240 km, im Unter- und Ober- miozän wie im Pliozän noch mehr. Es erscheint deshalb im ganzen Miozän der Einfluß des Meer- wassers ausgeschlossen. In das Mittelmiozän ver- legt man die starke Zerstückelung in Schollen, welche alle deutschen Mittelgebirge aufweisen. Die tek tonischen Bewegungen galten als Ursache des gleichzeitig tätigen Vulkanismus. Von den besprochenen Gebieten mit erlosche- nen Vulkanen lag seinerzeit nur Ungarn, aller- dings das größte direkt am Meere. Die mittlere Entfernung des Vulkangebiets vom Meere betrug in Böhmen 1 50 km , in Frankreich 200 km , im Albgebiet ca. 400 km, in Mitteldeutschland 100 bis 240 km. Demnach kann, abgesehen von Un- garn , das Eindringen des Meerwassers als Ursache für die vulkanischen Er- scheinungen nicht in Betracht kommen. Süß Wasserablagerungen finden sich in allen diesen meeresfernen Gebieten. In Nordböhmen bestand anscheinend ein größeres Becken zu Beginn der Eruptionen , ebenso am Knüllgebirge. Der Vogelsberg lag dicht am Mainzer Becken. Infolge des humiden tropischen oder subtropischen Klimas stagnierte das Wasser vielfach auf einer stark abgetragenen Fastebene. Den besprochenen Vulkanen gemein- sam ist das Auftreten in Zerrüttungs- zonen. Die Mehrzahl von ihnen liegt am Rande oder innerhalb von Senkungsfeldern. Wahrschein- lich entsprechen Zeiten stärkerer tektonischer Störung solche vulkanischer Tätigkeit.! Nicht zu verkennen ist eine gewisse A b - hängigkeit der Größe der geförderten vulkanischen Massen von der Tektonik. Je stärker das Ausmaß der tektonischen Störungen, desto größer auch die Förderung. Die geförder- ten Lavamassen sind am größten in Ungarn, dann folgen Frankreich, Böhmen und Mitteldeutschland; am geringsten sind sie im Tafeljura. Eruptionszentren und eruptive Haupttätigkeit lagen in Ungarn, Böhmen und Frankreich an den Bruch randzonen, von denen die Senkungsfelder absanken. Kleinere Ausbruchstellen verteilen sich über die stehen gebliebenen Horste wie über die gesunkenen Schollen. Im Tafeljura weisen die Eruptionen kein Zentrum auf; sie entsprechen etwa den peri- pheren Ausbruchsstellen der größeren Vulkan- gebiete. Das Auftreten der Vulkane an und in Senku ngsfe Idern erklärt ihre häufige Lage am Meere, denn dieses erobert ihm zu- gängliche Senken. Dies trifft von den unter- suchten Gebieten nur für Ungarn zu. Der Zu- sammenhang zwischen Meer und Vulkan ist nur der einer gemeinsamen Abhängigkeit von der Tektonik. Für sämtliche hier besproche- nen tertiären Vulkangebiete ist wohl die Tektonik als alleinige Ursache des Vulkanismus anzusehen. Das Wesergebirge zwischen Porta- und Süntel- gebiet von F. Löwe. Neues Jahrbuch für Mine- mlogie usw. Beil. Bd. XXXVI, H. i, S. 113— 213, 1913- Der zwischen der Porta westfalica und dem Süntelgebiet liegende Abschnitt der Weserkette ist im allgemeinen der höchste, breiteste und oro- graphisch am meisten ausgebildete Teil des ganzen Höhenzuges. Sowohl in Höhe als Breite fand von VV gegen O eine Zunahme statt (Jacobsberg bei Minden 176 m, Paschenburg oberhalb der Schaum- burg unweit Hessisch-Oldendorf 336 m, Hohen- stein nordöstl. Oldendorf 332 m). Die Scheitel- linie der Kette ist durch zahlreiche in das Weser- tal sich hinziehende kleine Ouertäler zerschnitten. Der der Weser zugekehrte südliche Abhang ist der steilere, der nördliche der flachere. An vielen Punkten fällt der obere Teil des südlichen Abhanges mauerartig ab, wie namentlich an den Felsen der Luhdener Klippe, der Paschenburg und des Hohensteins. Gewöhnlich tritt im übrigen Teil des Abhanges ein mehr oder minder vor- springender Rücken oder eine Stufe hervor. Der Hauptrücken ist nördlich wie südlich von einer Kette langgezogener Vorberge begleitet. Auf einem derartigen Vorberg steht die alte Schaum- burg. Die Entwässerung des Gebiets erfolgt auf dem südlichen Hang durch zahlreiche kleine Bäche, die schon nach kurzem Lauf der Weser zueilen, auf dem nördlichen Hange vor allem durch die bei Südhagen entspringende Aue, die erst bei Petershagen die Weser erreicht. Das so darge- stellte Gebiet ist ca. 20 km lang und im W 4 — 5 km, im O ca. 18 km breit. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. I Als eine markante Gebirgsschwelle nimmt sich die Weserkette im Liegenden der Schaumburg- Lippeschen Kreidemulde und im Hangenden der südlich liegenden Triashöhen aus, ist also kein tektonisch selbständiger Gebirgszug. Die Hebungs- linie schließt sich der NW — NO-Richtung aufs engste an. Die Tektonik ist im allgemeinen ruhig wie im Portagebiet. Am östlichen Ende macht sich jedoch die Nachbarschaft des durch unruhigere Lagerungsverhältnisse ausgezeichneten Süntel- gebiets geltend. Das Streichen der Schichten ist der Erstreckung des Gebirgszuges entsprechend (WNW 20" OSO). Das Einfallen der Schichten verflacht sich allmählich von W gegen O (im W 17", in der Gegend von Bernsen 13", in der Wattendorfer Gegend 5"). Außer dem Diluvium und Alluvium sind in unserem Gebiete Schichten vom Mittleren Keuper bis zum Oberen Jura vertreten. Trias form ation. Mittlerer Keuper. Schilfsandstein. 50 m mächtige, schmutzig weiße bis graue Sandsteine mit schlecht erhaltenen Pflanzenresten (Equiseten). Flachwasserbildung. Die Berggipsschichten sind nicht mit Sicherheit nachgewiesen. Der Steinmergelkeuper zeigt zu unterst hellgrüne oder grüne Mergel mit faustgroßen Kalk- knollen. Ein früherer Gipsgehalt ist ausgelaugt. Gegen oben stellen sich mehr oder weniger mäch- tige Bänke von Steinmergeln ein. Oberer Keuper. Rhät. Zu unterst graue oder braungelbe quarzitische Sandsteine mit schlecht erhaltenen Pflanzenresten, als Terrainkante deutlich zu ver- folgen. Darüber folgt das Protokardienrhät mit kieseligen, dünnplattigen Sandsteinen und der typischen Rhätfauna. Die nun darüber lagernde Juraformation ist hauptsächlich an der Zusammensetzung der eigentlichen Weserbette beteiligt. Der Lias tritt als breiter Keil zwischen dem Braunjuraband des südöstl. Teils des Wesergebirges resp. Süntels und dem Großen Finnenberg- Holtenser Triasgebiet zutage. Zumeist sind es Tone oder Schiefertone, seltener Kalk, die nach süddeutscher Bezeichnungsweise in die Quenstedt- schen Stufen cx — 'C gegliedert werden. Im Braunen Jura (Dogger) herrscht die tonige Facies vor und nur im oberen Teile stellt sich ein Sandsteinkomplex ein. Er besteht aus mächtigen, sterilen, feinsandigen und glimmer- haltigen dunklen Schiefertonen mit Bänken von Toneisensteingraden, in denen die relativ seltenen Fossilien, gewöhnlich verkiest, auftreten. Land- schaftlich ist er durch ein sehr charakteristisches Gelände welliger niedriger Hügelterrassen aus- gezeichnet. Löwe gliedert den Braunen Jura nach der französischen Bezeichnung in : Bajocien (Schichten mit Lioceras opalinum. Seh. mit Inoceramus polyplocus, Coronaten Seh., Subfurcaten Seh., Parkinsonien Seh.). Bathonien (Württembergicus Seh., Arbustigerus Seh., Aspidoides Seh.) und Callovien (Makrocephalen Seh., Ornatentone). Die Arbustigerus Seh. bedingen die besonders deutlich markierte Vorkette, aus welcher die Erosion langgezogene Kuppen und Köpfe heraus- modelliert hat. Die Arnatentone wie die Makro- cephalen Seh. sind stark wasserführend und geben oft Veranlassung zu umfangreichen Gebirgsstürzen. Der Weiße Jura (Malm) unseres Gebiets schließt sich mehr an den englischen und französi- schen Jura als an den süddeutschen Jura an. Kalke oder kalkige Sandsteine herrschen vor. Unteres Oxford ien: entspricht den Heersumer Seh. Kalkige Sandsteine, im oberen Teil mit einem Ouarzithorizont. Oberes Oxfordien: entspricht dem Korallen- orlith (oberes Coralxag). Besonders widerstandsfähige Gesteine (sandige, orlithische Kalke mit Eisenflözen), die dem Weser- gebirgszug sein Hauptgepräge verleihen und häufig groteske Felspartien bilden (Papenbrink, Luhdener Klippe, Paschenburg, Amelungsberg, Hohenstein). Zahlreiche Steinbrüche und bergmännische Auf- schlüsse (Klippenflöz bei Nammen bis 1890 ab- gebaut ; Wohlverwahrtflöz bei Kleinbremen) zeugen von seiner technischen Bedeutung. Unteres Kimmeridgien: Kalke, seltener Tone, Mergel oder Sandsteine. 35 m mächtig. Ablagerungen eines flachen küstennahen Wassers. Mittleres Kimmeridgien: Dichte oder orli- thische Kalke, Mergel und Tone ; 80 m mächtig. Mit der Eintönigkeit der Schichten steht im engsten Zusammenhang die Gleichförmigkeit der einschließenden Fauna. Von besonderer strati- graphischer Bedeutung ist das für Norddeutsch- land sehr bemerkenswerte Auftreten von Aulaco- stephanen, das auf faunistische Beziehungen zum Weißen Jura Frankreichs hinweist. Oberes Kimmeridgien: Tone, Mergel und knollige dichte Kalke; 20—30 m mächtig. Portlandien: blaue sandige Kalke und merge- lige Tone; ca. 30 m mächtig. Oberster Weißer Jura. Entspricht den in Nordwestdeutschland als Einbeckhäuser Plattenkalke, Münder Mergel und Serpulit bezeichneten Ablagerungen, Purbeck- Schichten aus NW-Deutschland mit Sicherheit nur aus der Gilsmulde bekannt, sowie Serpulit wurden nicht anstehend beobachtet. Nach der Zeit des unteren Portlandien wurde das nordwestdeutsche Meeresbecken immer flacher und ist schließlich ganz vom offenen Meere abge- trennt worden. Nur eine ganz ärmliche Fauna konnte hier noch vegetieren. Da wohlerhaltene Pflanzenreste nicht selten sind, wird in allernächster Nähe Land gelegen haben. N. F. XIII. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 15 Diluvium. Am Nord- wie am Südhang be- decken nordische wie einheimische diluviale Ab- lagerungen große Flächen. Wo eine Lücke im Gebirgszug war, haben die Gletscher ihre Massen hindurchgeschoben. Victor Hohenstein. Bücherbesprechungen. A. Jacobi, Mimikry und verwandte Er- scheinungen. (Die Wissenschaften, Bd. 47.) 2158. 8". Braunschweig 1913, Vieweg & Sohn. — Preis 8,80 Mk. Die Mimikrytheorie ist zurzeit eins der meist umstrittenen Gebiete der Biologie. Nach einer etwas schrankenlosen Verallgemeinerung der von den ersten Beobachtern — Wallace, Bates, Fr. Müller — begründeten Lehre hat eine starke Re- aktion eingesetzt, die, nun wiederum über das Ziel hinausschießend, bereits „das Ende der Mimikry- theorie" verkündete. Mit der vorliegenden Schrift, die in kritisch sichtender Weise dem Leser ein Bild von dem derzeitigen Stande der Frage geben, vor allem aber zu erneuten Beobachtungen anregen will, hat der Verfasser sich um so mehr ein Verdienst erworben, als eine Reihe der ein- schlägigen Arbeiten und Mitteilungen in nicht überall leicht zugänglichen Zeitschriften zerstreut sind. Ein Literaturverzeichnis gibt dem Leser, der sich gründlicher zu unterrichten wünscht, die erforderliche Auskunft. Mit vollem Recht betont Jacobi, daß der Name Mimikry — im Sinne seiner Urheber — nur auf die Ähnlichkeit eines Tieres mit einem anderen, nicht der gleichen Art angehörigen Tier ange- wandt werden dürfe, nicht aber auf jede beliebige Schutzfärbung oder Schutzanpassung. Da jedoch bei der Erörterung der Frage nach der Entstehung mimetischer Ähnlichkeiten ganz ähnliche Erwägun- gen auftauchen, wie bei anderen Schutzfärbungen, so hat Jacobi diesen einige einleitende Kapitel gewidmet. Dabei werden die Schutzfärbungen von der in der Gestalt des Körpers oder einzel- ner Teile begründeten schützenden Ähnlich- keit unterschieden. Der größte Teil des Buches aber behandelt die Fälle der echten Mimikry und zwar bespricht der Verfasser in systematischer Folge eine Anzahl von Beispielen. Naturgemäß fällt der Hauptanteil auf die Insekten , die über die Hälfte des Buches einnehmen, und unter denen wieder die Mimikry zwischen verschiedenen Schmetterlingen den größ- ten Raum in Anspruch nimmt, während die mi- metische Ähnlichkeit verschiedener Insekten mit Stechimmen (Sphecoidie), Ameisen (Myrmecoidie) und Käfern in besonders kurzen Abschnitten er- örtert wird. Eine Anzahl der besprochenen Bei- spiele, namentlich von Schmetterlingen, sind durch Abbildungen veranschaulicht, deren einige farbig sind. Zwischen den Kapiteln, die in kritischer Auswahl über die wichtigsten Fälle von Schutz- anpassung und Mimikry referieren , sind andere eingeschaltet, in denen die mutmaßliche Entstehung und Entwicklung dieser Anpassungen erörtert bzw. die verschiedenen Hypothesen besprochen werden. Die namentlich von Vosseier auf Grund seiner Beobachtungen an algerischen Heuschrecken vertretene Auffassung, daß es sich bei diesen Fällen von Schutzfärbung um eine Art von „Farbenphotographie" der Umgebung handle, be- darf einstweilen noch einer direkten experimen- tellen Bestätigung, die leider in diesem Falle, wie Vosseier selbst schon früher ausgeführt hat, auf zurzeit unüberwindliche Schwierigkeiten stößt. In der von Eimer und seinen Anhängern vertretenen Anschauung, daß Schutzfärbung und auch Mimikry das Ergebnis bestimmter , nach organischer Ge- setzmäßigkeit verlaufender Entwicklung (Ortho- genesis) seien, die, ursprünglich ohne jede Be- ziehung zu einer Schutzwirkung, erst später („zu- fällig") den Charakter einer schützenden Anpassung angenommen hätten, sieht Jacobi einen brauch- baren Gedanken, insoweit dadurch die Schwierig- keit vermieden wird, die ersten, an sich noch nicht schützenden Stadien der Umbildung auch schon selektiv zu erklären. Nur ist, wie der Ver- fasser mit Recht betont, die Reihenfolge der Um- bildungen bei dem Fehlen und der großenteils vorhandenen Unmöglichkeit direkter Beobachtung immer zweifelhaft. Wenig befriedigend erscheinen dem Verfasser auch die Versuche, die Färbungen durch Einwirkung äußerer Faktoren (Licht, Tem- peratur, Feuchtigkeit) zu erklären, besonders da unter äußerlich anscheinend ganz gleichen Be- dingungen (z. B. in den Polarländern) viele Tiere weiß, andere dunkel gefärbt seien, ja, daß ein und dieselbe Art (Raupen des Lindenschwärmers, Junischwärmers) Stücke von verschiedener Fär- bung unter gleichen Lebensbedingungen aufweisen kann. Hier muß allerdings die Möglichkeit spe- zifisch oder individuell verschiedener Reaktions- fähigkeit gegenüber gleichen äußeren Einflüssen im Äuge behalten werden. Vom Standpunkt der nützlichen Anpassung aus ist ebensowenig die weiße Farbe der in wärmeren Ländern lebenden Möwen, Reiher und Kakadus zu erklären, wie die weiße Färbung eines so wehrhaften Tieres wie der Eisbär und die dunkle Färbung der von ihm verfolgten Robben. Wenn Werner andererseits hervorhebt, daß die häufigsten sog. Schutzfärbun- gen, nämlich die braunen und grauen, nicht wegen ihrer Schutzwirkung so häufig seien, sondern weil sie chemisch den einfachsten und verbreitetsten Pigmenten nahestehen, daß es also zu ihrer Er- haltung keiner Selektion bedürfe, und daß das Grün sich in dieser Beziehung ähnlich verhalte, so fordert Jacobi auch hier eine experimentelle Nachprüfung. Die Erklärung durch eine psychische Reaktion der Tiere, „durch eine Art Sehnsucht, i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift, N. F. XIII. Nr. I ihrer Umgebung ähnlich zu werden", weist der Verfasser für die Insekten, deren Färbung beim erwachsenen Tier durch psychische oder nervöse Einflüsse nicht zu beeinflussen sei, zurück, und kommt zu dem Ergebnis, daß jedenfalls bei der weiteren Ent wicklungder mimetischen Anpassungen der Selektion eine wichtige Rolle zugefallen sei. Daß Schutzfärbung und Schutzähnlichkeit in der Tat in vielen Fällen vorliegt, dafür spricht die Tatsache, daß es meist wehrlose, der Verfolgung durch andere Arten ausgesetzte, wenig beweg- liche — namentlich während der Tagesstunden ruhende — Tiere sind, die solche Färbungen zeigen; inwieweit eine Schutzwirkung wirklich erreicht wird, dafür fehlt es leider noch an einer hinlänglichen Zahl guter Beobachtungen, nament- lich an freilebenden Tieren, doch kann auch die entgegengesetzte Ansicht sich nicht auf ein ge- nügendes Beobachtungsmaterial stützen. Ähnlich wie mit der Schutzfärbung steht es mit den Warn- und Schreckfärbungen, den „apo- sematischen Färbungen", wie Poulton sie nennt. Auch hier bedarf es in vielen Fällen noch sicherer Beobachtungen, um die Fälle wirklicher, wirksamer Warnfärbung festzustellen. Ganz entsprechende Erwägungen sind nun für die Entscheidung der Mimikryfrage maßgebend. Der Verfasser geht hierauf in den einzelnen Ab- schnitten der systematischen Übersicht mehrfach ein, erörtert aber die ganze Frage am Schluß be- sonders eingehend mit Rücksicht auf die Mimikry der Schmetterlinge. Unter Hinweis auf die in der einschlägigen Literatur bekannt gegebenen Beob- achtungen hebt Jacobi hervor, daß die nachahmen- den Formen in ihrer Färbung, oft auch in ihrer Gestalt (Flügelform) von ihren Artverwandten wesentlich abweichen ; daß ihre Ähnlichkeit mit geschützten, artfremden Formen keine völlige ist, sondern sich nur auf auffällige, eine Verwechslung leicht herbeiführende Züge erstreckt; daß örtlichen Abänderungen der nachgeahmten Art auch ähn- liche Abänderungen der nachahmenden Art ent- sprechen, daß beide Formen örtlich und zeitlich zusammen vorkommen, aber in ihrer Lebensweise (Bewegungsart) nicht immer miteinander überein- stimmen. Ferner ist es bemerkenswert, daß die weiblichen F"alter häufiger mimetische Anpassung zeigen, als die männlichen. All diese Befunde lassen sich im Licht der Mimikrytheorie verstehen und können, wie immer ihre erste Anlage bedingt sein mag, durch Selektion gefördert sein. Von den Einwänden, die gegen die ganze Lehre er- hoben wurden, beruhen einige auf einem Mißver- ständnis dessen, was die Theorie überhaupt er- klären will. Es fehlt aber auch nicht an sach- lichen P_inwänden, denen wohl in vielen Fällen eine Berechtigung nicht abzusprechen sein dürfte. Inwieweit z. B. die uns auffallenden Ähnlichkeiten auch zur Irreführung der verfolgenden Tiere — im vorliegenden Fall meist Vögel — geeignet sind, bedarf, trotz der prinzipiellen Ähnlichkeit im Bau des Menschen- und \^ogelauges, noch näherer Prüfung, namentlich wenn wir die neueren Unter- suchungen über das Farbensehen der Vögel in Betracht ziehen, auf die der Verfasser hier nicht eingeht. Wieweit hierbei auch die, schon oben erwähnte, , .Oberflächlichkeit" der Ähnlichkeit eine Rolle spielt, mag auch weiterer Prüfung unter- liegen, wenngleich die vom Verfasser angeführten Angaben verschiedener Beobachter, daß einige Schmetterlingsmännchen die Nachahmer oder auch die Modelle ihrer Weibchen umwerben, also selbst offenbar der Täuschung unterliegen, sicher von Bedeutung sind. Daß die Orthogenesis und die Plinwirkung äußerer Faktoren die Bedeutung der Selektion für die Ausbildung mimetischer An- passungen zwar einzuschränken, aber nicht aus- zuschließen vermag, wurde schon bei der Dis- kussion der Schutzfärbungen erwähnt. Endlich ist aber auch der letzte sachliche Einwand, der sich darauf stützt, daß Schmetterlinge von Vögeln so gut wie gar nicht verfolgt werden, durch sichere Beobachtungen, namentlich durch die von Doflein in seiner „Ostasienfahrt" mitgeteilten, widerlegt worden. Referent möchte hier auch auf die schon vor Jahren von Kathariner und v. Kennel (Biol. Centralbl., XVIII) mitgeteilten Beobachtungen hin- weisen, die die genannten Autoren allerdings nicht von einer ausschlaggebenden Bedeutung der Farben zu überzeugen vermochten. Jacobi veröffentlicht hier eine ganze Anzahl von .Abbildungen von den Flügeln verletzter Schmetterlinge, die ganz den von Doflein auf Ceylon gesammelten entsprechen und daher wohl auch in ähnlicher Weise ent- standen sein können. Aus dem Vorhergehenden dürfte erhellen, daß der Verfasser zwar im allgemeinen auf dem Boden der Mimikrytheorie steht, daß er sich aber den Bedenken, denen namentlich eine kritiklose Aus- delmung dieser Lehre auf alle möglichen, nicht durch einwandfreie Beobachtungen des lebenden Tieres gestützten Museumsbefunde begegnet, durchaus nicht anschließt. Es schließt die kleine, inhaltreiche und lesenswerte Schrift mit den Worten: „Jedenfalls möchte ich nochmals hervor- heben, daß die Weiterführung von Versuchen durchaus nötig ist, um zu einem annehmbaren Endurteil über das Problem der Schmetterlings- mimikry zu gelangen, und möchte gleichzeitig allen, die schon dazu ablehnende Stellung einge- nommen haben, ein vorurteilsfreies Abwarten nahe legen". R. v. Hanstein. Inhalt: Prof. .X. v. Brandt: Über Geschlechtswandelungen. — Victor Hohenstein: Neues aus der Geologie. — Bücherbesprechungen: .A. Jacobi: Mimikry und verwandte Erscheinungen. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Herrn Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. I5.ind ; der ganzen Reihe 29 Hand Sonntag, den ii. Januar 1914. Nummer ä. Heilkraft der Natur und Heilkunst.') (Nachdruck verboten.] Von Pfivatdozent Dr. Bruno Wolff, Assistent am Institut. Aus dem pathologischen Institut der Universität Rostock (Direktor: Prof. Dr. E. Schwalbe). Ein Blick auf die Geschichte der Medizin läßt unschwer erkennen , in einem wie engen Zusam- menhange mit den allgemeinen kulturellen, ethi- schen, religiösen, vor allem aber naturwissenschaft- lichen Anschauungen der Zeiten sich die Medizin entwickelt hat. Im besonderen sind für uns hier die Beziehun- gen der Medizin zur Naturwissenschaft von Inter- esse. Man darf wohl behaupten, daß die moderne Medizin — als Wissenschaft betrachtet — heute im wahren Sinne des Wortes zu einer Natur- wissenschaft -) geworden ist ; denn, wenn auch die Ausübung der Heilkunst dem Arzte eine Reihe praktischer Aufgaben besonderer Art stellt, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß allein von allgemein naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten aus die physiologischen und pathologischen Vor- gänge und Zustände im pflanzlichen , tierischen und menschlichen Organismus zu ergründen und zu beurteilen sind. „Das schönste Glück des denkenden Menschen ist", sagt Goethe,'') „das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu ver- ehren." So müssen wir uns allerdings bewußt sein, daß die Naturwissenschaft uns nur bis eben an die Grenze der letzten Rätselfragen des Seins, die das Gemüt wie den Geist seit Urzeit beschäftigen, zu führen vermag. Was jenseits jener Grenzen liegt, das Unerforschliche, gehört in den Bereich unseres Empfindens, den nach dem Drange des Herzens auszugestalten , sich dem Menschen un- endlicher Raum bietet.*) Der Naturwissenschaft aber bleibt die Aufgabe, „der unverrückbaren Grenzen" eingedenk, die dem objektiven Erkennen nun einmal gesetzt sind (E. du Bois-Reymond),^) das Erforschliche in immer weiterem Umfange zu erforschen. Die Naturwissenschaft muß dabei nicht nur voraus- setzen, daß die Ordnung der Vorgänge in der Welt auf unabänderlichen Gesetzen beruht , son- dern es ist ihr auch mehr und mehr gelungen, in dem ewigen Getriebe der Natur solche Gesetze zu ermitteln und sie vielfach sogar in die schlichte Form einer mathematischen Gleichung überzu- führen. Gesetze regeln den Gang der Fixsterne und Planeten im Weltall nicht anders, als das Fallen des kleinsten Steines auf der Erde. Gesetze und Ordnung beherrschen nicht nur die anorganische Natur, sondern auch die organi- sche Entwicklung hat sich — darauf deuten alle Erfahrungen hin — nach nicht minder strengen, wenn auch, wie es scheint, außerordentlich viel komplizierteren Regeln vollzogen. Wie aber nach natürlichen Gesetzen im Ver- laufe unermeßlicher Zeiträume die Entwicklung des ganzen Stammes der Pflanzen und Tiere vor sich gegangen ist, so geschieht nach bestimmten Gesetzen auch die Entwicklung der zahllosen Einzelwesen, die heutigen Tages die Erde be- wohnen. Und nicht nur der normale Verlauf ihrer Ent- wicklung ist — teils durch die inneren Anlagen der Individuen, teils durch von außen wirkende Faktoren — im naturwissenschaftlichen Sinne ge- setzmäßig bestimmt, sondern ähnlich auch der Eintritt und Ablauf derjenigen Prozesse, die den gewöhnlichen Gang des Lebens hemmen oder ungünstig beeinflussen und die von uns als Ent- wicklungsstörungen oder als Krankheiten bezeich- net werden. Diese Tatsache mag manchem vielleicht selbst- verständlich erscheinen ; es muß aber betont wer- den, daß die Wissenschaft sich zu dieser Erkennt- nis erst spät und nach vielen Kämpfen durchge- rungen hat. „Erst spät", sagt der Physiologe Justus Gaule, ^) hat die Wissenschaft gewagt, „auch in dem Leben des Menschen nach Gesetzen zu fragen. Es ist ein wunderbarer Schritt, sich selbst nicht bloß als Subjekt, sondern als Objekt, als zu erforschenden Teil der Natur aufzufassen." Es ist auch zu betonen , daß gerade in der Vorstellung des gesetzmäßigen Ablaufes der Krankheiten vielleicht die wesentlichste Kluft liegt, die die wissenschaftliche Medizin nicht nur von dem sog. „Dämonismus" und Hexenglauben ver- gangener Zeiten trennt, sondern auch von manchen abergläubischen Strömungen der heutigen Zeit. ") Als eine spezielle Aufgabe des Arztes können wir es danach bezeichnen, die naturwissenschaft- 1) Nach einem am I. Dezember 1913 in der Aula der Universität Rostock gehaltenen Vortrage. *) Siehe hierzu ErnstSchwalbe, Vorles. üb. Geschichte der Medizin. 2. Aufl. 1909. Seite 8. Es bedurfte langer Zeit, sagt E. Seh walbe, „um die Medizin zu dem zumachen, was sie heute ist, zu einer Naturwissenschaft'*. Goethe: In „Sprüche in Prosa". Vgl. u. a. August VVeismann's schöne Ausführungen am Schlüsse seines Werkes : Vorträge über Deszendenztheorie. Jena 1902. ^) E. du Bois-Reymond: Darwin versus Galiani. — In ,, Reden''. I. Folge. Leipzig 1886. ") Justus Gaule: Die Stellung des Forschers gegenüber dem Problem des Lebens. Leipzig. Veit u. Co. 1887. ■>) Vgl. Ernst Schwalbe; 1. c. (Geschichte der Medizin). i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 2 liehen Gesetze zu erkennen , nach denen Krank- heiten einsetzen und verlaufen. Es ist weiterhin eine seiner Aufgaben, die in der Natur und durch die Natur gegebenen Mittel zu finden, in ihrer Wirkungsweise zu verstehen und anzuwenden, die imstande sind, Krankheiten vorzubeugen oder sie zu heilen. Diese Heilmittel lassen sich zwanglos in zwei große Gruppen einteilen: Die einen sind in der Naturaniage des kranken Geschöpfes — sei es ein Tier oder ein Mensch — selbst begründet. Es sind Kräfte , die die Natur in das Geschöpf gelegt hat und die dem Organismus zum Schutz dienen, wenn unter ge- wissen Umständen seiner Gesundheit oder seiner normalen Entwicklung Gefahren drohen. Der Arzt hat häufig nichts anderes zu tun, als der Wirkung dieser Kräfte, die er nach Möglichkeit zu kennen bestrebt sein muß, ihren Lauf zu lassen, damit der Kranke die Gefahr überwindet, besser vielleicht überwindet, als wenn irgendein von außen herbeigezogenes Mittel angewendet werden würde. Man kann in diesem Sinne wohl von einer „Heilkraft der Natur" sprechen. Auch die zweite Gruppe von Heilmitteln wird uns selbstverständlich von der Natur dargeboten oder ihre Anwendungsweise von der Natur er- möglicht. Es handelt sich aber, im Gegensatz zu den Schutzkräften, die im Körper des Kranken von selbst in Tätigkeit treten, um künstlich her- beizuziehende Heilkräfte, oder um besondere zur Heilung des Kranken vorzunehmende Maßnahmen. Diese Mittel können verschiedenster Art sein ; sie können in Medikamenten, in physikalischen Ein- wirkungen, wie Wärme und Kälte, oder — um das jüngste Kind der Therapie zu nennen — in Radiumstrahlen, oder in dem alten radikalen Mittel des Chirurgen, dem Messer, bestehen. Auch der psychische Einfluß, den der Arzt durch seine Persönlichkeit, durch Beruhigung des Kranken u. a. auszuüben vermag, muß in die Gruppe dieser letzteren Heilmittel gerechnet werden. Ob der Arzt nun in dem einen Falle zielbe- wußt lediglich die inneren Kräfte des Kranken ihre Wirksamkeit entfalten läßt, oder ob er im anderen notwendige Hilfsmittel von außen herbei- zieht, beide Male übt er selbstverständlich in dem gleichen Maße „Heilkunst" aus. Immerhin möchte ich hier — im Gegensatze zur „Heilkraft der Natur" — von „Heilkunst" speziell im Sinne der Herbeiziehung außerhalb des Kör- pers liegender Heilkräfte sprechen. Wenden wir uns nun einer Erörterung der Heilkraft der Natur und der Heilkunst in Einzel- heiten zu, so muß ich mich allerdings bei einem Thema, das seinem Wesen nach so unerschöpflich ist wie die Medizin selbst, darauf beschränken, Heilkraft der Natur und Heilkunst in ihrem Gegen- satz und in ihren engen Beziehungen zueinander nur durch einige Beispiele zu erläutern: „Tagtäglich beobachten wir, wie Krankheiten oftmals in vollendetster Weise ohne das Eingreifen irgendwelcher Kunsthilfe sich zurückbilden"; i) wir sehen außerdem, daß in Fällen, wo eine Krank- heit eine dauernde Veränderung des Körpers oder eines seiner Organe bewirkt hat, die gestörte Funktion dieses Organes durch andere Teile er- setzt wird und daß vielfach dabei auch sekundäre Formveränderungen eintreten, durch die der er- littene Schaden mehr oder weniger ausgeglichen wird. Kaum ein Tier und wenige Menschen würden wohl ein höheres Alter erreichen, wenn nicht oft eine solche spontane Heilung eintreten könnte, wenn nicht z. B. in blutenden Hautwunden die Blutung häufig von selbst zum Stehen käme und die Wunde ohne Behandlung, durch Ver- klebung oder Uberhäutung zum Verschwinden gebracht würde. Wird ein Blutgefäß im Körper verschlossen, so braucht der Teil, der dadurch vom Blut ab- gesperrt wurde, nicht dauernd außer Ernährung zu bleiben und abzusterben. Vielmehr kommt es in vielen Fällen zur Ausbildung eines sog. Collateralkreislaufes; d. h. es erweitern sich Ge- fäße, die für die Ernährung des betreffenden Teiles physiologischerweise nur eine untergeordnete Be- deutung hatten ; allmählich bilden sich diese Ge- fäße mächtiger aus, ihre Wand verstärkt sich und auf diese Weise wird das von seinem ursprüng- lichen Hauptgefäße abgetrennte Organ für die Dauer hinreichend mit Blut versorgt und am Leben erhalten. Viele chirurgische Operationen, bei denen große blutende Gefäße unterbunden werden müssen, werden nur dadurch ermöglicht, daß der Körper eine genügende Blutversorgung der durch die Unterbindung gefährdeten Teile auf dem Wege des Collateralkreislaufes vorzunehmen vermag. Ist im Körper ein Knochen gebrochen, so tritt nicht nur an der Bruchstelle eine Verklebung der Knochenstücke ein, sondern durch eine weit- gehende Umwandlung im Knochenbau kann die Tragfähigkeit des Skeletteiles selbst dann wieder- hergestellt werden, wenn die Knochenenden — z. B. des Oberschenkels — nicht in gerader Rich- tung, sondern schief miteinander in Verbindung getreten sind. Gewisse Veränderungen an den Nieren sowie solche am Herzen beantwortet das Herz mit einer sog. Hypertrophie, mit einer Verstärkung seiner Muskulatur und einer dadurch erhöhten Herzkraft. Die vermehrte Herzkraft vermag die durch den Herzfehler beeinträchtigte Blutzirkulation oder die durch die Nierenkrankheit erschwerte Ausscheidung von Harn mehr oder weniger auf das normale Maß zurückzuführen. Man spricht in einem solchen Falle von einer „Arbeitshypertrophie". Ist eine der beiden Nieren durch eine Er- krankung vollständig außer Funktion geraten oder ') Zitiert nach Nothnagel: Die Anpassung des Orga- nismus bei pathologischen Veränderungen. Wiener medizin. Presse. 1894. N. F; Xlir. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. »9 mußte sie vom Chirurgen entfernt werden, wie dies heutzutage z. B. bei einer tuberkulösen Er- krankung der Niere nicht selten geschieht, so pflegt die andere, gesunde Niere sich zu ver- größern und so stark zu funktionieren, daß der Ausfall des Schwesterorgans vollkommen gedeckt wird; sie tritt, wie man sagt, vikariierend für die andere Niere ein. Das gleiche oder ähnliches gilt auch für viele sonstigen Organe, so für die Lunge und für Teile der Leber. Selbst der Ausfall der ganzen Milz wird ertragen , dadurch daß — wie wir annehmen müssen — die für das Blutsystem wichtige Funktion der Milz von anderen Apparaten des Körpers übernommen wird. Von ganz besonderem Interesse ist die Fähig- keit des Organismus, vieler Infektionskrankheiten selbständig Herr zu werden. Wir werden auf diese Erfahrung noch eii;mal zurückkommen und werden sehen , daß in solchen Fällen gewisser- maßen ein Kampf im Körper des Kranken zwischen diesem und den feindlichen Krankheitserregern, den Parasiten, sich abspielen kann, ein Kampf, in dem zwar nicht immer, aber oft, auch ohne Medikamente oder ärztliche Eingriffe der Kranke schließlich den Sieg davonträgt. Diese wenigen Beispiele mögen zunächst ge- nügen, um die Heilkraft der Natur durch leicht erkennbare Tatsachen zu beweisen. Viel schwieriger ist es, eine Erklärung dafür zu geben, durch welche Mittel die Natur die Heilung bewirkt, und es muß ohne weiteres zu- gegeben werden, daß man auf diesem Gebiete über vieles noch im ungewissen ist. Andererseits aber haben doch die Fortschritte der Medizin und Biologie, besonders in der zweiten Hälfte des 19. und im 20. Jahrhundert, manche tiefe Einsicht in das geheimnisvolle Wirken der Natur im kranken Körper gestattet. Wollen wir hier wenigstens einen kurzen Blick in dieses Geschehen tun, so müssen wir uns wohl in erster Linie einem Vorgange zuwenden, der für die Heilung und ihr Verständnis von grund- legender Bedeutung ist, der sog. Regeneration. ^) Unter Regeneration versteht man ,,die Wieder- erzeugung verloren gegangener Körperteile" (Bar- furth). ') Man unterscheidet eine physiologische Regeneration, wie sie sich „an sog. Verbrauchs- oder Wechselgeweben" (Borst),-) z. B. an der Haut, an Haaren und Schleimhäuten abspielt, und eine pathologische oder „traumatische" (Bar- furt h)') Regeneration, die zum Ersatz krank- hafter Defekte führt. Die pathologische Regene- ration ist für uns hier von speziellem Interesse; die Grundvorgänge aber sind bei der pathologi- schen Regeneration die gleichen wie bei der physiologischen und wie überhaupt beim normalen Wachstum (W. Roux). ') Selbst die einfachsten Organismen hätten ohne die Fähigkeit der Regeneration '^) nicht entstehen und bestehen können, da Verlagerungen und Ver- letzungen ihrer Teile während des Lebens unver- meidlich sind und durch selbsttätige Mechanismen repariert werden müssen, wofern eine Dauerfähig- keit der Lebewesen überhaupt möglich sein soll. In der Tat zeigt sich, daß Regenerationsfähig- keit im ganzen Tierreich von den niedrigsten Tieren an bis hinauf zu den höchsten vorhanden ist und daß die Geschöpfe diese Fähigkeit schon von ihrer Entwicklung im Ei an besitzen. Ja man darf, mit Bar f u rt h, ^) wohl behaupten, daß ,, Regeneration und Entwicklung einem gemein- samen Urquell, der Produktionsfähigkeit der Orga- nismen, entspringen" und daß die Regeneration „so alt und ursprünglich ist, wie die Entwicklung". Als eine allgemeine Regel kann es gelten, daß die Fähigkeit zur Regeneration in der Jugend größer ist als im Alter und daß, in Parallele hierzu, niedriger stehende Tiere leichter regene- rieren als höhere. Es sei gestattet, diese allgemeine Regel etwas näher zu erläutern: Jedes höhere tierische Lebewesen entwickelt sich aus einem Ei. Das Ei entspricht einer einzigen Zelle, die die Fähigkeit besitzt, beim Vorhandensein ge- wisser notwendiger Bedingungen die ganze weitere Entwicklung aus sich hervorgehen zu lassen. Bei seinem Entwicklungsgang teilt sich die Eizelle zunächst in 2, dann in 4, 8 usw. Zellen. Man nennt die ersten Teilungszellen des Eies auch Furchungszellen oder Blastomeren. Wenn nun von den beiden ersten Furchungs- zellen des Eies die eine zerstört wird — wie dies bei den Eiern gewisser niederer Tiere experimentell geschehen kann — so sollte man erwarten, daß dadurch die weitere Entwicklung entweder ganz gehemmt wird oder daß vielleicht nur ein halber Embryo entstände, da ja die volle Hälfte seiner Anlage im Keime vernichtet wurde. In der Tat gelingt es, bei den Eiern mancher Tiere auf diese Weise halbe oder Viertelembryonen zu erzielen (W. R o u x). *) Es gibt aber auch ') Siehe hierzu die Arbeiten von D. Barfurth über Regeneration; vgl. speziell Barfurth; „Regeneration und Transplantation in der Medizin". Samml. anat. u. physiolog. Vorträge und Aufsätze, herausgegeben v. Gaupp u. Nagel. 10. Heft. Jena 1910. ^) Borst: Das pathologische Wachstum. In Aschoff's Patholog. Anatomie. 3. Auflage. Bd. i. Jena 1913. ') W. Roux sagt: ,,Die Grundlagen bei der Postgene- ration, der Regeneration und der normalen Entwicklung sind dieselben." [Zitiert nach Barfurth) 1. c.).] ^) ,,Selbstregulalion" sagt W. Roux (zitiert nach Bar- furth) in allgemeinerem Sinne. — ,, Gestaltende Selbstregulation" eines Lebewesens ist nach W. Roux ,,die Regulation der gestörten Organisation desselben durch in dem Lebe- wesen selber gelegene , determinierende', wenn auch zum Teil erst durch die Störung selber eingeführte physische und psychische Faktoren." (W. Roux: Terminologie der Ent- wicklungsmechanik der Tiere und Pflanzen. Leipzig 191 2.) ä) D. Barfurth; 1. c. ■*) ,,Nach Besiegung von allerhand Schwierigkeiten gelang es" W. Roux ,,bei einer größeren Anzahl von Eiern eine der beiden ersten Furchungszellen ganz und für längere Zeit oder dauernd von der Entwicklung auszuschalten. Trotzdem entwickelte sich die überlebende andere Eihälfte weiter — und lieferte deutlich rechte und linke halbe Embryonen". 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 2 Tiere, bei deren Eiern aus isolierten Furchungs- zellen keine Teilbildungen entstehen , sondern normale ganze Embryonen, allerdings von ge- ringerer Größe. *) Diese merkwürdige Erscheinung hat man wohl mit Recht damit zu erklären versucht, daß schon nach Störungen, wie sie hier in der allerfrühesten Zeit der Entwicklung stattgefunden haben, eine Regeneration möglich ist und zum Ersatz der ganzen verloren gegangenen Hälfte des Materials, aus dem der Embryo physiologischerweise hervor- geht, führen kann. -) Auch weiterhin ist auf den frühen Entwick- lungsstufen niederer Tiere die Regenerationsfähig- keit sehr groß. Wie sehr sie aber mit zunehmendem Alter allmählich abnimmt, zeigt z. B. die von Bar- furth'') festgestellte Tatsache, daß junge Frosch- larven die abgeschnittene Anlage der hinteren Extremität vollständig regenerieren können, während ältere Larven und ausgebildete Frösche dazu nicht mehr imstande sind. Von anderen in das Gebiet der Regeneration gehörigen Beobachtungen aus dem Tierreich sei kurz noch folgendes erwähnt: Krebstiere regenerieren Beine und Scheren, Spinnen die Extremitäten. Insekten können im Larvenzustande Fühler, Augen, Flügel und Glieder wieder herstellen, erwachsene geschwänzte Am- phibien und Reptilien den Schwanz. Besonders merkwürdig ist die sog. Autotomie oder Selbstverstümmelung bei Krebstieren und Insekten. Die Tiere vermögen, wenn sie ange- griffen werden, an einer bestimmten Stelle das angegriffene Glied freiwillig abzuwerfen, sich durch Preisgabe dieses Körperteiles dem Feinde zu ent- ziehen und das Verlorene dann wieder zu ersetzen. Viel geringer als bei den bisher genannten Tieren, aber doch deutlich vorhanden, ist die Regenerationsfähigkeit der Gewebe bei den am höchsten entwickelten Geschöpfen, den Säuge- tieren und dem Menschen. Auf Einzelheiten kann ich hier nicht weiter eingehen, sondern nur bemerken, daß man bei den Säugern, außer der allgemein bekannten Regenera- tion von Haaren, Nägeln und Geweihen, eine solche s. W. Roux: Die Entwicklungsmechanik, ein neuer Zweig der biologischen Wissenschaft. In Vorträge und Aufs, über Entwicklungsmechanik; herausgeg. von W. Roux. Heft I. Leipzig 1905. ') Experimente von K. Fiedler, Driesch, O. Hert- w i g u. a. ') Die Erklärung des oben geschilderten verschieden- artigen Verhaltens der Eier, je nachdem aus ihren isolierten Furchungszellen Teilbildungen oder ganze Embrj'onen hervor- gehen, erblickt W. Roux darin, „dalj das Ei sowohl einer gewöhnlichen, typischen Entwicklung fähig ist, als auch einer atypischen regenerativen, die nach Störungen und Herstellung von Defekten am Ei eintritt" (zitiert nach Bar furth). .Auf dem Standpunkt von W. Roux steht auch Bar furth. Eine andere Auffassung vertritt, worauf hier nur kurz hingewiesen werden kann, besonders O. H e r t w i g (s. O. H e r t - wig; Allgemeine Biologie. 4. Auflage. Jena 1912). ') s. Barfurth: 1. c. z. B. an der Haut und an Schleimhäuten, am Knochen und an der Leber findet. Regenerationsfähigkeit ermöglicht es somit auch dem menschlichen Körper, einzelne verloren gegangene oder schwer geschädigte Teile neu zu erzeugen, und die Regenerationsfähigkeit wird da- mit vielfach in letzter Linie auch beim Menschen zur Ursache oder Vorbedingung einer Heilung. Die Fähigkeit des Organismus zur genauen Wiederherstellung verloren gegangener Teile wäre aber doch nicht ausreichend, unter veränderten Verhältnissen, wie sie durch eine Erkrankung oder Verletzung geschaffen sein können, viele gerade der merkwürdigsten Heilungen und Ausgleichs- erscheinungen im Körper zu erklären. Tatsächlich ist aber mit der Regeneration aufs engste eine Anpassungsfähigkeit des Organismus an die neuen Verhältnisse, also eine Umwandlungsfähigkeit des Organismus, verknüpft. Diese Anpassungsfähigkeit muß man zweifellos als eines der wunderbarsten Phänomene in der ganzen Welt der organischen Erscheinungen an- sehen; denn ihr Resultat erweist sich, zwar nicht immer, aber doch in der Regel, als ein für das Individuum äußerst zweckmäßiges, als ein seine „Dauerfähigkeit" (W. Roux)^) erhöhendes oder überhaupt ermöglichendes. Wir haben im vorhergehenden schon als Bei- spiele aus der Krankheitslehre die Anpassungs- fähigkeit des Herzens an bestimmte Erkrankungen erwähnt, die es dem Herzen erlaubt, unter Um- ständen mit vermehrter Kraft zu arbeiten und da- durch Hindernisse oder Schwierigkeiten zu über- winden, die sich der Zirkulation pathologischer- weise entgegenstellen. Wir haben ferner die An- passung einer Einzelniere im Körper an den Ver- lust der anderen berührt sowie die Anpassung des Knochens an Verhältnisse, die sich nach Knochen- brüchen einstellen können. Aehnlicher Beobachtungen heßen sich noch viele anführen. Auf die Anpassungsfähigkeit des Knochens will ich etwas näher eingehen, weil bei diesem Organ die Bedingungen besonders klar und ver- ständlich zu liegen scheinen: Schon der normale Knochen verdankt seine Tragfähigkeit bei möglichst geringem Material- aufwand dem Umstände, daß er einen vollendet zweckmäßigen Bau besitzt. Seine äußere Form wie seine innere Architektur, der Verlauf der Bälkchen im Knochen, entspricht nämlich in der überraschendsten Weise der Anordnung von Stützen, wie sie die Baumeister nach mathematischen Prin- zipien konstruieren, um ihre Bauten tragfähig zu machen. Ist nun, um bei dem vorhin gewählten Beispiel zu bleiben, der Oberschenkel gebrochen gewesen und sind dann die Knochenstücke in schiefer Richtung wieder miteinander in Ver- bindung getreten, so würde selbstverständlich die alte Architektur des Knochens nicht in die neuen !■) W. Roux: 1. c. N. F. XIII. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 21 Verhältnisse passen; denn ebensowenig, wie man die Träger einer Brücke nach Belieben verbiegen kann, ebensowenig würde der, durch eine schiefe Aneinanderfügung der Bruchstücke gewissermaßen verbogene, Knochen die Last des Körpers zu halten imstande sein, wenn nicht die Natur in vollendeter Weise, mathematischen Gesetzen von Druck und Zug entsprechend, die innere Architektur und äußere Form des Knochens weitgehend umzu- bauen und den Bedürfnissen der Funktion anzu- passen vermöchte (Julius Wolff)'). Diese Erscheinungder zweckmäßigen Anpassung, die man, wie gesagt, auch abgesehen vom Knochen, vielfach findet, ist also ein weiteres Mittel der Heilung durch die im Organismus vorhandenen Kräfte. Wie sich nun aber die Anpassungsfähigkeit und damit der zweckmäßige Bau der Tiere und Pflanzen selbst wieder erklären läßt, ist eine Frage, die uns vor eines der schwierigsten Probleme der Biologie stellt. „Solange Menschen empfinden und solange sie denken," sagt der verstorbene bedeutende Wiener Kliniker Nothnagel'^) in einem bemerkenswerten Vortrage, „strebten sie, die handgreifliche Zweck- mäßigkeit in der Einrichtung des Organismus auf letzte Ursachen zurückzuführen: nach vorbedachten Zielen geschaffen, teleologisch, wurde sie von den einen aufgefaßt, als geworden, rein aus mecha- nischen Gründen heraus entstanden, von den anderen, als deren erster bereits im Altertum der tiefsinnige Empedokles gelten kann." Es würde zu weit führen, den heutigen Stand der Frage hier eingehender zu erörtern. Kurz bemerkt sei aber folgendes: Das große Verdienst Darwin 's*) ist es, in seiner Lehre von der „Entstehung der Arten" eine biologische Erklärung für die im normalen Bau und in den normalen Lebensgewohnheiten der Tiere und Pflanzen überall zutage tretende Zweck- mäßigkeit gegeben zu haben. Natürliche Zucht- wahl im Kampfe ums Dasein führt nämlich, nach Darwin, auf dem Boden der organischen Bildungs- gesetze, immer wieder zur Auslese und Erhaltung der ihren Lebensbedingungen am besten ange- paßten Individuen und damit zur Erhaltung ihrer Arten. Das Zustandekommen aber der hier speziell in Rede stehenden direkten Anpassungen, wie wir sie im Organismus des einzelnen Individuums — sozusagen unter unseren Augen — entstehen sehen, wird durch Darwin 's natürliche Zuchtwahl nicht ohne weiteres begreiflich.*) ') Julius Wolff: Das Gesetz der Transformation der Knochen. Berlin, Hirschwald, 1892. Siehe auch Julius Wolff: Über die Bedeutung der Architektur der spongiösen Substanz. Zentralbl. für die medizinischen Wissenschaften. 1869. Nr. 54. ^) Nothnagel: 1. c. ') Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten an Tier- upd Pflanzenreich durch natürliche Züchtung. Aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von H. G. Bronn. 2. Aufl. Stuttgart 1863. Der Begründer der neueren Entwicklungs- mechanik, W. Roux, aber hat ein Verständnis auch dieser Vorgänge angebahnt. W. Roux*) nimmt nämlich — ähnlich wie Darwin es ge- wissermaßen im großen getan hat — so auch im kleinen — , d. h. im Organismus selbst, unter den unzähligen Zellen des Körpers, — einen Kampf um Raum und Nahrung an. In diesem sog. „Kampf der Teile im Organismus" tragen die arbeitenden, d. h. die funktionell in Anspruch ge- nommenen und daher der Funktion dienlichen Zellen den Sieg davon ; diese Zellen erhalten sich am sichersten, ernähren sich am besten und voll- ziehen am energischsten die Leistungen, zu denen sie physiologischerweise befähigt sind.") Beim Knochen also, dessen Funktion im Ertragen von Druck und Zug besteht, ist es das mechanische Moment der Druck- und Zugwirkung in bestimmter Richtung, das direkt die Entwicklung der ent- sprechenden Struktur herbeiführt, indem „die Be- anspruchung" „an den Stellen unzureichender Festigkeit, also stärkerer Spannung der Knochen- substanz, Anbildung von Knochensubstanz veran- laßt" (W. Roux).') Wie dem auch sei, jedenfalls darf man wohl annehmen, daß die pathologischen Anpassungen nur dann, aber überall da entstehen, wo sie nach physikalischen, chemischen und biologischen Ge- setzen sich entwickeln müssen (Nothnagel).*) „Ob und welchen Zweck" aber „die Gesetze selbst haben," sagt Nothnagel,*) „diese Frage stellt uns wieder vor das große Daseinsrätsel überhaupt, dessen Lösung auf induktivem Wege auch Riesen- geister nicht anzustreben versuchten, dessen Schleier die deduktive Spekulation anrührt, dessen gefühlte Enthüllung, aber nicht begriffenes Verständnis nur für das empfindende Gemüt erfolgt." — Im speziellen möchte ich mit einigen Worten *) Wie Julius Wolff (1. c.) hervorhebt, ist ,,der erste, welcher — im Jahre 1876 — auf das Vorhandensein jener die Frage von der direkten Selbstgestaltung des Zweckmäfiigen innerhalb der einzelnen Organe und Gewebe der Lebewesen betreffenden Lücke der Deszendenzlehre hingewiesen hat, du Bois Reymond gewesen. Indem dieser Autor überdies die Bedeutung der .Übung' für die Selbstvervollkommnung der höheren Lebewesen, unter direkter Bezugnahme auf die Entstehung der inneren Architektur der Knochen durch .nutritive und forraative Reizung in den Richtungen des größten Drucks und Zugs' hervorhob, hat er zugleich richtig erkannt, daß die Ausfüllung jener Lücke durch die Dar- legung der Abhängigkeit der Stoffwechselverhältnisse von der Funktion geschehen müsse." '>) W. Roux: Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881. *) Die „trophisch vermittelte funktionelle Anpassung" be- ruht nach W. Roux (Terminologie, 1. c.) darauf, „daß dem funktionellen Reize, resp. der Vollziehung der Funktion eine trophische, d. h. die morphologische Assimilation des Gewebes und die sonstige gestaltliche Leistung des Gewebes: Wachs- tum, Bildung von Interzellularsubstanz, ev. Zellteilung an- regende Wirkung zukommt". '; W. Roux: 1. c. (Die Entwicklungsmechanik, ein neuer Zweig usw.). *J Nothnagel : 1. c. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 2 nun noch auf die Heilkraft der Natur bei den Infektionskrankheiten eingehen : ') Der Körper des Menschen und der Tiere ist den Angriffen der Bakterien nicht wehrlos preis- gegeben; er verfügt vielmehr diesen Feinden gegenüber über eine ganze Reihe von Schutz- kräften. Zunächst macht eine normale Beschafifenheit des Körpers es vielen Bakterien unmöglich, über- haupt in die lebenden Gewebe einzudringen und krankhafte Veränderungen in ihnen hervorzurufen. Einen mächtigen Schutzwall bietet z. B. die un- verletzte äußere Haut dar. Viele Bakterien anderer- seits, die mit der Nahrung in den Verdauungs- kanal aufgenommen werden, tötet der im gesunden Magen vorhandene Salzsäuregehalt. Kommt es aber zu einem wirklichen Angrifif der Bakterien gegen den Körper und zwingen die feindlichen Bakterien dem Organismus den Kampf auf, so treten im Körper hauptsächlich zwei große Gruppen von Abwehrvorrichtungen in Kraft: Einmal beginnen aus dem Blut und aus den Geweben bestimmte Zellen, die mit Wanderungs- fähigkeit begabt sind, auszuwandern. Wie Soldaten dringen sie gegen den Feind vor, stellen sich den Bakterien entgegen und suchen die feindlichen Eindringlinge abzutöten und aufzufressen. Diese Zellen hat man daher „Freßzellen" oder „Phago- zyten" genannt. Man nimmt an, daß die Fähigkeit der Freß- zellen, eine bestimmte Bakterienart zu vernichten, noch gesteigert wird, wenn sie den Kampf gegen eine solche Art einmal glücklich zu Ende geführt haben, und man glaubt, daß auf diese Weise die nach einzelnen Infektionskrankheiten eintretende Widerstandskraft oder „Immunität" gegen eine neue Ansteckung mit denselben Krankheitserregern zu erklären sei. Die zweite Gruppe der Abwehrvorrichtungen ist chemischer Natur. Sie besteht in dem Auf- treten bestimmter chemischer Stoffe im Blute, die die von den Bakterien gelieferten Gifte oder die Bakterien selbst unschädlich machen. Man unter- scheidet eine ganze Reihe solcher Stoffe, unter denen die — die Bakteriengifte neutralisierenden — sog. ,, Antitoxine" und die — die Bakterien vernichtenden — sog. ,,Bakteriolysine" besonders wichtig sind. Durch eine Überproduktion derartiger Stoffe während einer Infektionskrankheit, kann auch auf diesem chemischen Wege Immunität gegen eine neue Ansteckung bewirkt werden. Für die Bildung der Antitoxine und verwandter Stoffe im Blute hat Paul Ehrlich in seiner sog. „Seitenkettentheorie" — ausgehend von chemischen und biologischen Vorstellungen — eine Erklärungs- möglichkeit gegeben. Ehrl ich 's Theorie, auf die ich hier nicht näher eingehen kann, ist zu einer der Grundlagen geworden für den Aufbau des ganzen stolzen Gebäudes der heutigen Immunitäts- lehre. — • Diese nur wenigen Streiflichter, die ich hier auf die Heilkräfte der Natur werfen konnte, dürften einigermaßen dartun, wie groß die Bedeutung der natürlichen Schutzmittel ist und wie hoch ihr Wert von den Ärzten eingeschätzt werden muß und eingeschätzt wird. — Wozu brauchen wir aber dann überhaupt noch eine besondere Heilkunst, wozu die verwirrende Menge der Medikamente, Apparate und Opera- tionen, das ganze gewaltige Rüstzeug der heutigen Medizin? Es sind doch Medikamente und Opera- tionen gewiß nicht ganz frei von Gefahren. Täten wir nicht vielleicht besser, von dem Kranken nur Störungen seiner Ruhe fernzuhalten und im übrigen dem „natürlichen Heilverlauf" zu vertrauen ? Gewiß, in vielen Fällen ist ein solches Ab- warten, wie auch schon vorhin gesagt, die beste und die einzig richtige Therapie. Die soeben aufgeworfenen Fragen aber allge- mein und kritiklos bejahen, das hieße die Heil- kraft der Natur, ihr Wesen und ihre Grenzen, vollkommen verkennen. Einige wenige Beispiele mögen dies beleuchten: Wir wissen ganz genau, daß Entzündungspro- zesse am Wurmfortsatz des Blinddarms zuweilen ohne wesentlichen Schaden von selbst zur Heilung gelangen, indem sich haut- oder strangartige Ver- wachsungen in der Umgebung des erkrankten Darmteiles bilden. Wir wissen aber auch anderer- seits, daß oft genug der entzündete und schwer veränderte Darmteil plötzlich und unerwartet zer- reißt, daß sein Inhalt sich in die Bauchhöhle er- gießt und eine das Leben äußerst gefährdende Bauchfellentzündung hervorruft. Nur die recht- zeitig ausgeführte Operation bewahrt den Kranken vor einer solchen Gefahr der Zerreißung oder des Durchbruches und rettet dem Patienten somit in vielen Fällen das Leben. Auch der schief geheilte Knochen vermag die Last des Körpers, wie erörtert, zu tragen; auch das mit einem Klumpfuß geborene Kind lernt laufen, weil die Natur die innere Architektur des Knochens auch bei fehlerhafter Form der Funktion anpaßt (J u 1 i u s W o 1 f f'j. Aber die volle Leistungs- fähigkeit des normalen Menschen vermag doch nur das geradegerichtete Bein , nur der durch Orthopädische Maßnahmen aus der mißbildeten in die natürliche Gestalt übergeführte Fuß seinem Besitzer zu gewähren. Ein Kind erkrankt an Diphtherie. Zahllose Kinder, die von dieser Krankheit befallen wurden, sind allerdings auch vor der Zeit der heutigen Serumtherapie wieder genesen, weil ihre natür- lichen Schutzkräfte ausreichten, das Gift der Diph- theriebazillen zu überwinden. Zahllose Kinder ') Näheres hierzu siehe u. a. bei E. Schwalbe; AU- gemeine Pathologie. StuUgart 191 1. 1) Julius Wolff: 1. c. Siehe auch Julius Wolff: Über die Ursachen, das Wesen und die läehandlung des Klumpfußes. — . Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben von Joachimsthal. Berlin 1903. N. F. XIII. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 23 k aber sind auch der Ansteckung erlegen. Wir müssen daher den Männern dankbar sein, die ge- lehrt haben, das Gegengift gegen diese Krankheit durch Tierimpfungen zu gewinnen, und die dadurch die Möglichkeit geboten haben , den Körper in seinem Kampfe mit den Parasiten wirksam zu unterstützen. Den unzweideutigsten Beweis aber für den Wert der Schutzmaßnahmen bei einer Infektions- krankheit bietet die Geschichte der Pocken- erkrankung, um deren Bekämpfung durch die von ihm im Jahre 1796 aufgefundene Methode der Kuhpockenimpfung sich Jenner') unsterbliche -Verdienste erworben hat. Ein letztes Beispiel für die Notwendigkeit ärzt- licher Kunstliilfe, das ich hier anführen möchte, bieten die bösartigen Geschwülste, die im Sprach- gebrauch des gewöhnlichen Lebens als „Krebs" bezeichnet werden : Man kennt bis heute keine natürliche Heil- kraft im erörterten Sinne, die es dem Körper mit einiger Zuverlässigkeit ermöglicht, solcher Neu- bildungen Herr zu werden und zu verhüten, daß die fortschreitende Geschwulst den Organismus zerstört und ihm Kraft und Nahrung entzieht. Wohl aber vermag dem Erkrankten, wenn auch nicht in allen, so doch glücklicherweise in zahl- reichen Fällen der rechtzeitig ausgeführte Eingriff des Chirurgen dauernde Hilfe zu bringen. Worauf also kommt es bei der Wahl zwischen einem bloßen Warten auf die Wirkung der natür- lichen Heilkraft und der Herbeiziehung ander- weitiger Heilmittel, allgemein gesagt, an? Erstens bedarf es zu dieser Entscheidung eines möglichst genauen Verständnisses der natürlichen Heilkräfte und ihrer Grenzen. Ein solches Ver- ständnis immer mehr zu vertiefen, bleibt das dauernde Ziel der medizinischen Wissenschaft. Zweitens bedarf es, als Grundlage alles ärzt- lichen Überlegens, der eingehenden Kenntnis des anatomischen Baues des menschlichen Körpers und seiner Funktionen im gesunden und kranken Zustande. Diese Kenntnis, die Tausende von F"orschern im Verlaufe langer Zeiträume allmäh- lich angehäuft und übermittelt haben, kann selbst- verständlich von jedem einzelnen durch neue eigene Beobachtungen vermehrt werden; sie muß aber und kann nur — das möchte ich ganz be- sonders betonen — in ihren Grundzügen zunächst immer durch ein eingehendes systematisches Studium erworben werden. Drittens ist die genaue Beurteilung des Einzel- falles erforderlich, die Diagnose — zu der natür- lich nicht nur die lateinische oder griechische Benennung der Krankheit gehört, sondern die eingehende Analyse des gesamten Zustandes des Kranken und aller in Betracht kommenden Ver- ') „Am 14. Mai 1796 vollzog Edward Jenner (1749 bis 1823) in Berkeley bei London den berühmten ersten ent- scheidenden Impfversuch, wodurch die Schutzkraft der Vakizi- nation unwiderleglich bewiesen wurde." (Zitiert nach Pagcl; Zeittafeln zur Geschichte der Medizin. Berlin 1908.) hältnisse — und die Prognose, die Abschätzung der Aussichten, die sich bei jedem einzelnen zur Wahl stehenden Wege zur Heilung oder Besserung des Leidens darbieten. Endlich muß die persönliche Erfahrung häufig den Ausschlag geben in Fällen, wo eine all- gemeine Regel aufzustellen heute — und viel- leicht auch in Zukunft — unmöglich ist. Medikamentös-chemische und physikalische, operative und psychische Therapie, sie alle haben ihre besonderen zahlreichen Indikationen. Miß- trauen aber verdient derjenige, der einseitig ein einzelnes Mittel gegen alle möglichen Krankheiten oder ein einzelnes Verfahren als Allheilmittel an- zupreisen versucht; denn so mannigfaltig wie der Bau und die Funktionen des Körpers und so mannigfaltig wie die Krankheitsursachen sind auch die Wege zur Heilung, unter denen die Wahl auch für den Erfahrensten schwer sein kann. Bei dem besonderen Interesse, das gerade die neuesten Wege der Therapie begreiflicherweise erregen, seien wenigstens einige kurze Bemer- kungen zur modernen Chemotherapie und zur Behandlung der Geschwülste mit Röntgen- und Radiumstrahlen noch im speziellen gestattet: Es ist anzuerkennen, daß eine Reihe von Arzneimitteln, die sich am Krankenbette bewährt haben, uralten Erfahrungen, zum Teil dem Volks- gebrauch, zuweilen sogar den Gebräuchen wilder Volksstämme, zu verdanken ist. Erst viel später ist es dann gelungen, die Wirkungsweise dieser Arzneimittel genauer zu verstehen, und erst die neueste Zeit hat gelehrt, die wirksamen Bestand- teile der angewendeten Kräuter und Kräuter- extrakte in chemisch reiner Form darzustellen. Als ein klassisches Beispiel zeigt einen solchen Hergang der Dinge die Geschichte eines der ge- bräuchlichsten und vortrefflichsten Arzneimittel, der Digitalis.') In einem gewissen Gegensatz hierzu steht nun das Vorgehen der modernen Chemotherapie: mit Hilfe der synthetischen Chemie und unter syste- matischer Benutzung des Tierexperiments sucht die Chemotherapie in zielbewußtem Vorgehen chemische Substanzen von spezifischer Wirksam- keit aufzufinden. Da die verschiedenen Zellen des Körpers und die verschiedenen krankheits- erregenden Parasiten zu den chemischen Stoffen, je nach deren Konstitution, eine verschiedene Beziehung — „Avidität", wie man es genannt ') Vgl. Kobert: Über die wirksamen Bestandteile und die Verordnungsweise der Digitalis. — Korrcspondenzblatt des Mecklenburgischen Ärztevereinsbundes Nr. 333 vom 25. Juni 1912: ,,Der erste Mensch, der" die Digitalis ,,zur Heilung von Wassersucht in einem Gemisch von einigen zwanzig Pflanzenarten verwendete, war ein altes Weib in Shropshire. Sie kurierte damit mehrere von Ärzten auf- gegebene Wassersüchtige. Das Geheimnis der Zusammen- setzung dieses Kräutergemisches erbte sich in ihrer Familie fort. Von dieser erhielt der Arzt William Withering J775 das Rezept." ,,Nach zehnjährigem eifrigem Studium über dieses Geheimgemisch", sagt Kobert, ,, veröffentlichte Wi t h e - ring die herrlichste Monographie, welche je ein Arzt über ein Mittel des Pflanzenreiches geschrieben hat," 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 2 hat, — haben, so kommt es, beispielsweise bei einer Infektionskrankheit, darauf an, ein Mittel aufzufinden, das die Bakterien, womöglich mit einem Schlage, vernichtet,') das zu den Zellen des Körpers aber keine chemische Verwandtschaft besitzt und den Organismus daher unangegriffen und ungeschädigt läßt. Mit dem chemotherapeutischen Vorgehen haben die Bemiahungen zur Heilung bösartiger Geschwülste mit Röntgen- und Radiumstrahlen eine gewisse Ähnlichkeit : Man hat nämlich festgestellt, daß unter der für lebendes Gewebe schädlichen Einwirkung der Röntgen- und Radiumstrahlen nicht alle Bestand- teile des Körpers in gleichem Maße leiden.-) Es sind vielmehr besonders die jungen, in lebhafter Fortpflanzung befindlichen Zellen, die geschädigt werden. Zu diesen gehören, außer den Zellen einzelner bestimmter Organe des Körpers — z. B. der Keimdrüsen — auch gerade die Zellen der bösartigen Geschwülste. Die Röntgen- und Ra- diumtherapie bei bösartigen Geschwülsten geht daher darauf aus, diese Eigenschaft der Straiilen in dem Sinne auszunutzen, daß unter der Wirkung der Bestrahlung die Zellen der Geschwulst zum Absterben gebracht werden sollen, während die gesunden Gewebe möglichst unversehrt bleiben. Ob und inwieweit sich die Hoffnungen erfüllen werden, die man an die Chemotherapie und an die Radiumbehandlung der Geschwülste in der neue- sten Zeit geknüpft hat, muß allerdings erst die Zukunft entscheiden. — In den Vordergrund meiner Ausführungen habe ich, meinem Thema gemäß, die naturwissenschaft- liche Betrachtungs- und Denkweise in der Medizin gestellt; es war meine Absicht, dabei einiger- maßen zum Ausdruck zu bringen, wie etwa sich im Kopfe der Arzte heute vom naturwissenschaft- lichen Standpunkt aus die Dinge spiegeln. Ich deutete aber schon eingangs an , daß das naturwissenschaftliche Verständnis allein allerdings den Arzt nicht ausmacht. Ganz abgesehen von der notwendigen Technik, kommt vielmehr selbst- verständlich bei der Ausübung der Heilkunst auch eine Reihe von Gesichtspunkten in Betracht, die hier zu erörtern nicht meine Absicht war, auf die ich aber wohl als auf ,, ethische und soziale Gesichtspunkte" wenigstens hinweisen darf. Alles zusammen ist notwendig, um es der Heilkunst zu ermöglichen , in einer der ersten Reihen mitzuarbeiten an der großen, immer- währenden Aufgabe, an der Aufgabe, dem Vater- lande ein Geschlecht zu erhalten und heranzu- ziehen, gesund an Körper und Geist und kräftig genug, „die Forderung des Tages" ■'') zu erfüllen. Zum Schlüsse noch einige Worte: Es wird erzählt, ') daß beim ersten Aufstieg der Brüder Montgolfier in die Lüfte eine geistreiche, 82 jährige Dame, die Marquise Villeroy, ausgerufen habe : ,,Die Menschen, die Menschen, sie werden noch ein Mittel gegen den Tod erfinden!" Ich will hier nicht erörtern, ob ein solches Mittel dem Menschengeschlecht oder dem ein- zelnen zu wünschen wäre. Aber wir dürfen uns vielleicht fragen, ob nach den gewaltigen F"ort- schritten der Wissenschaft und Technik, im Jahr- hundert des lenkbaren Luftschiffes und der Röntgen- strahlen, man dem Ziel, ein solches Mittel zu finden, etwa näher gekommen ist. Es mag sein, daß bemerkenswerte Ver- suche, die in der jüngsten Zeit mit der Über- pflanzung von ganzen Organen von einem Indi- viduum auf das andere zum Ersatz verloren- gegangener Teile vorgenommen wurden , die Phantasie in abenteuerliche Fernen führen könnten. Ich glaube aber doch, daß zu dem Problem einer Lebensverlängerung kurz folgendes zu be- merken wäre: -) Entwicklung und Wachstum sind an einen vorgeschriebenen Weg gebunden, dessen Richtung und Grenzen in der Keimanlage gegeben und durch die im Keime enthaltene Lebensenergie — die „bioplastische Energie" (C. Weigert),-) wie man sie genannt hat, — bestimmt sind. Die bioplastische Energie reicht nun zwar nicht nur aus, um das Wachstum zur Vollendung zu führen, sondern auch nach Beendigung des Wachstums sind, wie aus dem vorhin Erörterten hervorging, die bioplastischen Kräfte in der Lage, geschädigte Gewebe durch Regeneration wieder auf den alten Zustand zurückzuführen. „Aber all- mählich nimmt die Fähigkeit zur vollkommenen Reparation deutlich ab. Die Gewebe werden nur unvollkommen restituiert, endlich versagt eines oder das andere, was zum Leben absolut notwen- dig ist, seinen Dienst, und dann tritt das ein, was unser aller Schicksal ist, der Tod." ') Eine Steigerung der bioplastischen Energie aber, wie sie bei einer künstlichen Verlängerung der physiologischen Lebensdauer notwendig wäre, käme auf eine Art „Urzeugung" hinaus. So wenig indessen, wie wir bisher eine Urzeugung beob- achtet haben und so wenig wahrscheinlich es ist, daß wir jemals Leben allein aus Leblosem hervor- •) „Therapia magna sterilisans" (Paul Ehrlich). -) Siehe liierzu Genaueres bei A skanazy: Auflere Krank- heitsbedingungen.— InAschoff's: Pathologische Anatomie. 3. Auflage. I. Band. — Jena 1913. « ^) „Was aber ist deine Pflicht? Die Forderung des Tages". (Goethe; In „Sprüche in Prosa".) ') Zitiert aus: Riebesell,; Der]_Kampf gegen den Tod. Naturw. Wochenschr. 191 3, Nr. 28. '] Die obigen Ausführungen über die „bioplastische Energie" schließen sich an die Theorien des verstorbenen Pathologen Carl Weigert an. Siehe C. Weigert: Gesam- melte .Abhandlungen. Herausgeg. von Rieder, Berlin 1906. ■'') Zitiert nach C. Weigert: Neue Fragestellungen in der pathologischen Anatomie, 1896. In Weigert's gesammelte Abhandlungen, Berlin 1906. Hinsichtlich der ,, Unsterblichkeit der : Einzelligen" und der ,, Unsterblichkeit des Keimplasmas" siehe .A. We ismann: 1. c. und C. Weigert (1. c). — „Nur der Körper ist sterb- lich im Sinne eines normalen Todes, die Keimzellen besitzen die potentielle Unsterblichkeit der Einzelligen, und sie müssen sie ebensogut wie jene besitzen, wenn nicht die Art aufhören soll zu existieren" (A. Weismann, 1. c). N. F. XIII. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 25 rufen und auch nur eine einzige lebende Zelle aus anorganischer Materie, etwa im Reagenzglas, entstehen lassen können, so wenig ist zu hoffen oder zu erwarten, daß wir die bioplastische Energie der Körperzellen zu vermehren vermögen; denn jedem Geschöpf hat die Natur Maß und Grenzen gesetzt, die in seiner ureigensten Individualität von seiner Entstehung an begründet sind. — In diesem Sinne werden von uns erfaßt und ergreifen uns die Worte, die Goethe ') in seinem wunderbaren, „Urworte" benannten Gedichte ge- prägt hat: „Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen, „Die Sonne stand zum Gruße der Planeten, „Bist alsobald und fort und fort gediehen „Nach dem Gesetz, wonach du angetreten. ') Goethe hat die „Urworte" selbst in Prosa erläutert. Die oben wiedergegebenen Worte stammen aus der mit der besonderen Überschrift „JaUnov, Dämon" bezeichneten Strophe des Gedichtes. Goethe bemerkt dazu (in „Ethisches"): „Der Dämon bedeutet hier die notwendige, bei der Geburt unmittelbar ausgesprochene, begrenzte Individualität der Person, das Charakteristische, wodurch sich der Einzelne von jedem anderen, bei noch so großer Ähnlichkeit, unterscheidet." Die Chinesen und der Schmetterling. [Nachdruck verboten.] Der Chinese steht den belebten und leblosen Naturgebilden mit der Frage gegenüber: „Wie läßt sich das nutzbringend verwenden?" Daß diese Fragestellung nicht durch das Fehlen ästhe- tischer Empfindung bewirkt wird, beweist die Vorliebe für Singvögel, Zierfische, Blumen; viel- mehr züchtet der im übervölkerten China besonders harte Kampf ums Dasein Härte und realen Sinn. Sehr in die Augen fallend ist die Gleichgültigkeit dem Heer der Insekten und da wiederum den vielen großen, buntgeflügelten Schmetterlingen gegenüber. Von den mir aus Südchina bekannten 22 Papilioniden hat keiner einen chinesischen Namen, auch die häufigen Delias nicht, trotz ihrer auffallenden Farbenkontraste, ebensowenig die wie große grünglitzernde Edelsteine hin- und her- schießenden Eriboea, die papierähnliche Cyrestis, die geisterhafte Stichaphtalma, die im November- Dezember zuweilen in Scharen am Wegrand saugenden großen, blauschillernden Euploeen; selbst die sehr stattlichen, auffallenden Saturniden, wie Attacus Atlas und Cynthia, Actias Selene, Loepa catinka sind unbenannt. Man kann zu- weilen Kinder sehen, die einem großen Atlas einen Faden um den Leib gebunden haben und ihn wie einen „Drachen" fliegen lassen; aber einen Eigennamen hat er trotzdem nicht, er ist eben eine „T'ang-ngo" =^ „Lampenmatte", wie jeder andere Nachtschmetterling. Alle Tagfalter führen den gemeinsamen Namen Wu-tip. I. Nutzschmetterlinge. Wenn es Vorteile bringt, kann der praktische Chinese ein guter Beobachter sein; das zeigen seine Aussagen und Kenntnisse über Nutzschmetter- linge. Mir sind sechs Arten solcher bekannt ge- worden. An erster Stelle steht natürlich Bombyx mori L.; an zweiter Stelle folgt Antherea Pernyi Guer., dann Saturnia Pyretorum Westw. Weniger wichtig und nur gelegentlich gesammelt werden ein Aristolochienfalter (Papilio mencius Fldr.), Tiere der beiden Genera Euploea und Danais, der Bohnenschwärmer (Clanis bilineata Wlkr.). Es ist recht wahrscheinlich, daß es mehr von den Chinesen als Nutztiere gesammelte Schmetterlinge Von R. Meli, Canton. gibt. Aber China ist groß, und die Zahl der Ausländer dort, die für naturwissenschaftliche Fragen Interesse haben, ist klein. Dann sind die Chinesen sehr verschwiegen und mißtrauisch, und man geht in den allermeisten Fällen an der Sphinx vorbei, ohne etwas zu sehen und zu hören. So- dann ist mir in China sehr aufgefallen, wie lokali- siert die verschiedenen Erwerbsarten und Nutz- objekte sind. Es wird deshalb in wenig besuchten Gebieten noch manches zu entdecken geben. Der Seidenspinner (Bombyx mori L.). Das Seidengebiet von Kuangtung ist das Delta- gebiet des Perlflusses; es wird umzogen durch eine Linie, die Hongkong-Makao-Samsöi i)-Canton verbindet. Das Zentrum davon ist wieder der Schun-tak- Kreis, etwa 3 Stunden südlich der bedeutenden Handelsstadt Fat-shan. Hier sind weite Gebiete mit Maulbeerbüschen bepflanzt. Diese Pflanzungen erinnern an solche unserer Korbweiden. Ein dicker, kurzer Stamm ragt kaum bis an die Erdoberfläche und treibt über- meterlange bis mannshohe Schößlinge. Deren Blätter werden als Futter gepflückt. Im Dezember werden die Triebe über dem Erdboden abge- schnitten und als Feuerholz verbrannt. In jeder Morus-Plantage ist ein nicht kleiner, rechteckiger Teich mit schrägen Ufern. Auf einem kleinen Kahne fährt der Seidenbauer darauf herum und schöpft den fetten Schlamm des an sich schon recht fetten Alluvialbodens und wirft ihn auf die ihrer Schößlinge beraubten Stöcke, die nach solcher Düngung schnell wieder ausschlagen. Das ge- schieht gegen Ende Februar. -)F"ür Zuchtzwecke sucht man zuerst eine An- zahl männlicher und weiblicher Kokons aus. Die weiblichen sind groß, dick, rund und weich; die männlichen sind an beiden Enden mehr verjüngt. ') Da, wo der Nordfluß, Pak-kong, den West- oder Perl- fluß trifft. 2) Ich habe mich im folgenden möglichst an die Schilde- rungen gehalten, wie sie die Züchter geben, und Kommentare vermieden; denn es kam mir bei der Niederschrift dieses Aufsatzes darauf an, zu zeigen, wie sich die Chinesen dem Insekt gegenüber stellen. 26 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 2 auch kleiner, härter oder straffer als die weiblichen. Nach durchschnittlich 15 — 20 Tagen schlüpft die Imago und gibt dabei eine Flüssigkeit von sich. Tiere mit entwickelten Flügeln sind zur Nachzucht verwendbar, solche mit verkrüppelten Flügeln, roten, trockenen Leibern und ohne Haare sind un- brauchbar und werden getötet. Es gilt als strenge Regel : Kopulation lasse man nur von Tieren desselben Schlüpftages zu. (Dieser Satz wird an- geblich von den Seidenzüchtern aller Distrikte genau beachtet.) Ist die Kopula gelöst, so bringt man die $$ auf Lagen rauhen Papieres. ') Dort legen sie in 74 Stunden etwa 500 Eier und sterben nach der Ablage. Die weißlichen oder blaß- grauen Eier werden am 18. Tage sorgfältig ge- waschen, d. h. die mit den Eiern besetzten Papier- blätter werden durch warmes oder laues Wasser gezogen, das in hölzernen oder irdenen Kübeln be- reit gestellt ist. Im Herbste werden die Eier sehr sorgsam in kühlen Zimmern gehalten. Darin sind wagerechte Bambusstäbe befestigt, an ihnen werden die Papier- lagen aufgehängt und zwar Rücken an Rücken. Im zehnten chinesischen Monat (also etwa Mitte Dezember europäischer Zeitrechnung) werden die Papiere zusammengerollt und in einen Raum ge- bracht, der frei ist von allen unangenehmen Düften und Einflüssen. Am 3. XII. (etwa Mitte Januar europäischer Zeit) werden die Eier in der eben erwähnten Weise gewaschen und in der Sonne getrocknet. Dieses Waschen gilt als wichtig, damit die Eier frühzeitig im Jahre und ferner am selben Tage schlüpfen. Verschiedene Schlüpf- zeiten bringen dem Züchter Verluste. -) Die nächsten Arbeiten im Hause erfolgen etwa Ende Februar. Man wählt einen hellen, sonnigen Tag und fegt dann den Zuchtraum gut und wärmt ihn. Darauf werden die Papiere mit den Eiern auf Müllen und diese Müllen wieder auf Bambusgestelle, die an den Wänden dieses Zucht- raumes stehen, gebracht. An dunkeln, feuchten Tagen darf man diese Arbeiten nicht vornehmen, sonst würden die später erzielten Kokons schad- haft. Die Seide von ihnen würde grob und ge- brochen und im Aussehen glanzlos und matt. Die Müllen und Gestelle müssen aus Bambus sein, weil Bambus nicht riecht, Holz aber leicht einen unangenehmen Duft hat oder annimmt. Das Futter für die geschlüpften Räupchen wird in sehr kleine Stücke geschnitten und zwar um Quetschen und Pressen zu vermeiden mit scharfen Messern. Nasse Blätter darf man nicht füttern, sie erzeugen Krankheiten wie Durchfall, deshalb müssen in der Regenzeit nasse Blätter erst getrocknet werden. Aber die Blätter müssen auch ganz frisch sein ; denn welke Blätter ver- stopfen. Die eben geschlüpften Räupchen werden ') In den MiUelprovinzen Chinas nimmt man Tuchstücke. -) Indirekt durch vermehrte Arbeit, direkt: indem manche sterben , weil ihnen infolge der vermehrten Arbeit nicht die sorgsame Pflege zugewandt werden kann, die für junge Raupen nötig ist. 48 mal im Laufe eines Tages gefüttert, nach einiger Zeit noch 30 mal; mit dem Wachstum der Raupen wird die Zahl der täglichen Fütterungen vermindert, die erwachsenen Tiere erhalten nur noch drei bis viermal täglich frisches Futter. Einmal oder zweimal im Laufe ihrer Entwicklung erhalten die Raupen ein besonderes Futter: die Maulbeer- blätter werden mit Mehl von grünen Erbsen, schwarzen Bohnen und Reis gemischt, dieses Futter kühlt die Raupen, hält alle schädlichen Einwirkungen fern und erzeugt eine gute Seide, stark im Faden und glänzend im Aussehen. Die Raupe fällt mehrmals in ihrem Leben in Schlaf. ') Der erste Schlaf dauert länger als 24 Stunden, er findet am 4. bis 5. Lebenstage statt und heißt „Ngo- -mien ■^" = „Mottenschlaf". Am 8. bis 9. Lebenstage erfolgt der „Ih-mien" („der zweite Schlaf"), am 14. bis 15. Lebens- tage der „Saam 1 -mien ^ " („der dritte Schlaf"), am 21. bis 22. Tage findet der letzte, ,,der große Schlaf" = ,,Tai 1 -mien :' " statt. Auch daß die Raupe sich häutet ('toi 1 -p'e ' ) ist dem Züchter bekannt, und daß er ein guter Beobachter sein kann , beweist folgende chinesische Schilderung der Häutung: ,, Am Kopfe bricht die Haut zuerst, dann beginnt die Raupe sich zu winden wie eine Schlange und tut das so lange, bis sie sich von der alten Haut befreit hat. Zuweilen kann sich das Tier aber nicht ganz befreien, am Leibesende hängt die trockene Haut fest und die Raupe stirbt. Nach der Häutung ist der Appetit größer, am größten ist er die vier oder fünf Tage nach dem großen Schlafe." Nach 32 Tagen sind die Raupen erwachsen. Anfangs befinden sich eine Menge der eben geschlüpften Räupchen in einer Bambusmulle; mit dem fortschreitenden Wachstum werden sie in immer kleinere Häufchen geteilt und jedes Häufchen in einer besonderen Mulle untergebracht. Wollen die Tiere sich verpuppen, so werden Gitter- werke aus Bambusgeflecht, an dem noch Bambus- schlingen hängen, auf die Müllen gelegt. Die Raupen, die gelblich werden, kriechen in die Gitter oder Schlingen und fangen an zu spinnen. ,,Sie bewegen den Kopf von einer Seite zur andern bis sie sich eingewickelt haben, das dauert etwa 3 — 5 Tage. Dann liegt die Raupe wieder einige Tage in Schlafsucht, hierauf wird sie zur Puppe. Die Flechtwerke mit den Kokons werden, um die Puppen zu töten, an Holzkohlenfeuer gebracht. Darauf werden die Kokons vom Geflecht gelöst und in Körbe ge- gelegt. Frauen und Kinder nehmen rasch diese Körbe und werfen die Kokons in Gefäße mit kochendem Wasser. In der Auswahl der Leute für diese und die folgenden Arbeiten ist man recht kritisch, es ist eine geschickte Hand und Erfahrung nötig, damit ein gleichmäßiger, ganz glatter, glänzender und reiner Faden gewonnen wird. Sind die Kokons genügend geweicht, so ') Mit „Schlaf" bezeichnen die Chinesen das Stadium vor der Häutung, wenn die Raupe mit vorgerecktem Kopfe bewegungslos sitzt, also die „Verhäutungsruhe". N. F. XIII. Nr. 2 Nalurwissenschaftliche Wochenschrift. wird zuerst die „Seidenrinde" (äußere Schicht) ab- gebunden. Dann kommen andere Frauen, eben- falls geschäftserfahrene und geschickte Spezialisten, und winden das „Seidenfleisch" (die innere Hülle) ab. Lange, weiße, glänzende Kokons geben einen feinen und guten Faden, große, mattge- färbte und nicht feste geben einen groben Faden. Von offensichtlich schlechten und minderwertigen Kokons wird ein sehr grober Faden gewonnen, der nur Seidenfutter gibt. Eine gewöhnliche, gute Arbeiterin haspelt in einem Tage etwa 4 Gewichtstaeis ab, die geschicktesten können in derselben Zeit höchstens 5 — 6 Taels liefern. Mit der Arbeit vertraute Familien können die Ernte in 18 — 19 Tagen vollenden, gewöhnliche Arbeiter brauchen etwa 24 Tage dazu. In den Seidedistrikten von Kuangtung sollen sieben Ernten im Jahre erzielt werden. Ich halte das für ausgeschlossen und glaube, daß fünf Ernten jährlich das höchste ist, was erzeugt werden kann.') Die erste Ernte beginnt im April. Bei der zweiten und dritten Ernte sollen die Kokons meist grün, bei den späteren zum großen Teile silberig sein. Die letzte Ernte erfolgt im November", sie heißt auch „kleine Ernte", oder „Kaltwetter- ernte". Die getöteten und gebrühten Puppen werden in Öl gebraten oder gebacken und gegessen. Sie sollen gebackenem Schweinshirn ähnlich und also nicht schlecht schmecken ; im Norden Chinas sollen sie auch eingesalzen aufbewahrt werden.-) Aus Schantung wird berichtet, daß sogar der Kot der Raupen nutzbringend und heilsam verwendet wird. Man füllt ihn getrocknet in Kissen und legt diese unter den Kopf; sie wirken angeblich nerven- beruhigend und vertreiben den Kopfschmerz. Zwei Krankheiten der Raupe können auftreten, sie sind allen Züchtern bekannt. „Fung-tsun" = „die vom Wind kommende", so heißt die eine; nur selten erholen sich die Raupen von ihr und geben dann eine ganz schlechte Seide. Die andere ') Es ist für Zuchtzwecke die Zeit vom 10. März bis 20. November in Betracht zu ziehen; das sind 255 Tage. Es sind anzusetzen : I. Zucht (März — April) Eistadium 18 Tage Raupenstadium 32 ,, _ , (Kopula selben Abend, Puppenruhe 15 „ gj^blage nächsten Abend) Eiablage I Tag 60 Tage 3 Somraerzuchten Eistadium 6 Tage Raupendauer 26 ,, Puppenruhe 1 1 ,, Eiablage I Tag 44 Tage X 3 = '32 Tage I Herbstzucht (Oktober — November) Eistadium 8 Tage Raupendauer 28 ,, Puppenruhe 13 „ Eiablage I Tag 50 Tage 66 -f- 132 -[- 50 = 248 Tage, 255 Tage stehen zur Verfügung. ') In Tsingtau geschieht das auch von selten der Chinesen mit Dendrolimus-Puppen. heißt „Tsak-fung" = „Diebeswind". Auch sie wird durch schlechte Winde erzeugt und ist immer tödlich. Die Raupen werden rot, steif, un- fähig zu kriechen und sterben. Um die schäd- lichen Winde abzuhalten, muß man deshalb die Türen zum Zuchtraume immer geschlossen halten. Auch gegen Fliegen und sonstige Schmarotzer muß man das tun. DieF^liegen legen ihre Eier auf die Raupen und saugen auch das Blut der Tiere. ') — Die Zucht der Seidenraupen erfordert viel Sorgfalt und Aufmerksamkeit. Am besten gedeiht sie, wenn der Himmel klar und die Luft rein ist. Weiter muß das Streben des Züchters darauf gerichtet sein, eine gleichmäßige Temperatur im Zuchtraume herzustellen. Deshalb schließt man zunächst immer die Türen und Fenster des Zuchtraums. Sodann betritt der Wärter von Zeit zu Zeit prü- fend den Raum. Er hat weiter nichts an als eine dünne Hose, deren Beinlängen bis zum Rumpfende hinaufgekrempelt sind, so daß sie einer Badehose an Größe gleichkommt, und sucht nun mit Hilfe des nackten Körpers festzustellen, ob die für die Zucht günstige Temperatur im Zimmer herrscht. Ist es zu kalt oder feucht, so werden die kleinen irdenen Öfchen von Ziegelfarbe angebrannt. Auch der Blitz kann schädlich auf die Raupen einwirken; deshalb werden vor Ausbruch eines Gewitters Lagen von dickem, braunem Papier auf die Müllen gelegt. Ebenso nachteilig ist das alarmierende Gerassel des Donners. Überhaupt werden die Tiere leicht durch die Geräusche aller Art störend oder schädigend beeinflußt; deshalb wird im Zuchtraume nur in gedämpftem Tone gesprochen. Außerdem gibt es noch manche andere Vorsichts- maßregel zu beachten. Schwangere Frauen oder solche, die kurz vorher entbunden sind, dürfen den Zuchtraum nicht betreten, auch Leuten, die „Trauer haben", ist dies bis zum 49. Tage nach beendigter Trauerzeit streng untersagt. Die Per- sonen, die mit der Pflege der Raupen betraut sind, müssen besondere Vorschriften für ihre Diät beachten: sie dürfen keinen Ingwer essen, ebenso- wenig die T'sam-tao genannte Bohnenart und müssen alle in Öl gebratenen Speisen vermeiden. Auch dürfen sie am Körper oder in den Taschen nichts haben, was irgendwie duftet. In jeder Züchterei befindet sich vor dem Ein- gange zum eigentlichen Zuchtraume ein Ahar für die Schutzgöttin der Seidenraupen. Auf diesem Altar steht stets eine Schale mit reinem Wasser und ein Bündel Morus-Zweige. Jeder, der den Zuchtraum betreten will, taucht zuvor das Bündel in das Wasser und besprengt sich das Gesicht damit. Vergißt oder unterläßt das der westlän- dische Besucher, so besprengt ihn der begleitende Chinese. In Nordchina soll man beim Eintritt zum Zuchtraum und wieder beim Austritt aus ihm Reisähren als „G^ücksbündel" auf den Kopf hängen. 1) Daß Tachinen die Borabyx-Raupen angehen, habe ich nicht beobachtet, es ist wohl möglich; mit den „Eiern" sind vermutlich kleine Ichneuraonidentönnchen gemeint. (Schluß folgt.) 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 2 Bücherbesprechimgen. P. Kammerer, Genossenschaften von Lebe- wesen auf Grund gegenseitiger Vor- teile. 112 S. Stuttgart 191 3, Strecker und Schröder. — Preis geb. 3,50 Mk. Der Verfasser gibt in vorhegender Schrift eine Übersicht über die Fälle von mutualistischer Sym- biose in beiden Organismenreichen, und führt in einem abschließenden Kapitel aus, daß die ,, gegen- seitige Hilfe" im Lauf der phylogenetischen Ent- wicklung ein ebenso wichtiger Faktor gewesen sei wie der „Kampf ums Dasein"; ja, er sieht in den vielzelligen Organismen — unter Hinweis auf Hansemann's Ausführungen über den Altruismus der Zellen — gleichfalls nur einen Spezialfall gegenseitiger Unterstützung, eine Zellensymbiose. Es handelt sich um einen an sich nicht neuen Ge- danken, auch der Verfasser selbst hat schon vor mehreren Jahren kurz Ähnliches ausgeführt. Dem Laien bietet die gemeinverständliche Schrift ein ziemlich reichhaltiges Tatsachenmaterial, dessen kritische Sichtung allerdings sorgfältiger hätte sein können. So ist gleich anfangs die Parallele zwischen der „Haustierhaltung" der Ameisen und Menschen doch recht äußerlich, und von einer „ganz be- sonders entwickelten Intelligenz" der Ameisen, wie sie noch vor 30 Jahren Lubbock diesen Tieren zuschrieb, wird heute auch der nicht reden können, der in den Handlungen der Ameisen Intelligenz wahrzunehmen glaubt ; inwieweit im Wasser lebende Schnecken durch Bryozoenüberzüge oder durch Algenbedeckung wirklich einen Schutz gegen feindliche Nachstellungen erhalten, ist wohl nicht sicher zu ermitteln; auch ist nicht einzusehen, daß durcheinander wachsende Schwämme ver- schiedener Art einen kräftigeren Wasserstrom zu erzeugen vermögen, als wenn derselbe Raum von stärker knospenden Schwammstöcken gleicher Art ausgefüllt wäre. Daß eine Veredelung im VorteH der veredelten Pflanzen liege, wird man auch nicht unbedingt sagen können, wenn man erwägt, daß z. B. viele Gartenpflanzen mit gefüllten Blüten die Fähigkeit der Samenerzeugung verloren haben. Die Mitteilungen über die Züchtung gewisser Gräser durch die ,, Ernteameisen" sind nicht un- bestritten geblieben. Solche Einwände wären noch gegen manche Stellen zu erheben. Aus einem Satz des Vorworts geht hervor, daß Kam- merer die hier dargebotene Schrift nur als eine Vorarbeit für eine spätere, gründlichere Bearbei- tung der hier erörterten Fragen angesehen wissen will. Hierdurch erklärt es sich wohl, daß der Verfasser die Probleme hier mehr mit ,, flüchtigen Andeutungen" streift, als daß er sie bis auf den Grund verfolgte. R. v. Hanstein. Herpetologia europaea. Eine systematische Bearbeitung der Amphibien und Rep- tilien, welche bisher in Europa auf- gefunden sind. Von Dr. Egid Schreiber, k. k. Schulrat in Görz. Zweite, gänzlich um- gearbeitete Auflage. Mit 188 in den Text ein- gedruckten Holzschnitten. Jena 1912, Verlag von Gustav Fischer. — Preis 30 Mk. Es kommt im literarischen Leben nicht zu oft vor, daß man in die Lage kommt, ein Buch bei seiner ersten Auflage und dann wieder nach 37 Jahren zu besprechen. Als die Herpetologia Schreibers im Jahre 1875 in erster Auflage er- schien, fand sie eine noch recht spärliche Ge- meinde von Lurch- und Kriechtierfreunden vor. Dem Fachmanne und dem Liebhaber ist dieses Werk neben Brehms Tierleben lange der Haupt- behelf beim Studium der europäischen Amphibien und Reptilien geblieben. Wie haben sich in den vier Jahrzehnten die bezüglichen Verhältnisse ge- ändert. Eine wie reiche Literatur ist seither über diese beiden Tierklassen erstanden. In wie weite Kreise hat die Aquarien- und Terrarienliebhaberei Interesse an den so lange verfemt gewesenen Lurchen und Kriechtieren gebracht. Da muß es die Freunde des Schreiber'schen Werkes aufrichtig freuen, dasselbe in ganz verjüngter Form erscheinen zu sehen. Daß es heute gegenüber einem Um- fang von 639 Seiten einen solchen von 960 Seiten im größeren Lexikonformat aufweist, dokumentiert schon äußerlich, wie ausgiebig es den veränderten Verhältnissen Rechnung getragen hat. Den Amphibien sind die Seiten 3 — 285 ge- widmet. Nach einer allgemeinen Ergehung über die Lurche werden die Urodela als Ordnung und dann in ihren Familien Proteidae und Sala- mandridae besprochen. Beim Proteus konnten zwar Kammerer's Festlegungen bezüglich der Fort- pflanzungsweise, wie wir sie hier vor kurzem be- sprochen haben, noch nicht endgültig zur Erwäh- nung kommen, doch läßt es Schreiber unter Hinweis auf frühere Untersuchungen Kammerer's bereits als sehr wahrscheinlich erscheinen, daß der Grottenolm in seinem Freileben vivipar sei. Schreiber bringt auch die nähere Unterscheidung der seinerzeit von Fitzinger zu Arten erhobenen lokalen Formen des Grottenolms. Von den Sala- mandriden kommen zuerst die durch ihre ver- kümmerten Lungen charakterisierten Gattungen Spelerpes und Salamandrina mit je einer Art und sehr genauen Angaben über ihre Lebensweise im Freien und in der Gefangenschaft und ihre Hal- tung im Terrarium zur Besprechung. Sehr ein- gehend ist die Gattung Molge mit ihren zahl- reichen Arten behandelt. Schreiber hält da, einigermaßen gegen das Prioritätsgesetz, an dem langgebrauchten Gattungsnamen Triton fest, was er damit begründet, daß Laurent! 1768 diesen Namen für die Wassermolche in Anwendung gebracht, nachdem der apokryphe Gattungsname Triton Linne als undeutbar längst fallen gelassen worden war, daß ihn wohl Montfort im Jahre 1808 für eine Schneckengattung in Anwendung gebracht hat, Laurenti da aber sicherlich das Prioritätsrecht hat, überdies die betreffende Schneckengattung schon 1806 von Link mit dem Namen Tritonium belegt worden ist. Für den, der sich in_ die N. F. XIII. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 29 Tritonenkunde einführen lassen will, ist die sehr übersichtliche Bestimmungstabelle und die aus- fiihrliche Ergehung über die verschiedentlichen Varietäten und über das Frei- und Gefangenleben und die Pflege der verschiedentlichen Tritons von ganz besonderem Werte. Es kommen dann noch sehr ausführlich die Gattungen Salamandra und Chioglossa zur Besprechung. Die Anura werden auf den Seiten 148 — 285 abgehandelt. Nach einer allgemeinen Ergehung über die Froschlurche werden die fünf Familien Discoglossidae, Pelo- batidae, Ranidae, Hylidae und Bufonidae be- sprochen. Bei der Gattung Alytes bringt die neue Auflage außer der bekannten Art Alytes obstetri- cans eine zweite Art, Alytes cisternasi Bosca, die nur auf der Pyrenäischen Halbinsel auftritt, zur Sprache. Besonders eingehend ist die Gattung Rana behandelt, die, noch immer in Differen- zierung begriffen, der mehrfach vorhandenen Zwischenformen wegen in ihren verschiedenen Arten nicht durchwegs sicher auseinanderzuhalten ist. Da ist die Ubersichtstabelle bezüglich der Unterscheidungsmerkmale der heute sicher zu unterscheidenden Rana-Arten besonders wertvoll. In einer ausführlichen Ergehung über die geo- graphische Verbreitung der europäi- schen Lurche kommt Schreiber zu dem Er- gebnis, daß die Schwanzlurche und die Lurche überhaupt von Norden nach Süden und nament- lich nach Westen hin in steigendem Verhältnisse zunehmen und daß die Froschlurche viel gleich- mäßiger verbreitet erscheinen. Der weitaus größere Teil des Buches (290 bis 923) ist den Reptilien gewidmet. Nach einer allgemeinen Charakteristik der Kriechtiere kommen die Rhiptoglossa, in Europa nur durch das ge- meine Chamäleon vertreten, zur Behandlung. Sehr ausführlich ist die Charakteristik der Lacertilia mit den für die europäische Fauna in Betracht kommen- den Familien Lacertidae, Scincidae, Agamidae, Geckonidae, Anguidae und Amphisbaenidae. Von diesen Familien sind besonders die Lacertiden sehr eingehend behandelt. Statt der komplizierten Nomenklatur Eimers gebraucht der Verfasser die sehr einfache und faßliche v. Mehely's. Nicht weniger als 142 Seiten sind der Gattung Lacerta gewidmet, von der Schreiber 25 europäische Arten aufstellt, während wieder andere Herpeto- logen, in das andere Extrem verfallend, die be- kannten Lacerten in wenige Arten zusammen- ziehen. Mit den Schlangen beschäftigen sich 177 Seiten des Buches. Nach einer allge- meinen Besprechung der Ordnung kommen zu- nächst die Viperidae zur Erörterung. Die heute noch in der Differenzierung begriffenen Vipern, bei denen mancherlei Übergangsformen die Ab- grenzung der Arten erschweren, sind für Europa in acht Arten: Vipera lebetina, ammodytes, latastei, aspis, berus, renardii, ursinii und macrops vorgeführt. Nachdem noch die Boiden, in Europa durch Eryx jaculus, und die Typhlopiden, durch Typhlops vermicularis vertreten, behandelt worden. werden auf den Seiten 754 — 818 die Schild- kröten besprochen, worauf Schreiber sich ziem- lich eingehend mit der geographischen Ver- breitung der europäischen Kriechtiere befaßt. Was diese zweite Auflage der Herpetologia besonders dem Aquarien- und Terrarienfreund sehr wertvoll macht, sind die Kapitel: „Über das Sammeln, Präparieren und Aufbewahren von Amphibien und Reptilien", ,,Über das Versenden von Amphibien und Reptilien", „Über das Halten von Amphibien und Reptilien in der Gefangen- schaft" und „Über die Krankheiten der gefangenen Lurche und Kriechtiere", sämtliche reich an wert- vollen Ratschlägen. Dr. Friedrich Knauer. H. W. Schmidt, Deutschlands Raubvögel (Falken, Habichte, Bussarde). Aussehen und Lebensweise, Nutzen oder Schaden, Scho- nung und Jagd in sachgemäßer, allgemeinver- ständlicher Darstellung. 92 S., 8 Tafeln. Stutt- gart, Strecker und Schröder, 191 3. — Preis geheftet 1,20 Mk. In fesselnder Weise werden die einzelnen Raub- vögel Deutschlands, die verschiedenen Falkenarten, der Hühnerhabicht, Sperber und die Bussarde be- schrieben. Neben der Schilderung des Aussehens und der Lebensweise der einzelnen Vögel stehen kritische Untersuchungen ihres volkswirtschaft- lichen Nutzens und Schadens, schließlich An- leitungen zur Schonung resp. Jagd. Auf Grund eingehender Beobachtungen und jahrelanger eigener Untersuchungen unterstützt Verf. die modernen Vogelschutzbestrebungen. Andererseits weist er aber auch die Schädigung unserer Volkswirtschaft durch einzelne Arten nach, zu deren praktischer Erlegung wertvolle Winke gegeben werden. Ferd. Müller. Dr. med. Martin, Die sogenannte Bluts- verwandtschaft zwischen Mensch und Affe. Naturwissenschaftliche Zeitfragen. Heft 14. Naturwissenschaftlicher Verlag (Abteilung des Keplerbundes) Godesberg bei Bonn 191 3. 36 S. Der Verfasser gibt in diesem Heftchen eine ganz vortreffliche populäre Darstellung des Ver- fahrens bei Anwendung der biologischen Reaktionen (Agglutination, Hämolyse, Präzipitinreaktion), die in neuerer Zeit zur Prüfung der Beschaffenheit und Herkunft von Blutproben benutzt werden. Diese klaren Ausführungen und die weiteren Dar- legungen über die Natur der Eiweißkörper des menschlichen und tierischen Körpers wird jeder mit Vergnügen lesen, auch wenn er die Schluß- folgerungen des Verfassers, der sich auf die Formel: Spezifität, nicht Ähnlichkeit versteift, nicht als zwingend anerkennen kann. F. Moewes. i) Hausschwammforschungen im amtlichen Auftrage herausgegeben von Prof. Dr. A. Möller. Heft IV. Die bisher bekannten Mittel zur Ver- hütung von Pilzschäden an Bauhölzern vor dem 5Ö Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 2 Einbau vom Kgl. Baurat Brüstlein. Die Sicherung des Holzwerkes der Neubauten gegen Pilzbildung von Prof H. Ch. Nußbaum. Die Bedeutung der Kondensvvasserbildung für die Zerstörung der Balkenköpfe in Außenwänden durch holzzerstörende Pilze von Dr. Ing. R. Nie- mann. Heft VI. Die Meruliusfäule des Bau- holzes von Prof Dr. R. Falck. Jena (G. Fischer) 1911/1912. 2) A. Naumann. Die Pilzkrankheiten gärtneri- scher Kulturgewächse und ihre Bekämpfung. I. Gemüse, Stauden und Annuelle, Kalt- und Warmhauspflanzen. Dresden (C. Heinrich). 1. Die Bedeutung der „Hausschwammfor- schungen" ftir Wissenschaft und Praxis ist bereits früher an dieser Stelle gewürdigt worden. Die beiden Hefte schließen sich den früheren in würdiger Weise an. Brüstlein bespricht die bisher bekannten und geprüften Mittel, um die Schädigungen des Bauholzes noch vor der Ver- wendung im Bau zu verhüten. Es handelt sich dabei um eine Sterilisierung des Holzes, die eine dauernde sein muß, um auch spätere Angriffe durch Bauholzpilze zu verhindern. Bei frisch ge- fälltem Holz läßt sich schwer ein Schutz erzielen. Man könnte höchstens an ein Durchtränken denken, von dem verschiedene patentierte Verfahren vor- geschlagen worden sind. Beim P"lößen des Holzes dürfte kaum eine Schädigung erfolgen, wohl aber ist das Lagern auf den Stapelplätzen gefährlich, weil hier die günstigsten Infektionsbedingungen herrschen. Zur Verhütung hat Falck bereits früher die notwendigen Maßnahmen angegeben. Die weitere Präparation des Holzes kann durch Anstrich- oder Tränkungsmittel oder durch Im- prägnieren mit desinfizierenden Flüssigkeiten er- folgen. Die verschiedenen Methoden und Vor- schläge dafür finden eingehende Besprechung. — Die Sicherung des Bauholzes im Bau selbst be- spricht Nußbaum. Es handelt sich hier haupt- sächlich darum, das Holz nach dem Einbau schnell abzutrocknen und das Wiedereindringen von Feuchtigkeit von der Umgebung her zu verhüten. Daß beides möglich ist, beweisen die Ausführungen des Verf's, die von zahlreichen instruktiven Bildern begleitet sind. — Sehr wichtig für die Erhaltung der Balken ist der Scluitz der Balkenköpfe gegen eindringendes Wasser. Mit dieser rein bautechni- schen Frage beschäftigt sich Niemann in sehr eingehenden Darlegungen und Berechnungen, die darin gipfeln, daß es auch hier möglich ist, die Balkenköpfe gegen eindringendes Wasser und gegen nachträgliche Pilzinfektion zu schützen. 2. Falck gibt in seiner mit prächtigen Tafeln und Figuren versehenen Arbeit im ersten Teil eine auf kultureller Grundlage bearbeitete Mono- graphie des eigentlichen Hausschwammes und der nächst verwandten Arten. Bekanntlich ist der Hausschwamm recht vielgestaltig, die Hymenien sehen sehr verschieden aus, wodurch die Unter- scheidung der Arten nicht immer sicher ist. Dem- nach wird in erster Linie die Formgestaltung der Hymenien geschildert und zwar immer mit Rück- sicht auf die Unterscheidung der vier Arten: Merulius domesticus (lacrymans), Sil- vester, m in o r und sc 1 e r o t i orum. Als eben- so wichtig wie die Fruchtkörper , die ja nicht immer vorhanden sind, erscheinen die Myzelien, die in den mannigfaltigsten Modifikationen auf- treten können. Die Kenntnis dieser Myzelien er- scheint für die Praxis außerordentlich wichtig, weil die Unterscheidung von weniger gefährlichen Holzzerstörern nicht einfach ist. Deshalb wird die Tabelle willkommen sein, durch die eine Übersicht über die Merkmale der verschiedenen Myzelien gegeben wird. Was dann über Oidien- bildung und Strangbildung der Hyphen gesagt wird, hat für die allgemeine Morphologie der Pilze besondere Bedeutung, weil kaum jemals die ein- schlägigen Fragen in so umfassender und gründ- licher Weise erörtert worden sind. Im 2. Teil werden nun aus der Kenntnis der allgemeinen Verhältnisse die Nutzanwendungen gezogen, indem erörtert wird, wie sich der Haus- schwamm durch Sporen erhält und verbreitet, wobei auch die Ausbreitung des Myzels, die äußeren Bedingungen für die Ausbreitung und anderes zur Sprache kommt. Wenn die Sporen das wichtigste Verbreitungsmittel des Haus- schwammes sind, so müssen verschiedene äußere Bedingungen erfüllt sein, ehe das Holz der Infek- tion verfällt. In erster Linie betrachtet der Verf die saure Reaktion des Holzes als Vorbedingung. Diese ist beim gesunden Holz nicht vorhanden — weshalb es nicht infizierbar ist — , wohl aber bei dem Holze, das von Pilzen befallen ist, die als harmloser betrachtet werden. So wird z. B. durch Coniophora der Holzfäule durch Merulius vorgearbeitet. Daß daneben noch hohe Luft- feuchtigkeit und passender Feuchtigkeitsgehalt des Holzes notwendig sind, führt Verf ebenfalls näher aus. Für den Praktiker wird das Kapitel über statistische Ergebnisse der Hausschwammforschung in Preußen von Interesse sein. Der letzte Teil beschäftigt sich dann mit der Bekämpfung und Verhütung des Hausschwammes mit ausschließlicher Berücksichtigung der Immuni- sierung des Bauholzes durch verschiedene Sub- stanzen. Diese Sterilisierung des Holzes kann durch Anstrich sowie Imprägnierung geschehen. Alle die Methoden, die in Betracht kommen, und die empfohlenen chemischen Präparate werden geprüft und ihre Wirkungen in Tabellen zusammen- gestellt. Am Schluß gibt Verf noch einmal die Folge- rungen aus seinen Untersuchungen. Es müssen die primären LVsachen für die Schwamminfektion beseitigt werden, was durch den Schutz des Holzes gegen die Myzelien anderer Holzzerstörer mittels Anstrich usw. zu geschehen hat. Die breit an- gelegte Arbeit wird der Praxis noch manche An- regung geben. 3. Die Pflanzenhygiene hat sich zu einem wichtigen Zweige der Pflanzenkunde entwickelt N. F. Xiri. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 31 und kommt ausschließlich der Praxis zugute. IWan kann aber von dem praktischen Landwirt oder Gärtner nicht verlangen, daß er die Pilzkunde und Pflanzenpathologie beherrscht. Ohne diese könnte er aber nicht daran denken, eine Krankheit seiner Kulturpflanzen erkennen oder bekämpfen zu wollen. Man kann deshalb den Gärtner auf das Buch von Naumann hinweisen, das jedem Laien verständ- lich geschrieben die Behandlung der erkrankten Pflanzen zeigt, ohne daß das ganze gelehrte Rüst- zeug notwendig erscheint. Die einleitenden Ka- pitel des Buches verbreiten sich nämlich über die in Betracht kommenden Schädlingspilze und geben an der Hand instruktiver Figuren eine recht gute Einführung in die Kenntnis der Formen der Pilze. Daran schließen sich Kapitel über Infektion, Be- kämpfung, Anfertigung von Präparaten usw. an. Alle diese allgemeinen Erörterungen bilden nun das Fundament für den speziellen Teil, der darauf immerfort verweist. Es werden in diesem ersten Heft die Krankheiten der Gemüsepflanzen, der Stauden und Annuellen, der Kalthaus- und Warm- hauspflanzen besprochen und z. T. abgebildet. In systematischer Folge werden die einzelnen Nähr- pflanzen genannt und nun dabei die Krankheiten angegeben, indem das äußere Bild kurz geschildert und dann ein Hinweis auf die mikroskopischen Einzelheiten in der Einleitung gegeben wird. Die Bekämpfung wird dann ebenfalls kurz mit dem Hinweis auf die allgemeinen Erörterungen über die verschiedenen Bekämpfungsmittel erledigt. Augenscheinlich ist das Buch ganz aus praktischen Überlegungen und Studien hervorgegangen, so daß man annehmen kann, daß es der Praxis von Nutzen sein wird. G. Lindau. Anregungen und Antworten. Falltachisloskop. — Für die Expositionszeit des Fall- tachistoskops kommt bei freiem Fall des Fallschirmes nur die Höhe des Ausschnittes im Schirm in Betracht. Wird vom Luftwiderstand sowie von der Reibung abgesehen, so wird die Expositionszeit aus t = i/?I==i/^ ' g '981 berechnet, t ist die Expositionszeit in Sekunden, s die Höhe des Ausschnittes, im Modell also 7 cm, g die Beschleunigung äer Schwere g = 981 Die Expositionszeit des Modells t sind Sekunden, s die Höhe des Ausschnittes in cm ; für m bzw. nij werden die den Massen proportionalen Gewichte des Schirmes und Balanziergewichts in gr ausgedrückt gesetzt. Durch ein Gegengewicht, das halb so schwer wie der Kalischirm ist, wird die Expositionszeit 1,733 mal so groß ge- macht als beim freien Fall. Dgt. ist daher t=l/ ^t^ 0,1 19 Sekunden. ' 981 Wird der Fallschirm durch ein Gegengewicht belastet, das etwa durch eine über eine Rolle gleitende Schnur mit dem Fallschirm in Verbindung steht, so wird die Expositions- zeit wesentlich größer gemacht werden können. Sie läßt sich auf folgendem Wege bestimmen : Sei m die Masse des Schirmes, m, die des Gegengerüstes, so wird durch die von dem Über- gewicht herrührende Kraft (m — m,)g die ganze Masse m -|- m, in Bewegung gesetzt und ihr eine Beschleunigung a erteilt. Die Beschleunigung des Fallschirmes ist daher a = (m — mijg ^ ('" — "'1)981. m -|— TOj m -|- m| Die Expositionszeit wird nunmehr t = \/^ = l/^-slm-t- mi) ' a '^ (m — m,)98l Literatur. Ander, Dr. med. Adam, Mutterschaft oder Em.incipation ? Eine Studie über die Stellung des Weibes in der Natur und im Menschenleben. Berlin. P. Nitschmann. Archiv für die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik. 6. Bd. Festschrift Herrn Geh. Med. -Rat Prof. Dr. K. Sudhoff, Leipzig zur Feier seines 60. Geburtstages ge- widmet von Freunden, Verehrern und Schülern. Mit I Bild- nis, 4 Abbildungen im Text und I Tafel. Leipzig '13. F. C. W. Vogel. Becher, Dr. S. u. Demoll, Dr. R., Einführung in die mikro- skopische Technik für Naturwissenschaftler und Mediziner. Leipzig '13. Quelle & Meyer. — Geb. 3 Mk. Bendt, Fr. Grundzüge der Differential- u, Integralrechnung. 5. Aufl., durchges. u. verbess. v. Dr. G. Ehrig. Mit 39 Text- abbildungen. (Webers illustr. Handbücher.) Leipzig '14. J. J. Weber. — 3 Mk. Berg, Dr. Alfr., Geographisches Wanderbuch. Für mittlere und reifere Schüler, ein Führer für Wandervögel und Pfad- finder. Mit 193 Abbildg. im Text. (Prof. Dr. Bastian Schmids naturwissensch. Schülerbibliothek Nr. 23). Leipzig- Berlin '14. B. G. Teubner. Boas, Prof. Dr. J. E. V., Lehrbuch der Zoologie für Studierende. 7. vermehrte u. verbesserte Auflage. Mit 648 .-^bb. im Text. Jena '13. G. Fischer. — Geb. 16 Mk. Brehms Tierleben. Allgemeine Kunde des Tierreichs. 13 Bände. Mit über 2000 Abb. im Text und auf mehr als [^00 Tafeln in Farbendruck, Kupferätzung und Holzschnitt sowie 13 Karten. Vierte, vollständig neubearbeitete Auf- lage, herausgegeben von Prof. Dr. Otto zur Strassen. Bd. V: Lurche und Kriechtiere. Neubearbeitet von Franz Werner. Zweiter Teil. Mit 113 Abb. im Text, 19 farbigen und 18 schwarzen Tafeln sowie 28 Doppeltafeln nach Photo- graphien und 2 Kartenbeilagen. — In Halblcder geb. 12 Mk. Brohmer, Dr. P., Tierkunde für Lehrerbildungs-Anstalten. Nach dem naturwissensch. Unterrichtswerk von Prof. Dr. O. Schmeil auf Grund der Lehrpläne bearbeitet. Mit 31 mehrfarbigen, einer schwarzen sowie zahlreichen Textbildern und Originalzeichnungen. Leipzig '13. Quelle u. Meyer. — Geb. 5 Mk. Brohmer, Dr. P., Pflanzenkunde für Lehrerbildungsanstalten. Nach dem naturwissenschaftl. Unterrichtswerke von Prof. Dr. O. Schmeil auf Grund der Lehrpläne bearbeitet. Mit 27 mehrfarb. und 8 schwarzen Tafeln sowie zahlreichen Text- bildern nach Originalzeichnungen. Leipzig '13. Quelle & Meyer. — Geb. 4,80 Mk. Crossland, Cyril., Desert and Water Gardens of the Red Sea. Being an account of the natives and the shore for- mation of the coast. Cambridge '13. Cyon, E. von, Gott u. Wissenschaft. 2. Bd. Neue Grund- lagen einer wissensch. Psychologie. Autorisierte deutsche Ausgabe. Mit 2 anatomischen Tafeln. Leipzig '12. Veit u. Co. — 4 Mk. Dittrich, Prof. Dr. C, Die Probleme der Sprachpsychologie und ihre gegenwärtigen Lösungsmöglichkeiten. Leipzig '13. Quelle & Meyer. Fischer, Dr. J., Das Problem der Brütung. Eine thermo- biologische Untersuchung. Leipzig '13. Quelle u. Meyer. Forel, Prof. Dr. med. Aug., Die sexuelle Frage. Der ge- kürzten Volksausgabe I. — 20. Tausend. München '13. E. Reinhardt. — 2,80 Mk. Fortschritte der naturwissenschaftlichen Forschung. Heraus- gegeben von E. Abderhalden. Bd. 9. Berlin-Wien '13. Urban & Schwarzenberg. — Geb. 17 Mk. Friedländer, Immanuel, Beiträge zur Kenntnis der Kap- verdischen Inseln. Die Ergebnisse einer Studienreise im Sommer 1912. Mit einer Übersicht über die Gesteine der Kapverdischen Inseln von Prof. Dr. W. Bergt. Nebst I geologischen Übersichtskarte, 10 Spezialkarten und 40 Licht- 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 2 druckbildern auf 19 Tafeln. Berlin '19. Dietr. Reimer (Ernst Vohsen). — Brosch. 15 Mk. Gohlke, Kurt, Die Brauchbarkeit der Serumdiagnostik für den Nacliweis zweifelhafter Verwandtschaftsverhältnisse im Pflanzenreich. Stuttgart u. Berlin '13. Fr. Grub. — Geh. 4 Mk. Goldschmidt, Prof. Dr. R. , Einführung in die Vererbungs- wissenschaft. In 22 Vorlesungen für Studierende, Arzte, Züchter. 2. völlig utiigearbeitele und stark vermehrte Auf- lage. Mit 189 Abb. Leipzig und Berlin '13. W. Engel- mann. — Geb. 14 Mk. de Haas-Lorentz, G. L. , Die Brownsche Bewegung und einige verwandte Erscheinungen. (Die Wissenschaft usw., Bd. 52.) Braunschweig '13. F. Vieweg. Hann, Prof. Dr. Julius, Lehrbuch der Meteorologie. 3. unter Mitwirkung von Prof. Dr R. Süring, Potsdam umgearbeitete Auflage. Mit mehreren Tafeln, Karten u. Tabellen sowie zahlreichen Abbildungen im Text. Lieferung I. Leipzig '13. Chr. Herrn. Tauchnilz. — 3,60 Mk. (etwa 10 Lieferungen). Hirt, Dr. med. Walter, Das Leben der anorganischen Welt. Eine naturwissenschaftliche Skizze. München '14. Ernst Reinhardt. Johannsen, Prof. Dr. W., Elemente der exakten Erblichkeits- lehre. Zweite deutsche, neubearbeitete und sehr erweiterte Ausgabe in 30 Vorlesungen. Mit 33 .\bb. im Text. Jena '13. G. Fischer. — Geb. 16 Mk. Kalähne, Prof. Dr. GrundzUge der mathematisch-physikalischen Akustik. II. Teil. Mit 57 Textfig. (Sammlung matheni.- physikal. Schriften, herausgeg. von E. Jahnke, 11,2.) Leipzig- Berlin '13. B. G. Teubner. — Geb. 6 Mk. Koorders, Dr. S. H., Exkursionsflora von Java, umfassend die Blutenpflanzen. 4. Bd.: Atlas, 1. Abteilung; Familie I — 19. Jena '13. G. Fischer. — 2,50 Mk. Krziwanek, K., Analytische Darstellung der Ungleichheiten in der Bewegung des Mondes. Wien, Teschen, Leipzig '13. K. Prochaska. Löwenheim, Dr. L., Die Wissenschaft Demokrits und ihr Einfluß auf die moderne Naturwissenschaft. Herausgeg. v. Leopold Löwenheim. Berlin '14. L. Simon. — Broch. 6 Mk. Meumann, Prof. Dr. E., Intelligenz u. Wille. 2. umgearbeitete und vermehrte Auflage. Leipzig '13. Quelle u. Meyer. — Geb. 5,20 Mk. Meyer, K., Die Entwicklung des Temperaturbegriffs im Laufe der Zeiten, sowie dessen Zusammenhang mit den wechseln- den Vorstellungen über die Natur der Wärme, übersetzt a. d. Dänischen v. J. Kolde und mit einem Vorwort v. Eilhard Wiedemann. Mit 21 Textabbild. (Die Wissenschaft usw. Bd. 48.) Braunschweig '13. Fr. Vieweg. — Geb. 4,80 Mk. Meyer, Dr. Werner Th., Tintenfische, mit besonderer Berück- sichtigung von Sepia und Octopus. Mit I färb. Tafel u. 81 Abb. im Text. (Monographien einheimischer Tiere, herausgeg. v. Prof. Dr. H. E. Ziegler u. Prof. Dr. R. Wolte- reck, Leipzig Bd. 6.) Leipzig '13. Dr. W. Klinkhardt. — Geb. 4,80 Mk. Mitchell, P. C., Die Kindheit der Tiere. Übersetzt v. Hans Pander. Mit 12 Farbtafeln und 36 Abb. Stuttgart. J. Hoff- mann. — Geb. 8 Mk. Möller, Prof. Dr. A., Hausschwammforschungen, in amtlichem Auftrage herausgegeben. 7. Heft. Merkblatt zur Haus- schwammfrage. Jena '13. G. Fischer. — 0,40 Mk. Nernst, W. u. Schoenflies, A., Einführung in die mathematische Behandlung der Naturwissenschaften. 7. vermehrte und verbesserte Aufl. München u. Berlin '13. R. Oldenbourg. — Geb. 10 Mk. Newcomb-Engelmann's Populäre Astronomie. 5. Aufl. In Gemeinschaft mit den Herren Prof. Eberhardt, Prof. Luden- dorff. Geh. Rat Schwarzschild herausgegeben von Prof. Dr. P. Kempf. Mit 22S Abb. im Text und 27 Tafeln. Leipzig u. Berlin '14. \V. Engelmann. — Geb. 15,60 Mk. Philip, J. C. Physikal Chemistry, its bearing on biology and niedicine. 2. Aufl. London '13, E. Arnold. — 7 sh. 6 p. Philippson, Alfr., Das Mittelmeergebiet, seine geographische und kulturelle Eigenart. 3. Aufl. Mit 9 Fig. im Text, 13 Ansichten und 10 Karten auf 15 Tafeln. Leipzig- Berlin '14. B. G. Teubner. — Geb. 7 Mk. Rädl, Dr., Eine Geschichte der biologischen Theorien in der Neuzeit. I. Teil. 2. gänzl. umgearbeitete Auflage. Leipzig u. Berlin '13. W. Engelmann. — Geb. 10 Mk. Reichenow, A., Die Vögel, Handbuch der systematischen Ornithologie. I. Bd. Mit einer Karte und 1S5 Textbildern, n. d. Natur gez. v. G. Krause. Stuttgart '13. Ferd. Enke. — 15 Mk. Scheid, Prof. Dr. K., Chemisches Experimentierbuch. 2. Teil. Für reifere Schüler. Mit 51 Abbildungen im Text. (Prof. Dr. Bastian Schmids naturwissensch. Schülerbibliothek Nr. 15.) Leipzig-Berlin '14. B. G. Teubner. — Geb. 3 Mk. Schoenichen, Prof Dr. W., Methodik und Technik des natur- geschichtlichen Unterrichts. Mit 2 farbigen u. 30 schwarzen Tafeln , sowie 1 1 5 Abbildungen im Text und 4 Tabellen. Leipzig '14. Quelle u. Meyer. — Geb. 14 Mk. Scholz, Ed. J. R., Bienen und Wespen, ihre Lebensgewohn- heiten und Bauten. Mit 80 Abbildungen im Text. (Naturwiss. Bibliothek f. Jugend u. Volk, herausgeg. v. K. Höller und G. Ulmer.) Leipzig, Quelle u. Meyer. — Geb. 1,80 Mk. Schrenck-Notzing, Dr. Freiherr von, Materialisationsphänome. Ein Beitrag zur Erforschung der medinmistischen Teleplastie. Mit ISO Abbildungen und 30 Tafeln. München '14. E. Rein- hardt. — 14 Mk. Steinmann, Dr. P. u. Bresslau, Dr. G., Die Strudelwürmer (Turbellaria). Mit 2 Tafeln u. 156 Textabbildg. (Mono- graphien einheimischer Tiere, herausgegeb. v. Prof. Dr. H. E. Ziegler u. Prof. Dr. R. Woltereck. Bd. 5.) Leip- zig '13. Dr. W. Klinkhardt. — Geb. 10 Mk. Stickers, J., Was ist Energie? Eine erkenntniskritische Unter- suchung der Ostwaldschen Energetik. Berlin/Wilmersdorf '13. Hausbücherverlag H. Schnippel. Technik der tiefen Temperaturen. Dem III. Internat. Kälte- kongreß in Chikago 1913 vorgelegt v. d. Gesellschaft für Linde's Eismaschinen, .\bteilg. f. Gasverflüssigung, Mün- chen. Mit 34 Abb. u. I Tafel. München und Berlin '13. K. Oldenbourg. — Geb. 3 Mk. Wagner, Prof. Dr. P., Lehrbuch der Geologie und Mineralogie für höhere Schulen. Große Ausgabe für Realgymnasien und Oberrealschulen und zum Selbstunterricht. Mit 316 Ab- bildungen u. 4 Tafeln. 4. u. 5. verbesserte Auflage. Leipzig- Berlin '13. B. G. Teubner. — 2, So Mk. Wien, W., Vorlesungen über neuere Probleme der theoreti- schen Physik, gehalten a. d. Columbia-Universität in New- York im April 1913. Leipzig u. Berlin '13. B. G. Teubner. — Geh. 2,40 Mk. Wilke, A., Die Elektrizität, ihre Erzeugung und ihre An- wendung in Industrie und Gewerbe. 6. gänzl. umgearb. .■\ufl. Unter Mitwirkung mehrerer Fachgenossen bearbeitet und herausgeg. v. Dr. Willi Hechler. Mit 2 Tafeln und 629 Texttiguren. Leipzig '14. O. Spamer. — Geb. 10 Mk. Wundt, Prof. Wilh. : Einleitung in die Philosophie. 6. Aufl. Mit einem .-Xnhang ; Tabellarische Übersichten zur Geschichte der Philosophie u. ihrer Hauptrichtung. Leipzig '14, A. Kröner. — 8 Mk. Zernecke, Dr. E. , Leitfaden für Terrarien- und Aquarien- freunde. 4. gänzlich neu bearbeitete Auflage von C. Heller u. P. Ulmer. Mit 200 Abb. im Text. Leipzig '13. Quelle & Meyer. — Geb. 7 Mk. Zschimmer, B., Das Welteriebnis. III. Teil nebst Anhang: Prolegomena zur Panlogik. Leipzig u. Berlin '13. W. Engel- mann. — 4 Mk. Inhalt: Privatdozent Dr. Bruno Wolff; Heilkraft der Natur und Heilkunst. — R.Meli: Die Chinesen und der Schmetter- ling. — Bücherbesprechungen: P. Kammerer: Genossenschaften von Lebewesen auf Grund gegenseitiger Vorteile. — Herpetologia europaea. — H. W. Schmidt: Deutschlands Raubvögel. — Dr. med. Martin: Die sogenannte Blutsverwandtschaft zwischen Mensch und Affe. — Hausschwammforschungen. — Anregungen und Antworten. — Literatur : Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band ; der ganzen Reihe 29. Band. Sonntag, den i8. Januar 1914. Nummer 3. Die Chinesen und der Schmetterling. [Nachdruck verboten.] Die Schutzgöttin der Seidenraupen. Wie schon oben erwähnt, befindet sich in jeder Seidenraupenzüchterei im Flurraum hinter der Haustür der Altar der „Si-sann-tai-sing-cham ku'-sien-long", der Schutzgöttin der Seidenraupen. Über ihre Lebensgeschichte wird folgendes erzählt. Sie war bei Lebzeiten ein Mädchen von großen persönlichen Vorzügen. Einst ritt ihr Vater in Geschäften aus und kam nicht zurück. Frau und Tochter waren deshalb sehr betrübt und aßen und tranken nicht. Das Pferd, auf dem der Vater fortgeritten war, kam nach einiger Zeit zurück, aber ohne seinen Herrn. Die schöne und trostlose Tochter tat eines Tages in ihrem Schmerze das Versprechen: „Ich will mit Freuden jeden heiraten, der den Vater gesund und unverletzt zurück bringt." — Das zurückgekehrte Roß hatte bei diesem Gelöbnis die Ohren gespitzt. Kaum hatte das Mädchen geendet, da galoppierte das Tier davon. Nach einigen Tagen kehrte es zu- rück, und trug den vermißten Herrn unversehrt auf seinem Rücken. Die Tage nach der Rück- kunft des Hausherrn wieherte das Roß unaufhör- lich. Die P>au des Zurückgebrachten folgerte daraus, das Tier fordere die Erfüllung des Ver- sprechens und sie berichtete das Gelöbnis der Tochter und ihre Meinung über das Benehmen des Pferdes ihrem Manne. Der brach in lautes Gelächter aus, als er sich die Verbindung vor- stellte: Seine schöne Tochter und sein Roß I Er lachte, daß das Haus schallte. Schließlich äußerte er in nicht mißzuverstehenden Worten seine An- sicht über einen solchen Unsinn : „Ein Mensch kann einem Tiere überhaupt kein Versprechen geben , von einem Halten eines solchen kann mithin gar nicht die Rede sein!" Als das Pferd diese Meinung seines Herrn hörte, wurde es sehr aufgeregt und verweigerte die Arbeit. Da wurde sein Herr zornig und tötete es durch einen raschen Pfeilschuß. Die Haut des getöteten Tieres wurde abgezogen und im Hofe zum Trocknen ausgespannt. Als das Mädchen, welches das Versprechen getan hatte, an der aus- gebreiteten Haut vorüberging, erhob sich diese, hüllte das Mädchen ein und flog mit ihm durch die Luft davon. Nach fünf Tagen kam die Haut zurück und spreitete sich über einen Maulbeer- busch aus, der nahe dem Hause seines ehemaligen Herrn stand. Das junge Mädchen kam auch zurück und saß in Gestalt einer Seidenraupe auf demselben Busche. Als Vater und Mutter des Mädchens herankamen, um das sonderbare Ge- Von R. Meli, Canton. (Schluß.) schehen in der Nähe zu betrachten, wurden Pferde- haut und Raupe in Geister verwandelt. Jeder der beiden saß auf einer Wolke und einer von ihnen wendete sich zu den beiden Eltern mit folgenden Worten: „Yüh-wong-tai, der Perlenkaiser, hat be- stimmt, daß ich, Euere Tochter und mein Genosse, Euer früheres Roß dem gegebenen Versprechen getreu sind. Zur Belohnung für die Treue hat er uns in Geister verwandelt und für immer gesegnet. Klagt deshalb nicht über unsere Trennung 1' Dann verschwanden die beiden Geister. Infolge ihrer Verwandlung in eine Seidenraupe wird das Mädchen seit alten Zeiten als Schutz- geist der Seidenraupen unter dem oben ange- gebenen Namen verehrt. Antheraea Pernyi Guer.') Das Hauptzuchtgebiet dieser großen Saturnide liegt in der Südostmandschurei und zwar in der Gegend von Antung. Ihre Nährpflanze ist Quercus mongolica. (Die Chinesen unterscheiden wieder mehrere Unter- arten oder Rassen des Baumes: Tso-muk = die Stammart von mongolica; Hu-po-lo, Tsientso, T'sing-t'ang sind wohl drei Unterarten davon.) Für die Raupenzucht werden die Eichen meist kurz und buschig gehalten. Sie finden sich an Hügeln und Bergen und sind anscheinend hinsichtlich der Bodenart nicht wählerisch. Sie wachsen im weichen Schlemmboden am Hügelfuß und bis weit hinauf zu den kahlen steilen Felsen; am besten gedeihen sie an sonnigen Hängen niedriger Schluchten, wo eine schwarze Humusdecke sich gebildet hat. Die Sommergeneration erscheint etwa vom 20. Juli an. Die Tiere schlüpfen nachmittags gegen Sonnenuntergang. Die Kopula wird vom Züchter am Nachmittage des nächsten Tages ge- löst. Der Mann kann nur ein Weib befruchten und stirbt innerhalb 24 — 36 Stunden. Das Weib wird, nachdem es vom Manne getrennt wurde, ') Ein kurzer, dreitägiger Aufenthalt im Zuchtgebiet brachte mir kein anderes Material, als wie es bereits in den Veröffenllirhungen des Chinesischen Seezolls geboten ist (Memorandum on Wild SilUworm Cullure in Souih-Eastern Manchuria; Imperial Maritime Customs, China, 11, Special Series Nr. 30). Ich folge deshalb in der Darstellung diesem Berichte. Vermißt habe ich bei den Erkundigungen über die Behandlung von Pernyi die kleinen ethnologischen Randleisten und Ornamente, mit welchen der Morizüchter sein Handwerk verbrämt. Das Fehlen jeglicher Spezifika und traditioneller Vorurteile bei der Pernyi-Zucbt hat wohl zwei Ursachen: I. Sie ist, mit der Zucht von B. mori verglichen , verhältnismäßig jung. 2. Infolge der Freilandzucht kommt der Mensch dem Tiere nicht „so nahe" und kann es weniger „umhegen", als wenn er es im Hause zöge. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 3 auf einen Eichbusch gesetzt und da mit einem Grase, dem Ts'am-tso ^) oder Saam-gok-tso ^) an- gebunden. Es legt an diesem und dem folgenden Abende loo — 200 Eier. Am dritten Morgen wird es losgebunden und in einen Korb gesetzt, wo es die zwei bis drei Tage, die es noch lebt, um- herflattert und oft noch einen Rest von Eiern ab- legt. Bei günstigem Wetter schlüpfen die Eier nach II bis 12, bei rauherem nach 14 Tagen. Die Larve ist anfangs schwarz ; sie beginnt fast sofort zu fressen. Nach 3 Tagen fällt sie in den ersten Schlaf, den Ts'an mien, er dauert 2 oder 2V.> Tage; dann erfolgt die erste Häutung. Sie findet also am 19. Lebenstage — vom Ei an gerechnet — statt und bei ihr wird die Raupe grün. Nach 4 Tagen beginnt der zweite Schlaf, 3 Tage später, also am 26. Tage der Gesamtentwicklung, erfolgt die zweite Häutung. Nach wiederum 4 Tagen Fraßzeit und 3Tagen„Schlaf"(=Vorhäutungsruhe)''j erfolgt am 33. Tage die dritte Häutung und nach denselben Zeiten (4 -|- 3) am 40. Tage die vierte Häutung. Nach weiteren 13 oder 14 Tagen er- reicht die Raupe ihre volle Größe und etwa am 55. Tage beginnt sie zu spinnen. Die Dauer der Fertigstellung des Kokons hängt vom Wetter ab; sie dauert wenigstens 3 Tage, durchschnittlich 5, im Höchstfalle 8. Dunkle Regentage scheinen die Aktivität der Raupe zu lähmen. Die Raupe wählt zur Verpuppung einen ver- steckten und regengeschützten Platz. Und jetzt ist große Aufmerksamkeit der Züchter zur Er- zielung einer vollen Ernte nötig. Die Kokons werden täglich von den Bauern bei der Heimkehr vom Felde gesammelt und in offenen Lagern auf- gespeichert, zum Verpacken werden kühlere Tage abgewartet. Die Wächter haben zwei wichtige Aufgaben. Zunächst müssen sie insektenfressende Vögel ab- halten. Deshalb hallt es zur Zuchtzeit in den Hügeln von Schießen und Peitschengeknall. Auch rote Fahnen werden ausgehängt. Ferner müssen sie acht geben, wenn die Tiere einen Busch kahl gefressen haben und müssen sie dann, ehe die Raupen anfangen, nach neuer Nahrung suchend auseinander zu laufen, nach einer anderen Eiche bringen. Zuweilen muß auch der ganze Haufe in Körben zu einem anderen Hügel getragen werden. Ein Wächter kann im Frühlinge etwa 4000 und im Herbste gegen 5000 Raupen beaufsichtigen.*) ') San-Tsam ist der chinesische Name für Antheraea Pernyi, tso heißt Gras ; Tsam-tso bedeutet also etwa ..Psrnyi- Gras''. ") Saam-gok-tso heißt ,, Drei - eck - gras", wahrscheinlich wegen der Stengelforra. (Da die Setzung chinesischer Zeichen inmitten einer Arbeit mit europäischen Typen die Drucklegung erschwert und verteuert, so gedenke ich später in einer be- sonderen Arbeit alle mir bekannt gewordenen zoologischen und botanischen Bezeichnungen der Chinesen zusammenzu- stellen, Zeichen, Umschrift und soweit ich vermag auch den wissenschaftlichen Namen.) ■■') Diese Angaben scheinen mir nicht richtig zu sein, ich kenne keine Raupe, die drei Tage Verhäutungsruhe hat. ■■j Im Frühlinge sind die Vögel angriffslustiger, da sie Die ersten Körbe mit Kokons werden gegen Ende Oktober verschifft; der größte Versand erfolgt Mitte -November, von da nimmt er in den Dezember hinein wieder ab. Der gewöhnliche Züchter behält nichts von seiner Herbsternte zuiück; er glaubt, die Tiere seien nicht erwünscht zur Nachzucht. Er kauft entweder im Frühlinge Zuchtkokons aus einer Gegend, die durch die Güte ihrer Kokons bekannt ist, oder er erfragt imreigenen Distrikt, wer eine besonders gute Brut hat. Die Preise sind im Frühlinge 50 — lOo"/,, höher als für Handelsware im Herbste. Die Chinesen halten die Zuchtkokons im gewärmten (Kang) Zimmer. Zum Töten der Puppen durch trockene Hitze haben die Japaner eine „Backanstalt" eingerichtet. Die Chinesen setzen die warm gehaltenen Puppen, um sie zu töten, jeden zwanzigsten Tag der Kälte und dem Winde aus. Etwa um das chinesische Gräberfest (also An- fang April) erscheinen die Falter. Nach der Be- gattung werden die $$ in Körbe mit Gras und Zweigen gesetzt. Die Eier werden zunächst kühl gestellt, damit sie nicht schlüpfen, bevor die Eichen ausschlagen. Den geschlüpften Räupchen werden Blätter in die Ecken der Körbe gesteckt; wenn man glaubt, daß das Wetter den Tieren nicht mehr schaden kann, bringt man sie auf die Frei- landbüsche. Ende Juni (etwa vom 25. an) ver- spinnen sich die Raupen und geben Mitte Juli die Falter der zweiten Generation. A. Pernyi liefert bekanntlich die Rohseide oder Schantung- seide. *) Saturnia Pyretorum Westw. Sie ist mir aus allen Teilen von Kuangtung bekannt. Die Imago ist auffällig wegen ihrer Flugzeit, ich beobachtete sie vom 30. Dezember bis 25. Januar, ihre Hauptflugzeit ist bei Canton vom 20. Januar bis 15. F"ebruar. Nicht weniger auffällig ist die Raupe, weil sie meist in großer Zahl auf einem Baume zu finden ist und durch die Kotmengen unten und den Kahlfraß oben schwer übersehen werden kann. Sie wird gegen 12 cm lang, ist gelb, mit Längsreihen von Aktinien- warzen und breiten blaugrünen Längsstreifen da- zwischen. Ihre Hauptnährpflanze ist Liquidambar formosana, wo diese fehlt, wird sie auch an Salix, Pirus, Prunus, Laurus angetrofifen. Obwohl Pyre- torum in allen Teilen der Provinz gleichmäßig verbreitet ist, wird sie doch nur im Norden als Nutztier gesammelt. Mir ist ihre Verwendung aus der Umgebung von Siu-cao-fu bekannt, auch im äußersten NW, bei Lien-cao, Lien-san, Saam-kong sah ich, daß die Raupen gesucht wurden. Auch vom Norden der Nachbarprovinz Kuangsi kommen viele Pyretorum „fishing lines" als Durchgangs- waren nach Canton. Ende Mai oder Anfang Juni für ihre Brut zu sorgen haben und die großen Raupenberge ihnen als Schlaraffenland erscheinen mögen. ') Die getöteten Puppen werden angeblich in manchen Gegenden gegessen (ähnlich wie die mori-Puppen). N. F. XIII. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 35 werden die erwachsenen T'ien-ts'am') — das ist der chinesische Name der Pyretorum- Larve — im Freien gesammelt. Ein Arbeiter faßt die großen, dicken Raupen mit beiden Händen, reißt oder schneidet die Körperhaut in der Leibesmitte in zwei Stücke , taucht schnell das Tier in einen großen Behälter mit Essig und zieht den bloß- gelegten und mit Essig angefeuchteten Inhalt der Spinndrüsen zu einem Faden aus. Dabei muß er sich vor dem „schmerzhaften Biß" der Raupe hüten. Gemeint ist wohl das nesselnde Jucken, das durch die Berührung mit den Aktinienwarzen erzeugt wird. Der Faden sieht aus wie eine Darmsaite, er ist honiggelb, etwa armlang und I mm dick; er wird an Pflöcken, die in einer Mauer angebracht sind, zum Trocknen ausgespannt. Im Erzeugungsgebiet kostet ein Stück etwa 4 Pfennig. Ich habe die durch ihre Haltbarkeit bekannten Fäden in China nicht in Gebrauch gesehen, anscheinend geht die gesamte Produktion nach Japan, wosie,, T'ien-tsam-yüh-si", die „Himmels- tsamfischseide" zu Angelschnuren und angeblich auch in der Torpedoindustrie verwandt wird. Hauptausfuhrhafen ist im Süden Canton, es werden hier jährlich gegen 350 Ballen ausgeführt, ein Ballen hat ungefähr einen Wert von 18 M. Die Imago von Pyretorum ist den Chinesen nicht bekannt; das zeigt schon der Name „Himmels- seidenraupe" (die vom Himmel gekommene = un- bekannte). Papilio alcinous f. mencius Fldr. Dieser Aristolochienfalter ist in Kuangtung recht selten; ich erhielt von meinen Fängern in vier Jahren nur zwei Stück. Ein Sammeln dieses seltenen Tieres seitens der Chinesen ist für Kuang- tung wohl ausgeschlossen. Ich verdanke die Kenntnis seiner Verwendung als Droge einer Mit- teilung des Missionars Klapheck in Schantung. -) Er berichtet, daß die Puppen dieses Papilio von den Schäfern nebenbei gesammelt und als „Stein- kindchen" an Drogenhandlungen und Apotheken verkauft würden, angeblich als Augenheilmittel. Klapheck bemerkt jedoch, daß er die Anwendung der Puppen nicht persönlich beobachten konnte. Euploea spec, Danais spec. Eine Hauptflugzeit der Euploeen bei Canton ist Mitte Oktober bis Mitte November. Alljähr- lich beobachtete ich um diese Zeit Tagelöhner („Kuli") mit breiten, flachen Fischnetzen an etwa 3 m langen Stangen; sie hatten sich an schmalen Bachrinnen der Hügelketten (Pak-wan-san) im N von Canton aufgestellt und fingen die den Bach entlang segelnden Euploea, zumeist die gemeine Euploea Midamus L. Meine Fragen nach der Verwendung dieser Tiere beantworteten sie aus- weichend, schließlich sagte einer, die blauen Flügel würden den Feuerwerkskörpern beigemengt. ') T'ien = Himmel, ts'am = Name von Bombyx mori L. '') „Auch eine Art praktischer Entomologie." Entomol. Zeitschrift, Stuttgart 1909. Nachfragen bei Leuten, die solche Artikel her- stellen, ergaben, daß diese Auskunft falsch war. Später beobachtete ich, daß die Leute auch die einzige im gleichen Gelände fliegende Danais'), nämlich Danais Plexippus L. mitfingen und auf die Erhaltung der F"arben keinen Wert legten: die Tiere wurden alle lebend in eine kleine Bambus- kanne gesteckt. Was Euploea Midamus und Danais Plexippus für den Laien und insbesondere für den alles auf seine Genießbarkeit untersuchen- den Chinesen gemeinsam haben, ist der Ekelsaft. Ekelsäfte werden auch in China mit Vorliebe in der Arzneikunde verwendet. Mir bekannte chine- sische Arzte wußten nichts über den Gebrauch der Falter; ich vermute deshalb, daß sie zu einem Geheimmittel, wahrscheinlich zu einem Aphro- disiakum verwendet werden ; vielleicht ist das mit dem giftfressenden und ekelsaftführenden Papilio mencius auch der Fall. Der Bohnenschwärmer (Clanis bilineata Wlk.). Clanis biUneata ist in Kuangtung nicht häufig und den Chinesen nicht bekannt. Meine Verwendung in Schantung kenne ich durch Klapheck (1. c.) und auf Grund eigener Reisen. Anfang Juni findet dort die Weizenernte statt; nach ihr wird ein großer Teil der Felder mit Bohnen bebaut. Im August stehen diese am üppigsten und es gibt dann eine Menge „Bohnen- raupen" auf ihnen. Sie werden nicht nur von Hühnern und Krähen gern gesucht; auch die Chinesen kann man auf der Jagd sehen. Die Ausbeute wird folgendermaßen behandelt. Ein dünnes stumpfes Stäbchen hat der Fänger in der Hand, die Raupe wird bei lebendigem Leibe dar- über gestülpt wie ein Handschuhfinger, daß das Innere nach außen kommt. Dann werden die Tiere abgewaschen, in Öl gebraten und gegessen. II. Der Schmetterling in der ch inesischen Literatur. Die nachstehenden kleinen Auszüge erheben nicht im entferntesten den Anspruch auf Voll- ständigkeit. Die Umschreibungen der chinesischen Namen sind im Cantondialekt gegeben. Der Schmetterling heißt chinesisch Wu-tip oder Gab tip oder Fung-tip; im Südosten heißt er auch Tatmuk. Nachtschmetterlinge werden als Yiä-ngo oder Tang-ngo unterschieden. „Auf seinen Flügeln ist Staub, sein Fühler -) saugt gerne den Duft; alle riechen mit den Fühlern, so ist sein Fühler gleich der Nase." „Die Blume ist sein Zimmer. Im Frühling, wenn alle Blumen sich öffnen, sieht man ihn am blumigen Wege, auch im leichten Rieselregen sitzt er dort in seiner Blüte." Er kommt aus der Puppe. Auf dem ') Danais Chrysippus L. ist hier Gartenlandbewohner, alle grünen Uanais sind Waldtiere. ^} Der Chinese sagt „Bart" statt Fühler. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 3 Orangenbaum ') ist das Insekt namens To. Es ist wie ein Fingerglied so groß, sein Kopf hat Hörner. Einmal mag es sich nicht bewegen, auch nicht fressen und wird zur Puppe. Nicht lange liegt sie so, da kommt aus ihr der Schmetterling. Es gibt Leute, die wissen nicht, woher er kommt — sie sagen dann, er kommt vom Himmel. „Im Tsoili^ lan' tsab^"" tsil steht: „Er ist schön, sauber, wie einer, der zu Hause sitzt, sich pflegt und keine Arbeit tut." „Es war einmal ein Mann, der stahl Duft; der Schmetterling macht es wie er: Staub und Schön- heit hat er, Duft stiehlt er." „Er fürchtet des Angr-gor-) Flügel sehr; er fürchtet auch, daß die Schwalbe ihn fängt und flattert nach einem südlichen Zweig." „Wenn der Elegant auf dem Baume sitzt, dann ist er so bunt, so zierlich-schön wie Blüten vom Würznägelein." ^) Zu diesem Thema wird erzählt: „Tünü kungi" loi reiste nach Süden. Als er durch die Yünl tangl-Schnellen fuhr, sah er einen mehr- farbigen Baum am Ufer, bunt wie schöne Fäden, „das ist der Tan-tsing-Baum", sagte er. Er rief einen Diener, einen Zweig zu holen; der brachte ihn : darauf waren mehr als zwanzig zarte Schmetterlinge, viele bunt wie schöne Fäden. Mancher Augen glänzten wie Gold, mancher Augen schimmerten rötlich, manche waren wie Nägelein- blüten. Da waren weiße, gelbe Körper, da waren welche schwarz und blumig. Der Körper war wie Erbsen klein, der andere groß wie Fledermaus. Tun kung verwunderte sich sehr und ging ans Ufer um zu sehen, ob sie aus Blättern wachsend kämen." Damast, Goldstücke und Nephrit. „Der Kaiser Muk-tsung hatte vor der Schloßfront eine Maoü tanV fahr*), die blühte sehr schön und üppig. Da kamen eines Tages Schmetterlinge, gelbe und weiße, an Zehntausende so viel. Der Kaiser und seine ganze Familie liefen, nahmen ihre Damasthandtücher, liefen und wollten sie fangen, aber niemandem gelang es. Deshalb be- fahl der Kaiser einigen Leuten, sie mit Netzen zu fangen, und die fingen an die Hundert. Der Kaiser und seine Familie freuten sich an ihrer Schönheit. Als man sie am nächsten Morgen neu betrachten ') Es ist von dem Gat genannten Orangenbaum die Rede. Auf diesem leben die Raupen zweier Papilio (demoleus Cram. und polytes L.). Das Osmaterium der Papilionidcnraupen war mithin den Chinesen schon in alten Zeiten bekannt („Hörner"). ^) = Papagei (Palaeornis rosae). ^) Ich habe die Übersetzung mehr in europäischem Ge- schmack gegeben, gesagt ist nur ,,Ting-häDg" = Gewürz- nelken. Der Gewürznelkenbaum kommt hier nicht vor, die Blütenfarbe der Eugenia caryophyllata ist unbekannt. Es ist in Wirklichkeit auch der Duft gemeint; der Chinese liebt be- kanntlich den Duft der Speise als sehr angenehme Zugabe zum Geschmack und zielit von zwei annähernd gleichen Nahrungsmitteln unbedingt das duftende vor. *) Paeonia Moutan Sims., ist bei den Chinesen sehr be- liebt und wird gut bezahlt; in Kuangtung kommt sie nicht wildwachsend vor, sie wird aber vielfach aus Setzschuan, Scbensi und Honan eingeführt. wollte — waren sie verwandelt, in wunderschönste Arbeit von Nephrit und Gold. Des Kaisers Frauen und Töchter nahmen Faden und banden die ver- wandelten Tiere als Schmuck ins Haar. Am Abend begannen sie zu glänzen und zu leuchten, Glas und Spiegel strahlten den Schein zurück." Es ist merkwürdig, was für sonder- bare Dinge es im Ling-pin gibt. Im Yh- mat-tsi heißt es: „Ein Mann fährt nach Namhoi. Als das Schiff in Ling pin am Lande liegt, da sehen die Schiffer ein Ding durch die Luft ge- flogen kommen, das sah aus wie ein Segel. Als es über dem Schiffe schwebte, warfen die Schiffer danach. Sie trafen es und es fiel. Neugierig liefen sie hin, was es wohl sein möge: Ein Schmetterling! Der war nicht klein 1 Nach Ab- brechen von Beinen und Flügeln lieferte er noch 8o Kätti Fleisch und das war recht fett" (8o Kätti = I Zentner!). TsöngrkungsT Beschäftigung. „Tsöng kung war ein junger Mann. Er versuchte ein Examen zu machen, aber er bestand es nicht. Dagegen ver- stand er allerhand Zauberstückchen. Einmal reiste er nach Kongl waihV, dort lud man ihn zu einem Trinkgelage ein. Als man so recht lustig war, forderte Tsöng Schere und Papier, schnitt eine Anzahl Schmetterlinge aus, blies sie an und ließ die fliegen. Sie flogen und flogen sogar mehrere Zeichen lang (l Zeichen = 5 Min.). Dann holte er sie zurück und keiner war verloren." Mensch oder Schmetterling.? „Tsöng i tsaor hatte einen Traum ; ihm träumte, er sei ein Schmetterling. Er konnte gut fliegen und fühlte darüber große Freude. Er wußte nicht mehr, daß er Mensch war, er wußte nur, daß er Schmetter- ling war. Schließlich wachte er auf Was? sagte er, ich bin ja kein Schmetterling? Ich bin ja TsöngT tsaor? Vorhin war ich noch ein Schmetter- ling, einen Augenblick später bin ich ein Mensch? Jetzt weiß ich wirklich nicht, träumte der Mensch ein Schmetterling zu sein oder träumt der Schmetterling ein Mensch zu sein?" Im San 1 t'ong' siit'aol sagt der Erzähler: „Siehst Du zwei Schmetterlinge zusammen spielen in der Luft, so weißt Du, es sind die Geister von Löngi sanT hak 4 ') und Tsuk4 yingi t'oil ; sie lieben sich nach dem Tode, da es ihnen im Leben versagt war." Der Schmetterlingstshä. „Tsh'äiyati dichtete ein Schmetterlingslied, 300 Verse groß; deshalb nannten ihn die Leute den Schmetter- lingstshä." Die Schmetterlingswahl. „Der Kaiser Ming (Tongdynastie) trank mit seinen Gästen. Seinen Frauen und Konkubinen gab er Auftrag, ihr Haar mit Blumen zu schmücken. Dann ließ er einen Schmetterling fliegen, auf welcher Haar- ') Die Geschichte von Long san hak und Tsukying toi, zwei unglücklich Liebenden, wird gern von den Geigenmädchen und anderen Sängerinnen gesungen. Sie ist zu lang, um sie hier wiederzugeben. N. F. XIII. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 37 schmuck der flog, um Honig zu naschen, mit der schlief der Kaiser in der folgenden Nacht." DuftfolgtderDirne. „Zur Zeit der Tong- dynastie war in der Hauptstadt eine Dirne, die war hochberühmt und sehr beliebt. In der ganzen Hauptstadt war keine zweite PVau so schön wie sie. Eine Menge Schmetterlinge und Bienen folgten ihr, wenn sie ausging; denn sie liebten ihren Duft sehr." DerStatuenDank. Laol tsiA hang ^ wohnte in L«! s5n_*. Eines Tages sah er ein Paar große fünffarbige Schmetterlinge, die flogen von einer Blüte zur anderen. Er sah ihnen lange zu und freute sich über sie. Am Abend desselben Tages kamen zwei Mädchen zu ihm, die sagten: „Herr, wir danken dir sehr, daß du den Schmetterlingen dein Herz schenktest. Wir wollen deshalb heute Nacht bei dir bleiben. Jeden zehnten Abend kamen die Mädchen wieder und taten so mehrere Jahre. Einmal kam Lao auf seinen Wegen dort in der Gegend in einen Tempel, in dem er bis- her noch nicht gewesen war. Da sah er zwei weibliche Statuen, die hatten die Gesichter seiner beiden Mädchen." Sonderbar klingt ein anderes Wort: „Spei ihm auf die Flügel und er fliegt sehr hoch." Der Genius Got. „Im Lo-fau-sam ^) gibt es eine Schmetterlingshöhle, nahe bei der Wind- wolkengrotte. Dort ist viel Wald, durch alle Jahreszeiten finden sich dort viele Schmetterlinge. Wie kommt das? Der Genius Got legte dort in der Höhle seinen Mantel nieder, der verwandelte sich nach und nach in Schmetterlinge." „Auf einer Schlingpflanze, dem Reihergras, gibt es im Frühlinge viele schön gefärbte Raupen, die werden zu Puppen. Aus diesen kommen schöne Schmetterlinge. Nimm sie und sieh sie Dir an!" Er liebt die LiHen'^)-Erde. Tsöng tsao fung sagt: „Nimm eine Lilienblüte, noch ') Der Lo-fau-san ist ein Berggebiet im Osten von Canton. ^) Die Pah-hap-fah ist Lilium ligrinum Ker. ehe sie geöffnet ist und umschließe sie ganz mit nasser Erde — : am nächsten Morgen ist's ein Schmetterling." Eine Art ist nach den Schilde- rungen in der chinesischen Literatur mit Sicher- heit zu ermitteln. Er wird folgendermaßen be- schrieben: Groß, grün, mit roten Rändern vorn und zwei langen Schwalbenschwänzen hinten — das ist die große Saturnide Actias Selene Hbn. Der Geistschmetterling. Es gibt einen Schmetterling, der ist groß wie ein Fächer, vier Flügel hat er und liebt den Laitsi-Baum. Wie Eisendraht sind seine Augenbrauen, sein Leib ist abwechselnd goldig und grün. Schön ist er, so schön! Alle Blumen freuen sich, kommt er da- her geschwebt und öffnen sich. Und wenn er geht — niemand hat je gesehen, wohin er geht, ja niemand weiß, wohin er dann verschwindet". Charakteristisch an dieser chinesischen Schmetter- lingssammlung erscheint mir folgendes: Der ele- gante Ausdruck und manches gute Bild; die Freude am Erzählen treibt manche phantastische Blüte. Eine große Rolle spielt in der Stellung des Chinesen zum Naturobjekt der Geisterglaube, das erotische Moment hat einen ganz beachtlichen Akzent. Die Kenntnis von der Verwandlung der Schmetterlinge ist schon lange vorhanden; trotz- dem besteht nebenher der Glaube, daß Schmetter- linge auch aus Blättern und Blumen entstehen können. Ähnlich wird vom „Reisvogel" (Emberiza aureola) allgemein behauptet, daß er sich in Fische verwandle, „aus seinen Eiern werden Fische". Der Landmann, den man eines Besseren belehren will, lächelt nur nachsichtig und milde. Den Grund zu der Annahme bildet der Umstand, daß diese „Reisammer" nur zur Zeit der Reisernte hier erscheint und dann • — anscheinend ohne hier zu brüten — wieder verschwindet. Dagegen werden nach der Reisernte die bisher von den Reispflanzen oft versteckten Fische im Felde mehr sichtbar. — Auch von Fischen sagt man, daß sie aus Schlamm entstehen können, weil nämlich in manchem Tümpel oder Reisfeld Fische er- scheinen, ohne daß sie eingesetzt wurden oder ein Zustrom von Wasser erfolgte. Einzelberichte. Chemie. Versuche über Verflüssigung und Sieden von Kohle teilt in der „Schlesischen Ge- sellschaft für vaterländische Kultur" (Sitzung vom 26. Nov. 1913) O. Lummer mit. Durch An- wendung der großen Hitze eines elektrischen Flammenbogens unter gleichzeitiger Druckerniedri- gung ist es Lummer gelungen, die Kohle zu ver- flüssigen und zum Sieden zu bringen. Um den Versuch mit möglichst reinem Kohlenstoff auszu- führen, mußten Kohlen ausgewählt werden, die möglichst frei von fremden Beimengungen sind, deren Aschengehalt also ein sehr geringer ist. Unter den verschiedenen Kohlensorten, die zur Verwendung kamen, zeichneten sich besonders aus eine Graphitkohle mit einem Aschengehalt von etwa i % und eine oberschlesische Kohle, die besonders rein war und einen Aschengehalt von nur o, 15"^ aufwies. Das Verhalten der ver- schiedenen Kohlenarten war in allen Fällen das gleiche. Kam ein Flammenbogen von 220 Volt Spannung zur Verwendung, so begann bei einem Druck von 50 bis 60 cm die Kohle zu sieden, mit weiter abnehmendem Druck wurde sie zäh- flüssig, bis sie bei etwa 40 cm ganz flüssig war, wobei die flüssige Kohle nicht abtropft, sondern zu Blasen und Siedeperlen Veranlassung gab. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. s deren eckiges Aussehen eine Folge des großen Kristallisationsvermögens des Kohlenstoffs ist. Sinkt der Druck dann bis ca. lo cm, so steigen nur an den Rändern noch Dämpfe auf, während das Sieden aufhört, bis sich bei weiterer Druck- abnahme die Kohle wieder verfestigt. Das Siede- produkt erwies sich als reiner Graphit. Die Ver- suche werden im Breslauer Institut von Lummer noch fortgesetzt, und zwar mit ganz reinem Kohlenstoff, deren Ergebnisse aber erst abgewartet werden müssen, ehe es möglich ist, die oben kurz geschilderten Erscheinungen zu beurteilen. Sbn. Hydrolyse der F'ette. Behufs Beurteilung der Vorgänge bei der Hydrolyse der Fette hat man zu unterscheiden, ob die Hydrolyse im homogenen oder im inhomogenen System verläuft. Im homo- genen System verläuft die Reaktion zweifellos stufenweise, unter Bildung von Mono- und Di- glyceriden als Zwischenprodukte. ') Bei der den technischen Verhältnissen ent- sprechenden Spaltung der Fette im inhomogenen System muß man berücksichtigen, ob die Hydro- lyse durch Alkalien, Säuren, Wasserdampf oder Fermente erfolgt. Bei der Verseifung mit Alkalien konnte bisher in keinem Falle Zwischenbildung von Mono- und Diglyceriden nachgewiesen werden. J. Marcusson unterzog vorliegende Frage einer erneuten Prüfung. Bei dieser wurden in erster Linie einheitliche Glyceride wie Tribenzoin, Tri- palmitin und Tristearin, und dann erst Gemische verwandt. Die Prüfung auf Bildung von Mono- und Diglyceriden erfolgte folgendermaßen : Aus den teilweise gespaltenen Glyceriden wurden die neutralen, noch nicht verseiften Anteile nach dem Verfahren von Spitz und Honig abgeschieden. In diesen Anteilen mußten sich etwa gebildete Mono- und Diglyceride angereichert vorfinden. Bei Gegenwart dieser Zwischenstufen war gegenüber dem reinen Ausgangsmaterial eine Veränderung des Schmelzpunktes, eine Verringerung der Ver- seifungs- und Hehnerzahl, dagegen eine Erhöhung der Acetylzahl zu erwarten, wie auch die Tabelle zeigt: Schmelz- punkt Hehner- zahl Ver- seifungszahl Acetylzahl Tristearin 71,5 95.7 iS9,l 189,1 Distearin \ a und ß \ 72-5 "• 74,5 90,7 179,8 252,7 Monostearin 61 79.0 156,7 380,8 Die Versuche wurden vorläufig durch Erhitzen mit Wasser im Autoklaven ausgeführt und führten zu folgendem Ergebnis. Die aus teilweise ge- spaltenem Tribenzoin abgeschiedenen Neutralstoffe hatten einen beträchtlich niedrigeren Schmelz- punkt. Versuche, durch Kochen mit Essigsäure- anhydrid eine Acetylgruppe einzuführen, führten nicht zum Ziele. ') Zeitschrift für angewandte Chemie Bd. 26, 173 — 176. Bei Verwendung von Tripalmitin bzw. Tri- stearin wurde gefunden, daß die abgeschiedenen Neutralstoffe um 5 — 8 " niedriger schmolzen als das verwandte Triglycerid, die Verseifungszahl war gesunken, die Hehnerzahl (Prozentgehalt an Fettsäuren) war geringer. Beim Kochen mit Essigsäureanhydrid wurden beträchtliche Mengen von Acetylverbindungen gebildet; die Verseifungs- zahlen der acetylierten Fette waren 239,9 'J"'^ 224 gegenüber 208,8 und 189,1 bei reinem Tri- palmitin und Tristearin. Das gleiche Verhalten zeigte auch technisches Palmkernfett. Hieraus muß geschlossen werden, daß die Hydrolyse der Fette beim Erhitzen mit Wasser unter Druck unter intermediärer Bildung von Mono- und Diglyceriden erfolgt. Das gleiche dürfte auch für die Hydrolyse durch Säuren und Fermente gelten. Eine Sonderstellung nimmt somit nur die Hydrolyse durch Alkallen ein. Vielleicht gelingt es aber auch hier noch einmal, die Zwischen- glieder der Reaktion nachzuweisen. Auf den experimentellen Teil einzugehen, würde zu weit führen. O. Bürger-Kirn. Bufotalin, das Gift der Kröten. Die Kenntnis von der Giftigkeit der Kröte reicht bis ins Altertum hinein. Auch Volksglaube und Ge- lehrsamkeit des Mittelalters beschäftigen sich leb- haft mit ihr, und in der Poesie bildet die Kröte in ihrer Giftigkeit und Häßlichkeit von jeher ein wirksames und viel gebrauchtes Sj'mbol. Als Heilmittel, besonders gegen Herzleiden, sind ge- trocknete Kröten schon seit langer Zeit verwendet worden. In China und Japan besitzen Präparate daraus noch heutigen Tages in der Therapie hohe Bedeutung. Um die Mitte des vorigen Jahr- hunderts wurde durch exakte Untersuchung fest- gestellt, daß der Giftstoff in den Hautdrüsen ab- geschieden wird. Französische Physiologen be- zeichneten das Krötengift als ein spezielles Herz- gift. Eine ausführliche historische Darstellung über das Krötengift findet sich in der Monographie von E. St. Faust „Die tierischen Gifte". Für den Chemiker erhellt aus den früheren Arbeiten bloß das eine Wissenswerte, daß der giftige Be- standteil des Hautdrüsensekretes keinen Stickstoff enthält. Wesentliche Fortschritte unserer Kennt- nisse über das Krötengift brachte eine Unter- suchung von E. St. Faust, der einen scheinbar einheitlichen Stoff von der Zusammensetzung C34H4,.,0],| aus Krötenhäuten isolierte und ihn Bufotalin nannte. Neuerdings befaßten sich mit diesem Bufotalin Heinrich Wieland und Friedrich Josef Weil am Chemischen Labora- torium der Kgl. Akademie der Wissenschaften in München (Ber. d. Dtsch. Chem. -Ges. 46. Jahrg. Nr. 14, S. 3315 ff.). Sie konnten konstatieren, daß das Bufotalin nicht den Säurecharakter besitzt, der ihm von Faust zugeschrieben worden war. Das F a u s t 'sehe Bufotalin enthält noch Korksäure, N. F. XIII. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 39 welche bisher als Stoffwechselprodukt der tieri- schen Zelle noch nicht angetroft'en worden war. Den beiden angeführten Chemikern gelang es das Krötengift, Bufotalin, in kristallisierter Form zu erhalten. Es hat die Zusammensetzung CjgH.j^O^, zeigt neutralen Charakter und dürfte ein gesättigtes Dioxy-lacton sein, das seiner Zusammensetzung nach drei Ringbindungen enthalten muß. Dr. R. Ditmar. Physik. Energiemessungen an Empfangs- antennen. Heinrich Hertz hat eine Gleichung aufgestellt, welche gestattet, die Stärke des elek- trischen Feldes in größerem Abstände r von einer strahlenden Antenne aus ihrer Länge und der Stromstärke des in ihr schwingenden Stromes zu berechnen unter der Voraussetzung, daß die An- tenne auf gut leitendem, also die elektrischen Wellen spiegelndem Boden steht. Aus dieser Formel läßt sich die Stromstärke in einer im Ab- stände r von der Senderantenne stehenden Emp- fangsantenne, deren Widerstand und Länge be- kannt ist, berechnen. In der physikalischen Zeit- schrift (XIV, Seite 934 191 3) berichtet Herr M. R e i c h über seine Versuche, welche die Überein- stimmung der Theorie mit der Praxis untersuchen. Er mißt zu dem Zweck mit einem D u d d e 1 1 'sehen Thermogalvanometer in der Empfangsantenne die Stromstärke und vergleicht sie mit der aus der Formel errechneten. Die Entfernungen zwischen den beiden Stationen betrugen 7 km, dann 216 km (Köln-Göttingen), 288 km (Neumünster-Göttingen). Gesendet wurde nach der Wien 'sehen Methode mit tönenden Löschfunken. Der Größenordnung nach stimmen die Beobachtungsresultate mit den aus der Formel berechneten überein. Die im Empfänger auftretenden Stromstärken sind stets zu klein, namentlich wenn bei großem Abstand der Stationen der Sender kurze Wellen {X = 900 m) aussendet; für längere (A = 2000 — 2500 m) sind die Abweichungen geringer. Die Differenz erklärt sich daraus, daß erstens der Boden zwischen Sender und Empfänger nicht wie die Theorie voraussetzt, unendlich gut leitend ist (nach einer Regenperiode wird wegen des erhöhten Wasser- gehaltes des Bodens die Übereinstimmung besser) und daß zweitens das Gelände, namentlich Ge- birge, Energie absorbiert. Mit abnehmender Wellenlänge nimmt die Absorption stark zu, doch ist sie für gedämpfte und ungedämpfte Wellen gleich groß. Namentlich die Tageszeit hat Ein- fluß, nachts ist die auf den Empfänger über- tragene Energie unter sonst gleichen Verhältnissen stets wesentlich größer als bei Tage, eine schon bekannte Tatsache : Nachts ist die Reichweite einer Station größer. Doch schwanken «die im Empfänger gemessenen Werte sehr stark, ohne daß sich hierin irgendwelche Gesetzmäßigkeiten erkennen ließen; bei Tage treten die Schwankungen nicht auf. Die praktische Bedeutung der Versuche von Reich liegt darin, daß er aus seinen Versuchen einen Absorptionskoeffizienten entnehmen konnte, bei dessen Benutzung die Über- einstimmung der beobachteten mit der errechneten Stromstärke in einer neuen Antenne bei Tage sehr gut war. Dr. K. Schutt. Botanik. Körpergröße und Zellengröße. Die Frage, ob sich die Größenunterschiede zwischen Individuen derselben Art oder zwischen ver- schiedenen Sippen oder zwischen den Organen desselben Individuums auch in der Größe der Zellen ausprägen, hat H. Sierp durch umfangreiche statistische Untersuchungen an Pflanzen verfolgt (Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik Bd. 53, p. i, 191 3). Er hat dabei besondere Rücksicht auf den Zwerg- wuchs genommen und also vor allem die Frage zu entscheiden gesucht: hat der Zwerg kleinere Zellen wie die normale Form ? Dabei macht er gleich eine prinzipielle Unterscheidung zwischen Kümmerzwergen und echten Zwergen. Erstere sind nur klein, weil sie auf ungünstigem Boden wachsen, sie können normale Größe erreichen, wenn sie in gutes Land gepflanzt werden, und dementsprechend ist auch ihre Nachkommenschaft, in nahrhaftem Boden gezogen, normal groß. Die echten Zwerge dagegen überschreiten nie eine gewisse stets geringe Größe, ihre Nachkommen- schaft ist auch immer wieder zwergig. Der Zwerg- wuchs ist bei ihnen in ihrer inneren Konstitution begründet, während er bei den Kümmerzwergen durch die äußeren Exi^tenzbedingungen zeitweilig aufgeprägt wird. Mit Hilfe einer sehr sorgfältigen und kritischen Methodik stellt nun Sierp zunächst fest, in Übereinstimmung mit früheren Unter- suchungen, »daß die Kümmerzwerge durchgehends geringere Zellgröße besitzen als die normalen Individuen , im maximalen Falle (nämlich bei Brennesseln) nur halb so große. Die erblichen echten Zwerge verhielten sich dagegen merk- würdigerweise sehr verschieden. Einige Zwerg- sippen, wie z. B. von der Kartoffel, der Erbse, hatten stets kleinere Zellen als die normalen Sippen, bei anderen Pflanzen, wie z. B. bei der Wunderblume (Mirabilis Jalapa), waren die Zellen der Zwerge nur wenig oder überhaupt nicht kleiner als die der Normalforni und bei einer Nigella war es sogar umgekehrt, hier war der Zwerg großzelliger als die normale Pflanze. Die Zersetzung der Oxalsäure. Über das Schicksal der fortdauernd mit den Pflanzenresten in den Boden gelangenden Mengen des schwer- löslichen Oxalsäuren Kalks war nichts bekannt, obgleich diese Frage zweifellos von Bedeutung für den Kreislauf des Kohlenstoffs in der Natur ist. Beträgt doch in Laubwäldern die Menge des mit dem Blattfall dem Boden zugeführten Calciumoxalats wenigstens 30 kg pro Jahr und Hektar. Frühere Untersuchungen über die Eignung von Oxalsäuren Salzen als Kohlenstoffnahrung für Mikroorganismen hatten ein zweifelhaftes, günstigsten Falles ein sehr geringfügiges positives Ergebnis. Meist bleibt die Entwicklung vollständig aus. K. Bassalik (Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik Bd. 53, S, 255, 191 3) 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 3 maclite nun die Beobachtung, daß in den Regen- wurmexkrementen die aus den verzehrten Blättern stammenden Drusen von Calciumoxalat eigen- tümliche Korrosionen zeigten. Die Vermutung, daß sie durch die Angriffe bestimmter Bakterien hervorgerufen würden, bestätigte sich, als eine anorganische Nährlösung, der er als Kohlenstoff- und Stickstoffquelle nur Ammoniumoxalat zufügte, mit geringen Mengen von Regenwurmexkrementen geimpft wurde. Es entwickelten sich in ihr auf dem Boden der Kulturflasche dicke rötliche Bak- terienhäute. Auch die Reinzucht gelang auf be- stimmte mühevolle Weise. Dieser als Bacillus extorquens bezeichnete Bacillus besaß nun die Fähigkeit der Oxalatzersetzung in ausgeprägtem Maße. Er fraß sich, wie man im hängenden Tropfen konstatierte, rasch in Kristalle von oxalsnurem Kalk hinein, so daß diese nach etlichen Tagen unter den Angriffen der sie rings umhüllenden Bak- terien zerfielen. In ganz ähnlicher Weise brachte er, wenn er rein in Kulturgefäße mit sterilisierten Pflanzenresten geimpft wurde, die in ihnen ent- haltenen Oxalatkristalle zum \'ersch winden, während dies z. B. verschiedene Schimmelpilze nicht ver- mochten. Was den Chemismus angeht, so oxy- diert der Bac. extorquens anscheinend die Oxal- säure glatt in Kohlensäure und Wasser, doch wurde etwas weniger CO., gefunden als der Formel CjO^Hg + O = 2C0„ +'H.,0 entsprechen würde, so daß" der Schluß nahe liegt, dieses Minus hänge mit dem Aufbau der Leibessubstanz des Bacillus zusammen. In welcher Weise, konnte allerdings nicht genau ermittelt werden. Irgendwelche faß- baren Nebenprodukte fanden sich nicht Steht ihm, wie es gewöhnlich in der Natur der Fall ist, oxalsaurer Kalk zur Verfügung, so verwandelt er diesen in kohlensauren Kalk. Die oxydative Spaltung wird, wie der Verf schließlich noch zeigt, durch ein Enzym bewirkt, wahrscheinlich eine Oxydase. Die Bedeutung des Bac. extorquens und wahrscheinlich auch anderer noch unbekannter im Erdboden lebender Bakterien besteht also darin, daß er den Kohlenstoff des schwerlöslichen Calciumoxalats in Form der Kohlensäure frei macht und dadurch wieder in den großen Kreis- lauf einführt. Daß der Einfluß des Lichtes auf das Wachstum der Pflanzen nicht ohne weiteres in einer Hem- mung besteht, sieht man schon daran, daß zwar die Stengel von im Dunkel wachsender Pflanzen rascher wachsen als im Licht, die Blätter jedoch klein bleiben. Peirce zeigt nun (Dudlcy Memorial Volume, Leland Stanford Junior University Publi- cations, University Series S. 62, 19 13), daß, wenn man Prothallienkulturen von Farnen teils ge- wöhnlich hinstellt, teils bei derselben Beleuchtung und unter sonst den gleichen Bedingungen, an einem Klinostaten auf vertikaler Achse rotieren läßt, die letzteren ganz erheblich viel stärker sich entwickeln. Durch den rasch (4mal pro Minute) rotierenden Klinostaten fällt von allen Seiten Licht auf die Pflänzchen, die Summe ihres Licht- genusses ist viel größer (zumal sie unter diesen Versuchsbedingungen aufrecht wachsen) als bei den gewöhnlich beleuchteten und dem Boden an- gedrückten Prothallien. Ähnlich beobachtete Peirce, daß derart gedrehte Weizenkeimlinge größere Blätter bekamen, während die Stammlänge gleich blieb. Die Bakterienkerne, diese viel umstrittenen Ge- bilde, hat Kruis (Bulletin de l'Academie des Sciences de Boheme 191 3) mit Hilfe des Kohl er- sehen Verfahrens der Photographie im ultravioletten Lichte untersucht. Man hatte bisher (vgl. z. B. das betreffende Kapitel in dem Buche A.Meyers, Die Zelle der Bakterien, Jena 191 2) immer nur durch Anwendung von besonderen Färbungs- und mikrochemischen Methoden den Nachweis von Kernen in der Bakterienzelle versucht, ohne daß jedoch auf die Weise eine Einigung der Forscher erzielt worden wäre. Die Möglichkeit, daß es sich um Artefakte, Reservestoffe handle, war nicht widerspruchslos auszuschließen. K r u i s , ein Meister auf dem Gebiete der Mikrophotographie, hat nun lebende Bakterien mit ultravioletten Strahlen photographiert. Da nun, wie man von höheren Pflanzen weiß, die Zellkerne gerade die ultravioletten Strahlen stark absorbieren, müßten auch die Photo- gramme der bei gewöhnlicher mikroskopischer Betrachtungbekanntlich fast homogen erscheinenden Bakterien dann dunklere Punkte aufweisen, wenn etwa Zellkerne vorhanden sind. Der Verf. konnte nun mit einer überraschenden Deutlichkeit bei mehreren Bakterien, besonders schön bei dem Bacillus mycoides, von einem helleren Hof um- gebene dunklere Körnchen photographieren. Freilich könnte man auch hier wieder einwenden, daß es sich um andere körnige Bestandteile handle. Doch machen Lage, Regelmäßigkeit des Vor- kommens, Gleichmäßigkeit der Größe und vor allem die oft mit aller Deutlichkeit hervortretenden Teilungsbilder solcher Körnchen den Schluß fast unabweisbar, daßKruiswirklichKerne abbildet, die ersten, gegen die man kaum etwas einwenden kann. Ob sie freilich allgemein bei Bakterien vorkommen, wäre noch festzustellen. Das Interesse, das man an dem Kernnachweis bei Bakterien nahm, ist in- sofern begreiflich, als man meist meinte, die Bak- terien seien überhaupt die primitivsten Lebewesen, die man sich denken könne, sie gehören an den Anfang der Organismenreihe. War diese Auffassung schon aus anderen Gründen morphologischer und auch physiologischer Natur wenig wahrscheinlich, so wird sie auch durch den Kernnachweis wider- legt. Überall, wo wir Organismen einfacher Art beobachten, treten sie uns schon mit den wich- tigsten Merkmalen der Zelle entgegen. Ein ein- facheres, als ein typisch zellulär organisiertes Lebewesen, ein Urwesen, kennen wir immer noch nicht. Miehe. Völkerpsychologie. Die Erforschung des geistigen Kultuibesitzes der Völker begegnet noch weit größeren Schwierigkeiten als die Erforschung N. F. XIII. Nr. ^ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 4> der materiellen Kultur. Ganz besonders fühlbar machte sich bisher bei ethno-psychologischen Untersuchungen der Mangel eines planmäßigen Vorgehens, wodurch ihre Ergebnisse sehr beein- trächtigt wurden. Um so mehr dankenswert ist es, daß das Institut für angewandte Psychologie und psycho- logische Sammelforschung in Kleinglienicke bei Potsdam „V orschläge zur psychologischen Untersuchung primitiver Menschen" ge- sammelt und herausgegeben hat (Beihefte zur Zeitschrift für angewandte Psychologie usw., Nr. 5, Leipzig 1912, J. A. Barth, Preis 4 Mk.). Diese Anleitung zu ethno-ps)'chologischen Forschungen ist in erster Linie bestimmt für Forschungsreisende, sodann für solche, die dauernd mit Menschen primitiver Kulturstufe in Berührung sind, wie Missionare, Beamte, Arzte und Lehrer in den Kolonien usw. Sie wird aber auch verwendbar sein für die Untersuchung von Truppen fremder Völker, die zu Schaustellungszwecken nach Europa kommen. Das genannte Institut erklärt sich überdies bereit, über die in der Anleitung vorgeschlagenen instrumentalen Hilfsmittel, Bilderserien usw. Aus- kunft zu geben. In den „Vorschlägen zur psychologischen Untersuchung primitiver Menschen" gibt einleitend Dr. Richard Thurnwald eine Übersicht der Probleme der ethno-psychologischen Forschung; derselbe Autor behandelt überdies noch die Praxis der ethno-psychologischen Ermittlungen, besonders durch sprachliche Forschungen. Die Anleitungen betreffend die einzelnen Zweige der psychologi- schen Untersuchung fremder Völker sind von Spezialisten auf diesen Gebieten verfaßt, und sie dürfen als sehr zweckdienlich gelten, so daß sie allen, die Gelegenheit zu ethno-psychologischen Studien haben, bestens zu empfehlen sind. Bei- träge haben außer R. Thurnwald noch geliefert A. V. Tschermak, A. Gutmann, W. Stern, O. Lipp- mann, A. Vierkandt und C. Meinhof; ein Frage- bogen über die Ermittlung von Ausdrucksbe- wegungen ist Charles Darwin's ,, Ausdruck der Gemütsbewegungen" entnommen. Dr. R. Thurnwald verweist in seiner Dar- legung der Probleme der ethno-psycho- logischen Forschung auf den Umstand, daß bei Betrachtung der Menschen als Träger ver- schiedener Kulturen vor allem die Verschieden- heit ihres psychologischen Typs auffällt: Das ganze Studium der Ethnologie kreist um das Problem, die psychologischen Eigentümlichkeiten der fremden Völker zu erfassen, denn das heißt sie kennen lernen. Man konstruiert aus Pfeil- spitzen, Fischnetzen, Armringen, Tragtaschen, Hauseinrichtungen und was sonst in den Museen aufgestapelt ist, den Geist derer, die alle diese Dinge verfertigt haben. Einer der wichtigsten Grundsätze für ethno- psychologische Untersuchungen, die Thurnwald anführt, ist der, daß festzustellen ist, einerseits was in den tiefsten biologischen Voraussetzungen alle Menschheit eint, was sie überall mit Gewalt zunächst zu denselben Zielen und Früchten „kon- vergieren" macht, und wo andererseits oberhalb dieses gemeinsamen Mutterbodens die Diver- genz der einzelnen Individuen oder Gruppen zu den farbenwechselnden Blüten beginnt. Ähnlichkeiten an Einrichtungen und Denk- weisen sind keineswegs notwendig oder auch nur wahrscheinlich aus Übertragungen zu erklären. Bei der Frage der Kulturübertragung ist stets zu beachten, daß die Menschen Übernommenes um- arbeiten und neu gestalten. Manchmal ist die Umwandlung so stark, daß das Umwandlungs- produkt völlig den Stempel der Übernehmer trägt, die oft nur die Äußerlichkeiten übernommen haben. Zudem ist es zweifellos, daß ein Kultur- gut, je eigenartiger und geistiger es ist, um so weniger unverändert übertragen werden kann. Ferner werden die Einwirkungen von außen bei verschiedenen Völkern durchaus nicht gleichartig aufgenommen ; einmal deshalb, weil ein ver- schiedener Kulturstoff zur Assimilierung vorliegt, und dann weil ein andersgeartetes Denken diese Aneignung vornimmt. Bei materiellem Kulturgut wird die Übernahme leichter festzustellen sein als bei geistigem; denn es muß ein starker Anstoß erfolgen, um Töpfe, Äste usw. anders zu ver- fertigen, als sie überliefert wurden — aber etwa Geschichten ändert jeder beständig unbewußt. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens kul- tureller ,, Konvergenzerscheinungen" betrachtet Thurnwald als sehr gering : denn gleiche kulturelle Bedingungen müssen bei verschiedenen Völkern nicht notwendig gleiche Folgen hervorrufen. Nimmt man an, daß das bei einer Gelegenheit der Fall war, so kann man von einer Konvergenz- erscheinung sprechen. Aber in Wirklichkeit han- delt es sich dabei meist um ähnliche „gesellschafts- biologisclie" Phänomene, die in den von der ört- lichen Umgebung, von dem sozialen oder politischen Zusammenleben oder den besonderen Erbanlagen unabhängigen Lebensvorgängen der menschlichen Art wurzeln. Wichtig ist die F"eststellung der Häufigkeit des Auftretens individueller Begabungstypen in den einzelnen ethnischen Typen, da solche Begabungs- typen vermöge ihres eigenartigen Einflusses der Gesamtheit ihren Stempel aufzudrücken vermögen, das Kulturleben, die Geistesverfassung und das Schicksal der Gruppen, denen sie angehören, be- stimmen können. Einzeluntersuchungen an repräsentiven Indivi- duen der ethnischen Gruppen sind deshalb und aus anderen Gründen, die Thurnwald aufzeigt, sehr wichtig. Dr. Thurnwald hat selbst umfassende Unter- suchungen über die Psychologie der Salomo- und Bismarckinsulaner ausgeführt, und einen Teil ihrer Ergebnisse bereits veröffentlicht. Als Beiheft Nr. 6 der Zeitschrift für angewandte Psychologie erschienen seine „Ethno-psychologischen Studien 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 3 an Südseevölkern" (162 S. u. 23 Tafeln; Leipzig 191 3, Preis 9 JVIk.). Der Forscher berichtet in dieser wertvollen Arbeit über einzelne Versuche, die sich auf Intelligenzfragen beziehen und außer- dem gibt er ein Bild der Geistesverfassung der Leute, das er aus seinen Erfahrungen und dem ethnologischen Material ableitet. Diese Studien sind ein musterhaftes Beispiel dafür, wie völker- psychologische Ermittlungen auszuführen und wie ihre Ergebnisse zu verarbeiten sind. Aus dem besonders interessanten Abschnitt über die Geistesverfassung der Salomo- und Bis- marckinsulaner sollen hier einige Details mitge- teilt werden. Die allgemeine Intelligenz wird als passiv bezeichnet: Der Widerstand gegen die Schranken der Natur ist stets gering. Die Insu- laner passen sich ihr so weit als möglich an. Hindernissen geht man aus dem Wege statt sie zu beseitigen. Es kann sein, daß eine geringe Vitalität, die auch in der kurzen Lebensdauer ihren Ausdruck findet, und für die wieder die lange Einwirkung des erschlaffenden Klimas ver- antwortlich ist, die Ursache der erheblich herab- gesetzten Aktivität ist. Auffallend ist auch der Mangel an sicherer Steigerung der Gemütsbe- wegungen, und die große Rolle, welche Stim- mungen spielen. Dies ist vielleicht der Grund zu dem oft mitleidslosen und asozialen Verhalten, das der Aufspeicherung wie der Überlieferung von Erfahrungen hinderlich ist. Die Leute sind un- fähig, ihre Aufmerksamkeit lange auf einen oder mehrere Gegenstände zu konzentrieren, und mangelnde Kombinationsfähigkeit bewirkt, daß sie nicht imstande sind, sich mehrere Dinge — wie z. B. Aufträge — gleichzeitig zu merken. Hier- mit in Zusammenhang steht die Art der Ermüd- barkeit: Arbeiten, die keine oder wenig geistige Anstrengung erfordern, werden mit einer staunens- werten Ausdauer verrichtet ; dabei ist der Fleiß groß, die Ermüdbarkeit gering. Wo hingegen intellektuelle Kräfte in Frage kommen, da er- lahmen Aufmerksamkeit und Fleiß bald. Leicht erklärlich ist hierbei die herrschende Neigung zur Arbeitsteilung. Die höhere kombinatorische Geistes- tätigkeit ist zunächst orientierender passiver Art. Was die Orientierung gegenüber den Mit- menschen anbelangt, so ist vor allem zu bemerken, daß die Regelung des Geschlechtsverkehrs durch besondere Bezeichnungen der in Betracht kommen- den Gruppen zum Ausdruck gebracht wird. Thurnwald ist ebenfalls der Ansicht, diese Gruppen seien ursprünglich rein lokal gewesen und später in Geschlechts- und Handelsbeziehungen zuein- ander getreten, woraus sich die Regel der Exo- gamie entwickelte. ' ) Die Verwandtschaftsbe- ziehung zu einzelnen Personen ist nicht genau be- kannt. Da es nur darauf ankommt, welcher Gruppe ') Vgl. Fehlinger, Entstehung der E.Nogamie. Sexual- probleme, 191 1, S. 680 ff. jemand angehört und ob er geschlechtsreif ist oder nicht, so wird auch nur nach diesem Gesichtspunkt das Alter erwogen. Das Alter richtig zu kennen hat niemand Interesse. Dazu kommt, daß der Ablauf der Zeit mangels deutlich ausgeprägter Jahreszeiten schwer zu be- stimmen ist. Jeder einzelne fühlt sich als Mittelpunkt seiner Welt, doch wird dieses Gefühl der Egozentrizität nach der Familie und der sozialen Gruppe hin erweitert, und es tritt eine Identifizierung der eigenen Existenz mit der des anderen auf So führt Thurnwald z. B. an, daß man sich nicht etwa vorstellt, ein anderer sei wie ein Hund, wie der Fischgeier usw., sondern er ist es. Eine ähnliche Identifizierung finden wir bei Kindern. Diese Denkweise ist wohl auch für das Verständnis des sog. „Totemismus" wichtig. Die Identifizierung mit jemand anderem kann sogar sehr weit gehen. Thurnwald berichtet u. a., es habe sich ein Mann in seinem Benehmen krank gestellt, doch wurde später herausgefunden, daß nicht er, sondern seine Frau krank sei, die eine böse Wunde hatte. Der Mann gab sich erst nach einigen Tagen wieder als gesund aus — als seine Frau gesund geworden war. Dieser Vorfall läßt auf die Entstehungsweise des Brauchs schließen, der als „Männerkindbett" bezeichnet wird. Es handelt sich da um die egozentrische Form des Mitleids, eine Form des Mitgefühls, die noch nicht zur Nächstenliebe geworden ist. Die Identifizie- rung des eigenen Ichs mit anderen findet ihren Ausdruck ferner darin, daß der eine Angehörige der Sippe für den anderen eintritt, wenn es eine Leistung für die Gesamtheit gilt, und daß einer für den anderen haftet. Auf solcher Auffassung beruht die Blutrache. Mitgefühl und soziales Empfinden in unserem Sinne gibt es jedoch nicht; Phantasie und Kombination scheinen dazu nicht auszureichen. Was die Kenntnis der umgebenden Natur be- trifft, so sind die Insulaner mit allem vertraut, was der Lebenserhaltung dient; aber sie kennen die Dinge nur als Gebrauchsgegenstände, eine weitere Erklärung dafür haben und suchen sie nicht. Krankheit und Tod werden der Zauberei zugeschrieben. Der Glaube an ein Fortleben der Seele nach dem Tode besteht, doch ist nicht zu entscheiden, ob er von auswärts übernommen wurde und woher. Die Sterne werden als Vögel der Nacht betrachtet, was eine naheliegende Assoziation ist. In der Nacht ist die Furcht der Leute groß, sie sehen überall Spuk und hören überall geheimnisvolle Stimmen. Aberglaube und Zauberei spielen eine wichtige Rolle. Das hängt wohl hauptsächlich davon ab, daß der Ausschnitt der Welt, den die Leute kennen, sehr klein und ihre Weltanschauung subjektiv ist. Sie muß um so mehr subjektiv sein, je weniger Tradition vor- handen ist, und je mehr jeder auf seinen eigenen Erfahrungen fußen muß. Die Erinnerung erstreckt sich nur auf sehr kurze Zeit, N. F. XIII. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 43 und schon diese Tatsaclie allein schließt ein An- sammeln von Erfahrungen der älteren Genera- tionen fast völlig aus; sie ist gewiß eine der Hauptursachen, warum es diese Völker zu keinem Fortschritt der Kultur bringen konnten. Das Alltagsleben bietet nicht viel Abwechs- lung und es ist frei von jedem Schaffenszwang: Was nicht heute geschieht, kann morgen gemacht werden, denn das Aufschieben bringt keinen Schaden. Das Einerlei wird durch Feste unter- brochen, die sich aber nicht an den Lauf der Gestirne und selten an Naturereignisse anknüpfen, sondern vornehmlich an Ereignisse des mensch- lichen Lebens. Kämpfe und Fehden, Morde und Totschläge bilden die bittere Würze vor, zwischen und nach den Festen. Sehr beachtenswert ist Thurnwald's Mahnung, daß psychologisches Verständnis der Eingebornen auf Seite der Weißen die Grundlage für eine fruchtbare Symbiose mit den Eingebornen schaffen sollte. H. Fehlinger. Geographie. Die Abhängigkeit der Form der Landoberfläche vom inneren Bau behandelt eine systematische Abhandlung von A. Hettner (G. Z. 191 3, H. 8). In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, als die Geographie über die beschreibende Auffassung der Oberflächenformen hinausging, suchte sie Anlehnung an die Geologie und faßte die Abhängigkeit der Formen vom inneren Bau ins Auge. Diese Auffassung herrschte eine Zeitlang vollkommen, so daß Täler als Spalten, die Gebirgskörper als stehengebliebene oder gehobene Blöcke erschienen. Erst allmählich wurde die Arbeit der exogenen Kräfte anerkannt (Wind, klimatische Einflüsse, Flüsse und Eis). Die weit reichende Abtragung wurde durch genauere Forschungen bekannt, schon Ramsay hatte Rumpfflächen als Unterschied zwischen der wirk- lichen und tektonischen Oberfläche erkannt. Erst in den Alpen wurde die richtige Erkenntnis durch Heim, Neumayr, Ed. Richter und Penck gewonnen. Er und viele andere wiesen die Unabhängigkeit der Gebirgsgipfel vom inneren Baue nach, sie zeigten, daß Schichtantiklinalen, die Kämme sein sollten, als Einsenkungen, Syn- klinalen als Kämme usw. auftraten; sie lehrten die Umkehr oder Inversion des Gebirgsbaues kennen. Erst dadurch ist die Morphologie eine selbständige Disziplin neben der Tektonik und mehr das Forschungsgebiet der Geographen ge- worden. In der D a v i s'schen Schule ist die Emanzipation der Geographie von der Geologie noch einen Schritt weiter gegangen ; an die Stelle der geologischen oder petrographischen Auffassung der Gesteine soll eine besondere morphologische treten. Auch Faltung und Verwerfung werden als untergeordnet gegen die allgemeinen morphologisch zu er- schließenden Hebungen und Senkungen betrachtet. Deshalb ist es, auch gegenüber Rühl, der Geo- logie und Morphologie vollständig scheiden will, notwendig, über die I'rage Klarheit zu schaffen, in welcher Abhängigkeit die Oberflächenformen des Festlandes vom inneren Baue stehen. I. Die Abhängigkeit der Oberflächen- formen vom Gestein wurde in den Anfangen der erklärenden Morphologie manchmal ganz in den Vordergrund gerückt. Die Oberflächenformen werden aber aus dem Gestein durch Verwitterung und Denudation gebildet, die nach dem Klima verschieden sind und deshalb bei gleichem Ge- stein in verschiedenen Klimaten verschiedene Formen erzeugen; nur in bestimmtem Klima kann man einem Gestein eine Neigung zu bestimmten Oberflächenformen zuschreiben. Auch gegenüber der Form der Falten und Schollen tritt der Ein- fluß des Gesteins zurück; er kommt erst in zweiter Linie, in den Einzelformen der Gehänge, zur Geltung. Die amerikanische Geologie will nun die geo- logische Auffassung der Gesteine durch eine be- sondere morphologische ersetzen, in dem anstatt von bestimmten Gesteinen, die außer Kalk nur selten erwähnt werden, von harten und weichen Gesteinen gesprochen wird. Restberge werden z. B. als Härtlinge angesprochen, wobei aber der Begriff der Weichheit und Härte erst aus den Tatsachen der Talbildung und der Abflachung oder Steilheit der Hänge erschlossen wird ; ein Zirkelschluß in bester Form. Die Widerstands- fähigkeit der Gesteine liegt nur zum Teil in ihrer mechanischen Härte, zum anderen in ihrer Durch- lässigkeit oder Undurchlässigkeit, Löslichkeit oder LInlöslichkeit, Art der Verwitterung und Absonde- rung begründet. Für den Gegensatz zwischen Aufragungen und Einsenkungen ist in erster Linie, wie das die deutsche Wissenschaft seit langem erkannt hat, die Lage zu den Tallinien maßgebend, nicht die Härte und Weichheit der Gesteine. Die morphologischen Eigenschaften der Ge- steine kann man isoliert zur Darstellung bringen; so hat das württembergische statistische Landes- amt eine besondere Durchlässigkeitskarte heraus- gegeben; auch Passarge erstrebt dies mit seinen physiologisch-morphologischen Karten. ') Sie sind eine Abstraktion aus den gewöhnlichen Gesteins- karten. Aber alles dies ist in den geologischen Kar- ten großen Maßstabes auch enthalten, wenn in ihnen auf Unterarten eingegangen wird, wie z. B. auf die Korngröße bei Sandsteinen und Konglomeraten. Es empfiehlt sich daher die Ausarbeitung be- sonderer Gesteinskarten unter dem Gesichts- punkt der petrographischen Verschiedenheit statt unter dem des geologischen Alters. Die einzelnen Eigenschaften der Gesteine müssen von der Mor- phologie als nicht weiter erklärbare Tatsachen hingenommen werden, auch die Verteilung der Gesteine können wir heute nur unvollkommen erklären. Aber da die Gesteinsbegriffe auf Grund der Eigenschaften empirisch gebildete, dabei zu- gleich genetische Begriffe sind, so erklärt sich die 'J Physiologische Morphologie (Hamburg 1912). S. 171 ff. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 3 Verteilung grundsätzlich aus ihrer Entstehung ; gewisse große Züge in der Verteilung der Gesteine sind uns heute schon verständlich. Die bequeme nur mit „hart" und „weich" rechnende Auffassung wird der Wirklichkeit nicht gerecht, führt an ihr geradezu vorbei. 2. D ie ge ol ogisc h e n Fo r mat ion e n , die Auffassung des geologischen Alters der Gesteine wurde von der Geologie durchaus mit Recht in den Vordergrund gerückt. Der Geographie kann das geologische Alter der Schichten an sich ganz gleichgültig sein, es kommen für sie nur die Bau- materialien in Betracht, die von der Beschaffenheit abhängen. Diese richtet sich nach der ver- schiedenen Art der gesteinsbildenden Vorgänge und der der nachträglichen Umbildungen. Nur für räumlich begrenzte Gebiete und zeitlich be- grenzte Formationen können wir ihnen bestimmte Gesteinsbeschaffenheit zuschreiben. So dienen Karten großen Maßstabes zugleich als Gesteins- karten, wenn sie die geologischen Horizonte und alle Faziesunterschiede berücksichtigen. Bei klei- nerem Maßstab und damit größerer Zusammen- fassung verliert die geologische Karte ihren litho- logischen Charakter und ihren geographischen Wert. Auch die Lagerungsverhältnisse kann man aus ihnen nicht mehr erschließen. So hat es nach Hettner keinen Wert, wenn geographischen Darstellungen noch so oft geologische Übersichts- karten beigegeben werden. 3. Der innere Bau, von dem die Ober- flächenformen ferner abhängen, bedeutet im engeren Sinne die Lagerungsverhältnisse der Ge- steine im einzelnen; die durch Streich- und Fall- richtungen, sowie durch Verwerfungen bedingte Anordnung derselben. In diesem Sinne wird sie als „Struktur" auch in der Davis'schen Morphologie gewürdigt, da von der ^Anordnung der Gesteine auch die Verteilung der Widerstands- fähigkeit abhängt. Aus wagerechter oder schwach geneigter Schichtenstellung, Faltung mit steiler Schichtenstellung und dem Auftreten von Massen- gesteinen wird die Entstehung von epigenetischen Tälern, die Ausbildung von Terrassen, der Wechsel der Talformen abgeleitet. Aber die Lagerungsverhältnisse sind nur ein Teil des Bildes; zu demselben gehören auch die Hebungen, Senkungen und Verbiegungen, die ganze Bildungsgeschichte. Der innere Bau im weiteren Sinne ist freilich kein Gegenstand der unmittelbaren Beobachtung, sondern nur durch Rekonstruktion zu gewinnen. Die Oberfläche dieser tektonischen Gebilde bezeichnet Hettner als tekionische Oberfläche. Diese ist für die Richtung und Anordnung der Täler ausschlag- gebend. So ist hier die Berührung von Geologie und Geographie am stärksten. Aber auch hier sucht die Davis'sche Morphologie sich zu eman- zipieren; sie schreibt den über große Strecken gleichmäßig erfolgenden Hebungen und Senkungen große Bedeutung zu, während die in "den Lage- rungsverhältnissen beobachteten Faltungen, Über- schiebungen und Verwerfungen nicht die heutige tektonische Oberfläche geschaffen haben sollen; vielmehr sind die von ihnen geschaffenen Formen längst zerstört und eingeebnet, diese Bewegungen kommen nur als Prinzip der Anordnung der Ge- steine in Betracht. Zweifellos ist, daß viele Täler alte höhere zerschnittene Talböden zeigen , daß auch Einebnungen großer Flächen stattgefunden haben; dafj aber jungtertiäre Hochgebirge eingeebnet und durch epirogenetische Bewegungen im Sinne Gilbert's zu gewaltiger Höhe nochmals empor- gehoben seien, ist von vielen Gebirgen behauptet worden, aber nicht sicher bewiesen. Die Nach- prüfung des Schweizer Jura und des Florentiner Apennin durch Hettner hat ihn auf Pseudo- rumpfflächen geführt. 4. G e o 1 o g i s c h e s u a d m o r i? h o 1 o g i s c h e s Alter. Das Alter der Dislokationen, die den heutigen inneren Bau geschafi'en haben , ist zu- gleich das morphologische Alter. In vielen Gegen- den können wir die Spuren mehrerer großer Dis- lokationen feststellen; die deutschen Mittelgebirge haben eine große mittelkarbone Faltung, V^er- werfungen um die Mitte der Tertiärzeit und nach neueren Forschungen in Norddcutschland auch schon am Schlüsse der Jura- und Beginn der Kreidezeit erlitten. Für die Geologie sind die Dislokationen gleich wichtig, für die Geographie dagegen kommt die alte P'altung nur noch in der Lagerung der Schichten, der Struktur, zum Aus- druck; die tektonische Oberfläche aber hängt von den jüngeren P'altungen und Verwerfungen ab. So sind die mitteldeutschen Gebirge Schollen- gebirge oder Gevvölbestücke, wodurch die Gliede- rung im großen bestimmt ist, die Anordnung der Schichten dagegen bestimmt nur die Gliederung im einzelnen. Bei manchen Gebirgen, z. B. im Bereich des mittelländischen Meeres, verbinden sich Faltung und Zerstückelung durch Brüche, um den heutigen Bau hervorzubringen. Auch das Alter nachträglicher Hebungen ist für die heutige Ausgestaltung von Bedeutung, aber diese sind, wie sclion oben erwähnt, nicht sicher be- wiesen. Bei Davis hat auch der Altersbegrifif eine andere Form angenommen, er mißt ihn an dem Charakter der Formen, der Physiognomie der Landschaft. Der Altersbegriff hört so auf, ein reiner Zeitbegriff zu sein, und bezeichnet den Ent- wicklungszustand; auf die Altersbestimmung wird tatsächlich verzichtet. Die Vorgänge der Umbil- dung verlaufen je nach dem Klima bald schneller, bald langsamer; wollen wir den Grad derselben in zwei verschiedenen Gegenden vergleichen , so müssen wir bestimmen, wann sie eingesetzt hat. Und dazu müssen wir das Alter der Gebirgs- bildung kennen. Fassen wir zusammen, so sehen wir, daß die geologischen Formationen nur geringe Bedeutung haben ; aber innerhalb einer gegebenen Landschaft sind sie für die Ausgestaltung außerordentlich wichtig, und wir müssen hier die Gesteiiisbegrifife berücksichtigen. Kein Zweifel besteht über die N. F. XIII. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 45 Bedeutung der Lagerungsverhältnisse der Schichten für den Einfluß der\^erwitterung und Denudation. Wohl aber gehen die Meinungen über die Be- deutung der F'altungen und Schollenbevvegungen auseinander, ein sicheres Urteil läßt sich hier nicht abgeben. Auf die Auffassung des geologischen Alters wird man nicht verzichten können; das Alter im Sinne Davis', das den Kntwicklungs- zustand bezeichnet, bietet hierfür keinen Ersatz. Dr. Gottfried Hornig. Kleinere Mitteilungen. Zellulose, Zucker, Alkohol. — Zu den ältesten überhaupt bekannten chemischen Vorgängen ge- hört die Verwandlung des Zuckers in Alkohol, ein Prozeß, den man gewöhnlich als Gärung be- zeichnet und der, wie man früher glaubte, nur unter der Einwirkung lebender Mikroorganismen (z. B. Hefezellen) vor sich ginge. Die Untersuchungen 13uchners haben indessen bekanntlich ergeben, daß auch der durch Abpressen aus der Hefe ge- •wonnene Saft, der keine Hefezellen mehr enthält, schon Gärung hervorruft. In dem Preßsaft sind Eiweißstoffe unbekannter Zusammensetzung, soge- nannte Enzyme, gelöst, deren molekularer Bau nach den Untersuchungen Emil Fischers wahrscheinlich analog dem des von ihnen ver- gorenen Zuckers ist. Die Hefezellen haben mithin nur die Bedeutung, die Enzyme zu erzeugen. Die Zuckerarten, die meistens zur Alkoholfabrikation verwendet werden, sind Traubenzucker (Wein, Cog- nak), Fruchtzucker (Obstweine) und Malzzucker (Bier). Alle diese Körper gehören zu den Kohlen- hydraten, d. h., sie enthalten neben dem Kohlen- stoff Wasserstoff und Sauerstoff in demselben Verhältnis, wie diese Elemente sich im Wasser finden. Der gewöhnliche Rohr- oder Rübenzucker ist nicht ohne weiteres vergärbar, er muß viel- mehr vorher mit verdünnter Säure behandelt und dabei unter Anlagerung von Wasser in ein Gemisch von Frucht- und Traubenzucker verwandelt werden. Derselbe Vorgang tritt auch ein, wenn man zu einer Rohrzuckerlösung Hefe hinzusetzt. Ein weiteres in der Hefe enthaltenes Enzym wirkt wie die verdünnte Säure, d. h. der Rohrzucker geht in gärungsfähigen Frucht- und Traubenzucker über. In ähnlicher Weise verfährt man mit der Stärke, einem andern Kohlenhydrat, die sich in den Körnern der Getreidearten und den Kartoffeln in reichlicher Menge findet. Auch sie läßt sich zu Spiritus vergären. Außer der Stärke und dem Zucker bringt der Pflanzenkörper ein weiteres höheres Kohlenhydrat, die Zellulose, hervor. Während die ersteren als Reservestoffe dienen, baut die letztere im Verein mit dem Holzstoff die Zellenwände des Pflanzen- körpers auf. Die chemische Zusammensetzung der Zellulose ist wesentlich komplizierter als die der übrigen Kohlenhydrate. Während die Zucker meistens 6 oder 12 Kohlenstoffatome und damit verbunden 12 und 24 (vielfach 22) Atome Wasser- stoff mit der dazu gehörigen Menge Sauerstoff enthalten, ist das Zellulosemolekül viel größer. Die Verbrennungsanalyse ergibt, daß auf 72 g Kohlenstoff 10 g Wasserstoff und 80 g Sauer- stoff kommen. Der Chemiker schließt daraus, daß auf je 6 Atome Kohlenstoff 10 Atome Wasserstoff und 5 Atome Sauerstoff kommen. Leider ist es bisher nicht gelungen, die Größe des Zellulose- moleküls zu bestimmen, so daß man die Formel schreibt (C(5Hj|,05)x, wo X noch unbekannt ist. Da die Natur die Zellulose in außerordentlichen Mengen und mithin zu billigen Preisen liefert, ist es ein Problem von großer Wichtigkeit, ob es möglich ist, die Zellulose durch ein geeignetes Verfahren in Zucker, und diesen durch Gärung in Alkohol zu verwandeln. Seiner Bestimmung nach, den Körper der Pflanze zu bilden, ist das Zellulosemolekül außerordentlich beständig; es wird von verdünnten Säuren und Alkalien nicht angegriffen. Diese Eigenschaft benutzt man z. B. in der Technik (Papierfabrikation), um die Zellu- lose zu isolieren, indem man durch Kalziumsulfit oder Natronlauge die übrigen im Holz enthaltenen Bestandteile in Lösung bringt. Erst durch Ein- wirkung konzentrierter Säuren gelingt es, das Zellulosemolekül zu spalten. Ein neues kürzlich von Professor W i 1 1 s t ä 1 1 e r vom Kaiser Wilhelm- institut in Berlin Dahlem angegebenes Ver- fahren ist von großem Interesse, da es ge- stattet, die Zellulose in Alkohol zu verwandeln. Man benutzt dazu eine Salzsäure, die besonders reich an Chlorwasserstoff ist.') Schon in der Kälte verwandelt diese hochkonzentrierte Säure die Zellulose in Zucker. Die Beobachtung im Polarimeter zeigt, wie sich die optisch voll- ständig inaktive Zelluloselösung allmählich in rechtsdrehenden Zucker verwandelt. Die Aus- beute beträgt nahezu loo"/,,, Nebenprodukte treten also nicht auf Es ist wahrscheinlich, daß sich das sehr große Zellulosemolekül zunächst in Moleküle von geringerer Größe spaltet, die dann ihrerseits wieder in Zucker zerfallen. Ob sich das Verfahren für die technische Durchführung im großen eignet, darüber ist zurzeit noch nichts bekannt. Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß Pro- fessor Lassar -Cohn in seiner sehr lesens- werten „Chemie des täglichen Lebens" ein seit 1904 in Amerika angewendetes Verfahren be- schreibt, das demselben Zweck dient. In einer zu Hattierburg am Mississippi erbauten Fabrik wurden schon im ersten Jahr täglich 150000 kg ') Ber. d. d. ehem. Ges. 46, p. 2401, 1913. Dem Botaniker galt bisher Zellulose als unlöslich in Salzsäure, doch hatte man sich immer mit der gewöhnlichen konzentrierten Salzsäure be- gnügt, bis dann Willstätte r noch stärkere probierte. Red. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 3 Sägespäne auf Spiritus verarbeitet, indem man sie mit wässriger schwefhger Säure unter erhöhtem Druck bei einer Temperatur von 140 Grad erhitzte. Nach der Behandlung zeigten die Sägespäne eine bräunliche Farbe und einen angenehmen Geruch. Laugte man sie mit Wasser aus, so erhielt man eine verdünnte Zuckerlösung, aus der sich durch Gärung Alkohol gewinnen ließ. Aus je loo kg Sägespänen erhielt man 12 1 Spiritus. Ob sich dieses Verfahren als so rentabel erwiesen hat, daß die Fabrik noch heute besteht (das genannte Buch ist 1908 erschienen), darüber ist dem Ver- fasser nichts bekannt. Dr. K. Schutt. Heil- und Nahrungsmittelreste in altägyptischen Leichen. — Auf Ersuchen von Prof. Netolitzky') entnahmen die wissenschaftlichen Leiter der Ph. Hearst Egyptian Expedition, Dr. Reisner und Dr. Smith, den Inhalt der Eingeweide zahlreicher prähistorischer Leichen vom Gräberfelde bei Girga in Oberägypten. In diesen 5—6000 Jahre alten Resten konnten folgende Nahrungs- und Heilmittel erkannt werden : zwei Fische (Tilapia nilotica und Barilius niloticus), die Maus (Mus musculus var. Orientalis), Kopfknochen eines größeren Tieres (Heilmittel !), Gerste, die Erdmandel (Cyperus es- culentus), eine heute nicht mehr als NaJirungsmittel dienende Hirse (Panicum colonum). Als Heil- pflanze aus der Familie der Borragineae wurde Trichodesma africanum aus den Zellresten rekon- struiert. Die Bestimmung der Pflanzen erfolgte auf Grund der charakteristischen Kieselskelette. Otto BürgerKirn. Neuere Verwertungsarten von Karbid und Azetylen und deren Rückwirkung auf die Ent- wicklung anderer Industrien. — In einem am 12. April im Verein Österreichischer Chemiker von Prof. Dr. A. Fraenkel gehaltenen Vortrage wurden bemerkenswerte Einblicke in die vielseitigen chemischen Umsetzungsmöglichkeiten von Karbid und Azetylen zu technisch wichtigen Produkten gegeben und die Rückwirkung auf die Entwick- lung anderer Industrien geschildert (Österr. Che- mikerzeitung XVI. Jahrg. Nr. 15, S. 202 ff.). Die Beleuchtungstechnik konsumiert heute nur mehr einen Bruchteil des produzierten Karbids. Für das Jahr 191 1 wird die europäische Gesamtpro- duktion mit nahezu 200000 Tonnen angegeben (die auf Kalkstickstoff verarbeiteten Karbidmengen nicht mit eingerechnet). Die Verwendung des Azetylens hat in den letzten Jahren für Beleuch- tungszwecke keine wesentlichen Fortschritte ge- zeigt. Dagegen haben sich neue und spezifische Anwendungsarten im Bergbau, im Eisenbahn- und Seebeleuchtungswesen ergeben insbesondere durch das gelöste Azetylen (Dissousgas). Das autogene Schweiß- und Schneideverfahren mittels Azetylen- sauerstoffes hat in den letzten Jahren eine rapide Entwicklung aufgewiesen. In Deutschland wird ') Zeitschrift für angewandte Chemie Bd. 26 , Nr. 79 (Seite 577). der dermalige Karbidverbrauch für diese Zwecke auf jährlich 22 000 Tonnen geschätzt. Auf Grund thermochemischer Erwägungen läßt sich nachwei- sen, daß kein anderer Heizstoff die hohen Tempe- raturen der Azetylensauerstoft'flamme (4000" C) ergeben kann. Auch die Stickstoffindustrie ver- dankt dem Karbid ihr Entstehen. Stickstoff dient zur Fabrikation des Kalziumcyanamides oder Kalk- stickstoffes, einer Verbindung, welche durch Azo- tieren des Karbids, d. i. durch Überleiten von Stickstoff über hoch erhitztes Karbid erhalten wird. Das in den Azotierungsöfen erhaltene Pro- dukt besitzt noch einen geringen Prozcntgehalt an Karbid und wird als gepulverte Rohware zum Zwecke weiterer chemischer Verarbeitung (insbe- sondere Ammoniakgewinnung), wie auch zur Hederichvertilgung verwendet. Sein Stickstoffgehalt beträgt 18 — 2i"/o. Zum Zwecke der Zersetzung des noch darin enthaltenen Karbids wird Wasser- dampf benützt und das erhaltene Produkt geölt. Diese hydrierte und geölte Ware wird hauptsäch- lich zur Düngung verwendet. Sie enthält 15 — 17% Stickstoff. Die Preise des Kalksiickslofles liegen um 25"/u niedriger als jene von Chilisalpeter und Ammonsulfat. Böhmen und Mähren sind die größten Verbrauchsländer für Kalkstickstoff. Von den Verfahren der chemischen Weiterverarbeitung des Kalkstickstoffes ist noch das der Ammoniak- erzeugung mittels überhitzten Wasserdampfes das wichtigste. Unter den Azetylenverwertungsverfahren be- sitzen jene der Azetylenspaltung in Kohlenstoff und Wasserstoff größeres Interesse. Nach Machtolf wird das Azetylen unter einem Drucke von 6— 10 Atmosphären in die aus Stahlguß her- gestellten Spaltzylinder eingeführt, die mit einem Rußsammler in Verbindung stehen. Das so er- haltene Azetylenschwarz zeigt außerordentliche Reinheit, F'einheit und Tiefe der Schwärze. Der dabei erhaltene Wasserstoff ist 99,5 proz. Das Verfahren wird von der „Carbonium G. m. b. H." in Offenbach in deren Anlage in Friedrichshafen durchgeführt. Der Wasserstoff wird an die Zeppe- lingesellschaft abgegeben, der Ruß u. a. nach China und Japan exportiert und zur Herstellung von Tuschen und Lacken verwendet. Durch Einwirkung von Kohlenoxyd auf Kar- bid erhielten Frank und Caro Kohlenstoff in P'orm von Graphit, der sich für Dynamobürsten und für chemische Zwecke besonders eignet. Den Bemühungen des „Konsortiums für elektro- chemische Industrie" in Nürnberg ist die technische Herstellung einer Reihe von Chlorderivaten des Azetylens gelungen, die zum Teil heute bereits ausgedehnte praktische Verwendung gefunden haben und von der „Bosnischen Elektrizitätsaktien- gesellschaft" in deren Werk in Jajce erzeugt werden. Zunächst wird das Azetylentetrachlorid hergestellt. Aus diesem gewinnt man dann Tri- chloräthylen , Pentachloräihan, Perchloräthylen, Hexachloräthan und Dlchloräthylen. Alle diese Chlorderivate mit Ausnahme des Hexachloräthans N. F. XIII. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 47 sind unentziindliche Flüssigkeiten und besitzen hervorragendes Lösungsvermögen für Fette, Ole, Harze u. dgl. In der Extraktionstechnik hat insbesondere das „Tri" vermöge der vorher angeführten Beständig- keit und des dem Benzin nahegelegenen Siede- punktes als dessen Ersatz Eingang gefunden. Insbesondere in Industrien, in denen die Extraktion nur einen Nebenbetrieb bildet, wie bei der Ver- arbeitung fetthaltiger Abfalle, entfallen bei dessen Verwendung die für Benzinextraktionsanlagen be- stehenden Sicherheitsvorschriften. Dazu kommt, daß die leichten zu extrahierenden Produkte auf diesem Lösungsmittel schwimmen, und daher die Extraktion besser vonstatten geht als bei Benzin, welches über dem Extraktionsgut steht. In Indus- trien, bei denen die Extraktion den Hauptbetrieb bildet, also in erster Linie in Ölfabriken, die nur nach dem Extraktionsverfahren arbeiten, kommen die Vorteile infolge des wesentlich höheren Preises des „Tri" und des durch das große spezifische Gewicht bedingten erheblich größeren Bedarfes weniger in Betracht. Doch bietet das viel größere Lösungsvermögen für Öle im Vergleich zu Benzin Vorteile, die in die Wagschale fallen. Mit dem „Tri" können Lösungen bis 65 "/g Fettgehalt, mit Benzin nur solche von kaum über 4o'*/(, Fettgehalt erhalten werden. Ein weiteres Anwendungsgebiet dieser Chlor- derivate bilden die chemischen Wäschereien. In der Lackindustrie dient ,,Tri" zur Herstellung feuersicherer Imprägnierungslacke. An Stelle von Tetrachlorkohlenstoff, welcher leicht Chlorwasser- stoffabspaltet, wird es den aus Rizinusöl-Sulfosäure hergestellten Seifen einverleibt, die unter verschie- denen Namen, wie „Triol", zumeist in der Textil- industrie verwendet werden. Gleichem Zweck dient auch Perchloräthylen („Pertürkol"). Dieses ist überdies ein vorzügliches Lösungsmittel für Schwefel. Tetrachloräthan wird meist in der Lackindustrie verwendet, da es ein hervorragenäes Lösungsmittel für Fette, Öle, Harze und Firnisse bildet. Pentachloräthan findet in der Metallindustrie zur Entfettung von Kunstgegenständen vor der galvanischen Behandlung Anwendung. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es dem Azetylen vielleicht beschieden sein wird, einen vollen Um- sturz in den technischen Aufbau organischer Ver- bindungen zu bringen. R. Ditmar. Bücherbesprechungen. Georg Schlenker, Lebensbilder aus deut- schen Mooren. Einführung in das Studium der heimischen Tier- und Pflanzenwelt. Mit 124 Abb. 164 S. Verlag von Theod. Thomas, Leipzig 191 3. — In Leinwand geb. 2,75 Mk. Verf. schildert in interessanter, leicht verständ- licher Weise die Entstehung der Moore, die dabei stattfindenden wichtigen chemischen Vorgänge, wie die Bildung von Eisenhydroxyd und des später daraus hervorgehenden Sumpferzes, sowie des Schwefels usw. Die gesamte Tier- und Pflanzen- welt, die während der verschiedenen Phasen der Entwicklung auf oder in unseren deutschen Mooren lebt, wird eingehend besprochen und manche noch fast unbekannte Art ausführlich beschrieben. Vor allem werden die biologischen Verhältnisse eingehend behandelt und die oft ganz eigenartigen Lebensvorgänge, welche manche Tiere und Pflanzen der Moore in ihren Beziehungen zur Umgebung zeigen, uns an besonders interessanten Arten ge- schildert. Auch die der eigentlichen Moorbildung verwandten Erscheinungen, wie der Verlandungs- prozeß bei Wiesengräben usw., sind berücksichtigt worden, so daß das Buch auch allen, die fern von einem Moore leben, viel Interessantes bieten wird und in der Tat als eine Einführung in die heimische Tier- und Pflanzenwelt anzusehen ist, zumal die vielen schönen Abbildungen den Text wesentlich unterstützen. Den Schluß bildet ein Abschnitt, „Die Be- deutung der Moore für den menschlichen Haushalt" und in einem Anhange finden wir die wichtigsten Mikroorganismen systematisch geordnet, die Pflan- zen der Moore nach ihrem Vorkommen in solche der Flach- und der Hochmoore eingeteilt. Eine ,, An- leitung für das Sammeln und die Behandlung der einfachsten Lebensformen des Süßwassers" erleichtert dem Naturfreunde wesentlich die Be- obachtung. Auch ist ein ausführliches Literatur- verzeichnis und ein das Nachschlagen sehr erleich- terndes Sachregister angefügt. Karl Ortlepp. Max Planck, Das Prinzip der Erhaltung der Energie. 3. Aufl. Verlag von B. G. Teubner, Leipzig 191 3. — Preis 6 Mk. Die Planck'sche Preisschrift über das,, Prin- zip der Erhaltung der Energie" erschien in drittter Auflage mit, soweit sich übersehen ließ, unverändertem Inhalt. Es ist dies der beste Beweis für die Güte der Darstellung dieses allumfassenden Prinzips und seiner zeitlosen Be- deutung, daß es Veränderungen der Darstellung und des Inhaltes nicht bedarf. Wir haben in unserem Geistesbesitz keinen allgemeingültigen Be- griff von so weit tragender Bedeutung als den der Energie, und darum bietet das Studium des Planck 'sehen Buches mit seiner vollendet künstle- rischen Sprache dem gebildetenNaturwissenschaftler wie dem Physiker von Fach den gleichen Genuß. Es behandelt im ersten Abschnitt die historische Ent- wicklung des Begriffs und des Prinzips der Er- haltung der Energie bis zu den klassischen Ar- beiten von J. R. Mayer, Joule, Helmholtz, Clausius, Thomsen und Kirchhoff, bringt dann im zweiten Teil eine exakte Formulierung des Prinzips, eine Übersicht und kritische Würdigung der versuchten Beweise und einen Beweis, der sich auf die Unmöglichkeit des perpetuum mobile stützt. Im letzten Teil wird die Fruchtbarkeit des Prinzips an Beispielen aus verschiedenen Zweigen der Physik, besonders der Elektrizität und der Thermochemie gezeigt. Unter Verzicht 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 3 auf alle Hypothesen über das Wesen der Natur- kräfte leitet das Werk im ganzen eine einheitUche Übersicht über unsere gesamte Erscheiiiungswelt. Dgt. Prof. Dr. A. Zimmermann, Direktor des kaiserl. biologischen Landwirtschaft!. Instituts in Amani, Der Manihot-Kautschuk. Seine Kultur, Gewinnung und Präparation. Mit 1 5 1 Figuren. Jena, Gustav P'ischer, 191 3. — Preis 9 Mk. Das Buch umfaßt einschließlich eines Registers nicht weniger als 342 Seiten in Großoktav. Es handelt sich demnach um eine ausführliciie Mono- graphie des Gegenstandes sowohl nach der botani- schen als nach der praktischen Seite hin. Bei der Wichtigkeit des Kautschuks für die Industrie wird das vorliegende Buch namentlich für die- jenigen, die sich mit der Kultur der Kautschuk liefernden Manihotarten beschäftigen wollen, von großem Wert sein, natürlich auch für alle die- jenigen, die sonst mit Kautschuk zu tun haben, und auch für Botaniker. R. P. Am"egungeii und Antworten. Herrn Dr. B. M. in Leipzig. — Zu dem Artikel von Märze 11, Der Nußbaum im deutschen Volksglauben (Naturw. Wochenschr. N. F. XII. Bd. S. 713 ff.l schreiben Sie: „Aus der Umgebung von Zwickau ist mir der Brauch bekannt, daß man einer Kuh, die eben gekalbt hat, eine Gabe verabreicht. Diese besteht aus einer Schnitte Brot, die mit einem grün- lichen auch sonst in der Veterinärmedizin verwendeten Pulver bestreut ist. Obenauf kommt der Kern einer Walnuß, und zwar möglichst ganz und unverletzt. Daß auch andere Nüsse zu diesem Zwecke benützt werden, ist mir nicht bekannt. Sollte dem Herrn Verf. des obigen Artikels etwas über die Deutung des geschilderten Brauches bekannt sein , so wäre ich für eine Mitteilung sehr dankbar." Nach dem Volksaberglaubcn sind die Kühe, die eben gekalbt haben, besonders dem , »Verhexen" ausgesetzt. Daher reicht man ihnen vielerorts im Futter zauberwehrende Mittel. In Schlesien erhält eine solche Kuh in der Tränke drei Zwiebelköpfe, einen Kamm und eine Handvoll Salz, in der Pfalz einen Nußkern und aus jeder Ecke der Wohnstube etwas Schmutz unter einem heiligen Spruch. Im Erzgebirge gibt man der Kuh nach dem Kalben Butterbrot mit Kreide und Safran bestrichen oder süße Mandeln [in Vertretung der Nufil] zu fressen, dann gibt sie gute Milch. Sehr verbreitet ist auch der Glaube, daß man drei Tage lang nach dem Kalben nichts leihen oder verleihen dürfe, sonst können die Leute, denen oder von denen man geliehen, der Kuh schaden oder deren Milch an sich ziehen (W u tt ke , Volksabergl. 1869, 415). In katholischen Gegenden gibt man der Kuh nach dem Kalben etwas von dem ,, Weihbüschel" (vgl. Naturw. Wochen- schrift N. F. XI. Bd. S. 329) , der an Maria Himmelfahrt (15. August) geweiht und dann getrocknet aufbewahrt wird. Im deutschen Weslböhmen gibt man diese geweihten Blumen der Kuh nach dem Abkalben mit Brot zu fressen, damit sie nicht verschrieen \\'ird (John, Sitte, Brauch und Volksgl. im deutschen Westböhmen 1905, 210). Möglicherweise spielt die Nuß, die der Kuh nach dem Kalben gegeben wird, nicht nur die Rolle eines zauberabwehrenden Mittels, sondern (wie auch sonst in vielen Fällen; vgl. meinen Artikel S. 714) auch die eines Fruchtbarkeitssymbols. Sicher dürfte dies letztere der Fall sein in einem böhmischen Mittel, nach dem der Kuh, wenn sie zum erstenmal kalben soll, von der Frau [ebenfalls Hinweis auf die Fruchtbarkeit!] eine in Brot gesteckte Fledermaus zu fressen gegeben wird, dann ein Kuchen, von Hafermehl, in den eine vom Christabend her in geweihtem Salz aufbewahrte Nußschale und ein halber Apfel einge- backen ist (Wuttke 414). Marzell. Herrn S. F. — Über Symbiose der Pflanzen mit Pflanzen finden Sie Auskuntt in allen Lehrbüchern der Biologie; z.B. F. Ludwig, Lehrbuch der Biologie (1S95) S. 34, 83 u. 96 (Flechten, Symbiose der Nostocaceen mit höheren Gewächsen) ; W. Migula, Pflanzenbiologie (1909, Quelle & Meyer-Leipzig) S. 328 (Flechten, Symbiose der Knöllchenbakterien mit Legu- minosen); J. Wiesner, Biologie der Pflanzen usw. Außer- dem W. Pfeffer, Pflanzenphysiologie I. S. 356 u. IL 219. — Über die Lebensweise der Bakterien wird das Werk von W. Benecke, Bau und Leben der Bakterien (Teubner-Leip- zig 1912; aus Doflein u. Fischer, Naturwissensch. u. Technik in Lehre und Forschung) Auskunft geben. H. Harms. Herrn Dr. Seh. in F. — i. Das eingesandte eigentümliche tütenförmige Lindenblatt ist ein Beispiel für eine Bildungs- abweichung, die bei der Linde nicht selten vorkommt, jedoch auch bei anderen Pflanzen gelegentlich beobachtet wird. Die Erscheinung gehört in die große Klasse von Mißbildungen, die man auf tierische oder pflanzliche Parasiten nicht zurück- führen kann. O. Penzig (Pflanzenteratologie I. 318) sagt; Eine andere häufig gefundene, und in gewissen E.\emplaren der Linde alljährlich wiederkehrende Bildungsabweichung besteht in dem Auftreten von kappen- oder ascidien- förmigen Blättern. Man findet häufig schon Blätter, welche durch Verwachsung der beiden basalen Öhrchen der Spreite schildförmig werden; erstreckt sich die Verwachsung nun weiter längs des Blattrandes, so entstehen tüten- oder becherförmige Ascidien, welche schon seit langer Zeit bekannt sind. M. T. Masters, Pflanzenteratologie (übersetzt von U. Dammer (1SS6) 38), teilt mit, daß krugförmige oder kappenförmige Blätter (folia cucuUata) bei der Linde oft an- getroffen werden ; auf dem Kirchhofe eines Cistercienscrklosters bei .Sedlitz stehen Bäume mit solchen Blättern, an denen Mönche aufgehängt worden sein sollen; es entstand davon die Sage, daß diese Blätter zum ewigen Angedenken an den Märtvrertod dieser Mönche die eigentümliche Form erhallen hätten. Bei Masters S. 39 ist ein krugförmiges Blatt von Pelargoniura abgebildet. Herr Prof. Graebner teilt mir freundlichst mit, daß er tütenförmige Blätter wiederholt auch bei Platanen beobachtet habe. 2. Es gibt nur im südlichen Teile der Vereinigten Staaten von Nordamerika echte Akazien. Sargent (Trees of North Amer. (1905) ^41) erwähnt 4 Arten; die bekannteste davon, A. faniesiana Wiild., die bekanntlich in allen wärmeren Län- dern viel kultiviert wird wegen ihrer wohlriechenden zur Parfümbereitung benutzten Blüten, soll in gewissen Gegenden von Texas wild vorkommen. Bis nach Texas reicht die sonst in Mexiko, W'estindien und dem nördlichen Südamerika ver- breitete Ac. tortuosa Willd. , die mit A. Farnesiana verwandt ist und wie diese kleine Blütenköpfchen besitzt. Blütenährea haben A. Wrightii Benth. und A. Griggii Gray, die in Texas und Nordmexiko wohnen. Die Zahl der Arten wird im mitt- leren und südlichen Mexiko erheblich größer. 3. Soviel mir bekannt, kommt es recht oft vor, daß Kulturgewächse durch tierische oder pflanzliche Parasiten ge- tötet werden. Von der Bildung etwaiger Gegengifte in der Pflanze scheint nichts bekannt zu sein. H. Harms. Inhalt; R. Meli: Die Chinesen und der Schmetteiling. (Schluß.) — Einzelberichte: Lummcr: Versuche über Verflüssigung und Sieden von Kohle. Marcusson: Hydrolyse der Fette. Faust, Wieland, Weil: Bufolalin, das Gift der Kröten. Reich: Energiemessungen an Empfangsantennen. Sierp: Körpergröße und Zellengröße. K. Bassalik: Zersetzung der Oxalsäure. Peirce: Einfluß des Lichtes auf das Wachstum der Pflanzen. Kruis: Bakterienkerne. Thurnwald: Erforschung des geistigen Kulturbesitzes der Völker. Hettner; Die Abhängigkeit der Form der Land- oberfläche vom inneren Bau. — Kleinere Mitteilungen: K. Schutt: Zellulose, Zucker, Alkohol. O. Bürger: Heil- und Nahrungsmittelreste in altägyptischen Leichen. R. Ditmar: Neuere Verwertungsarten von Karbid und Azetylen und deren Rückwirkung auf die Entwicklung anderer Industrien. — Bücherbesprechungen : GeorgSchlenker: Lebens- bilder aus deutschen Mooren. — Max Planck: Das Prinzip der Erhaltung der Energie. — A. Zimmermann: Der Manihot-Kautschuk. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafie IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzen Reihe 29. Band. Sonntag, den 25. Januar 1914. Nummer 4. Schutzfärbung und Mimikry [Nachdruck verboten.] Von Dr. Alois „Es ist auffallend, wie in vielen Fällen die Natur dem Tiere Dienstleistung erweist, indem sie es mit solchen Tinten färbt, welche es am besten instand setzen, seinen Feinden zu ent- kommen oder seine Beute zu fangen." A. R. Wallace. Es ist ein undankbares Beginnen über die Färbungen der Tiere zu schreiben, da man sich, wenn man mit seiner Ansicht herausrückt, eine Schar von Gegnern auf den Hals lockt, und ein unangenehmes zugleich, da man auf Schritt und Tritt mit Aussprüchen hervorragender und ver- dienstvoller Forscher in Kollision kommt, die man trotz alier Pietät nicht mehr so ganz gelten lassen kann. Ich bitte daher im vorhinein um Nachsicht und um gerechte Beurteilung meiner Zeilen. Veranlaßt hat mich zum Schreiben des folgen- den Aufsatzes das jüngst erschienene Buch Jacobi's über Mimikry, das eine äußerst gründUche und übersichtliche Zusammenstellung des wichtigsten Materiales gibt, mit dessen Ansichten ich aber nicht vollständig übereinstimme. I. Anpassungsfärbung. Es ist eine allgemein bekannte Erscheinung, daß ein großer Teil unserer Tiere in seiner Farbe der Umgebung, in der er lebt, oft in ganz ver- blüffender Weise angepaßt ist. Die Wüstentiere zeigen die Sandfarbe, die Tiere der arktischen Region die weiße Farbe des Schnees, die nächt- lichen Tiere und die, deren Aufenthaltsort der Erdboden ist, sind grau, die Baum- und Grastiere grün und die VVassertiere oft glashell. Die so allgemein aufgestellten Angaben lassen sich durch eine Unmenge von speziellen Beispielen vermehren, und da nicht bloß die ausgewachsenen Tiere, sondern auch die offen abgelegten Eier und die Jugendstadien die Färbung ihrer Umgebung haben, so ist es eigentlich zum Verwundern, daß diese auffallende Erscheinung erst so spät von den Naturforschern so recht beachtet wurde. Wenn wir auch schon bei dem in der Mitte des 18. Jahr- hunderts berühmten Nürnberger Miniaturenmaler und Naturforscher Rösel von Rosenhof einige unzweifelhaft beschriebene Fälle von I-'arbenan- passung finden, so wurde doch erst von Erasmus Darwin und speziell von seinem Enkel Charles Darwin die biologische Bedeutung der Farben für die Tiere richtig gewürdigt und auch gleich- zeitig durch die Selektion erklärt. Und Weis- mann sagt in seinen Vorträgen über Deszendenz- theorie*): „Es liegt auf der Hand, daß eine solche Czepa, Wien. mit der gewöhnlichen Umgebung des Tieres über- einstimmende, sog. ,, sympathische" Färbung sich mittels des Selektionsprinzips unschwer in ihrer Entstehung begreifen läßt und ebensowohl daß sie sich durch das Lamarck 'sehe Umwandlungs- prinzip nicht erklären läßt. Durch Häufung kleiner, nützlicher Farbenvariationen kann sehr wohl aus der früheren Färbung allmählich eine grüne oder auch eine braune entstanden sein, nicht aber kann sich ein graues oder braunes Insekt dadurch, daß es die Gewohnheit annahm, auf Blättern zu sitzen, in Grün umgefärbt haben, und noch weniger kann dabei der Wille des Tieres oder irgendwelche Art der Tätigkeit mit- gewirkt haben. Selbst wenn das Tier eine Ahnung davon hätte, daß es ihm nun, nachdem es sich an das Sitzen auf Blättern gewöhnt hatte, sehr nützlich sein würde, grün gefärbt zu sein, wäre es doch außerstande gewesen, irgend etwas für seine Grünfärbung zu tun. Man hat aller- dings in neuester Zeit an die Möglichkeit einer Art von Farbenphotographie auf der Haut der Tiere gedacht, allein es gibt eine Menge von Arten, die in ihrer Färbung im Gegensatz zu ihrer Umgebung stehen, bei welchen also die Haut keine farbenphotographische Platte ist, und es mußte also zuerst erklärt werden, wie es kommt, daß dieselben bei den sympathischge- färbten als solche funktioniert. Ich verlange nicht den Nachweis der chemischen Zusammensetzung des dabei vorausgesetzten lichtempfindlichen Stoffes. Möchte dieser Jodsilber oder etwas anderes sein, die Frage bleibt die: Wie kommt es, daß es sich nur bei solchen Arten eingestellt hat, deren sym- pathische Färbung ihnen im Kampf ums Dasein nützlich ist? Und die Antwort darauf könnte nur lauten: Er ist durch Naturzüchtung bei den- jenigen Arten entstanden, denen eine sympathische Färbung nützlich war." Hiermit ist deutlich die Stellung der Selek- tionstheoretiker zur Schutzfärbung gegeben und der große Wert der sympathischen Färbung für die Erhaltung der Art und die einzig mögliche Entstehungsweise, nämlich durch Selektion, klar ausgesprochen. Heute sind nun viele Forscher mit der ange- gebenen Meinung Weismann's nicht mehr ein- verstanden und die Stimmen mehren sich, die von der schützenden Allgewalt der sympathischen Färbung nicht viel halten, ja sogar soweit gehen, daß sie sie überhaupt leugnen. ') II. Aufl. p. 50. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. I'. XIII. Nr. 4 Die Aufgabe der folgenden Zeilen soll es nun sein, die Frage der Schutzfärbung vom objektiven Standpimkt aus zu betrachten, wobei wir uns natürlich eine ziemliche Beschränkung auferlegen müssen, um den Umfang der Arbeit nicht ins Unermeßliche wachsen zu lassen. Wildfärbung — Domestikationsfärbung. Ein sehr beliebtes Beispiel für Schutzfärbung sind unsere Haustiere, deren bunte Farben sich von dem einfachen Grau oder Gelblichbraun ihrer wilden Verwandten deutlich und auffallend unter- scheiden. In diesem Falle ergibt sich auch die Erklärung ganz von selbst. Die domestizierten Tiere können eines Schutzes durch Farbenanpassung vollständig entbehren, weil sie durch den Menschen geschützt sind; es fällt also der regelnde Faktor, die natürliche Zuchtwahl, vollständig weg und Farben, die dem wildlebenden Tier binnen kurzem den sicheren Tod brächten, können deshalb die große Verbreitung finden, ja sogar die eigentliche Wildfärbung vollständig verdrängen. So plausibel diese Erklärung auf den ersten Blick auch scheint, so wenig vermag sie einer kritischen Prüfung standzuhalten. Wenn wir bedenken , wie wenige Haustier- rassen noch Wildfärbung erkennen lassen, daß es gerade die primitiven, wenig veredelten Rassen sind, bei denen wir sie finden, und daß die bunten Farben vor allem die hochkultivierten Rassen zeigen, so muß sich uns unwillkürlich der Ge- danke aufdrängen, daß diese Farben eine typische Domestikationserscheinung sind, daß die Domesti- kation mit ihren der P'reiheit so ganz entgegen- gesetzten Lebensbedingungen einen derartigen Einfluß auf die Tiere ausübt, daß die Wildfärbung vollständig verdrängt wird. Von unseren großen Haustieren zeigen nur mehr wenige Rassen die eigentliche Wildfärbung. Die dunklen Querstreifen an den Vorder- und Hinterbeinen und den dunklen Anstrich, die das Wildpferd auszeichnen, zeigen nur mehr die ganz primitiven Landrassen z. B. das bosnische Pferd und der unveredelte galizische Landschlag. Die eigentümlichen farbigen Abzeichen des Wildrindes finden wir nur mehr bei den dachsfarbigen Mürz- talerzuchten, sowie bei den entsprechend gefärbten Individuen der Illyrischen und Karpathenrasse. Bei den kleinen Haustieren verhält es sich ähnlich; nur die Ziegen lassen in den meisten Fällen, wenn es sich um die gewöhnliche Form handelt, große Ähnlichkeit in ihrer Färbung mit der Wildfärbung erkennen, aber gerade hier sind die Landzuchten züchterisch verhältnismäßig wenig beeinflußt. Bei allen höheren Rassen und gerade bei den höchststehenden ist von Wildfärbung keine Spur mehr vorhanden, dafür spielt die weiße und schwarze Farbe und vor allem der Albinismus eine große Rolle. Wenn wir die Färbungen der verschiedenen Rassen analysieren, so können wir nach A d a m e t z folgende Einteilung treffen: I. Einfarbigkeit, II. weiße Abzeichen bis Scheckung, III. Leuzismus, IV. echter Albinismus. I. Zur Einfarbigkeit zählt vor allem der Melanis- mus, das heißt das Auftreten eines dunklen, bis schwarzen Haar- oder Federkleides, das bei wild- lebenden Tieren nur unter gewissen Bedingungen vorkommt und stets eine Seltenheit bleibt, bei unseren Haustieren aber eine überaus häufige, bei vielen Rassen eine normale Erscheinung ist. Der Melanismus beruht nicht auf dem Vor- handensein eines rein schwarzen Pigmentes, son- dern nur in der Anhäufung des gewohnlichen braunen, wie man sich leicht überzeugen kann, wenn man ein schwarz gefärbtes Tier im auf- fallenden Sonnenlichte betrachtet; es erscheint deutlich rötlich bis dunkelbraun. Wir haben uns j. also das Auftreten der schwarzen Färbung durch ■ eine Überproduktion des Pigmentes von selten der farbstofferzeugenden Zellen zu erklären und müssen nur noch die LTrsache dieser erhöhten Arbeitsleistung erkunden. Hierbei hilft uns vor allem die Tatsache weiter, daß diese intensive Farbstoffbildung in naher Beziehung zur P'arbstoff- losigkeit oder wenigstens zum Farbstoffmangel steht oder mit anderen Worten, daß Melanismus einerseits und Leuzismus oder Albinismus anderer- seits sehr häufig in ein und derselben Zucht vor- kommen. Ich erinnere hier nur an die bekannte Pferderasse Kladrub, die in einem Schimmel- und einem Rappstamme gezüchtet werden, an den weißen und schwarzen Pudel, an die schwarzen und weißen Schafe und an die alten Erfahrungen der Züchter, daß Schwarz stets mit dem Weißen Hand in Hand geht. Wie wir später noch hören werden, ist Weiß eine Folge einer konstitutionellen Schwäche des Tieres und wir werden nicht fehl gehen, wenn wir auch den Melanismus als eine F"olgeerscheinung gewisser züchterischer Verhält- nisse ansehen, die mit einer Schwächung, zum mindesten mit einer Störung der Lebenstätigkeit des Organismus parallel läuft. Die Pigmentzellen verlieren die Fähigkeit, die Farbstoffproduktion zu regulieren, und so geht sie über die normale Grenze hinaus. Welcher Art diese züchterischen Verhältnisse sind, die den Melanismus bedingen, können wir noch nicht sicher behaupten, wenn wir auch auf die Inzucht einen sehr starken Verdacht haben. Denn sehen wir uns unter den wildlebenden Tieren nach melanotischen Formen um, so finden wir sie meistens nur in kleinen engbegrenzten Gebieten, wie die schwarzen Panther auf Java oder unter den Haustieren die schwarzen Formen der illyrischen Rinderrassen inselartig unter den andersfarbigen in wilden, schwer zugänglichen Ge- birgsgegenden, wie in der Umgebung von Imljani in Bosnien. Man kennt den Melanismus auch bei anderen N. F. XIII. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 51 Tiergruppen schon lange Zeit. Ich erinnere nur an die Gebirgsformen der Schmetterlinge, Kreuz- otter, bei denen die Feuchtigkeit die Ursache der F'ärbung sein soll, ferner an die Angaben Blumen- bach's, der an Lerchen und Finken durch bloßes Füttern mit Hanf künstlich Melanismus hervorrief, und endlich an die Versuche Käm- merer's, der Eidechsen durch gewisse, unge- wohnte Lebensbedingungen zur melanotischen Verfärbung brachte. Aus diesen wenigen Beispielen können wir schon entnehmen, daß wir mit unserer Auffassung von Melanismus als einer Folge einer konstitutio- nellen Schwächung nicht zu weit fehlgegriffen haben, um so mehr, wenn wir noch die Zucht- versuche an Mäusen berücksichtigen. Haake') fand, daß Kreuzungen von blau- und weißge- scheckten Tanzmäusen, bei denen das Weiß das Blau an Ausdehnung bedeutend übertraf, mit ge- wöhnlichen weißen Mäusen, also mit totalen Al- binos, einfarbige graue oder schwarze Mäuse er- gaben. Und Cuenot'-) erzeugte durch Paarung grauer Bastardmäuse dritter Generation mit Al- binomäusen ebenfalls schwarze Mäuse. L'nd wenn jetzt unsere Jagdzeitschriflen vom häufigen Auf- treten schwarzer Eichhörnchen berichten und uns die interessante Tatsache mitteilen , daß in den westelbischen Teilen der norddeutschen Tiefebene, besonders in der südöstlichen Lüneburger Heide schwarzes Rehwild nicht mehr so selten ist , so werden wir, wenn wir die Frage nach der Her- kunft der schwarzen Färbung überhaupt beant- worten wollen, nicht Anpassung und Schutzfärbung, sondern physiologische Ursachen für das Auftreten des Melanismus verantwoitlich machen müssen. II. Treten bei gefärbten Individuen pigment- freie Stellen der Haut mit pigmentfreien Haaren im geringen Umfange auf, so spricht man von weißen Abzeichen oder Domestikationszeichen. Spezielle Beispiele hierfür anzuführen, ist wohl bei der Häufigkeit dieser verbreiteten Erscheinung nicht Notwendigkeit; denn auf Schritt und Tritt können wir auch in der Großstadt an Pferden und Hunden derartige Beobachtungen machen. Die weißen Abzeichen sind meist an ganz bestimmte Körperstellen gebunden und finden sich in der Regel weit vom Zentrum entfernt, also dort, wo gewissermaßen der Stoffwechsel der Haut weniger intensiv sein wird. Ich erinnere nur an die F'ußenden der Vorder- und Hinter- beine der großen Haussäugetiere, an die Schwanz- spitze der Rinder und Hunde und an die Sterne auf der Stirne. Durch Vergrößerung der pigmentlosen Partien kommt dann die Färbung zustande, die wir als ') Haake, Über Wesen, Ursachen und Vererbung von Albinismus und Scheckung und über deren Bedeutung füi vererbungstheoretische und entwicklungsmechanische Fragen. Biolog. CentralblaU. XV. 1895. '') Cuenot, L'hcredit^ de la Pigmentalion chez les souris (2eme Note) in Archives de Zoologie experimentale et gene- rale 1903. Scheckung bezeichnen , die mehr oder weniger ausgeprägt und in Verbindung mit Melanismus oder einer anderen Kulturfärl)ung auftreten kann. Diese Scheckung kann aber in ganz hervorragen- dem Maße zunehmen und fast alle gefärbten Partien zum Schwinden bringen, so daß fast die gesamte Körperoberfläche albinotisch erscheint. Ein charakteristisches Beispiel hierfür sind die letzten Moderassen der Hunde, die zum Teil ziem- lich stark entarteten F^oxterriers, bei denen wir oft nur mehr winzige, wenige Millimeter große Farbflecken erkennen können. Merkwürdig i-,t, daß trotz weitgehendster Scheckung an meist ganz bestimmten Stellen pig- mentierte Haut erhalten bleibt , ja die Fähigkeit, Farbstoff zu bilden, von diesen Hautparlien mit großer Zähigkeit festgehalten wird. So sehen wir beim englischen Parkrind den ganzen Körper un- gefärbt, nur die Ohrenspitzen und die Umrandung des Maules pigmentiert. Auch bei den Hunden bleibt die Färbung an den Ohrenspitzen und außerdem noch in der Kreuzgegend und am obe- ren Teil des Schwanzes. Und gerade der letzt- genannte Fleck ist selbst bei sehr weitgehendem partiellen Albinismus vorhanden. Eine Erklärung für das Festhalten des Pig- mentes an diesen Stellen ist leicht gegeben. Wenn wir die wilden Formen zum Vergleich heranziehen, so erkennen wir, daß bei ihnen ge- rade die genannten Stellen auffallend dunkel ge- färbt sind, daß hier eine intensive Farbstoffbildung besteht und diese bei unseren Haustieren noch in der erwähnten Weise teilweise erhalten bleibt. Eine intensive Farbstoffbildung findet aber überall dort statt, wo ein regerer Stoffwechsel herrscht, eine Tatsache, die man mit vielen Bei- spielen belegen kann. Gleich im Schwanzfleck der Hunde haben wir für diese Behauptung einen Beweis; wir finden nämlich an dieser Stelle auch bei fast allen wilden Caniden eine Hautdrüse, die den lebhafteren Stoffwechsel bedingt. Nach Haake bestehen die dunklen Streifen des Zebras aus viel stärkeren und längeren Haaren als die weißen, so daß sie erhaben erscheinen und von ihm mit aufgenähten Tuchstreifen verglichen wer- den. Nach den Arbeiten von Zi e tschman n i) finden sich an den Bürsten der Cerviden, Stellen der Hinterextremitäten, die mit dunkleren und längeren Haaren ausgestattet sind, Anhäufungen von Drüsen. Beim Menschen ist die Brustwarze, die Achselhöhle, die Genitalgegend stärker pig- mentiert als die Umgebung und gerade an diesen Stellen ist der Stoffwechsel äußerst rege. Diese Beispiele, die sich leicht vermehren lassen, zeigen, daß lebhafter Stoffwechsel intensive Farbstoffbildung bedingt, und führen uns gleich- zeitig zu der Erklärung, daß die weißen, pigment- losen Hautpartien eine Folge eines zu geringen ') C. Zietschmann, Beiträge zur Morphologie und Histologie einiger Hautorgane der Cerviden ! Zeitschrift für wiss. Zool. Bd. CXXIV. 1903. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XUI. Nr. 4 Stoffwechsels dieser Stelle sind oder als Ausfluß einer geweblichen oder konstitutionellen Schwäche angesehen werden müssen. Die Farbstoffzellen haben die Fähigkeit, Pigment zu erzeugen, aus irgendeinem Grunde eingebüßt und unsere Auf- gabe wäre es nun, die Ursachen dieser Schwächung anzugeben. Wenn wir auch noch nicht so weit sind, wenn wir uns auch damit begnügen, einige höchstwahrscheinliche F"aktoren anzuführen (die wir dann im Zusammenhange am Ende des Ab- schnittes besprechen wollen), so sind wir doch imstande, die Behauptung zu bekräftigen, daß die Scheckung eine Folge einer geweblichen oder konstitutionellen Schwäche ist. Es ist eine bekannte Erscheinung, daß bei dunkelpigmentierten Pferden an den Druckstellen weiße Haare wachsen. Das Narbengewebe selbst der dunkelhäutigsten Menschenrassen ist weiß. Werden die Federkeime der Stubenvögel irgendwie störend beeinflußt, so entstehen weiße oder hellgefärbte Federn. Cornesin') gibt an, daß die südamerikanischen Indianer den normal grüngefärbten Papageien die grünen Federn aus- reißen, in die Haut der Tiere ein ätzendes Sekret einer Krötenart eindringen lassen und durch diese Hautschädigung bewirken, daß die neu hervor- wachsenden F"edern zitronengelb oder rötlichgelb gefärbt erscheinen. Auch ist es eine alte Erfahrung der Landwirte und Tierärzte , daß die weißen Hautpartien viel weniger widerstandsfähig gegen verschiedene Krankheiten sind, daß die weißgefesselten Pferde auf feuchten Weideflächen viel häufiger an Mauke erkranken als die gefärbten und daß bei fast ganz weißen Tieren Hautkrankheiten auftreten, die die dunklen der gleichen Rasse entweder überhaupt nicht oder in nur ganz geringem Grade befallen. Ich erinnere hier nur an den Buchweizenausschlag der weißen Schafe, der die schwarzen Tiere nicht angreift und an die durch Pilze hervorgerufene Hautkrankheit der weißen Pudel, die meist nicht zu heilen sind, während die damit behafteten schwarzen Pudel ohne weiteres gesunden. Wie weit wir gewebliche und wie weit wir konstitutionelle Schwäche für das Auftreten der weißen Farbe verantwortlich machen sollen, ist in einzelnen Fällen oft schwer zu entscheiden , ist aber auch ziemlich irrelevant , da die eine die andere stark beeinflussen wird. Wenn wir finden, daß bei in Gefangenschaft lebenden Hänflingen die rote Färbung von Brust und Scheitel, die zur Paarungszeit den freilebenden Vogel auszeichnet, nicht auftritt, daß derlei Hochzeitskleider in der Gefangenschaft nur dann auftreten, wenn die Tiere sich so wohl fühlen, daß sie die Freiheit vergessen, ob es nun ein Vogel, ein Reptil, ein Amphibium oder ein F"isch ist, so ist damit zwar kein Beweis für die weiße Farbe als Folge der Schwäche ge- bracht , aber immerhin deutlich klargelegt , daß ') Tjaite de Zootechnique generale. Paris 1891. der Stoffwechsel das Auftreten der verschiedenen P'ärbungen bedingt. In diesen letzten P'ällen können wir teils psychische Depression, teils Fehlen der Reize der Genitalsphäre als Ursache annehmen. III. Greift die weiße Färbung auf die ganze Körperoberfläche über, so daß die Haare und Federn vollständig pigmentlos werden, ist aber das Pigment noch in Haut und Schleimhäuten erhalten, so sprechen wir von Leuzismus, einer P"ärbung, die wir auch in der Natur finden; ge- hört doch das Weißwerden der Polartiere und einiger Tiere der nördlicheren Gegenden zur Winterszeit hierher. Unter den Haustieren findet sich der Leuzismus vor allem bei Pferden, den bekannten Schimmeln, aber auch bei Rindern tritt er auf, so bei manchen Stepperirassen, und beim Geflügel. Leider sind wir über die Ursachen, die den Domestikationsleuzismus bedingen, noch voll- ständig im Unklaren und wir müssen deshalb hier auf Erklärungsversuche verzichten. IV. Fehlt das Pigment auch in der Haut und in den Schleimhäuten, so haben wir den be- kannten Albinismus vor uns, der sich selbst dem harmlosesten Beobachter infolge der roten Augen des Tieres als auffallende Erscheinung präsentiert. Der Albinismus tritt in der Natur unter den wild- lebenden Tieren nicht so selten auf und gerade unter dem Wild finden wir öfters albinotische Formen; doch derlei „weiße Raben" halten sich nicht — wenn man sie nicht speziell pflegt — , und verschwinden wieder binnen kurzem von der Bildfläche. Es gibt keine einzige, albinotische Spielart, die sich bei irgendeinem wildlebenden Tier herausgebildet hätte. Daß wir gerade unter den Haustieren soviel Albinos finden, hat vor allem seinen Grund darin, daß die Domestikation das Auftreten des Albinis- mus fördert und daß der Mensch diese auffallen- den Formen mit Vorliebe gepflegt und sich um ihre Erhaltung bemüht hat. Daß der Albinismus ein Zeichen beginnender Degeneration ist, daß alle albinotischen l'iere sehr stark konstitutionell geschwächt sind, wird heute kein Biologe mehr bestreiten und es ist ein über- flüssiger Luxus, noch Beweise hierfür anzuführen. Nur andeutungsweise möchte ich einige Tatsachen erwähnen. Daß der Albinismus auf die Genital- sphäre einwirkt und sehr oft mit Sterilität Hand in Hand geht, haben die Züchter der großen Haustiere, wie auch die des Geflügels oft erfahren müssen. Unsere Jäger wissen ein Liedchen zu singen, daß der weiße Fasan viel hinfälliger und in jeder Beziehung schwächer ist als sein ge- färbter Bruder. Ganz besonders empfänglich ist das albinotische Tier gegen Infektionskrankheiten. Wir haben gesagt, daß die Domestikation das Auftreten des Albinismus fördert, und haben diese Behauptung auf Grund der Tatsache ausgesprochen, daß unter den wildlebenden Formen Albinos selten, unter den Haustieren sehr häufig sind und daß gerade unter den Haustieren, mit denen sich der Mensch am wenigsten beschäftigt hat, N. F. XIII. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 53 nämlich mit den Ziegen, der Albinismus fast eine Seltenheit ist im Verhältnis zu den gepflegtesten z. B. der Vollblutrassen der Pferde. Wenn wir in der so stark durch den Menschen veränderten Rasse des englischen Vollbluts so selten albino- tische Individuen finden, so dürfte die Erklärung hierfür die sein, daß die Verwendung der Pferde zum Rennen, albinotische, d. h. schwächliche Tiere ausschließt. Aber die große Beeinflussung läßt sich doch leicht in den vielen Hellfüchsen er- kennen. Wir müssen uns nur noch fragen, welcher Art der Einfluß ist, welchen die Domestikation auf das Auftreten des Albinismus ausübt. Wir können auch hier wieder nur einige Faktoren an- geben, die ziemliche Wahrscheinlichkeit für sich haben und die man mit einigen Beispielen be- kräftigen kann, an wirklichen Beweisen fehlt es uns leider auch hier vollkommen. Haake führt einen sehr glücklichen Gedanken an. „Die Haustiere sind nicht annähernd den gleichen Gefahren ausgesetzt wie die freilebenden Tiere. Was unter diesen nicht in jeder Beziehung den Ansprüchen, die durch die Lebensbedingungen an die Tiere gestellt werden, gewachsen ist, muß zugrunde gehen. Die Haustiere indessen, die für den Menschen wertvoll sind, werden möglichst gehegt und gepflegt und vor schädigenden Ein- flüssen geschützt. Sie brauchen vor allen Dingen während der ungünstigen Jahreszeit keinen Hunger zu leiden. Sie finden auch Schutz vor Kälte, vor schädigender Nässe, vor allzu starker Einwirkung des Sonnenlichtes u. dgl. mehr. Kurzum , die gute Pflege läßt auch solche Individuen überleben, die als freilebende Tiere dem Kampfe ums Da- sein, der konstitutionellen Zuchtwahl, die nur die Individuen mit starker Konstitution auswählt, zum Opfer fallen würden. Deswegen muß aber bei Haustieren notwendigerweise eine Schwächung der Konstitution nicht selten vorkommen und diese hat wahrscheinlich mit lokalem oder totalem Albinismus zu tun." Zu diesem Faktor, der die Domestikation wegen der Erhaltung der selbst konstitutionell sehr geschwächten Individuen zu einem Förderer des Albinismus macht, gesellt sich noch die schon beim Melanismus angeführte Inzucht, die ja leider oft genug vorgenommen wurde und noch wird und wie kaum ein zweiter Faktor die Konstitu- tion sehr stark zu schwächen imstande ist. Und weil unter derart geschwächten Tieren der teil- weise und der lokale Albinismus eine der häufigsten Erscheinungen ist, hat man ihn direkt als Stigma degenerationis bezeichnet. Einen dritten Faktor hätten wir nach Ada- metz^) in der üppigeren, bzw. wasserreicheren Ernährung der Haustiere gegeben. Schon Dar- win hat in der gleichmäßig reichlichen Ernährung der Haustiere mit den wichtigsten Grund ihrer ') Adameiz, Beiträge zur Monographie des Illyrischen Rindes. Journal f. Landwirtschaft. 1895. großen Variabilität zu sehen gemeint und die Umschau unter unseren Haustieren gibt uns Be- lege für diese Ansicht. Die älteren Zuchten der Pinzgauerpferderasse zeigen eine starke Neigung zu weitgehendem teilweisem Albinismus und gerade ihre Ernährung auf den Weiden Salzburgs ist eine voluminöse und wasserreiche. Die rot- oder schwarzscheckigen Berner Rinder haben auffallend helle Verwandte, die Simmentaler. Adametz konnte in Bosnien auch an den einfarbigen lUy- riern ähnliche Beobachtungen machen. „Überall dort, wo sich den Tieren eine reichliche, nament- lich aber wasserreichere Nahrung bietet, fiel mir die rasche Zunahme solcher Abzeichen auf. Tiere mit bereits ausgebreiteten weißen Abzeichen, welche den Übergang zur Scheckfärbung deutlich erkennen lassen, sah ich innerhalb des Braunvieh- gebietes nicht selten. Im mildfeuchten Simmtale unweit Prejpolje sah ich reinblütige Herden, in welchen solche gescheckte Tiere neben einfarbig schwarzbraunen vorkommen, ja sogar direkte Ab- kömmlinge solcher Individuen waren. Den Kul- minationspunkt erreichte diese Erscheinung fort- schreitenden Pigmentmangels im nordwestlichen Teile des Mostarski - Blato , eines ausgedehnten Sumpfweidegebietes. Hier traf ich ganze Herden des Scheckviehes illyrischer Rasse. Die wenigen unter ihnen befindlichen einfarbigen Tiere waren hell bis gelbbraun mit entschieden schon pigment- ärmerer Haut." — — Wollen wir uns nun mit den angeführten Be- hauptungen und Tatsachen begnügen und resü- mieren, was wir über die Färbungen der Haus- tiere gehört haben, so kommen wir zu dem Er- gebnis, daß der Verlust der Wildfärbung und das Auftreten der bunten Farben eine Folge der verschiedensten, physiologischen Ursachen ist, die ihren Grund in der Domestikation haben. Damit haben wir allerdings eine Eiklärung für die Ent- stehung der Bunt- und Hellfarbigkeit gegeben, haben aber noch nicht die Frage beantwortet, ob das Fehlen der Selektion die bunten Farben ver- breiten läßt oder nicht. Wir dürfen nicht in einen circulus vitiosus verfallen; denn auch im Pralle der wirkenden Selektion müssen die Ursachen der Farbenveränderung physiologische sein. Wir stehen deshalb vor der pr-inzipiellen Frage: Ver- lieren die Haustiere ihre Wildfärbung, weil sie der biologisch wichtigen Schutzfärbung nicht mehr bedürfen, oder aber verändern sie die Farben bloß infolge der durch die andere Lebensweise bedingten Einwirkungen auf ihren Körper oder besser gesagt durch das stark beeinflußte Allge- meinbefinden. Wir können, um der Beantwortung dieser Frage näher zu kommen, vorher eine andere er- ledigen, nämlich die P>age, ob die Wildfärbung der großen Haussäugetiere überhaupt eine Schutz- färbung ist und für das Tier diese wichtige Be- deutung hat oder nicht. Ich für meinen Teil möchte den Wert der Wildfärbung als Farben- anpassung, also als Schutzfärbung in große Zweifel 54 Nalurwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 4 ziehen. Ich bin der Ansicht, daß die Färbung für diese Tiere als Schutzmittel gar keine Bedeu- tung hat. Denn die wildlebenden Pferde und Rinder sind wehrhafte Formen, haben die Mög- lichkeit einer raschen Flucht und leben außerdem in Rudeln und oft ganzen Herden, so daß sie schon an und für sich dadurch geschützt sind. Außerdem würde ihnen aus dem Umstände schon, daß sie auf freierem Terrain in größerer Zahl beisammenleben, eine Schutzfärbung nichts nützen, da sie von sehenden Feinden unbedingt sofort entdeckt werden müßten. Und wenn Schmeil sagt, daß die dunklen Streifen dem Zebra bei Tag als Erkennungsmittel ') für von der Herde ver- sprengte Tiere, in der Nacht als Schutzfärbung bei Mondschein an der Tränke dienen , so finde ich das erste ebenso wenig glaublich als das zweite. Denn erstens sind die Equiden ziemlich schlechte Seher und ein versprengtes Tier wird eher infolge seines Geruchssinnes zu der Herde zurückfinden, um so mehr, da die Gegenden nicht so eben und frei sind, daß sie das Tier auf weite Strecken übersehen könnte, und zweitens wird sich der Räuber, der an der Tränke lauert und der Feind der Zebras ist, sicher nicht ein einziges Mal durch die im Mondschein verschwimmenden Streifen täuschen lassen. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß die Färbung dem Zebra nicht schadet, sonst aber von keiner positiven Bedeutung ist und werde auch darin durch die Angaben Werne r's bestärkt, daß sich die phylogenetisch wichtigen Zeichnungen der Tiere, zu denen die Wildzeich- nung der Pferde, Zebras usw. gehört , bei alten Tieren zurückbildet, also ohne Schaden verschwin- den kann. Es ist also die Wildfärbung durch die Do- mestikation einfach infolge der anderen und zwar der bereits angeführten Lebensbedingungen zu der Haustierfärbung verändert und nicht weil der regelnde Faktor, die Selektion gefehlt hat, die nicht schutzgefärbte Tiere binnen kurzem aus- rottete. Vor allem war aber bei dem Zustande- kommen der überaus bunten Mannigfaltigkeit der Mensch schuld, der sich an den neuen Farben freute, sie pflegte, ja bestrebt war, sie wenn mög- lich noch zu vermehren. — Einen weiteren Beleg für die hier ausge- sprochenen Ansichten gibt uns das zweite, große Zuchtbeispiel, die Taube. Abstammend von der einfach graublau gefärbten Felsentaube, die nur der weiße Unterrücken, das schwarze doppelte Querband auf den Schwingen und vor allem der grüne, bzw. purpurfarbige Metallglanz auf Hals und Vorderbrust etwas bunter erscheinen lassen, hat sie sich zu einer Unzahl der verschieden ge- färbten Varietäten in der Hand des Menschen herausgebildet. Auch hier hat man die gleiche Erklärung gegeben wie bei den großen Haus- tieren und auch hier könnten wir dieselben gegen- ') Übrigens wird diese .\nsicht von den wenigsten geteilt, da die meisten der Ansicht sind, daß die Streifen auf die Distanz verschwinden und so eine Körperauflösung bewirken. teiligen Ansichten vorbringen. Es wäre daher gar nicht notwendig von den Tauben gesondert zu sprechen, wenn sie nicht einen neuen Beweis für unsere Ansichten erbrächten. Ob die Felsentauben eine Schutzfärbung haben oder nicht, wollen wir hier nicht erörtern, daß diese aber den Haustauben vollständig fehlt, ist wohl ohne allen Zweifel. Nun fii.den wir in vielen Großstädten, ich nenne hier nur als die mir am nächsten liegende, Wien, eine Menge verwilderter Tauben, die zum Verdruß der Stadtväter überall nisten und gerade die schönsten Bauwerke mit ihrem Aufenthalt und den damit verbundenen Folgen beehren, und unter ihnen eine große Zahl, die wie die Felsentauben gefärbt sind. Die Tauben verwildern, die Domestikationsfarben treten zurück und die ursprüngliche Wildfärbung tritt wieder auf. So selbstverständlich diese Er- scheinung draußen in Wald und Flur wäre, so wenig ist sie es vom Standpunkt der Selektion und Schutzfärbung aus in der Großstadt. Warum tritt hier die Schutzfärbung auf, wenn alle natür- lichen Feinde des Tieres fehlen.? Wir werden hierfür wohl keine andere Erklärung finden, als die, daß die Färbung der Felsentaube die Wild- färbung ist und daß mit Aufhören der Domestika- tion und der damit verbundenen Lebensbedingungen die Ursachen der bunten Färbung wegfallen und daß die Verhältnisse der wildlebenden Tiere die alle Wildfärbung wieder hervorrufen. Daß diese Färbung nicht bei allen Exemplaren zu finden ist, hat seinen Grund wahrscheinlich darin, daß die der Domestikation eigentümlichen Lebensbe- dingungen auch bei diesen verwilderten Formen zum Teil erhalten sind, wie das Fehlen der Feinde, das Vorhandensein zahlreicher und meist sehr guter Nistplätze und vor allem nie Mangel an guter Nahrung, weder im Sommer noch im Winter, durch die vielen Taubenfreunde. — Nach allen diesen Erörterungen kommen wir daher zu dem Schlüsse, daß die bunten F"ärbungen der Haustiere eine Folge der durch die Domestika- tion hervorgerufenen Lebensbedingungen sind und vom Menschen meist sorgsam weitergezüchtet wurden und daß derart gefärbte Spielarten unter den wildlebenden Tieren vollständig fehlen, nicht weil gefärbte Tiere infolge ihrer schlechten An- passung an die Umgebung zugrunde gehen müssen, weil sie von den Feinden leicht entdeckt und leicht erbeutet nie zur Fortpflanzung kommen, sondern weil solche Tiere konstitutionell viel schwächer sind und deshalb wenn sie manchmal durch irgendwelche LTrsachen in der Natur auf- treten, mit ihren Genossen nicht konkurrieren können, die Unbilden des Lebens die da sind Witterung, Nahrungsmangel, Feinde nicht ertragen können, und deshalb binnen kurzem wieder spur- los verschwinden müssen. Es gehen diese Formen allerdings auch durch den Kampf ums Da- sei n zugrunde, aber nicht infolge ihrer unrichtigen Färbung, sondern i nfol ge ih rer schlechteren Konstitution und diesen Kampf ums Dasein wird niemand verneinen. (Fortsetzung folgt.) N. F. XIII. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 55 Einzelberichte. Chemie. Depside, Flechtenstoffe und Gerb- Chebulinsäure der Myrobalanen und das im ar. A..r a^ q1- \r„„„„,.,i,,„„ r>»i,t=^ViPr Böhm'schen Laboratorium von Grüttner OD a 3 0.1 d d T. " tu? *^ *-• g.yw OJ '" -- J3 u 3 «'S :3 dj !4 I c -5 . u S ^£ n u g aj 13 B >|.S .in o C C >'. .S j) „ ■o-S.3 "= .H - d M 5 rt d D ... 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In drei Wochen wurde das Rhonetal vom Genfer See aufwärts bis zum Rhonegletscher und außer 54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 4 zielien. Ich bin der Ansicht, daß die Färbung teiligen Ansichten vorbringen. Es wäre daher für diese Tiere als Schutzmittel gar keine Bedeu- gar nicht notwendig von den Tauben gesondert tung hat. Denn die wildlebenden Pferde und zu sprechen, wenn sie nicht einen neuen Beweis Rinder sind wehrhafte Formen, haben die Mög- für unsere Ansichten erbrächten. tieren und auch hier könnten wir dieselben gegen- allerdings auch durch den Kampf ums Da- sein zugrunde, aber nicht infolge ihrer unrichtigen ,,,•■,,. • j j- . • . > . ■, Färbung, sondern i n fol ge i h re r schlechteren ') Übrigens wird diese Ansicht von den wenigsten geteilt, ,, ". . , ,.° i' r r> • da die meisten der Ansicht sind, daß die Streifen auf die Konstitution Und diesen Kampf umS Dasein Distanz verschwinden und so eine Körperauflösung bewirken. wird niemand verneinen. (Forlsetzung folgt.) N. F. XIII. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 55 Einzelberichte. Chemie. Depside, Flechtenstofie und Gerb- stoffe. Auf der 85. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Wien hielt der Groß- meister der synthetischen Chemie, Emil Fischer, einen Vortrag über seine neuen Forschungen über Depside, Flechtenstoffe und Gerbstoffe. Diese Produkte sind esterartige Derivate der Phenol- Carbonsäuren, zu denen die im Pflanzenreich weit verbreitete und schon 1786 von C.W. Scheele entdeckte Gallussäure, sowie die als Heilmittel berühmte Salizylsäure gehören (Ber. d. Deutschen Chem. Gesellsch. 46. Jahrg. Nr. 14, S. 3253 ff. 1913). Diese Phenol-Carbonsäuren besitzen u. a. die Fähigkeit, mit ihresgleichen Anhydride zu bilden in der Weise, daß das Carboxyl des ersten Mole- küls in die Phenolgruppe des zweiten esterartig eingreift. Solche esterartige Anhydride nennt Fischer „Depside", aus dem Griechischen öiijitLV (gerben). Je nach der Zahl der Carbonsäuren, die zusammengekuppelt sind, unterscheidet man Didepside, Tri- und Tetradepside. Die einzige natürliche F'undstätte für Depside sind bis jetzt die Flechten, jene eigentümlichen Pflanzengebilde, die nach der Entdeckung von Simon Seh wenden er durch Symbiose von Algen und Pilzen entstehen. Der eigenartigen morphologischen Beschaffenheit entspricht auch ihr Gehalt an Depsiden. Unter diesen sind am bekanntesten die Lecanorsäure und Evernsäure. Unter dem Namen „Gerbstoffe" wird eine größere Anzahl pflanzlicher Stoffe zusammengefaßt, welche die gemeinsame Eigenschaft besitzen, sich mit tierischer Haut zu verbinden. Verwendet man chemische Gesichtspunkte zu ihrer Klassifi- zierung, dann zerfallen sie in ganz verschiedene Gruppen. Emil Fischer untersuchte speziell den Gerbstoff der Galläpfel, das sog. Tannin und einige Substanzen vom selben Typus. Diese Gruppe von Gerbstoffen läßt sich kurz als acyl- artige Verbindungen der Zucker mit Phenol- Carbonsäuren bezeichnen. Nachdem alle Versuche, die Gerbstoffe zu einheitlichen kristallisierten Körpern abzubauen, gescheitert waren, betrat P-mil Fischer den synthetischen Weg, indem er überzeugt war, daß das Tannin als eine ester- artige Kombination von i Molekül Glukose mit 5 Molekülen Digallussäure nach Art der Penta- acetylglukose zu betrachten ist. Wie immer hatte Emil Fischer auch diesmal Recht. Sein eigenartiges Gefühl für das Molekül bewährte sich wieder glänzend. Dort, wo der Abbau versagt, springt Fischer mit der Synthese stets richtig ein. Andere Gerbstoffe der Tanninklasse scheinen wirkliche Glukoside zu sein, besonders solche, die bei der Hydrolyse aromatische Phenolketone liefern. Andere dagegen, welche Phenol-Carbon- säuren als Bestandteil enthalten, scheinen nicht Glukoside, sondern, ähnlich dem Tannin, ester- artige Derivate von Zuckern zu sein. Dahin ge- hören vor allem zwei kristallisierte Gerbstoffe, die Chebulinsäure der Myrobalanen und das im Bö hm 'sehen Laboratorium von Grüttner kristallisierte Hamameli-Tannin. Letzteres gibt bei der Hydrolyse mit Schwefelsäure ebenfalls einen Zucker, der aber von der Glukose ganz verschieden ist, und ein bisher unbekannter Körper zu sein scheint. Die Erkenntnis, daß esterartige Verbindungen der Zucker- und Phenol-Carbonsäuren eine große Klasse von tannin-ähnlichen Gerbstoffen bilden, i^t für die Pflanzenphysiologie von großer Wichtig- keit. Besonders interessant ist es, daß der Zucker von der Pflanze zur Veresterung von Säuren be- nutzt wird. Der Organismus duldet freie Säuren im allgemeinen nur an bestimmten Stellen, wie im Magen der Tiere oder in den unreifen Früchten oder in Rinde und Schale, wo sie wahrscheinlich als Abwehrstoffe wirken. Gewöhnlich ist er be- strebt, die Säuregruppe durch Salzbildung, Amid- bildung oder Esterbildung zu neutralisieren. Dazu kommt nun jetzt die Veresterung durch Zucker. Für praktische Zwecke sind die Entdeckungen Emil Fischers, soweit es sich um Verwen- dung in der Gerberei handelt, nicht zu verwerten, da die synthetischen Gerbstoffe viel zu teuer kommen. Anders steht aber die Sache, wenn man bedenkt, daß die Gerbstoffe in kleiner Menge einen Bestandteil wichtiger Genußmittel, des Weins, des Tees, Kaffees und zahlreicher süßer Früchte sind, auf deren Geschmack sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluß haben. Bei diesen Untersuchungen erhielt Emil Fischer das Hepta - (tribenzoyl- galloyl) - p-jod- phenylmaltosazon , Cj.ioHj^aOggN^J.j in kristalli- sierter Form, welches ein Molekulargewicht von 4021 hat. Der Körper steht mit dieser Zahl sicherlich an der Spitze aller organischen Sub- stanzen von bekannter Struktur und ist zudem durch totale Synthese zugänglich. Die moderne Physik ist bemüht, die Materie in immer kleinere Stücke zu zersplittern. Über die Atome ist man längst hinaus, und wie lange die Elektronen für uns die kleinsten Massenteilchen sein werden, läßt sich nicht absehen. Demgegen- über scheint die organische Synthese berufen zu sein, das Gegenteil zu leisten, d. h. immer größere Massen in dem Molekül anzuhäufen. R. Ditmar. Geographie. Die präglaziale Alpenoberfläche wird in verschiedenen glazial-morphologischen Ar- beiten zu rekonstruieren versucht. H. H e ß (P. M. 191 3, H. 6) hat im Herbst 19 11 und im Sommer 191 2 Beobachtungen im Rhone- und Ogliogebiet aus- geführt, um über die Trogformen der vergletschert gewesenen Alpentäler Gewißheit zu erlangen. Die .Aufgabe war, die aus der Siegfried-Karte ab- geleiteten ,, alten Talböden im Rhönegebiet" (Z. f. Gletscherkunde II, 321) in der Natur zu suchen. In drei Wochen wurde das Rhonetal vom Genfer See aufwärts bis zum Rhönegletscher und außer 56 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 4 dem Haupttal auch das Val de Bagnes, das Eringertal, das Visptal, das Lötschental und das Fiescher Tal besucht. Es handelte sich haupt- sächlich darum, festzustellen, ob die Gefällsknicke und Talbodenreste, die als für den Güiiztrogrand bezeichnend konstruiert waren, wirklich vorhanden seien und ob sich so zwischen den „präglazialen" Talböden Brück n er 's und der oberen Gietscher- grenze noch ein glazialer Talboden einschiebt. Dieser Günztrogrand konnte tatsächlich in allen besuchten Talstrecken verfolgt werden. Besonders in der Nähe des Rhoneknies waren Günz-, Mindel- und Rißtrogrand deutlich zu er- kennen. Die Schliffgrenze, der oberste Eisrand, liegt hier etwa bei 2050 — 2100 m, der Günz- trog in etwa 1800 m, der Mindeltrog in etwa 1600 m, sein Talboden in 1480 m Höhe. Von Sitten bis zum Eingang ins Visptal, das vom Matterhornstock herabkommt, folgt der Günz- trogrand etwas unterhalb der Baumgrenze. Am Fiescher Tal sind die korrespondierenden Stücke jener Trograndmarken weit hinein in den Fels- Wänden zu verfolgen. Über dem Rißtrogrand liegt der Rißtrog, scharf nach oben durch eine sprungweise Änderung im Gefälle abgegrenzt, den Mindeltrogrand, und noch höher an der Silhouette des vom Setzenhorn südlich ziehenden Grates scharf markiert, verläuft der Günztrogrand. Die Terrassierung des Fiescher Tales ist auf der rechten Seite hier gut bemerkbar. Im Haupttal hat also die Besichtigung genau das ergeben, was aus dem Studium der Karten entwickelt worden ist. In den Seitentälern, die meist eng und steil- wandig eingetieft sind, ist es nicht immer möglich, von der Talsohle aus gute Überblicke über die Terrassenbildung an den Hängen zu erhalten. Am Val de Bagnes konnte indessen die Gliederung in 4 Trogformen unterhalb der Schliffgrenze deut- lich wahrgenommen werden, besonders in Ver- bindung mit dem Trogschluß. Im E ring er Tal bei Sitten ist neben dem Günzrand besonders der Rißrand durch eine kleine Terrasse bezeichnet, auf der Ortschaften 300 m über dem Talboden liegen. Der Mindeltrogrand, der etwas über die Baumgrenze emporsteigt, ist nur in wenigen Spuren erhalten. Am Ausgang des Tales bietet eine Moränenlandschaft besonderes Interesse. Auf der rechten Talseite steigen stark zersägte Schutthänge 300 m über den Talboden an; das von der Sonne braun gesengte Gras auf den Moränen ließ diese deutlich von der Nachbarschaft unter- scheiden, die feuchter und frischer war. Auch gegenüber auf den Terrassen oberhalb Sitten liegen Moränenreste, die in der Längsrichtung des Rhöne- tales ziehen. Diese Seitenmoräne entspricht einem Eisstand, der bis über den Genfer See hinaus markiert war, und könnte der VVürmeiszeit ent- sprechen. Gerade in der Umgebung des Gorner- gletschers und des Nikolaitales sind zahlreiche Spuren der vier ineinander liegenden Tröge vorhanden; hier liegt die Schliffgrenze ungefähr in 3000 m Höhe. Die Silhouette des Riffelhorns zeigt deutlich zwei Gefällsknicke, einen wenig über der Eisoberfläche, einen anderen in der Mitte des Berges: Mindel- und Rißrand. Zwischen ihnen liegt der Rißtrog, während sich oberhalb des Mindelrandes eine andere Trogform ansetzt. So führte der Besuch der Seitentäler zu dem- selben Ergebnis wie der des Haupttales; es ergeben sich demnach für Haupt- und Nebentäler vier ineinander liegende Trog formen. In weichem Gestein kann einer oder der andere Rand eine Strecke lang ausfallen, während in hartem Gestein die Erosionsmarken erhalten blieben. Nur mit dieser Annahme läßt sich die Herausgestaltung des bekannten Querschnittes des Reußtales be- greifen, des fast idealen Durchflußprofiles für die eiszeitlichen Alpengletscher, das Wurm-, Riß- und Mindeltrog recht schön, den Günztrog nur schwach vorführt. In 2000 m Höhe liegt hier nach E. Brückner die Schliffgrenze. Zu ganz gleichen Ergebnissen führten die Untersuchungen am Iseosee, im Oglio- Tal und an der Brentagruppe in Südtirol. Aus den Profilen ergibt sich nun mit aller Be- stimmtheit, daß mit demselben Rechte, mit dem die Ausbildung des unteren Taltroges als Produkt glazialer Erosion angesehen wird, auch die höheren Tröge als glaziale Bildung angesehen werden müssen. So kommt Heß zu dem Schluß, daß die präglaziale Alpenoberfläche in der Höhe der oberen Eisstromgrenze lag. Roman Lucerna untersucht die Flächen- gliederung der Montblancgruppe (G. Z. 191 3, H. 6/7), um auf ihrer Grundlage eine genetische und chronologische Klassifikation aller Hoch- gebirgsformen einzuleiten. Er kommt dabei zu bemerkenswerten, mit Heß zum Teil überein- stimmenden Ergebnissen. Erst Richter hat durch Einführung der genetischen Betrachtungsweise ^j die Leitlinien der Forschung bestimmt; die Klassi- fikation der Hochgipfel, die Auflösung zusammen- gesetzter Formen in ihre Elemente, die Feststellung der Umwandlungsreihe, die Chronologie der Formen gehören zu den wichtigsten Fragen. Die Stellung der Kare blieb ihm unbekannt, ihr verschiedenes Alter, und daß die Karbildung in Schwankungen der Schneegrenze folge. Auch Pe nck und Brück- ner's fundamentales Werk gibt hier keine Ent- scheidung; es gibt dagegen zahlreiche morpholo- gische Erklärungen und auf ihrer Grundlage eine Chronologie des Eiszeitalters und der Postglazial- zeit. Jeder Gletscherzeit entspricht ein System erosiver Hohlformen. Die IVIethode der Bestim- mung gleich alter Flächenelemente gibt uns eine Analyse der Flächen des Hochgebirges in Elemente gleicher Bildung und eine Synthese der erosiven Hohlformen zu einem Ganzen, dem Gletscherbas- sin. — Man hat der Gletscherzunge erosive Kraft zugeschrieben und die Tröge als ihr Werk aner- ') Geomorphologische Probleme aus den Hochalpen. P. M. Erg.-H. 132, 1900. N. F. XIII. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 57 kannt. Penck und Brückner erkennen im Troge nur das Bett der mittleren Partie des Eis- stromes, dessen obere Grenze sie hoch über ihm ansetzen. Richter setzt den Eisrand in die Nähe des Trograndes, da dieser beim Überschreiten zugerundet erscheinen müßte. Machen wir das Gletscherbecken zum Zentrum der morpho- logischen Formen, so müssen alle seine Erschei- nungen von seiner Gestalt und Ausdehnung ab- hängen. Jeder Gletscher gräbt seine Form in den Fels. Schwindet er, so bleibt die Hohlform zurück und ist rekonstruierbar. Die heutigen Gletscher sind aber bemüht, die Kanten der früheren Becken abzuschleifen. So bedarf es einer sorgfältigen Kar- tierung der gleichzeitig gebildeten Elemente, um das Ganze des Gletschers zu erkennen. Der Geologe wird außerdem noch verlangen, daß die erosive Form mit der entsprechenden akkumulativen eindeutig verknüpft wird, die Schotterfelder müssen mit dem Talgehänge parallelisiert werden. Man hat in der Erörterung der Gletschererosion be- sonders der Gletscherzunge Aufmerksamkeit zu- gewendet und die Vorgänge im Firngebiet vielfach vernachlässigt. F i n s t e r w a 1 d e r hat auf die Firnerosion hingewiesen. Ist der Trog das der Gletscherzunge entsprechende Korrelat, so tritt uns im Firnbassin das Korrelat des F'irnbeckens (als Inhalt) entgegen, das ihm entsprechen muß. Ist die Trogkante die Grenze zwischen bewegtem Eis und festem Fels, so die Karkante die Grenze zwischen Firn und Felswand. Die Trog- und Karkante also umzieht in einheitlicher Weise die Hohlform des Gletschers. Die Forschung zur Be- antwortung dieser Fragen muß in den Gebirgs- zentren geschehen. Jede Gletscherzunge hinterläßt ihr eigenes Erosionsgebilde. Man wird kaum ein eisfreies Kar finden, in dem diese Beziehung gänzlich fehlen würde. Lucerna erörtert dies am Bei- spiel des Gruschenstockes oberhalb Andermatt. Nach drei Seiten erstreckt sich im Vorterrain seines kleinen Gletschers eine höhere geschliffene Felsbodenfläche, umwallt von einem Moränenzuge, außerhalb eine weitere Randbuckelsohle von einer scharf ausspringenden, stellenweise mit Ufermoräne bedeckten Kante umgeben. Die Erosionsform des Gletschers. Man hat erkannt, daß der tiefere Teil des Gletscher- tales mit seinem U-förmigen Querschnitt, ganz gleich ob derselbe selbständig eingeschnitten wurde oder aus einem fluviatilen Tale hervorgegangen ist, ein Werk des Gletschers ist. Ebenso werden die Kare als Ergebnis der Gletscherwirkung be- trachtet, der obere Steilwandgürtel als morpho- logisches Element wurde erst spät erkannt. Die Karwand, mit der Richter die Felswände be- zeichnete, die die flache Sohle des Kares umgeben, ist das Korrelat der Trogwand in der Talregion. Die erste Unterscheidung innerhalb der Karwand wurde 1907 in den Liptauer Alpen gemacht, wo ein unterer glatter Steilabsatz von einem höheren weniger steilen Felsgehänge, das in Rippen auf- gelöst ist, unterschieden wurde. Es ist wahr- scheinlich, daß beide Steilwandgürtel in Verbin- dung treten. Der Augenschein lehrte, daß die Trogkanten im Trogschluß sich vereinigen. Wo der Trogrand aus dem Eise hervortritt, muß die Verbindung zwischen Trogwand und Karwand zu finden sein. Sucht man Punkte im Hochge- birge auf, wo die Erhaltungsbedingungen gut sind, wie z. B. im Granit, so findet man, daß die er- wähnte Trogkante sich nahe dem Trogschluß teilt; der untere Zweig schwenkt in den Trog- schluß ein, der obere schwingt sich über den Ge- fällsbruch empor, den Rand des P^irnbeckens bil- dend der Karwand zu. Diese Teilung der Trog- kante konnte besonders gut in der Hohen Tatra beobachtet werden, aber auch am rechten Ufer des Glacier de la Brenva am Montblanc ist sie entwickelt. Trogschluß und Kar wand sind zwei gebogene Wandgürtel in verschiedener Höhe mit verschiedenem Halbmesser, die seitlich mit- einander verbunden sind. So konnte 19 10 am Argentieregletscher beobachtet werden, daß die rezente Gletscherzunge in einem eigenen kleinen Troge liegt, der in einen älteren eingeschliffen ist. Das Gletscherbecken besteht also aus einem Becken der Gletscherzunge (Trog) und einem Firnbecken (Kar); beide sind zu einem einheit- lichen morphologischen Ganzen verbunden. Dieses Gletscherbecken, das auch an den heutigen Glet- schern selbständig besteht, ist eine zweiteilige Wanne; die durch den Gefällsbruch des Trog- schlusses bezeichnete Grenze beider Wannen ist an der Oberfläche des Eises kenntlich. Die so notwendig gewordenen neuen morpho- logischen Begriffe sind die Glazialkante des aus Karwand, Bindestück und Trogwand bestehen- den Steilwandgürtels, und das Gletscher- becken. Der Felsrand markiert die Grenze des Gletscherraumes; die Größe und Form der Gletscher ist bestimmend für die erosive Hohl- form, Mächtigkeit von Firn und Eis für die Höhe des oberen und unteren Steilwandgürtels. Die Umrandung des Firnbeckens besteht aus der ,, Scheitelkette" und den beiden „Flankenketten". Im Troggebiet leitet der „Abschwung der Trog- kante" zu der mitunter aus F"els gebildeten ,, End- schwelle". Außerdem ist der Längsachse des Gletschers die Querachse des Firnbeckens gegen- über zu stellen; die Feststellung der Querachsen früherer Firnbecken ist wichtig. Ineinandergeschachtelte Erosions- formen verschieden großer Gletscher. Faßt man die Gletscherbecken einer Gletscher- zeit als morphologischen Horizont zusammen, so erhebt sich die Präge, ob es der einzige ist, oder ob mehrere vorhanden sind. Jeder Gletscher muß eine umlaufende Glazialkante erzeugen. Heß hat (s. o.) jüngere Tröge in einem älteren Taltrog eingeschachtelt gefunden. So ist zu vermuten, daß auch jüngere Firnbecken einem älteren ein- geschachtelt'sind. Diese regelmäßige Form der Ineinanderschaltung ist in der Montblancgruppe 58 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 4 ausgebildet. Wir finden hier die Bestandteile älterer höherer Gletscherbecken, die später durch fluviatile Kleinerosion in ihrem Zusammenhang zerstört sind, in den Gehängen über und vor den heutigen Gletschern, wir finden Endschwelie und Abschwung, Trogrand. Karrund, auch die ältere Glazialkante. Es fehlt nur das Mittelfeld, in dem sich das rezente Gletscherbecken aus- breitet. Die Grenze beider bilden die jüngere Glazialkante und die jüngere Ufermoräne. Die Flächen, die verschieden alte Glazialkanten um- schließen, zeichnen sich, wie das schon Heß be- merkt hat, durch verschiedenen Verwitterungsgrad aus. Die höheren Formen sind zudem zerschnitten durch Verwitterung, Abbruch, aber auch durch jüngereGletscher. Die Sohle älterer Gletscher wurde, als der Eisspiegel sank, zum Felsgehänge jüngerer tieferer Gletscher. Es fragt sich nun, welche F"ormen diese eisfreien Gehänge durch selbständige jüngere kleinere Eisfelder annahmen. Wenn der Gletscher als Komponente eines zu- sammengesetzten Gletschers auftritt, so verläuft der einmündende Quergletscher parallel dem Hauptgletscher. Ist er dagegen selbständig, so tritt er quer in den Haupttrog. Auch das vom Eise verlassene Felsgehänge kann durch ein neu entstehendes Kar wieder quer zerschnitten werden. Die Kare betrachtet Lucerna als rasch sich bildende und ebenso rasch vergehende Formen des Hochgebirges. Wenn nun die Kare sich in frühere Trogwandungen einsenken, so lösen sie die Längsgliederung des Trogtales auf und setzen eine Quergliederung ein. Die Erkenntnis dieser jüngeren Quergliederung ist für die Rekonstruk- tion des Hochgebirges sehr wesentlich ; die Kar- bildung im älteren Troggehänge ist der Ausgangs- punkt für die Quergliederung des Gebirges. Diese überaus bedeutsamen Auseinander- setzungen über die Erosionstätigkeit der Gletscher werden nun am Beispiel der IVIontblancgruppe erläutert. Wir können hier nicht auf diese speziellen Ausführungen eingehen; nur die allge- meinen Gesichtspunkte der Untersuchung waren herauszustellen. — In gewissem Gegensatz zu diesen Anschauungen von Heß und Lucerna stehen diejenigen H. Lautensach's ,,Uber den heutigen Stand unserer Kenntnis vom präglazialen Aussehen der Alpen" (Z. Ges. Erdkde. 1913, H. 8). Nach Penck und Brückner befanden sich die Alpen vor Beginn der Eiszeit in einem Stadium ausgesprochener Reife. Bis in die innersten Winkel der Ostalpen erstreckten sich iVIittelgebirgsformen mit gerundeten Wasserscheiden. Im nördlichen Alpenvorlande haben wir eine Landschaft von geringem Relief, eine sich zur Donau senkende Peneplain. Im Vorlande haben wir verarmte Schotter in der Höhe der Sohle des älteren Deckenschotters. Die Gipfel waren Rundlinge, die die besten Be- dingungen für die Bildung von Karen boten. In den Schweizer Alpen wiesen die Gipfel noch Hochgebirgsformen auf Dagegen erhebt Nuß- baum den Einwand, daß es eine Unstimmigkeit wäre, wenn die Täler der Schweizer Alpen reif, die Formen noch Hochgebirgsformen wären. Er kommt zu dem Ergebnis, dal3 die Westschweizer Alpentäler in ihren obersten Abschnitten noch ziemlich jugendliche Erosionsformen besaßen. Nach Penck boten IVIittelgebirgsformen mit runden Wasserscheiden die günstigsten Bedingungen zur Karentwicklung. Dagegen hat Distel ein- geworfen, daß hier leicht eine vollständige Über- firnung eintreten müßte, die die Karbildung aus- schließt. Lautensach bestreitet diesen Einwand, indem er darauf hinweist, daß es nur nötig wäre, eine neue Bedingung hinzuzufügen. Die erste Eiszeit darf nicht plötzlich jenes alte Mittel- gebirge überwallen, sondern sie muß allmählich mit einer Schneeflecken- und Kargletscherperiode beginnen. Auch an fluviatile F"ormen haben sich die Kare angeknüpft, an Wildbachtrichter der Talwände, oder an fluviatile Sammeltrichter. Solche Formen sind aber im Stadium der Reife nicht mehr zu erwarten, sie sind nur in früherem Reifestadiuni möglich. Lautensach weist darauf hin, daß die Eiszeit in Ost- und Westalpen gleich- zeitig sowie gleichschnell oder -langsam einge- treten sein muß. Doch ist es möglich, daß die Westalpen eine Hebung erfuhren, wie dies von Staff) darzutun versucht hat. Die beachtenswerteste Kritik an den Ergeb- nissen der „Alpen im Eiszeitalter" hat de Mar- tonne geübt. Er geht von der Theorie aus, daß die glaziale Erosion ober- und unterhalb von Gefallsbrüchen am größten sei, so könne sich in reifen Tälern keine nennenswerte Gletschererosion entfalten. Weiter zeigen ihm seine Talstudien eine große Zahl von ineinander liegenden Ter- rassenniveaus mit völlig unausgeglichenem Gefälle. Die älteren haben einen ausgeglicheneren Lauf, doch weisen auch sie zwei auffällige Knicke auf Die Bildung der tieferen Talböden führt er (in Übereinstimmung mit H. Heß) auf glaziale Erosion zurück, dagegen weist er der interglazialen fiuviatilen Erosion die ruckweise Tieferlegung der Talsohle zu. So kommt er zu dem Schluß, daß ein junges fluviatiles präglaziales Talsystem vorhanden ge- wesen sei. Lautensach weist darauf hin, daß seine Untersuchungen im Tessingebiet ^j drei alte ausgeglichene Talböden zeigen, nur im Gebiet eines mächtigen Riegels findet sich eine Stufe. Vielleicht erklären sich durch solche Riegel die Gefällsknicke de Martonne's. Zum Verständ- nis der Übertiefungsformen sei die Annahme eines unausgeglichenen präglazialen Talbodenverlaufes unnötig. Auch Distel-'j betrachtet die Trogschulter in den Tälern der Hohen Tauern als Rest des 19121. Naturw. Wochenschr. 1912, S. 822. Geographische Abhandlungen N. F. Band i (Leipzig ') Die Trogtäler in den Hohen Tauern (Landesk. Forsch. München, H. 13). N. F. XIII. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 59 präglazialen Talbodens. Er sucht durch Terrassen- studien nachzuweisen, daß zahlreiche Gefällsbrüche schon in ihm vorhanden sind. Um das Quer- profil des Troges zu erklären, legt er dem Trog eine durch rückschrcitende Wassererosion ge- schaffene präglaziale Talrinne zugrunde, die vom Gletscher ausgetieft und verbreitert wurde. So ergibt sich bei Distel für die Trogschlüsse eine doppelte Erklärung, einmal als glaziale Weiter- bildungen der präglazialen Verbiegungen der Trogschultern, ein andermal als Enden der flu- viatilen Rinnen. Lautensach, der die Unregel- mäßigkeiten im Gefälle der Trogschultern noch nicht für erwiesen hält, scheint der zweite Er- klärungsversuch plausibel zu sein. Aber er glaubt, diese fluviatilen Rinnen in eine erste Interglazial- zeit verlegen zu sollen und betrachtet als Ursache des Einschneidens die auf glazialem Wege einge- leitete Stufenbildung. Auch die Heß'schcn Dar- legungen (s. o.) erscheinen ihm nicht einwandfrei. So erscheint als wichtigstes Resultat, beim Überblick über die Versuche, den Terrassenniveaus der Alpentäler eine andere Deutung zu geben als die von Penck und Brückner, daß in vielen Talabschnitten mehr als die zwei von ihnen ver- folgten alten Talböden vorliegen. Das Bild vom präglazialen Aussehen der Alpen ist so nur wenig verschieden von dem, welches Penck vor nahezu lo Jahren entwarf; die Zentralmassive der Ost- alpen waren vielleicht noch nicht in dem Maße gereift als Penck betont. Überblicken wir diese noch so verschiedenen Bilder, die die Forschungen in den Alpentälern ergeben haben, so müssen wir bekennen: die An- sichten stehen sich noch schroff gegenüber! Den mehr theoretischen Ausführungen Lautensach's stehen die unzweifelhaften Beobachtungen von Heß und Lucerna entgegen. Nur eingehende Detailuntersuchungen, nicht großzügige Darstel- lungen der gesamten Alpen, werden uns in den Stand setzen können, ein genaues Bild vom prä- glazialen Aussehen der Alpen und von der Tätig- keit der Gletschererosion zu gewinnen, die auch nach anderen Untersuchungen weit bedeutender ist, als vielfach angenommen wird. Dr. Gottfried Hornig. Zoologie. Katalepsie der Phasmiden. Die Phasmiden oder Gespenstheuschrecken sind all- gemein bekannt durch ihre bizarre Gestalt und ihre auffallende Ähnlichkeit mit verdorrten Zweigen und trocknen Blättern. Weniger weiß man über ihre Lebensgewohnheiten. Peter Schmidt (Biologisches Centralblatt Bd. 33 191 3 Nr. 4) teilt einige höchst merkwürdige Eigentümlichkeiten über das Verhalten der indischen Stabheuschrecke Carausius (Dixippus) morosus Br. v. W. mit. Die Tiere sind sehr wenig beweglich und klammern sich gewöhnlich mit den vier Hinter- beinen an die Unterlage an und strecken Fühler und Vorderbeine geradeaus. Man darf 'diesen Ruhezustand weder als Schlaf- oder Schreckstellung erklären, sondern muß ihn als Katalepsie be- zeichnen ; denn man kann dabei die Tiere in die schwierigsten Lagen bringen, sie umwerfen und in den unnatürlichsten Stellungen wieder auf- richten, sie bleiben unbeweglich, bis sie auf irgend- einen Reiz hin erwachen und energische Flucht- bewegungen ausführen. Die hier beobachtete Katalepsie gleicht voll- kommen der des Menschen. Die Muskeln sind gespannt, es tritt keine Ermüdung ein, und der Körper zeigt nur geringe Empfindlichkeit. Letztere steigert sich bei den Phasmiden so stark, daß man Fühler, Vorderfüßc, ja selbst den Hinterleib abschneiden kann, ohne daß die Tiere sicii da- gegen wehren ; sie scheinen den Schmerz gar nicht zu fühlen. Erst nach Aufhebung des kata- leptischen Zustandes eilen sie fort. Legt man den Körper als Brücke über den Zwischenraum zweier Ünterstützungspunkte, wie man es auch bei der menschlichen Hypnose macht, so hält die Stabheuschrecke lange aus und trägt sogar kleine Lasten. Aus seinen Experimenten zieht der Verf. den Schluß, daß die Katalepsie eine besondere Art der Nervenerregung darstellt, die vom Kopfganglion ausgeht. Da sie auf innere Ursachen zurückzu- führen ist, nennt man sie besser Autokatalepsie. In biologischer Beziehung gewährt sie insofern großen Vorteil, als durch die Beteiligung von Muskel- und Nervensystem ein erhöhter Grad von Mimikry erzielt wird. Das Geschlechtsleben von Dytiscus margina- lis L. Dem 191 2 erschienenen ersten Teil über die Begattung des Gelbrandes läßt hier Hans Blunck (Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. 104, 191 3) den zweiten Teil folgen, in dem interessante Einzelheiten über die Eiablage mit- geteilt werden. Die Zeit der Eiablage fällt in die Monate März, April und Mai. Nach Mitte Juli sind alle Eier abgelegt und die Ovarien be- fijiden sich im Ruhezustand. Während bei den männlichen Tieren Maxima und Minima in der Periodizität der Gonaden bei jungen und alten Tieren nicht zusammenfallen, stellt der Verf fest, daß halbjährige und anderthalbjährige Individuen zu gleicher Zeit ihre Eier ablegen. Über die Zahl der Eier existieren keine genauen Angaben. Sie dürfte zwischen 500 und 1500 schwanken. 1000 Eier wiegen etwa soviel wie der Käfer selbst und besitzen ein viermal größeres Volumen. Reiht man sie aneinander, so ergeben sie eine sieben Meter lange Schnur. Die Zweifel über den Ort der Eiablage beseitigt Blunck durch seine Be- obachtungen, daß der Gelbrand die Eier in das Innere von grünen Trieben einer Reihe von Wasserpflanzen versenkt. Der Käfer bevorzugt Teile mit schwacher Cuticula und chlorophyll- haltigem Gewebe. Der Chlorophyllgehalt ist für die Entwicklung des Embryos von großer Be- deutung, denn der von der Pflanze gelieferte Sauer- stoff ist für das wachsende Tier unentbehrlich. Stellwaag. 6o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 4 Kleinere Mitteilungen. Das Dynamit im Dienste der Landwirtschaft. — Sträucher und In den Vereinigten Staaten wird schon lange das Dynamit für bodenkulturelle Zwecke benutzt. Im Jahre 191 1 wurden 13 IVIillionen 125 Tausend Pfund und 1912 17 Millionen 389 Tausend Pfund Dynamit verbraucht, also im Jahre 191 2 iiber 4 Millionen Pfund mehr als im vorhergehenden Jahre. Diese Zahlen beweisen, wie schnell die Amerikaner eine Sache aufnehmen, die ihnen greifbare Vorteile bietet. Hand in Hand mit diesem großen Verbrauch von Dynamit in der Landwirtschaft hat sich in den letzten Jahren drüben auch ein neuer und einträglicher Beruf herausgebildet, nämlich der des „Blaster" oder auf deutsch Sprengmeister. Diese führen entweder für Rechnung der P'armer usw. die Sprengarbeiten aus, indem sie sich einen täglichen Lohn für ihre Arbeit zahlen lassen, oder sie treten als Unter- nehmer für eigne Rechnung auf. Diese Spreng- meister entfernen Baumstubben und große Steine mit Hilfe des Dynamits und machen wasserun- durchläßliche Bodenschichten frei. Dann stellen sie lange Gräben her und legen für neue Obst- plantagen Baumpflanzgruben und zwar nach Tau- senden. In Deutschland beschäftigt sich die Dresdner Dynamitfabrik mit dem Sprengkulturverfahien. Sic gibt eine eigene Dynamitpräparation „Rom- perit C" für diese Zwecke heraus. Bisher wurden die Baumgruben mit dem Spaten ausgegraben. Ein Mann braucht zum Graben einer Baumgrube etwa I Stunde. Ein so gegrabenes Baumloch bleibt aber bis unten hin und nach den Seiten hart und behindert die Wurzeln um sich zu greifen. Durch „Romperit C" wird der Boden sowohl tief nach unten hin wie meterweise rundherum bestens aufgelockert, und die Wurzeln bis zu den feinen End- und Faserwurzeln können sich leicht nach allen Richtungen hin im Erdreich ausbreiten. Harte Schichten, welche später das Wachstum der Wurzeln kaum noch möglich machen und Spitzen- dürre erzeugen, werden zertrümmert. Ferner wird hierdurch ein Feuchtigkeitsreservoir für den heißen Sommerbedarf geschaffen. In dieser Feuchtigkeit wird nun die Pflanzen- nahrung, die wichtigen Nährsalze einschließend, aufgelöst, und die Wurzeln können beides, I*"euchtig- keit und Nährstoft'e, reichlich aufnehmen, nachdem es ihnen möglich gemacht wurde, tief in den ge- lockerten Grund einzudringen. Während des Wachstums eines Baumes geht beständig ein Wasserstrom durch denselben und verdunstet durch die Blätter. So brauchen auch Himbeeren, Johannis- beeren, Stachelbeeren, Melonen, Gurken, Tomaten, Spargel , Erdbeeren usw. bedeutende Mengen Feuchtigkeit als Früchte, welche zum großen Teile aus Wasser zusammengesetzt sind. Besonders aber ist es der Obstbaum, welcher eine beständige Feuchtigkeitszufuhr verlangt. Die oben erwähnten Feuchtigkeitsreservoire sind somit für Bäume, Pflanzen von größter Wichtig- keit. Als besonders geeignete Zeit, Baumgruben mit Romperit C herzustellen und das Tiefrigolen vor- zunehmen, gilt der Herbst, weil dann die Feuchtig- keit der Herbstregen, des VVinterschnees und der Frühjahrsregen in den gelockerten, gelüfteten und filtrierfähig gemachten Boden eindringen kann. Die Herstellung der Baumgruben durch Rom- perit C ist höchst einfach und leicht zu erlernen. Nachdem der betrefifende Teil der Obstplantage dort durch Pfähle markiert ist, wo die Bäume ge- pflanzt werden sollen, nimmt ein Mann rund um den Pfahl herum kreisförmig etwa fünf Spaten- stiche der Obererde fort. Diese Obererde wird beiseite getan, um später in das fertige Pflanzloch gelegt zu werden, ehe der Baum mit sorgfältig beschnittenen Wurzeln eingesetzt wird. Ein zweiter Mann folgt dem ersten mit einer Brechstange und macht mit derselben entsprechend der Patronen- stärke dort ein Loch, wo der Markierungspfahl steht. Trifft man dabei auf einen Stein oder der- gleichen, so wird derselbe herausgegraben. Stößt man auf eine harte Kruste, so wird dieselbe mit der Brechstange durchstoßen. Die mit Spreng- kapsel und Zündschnur versehene Romperit C- Patrone wird in dieses Loch eingelassen, letzteres mit Erde dicht gefüllt, die Zündschnur angesteckt und die Explosion erfolgt. Durch Benutzung einer kleinen Zündmaschine kann eine Anzahl Baum- gruben elektrisch auf einmal gesprengt werden. Nur wenig Erde wird dabei in die Höhe geworfen, die Kraft der Explosion geht nach unten, seitwärts und nach außen. Die Löcher können über Nacht und einen Teil des nächsten Tages so stehen bleiben, werden dann nochmals mit der Brech- stange sondiert, und, wenn in Ordnung befunden, werden die Seiten eingebrochen, die anfangs bei- seite gelegte Obererde wird eingefüllt, und das fertige Pflanzloch sichert dem so gepflanzten Baum einen in jeder Beziehung guten Anfang. Die Kosten des Sprengkulturverfahrens be- tragen : a) P""ür Baumgruben gibt folgende Tabelle einen ungefähren Anhalt: Mit Gramm bei Bohrloch- D">-'^';">«ser Aushubtiefe Rompent C •■•"^" = ''" '^'""^- ''" ß^*""" 125 150 2?0 5° 75 75 grübe in cm ca. 120 1 10 grübe in cm ca. 75 95 120 z. B. kosten der Sprengstoff und die Zündrequi- siten für eine Baumgrube: Durchmesser ca. 120 cm — Tiefe ca. 75 cm ca. 30 Pfennige. b) Für Tieflockerung oder Tiefrigolen ist zu rechnen pro Hektar etwa Mk. 240. — bis 360. — (auf Jahre vorhaltend) je nach den gegebenen Verhältnissen. Ein neuer Zweig des Romperit Sprengkultur- N. F. XIII. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 6i Verfahrens besteht in der Bekämpfung tierischer Kulturschädlinge und Tiefdüngung gleichzeitig mit Tieflockerung. Durch die Gewalt der Explosion werden in weitem Umkreise um die gesprengte Baumgrube herum im Erdreich alle Larven und Puppen von Obstschädlingen, besonders die Enger- linge, von denen man oft Hunderte antrifft, ebenso Wühlmäuse usw. getötet, womit wiederum eine große Gefahr für Obstkulturen schnell und sicher beseitigt wird. Berechnet man doch laut Freiherrn von Schilling den jährlichen Schaden in Frank- reich, verursacht durch Maikäfer, auf 250 Millionen, in Flugjahren auf eine Milliarde Franken. Das Prinzip der künstlichen Düngung besteht darin, daß durch die zur Explosion gebrachte Sprengstoffladung in dem hierdurch aufgelockerten Boden gleichzeitig Flüssigkeiten als solche oder auch vergasbare Flüssigkeiten zur Verteilung ge- bracht werden. Die Art der Flüssigkeit richtet sich nach dem jeweiligen Verwendungszweck. Man kann beispielsweise derart verfahren, daß man in einem aus geeigneten, undurchlässigen Material hergestellten Behälter von beliebigen Formen und Abmessungen durch eine zu verschraubende oder in passender Weise zu verschließende Öffnung die zur Verteilung zu bringende Flüssigkeit einfüllt. Der Behälter besitzt ferner eine Aussparung von beliebiger Größe, in die der Sprengstoff lose oder in Patronenform eingefüllt wird. Darauf wird der Sprengstoff mit den zur Zündung nötigen Vor- kehrungen versehen. Das Ganze wird alsdann in das Bohrloch bis zu einer beliebigen Tiefe eingelassen und der Sprengstoff nach der Verdammung zur Explosion gebracht. Durch die Explosion des Sprengstoffes wird der Flüssigkeitsbehälter zur Entladung ge- bracht und die Flüssigkeit in den gesprengten bzw. gelockerten Erdboden geschleudert bzw. ver- teilt. Bei vergasenden Flüssigkeiten kann auch ein damit versehener Behälter in das Bohrloch direkt eingelassen und darauf der Sprengstoff eingefüllt werden. Als vernichtende Flüssigkeit verwendet man zur Bekämpfung der Reblaus Schwefelkohlen- stoff. Will man hingegen künstlich düngen, dann verwendet man als Flüssigkeit Jauche, die unter gleichzeitiger Lockerung des Bodens in weitem Umkreise den tieferen Bodenschichten zugeführt wird. R. Ditmar. Zur Geschichte der Zündhölzer. — - Jn alten Zeiten, als man noch nicht im Besitze der uns so unentbehrlichen Zündhölzer war, mußte natür- lich das Streben der damaligen Völker darauf hinausgehen, das einmal vorhandene Feuer zu erhalten — sei es durch Reiben trockenen Holzes oder durch einen Blitzstrahl entstanden oder gar den Göttern von ihrer Feuerstelle gestohlen. — So erscheint es uns ganz selbstverständlich, daß die älteren Völker den Hausherd als heilige Stätte verehrten, bewahrten sie doch hier ihr notwendigstes Hilfsmittel, das Feuer, vor dem Verglimmen. Erst im späten Mittelalter kam man auf den Gedanken, durch Aufeinanderschiagen von Stahl und Feuerstein dem letzteren F'unken zu entlocken, die man dann zum Entzünden von Zunder oder trocknem Schwamm benutzen konnte. Dieses sog. „Pinkfeuerzeug" hat sich bis in unsere Tage erhalten, und mancher Alte, der dem „feuerge- fährlichen modernen Zeug" und der neuen Zünd- holzsteuer mit Mißtrauen gegenüber steht, hat sich heute noch nicht von ihm getrennt. Die ersten eigentlichen Zündhölzer wurden 1812 von Chane el in Wien auf den Markt ge- bracht; es waren die sog. Tunkhölzchen. Schon Ende des 18. Jahrhunderts hatte Berthollet die Entdeckung gemacht, daß ein Tropfen Schwefel- säure auf ein Gemisch von chlorsaurem Kali mit brennbaren Substanzen, wie Schwefel oder Zucker, gebracht, dieses entzündet. Versieht man also in Schwefel getunkte Hölzchen mit Köpfen aus einem Gemisch von i Teil Schwefel (oder Zucker) und 3 Teilen chlorsaurem Kali, so entzünden sich diese beim Ein„tunken" in ein Fläschchen mit kon- zentrierter Schwefelsäure. Dieses Verfahren war jedoch insofern nachteilig, als leicht Schwefelsäure verspritzt werden konnte, was den Kleidern usw. nicht gerade zum Vorteil gereichte. Etwas besser wurden die Tunkhölzchen dadurch, daß man mit Schwefelsäure getränkten Asbest in einem ver- schließbaren Büchschen anwendete. Da die Her- stellungsweise des chlorsauren Kalis sich bedeu- tend verbilligte, und man außerdem eine schnelle und billige Darstellungsart der Hölzchen fand, so sank der Preis der Tunkhölzchen bedeutend, und zwar für lOOO Hölzchen von 10 Gulden auf 4 — 5 Kreuzer, was ungefähr dem heutigen Preis der Zündhölzer entspricht. Eine tragbare F'orm der Tunkhölzchen waren die von Jones um 1830 in London unter dem Namen „Prometheans" in den Handel gebrachten Feuerzeuge. 2'/.2 Zoll lange Papierröllchen enthielten am dicken Ende eine Mischung aus chlorsaurem Kali, Schwefel, Benzoe usw., in deren Mitte ein dünnes, zugeschmolzenes Glasröhrchen mit einem Tropfen konzentrierter Schwefelsäure sich befand. Durch Zertrümmern des Röhrchens wurde das „Streichholz" entflammt. Aber auch diese Verbesserung konnte die Tunkhölzer zum Hantieren im Haushalte nicht ge- eignet machen. Da brachte 1832 wieder Jones die Vorläufer unserer Schweden auf den Markt, Hölzchen mit einem Kopf aus einem Gemisch von 3 Teilen chlorsaurem Kali und i Teil Schwefel- antimon, die sich schon entzündeten, wenn man sie durch ein Stück zusammengefaltetes hartes Papier zog, das später noch mit pulverisiertem Glas überzogen wurde. Etwa zur selben Zeit gelangten in Deutsch- land die Phosphorzündhölzer zur Herrschaft. Die ersten dieser Art, die hergestellt wurden, waren ziemlich umständlich. Die Hölzchen selbst hatten nur einen Kopf von Schwefel, während sich die Zündmasse (ein Gemisch von Phosphor, Wachs und Korkmehl) in einem verschließbaren Büchschen 62 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 4 befand. Noch umständlicher waren z. B. die Tu- riner Lichtchen.') In eine an einer Glasröhre an- geschlossene Kugel war ein Stück Phosphor ein- geführt worden, dann wurde ein dünner Wachs- stock in das Röhrchen geschoben, dessen Docht- ende mit Nelkenöl getränkt, mit Schwefel- oder Kampferpulver bestreut war und nun den Phos- phor berührte. Durch gelindes Erwärmen schmolz man den Phosphor an das Dochtende an, ver- schloß das Glasrohr durch Zuschmelzen und brachte einen Teilstrich unterhalb der Kugel an. Brach man an dieser Stelle das Rohr ab und zog man den Wachsstock heraus, so entzündete dieser sich von selbst an der Luft. Einer der ersten, die Streichzündhölzer im großen darstellten, war Stephan v. Romer, der der Kuppenmasse der Reibzündhölzer Phos- phor zusetzte und sie dadurch leicht entzündbar machte. Um eine Selbstentzündung zu vermeiden, überzog er die Kuppe mit einem Spirituskolo- phoniumlack. Während die ersten Phosphor- zündhölzer noch sehr feuergefährlich waren und sich schon durch Sonnenbestrahlung entzündeten, wurden bereits 1835 Zündhölzer hergestellt, die, ohne sich zu entzünden, die Siedetemperatur des Wassers aushielten. Statt des chlorsauren Kalis wendete man jetzt auch Salpeter, Mennige, Braun- stein, Blcisuperoxyd und ähnliche Stoffe an. Da jedoch das Arbeiten mit Phosphor gesund- heitsschädlich ist, wurde bald die Fabrikation der Phosphorzündhölzer in vielen Staaten verboten, und so war auch beinahe dieser schöne Traum vorüber. Da entdeckte jedoch 1845 Schrötter den ungiftigen roten Phosphor, der dann wesent- lich zur Entwicklung der Zündholzindustrie bei- getragen hat. Hochstätter in Langen bei Frankfurt a. M. erzielte zuerst mit rotem Phosphor gute Ergebnisse. Ein anderer deutscher Chemiker Böttger fand dann Form und Zusammensetzung der heutigen ,, Schweden". Seine Zündhölzer be- saßen Kappen aus chlorsaurem Kali und Schwefel- antimon (vgl. Jones 1832!), die auf einer Reib- fläche aus Braunstein und rotem Phosphor ent- zündet wurden. Ein Prophet gilt jedoch bekannt- lich nichts in seinem Vaterlande, man schenkte der Erfindung wenig Beachtung, und seine in Schüttenhofen in Böhmen gegründete Fabrik ging ein. Da fand Böttger in Schweden ein neues Arbeitsfeld; in Jönköping wurde eine Zündholz- fabrik errichtet, die dann den ganzen Welt- handel in die Hände bekam, 800 Arbeiter beschäftigte und täglich i Million Schachteln der weltbekannten ,, Schweden" erzeugte, natürlich heute unter Benutzung fein durchdachter Maschinen. Hand in Hand mit der Entwicklung der Zünd- holzindustrie kamen nach und nach verschiedene Apparate auf zum Ersatz der Schwedenhölzer; ich erinnere an die Döbereiner'sche Zündmaschine (Platinschwamm), die in jedem Physikbuch be- schrieben ist, an das elektropneumatische Feuer- zeug, an die Molet'sche Pumpe, die das Prinzip des Dieselmotors darstellt, u. a. m. Auch der Stahl der Urväterzeiten hat in dem Ceresinfeuer- zeug ein neues Gewand bekommen, in dem er noch lange als vermeintlicher Bekämpfer der Zündholzsteuer dahinleben wird, bis auch er end- lich von dem Siegeslauf der Technik überholt und unmöglich gemacht wird. Otto Bürger-Kirn. Wetter-Monatsübersicht. Innerhalb des vergangenen Dezember wechselte die Witterung in Deutschland mehrmals ihren Charakter, jedoch herrschte 'mildes, trübes und außerordentlich nasses Wetter, besonders im Norden, bei weitem vor. Zu Beginn und gegen Mitte des Monats wurden noch an vielen Orten 10° C erreicht, an einzelnen sogar überschritten; zu Dresden stieg das Thermometer am 3. bis i Icin^srafur-il^inima ciiiiacp 0rle im De^ctittsrlSlä. t-Peiemhcr 6 4t. IbT El. :i' Frfli-i(rurr'/M°' 8. -2' -Z' -5' *•>.-, --Berlin. -yJ»'*"«st — -^ -^^ hsS ^ •■ .■^■.,B,-eslau. — iJ....- 1 — ; 1 ; r^i i^^Munc'neiir*' Xi-i^r — I f s_^^:;^i: I I I I I I I I I I I I I I I I I I "!'° I I I I I I I BerlinerWefferburetM. ') Zeitschrift für angewandte Chemie 1913, .S. 73. auf 14, zu Stuttgart am 4. bis 12 " C, und selbst die in der beistehenden Zeichnung wiedergegebenen tiefsten Temperaturen lagen in diesen Tagen im größeren Teile des Landes über 5 " C. Dazwischen herrschte öfter Frost, der jedoch im Norden immer sehr gelinde blieb und nur ganz kurze Zeit an- hielt. Etwas strengere und beständigere Kälte bildete sich in der zweiten Hälfte des Monats in Mittel- und Süddeutschland aus, wo es am 21. Erfurt, Meiningen, Bayreuth, Ansbach und München auf —9, am 23. München auf —10 und Birken- feld an der Nahe auf — 11" C brachten. Nach nochmaliger Erwärmung um die Weihnachtszeit setzte erst ganz zum Schlüsse des Jahres überall in Deutschland neues Frostwetter ein. Die mittleren Temperaturen des Monats lagen in den meisten Gegenden 3 bis 4 Grad über ihren normalen Werten. Wie schon im ver- gangenen November, wehten fast beständig sehr N. F. XIII. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 63 lebhafte, nicht selten stürmische, feuchte südwest- liche Winde, so daß der Himmel wiederum an der Mehrzahl der Tage nahezu ununterbrochen mit Nebelgewülk bedeckt blieb. Beispielsweise konnten daher in Berlin nicht mehr als 7 Stunden mit Sonnenschein verzeichnet werden, nur der fünfte Teil der Sonnenscheinstunden, die der Monat Dezember im Durchschnitt bei uns auf- weist. Die ungewöhnlich häufigen und namentlich in Norddeutschland oft sehr ergiebigen Niederschläge fielen, der Höhe der Temperaturen entsprechend, größtenteils in flüssigem Zustande, jedoch wechselten besonders zwischen dem 2. und 5., am 14. und am 27. Dezember, die Regengüsse vielfach mit Schnee , Graupel- oder Hagelschauern ab, die an der Küste von heftigen Stürmen begleitet waren. Auch kamen am 14. in Berlin und der ganzen Provinz Brandenburg sowie in Mecklen- burg, am 27. in verschiedenen Gegenden Nord- westdeutschlands, desgleichen in Breslau kurze, aber ziemlich schwere Gewitter vor. '^kßzvß'c^a.^^i^zn im Be JsmScr 1913. iJ-i. CD C R .5^ 5 öJ ** ■-» ^ c~ a> &1 ^z ^ C Deutschland. MonatssummeimDei, i.IZ.JUO.09 BeAner Wtfferbureiu. Während der ersten Hälfte des Dezember fanden allein zwischen dem 5. und 8. länger an- haltende, weitverbreitete Schneefälle statt, die in Nordost- und Mitteldeutschland eine leichte Schnee- decke zurückließen. Nach den einzigen vier Tagen des Monats, in denen das Binnenland größtenteils von Niederschlägen verschont blieb, traten kurz vor dem Weihnachtsfeste wiederum zahlreiche, mäßig starke Schneefälle ein, die bald durch neue Regenfälle abgelöst wurden. In den vier letzten Tagen des Jahres aber gingen im größten Teile des Landes ungeheure Schneemengen hernieder, die vom 28. bis 29. z. B. in Aachen eine Nieder- schlagshöhe von 64 mm ergaben und außer- ordentlich große Verkehrsstörungen herbeiführten. Bald darauf traten an der Ostseeküste schwere Nordoststürme und an vielen Stellen Hoch- wasser ein und richteten an Gebäuden, den Wintersaaten, Kartoffeln wie auch sonst gewaltigen Schaden an. Bei Jahresschluß lag der Schnee in Berlin und vielen anderen Orten des mittleren Norddeutschlands über 30 cm hoch. Im ganzen Monat ergab sich für den Durchschnitt aller be- richtenden Stationen eine Niederschlagssumme von 79,7 mm, die seit Jahrzehnten in keinem Dezember- monate mehr gemessen worden ist. Ziemlich einfach waren im allgemeinen die Luftdruckverhältnisse in Europa gestaltet. Während Südwesteuropa gewöhnlich von einem Hochdruck- gebiet eingenommen wurde, zogen im größten Teile des Monats tiefe und oft sehr umfangreiche barometrische Minima rasch hintereinander vom atlantischen Ozean über die skandinavische Halb- insel nach Nordrußland hin. Mehrmals jedoch, besonders um Mitte des Monats, als das Maximum sich etwas weiter nach Nordwesten verschoben hatte, drangen Teildepressionen in das west- europäische Festland ein, wo sie weitverbreitete Stürme und Unwetter veranlaßten. Seit dem 18. Dezember nahm das barometrische Maximum auf den britischen Inseln an Höhe be- deutend zu und breitete sein Gebiet bald darauf weit nach Osten aus. Nach wenigen Tagen wurde es aber durch neue Depressionen, die gleichzeitig von Nordwesten und Südwesten her gegen Mittel- europa vorrückten, in zwei Hälften geteilt und am 27. Dezember beinahe ganz Nordwest- und Mitteleuropa von einem außerordentlich tiefen Minimum eingenommen, das sich unter heftigen Schneestürmen sehr langsam ins Innere Rußlands entfernte. Dr. E. Lcß. Bücherbesprechungen. Agnes Arber (Mrs E. A. Newell Arber) D. Sc, V. L. S. Fellow of Newnham College Cambridge and of [Univcrsity College London, Herbais Their Origin and Evolution. A Chapter in the History of Botany. 1470— 1670. Cambridge: at the University Press 19 12. — Price 10 Seh. Das Buch gibt eine historische, mit Abbild. (Kopien) versehene Darstellung der alten Pflanzen- bücher, die in der Zeit von 1470— 1670 erschienen sind, geht aber um den Anschluß nicht zu ver- lieren kurz auf die Vorgeschichte seit Aristoteles über. R- P- Literatur. Bauer, Dr. H., Analytische Cliemie des Methylalkohols. Mit 7 Textabb. Sonderausgabe a. d. Sammlung ehem. u. chem.- techn. Vorträge. Herausgeg. v. Prof. Dr. W. Herz. Bd. XX. Stuttgart '13, F. Enke. — 3 Mk. Dreyer, Dr. J. , Die Moore Pommerns, ihre geographische Bedingtheit und wirtschaftsgeographische Bedeutung. Mit 3 Anlagen, 2 Karten u. 9 Tafeln. Greifswald '13, Kom- missionsverlag Bruncken & Co. Scheu, Dr. E., Der Schwarzwald. Mit 8 lafcln u. II .Abb. 64 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 4 im Text. (Deutsche Landschaftstypen. Heft I.) Leipzig, Th. Thomas. — 1,20 Mk. Smiles, S., Chemische Konstitution und physikalische Eigen- schaften. Aus dem Englischen übersetzt von Dr. P. Krassa. Bearbeitet und herausgegeben von Prof. Dr. R. O. Herzog. Dresden u. Leipzig '14, Th. Steinkopf. — Geb. 21,50 Mk. Stratz, Dr. C. H., Die Darstellung des menschlichen Körpers in der Kunst. Mit 252 Textfiguren. Berlin '14, 1 Springer. — Geb. 12 Mk. Thurston, E., The Madras Presidency, with Mysorc, Coory and the associated States. (Provincial geographies of India, General Editor Sir T. H. Holland.) Cambridge '13. Wegner, Prof. Dr. Th. , Geologie Westfalens und der an- grenzenden Gebiete. Mit 197 Abb. u. i Tafel. (West- falenland. Eine Landes- und Volkskunde Westfalens, her- ausgegeb. von Th. Wegner-Münster. I.) Paderborn '13, F. Schöning. — Geb. 8 Mk. Wolff, H., Umbelliferae-Saniculoideae. Mit 198 Einzelbildern in 42 Fig. u. I Doppeltafel. 61. Heft (IV, 228) von „Das Pflanzenreich" herausgeg. v. A. Engler. Leipzig u. Berlin '13, W. Engelmann. — 15,80 Mk. Vom Wissen zum Glauben, Grundlagen einer einheitlichen Welt- und Lebensanschauung. Von einem Gottsucher. Leipzig '14, Leineweber. — Geb. 3 Mk. Der Mensch aller Zeiten. Natur und Kultur der Völker der Erde von H. Obermaier, F. Birkner, W. Schmidt und F. Heslermann. Lieferung 24 und 25. Berlin-München-Wien, Allgemeine Verlagsgesellschaft m. b. H. The Norwcgian Aurora Polaris-Expedition 1902 — 1903. Vol. 1. On the cause of magnetic storms and the origin of ter- restrial magnetism by Kr. Birkeland. 2. Section. Christiania (H. Areschong), Leipzig (J. A. Barth), London, New York (Longmans, Green & Co.), Paris (C. Klincksieck). Anregungen und Antworten. Herrn Walter K., Leipzig. — Handelt es sich nur darum, eine Temperatur auf konstanter Höhe zu erhalten , ohne die- selbe beliebig zu variieren, so können sie sich selbst einen Thermostaten leicht herstellen, das bekannte Siedegefüß. Der Apparat besteht aus zwei ineinandergesetzten am besten zylin- drischen Gefäßen, die je nach der verwendeten Temperatur und Flüssigkeit aus Weißblech, Kupfer, Glas oder Porzellan hergestellt werden. Der Zwischenraum zwischen beiden Ge- fäßen, der nach oben abgeschlossen ist und nur durch ein seillich oben angebrachtes Kühlrohr mit der Atmosphäre in Verbindung steht, enthält die Siedeflüssigkeit, die im Sieden erhalten wird und deren im Überschuß gebildeten Dämpfe durch den Kühler entweichen können oder sich dort konden- sieren und in flüssigem Zustande wieder in den Kessel zurück- gelangen. In den inneren Raum, der die zu erwärmenden Gegenstände aufnimmt, wird Wasser, Glyzerin, Paraffinöl oder sonst eine geeignete Flüssigkeit gebracht, deren Siedepunkt oberhalb dem der äußeren Siedeflüssigkeit liegt. Lassen wir die innere Flüssigkeit fort, so daß wir im inneren Gefäß ein Luftbad haben, so ist die untere Seite des Deckels mit einer Filzlage zu bedecken, durch den Deckel evtl. hindurchgeführte Thermometer usw. sorgfältig mit Watte an der Durchführungs- stelle zu umhüllen, wie überhaupt auf peinlichste Dichtung zu sorgen ist, um störende Wärmeverluste zu vermeiden. Der ganze Apparat wird zweckmäßig schließlich von außen mit Asbest umkleidet. Die Temperaturen hängen von den Siede- punkten der benutzten Siedeflüssigkeiten ab. Der .Apparat läßt sich häutig vereinfachen, indem man das innere Gefäß fortläßt und die zu erwärmenden Gegenstände unmittelbar der Wirkung des Dampfes der Siedeflüssigkeit aussetzt, wobei wir schließlich die hineingebrachten Apparate noch mit einem besonderen Dampfmantel der Siedeflüssigkeit umgeben können. Um die Temperatur beliebig regulieren zu können, braucht man sich nur eines einzigen Gefäßes zu bedienen, welches die Apparate aufnimmt und mit einer Badflüssigkeit gefüllt ist, deren Temperatur auf beliebiger Höhe konstant gehalten werden kann durch Regulierung deslleizgasverbrauchs, welche auf dem Prinzip beruht, daß durch eine Temperaturänderung ein Vorgang ausgelöst wird , durch welchen ein erhöhter Wärmezu- bzw. -abfluß bewirkt wird. Am einfachsten wirkt folgender Appa- rat, der sich leicht zusammensetzen läßt. In die Badflüssig- keit hinein reicht eine sich unten erweiternde, mit Queck- silber gefüllte Röhre, in welche oben hinein ein sich nach unten etwas verengendes Rohr gesteckt wird , welches durch einen Schlauch mit der Leuchtgasleitung verbunden ist. An der das Quecksilber enthaltenden Röhre ist oben seitlich ein Ansatzrohr angebracht, und zwar oberhalb der Oflnung des Gaszuleitungsrohres, welches durch einen Schlauch mit dem zum Heizen benutzten Bunsenbrenner verbunden ist. Steht das Quecksilberniveau unterhalb der Öffnung der Zuleitungs- röhre, so kann das Leuchtgas den .\pparat ungehindert pas- sieren; erleidet aber durch eine Temperatuterhöhung der Bad- fiüssigkeit das Quecksilber eine solche Ausdehnung, daß es die Öft'nung des Zuleitungsrohres erreicht, so ist die Gaszufuhr unterbrochen, wobei eine kleine Öffnung im Zuleitungsrohr dafür sorgt, daß eine geringe Menge Gas trotzdem den Appa- rat passiert, um die Flamme nicht gänzlich verlöschen zu lassen. Die Zufuhr bleibt so lange gehindert, bis die alte Temperatur wieder hergestellt ist. Das Zuleitungsrohr muß so eingestellt sein, daß sich bei der konstant zu erhaltenden Temperatur seine Öffnung sich etwas über dem Quecksilber- niveau befindet, so daß gerade noch Gaszuführung stattfinden kann. Zur Vermeidung von Temperaturschwankungen ist das ganze Badgefäß mit Filz oder Asbest zu umkleiden. Die besten Resultate geben wohl Apparate, die auf einem ganz anderen Prinzip beruhen, die elektrischen Öfen, die Sie sich ebenfalls leicht herstellen können und sog. Widerslands- öfen darstellen. Der Ofen besteht aus einem von außen mit .'\sbest bekleideten Melallkasten. Im Innern findet sich die Heizspirale, dünner Konstanlandraht , der auf ein Tonrohr, z. B. eines galvanischen Elementes, gewickelt ist; für höhere Temperaturen empfiehlt sich Nickeldraht. Der Draht soll fest angedrückt sem, auch ist er gegen Zusammengleiten durch naß aufgepreßtes Chamotlepulver zu schützen. Um eine be- stimmte konstante Temperatur herzustellen, ist ein im Strom- kreis befindlicher Regulierwiderstand so einzustellen, bis die Temperatur konstant bleibt, wo also der Wärmeverlust nach außen gerade durch die aufgewendete elektrische Energie ge- deckt wird, was man durch Probieren, d. h. Verschieben des Widerstandes erreicht. Um Schwankungen des aus der Zen- trale kommenden Stromes möglichst aufzuheben, kann man in Haupt- oder Nebenschluß Eisenwiderstände von Nernstlampen einschalten. Kurze Angaben über Thermostaten finden Sie in F. Kohl- rausch, Lehrbuch der praktischen Physik, sehr ausführliche .■\ngaben in Ostwald-Luther , Physiko-Chemische Messungen, wo sich auch Literalurhinweise für elektrische Öfen finden. H. Sbn. Man schreibt uns : Auf S. 688 links Ihrer geschätzten Wochenschrift ist der Wunsch ausgesprochen, daß die hygieni- sche Bedeutung des Permutitverfahrens untersucht werden möge. Ich erlaube mir, mitzuteilen, daß bei mir eine Doktorarbeit von Herrn J. Ginsburg im vorigen Jahre gemacht wurde, die sich mit dieser Frage befaßt. Leider besitze ich kein Exem- plar mehr, das ich abgeben kann. Prof. Dr. Kißkalt, Königl. hygien. Institut der Albertus-Universität, Königsberg i. Pr. Inhalt: Alois Czepa: Schutzfärbung und Mimikry — Einzelberichte: Emil Fischer: Depside, Flechtenstoffe und Gerbstoffe. H. Heß: Die präglaziale Alpenoberfläche. Roman Lucerna: Die Flächengliederung der Montblanc- gruppe. H. Lautensach: Über den heutigen Stand unserer Kenntnis vom präglazialen Aussehen der Alpen. Peter Schmidt: Katalepsie der Phasmiden. Hans Blunck: Das Geschlechtsleben von Dytiscus marginalis L. — Kleinere Mitteilungen: R. Ditmar: Das Dynamit im Dienste der Landwirtschaft. O. Bürger: Zur Geschichte der Zündhölzer. Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: .■\gnes Arber: Herbais. Their Origin and Evolution. — Lite- ratur: Liste. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13 Hand ; der ganzen Reihe 29, Hand. Sonntag, den i. Februar 1914. Nummer 5. Schutzfärbung und Mimikry, [Nachdruck verboten.] Von Dr. Alois Fehlen der Schutzfärbung. Wenn wir uns unter den Tieren umsehen, so finden wir, daß bei weitem nicht alle eine Schutz- färbung besitzen und daß es gerade nicht immer die Formen sind, die eine derartige sympathische Färbung nicht notwendig haben. Und umgekehrt finden wir wieder Tiere, die infolge ihrer Stärke oder ihrer Lebensweise eines Schutzes durch Farbenanpassung vollständig entbehren könnten, die man auch nie als Beispiel hierfür angegeben hat, die aber doch so gefärbt sind, daß sie sich von ihrer Umgebung nur wenig unterscheiden und die man gewiß als schutzgefärbt bezeichnet hätte, wenn sie eben eines Schutzes bedürften. — Beginnen wir gleich mit den Hochzeitskleidern, jenen auffallenden Veränderungen in Form und Farbe zur Zeit der Paarung, die so viele Tiere, von den Insekten angefangen bis herauf zu den Vögeln, zeigen und die bei vielen Formen auf die Männchen beschränkt sind, bei einigen aber auch an den Weibchen, wenn auch in beschränkterem iVIaße beobachtet werden können. Ich setze der- artige Erscheinungen mit Recht als bekannt vor- aus und möchte nur erwähnen, daß bei den Fischen, Amphibien und Reptilien das Hochzeits- kleid nach der Paarung wieder verschwindet, bei den Vögeln meistens und da vor allem bei den Hühnervögeln das Männchen diesen Zustand fort- während bewahrt und sich so deutlich von dem unscheinbaren Weibchen unterscheidet. — Es fällt also bei diesen Tieren die Schutz- färbung von vornherein vveg, obwohl es doch eher merkwürdig ist, daß gerade zur Zeit der Fort[jflanzung, also zu der für die Erhaltung der Art wichtigsten Periode des Lebens jeder Schutz, den eine eventuelle sympathische Färbung ge- währte, von dem Tiere abgezogen und es allen Feinden preisgegeben wird. Die Selektionstheoretiker erklären das Zu- standekommen und die Notwendigkeit der bunten Farben und auffallenden Veränderungen des Körpers auf folgende Weise: „Die Männchen kämpfen gewissermaßen um den Besitz der Weibchen, indem jede kleine Variation eines Männchens, welche dasselbe befähigt, sich leichter als ein anderes in den Besitz eines Weibchens zu setzen, eben dadurch auch eine größere Aussicht hat, auf Nachkommen übertragen zu werden. Auf diese Weise müssen anziehende Variationen, die einmal auftauchen, sich auf immer zahlreichere Männchen der Art übertragen, und da unter diesen auch wieder diejenigen die meiste Aussicht haben, Czepa, Wien. (Fortsetzung.) ein Weibchen für sich zu gewinnen, die die an- ziehende Eigenschaft in höhcrem Grade besitzen, so muß also so lange eine Steigerung der Eigen- schaften anhalten, als sich noch Variationen nach dieser Richtung hin darbieten.'' ^) Dies ist aber nur dann möglich, wenn wirk- lich nur die besten Männchen ein Weibchen finden, das heißt also, wenn viel mehr Männchen vorhanden sind als Weibchen. Und tatsächlich überwiegen bei derartigen Formen die Männchen kolossal; bei manchen F^altern kommen 100 Männchen auf i Weibchen. Auch bei den Vögeln und Säugern finden wir ein derartiges, wenn auch nicht so hohes Verhältnis. Hiermit sind zwei sehr auffallende Erschei- nungen mit einem Schlage erklärt, für einen, dem eine derartige Erklärung genügt. Ich für meinen Teil kann einer derartigen Ansicht nicht nur nicht zustimmen, ich muß gegen sie entschieden Stellung nehmen, weil sie von ganz falschen Voraussetzungen ausgehend sehr wichtige Tatsachen nicht berück- sichtigt. So ist vor allem , wenn auch nicht direkt zu beobachten, so doch als de facto bestehend die Wahl der Weibchen angenommen, daß also das Weibchen nur dem Männchen folgt, das ihm am besten gefällt oder wie man sich ausdrückt, das es am stärksten erregt. Wir wissen, daß in der Natur nicht das Prinzip des Gefallens und Nicht- gefallens, sondern das Prinzip des Starken und Schwachen herrscht, daß die Mäimchen um den Besitz der Weibchen die erbittertsten Kämpfe auf- führen, daß ihnen hierzu eigene und oft recht böse Waffen zur Verfügung stehen — ich erinnere hier nur an den großen Sporn der Hähne und deren Rauflust, die bekanntlich zu den Hahnen- kämpfen ausgenutzt wurde — und daß das Weibchen dann nicht dem folgt, der die schöneren Farben, die größeren Hautkämme usw. hat, son- dern daß es sich einfach dem ergeben muß, der im Zweikampf Sieger blieb. Immer ist es der Stärkere, der sich das Weibchen erobert und nie der Schönere. Jeder Hühnerhof kann uns dies bestätigen. Ich verweise hier nur auf die Hirsche. Nicht das Männchen mit dem schönsten und vielzackigsten Geweih ist der Herr des Rudels, sondern das stärkste, das alle anderen Bewerber aus dem Felde schlägt. In den meisten Fällen sind allerdings die Sieger mit den stattlichsten Geweihen aus- ') Weismann, Vorträge über Deszendenztheorie. Jena 1904. II. Aufl. p. 173. 66 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 5 gerüstet, weil eben normal ein sehr kräftiges Tier ein sehr starkes Geweih besitzt, aber oft genug kann man starke Hirsche als Herren des Rudels sehen, deren Geweih nichts weniger als groß und schön ist. 'j Die Weibchen sind in der Natur nie die hold- lächelnd Gewährenden, sondern stets die vor der Stärke zitternd Gezwungenen. Und wenn wir in manchen Fällen, speziell bei Haustieren oder ge- fangengehaltenen wilden Tieren die Beobachtung machen können, daß ein Weibchen nicht jedes Männchen annimmt, so ist das kein Gegenbeweis und sicher keine Gruiidstütze einer Lehre. Bei derartigen Weibchen mögen viele Umstände mit- wirken, vielleicht die Gefangenschaft selbst, die fehlende und doch nötige Erregung usw. Doch nehmen wir an, es fände wirklich ein Wählen der Weibchen statt, und es wäre dadurch der Wettstreit unter den Männchen, durch schönere Farben, auffallendere Hautanhänge, besseres Singen mehr erregend als andere auf die Weibchen ein- zuwirken, gegeben, so kommen wir auch damit nicht weiter. Es bleibt hierfür immer, wie die Selektionstheoretiker ganz richtig betonen, eine notwendige P'orderung, daß die Männchen im Verhältnis zu den Weibchen in der Überzahl vor- kommen müssen. ,,Wäre die Zahl von Männchen und Weibchen einer Art stets gleich und käme immer auf ein Weibchen nur ein Männchen, so könnte zwar wohl eine Wahl von Seite der Weibchen oder auch der Männchen geübt werden, allein es würden doch immer noch so viele In- dividuen beider Geschlechter übrig bleiben, daß kein Mann unbeweibt zu sein brauchte." ') Und in der Tat sind in der Mehrzahl der Fälle mehr Männchen als Weibchen vorhanden, daher unter diesen der Wettstreit. ,, Besonders unter den Vögeln steht der Dimorphismus der Geschlechter in auffallender Beziehung zu dem Überwiegen der Individuenzahl der Männchen oder auch — was praktisch auf dasselbe hinauskommt — , mit Poly- gamie. Denn wenn ein Männchen vier oder zehn Weibchen an sich fesselt, so kommt dies einer Dividierung der Weibchenzahl durch vier oder zehn gleich. So sind z. B. die in Polygamie ') Haake schreibt über unsere Gemse: ,,Die eigentliche Brunst beginnt stellenweise schon um den 20. OKtober. Mit ihrem Anfang bemächtigt sich der Böcke fieberhafte Unruhe. Dumpf blökend laufen sie %'on Rudel zu Kudel, um die keineswegs abgeneigten, vorläufig aber noch zimperlichen und koketten Geißen zu kirren. Der stärkste Bock vertreibt end- lich die übrigen und macht die Geißen durch Schlagen mit den Vorderfüßen gefügig. Zum Brunstplan wählen die Gemsen am liebsten eine ruhige Alpentrift in der Krummholzregion. Hier legt der Bock seine Galanterie größtenteils ab. Er miß- handelt die Geißen rücksichtslos, was diese sich auch ruhig gefallen lassen, solange er nur seine Schuldigkeit tut. Und hierin trift't ihn kein Vorwurf. Ein wilder brünstiger Gems- bock ist die verkörperte Geilheit und beständig nässend im Beschläge unersättlich. Dabei sucht er sich zuerst die jungen Geißen aus, während die älteren zusehen, sich auch wohl in eine Krummholzdeckung wegstehlen , wo geringere Böcke unwählerisch die Gelegenheit benutzen." Tierleben der Erde 1. Seite 587. ^) Weismann, Vorträge usw. p. 173. lebenden Hühner und Fasanen mit prachtvollen Farben im männlichen Geschlechte geschmückt, die in Monogamie lebenden P'eldhühtier und Wachteln aber zeigen in beiden Geschlechtern die gleiche Färbung." ^) Hier liegt nun der große Widerspruch. Bei den Auerhähnen kommen auf ein Männchen sechs bis zehn Weibchen, die Tiere leben in Polygamie und es ist nach dem oben Gesagten die sexuelle Selektion gegeben. Bei den in Monogamie lebenden Rebhühnern müßte nun der P'all eintreten, daß eine besondere Wahl der Weibchen fehlt und deshalb die sexuelle Selektion unterblieben ist. Wie läßt sich das bei der großen Überzahl der Männchen gerade dieser Vögel erklären? Jeder Jäger weiß, daß es be- deutend mehr Hähne als Hennen gibt und in einer der letzten Nummern einer Jagdzeitschrift berichtet ein Jäger, daß in einer fünfjährigen Be- obachtungsperiode unter den von ihm erlegten Rebhühnern 87 — 90% Hähne konstatiert werden konnten. Eine stattliche l^berzahl von unbeweibten Männchen, die zum großen Teil von der I-'ort- pflanzung ausgeschlossen sind, weil die Ehen auf Lebenszeit geschlossen werden. Wie läßt es sich da erklären, daß die Männchen wie die Weibchen gefärbt sind? Es finden auch hier Kämpfe statt, bis eine Elie geschlossen ist. Spielt hier die Wahl der Weibchen keine Rolle? Meiner Ansicht nach ist hier die Wahl der Weibchen von einer viel größeren Bedeutung als bei den Auerhühnern, die in Polygamie leben und bei denen es einem Hahn leichter möglich ist, sich einige Weibchen zu erringen, weil die Zahl der Weibchen der anderen nicht fixiert ist. Haake sagt in seinem Tierleben der Erde: „Ledige Männchen streifen oft noch später umher und werden durch ihre den Weibchen anderer Männchen bewiesene Auf- dringlichkeit oft so lästig, daß die Weibchen nicht zum Nisten kommen und gezwungen sind, ihre Eier fremden Rebhühnernestern anzuvertrauen." Wie wir sehen, ist es also mit der berühmten Wahl der Weibchen auch nicht so glänzend be- stellt. Das Männclien kämpft um das Weibchen und vertreibt den Nebenbuhler, ob der nun schöner ist oder nicht. -) Auch ist bei der Frage der auffallenden Mäim- chen gar nicht der Schutzfärbung gedacht. Ist es nicht eher ungeschickt eingerichtet, daß die Männchen so gar nicht geschützt sind und in be- deutend größerer Anzahl vorhanden sein müssen wegen einer Marotte der Weibchen, die für das ') Weismann, Vorträge usw. p. 175' -) Jeder Aquarienliebhaber weiß, wieviel er von dem Wählen der Weibchen zu halten hat und wie die Männchen die Weibchen behandeln. Sind mehrere Männchen da, so muß man sie sehr schnell trennen, will man keine Verluste erleiden, ja es ist sogar manchmal notwendig, die Gatten noch vor der Hochzeit zu trennen, weil der Gemahl die arme Ehe- hälfte derart mit Stößen und Bissen traktiert, daß ihr oft die Fetzen vom Leibe hängen. Und dabei strahlt er in den schönsten Farben und je wilder er wird, desto leuchtender werden diese; am schönsten sind sie im Moment des Samen- ergusses, also der höchsten Erregung. N. F. XIII. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 67 Fortbestehen der Art ganz gleichgültig ist? Ist es anzunehmen, daß der nach der Ansicht der- selben Herren so eminent wichtige Faktor der Farbenanpassung vollständig zurücktritt, ja in das Gegenteil umsclilägt für ein Nichts? Erzeugt die Natur einen solchen Aufwand, bloß damit die Weibchen wählen können, obgleich wir immer wieder sehen, daß ihr vor allem nur die Erhaltung der Art am Herzen liegt? Können wir glauben, daß bei den Molchen ein Hochzeitskleid auftritt, weil die Weibchen unter den Männchen eine Auswahl treffen? Müssen wir nicht gerade durch den Umstand, daß bei diesen niederen Tieren auch die Weibchen ein Hochzeitskleid besitzen, zu der Überzeugung gedrängt werden, daß für das Auf- treten der bunteren Farben andere Ursachen vor- handen sein müssen? Oder sollen wir annehmen, daß sich bei diesen Tieren auch die Weibchen gegenseitig zu überbieten trachten? Schon Alfred Wallace hat die Auszeich- nungen der Männchen als den Ausfluß größerer Lebensenergie und lebhafteren Stoffwechsels be- trachtet und auch wir werden lieber diese Erklä- rung annehmen, um so mehr, da wir schon wissen, daß die Farben stark durch den Stoffwechsel usw. beeinflußt werden können. Besonders niedere Tiere zeigen die Fähigkeit der Farbenveränderung im hohen Maße und lassen deutlich erkennen, daß dieser Vorgang durch die verschiedensten Ursachen, teils innere, teils äußere beeinflußt wer- den kann. Ich meine hiermit alle die Tiere, die ihre Farben binnen kurzem ändern können , wie Chamäleon, die Fische, der Laubfrosch, die Tinten- fische usw. Allerdings ist bei diesen Tieren die Färbung durch eigene Farbzellen, die sog. „Chro- matophoren" bedingt, durch deren wechselnde Kontraktionszustände das verschieden gefärbte Aussehen der Haut erzeugt wird. Diese Zellen stehen mit Nervenendigungen in Verbindung und werden durch auf die Nerven einwirkende Reize entsprechend beeinflußt. Wer jemals Gelegenheit gehabt hat, eine Sepia oder Eledone im Aquarium zu beobachten, dem wird das schöne Farbenspiel, das besonders durch Reizen des Tieres mit einem Stock oder Klopfen an der Wand usw. bedeutend verstärkt wird, sicher in guter Erinnerung sein. Hunger, Kälte, Hitze, große Trockenheit, große Feuchtigkeit, Zorn, Schreck usw. sind alles Fak- toren, die eine Änderung der Körperfarbe dieser Tiere hervorrufen , falls das Tier nicht krank ist und dann eo ipso eine charakteristische Farbe besitzt. Allerdings liegen die Verhältnisse bei den Vögeln und Säugetieren anders, weil hier das Pigment in Haut, Federn und Haaren abgelagert ist; es fällt hier auch das Phänomen eines P"arb- wechsels weg. Dafür finden wir aber auch, daß die Hochzeuskleider entweder zeitlebens von den Männchen getragen werden oder wenn nicht, dann sehr wenig vom normalen Kleide verschieden sind. Wenn beim männlichen Hänfling zur Paarungszeit die weißen Stellen der Brust- und Scheitelgegend rot werden, so dürfte dies auf die gleiche Ursache zurückzuführen sein, die die männ- lichen P'ische, wie Bitterling, Stichling usw. in den herrlichsten Farben erstrahlen läßt, die auf dem Kiemendeckel und dem Maule der Karpfen- arten die weißen Pusteln erzeugt, der zufolge den männlichen Molchen der große Rückenkamm wächst, nämlich auf dem durch große Erregung gesteigerten Stoft'wechsel. ') Was aber den stän- digen Dimorphismus der Geschlechter hervorruft, das wissen wir allerdings noch nicht. Vielleicht ist es auch hier der gleiche Grund, daß das Männchen infolge größerer Lebhaftigkeit, gestei- gerterem Stoffwechsel lebhafter gefärbt ist, da es ja in der Mehrzahl der I*"älle mehrere Weibchen befriedigen muß, oder vielleicht weil ihm die helleren Farben weniger schaden als dem Weib- chen, dem eine unauffälligere Farbe wegen der Brütezeit notwendig ist. Auf jeden Fall finde ich es vernünftiger, keine Erklärung zu geben und die Frage offen zu lassen, als sich durch unzureichende und auf falschen Voraussetzungen beruhende Mei- nungen den Weg zu versperren. — Wir haben uns nur noch die Frage vorzulegen, wie die große Überzahl der Männchen zu erklären ist, die ja nach allen Berichten tatsächlich besteht. Ich möchte zu di'm bereits Angegebenen nur noch einige Daten über Enten anführen. Eine Tages- strecke von 32 Enten enthielt 25 Erpel, eine Jahres- strecke von etwa 200 Stück 160 Erpel und die Herbststrecken vom Hafifstrande durchschnittlich 80 "/o- Wenn wir dagegen von einwandfreier Seite hören, daß die jungen Schofe durchschnittlich mehr weibliche als männliche Enten enthalten, so ist es doch völlig unverständlich, wo die weib- lichen Enten hinkommen, außer wir nehmen an, daß die Männchen mehr ziehen und deshalb dem Jäger mehr zur Beute fallen. Wir sehen ja etwas Ähnliches bei den Buchfinken unserer Heimat, von denen im Herbst in erster Linie die Weibchen nach Süden ziehen und nur die alten Männchen bei uns überwintern. — Und das tatsächliche Vorherrschen der Männ- chen werden wir mit gutem Gewissen durch die größeren Gefahren erklären können, denen sie infolge ihrer größeren Lebhaftigkeit, helleren Farben usw. ausgesetzt sind. — — Verlassen wir jetzt das Gebiet der Hochzeits- kleider und sehen wir uns einige der besonders angegebenen Fälle der. Schutzfärbung an. Seh m eil'-) sagt von unserem Reh, daß es sich im Sommer ^) Auch hierfür geben uns die exotischen Aquarienfische einen wichtigen Beleg. Jeder Züchter weiß, dafi man die Tiere treiben l^ann. Durch gute p'ütterung und vor allem kräftige Heizung werden die Fische zur Paarung veranlaßt, der sie sich bei Ausbleiben dieser Mittel überhaupt nicht unterziehen. Ist dies auch kein direkter Beweis unserer Be- hauptung, so kann man doch erkennen, wie sehr noch niedere Wirbeltiere durch die von außen einwirkenden Reize beein- flußt werden können. Selbst junge Exemplare schreiten so getrieben zur Fortpflanzung, die auf normalem Wege erst im nächsten Jahre laichreif geworden wären. -) Schmeil, Lehrbuch der Zoologie. 68 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 5 tagsüber in dem dichtbelaubten Unterholze des Waldes verbirgt, daher trotz seiner auffallend roten bis gelbroten Farbe keinen Schaden nimmt, im Winter aber ein unscheinbares, dunkelgraues Kleid anlegt, so daß sich das ruhig stehende oder liegende Tier vom Boden und Gezweig selbst auf kurze Entfernung hin nicht abhebt. — Und von der Gemse können wir wieder lesen, daß ihr schwarzes Winterkleid von großer Bedeutung ist, weil es durch Absorption der Sonnenstrahlen mehr wärmt. Müssen wir uns da nicht wieder fragen, warum die Gemse keine schützende Farbe hat? Oder ist das schwarze Kleid gerade so schützend wie das hellgraue? Oder hat vielleicht die Gemse weniger sehende Feinde? Ist es überhau]3t be- reclitigt, bei Reh und Gemse von Schutzfärbung zu reden? Jacobi') gibt an, daß „der bis in die Polnähe vorkommende Moschusochse überall dunkel und das Renntier eben nur ganz hoch oben weiß ist; da nämlich beide Arten durch ihr herdenweises Zusammenhalten bei ziemlicher Wehrhaftigkeit geringerer Verfolgung ausgesetzt sind, so ist ein geringeres Bedürfnis auf Schutzfarbe da." Warum wird dann das Renntier überhaupt weiß? Braucht es oben doch den Schutz oder ist das Weißwerden eine physiologische Erscheinung, weil eine weiße Körperoberfläche die Wärmeabgabe verlangsamt? Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Männ- chen unserer Zauneidechse schön grün, die Weib- chen aber grau gefärbt sind. Wie läßt sich der Farbenunterschied erklären ? Ist das Männchen angepißt oder das Weibchen oder aber beide? Doflein") gibt an, daß unter den auf Martinique vorkommenden und auf einem Platze lebenden Anolis grüne und braune Formen gemischt vor- handen waren und daß bei Herannahen einer Gefahr die grünen Tiere in das Gras, die braunen aber unter Baumrinden flüchteten. Eine derartige Teilung der grünen und braunen Formen ist bei unserer Eidechse nicht zu bemerken. Ein ähnliches Verhältnis besteht bei einigen einheimischen Heuschrecken (z. B. Decticus), die in grünen und in braunen P'ormen nebeneinander auf demselben Terrain vorkommen. Auch hier müssen wir uns mit Recht fragen, wer von beiden angepaßt ist. Vosseier'') stellte bei den Heu- schrecken der nordnfrikanischen Wüsten fest, daß die individuellen Abänderungen mancher Arten in strenger Abhängigkeit vom Lokalton des von ihnen bewohnten und eigensinnig festgehaltenen Fleckes standen. Er konnte konstatieren , daß Formen einer Eremobia-Art auf steinigeni Gebiet eine derbere Zeichnung und Färbung besitzen, auf reinem Sand dagegen auf das vollkommenste mit dessen Tönen und zarter Struktur überein- ') Jacobi, Mimikry und verwandte Erscheinungen. Braunschweig I913. ^) Doflein, Über Schutzanpassung durch Ähnlichkeit. Biolog. Centralblatt. XXVIII. 1908. ^) Beiträge zur Faunistik und Biologie der Orthopteren Algeriens und Tunesiens 11. Zool. Jahrb. Bd. 17. Stimmten; andere wieder, wie Helioscirtus capsi- tans, waren in der Färbung ganz dem individuell bewohnten Wü-»tenfleck, bald dem reinen Sand, bald dem rostbraunen, grauschiefrigen , ja selbst kupferigen Gestein angepaßt. Er versuchte auch eine Erklärung zu geben, indem er den Einfluß der reflektierten Farbenstrahlen auf die Farbstoffe der Haut kurz nach dem Abwerfen der vorletzten Körperbedeckung, also in dem kurzen Zeitraum vom Abstreifen der letzten Larvenhaut bis zum Erhärten der neuen Chitindecke hierfür verant- wortlich machen will. Seine Erklärung ist aber nur ein Versuch geblieben, da sie sich, wie er selbst sagt, vorläufig wegen unüberwindlicher Schwierigkeiten, die in Lebensweise und der Er- nährung der Wüstenheuschrecken bedingt sind, durch das Experiment nicht beweisen läßt. Jedenfalls zeigen unsere Heuschrecken eine so weitgehende Anpassung nicht und Przibram') konnte trotz vieler Experiinente nach verschiede- nen Richtungen hin nur nachweisen, daß die Larven von Mantis und Sphodromantis in brauner Farbe aus dem Ei kriechen und im Laufe der Zeit ihre Farbe in grün ändern können (was wahr- scheinlich bei anderen Heuschrecken ebenfalls zutreffen dürfte), konnte aber nicht ermitteln, welche Ursachen diese Umwandlung bewirken. — Es gibt also unter den als gut angepaßt gelten- den Tieren eine große Anzahl, die bei genauer Betrachtung als nicht oder wenigstens nur schlecht angepaßt gelten müssen, dafür kennen wir aber wieder Tiere, die an ihre Umgebung sehr gut angepaßt sind, deren P'ärbung aber nie bei der Schutzfärbung erwähnt werden, da sie eines der- artigen Schutzes nicht bedürfen. Ich will hier als Beispiel vor allem den Adler erwähnen. In seiner dunkelgrauen, bis steingrauen F"arbe ist er dem Felsengestein sehr gut angepaßt, und er wäre in seinem Horst gewiß sehr schwer zu erkennen, erkennte man nicht den Horst sehr gut, das heißt, wenn er überhaupt zu sehen mög- lich ist. Niemandem aber dürfte es einfallen, bei dem Adler von einer Schutzfärbung zu sprechen, da das Wesentliche, das Schutzbedürfnis hier fehlt und auch das Verborgenbleiben seiner Beute gegenüber bei ihm nicht in Frage kommt. Er ist eben graubraun gefärbt und seine Farbe ist eben ohne jedweden Nutzen oder Schaden für ihn; und was wir bei dem Adler finden, zeigen viele Raubvögel und zeigen eine Menge anderer Tiere. Speziell die graue und die braune Farbe ist sehr weit im Tierreich verbreitet und gerade sie wird so oft als sympathische Farbe bei allen erd- boden-, felsen- und rindenbewohnenden Formen ge- funden. Wahrscheinlich hat dies seinen Grund darin, daß das braune Pigment das gewöhnlichste Pigment ist und die braune Farbe die primitivste ') Przibram, Aufzucht, Karbwechstl und Regeneration unserer Gottesanbeterin (Mantis religiosa L.). Archiv f. Ent- wicklungsmechanik XXII. 1906. N. F. XIII. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 69 und verbreitctste Färbung und Zeichnung der Tiere bedingt. Durch sein starkes oder schwächeres X'orhandensein sind eine Unmenge von h'arben- intensitälen und Qualitäten hervorgerufen, wie schwarz, grau, braun, weiß, also die Färbungen der Mehrzahl der Tiere und die anderen Farben, die entweder allein oder in Verbindung mit der genannten auftreten können, sind späterer Erwerb und bei weitem nicht so verbreitet. Nutzen der Schutzfärbung. Die Frage, ob Schutzfärbung wirklich einen Nutzen gewährt, ist gewiß nicht unnötig und wie wir gleicli sehen werden, nicht so ohne weiteres zu bejahen. Von den Wüstenheuschrecken und ihrer aus- gezeichneten Anpassung haben wir schon ge- sprochen. Auch Werner') gibt an, daß im Sudan alle Heuschrecken der Savanne und des Papyrussumpfes Farbenanpassung im hohen Crrade zeigen, daß aber alle insektenfressenden Vögel und Eidechsen nahezu ausschließlich von eben diesen Heuschrecken leben. Er entnahm den Mägen sudanesischer Vögel Dutzende von verschiedenen, durchwegs trefflich angepaßten Heusclirecken. Was nützt den Tieren also ihre so gründliche Schutzfärbung, wenn sie \^on ihren Feinden doch gefressen werden ? Besteht da der Schutz der Art nicht eher in der ungeheueren Individuen- menge als in der Färbung? Derselbe Forscher gibt über die schutzgefärbten Antilopen an: „Ich selbst konnte manche Anti- lopenarten (Cobus, Ourebia, Gazeila), obwohl kein Jäger, kurzsichtig und allerdings erst dann, wenn ich darauf aufmerksam gemacht wurde, in der ostafrikanischen Steppe, bzw. Wüste deutlich unterscheiden und längere Zeit beobachten." Wenn also der Mensch diese Tiere auf größere Entfernungen sehen kann, so wird sie ihr normaler, sehender Feind noch um so eher entdecken. Es kann ja Schutzfärbung überhaupt nur gegen sehende F"einde in Betracht kommen ; denn gegen Tiere, die mit ihrem Geruchssinn die Beute jagen, ist natürlich jede noch so gute Farbenanpassung bedeutungslos. Aber auch gegen die sehenden Feinde ist sie kein absoluter Schutz, da diese sonst dem Hungertode überantwortet wären, was in der freien Natur wohl kaum vorkommen dürfte. Es hat eben jedes Tier seine bestimmten Feinde und seine bestimmten Beutetiere und dagegen kann die beste Schutzfärbung nichts helfen. Auch Weis mann gibt in seinen Vorträgen einen Fall an : „Hat doch erst kürzlich ein guter Beobachter genau verfolgt, wie ein Sperlings- pärchen einen Bretterzaun, an dem sich Ordens- bänder und andere mit vortrefflichen Schutz- färbungen versehene Nachtfalter bei Tage zu setzen pflegten, Tag für Tag genau abräumte und da dabei nicht leicht ein Stück übersah." ^) Es gibt ') Werner, Das Ende der Mimikryhvpothese, Biolog. Centralblatt, XXVII. 1907. ^) II. Aufl. p. 67. eben, wie er sagt, keinen absoluten Schutz, aber hier kann von einem absoluten Schutz schon nicht mehr gesprochen werden, das ist mehr. Hier ist eine ausgezeichnete Farbenanpassung durch die Erfahrung der I<"emde vollständig zunichte gemacht, ist also völlig wertlos. Eine große Zahl von schutzgefärbten Tieren nutzt seine Farbenanpassung gar nicht aus, son- dern ergreift beim Herannahen eines Feindes oder durch sonst etwas erschreckt sofort die Flucht. Ich erinnere nur an die Eidechsen, an die Laub- heuschrecken, die sich oft nur durch ihre Be- wegung verraten. Nur wenige Tiere und da vor allem die erdfarbenen Wirbeltiere machen von ihrer Anpassung oft ausgiebigen Gebrauch, ducken sich auf dem Boden und lassen den F'eind vorüber- ziehen. Gerade dieser Umstand dürfte eine Stütze der Annahme sein, daß die Schutzfarbe als unwesent- liches, anfangs völlig bedeutungsloses Nebenpro- dukt des Stoffwechsels entsteht, bei vielen Tieren ohne weitere Bedeutung für das Leben ist, von manchen aber als willkommener Schutz verwendet wird. Daß dieser Schutz nur sehr beschränkt sein kann, daß er nicht gegen alle Feinde in Ver- wendung tritt, ist selbstverständlich. Er wird vor allem gegen gelegentliche Feinde, nie aber gegen den eigentlichen Feind wirksam sein. Daß viele Tiere die Fähigkeit besitzen, ihre Farben zu ändern und der Umgebung anzupassen, haben wir bereits erwähnt. Ich möchte hier nur noch auf \ iele Fische hinweisen , die den Farb- wechsel ebenfalls im hohen Grade besitzen und von denen speziell die Grundfische ein großes Anpassungsvermögen an den Erdboden zeigen. Sie sind nicht nur imstande die Farbe der Um- gebung, sondern zum Teil auch die grobe Zeich- nung des Bodens, auf dem sie liegen, anzunehmen. Nach den Versuchen von Sumner zeigen diese F'ähigkeit nur sehende Fische, da geblendete die Farben nicht mehr wechseln. — Dasselbe erzählt übrigens Lode^) von den Forellen, die sich ebenfalls dem Untergrund in der Färbung an- passen, während blinde stets dunkel bleiben. Man erklärt dies durch Wirkung des Sympathikus auf die Pigmentzellen unter Mitwirkung des Optikus. -) Wie dem auch sei, die Tiere sind durch diese Anpassungsfähigkeit geschützt, wenigstens die Grundfische. So scheint uns, wenn wir in ein ') Lode, Sitzungsberichte d. k. k. ."Miademie d. Wissen- schaften in Wien. Math. Klasse Bd. XCIX, 1890 Abh. III. -) Hierfür spricht auch folgender Versuch Ward's. Er teilte ein Aqu.irium durch ein Stück Linoleum in zwei Teile, schnitt in die Zwischenwand ein Loch und setzte in dieses einen kleinen Hecht, daß er gerade in der Leibesmiite von- der Zwischenwand gehalten wurde. Die eine Hälfte des Aquariums war weiß, die andere schwarz austapeziert. Ragte nun der Vorderteil des Fisches in den dunklen Raum, so war der ganze Körper, also auch Körper und Schwanz in der hellen Hälfte, dunkel; wurde der Hecht umgekehrt eingesetzt, daß sein Kopf in der hellen Hälfte war, so blieb das ganze Tier hell. 70 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. F. XIII. Nr. 5 Aquarium mit derartigen Fischen bHcken; wir mi.issen eine Weile suchen , bis wir sie auf dem Boden zwischen Steinen und Sand entdeckt haben. Ob sie aber wirklich so glänzend angepaßt sind, haben ihre Feinde zu entsciieiden und die dürften da anderer Meinung sein, denn ihre Zalil ist groß, sogar sehr groß. Auch mit der Anpassung der Forellen und Hechte ist es nicht soweit her. In jedem seichteren oder klaren Wasser kann man die stehenden Fische ohne große Schwierigkeiten erkennen und daß dies die mit schärferen Augen begabten Feinde noch besser können, ist ohne Zweifel. Ich konnte in der Lobau bei Wien konstatieren, daß von den Kormoranen, die hier bekanntlich eine ziemliche Kolonie bilden, Hechle in großen Mengen gefangen und vertilgt werden. Unter den Bäumen, auf denen die Nester der Vögel gebaut sind, liegen eine große Menge von frischen oder in Fäulnis befindlichen Resten der Fische, oft ganze 50 cm lange Exemplare, die die Vögel vielleicht aus Ungeschick (besonders die jungen), vielleicht durch irgend etwas gestört, fallen lassen und aus denen man unschwer die Art erkennen kann. Was nützt also den Hechten ihre Farben- anpassung? Der Einwand, das Tier hätte ohne Schutz- färbung viel mehr F"einde, fällt vollständig in sich zusammen, da er die wichtige Tatsache nicht be- rücksichtigt, daß jedes Tier ganz bestimmte Feinde hat und daß die wenigsten fleischfressenden Tiere Allesfresser sind. Werner^) macht hierauf auf- merksam. Jede Tierart hat nur eine beschränkte Zahl von Feinden und die,' welche viele Feinde haben, erhalten sich vor allem durch Schnellig- keit und starke Vermehrung neben der Schutz- färbung. „Wir können mit absoluter Sicherheit sagen, daß- Coronella austriaca, unsere Schling- natter, auch dann nicht unter die Feinde des Grasfrosches gehen würde, wenn dieser ohne Schutzfärbung wäre; und andererseits sehen wir, daß sie ausnahmslos von Tieren lebt, welche Schutzfärbung besitzen. Was sollen wir erst von den reinen Säugetierfressern sagen, deren Beute wohl nahezu ausnahmslos (Stinktier) Schutzfärbung ^) Werner, Nochmals Mimikrv und Schutzfärbung, Bio- log. Centralbhut. Ed. XXVItl. 1908. trägt?" Unsere Ringelnatter frißt keine Eidechsen, Python regius nur Nagetiere, aber keine Vögel, Eunectes notaeus alle möglichen Wirbeltiere, nur keine Amphibien; sogar unter den Individuen der gleichen Art ist der Geschmack oft sehr ver- schieden. — Es ist also das Tier durch ein etwaiges Fehlen der Schutzfärbung gar nicht allen fleischfressenden Tieren so bedingungslos ausgeliefert und dem sicheren Aussterben überantwortet, im Gegenteil, je reichhaltiger der Speiszettel eines Fleischfressers ist, um so weniger ist der Bestand der in Betracht kommenden Arten gefährdet. Und schließlich ist es mit der Schutzfärbung nicht so bitter ernst. Die Natur bemüht sich nicht ängstlich, ihre Tiere mit guten Farben- anpassungen zu versehen; sie weiß, daß man auch ohne besondere Farbenübereinstimmung sehr gut angepaßt sein kann. Wieviel Insekten leben nicht auf dem Heu der Wiese, auf den Steinen der Felsen, auf den trockenen Bergabhängen und wie wenig sieht nicht der, der nicht gerade bestimmte Formen sucht. Die vielen Heuschrecken be- merken wir erst, wenn sie auffliegen oder im großen Rogen wegspringen und verlieren sie so- fort wieder aus dem Auge, wenn wir einer nicht mit großer Aufmerksamkeit folgen oder den Boden systematisch absuchen. Haben wir sie aber einmal entdeckt, so wundern wir uns sehr, daß wir sie nicht gleich entdeckten. Wer hat sich nicht schon bemüht, eine zirpende Heu- schrecke mit den Blicken zu suchen ? Es dauert lange und hat man sie entdeckt, was sehr oft nicht gelingt, dann muß man sich zugestehen, daß sie gut zu erkennen ist. — Entfällt einem aber draußen ein kleiner Gegenstand, ein Bleistift, ein Knöpfel usw. oder legt man beim Photo- graphieren im Feld z. B. die Gelbscheibe auf einen Stein, so kann man sich oft stundenlang mit dem Suchen abplagen, ohne das Gesuchte zu finden. Und hier spielt doch sicher keine Schutzfärbung mit. Aber unsere .Augen können eben sehr schwer im größeren Räume scharf sehen und besitzen nicht die Fähigkeit der getrennten Detailerfassung. Und mit diesen Augen konstruieren wir uns so manches schöne Beispiel der Schutzfärbung. (Schluß folgt.) [Nachdruck verboten.] Kristallstruktur und Röntgenstrahlen. Sammelreferat von Alfred Wenzel. Mit I Seit der Entdeckung der Röntgenstrahlen herrschen verschiedene Ansichten über die Frage, welcher Art diese alles durchdringenden Strahlen seien. Der Physiker Bragg behauptete, man hätte es init einer Korpuskularstrahlung zu tun, d. h. von der Antikathode fliegen nach dieser Ansicht, sobald sie von Kathodenstrahlen getrofifen wird, Teilchen fort, die die Eigenschaften haben. Textfigur. undurchsichtige Körper zu durchdringen sowie den umgebenden Raum zu ionisieren, was ja heute schon allgemein bekannt ist. Da sich diese Theorie aber aus hier nicht näher zu erörternden Gründen als unhaltbar erwies, ging man zu einer anderen Erklärung über, die S t o k e s , ' ) W i e c h e r t ") iind Thomson^) zu geistigen Urhebern hat. Hier- nach bestehen die Röntgenstrahlen aus einem N. F. XIII. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Eiiergieimpulse, den ein Elektron bei plötzlicher Geschwindigkeitsänderuiig aussenden muß. Denn das von der Kathode abgeschleuderte Elektron prallt gegen die Antikathode, die meist aus Aluminiumblech besteht, und setzt so seine Ge- schwindigkeiisenergie in Strahlungsenergie um. Diese muß unbedingt elektromagnetischer Natur sein, da das Elektron bei Zustandsänderungen nur solche Energie hervorbringen kann. Wenn die Strahlung anderer Natur sein sollte, müßten wir unsere ganze Elektronentheorie umstoßen, denn sie würde ja in diesem Falle vollständig ver- sagen. Da sich aber die Elektronentheorie bisher in anderen Zweigen der Elektrizitätslehre so gut bewährt hat, sah man sich gezwungen, ihrer Folgerung nachzugehen. Ein Hauptkennzeichen für elektromagnetische Wellenstrahlung ist nun die Interferenz, d. h. die Überlagerung gleichlaufender Wellen, die sich in besonderen Erscheinungen kundgibt. Lange hat man versucht, diesen sicheren Beweis für das Vorhandensein einer elektromagnetischen Wellen- strahlung an Röntgenstrahlen nachzuweisen, doch leider stets ohne Erfolg. Dieser Mißerfolg wurzelte in keinem theoretischen Fehler, wie man vielleicht anzunehmen geneigt war, sondern in einem Mangel der Praxis. Nach Haga und Wind*) liegt die Wellen- länge der periodischen Röntgenstrahlen in der Größenordnung 2-10 ** cm, während Sommer- feld und Koch sie zu lO"" cm schätzten. Sic haben also eine um lo '^ cm kleinere Wellen- länge berechnet, als wir im sichtbaren Lichte vor uns haben. Es fiel daher sehr schwer, ein ent- sprechend feines Gitter zur Erzeugung der Inter- ferenz zu erhalten, dessen konstante Spaltenweite in denselben Dimensionen sich bewegt wie die Wellenlängen, die man vorausberechnet hatte. Alle bekannten Gitter waren viel zu weit, um noch Interferenzerscheinungen zu zeigen. Nun ist ja bekanntlich der Molekülabstand rund lo^'* cm. Hierauf griff der Physiker Laue^) zurück, als er angab, daß man ein derartiges Molekulargitter dazu \'erwenden könnte, Interferenzerscheinungen hervorzurufen. Eine regelmäßige Gitteranordnung ist aber unter den Molekülen eines gewöhnlichen Körpers nicht vorhanden. Nur Kristalle können eine derartige symmetrische Verteilung ihrer Bau- steine zeigen, wie schon Bravais auf Grund der Beobachtung des Aufbaues und des Wachstums der Kristalle annahm. Wie wir sehen werden, hatte Laue hiermit einen glücklichen Griff getan, denn in den Kristallen bieten sich dem Physiker natürliche Gitter für sehr kurzwellige Strahlen dar, nur müssen die Kristallplatten richtig orientiert sein, d. h. so, daß ihre Molekülanordnung im Wege der Strahlen auch wirklich gittcrförmig ist. Fallen dann Röntgenstrahlen auf ein Molekül auf so wird dies zum Ausgangspunkt einer sekundären Röntgenstrahlung. Diese besteht z. T. aus den diffus zerstreuten Primärstrahlen, z. T. auch aus neu erzeugten sekundären Strahlen. Diese letzten sind meist für jeden Körper charakteristisch. Sie werden dann mit den Strahlen der umliegenden Moleküle so interferieren, daß sie neben dem Durchdringungspunkt der Primärstrahlen noch helle Punkte in regelmäfiiger Anordnung, die der Krislallstruktur entspricht, zeigen werden. Soweit hat Laue alles theoretisch vorher be- rechnet. Auf seine Veranlassung haben nun Friedrich und Knipping") in München diese Experimente praktisch durchgeführt. Sie bedienten sich dabei nebenstehender Versuchsanordnung (Mgur). Die von der Röntgenröhre R, d. h. von deren Antikathode A ausgehenden Strahlen, gehen zunächst durch eine enge Öffnung im Schirm S, im Kasten B und im Diaphragma D, um einen Strahl herauszunehmen und alle übrigen abzu- U_[ blenden. Dann geht der Strahl durch die Kristall- platte K, wo er die oben besprochene Verände- rung erleidet, und trifft schließlich die photo- graphische Platte P, die zur Fixierung der Er- scheinung dient. Sie ist gegen die übrigen Strahlen gut geschützt durch einen Schirm S aus Schwermetall sowie durch den Schutzkasten BB, der ebenfalls aus einem Schwermetall hergestellt ist, da die Röntgenstrahlen diese nicht so leicht durchdringen. Schließlich ist hinten am Kasten B noch ein Beobachtungsrohr C befestigt. Die Bedingungen und näheren Umstände dieser Experimente waren sehr schwierig und kostspielig. Zunächst mußten Intensivröhren verwandt werden, um die nötige starke Strahlung zu erhalten. Ferner war die Abbiendung der übrigen unge- brauchten Strahlung sehr schwer vollständig durch- zuführen. Schließlich mußten die Kristallplatten dünn geschliffen sein und genau orientiert werden, denn ein Winkelfehler von 3 " hätte die Sym- metrie schon vollständig zerstört. Dazu kamen noch die langen Expositionszeiten der Photoplatien, die sich zwischen 2 und 20 Stunden bewegten. Trotz dieser Schwierigkeiten sind die Versuche vollständig durchgelührt. Ihre Resultate sind her- vorragend und grundlegend für zwei verschiedene Forschungsgebiete, für die Theorie der Röntgen- strahlen einerseits und für die Theorie der Kristall- struktur andererseits. Diese Interferenzversuche bestätigen nämlich die Annahme, daß wenigstens die sekundären Röntgenstrahlen periodische elektromagnetische 72 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. F. XIII. Nr. 5 Wellen sind. Die Primärstrahlen hingegen scheinen aus vollkommen unperiodischen Impulswellen zu bestehen. Reine Primärstrahlen wird man jedoch in einiger Entfernung von der Antikathode nicht mehr haben. Denn durch den Anprall an um- liegende Moleküle werden sofort periodische elektromagnetische Wellen erzeugt, die sich dann zusammen mit den Primärstrahlen ausbreiten. Die sekundäre Röntgenstrahlung ist spektral ziemlich homogen, denn sie umfassen meist nur ein äußerst kleines Wellengebiet. Gegen die Annahme einer periodischen Wellenstrahlung könnte man hier nun den Einwand machen , daß die in Frage stehende Strahlenart nicht wie die Lichtwellen einen Brechungsindex für dichtere Medien besitzen. Dieser Einwand ist aber hinfällig; denn nach der Kettler-Helm hol t z'schen Dispersionstheorie haben sehr kleine Wellen den Brechungsindex n= I. In der Tat ist nun von mehreren For- schern") festgestellt worden, daß die Wellen- länge dieser Strahlen weit unter 2-io^'' liegt, und die Vervollkommnung der physikalischen Technik hat diesen Wert noch mehr herabzu- setzen gestaltet. Aus diesem Fehlen eines merk- lichen Brechungsindex haben schon Raveau*) und andere eine Identität der Röntgenstrahlen mit äußerst kurzwelligem Licht gefolgert, doch fehlten ihnen bisher weitere Beweise für die Be- stätigung ihrer Annahme. Wie sich diese Wellen in die elektromagnetische Wellenskala einordnen, zeigt nachstehende Tabelle. Röntgenstrahlen o,oi Noch nicht erforschtes Gebiet i Ultraviolette Strahlen loo • Sichtbare Strahlen 400 Ultrarote Strahlen 800 Langwellige Strahlen I (i Noch nicht erforsclites Gebiet 300 ,, Elektrische Wellen I mm (Drahtlose Telegraphie) bis I uti >, 100 „ ,. 400 „ „ 800 „ „ 1000 ,, = I u „ 300 11 ,, 1000 „ = I mm ,, loco km. Hierzu ist zu bemerken, daß : I /(/( (Millimikron) — ^ /( (IVlikron) = Vioooniin '""1 = 'O " '^'^ 'st. Die Größenordnung der Wellenlängen der Röntgenstrahlen ist also 10^'' cm, während die Größenordnung der Durch- messer der Moleküle 0,1 /',« = lO^"* cm ist. Die Resultate der obigen Interferenzversuche zeitigen noch einen weiteren Fortschritt für die Wissenschaft. Durch diese Versuche ist nämlich die Raumgitterstruktur der Kristalle experimentell erwiesen. Die erhaltenen Photogramme, die aus einer regelmäßigen Anordnung von Punkten be- stehen, beruhen nämlich auf Interferenz der Eigen- strahlung der Moleküle. Man kann sie also als die Reflexion des Primärstrahles an den Netz- ebenen des Raumgitters auffassen, unabhängig davon, ob diese Netzebenen nur die äußere Be- grenzung des Kristalls bilden oder auch durch das Innere sich erstrecken. Gegen die Resultate dieser Versuche sind nun Einwürfe gemacht worden, von denen ich nur den schwersten herausgreifen will. Mandel- stamm und Rohmann "j behaupten nämlich, man hätte diese Reflexionserscheinungen als solche an den Spaltungsflächen anzusehen ; dabei können die Spaltflächen für das bloße Auge unsichtbar sein. Dieser Einwurf scheint aber durch die vielen Versuche über diese Interferenz der Röntgen- strahlen in Kristallen, die alle dasselbe Resultat ergaben, widerlegt zu sein. Von anderer Seite wurde der auf der Hand liegende Einwurf gemacht, daß Laue 's Berech- nungen die Wärmebewegung der Moleküle unbe- rücksichtigt gelassen hätten. Eine Münchener Dissertation zeigt uns jedoch, daß dieser Einwand auch hinfällig ist; denn der Einfluß der Wärme- bewegung der Moleküle auf die hier erörterten Erscheinungen liegt unterhalb der Beobachtungs- grenzen. Dieses neue Werkzeug der Kristallographen, die Untersuchung mit Röntgenstrahlen, brachte vor einiger Zeit einen überraschenden Aufschluß über die Natur der fließenden Kristalle. Wie be- kannt sein dürfte, hat der Physiker Lehmann gefunden, daß einige organische Substanzen Tropfen bilden können, die ihrem optischen Verhalten nach als Kristalle angesehen werden müssen. Nun ist jetzt festgestellt worden, daß diese Kristall- tropfen keine Krisiallstruktur besitzen. Ihr optisches Verhalten wird also nicht durch den Aufbau und die Zusammenstellung aller Moleküle zu erklären sein, sondern resultiert aus dem inneren Bau der ein- zelnen Moleküle. Diese Tatsache ist für die Be- urteilun"- mancher Erscheinungren äußerst wertvoll. 1S96. 1912. 8) 9) 1913- Literatur: G. G. Stokes, Proc. Cambr. Soc. 9, 215. 1896. E. \Vi ediert, Phys. ökon, Ges. Königsberg i— 48. J. J. Thomson, Phil. Mag. 45, 172 — 183. 1897. Haga und Wind, .\nnal. d. Phys. 10. 1903. M. Laue, Sitzungsber. d. Bayr. Akad. d. Wiss. 303. W. P'riedrich und K. Knijiping, ebenda. Walter, Naturw. Rundsch. 11, 322 — 23. 1896. Gony, Comptes rend. 122 — 23. 1896. l'Eclair electrique 6, 249. 1896. Mandelstamm und Roh mann, Phys. Ztschr. 220. Einzelberichte. Chemie. F'luoride des Osmiums. Ein neuer ^vird, ist durch die kürzlich abgeschlossenen Ver- Beweis, daß das Osmium in seinen Verbindungen suche über Flaorierung von ( )smiummetall mit auch achtwertig auftritt, wie bereits im Osmium- elementarem Pluor erbracht worden, die von tetroxyd und der Osmiumsäure angenommen Riiff und Tschirch (Ber. der Deutsch. Chem. N. F. XIII. Nr. 5 Naturwissensclinftliche Wochenschrift. 73 Ges. 191 3, Bd. 46, S. 929) ausgeführt wurden. Bisher war es nur Moissan, der einzelne Metalle der energischen Wirkung elektrolytisch erzeugten Fluors ausgesetzt hatte, so das Eisen, Platin, Pal- ladium, Iridium und Ruthenium. Analytisch unter- sucht war nur ein Platintetrafluorid. Das Osmium nun bildet mit dem Fluor drei genau definierte Verbindungen: Oktafluorid, wo- mit alle Zweifel über bestehende Achtwertigkeit des Osmiums überwunden sind, Hexafluorid und Tetrafluorid. Das erstere entsteht im kräftigen Fluorstrom bei Verwendung eines reaktionsfähigen Osmiums und bei ca. 250" als Hauptprodukt, während das Hexafluorid als Nebenprodukt auf- tritt. Tetrafluorid erhält man bei unvollständiger Fluorierung, sei es, daß die Temperatur niedriger oder das angewandte Osmium wenig reaktions- fähig ist. Die Forscher arbeiteten in einem Platin- rohr im Fluorstrom, erzeugt in dem Moissan- schen Fluorapparat zur Elektrolyse von wasser- freiem Fluorwasserstoft'. Peinliche Sorgfalt ist jedenfalls auf absolute Trockenheit der Fluorierungs- apparatur und Fernhaltung organischen Staubes zu verwenden. Das Osmiumoktafluorid stellt eine bei 34,5" schmelzende gelbe kristallinische Substanz dar, sehr empfindlich gegen Luftfeuchtigkeit und die Schleimhäute stark reizend. In seinen unange- nehmen Eigenschaften übertrifft es das Osmium- tetroxyd noch bei weitem durch Erzeugen von Brandwunden auf der Haut, die von Tetroxyd nur geschwärzt wird. Den Dämpfen des Okiafluorids gegenüber zeigen sich am reaktionsfähigsten Anti- mon, Arsen und gelber Phosphor, erstere geben sofort flüchtige Fluoride, letzterer wird sofort ge- schwärzt. Schwerer flüchtig als das Oktafluorid ist das Osmium hexafluorid, es wird ebenso wie das erstere aus metallischem Osmium und ele- mentarem Fluor erhalten. Der Schmelzpunkt der hygroskopischen grün gefärbten Masse ließ sich nicht genau ermitteln, er liegt unterhalb 120 und oberhalb 50". Als Siedepunkt wurde bei Atmo- sphärendruck 202 — 205" gefunden. Gleich dem Oktafluorid wird auch das Hexafluorid liydro- Ij'tisch gespalten unter Abscheiden von Osmium- diox_\-d bzw. Entbindung von Tetroxyd. Um zum Osmiumtetra fluorid zu ge- 1 ... langen, verwendet man weniger reaktionsfähiges Meiall, als solches erweist sich bis zur Rotglut in VVasserstoft' erhitztes Osmium. Es resultiert bei der Fluorierung ein schwarzes in Wasser lösliches Fluorid. Die Lösung wird jedoch ebenfalls teil- weise hydrolytisch gespalten. Von besonderem Interesse ist noch die von den genannten For- schern gehegte Vermutung der Existenz von Hexafluoroosmeaten , wozu die kristallisierten Körper Veranlassung geben, die beim Eindampfen der alkalischen Lösung des Tetrafluorids erhalten werden. H. Rathsburg. Über Neuerungen in der Technologie des Ra- diums und der Uranerze hielt Prof. Dr. E. Ebl er- Heidelberg auf der 85. Versammlung deutscher Naturforscher und Arzte in Wien einen Vortrag, dem folgendes entnommen ist (durch Zeilschrift für angewandte Chemie 26 S. 79). Die Gewinnung des Radiums nach dem alten, bis jetzt üblichen Verfah.ren von Curie und Debierne erfolgt in 4 Phasen: Bei der ersten Phase wird aus dem gepulverten Rohmaterial nach einer Vorbehandlung mit Alkalien das Uran und Vanadin durch Einwirkung von Schwefelsäure in schwefelsaure Lösung gebracht. Die bei diesem Vorgang auftretenden Rückstände, die man früher für wertlos ansah, enthalten gerade das Radium. In der folgenden Phase werden diese unlös- lichen Sulfate des Radiums und Mesothoriums durch Umsetzen mit Alkalien, Lösen, Fällen mit Schwefelsäure in Sulfate übergeführt, die das Ra- dium oder Mesothorium in angereicherter Form enthalten. Diese sog. „Rohsulfate" stellen etwa I ";'„ vom Gewichte des Ausgangsmaterials dar. In der dritten Phase werden die Rohsulfate einem umständlichen Reinigungsprozeß unter- worfen, der in einer wiederholten Umsetzung der Sulfate mit Soda, Auswaschen, Lösen und Fällen besteht. Das Endergebnis dieser Phase ist Radium- bariumchlorid. Dieses Radiumbariumchlorid wird dann zum Schluß durch fraktionierte Kristallisation in reines Radiumchlorid oder -bromid übergeführt- Diese Darstellungsweise ist jedoch außerordent- lich umständlich und langwierig. Prof. Ebler hat daher eine neue Methode ausgearbeitet zur Überführung der Rohsulfate in Radiumbarium- chlorid, die darin besteht, daß man die Rohsulfate mit Calciumhydrid autogen — ohne äußere Wärme- zufuhr — zu löslichen Sulfiden bzw. Oxyden redu- ziert und aus der reduzierten Masse durch Extrak- tion mit Salzsäure die radioaktiven Substanzen als Chloride löst. Durch F"ällung mit Salzsäuregas erhält man dann sofort reines Radiumbarium- chlorid in angereicherter Form. So erhält man durch diesen autogenen Aufschluß der Rohsulfate mit Calciumhydrid zusammen mit der Salzsäure- gasfällung in wenigen, nur einmal auszuführenden Reaktionen, in kürzester Zeit und mit geringstem Aufwand an Arbeitsmaterialien sofort ein ange- reichertes Radiumbariumchlorid. Bei dieser Arbeits- weise erhält man etwa 90 "/q des ursprünglich vor- handenen Radiums in Form des löslichen Chlorids. Mit geeigneten Reduktionsmitteln kann man auch schon den ursprünglichen Erzrückstand zu Sulfiden bzw. Oxj-den reduzieren und erhält dann auf die oben beschriebene Weise direkt aus dem Erzrückstand Radiumbariumchlorid. Eine weitere Neuerung bezieht sich auf die Anreicherung des Radiums gegenüber dem Barium im reinen Radiumbariumchlorid durch die sog. „fraktionierte Adsorption" des Radiums und Bariums am kolloidalen Mangansuperoxydhydrat, 74 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. S Fällt man aus einer Permanganatlösung, etwa mit Manganchlorür, in Gegenwart der Radiumbarium- lösung den Braunstein aus, so enthält das Mangan- superoxydhydrat relativ mehr Radium als Barium im Vergleich zu dem Ausgangsmaterial; durch geeignete Wahl der Braunsteinmenge kann man leicht bewirken, daß das gesamte Radium ausge- schieden wird, während ein großer Teil des Bariums in Lösung bleibt. Aus den Adsorptionsverbindun- gen des Mangansuperox\'dhydrats mit Radium und Barium läßt sich dann in einfacher Weise reines Radiumbariumchlorid gewinnen, das viel radiumreicher ist als das Produkt, von dem man vor der Adsor|)tion ausging. Verwendet man schließlich noch die fraktionierte Anreicherung des Radiums durch „fraktionierte Adsorption", so erhält man stets radiumreichere und bariumärmere Präparate. O. Bürger-Kirn (Nahe). Botanik. Die Parthenogenesis von Balanophora. Bis gegen Beginn dieses Jahrhunderts kannte man bei den Blütenpflanzen kein Beispiel von wirklicher Parthenogenesis, d. h. von Embryo- bildung aus einer unbefruchteten Eizelle. In den- jenigen I-'ällen, wo sich Embryonen entwickelten, ohne daß eine Bestäubung vorhergegangen war, ließ sich immer nachweisen, daß es sich um Ad- ventivembryonen handelte, die nicht aus dem Ei, sondern aus dem Nucellusgewebe der Samen- knospe hervorgegangen waren. Erst 1898 hat Juel gezeigt, daß bei Antennaria alpina Embryo- bildung aus dem Ei ohne vorhergegangene Be- fruchtung erfolgt. Seitdem ist die gleiche Fort- pflan'ungsart bei einigen anderen Blütenpflanzen aufgefunden worden. In allen bisher untersuchten Fällen handelt es sich um somatische Par- thenogenesis, d. h. um Embryobildung aus einer Eizelle, deren ("hromosomenzahl nicht die sonst erfolgende Redukiion auf die Hälfte erfahren hat. Generative Parthenogenesis ^j (Entwick- lung eines Eies mit reduzierter Chromosomenzahl) ist bisher nur bei Kryptogamen bekannt geworden. Bei einigen Alchemilla-Arten , bei Allium odorum und Burmannia coelestis erfolgt gelegent- lich neben Fmbryobildung aus der Eizelle auch Embryobildung aus einer S\"nergiden- oder einer Antipodenzelle (somatische Apogamie 1. In solchen Fällen kommt es also zu einer ge- legentlichen Polyembryonie. (Habituelle Polyembryonie findet sich bei der eingangs er- wähnten \egetativen Embryoentwicklung aus Nucclluszellen, z. B. in dem klassischen Beispiele der Caelebogyne ilicifolia.) Während bei normaler Befruchtung einer der beiden männlichen Kerne den aus der Verschmel- zung der beiden Polkerne hervorgegangenen sekundären Embryosackkern zu befruchten und so ') Die Ausdrücke stammen von Hans Winkler (Pro- gressus rci botanicac, Bd. 2, Heft 3, 1913). Strasburger wt Ute den Begrifi' Parthenogenesis auf die Embryoentwicklung aus einer Zelle mit haploider (reduzierter) Chromosomenzahl beschränkt wissen und rechnete die anderen Fälle zur Apogamie. den Anstoß zur Endospermbildung zu geben pflegt, entsteht das Endosperm bei partheno- genctischer oder apogamer Embryoenlwicklung ohne Beihilfe eines männlichen Kernes, zumeist auch aus dem sekundären Embryosackkern, bei Antennaria alpina aus den beiden, getrennt bleibenden Polkernen, bei Helosis und Balano- phora aus nur einem Polkern. Nun haben Treub (1898) für Balanophora elongata und nach ihm Lotsy auch für Balano- phora globosa angegeben, daß bei diesen Pflanzen nicht nur das Endosperm, sondern auch der Embrj'o aus dem einen Pol kern entstehe. Nach der Darstellung Treub's (mit der die- jenige Lotsy's übereinstimmt) geht die Ent- wicklung des Embryosacks bis zum achtkernigen Stadium ganz normal vor sich. An den beiden Polen des l' förmig gekrümmten Sackes sind die Kerne in den bekannten Tetraden angeordnet. Die am Antipodenende gelegenen Kerne gehen, ohne daß es zur Bildung von Antipodenzellen kommt, bald zugrunde. Am anderen Ende ent- steht ein Eiapparat, dessen Zellen nach Treub ebenfalls bald abortieren , während der dazu- gehörige Polkern in Teilung tritt und das Endo- sperm liefert. Aus einer zentralen Zelle dieses Pindosperms (also apogam) soll der Embryo her- vorgehen. Diese Darstellung ist in zahlreiche Bücher und Abhandlungen übergegangen. A. Ernst (aus dessen Zusammenstellung die vorstehenden Angaben im wesentlichen entnommen sind) hatte nun bei der Untersuchung der Embryo- bildung verschiedener javanischer Saprophyten Präparate erhalten, die ebenfalls apogame Ent- stehung des Embryos aus dem Endosperm ver- muten ließen. Dann gelang aber der Nachweis, daß bei Sciaphila und Cotylanthera der Embryo aus der Eizelle hervorgeht und daß die Be- fruchtung bei Cotylanthera sicher, bei Sciaphila sehr wahrscheinlich ausbleibt. Weiter ergab die Untersuchung dieser Gattungen sowie verschiedener Burmannia-Arten, daß die Weiterentwicklung der Eizelle im Vergleich mit der Endospermentwick- lung sehr spät einsetzt; meist geht eine starke X'olumabnahme der Eizelle voraus, und es wird auch nur ein wenigzelliger Embryo gebildet. Diese Befunde drängten zu der Vermutung, daß bei Balanophora elongata und globosa ähn- liche Verhältnisse vorlägen, und daß Treub und Lotsy die Abstammung des Embryos aus der Eizelle übersehen hätten. Die Untersuchung von Material, das teils vom Verf. selbst gesammelt und in göproz. .Alkohol fixiert, teils ihm von anderer Seite nach Fixierung in Alkohol oder im Gemisch von Carnoy übersandt worden war, hat diese Ver- mutung als richtig erwiesen. Der Embryosack entwickelt sich allerdings völlig so, wie Treub und Lotsy angegeben haben. Er entsteht entweder unmittelbar aus der Embryosackmutterzelle oder, nachdem diese eine einzige Teilung erfahren hat, aus der oberen Tochterzelle, ohne Reduktion der Chromo- N. F. XIII. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 75 sonienzahl. Bestätigt wurde ferner die von Treub und I.otsy in Übereinstimmung mit van Tieg- hem gemachte Angabe, daß die Endosperm- bildung ausschließlich vom oberen Polkern aus- geht, und daß durch dessen erste Teilung eine kleinere obere Endospermzelle und eine große Basal- oder Haustorialzelle gebildet wird. Weiter aber treten Vorgänge auf, die den beiden Beobachtern entgangen sind. Durch drei aufeinander folgende Teilungsschnitte entsteht aus der ersten Endospermzelle (oberen Tochterzelle des Polkernes) zunächst ein achtzelliger, aus zwei vierzelligen Etagen bestehender Endosperm- körper. 1 )le nachfolgenden Teilungen finden mit wechselnder Richtung der Teilungswände statt und führen, namentlich in der Umgebung des Embryos, zur Bildung einer größeren Anzahl kleiner Zellen. Vom Eiapparat bleibt die Eizelle erhalten, während die Synergiden meist beide abortieren. Die Eizelle nimmt aber zunächst an Größe ab, und da sie außerdem infolge der Ein- wirkung der P'ixierflüssigkeit Schrumpfungen er- fährt, da ferner das Endosperm sie seitlich um- wächst, so wird ihre Auffindung sehr erschwert und der Anschein erweckt, als ob sie auch de- generiere. In Wirklichkeit aber nimmt sie nach einiger Zeit wieder an Größe zu, teilt sich und bildet einen kleinen Embryo. Dieser kann bis an die Oberfläche des Endosperms reichen, ist aber, so wie es Treub und Lotsy beschrieben haben, in der Mehrzahl der Fälle rings vom Endosperm- körper umschlossen, hat auch zuweilen eine Stiel- zelle (Suspensor), die bis an die Oberfläche reicht. Häufig finden sich zwei junge Embryozellen neben- einander. Es ist möglich, daß diese durch Längs- teilung aus einer Eizelle entstanden sind ; doch hält Verf es für wahrscheinlicher, daß in solchen Fällen zwei Zellen des Eiapparats (also wohl Ei- zelle und eine Synergide) erhalten geblieben seien, daß also Parthenogenesis mit gelegentlicher Poly- embryonie vorliegt, ein \^erhalten, wie es nach seinen eigenen Beobachtungen auch Burmannia coelestis zeigt. Für Balanophora globosa ist die partheno- genetische Entwicklung des Eies durch Lotsy und Ernst sichergestellt; für B. elongata ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß neben vorwiegender Parthenogenesis gelegentlich auch Befruchtung eintritt (wie bei Thalictrum purpu- rascens, wo zuweilen Chromosomenreduktion und Befruchtung erfolgt). Bei den meisten anderen Balanophoraceen sind entweder Pollenkörner auf der Narbe oder Pollenschläuche im Griffel oder am Eiapparat festgestellt worden, was das Ein- treten der Befruchtung für sie wahrscheinlich macht. Nur bei Meiosis guyanensis und Rhopal- cnemis phalloides scheint sich der Embr\-o wie bei Balanophora elongata und globosa partheno- genetisch zu entwickeln (Flora 191 3, N. F. Bd. 6, S. 129—159). F. Moewes. Völkerpsychologie. Neue Beiträge zur Kenntnis des Kulturbesitzes der Pai'ua-Melanesier veröffentlicht Thurnwald in seinem großange- legten Werk „Forschungen aufden Salomo- inseln und dem Bismarckarchipe 1", von dem bisher zwei prächtig ausgestattete Bände im \'erlag von Dietrich Reimer (Ernst Vohsen) in Berlin erschienen sind. ^) Die im ersten Band ent- haltene Sammlung von Liedern, Mythen und Sagen ermöglicht tiefe Einblicke in das Geistesleben der Buinleute (Bougainviile) und anderer papua-mela- nesischer Völkerschaften. Der Verfasser gibt nicht, wie es sonst meist üblich ist, seine eigenen Eindrücke von dem fremden Volk und sein L'rteil über dieses wieder, sondern er führt uns die un- mittelbaren Äußerungen des Denkens des fremden Volkes vor, um zu zeigen, wie die Leute das, was in ihnen nach Ausdruck ringt, in Worte kleiden, und wie die Gedanken sich m den Reden spiegeln. Die Lieder werden in der Buinsprache mit Interlinear- und freier Übersetzung veröffent- licht, die Mythen und Sagen dagegen in der Regel bloß in freier Übersetzung; nur bei vier Stücken sind auch die Originaltexte abgedruckt. Die Wiedergabe von ,, Dichtungen" ist vom völker- psychologischen Standpunkt sehr wichtig, denn nichts vermag uns das Geistesleben eines Volkes deutlicher vorzuführen, seine Fähigkeiten richtiger einschätzen zu verhelfen, als seine dichterischen Erzeugnisse. Im Vergleich mit den Polynesiern und Mikro- nesiern haben die Papua-Melanesier keine reiche Literatur. Thurnwald sagt, es schien lange, als ob es bei diesen düsteren Menschen wenig oder fast nichts gäbe, was ihre Phantasie bewegt, wenige oder fast keine Ziele, um deren geistige Bewältigung sie sich bemühten, um mit den Be- standteilen der von ihnen auf diese Art zerlegten Erfahrungswelt neue Kombinationen und Möslich- keiten, neue Varianten aufzubauen. Doch auch bei diesen stumpfen und verschlossenen Menschen zeigt sich, daß sie mehr imstande sind als der erste Eindruck vermuten ließe. Die vorliegende Sammlung ist ein trefflicher Beweis hierfür. Aber die Texte bezeugen auch, wie Thurnwald richtig bemerkt, daß wir es hier mit Menschen einer ganz anderen, einer primitiven Empfindungs- und Denkart zu tun haben : Der Ausdruck primitiv scheint deshalb gerechtfertigt, weil hier eine ver- bindungsarme, wenig komplexe, also wenig ge- hemmte, den Aft'ekten mehr hingegebene Denk- und Leistungsfähigkeit zutage tritt. Das Verhältnis des Menschen zur umgebenden Natur wird in den Sagen von Buin stark betont. Die gewohnte Umgebung ist die reiche Pflanzen- und Tierwelt des Buschwaldes, wo der Mensch seine Eindrücke gewinnt und sich seine Vor- stellungen von Welt und Leben bildet. An das, ') Bd. I: Lieder und Sagen aus Buin; mit 14 Tafeln, Notenbeispielen und i Karte. Preis 32 Mk. Bd. III : Volk, Staat und Wirtschaft; mit I Tafel und 70 Stammbäumen. Preis 18 Mk. Berlin 1913. •]& Naturwissenschaftliche Wochensclirift. N. F. XIII. Nr. 5 was hier auf seine Sinne wirl-N + N). Die Atome sind aber wegen der freien Bindungen bei weitem reaktionsfähiger als die Moleküle; die Gase werden also durch den Stoß der Elektronen aktiviert. Es ist zu erwarten, daß auch andere Gase und Dämpfe sich im Glimmstrom aktivieren und zu neuen Reaktionen nutzbar machen lassen werden. Dr. K. Schutt. Kleinere Mitteilungen. Bestimmung des Methylalkohols in Spirituosen. — In der Zeitschr. Unters. Nähr. u. Genußmittel (191 2, Bd. 24, p. 731) hat J. He t per eine Me- thode zur Bestimmung des Methylalkohols in Spirituosen angegeben. Durch genaue Bestimmung des spez. Gewichts des zuerst aus alkalischer dann aus saurer Lösung gewonnenen Destillates muß zuerst der Gesamt- alkohol bestimmt werden. Bei einem Alkoholgehalt von 45 — 55 "/g ist das spez. Gewicht für Äthylalkohol oder Methyl- alkohol oder ein Gemisch beider nicht wesentlich verschieden. Das Destillat wird auf spez. Gew. 0,910 bis 0,915 gebracht. Dann wird eine bestimmte Menge hiervon mit phosphorsäurehaltiger Permanganatlösung be- handelt. Dabei wird der Methylalkohol zu Kohlensäure, der Äthylalkohol zu Essigsäure oxydiert. I g Methylalkohol entspricht 187,5 ccm n/j Kaliumpermanganatlösung, I g Äthylalkohol entspricht nur 87 ccm n'j Kaliumpermanganatlösung. Ist Äthyläther oder Furfurol vorhanden, welche beide ein hohes Reduktionsvermögen gegen Per- manganat besitzen, so ist die Methode nicht an- wendbar. Andere flüchtige Stoffe, wie sie in Spirituosen häufig vorhanden sind, schaden nicht. Aus der Menge des verbrauchten Permanganat kann man auf die Menge des beigemischten Methylalkohols schließen. Th. B. 94 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 6 Sticivstoffquellen. *) Die Luft entliäh 78 Volum- prozent Stickstoff. Auf einem Hektar Bodenfläche lagern schätzungsweise 100 000 Tonnen Luft. Wir leben also in einem unermeßlichen iVleer von Stickstoff, waren aber noch bis vor kurzer Zeit nicht imstande aus diesem gewaltigen Stickstoff- vorrat Stickstoff zu erzeugen, welcher der Pflanze als Stickstofifquelle dienen könnte. Die Schuld liegt in der Indifferenz des Luftstickstoffes. Die Pflanzen brauchen zu ihrer Entwicklung Phosphor, Schwefel, Kali, Kalk, Magnesia und vor allem Stickstoff Unsere Kulturpflanzen entziehen der Ackerkrume diese Stoffe allmählich, und der Land- wirt muß sie ersetzen, wenn er auf eine weitere Nutznießung der Zeugungskraft des Bodens reflek- tiert. Kali und phosphorsäurehaltige Düngemittel sind am Markte leicht zu beschaffen, nicht aber Stickstoffdünger. Gerade der Stickstoff ist aber der wichtigste Pflanzennährstoff Zur Deckung des Stickstoffbedarfes reicht der Stallmist bei weitem nicht aus; man griff daher zu neuen stickstoffhaltigen Substanzen wie Blut- mehl, Pleischmchl, Hornmehl, Guano usw. Auch diese waren in so geringer Menge auf dem Markte, daß damit keine wesentlichen Fortschritte erzielt werden konnten. Um der Stickstofifnot zu steuern, wandte man sich den anorganischen stickstoff- haltigen Produkten zu und zwar dem schwefel- sauren Ammonium und dem Chilesalpeter. Schwefelsaures Ammonium wird als Nebenprodukt bei der Leuchtgasfabrikation gewonnen. Die Produktion ist vollkommen abhängig von dem Leuchtgaskonsum und kann infolgedessen nicht beliebig gesteigert werden. Der Chilesalpeter ist ein ausgezeichnetes Düngemittel. Es wird aber nicht mehr lange dauern und der Vorrat wird er- schöpft sein. Im Jahre 1880 betrug die chilenische Salpeterausfuhr bereits 225000 Tonnen. Bei der heutigen Jahresausfuhr von 2 Millionen Tonnen dürfte der Chilesalpeter in einigen Jahrzehnten aufgebraucht sein. Man mußte daher an das Problem herantreten, den elementaren indifferenten Luftstickstoft" in den Dienst der Landwirtschaft zu stellen. Dies gelang auf verschiedenen Wegen und zwar: 1. Durch direkte Verbrennung des Luftstick- stoffes unter Bildung von Salpetersäure, Nitraten usw. 2. Durch direkte Vereinigung von Stickstoff und Wasserstoff zu Ammoniak. 3. Durch die Bindung von Stickstoff an Metalle oder Metalloide unter eventueller weiterer Um- setzung der entstehenden Produkte. 4. Bakterien. Die Verbreimung des Luftstickstoffes geschieht ') A. Bcrntlisen, ,,Die Gewinnung von Ammoniak aus neuen Elementen." Internationaler Chemiker-Kongreß in New- York 1912. Hans tiarrer, „Landwirtschaftliche Stickstoffbilanz und Luftslickstoff." W. Nernst, ,,Über die Rolle des Stickstoffs für das Leben". 10. Jahresversammlung des Deutschen Museums zu München am I. Oktober 1913. zunächst nach einem Verfahren von den Norwegern Birkeland und Eyde. Die Birkeland-Eyde- sche Arbeitsweise besteht darin, daß der elektrische Funke die Verbindung zwischen Stickstoff und Sauerstoff in der Luft herstellt, indem er eine Fläche bestreicht. Zu diesem Zwecke bringt man einen Wechselstromflammenbogen genau zwischen die Pole eines gewaltigen Magneten. Der Flammen- bogen bewegt sich mit außerordentlicher Ge- schwindigkeit im elektrischen Felde, die Länge des Flammenbogens und der Widerstand nehmen beständig zu, die Spannung wächst so lange an, bis an den Elektroden ein neuer Flammenbogen entsteht und der ursprüngliche erlischt. Der posi- tive und der negative Teil des Bogens gehen ent- gegengesetzt, so daß eine leuchtende Scheibe ent- steht. Die Spannung des Stromes ist relativ mäßig (5000 Volt), ebenso die Frequenz (50). Bei der Verbrennung der Luft steigt die Temperatur im Verbrennungsofen auf 3000 •• C. Die ver- brannte Luft wird durch einen ringförmigen Kanal abgesaugt, sie hat eine Austrittstemperatur von 700'' und enthält etwa ein Prozent Slickoxyd. Die nitrosen Austrittsgase werden, um eine Zer- setzung des bei hohen Temperaturen unbeständigen Stickoxydes zu verhindern, in metallenen Kühl- schlangen rasch auf 200" abgekühlt, und zwar leitet man diese Kühlschlangen unter die Dampf- kessel der Fabrik, um die große Wärmemenge nutzbar zu machen. Nach einer weiteren Kühlung auf 50" werden die nitrosen Gase in Oxydations- kammern geleitet, in denen die Oxydation des Suckoxydes zu Stickstofftetroxyd vor sich geht, welches in Wasser zu 50 "/o Salpetersäure gelöst wird. Die nicht absorbierten Gase werden in einem Kalkmilchturni zu Calciumnitrat und Calcium- nitrit verarbeitet und letzteres durch Salpetersäin-e in Calciumnitrat überführt. Der unter dem Namen Norgesalpeter in den Handel gebrachte salpeter- saure Kalk stellt ein vorzügliches Düngemittel dar und ist dem Chilesalpeter in jeder Richtung gleichwertig. Die Fabrik zu Notodden in Nor- wegen ist auf eine Jahreserzeugung von etwa 20000 Tonnen eingerichtet. Die Badische Anilin- und Soda fabrik hat ebenfalls eine derartige Methode ausgearbeitet. Im Gegensatz zum Birkeland- Eyde- Verfahren arbeitet sie mit einem ruhenden Lichtbogen. Um dennoch eine innige Berührung zwischen Luft und Flammenbogen zu erzielen, wird die Luft beim Einblasen in die Verbrennungskammer in wirbelnde Bewegung versetzt und im ruhenden Zentrum des Luftwirbels brennt der Lichtbogen. Die Gesellschaft baut eine Wasserkraft von 120000 Pferdekräften in Norwegen aus und will auch in Bayern, durch Überleiten der Alz — dem Abfluß des Chiemsees — in die Salzach, eine ent- sprechende Kraftquelle diesen Zwecken nutzbar machen. Dieses Projekt ist jedoch von der Hal- tung der Österreichischen Regierung abhängig, die bekanntlich den Hauptzufluß des Chiemsees auf Österreichischem Gebiete in den Inn ableiten will. N. F. XIII. Nr. C^ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 95 Mit der direkten Vereinigung von Stickstoff und Wasserstoff zu Ammoniak befaßte sicli Prof. Haber, der jetzige Direktor des physikalisch- chemisclien Institutes der Kaiser-Wilhelms-Stiftung in Berlin, und die Badische Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen am Rhein. Das Verfahren wurde in zahlreichen Patenten niedergelegt, die technische Lösung ist eine endgültige. Die erste Fabrik, welche sich mit der Herstellung von synthetischem Ammoniak aus seinen Elementen beschäftigt, wurde in Oppau bei Ludwigshafen am Rhein ge- gründet. Die Schwierigkeiten, mit denen Prof. Haber zu kämpfen hatte, waren ganz außer- ordentliche. Zunächst muß bei ungeheueren Drucken gearbeitet werden, Drucke, die man bis- her nie in der synthetisch-technischen Chemie verwendet hat. Gleichzeitig kommen sehr hohe Temperaturen in Anwendung. Durch die Auf- findung von Katalysatoren, welche bei weit niedrigeren Temperaturen eine genügend schnelle Vereinigung von Stickstoff und Wasserstoff zu Ammoniak herbeiführen, erzielte Haber wesent- liche Fortschritte. Bei 200 Atmosphären Druck, einer Temperatur von 650 — 700" unter Verwen- dung von reinstem Eisen als Katalysator, das einen Raum von 20 ccm einnimmt, und bei einer Gasgeschwindigkeit von 250 1 (gemessen bei ge- wöhnlichem Druck) erhält man in der Stunde leicht z. B. 5 g, oder pro Liter Kontaktraum 250 g Ammoniak. Mit der technischen Nutzbar- machung des Verfahrens betraute die Badische Anilin- und Sodafabrik Herrn Dr. Karl Bosch. Durch die speziell von Dr. A. Mittasch auf Grund vieler Einzelversuche gewonnenen Einblicke in die Bedeutung der verschiedenartigen Akti- vatoren und Katalysatorengifte ist nunmehr eine sichere Grundlage für einen zuverlässigen Dauer- betrieb mit guten Ammoniakausbeuten geschaffen. Die Bindung von Stickstoff an Metalle und Metalloide geschieht neben anderen Verfahren nach dem Franke- Caro'schen Prozeß. Franke und Caro führten die Entdeckung Moissons, daß die Karbide bei hoher Temperatur Stickstoff anlagern unter Bildung von Calciumcyanamid, in den chemischen Großbetrieb ein. Das rohe Calciumcyanamid wird gewöhnlich zur Zersetzung des noch darin enthaltenen Karbids hydriert und geölt. Die so behandelte Ware enthält 15 — 17"/,, Stickstoff und wird als „Kalkstickstoff" zur Düngung verwendet. Jeder Boden hat ein gewisses Optimum an Aufnahmefähigkeit für Stickstoffdünger. Ein starkes Überschreiten desselben bedeutet nicht nur eine überflüssige Ausgabe, sondern kann so- gar schädlich auf die Feldfrucht einwirken. Am weitesten kommt man mit einer guten Kombina- tion von Stalldüngung oder Gründüngung mit der mehr akzessorisch wirkenden künstlichen Düngung. Eine weitere Möglichkeit, den Stickstoff der Luft der Landwirtschaft nutzbar zu machen, bieten die stickstoffbindenden Bakterien. Doch soll auf diese hier nicht weiter eingegangen werden. Dr. R. Ditmar. Biicherbesprecliungen. Prof. Friedrich Dahl, Vergleichen dePhysio- logie und Morphologie der Spinnen- tiere unter besonderer Berücksichti- gung der Lebensweise. I. Teil: Die Be- ziehungen des Körperbaues und der Farben zur Umgebung. Jena 191 3, Verlag von G. Fischer. — Preis 3,75 Mk. Die Frage, welche Faktoren bei der Heraus- bildung der Art maßgebend gewesen sind, wird von den Biologen verschieden beantwortet. Der eine Teil sucht die Ursachen der Umwandlung in einer Zielstrebigkeit des Organismus, also in Ent- wicklungsgesetzen, die im Organismus selbst liegen. Die Vertreter der anderen Richtung dagegen er- klären die Anpassung an die äußeren Lebens- bedingungen als Folge der natürlichen Zuchtwahl. Nach ihnen ist nicht die Anlage des Organismus als treibendes Moment zu betrachten, sondern viel- mehr die Einwirkung der Außenwelt, die das Überleben des Passendsten herbeiführt. Beide An- schauungen suchen die gleiche Erkenntnis zu er- klären : Bau und Lebensweise eines Organismus bilden eine vollkommene Einheit. Die vorliegende Schrift stellt insofern eine wesentliche Neuerung dar, als hier zum erstenmal von der Lebensweise einer Tiergruppe ausgegangen und aus ihr deren Organisation erklärt wird. Der Verfasser faßt alle morphologischen Eigenschaften als durch Anpassung geworden auf, und zwar durch passive Anpassung, denn er ist konsequenter Vertreter der zweiten Richtung. Es gibt nicht nur einige Spezialanpassungen des Tierkörpers, auch die systematischen Gruppencharaktere sind Anpassungen. Sie sind aus früherer Zeit mit herübergenommen und nur durch Neuanpassungen hier und da verwischt. Diese allgemeinen Gedanken werden an den Spinnentieren erörtert. Zunächst definiert der Ver- fasser den Geltungsbereich des Begriffes Spinnen- tiere und gibt dann eine vorzügliche systematische Übersicht der Arten. Weiterhin wird der Körper mit seinen Gliedmaßen, die Lage der Geschlechts- öffnung und des Nervensystems rein physiologisch erklärt. Das letzte große Kapitel behandelt die engeren Beziehungen des Baues und der F"arbe zur Umgebung. Ausführliche Literatur und klare Zeichnungen sind überall beigefügt. Durch seine wertvollen theoretischen Erörte- rungen und die reiche Fülle von neuen Tatsachen, die mitgeteilt werden, bildet das Buch einen wesentlichen Fortschritt, und man darf auf den zweiten und dritten Teil gespannt sein. Während im ersten Teil der Bau des Tieres allgemein physio- logisch erklärt wird, sollen in den beiden anderen die einzelnen Organe mit ihrer Funktion und der Lebensweise in Beziehung gebracht werden. Stellwaag. 96 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 6 Anregungen und Antworten. Herrn Dr. A. B. in Marburg. — Außer der genannten Ausgabe der Opera omnia von Kepler, die Frisch in den Jahren 185S bis 1871 besorgt hat, existiert meines Wissens keine andere. F. Hayn. Herrn Edwin R. in Leipzig. — Die Beantwortung der ersten Frage würde einer ausgedehnten Abhandlung über die Physik des Fahrrades gleichkommen. Sie läiät sich, besonders in ihrer allgemeinen Form, nicht kurz beantworten. Zur zweiten i Weshalb langsames Gehen mehr anstrenge als rasches, kann folgendes mitgeteilt werden. In der allgemeinen Form , daß ,, langsames Gehen mehr anstrengt als rasches", ist der Satz nicht richtig. Richtig ist nur, daß außergewöhnlich langsames Gehen anstrengender ist wie das gewöhnliche; es strengt aber auch außergewöhnlich rasches Gehen viel mehr an. Der Grund, weshalb sehr lang- sames Gehen besonders ermüdend wirkt, liegt in erster Linie darin, daß die' Beinmuskeln unnötigerweise in .Anspruch ge- nommen werden, um das Schwingen des nicht auf dem Boden aufstellenden Beines nach vorn langsamer zu gestallen, als es ohne alle Muskelaktion, allein durch die Schwere veranlaßt, vor sich gehen würde. Das Bein schwingt zwar nicht aus- schließlich wie ein im Hüftgelenk aufgehängtes gegliedertes Pendel , sondern es machen sich Muskelkontraktionen nötig, um zu verhindern, daß der Fuß beim Schwingen auf dem Boden auftrifft. Zu diesen Muskelaktionen müssen aber noch neue hinzukommen, wenn die Schwingung wesentlich verlang- samt werden soll. Andererseits machen sich aber auch sehr beträchtliche neue Muskelaktioncn anderer Art nötig, wenn, wie bei sehr raschem Gehen , das Schwingen des Beines be- schleunigt werden soll. Der Titel der angedeuteten Unter- suchung ist: O. Fischer, Der Gang des Menschen. 6 Teile. Abhandlungen der Königl. Sächsischen Gesellschaft der W'issen- schaften, mathematisch-physische Klasse Bd. XXI, XX\', XXVI u. XXVIII (1S95 — 1904). O. Fischer. Indem ich mich den Ausführungen des Herrn Dr. W. Richter über den ,,Kinematographen als naturwissenschaft- liches Anschauungsmittel" (in der Naturw. Wochenschr. Nr. 52, 1913) anschließe, möchte ich, unter Bezugnahme auf einen diesbezüglichen Artikel von mir in der ,, Wochenschrift für Aquarien- und Terrarienkunde" vom iS. Mai 1910, einige Ergänzungen und Bedenken hier beifügen. Für den eigentlichen Schul- und akademischen Unterricht halte ich den Vortrag mit Zeichnungen an der Tafel, wo auch das Werden gezeigt werden kann, und an wohl ausgeführten Wandtafeln, sowie die praktischen Übungen für die wichtigste Lehrmethode, wobei ich nicht umhin kann, das Herumgeben von Präparaten während der Vorlesung für einen leider fast unheilbaren Unfug zu erklären. In zweiter Linie kommen Projektionsbilder in Be- tracht, aber nicht als gewöhnliches Anschauungsmittel, da sie nur kurz dem Auge sich bieten und kein dauerndes Erinne- rungsbild geben, auch, wegen Verdunklung des Raumes das bei vielen Studierenden schon des Fixierens der Gedanken wegen beliebte Nachschreiben verhindern; oft ermüden sie durch ihre Überzahl, 50 und mehr, wie so häufig bei popu- lären einmaligen Vorträgen geschieht, Hirn und Sinne, deren Auffassungsfähigkeit eine beschränkte ist. Andererseits machen sie durch ihre Größe und Deutlichkeit allerdings einen ge- waltigen Eindruck, so daß das Publikum sie nicht mehr missen will. Noch mehr gilt das Gesagte von kinematographischen Vorführungen. Die Bilder sind noch flüchtiger aber eindrucks- voll, und bedürfen einer eingehenden vorherigen Erklä- rung durch einen Sacliverständigen , womöglich auch noch während der Vorführung. Unentbehrlich und wesentliche Bereicherungen für Unter- richt und Forschung sind die kinematographischen Darstel- lungen von biologischen Lebensvorgängen und Be- wegungen, wie die Arbeiten der Ameisen und Bienen, die Bewegungen der Würmer, Polypen, Amöben, der Bakterien und Phagozyten, die Entwicklung des Eies, z. B. eines See- igels, wie man sie neuerdings manchmal zu sehen bekommt, nicht mit jedesmaliger Produktion, wie man es früher machen mußte, so zur Zeit des Sonnenmikroskops , sondern in Films, die ein für allemal gefertigt werden und meist in wissenschaft- lichen Kreisen bleiben. Hierher gehören auch die Darstell- ungen der Bewegungen der Flügel, zumal bei Insek- ten (Fliegen, Wasserjungfern), welche dem bloßen Auge wegen ihrer Raschheit unsichtbar sind ; mittels außerordent- licher Geschwindigkeit der Aufnahme (1500 in der Sekunde) und etwa 100 facher Verlangsamung der Äbrollung des so ge- wonnenen Films; so auch das Durchfliegen einer abgeschosse- nen Flintenkugel durch eine Seifenblase, .\hnlich, mit Zuhilfe- nahme von Röntgenaufnahmen und Wismutgaben, veranschau- licht man die peristaltische Bewegung des Darms, das Vor- rücken der Nahrung vom Rachen eines Frosches bis zum Darm. C. B. Klunzinger. Herrn Oberlehrer W. Fuhrmeister in Eichenwalde kann ich folgende Artikel empfehlen: I. 1907 in der „Wochenschrift für Aquarien- und Terrarien künde" (Braunschweig). Herrn. L ö n s , Freilandaquarien S. 609, 2. Ebenda: E. Seeger, Freilandterrarium S. 16, 25, 39, 3. Ebenda 1908: Jesch, Freilandaquarien S. 481 — 484 4. Ebenda 1910: Thumm, Freilandfischzuchtanstalten S. 33 5. 1912 in den ,, Blättern für Aquarien- und Terrarienkunde" Stuttgart: Kranz, Der Gartenteich. S. 307. 6. Riedel JVIein Teich. S. 149. 7. Schmalz, Teiche aus Dachpappe S. 154. Seh malz, Verbesserung von Terrarienteichen. S. 619, S. Ebenda 1913 : Reintgen, Unsere Freilandanlagen. S. 796, 9. Ebenda 1913: Schortmann, Mein Freilandaquarium S. 636. 10. Zernecke, Leitfaden für Aquarien- und Ter^ rarienfreunde, 4. Aufl., 1913, S. 321. Gerühmt werden die Freilandaquarien der ,, Biologischen Gesellschaft" in Frankfurt a. M. Aus eigener Anschauung kenne ich das Freilandterrarium im Humboldhain in Berlin und das kleine im Tiergarten Doggenburg in Stuttgart. C. B. Klunzinger. Literatur. Dugmore, A. Radclyfi", Wild- Wald -Steppe. Waidmanns- fahrten in Britisch-Ostafrika. Mit 132 Bildern. Aus dem Englischen übersetzt von Hans Eisner. S°. 252 S. Leipzig, R. Voigtländer's Verlag. — Geb. 6,50 Mk. Sieberg, .\ugust, Einführung in die Vulkankunde Süditaliens. Mit 2 farbigen .Ansichten sowie 67 Abbildungen und Karten im Text. 8". 226 S. Jena '14, G. Fischer. — 4 Mk. Gradmann, Dr. Robert, Das ländliche Siedelungswesen des Königreichs Württemberg. Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde usw. Bd. 21, Heft I. Stuttgart, I. Engelhorn's Nachf Voigt, Alban, Die Riviera. Junk's Naturführer. Berlin '14, W. Junk. — Geb. 7 Mk. Ascherson, P. und Gräbner, F., Synopsis der mittel- europäischen Flora. 83. Lieferung. Bd. V. Chenopodia- ceae (Schluß) Amarantacae. Bogen lo — 14. Leipzig und Berlin '13, W. Engelmann. — 2 Mk. Essays and Studies presented to William Ridgeway on his sixtieth birthday 6. August 19 13. Edited by E. C. Quiggin. Cambridge '13, Cambridge University Press. Inhalt; Alois Czepa: Schutzfärbung und Mimikry. (Schluß.) — Einzelberichte: Heape: Eine neue Erklärung von Exogamie und Totemismus. Frobenius: Probleme der afrikanischen Völkerpsychologie. Ekman: Marine Relikte der nordeuropäischen Binnengewässer. Stark: Darstellung von Argon. — Kleinere Mitteilungen: Hetper: Bestim- mung des Methylalkohols in Spirituosen. Ditmar: Stickstoffquellen. — Bücherbesprechungen: Friedrich Dahl: Vergleichende Physiologie und Morphologie der Spinnentiere unter besonderer Berücksichtigung der Lebensweise. — Anregungen und Antworten. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße Ha, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzen Reihe 29. Band. Sonntag, den 15. Februar 1914. Nummer y. Welche Bedeutung haben [Nachdruck verboten.l Von Privatdozent L)r, Fi Bekanntlich unterscheiden sich die Käfer von den anderen Insektenordnungen durch den cha- rakteristischen Besitz von zwei verschieden aus- gebildeteo Flügelpaaren. Die Flügel des Meta- thorax sind ungewöhnlich groß, membranös und elastisch. Nur sie allein bewerkstelligen die aktive Fortbewegung des Tieres, indem sie durch häufige und energische Schläge einen wirksamen Luft- widerstand erzeugen, der das Tier in die Höhe hebt und vorwärts treibt. Die Deckflügel da- gegen stellen harte und steife, etwas gewölbte Flächen dar, die in der Ruhe auf dem durch die beiden hinteren Brustringe und den Hinterleib gebildeten Stamm aufliegen. So erhalten die Hinterflügel den denkbar besten Schutz, der noch dadurch erhöht wird, daß die Elytren durch die große Anzahl von 1 5 Gesperren mit dem Stamm verschlossen sind. Will sich der Käfer zum Flug erheben, so stellt er die Elytren hoch, bis sie schief nach hinten und oben vom Körper ab- stehen. In dieser Lage können sie nur leise fibrieren. Welche Bedeutung die gehobenen Elytren für den fliegenden Käfer besitzen, darüber weichen die Anschauungen bedeutend ausein- ander und wer sich in der Literatur Rat holen will, der stößt auf diametral entgegengesetzte Theorien, die sich in buntem Wechsel im Laufe eines Jahrhunderts gegenseitig ablösen. In_ der folgenden Tabelle gebe ich eine historische Über- sicht der Anschauungen aus wissenschaftlichen Untersuchungen. Die zum Teil ganz absurden Mutmaßungen populärer Schriftsteller lasse ich dabei unerwähnt. 1820. Chabrier Durch ihre Bewe- gung unterstützten die Elytren aktiv die Arbeit der Hinter- flügel. Die Elytren haben auf den Flug keinen Einfluß. Die Elytren haben auf den Flug keinen Einfluß. Girard Die Elytren haben auf den Flug keinen Einfluß. Bert Die Elytren dienen zum Equilibrieren. Plateau schließt sich Bert an. Pettigrew . Die Elytren sind Tragflächen, die dem Käfer den Flug erst ermöglichen. 1828. Strauß Dürckheim 1849. Redtenbacher 1862. 1866. 1872. 1875. die Deckflügel der Käfer? itz Stellwaag, Erlangen. 1879. Jousset de Bellesme . Die Elytren sind als .Steuerorgane aufzu- fassen, durch deren Gewicht das Tier während des Fluges die Richtung ändert. 1889. Ungern Sternberg . . Die Elytren haben den Wert von Trag- flächen. 1892. Hoffbauer Die Elytren haben auf den Flug keinen Einfluß. 191 1. Sajo Die Elytren verhin- dern den Käfer geradezu am ge- wandten Flug. 191 1. Pütter Die Elytren sind feststehende Segel- flächen. 1913. Voß Die Elytren haben den Wert von Drachenflächen. Die hier wiedergegebenen Theorien lassen sich in 5 Gruppen teilen. Darnach unterscheiden wir: 1. Theorie der aktiven Beteiligung am Flug. 2. Theorie, daß die Elytren am Flug voll- kommen unbeteiligt sind. ' 3. Theorie von der Schädlichkeit der Elytren. 4. Theorie der Schwerpunktsverlagerung durch das Gewicht der Elytren. 5. Tragflächentheorie. Keine dieser Ansichten vermag bei kritischer Betrachtung zu befriedigen. Zum aktiven Flug nach Art der Hinterflügel kann der Vorderflügel niemals tauglich sein, denn ein wirksamer Flügel muß neben vielen anderen Eigenschaften notwendigerweise einen steifen Vorderrand und eine nachgiebige Fläche besitzen, wenn er den erzeugten Luftwiderstand ausnützen will. Außerdem muß er energische Schläge und ganz bestimmte Drehbewegungen ausführen. Aber wie schon erwähnt wurde, bildet der Deckflügel eine steife und unelastische Platte, die nur geringe Ausschläge machen kann. Sie ist außerdem nur sekundär und in vertikaler Richtung beweglich. Kann ihm aber eine Bedeutung als Luftruder nicht zugesprochen werden, so bleibt zunächst nur übrie, ihn als reines Schutzorgan zu betrachten. Das ist die ganz natürliche Überlegung der An- hänger der zweiten Theorie. Dafür sprechen auch gewichtige Gründe, die sich kurz in vier Punkten zusammenfassen lassen. I. Nur in wenigen Fällen fehlen die Elytren oder treten als kleine Schüppchen auf. Sonst 98 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 7 sind sie immer, obgleich in wechselnder Größe vorhanden, auch wenn die Hinterflügel nur schwach entwickelt sind. Das klassische Beispiel bilden die Carabiden. Wären die Elytren Fkigorgane, so hätten sie für flugunfähige Tiere keinen Nutzen. 2. Die große Zahl der Histeriden und Staphi- liniden hat vorzüglich fliegende Vertreter, trotz- dem die Elytren abgestutzt oder abgekürzt sind. 3- Die Cetoniinen heben ihre Elytren über- haupt nicht. 4. Schneidet man die Elytren bis auf ein Drittel der Körperlänge ab, so vermag der Käfer scheinbar unbeschadet zu fliegen. Somit kommen zwar die Elytren als aktive Flugorgane nicht in Betracht, allein es bleibt die Frage offen, ob ihnen nicht eine sekundäre Be- deutung für den Mug beizumessen ist. Denn mit Ausnahme der Cetoniinen heben alle Käfer die Elytren vor dem Fluge hoch. In dieser Stellung m ü s s e n sie einen Luftwiderstand erzeugen. Dieser kann allerdings für den Käfer schädlich oder nütz- lich sein. Leider hat Sajo, der sich für den ersteren Fall entscheidet, seine Anschauung, die um so weniger wahrscheinlich ist, als ja von den zahllosen Käfern nur Cetonia abweicht, nicht ein- gehend wissenschaftlich begründet. Ebensowenig begründet scheint die von vielen Seiten bedingungslos wiederholte Theorie der Schwerpunktsverlagerung durch das Gewicht der Elytren. Plateau hat zwar den Versuch ge- macht, sie eingehend zu beweisen, allein er be- nützte eine Methode, die für seine Zwecke nicht ausreichte. Er stellte zunächst den Schwerpunkt des Käfers in der Ruhelage und dann bei einem gespannten Käfer fest. Auf Grund seiner Ver- gleichszahlen gelangte er zu dem Schluß, daß der Körper des Tieres während des Fluges ständige Oszillationen durch Verlagerung des Schwer- punktes nach vorn und hinten erfährt, indem die Elytren verschiedene Lage einnehmen. Durcli seine Messungen aber hat Plateau nur gefunden, daß das Tier in der Ruhe einen anderen Schwer- punkt besitzt als während des Fluges. Es ist ihm gar nicht möglich, den Beweis zu führen, daß die Deckflügel nennenswerte orocaudale Bewegungen machen, denn dabei würden sie die Hinterflügel bei ihren Schlägen stören oder den Flug ganz beeinträchtigen. Minimale Schwankungen der immerhin sehr leichten Deckflügel wären trotz- dem wohl nicht ausgeschlossen, allein sie würden so geringen Einfluß ausüben, daß dieser reichlich durch Windstöße und Luftströmungen aufgehoben würde. Aber auch diese sind nur in ganz ge- ringem Umfange möglich, wie die anatomische Untersuchung lehrt. *) Die historische Tabelle zeigt, daß die modernen Forscher zur Tragflächentheorie neigen, die Ungern Sternberg unabhängig von Pettigrew auf- ') Siehe: Der Flugapparat der Latnellicornier von Dr. F. Stellwaag. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. CVIII. gestellt und durch ein Experiment begründet hat. Er fand nämlich, daß ein Käfer, dem die Deckflügel abgeschnitten oder gestutzt sind, nicht mehr imstande ist zu fliegen. Leider hat Ungern Sternberg nur dieses eine Experiment ange- stellt. Sonst hätte er beobachtet, daß Käfer, die aus irgendeinem Grunde im Fluge innehalten, etwa wenn sie gegen eine Wand stoßen und die Hinterflügel nicht mehr bewegen können , wegen ihres bedeutenden Gewichtes schnell und hart zu Boden fallen. Das Segelvermögen der Käfer ist das geringste, das unter den echten Flugtieren vorkommt. Sollte der Käfer mit Hilfe seiner Elytren nur einen kurzen Gleitflug ausführen können , so müßte er nach mathematischen Be- rechnungen unter sonst gleichen Umständen eine vierfach größere Elytrenfläche besitzen. Die Theorie Sternberg's aber verlangt eine acht- fach größere Fläche, d. h. beispielsweise: die Deckflügel des Maikäfers müßten eine Fläche haben, so groß, wie Vorder- und Hinterflügel des Schwalbenschwanzes zusammen genommen. Weiterhin spricht gegen Sternberg folgen- der Versuch : Man kann die Elytren durch Schnitte und Löcher stark beschädigen, wobei der Käfer im Flug keinen merklichen Schaden leidet. Ferner kann man die Elytren stückweise bis auf einen ganz kleinen Stummel verkürzen, ohne daß die Manipulation zur Flugunfähigkeit führt. Der Käfer fliegt ohne Elytren nur schwankend und aufrecht, aber durchaus nicht unbeholfen, wenn man ihm nur Zeit läßt, sich nach und nach an den neuen Zustand zu gewöhnen. Endlich lehrt die genaue Beobachtung, daß es den Käfern nicht nur mög- lich ist, nach rückwärts und aufwärts zu fliegen, sondern, daß sie diese Richtung sogar bevorzugen, wenn sie sich von ihrem Unterstützungspunkt erheben. Jeder Drachenflieger vermag im Gleit- flug niederzugehen. Daß der Käfer zum richtigen Gleitflug unfähig ist, kann man sehr einfach nach- weisen, wenn man ein getötetes Tier in die Flug- lage bringt und zu Boden fallen läßt. Nur in besonders günstigen Fällen landet das Tier in einer steilen Fallkurve ein wenig weiter von dem Punkt entfernt, den es beim vertikalen Fall ohne ausgestreckte Flügel erreicht hätte. Die bisherigen Erörterungen ergeben, wie schwierig es ist, über die Frage nach der Bedeu- tung der Elytren klar zu werden. Die physikali- schen Erscheinungen der Kreis- und Wirbelströme, die eine große Rolle spielen, bilden für sich ein schwieriges Problem, das bisher nicht angeschnitten wurde und auch im folgenden gar nicht erörtert werden soll. Hier handelt es sich in der Haupt- sache um die biologische Seite der Frage. Die Untersuchungen von Plateau ergeben die merkwürdige Tatsache, daß der Schwerpunkt aller von ihm untersuchten Käfer ungewöhnlich weit hinter der Flügelwurzel liegt, obwohl er sich doch bei anderen Fliegern, besonders bei den Vögeln stets zwischen den Flügelachsen oder etwas unter- halb befindet, so daß sich der zwischen den N. F. Xin. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 99 Flügeln aufgehängte Körper in stabilem Gleich- gewicht befindet. Dieser Befund erschien mir bedeutsam genug, um noch eine Reihe von Messungen an allen möglichen Käfern vorzu- nehmen. Diese ergaben, daß die Cetoniinen unter allen Käfern insofern eine .'\usnahmestellung ein- nehmen, als der Schwerpunkt fast mit der Achse durch das Ende der großen Vorderrandader jeder Seite zusammenfällt. Es bereitet ihnen daher keine Schwierigkeiten, durch folgerichtiges Aus- nützen des Luftwiderstandes dem Körper ver- schiedene Lagen zu geben. Die Cetoniinen aber heben bekanntlich beim Fluge ihre Deckflügel nicht. Wenn der Schwerpunkt, wie bei den anderen fliegenden Käfern, ziemlich weit hinter der Flügel- achse liegt, so wird beim Flug das Abdomen ab- wärts gezogen, und der Körper steht mehr oder weniger vertikal. Das ist stets bei langsamem Flug der Fall. Bei schneller Fortbewegung aber liegt der Körper annähernd wagrecht. Diese Er- scheinung kann ich mir nicht anders erklären, als daß beim raschen Flug die über den Schwerpunkt zurückgreifenden Elytren der Luft einen Teil ihrer Fläche darbieten, so daß der von ihnen erzeugte Luftwiderstand den Körper dreht, und daß das Abdomen, dessen Fläche die Wirkung unterstützt, gehoben wird. Die Elytren wirken also durch ihre Fläche und die bei schneller Bewegung sekundär erzeugte lebendige Kraft des Luftwider- standes, nicht durch das in ihnen selbst liegende Gewicht. Ich fasse sie also nicht als Balanzier- organe, sondern als Stabilisierungsflächen auf. Sie gleichen in mechanischer Beziehung jeder Ober- flächenvergrößerung des Körpers, weshalb sie kurz ausgebildet sein können wie bei den Staphiliniden, wenn der Hinterleib lang ausgezogen ist. Ihr spezieller Wert liegt darin, daß die weit hinten wirkende Schwerkraft durch eine entgegengesetzte zweite Kraft equilibriert werden kann. Die natürlichen Verhältnisse lassen sich durch ein Experiment nachahmen, wenn man einem in der Flugstellung gespannten Tier eine Nadel durch die Flügelvvurzeln und quer durch den Körper hindurchführt. Der Käfer hängt an der Achse zunächst vertikal. Erzeugt man aber vor ihm einen Luftstrom von zunehmender Stärke, so wird er in die horizontale Lage gedreht. Daraus erklärt sich die Tatsache, daß ein Käfer, dem die Elytren vorsichtig abgenommen wurden, zwar noch mäßig fliegt und gut steuert, aber trotz der angestrengtesten Tätigkeit den Kör- per nicht mehr in die günstige Fluglage bringen kann: Die Schwerkraft findet kein entsprechendes Gegengewicht. Einzelberichte. Botanik. Lichtrichtung und phototropische Erregung. Als parallelotrop bezeichnet man Pflanzenorgane, die sich dann in der Ruhelage befinden, wenn ihre Hauptachse der Angriffsrich- tung einer Reizursache parallel steht, und die durch Ausführung einer Krümmung wieder in diese Lage zu kommen streben, wenn der Reiz unter einem Winkel gegen ihre Hauptachse auf sie einwirkt. Phototropisch reizbare Organe dieser Art krümmen sich , wenn sie seitlich von Licht- strahlen getroffen werden. Es ist nun eine alte Streitfrage, ob die Reizwirkung unmittelbar von der Richtung der Lichtstrahlen abhängt, oder ob sie durch den Helligkeits unterschied an der Vorder- und der Rückseite des gereizten Organs bedingt wird. Die erstgenatmte Anschauung geht auf Julius Sachs (1879), die andere auf N. J. C. Müller (1872) zurück. Die Frage ist bis in die neueste Zeit hinein bald in diesem, bald in jenem Sinne beantwortet worden, ohne daß eine Entscheidung erzielt worden wäre. In einer Arbeit von Konrad Noack werden nun recht bemerkenswerte Versuchsergebnisse mitgeteilt, die eine Abhängigkeit der Reizwirkung von der Richtung der Lichtstrahlen sehr wahr- scheinlich macht. 1) ') Noack, Die Bedeutung der schiefen Lichtriclitung für die Helioperzepüon parallelotroper Organe. (Zeitschrift für Botanik, 1914, Jahrg. 6, S. 1—79.) Noack verwendete zu seinen Versuchen hauptsächlich die wegen ihres physiologisch ra- diären Baues und ihrer großen phototropischen Empfindlichkeit besonders dazu geeigneten Keim- scheiden (Koleoptilen) des Hafers (Avena sativa), die im Dunkeln bis zu 2—3 cm Länge gezogen wurden. Er arbeitete in einem als Dunkelkammer eingerichteten Raum eines kleinen Gewächshauses des Freiburger Botanischen Gartens, bei einer un- gefähr auf 20" sich haltenden Temperatur und unter Verwendung einer Nernstlampe, deren Strahlen zur Herstellung größerer Entfernungen mit Hilfe von zwei oder auch drei Spiegeln in dem kleinen Räume hin- und hergeschickt wur- den. Die Lichtstärke der verwendeten Nernst- brenner wurde im physikalischen Institut exakt bestimmt. Zur Abschwächung der Lichtintensität dienten Rauchglasplatten. Die Einzelheiten der Versuchsanstellung können hier nicht verfolgt werden. Das Verfahren war auf die Bestimmung der phototropischen Reizschwelle bei verschiedener Neigung der Lichtstrahlen gegen die Versuchs- objekte, die Haferkeimlinge, gerichtet. Der rezi- proke Wert der Reizschwelle kann als Maß für die Größe der Empfindlichkeit gelten, wofern man unter gleichen Bedingungen und besonders mit gleicher Lichtquelle arbeitet. Zur Auffindung der Reizschwelle wird diejenige Entfernung von der Lichtquelle festgestellt, wo die Zahl der eben lOO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 180' gekrümmten Keimlinge der der ungekrümmten Keimlinge gleich ist. Multipliziert man die Licht- intensität, die an diesem Punkte herrscht, mit der Belichtungsdauer in Sekunden, so erhält man die Reizschwelle in Meter-Kerzen-Sekunden (M.-K.-S.). Um die Lichtintensität bei schiefwinkliger Beleuch- tung zu bestimmen, mußte die Intensität des Brenners mit dem Kosinus des Ab- lenkungswinkels vom recht- winkligen Lichteinfall multi- pliziert werden , da die i-Ielligkeit der beleuchteten Fläche mit dem Kosinus dieses Winkels abnimmt. Noack beleuchtete nun die Keimlinge zuerst hori- zontal, dann unter verschie- denen Winkeln von oben, hierauf unter verschiedenen Winkeln von unten. Die gefundenen Schwellenwerte sind aus der zweiten Zeile der folgenden Tabelle zu er- sehen ; die Richtung der Lichtstrahlen unter dem beigefügten Winkel mag das nebenstehende Schema veranschaulichen. Winkel 15" 30« 45» 65° 90» 105» 120» 135O 150» Schwelle 7,3 9,5 11,9 11,18 12,2 15,8 20,3 23,7 32,4 (in M.-K.-S.) Die Betrachtung der Zahlen lehrt, daß über- raschenderweise die Schwelle, nachdem sie von 15" bis 90 " gewachsen ist, unterhalb der Horizon- talen nicht wieder abnimmt, sondern zu wachsen fortfährt. Berücksichtigt man nur die Werte ober- halb der Horizontalen, so könnte es scheinen, als ob die Annahme, daß die Reizperzepiion auf der Heliigkeitsdififerenz an Vorder- und Hinterseite des beleuchteten Objekts beruhe, zu Recht be- stünde. Fällt nämlich das Licht in schiefem Winkel auf den Keimling, so muß diese Hellig- keitsdifferenz größer sein als bei senkrechtem Ein- fall, da es einen größeren Weg im Stengel zurück- zulegen hat und also eine stärkere Absorption erfährt. Je kleiner der Einfallswinkel ist, den der Lichtstrahl mit der Vertikalen bildet, desto größer müßte sein Effekt in der Pflanze sein, desto kleiner also die Reizschwelle werden. Nun sehen wir aber, daß unterhalb der Horizontalen, wo der spitze Winkel, den der Lichtstrahl mit der Verti- kalen bildet, wieder kleiner wird, die Reizschwelle fortfährt zu wachsen, anstatt wieder abzunehmen. Für die Lichtabsorption sollte es nun ganz gleich- gültig sein, ob die Strahlen beispielsweise unter 30" oder ob sie unter 150 schwelle beträgt aber im zweiten 32,4. Hieraus geht hervor, daß physika- lisch gleiche Mengen Licht physiologisch ver- schiedene Wirkungen hervorrufen können, und man kommt zu dem Schluß, „daß die Richtung der Lichtstrahlen ausschlaggebend für die Größe des Effekts ist; die Pflanze wird von verschieden " auffallen. Die Reiz- ersten Pralle 9,5, im gerichtetem Licht verschieden affiziert, sie emp- findet also die Richtung, in der ein Lichtstrahl sie trift't". Noack glaubt auch, eine zahlenmäßige Be- ziehung zwischen Winkel und Schwellengröße feststellen zu können, indem er durch Multiplika- tion des Supplementwinkels eines jeden Wnikels mit dem zugehörigen Schwellenwert ein Produkt erhält, das um den Mittelwert 1200 pendelt. Mit Hilfe dieses Mittelwertes findet er den Schwellen- wert, der zu dem Winkel o" gehört, der also dem senkrecht von oben einfallenden Licht, d. h. der normalen Ruhelage entspricht = 1200: 180 = 6,7. Dies würde der kleinste Wert in der ganzen Reihe sein; streng genommen, wäre also die normale Ruhelage die optimale Reizlage beim Phototropismus, doch äußert sich, wie Verf. an- nimmt, die tropistische Erregung dann statt in einer Krümmung nur in einer gewissen Verlänge- rung der Koleoptilen. Versuche mit den Keimlingen von Sinapis alba und den Sporangienträgern von Phycomyces nitens, führten zu den nämlichen Schlüssen. Phycom}xes zeigt jedoch die Eigentümlichkeit, daß die Schwellenwerte mit steigender .Ablenkung des Lichtstrahls von der \'ertikalen nicht zu- nehmen, sondern fallen, so daß die theoretisch optimale Lichtrichtung, der gegenüber die Sporangienträger die größte Empfindlichkeit (= reziprokem Wert der Reizschwelle) besitzen, die Beleuchtung senkrecht von unten wäre. Diesen Ver- hältnissen entsprechend stellt sich der Sporangien- träger von Phycomyces weniger genau in die Licht- richtung ein als die Keimlinge vom Hafer und vom Senf. — Die interessanten Befunde machen weitere Versuche erwünscht. F. Moewes. Physik. Verwendung lichtelektrischer Zellen zur Photometrie der ultravioletten Sonnenstrahlung. Lädt man ein mit einer frisch geschmirgelten 1 Zinkplatte verbundenes Elektroskop mit negativer Elektrizität und läßt auf die Zinkplatte das Licht einer Bogenlampe fallen, so entlädt sich das Elektroskop in kurzer Zeit unter der Einwirkung ! der Lichtstrahlen. Läßt man das Licht der Lampe vorher durch eine Glasplatte hindurchgehen, so bleibt der Ausschlag des Elektroskopes bestehen, während eine Ouarzplatte die entladende Wirkung des Lichtes nicht aufhebt. Ist dagegen das Elektro- skop statt mit negativer mit positiver Elektrizität geladen, so hat die Bestrahlung der Zinkplatte mit Bogenlicht auf die Ladung keinen Einfluß. Die beschriebenen Versuche sind im Jahre 188S zuerst von Hallwachs ausgeführt, der zu iiinen an- geregt wurde durch die ein Jahr früher von Heinrich Hertz gemachte Beobachtung, daß die Entladung einer F''unkenstrecke durch auffallendes ultraviolettes Licht erleichtert wird. Aus den Versuchen geht hervor, daß unter dem Einfluß des ultravioletten Lichtes der Bogenlampe, das vom Quarz hindurchgelassen, vom Glase aber ab- sorbiert wird, die negative Elektrizität aus der N. F. XIII. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. lOI gereinigten Zinkoberfläche entweicht, wälirend bei positiver Ladung keine entladende photoelektrischc Wirkung stattfindet ; es entweichen aus dem Zink Atome negativer Elektrizität, Elektronen. Weitere Untersuchungen haben ergeben, daß alle Metalle I und viele andere Körper den sogenannten Hall wachs- Efifekt zeigen, einige in noch viel stärkerem Maße als Zink, so z. B. die stark elektropositiven Metalle Kalium, Natrium und vor allem Rubidium. Elster und Geitel haben Kalium- und Natriumamalgam oder auch die flüssige Legierung von Kalium und Natrium in luftleere Glasgefäße gebracht und auf diese Weise lichtclektrische Zellen hergestellt, in denen schon eine Entladung negativer Elektrizität stattfand, wenn auf die blanke Metalloberfläche crewöhnliches sichtbares Licht z. B. der Sonne oder einer Petroleumlampe fiel. — Da die Menge der die wirksame Oberfläche verlassenden Elektrizität der auffallenden Lichtmenge proportional ist, lag der Gedanke nahe, lichtelektrische Zellen zu photo- metrischen Zwecken zu benutzen. Doch zeigt sich hier eine Schwierigkeit: stellt man den zu Anfang erwähnten Versuch mit einer etwa ^2 Stunde alten Zinkoberfläche an, so entlädt sich das Elektroskop viel langsamer; man spricht demgemäß von einer Ermüdung der Metalloberfläche. Eine alte Ober- fläche ist lichtelektrisch unwirksam; durch erneutes Abschmirgeln kann man sie wieder wirksam machen. Die Ermüdungserscheinungen sind wahrscheinlich einer Oxydation zuzuschreiben, da sie im Vakuum und im Wasserstoff nicht stattfinden. In dem ersten Heft des Jahrgangs 1914 der Physikalischen Zeitschrift beschreiben die Herren Elster und Geitel, die sich besonders um die Erforschung der photoelektrischen Erscheinungen verdient gemacht haben, Kadmium- und Zinkzellen, die zur Photometrie des ultravioletten Sonnenlichtes dienen sollen. Sie haben zu diesem Zweck frülier eine amalgamierte Zinkkugel im\'akuum verwendet, doch zeigt sie si^-h nicht konstant, da das Queck- silber allmählich in das Zink hineindift'undiert, wodurch sich der Quecksilbergehalt der Oberfläche und damit ihre lichtelektrischen Eigenschaften ändern. Die neuen Zellen bestehen aus einer Hohlkugel aus Uviolglas (diese von der Firma Schott u. Gen., Jena, hergestellte Glassorte läßt ultraviolettes Licht bis herab zur Wellenlänge 2i5/(/( = 2i5 Milliontel Millimeter durch). Die innere Oberfläche der Glaskugel ist zum Teil mit einer durch Destillation im Vakuum hergestellten Kadmium- resp. Zinkschicht überzogen ; eine in das Glas eingeschmolzene Platinelektrode stellt die Verbindung mit der Metallschicht her. Der Schicht gegenüber, aber von ihr isoliert, steht in der Mitte der Glaskugel eine zweite ringförmige Elektrode. Der Glaskörper ist mit verdünntem Argon gefüllt. Verbindet man die lichtelektrisch wirksame Schicht mit dem negativen und die ringförmige Elektrode mit dem positiven Pol einer 1 10- Volt-Leitung und belichtet mit ultraviolettem Licht, so treten die Elektronen aus der Metallfläche und wandern zum positiven Pol. Es geht also ein Strom durch die Zelle, der durch ein in die Zuleitung gelegtes Galvanometer (Empfindlichkeit 10"" Ampere) nachgewiesen und gemessen wer- den kann. Die Zellen wurden mit den Strahlen einer Heraeus'schen Ouecksilberlampe untersucht; es ergab sich dabei, daß ihre Lichtempfindlichkeit konstant ist, sie ermüden nicht. Ihr Photostrom nimmt mit dem Quadrat ihrer Entfernung von der Lampe ab. Die Zinkzelle spricht schon auf äußerstes noch sichtbares Violett (400 /(/(), die Kadmiumzelle auf UUraviolett (390 /(/() an, so daß die Zellen für das Intervall von 400 resp. 390 bis 224 ftfx verwendbar sind. Das llviolglas läßt nämlich Licht von der Wellenlänge 224 /((( noch gut durch, während solches bis 215 f.iu nur wenig durchgelassen wird. Dieses Intervall ist indessen für die Photometrie der ultravioletten Sonnen- strahlung durchaus ausreichend, da Versuche er- geben haben, daß im Sonnenlicht selbst in 9000 m über dem Meere kürzere Wellen als 291 (^ij-i nicht vorkommen. Die kürzeren Wellenlängen werden schon in den höchsten Schichten der Atmosphäre absorbiert. Dr. K. Schutt, Hamburg. Zoologie. Sauerstofifgehalt und Fauna des Tiefenwassers unserer Seen. Das Bild der Tiefen- fauna unserer Binnenseen wird ausschlaggebend beeinflußt durch das Massenauftreten der Larven der Zuckmücken (Chironomiden); und zwar sind für die norddeutschen und dänischen Seen im allgemeinen charakteristisch die Larven der Gattung Chirouviuiis, für die subalpinen Seen die Larven der Gattung Taiiytarsiis. Die Maare der Eifel sind z.T. Tanytarsusseen , z.T. Chironomusseen. In den flacheren Maaren (Schalkenmehrener Maar 2 1 m, Holzmaar 21m, Meerfelder Maar 1 7 m ) besteht die Tiefenfauna vor allem aus den großen roten Larven von ÜiirojioimtsbatJwphihis, einer Tubifexart aus der Verwandtschaft von Tiibifcx tiibifcx und der Erbsenmuschel P«/i:////w//cj7///;//; in den tieferen Maaren (Pulvermaar 74 m, Weinfelder Maar 51 m, Gemündener Maar 38 m) fehlt Pisidi/iiii ; die hier vorkommende Tubifexart ist T. velutiiius, und statt der Chironomuslar\-en treten die Larven einer Art der Z'c?/.')'/'(?;-5/Mgruppe in Massen auf. Woher dieser Unterschied in der Besiedelung so dicht benachbarter Wasserbecken? Der Unter- schied in der Tiefe an sich kann keine Rolle spielen, die thermischen Differenzen sind auch nicht so bedeutend, daß sie die große Verschiedenheit in der Tiefenfauna erklären könnten. Auffallend ist es, daß die Tiefenfauna der Chironomusseen (Ciiiroiioiiiiis, Tiibifcx tiibifcx) in hohem Maße der Fauna der durch organische faulende Stofi'e stark verunreinigten Gewässer ähnelt, und daß anderseits Tanytarsusarten nie in solchen verunreinigten Gewässern auftreten. Wir wissen weiterhin, daß der Einfluß, den die Fäulnis auf die Zusammensetzung der Wasserfauna ausübt, vor allem auf dem Sauerstofischwund im Wasser beruht. I02 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. Wenn sich also nachweisen ließe, daß in der Tiefe der Chironomusseen im Sommer, zur Zeit der thermischen und chemischen Schichtung des Wassers, bedeutend weniger Sauerstoff im VVasser gelöst ist, als in den Tanytarsusseen, so wäre die Verschiedenheit der Tiefenfauna beider Seetypen dem Verständnis um Vieles näher gebracht. Das ist nun talsächlich der Fall! (A. Thienemann, Int. Revue d. ges. Hydrobiol. u. Hydrogr. VI, 191 3, S. 243 ff). Die in den Eifelmaaren im August 191 3 gewonnenen Sauerstoffzahlen zeigen folgen- des: I. Tanytarsusmaare: Sauerstoffgehalt in ccm pro Liter Wasser im Gemiindener Maar im Weinfelder Maar (3- VIII. 13) (8. VIII. 13) o m (19,7 ") = 7,32 ccm o m (16,5 ") = 7,32 ccm 5 m (16,4") = 7,59 ccm 20 m (6,4") = 8,82 ccm 25 m (4,9")==; 8,25 ccm 50 m (4,6") = 8,25 ccm 38 m (4,8") = 7,77 ccm II. Chironomusmaare: im Schaikenmehrener Maar im Holzmaar (4. VIII. 13) (6. VIII. 13) om(i9,o") := 7,80 ccm o m (18,1 ") = 7,99 ccm 10 m (8,5") = 8,42 ccm 5 m (15,2") = 8,25 ccm 1 5 m (6,5 ") = 6,72 ccm 7 m ( 10,1 ") = 7,67 ccm 20 m (6,4'*) = 3,49 ccm 10 m (7,8") = 5,30 ccm 19 m (6,5 "j= 1,55 ccm .■Mso im Tanytarsusmaar auch im Hochsommer in allen Schichten Sauerstoffsättigung des Wassers, im Chironomusmaar im Sommer in der Tiefe ein weitgehender Sauerstoffmangel (Messungen aus dem Oktober zeigten noch größere Differenzen). Und nach den bis jetzt vorliegenden Untersuchungen dürfen wir annehmen, daß alle Chironomusseen Norddeutschlands und Dänemarks im Sommer ebenfalls ein sauerstoffarmes Tiefenwasser besitzen; die wenigen Sauerstoffbestimmungen, die in einem subalpinen See (Genfer See) gemacht wurden, zeigen, daß hier, in einem typischen Tanytarsus- see im Sommer auch in Tiefen von 250 m an- nähernd Sauerstoffsättigung herrscht. Daß die Verschiedenheit in der Sauerstoff- verteilung bei beiden Seetypen natürlich auch in manch anderer Beziehung biologisch von Bedeutung sein wird (z. B. für die Planktonschichtung und -Wanderungen), kann hier nur angedeutet werden ; spätere Untersuchungen müssen hierüber erst Auf- schluß geben. Auf jeden Fall scheinen Chironomus- und Tanytarsussee zwei hydrographisch und bio- logisch wohl charakterisierte extreme Typen der temperierten Binnenseen darzustellen, die bisher merkwürdigerweise noch nicht unterschieden wor- den sind. Thienemann (Münster i. W.). Das Geruchsvermögen der Bienen. Nach der Anschauung von Andreae und Forel kommt den Bienen nur ein geringes Geruchsvermögen zu. Zum Beweise dafür brachte Forel eine mit etwas Honig beschickte und mit Gaze über- spannte Schale vor das Flugloch des Stockes und fand, daß die Tiere von dem Honig keine Notiz nahmen. Ausgehend von der Beobachtung, daß bei Hantierungen wie Honigschleudern und Wachs- auslassen die Bienen sich in großer Zahl einfinden, stellte Zander (Biol. Centralblatt Bd. XXXIII, Nr. 12) planmäßig Versuche an, indem er von April bis September je zweimal im Monat nach der Vorschrift Forel's die Schale auf das h'lug- brett oder das Dach des Stockes stellte, jedoch so, daß die grüne Drahtgaze den Honig vor den Augen der Bienen verbarg. Der Erfolg der Be- obachtungen war, daß die Schale unbeachtet blieb, solange die Tracht und die klimatischen Verhält- nisse günstig waren. War dagegen die Tracht schlecht, so sah man die Bienen überall nach Honig herumwittern, und die Schale war dicht belagert. Daraus ergibt sich zunächst der Schluß, daß man den Bienen ein feines Geruchsvermögen zuerkennen muß, und weiter, daß sie die Fähig- keit besitzen, zu lernen und ihre Tätigkeit ent- sprechend den äußeren Verhältnissen zu modi- fizieren. Dr. Stellwaag. Chemie. Über eine chemisch-aktive Modifika- tion des Stickstoffs hat der bekannte englische Physiker R. J. Strutt seit dem Jahre 1911 eine Reihe von Mitteilungen (Proc. Roy. Soc. London 85, 219 [191 1]; 8ß, 179 und 302 [1912]; 88, 539 [191 3]) veröffentlicht. Setzt man ,, reinen" Stick- stoff bei einem Druck von 1 bis 10 mm der Wirkung einer elektrischen Entladung aus, so be- merkt man in dem Entladungsraum ein eigen- tümliches gelbes Leuchten von wolkigem .Aus- sehen, das sich, wenn man durch das Entladungs- rohr einen Stickstoffstrom gehen läßt, mit dem Strome fortbewegt und so aus dem eigentlichen Entladungsraum herausgebracht werden kann. Strutt schreibt die Ersciieinung der Entstehung einer bisher unbekannten aktiven Modifikation des Stickstoffs zu, die allerdings wenig beständig sei und sich spontan unter Ausstrahlung eben jenes gelben Lichtes wieder in gewöhnlichen Stickstoff zurückverwandele. In der Tat klingt das Leuchten, wenn es aus dem Entladungsraum entfernt ist, rasch ab — innerhalb weniger Sekunden bis zu höchstens etwa einer Minute. An der Erscheinung selbst, die übrigens schon früher von W a r b u r g u. A. beobachtet worden ist, ist nicht zu zweifeln, ihre Deutung durch An- nahme einer besonderen Modifikation des Stick- stoffs hat aber keineswegs allgemeinen Beifall ge- funden. Besonders wies P. Lewis (Phil. Mag. [6] 25, II, 326; 191 3) darauf hin, daß wirklich reiner Stickstoff die Erscheinung nicht zeige, daß das gelbe Nachleuchten vielmehr nur auftrete, wenn der Stickstoff durch Spuren von Sauerstoff verunreinigt sei, und zu demselben Ergebnis kam F. Comte (Physik. Zeitschr. 14, 74; 191 3) bei seinen auf Veranlassung von E. Baur angestellten Versuchen, während A. König und E. El öd (Physik. Zeitschr. 14, 165; 191 3) wieder die von N. F. XIII. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 103 Strutt erlialtenen Resultate bestätigten. In diesen Widerstreit der Meinungen scheinen nun neue, unter besonders reinen Bedingungen ange- stellte Versuche von Erich Tiede und Emil Domcke (Ben d. Chem. Gesellsch. 46, 4095; 1913) eine Entscheidung in dem Sinne gebracht zu haben, daß absolut sauerstofffreier Stickstoff die fraglichen Erscheinungen tatsächlich nicht gibt. Tiede und Domcke benutzten für ihre Ver- suche nicht den stets sauerstoffhaltigen und der vollkommenen Reinigung große Schwierigkeiten entgegensetzenden Luftstickstoff, sondern stellten in ihrem Versuchsapparate selbst vollkommen sauerstofffreien Stickstoff aus einer sauerstofffreien, ohne Kristallwasser kristallisierenden leicht in sehr reiner Form zu erhaltenden Verbindung, dem Baryumsalz Ba(N3)3 der Stickstoffwasserstoffsäure HN3, her. Ihr verhältnismäßig einfacher Versuchs- apparat bestand aus einem einerseits an eine Gaedepumpe angeschlossenen, andererseits mit einem etwa 2 g Baryumazid enthaltenden Gefäß verbundenen Entladungsrohr. Der einzige Schliff des Apparats zwischen dem Entladungsrohr und dem Baryumazidgefäß war ganz fettfrei mit Queck- silber gedichtet. Nachdem der Apparat evakuiert und, soweit wie möglich, von etwaigen, an den Wandungen haftenden oder von den Elektroden okkludierten Luflresten befreit war, wurde das Baryumazid erhitzt, wobei es unter Schwarz- färbung in seine Elemente zerfiel. Der zunächst entweichende Stickstoff zeigte bei Einschaltung des elektrischen Stromes im Entladungsrohr noch deutlich das gelbe Nachleuchten, offenbar weil noch geringe Spuren von Sauerstoff im Apparat vorhanden waren. Würde aber der Apparat auf die beschriebene Weise drei- oder viermal mit Stickstoff bis zu einem Druck von etwa 40 mm gefüllt und der Stickstoff dann wieder abgesaugt, so verblaßte das Nachleuchten allmählich und ver- schwand schließlich vollständig, mochten die Ver- suche bei hohem oder niedrigem Stickstoffdruck, im ruhenden oder im strömenden Gase vorge- nommen werden. Ließen Tiede und Domcke aber in geeigneter Weise eine Spur Sauerstoff in den Apparat, so trat das gelbe Nachleuchten so- fort wieder auf und verschwand wieder, sobald auch die letzten Reste des Sauerstoffs durch neu entwickelten Stickstoff verdrängt wurden. Die Versuche ließen sich beliebig wiederholen. Da es nach der Versuchsanordnung ausge- schlossen ist, daß etwa aus dem Baryumazidrohr entweichende Baryumdämpfe in das eigem liehe Entladungsrohr gelangen und dort die Entstehung des gelben Leuchtens verhindern konnten,') und auch von der Schliffstelle her kommende Queck- '■) Zwischen dem Baryumazidgefäli und dem Entladungs- rohr befand sich ein mit diesem verschmolzenes Kondensrohr, das etwa die Form einer Gaswaschflasche besaß, mit Glas- wolle gefüllt war und in flüssige Luft getaucht werden konnte. Etwaige aus dem Baryumazidgefäß entweichende Baryum- dämpfe wären hier zurückgehalten worden. silberdätTipfe sicher keine Rolle gespielt haben, ') so dürfen die Versuche von Tiede und Domcke wohl bis auf weiteres als eine Widerlegung der Strutt 'sehen Annahme von der Existenz einer aktiven Modifikation des Stickstoffs angesehen werden. Mg. Geographie. A. Ilettner, „Rumpfflächen und Pseudorumpfflächen" (G. Z. 191 3, H. 4). Die Lehre von den Rumpfflächen hat ihren Ausgangspunkt bei Ramsay, der 1846 die Einebnung von Süd- Wales durch marine Denudation erklärte. Später machte F. v. Rieht ho fen im südlichen China ähnliche Beobachtungen und erklärte ebenfalls die dortigen Hochflächen durch marine Abrasion, mit der er die Transgression in Verbindung brachte. Eine andere Theorie führt die Bildung der Rumpf- flächen auf festländische oder subaerische Eineb- nung zurück. Neumayr und Penck haben sie zuerst in Deutschland eingeführt, ebenso hat A. Hettner zuerst versucht, sie auf die Ober- flächengestaltung der Sächsischen Schweiz anzu- wenden (1887). Davis hat sie auf die Appa- lachen, ein gefaltetes Land, zuerst 1889 angewandt, und dann immer weiter ausgebaut. Sie ist durch ihn zu einem besonderen Rüstzeug der Morpho- logie geworden. Die Terminologie ist nicht ganz einheitlich. Den Ausdrücken Peneplain, Fast- ebene, Halbebene oder Abrasionsfläche gegenüber ist der neutrale von v. Richthofen eingeführte Ausdruck Rumpf fläche oder Rumpfebene vor- zuziehen. Die Rumpfnatur ist bei steil gestellten oder gefalteten Schichten am deutlichsten, aber sie ist nicht auf Faltengebirge beschränkt, sondern auch in Schollen- und Tafelländern können Rumpf- flächen erzeugt werden. Zur Bildung einer Rumpf- fläche bedarf es sehr langer Zeiträume, sie wird bei Davis verbunden mit der Theorie der Alters- und Entwicklungsstufen und ist die charakteristische Form des Greisenalters. Nur ausnahmsweise ist die Entstehungsweise aus dem Vorkommen allein schon zu schließen. Strandplatten sind wahrscheinlich mariner Ent- stehung. Andererseits sehen wir Rumpfflächen in Verbindung mit alten Talböden, also fest- ländischer Entstehung. Schwieriger ist die Ent- scheidung bei fiissilen Rumpfflächen, und für jeden einzelnen P'all sind genaue Untersuchungen nötig. Die Einebnung wird in beiden Fällen ungefähr auf das Meeresniveau erfolgen, bei Rumpfflächen in größeren Höhen muß nachträgliche Hebung angenommen werden. Bei mariner Abrasion ist die Ent>tehung eines Gefällsbruches am aufragen- den Lande gegeben, bei der festländischen Ab- tragung müssen wir dagegen eine gleichmäßige Abtragung annehmen; Piedmontebenen sind da nicht ohne weiteres erklärbar. Unebenheiten sind ') Wurde die Verbindung zwischen dem Baryumazidgefäß und dem Kntladungsgefäß anstatt durch Schliff mit Queck- silberdichtung durch Verschmelzen hergestellt, so bliebeu die Ergebnisse der Versuche die gleichen. I04 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 7 erstens durch Härteunterschiede gegeben; bei fest- ländischer Einebnung kommen außerdem die Formen der Talsysteme und wasserscheidenden Rücken in Betracht. So kommt Hettner zu dem Schluß, daß die Bildungsweisen der Rumpf- flächen in mancher Beziehung noch unklar sind. Auch Passarge hat die Einebnung in feuchten Waldgebieten für unwahrscheinlich erklärt. Diese Einsicht in die Unvolikommenheit beider Theorien hat Passarge dazu geführt, eine dritte Theorie aufzustellen, daß die Rumpfflächen durch die Wirkung des Windes in einem mesozoischen Wüstenklima entstanden seien. ^) Die Möglich- keit dieser Bildungsweise ist nicht in Abrede zu stellen, jedoch besteht dabei eine Beschränkung auf Trockengebiete und Unabhängigkeit von der Meereshöhe. Eine andere Art von Rumpfflächen kann nach Passarge durch den Bodenfluß im polaren Klima entstehen. Diese Erklärung kommt für die große Zahl der in extremen Klimaten bestehen- den Rumpfflächen in Betracht. In Zentralgebieten, in denen eine ge- wisse Verwandtschaft mit äolischer Einebnung besteht, tritt außer der Abtragung durch Wind auch die durch Wasser in Tätigkeit; die von den Gebirgen herabkommenden Flüsse transportieren große Schuttmassen, auf die der Wind einwirken kann. Auch Karstgebiete müssen als Klima- zonen aufgefaßt werden. Durch die unterirdische Versickerung des fließenden Wassers und die da- durch verursachte Auflösung kann eine Einebnung erfolgen. Auf den Wechsel der Kräfte in bestimmten klimatischen Höheiizonen machte Ed. Richter aufmerksam. Durch Zurücklegung glazialer Kare und Abtragung der treimenden Gratwände können Karplatten entstehen ; auch die trennenden Kämme werden abgetragen, so daß an die Stelle des ehe- maligen Kammes eine Hochfläche treten wird. An der Lage im Niveau der Firngrenze und an der glazialen Bearbeitung können solche Hoch- flächen erkannt werden. Auch Passarge wendet diese Erklärung der klimatischen Höhengürtel an. -) In der Mattenregion findet eine starke Ab- tragung statt, so daß in der Waldgrenze gleich hohe und gerundete Kammformen entstehen. Bei flacher oder schwach geneigter Lagerung entstehen Landterrassen in Abhängigkeit vom Gestein (Stufen- und Terrassenlandschaften der Sächsischen Schweiz, Coloradokanon). Das maß- gebende Motiv hierbei ist das Zurückweichen von Felswänden und Landstufen, meist durch die unter- minierende Wirkung des Sickerwassers. Zu diesen Landterrassen scheinen auch viele Rumpfflächen der deutschen Mittelgebirge in ihrer heutigen Form zu gehören. Man kann in verschiedenen Gebirgen eine solclie Wiederentblößung alter fossiler Rumpfflächen beobachten. ') Physiologische Morphologie, Hamburg 1912, S. 181 ff. 2) a. a. 0. S. 42. So ergibt sich eine große Mannigfaltigkeit der Entstehung von Rumpfflächen. I. Eigentliche Rumpfflächen: a) durch marine Abrasion , b) durch festländische Einebnung, c) durch den Bodenfluß in Polargebieten, d) durch die Wirkung des Windes in Wüsten und Steppen. II. Hochflächen der Einebnung in abflußlosen Gebieten: a) in Zentralgebieten der Trockenzonen, b) in Karstlandschaften. III. Hochflächen bestimmter klimatischer Höhen- zonen: a) Karplatten, b) durch Entstehung in der Matten- und Waldregion, c) in trockenen steppen- artigen Höhengürteln über dem Walde. IV. Landterrassen: a) in tafelartigen Schichten, b) erneuerte, d. h. wiederentblößte Rumpfflächen. Die Altersverhältnisse der Rumpfflächen sind sehr bedeutsam. Die meisten sind geologisch alt, und gehören dem Karbon und Rotliegenden an; wieder andere sind jung (Jungtertiär und Quartär). Dagegen finden sich mesozoische sehr wenig. Die Kriterien für junge Rumpfflächen müssen eingehend geprüft werden ; besonders die Kriterien der Rekonstruktion. Die Merkmale von Rumpffläclien bestehen: I. in dem Vorkommen von Flächenstücken, die auf eine allgemeine Hebung schließen lassen. Durch kriechende Bodenbewegungen nehmen die Kämme Rückenform an, 2. in der Gipfelkon- stanz. Dabei muß aber beachtet werden, daß die Verwitterung in größerer Höhe stärker wird und einen Ausgleich erstrebt. 3. Der innere Bau der Landoberfläche muß in Betracht gezogen werden, der Widerspruch, der zwischen den Erd- oberflächenformen und der Lagerung der Schichten besteht. 4. Die Anordnung des Flußnetzes, besonders das Auftreten indifferenter Täler. 5. Das Mäandrieren der Flüsse ist ein weiterer Anhalt für die Rekonstruktion. Aber dazu genügt vielfach schon eine breite Talterrasse; es hängt auch mit der Gesteinsbeschaffenheit zusammen. So ergibt sich, daß die Anhaltspunkte für die Rekonstruktion oft ziemlich unsicher sind. Eine sorgfältige Analyse der Formen muß angewandt werden, um eine wirkliche Erklärung der Er- scheinungen zu bieten. Die Oberflächengestaltung des Harzes wird von W. Behrmann (Forschungen z. d. Landes- und Volkskunde Band XX, H. 2, Stuttgart 191 2) nach der erklärenden Methode geschildert. Schon in alter Zeit hat der Harz seiner isolierten Stellung wegen eine besondere Rolle gespielt. Der Wald ist das Charakteristische des Gebirges: die im all- gemeinen buckelige Oberfläche des Oberharzes Avird von tiefen Randtälern im Norden zerschnitten, die niederen Partien des Südharzes haben mehr lieblichen Ciiarakler. Die wechselnde morpho- logische Gestaltung hat ihren Grund in einer verwickelten geologischen Geschichte. Der Harz selbst stellt einen Rest des alten variskischen Gebirges dar, aufgebaut aus stark gefalteten paläozoischen Gesteinen. Im Norden N. F. XIII. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 105 aber, sowie rund um das Gebirge finden wir die Gesteine des Mesozoikums einschließlich Zechstein in sanften Falten; nur in der Nähe des Gebirges tritt eine Schrägstellung ein. Nach der Periode des Aufbaues, die bis ins obere Karbon reichte, erlebte der Harz eine Periode der Abtragung, deren Produkte am Südrand eine große Rolle spielen. Zechstein und Trias sind wahrscheinlich Perioden der Meeresbedeckung gewesen. Im jüngeren Mesozoikum treten ausgedehnte Perioden der .Störung ein, wobei aber das Verhalten des nördlichen Vorlandes vom südlichen verschieden ist. Die Hebungen des Nordharzes sind in jung- jurassischer, jungkretazeischer, präoligozäner und postoligozäner Zeit erfolgt; an den anderen Rändern, wo wir eine ruhige Schichtenfolge haben, ist die Zahl der Bewegungen nicht nachzuweisen. Im Norden dagegen bilden die Sedimentgesteine eine große nach Norden überschobene Antiklinale, so daß infolge der verschiedenen Zusammen- setzung sehr wechseh'olle Oberflächenformen ent- stehen. Das Gebirge stellt im wesentlichen eine Hochfläche dar, die aber von verschiedenen Rumpfhöhen überragt wird. Dabei liegen die größeren Höhen in der Nähe des Nordrandes, während doch die Hauptwasserscheide möglichst nahe dem Südrand verläuft. So ergibt sich auch bei Betrachtung der Talformen eine Dreigliederung der Landschaft: in eine reife Südharzzone, eine greisenhafte Mittelharzzone und eine jugendliche Nordharzzone. Die alte Landoberfläche des Mittelharzes wird von einer Reihe von Monadnocks (Härt- ungen) überragt, deren bedeutendster das Brocken- massiv ist, das aus Granit mit seinen Kontakt- gesteinen besteht. Kennzeichnend sind die Block- formen, „Klippen", die milden Talformen und die Moore, die der Eigentümlichkeit der Granitver- witterung ihr Dasein verdanken. Der Ackerbruch- berg und Ramberg verdanken ebenfalls harten Ouarziten bzw. Hornfelsen, die den Kontakthof des Granits bilden, ihre überragende Stellung. Die Hochfläclie, aus der diese Häftlinge empor- ragen, senkt sich von 650 m im Westen auf 300 m im Osten; sie ist präoligozänen Alters. Die Täler der Nordabdachung des Harzes zeigen bei allen Flüssen eine dreifache Verjüngung. In drei verschiedenen Zeiten seit dem Oligozän hat sich also das Talsystem des Nordharzes gebildet. Während Innerste, Oker, Bode und Selke durch ihre Anlage in eingesenkten Mäandern sich als Hochflächenflüsse erkennen lassen, zeigen die anderen Flüsse ihre Anlage als jüngere Randflüsse. Die Ostabdachung des Harzes geht all- mählich in das Vorland über; so sind Terrassen der F'lüsse hier spärlich und lassen keine allge- meinen Schlüsse zu. Die Täler der Südabdachung zeigen durchgehends eine Talkante. Nur ein Stadium des Einschneidens in der Höhe der Vorlandberge läßt sich beobachten. In der Talentwicklung zeigt sich ebenfalls wie in den Formen ein Gegensatz zwischen Nordharz und Südharz. Die Nordharzflüsse, meist Hoch- flächcnflüsse, ließen drei Terrassen erkennen, die Südharzflüsse, Randflüsse, nur eine. Die Ursache dieser Verschiedenheit muß in einer oder mehre- ren Hebungen gesucht werden. Die Betrachtung des Vorlandes lehrt uns, daß die präoligozäne Landoberfläche sowohl im Norden als im Süden des Harzes nachgewiesen werden kann; ihre Höhenlage zeigt, daß nur Bruchstufen für die Grenzen des Harzes in Frage kommen. Tektonische Bewegungen seit dem Oligozän schufen das Gebirge. Die Bruch- stufen des Harzes müssen als wiederaufgelebte Bruchstufen betrachtet werden, da schon zur Fast- ebenenzeit Herzyngesteine gegen mesozoische Gesteine stießen. Eine Hebung seit der P'ast- ebenenzeit hat den Zusammenhang zwischen Harz und Vorland an einer unregelmäßigen Linie ge- stört. Durch eine Ausräumung des Vorlandes wurde im Südharz eine Verjüngung erzeugt. Es erhebt sich die Frage, ob im Nordharz, etwa durch die Einwirkung des diluvialen Eises ein Einfluß auf die Erosion im Harzinneren festzu- stellen ist. Behrmann weist auf die Kraftlosig- keit des auf dem Ostharz gelagerten Eises hin und glaubt nicht, daß dieses von Einfluß auf die Morphologie des Gebirges war. Aber seit der Diluvialzeit hat eine Vertiefung der Täler statt- gefunden, die wohl auf postglaziale Ausräumung hindeutet. Die beiden höheren Stufen sind aber nur durch eine Hebung des Harzes zu erklären, die seit der Fastebenenzeit in zwei getrennten Perioden erfolgt ist. Aus einer Betrachtung der Höhlen der Bode bei Rübeland folgert Behrmann, daß sich der Harz im Diluvium im Norden um rund 70 m ge- hoben haben muß. F'ür die Zeit der Oberterrasse glaubt er ein tertiäres Alter annehmen zu können. So kommt er zu dem Schluß, daß der Harz seit der oligozänen Fastebenenzeit durch eine tertiäre nordwärts gerichtete Hebung zum Gebirge wurde. Die nordwärts fließenden Hochflächenflüsse schnit- ten sich ein, es entwickelten sich neue Randflüsse. Das Gebirge wurde im Süden durch Ausräumung des Vorlandes verjüngt, und reifte aus. Es wurde im Diluvium von neuem im Norden gehoben und verjüngt, endlich zum drittenmal verjüngt durch postdiluviale Ausräumung des Vorlandes. Dr. Gottfried Hornig. io6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. Kleinere Mitteilungen. Chemische Mittel gegen Schädlinge der Kultur- pflanzen. — Sowohl pflanzliche als auch tierische Lebewesen sind es, die durch ihr Auftreten all- jährlich dem Ackerbau ungeheuren Schaden zu- fügen, sei es dadurch, daß sie Leben und Gesund- heit der Pflanzen gefährden, oder sie so verändern, daß eine wirtschaftliche Ausnutzung unmöglich wird. Während man in früherer Zeit meistens me- chanische Bekämpfungsmittel anwandte, ist man in neuerer Zeit zur Verwendung chemischer Mittel und schließlich in aller neuester Zeit zu biologischen Bekämpfungsmethoden übergegangen, d. h. man benutzte natürliche Feinde der Schäd- linge zu ihrer Bekämpfung. Die Anforderungen, die man an ein wirksames Bekämpfungsmittel stellen muß, sind etwa folgende ; 1. Erfüllung der angestrebten Wirkung. 2. Gute Benetzungsfähigkeit. 3. Gute Haftfähigkeit. 4. Unschädlichkeit für die Pflanze. 5. Leichte Anwendungsmöglichkeit. 6. Gefahrlosigkeit für Mensch und Tier. 7. Billigkeit. Auf dem Markte befinden sich eine große Menge Pflanzenschutzmittel, die mehr oder weniger obige Bedingungen erfüllen ; von Tag zu Tag wächst außerdem ihre Zahl noch. Im folgenden seien einige Mittel kurz besprochen. Ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung niedriger Pilze ist das Kupfervitriol und sonstige Kupfer- salze. Schon allein dieses Mittel erspart der deut- schen Landwirtschaft jährlich mehrere Hundert- millionen Mark. Die Keimkraft der Steinbrand- sporen verschiedener Getreidearten wird, wie Prevost schon 1807 erkannte, durch Kupfer- vitriollösung (i : 10000) vollkommen zerstört. In die Praxis eingeführt wurde diese Methode jedoch erst um 1850 von Kühn. Da jedoch bei dieser „Kupfervitriolbeize" leicht Schädigungen des Saatgutes eintreten können, hat man an Stelle des Kupfervitriols den P'ormaldehyd verwendet und in bezug auf Ungefährlichkeit für das Keimgut und seine fungizide Wirkung Er- gebnisse erhalten, die den Formaldehyd in seiner Wirkung dem Kupfervitriol mindestens gleich- stellen. ^) Eine noch größere Bedeutung besitzt das Kupfervitriol für den Weinbau. Die Peronospora- krankheit bewirkt ein Abfallen des Weinstock- laubes und hat gerade in den letzten Jahren im deutschen Weinbaugebiet eine so große Verbrei- tung gewonnen, daß sicherlich bald der Weinbau aufhören müßte, hätten wir nicht im Kupfervitriol ein ausgezeichnetes Bekämpfungsmittel dieser Krankheit. Es ließe sich jedoch hier leicht der Einwand ^) Vgl. die Arbeit von Dr. Molz-lialle in der Zeitschrift für angewandte Chemie, 19:3, S. 533—36 und 5S7— 88. machen, schadet denn das Kupfervitriol den Trauben bzw. dem Verzehrer der Trauben nichts, da doch bekanntlich Kupfersalze giftig sind. Dem- gegenüber wurde festgestellt, daß in I kg Trauben nach zweimaliger Bespritzung nur 3,2 mg Kupfer vorhanden waren, im Weine fand man in 1 1 nur bis 0,26 mg. Dies sind so geringe Mengen, daß sie ohne jeglichen gesundheitlichen Nachteil ge- nossen werden können, um so mehr als die töd- liche Dosis für Kupfervitriol beim Menschen 10 g beträgt. Andererseits ist zu bedenken, daß Wasser, das in Kupfer- oder Messingröhren fließt, auch Spuren von Kupfer auflöst (im Liter 0,107 mg), und daß man skrofulösen Kindern das Kupfer (0,4 — 0,6 mg) als Arznei verabreicht. Außer diesen Fällen finden Kupfersalze in der Landwirtschaft, im Obst- und Gartenbau und im Weinbau zur Pilzbekämpfung vielseitige Anwen- dung und schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß z. B. Kupferkalkbrühe gegen Raupenfraß und gegen Heuschrecken angewendet wird. Ein anderes wichtiges Bekämpfungsmittel ist der Schwefel und gewisse Schwefelverbindungen. Besonders dem Winzer ist der Schwefel ein un- entbehrliches Hilfsmittel gegen das Oidium. Die Wirkung des Schwefels beruht höchstwahrschein- lich auf einer Schwerelwasserstofi"wirkung, da durch schweflige Säure die Sporen des Oidiums gerade zum Keimen gebracht werden. Da der Schwefel jedoch auch nachteilig wirkt, so sucht man schon lange nach einem gleichwertigen Er- satzmittel. Zur Bekämpfung verschiedener Meltauarten und anderer pilzlicher Bodenschädlinge eignet sich auch besonders gut der Schwefel. Spinnmilben und Erdflöhe können ebenfalls hiermit vernichtet werden. Statt des Schwefels wendet man besser noch entweder die sog. Schwefelleber, des Fünffach- Schwefelkalium (K2S5) an, oder die Schwefelkalk- brühe, oder „Kalifornische Brühe", die in Nord- amerika besonders zur Beseitigung der verderb- lichen San-Josc-Schildlaus dient. Außerdem findet die Kalifornische Brühe Verwendung zur Bekämp- fung der Kräuselkrankheit der Pfirsiche, der Birn- blattmilbe, die Obstmade und vieler anderer Schädlinge. Die Schwefelkalkbrühe besteht, wie der Name schon sagt, aus gebranntem Kalk, Schwefelpulver und Wasser. Auf 100 1 Wasser nimmt man I9.I75 kg Schwefel und 8,628 kg reinen, frisch bereiteten Ätzkalk und kocht diese Mischung. Schwefel und Atzkalk verbinden sich zu Polysul- fiden, besonders zu Calciumtetrasulfid und Calcium- pentasulfid. Die Schwefelkalkbrühe gewinnt immer größere Bedeutung und fängt sogar an, ein anderes Pflanzenschutzmittel, das Karbolineum, zu ver- drängen, das doch immer als das Universalmittel gegen alle Pflanzenschädlinge galt. N. F. XIII. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 107 Karbolineum ist belde nach dem Festwerden ihrer (Jberfläche selbst. Geologisch läßt sich daher die Herkunft von Uran und Thorium nicht verfolgen. Das Mesothorium ist also ein Umwandelungs- produkt des Thoriums; sein Vorkommen in der Natur ist an das des Thoriums gebunden. Die Menge desselben wird daher auch zunächst ab- hängig sein von der Menge des vorhandenen Thoriums. Aber auch noch ein anderer Umstand wird bestimmend darauf einwirken, das ist die Zerfallszeit beider. Da das Thorium im Verhältnis zum Mesothorium eine außerordentlich lange Lebens- dauer besitzt, so kann sich letzteres natürlich nur in dem Maße nachbilden, als ersteres zerfällt. Da das Mesothorium auch zerfällt, so wird seine Menge nur dann konstant sein, wenn die absolute Menge der vom ersten Körper in der Zeiteinheit zer- fallenden Atome gleich der vom zweiten Körper in der gleichen Zeit zerfallenden Atomzahl ist. Es besteht dann zwischen beiden das sogenannte radioaktive Gleichgewicht. Die Gleichgewichts- mengen müssen sich wie ihre Halbwertszeiten ver- halten. Auf diese Weise ist man imstande, schon von vornherein, ungefähr wenigstens, zu berechnen, wievielMesothorium eine bestimmteMenge Thorium liefert. Die w'chtigsten Thoriumerze sind der Monacit- sand in Nord- und Südamerika und das Thorianit auf Ceylon. Diese Erze werden zuerst mit Sal- petersäure behandelt. Nachdem dann das Thorium gefällt worden ist, werden die Rückstände weiter behandelt; denn gerade in diesen Rückständen, besonders in den als Sulfaten abgetrennten Ver- unreinigungen des Thoriums befindet sich das Mesothorium. Diese werden dann weiter gereinigt und in Chloride übergeführt. .Aus den Chloriden wird das Mesothorium (-Radium) von dem Baryum durch fraktionierte Kristallisation getrennt und gleichzeitig angereichert. Das ganze Verfahren ist umständlich und mühsam und das Ergebnis ziem- lich gering. Im günstigsten Falle erhält man aus I Tonne Thoriumrückständen 10 mg eines Meso- thorpräparates, welches gleichwertig ist 0,33 g Radiumbromid. Fast alle Thoriumerze enthalten Uran (Thorianit etwa 12 "/(,). Aus dem Uran ent- steht aber das Radium. Da dies in seinem che- mischen Verhalten mit dem des Mesothoriums vollkommen übereinstimmt, so kann es von diesem nicht getrennt werden, auch nicht durch die fraktionierte Kristallisation. Infolgedessen enthalten alle Mesothorpräparate — nicht zu ihrem Schaden — immer Radium. Dadurch wird nicht nur die Strahlung der Mesothorpräparate vermehrt, sondern sie bleibt auch infolge der längeren Lebensdauer des Radiums gleichmäßiger. Die Entdeckung des Mesothoriums verdanken wir O. Hahn. Als dieser die Rückstände bei der Thoriumverarbeitung untersuchte, fand er eine Substanz, die etwa 200 000 mal stärker radioaktiv war als eine gleiche Gewichtsmenge des reinen Thoriums; er nannte sie Radiothorium. Diese Substanz wurde anfangs für ein direktes Um- wandelungsprodukt des Thoriums gehalten; seine Lebensdauer wurde auf 2 Jahre berechnet. Als dann aber Boltwood und Mc Coy unabhängig von einander käufliche Thoriumsalze hinsichtlich ihrer Aktivität verglichen, fanden sie dieselbe nicht immer gleich, oft war sie kleiner als die Hälfte des normalen Betrages. Sie teilten ihre Beobachtung O. Hahn mit. Dieser untersuchte nun die Aktivität verschiedener Präparate, deren Alter ihm bekannt war. Auf Grund dieser Untersuchung konnte er feststellen, daß die Aktivität frisch hergestellter Thorpräparate unmittelbar nach der Abtrennung normal war, dann aber einen Rückgang zeigte. N. F. XIII. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 125 um wieder allmählich anzusteigen. Hahn schloß daraus, daß Radiothorium sich nicht direkt aus Thorium, sondern erst aus einer Zwischensubstanz entwickeln müsse. Bevor sich diese Zwischen- substanz nicht gebildet habe, könne sich auch kein Radiolhorium bilden, weshalb die Aktivität zurück- gehen müsse und erst nach Bildung derselben wieder steigen könne. Er nannte diese Zwischen- substanz Mesothorium. Sie erwies sich als strahlen- los. Dies kann sie aber wohl nicht sein, da ja sonst keine Umwandelung mit ihr vorgehen könnte. Es ist also wohl anzunehmen, daß diese Strahlung so langsam vor sich geht, daß sie nicht nachge- wiesen werden konnte. Wenige Stunden nach der Herstellung zeigte aber das Mesothorium eine Emission von ß- und y-Strahlen. Diese Strahlung konnte also nur einem neuen Zwischenprodukt entstammen, das Hahn Mesothorium II nannte. Es fiel aber schon nach 6,2 Stunden ab. Wegen der kurzen Lebensdauer von Mesothorium II kann man Mesothorium 1 und II als ein Produkt an- sehen, das zur Hälfte in 5.5 Jahren iransformiert wird und a- und ß Strahlen emittiert. Aus ihm bildet sich dann das Radiothorium mit seinen Produkten. Es ergibt sich somit folgende Zerfallsreihe des Thoriums: ö ß strahlenlos / Thorium — >• Mesothorium I — >■ t/Jj, aussetzung liefert z. B. die chemische Fabrik von Dr. O. Knöfler & Co. in Plötzensee bei Berlin technische Mesothorpräparate (frisch hergestellt) für 300 Mark pro Milligramm Radiumaktivität (RaBrg -[" 2 aq.) internationaler Standard. Bald nach der Entdeckung der radioaktiven Substanzen setzten auch die Versuche ein, diese Stoffe der Heilkunde dienstbar zu machen. Es handelt sich dabei entweder um eine Allgemein- wirkung auf den menschlichen Körper oder um eine Lokalwirkung. F"ür erstere Zwecke kommt hauptsächlich die Emanation, für letztere die Strah- lung in Anwendung. Bei der Lokalbehandlung handelt es sich wohl hauptsächlich um die Hei- lung der Krebsgeschwülste. Hierfür stehen nun den Ärzten in den Mesothorpräparaten außer der Strahlung des Radiums, das stets darin enthalten ist, gleichzeitig die ß- und j'-Strahlen von Meso- thorium II sowie die «-Strahlung und die Emana- tion von Radiothorium zur Verfügung. Zur An- wendung kommen aber fast nur die j'-Strahlen, weil dies die durchdringendsten sind und sich besonders für die Behandlung tiefliegender Ge- schwülste eignen. Die übrigen Strahlen werden durch geeignete Vorrichtungen zurückgehalten. Stark durchdringend müssen die Strahlen sein, da sie ja das kranke Gewebe zerstören sollen. Lebens- dauer: 13X10"" Jahr 5,5 Jahr ß y Mesothorium II 6,2 Stunden Radiothorium 2 Jahr Wovon ist nun der Wert eines Mesothorprä- parates abhängig? Will man den Wert einer Sache beurteilen, so muß man einen Maßstab haben, mit dem man ihn vergleichen kann. Das Wertvolle an den Mesothorpräparaten sind nun aber seine Strahlen, besonders die j' Strahlen, die für medizinische Zwecke hauptsächlich in Betracht kommen. Es wird sich also der Wert weniger nach dem Gewicht als nach der In- tensität der Strahlung einer bestimmten Menge richten. Zweckmäßig würde es deshalb sein, sich einen Mesothorstandard anzuschaffen und mit ihm die Strahlung zu vergleichen. Einen solchen besitzen wir aber zurzeit noch nicht , da wir reines Mesothorium noch gar nicht herstellen können. Wohl aber besitzen wir einen solchen für das Radium, welchen Frau Curie angefertigt hat und der 191 2 von der internationalen Stan- dard ■ Kommission anerkannt worden ist. Mit diesem werden nun auch die Mesothorpräparate verglichen, indem man das Gewicht einer Radium- menge bestimmt, welche dieselbe Strahlung her- vorbringt wie das zu untersuchende Mesothor- präparat. 5 mg Mesothorium bedeutet also: die Strahlenaktivität des zu untersuchenden Mesothor- präparates plus der des Radiums, das in ihm ent- halten ist, ist gleich der j'-Strahlenaktivität von 5 mg reinem Radiumbromid. Unter dieser Vor- Nun ist damit allerdings die Gefahr verbunden, daß auch gesundes Gewebe vernichtet wird. Ge- schickte Arzte werden jedoch auch diese Gefahr zu beseitigen wissen. Außerdem verfügt das ge- sunde Gewebe über Abwehr- und Regenerations- kräfte, das kranke nicht und geht daher zugrunde. Hoffen wir also, daß durch die Anwendung der radioaktiven Substanzen, des Radiums und Meso- thoriums, noch da Heilung erzielt wird, wo das Operationsmesser des Arztes versagt. R. Boesc. Die Menhadenindustrie. — Auf der Versamm- lung der American Chemical Society zu Milwaukee vom 24. — 28. März 1913 hielt J. W. Turrentine einen sehr interessanten Vortrag über die Men- hadenindustrie an der atlantischen Küste von Nordamerika. Der Menhadenfisch, Alosa Menhaden, ist ein zur Familie der Heringe gehöriger Fisch, der an der atlantischen Küste Nordamerikas in ungeheuren Mengen vorkommt. Die Fische ent- halten ca. 16 "/„ Fett. Mit der Verarbeitung des Fleisches des Men- hadens auf Fischguano und Mcnhadenöl beschäf- tigen sich an der atlantischen Küste gegenwärtig ungefähr 40 Fabriken ; den Mittelpunkt der In- dustrie bildet die Chesapeakebai. Im Jahre 1912 wurden insgesamt 28 242 t angesäuerter und 126 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 8 50 166 t trockener Fischguano hergestellt. Nach der alten noch vielfach üblichen Methode werden die Fische mit etwas Wasser in offenen Kesseln durch unter dem falschen Boden angebrachte Dampfschlangen ungefähr 20 Minuten gekocht, worauf die Masse in hydraulische Pressen gelangt, in denen das Ol und Wasser abgeschieden wer- den. Der Kuchen, der noch ungefähr 50 "/q Wasser und 6 — 9 % Ol enthält, wird mit ein wenig roher Schwefelsäure behandelt, teils um Zersetzung zu verhindern, teils um die Phosphor- säure der Gräten aufzuschließen ; gleichzeitig wird dadurch der Verlust an Stickstoff verhindert. Dieser „angesäuerte" oder „rohe Fischguano" kommt als solcher auf den Markt oder wird vor- her getrocknet. Die frühere Methode, ihn durch Luft und Sonne zu trocknen, wofür mindestens 3 Tage erforderlich sind und wobei wahrschein- lich erheblicher Ammoniakverlust eintritt, ist zu- meist durch heiße Lufttrocknung ersetzt worden. Bei dem neuen fortlaufenden Verfahren erfolgt das Kochen in bis zu 12 m langen, engen Eisen- zylindern (0,6 m Durchmesser), durch welche die Fische mittels Förderschrauben unter Einleitung von Dampf geführt werden. Sie vermögen unge- fähr 100 000 Fische in der Stunde zu kochen und kosten etwa 1200 Dollar. Zum Pressen dienen neuerdings kegelförmige Schraubenpressen , die in selbsttätiger Weise mit der gekochten Masse beschickt werden. loo Pfund enthalten 22 Pfund Fisch und 78 Pfund Wasser; in der Presse werden 56 Pfund abgeschieden, die zurückbleibende Masse besteht je zur Hälfte aus Fisch und Wasser. Eine Presse von 5,4 m Länge vermag 80000 — 1 00 ooo Fische in der Stunde durchzusetzen und kostet, einschließlich Montage, 5000 Dollar. In den neueren Fabriken wird nur noch dieses fortlaufende, selbsttätige Verfahren verwendet. Die neuen Trockenapparate bestehen in isolierten eisernen Drehzylindern von 1,8 m Durchmesser und 9 bis 12 m Länge, die im Innern mit Flanschen ver- sehen sind. Sie sind etwas schräg gestellt und am Ende mit einem elektrisch getriebenen Venti- lator versehen, der die Masse durch den Zylinder saugt. Das obere Ende ruht in einer gemauerten Kammer, unter der sich der Feuerkasten befindet. Die Masse braucht 3 — 20 Minuten, um durch den Zylinder hindurchzugehen, wobei der Feuchtig- keitsgehalt auf 7 "Zu herabgebracht wird , jedoch ein erheblicher Teil der Fischmasse infolge der starken Erhitzung der Heizgase verloren geht. I Million Fische liefern 75 — 85 t trockenen Guano oder für i t sind 12 OOO — 15000 Fische erforder- lich. Ein Trockenapparat, einschließlich Montage, kostet 3000 Dollar. In einer mit den neuen Apparaten ausgerüsteten P"abrik bewegt sich der Fisch von seiner Ausladung aus dem Boot bis zum Sacken des getrockneten Guanos in vollkom- men selbsttätiger Weise durch die Anlage, die Zeit beträgt noch nicht l Stunde. In manchen Fabriken wird der Guano noch vermählen , in anderen mit Kali und Phosphat gemischt. Gegen- wärtig wird die getrocknete Fischmasse noch zumeist als Düngemittel verwertet. Auch als Viehfutter wird die Masse noch Anwendung fin- den. Die durch die Pressen abgeschiedene öl- und wasserhaltige Flüssigkeit läßt man absitzen. Das Ol geht an die Raffinerien, der Bodensatz teils an Seifenfabriken, teils wird er dem Guano zugefügt. Die Ausbeute an Öl richtet sich haupt- sächlich nach der Zeit des Fanges, auch nach der ürtlichkeit. Im Herbst liefern 1000 Fische durchschnittlich 12 Gallonen (von 3,785 1), häufig 15 Gall. Ol. Im rohen Zustand hat es eine helle bernstein- bis dunkelbraune Farbe, je nach seiner Erzeugungsweise und vorläufigen Reinigung. Men- hadenöl wird unter nachfolgenden Marken ge- handelt : Prime Crude, Brownstrain, Lightstrained (gebleichtes Winteröl), gebleichtes weißes Winter- öl; letztere beiden Marken sind durch Filtration von Stearin getrennt. Diese Manipulation geschieht bei Winterkälte. Der durch Abpressen der ge- kühlten Öle gewonnene Rückstand kommt unter dem Namen Fisch-Stearin und Fisch-Talg in den Handel. Das Menhadenöl besteht aus Glyceriden, deren chemische Zusammensetzung noch nicht bekannt ist. Das Menhadenöl dient in der Lederindustrie zum Geschmeidigmachen des Leders, ferner als Schmieröl, zum Anlassen von Stahl. Auch zu Bleichungszwecken dient das raffinierte Öl. In der Seifenfabrikation, der Jutespinnerei und in der Farbenindustrie werden große Mengen des Öls verbraucht. Es besitzt eine erhebliche Trocken- kraft, die größer ist als die des Mais- und Baum- wollsamenöles. Auch für die Fabrikation von Druckerschwärze wird das Öl empfohlen. Für Außenanstriche werden 3 Teile Menhadenöl und I Teil Leinöl empfohlen, die Mischung ist nicht hygroskopisch. Die Widerstandsfähigkeit des Menhadenöls gegen Hitze empfiehlt es besonders für Anstriche von Kesselanlagen und Schorn- steinen. 1912 schwankte der Preis zwischen 25 und 28 Cts. für eine Gallone. R. Ditmar. Über Sarkosporidien bei den Haustieren, jene so häufigen, aber biologisch so wenig bekannten Parasiten, berichtet Prof. M. Bergmann') auf Grund jahrelanger systematischer Untersuchungen, die auf dem Schlachthofe zu Malmö mit Hilfe des dort angestellten, gut geschulten Trichinenschau- personals vorgenommen wurden. Die Schlacht- tiere stammten fast ausschließlich aus den um Malmö liegenden Gebieten der schonenschen Nie- derung. Bei erwachsenen Rindern, über 2^/2 Jahre alt, wurden bei 88 "j^ Sarkosporidien gefunden. Ihr vornehmster Sitz war, wie schon früher fest- gestellt ist, der Schlund. Als der Verfasser daran- ging, diesen selbst näher auf das Vorkommen der Sarkosporidien zu untersuchen, konnte er feststellen, daß die Muskulatur der Speiseröhre in der Nähe des Pansens die vornehmste Prädilek- ') Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene, Bd. 23, S. 170. N. F. XIII. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 127 tionsstelle der Sarkosporidien beim Rinde sei, und daß sie bei allen erwachsenen Rindern hier zu finden seien. Man fand ferner Sarkosporidien bei 76 "/o der Schafe, bei keinem Spanferkel, dagegen bei 96% der Schweine im Alter von über einem Jahr und bei allen 15 unter- suchten Renntieren. Beim Schweine gibt es keine ausgeprägten Prädilektionsstellen. In der glatten Muskulatur wurden die Parasiten nie festgestellt. Die Annahme, daß sie in der dem Darmkanal benachbarten roten Muskulatur am häufigsten vorkommen, ist unzutreffend. Die Sarkosporidien werden mit dem Pflanzenfutter aufgenommen, dringen durch die Wände des Digestionsapparates und werden mit dem Lymph- und Blutstrom nach der quergestreiften Muskulatur geführt. In die der Speiseröhre können sie direkt eindringen. W. ligner. Hat der Balkankrieg uns neue Gesichtspunkte bezüglich der Behandlung kriegschirurgischer Ver- letzungen gebracht? Über diese Frage äußert sich Generalarzt Hertels. Das moderne Spitz- geschoß neigt sehr zum Pendeln und zu Drehun- gen, so daß selbst leichte Widerstände genügen können , um eventuell völlige Umdrehungen des Geschosses herbeizuführen. Die Schußkanäle sind im Gegensatz zu früheren Kriegen sehr lang (so ist ein Fall berichtet, wo der Einschuß in der Fußsohle, der Ausschuß in der Hüftknochengegend saß). Bezüglich der Wundbehandlung sind ver- änderte wesentliche Gesichtspunkte kaum zu ver- merken. Zwei Momente kämen als neu in Frage, das ist die Behandlung bestimmter Verwundungen mit Stauungshyperämie, durch die die Schmerzen beseitigt würden, sowie die Sonnenbehandlung. Ferner entschließt man sich jetzt schneller als früher zu Schädeloperationen, weil man die Er- fahrung gemacht hat, daß Schädelwunden leichter zu Infektionen neigen. Endlich käme noch hinzu, daß in künftigen Kriegen möglichst große Vor- räte von sog. Tetanusantitoxin (ein Mittel gegen den Wundstarrkrampf) mitgenommen werden müßten, damit man es prophylaktisch bei allen Verletzungen , die durch Erde verunreinigt sind, einspritzen könnte, um den Ausbruch des Wund- starrkrampfes zu verhüten. Dr. med. Carl Jacobs. Bücherbesprechungen. Imendörfer, Prof Dr. Benno, Lehrbuch der Erd- kunde für Mädchenlyzeen und verwandte Lehr- anstalten. I. Teil, I. Klasse mit 32 Figuren im Text. — Preis 1,10 Kr. II. Teil , 2. Klasse mit 6 Figuren im Text. — Preis 1,50 Kr. III. Teil, 3. Klasse mit 4 Figuren im Text. — Preis 1,40 Kr. Vierte, dem neuen Lehrpiane angepaßte Auf- lage. Wien, Verlag von F. Tempsky, 1913. Das Buch ist für österreichische Schulen be- stimmt. Teil I führt die Schülerinnen in ein- fachem, kindlichem Gesprächstone nach heuristi- schem Lehrverfahren in die Anfangsgründe der mathematischen Geographie, in das Kartenlesen und -Zeichnen ein und bringt von der Länder- kunde nur das Allernotwendigste. In Teil II wer- den die Erdteile Asien, Afrika und Europa sehr eingehend erörtert; Teil III behandelt, im An- schluß an eine umfassendere Darstellung Europas, Amerika und Australien nach gleichen Grundsätzen. Die Selbstbetätigung der Schülerinnen wird durch Frage und Aufgabenstellung in weitgehendster Weise gefördert; der Bildschmuck ist dürftig; wenn ich auch nicht einer üppigen Ausstattung des Lehrbuches mit Illustrationen das Wort reden will, so halte ich es doch für wünschenswert, daß in einem modernen Buche die Anschauung durch eine Auswahl guter Abbildungen und Skizzen unterstützt wird. Hirsch. Himmelbauer, Dr. Alfred, Mineralogie und Petro- graphie für die VII. Klasse der Realschulen. Mit 224 Abbildungen, 150 Seiten. Wien, Ver- lag von F. Tempsky, 1913. — Preis 1,65 M. Himmelbauer behandelt eingehend die allge- mein morphologischen Verhältnisse der Kristalle, gibt den Schülern einen Einblick in die Lehren von der Mineralphysik und -Chemie und gibt eine ziemlich vollständige Übersicht über die Systematik der Minerale und der Gesteine. Die sehr reiche Illustrierung durch Skizzen und Bilder in Schwarz- druck ist rühmend hervorzuheben ; die Original- photographien typischer Landschaften sind be- sonders bemerkenswert als Buchschmuck. Ficker, Dr. Gustav, Direktor, Grundlinien der Mineralogie und Geologie für die fünfte Klasse der österreichischen Gymnasien. Historische Geologie von Dr. Friedrich Trauth. Mit 192 Abbildungen und einer geologischen Karte von Österreich-Ungarn, 140 Seiten. Zweite Auflage. Wien, 1913, Franz Deuticke. — Preis 3 Kr. In ähnlicher Anordnung wie in dem vorigen Buche werden erst die allgemein morphologischen wie speziellen Verhältnisse der Mineralien, dann in dem systematischen Überblick die Mineralien nach ihrer chemischen Zusammensetzung (Grund- stoff'e, Sulfide, Oxyde, Haloid-Sauerstofi'salze usw.) besprochen. Im geologischen Teil werden die Geschichte der Erde und die verschiedenen Stadien des Auf- und Abbaues der Erdrinde erörtert. Die historische Geologie von Dr. Fr. Trauth gibt einen Überblick über die Zeitalter der Erde und die Überreste der Flora und Fauna, die zum Ver- ständnis derselben beitragen. Eine reiche Illu- strierung unterstützt die Anschauung. W. Hirsch, Dr. phil., Oberlehrer. Ludwig Jost, Vorlesungen überPflanzen- physiologie. Dritte Auflage. Mit 194 Ab- bildungen im Text. Verlag von (.justav Fischer, Jena, 1913. — Preis 16 Mk. 128 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 8 Da seit 1907 die Literatur über Pflanzenphysio- logie enorm angeschwollen ist, konnte der alte Umfang des bewährten Buches nicht eingehalten werden. Die Ziele, die das Werk verfolgt, haben sich aber mit der dritten Auflage nicht geändert. Wer dem Buche ferner steht, wird sich für seine Disposition interessieren. Zunächst wird der Stoffwechsel behandelt. Man erfährt Ausführliches über die stoffliche Zusammensetzung der Pflanze und über die Stoftaufnahnie im allgemeinen, also über Diffusion, Osmose usw. Sodann wird die Stoffaufnahme im einzelnen besprochen, sowie die Verwendung der aufgenommenen Stoffe. Der zweite Hauptteil des Buches behandelt den Formwechsel. Hier kommt das Wachstum und die Gestaltung unter konstanten äußeren Be- dingungen zur Sprache. Sodann der Einfluß der Außenwelt auf Wachstum und Gestaltung, die inneren Ursachen des Wachstums und der Ge- staltung und die Entwicklung der Pflanze unter dem Einfluß von inneren und äußeren Ursachen. Im letzten Hauptabschnitt kommt die Rede auf den Ortwechsel. So werden behandelt die hygroskopischen Bewegungen, die Variations- und Nutationsbewegungen und endlich die lokomo- torischen Bewegungen. Das Buch wird dem Lernenden durch seine Übersichtlichkeit und Klarheit, dem Forscher durch seine Vollständigkeit auch fürderhin von größtem Nutzen sein. R. P. Oscar Drude, Die Ökologie der Pflanzen. Mit 80 eingedruckten Abbildungen. Druck und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig, 1913. — Preis 10 Mk. Drude betont, daß gegenüber der wirklich auf botanisch-ökologischem Gebiete geleisteten Arbeit die in dem vorliegenden Bande gegebenen Literatur- auszüge nur beanspruchen sollen, als Quellennach- weis zu dienen und denjenigen Forschern gerecht zu werden, welche, Eugen Warming an ihrer Spitze, den heutigen Standpunkt der Ökologie so viel- seitig ausgebaut haben. Dennoch ist das kleine Werkchen mehr als eine bloße Zusammenstellung der wichtigeren Tat- sachen. Spricht doch aus diesen Seiten an vielen Stellen die individuelle Meinung eines erfahrenen Botanikers. Und so werden diejenigen, die selbst auf diesem Gebiete arbeiten, der übersichtlichen Darstellung viel Anregung verdanken. Das Buch enthält folgende Hauptabschnitte: Die pliysiognomischen Lebensformen der Pflanzen. — Klimatische Einflüsse, Periodizität und Blatt- Charakter. — Die physiographische ()kologie. — Ökologische Epharmose und Phylogenie. R. P. Hugo Bauer, Analytische Chemie des Methylalkohols (Sammlung chemischer und chemisch-technischer Vorträge, herausgegeben von W. Herz, Bd. XX). 74 Seiten mit 7 Text- abbildungen. Stuttgart 191 3. Ferdinand Erike. Der Methylalkohol hat besondere Aufmerk- samkeit dadurch erregt, daß er als Ursache der Berliner Massenvergiftungen vom Dezember 191 1 erkannt worden ist. .Sein Nachweis und seine quantitative Bestimmung in Spirituosen usw. hat daher nicht nur rein wissenschaftliches Interesse, sondern ist auch von großer Bedeutung für die Genußmittelchemie und für forensische Unter- suchungen geworden. Die vorliegende Schrift gibt eine gute Zusammenstellung der oft recht umständlichen und zeitraubenden Methoden, die für die qualitative und quantitative Analyse des Holzgeistes in Betracht kommen. Bugge. Literatur. Capstick, I. W., Sound, an elementary textbook for schools and Colleges. Cambridge Physical Series. Cambridge '13, University Press. Zschimmer, Eberhard. Philosophie der Technik. Vom Sinn der Technik und Kritik des Unsinns über die Technik. Jena '14, E. Diederichs. — Geb. 4 Mk. Die Süßwasser - Flora Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Herausgeg. v. Prof. Dr. A. Pascher (Prag). Heft 14; Bryophyta (Sphagnales, Bryales, Hepaticae). Bearbeitet von C. Warnstorf, W. Mönkemeyer, V. Schiffner. Mit i;oo Ab- bildungen im Te.xt. Jena '14, G.Fischer. — Geb. 6,20 Mk. Fuchs, C. W. C, Anleitung zum Bestimmen der Mineralien. 6. Aufl., neu bearbeitet von Reinhardt Brauns. Mit 27 Ab- bildungen im Text. Gießen '13, A. Töpelmann. . — Geb. 5 Mk. Rabenhorst's Kryptogaraen Flora usw. 6. Bd. : Die Leber- moose (Musci hepatici). Mit vielen in den Text gedruckten Abbildungen. Bearbeitet von Dr. Karl Müller. 18. Liefg. Leipzig '13, E. Kummer. — 2,40 Mk. Hann, Dr. Julius, Lehrbuch der Meteorologie. 3., unter Mitwirkung von Prof. Dr. R. Süring umgearbeitete Auflage. Lieferung 2 und 3. Leipzig '13. Chr. Herrn. Tauchnitz. — Je 3,60 Mk. Weinschenk, Prof. Dr. Ernst, Grundzüge der Gesteins- kunde. L Teil. Allgemeine Gesteinskunde als Grundlage der Geologie. III. verb. Aufl. mit 138 Textfiguren und 6 Tafeln. Freiburg i. Br. '13, Herder'sche Verlagshandlung. — Geb. 7,30 Mk. Kolkwitz, K. , Pflanzenphysiologie. Versuche und Be- obachtungen an höheren und niederen Pflanzen einschließ- lich Bakteriologie und Hydrobiologie und Planktonkunde. Mit z.T. farbigen Tafeln und 1 16 Abb. im Text. Jena '14, G. Fischer. — Geb. lo Mk. Eckard t, Dr. Wilh. R., Praktischer Vogelschutz. Mit zahlr. Abb. Leipzig, Theod. Thomas. — 1 Mk. Inhalt: Julius Robert Mayer: Eine Tour durch den Urwald von Sumatra. — • Einzelberichte: Geyer: Sekundäre Geschlechtscharaktere. G. Hertwig: Einwirkung des Radiums auf Fortpflanzungszellen von Wirbeltieren. R. Kowarzik: Der Schafochse. Ost: Zellulose, Zucker, Alkohol. Beckmann: Können Jod und Selen chemische Verbindungen miteinander bilden. Ehler und Bender: Über neue Verfahren zur Anreicherung des Radiums aus Gemischen von Salzen des Bariums und des Radiums. Volz: Der Malaiische Archipel, sein Bau und sein Zusammenhang mit .Asien. — Kleinere Mitteilungen: Boese: Mesothorium. J. W. Turrentinc: Menhadenindustrie. M. Bergmann: Über Sarkosporidien bei den Haustieren. Hertels: Hat der Balkankrieg uns neue Gesichtspunkte bezüglich der Behandlung kriegschirurgischer Verletzungen gebracht? — Bücherbesprechungen: Imendörfer: Lehrbuch der Erdkunde für Madchenlyzeen. ■ — • Himmelbauer: Mineralogie und Petrographie. — Ficker: Grundlinien der Mineralogie und Geologie. — Ludwig Jost: Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. — Oscar Drude: Die Ökologie der Pflanzen. — Hugo Bauer: Analytische Chemie des Methylalkohols. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Mariensfraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Hand ; der ganzen Reihe 29. Hand. Sonntag, den i. März 1914. Nummer 9. Das älteste Leben Ostthüringens. Nach einem Vortrage in der Gesellschaft von Freunden der Naturwissenschaften in Gera im September 1913. Von Rudolf Hundt. [Nachdruck verboten,] Ehe wir uns mit dem in den Gesteinen ein- gebetteten Inhalt beschäftigen, lialte ich es für angebracht, zu dem Begriff Ostthüringen, den Hof- rat Liebe in den Wortbestand der Geologie wie auch der Geographie eingeführt hat, einiges zu bemerken. Er sagt über dieses Gebiet in der Programmarbeit „Die Seebedeckungen Ost- thüringens" von 1881:') „Unter Ostthüringen ist in dieser Abhandlung verstanden der Strich Landes zwischen der bayerischen Grenze und der Breiten- linie von Zeitz (etwa 51 ") einerseits und zwischen einer Linie Altenburg — Reichenbach— Ölsnitz und einer Linie Dornburg — Kahla — Leutenberg anderer- seits." Regel nennt die von Liebe gemeinte Landschaft „Vogtländisches Bergland" und er- weitert die östliche und westliche Grenze bis zur Saale — Saalfeld und zur Zwickauer Mulde. Diese von Regel abgegrenzte Landschaft mit noch kleinen östlichen und westlichen Vorstößen soll uns ihre fossilen, ältesten Reste kennen lernen lassen. Von den allerältesten Schichten sind im Frankenwalde Gneis- und Glimmerschiefer noch nicht angetroffen worden. Doch ist daran nicht zu zweifeln, daß diese ältesten Gesteine nicht auch irgendwo in Ostthüringen durch Tief- bohrungen erreicht werden könnten. Das, was man bei Hirschberg an der Saale als „Gneis" an- sah, entpuppte sich als Granit, der bei uns viel jüngerer Entstehung ist und als ,,Hirschberger Gneis" kartiert ist. Die ältesten Schichten müssen aber in der Tiefe ruhen, man kennt sie bei uns nur nicht, weil sie nirgends aufgeschlossen sind. So konnte man auch im Archaikum Ostthüringens keine Fossilfunde machen, die auch anderwärts sehr spärlich ausgefallen sind. In dem großen finnischen Gebiet gelang es Sederholm, tang- ähnliche Corycium enigmalicum Sed. von Tammers- fors zu beschreiben. So bleiben uns nur zwei Schichten zu betrachten übrig, in denen das älteste Leben Osithüringens, soweit es in Fossilien auf- bewahrt ist, ruht: das Kambrium und das Silur. Anderwärts, in Nordamerika und in Nor- wegen kennt man eine noch ältere Schicht, aus der man schon für die damalige Zeit hochorgani- siertes, der Begriff ist relativ zu nehmen, Leben kennen gelernt hat. Das ist das sog. Algonkium, das auch bei uns noch nicht nachgewiesen ist. Unser Kambrium und Silur steht nun in bezug auf Fossilführung den gleichen Schichten Frank- reichs, Amerikas, Schwedens, Englands, Portugals, Böhmens nach. Im X'^ergleich unserer Faunen mit denen der angeführten Länder muß man unsere Einschlüsse spärlich nennen. Nur sporadisch sind unsere Funde gemacht worden und richtige Faunenbilder sind nur ganz vereinzelt aus den Resten zu konstruieren. Wer im ostthüringer Schiefergebirge arbeitet, der ist über jeden Fund erfreut, der noch nicht aus dem Gebiet bekannt geworden ist, er hofft schon gar nicht mehr, ganze Faunen aufdecken zu können. Diese Tat- sache hängt eng mit einer anderen ursächlich zu- sammen. Die wenigen Funde aus unserm Ostthüringen sind auch dermaßen schlecht erhalten, daß ihre Bestimmung Rätsel aufgibt, die oft schwierig zu lösen sind. Die Erhaltung ist schwedischem Ma- terial oder solchem aus den Ostseeprovinzen gegen- über mehr als mangelhaft. Diese beiden Tatsachen sind leicht zu erklären, wenn man sich vorstellt, daß Ostthüringen ein Land ist, das in bezug auf nachträgliche Umwandlungen von schon abge- lagerten Gesteinen Mustergültiges geleistet hat, zur P'reude der Tektoniker, zum Leid der Palä- ontologen. Kontaktmetamorphose und Dynamo- metamorphose haben zusammen die Schichten unkenntlich verwandelt. Dazu kam die auffaltende Tätigkeit nach der Kulmzeit, welche die Schichten riß, zog, zerbrach, zusammenschob. Daß so die Versteinerungen nicht in dem Maße erhalten bleiben konnten wie in den Gebieten Schwedens, Rußlands, wo sie in Schichten eingebettet liegen, die ungestört aufeinander lagern, das leuchtet leicht ein. Die Lücken in unseren Faunenlisten erklären sich auch dadurch, daß man sich Tiere vorstellen muß, die sehr wenige, manche über- haupt keine harten Körperteile besaßen, die den Druck sich neu auflagernder Gesteine aushalten konnten. Unter allen diesen Umständen erscheint es begreiflich, daß nur wenige Reste vom ehemaligen, ältesten Leben Ostthüringens erzählen. Über den ältesten fossilführenden Horizont ist ein heftiger Streit entfacht. Ein Teil der Forscher möchte unsere ältesten Sedimentschichten, die Phycodes circinatum Richter einschließen, nicht als Kambrium anerkennen. Philippi") und Karl Walther^) stellen es zum untersten Silur. Begründend führen sie an, das Phycodes und die von Karl VV^alther bei Gräfenthal gefundenen Trilobiten untersilurisch sind. Dagegen stehen die Ansichten der Preußischen Geologischen 13° Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 9 Landesanstah, die am Kambrium mit Phycodes circinatum R. als Leitfossil festhält. Also auch die Grenze steht bei uns noch nicht fest, an der das erste Leben bei uns auftritt. Sicher ist aber, daß überall, wo kambrischer Quarzit auftritt, an genügend ausgewitterten Stellen das Leitfossil dieser Schicht Phycodes circinatum gefunden wird. Darum erkennen wir unser ältestes Lebewesen im Kambrium. Was dieses vielum- strittene Phycodes war, das entscheidet wohl am besten der Bau. Aus einem Schaft lösen sich einzelne Zweige, die nach oben zusammengehen, heraus, bilden einen straußförmigen Körper, der als Steinkern einer Alge zu deuten ist. Genügende Verwitterung, am besten an den verschleppten Exemplaren aus dem Collisser Rotliegenden zu sehen, läßt an manchen Steinkernen die vielum- strittene Ouerriefung erkennen, die man als Zellen- struktur deutet, das beste Zeugnis für die pflanz- liche Abstammung. Man hat dieses Phycodes auf alle nur denkbare Art und Weise erklärt. Bald sollten es Rieselspuren, bald Kriechspuren von Würmern, bald Wohnröhren von Würmern sein. Der größte Teil der Geologen aber spricht sich für die Tangnatur von Phycodes aus. Karl Walther macht uns nun aus diesen Schichten mit Trilobiten, den Vorläufern unserer Krebse, bekannt. FIr beschrieb •') drei Reste vom P'ört- schenbachtal, südöstlich Gräfenthal; vom Geheg bei Förtschenbachtal und von einer Stelle zwischen Unterwirbach und Aue am Berg. Diesen letzten Trilobitenrest deutet er als einen Asaphusrest, die Trilobitenart , die für das Untersilur leitend ist, darum auch seine Ansicht vom untersilurischen Alter der kambrischen Schichten. Schon Richter fand in den kambrischen Schichten Reste eines Trilobiten, dessen 1,75 Zoll langes Pygidium (Schwarzschild) einem ? Asaphus Tyrannus Murch. anzugehören schien. Mit sicheren Phycoden zu- sammen sammelte er einen Rest, der zu einem Paradoxides gehörte. Leider sind, wie viele Rieht er'sche Sachen auch diese Belege ver- schwunden. Im reußischen Oberland fand Zimmermann'') zwischen Seibis und Kröten- mühle eine Lingula ähnliche Muschel. Bei Küh- dorf im Grund und Neugernsdorf schließen die kambrischen Phycodenschichten ..stäbchenförmige gebogene Formen" ein, für die Zimmermann") den Namen Palaeophycus tabularis Gein. anführt, also auch ein Tang wie Phycodes. Damit ist schon die Faunenliste unseres ost- thüringer ältesten Lebens geschlossen, wie es die Schichten des Kambriums treubewahrt einschließen. Ein P'aunenbild läßt sich aus diesen wenigen, an sehr verstreuten Fundorten gesammelten Ver- steinerungen nicht entwerfen. Auch über die Be- schaffenheit des Meeres geben die Reste keinen Aufschluß. Und wir wissen nicht, ob die Tiere im tiefen Meere oder in flacher See lebten. Mit reichlicher Formenfülle macht uns das Silur Ostthüringens bekannt. Ein Vergleich unserer Schichten mit denen Schwedens oder der anderen oben angeführten Länder hinsichtlich der Menge und Erhaltung der Fossilien fällt natürlich zu Ungunsten unserer engeren Heimat aus. Das Untersilur Ostthüringens hat man in ein- zelne, genau voneinander geschiedene Horizonte eingeteilt, die man von unten nach oben nennt: Oberer Schiefer, Oberer oder Hauptquarzit, Oberer Thuringithorizont, Unterer Schiefer (Griffelschiefer), Unterer Quarzit und Unterer Thuringit- horizont. In jeder von den angeführten Schichten haben sich Fossilien gefunden, die einigermaßen ein Bild vom Leben im Meer dieser Zeit geben, denn alles, was wir in den Schichten antreffen, zeugt, wie auch die Natur der einschließenden Gesteine von Meeren, die zur Silurzeit unser Ostthüringen bedecken. Der Wechsel von Quarzitschichten mit Tonschieferschichten läßt schon auf einen Wechsel in der Tiefe des Meeres schließen, das überhaupt als Tiefsee nicht zu denken ist, weil die Küste immer in der Nähe war. Vielleicht hat man sich das Untersilurmeer recht buchten- reich vorzustellen, das ermöglichte, daß sich die verschiedensten Schichten ablagern konnten. Die Quarzitschichten zeugen vom nahen Strand, von flacher, oft vom Wasser ganz und gar verlassener Küste ; die Tonschieferschichten erzählen von tieferen Meeren, doch nicht von Tiefsee. Aus dem Unteren Tiiuringithorizont war schon lange durch G ü m b e 1 ') eine (^rthis Lindstroemi bekannt geworden , die sich im Leuchtholz bei Hirschberg fand. Nun beschrieb Heß von Wich- dorff 1911*) eine interessante Fauna ebenfalls aus dem untersilurischen Chamosit-Eisenerzlager von Schmiedefeld bei Wallendorf Leider fand er nur Bruchstücke, aber es wurde ihm doch mög- lich, folgende Formen zu bestimmen : Aeglina armata Barr, Aeglina sp., Illaenus afif. perrovalis Murch, Macrocheilus äff. cancellatus Lindstr., alles Trilobiten, Orthis parva, ( Jrthis sp. äff. Budieighensis Davids, ? Echinosphaerites, Crinoiden, dazu Gastro- poden. Aus dem gleichen Horizont, dem Unteren Schiefer, beschrieb Zimmermann*) von einem Bahneinschnitt bei Reichenfels mehrere Reste, die Disciniden oder Oboliden gleichkommen. Also an der Schwelle des Silurs schon ein bunteres Leben als im ganzen ostthüringischen Kambrium. Schnecken krochen mit Urkrebsen zusammen durch Seelilienwälder, zwischen welchen Brachiopoden ihre Schalen zum Fangen von Nahrung aufsperrten. Zu diesen Tieren gesellten sich im Unteren Schiefer, den man seiner griffligen Spaltbarkeit wegen auch Griffelschiefer nennt, zum ersten Male in Ostthüringen die Graptolithen, die dann im Mittelsilur Ostthüringens die alleinige Herrschaft führen sollen. In Nordamerika, Schweden, England, Portugal und Frankreich herrschen sie auch im Untersilur, wo sie sich bei uns höchst selten finden. DerersteFund wurde iSSjdurch einen schwedischen N. F. XIII. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 131 Forscher Törnquist'"j gemacht, der einen sog. Tetragraptus von Gebersreuth aus dem Unteren Schiefer beschrieb. Es war lange Zeit der erste Fund geblieben, bis man auf jene gelben Fäden im Unteren Schiefer aufmerksam wurde, die in regelloser Anordnung sich zwischen den Schicht- flächen hinziehen. Manchmal sind sie schmal, manchmal für Graptolithenreste unnatürlich breit. Was sonst die Graptolithen charakterisiert, die einzelnen Zellen, die an einer gemeinsamen Achse sitzen, das kann man an diesen Resten nicht studieren. Darum nannte 'sie Weise zuerst Coenograptus linearis Carr. Diesen Namen über- nahm Zimmermann ^^) auch für die von ihm früher als tangähnliche Gebilde angeführten, damit zu vergleichenden Reste. Aus den gleichen Schichten von Seibis beschrieb ich 1912'-) einen Gonio- graptus mit unbestimmbarer Spezies. Und meine Untersuchungen über einen mit richtiger Achse versehenen Graptolithen aus dem Unteren Schiefer am Sieglitzberg bei Lobenstein sind noch nicht veröfi'entlicht. So treten die ersten Reste der später so mächtigen Graptolithenfamilie zunächst noch zaghaft, aber doch sicher erwiesen in unser ostthüringisches Faunenbild ein. Dazu kommen die ersten untersilurischen Trilobiten, die uns Loretz 1883^") aus dem Grififelschiefer bei Gräfenthal mitteilt. Die ältesten Aufzeichnungen über die Gräfenthaler und SpechtsbrunnerTrilobiten stammen von Richter aus dem Jahre 1872'*). Er führt aus dem Griffelschiefer an : Calymene sp., Asaphus marginatus, denen fügt Gümbel 1879 noch Ogygia an. Heute kennen wir aus den Fundstellen : Asaphus marginatus, lUaenus Loretzii, Megalaspis gladiator und den Gastropoden Conularia modesta. Zimmermann'*) fand bei Saalburg einen größeren Rest eines Trilobiten. Mit den Graptolithen zusammen, die pseudoplanktisch wie ihre Verwandten im jüngeren Mittelsilur lebten, bevölkerten sie das Griffelschiefermeer, in dem bei Plauen'") noch eine Orthisart ihr Leben fristete. Als der Meeresboden flacher wurde, sich grob- körnigere Massen zu Quarziten, zum Oberen oder Hauptquarzit zusammenschichteten, wechselte die Fauna. Das flache Wasser belebten Würmer, die sich in dem noch nassen, eben vom Wasser ganz verlassenen Schlamm schützend eingruben, deren Bohrröhren man als Scolithes beschrieb (Saalfeld). Ein Bild in das Leben am Strand dieser Zeit läßt sich nach den Funden an den Hüttchenbergen bei Wünschendorf zeichnen '^). Wie auf Blatt Lehesten ") der geologischen Karle und bei der Eybaer Schule ^'*) unweit Saalfeld Wohnröhren im Ouarzit gefunden wurden, die von einem Wurm Arenicolites didyma Salt, gegraben sind, so be- decken sich auch in den Hüttchenbergbrüchen die Quarzitschichtflächen mit Querschnitten des- selben Wurmes, der hier, wie an allen Stellen, sich vor dem Verschwinden des an und für sich flachen Wassers in seine Wohnröhren zurückzog. Andere Würmer schlängelten sich auf dem nassen Sande hin, hinterließen Ireubewahrt ihren schlangen- gleichen Weg. Das flache Wasser war dazu ordent- lich geschaffen, ganze Flächen von Wellenfurchen so einzudrücken, daß sie erhalten blieben. In dem Schiefer dieses Bruches, der den Quarziibänken eingelagert ist und von tieferem Wasserstande zeugt, treten die rätselhaften, in ihrer Stellung zum Tier- oder Pflanzenreich noch nicht sicher entschiedenen Palaeodyctium Eiseleanum Hundt und Dictyodora Zimmermanni Hundt auf. Das erstgenannte Tier stellt man zu den Würmern, während über die Natur des letzteren großer Streit entfacht ist. Rauff und Fraas'®) wollen die Dictyodora als Diuckerscheinung aufgefaßt wissen, wie und unter welchen Umständen sich diese Gebilde, der tütenförmige Körper mit seinem offenen Teile nach unten und der Spitze nach oben bildeten, das erklären sie nicht. Seitdem es mir gelungen ist -"), ihre Stammesgeschichte vom Untersilur Ostthüringens und Portugals, über das Mittelsilur des Kellerwaldes, Unterdevon Portugals, Oberdevon Schlesiens bis zum Kulm Ostthüringens festzu- stellen, wird wohl ihre organische Natur vollständig sicher gestellt sein. Den letzten Teil des Untersilurs beherrschen tiefere Meere, die eine ganz besonders charakte- ristische Fauna in ihre Ablagerungen einschlössen Und zwar waren es Einschlüsse aus härterem Quarzitgestein, die überall dem Oberen Schiefer regellos eingebettet sind und die eine eigenartige Fauna bergen. Die Tiere scheinen im Gebiet von ganz Ostthüringen gelebt zu haben, denn das häufigste Tier Echinosphaeritium aurantium findet sich überall über das Gebiet verstreut. Es ist von Hoheneiche, Kleingeschwenda, Piesau , Beulwitz, Lehestener Schloßgraben , Gißratal bei Saalfeld bekannt geworden. Das Tier war ein Vorläufer der Seeigel und bildet oft ganz allein eine solche oben erwähnte Knolle für sich. Das ist aber keineswegs der einzige Bewohner des Hauptschiefer- meeres. Richter macht uns aus diesen Schichten mit Beyrichia excavata Rieht., einem Krebs, Orthi- sima, Lingula, Discina rediviva Rieht., Obolus minor Barr, bekannt. Mit Echinosphaeritium au- rantium fand Loretz-') Trochiten, Anthozoen, ? Bryozoen, Korallen aus den Familien Favosites, Chaetetes, Monticularia zusammen mit Orthis äff. Lindströmi und den Stacheln des Krebses Ceratio- caris. Wenn wir das Leben im Untersilur überblicken, so erscheint es uns dem Kambrium gegenüber mehr entwickelt. Große Trilobiten, Schnecken, Orthisarten, Cystideen, Korallen, Seelilien, Krebse und die ersten Graptolithen bevölkerten das Meer. Am Strande lebten Würmer, Palaeodjctium Eise- leanum, Dictyodora Zimmermanni. Diese Tiere verschwanden zum allergrößten Teil, als das Meer im Mittelsilur seinen Einzug hält. Sofort treten die Graptolithen, jene eigen- artigen Tiere auf, deren Ähnlichkeit mit der rezenten Rhabdopleura Normanni Allmann zur Einschaltung in die Klasse der Echinodermata 132 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xni. Nr. 9 verführt, obschon man sie gern als Hydroitpolypen angesehen wissen möchte. Die Graptolithen beherrsclien nun die mittel- silurisclien Kieselschiefer und Alaunschiefer voll und ganz. Die anderen, beiläufig erwähnten Reste treten ganz zurück, d. h. sie fehlen nur bei uns in Ostthüringen. Die Stammesgeschichte der Graptolithen ist durch das ganze Mittelsilur hin- durch zu verfolgen, deshalb war eine Zonenein- teilung, wie sie England und Schweden als erste kannten, auch für Ostthüringen möglich. Sie war d.is Lebenswerk Ro bert Eiseis -^). Es sei hier gleich vorangestellt bemerkt, daß er die Zonen lo — 19 in unseren Ostthüringen für das Mittelsilur und Zone 20 für das Obersilur nachweisen konnte, davon kann Zone 16 — 19 kalkig als Knotenkalk ausgebildet sein. Die Zone 10 macht uns schon mit einer reichen Formenfülle bekannt , obgleich nur ein mangelhafter Aufschluß bei Raitzhain unweit Ronneburg diese Zone, die als Naturdenkmal er- klärt wurde, "^) einschließt. Es finden sich in dem vom Herzog von Sachsen-Altenburg geschützten Bruche: Diplograpten, Climacograpten, Monograp- ten, Cyrtograpten, Dimorphograpten, Demirastriien, davon sind die Diplograpten, Climacograpten zwei- reihig, die anderen einreihig, d. h. an den Achsen sitzen entweder nur an einer oder an beiden Seiten Zellen oder Theken. Die C)Ttograptcn verzweigen sich und bei den Dimorphograpten ist die Ver- teilung so, daß an dem einen (distalen) Ende an einer Seite einige Zellen, am anderen (proximalen) Ende an beiden Seiten Theken stehen. Von den Cyrtograpten , den seltensten Formen, konn- ten bis jetzt Cyrtograptus multiramis Törnq., Cyrtograptus radians Törnqu. und Cyrtograptus Törnquisti Hundt nachgewiesen werden. Die Formenfülle ist erstaunlich groß, Spezies- und Individuenzahl unglaublich hoch. Manchmal be- decken die Tiere zu Tausenden die Schichten kreuz und quer. Daneben bemerkt man keinen Rest eines anderen Lebewesens. Neben der F'ülle der vorhandenen Graptolithen fällt nur noch die schwarze Farbe aller, diese Tiere einschließenden Schiefer auf. Alle Schiefer des Mittel- und Ober- silurs, aber besonders die feinkörnigen Alaun- schiefer, die im unteren Teile des Mittclsilurs nur zeitweise eingeschaltet, im oberen Teile vorherr- schen, bis sie schließlich im Obersilur die Herr- schaft haben, sind schwarz gefäibt. Die schwarze Farbe der einschließenden Gesteine, der eigen- artige Bau gewisser Graptolithen, besonders der Monograpten , Rastriten , Demirastriten hat nun Lapworth in England benutzt, uns die Lebens- weise der Grajjtolithen anschaulich zu machen. Er kann sich nicht denken, daß die Graptolithen als fossiles oder vagiles Benthos oder als Plankton im Silurmecr lebten. Er denkt sich das Silur- meer mit Wäldern von Tangen erfüllt, ähnlich der Sargossasee. In diesem Silursargossameer sollen sich die Graptolithen wohl gefühlt haben. Jede Kolonie war an einen Tang befestigt und trieb an und mit diesem im Meer herum. Nur im Jugendzustande können sie demnach plank- tonisch gelebt haben, hefteten sich aber dann in einem gewissen Altersstadium fest. Von dem Silursargassum ist nichts erhalten geblieben. Nur die schwarze Farbe zeugt von der ehemaligen Anwesenheit von Tangen. So lebten die ein- reihigen Formen. Glückliche Funde in Nord- amerika von Ruedemann-^) und in Westergöt- land von Horn^*) geben uns Aufschluß, wie die zv^reireihigen Formen gelebt haben. Ruedemann beobachtete ganze Kolonien von Diplograptus pristis Hall, deren einzelne Achsen zu einem zen- tralen Packen verschnürt waren. Das ganze wurde von einer Luftblase gehalten und dadurch schwimm- fähig gemacht. Zwischen den ausgewachsenen Stöcken lagerten um eine viereckige Platte die Eiträger oder Goangien, aus denen in Zeiten der Reife die Keimzellen oder siculae ausgestoßen wurden. Diese schwammen so lange im Meere frei umher, bis ihnen eine Verlängerung, das Nema, gewachsen war. Daran setzten sie nun an eine oder an beide Seiten neusprossende Theken an. Ein neuer Stock entsteht, der sich zu einer Kolonie ausbildet. So lebten die Diplograpten nicht allein, sondern auch von Climacograpten hat es Hörn 191 1 beobachtet. Einzelne Diplo- grapten und Climacograpten haben an der ver- längerten Achse blasenartige Verbreiterungen, die als Schwimmorgane für den ganzen Stock anzu- sehen sind. So müssen wir uns die Graptolithen schwimmend zwischen den Tangwäldern denken. Einzelne Formen, wie Monograptus Halli, Mono- graptus Sedgwicki, Monograptus turriculatus, Monograptus testis haben an den einzelnen Zellen feine Haare, die bei der Nahrungsaufnahme der Tiere sicher eine Rolle gespielt haben. Im Ver- laufe des Mittelsilurs entwickelten sich die einzelnen Graptolithengattungen, einzelne verschwanden ganz, bis zuletzt nur noch im Obersilur die Monograpten vorhanden sind. In den unteren Zonen (10 — 13) herrschen Diplograpten und Climacograpten vor, die Monograpten treten zurück. In den Zonen 10 — 13 entwickeln sich aus den Cyrtograpten die Demirastriten, die teilweise die Zellenanordnung der Monograpten und der Rastriten aufweisen, die in Zone 14 zu echten Rastriten geworden sind. Cyrtograpten, Monograpten und Retioliten halten im Mittelsilur bis zuletzt aus, bis im Obersilur in Zone 20 nur noch Monograpten zu Hause sind. In die Lebensgemeinschaft der Grapto- lithen treten in einzelnen Zonen noch andere Tiere, die aber, wie ich schon bemerkte, vor den Graptolithen zurücktreten, ein. Rothpletz-^) fand in den Kirselschiefern von Langenstriegis und nach ihm wurde auch unser Kieselschiefer erfolgreich daraufhin untersucht, die Radiolarie Spongosphaerites tritestacea Rothpl., die mit ihrem kieseligen Skelett nicht unerheblich am Aufbau des Kieselschiefers beteiligt sein soll. Von den Diadomeen lebten im Kieselschiefer Navicula. Rätselhafte Stellung zwischen Tier und Pflanze N. F. Xm. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 133 nimmt Sphaerosomatites ein. In Zone 13 ist an zwei Stellen t^rthis callactis und Orthoceras tenue Wahl, bei Mennsdorf und Heinrichsruh unweit von Schlei/, nachgewiesen worden. Das ist die Fauna des Kieselschiefers, der für die Erhaltung organischer Reste nicht geeignet ist. Etwas reich- haltiger ist die Fauna des Alaunschiefers und der eingelagerten Phosphoritknollen, die beide für die Erhaltung der tierischen Reste ein ideales Ein- bettungsmittel sind. Man nimmt an, daß der Alaunschiefer an ruhigen, wenig tiefen Stellen des Silurmeeres abgelagert wurde, darum konnten sich dort auch die feinen und feinsten Körn- chen niederschlagen. In erster Linie sind wieder die Graptolithen vertreten. Dazu kommen noch reichlich Stielgliederreste von Cyathocrinus longimanus, denen aber die seltenen Kronen fehlen (Klosterhammer, Plauen, Gräfenthal, Neu- hammer bei Lobenstein). Wie im Untersilur, so findet sich auch hier der Ceratiocaris inae- qualis Barr, wieder bei Klosterhammer, Bären- mühle bei Wurzbach, in den Phosphoritknollen bei Plauen. .Als Seltenheit schlössen die Alaun- schieferschichten von Klosterhammer einen leider schlecht erhaltenen Gastropoden '') ein. Dem Ockerkalk sind Orthoceras bohemicum, Cardiola interrupta, -**) neben Stielgliedern von Seelilien eingelagert, leider aber auch sehr selten (Garns- dorf, Gräfenthal). Aus dem unteren Wetteratale macht uns E. Z i m m e r m a n n ■^'') mit Posidonomya glabra Münster bekannt, die von mir jetzt auch im Pößnigstal bei Saalburg gefunden wurden. (Nachtrag: Im Herbste 191 3 fand Verfasser noch einige bis jetzt aus Ostthüringen unbekannte Fossilien. Am Klosterhammer bei Saalburg schlössen die obersilurischen Alaunschiefer eine Cystidee: Orthocystites, eine Dendroidee: Dyctio- nema ein.) Im Obersilur wich das Meer immer weiter aus, verließ unsere Gegend, die während des Unterdevons Festland blieb. Darum wurden die obersilurischen Schichten so zerstört und damit viele eingelagerte Fossilien. Literatur: 1) Die Seebedeckungen Ostthüringens. Ref. Dr. K. Th. Liebe. Gera 1881. 2) Vorlesungen von Dr. phil. E. Philippi f. Jena 1912. p. 12. 3) Beiträge zur Geologie und l'aläontülogie des älteren Paläozoikums in Ostthüriogen. Dr. Karl Walther. Stutt- gart 1907. 4I Erläuterungen zu Blatt Lobenstein. E.Zimmermann. c,) Erläuterungen zu Blatt Weida. E. Zimmermann. 6) Geognostische Beschreibung des Kichtelgebirges. Güm- bel. Gotha 1879. 7) Über die Auffindung von Fossilien im untersilurischen Chamosit- Eisenerzlager von Schmiedefcld bei Wallendorf im Thüringer Walde. Heß von Wichdorf f. Monatsbericht, d. D. geol. Gesellschaft. Bd. 63. 191 1. p. 155. S) Erläuterung zu Blatt Weida. E. Zimmermann. 9) G. V. Törnquist, Geol. Foren in Stockholm. Förh. 1887. Bd. 9. Heft 7. 10) Erläuterung zu Blatt Lobenstein und zu Lehesten. E. Zimmermann. 11) I. Nachtrag zur Graptolithenfauna usw. igi2. Ru- dolf Hundt. Jahresbericht der Gesellsch. v. Fr. d. Naturw. I2'| Über Echinosphaerites und einige andere organische Reste aus dem Untersilur Thüringens. H. Loretz. Jahrb. d. pr. geol. Landesanstalt. 1883. 13) Untersilurische Petrefakten aus Thüringen. Richter. 1877. Z. d. D. g. G. p. 72. 14) Bericht üb. bes. Ergebn. d. Aufn. d. Blätter Hirsch- berg a. Saale, Gefalt., Schleiz. E. Zimmermann. Jahrb. d. pr. geol. Landesanstalt. 1894, 15) Geologische Verhältnisse der Stadt Plauen. E. Weise. Plauen 19 10. 16) Organische Reste aus dem Untersilur des Hüttchen- berges bei Wünschendorf an der Elster. R. Hund t. Central- blatt. Stuttgart 1912. Nr. 3. 17) Erläuterungen zu Blatt Lehesten. E. Zimmermann. 18) Kleine geologische Umschau in der Umgebung Saal- felds. H. Meyer, p. 119. Saalfeld 1910. 19) Petrefaktensammler. Stuttgart. Lutz. 20) Vertikale Verbreitung der Dictyodora im Paläozoikum. R. Hundt. Centralblatt. Stuttgart 1912. Nr. 17. 21) Siehe unter 12) der Literaturangabe. 22) Über die Zonenfolge ostthüringischer und vogtländi- scher Graptolithenschiefer. Rob. Ei sei. Gera. 39. — 42. lahresber. d. Gesellsch. v. Fr. d. Naturw. 23) Der Eisenbahnbruch bei Raitzhain, die Fundstelle der Zone 10 des Mittelsilurs, unweit von Ronneburg. R.Hundt. .■\ltenburg 191 2. 24) Übersicht des Wachstums und Entwicklung der Grap- tolilhengattung Diplograptus. R. Ruedemann. The Amer. Journ. of Science. Ser. 3. Vol. XLIX. Nr. 294. 1895. 25) Eine Graptolithenkolonie aus Westergötland. E. Hörn. Geol. För. Förk. Bd. 33. H. 4. 26) Radiolarien, Diatomaceen und Sphärosomatiten im silurischen Kieselschiefer von Langenstriegis in Sachsen. Rothpletz. Z. d. D. geol. Gesellsch. iSSo. 27) Gastropod aus dem Obersilur bei Klosterhammer un- weit Saalburg a. d. Saale im Reuß. Oberlande. R. Hundt, lahresber. d. Gesellsch. ¥. Fr. d. Naturw. zu Gera. 1912. 28) Erläuterungen zu Blatt Gräfenthal. Loretz. 29) Das Obersilur an der Heinrichsthaler Mühle im Wetteratale bei Gräfenwarth. E. Zimmermann. 43./44. Jahresbericht d. Gesellsch. v. Fr. d. Naturw. in Gera. p. 44 hiis 55. Die Keforinbewegung in der aiigewaiulteu Entomologie. Von Prot". Dr. F. Schwangart, Neustadt a. d. H.; Karlsruhe. Die „angewandte Entomologie" beschäftigt sich mit der Erforschung von wirtschaftlich wichtigen Gliederfüßlern („Entoma"-Kerbtiere). vor- wiegend Insekten, auf wissenschaftlicher Grundlage; Mit Schädlingen von Kulturpflanzen, in Land- und Forstwirtschaft, krankheitüber- tragenden und -erregenden, aber auch nütz- lichen Kerbtieren, deren Zucht uns Nahrungs- mittel, Kleidung, Luxusartikel verschafft. Die wissenschaftliche Erforschung dieser Kategorien soll dazu führen, Schädlinge und Krankheiten zu bekämpfen und den Nutzen von Kultur- insekten zu steigern, bzw. weitere der Kultur nutzbar zu machen. Der Schaden, dem es vorzubeugen gilt, beziffert sich auf viele Millio- nen jährlich, — wir brauchen nur an „Nonne", „Traubenwickler", „Reblaus" zu erinnern ; — durch Kerbtiere (Insekten, Milben) verursachte Seuchen 134 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. haben Massenelend in den Kolonien zur Folge und erschweren die Besiedelung und wirtschaft- liche Nutzung aufs äußerste — wie beim Gelb- fieber, der Schlafkrankheit, den tropischen Vieh- seuchen — und eine Sanierung ist nur auf der Basis der Erforschung jener Kerbtiere zu er- hoffen. — Die Insektenzucht auf der anderen Seite gehört zu den wichtigsten Einnahmequellen weiter Landstriche, wie das z. B. von der Seiden- raupenzucht gilt ; — Nutzen und Schaden der Kerbtiere greifen tief ein in die Daseinsbedingun- gen auch der Industrie, des Handels, von Unternehmungen künstlerischer und Wissen- schaft lieber Art: die Kerbtiere liefern indu- strielle Produkte, wie die Seide, gewisse Farbstoffe usw. und sie zerstören auch solche Erzeugnisse in großem Maßstab; unsere Kunst- und wissen- schaftlichen Sammlungen sind durch sie bedroht. Dieser eminenten wirtschaftlichen und hygieni- schen Bedeutung der Kerbtiere ist bis in die jüngste Zeit wenig Rechnung getragen worden: Insbesondere war man sich weder im Volk noch an den regierenden Stellen darüber klar, daß an- gesichts der komplizierten Biologie dieser Tiere ohne wissenschaftliche Arbeil in der Praxis nicht auszukommen sei. Der ursprünglich volkstümliche Standpunkt tritt noch unverhohlen zutage im größten Teil unserer Presse; dort vermißt man an zahllosen Berichten, die z. B. über den Verlauf und die Bekämpfung von Schädlingsplagen verbreitet werden , meist das Bedürfnis nach wissenschaft- licher Orientierung und das Bewußtsein, daß mit Verbreitung von Legenden beiden, den Wissenschaftlern, die aufklärend tätig sein wollen, und den Interessenten, die von phan- tastischen Vorstellungen zu wissenschaftlich er- mittelten Tatsachen und damit zu einem wirk- samen Vorgehen bekehrt werden sollen, schwerer Schade zugefügt werden kann, — den Landwirten an ihrem X'ermögen, den Wissen- schaftlern an Schaffensmut und Gesundheit. Wenn z. B. Tageszeitungen immer wieder von einem rapiden Fortschreiten der „Reblaus" berichten, wo es sich um die Blattfallkrankheit der Rebe, von Mitteln gegen die ,,Rel3laus", wo es sich um solche gegen den Traubenwickler handelt, — wenn sie ihre Urteile über Bekämpfungsverfahren immer wieder von beliebigen Korrespondenten beziehen, statt von den dazu berufenen wissenschaftlichen Auskunftsstellen, — so ist das doch nicht anders zu bewerten, als wenn sie etwa vom Heilserum in Verbindung mit Krebs, von Spirochaete pallida in Verbindung mit dem Unterleibstyphus schreiben, oder ihre Auskünfte über den VVert ärztlicher Maßnahmen in einem Seuchengebiet bei irgend- einem Ortsvorsteher einholen wollten. Besser als mit der Presse steht es in meinem engeren Wirkungskreise (dem der landwirtschaft- lichen Zoologie) schon mit der Bevölke- rung. Vollkommene Abhilfe kann hier aber nur von einem zweckentsprechenden Aus- bau des Ju gen d Unterrichtes erwartet werden. Das Ziel dieses Unterrichtes muß es sein, Lust und Fähigkeit zu objektiver Naturbeobach- tung im Volke zu stärken und ihm zugleich einen Begriff davon zu vermitteln, daß zu Be- obachtungen, Untersuchungen, Versuchen, Urteilen im Gebiete der Naturforschung fachl ich e Vor- bildung gehört, so gut wie auf anderen Sonder- gebieten menschlicher Betätigung. (Ist doch ein großer Teil der Objekte ohne Fachkenntnis und ohne spezielle Methoden nicht zu bestimmen oder für Laien überhaupt nicht wahrnehmbar.) — Was an Erwachsenen geleistet werden kann, ist recht unzulänglich; denn bei ihnen hat sich oft ein Zustand festgesetzt, der in Gegensatz zu dem steht, was wir anstreben müssen: der in der Jugend natürliche Trieb zum Beobachten ist unterdrückt; die Fähigkeit, zwischen Phantasie und Wahrnehmung zu unterscheiden, fehlt oder ist doch herabgesetzt; an die Stelle des Beobachtungstriebes tritt das Vorurteil, der „Praktiker" — d. h. der Besitzer wirtschaftlicher Objekte — müsse, in ständiger F'ühlung, mit diesen auch alle Schädlichkeiten daran besser kennen, als der wissenscbafiliche Entomologe ; spricht dieser von Dingen, die sich der Wahrnehmutig des Prak- tikers entziehen, dann ist hinreichender Verdacht erweckt, daß es sich hier um „Theorie" handle; der Entomologe wird in dem Sinne auch schlecht- hin als „Theoretiker" bezeichnet. (Diese Darstellung der Volkspsychc im Wirkungskreise unserer Wissenschaft soll gegen niemand eine Spitze haben: Man muß die Wahrheit sagen, wenn man bessern will, und ich persönlich bin dazu wohl berechtigt, da ich bei jeder (Gelegenheit bewiesen habe, wie hoch ich die Mit:irbcit der Interessenten einschätze, dort, wo deren Urteil maßgebend ist, z. B. in einer der wichtigsten Prägen der Schädlingsbe- kämpfung: ,,Ist eine Maßnahme unter den besonderen Ver- hältnissen einer Kulturart durchfühibar ?" Diese Frage muß vor jeder Bekänipfungsaklion erhoben und jedesmal unter Mitwirkung der Besitzer erörtert werden.) Die S c h u 1 d an den gerügten Übelständen trägt die Art der Schulbildung. Und da es sich hierbei um ein Übel handelt, das in alle Schichten tief eingedrungen ist — auch in die der Lehrenden ! — muß mit dem Ruf nach vermehrter Belehrung auch die laute Warnung einhergehen vor irrigen Tendenzen des Naturkundeuntenichts, der oft selber dazu neigt, Phantasie und vorgefaßte Spekulation an Stelle der Übung im Beobachten zu setzen, die dem Volke nottut ! Ich habe mich hierüber in einem Referat \) näher ausgesprochen. In der Hauptsache hat sich unsere Reform- bewegung bisher mit den staatlichen Ein- richtungen für angewandte Entomologie befaßt; mit Grund, denn es hat seine volle Berechtigung, wenn man uns darin andere Staaten zum Muster vorhält: die Vereinigten Staaten, wie das Escherich in seiner trefflichen Reform- ') Verhandlungen der Ges. Deutscher Naturforscher und Ärzte, Karlsruhe igil. Aufgenommen in: ,,Üie Trauben- wickler u. ihre Bekämpfung", II. Teil. G. Fischer, Jena 1913. (Nr. 6 ,,Die Bekämpfung der Rebschädlinge und die Biologie".) N. F. XIII. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 135 Schrift*) getan hat; aber auch Frankreich, Italien, England , Ungarn. In diesen Ländern ist man uns zum mindesten organisatorisch voraus. Die Hauptpunkte, wo die Organisation in Deutschland einsetzen muß, sind folgende: I. Man hat bei uns in der Landwirtschaft wie in den Kolonien meistens davon Abstand genommen, Stellen, die mit Bekämpfung tieri- scher Schädlinge betraut waren, mit Zoologen zu besetzen; die Entomologie wurde und wird noch in der Regel von Vertretern anderer Wissens- zweige: im besten Fall von Botanikern, aber auch von Chemikern, Technikern, Landwirten, Medi- zinern im Nebenamt verwaltet. Wenn man auch oft die Geschicklichkeit loben darf, mit der sich solche Persönlichkeiten in das ihnen fremde Gebiet eingearbeitet haben, obendrein oft mitten in der Praxis, so ist doch ohne weiteres klar, daß bei dem mächtigen Umfang, den heutzutage alle Disziplinen angenommen haben — nicht zuwenigst die Entomologie — , jetzt An- stellung von gelernten Fachleuten, Be- ruf szoologen, notwendig ist; die Rückständig- keit verrät sich denn auch auf den ersten Blick, bei Betrachtung der Literatur wie beim Eintritt in die Praxis; eine ganze Ouacksalberzunft lebt da- von, zum Schaden der Land- und Kolonialwirt- schaft. 2. Die Zahl der Arbeitsstätten für an- gewandte Entomologie ist zu gering, die Ausstattung der vorhandenen viel zu d ürft ig. Anstatt hierin schleunige Abhilfe zu schaffen, verlegen sich einflußreiche Persönlichkeiten noch immer gern auf alte Hausmittel zur ,, Entdeckung" von Heilmitteln und zur Beschwichtigung der durch Schädlingspiagen erregten Be- völkerung: Sitzungen, Veranstaltung (politisch gefärbter) Ver- sammlungen , Prämienausschreiben für Erfinder von Radikal- mitteln. Insbesondere solche Prämien sind angesichts der weitverbreiteten Kritiklosigkeit ein Unglück gerade für die Kreise, welche von dem Übel betroffen sind; Sie sind es, die dann einem Heer von Pfuschern (deren jeder natürlich das J.Radikalmittel" erfunden hat) zu Reichtum und Ansehen verhelfen sollen. Die Versuchsanstalten andererseits, die ohnedies überlastet sind, vergeuden dann ihre Zeit mit dem Durchprobieren all' der Heilmittelchen, statt ihre Kraft und ihr Wissen für eine folgeiichtige Erforschung des Schädlings und der ihm feindlichen Faktoren einzusetzen. 3. Die Frage : „W oh er nun aber die prak- tisch e n Zoolo gen nehmen?" ist in Deutsch- land vollauf berechtigt. Denn es fehlt noch an Lehrstätten zur Vorbildung solcher. Man muß hinzufügen, daß an den wenigen vorhan- denen Hoc h seh u Istellen für angewandte Zoologie erst in neuerer Zeit die natürliche Haupt- aufgabe wieder zur Geltung kommt ; bis dahin hatte man dort meist theoretisch gearbeitet, ohne rechte Würdigung der eigentlichen Schädlings- fragen als tiefgründiger hygienischer Probleme. ') K. Escherich, Die angewandte Entomologie in den Vereinigten Staaten. Eine Einführung in die biologische Be- kämpfungsmethode. Zugleich mit Vorschlägen zu einer Re- form der Entomologie in Deutschland. — P. Parey , Berlin 1913- Darin sind uns unstreitig die Amerikaner vorausgegangen, mit jenen mühseligen, aber auch so fesselnden Arbeiten zur Bekämpfung von Schadinsekten mit Hilfe ihrer winzigen natürlichen P'einde bzw. Parasiten; nur an wenigen Stellen in Europa hat man konsequent Arbeiten dieser Art durchgeführt und damit ein Neuland der Heihvissenschaften erschließen helfen. Gegenwärtig ist die Lage noch immer so, daß z. B. für landwirtschaftliche Zoologie kein einziger Lehrstuhl in ganz Deutschland errichtet ist. Wenn sie in manchen Fällen als Prüfungsfach von theoretischen Zoologen neben deren anderweiten Vorlesungen versehen wird, muß das natürlich eher Schaden als Nutzen beim wissenschaftlichen Nachwuchs stiften. 4. Das Ansehen der angewandten Entomo- logie iit auch bei den Staatsbehörden meist noch nicht das eirer vollwertigen Wissenschaft; und das muß ihr natürlich schaden, direkt bei den Interessenten, die ihren Ratschlägen folgen sollen, indirekt an Schaffensfreudigkeit. Wenn es aucli kaum mehr vorkommen dürfte, daß amtlich mit Schädlingsbekämpfung betrauten Stellen anbefohlen wird, mit irgendeinem be- stimmten, bei „Praktikern" beliebten Mittel Ver- suche anzustellen, gegen die eigene Meinung von dem Werte des Mittels, so ereignet es sich doch noch, daß tiefeingreifende Maßnahmen ohne Berücksichtigung des staatlichen Entomologen lediglich auf Antrag einflußreicher Interessenten gutgeheißen werden. Eine Grundforderung der Reform ist deshalb : Wo entomologische Sachver- ständige angestellt sind, darf ohne Be- gutachtung durch sie keine die ange- wandte Entomologie berührende Ent- schließung seitens der Staatsbehörden getrofifen werden. Die Reformbewegung zur Hebung der angewandten Entomologie in Deutschland hat be- gonnen i. J. 1902 mit den Schriften und Vorträgen von L. Reh (derzeit Hamburg).*) Die Zeit war noch nicht reif dafür; in Zoologenkreisen insbesondere, von denen doch die Bewegung aus- gehen mußte, wurde Reh nicht verstanden. Als nächster trat (1908) Heymons auf, nachdem er die Forschungsrichtung und die damals noch junge Organisation in den Vereinigten Staaten kennen gelernt hatte. ") Den Anstoß zur gegen- wärtigen Bewegung gab jedoch das Escherich- sche „Amerikabuch", das in sehr geschickter Fassung die Entomologie in Amerika schilderte und mit klaren und festumrissenen Vorschlägen ') L. Reh, „Die Zoologie im Pflanzenschutz", Verhandl. d. Deutsch. Zool. Ges. 1902. — Ders„ „Die Rolle der Zoo- logie in der Phytopathologie", Zeitschr. für wisscnsch. Insekten- biologie, 1905. — Ders„ ,,Phytopathologische Zoologie für unsere Kolonien", Tropenpflanzer (Organ des Kolonialwirt- schaftl. Komitees) 1911. ') R. Heymons, ,, Europäische Insektenschädlinge in Nordamerika und ihre Bekämpfung", Naturwiss. Zeitsclir. f. Forst- und Landwirtschaft 1908. 136 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. für Deutschland hervortrat. Ihm kamen von der einen Seite Bestrebungen auf Teilgebieten des deutschen entomologischen Versuchswesens (land- wirtschaftliche Zoologie, Seh wan gart)/) auf der anderen die schon im Gang befindlichen Reformen in anderen europäischen Ländern (Frankreich, England, Ungarn, Italien) zu Hilfe. Escherich fand lebhaften Anklang mit einem Vortrage bei der Versammlung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft in Bremen (191 3).-) Dort erfolgte die Gründung der „Deutschen Gesellschaft für an gewandte Entomologi e", mit folgendem Programm, das man nach meinen Ausführungen über die Mängel der bisherigen Zustände ohne weiteres verstehen wird : Durchführung einer zweckdienlichen staatlichen Organisation zur wissenschaftlichen Erforschung und Bekämpfung der wirtschaftlich schädlichen und der krankheitenerregenden Insekten und der Förderung der Zucht von Nutzinsekten; — Samm- lung und kritische Sichtung des vorhandenen Stoffes aus diesem Forschungsgebiet; — Hebung des Verständnisses für angewandte Entomologie und Wahrung ihres Ansehens in der Öffentlich- keit. - — Diesen Zweck sucht die neue Gesellschaft zu erreichen durch : Versammlungen zur Abhal- tung von Vorträgen und Demonstrationen, zur Erstattung von Referaten und zur Besprechung und Feststellung gemeinsam in Angrift'zu nehmen- der Arbeiten; — Veröffentlichung von Berichten und anderen Arbeiten ; — Anbahnung und Pflege von Beziehungen zu staatlichen Behörden und Korporationen; — Erziehung und Förderung eines wissenschaftlichen Nachwuchses. Daß die Gründung einem Bedürfnis weiter Kreise entgegenkam, ergab sich aus dem schnellen Anwachsen der Mitgliederzahl. Durch das rege Interesse w e i n b a u 1 i c h e r Kreise, die ja gegenwärtig der Unterstützung durch die angewandte Entomologie besonders dringend bedürfen, und durch die aufopfernde Rührigkeit des um die Schädlingsbekämpfung hochverdienten Kommerzienrates Otto Me u schel- Buchbrunn kam schon Oktober des Grund ungsjahres die erste Jahres versammln ng zustande. Wenn ich ihren Verlauf im folgenden kurz wiedergebe, geschieht dies, um an Beispielen zu zeigen, welchen Umfang das Forschungsgebiet unserer Wissen- schaft hat und welch wichtige Wirtschaft liehe Fragen von ihr Förderung erwnrten dürfen. Die erste Jahresversammlung der „Deutschen Gesellschaft für angewandte Entomologie", vom 21. — 25. Oktober in Würzburg, war aus Kreisen der Wissenschaft ') F. Schwangart, siehe oben, ferner ,,Die Trauben- wickler und ihre Bekämpfung, mit Berücksichtigung natür- licher Bekämpfungsfaktoren", I. Teil. G. Fischer, lena 1910, u. a. m. ^) K. Escherich, ,,Die gegenwärtige Lage der ange- wandten Entomologie in Deutschland". Verh. d. Deutsch. Zoolog. Ges. 1913. (Pflanzenpathologie, Züchtungskunde, Medizin usw.) wie seitens der wirtschaftlichen Interessenten stark besucht. Von über 20 angemeldeten Vorträgen mußten infolge des Stoffandranges mehrere zurück- gestellt werden. Vertreter von Ministerien und Regierungen, der Universität, der Stadt, deutscher und auswärtiger Versuchsanstalten, sowie solche der Deutschen Zoologischen Gesellschaft, der deutschen entomologischen, der deutschen Kolonial- gesellschaft, des kolonialwirtschaftlichen Komitees und anderer angesehener Vereinigungen nahmen teil. Escherich - Tharandt, der erste Vor- sitzende, sprach einleitend über die Ziele und Methoden der angewandten Entomo- logie; es folgten weiter: Ew. H. Rübsaamen, Leiter der Reblausbekämpfung in Preußen, über die Maßnahmen und Fortschritte der dortigen Reblausbekämpfung; L. Orth, leitender Sach- verständiger der Reblausarbeiten in Franken, über dasselbe Thema für das fränkische Weinbaugebiet; K. Born er, Vorstand der Kaiserlichen Versuchs- station in Villers l'Orme bei Metz, über seine neuen experimentellen Ergebnisse zur Reb- lausbiologie; R. Heymons über die ange- wandte Entomologie in Italien; L. Reh über den Stand in Deutschland; Aulmann- Berlin über die koloniale Entomologie; Bolle-Görz (Ostern Küstenland) in drei Vorträgen über Museal Schädlinge, Seidenraupenzucht und Seuchen der Seidenraupen und die biologische Bekämpfung der Maulbeerbaumschildlaus Diaspis pentagona mit Hilfe künstlich importierter natürlicher Feinde, vor allem der Schlupfwespe Prospaltella berlesei; Zander, Vorstand der K. bayer. Anstalt für Bi e nen forschung in Er- langen, über die Einrichtungen und Arbeiten seiner Anstalt; E. Teich mann -Frankfurt über die Er- gebnisse seiner Studienreise nach Afrika zur Er- forschung der Tsetsefliege, des bekannten Überträgers tropischer Seuchen; Haenel, Sach- verständiger der staatlichen bayerischen Vogel- schutzkommission, über „angewandte Entomologie und Vogelschutz"; Pre 1 1 - Tübingen über die Entwicklung der Raupenfliegen (Tachiniden), jener wirksamen Schmarotzer landwirtschaftlich und forstlich schädlicher Raupen. (Solche Unter- suchungen gehören zu den Voraussetzungen einer wirksamen „biologischen Bekämpfung"); Arn. Schul tze über Biologie und wirtschaftliche Be- deutung wildlebender Seidenspinner in unseren Kolonien; Jablonowski, Direktor der ungarischen staatlichen Zentrale für angewandte Entomologie, über Getreideschäd- linge. — In der Diskussion bekamen auch die Vorstandschaftsmitglieder, welche infolge des Stoff- andranges auf ihre angemeldeten Referate ver- zichtet hatten, Escherich und Schwan gart, Gelegenheit über die von ihnen in Aussicht ge- nommenen Themata: Forstschutz, Biologi- sche Bekämpfung, das Traubenwickler- problem, Organisationsfragen, sich zu äußern. Hiervon, wie von so vielen anderen N. F. XIII. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 137 dringlichen Fragen, blieb aber das meiste der nächstjährigen Versammlung vorbehalten, die auf freundliche Einladung des „Deutschen Pomologen- vereins" in Eisenach stattfinden soll. An die Verhandlungen schloß sich eine Exkursion in das fränkische Reblausgebiet bei Iphofen. In den Geschäftssitzungen wurde u. a. die Einrichtung spezieller Ausschüsse zur Behandlung von Einzelaufgaben beschlossen: für Organisationsfragen der angewandten Entomologie, — Wein-, Obst- und Gartenbau, — Feldbau, — Forstschutz, — Koloniale F'ntomologie, — Medi- zinische Entomologie, — Zucht von Nutzinsekten. Besonders ermutigend war es, daß zu einem geplanten Fonds für Studienreisen schon vor der ersten Jahresversammlung namhafte Beiträge ge- zeichnet waren. Die „Verhandlungen" der Deutschen Ge- sellschaft für angewandte Entomologie erscheinen demnächst im Druck und werden einer neu- gegründeten „Deutschen Zeitschrift für angewandte Entomologie" (Schriftleitung: Escherich und Schwangart, Verlag P. Parey-Berliii) angegliedert, in der die Grundsätze walten werden, die ich in vorstehender Skizze klarzulegen ver- sucht habe. Einzelberichte. Chemie. Über die optischen Eigenschaften von kristallisiertem Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Argon und anderen Stoffen berichtet eine sehr inter- essante Mitteilung von VValter Wahl in der Zeitschr. f physik. Chem. Bd. 84, S. 101 und 112 (1913). Für die Versuche benutzte der Verfasser optische Dünnschliffe, die er bei der Kristallisa- tion der zur Untersuchung gelangenden Stoffe zwischen zwei parallel stehenden polierten Quarz- plättchen mit einem Zwischenraum von 0,05 mm an aufwärts durch Kühlung mit flüssiger Luft ge- wann und im Polarisationsmikroskop untersuchte. Es ergab sich, daß Wasserstoff, Stickstoff, Argon und Methan regulär, Sauerstoff hexagonal, Athyl- äther rhombisch, Äthylalkohol, Aceton, Methyl- alkohol und Schwefelkohlenstoff monoklin oder triklin kristallisieren. Sauerstoff und Äthylalkohol erstarren bei der Abkühlung ähnlich wie ge- wisse Silikate und Borate in der Regel glasartig, können jedoch der Sauerstoff leicht, der Äthyl- alkohol weniger leicht und erst durch Anwendung besonderer Kunstgriffe, so durch Reiben der halb- weichen Alkoholgallerte mit einem Draht, auch in Kristallen erhalten werden. Sauerstoff und Methyl- alkohol kommen in zwei, im Verhältnis der Enantiotropie zueinander stehenden, d. h. durch Temperaturerniedrigung oder Temperaturerhöhung reversibel ineinander umwandelbarcn Modifika- tionen vor. Mg. Physik. Radioaktivität der Atmosphäre. Die Herkunft des Radiums und seiner Abkömm- linge aus der Pechblende, wie sie besonders stark radioaktiv in Joachimsthal gefunden wird, sowie ihr Vorkommen in einigen Mineralquellen ist wohl allgemein bekannt, weniger dagegen, daß man diese seltenen Stoffe auch in der Erd- atmosphäre vorfindet. Ihre Menge ist natürlich nur sehr gering, was ja leicht erklärlich ist, wenn man bedenkt, daß die gesamte bisher gewonnene reine radioaktive Substanz sich überhaupt nur auf einige Gramm beläuft. Ehe wir uns nun mit den äußerst interessanten Tatsachen und den Ver- suchen, die zwecks Auffindung dieser Stoffe in der Atmosphäre angestellt wurden, beschäftigen, möchte ich einige Bemerkungen aus der Lehre der Radioaktivität vorausschicken. Zunächst sei erwähnt, daß alle radioaktiven Stoffe die Luft ionisieren, d. h. die Leitfähigkeit der Luft für Elektrizität wesentlich erhöhen. Eine weitere Wirkung auf die Umgebung haben wir in der sog. induzierten Radioaktivität vor uns. Sämt- liche Stoffe in der Umgebung werden nämlich durch Übertragung mehr oder minder radioaktiv, doch verschwindet dieser Zustand wieder nach einiger Zeit. Der Eigenschaft der Induktions- fähigkeit zufolge begegnen wir überall in der Atmosphäre den Wirkungen der Radioaktivität, die sich besonders durch die erhöhte Leitfähig- keit kundtut. L^nd dies war auch der Ausgangs- punkt für die Untersuchungen, die besonders die beiden Physiker Elster und G e i t e 1 in Wolfen- büttel zwecks Auffindung radioaktiver Substanzen in der Atmosphäre anstellten (Phys. Zeitschrift i, p. 96 und 5, p. II, 1904). Gelegenilich einer experimentellen Erforschung der Ionisation der Luft fanden die beiden Forscher, daß der lonisationsgrad der Luft abnimmt, je länger sie sich unter der Versuchsglocke, die ein Elektrometer enthielt, befindet. Diese Tatsache ändert sich selbst bei künstlich staubfrei gemachter Luft nicht. Ein Mittel, die erhöhte Ionisation der freien atmosphärischen Luft zu erklären, bot sich in der Annahme, daß die Luft eine Art radio- aktiver Substanz enthält. Auch das Sinken des lonisationsgrades ergab sich folgerichtig aus dieser Vermutung. Denn die eventuell wirksamen Stoffe müssen der umgebenden Luft ihre Aktivität mit- teilen. Diese induzierte Luft verliert aber, wie der große englische Radiumforscher Rutherford kurz zuvor gefunden hatte, in einiger Zeit die ^Aktivität (Phil. Mag. Dez. 1902). Es war somit Grund genug vorhanden, das Vorhandensein radio- aktiver Stoffe in der freien Luft anzunehmen. Schwierig war es nur, ihr Dasein durch weitere Analogien hinreichend zu beweisen. Um dies experimentell durchzuführen, mußten die radio- aktiven Produkte gesammelt werden, da bei der 138 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. großen Verdünnung in der Luft ein genauer Nach- weis sehr schwer möglich ist. Diese Stoffe, besonders die Radiumemanation, die als Gas hauptsächlich in Betracht kommt, anzuhäufen, bot sich eine Möglichkeit insofern, als sie vermittels stark negativ elektrischer Drähte aufgefangen werden können, da sie selbst ja positive elektrische Ladung besitzen. Durchgeführt wurden diese Ver- suche folgendermaßen. Lange iVletalidrähte, die frei aufgespannt waren, wurden stundenlang auf ein sehr hohes negatives Potential gehalten, dann auf einer Rolle aufgewickelt und nun unter die Glocke, die ein E.lektrometer enthielt, gestellt. So war es möglich, die durch die am Drahte haftenden Emanationsprodukte erhöhte Ionisierung der Luft unter der Glocke deutlich und gut meß- bar nachzuweisen. Man kann auch durch Ab- reiben des Drahtes mittels feuchten Tuches die aktiven Stoffe auf einen kleinen Raum konzen- trieren und dadurch den Effekt erhöhen. So ist es den beiden Gelehrten gelungen, mit den auf diese Art gewonnenen Stoffen auch photographische Wirkungen zu erzielen, was als ein neues Beweis- mittel für die Identität dieser Stoffe mit den radio- aktiven Substanzen anzusehen ist. Die Experimente, wozu zuweilen, um auch die höhere Atmosphäre untersuchen zu können, Drachen und Ballons als Träger der Drähte ver- wandt wurden, erwiesen sich in ihren Erfolgen stets als äußerst abhängig von der gesamten Witterungslage; der nähere Zusammenhang ist • aber noch nicht hinreichend ergründet. Da ferner die Stärke der Radioaktivität mit der Höhe be- trächtlich abnimmt, so hat man zunächst ange- nommen, daß die Radioaktivität ihren Sitz in der Erde habe. Dies wurde auch durch Versuche mit Luft, die der Erde entnommen war, bestätigt. Weiterhin gab diese Tatsache Anlaß dazu, die LIntersuchungen auf verschiedene Gegenden Deutschlands und der Schweiz auszudehnen, um so eine mögliche Abhängigkeit von der geo- graphischen Lage festzustellen. Zunächst war es nun aber hierzu nötig, ein vergleichbares Maß der Aktivität zu besitzen. Da die Geschwindigkeit der Entladung eines Elektro- meters proportional der Ionisierung und damit auch der Aktivierung ist, so schlugen Elster und Geitel die Potentialerniedrigung, die ein Draht von einem Meter Länge in einer Stunde hervorbringt, als Aktivierungszahl A vor (Phys. Zeitschr. -i, 96, 1903). Auf Anregung der beiden Forscher hin wurde nun die Abhängigkeit der Zahl A von den ver- schiedenen geographischen Lagen genau erforscht. Um einigermaßen vergleichbare Werte zu erhalten, müssen diese Versuche über eine größere Zeit- spanne hin ausgedehnt werden, da sonst Zufällig- keiten in der Witterung die Resultate zu sehr beeinflussen würden. In Fällen, wo dies geschah, bemerkte man, wie z. B. Simpson in Karasjok, eine deutlich hervortretende jährliche Periode, die vermutlich auch an anderen Orten besteht. Nun ist zwar bei diesen Bestimmungen von A in keiner Weise die Natur der radioaktiven Stoffe, die sich am Drahte ansammeln, berücksichtigt worden, und dies ist, wie wir weiter unten sehen werden, von Wichtigkeit für die Deutung dieser Versuche. Immerhin ergibt sich aber aus den bisher vor- liegenden Versuchen deutlich, daß der Gehalt an aktiven Stoffen allmählich abnimmt, wenn man von der Nordsee aus nach den Alpen zu fort- schreitet. Dieselbe Verteilung über den ver- schiedenen Höhenstufen des Kontinents geht auch aus Versuchen von Simpson (Proc. Royal So- ciety 73, 209, 1905 und Phys. Zeitschr. C, 270, 1905) hervor, der in Hammerfest bei seinen Untersuchungen feststellte, daß der Wind, der vom Festlande kam, weniger Aktivität zeigte als der von der Küste. Wir haben bisher nur beiläufig erwähnt, daß Radiumemanation unter anderen Stoffen in der Atmosphäre wirksam ist, sonst aber nur das Vor- kommen radioaktiver Erscheinungen in der Atmo- sphäre besprochen. Es ist nunmehr angebracht, die Frage nach der genaueren Natur jener Sub- stanzen zu prüfen, auf deren Anwesenheit in der Luft wir diese Erscheinungen zurückzuführen Ilaben. Daß wir es hier nur mit gasförmigen Produkten, den sog. Emanationen, hauptsächlich zu tun haben, ist wohl selbstverständlich, da die festen Stoffe nicht dauernd in der Atmosphäre bleiben können. Das Material wiederum, das sich auf den Drähten niederschlägt, ist fest. Es rührt von dem Zerfall der Emanationen her, deren Halb- wertszeit, das heißt die Zeit, in der sie die Hälfte ihrer Wirksamkeit verloren haben, sehr kurz ist, so daß wir hauptsächlich nur ihre Zerfallsprodukte erhalten. Daß der Erde nur Emanationen ent- weichen können, geht aus folgender Tatsache her- vor. Rutherford u. a. haben nämlich gezeigt, daß die Emanation zwar infolge von Diffusion überall hingelangen kann, ihre Zerfallsprodukte aber schon durch äußerst poröse Filter wie Watte oder Glaswolle zurückgehalten werden. Die Um- wandlungsprodukte, die wir in der Atmosphäre vorfinden, müssen infolgedessen ausschliel31ich das Ergebnis des Zerfalls jener Emanationen sein, die früher der Erde entströmt sind. Zur Erläuterung des Nachstehenden sei noch erwähnt, daß die Emanationen nur a-Strahlen aussenden, die aus positiv geladenen Zerfalls- produkten bestehen. In der nachfolgenden Tabelle sind die bekannten radioaktiven Substanzen ein- getragen, die in der Luft vorhanden sein können ; jedem sind die Strahlenarten, die es aussendet, die Reichweite der a-Strahlen in Luft, sowie die Halbwertszeit hinzugefügt. Die Hauptrolle spielen natürlich, wie schon oben erwähnt, die drei Emanationen, von denen die beiden letzten infolge ihrer sehr kurzen Halb- wertszeit hinter der Radiumemanation zurück- treten. Wenn wir also an die Prüfung der radio- aktiven Substanzen, die wir in der Atmosphäre vorfinden, herantreten, müssen wir vor allen N. F. XIII. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 139 Name des Produkts Strahlen- arten Reich- weite der «-Strahlen Halb- wertszeit Radiumemanation (gasf.) a 4,23 cm 3,85 Tage Radium A (fest) a 4,83 ., 3 Min. Radium C (fest) ", ß, y 7,06 „ 19.5 „ Radium F (fest) n 3,86 „ 136 Tage Thoriumemanation (gasf.) ft 5.5 .. 53 Sek. Thorium A (fest) a f 0,14 „ Thorium C (fest) a, ß 8,6 cm 60,5 Min. Aktiniumemanation (gasf.) a f 3,9 Sek. Aktinium B (fest) a ? 2,15 „ Dingen die Natur der Emanation in solcher Luft besprechen, die sich in der Tiefe der Erde und in den kapillaren Gängen des Erdreichs befindet; denn von ihr gehen jene Wirkungen aus und pflanzen sich durch die ganze Atmosphäre fort, wobei sie selbstverständlich mit der Höhe ab- nehmen. Die Versuche mit P>dluft ergaben nun viele Analogien mit der Radiumemanation. Zu- nächst nahmen Elster und Geitel die gleiche Zerfallszeit wahr durch Messung der Ab- nahme der lonisierungsfahigkeit und stellten eine Halbwertszeit von 3,3 Tagen fest; ferner konnten sie mit der Bodenluft dieselben Induzierungs- erscheinungen hervorrufen wie mit Radiumemana- tion (vgl. G. A. Blanc im Jahrb. d. Radioakt. u. Elektronik VI, 1909). Einen weiteren Beweis für die Identität der beiden Stoffe lieferte der gemein- same Siedepunkt, der etwas höher als der der Luft liegt. Läßt man nämlich die aus der Erde gesogene Luft kondensieren und wieder ver- dampfen, so bleibt anfänglich ein Kondensations- produkt zurück, das sehr starke Radioaktivität zeigt. Die oben genannten gasförmigen Produkte sind nun sehr gut löslich in Wasser. Sie finden sich daher sehr viel in den Mineral- und Thermal- quellen. In Spuren muß besonders die Radium- emanation auch in jedem Brunnenwasser enthalten sein, wo man ihr Vorhandensein auch schon nachgewiesen hat. Schließlich finden sich diese Emanationen sehr viel in den Gasen, die der Erde an einigen Stellen entströmen. In allen diesen Fällen hat man besondere Anzeichen dafür gefunden, daß die Erscheinungen zum großen Teile auf die Anwesenheit der Radiumemanation zurückzuführen sind. Wie es leicht erklärlich ist, stellen diese eben- berührten Fälle Quellen dar, denen die Atmo- sphäre stets neue Mengen von Emanation ent- nimmt. Daß diese Stoffe so verbreitet in der Luft vorkommen, erklärt sich aus dem Umstände, daß das Radium in fast allen Gesteinen, vulkani- schen wie sedimentären, in merklichen Spuren anzutreffen ist. Die Emanation dieses Radiums verbreitet sich auf den oben erörterten Wegen in der Atmosphäre und unterliegt dort dem all- mählichen Zerfall , wobei alle obenangeführten Umwandlungsprodukte des Radiums der Reihe nach erzeugt werden. Weit schwieriger wegen des schnellen Zerfalls ist der Nachweis der anderen radioaktiven Sub- stanzen. Das Vorhandensein der Thoriumemana- tion kann man aus dem Vorkommen des Radio- thors, eines ziemlich langlebigen Zerfallsproduktes des Thoriums, in dem Schlamm einiger Quellen schließen. Der direkte Nachweis ist in neuerer Zeit auch gelungen und zwar auf demselben Wege, wie er oben beim Radium beschrieben ist. Ähnlich gelang auch der Beweis für das Vor- kommen der Aktiniumemanation und ihrer Zer- fallsprodukte in der Atmosphäre, jedoch nur unter großen Schwierigkeiten, da sie weit spärlicher an- getroffen werden wie die des Radiums und Thoriums. Das ist aber auch darauf zurückzu- führen, daß die charakteristischen Merkmale dieser Produkte bei ihrer Kurzlebigkeit noch durch die gleichzeitig anwesenden stärkeren Radiumzerfalls- produkte verdeckt werden. Aus der allgemeinen Verbreitung dieser Aktiniumprodukte in den obersten Schichten des Erdreichs allein könnte man schon auf ihr Vorhandensein in der Atmo- sphäre schließen. Aber es ist auch den Forschern Elster und Geitel (Phys. Zeitschr. 5, 1904, 11) gelungen, diese Stoffe direkt aus der Pflanzenasche und Pflanzenerde von Capri abzuscheiden. Was die Verteilung der in obiger Tabelle an- geführten Substanzen innerhalb der Atmosphäre anbetrifft, so läßt sich darüber kein allgemein gültiges Urleil abgeben. An windstillen Tagen werden sich in der Nähe des Bodens die Emana- tionen aller radioaktiven Stoffe aufhalten, be- sonders am Boden die des Thoriums und Aktiniums, da sie die Neigung haben, sich an die umgeben- den Stoffe anzusetzen. Die Radiumemanation kann wegen ihres langsamen Zerfalls in einer ver- hältnismäßig ausgedehnten Zone der Atmosphäre merkliche Wirkungen hervorrufen. An windigen Tagen werden diese Produkte selbst\'erständlich in regelloser Weise durcheinander gewirbelt. Inwieweit die Radioaktivität der Atmosphäre technisch ausgebeutet werden kann, ist eine Frage der Zukunft. Alfred Wenzel. Botanik. Säuregehalt und geotropische Re- aktion. Man hat gefunden, daß Säuren eine be- schleunigende Wirkung auf das Wachstum aus- üben ; als wahrscheinliche Ursache davon wird die erhöhte Fähigkeit zur Wasseraufnahme bei den Kolloiden, spezielldem Protoplasmaangesehen. Nach Martin H. Fischer geht das relative Wachstum an der konkaven und an der konvexen Seite eines sich geotropisch krümmenden Organs mit dem Säuregehalt parallel. Eva O. Schley hat nun den Unterschied im Säuregehalt an den beiden Seiten geotropisch gereizter Organe von neuem geprüft und dazu etiolische Keimlinge verwendet, die sie auf Brettern aufrecht wachsen ließ. Wenn 140 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 9 sie 6 — 8 cm groß geworden waren, wurde ein Teil der Bretter aufgerichtet, so daß die Keim- linge in einem rechten Winl jä wenn man 24 Mikromole Zirkonnitrat Zr(NOo)^ im Liter Wasser auflöst, sogar um fast IT^ - _^___ SjCI % V>v. w^ C^^^ j^_^^^ BiCli - ^ ■ ^ _l \ \ ßjßr. "■ \^ CA,!5ÜJ, \ % \ '- ; » ^ 3 y n 3 i 0 t 3 7 9 £ :? 0 Abb. 2. 1 50 "/„ , d. h. die Flüssigkeit wandert in diesem Falle überhaupt nicht mehr zum negativen, son- dern in entgegengesetzter Richtung zum positiven Pol. Das Diagramm in Abb. 2, in dem die Or- dinate die Wanderungsgeschwindigkeit v der Lösung in der Kapillare und die Abszisse die Molekular- 152 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. lo konzeniration c der Salze in den Lösungen angibt, zeigt die Abhängigkeit der Erscheinung von der Konzentration der Lösungen und den großen Einfluß, den die Wertigkeit des Metallatoms aus- übt; sie zeigt ferner, daß das Radium sich durch- aus der Gruppe der zweiwertigen Metalle anschließt. Mg. Physik. In seinem Vortrage über „charakteristi- sche Röntgenstrahlen" (Berichte der deutschen physikalischen Gesellschaft, Heft 24, S. 1273, 1913) gibt Charles G. Barkla einen umfassenden Bericht über die bisherigen Ergebnisse, die die Forschungen nach der elektromagnetischen Wellen- natur der Röntgenstrahlen gezeitigt haben. Be- kanntlich gehen von einem Körper, der von pri- mären Röntgenstrahlen getroflen und durchdrungen wird, drei Arten von Strahlungen aus. Die erste Art sekundärer Strahlung ist ähnlich den primären Strahlen und besteht aus unperiodischen Äther- impulsen. Die zweite Art ist ebenfalls eine Röntgenstrahlung, aber weit anderer Natur als die erste. Die dritte Art stellt eine Art /J-Strah- lung dar, schnellbewegle Elektronen, wie wir sie auch bei der (^Strahlung der radioaktiven Sub- stanzen beobachten. Wie wir sehen, ist nur die zweite Art der sekundären Strahlungen ein perio- discher elektromagnetischer Vorgang. Sehr inter- essant sind die Analogien zwischen den Erschei- nungen beim Licht und denen bei den Röntgen- strahlen. Wie in der Optik ein Körper haupt- sächlich die Wellenlängen des Lichtes absorbiert, die er aussendet — erinnert sei nur an die Ab- sorption des gelben Lichtes durch Natriumdampf — , so läßt ein Körper auch nur die Röntgen- strahlen hindurch, die nicht seinen Eigenschwin- gungen entsprechen. Im Gegensatze zu den un- periodischen Sekundärstrahlen erster Art haben die der zweiten Art nur eine Durchdringungs- fähigkeit. Mit wachsendem Atomgewichte wächst diese Fähigkeit, während die Wellenlänge der Eigenstrahlung, die ein Charakteristikum jedes Körpers ist, abnimmt. Letztere wird nur durch noch kürzere Wellenlängen erregt, eine fundamen- tale Analogie und Erweiterung des Stokes- schen Fluoreszenzgesetzes. Bei diesem Vorgange haben wir eine partielle Transformation des pri- mären Strahles in diese charakteristische Eigen- strahlung des Körpers auf Kosten der lonisations- fähigkeit sowohl des primären wie des sekundären Strahles vor uns. Das bedeutet aber eine Um- wandlung der Energie in eine bisher noch nicht beobachtete Form. Mit Hilfe einer Formel von Plank und den Versuchsdaten von VVhidding- ton hat man die Werte für die Wellenlängen der charakteristischen Strahlungen verschiedener Metalle festgestellt. So ergaben sich folgende Daten. .Aluminium-Strahl Calcium- Chrom- Kupfer- Rhodium- Silber- Ceri ung (charakteristische) 5,9- 10—« cm 2,73- lo-n cm 1,6 lo-N cm 1,08 -lO-s cm 0,41. 10—8 cm 0,375. 10 -» cm o,22. 10-« cm Diese charakteristischen Strahlungen deuten darauf hin, daß wir es hier mit der einfachsten Form der Fluoreszenz zu tun haben. Um eine Analogie aus der Akustik anzuführen, — wir haben hier nur den höchsten Oberton vor uns, während die gewöhnliche Fluoreszenz, wie sie die Sidot' sehe Blende z.B. zeigt, mit dem Grundton begleitet von sämtlichen Obertönen vergleichbar iit. Ein weiterer Beweis für den Zusammenhang dieser Strahlen mit der Fluoreszenz liegt in der Tatsache begründet, daß beide durch /) Strahlen erregt werden können, sobald die Geschwindigkeit der Elektronen die kritische Ausstoßungsgeschwin- digkeit der Korpuskeln bei der charakteristischen Strahlung übertrifft. Eine Vorstellung, wie man sich ungefähr die Entstehung der charakteristischen Strahlung zu denken hat, gewinnt man folgendermaßen Nach den modernsten Anschauungen hat man sich ein Atom als ein Konglomerat von Elektronen vor- zustellen. Die Zahl und gegenseitige Lage dieser kleinsten Bausteine der Materie ist für jeden Stoff charakteristisch , aber leider noch unerforscht. Durch die eindringenden Primärstrahlen wird ein Elektron aus dem Atomverbande gelöst. Der Rest geht in periodischen, langsam abklingenden Schwingungen in eine neue Gleichgewichtslage über. Das abgeschleuderte Elektron trägt zu der stets beobachteten /i-Strahlung bei, während die Schwingungen der übrigen Elektronen sich in den kurzwelligen elektromagnetischen Strahlen äußert. Da bei diesem Vorgange die Energieaufnahme von Elektron zu Elektron je nach seiner Lage im Atom verschieden ist, kann man erwarten, daß ein kontinuierliches Spektrum entsteht. Daß dies wirklich der Fall ist und wie man dieses Spektrum photographisch fixieren kann, zeigt M. de Broglie in einer Arbeit „über eine Methode, die Spektra der Röntgenstrahlen zu photographieren" (Ber. der deutschen phys. Ges. 191 3, S. 1348). Er geht dabei von den Versuchen von Laue und Bragg aus (siehe diese Zeitschrift 1914, Heft 5, S. 70). Ist d der Abstand der Netz- ebene im Kristall und « ihr Neigungswinkel zur Strahlenrichtung, so gilt die einfache Beziehung 2dcos« = n-/, wo n eine ganze Zahl und /. die Wellenlänge der einfallenden Strahlen ist. Diese Formel zeigt uns, daß beim Variieren von a wir der Reihe nach eine große Anzahl verschiedener Wellenlängen erhalten müssen. In die Praxis um- gesetzt hat Broglie dies dadurch, daß er einen Kristall um eine Achse rotieren läßt, die senk- recht zu der Einfallsebene liegt. So erhalten wir ein kontinuierliches Spektrum (vgl. auch Comtes Rendues, Paris 191 3, 17. November). Die Rota- tion muß natürlich der geringen Intensität wegen sehr langsam vor sich gehen , in der Stunde ungefähr um 2°. Man erhält so ein Spek- trum, das aus Banden und hellen Linien besteht. Auch Absorptionsstreifen treten auf; sie rühren anscheinend von dem Glase her. Spektra ver- N. F. XIII. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 153 schiedener Ordnungen werden mit verschiedenen hintereinander angeordneten Pholograpiiieplatten aufgenommen. Versuche über Aufnahme von Absorptionsstreifen, die von Körpern herrühren, die in den Strahlengang eingesclioben werden, und aus denen man eventuell die Frequenz der Eigenstrahlung feststellen kann, sind jetzt in Paris im Gange. Alfred Wenzel. Botanik. Hydronastische Blattbewegungen. Vor einigen Jahren hatte W. Wächter be- obachtet, daß die Blätter von Callisia repens L., einer Commelinacee, die normal etwa unter einem rechten Winkel vom Stengel abstehen (vgl. Fig. i), sich im Laboratorium senkten und an den Stengel anlegten (vgl. Fig. 2), und er hat nachweisen köimen, daß diese Bewegung- durch Fig. 1. Normalstellung. Verunreinigung der Luft (Leuchtgasgehalt) hervor- gerufen wird, also chemonastischer Natur ist. ^) (Ben d. D. Bot. Ges. 1905, Bd. '23, S. 379.) Ähn- liche Blattbewegungen treten nun, wie Wächter neuerdings festgestellt hat, bei derselben Pflanze auf wenn flüssiges Wasser auf sie einwirkt, ohne daß dabei der Einfluß in diesem gelöster Stoffe oder andere Faktoren in Betracht kommen. Pflanzen, die unter Wasser (Leitungswasser) ge- stellt wurden, sowohl eingewurzelte wie ausge- ') Unter Nastien sind nach Pf eff er Krümmungen zu ver- stehen, die durch einen diffusen Reiz hervorgerufen werden. topfte und sorgfältig von anhaftender Erde ge- reinigte, klappten ihre Blätter im Verlauf von 2 Tagen so weit herab, daß sie dem Stengel an- lagen. Wurden sie dann in Luft gebracht, so hoben sie sich wieder bis zur normalen Lage. Der Ver- such konnte so lange mit demselben Ergebnis wiederholt werden, bis die Blätter ihre Wachs- tunisfähigkeit verloren hatten. Sie blieben dabei gesund und turgeszent. Abgeschnittene Sprosse reagieren ebenso wie die bewurzelten Pflanzen. Destilliertes Wasser wirkt in der gleichen Weise, auch Einleiten von Sauerstoff ändert das Verhalten der Pflanzen nicht. Hiernach sind weder gelöste Stoffe noch Sauerstoffmangel die Ursache der Reizkrümmung. Da durch das Einsetzen der Pflanzen in Wasser abnorme Bedingun- gen geschaffen wer- den, ließ Wächter auch Wasser in Ge- stalt eines anhalten- den Regens auf sie einwirken (wozu die Brause einer Gieß- kanne verwendet wurde, die durch einen Schlauch mit der Wasserleitung verbunden war). Auch in diesem Falle senkten sich die Blätter und ho- ben sich wieder nach Aufhören des Regens; freilich war die Reaktionszeit länger. Verf be- merkt, daß der Ver- such deshalb nicht ganz einwandfrei sei, weil der me- chanische Druck, den der Regen aus- übt, von Bedeutung sein kann. Auch abge- schnittene, hori- zontal stehende Blätter, die mit der Oberseite oder mit der Unterseite auf Wasser gelegt wurden , zeigten die Reaktion, indem sich die Blattscheide dicht an die Blatt- spreite anlegte. Dieser Versuch zeigt i. daß zur Hervorrufung der Krümmung eine allseitige Benetzung nicht erforderlich ist, 2. daß ein etwaiges Eindringen von Wasser durch die Spaltöffnungen keine Rolle spielt (wie Verf durch Wägungen feststellte, nehmen die Blätter überhaupt nur wenig Wasser auf), 3. daß die Hemmung der Transpiration für die Blattbewegungen ohne Be- deutung ist. Der Aufenthalt in dampfgesättigter Luft ist Fig. 2. Reizlage. 154 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. lo im allgemeinen ohne Wirkung auf die Blätter, doch fanden sich Ausnahmen , die weitere Ver- suche nötig machen. Im Dunkeln reagieren die in Wasser gestellten Pflanzen nicht in der geschilderten Weise, ob- wohl, wie Versuche zeigten, die Verdunkelung an und für sich das Wachstum und damit die Krümmungsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Das IJcht übt also einen Einfluß auf die Entstehung der Krümmung aus. Verf zeigt, daß auch unter normalen Bedingungen an den Blättern eine auf oberseitigem Wachstum beruhende Krümmung phot onastischer Natur eintritt, die aber schwächer ist und langsamer verläuft als die Krümmung unter Einwirkung des Wassers oder des Leuchtgases. ') Man könnte „in der Wasser- wirkung eine Beschleunigung der normalen photo- nastischen Wirkung sehen". Verf bezeichnet die Reaktion indessen als hy d ronastisch, weil sie „sowohl in bezug auf die Reaktionszeit wie auf die rückläufige Bewegung ganz der chemonasti- schen Reaktion gleicht". Die Wiederaufrichtung der aus dem Wasser herausgenommenen Blätter erfolgt auch dann, wenn die Pflanze ins Dunkle gebracht wird. Die photonastisch gekrünmiten Blätter lassen sich nicht wieder in die I lorizontalebene bringen, weil sie ihr Wachstum beendet haben, wenn sie auf etwa 45" oder 60" heruntergeklappt sind. (Jahr- bücher für wissenschaftliche Botanik 1914, Bd. 53, S. 305 — 326.) F. Moewes. Astronomie. Die kosmologisch wichtige Frage nach der Veränderlichkeit der Nebel hatte bisher nur bei dem Hind'schen Nebel eine schein- bar bejahende Antwort gefunden, diese wird so- eben bestätigt durch eine Mitteilung von Borelly, daß dieser Nebel augenscheinlich gegenwärtig durch eine Periode des Maximums der Helligkeit gehe. Nach einer Zusammenstellung von Bigurdan gehen diese Beobachtungen an dem Nebel bis auf Schönfeld in Bonn im Jahre 1861 zurück. [Nature 1913, 2291.J Riem. Zoologie. Die ,, Schwebefortsätze" pelagischer Cladoceren. Schon seit Jahren ist es bekannt, daß die frei im Wasser schwebenden Organismen (das sog. Plankton) in vielen Fällen lange Stacheln, Spitzen, buckelartige Vorwölbungen oder andere Fortsätze besitzen und daß diese Gebilde bei der ') Die Horizontalstellung der Blätter ist die Folge des Photo tropismus (Reaktion gegen e i n s e i l i g e Lichtwirkung), über den mit der Zeit die Photonastie die Oberhand gewinnt, so daß sich die Blätter auch bei der günstigsten Stellung zum Lichte mit dem Alter senken (meist bis 45—60"). Bei Ab- schwächung des diffusen Lichtes kann der Phototropismus das ijbergewicht über die Photonastie behaupten. gleichen Art im Laufe des Jahres einen regel- mäßigen Größenwechsel aufweisen, daß sie ferner- hin von See zu See bei derselben Art oft beträcht- liche Unterschiede in F'orm und Größe haben. Man hat diese Formeigentümlichkeiten der Plank- tonten bisher allgemein in Beziehung zu den jahres- zeitlichen und lokalen Verschiedenheiten in der Tragkraft des Wassers gesetzt und sie als „Schwebe- organe" aufgefaßt (vgl. diese Wochenschrift 191 1, N. F. X, p. 145 — 156). Allerdings wollten manche Erscheinungen — z. B. die vertikale Haltung dieser F'ortsätze bei einzelnen Formen, ihre Verlängerung im Winter, Verkürzung im Sommer bei anderen Arten — sich durchaus nicht in den Rahmen der Schwebetheorie einpassen lassen. Nun hat kürz- lich R. Wolter eck bei den pelagischen Clado- ceren (den Wasserflöhen) Funktion, Herkunft und Entstehungsursachen dieser sog. Schwebefortsätze gründlich untersucht (Zoologica, 191 3, Heft 6-], P- 475-550). Durch eingehende Analyse der Bewegung, vor allem der Daphnien und Bosminen, kam Wolter- eck zu der Auffassung, daß all diese Körper- fortsätze als gemeinsame, wichtigste Funktion die haben, die Schwimmrichtung zu regulieren, indem sie einerseits geradlinige Fortbewegung ermöglichen, andererseits eine Horizontalisierung der Schwimm- bahnen bewirken. Es sind also Richtungs- organe, und zwar dienen sie teils alsFührungs- flächen, teils als Steuer. Jene dienen dazti, Abweichungen von der Vorlriebsrichtung zu er- schweren, indem sie parallel der F'ortbewegungs- richtimg liegen und bei jeder Abweichung als Gegensteuer wirken; diese stehen beständig in einem bestimmten Winkel zur Richtung der Eigen- bewegung derart, daß die Schwimmrichtung eine Resultante aus Bewegungsrichtung (Schlagrichtung der Ruder) und Steuerablenkung darstellt; dazu kommt noch der Einfluß der Schwerkraft und des Lichtes. Alle Tatsachen der jahreszeitlichen wie örtlichen Formvariabilität der pelagischen Cladoceren werden durch die neue W o It ere ck'sche Theorie in ver- hältnismäßig einfacher Weise erklärt, keine steht mit ihr in Widerspruch. Auch das bisher noch ganz rätselhafte Problem der Vertikalwanderungen der Planktonten wird durch sie dem Verständnis näher gebracht. — Wir halten Woltereck 's neueste Arbeit, die unsere Anschauungen über die Bewegung der Planktonten durchgreifend ändert und die verschiedenartigsten Probleme der moder- nen Hydrobiologie in so eigener und interessanter Weise beleuchtet, für eine der allerwichtigsten und bedeutungsvollsten, die seit Wesenberg-Lund's großen „Planktoninvestigations" über die Schwebe- welt unserer Binnengewässer erschienen sind. A. Thienemann (Münster i. W.). N. F. XIII. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 155 Schlafkrankheit in Uganda. — Diese Infektions- krankheit" wird Ijekanntlich hervorgerufen durch einen Parasiten, das Trypanosoma gambiense, der auf den Menschen durch den Stich eines in be- stimmten Gegenden Afrikas weit verbreiteten Insekts, der Glossina palpalis, übertragen wird. Die Symptome bestehen in allgemeinen Drüsen- schwellungen, später Apathie, mit Krampfzusiän- den verbunden und dauernder Schlafsucht. Durch die bekannte Afrikareise von Robert Koch ist nun eine energische Bekämpfung der Schlafkrank- heit in die Wege geleitet worden, so daß in man- chen Gegenden die Fälle ganz wesentlich abge- nommen haben. Zu diesen Orten gehört auch Uganda (siehe Schilling, Deutsch. Med. Wochen- schrift Nr. 43, 1913), wo seit etwa 18 Monaten kein Todesfall mehr beobachtet worden ist. Zur wirksamen Bekämpfung der Schlafkrankheit ge- hört das System der Evakuierung der Bewohner von Gegenden, die von der Glossina palpalis heim- gesucht sind, in palpalisfreie Landstriche. Diese Maßnahme wird von Seiten der Regierung sehr energisch durchgeführt, wobei man den Leuten 6 Monate Zeit läßt, einen neuen Wohnort aufzu- suchen. Nach dieser Frist werden alle Hütten, Kähne usw. in dem alten Dorfe verbrannt, und dadurch die Brutstätten der Insekten vernichtet. Eine zweite Methode ist die der Abholzung. Da es nachgewiesen ist, daß die Glossinen sich in bestimmtem Buschwerk in der Nähe von Flüssen aufhalten, ist man dazu übergegangen, dieses Busch- werk erst abzuholzen und dasselbe an Ort und Stelle zu verbrennen. Man muß dabei sehr sorg- fältig vorgehen und die Wurzeln mehrmals aus- roden, weil sonst sofort neue Triebe aufschießen. Diese abgeholzten Stellen werden mit einer be- stimmten Gra.sart, dem Citronellagras bepflanzt, das imstande sein soll, durch seinen aromatischen Geruch Mücken zu vertreiben. Doch tritt, wie Schilling bemerkt, dieser Geruch erst zutage, wenn man die Blätter zerreibt, und er hält des- halb die Anpflanzung eines Oueckengrases (wie in Entelbe) für wirksamer. Die Abholzungen werden in einer Breite bis zu looo m vorgenorn- men, danach kommt, nach dem Flußufer zu, ein Streifen von Papyrusgestrüpp, in dem sich keine Glossinen zu halten vermögen. Eine dritte Methode der Bekämpfung ist die Behandlung der Patienten selbst durch Injektionen von Atoxyl. Während an manchen Orten die Einwohner in ihren Hütten aufgesucht und auf verdächtige Symptome hin untersucht werden — durch sog. „Drüsenfühler", (weil die Schwellung der Drüsen eines der ersten Symptome ist) — findet diese Art der Behandlung in Uganda nicht statt, sondern es werden hier nur die Leute be- handelt, die von selbst kommen. Die weitere Erforschung der Schlafkrankheit bietet noch .Aus- sicht auf manche interessante Beobachtung über die Art der Entwicklung des Trypanosoma in Kleinere Mitteilungen. der Glossina palpalis, sowie der Parasitenträger, zu denen neben dem Menschen auch noch be- stimmte Tierarten (Antilopen) gehören. Dr. med. Carl Jacobs. Ouarzgut. — Noch im Jahre 1903 konnte der Besitzer der Quarz- und Platinschmelze in Hanau, Heraus, in einem Vortrage gelegentlich des fünften Internationalen Kongresses für angewandte Chemie die Worte aussprechen: „Quarzglas wird immer etwas Kostbares bleiben, und die Glas- industrie hat darin keinen Konkurrenten zu fürch- ten." Damals hatte Heraus auch recht, man war eben noch darauf angewiesen, wie bei ge- wöhnlichem Glase, mit Hilfe des Knallgasgebläses zu arbeiten und es war nur mit großer Mühe und Geschicklichkeit möglich, kleine Laboratoriums- geräte herzustellen Im Jahre darauf wurde je- doch eine Erfindung gemacht, die es ermöglichte, aus geschmolzenem Sande Gegenstände in jeder beliebigen Form und Größe herzustellen. Quarz- glas ist, im Gegensatz zu gewöhnlichem Glas, reiner Quarz oder Sand ohne Zusatz von Fluß- mitteln. Die Herslellungstemperatur beträgt 2000" C. ^) Die ersten Versuche, Quarzgeräte herzustellen, fallen in das Jahr 1839, in dem es dem Franzosen Gaudin gelang, l m lange, dünne Ouarzfäden herzustellen. Späterhin arbeiteten Ga u t ie r ( 1878), Moissan, Boys, Dufor, Le Chatelier, Villard, Heraus, Shenstone und Huttoii auf diesem Gebiete. Diejenige Erfindung, auf der die heutige Quarzguttechnik begründet ist, wurde von den beiden Engländern Bottomley und Paget 1904 gemacht, und benutzt nicht mehr das Knall- gasgebläse, sondern stellt erst einen Quarzzylinder her und verarbeitet diesen durch entsprechende Vorrichtungen mit Preßluft zu beliebigen Formen. Nach diesem Verfahren gelingt es. Schalen bis I m Durchmesser und entsprechend andere Ge- rätschaften verhältnismäßig leicht herzustellen. Verbesserungen dieses Verfahrens sind von Dr. Völker und Dr. WolfBurckhardt erfunden worden. Da Quarzgut einen sehr geringen Aus- dehnungskoeffizienten hat — nur V)ii von Jenenser Glas — , ist es ziemlich unempfindlich gegen schroffen Temperaturwechsel, derart, daß man solche Schälchen z. B. unvorgewärmt in eine Knallgasflamme und dann sofort in kaltes Wasser bringen kann. Quarzglas hat auch vor allem noch eine interessante optische Eigenschaft, es läßt ultraviolette Strahlen sehr gut durch. In F"orm von Quecksilberquarzlampen wird es daher für manche Zwecke, neuerdings zur Wassersterilisation, angewendet, da ultraviolette Strahlen stark keim- tötende Eigenschaften besitzen. Infolge des Silberglanzes benutzt man neuer- dings auch Quarzgut zu Schmuck- und Ziergegen- ') Technische Rundschau XIX. 21. 156 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. lo ständen und in der Architektur zu Wandver- zierungen. Otto Bürger-Kirn. Weltwirtschaftliche Probleme Ostasiens. — In der Hauptversammlung des Vereines deutscher Eisenhüttenleute zu Düsseldorf am 30. Nov. 1913 hielt Dr. v. Wiese und Kaisers waldau, Düsseldorf, einen Vortrag über dieses Thema. Die Mahnungen mancher rditiker und Volkswirte in Deutschland, sich mit China eifrig zu beschäf- tigen, entsprechen in jeder Beziehung den Inter- essen der Politik und Volkswirtschaft Deutsch- lands, vor allem der Eisen erzeugenden und ver- arbeitenden Industrie. Die Gewinnung des chinesi- schen Marktes fordert das steigende Ausfuhrbe- dürfnis der deutschen Eisenindustrie, wenn sie den Wettbewerb mit der englischen aufrecht er- halten will. Von allen Großmächten wird gleich- zeitig um den chinesischen Markt gekämpft, weil ein entscheidender Umschwung der Wirtschafts- kultur Chinas eingetreten ist. Vor allem handelt es sich um die t>schließung des chinesischen Hinterlandes durch Eisenbahnen. Der Bedarf an Maschinen , besonders an landwirtschaftlichen, Bergwerks- und Werkzeugmaschinen, an Näh- maschinen, an elektrischen Installationen, Schienen, Motoren für das Kleingewerbe usw. ist groß Der Hauptmangel im chinesischen Geschäfts- verkehr besteht im Fehlen eines einheitlichen Berg-, Patent- und Gesellschaftsrechtes. Die Angelsachsen und die Japaner erkannten sehr richtig, daß sich in China ein großer Einsatz lohnt. Die englische Sprache wurde zur zweiten Landes- sprache gemacht. Durch die Gründung von ausgesprochen deutschfeindlichen Gesellschaften, wie der British Engineering Association und von entsprechenden Zeitschriften, wie des Eastern Engineering, kämpfen die Briten um den Vorsprung. R. Ditmar. Die Stollbeule der Pferde ist eine Entzündung des Schleimbeutels auf dem Ellenbogenhöcker (bursa olecrani) und des umgebenden Gewebes. Außer anderen Nachteilen bildet sie häufig einen außerordentlich störenden Schönheitsfehler. Als Ursache des Leidens wird allgemein Quetschung der Haut des Ellenbogens und der bursa durch Liegen mit untergeschlagenen Vorderbeinen in zu engen Ständen, scharfe Stollen, zu lange Hufeisen, schlechte Einstreu und dergl. angenommen. Kürz- lich veröffentlichte Dr. Sustmann seine Er- fahrungen über die Entstehungsweise der Stoll- beule. Ohne daß es ihm gelungen ist, den näheren Zusammenhang zu ergründen, will er beobachtet haben, daß die Stollbeule nur in Ställen mit Holz- pflasterung entstehe. Zur Behandlung wurde meist eine Einreibung mit Quecksilberbijodatsalbe, An- wendung von Atzmitteln oder der elastischen Ligatur empfohlen. Alle diese Methoden erfreuten sich aber bei den Tierärzten ebensowenig unge- teilter Anerkennung, wie die operative Ent- fernung der erkrankten Gewebsteile. Bei letzterer erhält man sehr große, wegen ihrer Lage schwer heilende Wunden, sowie häufig sehr störende Blutungen. In einem Vortrage spricht nun Dr. Magnußen über gute Erfolge, die er mit der Operationsmethode nach Prof. Mörkeberg erzielt hat. Die wesentliche Abänderung der neuen Methode besteht darin, daß die ganze Geschwulst vor dem Anlegen des ersten Schnittes mit Hilfe der sog. Bayer'schen Naht von ihrer Unterlage geschieden wird, die Wundnaht also gewissermaßen vor Beginn der ( )peration angelegt wird. Nach den bisherigen Erfahrungen dürfte dies Verfahren geeignet sein, der operativen Pintfernung der Stoll- beulen neue F"reunde zu gewinnen. W. Ilgner. Bücherbesprechiingen. „Naturwissenschaftliche Jugendliteratur". 1 1 Naturwissenschaftl. -Technische Volksbücherei der Deutschen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft e.V., herausgegeben von Dr. Bastian Schmid. Nr. i: Fischer, Dr. Hugo, Die Bakterien. Mit Abbildungen. — Preis 20 Pf. Nr. 2 : B 1 a n c k , Dr. E. , Wie unsere Acker- erde geworden ist. — Preis 20 Pf. Nr. 3 — 5: Schreber, Prof. Dr. K., Die Eisenbahn. Mit 15 Abbildungen. — Preis 60 Pf. Nr. 6: Wernicke, Gymnasialoberlehrer K., Wetterkunde. Mit 16 Abbildungen. — Preis 20 Pf. Nr. 7 — 9: Gen gl er, Dr. J., Bilder aus dem Vogelleben. Mit 4 Abbildungen. — Preis öo Pf. Nr. 10 — 12: Wunder, L., Die Elektrizität im täglichen Leben. Mit Abbildungen. — Preis 60 Pf. Nr. 13-16: Plaßmann, Prof. Dr. J., Der gestirnte Himmel. Mit zahlreichen Abbildungen. — Preis 80 Pf. Nr. 17—21 : Hen niger, Prof. Dr. Karl Anton, Die Metalle nach Vorkommen, Gewinnung, Ver- wendung und wirtschaftlicher Bedeutung. Mit 22 Abbildungen. — Preis i Mk. Nr. 26 — 28: Bauer, Dr. H., Die Chemie der menschlichen Nahrungsmittel. — Preis 60 Pf. Nr. 36: Wald mann, Dr. A., Oberarzt, Erste Hilfeleistung bei Unglücksfällen. Mit 26 Ab- bildungen. — Preis 20 Pf. Nr. 37 — 38: Schreber, Prof. Dr. Karl, Der Luftverkehr. Mit 26 Abbildungen. — Preis 40 Pf Nr. 44: Lipschütz, Dr. Alexander, Von den Drüsen unseres Körpers. Mit zahlreichen Abbildungen. — Preis 20 Pf. Nr. 45 : , Pflanze und Tier. Mit 8 Ab- bildungen. — Preis 20 Pf. Nr. 46: — — , Wasser und Salze im Haus- halte des Organismus. Mit 8 Abbildungen. — Preis 20 Pf. Nr. 56,57: Bauer, Dr. Hugo, Trinkwasser und Trinkwasserversorgung. — Preis 40 Pf. Nr. 58/59: Blanck, Dr. E. , Die Lehre von N. F. XIII. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 157 der Ernährung und Düngung der Pflanzen. Teil I. — Preis 40 Pf. Nr. 84 — 85: , Teil II. Mit zahlreichen Abbildungen und Tabellen. — Preis 40 Pf. Nr. 60/61 : Berg, Dr. Alfred, Wie unsere Erde geworden ist. Mit 42 Abbildungen. — Preis 40 Pf. Nr. 74-75: H i 1 z h e i m e r , Dr. M. , Urge- schichte des Menschen. Mit zahlreichen Abbil- dungen. — Preis 40 Pf. Nr. 76 — 78: Ho ff bau er, Dr. C, Unsere einheimischen Süßwasserfische und die Fisch- zucht. Mit 14 Tafeln und 20 Abbildungen im Text. — Preis 60 Pf. Nr. 79—81: Fest, Dr. Franz, Gemüse- und Obstbau im Haus- und Wirtschaftsgarten. — Preis 60 Pf. Nr. 86— 87; Wald mann, Dr. A., Die Tuber- kulose und ihre Bekämpfung. Mit zahlreichen Tabellen. — Preis 40 Pf. Thomas' Volksbücher, herausgegeben von Dr. Bastian Schmid. Nr. 88—90: Block, Dr. Walter, Grundlagen der Photographie. Mit 28 Abbildungen. — Preis 60 Pf. Nr. 94 — 95: Lipschütz, Dr. Alexander, Allgemeine Biologie für Selbstunterricht und Schule. I. Teil: Zellenlehre. Mit 60 Abbil- dungen. — Preis 40 Pf. Nr.98— loi: Lämmermayr, Dr. L., Unser Wald, ein Kapitel denkender Naturbetrachtung im Rahmen der vier Jahreszeiten. Mit 71 Ab- bildungen. — Preis 80 Pf. Nr. 107 — 109: Thiele, Dr. R., Die wichtig- sten Faserpflanzen. Mit 17 Abbildungen. — Preis 60 Pf. 2) Prof Dr. Bast ian Schmid's naturwissen- schaftliche Schülerbibliothek. 2) Rebenstorff, Prof H., Physikalisches Experimentierbuch. II. (Schluß )Teil. Anleitung zum selbständigen Experimentieren für mittlere und reife Schüler. Mit 87 Abbildungen im Text. 178 Seiten. 1912. — Preis 3 Mk. 12) Graebner, Prof. Dr., Vegetationsschil- derungen. Eine Einführung in die Lebens Verhältnisse der Pflanzenvereine, namentlich in die morphologischen und blütenbiologischen Anpassungen. Für mittlere und reife Schüler. Mit 40 Abbildungen und 184 Seiten. 1912. — Preis 3 Mk. 16) Hock, Dr. F., Prof., Unsere Frühlings- pflanzen, Anleitung zur Beobachtung und zum Sammeln unserer Frühjahrsgewächse für jüngere und mittlere Schüler. Mit 76 Abbildungen im Text. 180 Seiten. 19 12. — Preis 3 Mk. 17) Sassenfeld, Max, Oberlehrer, Aus dem Luftmeer. Meteorologische Betrachtungen für mittlere und reife Schüler. Mit 40 Abbildungen. 183 Seiten. 191 2. — Preis 3 Mk. 18) Schaf fer, Prof. Dr. C. , Biologisches Experimentierbuch. Anleitung zum selbsttätigen Studium der Lebenserscheinungen für jugend- liche Naturfreunde für mittlere und reife Schüler. Mit 100 Abbildungen im Texte. 269 Seiten. 191 3. — Preis 4 Mk. 19) Wunder, L. , Physikalische Plaudereien für 10- bis 14jährige Schüler aller Schulgattun- gen. Mit 15 Abbildungen. 47 Seiten. 191 3. — Preis I Mk. 22) , Chemische Plaudereien für 10- bis 14jährige Schüler aller Schulgattungen. Mit 5 Abbildungen. 42 Seiten. 191 3. — Preis i Mk. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner. i) Was die „Deutsche Naturwissenschaftliche Gesellschaft" laut Satzungen als ihre Aufgabe be- trachtet, „die Errungenschaften der Naturforschung in gediegener und zugleich gemeinverständlicher Weise in die weitesten Kreise zu tragen", das sucht sie durch die von ihr herausgegebene und von ihrem Vorstandsmitgliede Herrn Prof. Dr. Bastian Schmid geleitete Naturwissenschaft- lich-Technische Volksbücherei weiter zu erreichen. Die Ankündigung, die der Verlag Theod. Thomas, Leipzig als Aufruf zur Beteiligung an das Publi- kum hinaussendet, spricht sich über Zweck und Ziel dieser Bücherei in folgenden Sätzen aus : „Um diese Aufgabe in ihrem großen Umfange erfüllen zu können, begnügen sich diese Bücher nicht mit der üblichen Darstellung des Stoffes, vielmehr kommt es ihnen in erster Linie darauf an, das Selbstbeobachten und das Denken anzu- regen und in enger Fühlung mit den Erschei- nungen des täglichen Lebens zu bleiben. Sie wollen zeigen, wie man an die Natur mit Fragen herantritt, wie die Männer der Wissenschaft Er- fahrungstatsachen verarbeiten, kurz, welches die Aufgaben der Wissenschaft und Technik sind. Des weiteren wird dargetan, wie die Naturwissen- schaften ineinandergreifen, zu praktischen Ergeb- nissen führen und ein wesentlicher Bestandteil unseres ganzen Kulturlebens werden . . ." Aus den Titeln der Einzelhefte der Bücherei, auf deren Inhalt im besonderen einzugehen wegen der großen Zahl hier der Platz fehlt, ist zu ersehen, daß die Leser über das ganze Gebiet der Natur- wissenschaften und der Technik gemeinverständ- lich, aber wissenschaftlich einwandfrei von Autoren belehrt werden, die P'achleute auf ihrem Gebiete sind; der außerordentlich billige Preis der Einzel- hefte ermöglicht es jedem, der Belehrung in naturwissenschaftlichen Fragen sucht, in den Besitz der Bibliothek zu gelangen. Ich begrüße diese Naturwissenschaftlich - Technische Volksbücherei als Waffe gegen die naturwissenschaftliche Halb- bildung, die sich in so erschreckendem Maße im Volke so breit macht; in allen öffentlichen Büchereien (Volksbibliotheken) sollten diese Heftchen ausgelegt werden. Die Deutsche Natur- wissenschaftliche Gesellschaft erwirbt sich durch die Herausgabe dieser Naturwissenschaftlich-Tech- nischen Volksbücherei ein bleibendes Verdienst, im edlen Sinne aufklärend zu wirken. 2) Rebenstorff's Physikalisches Experimentier- buch, II. Teil, wendet sich an mittlere und reife 158 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xlll. Nr. lo Schüler, mit Versuchen aus schwierigeren Kapiteln der Physik, die selbsttätig mit den einfachsten Mitteln auszuführen selbst dem Ungeschicktesten möglich sein wird. Sie sollen die Schüler zum gründlicheren Beob.ichten und Nachdenken an- regen, da sie häufig das gestellte Thema von einer anderen als der im Unterrichte vorgetragenen Seite anpacken lernen. Viele Versuche behandeln Gebiete, die, wie der Verf. in dem Vorwort schreibt, trotz ihrer außerordentlich großen Be- deutung nur selten mit Aussicht auf Verständnis im Unterricht behandelt werden können. Das Buch ist ein hübsches Geburtstags- oder Weihnachtsbuch. In anregendem, anspruchslosem Stil schildert Graebner in seinen für mittlere und leife Schüler bestimmten Vegetationsschilderungen die wichtigsten biologischen Erscheinungen, die sich überall auf S[5aziergängen an den Pflanzen beob- achten lassen. Die beigegebenen, treu nach der Natur gezeichneten Abbildungen werden das Auf- finden der betreffenden Pflanzen und der an ihnen zu beobachtenden Einrichtungen erleichtern, so- wie andererseits das genaue Register dazu dienen kann, den Standort und die genauere Beschreibung einer bestimmten, dem Namen nach bekannten Pflanze leicht zu ermitteln (angezeigt von Prof. Dr. K o e r b e r). — Höck's ,, Unsere P"rühlingspflanzen" ist dem An- denken Bernhard Landsberg 's gewidmet; wer seine Streif' üge durch Wald und Flur kennt, wird beim Durchblättern des vorliegenden Bandes immer wieder an den unvergessenen Schulmann erinnert. Das Buch schildert die Frühblüher, ihre Lebensweise und ihren Zusammenhang mit der Organisation in einem verständlichen und leicht- flüssigen Stile, reicher Buchschmuck ziert das empfehlenswerte Büchlein. — Sassenfeld's ,,Aus dem Luftmeer", wird ohne Zweifel eifrig von den Schülern gelesen werden, da Luftschiff und Flugapparat das Interesse der deutschen Jungen an der Luft gesteigert haben, werden theoretische Erklärungen über meteoro- logische Tatsachen und Beobachtungen ihnen lieb werden, da sie ihnen das einleuchtend machen, was die Praxis täglich vorführt. Der Verf. be- müht sich, die Knaben in die Gesetze der Meteoro- logie einzuführen und zu Versuchen anzuregen. Es ist mir eine Freude, Schäffer's Biologi- sches Experimentierbuch, dieses ausgezeichnete Büchlein, auch an dieser Stelle rühmend nennen zu dürfen. Eine Fülle von Versuchen aus der Pflanzen- und Tierwelt, viele mit den einfachsten und billigsten Hilfsmitteln ausführbar, ist darin enthalten, so daß der Lehrer an der Hand dieses famosen Büchleins niemals in Verlegenheit kommen wird; viele Versuchsanordnungen sind enthalten, die man in den vielen bekannten Leitfäden und Praktiken für das biologische Schullaboratorium vergeblich sucht; daher wird auch der erfahrenere Praktiker mit Erfolg das Büchlein benutzen können. Wunder 's Plaudereien sind an jüngere Schüler gerichtet, die anfangen, ihr Interesse an physikali- schen und chemischen Vorgängen durch Basteleien zu bekunden; viele höchst einfache Versuche lenken den Betätigungsdrang in vernünftige Bahnen ; das Büchlein wird die Knaben besonJers in der langen Winterzeit nützlich beschäfiigen, sie über Stunden der Langeweile hinweghelfen und sie gleichzeitig über manche Fragen des Alltags belehren. W. Hirsch, Dr. phil., Oberlehrer. W. Nernst und A. SchoenfJies, Einführung in die mathematische Behandlung der Naturwissenschaften. Siebente vermehrte und verbesserte Auflage. XII und 444 Seiten mit 85 Abbildungen im Text. München und Berlin, Verlag von R. Oidenbourg, 1913. — Preis geb. 10 Mk. Das vorliegende kurzgefaßte Lehrbuch der Differential- und Integralrechnung wendet sich in erster Linie an die Chemiker, die es mit den für das Verständnis der Entwicklung ihrer Wissen- schaft in neuerer Zeit unentbehrlichen mathema- tischen Kenntnissen ausrüsten will. Dieser Auf- gabe wird das Buch, wie ja das Erscheinen der siebenten Auflage beweist, in ganz ausgezeichneter Weise gerecht, und man kann ihm daher unter den jüngeren Naturwissenschaftlern , denen ihr SpezialStudium nicht die erforderliche Zeit zur Erwerbung größerer mathematischer Kenntnisse, wie sie etwa der theoretische Physiker besitzen muß, übrig läßt, recht viele Leser wünschen. Besondere Vorkenntnisse werden von den Ver- fassern mit Recht nicht vorausgesetzt; für die verständnisvolle Lektüre genügt es, wenn man die auf einem humanistischen Gymnasium erworbenen Kenntnisse noch in ganz dunkler Erinnerung hat, denn im ersten Kapitel werden die Elemente der analytischen Geometrie, soweit sie für das Ver- ständnis nötig sind, gewissermaßen zur Wieder- holung noch einmal gründlich durchgenommen und ergänzt, und in einer „Formelsammlung" wer- den dem Leser die wichtigeren Tatsachen der elementaren Mathematik, die er etwa vergessen haben könnte, in die Erinnerung zurückgerufen. Auch für den Selbstunterricht, der in neuerer Zeit immer mehr an Wichtigkeit gewinnt, eignet sich das Werk sehr gut. Die Darstellung ist sehr klar, auf Mißverständnisse, wie sie dem Anfänger leicht auftreten , wird an geeigneten Stellen be- sonders aufmerksam gemacht, die erworbenen Kenntnisse werden dem Lernenden durch Übungs- aufgaben, die in einem Anhange zusammengestellt sind, näher gebracht, in den Text verstreute Bei- spiele aus der Chemie und der Physik tragen viel dazu bei, den praktischen Nutzen der erworbenen Kenntnisse darzutun und damit das Interesse an der Sache wach zu halten. Der Umfang des dar- gebotenen Stoffes ist so bemessen, daß dem Leser, der das Werk gewissenhaft durchgearbeitet hat, das Verständnis aller Probleme der theoretischen Chemie und selbst mancher schwierigerer Kapitel der theoretischen Physik erschlossen ist. Clausthal i. H. Werner Mecklenburg. N. F. XIII. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 159 Dr. Max Offner, Das Gedächtnis. Die Er- gebnisse der experimentellen Psychologie und ihre Anwendung in Unterricht und Erziehung. Dritte, vermehrte und teilweise umgearbeitete Auflage. XII und 312 Seiten. Berlin, Verlag von Reuther & Reichard, 19 13. ■ — Preis geh. 4,20 Mk., geb. 5 Mk. Der Verf. gibt uns in einer gründlichen , um- fangreichen Arbeit , die in auffallend kurzer Zeit bereits zum dritten Male aufgelegt ist, eine wert- volle Monographie über das Gedächtnis. Er hat sich nicht nur in sorgfältigster Weise mit der reichen Literatur über den bedeutungsvollen Gegenstand vertraut gemacht, sondern auch feste Stellung zu den zahlreichen Theorien genommen. Mag auch der erkenntnistheoretische Standpunkt hier und da stärker, als uns lieb ist, auf die Aus- drucksweise abgefärbt haben, so müssen wir doch die psychologischen Ansichten des Verf als wohl- begründet bezeichnen. Offners Werk ist in erster Linie für Lehrer bestimmt, aber es wird auch dem F"achphilosophen die besten Dienste leisten. Die Behandlung der mannigfaltigen Probleme, deren Aufzählung uns zu weit führen würde, ist durchaus verständlich; höchst anziehend sind die vielen Beispiele und namentlich die auf Erziehung und Unterricht sich erstreckenden Regeln und Anweisungen. Nicht unerwähnt bleibe, daß ein überaus reiches Literatur- verzeichnis sowie ein nicht minder sorgfältiges Namen- und Sachregister die Verwendbarkeit des Buches erhöhen. Möge das treffliche Buch, das übrigens auch durch Aufdeckung mannigfaltiger Schwierigkeiten, Unklarheiten und ungenügend begründeter Auf- fassungen einen Anstoß zu neuer Forschung zu geben vermag, weiteste Verbreitung finden ! Angersbach. Dr. E. Zernecke's Leitfaden für Aquarien- und Terrarien freunde. 4. gänzlich neu bearbeitete Auflage von C. Heller und P. Ulmer. Mit 200 Abbildungen im Text. Ver- lag von Quelle & Meyer in Leipzig. 1913. Daß der Z er necke'sche Leitfaden eines der populärsten Handbücher für Aquarien- und Ter- rarienfreunde ist, zeigen die rasch aufeinander folgenden Auflagen. So wurde auch gerade diese Schrift in ihrer 3. Auflage bei der Ausstellung des Vereins der Aquarien- und Terrarienfreunde in Stuttgart 190g den Ausstellern als Vereinsgabe verliehen. Während aber die 2. 1904 von Hes- dörffer, und die 3. 1906 von Leonhardt be- arbeitete Auflage sich wenig voneinander unter- scheiden, ist diese 4. Auflage wesentlich neu bearbeitet, wobei sich 2 Schriftsteller in die Arbeit geteilt haben: C. Heller, bekannt als Verfasser des ,, Süßwasseraquariums 1908", für das Süß- und Seewasseraquarium, P. U 1 m e r, Verfasser einer Schrift über die „Wasserinsekten", für das Terrarium. Die Neubearbeitung bezieht sich haupt- sächlich auf den technischen und praktischen Teil, aber auch der wissenschaftliche Teil: Auf- führung der Tiere und Pflanzen, erfuhr eine be- deutende Veränderung; bei allen Namen wurde der Gewährsmann , d. h. der Name des ältesten Beschreibers der Art, wie es sich bei wissenschaft- lichen Schriften von selbst versteht, beigesetzt, z. B. Tinea vulgaris Cuvier ^= Schleie, und in zweifel- haften Phallen wurden die neueren Autoren, wie A. Günther, Boulenger, Regan usw. zu Rate gezogen. Die Zahl der aufgeführten Tiere und Pflanzen wurde vermehrt, besonders durch die Neu- erscheinungen, wie Xyphophorus striatus, Cyno- lebias Bellotti, Pantodon Buchholzi, Pterophyllum scalare, während andere, nicht oder wenig mehr im Handel vorkommende , ausgemerzt wurden, wie Toxotes jaculator, Amia calva. So nur war es möglich, die Seitenzahl der vorigen Auflage: 455 oder 456 zu erhalten. Auch die Abbildungen wurden teils vermehrt, teils vermindert, sie be- stehen nur noch in Textfiguren, die früheren Voll- tafeln wurden aufgegeben, wobei freilich auch das hübsche Titelbild : die Farbentafel mit Tricho- gaster calius fallen mußte. Beim Kapitel : Goldfische vermisse ich die Angabe von Kreyenberg und Tornier, daß manche Rassen derselben auch ohne künstliche Zuchtwahl entstehen können, beim Kapitel: Tri- tonen wäre die Abbildung eines Spermatophoren nach C. Zeller wünschenswert gewesen, da die Beobachtung solcher auch für Laien wohl mög- lich ist. Auch die lungenartige Funktion des Labyrinths der Labyrinthfische mit seinem Gefäß- reichtum, wie sie neuerdings G. Henninger 1907 dargelegt hat, hätte hervorgehoben werden sollen. Die photographischen Abbildungen von Tieren im Wasser fallen meistens etwas unklar aus gegenüber von Zeichnungen. Klz. Festschrift für Karl Sudhoff. Mit 1 Bildnis, 4 Abbildungen im Text und i Tafel. Archiv für die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik 6. Band. Die Festschrift ist Sudhoft' zur F"eier seines sechzigsten Geburtstages gewidmet. Eine große Zahl namhafter Gelehrter hat sich an der Ehrung beteiligt. Hauptsächlich aus dem Gebiet der Medizin, aber auch aus der Geschichte der Natur- wissenschaften, liegen 55 historische Aufsätze vor. Der Inhalt ist äußerst vielgestaltig. Den Beginn macht Karl Boas mit einer Mitteilung über ,, mittelalterliche Hebammenordnung". Von allge- meinem Interesse ist z. B. der Aufsatz von G. Buschan über das Schwimmen bei den Natur- und frühgeschichtlichen Völkern sowie von F. Dannemann über ,,die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem Zusammen- hang". Von Eugen Holländer finden wir Bemerkungen zu einem persischen Anatomie- bild, von Poske „Galilei und der Kausalbegriff". — Es sind hier nur wenige Arbeiten herausge- griffen, es findet sich eine Fülle des Interessanten in dem vorliegenden Band. Mit Genugtuung wird i6o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. lo Sudhoff an seinem Ehrentage diese schöne Gabe entgegengenommen haben, da er sich sagen durfte, daß von seiner Lebensarbeit vielfache An- regung und Befruchtung auf das Gebiet gefallen ist, dessen fleißiger Anbau durch hervorragende Forscher eben die Festschrift beweist. — Geschichte der Naturwissenschaften und Medizin ist ein wich- tiges Stück Kulturgeschichte. So ist die Fest- schrift als ein Beitrag zur Kulturgeschichte an- zusehen und hoch zu bewerten. Ernst Schwalbe (Rostock). Anregungen und Antworten. Ihre Antwort auf die erste Frage des Herrn J. K. Cöln- Ehrenfeld in Nr. 51 19 13 dieser Zeitschrift ist unzutreffend (wie schon in Nr. 5 1914 von zwei Seiten betont wurde). Tatsächlich beschreiben Seedampfer vor Antritt einer Reise sehr oft erst einen Kreis, ehe sie ihren Kurs steuern, wie ich mehrfach miterlebt habe. Aber nicht die Länge der beab- sichtigten Reise ist das ausschlaggebende, sondern die Ladung. Jedes eiserne und stählerne Schilf hat seinen ihm eigentüm- lichen magnetischen Koeffizienten, der Kompaß zeigt ganz wesentlich anders als an Land oder auf reinen Holzschiffen. Zum großen Teil wird dieser irreführende Einfluß des Riesen- magneten ,, Schiff" auf die Kompasse kompensiert, ausgeglichen durch große , quer zur Schiffsrichtung angebrachte, in ihrer Stellung regulierbare Metallklötze dicht neben dem Kompaß- gehäuse, aber jeder Kompaß behält einen bestimmten Fehler bei, der auch dem Laien dadurch kenntlich wird, daß z. B. der steuernde Matrose einen etwas anderen Kurs befohlen er- hält, als der wachhabende Offizier auf dem Kontrollkompasse abliest; die nach den Kompaßangaben innezuhaltenden Kurse sind für jeden einzelnen Kompaß angeschrieben und lauten etwas verschieden. Durch die rhythmischen Stöße der Ma- schinen und durch die vibrierenden Eigenschwingungen des Schiffskörpers ändert sich nach bekannten Gesetzen der Mag- netismus des großen stählernen Schiffskörpers, bis er nach vielen Reisen konstant bleibt. Aber noch viel eingreifendere wechselnde Änderungen treten ein bei Eisenladungen, be- sonders Maschinen, Eisenbahnschwellen auf der Ausreise, Eisenerzen auf der Rückreise. Dann fährt das Schiff nach der ,, Deviationsboje" und peilt die am Ufer aufgestellten ,, Devia- tionsbaken", und die Offiziere stellen fest, welche Schwankun- gen die Kompaßrose ausführt, wenn sich das Schiff sozusagen unter dem Kompasse herumdreht. Diese Ladungsmißweisungen in den verschicdenenLagen des Schiffes zu den Himmelsrichtungen werden gebucht und sind bei den Kursfeststellungen sehr wichtig. Aus diesen Gründen beobachtet der Reisende dieses ,, Kreis- fahren" nicht bei kurzen Fahrten nach England, Skandinavien usw., auch nicht bei den großen Schnelldampfern nach Nord- amerika, da diese keine Schwerfracht laden, wohl aber bei den kombinierten Fracht- und Passagierdampfern nach Ost- und Westafrika , da diese stets sehr starke Eisenladungen führen, und bei anderen Linien nach Bedarf Dr. P. Diettrich. Die im diesjährigen 5. Hefte (S. 80) dieser ,, Wochen- schrift" enthaltene lichtvolle Ergänzung der Antwort auf die Frage der Steuerfähigkeit der ohne Eigenbewegung flußab- wärts treibenden Schifte bedarf einer Erweiterung. Es zeigen diese Fähigkeit nämlich Fahrzeuge von eigenartiger Gestalt (Raddampfer mit stillstehender Maschine, Flöße usw.) weniger und alle .Schiffe von geringerer Größe abwärts an gar nicht. Hier wirkt der durch das Heruntergleiten auf dem Gefälle erzeugten Beschleunigung die Reibung (Adhäsion) der Oberfläche des Schwimmkörpers an dem Wasser erfolg- reich entgegen. Da die Masse eines Körpers mit der drei- tachen Potenz seiner linearen .Abmessung, seine Oberfläche aber nur mit dem Quadrate des linearen Maßes zunimmt, so leuchtet ein, daß eine nur von der Körpermasse abhängige Kraft die größeren Schwimmkörper stärker beeinflußt als die kleineren. Heibig. Herrn Lehrer E. Seh. in Leipzig-Schönfeld. Rezept für Polreagenzpapier: 1. Man tränke Fließpapier mit einer Lösung von 250 g Salpeter in i 1 Wasser und tauche nach dem Trocknen das Papier in eine Lösung von 5 — 6 g Phenoiphtalein in Alkohol. oder: 2. Man tränke Fließpapier mit Stärkekleisler (2 : 100), der mit Kaliumjodid und alkoholischer Phenolphtaleinlösung versetzt ist. Polsucherflüssigkeit besteht in der Regel aus einer Lösung von 5 g Salpeter in 20 g Wasser und 50 g Glyzerin, welcher eine Lösung von 0,5 g Phenoiphtalein in lo g .Mlsohol zu- gemischt ist, oder man erhält sie, wenn man die P'lüssigkeit unter 2. auf das 10 fache verdünnt. (Die Angaben sind ent- nommen aus Lehmann-Frick, Physikalische Technik, Vieweg u. Sohn, 1909.) Wenn Sie in ein Gefäß mit Wasser einige Tropfen der alkoholischen Phenolphtaleinlösung geben und etwas Kali- lauge oder Sodalösung hinzusetzen, so wird die Flüssigkeit rot ; nach Zusatz von Säure entfärbt sie sich wieder. Das Six- Maximum-Minimum-Thermometer ist ein einfaches Weingeistthermometer mit mehrfach gebogener Röhre. Von A bis B etwa ist der Weingeistfaden durch einen Quecksilber- faden unterbrochen. Wird das Thermometer erwärmt, so steigt infolge der Ausdehnung von Weingeist und Quecksilber, da das Rohr bis an das Ende e mit Flüssigkeit gefüllt ist, das Queck- silber auf der Seite B in die Höhe und schiebt dabei einen kleinen eisernen Stift, der im Wein- geist auf dem Quecksilber lagert, mit in die Höhe. Beim .Abkühlen sinkt das Quecksilber wieder, der Stift bleibt aber infolge der Reibung an der Glaswand zurück und zeigt also die höchste Temperatur an, der das Thermometer ausgesetzt war. Mittels eines Magnetes zieht man nach der Ablesung den Stift wieder herunter. Bei A befindet sich ein gleicher Stift, der also das Minimum der Temperatur angibt. Valentiner. 9 U' Le Comite de Bibliographie et d'Etudes astronomiques compose de quelques membres du personnel de l'Observaloirc royal de Belgique: MM. P. Stroobant, Prof. Dr., premier astronome, chef de service, membre de l'Academie royale de Belgique; J. Delvosal, Dr. astronome; H. Philippot, Dr. astro- nome; E. Delporte, Dr. astronome adjoint, va publier une nouvelle edition de l'ouvrage Les Observatoires astronomiques et les astronomes, paru en 1907. Une demande de renseignements concernant le personnel, les Instruments, les recherches et les publications est adressee aux Directeurs des divers Observatoires. L'ouvrage renfermera aussi, comme la premiere edition, les noms des astronomes libres (professeurs d'astronomie, amateurs, etc.) qui ne sont attaches ä aucun observatoire mais qui s'occupent activement de recherches astronomiques. Nous prions les Directeurs d'Observatoires et les astro- nomes libres, auxquels une demande de renseignements ne serait pas parvenue ou qui n'auraient pas encore envoye leur reponse, d'adresser les indications mentionnees ci-dessus ou de signaler toute Omission, le plus tct possible au Directeur du comite: M. P. Stroobaut, ä l'Observatoire royal, ä Uccle (Belgique). Inhalt; K. Andree: Die petrographische Methode der Paläogeographie. Wi 1 h. R. E ckar d t : Einbürgerungsversuche als .Möglichkeiten zur Erforschung des Vogelzuges. — Einzelberichte: V. K ohl seh ütter : Über die Erscheinungsformen des elementaren Silbers. H. Freundlich und G. v. Elissafoff: Bestimmung der Wertigkeit des Radiums mit Hilfe der Elektroendosme. Charles G. Barkla: Charakteristische Röntgenstrahlen. M. de Broglie: Photographie der Spektren der Röntgenstrahlen. W. Wächter: Hydrouastische Blattbewegungen. Borelly; Veränderlichkeit der Nebel. R. Wolle reck: Die ,, Schwebefortsätze" pelagischer Cladoceren. — Kleinere Mitteilungen: Schilling: Schlaf- krankheit in Uganda. Otto Bürger: Quarzgut. v. Wiese und Kaiserswaldau: Weltwirtschaftliche Probleme Ostasiens. Sustmann: Die Stollbeule der Pferde. — Bücherbesprechungen: Naturwissenschaftliche Jugendliteratur. W. Nernst und A. Schoenflies: Einführung in die mathematische Behandlung der Naturwissenschaften. Dr. Max Offner: Das Gedächtnis. Dr. E. Zernecke: Leitfaden für Aquarien- und Terrarienfreunde. Festschrift für Karl Sudhoff. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Hand; der ganzen Reihe 2g. Band, Sonntag, den 15. März 1914. Nummer 11. Neuere Untersuchungen über den Farbensinn der Insekten. [Nachdruck verboten. Von Privatdozent Dr. F. Stellwaag, Erlangen. Nach der Theorie von J o h. M ü 1 1 e r wird durch das zusammengesetzte Auge der Insekten das ge- sehene Objekt mosaikartig in einzelne Felder zer- legt, von denen jedes seine Existenz einem Augen- keile verdankt. Zweifellos nimmt das Insekt die Umrisse des Gegenstandes um so deutlicher wahr, je mehr solcher Keile den Komplex zusammen- setzen und je länger die Kristallkegel sind. Doch steht die Deutlichkeit des Bildes im umgekehrten Verhältnisse zu seiner Helligkeit. Mit diesen durch anatomische Untersuchungen gewonnenen Resul- taten stimmen die biologischen Beobachtungen vollkommen überein. So besitzen die Bienen wegen der großen Zahl der Augenkeile lichtschwache Augen und reagieren daher auf jede Verminderung der Belichtung, eine Tatsache, auf die weiter unten noch hingewiesen werden wird. Über ihre Empfind- lichkeit machte Zander (Ja)') gelegentlich der Sonnenfinsternis am 17. April 1912 folgende Be- obachtungen: 12/01 : Beginn der Verfinsterung. l/oo: Hälfte der Sonnenscheibe vom Mond be- deckt. Es herrscht ein eigenartiges gedämpftes Licht. Die Bienen eilen scharenweise heim. Nur einzelne, welche schon vorher draußen waren, sieht man an den Blüten. Keine Bienen fliegen mehr aus. Manche Völker haben sich schon ganz in ihre Kästen zurückgezogen. i/io: Leuchtender Teil der Sonne noch sichel- förmig. Keine Biene mehr auf den Blüten. Die amerikanischen Goldbienen und Italiener sind be sonders still geworden. 1/22: Die Verfinsterung hat ihren Höhepunkt erreicht. Die Temperatur ist auf 13 Grad C ge- sunken. Ein kühler Zug geht durch den Garten. Vor den Ständen herrscht Totenstille wie am späten Abend. 1/30: Es wird heller. Die Mondscheibe ent- weicht nach oben und rechts, leuchtende Sonnen- sichel am unteren linken Rande. Noch zeigt sich keine Biene. 1/40 : Die Verfinsterung geht zurück. Einzelne Bienen wagen sich ins Freie. 1/50: Die Sonnenscheibe wird fast frei. Der Bienenflug wird lebhafter und nimmt allmählich seine frühere Stärke wieder an. Während die Empfindlichkeit des Insektenauges für Helligkeitsgrade außer allem Zweifel steht, herrscht in der Entscheidung der Frage, ob den Insekten ein Farbensinn zukommt, durchaus keine Einmütigkeit, ja die Gegensätze scheinen sich ') Die Zahlen weisen auf das Literaturverzeichnis am Ende des Artikels hin. immer mehr zuzuspitzen, seit Plateau in einer Reihe von Abhandlungen gegen die Anschauungen von Sprengel protestiert hatte. Chr. D. Sprengel hatte 1793 den Gedanken ausgesprochen, daß die Insekten von den Farben der bunten Blüten angezogen würden und daher farbentüchtig sein müßten. Nicht ganz 100 Jahre nach ihm beschäftigte sich der kürzlich verstorbene vorzügliche Beobachter Lubbock (6) mit der gleichen Frage und suchte sie mit Hilfe der sog. Dressurmethode zu lösen. Er fand, daß eine Biene, die er zu einem kleinen Tropfen Honig auf blaues Papier gebracht hatte, bei jedem Besuch zum blauen Papier zurückkam, auch wenn er dieses an einen anderen Platz brachte und an die frühere Stelle ein gleichgroßes orangefarbiges Papier legte. Lub- bock variierte seine Experimente oftmals und dressierte die Bienen mit gleichem Erfolg auch auf andere Farben. Er glaubte sich daher zu dem Schluß berechtigt, daß die Bienen die P'ähigkeit haben, Farben zu unterscheiden. Auch Forel (3) arbeitete mit der Dressurmethoee und bestätigte die Resultate Lubbocks gegenüber der Ansicht von Plateau, daß die Blüten durchaus nicht bunt zu sein brauchen, um die Insekten anzulocken. Wohl könnten die Bienen einen Farbensinn be- sitzen, doch braucht er nicht dem unsrigen ähnlich zu sein. Er stellte fest, daß weder künstliche Blumen noch Spiegelbilder natürlicher Blüten von den Insekten beflogen werden. In neuester Zeit wird die Dressurmethode unter den deutschen Forschern besonders von L. v. Dob- kiewicz und K. v. Frisch angewandt. L. V. Dobkiewicz (2) gebrauchte zu seinen Experimenten künstliche gelbe und blaue Blüten. Nach der Angabe von Lubbock und anderen soll nämlich blau die Lieblingsfarbe der Insekten sein, während gelb am wenigsten Anziehungskraft ausübt. Zunächst wurden die Artefakte in einem stark besuchten Kleeacker aufgestellt und zum Teil mit Honig gefüllt. Keine der Blüten wurde be- achtet. Die Bienen waren der angefangenen Arbeit eben zu sehr treu, um sich ablenken zu lassen. Erst dann wurden sie von einer Biene mehrmals besucht, als diese auf den Honig aufmerksam ge- macht worden war. Ihr diente die Farbe von weitem als Signal, denn sie verwechselte die honig- gefüllte Blüte mit anderen gleichgefärbten nebenan. Ganz in der Nähe setzte dann der Geruchssinn ein. Da die Biene so lange honiglose und honig- gefüllte Artefakte absuchte, bis sie ihre erste Blüte fand, so sind sicher Honig und Farbe beim Blüten- besuche noch nicht entscheidend. Nun kamen l62 Naturwissenschaftliche Wo chenschrift. N. F. Xm. Nr. II die blauen Blüten an Stelle der gelben, während diese weiter auseinander gestellt wurden : Im Gegen- satz zu den blauen erhielten sie zahlreiche Besuche. Weiterhin band L. v. üobkiewicz fünf gelbe künstliche Blüten mit und ebensoviele ohne Honig paarweise zusammen und stellte sie in ^'j^ m Ent- fernung voneinander auf. Die mit Honig gefüll- ten wurden mit immer größerer Sicherheit be- flogen. Nachdem für das nächste Experiment alle Artefakte entfernt waren, wurden fünf blaue mit Honig in die Tracht gestellt, blieben aber unbe- achtet, während zwei gelbe mit Honig 15 Besuche in fünf Minuten erhielten. Am nächsten Tage wurden fünf gelbe Blüten ohne Honig innerhalb zehn Minuten umflogen. Zuletzt wird ein Versuch vom Monat vorher mitgeteilt, wo eine große gelbe künstliche Blume in einem Feld von blühendem Borago offic. aufgestellt worden war. Sie wurde von den Bienen ebenso gemieden wie eine an ihre Stelle gebrachte blaue oder eine stark duftende Päonienblüte. Dagegen wurde ein künstlicher Bo- ragobusch mehrmals, aber immer seltener beflogen. Dieses letzte Experiment ist außerordentlich interessant. Es zeigt , daß weder grobe Nach- ahmungen von Form und Farbe, noch der Honig- duft oder sonst bevorzugte Blumen die Bienen aus ihrer Arbeit ablenken können. Immerhin konnten die Bienen die künstlichen Blüten sehen, denn sie wurden so lange getäuscht, bis sie den Unterschied gegenüber den echten Blüten erkannt hatten. Aus den mitgeteilten Experimenten ergeben sich folgende Schlüsse: 1. Die Bienen richten sich nach den Farben, besitzen somit ein Farbenunterscheidungsvermögen. 2. Die Farben gewinnen für die Bienen nur dann eine Bedeutung, wenn sie gelernt haben, daß gewisse Farben mit irgendwelchen Vorteilen für sie verbunden sind. Das sich nach der Farbe Richten ist nur ein sekundäres Orientierungsmittel. Daher wird die besonders von Plateau betonte Beobachtung verständlich, daß es farblose, unan- sehnliche Blumen gibt, die von den Bienen sehr gerne besucht werden , während oft auffallend farbige unbeachtet bleiben. Bei seinen Untersuchungen geht L. v. Dob- kiewicz nicht näher auf das Problem ein, ob die Blütenfarben an ihrem Farbwert oder nur an ihrem Helligkeitswert von den Bienen erkannt werden. K. v. Frisch (4a, b, c) dagegen sucht gerade hierüber Aufschluß zu bekommen. Er stellte sich zunächst mattgraue Papiere in 30 Abstufungen von Schwarz bis Weiß her und legte sie ohne Rücksicht auf die Helligkeit in eine Reihe. Nachdem die Bienen zwei Tage lang durch Honigschälchen auf gelbe Papiere dressiert waren, verteilte er unter den Graupapieren zwei neue gelbe, versah alle Papiere mit honig- gefüllten Schälchen und exponierte. Während der Beobachtungszeit erhielten die gelben Papiere 74 Besuche, die grauen aber nur drei. IBeim nächsten Versuch verwandte er leere Schälchen. In fünf Minuten fanden sich auf den beiden Gelb- papieren 220 Bienen ein, keine einzige dagegen auf Grau. Ganz ähnliche Resultate ergab die Dressur auf blaue Bögen , auch wenn alle Schäl- chen mit Zuckerwasser gefüllt wurden mit Aus- nahme des Schälchens auf dem Blaupapier. Die Bienen flogen scharenweise auf Blau, während die gefüllten Schälchen lange Zeit nicht beachtet wurden. Die Bienen suchten also aus der Grau- serie stets die farbigen Papiere aus. Sie mußten somit durch den Farbwert und nicht durch die Helligkeit angezogen worden sein. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß die Bienen Farben- sinn besitzen. Man könnte zwar einwenden: die Serie von 30 Graupapieren ist zwar für das menschliche Auge genügend fein abgestuft, aber das Auge der Bienen besitzt eine feinere Hellig- keitsempfindung. Es gelingt jedoch nicht, die Bienen auf ein bestimmtes Grau zu dressieren. Um zu entscheiden, ob die Papiere statt an Helligkeit und Farbe an ihrer Mattigkeit erkannt wurden, machte K.v. Frisch ein gelbes Papier glänzend und legte es unter den bisherigen Versuchsbedingungen zwischen die anderen. Die Bienen besuchten aber das Glanzpapier ebenso eifrig wie die matten Papiere. Der Einwand, daß die Bienen nicht auf die Farbe des Papieres, son- dern auf den Geruch dieser Farbe dressiert wor- den seien, wird dadurch entkräftet, daß die Bienen auch die Farben herausfinden, wenn diese mit einer Glasscheibe bedeckt oder in ein Röhrchen eingeschmolzen werden. K. v. Frisch suchte auch festzustellen, wie- weit bei den Bienen eine Dressur auf Farbmuster und P'ormen durchgeführt werden kann. Denn die Bienen unterscheiden erfahrungsgemäß nicht nur die Farben der Blüten, sondern sie befliegen jedesmal eine ganz bestimmte Art. Zu diesem Zweck ließ er die Bienen durch eine Schablone von bestimmter Form und Farbe zu einer Futter- quelle gelangen. Die Bienen lernten sehr wohl eine Scheibe, die zur Hälfte blau, zur Hälfte gelb ist, von einer anderen, in blaugelbe Oktanten ge- teilten unterscheiden, obwohl beide Scheiben gleich- viel Blau und Gelb enthalten. Die Dressur der Bienen gelingt außer mit Blau und Gelb auch mit Gelbgrün, Orange und Purpur- rot, nicht aber mit Rot und Blaugrün. Auf Rot dressierte Bienen „verwechseln" in der Grauserie das Rot mit schwarzen und dunkelgrauen Papieren, und auf Blaugrün dressierte Bienen benehmen sich so, als ob sie auf ein Grau von mittlerer Hellig- keit dressiert worden wären. Ebenso sehen sie Purpurrot wie Blau und Violett. Daraus folgt, daß der Farbensinn der Bienen weitgehende Ähn- lichkeiten mit dem Farbensinn eines rolblinden (protanopen) Menschen zeigt. Nach dieser Erkenntnis ist es interessant einen Blick auf die Farben der Blüten zu werfen. Hier fällt sofort nach der Ansicht v. Frisch 's der Mangel an roten Blüten auf, während andersfarbige, die von den Bienen gern beflogen werden, in N. F. XIII. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 163 großer Menge vorhanden sind. Damit würde die Behauptung von Sprengel, daß die Blütenfarben um der Insekten willen vorhanden seien, eine neue Grundlage erhalten, während gleichzeitig die Be- funde einer Reihe von Zoologen und Botanikern, besonders solcher, die ebenfalls die Bienen auf bestimmte Farben dressiert hatten, bestätigt werden. Gegen diese Dressurmethode und insbesondere gegen die Schlußfolgerungen von K. v. Frisch wendet sich K. H e ß (5 a, b, c). Er sagt : „Stellt man solche Versuche unter genügender Berück- sichtigung aller in Betracht kommender Fehler- quellen an, und trägt man insbesondere Sorge, daß die Ansammlungen der Bienen an bestimmten Stellen nicht durch andere Umstände, wie z. B. den Geruchssinn, mit beeinflußt werden, so kann man leicht zeigen, daß es ganz unmöglich ist, Bienen auf irgendwelche Farben zu dressieren". Um dies exakt zu beweisen, verfährt Heß folgender- maßen. Zunächst wurden die Bienen drei Tage lang auf Blau dressiert. Er brachte einen blauen mit Honig bestrichenen Glasstab vor das Flugloch und übertrug die daran saugenden Bienen auf eine l — 2 m entfernte blaue Fläche, wo sie ge- zeichnet wurden. Das geschah an jedem Tag mit 50 Bienen , wobei die Bienen der drei Tage drei verschiedene Farben erhielten. Sie wurden auf allen möglichen blauen Gegenständen, Papieren und Glasplatten mit Honig gefüttert. Am vierten Tage wurden folgende Versuche gemacht. 1. 10 quadratische Platten wurden teils mit I farbigen, teils mit grauen Papieren von gleichem Helligkeitswert wie die farbigen Papiere bespannt, in einen Rahmen gelegt und mit einer großen Glasplatte zugedeckt. Auf letztere kam, der Mitte jedes Quadrates entsprechend, je ein Tropfen Honig. Während der Exposition zeigten die Bienen ent- gegen V. Frisch nicht die geringste Neigung, das Blau mehr aufzusuchen als die anderen Felder. 2. 12 quadratische Felder sind in der Mitte so geteilt , daß die eine Hälfte jedes Feldes ein frei- farbiges Papier, die andere das farblos graue zeigt, das für den total Farbenblinden mit der betreffen- den Farbe übereinstimmt. Nachdem sie unter einer Glastafel in passenden Zwischenräumen angeordnet waren, wurden sie zunächst ohne, dann mit Honig dargeboten und zwar so, daß dieser bald vor- wiegend auf die farblos grauen, bald auf die ver- schiedenen Farben geträufelt wurde. Niemals war eine Bevorzugung des Blau durch die auf Blau dressierten Bienen wahrzunehmen. 3- 185 verschiedene freifarbige Papierstreifen wurden zu einem kontinuierlichen Spektrum ver- einigt und unter einer Glasplatte gefaßt. Ein langer Strich von Honig verband die Mittelpunkte der einzelnen Farbtäfelchen. Die gezeichneten Bienen flogen regellos bald zu dieser, bald zu jener Farbe des Spektrums. Das gleiche Resuhat ergaben auf Gelb dressierte Bienen. 4. Versuche mit Farbpapieren zwischen Petri- schalen, die mit Honig bestrichen waren, führten zu dem Ergebnis, daß die Bienen wahllos ver- schiedene Farben aufsuchten, auch wenn sie auf eine bestimmte Farbe dressiert waren. Die negativen Ergebnisse seiner Experimente überzeugten Heß, daß die Dressur der Bienen nicht zum Ziele führen kann. Er arbeitete daher andere Methoden aus, indem er mit Hilfe der wissenschaftlichen Farbenlehre über den Lichtsinn der Bienen Aufschluß zu bekommen versuchte. Bringt man vom Stock abfliegende Bienen in einen Glaskasten, so zeigen sie sich zunächt posi- tiv phototaktisch. Wird der Behälter ins Spek- trum gestellt, so eilen sie aus dem rot und aus dem blau und violett durchstrahlten Teil zum Gelb- grün und Grün. Bei Verwendung von roten und blauen Strahlen bevorzugen sie die blaue Seite, auch wenn für unser Auge das Rot heller zu sein scheint. Erst wenn das Rot so lichtstark gemacht wird, daß es an Helligkeitswert mit dem Blau übereinstimmt, verteilen sich die Bienen gleich- mäßig in den beiden Farben. Danach sehen also die Bienen wie ein total farbenblinder Mensch, dem das rote Ende des Spektrums verkürzt er- scheint, während die hellste Stelle nach Grün ver- schoben ist. Diese Anschauung wird unterstützt durch eine weitere Versuchsanordnung. Der Glas- kasten wird durch schwarzen Karton gegen ein- fallendes Licht geschützt, und seine Rückwand mit schwarzer Gaze überzogen. Stellt man nun seit- lich im Winkel farbige Flächen auf, so begeben sich die Bienen, auch wenn sie dressiert waren, stets nach der Stelle, die für den total farbenblinden Menschen heller ist, gleichgültig, in welcher Farbe diese Seite dem normalen Menschen erscheint. Die Bienen besitzen daher keinen dem unsrigen irgendwie vergleichbaren Farbensinn, sie vermögen dagegen Helligkeiten vorzüglich zu unterscheiden. Dieser Schluß hat weittragende Bedeutung, denn er vernichtet die Erklärung für das Vorhandensein der Blütenfarben. Allerdings nimmt schon v. F r i s c h an, daß eine Reihe von Blütenfarben, nämlich die roten und die blaugrünen von den Bienen anders gesehen werden als sie uns erscheinen. Alle roten Blüten könnten ebensogut schwarz, alle bläulich- roten und violetten ebensogut blau sein, ohne daß die Bienen einen Unterschied bemerken würden. So blieben nur die gelben und blauen Farben übrig, die um der Insekten willen da seien. Heß macht weiterhin darauf aufmerksam, daß es im Pflanzenreiche genug bunte Farben gibt, die mit dem Besuch der Insekten gar nichts zu tun haben. Man denke nur an das Vorhandensein gelber und roter Farben bei Windblütlern, an die roten Blätter verschiedener Bäume oder an die z. T. wundervollen Färbungen zahlreicher Flechten. Auch unterirdische Pflanzenteile, z. B. Rüben- und Rettigarten besitzen lebhafte Farben. „Wenn bunte Farben im Pflanzenreiche so häufig vom Insekten- besuche unabhängig auftreten, erscheint es nicht logisch, für die bunten Farben der Blüten ohne 104 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. u weiteres anzunehmen, sie könnten nur um der Insekten willen zur Entwicklung gekommen sein." Außer der Biene, die ein vorzügliches Versuchs- objekt darstellt, sind bisher nur wenige andere Insekten auf ihren Farbensinn hin gepriift worden. Forel experimentierte mit Hummeln und Wespen und stellte fest, daß die Wespen den Farben weniger Aufmerksamkeit schenken wie Bienen und Hummeln, sich dagegen offenbar nach der Gestalt des Gegen- standes richten, die sie zum erstenmal besucht haben. Darin stimmt Forel mit L u b b o c k überein. Beide F"orscher haben schon vor Heß bei ihren Ver- suchen die Einwirkungen des Spektrum beobachtet und fassen ihre Ergebnisse bei Ameisen folgender- maßen zusammen : 1. Die Ameisen spüren das Licht und beson- ders das Ultraviolett, wenn sie geblendet sind, 2. Im Gegensatz zum menschlichen Auge sehen sie auch das Ultraviolett, 3. Da uns jeder Strahl homogenen Lichtes, den wir überhaupt wahrnehmen können, als eine besondere Farbe erscheint, so wi-rd es wahrschein- lich, daß die ultravioletten Strahlen von den Ameisen als eine bestimmte eigene Farbe gesehen werden, die von den übrigen so verschieden ist, wie Rot von Gelb oder Grün von Violett. Bei Portesiaraupen fand Heß, daß sie im Dunkeln träge am Boden verweilen, mit zuneh- mender Belichtung aber immer lebhafter nach oben kriechen. Mit einem Spektrum beleuchtet, wandern vorwiegend jene im Gelbgrün und Grün nach oben, weniger lebhaft die im Blau, am wenigsten die im Rot befindlichen. Das gleiche Verhalten zeigen die Stechmücken, während ihre Larven, die bekanntlich an der Wasseroberfläche hängen, schon bei ganz geringen Lichtstärkeabnahmen rasch nach unten fliehen, so daß sich mit farbigen Papieren leicht Versuche über iiire Helligkeitsempfindungen anstellen lassen. Ohne mich auf eine sachliche Würdigung der hier mitgeteilten Untersuchungen einzulassen, möchte ich den bisherigen Ausführungen bezüg- lich der Experimente mit Bienen folgendes hinzu- fügen. Es ist doch auffallend, daß die gleiche Frage bei ein und demselben Tier unter den Forschern so ganz verschiedene Beantwortung findet. Die Bienen, die Heß bei seinen Dressur- versuchen unter Beobachtung aller Vorsichtsmaß- regeln verwendete, verteilten sich auf alle Farben seiner mit Honig bestrichenen Farbentafel, obwohl sie auf Blau dressiert waren. Und andererseits konstatierte K. v. Frisch, daß seine auf Blau dressierten Bienen stets Blau aufsuchten, auch wenn das Papier unter einer Glasscheibe lag, so daß die Bienen unmöglich die Farbe mit Hilfe des Geruchssinnes erkennen konnten. Ebenso wird angegeben, daß die Bienen künstliche Blüten be- fliegen, während Plateau das gerade Gegenteil beobachtet hat. Es scheint mir sehr wichtig, bei allen Experimenten und Beobachtungen die Tracht- verhältnisse genau zu berücksichtigen, um hier Klarheit zu bekommen. Wie Zander (7b) bei seiner Untersuchung über den Geruchssinn der Bienen mitteilt (Besprechung in der Nalurwiss. Wochenschr. Nr. 7, 191 4), wird eine vor dem Flugloch aufgestellte Honigschale nur dann von den Bienen beachtet und aufgesucht, wenn die Trachtverhältnisse ungünstig sind. So wird auch wohl die Dressur der Bienen auf P"arben miß- lingen, wenn bei schlechter Tracht die Bienen überall nach Honig herumwittern. Unter solchen Verhältnissen werden dann auch Blüten hinter Glas (cf V. Buttel-Reepen i) oder künstliche Blumen beflogen. Schon Dobkiewicz beobach- tete, daß die Bienen gegen Ende des Sommers nicht nur einzeln stehende Blumen, ob sie künst- lich oder echt sind, sondern jede Spur von Honig in beliebigen Gefäßen, und zwar in verhältnis- mäßig kurzer Zeit auffinden. Literaturverzeichnis. 1) H. V. Buttel-Reepen, Psychobiologische und bio- logische Beobachtungen an .Ameisen, Bienen und Wespen. Naturw. Wochenschr. 1907. 2) L. V. Dobkiewicz, Beitrag zur Biologie der Honig- biene. Biologisches Centralblatt 1912. 3) Forel, Das Sinnesleben der Insekten. München 1910. 4) K. V. Frisch, a) Über den Farbensinn der Bienen und die Blumenfarben. MUnch. med. Wochenschr. 1913, Nr. I. b) Zur Frage nach dem Farbsinn der Tiere. Verhand- lungen der Gesellschaft deutscher Naturf. und Arzte 1913. c) Über den Farbensinn der Bienen und die Blumenfarben. Gesellschaft für Morphologie und Physiologie. München 1913. 5) K. Heß, a) Physiologie des Gesichtssinnes. 1912. b) Experimentelle Untersuchungen über den angeblichen Farbensinn der Bienen. Zoologische Jahrbücher, Abteilung f. allgemeine Zoologie und Physiologie Bd. 34, 1914. c) Die Entwicklung von Lichtsinn und Farbensinn in der Tierreihe. Vortrag, gehalten bei der Versammlung deutscher Naturf. und Arzte in Wien 1913. Erschienen bei Bergmann, Wiesbaden 1914. 6) Lubbock, Ameisen, Bienen und Wespen. Internat, naturwissenschaftl. Bibliothek, Bd. 57, Leipzig 1883. 7) Zander, a) Leben der Biene, Stuttgart, Ulmer, 1913. b) Das Geruchsvermögen der Bienen. Biologisches Cen- tralblatt 19 13. W'eitere Angaben siehe bei L. v. Dobkiewicz. Zur Koinbiuatioiislehre. Von Patentanwalt Dr. Gustav Rauter in Berlin-Charlottenburg. I. Wenn wir in einem Beutel eine große An- zahl schwarzer und weißer Steine haben, und zwar von jeder Farbe gleich viel, so werden wir, wenn wir hineingreifen, und immer je zwei davon herausholen, im Durchschnitt auf vier Griffe ein- mal zwei schwarze, zweimal je einen schwarzen und einen weißen, einmal zwei weiße Steine er- fassen, was sich durch folgendes Bild wiedergeben läßt: s s w w s w s w. an, diese Steine beständen z. B. sie ließen sich durch Kneten Nehmen wir nun aus Wachs, und N. F. XIII. Nr. 1 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 165 dermaßen vereinigen, daß entsprechend der vor- handenen Menge schwarzen und weißen Stoffes neue dunkler oder heller graue Steine entständen, so erhalten wir als Ergebnis folgende Mischungen s g g w. Denken wir uns nun weiter einen Beutel mit solchen gemischt-farbigen Steinen, wo also auf einen schwarzen zwei graue und ein weißer kämen, so erhalten wir auf 16 Griffe im Durchschnitt I SS 4 sg 6 gg 4 gw I ww. Wir erhalten also nur noch einmal schwarz und einmal weiß, dagegen 4 dunklere, 6 mittlere und 4 hellere Mischungen. Gehen wir noch weiter, so erhalten wir beim nächsten Male 256 Ergebnisse, unter denen sich auch nur je ein schwarzes und ein weißes Steinpaar befinden, während im übrigen alle Stufen von grau vor- handen sein werden, und zwar um so zahlreicher, je mehr das Grau in der Mitte zwischen schwarz und weiß liegt. Die betreffende, von schwarz nach mittelgrau zunehmende, dann wieder ab- nehmende Zahlenreihe ist: I 8 28 56 70 56 28 8 I Es ergibt sich also bei fortschreitender Ver- mischung der weißen und der schwarzen Steine ein gleichmäßiges Grau, das um so dunkler oder heller ist, je mehr schwarze oder weiße Steine ursprünglich vorhanden gewesen sind. Es ist nun aber auch möglich, daß außer dem Vorgange der Mischung gleichzeitig noch andere Einflüsse auftreten. Nehmen wir z. B. an, der Farbstoff des schwarzen Wachses nehme durch Lichteinwirkung allmählich an Stärke ab, oder die Bestandteile des weißen Wachses würden durch Sauerstoffaufnahme aus der Luft allmählich dunkler, oder einer der beiden Bestandteile ver- flüchtige sich mit der Zeit, so ergibt sich, daß die Mischung alsdann langsam ganz schwarz oder ganz weiß werden kann, und daß auf diese Weise das Ergebnis einer manchmal erst in sehr lang- samen Zeiträumen erfolgenden Vermischung ganz verdeckt werden kann. So z. B. wird eine violette Lösung von Per- manganat beim Zusatz von Wasser im Verhältnis des farblosen Wasserzusatzes heller; enthält aber z. B. gleichzeitig in die Flüssigkeit gelangter Staub gewisse Stoffe, die das Permanganat zerstören, so wird die Mischung farblos, nicht weil die Wasserfarbe diejenige des Permanganates ver- deckte, sondern weil andere Ursachen das Perman- ganat zerstören. Es sei ausdrücklich bemerkt, daß diese anderen Einflüsse, die neben dem Vorgange der Mischung noch tätig sind, mit diesem zwar gar nichts zu tun haben, daß sie aber doch hier erwähnt werden müssen, weil man in Wirklichkeit sehr genau darauf achten muß. Es kann auch sogar der Fall sein, daß etwas, das zunächst das Ergebnis einer Mischung zu sein scheint, damit an sich gar nichts zu tun hat. Mischt man z. B. zwei leicht oxydierbare Flüssigkeiten, indem man stark rührt oder schüttelt, so tritt vielleicht eine sehr starke Wirkung ein, die aber nicht auf einem gegenseitigen Einflüsse der beiden Mischungsbe- standteile beruht, sondern auf dem oxydierenden Einfluß der Luft. Man könnte in diesem Falle auch ebensogut zwei Anteile der nämlichen Flüssigkeit mischen, oder überhaupt nur rühren oder umschütteln. 2. Wenn nun bei dem erst angeführten Bei- spiel das schwarze Wachs eine so starke Färbe- kraft hat, daß es auch in kleinsten Mengen dem weißen noch seine Farbe mitteilt, so wird beim Vermischen der beiden Wachsarten kein Grau, sondern immer nur Schwarz entstehen. s s w w SWS w heißt also hier: Dreimal schwarz und einmal weiß. Auch dieser Fall ist in der Natur nicht selten. Es ist bekannt, daß manche Körper gerade ge- wisse, für sie scheinbar besonders kennzeichnende Eigenschaften eigentlich gar nicht selber haben, sondern diese nur Verunreinigungen verdanken, die zwar in ganz kleiner Menge vorhanden, aber doch fast immer bei ihnen anzutreffen sind. So z. B. ist Wasser in ganz reinem Zustande ein beim Genuß giftig wirkender Stoff. Nur ein kleiner Anteil darin gelöster Salze und Gase — die in dem gewöhnlichen destillierten Wasser übrigens auch vorhanden sind — macht es erst zu dem unentbehrlichen Genußmittel, als das wir es anzusehen gewohnt sind. 3. Nehmen wir nun wieder einen Sack mit schwarzen und weißen Steinen, die aber diesmal Porzellanplättchen sein sollen. Da wir diese nicht ihrem Stoffe nach mischen können, legen wir immer zwei zusammengegriffene Plättchen über- einander, so daß nicht die Farbe der Mischung, sondern die des obenliegenden Plättchens zum Vorschein kommt. Das Schema s s w w w s w bedeutet jetzt also: von oben gesehen zwei schwarze und zwei weiße Doppelplatten. Mischen wir die erhaltenen Doppelplatten wieder, so ergibt sich immer wieder dasselbe Verhältnis. Die Zahl der oben liegenden Platten, die dem Ganzen ihre P'arbe leihen, wird immer dem Verhältnis der ursprünglichen Mischungsbestandteile entsprechen. Auch noch ein anderer Unterschied ist gegen- über dem ersten Beispiel vorhanden. Betrachten wir nämlich das Endergebnis, so hat man dort lauter graue Körper, die sich durch keine Kunst der Auswahl wieder in schwarze und weiläe trennen lassen. Haben wir dagegen hier eine Anzahl Doppelplatten, so ist eine Entmischung leicht vorzunehmen. Nehmen wir z. B. eine Anzahl oben schwarzer Doppelplatten, so sehen diese so aus s s s s usw. s w s w Dies ergibt auf 16 Kombinationen i66 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. n 9 ss; 3 sw; 3 ws; i ww 12 s 4 w Nehmen wir hier wieder die schwarzen Doppel- platten, so ist hier das Mischungsverhältnis s s s s usw. s s s w Es ist also nur noch ein Viertel der schwarzen Platten mit einer weißen Unterplatte versehen. Mischen wir weiter, so ergeben die hier vor- handenen sieben schwarzen mit dem einen weißen Steine 64 Zusammenstellungen und zwar: 49 ss; 7 sw; 7 ws; I ww 56 s 8 w Unter den hier vorhandenen 56 schwarzen Doppel- platten befinden sich noch 7 mit weißer Unter- lage, also '/g der ganzen Anzahl ; im ganzen macht dies auf 8 Doppelsteine 15 schwarze und einen weißen Stein. Wir erhalten also bei fortgesetztem Aussondern der weißen Steine immer reinere Mischungen an schwarzen, die nacheinander nur noch I I I 1 I T 4 ^ 16 ■ ■ ■ 2" weiße Steine enthalten. Ebenso lassen sich auch die weißen Steine aussondern; aber da man nie- mals weiß, was bei einer Doppelplatte unten liegt, kann man niemals ohne weiteres rein schwarze und rein weiße Steine voneinander trennen. Eine derartige Entmischung ist in weitestem Umfange gebräuchlich, z. B. wenn man Erde immer und immer wieder umgräbt, um die jedes- mal nach oben kommenden Steine auszulesen. Auch hier kann natürlich das Mischungsver- hältnis durch andere Umstände beeinflußt oder verdeckt werden. Stapelt man z. B. schwarze und weiße Flurplatten im Freien auf, so werden, bei gleicher Anzahl beider Farben, zunächst eben- soviel schwarze wie weiße Platten oben liegen. Entwickeln sich nun in der Nähe große Mengen Ruß oder Kalkstaub, so werden die Platten dann alle entweder schwarz oder weiß. Packt man sie nun um, so beginnt der ganze Vorgang von neuem, bis man nur noch Platten von einer Farbe hat, bis also scheinbar eine völlige Entmischung statt- gefunden hat. 4. Denken wir uns nun, der Sack enthalte schwarze undurchsichtige und weiße (farblose) durchsichtige Steine (Glasplatten), und wir bilden wieder Paare von zwei Steinen, so hat das Bild s s w w s w s w wieder eine andere Bedeutung. Wir haben jetzt drei schwarze (undurchsichtige) und eine weiße (durchsichtige) Doppelplatte. Mischen wir nun weiter, so ergibt es sich, daß auch hier, ebenso wie beim dritten Beispiel, das einmal vorhandene Verhältnis immer bestehen bleibt. Ebenso ist auch hier eine Entmischung leicht möglich. Zunächst brauchen wir, im Gegensatz zu dem vorhin behandelten Fall, nur die durch- sichtigen Doppelplatten herauszunehmen, um reine durchsichtige Steine zu bekommen. Nehmen wir weiter die undurchsichtigen Platten heraus, so haben wir hier das Verhältnis: S SWS s w usw. SWS SWS Dies ergibt auf 9 Fälle 4 ss; 4 sw; I ww 8 s I w Nehmen wir hier die acht schwarzen Doppel- platten, so erhalten wir auf 16 P'älle: 9 ss; 6 sw; i ww 15 s I w Sondern wir nun wieder die 15 schwarzen Doppelplatten aus, so erhallen wir das Verhältnis von 24 schwarzen zu 6 weißen Platten oder 4 s : I w. Dies gibt 25 Kombinationen, nämlich: 16 ss; 8 sw; i ww 24 s I w Die Zahl der sich beim jedesmaligen Neu- mischen nach Aussuchen der weißen (farblosen) bildenden weißen Doppelplatten geht also ständig zurück im Verhältnis: 1 1 I I I 4 9 16 25 ' " ' n^ Dagegen steigt die Zahl der vorhandenen rein schwarzen Doppelplatten in folgendem Verhältnis: I 4 9 16 /n — 1\^ 4 9 16 25 " ' ' \ n / Sind die beiden Mischungsbestandteile bei diesem Beispiel von vornherein nicht in gleicher Zahl vorhanden gewesen, so ergibt sich ganz all- gemein für das Bild s s w w SWS w wenn wir das Verhältnis zwischen den vorhandenen schwarzen (durchschlagenden) und farblosen (nicht durchschlagenden) Bestandteilen mit a : b be- zeichnen, die Bedeutung ^^T^' ula= + 2ab sw-l-ws = 2ab) ww ^b- Also z. B. wenn a : b = 4 : 3 s = a-+2ab = 28 w = b" = 9 Oder wenn z. B. a : b = 100 : i s = 10200 w= I Bei sehr großen Werten von a : b kann man hierfür also angenähert einsetzen: s : w ^ a'': b". 5. Stellen wir nun das Ergebnis unserer vier Versuche zusammen, so haben wir 1. und 2. Ihrem Stoff nach beliebig misch- bare Bestandteile (Feinmischung). Die Mischung ist erst ungleichförmig, nimmt dann aber beim weiteren Durchmischen (in der Praxis Umrühren oder Durchkneten) schnell eine gleichmäßige Fär- bung an. Eine Rückbildung der Mischung durch Aussuchen ist unmöglich. 3. und 4. Ihrem Stoff nach nicht mischbare N. F. XIII. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 167 Bestandteile (Grobmischung). Die Mischung zeigt dauernd dasselbe Verhältnis zwischen den in die Erscheinung tretenden Bestandteilen. Eine Rück- bildung der Mischung durch Aussuchen ist leicht durchführbar. 1. und 3. Die beiden Bestandteile der Mischung sind gleichwertig; demgemäß entsteht bei Fein- mischung eine Zwischenstufe, bei Grobmischung verteilt sich die oberflächlich zutage tretende Farbe der Anzahl der beiderseits verwendeten Stücke entsprechend. 2. und 4. Die beiden Bestandteile der Mischung sind nicht gleichwertig; demgemäß verschwindet bei Feinmischung der nicht durchschlagende Be- standteil scheinbar ganz, während sich bei Grob- mischung sein Anteil nach der Gleichung s: w= (a--f- 2ab) : b'- berechnet, wo a : b das Verhältnis darstellt, in dem die verschiedenen Mischungsbestandteile ur- sprünglich vorhanden gewesen sind. 6. Was nun die Frage anbetrifft, welche prak- tische Nutzanwendung wir von diesen Über- legungen zu machen haben, so würde es den Rahmen dieses Aufsatzes überschreiten, hier Einzel- heiten zu geben. Es sei nur darauf hingewiesen, daß die Vererbungslehre sich als ein ganz be- sonders wichtiges Gebiet für Untersuchungen dieser Art darstellt. Weiter sei nochmals ganz besonders darauf aufmerksam gemacht, daß man bei seinen Beob- achtungen genau darauf sehen muß, ob und in- wieweit nicht neben den Ursachen, deren Wirkungen man feststellen möchte, noch andere Umstände gleichzeitig eintreten, die das eigentlich in Betracht kommende Ergebnis zu ändern, zu verdecken oder in sein Gegenteil zu verkehren geeignet sind. Zweitens muß man beachten, daß sich Regeln nur aus der Beobachtung sehr zahlreicher Fälle ableiten lassen, und daß man nicht gelegentlich gemachte Einzelbeobachtungen gleich verall- gemeinern darf. So beziehen sich die vorhin auf- gestellten Beispiele i — 4 auch nicht auf einzelne, sondern auf unendlich viele Fälle, d. h. sie sind nicht nach der F"ormel — ^ , sondern nach a- 2 berechnet. Wollen wir z. B. prüfen, wie eine Mischung aus immer vier schwarzen und einem weißen Stein bei Kombinationen von je zwei Steinen sich verhält, so würden wir nach der „ , (s + w)(s-l-w — i) „..,, , . Formel ^^ — — ■ nur 10 Falle erhalten, 2 nämlich 6 ss und 4 sw. Würden wir gar vier schwarze und einen weißen Stein in Paare ab- zählen wollen, so würden wir nur zwei F"älle er- halten, und ein Stein würde übrig bleiben, während die Formel s- + 2s w -|- w- uns 16 -|- 8 + i =25 Fälle gibt und dabei anzeigt, daß die Fälle 2 sw je nachdem noch in sw und ws getrennt werden müssen. Praktisch kann man dabei selbst bei be- schränkter Anzahl von Steinen doch ein richtiges Ergebnis erhalten, indem man so verfährt, daß man die Steine einzeln herausgreift und gleich wieder in den Beutel zurückwirft. Man wird sich dann leicht überzeugen, daß man auf fünf erste Griffe immer durchschnittlich viermal schwarz und einmal weiß greifen wird. Da sich nun hinter jedem ersten Griff immer noch vier andere Griffe mit denselben Möglichkeiten ergeben, so sind dies ohne weiteres 25 Kombinationen. Das Wieder- liineinwerfen der Steine in den Beutel hat hierbei die Wirkung, auch mit einer kleinen Anzahl von Steinen dasselbe erzielen zu können, was in der Natur durch eine unendlich große Anzahl von einzelnen Fällen erreicht wird. Weiter sei noch bemerkt, daß es natürlich auch Kombinationen von mehr als zwei Elementen gibt, daß diese aber im vorstehenden nicht berück- sichtigt sind, weil es hier nur darauf ankam, an verhältnismäßig einfachen Fällen einen Fingerzeig für weitere Beobachtungen zu geben. Auch sind in vorstehendem nicht die Über- gänge zwischen Fein- und Grobmischung berück- sichtigt worden. Solche Übergänge können aber in der Natur eine große Rolle spielen. Zwei Flüssigkeiten sind z. B. im allgemeinen unbegrenzt mischbar; zwei Flurplatten, von denen entweder die eine oder die andere oben liegt und die untere verdeckt, sind als solche nicht mischbar. Zer- schlagen wir aber die Flurplatten, oder wenden wir gleich Scherben an, und nehmen wir dabei die Korngröße immer kleiner und kleiner, so er- halten wir schließlich feinen, scheinbar einfarbigen Kies oder Staub, der in seinem Verhalten je nach den Umständen den Beispielen i und 2 oder 3 und 4 folgt. Ebenso ist auch der Unterschied zwischen gleichwertigen und ungleichwertigen Mischungs- bestandteilen nicht scharf Auch hier werden die Umstände von großem Einfluß sein, und zwar nicht nur in der Stärke der einzelnen Eigenschaften für sich, sondern auch in ihrem gegenseitigen Ver- halten. Die Flora des Homer. Von Dr. med. et phil. Friederich Kanngießer (Brauufels ob der Lahn). Die Übersetzungen der altgriechischen Schrift- steller kranken samt und sonders an fehlerhafter Interpretation der Pflanzennamen. Dieses Manko ist teils zurückzuführen auf das mangelnde Ver- ständnis oder Interesse der Philologen für botanische Fragen, teils aber auf die Merkwürdigkeit, wie der griechische Unterricht an unseren Gymnasien ge- handhabt wird. Denn das Griechisch wird nicht nur als tote Sprache, sondern obendrein in ver- ballhornter Aussprache gelehrt. Statt mit der von der Sprache des Homer und Thukydides kaum verschiedenen modernen Hochsprache, so wie sie zu Athen gesprochen und geschrieben wird, zu be- ginnen, ähnlich wie man Englisch und Französisch i68 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. II unterrichtet, lehrt man Griechisch rein nach gram- matischen Grundsätzen als tote Sprache und zwingt die Schüler geradezu, teils noch durch übertriebene Anforderungen, mit Übersetzungen zu arbeiten und den Lehrer diesbezüglich zu betrügen, der seiner- seits zuweilen das Nötige tut, um die Schüler im Glauben zu halten, er könne Griechisch so perfekt übersetzen, daß er selbst keine Übersetzung notwen- dig habe. Aber diese Lüge und Gegenlüge entsteht großenteils durch das verkehrte System, statt mit der hoch- und vulgärgriechischen Umgangssprache zu be- ginnen, gleich mit Altgriechisch anzufangen. Wenn in diesem Scliulzopf eine Konsequenz wäre, dann müßte man ja auch mit Alldeutsch und Mittel- hochdeutsch statt mit unserer modernen Sprache die ABCSchützcn unterrichten. Wenn dem ent- gegengehalten wird, daß das Neugriechische keine Schriftsteller von Ruf aufzuweisen habe oder sich nicht mit der sog. klassischen Periode messen könne, so ist dies ein von keinerlei Sachkenntnis getrübtes Urteil. Wenn es aber ferner heißt, das Neugrie- chische sei noch keine abgeschlossene Sprache, sondern noch in Entwicklung begriffen, so beweist ein solcher Einwand nur das Unverlrautsein der Philologen mit naturwissenschaftlichem Denken oder mit dem TTcirra Qti, das nur eine Schulweis- heit zum Stillstand verurteilen möchte. Der wahre Grund des Widerstandes vieler Schulmänner gegen ein modernes System des griechischen Unterrichts besteht eben einfach in der Bequemlichkeit und in der Scheu, umlernen zu müssen; andere Einwände sind mehr oder minder faule Ausreden. Non scholae, sed vitae discimus. Wir Ärzte und Naturforscher haben ein Interesse daran, daß unseren Nachfolgern auf den Gymnasien das Griechisch praktisch ge- lehrt wird, so daß wir es nicht nach bestandenem Abitur als Ballast über Bord werfen, sondern daß wir durch Lektüre der alten wie modernen grie- chischen Fachliteratur unser Wissen erweitern und vertiefen können. Wenn ich nun nach dieser apologetischen Pro- vokation dazu übergehe, eine Chloris des Homer zu geben, so sollen in dieser Arbeit die in der Ilias und Odyssee (um 900 v. Chr.) genannten Pflanzen und ihre Synonyme bei Theophrast (um 300 V. Chr.), Dioscorides (um 50 n. Chr.) und im Neugriechischen oder Hellenischen in onomato- logischer Entwicklung verbucht und mit der offi- ziellen Nomenklatur identifiziert werden. Außer meinen früheren Arbeiten über die Flora des Hero- dot (Archiv f. Gesch. d. Naturw. 1910, Bd. 3 und Berichte der deutschen pharmaz. Ges. 191 3, H. 9) und Aristophanes (Jen. Zeitschr. f. Naturw. 1913, S. 849) und außer dem altgriechischen Lexikon von Pape und dem neugriechischen von Mitsotakis- D iet eric h, und den Kommentaren von Crusius und Ameis, leisteten mir bei dieser Arbeit gute Dienste der Link - Schneider'sche Index zu Theophrast (1821), die Berendes'sche Über- setzung und Erläuterung des Dioskorides (1902) und das Buch von Cheldraix und Miliaraki über volkstümliche Pflanzennamen (neugriechisch: Athen 1910). Selbstredend wurde auch die Voß- sche Übersetzung verglichen, die trotz ihrer über- ragenden Vorzüglichkeit botanisch unzulänglich ist, diesen Nachteil aber, wie erwähnt, mit anderen Übersetzungen gemein hat. ./iytiQog {äxtQMi'i). Bei Theophr. und Diosc. cayuQog und levxi]. Ngr. meist '/.evxa. Populus: Pappel. Als species kommen sowohl Weiß als Schwarz-Pappel in Betracht. axav(^a, Theophr. r^Qi'yyiov (piUaxavO-ov, Diosc. i^Qvyyinv und /.ti-QÜxav&oc, ngr. äxavO^a (uyyaO-id). Eryngium campestre. Mannstreu oder laufende Distel. af.irtii.og, desgl. bei Th. u. D. ngr. ScfiyrAi {äfiTtdog: Weinberg). Vitis vinifera. Rebe. aa(fi(')ötXog, desgl. bei Th. u. D. ngr. auch {ä)arpev- tohü, [ä.)o7iiqdoü'Ala. Asphodelus ramosus: Aspho- dill. äxigöog, Th. u. D. äxQdg, ngr. axladtä, wilder Birnbaum. "Oyxviq resp. o'/^vi] bei Homer der Edel- birnbaum, ngr. amdid (vgl. uitiog bei Diosc. Plat. u. Ath.). Pirus communis. ßvßlog, Th. u. D. TTÜnvQog, desgl. ngr. Cyperus papyrus. Die Papiersiaude. Vgl. ßißlog: Buch. Das (' und / wurden wohl schon in frühen Zeiten wie i ausgesprochen. Die Aussprache des ü- Lautes ist ja auch für moderne Völker, z. B. Süddeutsche, Engländer schwierig. Jdcpvrj-. zu allen Zeiten : Laurus nobilis: Lorbeer. ÖQüg: desgl.: Quercusarten, speziell Q. aegilops. Homer erwähnt die Eiche zu Dodona, Herodot Buchen (fpriyoi). 'EkaiTj, bei Theophr. und Diosc. sXaia, ngr. ihd. Olea europaea. Der wilde Ölbaum heißt bei Homer (ftUij (ngr. (pdoiQid), bei Theophr. u. D. xöiirog und dygielaia (ngr. dygioilaia und xoorii'og). IMti}, desgl. bei Th. u. D. Ngr. 'ilarog, e'laia. Abies apoUinis und andere Tannen. Über die in Griechenland verbreiteten Tannen vgl. E. J. Emmanuel. Berner Dissertation 191 2, p. 48,49. tgeßivO-og desgl. bei Theophr. und Diosc. ngr. (xßiif^ta. Cicer arietinum. Kichererbse (vgl. auch E. Emmanuel. Etüde comparative sur les plan- tes dessinees dans le Codex Constantinopolilanus de Dioscoride. Journal suisse de Chimie et Phar- macie. Sep. Abdr. undatiert). Zfia und oAiga , desgl. bei Th. u. D. , sind Herodot zufolge identisch, jedenfalls nahverwandte Abarten des Weizens. Triticum spelta (ngr. dygioairdgi) , monococcum und dicoccum, d. h. Spelz, Einkorn und Emmer kommen in Betracht. 6)vnv, bei Th. u. D. &iu<, &iia oder d^itict (schon im .Altertum wurde n wie i ausgesprochen) soll nach Sprengel Thuja articulata sein. "lov, desgl. Th. u. D., ngr. ftevtieg. Viola odo- rata, Veilchen. hii^ , Th. u. D. iTs'a, ngr. Inä {hiä), Salix alba, Silberweide. Ksdgog: zu allen Zeiten Juniperus- Wacholder- Arten. N. F. XIII. Nr. u Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 169 xlr]&Q)]: bei Th. x/i;.?()a, ngr. xlf^d-Qi, Alnus glutinosa. Schwarzerle. KQÜveia, desgl. bei Th., bei D. v.Qaviu, ngr. ■Aqavia, Cornus mas, Kornelkirsche. y.Qid^<] (x^r) Th. u. D. y-Qi^i], ngr. -Agt^äQ/, Hor- deum vulgare, Gerste. xpdxoc: zu allen Zeiten: Crocus vernus et sa- tivus, Safran. ■/.QÖ/.ILOV , Th. ■/(QÖu(Lt)iov , D. xQoiitiLor , ngr. desgl. und zpe/i/a'd«, AUium cepa, Zwiebel. ■Ki'aitog , desgl. bei Th. u. D. , ngr. xovx{x)ia und ■/0('x(z)/(ov), Vicia faba, die Sau- oder Puff- bohne. nvTrdcQiaaog, desgl. bei Th. u. D., ng-r. xurra- Qtaat, Cypressus sempervirens. Y.V7TSIQ0V, bei Th. u. D. wrteiQOQ, ngr. xvTieQjj, Cyperus longus et rotundus, Cyperngras. Jivor, desgl. bei Th. u. D., ngr. ktväqi, Linum usitatissimum, Lein, Flachs. Awro'c, desgl. bei Th. u. D. , ngr. rgiffckki, Trifolium- und Melilotus- d. h. Kleearten. }MTbi;TCüv JioTOfpäywv: die Frucht des Zizj'phus lotus. Oder identisch mit der Frucht des liby- schen Lotes des Th. resp. des Lotosbaumes des D. Diesenfalls kommt Celtis australis, der Zürgel- baum, der auch heute noch huröi genannt wird, in Betracht. /n^'zw)', desgl. bei Th. D. und im ngr. Daselbst auch wpiövt, äcpiüvi (in der Aussprache sind zwischen 0 und (Ol, die beide ähnlich unserem mittellangen o mitganz leichtem Anklang an a ausgesprochen wer- den keine Unterschiede,' wofür es auch schon aus dem Altertum Belege gibt), d. h. Opium, und t;';ri'og (Schlaf!) auch .T«.Ta()Oi;)'« (Papaper) genannt. Papaver somniferum, Mohn. Mt)M], bei Th. u. D. uelia, ngr. ^ts'kiü, Fraxi- nus ornus, Mannaesche. fii;ke)^, Th. tii^lia D. -/.vöcüvia firj/Ja , ngr. zr- öiot'ici, Cydonia maliformis sivc vulgaris, Quitte. fiiQixrj , desgl. Th. u. D., ngr. fiiQi/.id (/«cp/z/, auch mit dem Anlaut cd oder äg), Tamari.x galiica, Tamariske. Iltv/.r, desgl. Th. D. und ngr. Dort auch 7t£vy.a, TTeCxot;, Pinus halepensis et laricio. Aleppo- und Schwarzkiefer. nkvc,, desgl. Ih. D. u. ngr. Daselbst auch /o(/(/()f)(i'«p/« und ajQOifiAiä, Pinus pinea, Pinie. TTkaruviaiOi Th. D. u. ngr. n'käiavoc.. Hier auch TtluTÜri. Platanus orientalis. Platane. iTi'^oc, Th. desgl., ngr. TtiiÜQi (jaifiaiQi) Buxus sempervirens. Buchs. niQÖg. Th. u. D. desgl., ngr. azagt = anÜQi, auch anoc, das schon im Altgriechisch Getreide, spez. Weizen bedeutet. Triticum vulgare. 'P6Ö0V, Th. D. u. ngr. desgl. Rose. Ngr. ^oö\, Qodia, QOÖaQici: (Wild-) Rosenstrauch, TQiavxcapcX- Xid: Edelrosenstrauch, Rosenstock. Unter ßämg versteht man alt- und neugr. stachliges Gesträuch : Brombeer- und Wildrosentriebe. ^oii^ : Th. u. D. (foiä, ngr. Qoiä, gölöi, gwöi. Qodiä und Qcjdici (vermerkt sei, daß 6 wie das weiche engl, th in thine gesprochen wird). Punica granatum. Granatbaum. Ifhvov: zu allen Zeiten: Apium graveolens. Eppich. av/.ei], Th. u. D. at'z»], ngr. ffi'/i], ac/dd, Ficus carica; eQiveog, desgl. bei Th., dort auch tr/Qta ffi/(], das letztere Synonym auch bei Diosc , ngr. dQv{i)6g, oQviä ist der wilde F'eigenbaum. 'Tmtvd-og, desgl. Th. D. u. ngr. Hyacinthus orientalis. Andere freilich meinen Iris germanica, Delphinium ajacis, und Gladiolusarten kämen in PVage (vgl. Kanngießer, Erklärung der Pflanzen- namen. Gera 1909, p. 86). Bemerkt sei, daß icnoivd-i usw. jetzt ein Synonym für Poiyanthes tuberosa ist. Diese Pflanze, desgl. die Hyazinthe selbst werden neugriechisch meist ^iftßovXi [Zwiebel?] genannt. Über L'dxivd-og soll auch Murr im Progr. des Gymn. zu Innsbruck i888 abgehandelt haben, (desgl. über die f/)i;yo'L; Frage), doch ist mir die Schrift leider nicht zugänglich. 'I>r;yög, Th. D. auch ngr. desgl. Ngr. auch (fd'/og und o|i« {6'ivu des Th.) Fagus silvatica. Buche. Hier hatVoß im Gegensatz zu anderen, die Eiche oder Kastanie übersetzen wolle, m. E. recht. (poh'i^ oder cpoUii. {01 wird wie i gesprochen, vgl. den Doppelsinn des Orakels: lotiiög u. hftög), desgl. Th. D. u. ngr. Jetzt /ocp/fad;« gebräuch- licher. Phoenix dactylifer, nicht dactylifera, wie durchgehends geschrieben wird. Phoenix ist so- wohl im Griech. wie im Lat. masculinum. (Auch heißt es nicht Orchis mascula, sondern masculiis, da ()p;f. Vieweg & Sohn. — Geb. 5,50 Mk. 3) Kerner V. Marilaun, Anton, Pflanzenleben. 3. Aufl., neubearbeitet von Prof. Dr. Ad. Hansen. 2. Bd.: Die Pflanzengestalt und ihre Wandlungen (Organlchre u. Biologie der F'ortiiflanzung). Mit 250 Textabb., 20 farbigen, lo schwar- zen und 4 doppelseiligen Tafeln usw. Leipzig u. Wien '14, Bibliographisches Institut. — Geb. 14 Mk. 4) Densraore, Francis, Chippewa Music 11. Smitbsonian Institution , Bureau of .\merican Ethnolcgy Bull. 53. Wa- shington '13. 5) Bernays, Privatdozent Dr. Paul, Über die Bedenk- lichkeilen der neueren Relativitätstheorie. 24 S. Göttingen '13, Vandenhoeck & Ruprecht. — 80 Pf. 6) Meyerhof, Privatdozent Dr. Otto, Zur Energetik der Zellvorgänge. Ein Vortrag. 32 S. Göttingen '13, Vanden- hoeck & Ruprecht. — t Mk. 7) Brandt, Dr. Bernhard, Studien zur Talgeschichte der großen Wiese im Schwarzwald. Mit Karten und Tafeln. Abhandlungen zur badischen Landeskunde. 53 S. Karlsruhe '14, G. Braun'sche Hofbuchdruckerei und Verlag. — 2,40 Mk. 8) Boveri, Prof. Dr. Theodor, Zur F'rage der Ent- stehung maligner Tumoren. Mit 2 Abbild. 64 S. Jena '14, G. Fischer. — 1,50 Mk. 9) Bürgi, Roderich, Die Tätigkeit der Ionen in der Natur. In allgemein verständl. Form. 233 S. Leipzig '14. In Kommission bei O. VViegand. — 7,50 Mk. Inhaltt F. Stellwaag: Neuere Untersuchungen über den Farbensinn der Insekten. Gustav Rauter: Zur Kombinations- lehre. Friederich Kanngießer: Die Flora des Homer. — Einzelberichte: J. R. Wright, O. F. Smith: Gehalt der Atmosphäre an Radiumemanation. K. Kahler: Emanationsgehalt der Bodeuluft. J. Stocklasa und V. Zdob- nicky: Einfluß der radioaktiven Emanation auf die Entwicklung der Pflanzen. Guillermond und Combes: Vom .\nthocyan. Jacques Loeb: Umkehrbarkeit in der Entwicklungserregung des Seeigeleies. Hayn: Bestimmung des Mondortes. — Kleinere Mitteilungen : Karl Burk: Die Walloneneichen in ihrer pflanzen- und wirtschaftsgeographischen Bedeutung. Koch: Tollwut. Kr o eher: Die Giftigkeit des Methylalkohols. — Bücherbesprechungen: Karl Groos: Das Seelenleben des Kindes. James C. Philipp: Physical chemistry, its bearing on biology and medicine. O. M. Reuter: Lebensgewohnheiten und Instinkte der Insekten. C. Lloyd: Instinkt und Erfahrung. — Anregungen und Antworten. — Literatur : Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H.Mi ehe in Leipzig, Marienslraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzen Reihe 29. Band. Sonntag, den 22. März 1914. Nummer 12. Die modernen wissenschaftlichen Forschungen über die Entstehung und willkürliche Bestimmung des Geschlechts. Von Dr. Albert Koch (Münster i. W.). [Nachdruck verboten.] M^^ 3 ^ Ein Problem, mit dem sich der Forschunigsgeist beschäftigt hat, seitdem es denkende Menschen gibt, und dessen endgültige Lösung den tiefst- gehenden Einfluß auf das Schicksal der ganzen Menschheit ausüben könnte, ist die Frage nach der Entstehung und willkürlichen Bestimmung des Ge- schlechts. Die ältere Geschichte des. Problems ist voll von Irrtümern, und stets stellten sich den gewagten Hypothesen unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg. Erst mit der Entdeckung der Sper- matozoen durch Anton van Leeuvenhoeek (1677) und des Säugetiereies durch Karl Ernst von Baer (1827) war eine sichere anatomische Grundlage für die weitere Forschung auf diesem Gebiete gegeben. Wir wissen heute, daß diese Geschlechtszellen bei ihrem Zusammentreffen voll- ständig miteinander verschmelzen, d.h. zu einer neuen Zelle werden, die durch fortgesetzte Teilun- gen allmählich das neue Individuum heranwachsen läßt. Stellen wir uns nun die Frage, wann bei diesem Werdeprozeß die Geschlechtsdifferenzierung eintritt, so können wir rein theoretisch folgende Fälle als möglich hinstellen: 1. Das Geschlecht wird während des Embryonal- lebens entschieden, z. B. beim Menschen dann, wenn die bis zum dritten Monat hin für beide Geschlechter gleiche Genitalanlage sich zu männ- lichen oder weiblichen Geschlechtsorganen zu differenzieren beginnt. 2. Die Geschlechtszellen sind — genau wie im ersten Falle — ,, geschlechtslos", d. h. weder Männ- chen noch Weibchen bestimmend, die Geschlechts- differenzierung tritt aber nicht erst während des Embryonallebens, sondern im Augenblick der Ver- einigung von Ei- und Samenzelle ein, eventuell auf Grund irgendeines unbekannten, vielleicht psychi- schen oder mystischen Vorgangs. 3. Das Ei ist zum Männchen-Erzeuger resp. Weibchen-Erzeuger prädestiniert, die Samenfäden sind „geschlechtslos". 4. Die Umkehrung vom vorigen Falle: Die Samenfäden sind die geschlechtsbestimmenden Fak- toren, die Eier sind indifferent. Bei den modernen Arbeitsmethoden zur Er- gründung des Sexualproblems lassen sich verschie- dene Phasen unterscheiden: Einmal die statistische Richtung, die im wesentlichen an den Namen des ehemaligen Tübinger Professors der Tierheilkunde J. D. Hofacker und an den Engländer Sadler extfiguren. anknüpft, dann die Versuche willkürlicher Beein- flussung, wie sie seinerzeit der Wiener P^mbryologe S c h e n c k vorschlug ; ferner die anatomisch-histolo- gische F"orschung, die sich mit einem eingehenden Studium der Geschlechtszellen befaßt, wie es heut- zutage auf Grund der vervollkommneten mikro- skopischen Untersuchungsmethoden möglich ist, und schließlich die experimentelle Richtung, die hauptsächlich auf den Münsterschen Professor der Botanik, Dr. Correns, zurückgeht. Die statistische Forschung stellt mittels der durch die staatlichen Institute festgelegten Zahlen oder mit Hilfe von eigens zu diesem Zweck angefertigten Tabellen Berechnungen an über das Geschlechtsverhältnis der Neugeborenen, über das Alter und den Altersunterschied der Eltern, kurz über alles, was sich zahlenmäßig von irgendwelchen Beziehungen der Eltern zueinander und dem darauf beruhenden Einflüsse auf die Geschlechtsziffer der Kinder sagen läßt. Sie berücksichtigt ferner die Ergebnisse, zu denen die praktische Tierzucht im Laufe der Jahre gekommen ist. Auf diese Weise ist es dann gelungen, das sogenannte Hofacker - Sadler'sche Gesetz aufzustellen, das tatsächlich eine Beziehung zwischen dem Alter und dem Alters- unterschiede der Eltern einerseits und dem Ge- schlechte der Kinder andererseits zahlenmäßig aus- spricht. Es erübrigt sich, das ganze Gesetz hier anzugeben, da es einmal viele Gegner gefunden hat, vor allem aber für den Menschen selbst, was die willkürliche Bestimmung des Geschlechtes an- geht, keine Bedeutung haben kann. Ein Beispiel möge das beweisen. In dem Gesetze heißt es u. a. : Ist der Vater 4—6 Jahre älter als die Mutter, so ist das Geschlechtsverhältnis 108 (auf 108 Knaben kommen demnach 100 Mädchen). Das heißt doch mit anderen Worten : Zwei Ehegatten, zwischen denen dieser Altersunterschied herrscht, können mit einer Wahrscheinlichkeit von 108 : lOO darauf rechnen, männliche Nachkommen zu erzielen! Da obendrein die Wahrscheinlichkeitsrechnung nur für ganz große Zahlen unbedingte Gültigkeit hat, so ergibt sich daraus, daß das Gesetz für den Menschen nur vom rein theoretisch-wissenschaft- lichen Standpunkt aus größeres Interesse bean- spruchen kann. Jedoch läßt sich für die Tierzucht eine ge- wisse Bedeutung ähnlicher Forschungen nicht leugnen, da man es ja auch hier meist mit einer weit größeren Nachkommenschaft ein und der- selben Generation zu tun hat als beim Menschen ; 178 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 12 und so hat man denn auch Sätze aufgestellt, wie z. B. die folgenden : „Paare alte Stuten mit jungen Hengsten, wenn du verhältnismäßig mehr männliche Fohlen haben willst", und: „Paare junge Stuten mit alten Hengsten, wenn du verhältnismäßig mehr weibliche Fohlen haben willst." — Worauf es uns bei diesen Dingen besonders ankommt, ist die Tatsache, daß wir auf Grund solcher Feststellungen annehmen müßten, daß weder Ei noch männlicher Same zur Erzeugung des einen oder anderen Geschlechts prädestiniert sei; denn sonst könnten unmöglich Altersunter- schiede der Eltern einen Einfluß auf die Geschlechts- bestimmung ausüben. Fall 3 und 4, ebenso natür- lich Fall I unserer oben erwähnten Möglichkeilen für den Eintritt der Geschlechtsdifierenzierung wären demnach hinfällig, und wir hätten uns für den Fall 2 zu entscheiden, in dem von einem geheimnisvollen Faktor die Rede war, der im Augenblick der Vereinigung von Ei und Same über das Geschlecht des entstehenden Wesens entscheiden würde. Bei der Betrachtung der zweiten Gruppe von Beobachtungen und Forschungen wollen wir uns an die Mitteilungen erinnern, durch die seinerzeit Prof. Schenck allgemeines Aufsehen zu erregen wußte. Dieser nahm an, daß die Geschlechts- bestimmung während der Entwicklung des Eies im Eierstock vor sich gehe, und daß demnach im reifen Ei das Geschlecht endgültig festgelegt sei. Wie kam Schenck dazu? Seine Theorie gründet sich auf zwei Beobachtungen im Tierreich. Die eine wichtige Stütze seiner Auffassung be- ruht auf den allerdings sehr selten beobachteten Fällen, in denen man es schon vor der Befruch- tung dem Ei ansehen kann, ob es ein Männchen oder ein Weibchen liefern wird. So kann man z. B. in dem Eierstock von Dinophilus, einem kleinen im Meere lebenden Ringelwurme, stets zwei durch ihre Größe leicht unterscheidbare Arten von Eiern nachweisen, von denen es fest- steht, daß die kleinen Formen Männchen, die bei weitem größeren der anderen Art stets Weibchen liefern. Ja, in der neuesten Zeit hat man be- obachtet, daß bei den — allerdings äußerlich vollständig gleich erscheinenden — Eiern von gewissen Seeigelformen (Strongylocentrotus lividus und Echinus microtuberculatus) ein deutlicher Unterschied in der Beschaffenheit des Kernes nachzuweisen ist, und daß man auf Grund dieser Tatsache ebenfalls zwei Arten von unbefruchteten Eiern unterscheiden kann , von denen die einen Männchen, die anderen nur Weibchen hervorbringen. Diese letzten von Baltzer ausgeführten und 1909 veröfTentlichten Untersuchungen beweisen, daß wir in gewissen Fällen tatsächlich mit einer vom weiblichen Geschlecht ausgehenden Ge- schlechtsbestimmung zu rechnen haben. Weiter stützte sich Schenck darauf, daß für verschiedene Tierformen , so z. B. für Pflanzen- läuse (Phytophthiren), Wasserflöhe (Daphniden), Rädertierchen (Rotalorien) und vielleicht auch für einzelne Säugetiere angegeben wurde, das Ge- schlecht der nächsten Generation ließe sich durch äußere Einflüsse und Existenzbedingungen, wie Ernährungs- und Ten.peraturverhältnisse, denen man die Eltern aussetzt, bestimmen. So berichtet z. B. später (1907) der Italiener Russo, daß es ihm gelungen sei, von Kaninchenweibchen, die vor der Begattung mit einem Fette, Lecithin, gefüttert worden waren, vorwiegend weibliche Junge zu erhalten. Für Schenck, der annahm, daß sich solche Tatsachen verallgemeinern ließen, war somit das Problem der Geschlechtsbestimmung gelöst. Es kam darauf an, die Lebensbedingung der Frau während der Eireifung — also vor der Konzeption ^) — durch entsprechende Ernährung so zu gestalten, daß nur Knaben- resp. Mädchen- erzeugende Eier in dem Eierstock heranreifen konnten. Wir wissen, welche Angriffe diese Lehre Schenck's bei ihrem Erscheinen von den ver- schiedensten Seiten aus erfahren hat und wie oft es die praktischen Versuche an dem gewünsch- ten Erfolge fehlen ließen. Erst in der allerneuesten Zeit werden Stimmen von Forschern laut, die auf ganz anderem Wege als Schenck zu ähnlichen Überzeugungen gelangen, insofern sie ebenfalls den Prozeß der Geschlechtsbestimmung bei der Eireife, also im weiblichen Körper zu finden glauben. Hierher gehören von älteren VeröfTent- lichungen die zum Teil experimentellen Unter- suchungen von Lenhossek und Oskar Schnitze und aus den letzten Jahren die Arbeiten der Münchener Schule (R. Hertwig), des Berliner Zoologen Gutherz u. a. Mit der Erwähnung dieser Arbeiten haben wir uns aber schon der dritten Untersuchungs- methode zugewandt. Es kommt hierbei besonders auf eine Erscheinung bei der Ei- und Samenreifung an, die wissenschaftlich als Reduktionsteilung be- zeichnet wird. Bei einer in Teilung befindlichen Zelle bildet das Chromatin, die leicht färbbare Substanz des Kerns, eine gewisse Anzahl von haken- oder stäbchenförmigen Gebilden, die man Kernsegmente oder Chromosome nennt und die als Träger der Vererbung angesehen werden. Die Zahl dieser Chromosome ist nun für jedes Tier konstant, sie wechselt bei den verschiedenen Arten von nur 2 bis zu 100 und mehr. Die reifen Geschlechtszellen unterscheiden sich nun von allen anderen Zellarten des Körpers da- durch, daß sie nur halb so viel Chromosome ent- halten wie diese. Das muß der Fall sein, weil bei dem Befruchtungsakt, d. h. bei dem Ver- schmelzen von Ei- und Samenkern zu dem Kern der neuen Zelle, die richtige Chromosomenzahl auf diese Weise wieder hergestellt wird. ') Nur zur Sicherheit empfahl Schenck, die betreffende Kur auch während der ersten Schwangerschaftsmonate fort- zusetzen. N. F. XIII. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 179 Die Verminderung der Chromosomenzahl findet bei der oben bezeichneten Reduktionsteilung statt. Und zwar geschieht dies auf dem einfachsten Wege, der möglich ist: Sind z.B. 12 Chromo- some vorhanden, so bekommt jede der Tochter- zellen 6 davon. Als nun vor etwas mehr als 20 Jahren H e n - king diesen Vorgang bei der Samenreifung der Feuerwanze untersuchte, fand er, daß in der ur- sprünglichen männlichen Keimzelle 23 Chromosome vorhanden waren, von denen bei der Reduktions- teilung 12 auf die eine, 11 auf die andere Tochter- zelle iibergingen. Es resultierten also schließlich Samenfäden , die bei gänzlich gleichem Äußeren in ihrer inneren Struktur verschieden waren in- folge des Mangels resp. des Besitzes eines Chro- mosoms, das deswegen den Namen Heterochromo- som oder auch X-Chromosom erhielt; und zwar ist genau die eine Hälfte im Besitze dieses X- Chromosoms, die andere nicht. Studiert man auf die gleiche Weise die Vor- gänge bei der Eireifung der Feuerwanze, so findet man, daß hier alle Eier die gleiche Chromosomen- zahl, nämlich 12, besitzen. Prüft man jetzt die übrigen Zellen, die den Körper der Feuerwanze zusammensetzen, auf ihre Chromosomenzahl, so findet man die merkwürdige Tatsache bestätigt, die sich ja nach dem Gesagten schon vermuten ließ, daß nämlich das Männchen 23, das Weibchen 24 Chromosome in allen — in Teilung befind- lichen — Zellen des Körpers besitzt. Das Männ- chen besitzt also ein, das Weibchen aber zwei X-Chromosome. Nun ist natürlich der Sprung von der Be- obachtung dieser merkwürdigen Tatsache bis zur Anwendung auf das Geschlechtsproblem nicht mehr weit. Es genügt ein einfaches Rechen- exempel: Es existieren zwei Arten von Sperma- tozoen, solche mit 1 1 -j- i und solche mit 1 1 -|- o Chromosomen, aber nur eine Sorte von Eiern; sie haben alle 1 1 + i Chromosome. (Das X- Chromosom ist immer besonders geschrieben.) Kommt nun ein Spermatozoon der ersten Art, also ii-j-i, mit einem Ei, 1 1 -|- " > zusammen, so entsteht eine befruchtete Eizelle mit (u -H 1) -{-(ii -j- i) = 24 Chromosomen, und daraus ein weibliches Junges. Ein Spermatozoon 1 1 -|- o, kombiniert mit einem Ei, liefert eine befruchtete Eizelle mit (i i -f- o) -f (n + i) = 23 Chromo- somen, also ein iVlännchen. Hier wäre somit Fall 4 der Einleitung verwirk- licht. Und wie es bei der F'euerwanze ist, so haben es andere Autoren, z. B. Montgommery, Sinety, McClung für mehrere andere Tier- arten, besonders für Insekten, dann aber auch für Fadenwürmer und einige Wirbeltierformen , be- stätigen können, und Gelehrte wie Wilson, Miss Stevens, Morgan, Boveri, Gold- schmidt, Gutherz u. a. haben durch ausge- dehnte vergleichende Studien sich um den Aus- bau dieses F"orschungszweiges verdient gemacht. Freilich liegen nicht immer die Verhältnisse so einfach und sind so leicht zu überschauen wie bei dem angegebenen, fast als Schulbeispiel zu bezeichnenden Falle. An der von Wilson angefertigten und aus der Plate'schen „Vererbungslehre" (Leipzig 1913) entnommenen P'ig. I können wir uns einen Be- griff machen über die Mannigfaltigkeit der Formen, in denen die Heterochromosome auftreten können. « _Q_ I • 0 1 X Y 0 -^ X4 8. «• 10. 11- Fig. I. Verschiedene Formen von Heterochromosomen. (Nach Wilson, aus Plate: Vererbungslehre, 19 13.) I Protenor, Anasa. 2 Syromastes, Homo? 3 Ascaris lumbri- coides. 4 Nezara viridula. 5 Euschistus coenus. 6 Nezara hilaris. 7 Thyanta calceata. 8 Rocconota, Fitschia. 9 Prio- nidus, Sinea. lo Gelastocoris. H Acholla multispinosa. Die obere Reihe zeigt, daß das X-Chromosom nicht immer, wie im Fall i, einfach zu sein braucht, sondern aus zwei oder mehr — sich wie ein Chro- mosom verhaltenden — Komponenten bestehen kann (vgl. Fig. i, 2 u. 3). Fall 2 ist deshalb von besonderem Interesse, weil er auch nach Guy er für die Samenreifung des Menschen Geltung haben soll. Nach dessen Angaben besitzt der Mann 20 -j- 2 =: 22 Chromosome, die Frau 20 -|- 2 -|- 2 = 24 Chromosome in allen Zellen des Körpers. Die Teilungen, die Ei- und Samenreifung bewirken, gehen hier etwas anders als gewöhnlich vor sich: Es sollen Spermatozoeri mit 5 und 5+2 = 7 Chro- mosomen und Eier mit stets 7 Chromosomen ge- bildet werden. Ob es sich wirklich so verhält, ist bis jetzt noch nicht einwandfrei entschieden. So bestreitet z. B. Gutherz, daß überhaupt beim Menschen Heterochromosome vorhanden seien. Das X-Chromosom kann nun auch einen Partner besitzen, das sogenannte Y-Chromosom, das sich von ihm durch geringere Größe unterscheidet. Dies ist in den Figuren 4— n der Wilson'schen Tafel der Fall. Bei der Reduktionsteilung wandert das X-Chromosom in die eine, das Y-Chromosom in die andere Zelle, so daß wir schließlich reife Spermatozoen erhalten, von denen die Hälfte ein X-, die übrigen ein Y-Chromosom neben der gleichen Anzahl von gewöhnlichen oder ,, Auto- chromosomen" besitzen. Die Eier enthalten auch in diesem Pralle stets ein X-Chromosom, so daß sich folgendes Schema für den Befruchtungsvorgang ergibt: (Die Zahl der Autochromosome sei n.) i8o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 12 Eikern plus Spermakern gleich befruchteter also Kikern entsteht : n + X „ n + X „ 2n + 2.x Weibchen n + x „ n + y .. 2n + x-|-y Männchen Ist nun auch in diesem Falle das X-Chromosom nicht einfach (wie in Figur i, 4-6), sondern zu- sammengesetzt (Fig. 1, 7— 11), so ergeben sich bei den Samenreifungen Bilder wie Fig. 2, die drei Stadien einer solchen Kernteilung bei der Spermato- zoenentwicklung schematisch darstellen soll. (Nach Payne aus R. H e r t w i g , Biol. Zentralbl. 1 9 1 2, S. 8.) In Fig. 2, I sind die Chromosome paarweise grup- piert in der sog. Äquatorialplatte vereinigt. Das vierteilige X-Chromosom liegt neben seinem Partner, dem Y-Chromosom. Fig 2, 2 zeigt das Auseinander- weichen der Chromosome bei der Reduktions- teilung; das V- geht nach der einen, das X-Chro- mosom geht nach der anderen Seite. Fig. 2, 3 stellt das Ergebnis der Teilung dar; ein Chromo- somensortiment enthält das X-, das andere das Y-Chromosom. (Es sind der besseren Übersicht halber in Fig. 2, i und 2 nicht alle l'aare von Auto- chromosomen gezeichnet.) '^< llt Fig. 2. Galastocoris occulatus. Spermatozoencnlwick (Erklärung im Text.) )\ tm 3. ''X lung. Stand die Entdeckung der X-Chromosome wirk- lich in Zusammenhang mit dem Sexualproblem, so mußten sich auch solch komplizierte Erschei- nungen, wie Hermaphroditismus (Zwitterbildung) und Heterogonie, ^) mit dieser Lehre von den „Ge- schlechts"-Chromosomen vereinbaren lassen. Die Vorgänge bei der Zwitterbildung haben Boveri und Schleip bei einem Fadenwurme, Rhabdonema nigrovenosum, eingehend untersucht. Rhabdonema hat zwei Generationen; Die getrennt- geschlechtlichen und freilebenden Formen erzeugen Eier mit 6 resp. Spermatozoon mit 6 oder 5 Chro- mosomen. Von diesen degeneriert nun aber die letzte Kategorie noch vor der endgültigen Reife, es bleiben deshalb nur „Weibchen"-liefernde Sper- matozoon übrig. Alle befruchteten Eizellen müssen somit Weibchen ergeben. Wir wissen nun, daß diese ') Unter Heterogonie versteht man eine zyklische Fort- pflanzung, wie sie z. B. Blattläuse, Wasserflöhe, Rädertierchen zeigen, bei der eine geschlechtliche mit einer oder mehreren parthenogenetischen Generationen abwechselt. „Weibchen", die parasitisch in der Lunge des Frosches leben, ihrem Geschlechtscharakttr nach „Zwitter" sind. Dies beruht histologisch auf der Tatsache, daß in ihren Geschlechtsorganen abwechselnd Schichten von Eiern und Spermatozoon gebildet werden. Ursprünglich sind sämtliche Keimzellen zu Eiern bestimmt, d. h. sie enthalten alle 6 Paare von je zwei untereinander gleichen Chromosomen. Bei den Reifungsteilungen geht aber in den zu Sper- matozoon werdenden Geschlechtszellen ein Chro- mosom zugrunde, so daß aus den nunmehr 1 1 Cliromosome enthaltenden Zellen bei der Teilung schließlich reife Spermatozoon mit 5 oder 5 + l Chromosomen entstehen. Die Eier machen natür- lich die reguläre Entwicklung durch; sie enthalten im reifen Zustande sämtlich 5 + i Chromosome. Es entstehen auf diese Weise in der Zwittordrüse 2 Arten von .Spermatozoon und lauter unter sich gleiche Eier. Es ergibt sich mithin dasselbe Re- sultat, wie wir es von einer ganzen Reihe getrennt- geschlechtlicher Tiere berichtet haben. Auch bei den als Heterogonie bezeich- neten Phallen zyklischer Fortpflanzung findet man bei der Entwicklung der männlichen Geschlechts- produkte die Erscheinung, daß aus dem weiblichen Chromosomenbestand durch Vernichten eines Chro- mosoms die für das Männchen charakteristische Anzahl von Chromosomen hergestellt wird. Es ist leicht einzusehen, daß gerade solche Entdeckun- gen von manchen p-orschern als besonders wichtige Stütze für die Hypothese von der geschlechtsbe- stimmenden Eigenschaft der X-Chromosome an- gesehen werden. Auf Grund dieser, sowie der oben erwähnten Beobachtungen bezeichnet Wilson das weibliche Geschlecht als h omogametisch, d. h. es ist in Bezug auf die Chromosomenverhältnisse der reifen Eier gleichartig, es bildet stets Gameten (Ge- schlochtsprodukte) einer und derselben Art; das männliche Geschlecht ist hingegen heteroga- me tisch; denn in ihm entstehen zweierlei Ga- meten, in diesem Pralle Spermatozoon, die sich durch den Besitz resp. Mangel des Hetorochromo- soms unterscheiden. Nun ist es aber bis jetzt noch nicht gelungen, bei allen Tierarten einen heterogametischen Cha- rakter des Männchens nachzuweisen. Ja, in man- chen Fällen ist es direkt umgekehrt, wie bei den oben erwähnten Seeigelformen. Hier sind näm- lich die Spermatozoon gleichartig gebaut, sie ent- halten alle n + i Chromosome, jedoch kann man die Eier einteilen in solche mit und solche ohne X-Chromosom, d. h. in Eier mit der Chromo- somenzahl n -f- I und n -f- o. Es kommt also in diesem Falle dem Weibchen der heterogameti- sche Charakter zu: der geschlechtsbestimmende Faktor ist hier das Ei, nicht das Spermatozoon. Manche Forscher gehen nun so weit, dies über- haupt als Norm anzunehmen. Sie sehen dann bei heterogameten Männchen in der Differenzierung der Spermatozoon nur eine sekundäre Erscheinung, während die primäre Geschlechtsdifforonziorung N. F. XIII. Nr. i: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. i8i in den homogametischen weiblichen Geschlechts- zellen zu finden sein soll. Denn hier gibt es — nach Ansicht dieser Forscher — solche Eier, die nur Männchen -erzeugende, und andere, die nur Weibchen bestimmende Spermatozoen in sich auf- nehmen. Diese Vorstellungen gründen sich auf den Gedanken einer sog. „selektiven Befruchtung": Das Ei ist von vornherein zu einem Männchen- resp. Weibchen Erzeuger „determiniert", kann also nur von Männchen- resp. Weibchen • bestim- menden Spermatozoen befruchtet werden , wenn es zu einer ,, Geschlechts realisieru ng" — wie Gutherz „die Herstellung der für das Geschlecht charakteristischen Chromosomenzahl" nennt — kommen soll. Interessant ist schließlich noch die Tatsache, daß bei manchen Arten überhaupt keine Hetero- chromosome nachgewiesen werden köimen, wie z.B. bei Culex, der gemeinen Singschnake. Wollte man in diesem Falle auch von einer geschlechts- bestimmenden Funktion der Chromosome reden, so könnte man diese Tatsache höchstens auf Grund einer physiologischen statt morphologischen, d. h. anatomisch nachweisbaren , Differenzierung derselben erklären. Aus alledem ersehen wir, wie mannigfaltig die Entdeckungen sind, die in den letzten Jahren auf diesem Spezialgebiet der mikroskopischen Ana- tomie gemacht wurden. Es ist deshalb vorläufig noch nicht möglich, ein für alle Fälle geltendes Schema aufzustellen. Das wissenschaftliche Er- gebnis, das wir heute schon mit Sicherheit aus- sprechen können, besteht wohl darin, daß es sich — - wenigstens für eine ganze Reihe untersuchter Fälle — um keine Hypothese mehr, sondern um die Tatsache einer Beziehung der Heterochromo- some zum Sexualproblem handelt. Eine äußerst wichtige Stütze dieser Theorie bilden nun die Ergebnisse der experimen- tellen Vererbungslehre, d. h. der seit Anfang dieses Jahrhunderts von botanischer wie zoologi- scher Seite aus mit großem Erfolge betriebenen modernen Bastardforschung. Es handelt sich dabei um Versuche, das Sexualproblem nach der Methode der mendelistischen Vererbungsversuche in Angriff zu nehmen. Als Grundlagen hierfür kommen hauptsächlich drei Tatsachen in Betracht: 1. die Erscheinung des sexuellen Dimorphismus, 2. das Zahlenverhältnis der Geschlechter, und 3. die Spuren eines latenten Hermaphroditismus. Punkt I und 2 sind ohne weiteres verständlich. Die in 3 ausgesprochene Hypothese, daß in vielen, wahrscheinlich sogar in allen Fällen jedes Ge- schlecht auch die Merkmale des anderen latent enthalte und in der Lage sei, unter gewissen Be- dingungen diese verborgenen Eigenschaften zur Entfaltung zu bringen, geht auf Darwin zurück. Die Hahnenfedrigkeit der Hennen, im Alter Ge- weihe tragende Weibchen hirschartiger Tiere galten diesem als Beweismaterial. Als modernes Beispiel sei die Krabbe Inachus erwähnt, bei der ein Parasit, der Wurzelkrebs Sacculina, die männlichen Keim- drüsen teilweise in weibliche verwandelt, wobei auch die sekundären Geschlechtscharaktere eine entsprechende Umwandlung erfahren können. Lassen sich diese Beobachtungen verallge- meinern, so müssen wir annehmen, daß es sich bei Männchen und Weibchen um eine völlige Gleichheit der Geschlechter in bezug auf ihre Anlagen handelt, und daß die Geschlechts- bestimmung in der Förderung der einen und Unterdrückung der anderen Geschlechtsanlage be- steht. Wie verhalten sich in dieser Beziehung nun die Keimzellen? Entweder übertragen sie nur die Eigenschaften des einen Geschlechts oder sie besitzen , ebenso wie das Individuum, die F"ähig- keit, männliche und weibliche Merkmale zu ent- falten. Mit der Lösung dieser l'Vage nach der „ge- schlechtlichen Tendenz der Keimzellen" beschäf- tigen sich nun die experimentellen Versuche, die man in drei Kategorien einteilen kann : 1. Untersuchungen über natürliche und künst- liche Parthenogenese, 2. Zuchtversuche mit annähernd eingeschlech- tigen Individuen, 3. Bastardierungsversuche. Bei der Parthenogenese entwickelt sich eine Keimzelle ohne Zusammentritt mit einer anderen zum fertigen Individuum. Man müßte da- her durch das Geschlecht derselben sicheren Auf- schluß über die Tendenz dieser Keimzelle erlangen können. Da aber bei den sich parthenogenetisch fortpflanzenden Tieren die Ergebnisse von Fall zu Fall verschieden sind, da bald Weibchen, bald Männchen, bald beide gleichzeitig oder nacheinan- der entstehen, können wir aus dieser natürlichen Parthenogenese keine allgemein gültigen Schlüsse ziehen. Anders ist es bei der künstlichen Parthenogenese, wo befruchtungsbedürftige Eier anstatt durch Spermatozoen durch mechanische oder chemische Einflüsse zur Entwicklung gebracht werden. Diese Versuche sind aber bisher an tech- nischen Schwierigkeiten fast stets gescheitert, so daß es leider nicht möglich ist, jetzt schon Resul- tate angeben zu können. Auch die Versuche mit annähernd eingeschlech- tigen Individuen haben bis jetzt keine eindeutigen Ergebnisse gezeitigt. Correns, Strasburger und Bitter trenn- ten bei dem Bingelkraut, Mercurialis annua, die fast rein getrenntgeschlechtigen Pflanzen voneinan- der und zogen die durch Selbstbefruchtung der „vorwiegend männlichen" und „vorwiegend weib- lichen" Individuen entstandene Nachkommenschaft auf Sie fanden, daß beiderlei Pflanzen ihresgleichen hervorbringen, während sonst das Sexualverhältnis annähernd i:i ist. Die von Correns mit der Ackerdistel angestellten analogen Versuche er- gaben ein etwas anderes Resultat, indem zwar die weiblichen Pflanzen nur Weibchen brachten, die männlichen jedoch außer den männlichen auch weibliche. 182 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. F. XIII. Nr. 12 Die an dritter Stelle bezeichneten und weitaus wichtigsten Bastardierungsexperimente wurden zu- erst von Correns mit den beiden Zaunrübenarten Bryonia dioica und Bryonia alba angestellt. Von Bryonia dioica gibt es männliche und weibliche Pflanzen, von alba dagegen nur einhäusige Exemplare. Es handelt sich um vier Versuchsreihen; 1. 9 dioica X c? dioica. Resultat: SO^/j, weibliche und 50 "/y männliche Pflanzen. 2. $ dioica )< cj alba. Resultat: 100% weibliche Bastarde. 3. $ alba X c? alba. Resultat: 100%, zwittrige Pflanzen. 4. $ alba X 3 dioica. Resultat: 50 "/g männliche und 50 "/g weibl. Bastarde. Versuch i und 3 liefern das im voraus zu er- wartende Resultat. Versuch 2 und 4 sagen aus: „Bestäubt man die Weibchen der getrenntge- schlechtigen Pflanzen mit dem Pollen der gemischt- geschlechtigen, so erhält man lauter Weibchen, bestäubt man dagegen die gemischtgeschlechtige Pflanze mit dem Pollen der getrenntgeschlechtigen, so erhält man zur Hälfte Männchen, zur Hälfte Weibchen. Wie man auch die Versuchsergebnisse deuten will, eines ist sicher: Die Keimzellen der Bryonia dioica- Weibchen stimmen unter sich überein, es gibt ihrer nur einerlei, während es bei den Männ- chen zweierlei Keimzellen geben muß. Die Weib- chen sind homogametisch, die Männchen hetero- gametisch." ') ^17 ^17 ^i7 ^17 Fig. 3. Schema für den Befruchtungsvorgang zwischen einem homogametischen (weibl.) und einem heterogametischen (männl.) Eher. Wir haben somit auf ganz andere Weise das- selbe Resultat erhalten, wie wir es im vorigen Abschnitt alsErgebnis deranatomischhistologischen ') C. Correns, Vererbung und Bestimmung des Ge- schlechts. Verh. d. Ges. deutscher Naturf. u. Ärzte. 84. Vers. 1912. p. 173. Forschungen kennen gelernt haben. Wir wissen, daß die mit Hilfe des Bastardierungsversuches festgestellte Hetero- resp. Homogametie mit der anatomischen Entdeckung derX- oder,, Geschlechts"- Chromosomen in guten Einklang gebracht werden kann. Den ersten Versuch der Bryonia - Kreuzung kann man durch das in Fig. 3 angegebene Schema darstellen : In der oberen Reihe der Figur sei eine weib- liche homogametische und eine männliche hetero- gametische Keimzelle schematisch dargestellt. Die zweite Reihe zeige die infolge der Reduktions- teilung der Keimzellen entstandenen 4 Gameten. Dann sind nach der Wahrscheinlichkeits-Rechnung für die Befruchtuug 4 Kombinationen möglich, deren Ergebnisse die letzte Reihe veranschaulichen soll. Dieses Schema erinnert ohne weiteres an die Erscheinung, die ein den Mendel'schen Ver- erbungsgesetzen folgender Bastard bei Kreuzung mit einem seiner Eltern ') zeigt. Es ist deshalb berechtigt, mit Correns von einer „Vererbung des Geschlechts" zu sprechen und die Vererbungs- gesetze auf das Sexualproblem zu übertragen. Aus obigem Schema ersieht man nun auch, daß das Geschlechtsverhältnis eigentlich stets i : i sein müßte. Daß dies aber in der Natur fast immer nur angenähert beobachtet wird, ist wohl auf sekun- däre Einflüsse zurückzuführen. Durch Bastardierungsversuche, bei denen es sich um die sog. „gcschlechtsbegrenzte Vererbung" handelt, d. h. um die Vererbung von Merkmalen, die stets mit einem bestimmten Geschlecht vererbt werden, hat man z. B. für den Stachelbeerspanner, Abraxas, nachgewiesen, daß die Weibchen dieses Schmetterlings heterogametisch, die Männchen da- gegen homogametisch sein müssen. Im vorigen Teile ist von einem solchen — auf Grund histolo- gischer Studien beobachteten — Falle bei Seeigel- formen berichtet worden. Gegenüber den Ansichten, die von Castle u. a. vertreten worden sind, daß Männchen und Weibchen in bezug auf das Geschlecht heteroga- metisch seien, scheinen die neuen experimentellen wie histologischen Untersuchungen darauf hinzu- ') Riiclcbastardierung. (Verbindung eines Bastardes mit einem seiner Eltern.) Kreuzt man eine bänderlose und eine gebänderte Gartenschneckc, so erhält man bänderlose Bastarde. D. h.: „bänderlos" dominiert über ,, gebändert". Bildet der Bastard nun Gameten, so erhält auf Grund des Spaltungs- gesetzes die Hälfte der männlichen wie der weiblichen Ga- meten die Anlage für bänderlos, die übrigen die für gebändert. Bei Kreuzung mit dem einen Elter, z. B. mit dem gebänderten, ist folgende Gametenkombination möglich: Elter: Bastard: Gameten : G , G . B , G . Befruchtete Eier: GB , GB , GG , GG. (G: Anlage für gebändert, B für bänderlos.) Da B über G dominiert, ist die eine Hälfte der entstandenen Bastarde bänderlos, die andere gebändert. Setzt man nun für G die Tendenz Weibchen zu erzeugen und für B die Fähigkeit Männchen zu bestimmen, so ergibt sich ohne weiteres die Übereinstimmung mit dem oben ange- gebenen Schema. N. F. XIII. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 183 weisen, daß diese Eigenschaft nur einem Geschlecht zukommt, und daß man deshalb hei jeder Spezies zwischen einem homogametischen und einem hetero- gametischen Geschlecht unterscheiden muß. Nachdem wir nun so einen kurzen Einblick in die Arbeitsmethoden der modernen Forscher über das Sexualproblem getan haben, ergibt sich, daß es auf Grund der bis jetzt feststehenden Ergebnisse auf jeden Fall verfrüht wäre, irgendwelche Theorien über eine willkürliche Bestimmung des Geschlechts anzuknüpfen, so sehr ja auch der Stoff zu solchen Gedankengängen reizen mag. Vorläufig müssen wir uns damit begnügen, daß wir in den Mecha- nismus des ganzen Apparates um ein Bedeutendes tiefer eingedrungen sind, aber gleichzeitig lehrt uns diese Erkenntnis auch wieder, wie weit wir trotz allem noch von dem letzten Ziel entfernt sind. Künstliche Seide ans Zellnlose. Von Dr. Günther Bugge. [Nachdruck verboten. 1 Die Chemie hat uns die Herstellung einer Reihe von Kunstprodukten ermöglicht, die in vielen Fällen in bezug auf stofi'liche und sonstige Eigen- schaften mit den Naturerzeugnissen identisch sind. In anderen Fällen handelt es sich um Ersatzpro- dukte, die zwar bezüglich der für die Verwendung in Betracht kommenden Eigenschaften den natür- lichen Vorbildern mehr oder weniger nahe kommen, in chemischer Hinsicht sich aber von ihnen unter- scheiden. Als Typus der ersten Art von Kunst- stoffen sei der Farbstoff des synthetischen Indigos genannt, der sich in keiner Weise von dem des natürlichen Indigos unterscheidet. Zur zweiten Klasse von Kunststoffen gehört die künstliche Seide, die zwar der natürlichen Seide in ihren physikalischen Eigenschaften sehr nahe steht, ihrer chemischen Zusammensetzung nach aber eine ganz andere Sub- stanz darstellt. Der Kernfaden der Naturseide, wie sie die Raupe des Seidenspinners erzeugt, besteht aus Fibroin, einem zu den Eiweißstoffen gehörenden Mate- rial. Man könnte daher zunächst daran denken, künstliche Seide aus Eiweißstoffen herzustellen. Aber da unsere Kenntnisse von dieser Körperklasse noch sehr in den Anfängen stecken, liegt eine synthetische Gewinnung der Seidensubstanz noch in weiter Ferne. Es hat nicht an Versuchen ge- fehlt, aus eiweißähnlichen Produkten, wie Ge- latine oder Casein, Kunstseide herzustellen; aber diesen Versuchen ist ein praktischer Erfolg nicht beschieden gewesen. Alle heute technisch ange- wandten Verfahren gehen von der Zellulose aus, also einem chemisch von den Eiweißstoffen grundverschiedenen Material. Um künstliche Seide aus Zellulose herzustellen, ist es nötig, diese zunächst in eine Verbindung überzuführen, die in irgendeinem Lösungsmittel löslich ist. Als ältestes Verfahren ist hier das des Grafen Hilaire de Chardonnet anzuführen, das die Nitrozellulose als Ausgangsstoff benutzt. Zur näheren Orientierung über das Sexualproblcm seien folgende Werke besonders empfohlen: Baur, E., Einführung in die experimentelle Vererbungs- lehre. Berlin, Bornträger, 191 1. Correns, C, Die Bestimmung und Vererbung des Ge- schlechts nach Versuchen an höheren Pllanzcn. Rassenbiol. 4, 1907. Gold Schmidt, R., Einführung in die Vererbungswissen- schaft. Leipzig, Engelmann, 1911. Correns und Goldschmidt, Vererbung und Bestim- mung des Geschlechts. Berlin, 1913. Gutherz, S., Über den gegenwärtigen Stand der Hetero- chrosomenforschung. Sitz.-Ber. d. Ges. naturf. Freunde Berlin. 1911. Haecker, V., Allgemeine Vererbungslehre. Braun- schweig, 19 II. Hertwig, R. , Über den derzeitigen Stand des Sexual- problems nebst eigenen Untersuchungen. Biolog. Zentralblatt 1912. Plate, L., Vererbungslehre. Leipzig, Engelmann, 1913. Wilson, E. B. , The Sex Chromosoms. Arch. f. mikr. Anat. 77, 191 1, H. Nitrozellulose wird bekanntlich erhalten, wenn man Zellulose (meist wird gebleichte Baumwolle — ,,Linters" — gewählt) mit einem Gemisch von Salpetersäure und Schwefelsäure behandelt. Die Überführung von Zellulose in Nitrozellulose (die ,, Nitrierung" der Zellulose) ist chemisch als Ver- esterung der Hydroxyle des Zellulosemoleküls auf- zufassen, bei der je nach der Zusammensetzung des Nitriergemisches eine verschieden große Anzahl von Nitrogruppen in das Molekül der Zellulose eintreten kann. Die höchst nitrierten Zellulosen (ca. 13,5% Stickstoff) nennt man Schießbaumwolle oder Fyroxylin ; sie finden hauptsächlich als Ex- plosivstoffe Verwendung. Für die künstliche Seide kommen die weniger hoch nitrierten Zellulosen (11 — 12,5% Stickstoff in Betracht, die man als Kollodiumwolle bezeichnet. Die wichtigste Eigen- schaft der Kollodiumwolle ist ihre Löslichkeit in einem Gemisch von Alkohol und Äther, mit dem sie mehr oder weniger zähflüssige Lösungen bildet. Meist löst man das bei 40" getrocknete Produkt in einem Gemisch von 3 Teilen Alkohol und 2 Teilen Äther. Die so erhaltene Lösung wird nun versponnen. Nach dem ursprünglichen Ch ardon n et 'sehen Verfahren erfolgte das Verspinnen in der Weise, daß die Spinnflüssigkeit nach vorhergegangenem Filtrieren unter einem Druck von 8 — 10 Atmo- sphären durch feine Glaskapillaren („Düsen") in Wasser ausgepreßt wurde. Das Wasser bringt den Fiüssigkeitsstrahl in Form eines Fadens zum ober- flächlichen Gerinnen, indem es dem Kollodium den Alkohol und Äther entzieht. Dieses „Naßspinn- verfahren" ist jetzt meist aufgegeben worden zu- gunsten des „Trockenspinnverfahrens", bei dem man das sehr konzentrierte Kollodium durch die Düsen direkt in die Luft austreten läßt. Alkohol und Äther verdunsten, und die Nitrozellulose bleibt in Fadenform zurück. Der an der Luft erstarrte Faden wird sofort auf eine Spule gelegt, die ihn mit kon- stanter Geschwindigkeit von der Düse abzieht und aufwickelt. Wie bei der natürlichen Seide der Faden aus i84 Naturwissenschaftliche Wociienschrift. N. F. XIII. Nr. 12 einer Anzahl von dünnen Einzelfäden besteht, so läßt man auch bei der Kunstseide mehrere Fädchen sich zu einem einzigen Faden vereinigen. Dies erreicht man, indem man das Kollodium durch sogenannte „Brausendüsen" preßt, kleine Metall- scheiben (meist aus Platin), die mit einer Anzahl von feinen Durchbohrungen versehen sind. Der getrocknete Faden hat eine sehr unange- nehme Eigenschaft: er ist sehr explosiv. Wegen dieser Feuergefährlichkeit war eine Verwendung der Kunstseide aus Nitrozellulose in der Textil- industrie erst möglich, als es gelang, die Fäden zu „denitrieren", d. h. die bei der Nitrierung in das Molekül eingeführten Salpctersäurereste nach- träglich wieder zu beseitigen. Dies geschieht am besten, indem man die Seidenstränge in ein Bad mit Ammonium- oder Natriumsulfhydratlösung bringt. Bei der chemischen Umsetzung, die sich hierbei zwischen der Nitrozellulose und den Sulfhy- draten abspielt, wird der Stickstoff der ersteren (bis auf einen unwesentlichen Rest) entfernt. Der nun nicht mehr feuergefährliche Faden wird vorsichtig gebleicht, nochmals gründlich mit Wasser ausge- spült und dann in warmer Luft getrocknet. Das Chardonn e t 'sehe Verfahren hat im Laufe der Zeit verschiedene L'mänderungen und Verbesserungen erfahren. In Deutschland war es vor allem Lehner, der sich um seine Weiter- entwicklung Verdienste erwarb. Er ersetzte das schwerflüssige Spinnkollodium Chardonnets durch eine dünnflüssige Spinnlösung, die ein F"il- trieren und Verspinnen ohne großen Druck ermög- lichte. Da Alkohol und Äther (zumal in Deutschland) relativ teure Lösungsmittel sind, ist das Problem der Wiedergewinnung dieser Stoffe von größter Bedeutung für das Nitrozelluloseverfahren; zahl- reiche Verfahren sind zu diesem Zweck vorge- schlagen worden. Meist wird die mit Alkohol- und Ätherdämpfen gesättigte Luft durch Absorp- tionsflüssigkeiten (z. B. Schwefelsäure oder flüssige Fette) geleitet, aus denen dann durch Destillation die Lösungsmittel wiedererhalten werden können. Ein Konkurrent ist der Chardonnetseide in der Kupferoxydammoniakseide erstanden, die auch unter dem Namen Glanzstoff oder P a u 1 y - Seide bekannt ist. Zu ihrer Herstellung löst man in geeigneter Weise vorbehandelte Baumwolle in Kupferoxydammoniak („Schweizers Reagens") und spinnt dann die Lösungen in saure oder — besser — alkalische Flüssigkeiten hinein, wobei sich der Zellulosefaden ausscheidet. Das Kupfer kann aus den „angereicherten" Lösungen wiedergewonnen werden. Zur Darstellung der Kupferoxydammoniak- lösung kann man im Großbetrieb vom metallischen Kupfer ausgehen, das in Form von Drehspänen usw. mit konzentriertem Ammoniak übergössen und bei niederer Temperatur in intensive Berüh- rung mit Luft gebracht wird. Hierbei sollen ge- wisse Zusätze, wie Milchsäure usw. das Lösungs- vermögen des Ammoniaks bedeutend fördern. Die Bereitung der Kupferlösung und das Auflösen der Zellulose kann auch in einer Operation ausgeführt werden, indem man die Zellulose mit Ammoniak- wasser tränkt und dann mit Kupferhydroxyd paste mischt. Ein drittes Verfahren — zurzeit das aussichts- reichste, da es am billigsten ist — wurde von den englischen Zelluloseforschern Groß und Bevan entdeckt. Es gründet sich auf die interessante Beobachtung, daß Zellulose bei der Behandlung mit Natronlauge und Schwefelkohlenstoff eine Ver- bindung CßHoO^CS.jNa (Natriumzellulosexantho- genat) liefert, die mit Wasser eine schleimige, dick- flüssige Substanz (,,Viskose") bildet. Als Aus- gangsmaterial braucht man nicht wie bei den anderen Verfahren Baumwolle zu benutzen, sondern kann den aus Holz hergestellten Zellstoff verwenden. Die filtrierte und „gereifte" Viskose kann nach verschiedenen Verfahren versponnen werden. Man benutzt z. B. als Fällflüssigkeit eine Lösung von Ammonchlorid oder -sulfat, der man Eisenvitriol zusetzt. Der letztere Zusatz beseitigt die bei der Regenerierung der Zellulose aus dem Xanthogenat auftretende Klebrigkeit der Fädchen, indem der größte Teil des in Sulfidform vorhandenen Schwefels auf dem Faden als Schwefeleisen gefällt wird. Nach dem Erstarren des Fadens läßt sich der Sulfidniederschlag wieder durch verdünnte Säuren entfernen. Oder man verspinnt die Viskose in einem Bad von Schwefelsäure, die ein Sulfat gelöst enthält, ein Verfahren, das wegen seiner Billigkeit vorgezogen wird. Ghardonnetseide, Glanzstoff und Viskoseseide, die in trockenem Zustande die Festigkeit der natürlichen Seide zwar nicht erreichen, ihr aber doch nahe kommen, haben die Eigenschaft, in feuchtem Zustande eine bedeutend verringerte Festigkeit zu zeigen, ein Nachteil, der das Waschen der Gewebe aus Kunstseide erschwert bzw. un- möglich macht. Man hat zwar versucht, durch Behandlung des Fadens mit Formaldehyd und einer Säure (,,Sthenosieren") die Wasserfestigkeit zu erhöhen; es hat sich aber gezeigt, daß diese Verbesserung mit einer nicht unbeträchtlichen Verschlechterung anderer wichtiger textiler Eigen- schaften (Elastizität, Färbbarkeit usw.) verknüpft ist. Eine größere Wasserfestigkeit kommt der Azetatseide zu, deren Herstellung der jüngste Erfolg der nicht rastenden Kunstseideindustrie ist. Das Material der Azetatseide ist die Azetyl- zellulose, ein Zelluloseester der Essigsäure. Ihre technische Darstellung erfolgt in der Weise, daß man Zellulose mit Essigsäureanhydrid in Gegenwart gewisser Katalysatoren, wie Schwefel- säure, Chlorzink usw. verestert. Die Azetylzellu- lose, die nicht nur für die Seidenfabrikation, son- dern auch zur Herstellung schwer verbrennbarer Kinematographenfilms und wetterbeständiger Lacke verwendet wird, kann auf künstliche Seide ent- weder so verarbeitet werden, daß man die bei der Azetylierung sich bildende zähflüssige Masse direkt in Wasser oder andere Fällmittel verspinnt, oder in der Weise, daß man die Azetylzellulose zunächst N. F. XIII. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 185 durch Ausfällen mit Wasser in fester Form isoliert und dann die Lösung dieses Produkts in Chloro- form oder anderen organischen Lösungsmitteln verspinnt. Die Verwendung der Kunstseide hat in den letzten Jahren in erstaunlicher Weise zugenommen; es werden heute jährlich mehr als 5 Millionen Kilogramm fabriziert, eine Menge, die ^j^ — '/s der Jahresproduktion an natürlicher Seide ausmacht. Trotzdem hat die künstliche Seide, soweit die Herstellung von Kleiderstoffen in Frage kommt, der natürlichen wenig Konkurrenz gemacht. Da- gegen hat sie sich wegen ihres schönen Glanzes und ihres festen „Griffes" verschiedene spezielle Anwendungsgebiete (Möbelstoffe, Kravatten, Be- satzstoffe usw.) erobert. Eine wichtige Rolle spielt heute das aus dem Material der Kunstseide hergestellte künstliche Roßhaar, das unter verschiedenen Namen (Sirius, Meteor, Viszellin usw.) in den Handel kommt. Die Verfahren zur Er- zeugung von künstlichem Roßhaar unterscheiden sich von denen der Kunstseideherstellung nur da- durch, daß man die Zelluloselösungen durch Düsen von größerem Durchmesser preßt oder mehrere Fäden zu einem stärkeren verzwirnt. Es sei noch erwähnt, daß es vor kurzem ge- lungen ist, auch kü nstliche Gaze und künst- lichen Tüll herzustellen. Man verfährt hierbei so, daß man die Kunstseidemasse (Nitro- oder Kupferoxydammoniakzelluloselösung) nicht ver- spinnt, sondern auf einen rotierenden Metallzylinder gießt, auf dem das Tüllmuster eingraviert ist. Die überschüssige Masse wird durch eine beson- dere Vorrichtung abgestrichen , so daß nur das Linienmuster des Tüllgewebes ausgefüllt ist. Die Koagulierung des Gewebes erfolgt entweder direkt auf der Walze, die sich durch das Gerinnungsbad bewegt, oder in der Weise, daß der noch nicht feste Tüll auf ein Band, an dem er haftet, abge- preßt und dann in dem Bad koaguliert wird. Auf den verschiedensten Wegen ist es also geglückt, aus der Zellulose ein Ersatzprodukt für unseren edelsten Gewebestoff herzustellen. Es ist nicht ohne Interesse, daß der Gedanke, die Tätig- keit der Seidenraupe nachzuahmen, schon vor fast 200 Jahren zum erstenmale auftaucht. In einem 1734 erschienenen Buch des französischen Physikers Reaumur über die Geschichte der Insekten lesen wir, wie den Naturforscher der Anblick einer sich einspinnenden Seidenraupe zu der Überlegung an- regt: Wäre es nicht möglich — da die Seide doch eine Art von eingetrocknetem Gummi darstellt — , aus den uns zur Verfügung stehenden „Gummi- oder Harzstoffen" künstliche Fäden zu ziehen? Die Idee Reaumurs ist jetzt verwirklicht worden, und die Lösung dieser Aufgabe reiht sich würdig anderen Erfolgen an, die wir dem Zusammenarbeiten von Wissenschaft und Technik verdanken. Einzelberichte. Botanik. Der Eichenmehltau auf amerikanischen Eichen. Vor einigen Jahren trat plötzlich in Europa auf Eichen ein die Blätter und Sprosse mit einem weißen Mehltau überziehender Pilz auf, der, insbesondere in Frankreich, große Schädigun- gen hervorrief. Es wurde zuerst als Oidium quer- cinum bezeichnet, und man nahm an, daß er aus Amerika stamme. Diese Ansicht wurde wieder aufgegeben, als sich herausstellte, daß der Pilz die amerikanischen, in Europa angepflanzten Eichen nur wenig befiel. In Deutschland konnte P. M a g n u s oft amerikanische Arten beobachten, die inmitten stark vom Mehltau befallener Ouercus robur stan- den, aber völlig gesund waren. Neuerdings nun hat Magnus in der Baumschule von Bad Nau- heim das Oidium nicht nur auf Quercus robur, sondern auch auf den jungen, zweijährigen Pflanzen der amerikanischen Ouercus rubra allgemein ver- breitet gefunden, während alle älteren Bäume dieser Art vom Mehltau völlig frei waren. Nach der Angabe eines Gärtners ist das Auftreten des Mehltaus auf den amerikanischen Saateichen erst seit 191 2 in der Baumschule beobachtet worden. Magnus nimmt an, daß die jungen Saatpflanzen von Ouercus robur aus infiziert worden seien, und daß sich der Mehltau von den ersten infi- zierten Pflanzen auf die anderen übertragen habe. Er hält es für möglich, daß sich so eine besondere Rasse des Eichenmehltaus ausbilde, die Quercus rubra leichter infiziere. Nach Griffon und Maublanc gehört der Pilz übrigens zu einer besonderen Art der Ascomycettengattung Micro- phaera (M. alphitioides), deren Fruchtgehäuse (Perithecien) von denen der amerikanischen Micro- sphaera-Arten verschieden sind. Woher dieser Mehltau stammt, bleibt noch immer ein Rätsel. (Jahresbericht der Vereinigung für angewandte Botanik 191 3, Jahrg. 11, Teil I, S. 14 — 15). F. Moewes. Astronomie. Zum Studium des Nordlichtes durch photographische Aufnahmen ist im Frühjahr 191 3 eine Expedition der Herren Störmer und Birkeland nachBossekop im nördlichen Norwegen unter 70" Breite gegangen. Da es auch darauf ankam, die Höhe des Nordlichtes zu bestimmen, wurden zwei Stationen in einem Abstand von 27 "2 km bezogen und telephonisch verbunden. An beiden Stationen lagen je 40 Kassetten bereit, so daß in einer Nacht 80 Aufnahmen gemacht werden konnten, deren Gleichzeitigkeit durch telephonische Verständigung erreicht wurde. Es wurden in der Zeit vom 28. Februar bis i. April 636 Aufnahmen gemacht, von denen 447 gelungen sind. Auf diesen Platten sind alle Arten von Nordlichtern zu sehen, und es sind etwa 4000 Messungen angestellt zum Zweck der Höhenbe- i86 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 12 Stimmung. Da auf den Platten immer Sterne erscheinen, so sind die Fixpunkte gegeben, nur die Unbestimmtheit der Formen des Nordlichtes macht die Sache unsicher. Auch mit dem pris- matischen Objektiv sind mehrere Aufnahmen ge- macht, auf denen neben den Sternspektren die Linien des Nordlichtes deutlich erscheinen. Von besonderem Interesse sind kinematographische Aufnahmen , bei denen jedes Bildchen zwei Sekunden belichtet wurde , nur bei sehr hellen Lichtern war eine Belichtung von einer Sekunde ausreichend. Diese Aufnahmen sind von größtem Werte für die Darstellung der oft sehr schnellen Veränderungen innerhalb des Nordlichtes. [Comptes rendues 156, 1871 und Knowledge 10, 263, 1913.] Riem. Anthropologie. Im Jahre 1912 führte Prof- Dr. F. v. L u s c h a n anthropologische Unter- suchungen auf der Insel Kreta aus, deren Ergeb- nisse in der Zeitschrift für Ethnologie, 191 3, S. 307 bis 393, veröffentlicht wurden. Prof. v. Luschan nahm Messungen an alten und rezenten kretischen Schädeln vor, das Hauptgewicht legte er aber auf das Studium der lebenden Bevölkerung. Doch wurden nur Männer untersucht; auf Messungen und Beobachtungen an Frauen, Kindern und Halb- erwachsenen wurde wegen der Kürze der verfüg- baren Zeit und aus anderen Gründen von vorn- herein verzichtet. Die Schädelmessungen ergaben, daß die kretischen Schädel jetzt bedeutend breiter sind, als sie in der vorgriechischen Zeit waren. Der Prozeß des Breitervverdens hat wohl bereits vor der Einwanderung der Achäer und Dorier begonnen, was ein Vergleich der LängenBreiten- indizes der Schädel (Breite, ausgedrückt in Pro- mille der Länge) aus verschiedenen Perioden zeigt. Die mittleren Indizes betragen bei den ältesten bisher bekannten Schädeln von Kreta aus der mittelminoischen Zeit 735, bei Schädeln aus dem Anfang der spätminoischen Zeit 765, bei Schädeln vom Ende der spätminoischen Zeit 791, bei rezen- ten männlichen Schädeln von Hiraklion und Khania 780 und bei rezenten weiblichen Schädeln von denselben Orten 809. Die Zunahme der Menschen mit kürzeren und breiten Köpfen führt v. L u s c h a n auf Kreta, wie anderwärts, auf die Einwanderung einer rundköpfigen Rasse zurück. Die 320 untersuchten lebenden Männer weisen in allen körperlichen Merkmalen eine große Varia- tionsbreiteauf Die Körpergröße schwankt zwischen 154 und 189 cm, im Mittel beträgt sie 169; die größte Kopflänge ist 22 cm, die geringste 17,4 cm, die größte Kopf breite 17,4 cm, die geringste Kopf- breite 13,8 cm, der Längenbreitenindex des Kopfes bewegt sich zwischen 920 und 673 bei einem Mittel von 789, der Gesichtsindex zwischen 977 und 645 (Mittel 865) usw. Die Augen färbe variiert zwischen den Nummern 2 und 16 der Martin'schen Augen- farbentafel. Die dunkelste Augenfarbe, Nr. i, wurde auf Kreta nicht notiert; sie kommt wohl nur bei farbigen Rassen vor. Bei 165 Männern oder 5 1 "lg wurden dunkle Augen festgestellt, die den Nrn. 4 und 5 der Martin'schen Tafel und einem dazwischenliegenden Rehbraum entsprechen. Ganz helle Augen, Nr. 12 — 16, hatten bloß 23 Männer. Sehr selten sind hellblonde Kopf haare, die nur bei einem Mann unter 319 beobachtet wurden; blond kam 12 mal, dunkelblond 8 mal vor. Am häufigsten ist die Haarfarbe braun, dunkelbraun oder braunschwarz; grauschwarzes Haar wurde in 5 Fällen und schwarzes in 72 Fällen notiert. Die Hautfarbe wurde an der Beuge- seite des Vorderarmes bestimmt. Von 318 Männern wiesen 23 ganz helle Hautfarben auf, nämlich Nr. 7 bis 9 der v. Luschan 'sehen Tafel; die Nrn. 10 — 12 kamen 210 mal vor, die schon ziem- lich dunklen Nrn. 13 — 15 80 mal (ungefähr „brünett" im gewöhnlichen Sprachgebrauch) und die Nrn. 16 — 18 fünfmal. Die heutige Bevölkerung Kretas scheint das Produkt einer Kreuzung einer kleinwüchsigen, lang- köpfigen mit einer großwüchsigen, kurzköpfigen Rasse zu sein. Das langköpfige Bevölkerungselement ist in der Regel auch durch breitere Nasen und dunkleres Pigment ausgezeichnet als das breit- köpfige. Bemerkenswert ist überdies, daß große Gestalten, breite Köpfe und helle Farben im Westen der Insel häufiger sind, während im Osten kleine, langköpfige und dunkle Leute vorherrschen. Die letzteren sind wohl die älteren Bewohner Kretas, denn v. Luschan fand, daß sie in der Schädel- bildung mit den Langschädeln aus der minoischen Zeit oder der Bronzezeit von Kreta übereinstimmen. Jene alte Bevölkerung ist sehr wahrscheinlich auch durch geringe Körpergröße ausgezeichnet gewesen. Von woher sie nach Kreta kam, ist schwer zu entscheiden; gewiß nicht aus Vorderasien, denn dort war die älieste Bevölkerung, wie v. Luschan schon bei früherer Gelegenheit feststellte, extrem kurz- und hochköpfig, sowie groß- und meist schmal- nasig. Uralte Kultur beziehungen bestehen zwischen Kreta und Ägypten, doch darf man daraus nicht auf einen somatischen Zusammenhang schließen. Der Tj'pus der Ostkreter erinnert stark an den der Sarden und Sizilier, und es kann als sichere Tat- sache gelten, daß diese den alten Kretern soma- tisch sehr nahe standen; beide Gruppen gehören zur ,, mediterranen Rasse". Woher sie kamen, wird wohl die Zukunft lehren. Unentschieden ist auch noch die Herkunft der großen breitköpfigen Be- völkerung, die man hauptsächlich in Westkreta trifft. Wohl sind Historiker und Philologen gleichmäßig der Meinung, daß man die verhältnismäßig reinsten Nachkommen der alten Dorier in der Sphakia, Westkrefa, erwarten dürfe, aber vom Standpunkt der physischen Anthropologie ist das unerwiesen. Nach landläufiger Ansicht sind die Dorier, wie vor ihnen die Achäer, aus einer nördlichen oder gar ,, nordischen" Heimat nach Griechenland und Kleinasien gewandert. Aber es ist mit der Mög- lichkeit zu rechnen, daß die große dorische Wan- derung „wenigstens zum Teil nur eine Rückkehr N. F. XIII. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 187 vorderasiatischer Elemente nach Vorderasien be- deutet. Denn wie immer die Dorier bei ihrem ersten Auftreten in Griechenland ausgesehen haben mögen, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß sie bei ihrem Eintreffen auf Kreta und auf dem kleinasiatischen Festland schon reichlich mit den Nachkommen der vorgriechischen Bevölkerung von Griechenland durchsetzt waren". Die Venetianer und selbst die Türken, die in der nachgriechischen Zeit auf Kreta herrschten, kamen zuversichtlich in so kleiner Zahl, daß sie keinen merklichen Einfluß auf die somatischen Eigenschaften der Kreter aus- übten. H. Fehlinger. Physiologie. Ein Mensch ohne Großhirn. Von L. Edinger und B. Fischer (Pflüger's Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. Bd. 152, 191 3). Wiederholt, zuerst von Goltz, wurden die Großhirnhemisphären beim Hund experimentell entfernt und die Tiere blieben längere Zeit am Leben, so daß die durch den Ausfall des Großhirns bedingten Störungen genau festgestellt werden konnten. Auch ohne Großhirn geborene Menschen sind schon mehrere Tage am Leben geblieben. Die von ihnen ausgeführten Lebens- tätigkeiten, wie Bewegung der Glieder, Saugen, Schreien, Lidschluß, auch gewisse mimische Be- wegungen, haben alle ihre Zentren im verlängerten Mark und im Rückenmark. Sie konnten dasselbe leisten wie der normale Neugeborene. Bei diesem ist ja auch nur das Urhirn (Palaeencephalon) und noch kein Assoziationszentrum im Großhirn (Neen- cephalon) entwickelt. Edinger beobachtete nun einen bisher noch nie dagewesenen Fall, daß ein ohne Großhirn geborener Mensch längere Zeit (3'/4 Jahre) am Leben blieb. Er untersuchte das Gehirn anatomisch und bespricht an der Hand der von der Mutter gegebenen Schilderung die Lebensäußerungen dieser Mißgeburt. ') Das mikroskopisch genau untersuchte Gehirn zeigte eine auffallende Ähnlichkeit mit dem des „Goltz 'sehen Hundes". Während aber bei jenem die Hemisphären total fehlten, waren sie bei dem Kind durch eine ganz dünne vielgefaltete Membran vertreten. Es sah so aus, als ob sie einmal vor- handen gewesen seien und dann durch einen krankhaften Prozeß zugrunde gegangen wären, so daß von ihnen nur noch jene oben erwähnte Blase übrig blieb. Das Kind starb schließlich an Entkräftung und einer Lungentuberkulose. Bei der Sektion der sehr abgemagerten Leiche ent- leerte sich nach Abnahme des Schädeldaches, dessen Fontanellen verwachsen waren, eine große Menge einer klaren, wässerigen Flüssigkeit. Sie hatte sich anscheinend zwischen der Dura und Pia mater befunden. Im Leben hatte das Kind folgende Erschei- nungen gezeigt. Außer beim Saugen, zu dem es erst geweckt werden mußte, lag es beständig im ') Es war das Erstgeborene einer 25jährigen Frau, deren Schwester ein blödsinniges Kind hatte. Schlaf Im i. Jahre hörte man es nie weinen, manchmal gab es nur leise Töne von sich. Durch kein Zeichen verriet es, daß es Hunger oder Durst hätte. Wollte man es nicht verhungern lassen, so mußte man es immer wecken und ihm Milch geben. An nichts erkannte die Mutter, wenn es genug hatte, und so fütterte sie meistens so viel, als das Kind nehmen konnte; es erbrach sich dann oft tagelang und nahm in den darauf folgenden Wochen fast gar nichts zu sich. Arme und Beine lagen starr im Krampf gestreckt. Nie- mals suchte es mit der Hand nach der Milch- flasche zu greifen. Es lag vollständig bewegungs- los im Bett. Den Kot und den Urin ließ es unter sich gehen und blieb, ohne sich zu rühren, darin liegen. Die Augen reagierten auf starke Belichtung durch krampfhaftes Schließen; sie waren, wenn geöffnet, stets nach oben gerichtet, aber fast immer geschlossen. Durch Zusammenschrecken bgim Hinfallen eines Gegenstandes verriet es eine Ge- hörempfindung. Das Schmerzgefühl schien ganz zu fehlen. Wurde es in die Fingerbeeren gekniffen, verzog es keine Miene. Daß es aber eine Tast- empfindung hatte, erhellt daraus, daß es sich be- ruhigte, wenn der Kopf in die Kissen gedrückt und gerieben wurde, während es sonst vom 2. Jahre an bis zum Lebensende Tag und Nacht laut schrie. Zähne erschienen schon im 4. Monat und alle hatten eine gesägte Kante. In diesem Zustande lebte das Kind 3^/4 Jahre, ohne daß sich etwas Wesentliches in seinem Zu- stande änderte, außer daß es vom 2. Jahre an viel schrie, vielleicht im Zusammenhang mit der Entwicklung des verlängerten Marks. Denn um diese Zeit beginnt ja auch sonst die Sprache sich zu entwickeln. Die genaue mikroskopische Untersuchung ergab das völlige Fehlen des Großhirns, von dessen Hemisphären nichts übrig geblieben war als einige dünnwandige Cysten; es gab keine einzige mark- haltige Nervenfaser, welche aus diesem hinunter zu dem Urhirn führte. Alle Teile des letzteren dagegen waren normal und nur etwas kleiner als die eines ca. 2 jährigen Kindes. Auch die Faserung des Urhirns vom Corpus striatum nach hinten zum Rückenmark war ganz normal. Da- gegen fehlten sämtliche aus ihm in das Großhirn einstrahlenden Faserzüge. Es liegt zum erstenmal ein menschliches Wesen vor, das ganz auf das Urhirn angewiesen war und dem ein Großhirn ebenso fehlte, wie etwa einem Fisch. Besonders bemerkenswert ist, daß dieser Mensch ohne Großhirn viel weniger leistete, als ein Tier unter gleichen Umständen. So lernte der Hund Rothmanns, der gleichfalls über 3 Jahre ohne Großhirn lebte, bald wieder laufen, sogar die Hürde überklettern. Das Kind dagegen lag stets bewegungs- los, versuchte nie sich aufzurichten oder auch nur die Hände zum Greifen zu benutzen. Der Hund mußte nur anfangs gefüttert werden und lernte bald die Schüssel leer zu fressen, wenn sie an seine Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 12 Schnauze gebracht wurde. Das Kind dagegen mußte stets mit Einlöffeln gefüttert werden. Bei dem Hund wechselten Schlaf und Wachen, während das Kind beständig schlief. Auch war es unmög- lich, es irgend etwas zu lehren, während dies beim Hund bis zu einem gewissen Grad gelang. Aus allem ergibt sich, daß die Säuger zwar nicht, wie die Fische, Amphibien und Reptilien, mit dem Urhirn allein auskommen können, daß aber der Mensch das Großhirn überhaupt nicht ent- behren kann. Er ist absolut auf die ungestörte Funktion desselben angewiesen. E. schließt: „Unser Kind ohne Großhirn war weniger leistungs- fähig als ein Fisch oder ein Frosch ohne Großhirn." Totales Fehlen des Gehirns und Rückenmarks lag bei dem ausgetragenen Kind eines syphiliti- schen Vaters vor. Darüber berichtet Gustavo M o d e n a (Deutsche Zeitschrift fürNervenheilkunde, 46. Bd., Heft 2, 191 3). Bei der Geburt waren die Herztöne regelmäßig und ebenso sollen die Beine einige Bewegungen gezeigt haben; beides hörte aber nach wenigen Minuten auf. Die anatomische Untersuchung ergab ein völliges Fehlen des Gehirns und der vorderen Wurzeln des Rückenmarks. Einige der Gehirn- nerven (Trigeminus,- Facialis, Acusticus, einige Vagus- und Glossopharyngeuswurzeln) hatten sich entwickelt und endigten frei in der Schädelhöhle. Während von den vorderen Wurzeln des Rücken- marks jede Spur fehlte, waren die hinteren Wurzeln mit den Spinalganglien entwickelt. Prof. Dr. phil. et med. L. Kathariner. Chemie. Ein neues Kohjenoxyd. Seit langem kennt man zwei Verbindungen des Kohlenstoffs mit Sauerstoff: das Kohlendioxyd oder die Kohlen- säure (CO.3) und das Kohlenmonoxyd oder Kohlen- oxyd (CO). Durch die Untersuchungen von D i e 1 s ist 1906 zu diesen beiden Kohlenstoffoxyden ein drittes hinzugekommen, das Kohlensuböxyd (CgOo). Es entsteht aus der Malonsäure durch Wasserentziehung mittels Phosphorpentoxyd nach dem Schema COOH C = O ! II CHj > C +2H.,0, I II COOH C r= O ist also das Anhydrid der Malonsäure. Die von Diels angewandte Methode der Anhydrisierung einer Dikarbonsäure müßte theoretisch, auf andere Polykarbonsäuren von geeigneter Struktur über- tragen, zu den verschiedensten „Kohlenoxyden" führen. Tatsächlich ist es vor kurzem Hans Meyer und Karl St ein e r gelungen, auf diesem Wege ein neues Kohlenoxyd von der Zusammen- setzung Ci.,0., zu isolieren (vgl. Berichte d. Deutsch. Chem. Ges. 46, 813). Meyer und Steiner gingen von der Mellitsäure aus, einer Hexakarbon- säure, die bekanntlich bei der Oxydation von Holzkohle mittels Kaliumpermanganat in alkali- scher Lösung erhalten werden kann. Erhitzt man diese Säure längere Zeit mit viel Benzoylchlorid, so geht sie unter Wasseraustritt in ihr Anhydrid über: COOH CO — ü HOOC HOOC- • COOH C i-yCOOH CO. >-► o CO..C 0 CO ■ CO + 3H,0. COOH CO 0 Das aus der Lösung auskristallisierende Kohlen- oxyd hat also, nach Art seiner Entstehung und nach seiner Zusammensetzung (so»/,, Kohlenstoff, 50% Sauerstoff) die Formel CigO«. Es ist in kaltem Wasser fast unlöslich; beim PIrwärmen mit Wasser geht es wieder in Mellitsäure über. Auf Tempe- raturen oberhalb 320° erhitzt wird es dunkel, bei weiterem Erhitzen versprüht es unter Erglühen, und schließlich verbrennt es mit rußender, dunkel- roter Flamme. Im Vakuum läßt es sich subli- mieren. Bugge. Zoologie. Feminierung von Männchen und Maskulierung von Weibchen. In der Keimdrüse sind bekanntlich zweierlei Arten von Drüsengewebe vereinigt, die gänzlich verschiedene Funktionen haben: die Samenzellen und die intersti- tiellen Zellen, die den innersekretorischen Anteil des Hodens bilden. Vor einigen Jahren gelang es Steinach auf dem Wege der autoplastischen Transplantation diese Elemente gänzlich isoliert, also von generativen Elementen frei, zur Ausbildung zu bringen. Wäh- rend sie sich bei Transplantation der Hoden im infantilen Alter in abnormer Menge entwickel- ten, fehlen die Samenzellen vollständig. Da trotz- dem sämtliche sekundäre Sexualmerkmale wie alle psychischen und funktionellen Veränderungen, die für den Pubertätszustand charakteristisch sind, auf- traten, mußte angenommen werden, daß die Ge- schlechtsreife nicht mit den samenbereitenden Organen in Zusammenhang zu bringen ist, sondern allein von der sekretorischen Funktion der inneren Drüse veranlaßt wird, die Stei- nach nach ihrer Wirkung Pubertätsdrüse nannte. Die Versuche ergaben ferner, daß der Grad der Pubertät nach der Menge dieser Drüsen- substanz wechselt , daß also z. B. bei abnormer Entwicklung übertriebene Männlichkeit in Erschei- nung tritt, während bei teilweiser Entfernung die für sie bezeichnenden Erscheinungen wieder zurück- gehen. ^) Versuche an niederen Tieren erwiesen nicht mit Sicherheit, ob die Wirkung der männlichen und weiblichen Pubertätsdrüse in bezug auf Ausbildung der Geschlechtscharaktere identisch sei, d. h. ob sich nach der Transplantation von Ovarien auf kastrierte Männchen dieselben Erscheinungen zeigten ') Physiol. ZentralblatI, Bd. 24, igio. — Pflüger's .Archiv, 1912. N. F. XIII. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 189 wie bei der autoplastischen Transi)]antation oder bei normalen Männchen. Die an Säugetieren ge- machten Beobachtungen ergaben indessen, daß die Pubertätsdriise eines Geschlechts nur die homo- logen sekundären Charaktere hervorrufen kann, daß also ihre Wirkung spezifisch ist. Autoplastische Eierstockstransplantationen, eben- so solche von Weibchen auf Weibchen werden schon lange mit Erfolg ausgeführt. Die Ovarien- transplantation von weiblichen auf männliche Indivi- duen führte Steinach zum erstenmal mit Resul- tat aus. Sie gelang allerdings nur, wenn vorher die Kastration vorgenommen war. Kontrollversuche mit Beibehaltung der Hoden zeigten bald eine Degeneration der Transplantate. Es wurde bei den Experimenten, die an jugendlichen Ratten und Meerschweinchen vorgenommen worden sind, folgendermaßen verfahren : Man ließ eine einem größeren Wurfe entnommene Vergleichsserie unter denselben Bedingungen zusammen aufwachsen. Sie enthielt nach vollzogener Operation ein normales Männchen, ein normales Weibchen, ein im frühesten Alter kastriertes Männchen und ein oder mehrere Männchen mit nach der Kastration implantierten Ovarien. Bei letzteren ergab sich nun ein Anheilen und Wachsen der Ovarien, in histologischer Be- ziehung eine starke Anhäufung des interstitiellen Gewebes, also der weiblichen Pubertätszellen. Die männlichen sekundären Geschlechtscharaktere blieben dagegen wie bei gewöhnlichen Frühkastra- ten auf infantiler Stufe stehen. Durch Kontroll- wägungen von normalen Männchen und Kastraten desselben Wurfes ließ sich nachweisen, daß die bei den Tieren mit implantierten Ovarien auftreten- den Hemmungen im Wachstum wie die Umwand- lung der männlichen Formen nicht auf die Kastration zurückzuführen sind, also allein durch die innersekretorische Tätig- keit der Pubertätsdrüsen veranlaßt werden. Wenn das implantierte Ovarium nach Ansatz zur Anheilung wieder resorbiert wird oder wenn es überhaupt nicht zum Anwachsen kommt, bilden sich die auftretenden weiblichen Geschlechtseigentümlichkeiten sofort zurück oder sie entwickeln sich gar nicht. Die charakteristisch- sten dieser firscheinungen sind folgende: Das Skelett und die Körperformen der Männchen mit implantierten Ovarien nehmen nach und nach die des Weibchens an. Die Gestalt wird schlanker und kürzer, es bildet sich Fettansatz und das in der Jugend bei beiden Geschlechtern vorhandene glatte weiche Haarkleid, das beim heranwachsen- den männlichen Tiere allmählich in ein grobes Struppiges übergeht, bleibt fein und geschmeidig wie es war. Am auffälligsten ist aber die U m - bildung der beim Männchen rudimentären An- lagen der Brustwarzen und Brustdrüsen zu gut entwickelten weiblichen Organen. Neue Beiträge zu dieser Erscheinung lieferten die jüngsten St ei nach 'sehen Versuche, die gleichfalls an der Wiener biologischen Versuchsanstalt ausgeführt wurden. *) Die bei normalen Weibchen erst zur Zeit der (iravidität eintretende Hyperplasie der Mamma, ein außerordentlich starkes Wachsen und Wuchern der Alveolen und Drüsenlappen, die in der Pubertätszeit noch weit auseinander liegen, tritt merkwürdigerweise bei den feminierten Männchen auch ein, was die derzeit gellende An- nahme, daß die die Hyperplasie der Mamma wie die Milchsekretion hervorrufenden Hormone aus dem P"ötus (der Plazenta) hervorgehen, wohl ins Wanken bringen muß. Diese Feststellung eröffnet eine Reihe interessanter Möglichkeiten. In Pflüger's Archiv, Bd. 39, äußert sich S t e i n a c h folgender- maßen : „Der Gedanke liegt nahe, das Implantations- verfahren bei normalen weiblichen Tieren praktisch zu verwerten und durch Verstärkung des Wachs- tums durch entsprechend größere Ausbreitung der Milchdrüsenanlage eine günstige Disposition für eine gravide Weiterentwicklung, mittelbar für eine reichere Milchproduktion zu schaffen. Diese Methode käme zunächst für junge Milchtiere in Betracht. Da auch heteroplastische Transplan- tation (d. h. in diesem Falle Transplantation von Tieren auf Menschen) der Ovarialsubstanz gelingt, könnte man es schließlich auch wagen, die Dis- position für die Stillfähigkeit beim Menschen zu verbessern." Gemeinsam mit dem Wiener Radiologen Guido Holzknecht hat S t e i n a c h schon mit Erfolg den Versuch unternommen, das Ovarium des normalen jungfräulichen Meerschweinchens durch Röntgenbestrahlung derartig zu beeinflussen, daß die für die Schwangerschaft charakteristischen Erscheinungen — starkes Wachstum des Uterus, Ausbildung der Zitzen, Hyperplasie der Mamma, Sekretion fettreicher normaler Milch — auftreten, eine Tatsache, die vielleicht Aussicht zur Behand- lung des pathologischen Infantilismus auf diesem Wege eröffnet. Auch das Benehmen der feminierten Männchen wird dem der Weibchen ähnlich : Sie nehmen die Jungen, die man zu ihnen setzt, an, säugen sie, wobei sie dieselbe Geduld und Aufmerksamkeit wie eine wirkliche Mutter zeigen. Ebenso sind die anderen psychosexuellen Charaktere weiblich geworden : die feminierten Männchen sind ohne Mut und Rauflust, ohne männlichen Trieb, sie zeigen die typischen weiblichen Reaktionen und Bewegungen (Schwanz- reflex, Abwehrreflex), und werden — das ist wohl die beweiskräftigste Erscheinung für die erfolgte Feminierung — von den normalen Männchen ganz wie Weibchen behandelt, d. h. leidenschaftlich ver- folgt, besprungen, was bei Kastraten absolut nicht der F'all ist. ,,Das zentrale Nervensystem der femi- nierten Männchen ist in weiblicher Richtung ero- tisiert." Natürlich müßte theoretisch die Maskulierung von Weibchen ebensogut möglich sein wie die Feminierung der Männchen. Bei der praktischen Durchführung ergaben sich insofern Schwierig- keiten, als das Hodengewebe bei der Übertragung ') Phys. Zentralblatt, Bd. 27, 19 13. IQO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 12 nicht so widerstandsfähig ist wie das Ovarium. Abgesehen davon ist das Implantat auch weniger dauerhaft. Doch gelang es Steinach nach manchen Fehlschlägen durch wiederholte Implan- tation oder Ausnützung der Blutsverwandtschaft (Verpflanzung des brüderlichen Hodens in die vorher kastrierte Schwester) Weibchen in Tiere mit somatischer und psychi- scher männlicher Sexualität umzu- wandeln. In histologischer Beziehung zeigt die implantierte männliche Drüse vollständige Degene- ration resp. Zerstörung der Samenkanäle (im Ova- rium entwickeln sich auch die generativen Gewebe und bestehen eine Weile in funktionsfähigem Zu- stande fort) und eine mächtige Wucherung der männlichen Pubertätszellen (Leydi g'schen Zellen) im interstitiellen Gewebe. Auch hier bleiben alle weibliche Anlagen unentwickelt, während sich die indifferenten in männlicher Richtung umbilden. Mamma, Mamilla, Uterus bleiben rudimentär, da- gegen werden alle Sexualcharaktere, die vor, mit oder nach der Pubertät auftreten bzw. fertig aus- gebildet werden, ausgesprochen männlich. Am auffälligsten sind das starke, weit über das des kastrierten Weibchens hinausgehende Wachstum des männliche Formen annehmenden Körpers, das lange, struppige Haarkleid, das teilweise, bisweilen auch vollständige Verschwinden der vaginalen (Öffnung. Wie die feminierten Männchen zum Teil feinere Formen zeigen als ihre normalen Schwestern, so übertreffen die maskulierten Weibchen auch die normalen Männchen oft an Robustheit und Größe (besonders des Kopfes). Hand in Hand mit der Umbildung der körperlichen Merkmale geht die der psychischen Eigenschaften. Der Ge- schlechtstrieb wird ausgesprochen männlich, ein brünstiges Weibchen wird augenblicklich von einem nicht brünstigen unterschieden und verfolgt. Setzt man ein normales Männchen zu den mas- kulierten Weibchen, so wird es angegriffen, genau wie von einem wirklichen männlichen Tiere. Auch die übrigen Eigenschaften der männlichen Psyche haben die der weiblichen verdrängt. Die Ergebnisse der St ei nach 'sehen Ver- suche bringen uns der Lösung des schwierigen und vielumstrittenen Problems der sekundären Geschlechtscharaktere um einen bedeutenden Schritt näher. Sie haben gezeigt, daß der Ge- schlechtscharakter nicht fixiert oder vorausbestimmt ist — es wäre ja sonst nicht möglich, ihn durch Austausch der Pubertätsdrüsen beim infantilen Individuum vollständig umzuwan- deln. Die Annahme, daß die Anlage des Embryos weder ein- noch zweigeschlechtig, sondern asexuell oder indifferent ist, gewinnt durch die erwiesenen Tatsachen sehr an Wahrscheinlichkeit. Die von S t e i n a c h angekündigte Veröffentlichung weiterer Versuchsreihen wird noch auf manche dunkle Fragen ein Licht werfen und — wie es ja schon durch die bisherigenVersuche in bedeutendem Grade geschehen ist — den biologischen Wissenschaften, insonderheit der Erblichkeitsforschung eine Anzahl neuer, höchst interessanter Probleme und Unter- suchungsmethoden auftun. R. Aichberger-München. Kleinere Mitteilungen. Geschichtliche Notizen zur allmählichen Vi vollkommnung der Tmte. Jahre Schon ungefähr 3000 V. Christi Geburt war den Chinesen Tinte bzw. Tusche bekannt. Diese erste Tinte, als deren Erfinder Tien-Tschen genannt wird, war eine Art Lack, mit der man auf Seide schrieb. Später verwandte man Ruß zur Tintenherstellung, beson- ders war dies bei den Römern und Griechen Sitte. Als Klebemittel wurde schon damals der Tinte zu 3 Teilen Ruß i Teil Gummi zugesetzt. In dem vom Vesuv verschütteten Herculanum hat Winkelmann Schriftstücke aufgefunden, die mit Rußtinte geschrieben und tadellos leserlich erhalten sind'). Diese Schreibvveise bedeutete sicherlich einen gewaltigen Fortschritt gegenüber dem vor- her üblichen Eingraben der Schriftzeichen in Holz, Stein, Ton oder Metall. Außer der oben erwähnten schwarzen Tinte kannte das Altertum auch schon farbige, vor allem rote Tinten, zu deren Herstellung Zinnober, Ali- zarin und Mennige verwendet wurden. Zu der be- ') Man vgl. Dr. Paul Mar teil: „Einige Beiträge zur Geschichte der Tinte". (Zeitschrift für angewandte Chemie 1913. 27-) sonders von den byzantinischen Kaisern benutzten Purpurtinte diente der Saft der Purpurschnecke. Goldtinte stellte man oft nach folgendem Rezept dar: „Mischung von fein zerriebenem und mit Wein geschlämmten Gold in Verbindung mit Ochsen- galle oder Gummi, auch Eiweiß." Solche Goldtinten haben sich zum Unterschied von den unscheinbar gewordenen Silbertinten gut gehalten. Diese Tinten- arten wurden bis in das 15. Jahrhundert beibe- halten. Da erst kamen die heute noch viel be- nutzten Eisengallusiinten auf, die damals von den hauptsächlichsten Trägern des Schrifttums, den Mönchen, hergestellt wurden. Ein aus dem Jahre 141 2 herdatierendes Rezept für Eisengallustinte lautet: Man übergieße fein ge- pulverte Galläpfel mit Regenwasser oder Bier, mische dazu Vitriol (Eisensulfat) und filtriere die Masse nach einigen Tagen. Nach Cardamus (De rerum varietate, libri XVII. 1557) setzt man der Tinte Schalen der Granatäpfel zu, um einen guten Glanz zu erreichen. Auch Tintenpulver zum Mit- nehmen auf Reisen erwähnt schon dieser Autor. In dem Werke „De secretio libri Septem" bringt der Verfasser Alexius Pedemontanus ein N. F. XIII. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 191 Rezept, um alte, verblichene Tinte wieder lesbar zu machen: Man zerstoße Galläpfel grob und lege das Pulver einen Tag in Wein und destilliere das Wasser ab. Die verblaßte Schrift betupft man mit einem Baumwollläppchen, worauf sie wieder lesbar wird. Von Bedeutung für die Tintenherstellung sind auch die wissenschaftlichen Arbeiten des englischen Naturforschers Robert Boyle's. Er untersuchte die Reaktion der Galläpfel und anderer pflanzlicher Stoffe auf die Lösungen der Vitriole in Gegenwart von Säuren und Salzen. Außer Galläpfeln sind nach ihm Eichenrinde, Blätter der roten Rose, Rinde der Granatäpfel, Blauholz und Sumach zur Tinten- herstellung zu verwenden. Otto Trachenius fand, daß sich nur Eisenvitriol zur Tintenfabrikation verwenden läßt. Kobalttinte wird zum ersten Male 1705 in einem Werke von D. J. Waitz erwähnt. Einen weiteren Fortschritt bedeutete die von Scheele 1785 gemachte Entdeckung der Gall- äpfelsäure und die der Gerbsäure von Deyeux (1793)- I" interessanten Falles, und man erkennt, wie hier die Findigkeit einer Betrügerin selbst der höchstgesteigerten, wissenschaftlichen Sachkenntnis und der vorurteilslosesten Objektivität ein bedenkliches Schnippchen zu schlagen wußte. Dr. V. S c h r e n c k - N o t z i n g 's höchst fleißige N. F. XIII. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 207 und gewissenhafte Arbeit bleibt auch unter den geänderten Verhältnissen ein sehr wertvolles Doku- ment zur wissenschaftlichen Erforschung der spiri- tistischen Lehre. Irren ist menschlich, und einem Manne, der mit so ausgeprägtem Willen zur wissen- schaftlichen Wahrheitsfindung unter außergewöhn- lichsten Umständen irrt, wird man kaum minder Hochachtung zolleri müssen, als wenn er in der Tat der Forschung neue Wege in ein unbetretenes Gebiet gewiesen hätte. Schrenck's „Materiali- sationsphänomene" enthalten eine ernste Mahnung, allen unbewiesenen spiritistischen Behauptungen, allen angeblichen „Beweisen" für die Existenz einer unsichtbaren, intelligenten Hinterwelt mit noch mehr Skepsis und Vorsicht gegenüberzustehen, als es die Fachwissenschaft ohnehin bereits tut. R. Hennig. A. Sieberg, „Einführung in dieErdbeben- und Vulkankunde Süditalien s." 226 S. (Mit 2 farbigen Ansichten, 67 Abbildungen und Karten.) Gustav Fischer, Jena, 1914. — Preis 4Mk. Der als Erdbebenforscher wohlbekannte Ver- fasser wendet sich mit diesem Buche an ,, weiteste Kreise", auch an die große Zahl von Touristen, die Süditalien alljährlich besuchen. In der Tat ist ja auch Süditalien der europäischen Wissenschaft der klassische Boden für das Studium der vulka- nischen Kräfte gewesen und hat uns zugleich die erste regional gefaßte monographische Behandlung eines Schüitergebietes aus der Meisterhand eines E. Sueß geschenkt, wie auch noch in unferner Vergangenheit seine furchtbaren seismischen Kräfte aller Welt kundgelan. Kaum ließe sicli also ander- wärts mit besserem Erfolge die Lehre des Vulka- nismus und der Erdbeben durch ein populäres Werk so sehr als Anschauungsunterricht gestalten. Der Verfasser ist zudem bestrebt, durch zahlreiche selbstangefertigte Zeichnungen nach der Natur, die größtenteils absichtlich schematisch ge- halten sind, einem ungeübten Auge die zu be- achtenden Züge in der Landschaft recht eindring- lich nahe zu bringen und so die erste und vor- nehmste Lehrmeisterin Anschauung nach Möglich- keit zu unterstützen. Die reiche und zweckmäßige Illustrierung des Werkes darf deswegen in diesem Falle noch besonders hervorgehoben werden. Als besonders instruktiv sei die „Tektonische Übersichts- karte des Einbruchsbeckens von Neapel" (nebst Profil) auf S. 60 genannt. Die enge Verknüpfung der beiden voneinander doch recht wesentlich verschiedenen Wissenszweige im Titel birgt eine gewisse Gefahr, daß nämlich die allzutief eingewurzelte Anschauung des größe- ren Publikums von einem alleinigen direkten Zu- sammenhange der Erdbeben mit den vulkanischen Kräften neue Nahrung daraus entnehmen könnte. Freilich ist auf S. 3 und 4 auf das Irrige dieser ursächlichen Verknüpfung nachdrücklich hinge- wiesen, aber eindringlicher vielleicht hätte es ge- wirkt, wenn beide Stoffe inhaltlich voll auseinander gehalten worden wären. Der Weg, den der Verfasser einschlägt, hat dafür den Wert weniger strenger Gelehrsamkeit und damit größerer Natürlichkeit für sich : Das Büchlein gibt sich mehr als Reiseführer und ge- leitet den Leser in geographischer Anordnung durch die in der Natur wahllos verstreuten Haupterschei- nungsgebiete der vulkanischen und seismischen Kräfte Süditaliens. Nach einer allgemeinen Ein- führung geht es von der Römischen Campagna zum Vesuv und dem auch tektonisch so wichtigen und interessanten Golf von Neapel, weiter ins erd- bebenreiche Kalabrien und das oft und schwer heimgesuchte Land von Messina, sodann werden Ätna, die Liparischen Inseln und der Stromboli besucht. Gewiß eine Reise, auf der sich unter so sachkundiger Führung viel Wissenswertes lernen läßt. Ein Literaturverzeichnis bietet dem, der tiefer zu schürfen wünscht, die nötigen Anhalts- punkte, ein Register erinöglicht die Handhabung des Buches auch als Nachschlagewerk. Auch Ein- geweihte werden die anschauliche Zusammenfassung eines reichen Tatsachen- und Datenmaterials daher gelegentlich mit Nutzen gebrauchen können, jeden- falls nie ohne Interesse darin blättern. E. Hennig. Th. Wegner, „Geologie Westfalens und der angrenzenden Gebiete". Westfalen- land, Bd. I. (304 S. m. 197 Abbild, und einer Tafel.) F. Schöningh, Paderborn. — Preis 7 Mk., geb. 8 Mk. Eine wissenschaftlich sehr ernsthafte und er- freulich vielseitige Heimatkunde einzelner deutscher Gaue ist seit einiger Zeit in entschiedenem Auf- schwünge begriffen. Es sei nur an derartige mono- graphische Behandlungen Schleswig-Holsteins, der Rheinlande, Schlesiens erinnert. Die Sammlung ,, Westfalenland", herausgegeben vom Verfasser des hier genannten ersten Bandes scheint sich in würdig- ster Weise solchen Vorgängern anzureihen. An- gekündigt sind folgende weiteren Bände: Süßwasserfauna von Thienemann, Pflanzen- decke von Brockhausen, Geschichte (der in Aussicht genommene Verfasser ist vorzeitig gestorben und noch nicht ersetzt), Baukunst von Ehrenberg, Malerei von Koch, Die Dichter der Roten Erde von Gast eile. Was die vorliegende ,, Geologie Westfalens" be- trifft, so kann sie als eine hervorragende Einführung in den Bau und die geologische Geschichte des engeren Landes nicht nur, sondern ganz Mittel- deutschlands gelten. Ist doch die Reihe der geolo- gischen Formationen auf westfälischem Boden in seltener Vollständigkeit zu studieren und auch der Gebirgsbau übersichtlich und vielgestaltig zugleich. Zudem ist nicht die Projektion des Aufbaues auf die Oberfläche allein, sondern durch emsigen Berg- bau wirklich der ganze Körper recht wohl be- kannt. Dem Verfasser, a. o. Professor der Geologie und Paläontologie an der Landesuniversität Münster, verdankt das dortige Museum ein Querprofil durch Mittel- und Nord Westfalen, im Jahre 1912 aus den 208 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 13 natürlichen Gesteinen in 26 m Länge aufgebaut. Die Tafel gibt dies Profil mit zahlreichen Erläu- terungen und einer Übersichtskarte wieder. Es ist ein wahrer Genuß, sich in dieses Profil zu ver- tiefen, aus dem allein die stratigraphischen und tektonischen Hauptzüge der gesamten geologischen Vergangenheit Westfalens aufs lebhafteste zu dem Beschauer sprechen. Ihm ganz besonders wäre die allerweiteste Verbreitung zu wünschen, auch außerhalb der Grenzen Westfalens! Es gibt kaum ein anschaulicheres Mittel für die mannig- faltigsten Fragen und Probleme der Geologie. Der erste Teil des Werkes „Die geologische Geschichte Westfalens" ist eine historische Ver- folgung der mannigfachen Geschicke des behan- delten Gebietes seit dem Devon. Dabei müssen einige zu verschiedenen Zeiten eingetretene ge- birgsbildende Vorgänge besprochen werden, ohne die der vielfache Wechsel von Land und Meer, sowie die fossilen einander folgenden Faunen und Floren nicht verständlich würden. Der durch sie zustande gekommene heut vorliegende tektonische Bau erfährt jedoch noch eine besondere eingehende Darstellung im zweiten Teile: ,,Der geologische Aufbau des Landes". Denn auch umgekehrt sind diese gebirgsbildenden Vorgänge nicht zu erfassen ohne genaue Berücksichtigung und Keimtnis der stratigraphischen Verhältnisse. Der Bau des vari- stischen und des saxonischen „Gebirges" (in einem allgemeinverständlichen Werke vielleicht besser „Faltung", da es sich z. T. um fossile, nicht mehr vorhandene Gebirge handelt), sowie das zwischen beiden gelegene Westfälische Tafelland bilden den Gegenstand der Schilderungen in diesem zweiten Teil, so daß im großen und ganzen die Beschreibung des bestehenden Zustandes auf die Schilderung der Vergangenheitsschicksale folgt. Es ist selbstverständlich, daß die Wissenschaft den umgekehrten Weg hat gehen müssen. Doch hat der Leser den entschiedenen Vorteil davon, das Sein aus dem Werden heraus verstehen zu lernen. Die Darstellung nimmt dauernd, auch in der gewissenhaften Erläuterung der unvermeidlichen Fremdwörter, Bedacht darauf, auch dem ungeüb- ten Leser versländlich zu bleiben, insbesondere sorgt dafür auch die reiche Auswahl und die sehr genaue Erläuterung der Abbildungen. Anderer- seits geht sie allenthalben in der Herzählung aller Daten und Beweise so sehr in die Tiefe, daß auch der Fachmann sich in zahlreichen Fragen an Hand des Buches sehr wohl orientieren kann, insbeson- dere aber Studierenden die Lektüre warm emp- fohlen werden kann. Wo Entscheidungen noch ausstehen oder verschiedene Anschauungen neben- einander bestehen, wird nicht einseitig Partei ge- nommen, sondern das Problem klar und umfassend genug dargelegt. Die Darstellung des Buntsand- steins und Keupers, sowie der Entstehung der Porta westfalica, die Wiedergabe der jüngeren Anschau- ungen über die einzelnen Phasen der mesozoischen und tertiären Faltungsvorgänge u. a. m. mögen in diesem Zusammenhange hervorgehoben werden. Das 222 Nummern umfassende und reichlich zitierte Verzeichnis der Karten und Spezialarbeiten ist übersichtlich angelegt und zugleich eine aus- gezeichnete Bibliographie der Geologie Westfalens. E. Hennig. Literatur. Handbuch der Entomologie , herausgegeb. von Prof. Dr. Chr. Schröder. 4. Lieferung (Bd. I, Bogen 31 — 33 und Bd. III, Bogen 1—7). Mit 84 Abbild i. Text. Jena '13, G. Fischer. — 5 Mk. Haecker, Prof. Dr. Valentin, Über Gedächtnis, Ver- erbung und Pluripotenz. .August Weismann zum 80. Geburts- tage gewidmet. Mit 14 ,-\bbild. im Te.\t. 97 S. Jena '14, G. Fischei. — 2,50 Mk. Lanessan, J. L. de, Transformisme et Creationisme Contribution a l'histoire du transformisme depuis l'anliquite jusqu'i nos jours. 352 S. Paris '14, Fcli.\ .'\lcan. — 6 fr .^bendroth, Dr. Robert, Das bibliographische System der Naturgeschichte und der Medizin (mit Einschluß der all- gemeinen Naturwissenschaft). Nach den Fachkatalogen der Universitätsbibliothek zu Leipzif; dargestellt, historisch-kritisch eingeleitet und erläutert. 230 S. Borna und Lei|]zig '14, Roh. Noske. — 4,50 Mk, Die Süßwasserflora Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Herausgegeben von Prof. Dr. A. Pascher. Heft i. Flagellatae. I. Allgemeiner Teil von A. Pascher. Pantosto- malinae, Protomasliginae, Distomatinae von E. Lemmermann. Mit 252 Abbild, im Te.\t. Jena '14, G. Fischer. — Brosch. 3,50 INIk. Oppel, Prof. Dr. .Albert. Leitfaden für das embryologi- sche Praktikum und Grundriß der Entwicklungslehre des Men- schen und der Wirbeltiere. Mit 323 Abbild, im Te.^t in 484 Einzeldarstellungen. 313 S. Jena '14, G. Fischer. — Geb. II Mk. Study, E., Die realistische Weltansicht und die Lehre vom Räume. Geometrie, Anschauung und Erfahrung. Mi/ie'n dy^oj/urorjTO^ ttiiicu. Braunschweig '14, Fr. Vieweg ^ Sohn. — Geb. 5,20 Mk. Rosenthal, Prof. Dr. Werner, Tierische Immunität. Mit einer Abbild, im Text. 329 S. (Die Wissenschaft Bd. 53.) Braunschweig '14, Fr. Vieweg & Sohn. — Geb. 7,20 Mk. Zi cgier, Dr. J. H., Die Umwälzungen in den Grund- anschauungen der Naturwissenschaft. Acht kritische Bemer- kungen. 153 S. Bern '14, Fr. Semminger vorm. J. Heu- berger's Verlag. — Brosch. 3 fr. Inhalt: H. v. Büttel- Reepen: Das Problem der Elberfelder Pferde und die Telepathie. Heinrich Völker: Zur Stammesgeschichte des Schildkrötenpanzers. — Einzelberichte: C. W. Kanolt; Die Schmelzpunkte einiger refrak- tärer Oxyde. Langevin: Energieträgheit. Wien: Über die magnetische Beeinflussung der Wasserstoff kanalstrahlen. Hesse: Haben polare Tiere einen sterilen Darm.' — Bücherbesprechungen: Nicolai Hartmann: Philosophi- sche Grundfragen der Biologie. William Kingdon Clifford: Der Sinn der exakten Wissenschaft. Eugenio Rignano: L'evolution du raisonnement. Wohlgemuth, J. ; Grundriß der Fermentmethoden. Cresson, A. : L'cs- pece et son serviteur. Charles S. Minot: Die Methode der Wissenschaft. K. C. Rothe: Vorlesungen über all- gemeine Methodik des Naturgeschichtsunterrichts. C. B. Klunzinger: Die Rundkrabben (Cyclometopa) des Roten Meeres, v. Schrenck-Notzing: Materialisationsphänomene. .A. Siebe rg: Einführung in die Erdbeben- und Vulkan- kunde Süditaliens. T h. Wegner: Geologie Westfalens und der angrenzenden Gebiete. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Mich e in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Fulgc 13. lianH ; der ganzen Reihe 29 H.i Sonntag, den 5. April 1914. Nummer 14. rNachdruck verboten.] Die Ursachen der Eiszeiten. Von Alfred Frey. Im Vordergriinde des Interesses in der Geologie stellt gegenwärtig unzweifelhaft das Problem nach den Ursachen der Eiszeiten. Die deutlichen Spuren, die speziell die jungdiluviale Vereisung in der Morphologie unserer Erde zurückließ, bedingen es, daß nicht nur der Geologe, sondern auch der Geograph mit dieser Erscheinung in Berührung kommt. Durch diesen Kontakt mit einer Wissen- schaft, die sich z. T. im Gegensatz zu der Geologie ganz im Rahmen der Gegenwart bewegt, wurde auch das kausale Problem enger an die Gegenwart angeschlossen. Bei der Betrachtung der verschiedenen Hypo- thesen, die im Laufe der Zeit über diesen Gegen- stand aufgestellt worden sind, können wir prinzi- pielle Änderungen konstatieren. Diese stehen unzweifelhaft im Zusammenhang mit dem jeweiligen Stande der Forschung. Zuerst, als man die Spuren einer Vergletscherung kannte, glaubte man mit einer katastrophalen Erklärung auszukommen. In der Tat ist es ganz begreiflich, daß eine Erscheinung, die einzig dasteht in der Erdgeschichte, auch eine besondere Erklärung benötigt. Mit dem Fortschreiten der geologischen I-'or- schung kamen Ergebnisse zum Vorschein, welche die diluviale Vereisung nicht mehr isoliert in der Erdgeschichte stehen ließen, sondern ihr ähnliche Erscheinungen in anderen Epochen an die Seite stellte. Es erfolgte die Entdeckung gewaltiger Blocklehme (Tillit) und gekritzten Geschiebes in gewaltigen Ablagerungen im Innern von Vorder- indien und von Kaschmir. Ferner ließen sich ähn- liche Gebilde konstatieren in Afrika, hauptsächlich im Süden dieses Kontinents, dann in Südamerika und Australien. ') Unzweifelhaft haben wir es hier mit einer typischen Glazial-Fazies zu tun, die nach ihrem geologischen Vorkommen als jungpaläo- zoisch zu deuten ist. Nach dem gegenwärtigen Stande der F'orschung beschränkt sie sich haupt- sächlich auf die Kontinente der Süd-Hemisphäre. Ferner wurde konstatiert, daß im Diluvium nicht nur eine Verglelscherung stattfand, sondern deren mehrere. Im allgemeinen werden die Interglazial- zeiten zu kurz angesehen. Wir müssen annehmen, daß die Interglazialzeiten bedeutend länger ge- wesen sind als die Postglazialzeit. -) Es könnte hier die Frage aufgeworfen werden, ob alle jungen Glazialzeiten in ein und dieselbe Periode zu rechnen seien. Tatsächlich haben auch Forscher, wie Delafond und Deperet,'') fußend auf palä- ontologischen Funden, die älteste Veigletscherung ins Jungtertiär (Pliocän) gestellt. VVir möchten damit nur andeuten, daß wir unter Umständen nicht berechtigt sind, von einer diluvialen Eiszeit zu sprechen im Gegensatz zu einer andern, sondern daß jede diluviale Eiszeit einer andern gegenüber- gestellt werden kann. Ferner sind nach S e m p e r ■*) zweifelhafte Spuren von Eiszeiten in der Ob. Kreide von England, im Ob. Karbon und Unt. Perm Europas zu konstatieren. Sehen wir von diesen zweifelhaften Spuren ab, so können wir doch konstatieren, daß größere Vereisungen nicht nur auf die jüngste Zeit unserer Erde beschränkt sind, sondern auch in früheren Perioden stattgefunden haben. Ja, James Groll '') glaubt sogar annehmen zu dürfen, daß in jeder Erdperiode Vereisungen vorgekommen seien. Es ist nun klar, daß mit der Erkenntnis dieser Tatsachen die Hypothesen zur Erklärung der Eis- zeiten wesentlich andere geworden sind. Vor allem haben sie den katastrophalen Charakter verloren. Credner") sagt: ,, Nicht als ein katastrophenartig unvermittelt über die Erde hereingebrochenes ein- maliges Ereignis erscheint sie uns mehr, sondern als ein von bestimmten Gesetzen beherrschtes, klimatisches Phänomen, ein System mehrerer perio- disch wiederholter großer Schwankungen des Klimas unseres Planeten." Von diesem Standpunkte aus, indem sie das Glazialphänomen mit anderen klimatischen Er- scheinungen der Vorwelt unserer Erde in Zu- sammenhang brachten , betrachteten Frech') und W. R. Eckardt*) das Eiszeitproblem. Daß die diluvialen Vereisungen immer den Aus- gangspunkt für dieses Problem bilden, verstehen wir, wenn wir bedenken, daß die Spuren dieser jüngsten Vereisung uns doch am besten erhalten sind und uns daher am besten zugänglich, tatsäch- lich auch am besten bearbeitet sind. Das Natürlichste und Nächstliegende, ganz dem Prinzip des Aktualismus Entsprechende wäre die Erklärung, daß die Eiszeiten bedingt sein müssen durch die jeweilige Verteilung von Wasser ') Vgl. Em. Kayser, Lehrbuch der Geologie, II. Teil, 1913. S. 277. ') Vgl. R. Credner „Das Eiszeit-Problem", Vlll. Jahres- bericht d. geogr. Gesellschaft. Greifswald igoo — 1903. ') Delafond et Deperet. Les terrains tertiaires de la Bresse. Paris 1893. *) M. Sem per, Handwörterbuch der Naturwissenschaften, Bd. 111, S. 78. "1 Vgl. R. Credner a. a. O. ") Vgl. R. Credner a. a. O. ") F. Fr ech , ,,Studien über das Klima der geol. Vergangen- heit". Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde, Berlin, Bd. 37, igo2. ') \Vi 1 h. R. Ec kar d t. Das Klimaproblem. Braunschweig 1909. 2IO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 14 und Land und die damit hervorgerufenen klima- tisclien Erscheinungen, wie Luftdruck, Winde und Niederscliläge. PIs ist klar, daß die \"erteilung von Wasser und Land immer einen bedingenden Faktor für das Klima eines Gebietes sein müssen. Die quartäre Vereisung ist aber weltumfassend gewesen bei einer annähernd gleichen Verteilung von Wasser und Land; zum mindesten war sie nicht so verschieden, daß sie in einzelnen Gegen- den eine Depression der Schneegrenze um mehr als 1000 m, wie z. B. in den Alpen, bewirken konnte! Eine andere Erklärung geht darauf hinaus, die Vergletscherungen aus den damaligen beträchtlichen Erhebungen zu erklären. Unzweifelhaft muß eine positive oder negative Höhenverschiebung Einfluß auf die Schneegrenze haben. Wir müssen zugeben, daß das westliche Europa und Nordamerika höher gelegen haben als heute"); dazu addieren sich dann noch die beträchtlicheren Höhen der da- maligen Gebirge. England besaß eine selbständige Vergletscherung. '") Es erhob sich soweit über dem Meeresniveau, daß es mit dem Kontinente in landfester Verbindung stand. Diese Höhe, ver- bunden mit der ganzen Topographie, bedingen aber noch lange keine \'ergletscherung dieser Gegend bei Annahme der sonst gleichen klima- tischen Bedingungen. Wäre diese Erklärung richtig, daß allein durch die größeren Erhebungen eine \^ergletschcrung möglich sei, so müßten uns aus den Gebieten der gewaltigen Erhebungen der kaledonischen und herzynischen Faltungen aus der Zeit ihrer größten Erhebung glaziale Spuren vor- handen sein, ebenso müßte die größte Vergletsche- rung in den Alpen ins Tertiär fallen. Wohl dürfen wir annehmen, daß die höhere Lage der nördlichen Kontinente die Vereisungen begünstigt habe, daß sie aber die Ursache der Vergletscherung ist, müssen wir verneinen. Allgemein bekannt und z. T. auch anerkannt ist die Theorie von Arrhenius. ^') Sie beruht da- rauf, daß der wechselnde CO.^-Gehalt der Atmo- sphäre eine verschiedene Absorption der Wärme- strahlen bewirkt. Nach eigenen experimentellen LTntersuchungen sollte ein großer CO.,-Gehalt der Atmosphäre die Absorption der Sonnenstrahlen begünstigen, zugleich die Wärmeausstrahlung der Erdoberfläche mehr oder weniger verhindern. Ein geringer CO., Gehalt würde das Gegenteil bewirken. Frech ^-) hat dann diese Theorie ausgebaut und sie anzuwenden gesucht auf die ganze Erdgeschichte. Nach ihm fallen die Zeiten der höchsten vulka- nischen Tätigkeit zugleich mit Wärmeperioden zusammen und Vergletscherungen mit Zeiten einer minimalen vulkanischen Tätigkeit. Nach den Unter- suchungen von Angström ^^) würde ein Plus von COo gegenüber dem heutigen Gehalt der Atmo- sphäre wirkungslos sein für die Absorption derjenigen Strahlen, die absorptionsfähig sind. Nach seinen Untersuchungen wären nicht einmal soviel nötig, ^,5 würde genügen. Dadurch ist natürlich der Theorie von Arrhenius-Frech der experimen- telle Boden genommen. Aber auch in geologischer Hinsicht weisen Koken") und Gregory''') darauf hin, daß Befunde vorhanden sind, die gegen diese Theorie sprechen. Gestützt auf die Beobachtungen , daß in der Gegenwart die Polhöhen ein und desselben Ortes kleine Schwankungen aufweisen, was auf eine Schwankung der Erdpole zurückzuführen ist, suchen einige Forscher den Vereisungen der Erde mit der Annahme von Polschwankungen beizukommen. Man nimmt an, der Nordpol habe sich zur dilu- vialen Eiszeit auf die Gegend Spitzbergen — Grön- land verschoben. Dabei wird aber nur eine atlan- tische Vereisung vorausgesetzt. Wir wissen aber, daß auch Alaska "'l vollständig vergletschert war. Ferner ist sicher festgestellt, daß die diluviale Ver- eisung, wie schon oben bemerkt, eine wellum- fassende war. Eine Polverschiebung im ange- deuteten Sinne erklären diese Tatsachen nicht. Die bis jetzt besprochenen Theorien nehmen zur Erklärung der Eiszeiten rein terrestrische Ver- änderungen an. Wir müssen sie als unzureichend erklären. In scharfsinniger Weise hat James Groll'') die Entstehung der Eiszeiten auf die wechselnde Exzentrizität der Erdbahn zurückgeführt. Bekannt- lich haben bei dem momentanen Betrag der Ex- zentrizität der Erdbahn die beiden Hemisphären ungleiche Wärmemengen; die Nordhalbkugel be- sitzt mehr Wärme als die Südhalbkugel. Durch eine Änderung in der Exzentrizität könnten für die eine Halbkugel so ungünstige thermische Ver- hältnisse entstehen, dai3 eine Vereisung wohl möglich wäre. Sie müßte sich dann je nur auf eine Hemisphäre beschränken. Wir wissen aber, daß z. B. die diluviale Vereisung gleichzeitig auf beide Erdhälften sich erstreckte.'*) Nach Groll soll sich die Exzentrizität der Erdbahn in großen Perioden ändern. Die im Verhältnis sich rasch abwechselnden Glazial- und Interglazialzeiten fän- den in der Croll'schen Hypothese keine Er- klärung. Eine prinzipielle Frage bei der Erklärung der Eiszeiten dreht sich darum , ob die Vergletsche- ") Vgl. Em. Kayser a. a. O., S. 673 und S. 733. ">) Vgl. Em. Kayser a. a. ( >., S. 729. ") On the Influence of Caibonic Acide in the Air upon the Temperature of the Ground. Philosophical Magazine 1S96. Bd. XU. '2) F. Frech a. a. O. '■') Angst rö m , „Über die Bedeutung des Wasserdampfes und der Kohlensäure bei der Absorption der Erdatmosphäre (Anm. d. Physik N. F. 3). Derselbe, Einige Bemerkungen zur Absorption der Erd- strahlen durch atmosph. CO2 (Övfers. Vetensk. Akad. Förhandl. 190 II. "1 Koken, Neues Jahrbuch f. Mineralogie usw. Festband 1907. '•'■) Verh. internal. Geol. Kongreß, Mexiko 1906, I. "*) Vgl. Xaturw. Wochenschr. N. F. XI. Bd., 1912, Xr. 23, S. 3^8 Anm. _ ij "'■) James Groll, „Climate and time in thcir geologi- li cal relations , a Iheory of secular changes of the earths cli- mate." London 1S75. '») Vgl. E. Kayser, a. a. O. S. 740. N. F. XIII. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 211 rung durch vermehrte Niederschläge oder durch Temperaturerniedrigung hervorgerufen worden sei. Zur Erzeugung größerer Niederschläge müssen größere Verdunstungen stattfinden. Dies wurde auf das Vorhandensein größerer Wasserflächen oder auf vulkanische Ausbrüche zurückgeführt. Zum ersteren Argument müssen wir einwenden, daß, wie schon oben hervorgehoben, die Ver- teilung von Wasser und Land bei der letzten Glazialzeit annähernd gleich war wie heute; zum zweiten wissen wir, daß eine vulkanische Tätig- keit in größerem Maßstabe aus jenen Zeiten nicht bekannt ist. Rekonstruiert man nach den heutigen Erfahrungen die vorherrschenden Winde für Europa, so müssen wir annehmen , daß dieselben vor- herrschend aus kalten, aus dem Innern des Kon- tinents stammenden Luftströmungen bestanden. Über dem vereisten Europa lag ein barisches Maximum, von dem aus antizyklonale Luftbewegun- gen ausgingen. Wir nehmen mit l'enck'") an, daß die Vergletscherungen durch Temperatur- erniedrigungen hervorgerufen worden seien. Nicht nur alles Lebendige auf der Erde, son- dern auch alle Bewegungen und Vorgänge in der Atmosphäre müssen wir in letzter Linie abhängig machen von der Strahlungsintensität der Sonne. Wäre nun diese in jedem Momente des Jahres gleich stark durch Jahrzehnte hindurch, so müßte theoretisch jeder Moment des Jahres durch einen festen genau bestimmten Zustand charakterisiert sein. Daß dem nicht so ist, wissen wir alle zur ") Penck und ürückner, ,,Die Alpen im Eiszeitalter", III. Bd., S. 1146. Genüge. Allerdings müssen wir zugeben, daß sich das Relief der Erdoberfläche durch Abtragung und Aufschüttung ändert, daß dadurch auch die Strahlungswirkungen andere werden. Das sind aber Vorgänge, abgesehen von vulkanischen Er- scheinungen, die sich allmählich abspielen, daraus können wir die Tatsache nicht erklären, daß sich oft Jahre ablösen mit ganz verschiedenem Witte- rungscharakter. Dies ließe sich daraus erklären daß die Strahlungsintensität der Sonne nicht kon- stant ist. Ist die Strahlungsintensität in der Gegenwart nicht konstant, so muß sie auch in der Vergangenheit Schwankungen unterworfen ge- wesen sein. So können wir die Eiszeiten erklären als eine Zeit, die im Vergleich zu heute ausge- zeichnet war durch eine große negative Strahlungs- anomalie, die ihre Ursache in der Sonne hatte. Dadurch ist das Problem in engsten Zusammen- hang mit anderen paläoklimatischen Problemen gebracht. Im Grunde erwächst uns in der Tat- sache, daß das Tertiärklima sich wesentlich vom heutigen unterscheidet, das nämliche Problem wie bei der Erklärung der Eiszeiten. Beide Erschei- nungen sind im Vergleiche zur Gegenwart Ex- treme, die sich aus StrahlungsanomaHen erklären lassen. Ob sich darin Gesetzmäßigkeiten erkennen lassen, wissen wir noch nicht. Es ist nicht aus- geschlossen, daß uns die heute noch am Anfang stehenden Untersuchungen über die Solarkon- stante -") einst Aufschluß geben wird über die Gesetze und Ursachen der Inkonstanz der Strah- lungsintensität. 2») Vgl. auch Naturw. Wocliensclir. N. F. XII. Bd., 1913, Nr. 45, S. 716. Das Wesen der Enzyiiiwirliiiug. Von 0«o Bürger. [Nachdruck verboten.] Nach den Kenntnissen, wie wir sie heute be- sitzen, definieren wir Enzyme als durch lebende Wesen hervorgebrachte Katalysatoren. ^) Es soll damit jedoch nicht etwa gesagt sein, daß man nicht vielleicht später einmal die Enzyme im La- boratorium synthetisch herstellen könnte. Ein Katalysator ist ein Stoff, welcher, ohne selbst durch die Reaktion verbraucht zu werden, die Geschwindigkeit ändert, mit welcher eine Re- aktion ihre Gleichgewichtslage erreicht. Sauerstoff und Wasserstoff verbinden sich bei gewöhnlicher Temperatur so langsam, daß wir eine Bildung von Wasser nicht wahrnehmen können. Erhitzen wir jedoch das Gasgemisch oder lassen wir elektrische Funken durchschlagen, so findet eine merkliche Vereinigung der beiden Elemente statt. Aber auch schon die Gegenwart einer winzigen Menge fein verteilten Platins genügt, um bei Zimmer- temperatur eine Vereinigung zu bewirken. Dieses ') Man vgl. auch meine Arbeit in Nr. 42 dieser Zeit- schrift (Jahrgang 1912), Seite 666—68. Beispiel aus der endlosen Kette der Katalysen mag die Erscheinung an und für sich erklären. Um nun die wesentlichen Merkmale einer Katalyse zu erkennen, wie sie bei Reaktionen auf- treten, deren Agenzien eine bekannte chemische Zusammensetzung besitzen, teilen wir die Reak- tionen in 2 Klassen; einmal in solche, die sich zwischen Ionen abspielen und die augenblicklich verlaufen (Schwefelsäure fällt sofort aus einem löslichen Bariumsalz das unlösliche Sulfat aus), andererseits in solche, die eine meßbare Zeit nötig haben, um ihr Endstadium zu erreichen (Hydrolyse des Rohrzuckers). Nach unserer Erklärung ist ein Katalysator ein Stoff, der die Geschwindigkeit einer Reaktion ändert, sie also entweder beschleunigt, oder aber sie verzögert. Das angeführte Beispiel für kata- lytische Reaktionen bezieht sich auf Reaktions- beschleunigung. Ein Beispiel für den umgekehrten Fall, eine sogenannte ,, negative Katalyse", ist die Hemmung der Phosphoroxydation durch eine Spur Ätherdampf. Läßt man einer Reaktion genügend Zeit zu ihrer Vollendung, so ist es gleich, ob man eine geringe oder eine größere Menge des Katalysators 212 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 14 dem Reaktionsgemisch zusetzt, vorausgesetzt natür- Hcli, daß der Katalysator nicht etwa vorher para- lysiert oder zerstört wurde. Der Grad der Re- aktionsbeschleunigung ist der Konzentration des vorhandenen Katalysators proportional. Trotz dieses Gesetzes müssen wir darüber erstaunt sein, wie geringe Mengen eines Katalysators noch dazu imstande sind, eine merkliche Wirkung zu erzeugen. Nach B r e d i g und v. B e r n e c k ist kolloidales Platin imstande, auf eine Menge Wasserstoffsuper- oxyd einzuwirken, die 1000 000 fach so groß ist, wie das eigene Gewicht. Eine große Anzahl katalytischer Reaktionen ist auf die Bildung von Zwischenprodukten zurück- zuführen. Nach Ostwald ist die Summe der Geschwindigkeiten jener Zwischenreaktionen immer größer als die Geschwindigkeit der nicht kataly- sierten Reaktion, wenn es sich überhaupt um eine Katalyse mit Bindung von Katalysator und Substrat handelt. Die Reaktionsgeschwindigkeit zwischen Jodwasserstoffsäure und VVasserstoffsuperoxyd wird bedeutend gesteigert, wenn als Katalysator Molyb- dänsäure zugesetzt wird. Dies ist nach Brode eine katalytische Reaktion mit intermediärer Bin- dung; es konnten nämlich als Zwischenprodukte eine Reihe von Permolybdänsäuren nachgewiesen werden. Als man schon frühzeitig aus dem lebenden Organismus den Katalysatoren sehr ähnliche Stoffe hergestellt hatte, wie z. B. 1833 die Diastase, nannte man diese Körper Fermente und unter- schied nach Pasten r zwei verschiedene Gruppen: Diastase und ähnliche Fermente nannte man lös- liche oder anorganische Fermente, während man z. B. Hefe ein organisiertes h'erment nannte. Diese Bezeichnung führte jedoch zu mancherlei Verwirrung, die K ü h n e veranlaßten, einen neuen Namen ,, Enzym", einzuführen. Nach dieser Be- zeichnungsweise definieren wir Enzyme als durch lebende Organismen hervorgebrachte Katalysatoren. Wie wir oben gesehen haben, gibt es nur zwei Eigenschaften, die allen Katalysatoren gemeinsam sind, einmal ändern sie. die Geschwindigkeit einer in Gang befindlichen Reaktion, ohne jedoch andrer- seits in die Endprodukte der Reaktion einzutreten. Wenn nun unsere Definition richtig ist, müssen die Enzyme ebenfalls diese Eigenschaften besitzen. Auf den Beweis hier einzugehen, würde mich zu weit führen. Auch bei den Enzymen genügen winzige Spuren, um eine Katalyse zu beschleunigen. Invertase kann nach O'Sullivan und Tompson ihr 2poooofaches Gewicht Saccharose hydroly- sieren; Labferment vermag nach Hammarsten sein 400000 faches Gewicht Kasein in Milch zur Gerinnung zu bringen. Die chemischen und physikalischen Eigen- schaften der Enzyme werden hauptsächlich durch ihre kolloide Natur gekennzeichnet. Enzyme be- sitzen daher die Fähigkeit, Bestandteile einer Lösung, aus der sie ausgefällt werden, durch Adsorption mitzureißen. Was man über die che- mische Natur der Enzyme sagen kann, sind alles mehr Vermutungen als Talsachen. Zum Unterschied von den anorganischen Kata- lysatoren werden Enz)-me bei Temperaturen von etwa 100" zerstört. Dies scheint eine h'olge der kolloiden Natur dieser Stoffe zu sein und stellt ein oft angewandtes Hilfsmittel dar, um zu entscheiden, ob es sich um ein Enzym oder einen Katalysator handelt. 189S sprach van 'tHoff die Vermutung aus, Enzyme könnten auch chemische Synthesen aus- führen bzw. beschleunigen. Diese Vermutung wurde in den verflossenen Jahren durch zahlreiche Versuche bewiesen. Graft Hill beobachtete im gleichen Jahre eine synthetische Wirkung der Hefemaltase. Wirkt Hefemaltase monatelang auf 40 " 0 'gc Glukoselösung bei 30" ein, so wird ihr Reduktions- und Drehungsvermögen im Sinne einer Maltosebildung geändert. Wie jedoch Emmer- ling nachwies, beruht die beobachtete Wirkung nicht auf der Bildung von Maltose, sondern von Isomaltose und dextrinartigen Produkten. Isomal- tose wird auch durch Maltase nicht weiter ge- spalten. Emulsin verhält sich Maltose gegenüber umgekehrt wie Maltase; es spaltet Isomaltose, aber synthetisiert Glukose zu Maltose. Diese Versuchs- ergebnisse verallgemeinerte Armstrong dahin, daß ,, Enzyme gerade diejenigen Moleküle aufbauen, welche sie nicht zu spalten vermögen". Ist diese Behauptung richtig, so muß man annehmen, daß diejenigen Enzyme, welche ein chemisches Gleich- gewicht von beiden Seiten aus herstellen, Ge- mische eines sj-nthetisierenden und eines hydro- l\sierenden Enzyms darstellen. Bei der Hydrolyse des Rohrzuckers entsteht eine d-Glukose, die von Tau r et als a-Glukose bezeichnet wurde. Diese d-Glukose geht allmäh- lich in eine t-Glukose über, die ein Gleichgewicht zwischen der a-Glukose und der optisch isomeren Form, der ^-Glukose, darstellt. In jeder Hefe, die Maltose fermentiert, ist, wie Fischer gezeigt hat, ein Enzym vorhanden, das Maltose hydrolysiert, dieses Enzym ist die Maltase. Die Maltase vermag das «-Mcthylglukosid, aber nicht die ,i-Form zu hydrolysieren, während um- gekehrt das Emulsin das a-Glukosid nicht an- greift und das p'-Glukosid, mit Leichtigkeit hydro- lysiert. Maltose erscheint also seiner Struktur nach als « Glukosid, während die natürlichen Glukoside l'z. B. das Salizini /i-Glukoside sind. — Außer diesen enzymatischen Synthesen sind uns auch noch andere bekannt. Wird ein Ester von Wasser hydrolysiert, so verläuft die Reaktion zumeist sehr langsam, wird aber in dem Maße, wie die Konzentration der ge- bildeten freien Säure zunimmt, sehr beschleunigt. Ostwald hat diesen Vorgang mit dem Namen .Autokatalyse" belegt. Verschwindet im Verlaufe der Reaktion der Katalysator, so handelt es sich um eine negative Autokatalyse. Die Faktoren, welche die Reaktionsgeschwin- digkeit einer Enzymlösung beeinflussen, sind etwa folgende : A) Verzögerung erfolgt durch: N. F. XIII. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 213 1. Reversibilität (Gleichgewichtsänderung). 2. Verbindung des Enzyms mit dem Sub- strat. 3. Negative Autokatalyse. 4. Zerstörung der Enzymeigenschaften. B) Beschleunigung erfolgt durch : I. Wie A) 2., wenn ein verhältnismäßig großer Überschuß des Substrates vor- handen ist. Soll ein Enzym seine Aktivität entfalten , so muß es vorher irgendeine Bindung mit dem Sub- strat eingehen. Da die Enzyme Kolloide sind, neigen sie besonders zur Bildung sog. „Adsorp- tionsverbindungen". Von größerer und allgemeinerer Bedeutung für das Zustandekommen enzymatischer Reak- tionen, als man bis vor kurzem angenommen hatte, sind die sog. Aktivatoren oder Ko-Enzyme. iVIagnus unterwarf einen Leberextrakt der Dia- lyse, dabei verlor dieser nach und nach seine an- fängliche lipolytische Fähigkeit, die er jedoch wiedergewann, sobald das Dialysat wieder hinzu- gefügt wurde. Der dialysierte inaktive Extrakt konnte auch durch Vermischen mit gekochtem Leberextrakt wieder aktiv gemacht werden. Der Teil, der bei der Dialyse nicht heraus diffundierte, wurde durch Kochen zerstört, kann also als das eigentliche Enzym betrachtet werden. Der dialy- sable Stoff dagegen heißt „Kocnzym". Bertrand beobachtete eine vermehrte Oxydationskraft der Laccase beim Zusatz von geringen Mengen Man- gansalzen und verwandte hierbei zum ersten Male den Namen „Koenzym" oder „Koferment", ob- gleich wir es hier eher mit einem sog. „Accelera- tor" zu tun haben. Auch für das Enzym des Hefepreßsaftes konnten Harden und Young ein koenzymatisches Verwandtschaftsverhältnis feststellen. F"iltriert man Hefesaft durch ein Martin'sches Gelatinefilter, so erhält man eine Substanz, die, obgleich sie die Zymase enthält, inaktiv ist. Bringt man nun einen Teil des Fil- trates (das für sich allein ebenfalls inaktiv ist) zu dem Enzym, so findet eine starke Fermentation statt, wobei jedoch vorausgesetzt ist, daß das Filtrat auch anorganische Phosphate gelöst ent- hält, die gleichfalls als Koenzym wirken. Die Natur des anderen Koenzyms ist uns bis jetzt noch unbekannt. Ähnlich , wie man durch Einspritzen von Toxinen in den lebenden Organismus Antitoxine erhält, so bildet der Organismus auch sog. Anti- enzyme als Schutzmittel gegen körperfremde Enzyme. Aber auch das normale Serum enthält Substanzen, welche z. B. die Trypsinwirkung mehr oder weniger vollständig aufheben; da es nach den bis jetzt bekannten Tatsachen nicht wahrscheinlich ist, daß diese Körper von den eigentlichen Anti- enzymen wesentlich verschieden sind, so kann man sie ebenfalls unter die Antienzyme rechnen. Das Blut enthält normalerweise einige Antienzyme, so Antitrypsin und Antilab; andere können durch subkutane Injektion von Enzymen erhalten werden. (So hergestellt wurden die Antikörper von Lipase, Emulsin, Amylase, Pepsin, Papain und Urease.) Wie verschieden hohe Temperaturen auf En- zyme einwirken, wurde oben erwähnt. Auch ver- schiedenartige Bestrahlung äußert sich in ver- schiedener Weise. Zwar scheinen die Enzyme keine so hohe Lichtempfindlichkeit zu besitzen wie die Toxine. Strahlen der Wellenlänge 280 ((/( schwächen Trypsin, Diastase und Labferment, allerdings erfordern die Enzyme zu ihrer Zer- störung eine bedeutend längere Zeit als die Toxine. Wie Jamada und Jodlbauer fanden, schädigen die durch Glas durchtretenden Sonnenstrahlen Invertase , aber ausgesprochen nur dann , wenn Sauerstoft' zugegen ist. Stärker hemmend als ge- wöhnliche Strahlen wirken ultraviolette Strahlen. So fand R. Green, daß Diastase durch ultra- violette Strahlen zerstört wird, während sichtbare Strahlen im Gegenteil dieses Enzym aktivieren. Von Röntgenstrahlen werden Enzyme nicht ge- schwächt, während Radiumstrahlen und Radium- emanation nicht immer ohne Einfluß auf Enzyme sind. ^) Experimentelle Ergebnisse über den Verlauf enzymatischer Reaktionen anzugeben dürfte sich aus dem Grunde nicht empfehlen, da dies doch lediglich nur ein Aufzählen und Aneinanderreihen von Zahlen sein würde, die nicht von allgemeinem Interesse sind. Der lebende Organismus ist mit Hilfe der Enzyme bei gewöhnlicher Temperatur und bei Gegenwart gewisser Stoffe in der Lage, eine ganze Reihe oft verwickelter chemischer Reak- tionen ablaufen zu lassen, zu deren Gelingen wir außerhalb des Körpers höhere Temperaturen und oft kräftige Reagenzien benötigen. Im allgemeinen können wir sagen, daß sich Enzymreaktionen auf die Wirkungen der Kataly- satoren zurückführen lassen. ') Man vgl. auch; W. M. Bayliss: „Das Wesen der Enzymwirkung", deutsch von K. Schorr. (Th. Steinkojjff, Dresden 1910.) Einzelberichte. Paläontologie. Über eine Platte mit pracht- voll erhaltenen Crinoideen berichtet R.S. Baßler (Proceedings of the United States National Mu- seum Bd. 46, S. 57 — 59, Washington 191 3). Es handelt sich um die Gattung Scyphocrinus, die dem Obersilur und Unterdevon angehört. Das auf zwei Tafeln wiedergegebene Stück ist nicht allein ein paläontologisches Wertstück, das nun- mehr der Schausammlung des National Museum zur Zierde gereicht, sondern es ist auch bemer- 214 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 14 kenswert als ein kleines Kunstwerk der Präpara- tion und auch durch die Fundgeschichte. Der Fundort ist in der Umgebung des Cape Girardeau, Missouri am Mississippi gelegen und zwar fern jeder Station oder Landungsstelle, so daß die Funde im Gesamtgewicht von 4500 Pfund nur durch besondere Vorkehrungen geborgen werden konnten. Das Wichtigste ist aber, dai3 die schöne Ausbeute das Ergebnis planvollen Suchens, also ein von vornherein erstrebtes Ziel war. Ein Reweis mehr zu manchen anderen in neuerer Zeit, wie sehr die Paläontologie durch das in der Ar- chäologie längst angewandte Forschungsmittel systematischen Sammeins oder Grabens gewinnen kann, während sie bisher auf die zufällig beim Verfolgen anderer Zwecke abfallenden Brocken angewiesen zu sein pflegte. E. Hennig. Geologie. Die Wärmeleitung der Gesteine und die Temperatur in der Tiefe. ^) Die Gesteine besitzen eine verschiedene Wärmeleitfähigkeit, die auf die Temperatur von gewissem Einfluß ist, was mit ein Grund ist für die Verschiedenheit der geothermischen Tiefenstufe. Je größer die Unter- schiede in der Wärmeleitfähigkeit und je mäch- tiger die verschiedenen Gesteine sind, desto be- deutender ist dieser Einfluß. Einheitliche Kristalle besitzen ein größeres Wärmeleitungsvermögen mit einer anderen Temperaturabhängigkeit als Gesteine, die aus denselben aber kleinen Mineralkörnern zu- sammengesetzt sind. Ouarzit zeigt eine viel ge- ringere Wärmeleitfähigkeit als ein Quarzkristall, weil sich zwischen den Trennungsflächen der ein- zelnen Mineralkörner häufig noch Luft befindet, die bekanntlich ein schlechter Wärmeleiter ist. Poröse Gesteine leiten die Wärme viel schlechter als dichte Gesteine. Umgekehrt sind poröse Ge- steine, deren Lumina mit Wasser erfüllt sind, durch eine sehr erhebliche Wärmeleitfähigkeit ausge- zeichnet, die unter LTmständen auf das doppelte und dreifache steigen kann (Wasser leitet gegen- über Luft viel besser). In nicht allzu großer Tiefe pflegen aber die Gesteine meist bergfeucht zu sein. Der Einfluß des Wassers als Bergfeuchtigkeit wirkt ausgleichend zwischen porösen und weniger porösen Gesteinen. Parallel geschichtete Gesteine besitzen eine mit der Richtung verschiedene Wärmeleitfähigkeit. Beim Bau des Simplontunnels wurde man zum ersten Male mit der Tatsache bekannt, daß die Erdwärme in der Schichtrichtung viel leichter abfließt als quer zu dieser. Bei steiler Schichtstellung erfolgt die Temperaturzunahme langsamer als bei horizon- taler. So beobachtete man im Simplontunnel bei steil stehenden Schichten eine geothermische Tiefen- stufe von 50 m, während sie bei flacher Schichten- stellung nur 30—40 m betrug. Da im Simplon- tunnel nur in der Nähe des Nordportales steil stehende Schichtung vorkommt und im ganzen ') J. Koen igsb er ge r , Geologische Rundschau, Bd. 4, H. 7, 1913. Übrigen Teil mehr oder weniger flache Lagerung auftritt, so traf man lo — 12 " höhere Temperaturen an, als man nach den Erfahrungen in den anderen Alpentunnels erwartet hatte. In 8',, km Entfer- nung vom Nordportal stieg die Temperatur auf fast 54 " C, während man auf eine Temperatur von 42 " C gerechnet hatte. Normaler Granit, Gneis (im Mittel), sowie Kalk und Marmor zeigen praktisch nahezu das gleiche Wärmeleitungs vermögen. Neben der verschiedenen Wärmeleitfähigkeit muß noch die Begrenzung und Mächtigkeit der Gesteine beachtet werden. Einlagerungen von Gesteinsschichten mit größerer oder kleinerer Wärmeleitfähigkeit können nur dann eine erheb- lich andere Temperatur besitzen, wenn Gesteins- komplexe von größerer Mächtigkeit vorliegen. Selbst bei recht verschiedenen Leitfähigkeiten tritt kein Temperatursprung, sondern nur ein langsamer Übergang ein. Von praktischer Bedeutung ist die Wärme- leitung der Gesteine für den Bergbau. Große P^rzmassen zeigen eine erheblichere VVärmcleit- fähigkeit als das Nebengestein, wodurch die Tiefen- stufe vergrößert wird. Durch die natürliche Ven- tilation (Schächte) wird aber die Temperatur in Bergwerken erheblich vermindert. In Bergwerken mit oxydierbaren Mineralien (so am Rammeisberg, in Rio Tinto, sowie in den Schwefelgruben Sizi- liens) macht sich durch die wenn auch langsam diffundierende Luft eine Erwärmung geltend, wo- mit eine Verkleinerung der normalen Tiefenstufe eintritt. Hier sind in abgesperrten Stollen viel iiöhere Temperaturen zu beobachten, als in dem offenen, aber nicht ventilierten Bergwerke. In den nicht abgesperrten Stollen geht aber die Oxyda- tion noch stärker vor sich. Auf der andern Seite ist aber die Luftkühlung dann so stark, daß die entwickelte Wärme größtenteils weggescliaftt wird. In Bergwerken, in denen oxydierbare Mineralien fehlen (z. B. im Siegener Gebiet), wird die natür- liche Ventilation kühlend wirken und auch auf die abgesperrten Räume indirekt durch das Gestein hindurch sich geltend machen. V. Hohenstein. Geographie. „Polygonboden und thufur auf Island" sind Untersuchungen betitelt, die Th. Thoroddsen angestellt hat (Petermann's Geogr. Mitteilungen 1913, Heft 11). Schon Meinardus hat auf den Bodenfliiß und die damit nicht ohne weiteres zusammen- hängenden Strukturböden hingewiesen. ^) Beide Erscheinungen sind auch in Island sehr häufig, dazu kommen dort noch die Bülten (thufa, PI. thufur), die von großer Bedeutung für den Pflanzen- wuchs und Bodenbau sind. Diese ,, thufur" stehen in enger genetischer Beziehung zum Polygonboden; die wesentliche Bedingung für die Bildung beider ist das Bodeneis. Die Tiefe, in der das isländische ') Naturw. Wochenschr. N. F. XI, 1912, .S. 817. N. F. XIII. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 215 Bodeneis im Frülijahr angetroffen wird, ist äußerst ungleich nach den verschiedenen Landesteilen und nach der Witterung; es kann sicli in den nörd- lichsten Gegenden nahezu den ganzen Sommer halten, es ist im größten Teil des Landes im Juni in einer Tiefe von i — 1 '/., m vorhanden, im Moch- land den ganzen Sommer. Nur an Stellen be- deutender Erdwärme fehlt es. Der Polygonboden bildet sich im allge- meinen nur auf flachem Lande, wo der Erdboden mit Ton und Schutt vermischt ist; der Boden ist in mehr oder minder regelmäßige Vielecke ge- teilt, die durch Reihen von Steinen oder Schutt getrennt sind, während das Innere von steinfreiem Ton eingenommen wird. Pflanzenwuchs findet sich gewöhnlich nur in den Schuttringen, da der Tonboden in der Mitte zu feucht ist. Erst wenn der Boden trockener wird, breitet sich die Vege- tation allmählich iiber die P'elder aus, besonders wenn der Wind Staub hinzuträgt. Die Polygone sind von verschiedener Größe und zeigen im all- gemeinen einen Durchmesser von i — i V2 rn- Beim Austrocknen bilden sich in tonhaltigem Boden eine Menge Risse, die auch unter dem Einfluß der Kälte entstehen können. Daher ist die Erdschicht der Oberfläche von einem Netz von Rissen und Spalten in unregelmäßige Stücke oder eckige Zylinder geteilt. Bodeneis und Spalten sind nach Thoroddsen's Meinung zur Bildung von Bodeneis und Büken erforderlich, wozu noch Frost und ungleiche Verdunstung auf der Ober- fläche kommen. In flachem sandigen, abflußlosen Schuttboden wird bei der Schneeschmelze der ganze Erdboden von Wasser gesättigt. Das Wasser steht eben zur Erde oder erhebt sich noch über die Ober- fläche. Im Laufe des Frühjahrs verdampft es teilweise, zum anderen Teil fließt es ab. In mit Ton vermischtem und mit einem Netz von Rissen durchzogenen Schuttboden, wo während des Früh- jahrs der Boden am Tage auftaut, nachts wieder gefriert, ist es anders. Da bildet das Bodeneis eine Grenze, durch die das Wasser nicht abfließen kann, aber durch die Risse im Boden wird ein gleichmäßiges Verdunsten an der Oberfläche ver- hindert. Das Wasser sammelt sich in diesen Rissen und Vertiefungen, in denen die Verdunstung langsamer vor sich geht als auf den Polygonen selbst, so daß von der Mitte derselben das Wasser von den Spalten aus aufgesaugt wird ; toniger Erdboden besitzt große Kapillarität, die durch Vermischung mit Humus noch vermehrt wird. Nachts friert der Polygonboden teilweise wieder, im Laufe des Tages steigt das Wasser vermöge der Kapillarität und der Verdunstung, so daß sich die Mittelpartie des Kreises hebt. Hierdurch wird eine Wanderung der leichteren Teilchen nach oben verursacht, und die schwereren an die Seite geschoben. Der Druck von unten, der so bedeu- tend ist, daß er 10—20 cm dicken Rasentorf zu sprengen vermag, schiebt den gröberen Schutt zur Seite, so daß er in den Rissen des Erdbodens liegen bleibt. LTntcr der Schicht des Bodeneises ist der Schutt unregelmäßig im Ton verstreut, er ordnet sich nur an der Oberflächenschicht. So- bald im Sommer das Bodeneis schmilzt, fließt das Wasser ab und der Boden trocknet aus. Wo der Boden aus tonfreiem Sande besieht, und wo sich kein Bodeneis bildet, fehlt der Polygonboden. Die BültenM (thufur), sind größere oder kleinere Erdhügelchen, die massenweis auftreten. Sie besitzen einen Durchmesser von '/g — 2 m und '/i — V-, rn Höhe, sind meist länglich und werden nur durch schmale Rinnen voneinander getrennt. Der mit Rasentorf bedeckte Boden und die Vege- tation sind ähnlich wie der Polygonboden von einem Netz von Rissen durchzogen. Die Büken sind ebenfalls durch Spaltensysteme des Unter- grundes bedingt. Der humusreiche Rasentorf kann vermöge seiner Kapillarität und großen Wasserkapazität viel Wasser aufnehmen (50 — 60 *" „). Im Frühjahr ist der Torf auf den kleineren Büken wie ein Schwamm mit Wasser getränkt. Streifen vulkanischer Asche im Erdboden haben sich der Form der Büken gemäß nach oben in Kurven gebogen — ein Beweis für den lokalen Druck von unten. Bei der Schneeschmelze sind die Rinnen zwischen den Büken häufig zur Hälfte mit Wasser gefüllt, während die Büken selbst durch Verdunstung trocken sind. Große Büken sind zuweilen bis in den Sommer mit Eis ange- füllt. Da sie sich schnell wieder bilden, wenn der Boden nicht dräniert wird, so richten sie im Ackerboden viel Schaden an. Auch auf un- bebautem Grasland und Heideland, jedoch nur auf flachem Boden, finden sich Büken derselben Art. .Sie sind häufig durch eigentümlichen Pflanzen- wuchs gekennzeichnet, in der die Polygone mit bräunlichem Calluna und Empetrum, die Risse zwischen ihnen mit dem grauen Moos Grimmia hypnoides bewachsen sind. Die Büken bestehen aus Mohellaton; auf nacktem Tonboden fehlen sie, erst wenn der Boden sich mit Vegetation über- zieht, beginnen sie sich zu heben und behalten ihre Form. An Abhängen konnten sie nie be- obachtet werden , ein Zusammenhang mit den Erscheinungen des Bodenflusses wurde also nicht nachgewiesen. Auf dem Hochland finden sich eigentümlich große Büken von unregelmäßig länglicher Form, besonders an der Grenze von Mooren , wo sie beim Schmelzen des Schnees mit dem E"uß im Wasser stehen. Sie erreichen hier i — i^/jmHöhe, 15 — 20 m Länge und 8 — 10 m Breite. Sämtliche Büken bestehen aus Mohellaerde und Humus, aber enthalten nicht soviel Steine wie der Polygon- boden. Auf dem Hochlande kommt der Polygon- boden selten vor. Hier sind jedoch Fließerde- erscheinungen häufiger, indem an Abhängen die Steine in Streifen und in anderer Weise angeordnet sind. Polygonboden und Büken haben mit Boden- ') Naturw. Wochenschr. N. F. X, 191 1, S. 55g. Bulte oder Kupsten. 2 l6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 14 flußphänomenen direkt nichts zu tun; es kann aber der Boden mit diesen Erscheinungen vom Bodenfluß betroffen werden, was dann eine sekundäre Erscheinung ist. Polygonboden und „thufur" sind in ihrer Verbreitung auf arktische Gebiete beschränkt und erklären sich aus deren klimatischen Verhältnissen. Dr. Gottfried Hornig. Bakteriologie. Zersetzung von Kautschuk. Bekanntlich ist der vulkanisierte Gebrauchskaut- schuk außerordentlich widerstandsfähig gegen Fäul- nis, selbst wenn er in dauernder Berührung mit Feuchtigkeit ist. Anders verhält sich aber der Rohkautschuk des Handels. Er stellt ja die ge- ronnene Milch der Kautschukbäume dar und ent- hält, auch nach dem Waschen, noch genug dem Milchsaft entstammende organische Substanzen, um Mikrorganismen Wachstum zu gestatten, voraus- gesetzt, daß er hinreichend feucht ist. Man findet infolgedessen auf den Kuchen und Scheiben (crepcs, sheetes) des Handels oft Flecke, die von verschiedenen Mikroben herrühren ; ja man hat sogar vermutet, daß das sogenannte Leimigwerden des Kautschuks auf die Wirkung von Bakterien zurückgehe. Doch ist diese Frage noch nicht ent- schieden. N. L. Söhn gen und J. G. Fol (Centralblatt für Bakteriologie usw., II. Abteil. Bd. 40, 19 14, S. 87) haben nun allgemein die Frage aufgeworfen, inwieweit Kautschuk als Nährboden für Mikro- organismen dienen könne. Sie fanden, daß selbst sehr reiner Handelskautschuk, wenn er feucht ge- halten und mit Erde oder Schmutz verunreinigt wird, eine üppige Vegetation von Schimmelpilzen und Bakterien auf sich erblühen läßt. War dieser Erfolg wegen der stets vorhandenen kleinen Mengen von stickstoffhaltigen Substanzen und Kohlehydra- ten nicht weiter verwunderlich, so ist doch die weitere Feststellung von Interesse, daß auch die möglichst gereinigten spezifischen Kautschuksub- stanzen, die Kohlenwasserstoffe, von ganz bestimm- ten Mikroben angegriffen und verzehrt werden können. Wurden nämlich sorgfältig hergestellte und fast ganz reine dünne Kaulschukhäutchen mit einer Nährsalzlösung befeuchtet und mit etwas Erde oder Grabenwasser geimpft, so entwickelten sich 2 Arten äußerst dünnfädiger Pilze (sog. Aktinomyceten oder Strahlenpilze) auf ihnen, die schließlich Löcher in die Häutchen fraßen. Daß diese Pilze spezifische Kautschukzerstörer waren, zeigte sich, als zum Vergleich verschiedene andere gewöhnliche Bakterien und Pilze auf die Häutchen zusammen mit den erwähnten .Strahlenpilzarten gesät wurden. Wie die Abbildung erkennen läßt, entwickelten sich nur diese beiden üppig, alle die anderen hingegen äußerst kümmerlich. Merkwürdig ist, daß sich diese Kaut- schukzersetzer ganz gewöhnlich in Erde und Schmutzwasser (wenigstens bei Delft in Holland) finden, trotzdem sie wohl nur sehr selten Gelegenheit haben, eigentlichen Kautschuk anzugreifen. Doch werden ihnen wohl unter natür- lichen Verhältnissen ähnliche aus der Zersetzung von Pflanzenresten hervor- gehende Körper zu Gebote stehen. Miehe. Chemie. Die Ergebnisse der Kolloidforschung ist der Titel eines Vortrages, den der bekannte schwedi- sche Physiko - Chemiker The Sved- berg am 29. November 191 3 auf Ein- ladung der Deutschen Chemischen Gesellschaft im I lofmann-Hause in Berlin gehalten hat (vgl. Ben d. D. Chem. Ge- sellsch. Bd. 47, S. 12—38, 1914). ') Der Begriff ,, Kolloid" ist bekanntlich etwa in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts im Anschluß an die Be- obachtung gebildet worden, daß manche Stoffe, die „Kolloide", die meist, wie z. B. der Leim (colla) in kristallisierter ') Über die Entwicklung der Kolloidchetnie ist in der Xaturw. Wochenschr. bereits häufig bericlitet worden [vgl. Bd. IV, S. 81—89 (igo';), Bd. V, S. 10-12 (igobl, Bd. VI, S. 763—765 (1907), Bd'. VII, S. 417—422 (190S), Bd. VHI, S. 121 und S. 769 — 781 (igog), Bd. IX, S. 35—43, S. 312 und S. 3S5 — 396 (1910), Bd. X, .S. 279 — 281 und S. 425 bis 426 I1911), Bd. XI, S. 404 — 405 und S. 701 — 702 (1912), Hd. XII, S. 182, S. 411 — 414 und .S. 785—790 (1913)], der beste Beweis für die Wichtigkeit dieses Gebietes und seine rasche Entwicklung. Trotzdem glauben wir, daß den Lesern der Xaturw. Wochenschrift das oben stehende Referat über den S V e d b e rg ' sehen Vortrag in seiner knappen Form nicht un- erwünscht sein wird. N. F. XIII. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 217 Form nicht vorkommen, im Gegensatz zu den ,,K r i - stall oiden", d. h. typisch kristallisationsfähigen Stoffen, wie etwa dem Kochsalz, in Lösungen nur ein äußerst geringes Diffusionsvermögen besitzen, und wenn auch manche kristaliisationsfähige Stoffe in kolloidaler Form vorkamen , so wurde von zwei allotropen Modifikationen, der kristalloidalen und der kolloidalen, gesprochen. Die neuere Forschung hat aber gezeigt, daß die Unterschiede zwischen Kolloiden und Kristalloiden nicht intramolekularer, sondern extramolekularer Natur seien. Der grund- legende Fortschritt, der zu dieser Erkenntnis führte, war die Entdeckung der ultramikroskopi- schen Versuchsanordnung, ') die gerade in dieser Zeit ihr zehnjähriges Jubiläum feiern konnte. Beleuchtet man ein kleines Gebiet einer kolloidalen Lösung von der Seite her mit sehr intensivem Lichte und betrachtet dann die kolloidale Lösung von oben her, d. h. senkrecht zur Richtung des beleuchtenden Lichtes, so sieht man einzelne helle Teilchen auf dunklem Hintergrunde, gerade wie man in einer mondlosen klaren Nacht die Sterne auf dem dunklen Himmel sieht. Der Vorteil dieser Untersuchungsmethode liegt vor allen Dingen darin, daß im Ultramikroskop noch Teilchen sicht- bar gemacht werden können , die sich der Be- obachtung im gewöhnlichen Mikroskop vollkommen entziehen. Da die Einzelteilchen kolloidaler Lösungen äußerst klein sind, lassen sie sich durch gewöhn- liche F"ilter nicht abfiltrieren : Sie laufen durchs Filter. Um sie zu filtrieren, muß man, wie Bech- hold") gezeigt hat, die Poren der Filter enger machen, eine Aufgabe, die man durch Behandlung gewöhnlicher Filter mit Kollodium oder mit Ge- latine lösen kann. Auch papierfreie Kollodium- membranen haben sich als ausgezeichnete ,,Ultra- filter" bewährt. Durch verschiedene Mittel, über die noch weiter unten gesprochen werden wird, kann man die Hinzelteilchen einer kolloidalen Lösung zum Zusammentritt zu größeren Kemplexen veran- lassen, ein Vorgang, der als „Ausflockung" oder „Koagulation" bezeichnet wird und die Zerstörung der kolloidalen Lösung zur Folge hat. Die Koagula, zu denen die feste Gelatine, Agar- Agar und ähnliche Stoffe gehören, werden als „Gele" bezeichnet. Wesentlich bei der Gelbildung ist — das ist wenigstens für einige Fälle mit Sicherheit nachgewiesen — , daß die Einzelteilchen, die in der kolloidalen Lösung enthalten waren, in den Gelen ihre Individualität behalten, so daß das Gel unter geeigneten Versuchsbedingungen wieder zu der ursprünglichen kolloidalen Lösung aufgelöst werden kann. Der Aufbau der Gele aus den Einzelteilchen ist bereits seit längerer Zeit besonders mit Rücksicht auf das in den Gelen enthaltene Wasser eingehend diskutiert worden. Anfangs glaubte man wohl an eine verhältnis- mäßig grobe Struktur, neuerdings aber hat sich herausgestellt, daß die Struktur im Gegenteil äußerst fein ist; so beträgt z.B. der Durchmesser der Hohlräume im Gel der Kieselsäure, d. h. der Raum zwischen den eigentlichen Kieselsäureteil- chen nur etwa 5 ßfi, ist also viel kleiner als die Wellenlänge des Lichtes. Die kolloidalen Lösungen unterscheiden sich dadurch von den echten Lösungen, daß die in ihnen enthaltenen Teilchen verhältnismäßig groß sind, d. h. die kolloidalen Lösungen stehen zwi- schen den echten Lösungen und den Suspensionen und Emulsionen. Danach ergeben sich grund- sätzlich zwei einander gewissermaßen entgegen- gesetzte Methoden zur Gewinnung kolloidaler Lösungen: Entweder kann man gröbere Teilchen in irgendeiner Weise so weit zerteilen oder man kann einzelne Moleküle zu so großen Aggregaten zusammentreten lassen, daß die entstehenden Komplexe die richtige Teilchengröße haben. Wesentlich ist bei diesen Vorgängen nur, daß die Bedingungen zweckmäßig gewählt sind. Die ent- stehenden kolloidalen Lösungen müssen beständig sein, eine Bedingung, deren Erfüllung nicht nur von der Größe der Teilchen, sondern auch von anderen Faktoren , so vor allen Dingen von der Zusammensetzung und der Konzentration der Lö- sung abhängt. Die Eigenschaften der kolloidalen Lösungen erweisen sich unter sonst gleichen Bedingungen in sehr hohem Maße als eine Funktion der Größe der kolloidalen Teilchen, und es ist daher wesentlich, solche Lösungen herzustellen, deren Teilchen sämtlich die gleiche Größe haben. Die Aufgabe, kolloidale Lösungen von gleicher Teilchen- größe herzustellen wird in der Regel in der Weise gelöst, daß man aus einem Gemisch von Teilchen sehr verschiedener Größe durch ein geeignetes Fraktionierungsverfahren die Teilchen gleicher Größe aussondert. Als Fraktionierungsverfahren kommt für größere Teilchen die Zentrifugierung, für kleinere Teilchen die fraktionierte Fällung in Frage. Auch durch fraktionierte LUtrafiltration erreicht man bisweilen das Ziel. Ahnlich wie nach der kinetischen Gastheorie die größeren Moleküle eine trägere Bewegung auf- weisen, als die kleineren Moleküle, ist auch die Be- wegung der Teilchen in kolloidalen Lösungen, die heute gewöhnlich als Brown sehe Bewegung bezeichnet wird, träger als die Bewegung der Moleküle in echten Lösungen. Daher verläuft die Diffusion in kolloidalen Lösungen viel weniger lebhaft als in echten Lösungen, eine Tatsache, die ja gerade als Ausgangspunkt für die Aufstel- lung des Begriffs der Kolloide gedient hatte, und darum ist auch der osmotische Druck bei ihren Lösungen viel geringer als derjenige wirklicher Lösungen, denn der osmotische Druck ist der Anzahl der Einzelteilchen proportional, von ihrer Größe aber ganz unabhängig. ') Wenn ein Stofit ') Vgl. Naturw. Wochenschr. Bd. VII, S. 421 (1908). ") Vgl. Naturw. Wochenschr. Bd. VI, S. 763 (1907). ') Vgl. Naturw. Wochenschr. Bd. IX, S. 35—43 (1910). 2l8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 14 einmal in echter Lösung, und das andere Mal in kolloidaler Lösung vorliegt und die Kolloidteilchen tausendmal größer als die Moleküle sind, so wür- den die beiden Lösungen darnach den gleichen osmotischen Druck ausüben, wenn die absolute Konzentration der kolloidalen Lösung tausendmal größer als die der echten Lösung ist. Hätten wir etwa eine kolloidale Goldlösung, deren Teil- chen den ganz außerordentlich kleinen Durch- messer von einem Millionstel Millimeter haben und enthielte die Lösung ein Gramm Gold im Liter — konzentriertere kolloidale Goldlösungen lassen sich rein kaum darstellen — dann würde der osmotische Druck der Lösung nur <:|,5-iO"^ Atmosphären betragen, also mit unseren heutigen Mitteln nicht mehr meßbar sein. Trotzdem ist es möglich gewesen, in Lösungen anderer Kolloide, die sich in sehr viel höheren Konzentrationen ge- winnen lassen , den osmotischen Druck direkt zu messen. Die Teilchen der kolloidalen Lösungen sind in der Regel elektrisch geladen, sind also gewisser- maßen als sehr große Ionen anzusehen, allerdings Ionen mit so großen elektrischen Ladungen , wie sie in der Elektrochemie nie vorkommen; so er- gab sich z. B. die elektrische Ladung eines kollo- idalen Silberteilchens zu 62 Einheitsladungen, es lag also ein ,,62 wertiges Ion" vor. Auch sind die elektrischen Ladungen der Kolloidteilchen im Gegensatz zu denen der echten Ionen, bei denen das Vorzeichen der Ladung in stärkstem Maße von der chemischen Zusammensetzung des Ions bestimmt wird, von ihrer chemischen Natur in weitesten Grenzen unabhängig. Je nach den Ver- suchsbedingungen kann dasselbe Teilchen eine positive oder eine negative, eine große oder eine kleine Ladung mit sich führen , ja es ist sogar möglich, die Ladung eines Teilchens beliebig zu verändern. Die Ursache für diese Erscheinung liegt in erster Linie darin, daß die Ladung der Kolloidteilchen sekundären Ursprunges ist. Die kolloidalen Teilchen verdanken ihre Ladung ge- wöhnlichen Ionen, die sich an ihnen festgesetzt haben, oder, wie man sich meist ausdrückt, von ihnen „adsorbiert" sind. Entzieht man einem Kolloidteilchen seine elektrische Ladung stufen- weise, so nimmt sein Bestreben, sich mit anderen Teilchen zu größeren Aggregaten zu vereinigen, sein Koagulationsbestreben, zu, im Neutralpunkt erreicht die Beständigkeit der kolloidalen Lösung ein Minimum, und sie steigt wieder an, wenn man den Teilchen nunmehr die entgegengesetzte Ladung, als sie ursprünglich besessen liaben, er- teilt. Diese Veränderung der elektrischen Ladung kann, wie die direkte Beobachtung gezeigt hat, durch Hinzufügung eines Elektrolyten zu der kolloidalen Lösung bewirkt werden, denn wenn dadurch auch der Lösung gleich viele Ladungen positiver wie negativer Elektrizität zugeführt wer- den, so zeigen doch die Ionen ein verschiedenes Bestreben, sich an die Kolloidteilchen anzuheften. Iksitzt daher ein Kolloidteilchen eine negative Ladung und führt man der Lösung einen Elektro- lyten zu , dessen positives Ion von dem Teilchen besonders stark adsorbiert wird, so nimmt die Größe der auf dem Kolloidteilchen haftenden Ladung infolge der Adsorption ab, und damit sinkt die Beständigkeit der Lösung. Es wird also durch diese Anschauung erklärt, in welcher Weise die Koagulation kolloidaler Lösungen durch Elek- trolyte zustande kommt. Wenn auch das Pro- blem der Koagulation kolloidaler Lösungen noch nicht vollständig gelöst erscheint, so sprechen doch für die skizzierte Theorie sehr viele Einzel- heiten, so daß man sie wohl als einen adä(]uaten Ausdruck der Wirklichkeit ansehen kann. Die große IMehrzahl der Untersuchungen ist an kolloidalen Lösungen, d. h. an Systemen durch- geführt worden, bei denen die kolloidalen Teilchen in einem flüssigen Medium schweben. Von sehr großer Bedeutung sind aber neuerdings die Systeme mit gasförmigem Medium geworden, und die grund- legenden ultramikroskopischen Untersuchungen, die die neuere Entwicklung der Kolloidchemie inaugu- riert haben, sind an Goldrubingläsern, d. h. an kolloidalen Lösungen von metallischem Golde in Glas angestellt worden. Zum Schluß seines Vortrages weist S v e d b e r g darauf hin, daß die Lehre von den Kolloiden keineswegs etwa nur ein theoretisch-wissenschaft- liches, sondern daß sie auch ein sehr großes prak- tisches Interesse habe. Beruhen doch viele wich- tige Zweige der Industrie, wie z. B. die Photographie, auf kolloidchemischen Vorgängen. Die Prozesse, welche sich im lebenden Organismus der Pflanze und des Tieres abspielen, sind kolloidchemischen Charakters, und für manche Krankheit, wie etwa das Oedem, konnte durch die zielbewußte Anwen- dung der Erkenntnisse kolloidchemischer Forschung eine Methode erfolgreicher therapeutischer Behand- lung gefunden werden. ,,Wenn ein Forschungs- zweig sich in rascher Entwicklung, befindet, so schließt Svedberg seinen Vortrag, und die Me- thoden und Ergebnisse desselben auf viele, zum Teil fernstehende Gebiete Anwendung finden, so liegt immer die Gefahr einer Überschätzung der Bedeutung dieses Forschungszweiges und seiner Ergebnisse sehr nahe. Vielleicht ist die Kolloid- chemie diesem Schicksal nicht ganz entgangen. Es scheint mir aber, daß diese Forschung, auch im Lichte einer gesunden Kritik gesehen, schon jetzt so wertvolle Ergebnisse zu verzeichnen hat, daß wir berechtigt sind, in der eifrigen Bearbeitung dieses Gebietes ein Versprechen für wichtige künf- tige Fortschritte auf verschiedenen Gebieten der Naturwissenschaft und speziell der Chemie zu er- blicken". Mg. Bekanntlich nimmt die Geschwindigkeit che- mischer Reaktionen mit wachsender Temperatur zu, und zwar wird sie nach einer allgemeinen Regel bei einer Steigerung der Temperatur um 10" C etwa verdoppelt. Insbesondere war ein einfacher Fall von Abnahme der Reaktionsge- N. F. XIII. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 219 schwindigkeit mit steigender Temperatur bisher nicht bekannt. Nun muß, wie Ä. Skrabal auf der letzten Naturforscherversammking in Wien gezeigt hat, der Temperaturkoeffizient einer che- mischen Reaktion eine Veränderung erfahren, wenn der eine oder der andere der an der Reaktion beteiligten Stoffe in eine komplexe Verbindung übergeführt wird, denn in diesem Falle lagert sich ja bei einer Steigerung der Temperatur über die dadurch bedingte Beschleunigung der Reaktion eine Vergrößerungoder Verkleinerung der Komplex- bildung und damit eine Veränderung der Konzentra- tion eines der an der Reaktion teilnehmenden und durch seine Konzentration ihre Geschwindigkeit mitbestimmenden Stoffe. Nun wird nach dem Le Chatelier-van'tHoff sehen Prinzip durch Temperatursteigerung immer der Vorgang be- günstigt, bei dessen Ablauf Wärme verbraucht wird. Wenn man also zu einem reaktionsfähigen System einen Stoff hinzufügt, der mit einer Kom- ponente des Systems eine komplexe Verbindung bildet, und die Komplexbildung die Zuführung einer erheblichen Wärmemenge verlangt, so kann der Fall eintreten, daß von den beiden entgegen- gesetzt wirkenden Faktoren, der Vergrößerung der Reaktionsgeschwindigkeit durch die Tempe- ratursteigerung und ihrer Verkleinerung infolge des durch die Temperatursteigerung bewirkten Fortschrittes in der Komplexbildung, der zweite Faktor überwiegt, d. h. daß im ganzen die Ge- schwindigkeit der Reaktion, anstatt vergrößert zu werden, verringert wird. Einen derartigen Fall hat nun Skrabal in Gemeinschaft mit S. R. Weberitsch (Ber. d. D. Chem. Gesellsch. Bd. 47, S. 117 bis 119; 1914) in der Reaktion SJ' + JOs' + ÖH — > 3j3' + 3H,0 aufgefunden, deren Geschwindigkeit v in mineral- saurer Lösung dem Quadrat der Wasserstoft'ionen- konzentration, dem Quadrat der Jodionenkonzen- tration und der ersten Potenz der Jodsäureionen- konzentration proportional ist : Durch Hinzufügung einer größeren Menge von Natriumsulfat wird das Wasserstoffion H' in das komplexe Ion HSO,' umgewandelt, ein Vorgang, bei dem, wie die Gleichung H- + SO," — ^ HSO/ — 5000 cal. zeigt, etwa 5000 Kalorien verbraucht werden, der also durch Temperatursteigerung stark gefördert wird. In der Tat wird in diesem Falle, wie sich auch aus der Wärmetönung der Reaktion berech- nen läßt, die Reaktionsgeschwindigkeit durch die Abnahme der Wasserstoft'ionenkonzentration bei einer Temperatursteigerung in stärkerem Maße verringert, als sie durch die Temperatursteigerung an sich erhöht wird: Der Temperaturkoeffizient der Reaktion 8J' + J03' + 6H — > 3J3' + 3H.,0 ist bei Anwesenheit von vielem überschüssigen Natnumsulfat kleiner als i, er hat den Wert 0,83, d. h. die Geschwindigkeit der Reaktion nimmt bei einer Steigerung der Temperatur um 10" C, an- statt auf etwa das Doppelte zu steigen, auf den 0,83. Teil ab. Mg. Entwicklungsmechanik. Über die Verschie- bung der Vererbungsrichtung unter dem Einfluß der Kohlensäure berichtet Theodor Hinderer (Archiv f. Entwicklungsmechanik der Organismen, 38. Bd., 2. u. 3. H.). Er ließ die Eier von Sphaer- echinus granularis sich in Seewasser entwickeln, das aus einer Mischung von normalem Seewasser mit solchem Seewasser bestand, durch welches ein Kohlensäurestrom hindurchgeleitet worden war. Die Eier blieben verschieden lange Zeit (ungefähr 5 und 8 Stunden) darin und kamen dann wieder in gewöhnliches Seewasser zurück. Die Mischung bestand aus 70 ccm kohlensäure- haltigem und 30 ccm gewöhnlichem Seewasser; ein dritter Teil endlich verweilte 5 Stunden lang in reinem Kohlensäurewasser. Ein Teil der so behandelten Eier zeigte keine sichtbare Verände- rung, ein Teil entwickelte sich parthenogenetisch, die meisten aber zeigten eine Vergrößerung des Kerns schon vor der Befruchtung. Nach der Befruchtung mit den Samen einer anderen Art, Strongylocentrotus lividus, entwickelten sich aus den großkernigen Eiern Larven, die in den For- men und Körperverhältnissen des Skeletts viel mehr Übereinstimmungen mit der Larve der mütterlichen, als jener der väterlichen Art zeigten. Die Unterschiede waren so deutlich und standen mit der Kerngröße so regelmäßig in Zusammen- hang, daß man aus der Form des Skeletts bereits auf die Größe der Kerne — ob klein- oder groß- kernige Larven — schließen konnte. Die großen Kerne waren aus solchen von ge- wöhnlicher Größe dadurch entstanden , daß die ursprüngliche Chromatinmenge sich verdoppelte oder vervierfachte oder verachtfachte, ehe die Furchungsteilungen begannen. Die Rauminhalte der unbefruchteten Eikerne verhielten sich wie i : 2 : 4 : 8, standen also zu- einander in geradem Verhältnis ihrer Chromatin- mengen. Die Gastrulae, welche parthenogenetisch ent- standen, hatten teils kleine, teils große Kerne, je nachdem sie aus Eiern entstanden waren, deren Kerne sich sofort geteilt hatten, oder deren Kerne sich erst vergrößert hatten. Wie bei den Fur- chungskernen stand auch bei den Kernen der Larve der Inhalt in direktem X'erhältnis zur Chromatinmenge. Die Chromatinmenge jener Eikerne von Sphaer- echinus, in welche ein Spermakopf eingedrungen war, verhielten sich wie 2:3:5:9. Die Kubik- inhalte aber entsprachen nicht diesem Verhältnis. Der Grund dafür liegt sicher darin , daß der Spermakopf in bereits vergrößerte Kerne eintritt. Die mit kohlensäurehaltigem Seewasser be- handelten Eier bildeten keine Doltermembran; eine Mehrfachbefruchtung blieb aber trotzdem aus. 220 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 14 Vielleicht war durch jene Behandlung die Ober- fläche widerstandsfähiger gegen das Eindringen des Samenfadens geworden. Der Spermakopf dringt in den behandelten Eiern langsamer gegen den Eikern vor. Nicht selten blieben jene auch ganz unbefruchtet. Die Ergebnisse der Versuche von H. stimmen damit überein, daß die Entwicklung an einen ge- steigerten Sauerstoffverbrauch geknüpft ist. Wird nun die Sauerstoftaufnalime in das Wasser infolge der durch die Kohlensäuredurchströmung herbei- geführten Gasspannung herabgesetzt, so unter- bleiben die Furchungsteilungen, während der Ei- kern seine Chromatinmenge vermehrt. Dieselbe übertrifft schließlich die des Samenkerns um das Mehrfache. Die Mischung der Gestaltsmerkmale oder: die Vererbungsrichtung der Nachkommen hängt aber von dem Mischungsverhältnis der elter- lichen Kernmengen ab. Da jene des Eikerns überwiegt , so werden auch bei Bastardlarven die Eigenschaften der mütterlichen Art überwiegend zur Geltung kommen. Kathariner. Zoologie. Über die beschleunigende Einwir- kung des Hungerns auf die Metamorphose teilt Krizenecky (Biol. Centralblatt, 34. Bd., 1914, S. 46) folgendes mit. Bei den Wirbeltieren zeigen sich die Wirkungen des Hungerns in einer Ab- nahme des Glykogengehalts der Leber und einer Verminderung der Gallenproduktion. Nusbaum und Oxner (1912) hatten durch Hungern bewirkte Reduktionen, ähnlich jenen bei der Regeneration der Nemertinen festgestellt. Morgulis (1912) hatte gefunden, daß das Hungern auch ein positiv- katalytischer Faktor sein kann. Tiere von Triton cristatus, welche eine Zeitlang gehungert hatten und dann wieder ad libitum gefüttert wurden, ersetzten nicht nur das, was sie während des Hungerns verloren hatten, sondern übertrafen bald an Gewicht die regelmäßig gefütterten Kontroll- tiere. Das Hungern greift als förderndes Prinzip ein, indem es die morphogenetischen Vorgänge beschleunigt. D. Barfurt h erkannte dies als erster im Jahre 1887. Durch Hungern wurde die normale Metamorphose von Kaulquappen abge- kürzt. Es liege daran, meint er, daß überflüssige Gewebe schneller resorbiert würden. Auch die Natur bedient sich des Hungerns bei Metamorphosen. Schon Marie von Chauvin hatte gefunden, daß die Schwanzlurche während der Metamorphose nor- malerweise fasten, und nach Po we rs ( 19131 tritt die Metamorphose beim Axolotl nur dann ein, wenn man den Tieren nach guter Ernährung plötzlich die Nahrung entzieht. Ob dabei auch das Wasser entzogen wird, spielt keine Rolle. Weismann (1866) gibt an, daß die Larven von Corethra plumicornis, nachdem sie vollständig ausgewachsen sind, einige Zeit vor der Verpuppung keine Nah- rung mehr aufnehmen, womit sie nach seiner .An- sicht die Histolyse der inneren Gewebe ermög- lichen. K. nun fand diese Ansicht bei Versuchen mit den Larven des Mehlkäfers (Tenebrio) be- stätigt. Sie hören einige Tage vor der Verpuppung auf zu fressen, nehmen eine bogenförmige Gestalt an und bleiben so bis zur Verpuppung. Schon 1 887 hatte Keller beobachtet, daß durch Nahrungs- entzug die noch nicht ausgewachsenen Rebläuse zur Verwandlung in geflügelte Tiere veranlaßt werden. Pictet (1914) experimentierte mit Raupen von Vanessa spec. und fand eine Beschleunigung der Metamorphose durch Hungern. Uberernährte(!) Tiere ergaben melanotische, hungernde albinotische Formen. Kellog und Bell (1904) konnten da- gegen beim Seidenspinner durch Hungern keine Beschleunigung der Metamorphose erzielen. K. stellte Versuche über die Regeneration an Tenebriolarven an, die er hungern lassen mußte. Um zu sehen, was bei seinen Versuchen auf Rech- nung des Hungerns und was auf Rechnung der Regeneration kam, legte er eine Kontrollkultur an. Er unterwarf seinen Versuchen drei Gruppen von Larven, die dem Aussehen nach untereinander gleich alt waren, zwei von je 100, eine von 80 Tieren. Davon wurde je die Hälfte reichlich, die andere nicht mit Futter versehen. In allen drei Gruppen begann die Verpuppung der hungern- den Larven früher. Die hungernden Larven zeigten verschiedenes Verhalten: bei den einen hatte das Hungern eine positive, bei den anderen eine negativ- katalytische Wirkung. Es gibt nämlich in der Larvenentwicklung einen kritischen Punkt; ist derselbe schon erreicht evtl. überschritten, führt das Hungern zu einer Be- schleunigung der Metamorphose, bei noch jüngeren Larven dagegen zur totalen Verhinderung derselben und die Larven gehen zugrunde. Ahnliches zeigen auch die Larven anderer Tiere. Laufberger (1913) fand, daß Larven vom Axo- lotl (Amblystoma mexicanum) sich normal ver- wandelten, wenn sie mit Schilddrüse gefüttert wurden, nachdem sie sich bereits über 10 Jahre lang neotenisch fortgepflanzt hatten. Auch hier gab es ein Optimum und ein Minimum. Jedenfalls steht die Tatsache fest, daß die Metamorphose der Insekten durch das Hungern der Larven beschleu- nigt werden kann. Nach Barfurth ist die beschleunigende P^in- wirkung des Hungerns auf die Metamorphose sehr einfach zu erklären. Einige Tage nach Entstehung der Hintergliedmaßen kann man schon mit bloßem Auge oder der Lupe bei der Froschlarve jederseits in der Gegend der Kiemenhöhle einen Hautwulst sehen, unter dem beim Zappeln des Tieres eine lebhafte Bewegung stattfindet. Dieselbe wird her- vorgerufen durch die \"ordergliedmaßen, welche schon mit Füßen und Zehen vollständig ausge- bildet unter der Haut liegen. Nur die letztere hält sie noch zurück und sie brechen durch, so- bald die Haut dünn genug geworden ist. Letzteres wird dadurch herbeigeführt, daß die Elemente der Kutis resorbiert werden, und diese Resorption wiederum geht bei fastenden Tieren schneller vor sich. So würde sich die paradoxe Tatsache er- klären, daß der Hunger auf die Entwicklung för- N. F. XIII. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 221 dernd einwirkt. Aber bei den Insel:h des Humber, bis Irland, fast bis Gibraltar und im Südosten bis Norditalien. So ist jetzt in den Hauptzügen die Natur und der Wanderzug der Sclileswiger Lachmöven geklärt. Die Markierungen von deutschen S e e - schwalben lassen es vorläufig auf Grund der eihaltenen Rückmeldungen als wahrscheinlich er- scheinen, daß aller Zug nur der Küste folgt und Besuche des Binnenlandes nicht sehr ausgedehnt und selten sind. Interessante Ergebnisse er- brachten die Rückmeldungen über in Ungarn be- ringte Lachmöven. Außer der Lachmövenkolonie im See von Velencze wurde eine zweite Kolonie im Nordosten Ungarns in Bodrogszerdahely auf- gefunden. Aus den zahlt eichen Rückmeldungen — eine 4Y2 Jahre alte, am 19. Juni 1908 mit Ring Nr. 615 markiert — ist zu ersehen, daß, während ein Teil der Velenczer Lachmöven die Kolonie erst im November zu verlassen begann, andere Ende November schon bei Napoli, Mitte Dezember bei Fiume, Mitte Jänner in Brindisi und Tunis, jedenfalls im Winterquartier, sich be- fanden. So bevölkert also die Lachmövenkolonie eines kaum einige Quadratkilometer weiten Brut- gebietes ein Winterquartier, dessen extreme Punkte in der Luftlinie 1500 km voneinander entfernt sind. Mit Ringen der ungar. ornitholog. Zentrale hat Forstmeister Curt Leo; zahlreiche Lachmöven am Hirnsensee in Nordböhmen gezeichnet. Über diese böhmischen Lachmö/en sind im Jahre 191 3 bei der ungarischen Zentiale 11 Rückmeldungen eingelaufen, welche besagen, daß diese Möven der N. F. Xra. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 227 Elbe folgend, also in nordwestlicher Richtung, ihr bis zur Seinemündung sich erstreckendes Winterquartier aufsuchen, während man im Hin- bUck darauf, daß die Lachmöven von Rossitten zum Teile ebenfalls wie die ungarischen das Mit- telmeer als Winterquartier aufsuchen, auch die Winterquartiere der böhmischen Lachmöven viel südlicher gesucht hätte. Vor der Einführung des Ringversuches in die Vogelzugforschung waren eben unsere Zugtheorien ganz auf die südliche Richtung eingestellt. Hier hat also wieder der Ringversuch Aufklärung gebracht. Deutlich zeigt sich da die Wichtigkeit der Elbe als topographischer Faktor. Auch für den Rück- zug ist sie im Frühjahre den Lachmöven der Wegweiser. Es scheint sich da auch für die Lach- möve zu bewahrheiten, was Jakob Schenk') für den weißen Storch festgestellt hat, daß als Winterquartiere jene klimatisch und hinsichtlich der Ernährungsverhält- nisse entsprechenden Gebiete gewählt werden, welche am leichtesten, also am sichersten zu erreichen sind. Bei dem großen Interesse, daß der Wald- schnepfe in allen Jägerkreisen entgegengebracht wird, und der ausführlichen Berichterstattung der fachmännischen Presse über das Kommen und Gehen dieses Vogels hat man sich von der Mar- kierung dieses Wandervogels reichliche Ergebnisse versprochen. Aber die technischen Schwierigkeiten der Schnepfenberingung, die eine größere Aktion wie bei den kolonienweise brütenden Vögeln un- möglich machen, sind sehr große. In Ungarn ist der erste diesbezügliche Versuch gescheitert. Gün- stiger waren die Ergebnisse anderen Ortes. W. V. Dietz hat im Juli 191 1 bei Gatschina (in der Umgebung von St. Petersburg) eine junge Wald- schnepfe beringt. Diese ist im Dezember 191 1 im Departement Gers in Südfrankreich geschossen worden. Im Sommer 1912 hat Jägermeister W. V. Dietz-) im Gatschinarevier wieder sechs junge Waldschnepfen beringt. Von diesen wurde eine, die am 21. Juli den Ring Nr. 4618 erhalten hatte, im Dezember 191 2 in der Gegend von Visignano in Istrien erlegt. Diese beiden Rückmeldungen über Ringschnepfen erweisen, daß in einem und demselben Revier erbrütete Waldschnepfen in zwei auf einander folgenden Jahren ganz verschiedene Winterquartiere aufsuchten, einmal westlich, einmal östlich an den Alpen vorbei ihren Weg genommen haben. Und noch über eine dieser von v. Dietz beringten Waldschnepfen kam eine Rückmeldung. •') Es wurde nämlich die am 27. Juli 191 2 mit Ring Nr. 4621 markierte Waldschnepte am 24. März 191 2 im Freckenfelder Gemeindewalde, südlich von Landau in der Rheinpfalz, auf dem Abend- *) Das Experiment der Vogelzugforschung. Von Jakob Schenk, Budapest 19 10. ^) Bericht von Dr. J. Thienemann in Reichenow's Ornithologische Monatsberichte, 19 13, Märzheft. ^) Bericht von Dr. Th ienemann. Reichenow's Ornitho- logische Monatsberichte, 1913, Maiheft. Striche erlegt. Drei Rückmeldungen auf sieben Beringungen ist wohl ein so günstiges Resultat, daß es zu fortgesetzter Schnepfenberingung an- spornen muß. Auf der Vogelwarte Helgoland wurde am 6. November 1910 vormittags eine Waldschnepfe im Drosselbusch gefangen und mit Ring Nr. 3851 gezeichnet. Diese Schnepfe wurde am 16. August des nächsten Jahres bei Jönköping in Südschweden im Brutgebiete erlegt. Dieser Fall bestätigt die von Dr. Hugo Weigold wiederholt ausgesprochene Ansicht, daß die Helgoländer Wald Schnepfen wenigst ens zum Teil in Südschweden brüten. Es müßte doch zum mindesten für den Jäger von Interresse sein, gewiß aber auch praktischen Wert haben, bestimmt zu wissen, was mit den jährlich in einem bestimmten Gebiete erbrüteten jungen Rebhühnern geschieht, ob auch sie wie die Eltern in den Gebirgsrevieren bleiben oder fortziehen und ob die Rebhühner größere Wande- rungen unternehmen. Auch hier würde der Ring- versuch Aufklärung bringen. Ein solcher Versuch ist von Harald Baron Loudon') gemacht worden. Er markierte in Lisden bei Wolmar am I. August 1909 auf seinem Gute drosselgroße junge Rebhühner mit Ringen der Rossittener Vogelwarte. Am 21. August 191 1, also nach 2 Jahren 20 Tagen, wurde eines dieser Hühner, mit Ring Nr. 1050 markiert, in Osthof am Burt- neksee, etwa 20 km nordwestlich von der seiner- zeitigen Markierungsstelle, erbeutet. Der Vogel ist also der näheren Umgebung seiner Heimat treu geblieben und hat da auch gebrütet. Durch die früheren und die im Vorjahre be- kannt gewordenen Rückmeldungen über in Ungarn beringte Purpurreiher (Ardea purpurea) ist die Zugsweise dieser Reiher völlig klargelegt. Sie überwintern im südlichsten Italien, in Kalabrien und auf Sizilien und kehren in ihre Geburts- kolonien oder deren nächste Umgebung wieder zurück. Aber man kennt das Durchzugsgebiet noch nicht, da keine der eingelangten Rückmel- dungen von einem zwischen den beiden Endpunkten ihres Reiseweges gelegenem Orte stammt. Auch die Nachtreiher (Nycticorax nycticorax) über- wintern, wie aus den eingelangten Rückmeldungen zu ersehen ist, im südlichen Italien und kehren in ihre Blutkolonien zurück. Von einer bestimmten Gesetzmäßigkeit ihres Zuges kann aber nicht die Rede sein, man findet einzelne Nachtreiher noch im Oktober in der Nähe ihrer Brutplätze, andere schon anfangs September in den südlichen Winter- quartieren. Über die weißen Störche, diese idealen Ringvögel, bringen die Markierungsversuche immer wieder neue Aufschlüsse. Über von der Vogel- warte Rossitten beringte Störche sind im Jahre 1912 wieder 16 Rückmeldungen, über 3 einjährige, 2 zweijährige, 8 dreijährige, 2 vierjährige und i ') Bericht von Dr. J. Th ienemann in ,, Deutsche Jäger- zeitung", 61. Bd., Nr. 7. 228 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 15 fünfjährigen Ringstorch, eingelangt. Sie erweisen neuerlich, daß die norddeutschen Störche von ihren südlichen Winterquartieren in ihr engeres Heimats- gebiet und oft in die unmittelbare^ Nähe ihres heimatlichen Horstes zurückkehren, und zwar schon im ersten Jahre, wenn sie noch nicht fortpflanzungs- fähig sind. Auch eine bisherige ganz auffällige Lücke in der Reihenfolge biologischer Details aus dem Storchleben, daß es nämlich bisher nicht möglich gewesen, einen beringten Storch am Horste anzutreffen, erscheint jetzt aus- gefüllt.^) Am 27. Juni 1913 wurde auf einem Horste in Seligenfeld bei Königsberg ein männ- licher Storch erbeutet, der mit Ring 1321 der Rossittener Vogelwarte gezeichnet war. Man konnte daher feststellen, daß dieser Storch vor genau fünf Jahren im Juni 1908 in Adl. Spandienen bei Königs- berg, etwa 7,5 km von der Erbeutungsstelle ent- fernt, beringt worden war. Er hatte sich mit seiner Ehegenossin im F'rühjahre auf dem Horste ein- gefunden, ohne das es aber, obschon das Paar den ganzen Sommer dablieb, zum Aufziehen von Jungen gekommen wäre. Was die 1 1 Rückmeldungen über beringte ungarische Störche betrifft, die im Vorjahre bei der ungar. ornitholog. Zentrale ein- gelangt sind, so verdienen da zwei Fälle eine be- sondere Erwähnung. Am 25. Juni 191 2 wurde in Hödsäg ein Jungstorch mit Ring Nr. 48 11 ge- zeichnet. Dieser Ringstorch wurde am 3. März am Kasiliefluß bei Ekwendeni in British Nyassaland erlegt. Damit ist eine neue Winterstation der weißen Störche bekannt geworden. Am 30. Juli 191 3 wurde in Kuvuklia bei Brussa in Kleinasien ein ungarischer Ringstorch aufgefunden, dessen Ring Nr. 4948 besagte, daß er am 26. Juni 1912 in Apatin beringt worden ist. Diese kleinasiatische Station gehört nicht in den heute bekannten Reise- weg des weißen Storches und besagt, daß die noch nicht fortpflanzungsfähigen Störche sich nach Weg und Zeit nicht an den normalen Zug halten, daß sie ihre Reise bummelnd zurücklegen, daß sie sich viel- leicht über die Reiseroute orientieren. Das ist bei den Schwalben, bei welchen auch die einjährigen Individuen schon fortpflanzungsfähig sind, anders. Hier haben es die alten und jungen Vögel gleich eilig, in die Brutgebiete zurückzukommen. Über eine andere das Storchleben betreffende Frage ist jetzt Aufklärung geworden. Es treiben sich nämlich in jedem Jahre im Mai und Juni, zu einer Zeit also, da die brütenden Paare mit den verschiedentlichen Aufgaben des Brutgeschäftes vollauf zu tun haben, einzelne Storchindividuen auf den Wiesen und F"eldern herum. Das Volk nennt sie in der Meinung, daß es Männchen seien, die keine Weibchen gefunden haben, ,,Storch- j unggeseU en". In manchen Jahren treten sie zahlreicher, in anderen spärlicher auf. Die Jäger bezeichnen diese herumvagierenden Störche, weil sie eifrig hinter Junghasen, jungen Rebhühnern und Fasanen her sind, als „Raubstörche" und schonen sie nicht. Eingehende Untersuchungen, die Dr. J. T h i e n e m a n n anatomisch an ihm ein- gesandten Exemplaren und in Rücksprache mit Jägern angestellt hat, haben nun ergeben, daß diese Einzelstörche durchaus incht lediglich Männ- chen sind, sondern unter ihnen beide Geschlechter vertreten sind, die sich also untereinander paaren könnten, daf3 solches Herumstreifen eheloser Störche mit den Nahrungsverhältnissen in den verschiedenen Jahren zusammenhängt. Es gibt gute und schlechte Storchjahre. Das Jahr 1912 war, wie J. Schenk betont, ein ausnehmend gutes Storchjahr, in welchem viel weniger Horste unbesetzt blieben, die Gelege eine größere Anzahl von Eiern aufwiesen. Auf dieses Maximum folgte im Jahre 1913, in welchem viele Horste unbesetzt blieben, die Nahrungsverhält- nisse schlechte waren, heftige Stürme die Horste beschädigten oder gnnz vernichteten, ein sehr schlechtes Storchjahr. In solchen schlechten Jahren tritt bei vielen Individuen eine Pause im Geschlechts- leben ein, sie nisten nicht, sondern treiben sich vagabundierend herum. Solch ein Vagant war gewiß auch der fünf|ährige Ringstorch, der, am 10. Juli 1908 von J. Schenk in Hidveg mit Ring Nr. 207 markiert, am 31. Juli 191 3 in nächster Umgebung von Hidveg tot aufgefunden worden war. Diese Ergebnisse über die „Raubstörche", die sich in gleicher Zahl aus Männchen und Weib- chen zusammensetzen, stellen auch die An- nahme, daß in derVogelwelt die Männ- chen numerisch überwiegen, in Furage. Seit Mai des Vorjahres besitzt auch Österreich, das bisher neben Spanien, Italien und den Balkan- staaten einer Vogelmarkierungsstation entbehrte, eine solche in der von Eduard Paul Tratz aus eigenen Mitteln begründeten Ornithologi- schen Station in Salzburg, die auch schon ihren ersten Jahresbericht ') veröffentlicht hat. Es wurden im Jahre 1913 an 1650 Ringe versendet, von denen 365 bereits zur Markierung verwendet worden sind. Trotz der kurzen Zeit, während welcher die Salzburger Station in die Vogelmar- kierung eingetreten ist, liegen schon zwei Rück- meldungen vor. Eine am 5. Juli 191 3 von Graf M e nsdorff-Poully in Chotelice (Böhmen) mit Ring Nr. 580 markierte junge Krickente wurde am 22. Oktober, etwa 5 Kilometer vom Beringungs- orte entfernt, erlegt. Eine am 15. Mai 191 3 von Tratz in Salzburg mit Ring Nr. 594 versehene Rabenkrähe wurde arri 8. August in nächster Nähe des Beringungsortes geschossen. Diese beiden Fälle ergeben, daß junge Krickenten und junge Krähen verhältnismäßig lange in der Nähe ihres Brutortes verweilen. So hat man alle Ursache, mit den fortgesetzten Erfolgen des Ringversuches sehr zufrieden zu sein. Wer hätte in so kurzer Zeit solche Resultate er- ') Bericht von Dr. J. Thicnemann in Reichenow's Ornithologische Monatsberichte 1913, Septemberheft. ') I. Jahresbericht der Ornithologischen Station in Salz- burg, 1913. Von Eduard Paul Tratz. N. F. XIII. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 229 warten dürfen. Freilich sind noch zahlreiche Lücken auszufüllen, steht noch auf so manche Frage die Antwort aus. Obschon in Ungarn J. Schenk allein jährlich an 50 — 70 Störche seit 1909 beringt hat, ist noch kein einziger dieser ungarischen Ringstörche irgendwo als Brutvogel aiigetroften worden. Ebenso noch keine ungarische beringte Lachmö\e. Bis zum heutigen Tage ist es auch noch nicht geglückt, auch nur über eine einzige der beringten iVIehl- und Rauchschwalben von einem Orte außerhalb der Grenzen Ungarns eine Rückmeldung zu erhalten. Von etwa 700 be- ringten Sichlern ist noch keiner außerhalb der ungarischen Landesgrenze angetroffen worden. Die Vogelmärkte in Italien, Griechenland, Nord- afrika könnten da wohl manchen Beleg liefern ! Mit Recht macht Dr. Hugo Weigold weiter Die Bedeiitniig der Konjugation bei den Infusorien. Von Dr. Hans Nachtsheim, Freiburg i. B. [Machdruck verboten.] Vor einigen Jahren schrieb der amerikanische Protozoologe C a 1 k i n s in einem größeren Werk über Protozoenkunde : ') „Wenn wir solch eine vollständige Reihe von Zellen nehmen könnten, wie sie durch die wieder- holten Teilungen eines befruchteten Protozoons gebildet wird, und wenn wir sie dann zu einer Masse von Zellen vereinigen könnten, so erhielten wir das Analogon zu einem Metazoon und wür- den finden, daß das Protoplasma, das der Haufen von Zellen darstellt, die gleichen aufeinander fol- genden Perioden von Lebenskraft aufweist, die für die Metazoen charakteristisch sind: Jugend, Reife und Alter. Wir würden finden, daß die jungen Zellen sich rascher teilten, als sie es später in dem Zyklus tun; wir würden finden, daß sie nach einer gewissen Zeit ihre geschlechtliche Reife er- langen und fähig sind zu konjugieren und so die Rasse fortzusetzen; und wir würden finden, daß 1 schließlich Zeichen einer geschwächten Lebens- 1 kraft und einer Degeneration sichtbar werden in dem Haufen von Zellen, und daß sie schließlich 1 alters sterben." Calkins ist also der Ansicht, daß ein Infusor, ein Paramaecium z. B., sich eine Zeit lang unge- schlechtlich durch Teilung fortzupflanzen vermag, daß aber dann schließlich eine Zeit kommt, wo es konjugationsbedürftig wird. Durch die Konju- gation wird der ganze Organismus vollständig verjüngt, das Tier wird zu neuer ungeschlecht- licher Vermehrung befähigt. Unterbleibt aber die Konjugation, so gehen die Tiere einer Degenera- tion entgegen und sterben schließlich ab. Die Theorie, daß die Konjugation eine Ver- jüngung des Organismus zur Folge hat, ist nicht darauf aufmerksam, wie wünschenswert es wäre, wenn junge eifrige Mitarbeiter verschiedene wich- tige zoogeographische Unterlagen für die Vogelzug- forschung bearbeiten würden, Dissertationen dieser Art erscheinen würden. Eine sehr gute Idee war die Abhaltung eines fünftägigen Kurses (während der Pfingstferien) über Vogelschutz und ])raktische Vogelkunde an der Vogelwarte Rossitten. Wie not solche Unter- weisungen besonders für angehende Landwirte tun, mag die Mitteilung Prof. Thienemanns zeigen, daß ein Ackerbauschüler, also ein junger Mensch, der acht Jahre lang eine Land- oder Stadt- schule durchgemacht hat, auf eine bezügliche Frage des Lehrers antwortete: „Die Krähe bringt acht lebendige Junge zur Welt, welche 15 cm lang sin d." neu; sie wurde bereits in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts von Bütschli aufgestellt und hat zahlreiche Anhänger gefunden. Seit langem weiß man, daß bei der Konjugation der Makronukleus zugrunde geht, daß in jedem der konjugierenden Tiere die Mikronuklei die sog. Reifungsteilungen durchmachen und dann ein Aus- tausch von Kernsubstanz erfolgt. Hierauf trennen sich die Konjuganten wieder, und der Makronukleus wird vom Mikronukleus neu gebildet. Das macht allerdings den Eindruck, als ob hier eine „Ver- jüngung" vor sich gehe. Der alte Makronukleus, der den somatischen Funktionen des Organismus vorsteht, wird aufgelöst, es wird ein neuer ge- bildet vom generativen Kern, dem Mikronukleus, jedoch auch nicht von dem alten Mikronukleus, sondern dieser hat zuvor Substanz abgegeben und statt dessen Substanz von einem anderen Indivi- duum aufgenommen. Aber ist denn wirklich eine solche „Verjüngung" des Organismus nötig, vermag sich wirklich ein Infusor ohne Konjugation nicht unbegrenzte Zeit ungeschlechtlich zu vermehren.? Ausgedehnte, in den letzten Jahren ausgeführte Experimente haben in der Tat gezeigt, daß eine solche Vermehrung möglich ist. Woodruff) ist es gelungen, eine Rasse von Paramaecium 5V.2 Jahre lang zu züch- ten. In dieser Zeit erzeugte die Rasse, die sich unter täglicher Beobachtung befand, 334oGene- rationen, ohne daß jemals eine Konju- gation in dieser Rasse erfolgte. Eine Abnahme der Lebenskraft konnte nicht festgestellt werden. ,,Die Organismen der jetzigen Genera- tionen", schreibt Woodruff, der die Rasse noch weiter fortführt, „sind ebenso normal in ihren morphologischen und physiologischen Verhält- nissen wie das originale „wilde" Individuum, das ') Callsins, G. N., Protozoology. New York and Phila- delphia, 1909. ') Woodruff, L. L. , Two thousand generations of Paramecium. Arch. f. Protistenk., 21. Bd., igil. — — , Dreitausend und dreihundert Generationen von Paramaecium ohne Konjugation oder künstliche Reizung. Biol. Ccntralbl., 33. Bd., 1913. 230 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. IS als Ausgangstier der Kultur isoliert wurde." Woodruff kommt daher zu dem Resultat, „daß das Protoplasma einer einzigen Zelle unter günstigen äußeren Umständen ohne Hilfe von Konjugation oder einer künstlichen Reizung imstande ist, sich unbegrenzt fortzupflanzen", und ,,daß das Altern und das Befruchtungsbedürf- nis nicht Grundeigenschaften der leben- digen Substanz sin d". Was bewirkt nun aber die Konjugation? Wenn wir in der Literatur Umschau halten, so finden wir, daß wirklich einwandfreie größere Unter- suchungen über die Wirkung der Konjugation bisher fehlten. Man hat zwar des öfteren konju- gierende Protozoenstämme mit nichtkonjugieren- den verglichen und will gefunden haben, daß die konjugierenden in mancher Hinsicht im Vorteil waren gegenüber den nichtkonjugierenden, aber man hat niemals — jedenfalls nicht in ausreichen- der Weise — konjugierende Infusorien mit solciien verglichen, die zwar zur Konjugation bereit waren, die man aber künstlich an der Konjugation ver- hindert hat. Diese Lücke durch ausgedehnte Untersuchungen ausgefüllt zu haben, ist das Ver- dienst des amerikanischen Protozoenforschers Jen nings. ') Jennings benutzte zu seinen Experimenten ebenfalls das klassische Objekt der experimentellen Protozoenforschung, das Paramaecium. Konju- gierende Tiere erhält man leicht, wenn man das Medium, in dem sich die Tiere befinden, schroff wechselt. Wurde am Abend eine größere Anzahl Paramaecien einer Stammkultur entnommen und in Uhrgläschen gebracht, so konnte Jennings damit rechnen, am folgenden Morgen Tiere in be- ginnender Konjugation zu finden. In diesem Stadium — die Tiere legen sich zunächst mit den Vorderenden aneinander — hat die Reifung der Mikronuklei noch nicht begonnen, und es ist jetzt noch leicht, die beiden Individuen wieder zu trennen. Die künstliche Trennung, welche durch wiederholtes Einziehen der Tiere in eine fein ausgezogene Pipette geschieht, überstehen diese ganz gut, vorausgesetzt nur, daß die Tren- nung im Anfangsstadium der Konjugation erfolgt. Einen Teil der konjugierenden Tiere trennte Jennings auf die soeben beschriebene Weise, einen anderen Teil ließ er die Konjugation be- enden; erstere bezeichnet er als „splitpairs" im Gegensatz zu den letzteren, den „pairs". Nach der Konjugation wurden die beiden Individuen eines „pair" in Einzelkultur genommen und ihr weiteres Verhalten ebenso wie das der , split-pairs" beobachtet. Um die Nachkommen der ,, pairs" und „split-pairs" miteinander vergleichen zu können, ist es natürlich notwendig, alle unter ganz den ') Jennings, H. S., The effect of conjugation in Para- meciuni. Journ. of e.xperim. Zoöl., Vol. 14, 1913. Jennings, H. S. and Lashley, H. S., Biparental in- heritance and the question of sexuality in Paramecium. Journ. of experim. Zoöl., Vol. 14, 1913. gleichen äußeren Bedingungen zu halten. Und um z. B. die Teilungsrate einer Linie genau fest- stellen zu können, ist es notwendig, die Kulturen täglich zu kontrollieren und, falls sich ein Tier geteilt hat, die Tochtertiere wieder zu isolieren. Jennings teilt die von ihm in großer Zahl angestellten Experimente ausführlich mit. An der Hand einiger seiner Tabellen wollen wir seine Resultate kurz betrachten. In Tabelle i ist die Zahl der Teilungen in den ersten drei Wochen von je 1 5 Linien von „pairs" und „split-pairs" wiedergegeben. Ein Tier, das konjugiert hatte, teilte sich also in der ersten Woche nach der Konjugation omal, in der zweiten Woche mial, in der dritten Woche starb diese Linie aus (t^tot); ein anderer „Exkonjugant" — wie wir die Tiere, die konjugiert haben, auch nennen — teilte sich in der ersten Woche imal, wieder ein anderer 5mal usw. Ein Paramaecium, das künst- lich an der Konjugation verhindert worden war, machte in der ersten Woche 6 Teilungen durch, in der zweiten 4, in der dritten 7 usw. Tabelle i. Erste Woche: „Pairs" 0 1 5 S 4 2 I 5 0 S 6 3 2 4 0 ,, Split-pairs" 6 6 8 7 7 7 7 7 7 8 7 8 7 7 7 Zweite Woche : ,, Pairs" 1 2 6 5 6 6 0 S 2 4 S 5 I 2 6 ,, Split-pairs" 4 6 6 7 ö 5 4 6 6 4 5 6 5 6 6 Dritte Woche: ,, Pairs" t t 8 6 8 I 0 5 0 6 6 3 3 t 8 „Split-pairs" 7 9 6 9 7 6 6 8 6 5 9 10 9 8 7 Wenn wir die Tabelle überschauen, so fallt uns sofort auf, daß die Abkömmlinge der „split-pairs" sich viel reger vermehrten als die der „pairs". So teilten sich die 15 Abkömmlinge der „pairs" in der ersten Woche zusammen 43 mal, die 15 der„split pairs" hingegen in derselben Zeit 106 mal. In der dritten Woche gingen 3 von ,, pairs" stam- mende Linien zugrunde, die übrigen 12 vermehrten sich 54 mal. Die Fortpflanzungsrate der 15 „split- pairs"-Linien in der dritten Woche ist wieder be- trächtlich höher, sie vermehrten sich 112 mal Ähnliche Resultate erhielt Jennings in allen seinen übrigen Experimenten. Zwar war in einigen wenigen Fällen ein Unterschied in der Teilungs- rate der ,, pairs"- und der ,,split-pairs"-Linien nicht zu bemerken, niemals aber teilten sich die Para- maecien nach der Konjugation schneller als die an der Konjugation verhinderten Tiere. Dieses Resultat mag zunächst überraschen. Sind doch die zahlreichen Anhänger der Verjüngstheorie größtenteils der Ansicht, daß die Konjugation das Infusor zu zahlreichen neuen Teilungen befähigt, daß durch sie die Teilungsrate gehoben wird. Und doch ist die Feststellung Jennings nicht neu. Zwei so ausgezeichnete Protozoenforscher N. F. XIII. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 231 wie Maupas') und R. Hertwig'-j sind bereits vor längerer Zeit zu dem gleichen Resultat ge- kommen. R. Hertwig, trotz dieser Beobachtung — ebenso wie Maupas — ein Anhänger der Verjüngungstheorie, suchte seine Befunde in der Weise zu erklären, d?Q er annahm, durch die ständige ungeschlechtliche Vermehrung werde die Teilungsrate erhöht und schließlich eine Höhe er- reicht, die für den Organismus schädlich ist, durch die Konjugation aber werde dann die Vermehrungs- fähigkeit wieder in normale Bahnen gelenkt. Jen- nings hingegen sieht in der Wirkung der Kon- jugation auf die Teilung; rate wohl mit Recht einen Beweis gegen die Richtigkeit der Verjüngungs- theorie. Ein weiterer wichtiger Grund, die Verjüngungs- theorie entschieden abzulehnen, ist für Jennings die Tatsache, daß die Sterblichkeit unter den Ex- konjuganten viel größer ist als unter den an der Konjugation verhinderten Tieren. Betrachten wir nochmals die Tabelle 1. Die „split-pairs"-Lii ien zeigen in der dritten Woche alle eine normale Vermehrung. Von den ,,pairs"-Linien sind drei eingegangen, zwei Tiere, die auch in den beiden ersten Wochen sich kaum vermehrt hatten, haben sich nicht geteilt. Das ist also nichts weniger als eine Erhöhung der Lebenskraft infolge Konjugation I Nur in zwei Fällen war die Sterblichkeit unter den Nachkommen der „split-pairs" größer als die der Exkonjuganten. Da aber in beiden Fällen besondere Umstände vorlagen, kommen sie hier nicht in Betracht. In dem einen Falle wurden die Kulturen einer abnorm hohen Temperatur — 32 " C ■ — ausgesetzt. Diese hohe Temperatur vertrugen die ,,pairs" wesentlich besser als die ,,split pairs". Wir werden weiter unten noch darauf zu sprechen kommen, wie dieses Resultat zu er- klären ist. Im zweiten Falle handelte es sich um Tiere, die sich in einer sog. ,, Depressionsperiode" befanden; schwache Vermehrung und große Sterb- lichkeit war für diese Kultur charakteristisch. Es ist schon seit langer Zeit bekannt, daß solche Tiere außerordentlich schwer zur Konjugation zu bringen sind. Jennings aber legte besonderen Wert darauf, gerade in dieser Kultur Konjuganten zu erhalten. Denn wenn tatsächlich die Konjuga- tion den Organismus verjüngt, so mußte das hier am deutlichsten zutage treten. Es gelang Jen- nings denn auch, wenigstens drei Paare zur Konjugation zu bringen, die er alle die Konjuga- tion beenden ließ. Die sechs von diesen Konju- ganten stammenden Linien verglich er mit Tieren, der gleichen Kultur, die nicht konjugiert hatten, wohlgemerkt also nicht, wie in den übrigen Ex- ') Maupas, E., Recherches experimentales sur la tnulti- plication des infusoires cilies. Arch. d. Zool. experim. et ^en., Ser. 2, Tome 6, 1888. — — , La rajeunissement karyogamique cliez les cilies. Arch. d. Zool. experim. et gen., Ser. 2, Tome 7, 1889. ^) Hertwig, R., Über die Konjugation der Infusorien. Abhandl. d. II. Kl, d. königl. bayr. Akad. d. Wiss., 17. Bd., 1889. ' perimenten, mit ,, split-pairs", mit zur Konjugation bereiten Tieren, sondern mit solchen, die unter keinen Umständen zur Konjugation zu bringen waren. Die Tiere, welche nicht konjugiert hatten, starben alle nach kurzer Zeit ab. Aber auch die Exkonjuganten zeigten keineswegs eine erhöhte Lebenskraft. Vier Linien starben ebenfalls sehr bald aus. Daß wenigstens zwei Linien von P^x- konjuganten sich weiter fortpflanzten, findet darin seine Erklärung, daß in dieser stark in Depression befindlichen Kultur nur die lebenskräftigsten In- dividuen überhaupt noch zu konjugieren vermoch- ten, während den meisten die Kraft dazu bereits fehlte. Daß also die letzteren in kurzem zugrunde gingen, kann uns nicht wundern, daß aber auch das Schicksal jener die Konjugation nicht zu ändern vermochte, beweist uns die Unhaltbarkeit der Ver- jüngungstheorie. Wenn wir von diesen beiden eine besondere Betrachtung verlangenden Experimenten absehen, war, wie gesagt, die Sterblichkeit in den „pairs"- Linien regelmäßig größer als in den „split-pairs"- Linien und zwar erwies es sich als ganz gleich- gültig, ob die beiden Konjuganten einer „wilden" Kultur entstammten oder ob sie in irgendeiner verwandtschaftlichen Beziehung zueinander standen, ob sie, um einen Ausdruck aus der Vererbungs- wissenschaft zu gebrauchen, einer „reinen Linie" angehörten. Der Grund für die größere Sterblich- keit unter den Exkonjuganten ist vielleicht in dem Verlaufe der zytologischen Prozesse während der Konjugation zu suchen. Irgendwelche Unregel- mäßigkeiten bei der Reifung oder beim Austausch der Kernsubstanzen können zur Bildung von In- dividuen führen, denen infolge irgendeines Mangels die weitere Lebensfähigkeit durch die Konjugation genommen ist. Vielleicht werden auch durch die Konjugation neue Kombinationen, neue Varianten geschaff'en, von denen ein Teil den gegebenen Verhältnissen nicht genügend angepaßt ist. Daß die Bildung von Abnormitäten durch die Konjugation gefördert wird, dürfte auf dieselbe Ursache zurückzuführen sein wie die Erhöhung der Sterblichkeit. Wir haben bisher nur vernommen, in welcher Hinsicht die „pairs" im Nach teil sind gegenüber den „split pairs". Welchen Vorteil aber bringt die Konjugation den Konjuganten? Auch auf diese Frage glaubt Jennings eine Antwort geben zu können. In Tabelle 2 sind die Zahlen der Teilungen in einer Anzahl „pairs"-Linien den Teilungszahlen in einer Anzahl „split-pairs"-Linien in der gleichen Zeit gegenübergestellt, und zwar das Minimum einerseits, das Maximum andererseits. Die Nach- kommen von „pairs" teilten sich also z. B. in acht Wochen im Minimum 25 mal, im Maximum 38 mal, die Nachkommen von „split-pairs" in der gleichen Zeit im Minimum 37 mal, im Maximum 47 mal. In den in der Tabelle angegebenen Experimenten ist überall der Unterschied zwischen Minimum und Maximum der Teilung bei den Nachkommen der 232 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 15 Exkonjuganten größer als bei den „split- pairs"- Linien. Jennings zieht hieraus den wichtigen Schluß, daß die Konjugation die Variabilität — hier also die Variationsbreite der Teilungszahl — erhöht. Die Berechnung des Variationskoeffizienten und der Standardabweichung ') ergab , daß diese bei den Abkömmlingen von „pairs" mehr als doppelt so groß sein können als bei denen von „split-pairs". '') Tabelle 2. Zeit „Pairs" „Split- Dairs" M nimum Maximum Minimum Maximum Wilde Kulturen: I. u. 2. Woche 0 12 7 15 3. u. 4. Woche 0 16 6 20 8 Wochen 25 3S 37 47 4 Tage 2 10 8 13 Reine Linien : 20 Tage I 17 6 17 6 Tage 0 6 4 () 12 Tage 6 16 8 '5 S Tage I 17 8 IS Es leuchtet ohne weiteres ein, daß eine Ver- größerung der Variabilität für einen konjugieren- den Infusorienstamm von hoher Bedeutung sein muß. Die Konjugation erfolgt, wie bereits her- vorgehoben wurde, besonders dann, wenn die äußeren Bedingungen wechseln. Durch die Kon- jugation können dann Varianten geschaffen wer- den, denen die neuen Verhältnisse mehr zusagen, die besser an sie angepaßt sind als die Individuen vor der Konjugation. Andere Varianten freilich werden auch schlechter angepaßt sein, sie sind vielleicht teilweise überhaupt nicht lebensfähig in den neuen Verhältnissen. Immerhin wird durch die Konjugation die Gefahr, wenn auch nicht be- '1 Die Art und Weise, wie in der modernen Vererbungs- forschung Variationskoeffizient und Standardabweichung be- rechnet werden, schildert ausführlich Goldschmidt in seiner vor kurzem in zweiter .-\uflage erschienenen ,, Einführung in die Vererbungswissenschaft" (Leipzig und Berlin 1913I. *) Es sei hier nicht unerwähnt gelassen, daß Jollos (Über die Bedeutung der Konjugation bei Infusorien, Arch. f. Protistenk., 30. Bd., 1913) gegen diese letzten Resultate von Jennings einige Einwendungen gemacht hat, die zum wenig- sten teilweise der Berechtigung sicher nicht entbehren. Jollos sieht durch die Experimente Jennings' den Beweis nicht erbracht, daß tatsächlich die Konjugation eine Erhöhung der Variabilität zur Folge hat. Immerhin hält es auch Jollos für sicher, daß die Konjugation neue Varianten schaffen kann. Die nächste Zeit dürfte uns wohl auch hierfür noch einwand- freie Beweise bringen. seitigt, so doch beträchtlich herabgesetzt, daß bei Änderung der äußeren Lebensverhältnisse der ganze Infusorienstamm zugrunde geht. Betrachten wir z. B. nochmals das Wärmeexperiment. Die künstlich an der Konjugation verhinderten Tiere zeigten in der hohen Temperatur eine außer- ordentlich hohe Sterblichkeit (über 68 "/o). Die Exkonjuganten hingegen erwiesen sich teilweise als sehr gut angepaßt an die höhere Temperatur; nur 23^/2 "/o ungefähr starben. Ein weiteres Resultat der Konjugation ist die ,, zweielterliche Vererbung". ^) Frühere Untersucher hatten die Vermutung geäußert, daß die beiden Konjuganten geschlecht- lich different sind, ein ,, männliches" Paramaecium sollte mit einem „weiblichen" konjugieren. Nur die „weiblichen" Tiere sollten dazu berufen sein, die Rasse fortzupflanzen , während die Teilungs- fähigkeit der „Männchen" sehr gering sein sollte. Vermittels experimenteller und rechnerischer Methoden vermögen indessen Jennings und sein Mitarbeiter Lashley zu zeigen, daß von einer geschlechtlichen Verschiedenheit der Kon- juganten nicht die Rede sein kann. Bei der Kon- jugation tauschen die beiden Tiere ihre Eigen- schaften gegenseitig aus, und wenn sie nach der Konjugation unter gleichen Bedingungen gehalten werden , sind ihre Lebenswege bzw. die ihrer Nachkommen ganz ähnliche. Lebenskraft, l'ort- Pflanzungsgeschwindigkeit, Größenverhällnisse usw. sind in zwei von einem Konjugationspaar abge- leiteten Linien nahezu gleich. Trennt man hin- gegen ein Konjugationspaar im Anfang der Kon- jugation, so unterscheiden sich diese Individuen in ihren verschiedenen Eigenschaften ebenso, wie wenn man zwei beliebige Individuen einer ,, wilden" Kultur miteinander vergleicht. „Was die Konjugation tut", so schließt Jennings seine interessanten Ausführungen, „ist: sie bringt neue Kombinationen von Keimplasma zustande, gerade wie es bei der geschlechtlichen Vermehrung der höheren Tiere geschieht. Eines ihrer Resultate ist, daß sie zweielter- liche Vererbung erzeugt; ein anderes, daß sie zahlreichen Variationen den Ursprung gibt, im Sinne von erblichen Verschiedenheiten zwischen verschie- denen Stämmen. Einige von diesen neuen Kombinationen sind besser an- gepaßt an die bestehenden Verhält- . nisse als andere; jene überleben, wäh- rend die anderen aussterben". ') Die folgenden Resultate veröffentlicht Jennings m einer besonderen Abhandlung gemeinsam mit Lashley. S. .'\nm. 2 oben. N. F. XIII. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 23,? Einzelberichte. Astronomie. Der Komet 1910a, der im Januar des Jahres in Johannisburg entdeckt wurde, und durch seine Größe auffiel, so daß er im Süden in der Nähe der Sonne mit bloßem Auge gesehen werden konnte, hat nach einer eben erschienenen Arbeit von Lampland auffallende Schweifentwicklungen gezeigt, wie aus der Bearbeitung einer Anzahl von Photographien hervorgeht. Zunächst lag der Schweif nicht in der Richtung Sonne-Komet, sondern rechtwinklig dazu, er zeigte ferner eine Anzahl Verdichtungen, deren Weiterbewegung sich verfolgen ließ, und ergab, daß sie sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 100 km in der Sekunde bewegten, wahrscheinlich die Schnellig- keit, mit der die Schweifentwicklung vor sich geht. Diese selber war äußerst lebhaft, es zeigten sich Nebenschweife und eine auf die Sonne ge- richtete Ausstrahlung. Die starkgelbe Farbe der Erscheinung rührte von dem Vorwiegen des Natriumlichtes her, das später durch Cyan ersetzt wurde. Lampland zeigt nun, daß die lebhaftesten Vorgänge in der Zeit vorkamen, wo der Komet niedere heliographische Breiten hatte, wie sie die Zone der Sonnenflecken auch hat, und er zieht die Kometen Donati 1858 und Chesaux 1744 zum Vergleich herbei, von denen der erste einen riesigen Schweif hatte, der zweite einen 6 teiligen Fächerschweif, um zu beweisen, daß die Aussen- dung von Energie bei der Sonne an gewisse Zonen hauptsächlich gebunden sei, und daß die Kometen gegen den Wechsel dieser Energie- strahlung sehr empfindlich seien. [Lowell Observ Bull. Nr. 57.] Die Stabilität unseres Planetensystems liegt unter anderem auch darin begründet, daß sich die Umlaufszeiten der Planeten nicht wie ganze Zahlen verhalten. Die Planeten kommen also nie an denselben Stellen der Bahn wieder in gleiche Längen, so daß sich ihre Störungen im Laufe der Zeit bald summieren, bald aufheben. Nach einem von La place untersuchten Sonderfall gibt es aber eine Ausnahme, wenn nämlich die drei Körper, also Sonne, störender und gestörter Planet ein gleichseitiges Dreieck bilden. Dieser Fall tritt nun tatsächlich ein, es gibt in der Entfernung des Jupiter 4 kleine Planeten, die zum Unterschied von den anderen die Namen Achilles, Patroklos, Hektor und Nestor erhalten haben, die sich in einem Abstände von etwa 60" vom Jupiter ent- fernt in derselben Bahn bewegen. 3 davon haben größere heliozentrische Länge, einer kleinere. Nach den Untersuchungen von Brown hat diese Trojanergruppe Störungen durch Jupiter von einer etwa 150jährigen Periode, und diese Störungen haben den Charakter von Librationen, also von Schwankungen um einen mittleren Ort, können freilich ziemlich bedeutende Beträge erreiclien. Riem. Physiologie. Das Auge des Grottenolms (Proteus anguineu.s), eines in den Gewässern der Höhlen von Krain lebenden Schwanzlurchs, ist normalerweise als .Sehorgan unbrauchber. t^s bleibt auf dem Stadium der sekundären Augenblase stehen. Da es mit dem Wachstum des übrigen Körpers nicht Schritt hält, erscheint es beim erwachsenen Tier unverhältnismäßig klein und wird auch fast oder ganz unsichtbar, weil es von der Haut über- deckt wird. Paul Kammerer (Pflüger 's Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, 153. Bd., 19 13) ließ nun, noch ehe die Rückbildung der Augen begonnen hatte, direkt nach der Geburt einen kräftigen Lichtreiz ein- wirken. Unter natürlichen Verhältnissen ist der 01m lebendig gebärend, während er im Aquarium bei einer Temperatur von durchschnittlich über 15" C schon die Eier ablegt. Es werden zwei IG — 12 cm lange Junge geboren, von denen jedes aus einem der beiden Ovidukte stammt. Zuerst versuchte K. die Entwicklung des Auges zu er- reichen, indem er das junge Tier dem Tageslicht aussetzte. Aber dann verdunkelte sich auch die Haut, welche das Auge überzieht, in tiefstes Blau- oder Braunschwarz, so daß dieses jetzt wieder im Dunkeln war. Indem K. die Jungen während der Aufzucht abwechselnd zwei Wochen im Tageslicht und eine Woche im roten Licht hielt, erreichte er es, daß die Entwicklung vom Pigment in der Haut eingeschränkt wurde. Die Augen dagegen vergrößerten sich um das 4 fache, während es im Dunkeln nur um das 1,6 fache an Größe zunimmt. Auch die einzelnen Teile des Auges — Linse, Aderhaut, Iris, Glaskörper, Sehzellen usw. — bilde- ten sich aus. Durch wiederholte unter allen Kau- telen angestellte Versuche konnte K. nachweisen, daß die Tiere mit derartigen Augen auch wirklich sahen. Es bedurfte dabei besonderer Vorsichts- maßregeln, um mit Sicherheit auszuschließen, daß die für andere Sinnesreize außerordentlich empfind- lichen Tiere nicht durch Erschütterungen ihres Behälters, Bewegungen der Luft und des Wassers angelockt wurden. Eine positive Reaktion auf den optischen Eindruck eines außerhalb der Wanne sich bewegenden Objekts — zappelnder Regen- wurm — wurde 14 mal erzielt, wiederholt mehr- • mals nacheinander an demselben Tage. Kathariner. Entwicklungsmechanik. Über künstliche Parthenngenese haben neuerdings Dorothy Jor- dan Lloyd und Jacques Loeb (Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen, 38. Bd., 1914) weitere Mitteilungen gemacht. Nach der Methode von Vves Delage wird künstliche Parthenogenese dadurch hervorgerufen, daß man dem die Eier des Seeigels enthaltenden Seewasser Ammoniak, Rohrzucker und Gerbsäure zufügt. Nach beiden Autoren ist letztere zum Hervorbringen des Effekts ganz entbehrlich. Das 234 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 15 Ammoniak wirkt als cytolytisches Agens und bringt so die Oberflächenänderung hervor, welche nach L o e b eine wesentliche Bedingung für das Eintreten der Entwicklung des unbefruchteten Eies ist. Die Zuckerlösung wirkt stark hypertonisch. Er zeigt, daß die Amine und die in Spermato- zoen enthaltene Base Protamin besonders geeignet sind, die Entwicklung der Eier des Seeigels (Arba- cia) anzuregen. Außer den schon frülier bekannten hat er auch andere schwache Basen wie, Butyla- min und Benzylamin als sehr wirksam gefunden. Dasselbe war der Fall bei dem aus dem Lachs- sperma gewonnenen Protamin. Schwache Basen und Säuren sind wirksamer, weil sie besser in der Rindenschicht des Eies löslich sind, als die starken. Angenommen, die Rindenschicht des Eies sei auch nur dünn, so wird eine schwache Base durch seine ganze Dicke hindurch wirken können, die starken Basen aber nur an der Oberfläche. In der alka- lischen Lösung beginnt die Membranbildung, in der hypertonischen Lösung wird sie beendet. In ihr bleiben die Eier etwa 10 — 15 Minuten, je nach der Temperatur. In der alkalischen Lösung bleiben sie oft nur recht kurz, manchmal nur 3 — 5 Minuten bei 22 ". Die alkalische Lösung besteht aus 50 cm-' m/2(NaCl-|-KCl + CaCl2) + Oi3 cm^ N/io(NHj|OH') oder Butylamin oder eine andere schwache Base. NaCl, KCl und CaCl, sind in dem Verhältnis gemischt, in dem sie im .Seewasser enthalten sind. Während die Expositionsdauer in der alkalischen Lösung nicht so eng abgegrenzt ist, machen 2 oder 3 Minuten mehr oder weniger in der hypertonischen Lösung schon einen merk- lichen Unterschied aus. Wenn die Eier lang genug in der ammoniakalischen Lösung sind, tritt eine ziemlich deutliche Membranbildung ein. Im all- gemeinen aber bildet sich bei kurzer Exposition im Alkali nur ein heller Saum, der andeutet, daß in der Rindenschicht eine Änderung eingetreten ist. Loeb versuchte durch eine Änderung in der Konstitution der Lösung die Membranbildung zu beschleunigen und fand, daß dies geschieht, wenn man das Kalium wegläßt. Am günstigsten für die Membranbildung durch neutrale Lösungen ist eine Mischung von NaCl -f- CaCl.j. Bei der ge- wöhnlich angewandten Mischung von 50 cm'^ m/2(NaCl -f KCl -f CaCl.,) -\- 0,3 cm^' N/io(NH40H) bestand die Membranbildung nur in einem hellen Saum, der erst in der hypertonischen Lösung deutlich wird. Welches ist nundieWirkungderhypertonischen Lösung? Bringt man die mit alkalischer Lösung be- handelten Eier gleich ins Seewasser, so tritt meist eine abnorme P\irchung ein. Das Ei verlängert sich, wird bohnen- oder hufeisenförmig und zerfällt in zwei Zellen; weitere Teilungen können folgen. An der Oberfläche der Zelle erscheint ein Tröpf- chen und schließlich können die ganzen Furchungs- zellen in kleine Tröpfchen zerfallen. Durch Be- handlung mit hypertonischer Lösung wird dies verhindert. Bei zu langer Expositionsdauer in dieser aber tritt eine andere Störung auf, nämlich multipolare Mitosen ohne darauffolgende Furchung. Statt die Eier erst 20 Minuten in die Ammoniak- lösung und dann 20 Minuten in die hypertonische Lösung zu bringen, können auch beide Lösungen gleichzeitig angewandt werden. L. stellt sich vor, daß die membranbildende Wirkung des Alkali und jene der hypertonischen Lösung in ganz verschie- denen Richtungen liegt. Dann würde das Resultat auch nicht befremden. R. Lillie hatte die Ver- mutung ausgesprochen, daß die Membranbildung in einer Erhöhung der Permeabilität des Eies be- stehe, und daß dann eine durch die hypertonische Lösung herbeigeführte Erniedrigung derselben folge. Wäre dies richtig, so würden sich beide in ihrer Wirkung aufheben. Außerdem wird ja bei suc- cessiver Anwendung die Expositionsdauer in der hypertonischen durch jene in der alkalischen Lösung abgekürzt, was ja gerade umgekehrt sein müßte. Wie L. schon 1906 aussprach, werden durch das Spermatozoen mindestens zwei Substanzen in das Ei eingeführt, von denen die eine die Membran- bildung anregt, die andere korrektiv wirkt. Denn die membranbildende Substanz kann man auch aus toten Spermatozoen gewinnen, aber nur aus artfremden, ebenso aus artfremdem Blut. Würden die eigenen Körpersäfte die Entwicklung anregen können, so würden die Eier entweder frühzeitig zerfallen oder ausschließlich männliche ') Tiere ergeben. Daß das Spermatozoon noch eine korrektive Substanz in das Ei hineinbringt, ergibt sich aus folgendem. Wird nur eine Oberflächen- veränderung des Eies mit Basen oder Säuren herbei- geführt, so furchen sich die Eier, gehen aber bald zugrunde, wenn man nicht den zweiten Faktor zuführt. Unbefruchtete Eier, zur Entwicklung durch Zusatz von 2,0 cm'' Buttersäure zu 50 cm'' See- wasser (2 — 5 Minuten bei 23") angeregt, gehen im Seewasser alsbald zugrunde, wenn sie nicht auch noch in hypertonischer Lösung gewesen sind. Mit Samen befruchtete Eier dagegen vertragen die Behandlung mit Buttersäure ohne weiteres. Dasselbe gilt für dieBehandlung mit schwachen Basen. Werden sie aber einige Minuten nach der künstlichen Membranbildung besamt, so bleiben alle am Leben. Dies deutet darauf hin, daß durch das Sperma- tozoon eine zweite unentbehrliche Wirkung bei der Befruchtung ausgeübt wird. Kathariner. Chemie. Im wasserfreien Magnesiumchlorid haben K. A. Hofmann und Kurt Höschele (Ber. d. D. Chem. Gesellsch., Bd. 47, S. 238 bis 247; 1914) einen ausgezeichneten Mineralisator aufge- funden. Das Magnesiumchlorid MgCl., ist ein bei 708 " zu einer leichtbeweglichen Flüssigkeit schmel- zendes Salz, das als überaus lästiges Nebenprodukt der deutschen Kaliindustrie zu einem äußerst billigen Preise in den Handel kommt. Nach den Versuchen von Hofmann und Höschele ist es ein sehr brauchbares Lösungs- und Kristallisationsmittel für ') Nach unseren derzeitigen Anschauungen von dem Bau und von der Natur der Chromosomen. N. F. XIII. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 235 viele anorganische Oxyde. Schmilzt man das Salz für sich allein unter Luftzutritt in einem Porzellan- tiegel, der von der Schmelze kaum angegriffen wird, so kristallisiert aus dem Magnesiumchlorid durch die Flinwirkung des Luftsauerstoffes nach der Gleichung MgCI.3 + O — > MgO + CI2 entstandenes Magnesiumoxyd in großen glänzenden Oktaedern (Periklas) aus, die in Essigsäure oder verdünnter Salzsäure leicht löslich sind und mittels dieser beiden Lösungsmittel von anderen Stoffen, die bei Benutzung der Schmelze als Lösungsmittel auftreten, leicht getrennt werden können. Aus Eisenoxyd erhält man bei kürzerer Schmelzdauer einen mehr oder minder FeO-haliigen, nach länge- rem Schmelzen reinen Magnesioferrit FcgO.j-MgO. Besonders schöne Präparate liefert das Cerdioxyd CcO.j, das in diamantglänzenden Würfeln oder Oktaedern des regulären Systems kristallisiert; das spezifische Gewicht der Kristalle ist 7,3, ihr Brechungsexponent liegt über 1,9. Löst man die Oxyde oder die Sulfate der seltenen Erden, z. B. von Erbium, Neodym, Praseodym, Samarium in geschmolzenem Magnesiumchlorid auf, so kristalli- sieren die Oxychloride ErOCl, NdOCl, PdOCl, SmOCl in prächtigen Kristallen aus. Nichtflüchtige Säuren, wie die Borsäure oder die Uransäure, dagegen nicht die als reines Zirkondioxyd ZrOo auskristallisierende Zirkonsäure liefern die ent- sprechenden Magnesiumsalze, so daß Magnesium- orthoborat B.,03-3MgO oder das Magnesiumuranat aUrOj-ßMgÖ. Bei mineralsynthetischen Arbeiten dürfte nach dem Gesagten das Magnesiumchlorid ein wertvolles Hilfsmittel bilden. Mg. Über die Darstellung und die Eigenschaften von Selenschwefelkohlenstoff CSSe und Tellur- schwefelkohlenstofT CSTe berichtet AlfredStock in Gemeinschaft mit zwei Schülern (Alfred Stock und Paul Praetorius. Ben d. D. Chem. Gesellsch. Bd. 47, S. 131 bis 144, und Alfred Stock und Ernst Willfroth , ebenda S. 144 bis 154, 1914). Die dem Schwefelkohlen- stoff CS., entsprechenden Verbindungen, der Selen- kohlenstoff CSe., und der Tellurkohlenstofif CTe.,, sind bisher nicht bekannt, und die wenigen No- tizen, die sich in der Literatur über die gemischten Verbindungen, den Selenschwefelkohlenstoff und den Tellurschwefelkohlenstoff, finden, sind un- sicher. Es bedeutet daher für die präparative Chemie einen erheblichen Fortschritt, daß es Stock gelungen ist, die beiden gemischten Ver- bindungen in analysenreiner Form darzustellen und ihre Eigenschaften zu bestimmen. Das Ver- fahren, dessen sich Stock bediente, ist im Prinzip, wenn auch wohl nicht in der Ausführung verhält- nismäßig einfach : Aus Selen und Graphit und aus Tellur und Graphit wurden unter Verwendung von Zuckerlösung Elektroden geformt und mittels eines unter Schwefelkohlenstoff brennenden Licht- bogens bei 20 bis 40 Volt Spannung und etwa 5 Ampere Stromstärke anodisch zerstäubt. Es bilden sich unter diesen Umständen neben nicht- flüchtigen Zersetzungsprodukten des Schwefel- kohlenstofifs TellurschwefelkohlenstofT oder Selen- schwefelkohlenstoff, beides leicht flüchtige Verbin- dungen, welche bei der Destillation der erhalte- nen Schwefelkohlenstofflösungen mitdestillieren, und außerdem das ebenfalls flüchtige Kohlen- stoffsubsulfid C3S2. Die Trennung des Selen- schwefelkohlenstoffs resp. des Teilurschwefelkohlen- stoffs von dem Kohlenstoffsubsulfid bot besonders große Schwierigkeiten, deren Überwindung aber schließlich, allerdings auf ziemlich kompliziertem und darum hier nicht im einzelnen zu schildern- dem Wege gelang. Die Analysen und die Er- mittlung des Molekulargewichtes der Präparate in benzolischer und beim Tellurschwefelkohlenstoff auch in Schwefelkohlenstofflösung bewiesen, daß Stock die reinen Verbindungen CSSe und CSTe isoliert hat. Eine Übersicht über die physikalischen Eigen- schaften des Selen- und des Tellurschwefelkohlen- stoffs im Vergleich mit denen des Schwefelkohlen- stoffs selbst gibt die nachstehende Tabelle. Eigenschaft CSo CSSe CSTe Farbe farblos gelb 1 rot Dichte 1,26 1,9s 2,9 (bei —50» C) Molvolumen 60 62 [59 (bei —50» C) Schmelzpunkt — 112» -85» i -54» Siedepunkt 46» 84« — Uampfdruck bei 10» C 198 mm 45 "it" ca. 2 mm Brechungsexponent 1.63 1.73 — Bemerkenswert ist die große Empfindlichkeit von Selen- und besonders von Tellurschwefel- kohlenstoff gegen Licht und Wärme. Schon bei längerem Aufbewahren bei Zimmertemperatur zersetzen sich die beiden Stoffe, und bei der Her- stellung muß natürliches oder lebhaftes künst- liches Licht sorgfältigst ferngehalten werden. Durch Behandlung mit Natrlumalkoholat C^Hj.ONa ließ sich der Selenschwefelkohlenstofif in das Natrium- monoselenxanthogenat CSe(SNa)(0CoH5) umwandeln, eine Verbindung, die dem durch Ein- wirkung von Natriumalkoholat auf Schwefelkohlen- stoff entstehenden gewöhnlichen Natriumxantho- genat CS(SNa)(0C.3HJ entspricht. Andeutungen für die Entstehung von Selen- kohlenstoff CSe., und Tellurkohlenstoff CTe., hat Stock weder bei der Darstellung der beiden schwefelhaltigen Verbindungen noch auch bei ihrer Zersetzung bemerkt. Mg. 236 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 15 Kleinere Mitteilungen. Ein wichtiger Fund aus der Ancyluszeit. — Aus der Zeit der ersten Hebung nach der Eiszeit, der sog. Ancyluszeit, als noch die ganze westliche Ostsee ein Binnensee mit süßem Wasser war, weiß man sehr wenig, da nur spärliche Funde aus jener Zeit bekannt sind. Um so erfreulicher ist es da- her, wenn durch neue Funde ein Beitrag zur Klar- stellung jener fernen Zeit geliefert werden kann. Einen hierher gehörigen F"und machte man kürz- lich bei dem Ausbaggern des Flensburger Hafens. Schon mehrfach hat man früher ähnliche Funde an der Nordseite des Hafens gemacht, die aber leider fast ganz unbeachtet geblieben sind; zum Glück wurde der letzte h'und auf der Südseite, dem sog. Kielsenger Haken, nahe der Marine- station Mürwik rechtzeitig bemerkt, so daß er für die Wissenschaft gerettet werden konnte. Die Baggermaschine brachte aus einer Tiefe von etwa 2 m Waldtorf an die Überfläche und in dem Torf lagen viele Geweihstücke, teils be- arbeitet, ferner Knochen, ganz primitive P'euer- steingeräte u. dgl. Über der Torfschicht lagerte eine Schicht Meeressand mit zahllosen Muscheln, teils Arten, wie sie jezt nur in der Nordsee, in der Ostsee aber nicht mehr vorkommen; diese Schicht ist also zweifellos der Zeit der zweiten Bodensenkung nach der Eiszeit, der Litorinazeit zuzurechnen, und die darunter liegende Schicht ist jedenfalls zur Prälitorinazeit, wenn nicht zur Ancyluszeit gehörig. Die Moorschicht war nicht sehr stark, nur etwa 10 cm. Ordentliche Moorproben zur ge- nauen botanischen Bestimmung waren leider nicht erhältlich , doch konnte man an den Holzresten deutlich Weide, Birke, Erle und Eiche erkennen. Danach stammt die Schicht aus der letzten Periode der Ancyluszeit, als bereits die Eiche Waldbaum wurde und die Birke so ziemlich verdrängt hatte. 2000 — 800 v. Chr. zur Einbalsamierung verwen- Die Ansiedlungen an der Nordseite des Hafens deten harzigen Massen. Er untersuchte mit Hilfe scheinen etwas älter gewesen zu sein. Die von umständlichen chemischen Methoden die Zu- Gerätschaften waren aus Feuerstein bearbeitet und da sieht man Schaber, Beile, Messer, Späne, aber alle einfach behauen und ungeschliffen. Die Spanmesser hat man aber damals schon ebenso geschickt abzuspalten verstanden, wie in der weit späteren neolithischen Steinzeit. Ferner liegen die Scherben von einem roh gebrannten Gefäß vor, unverziert und plump; doch zeigen die dem Ton beigemengten Steinbrocken, daß man auch schon in der Keramik eine nicht unbedeutende Fertigkeit erlangt hatte. Vielleicht die wichtig- sten Fundstücke sind mehrere menschliche Schädel- fragmente, die aber noch der genauen Unter- suchung von Autoritäten auf diesem Gebiete harren. Die Wichtigkeit dieses Fundes braucht nicht besonders betont zu werden ; es geht deutlich daraus hervor, daß der jetzt tief unter dem Meer liegende Boden einst Waldboden war und viel höher gelegen haben muß, was nur zur Ancylus- zeit gewesen sein kann. Aber bereits damals gab es hier Ansiedlungen, deren Bewohner aber schon weit über die ersten Anfänge der Kultur hinweg waren, und die sich zur Hauptsache von den Jagdtieren des Waldes nährten. Wenn auch aus anderen südlicheren Gegenden prähistorische Funde aus den interglazialen Perioden bekannt sind, so kennt man solche hier im Norden nicht; hier bleiben jedenfalls die Ansiedlungen aus der Ancyluszeit die ältesten Beweise für das Auftreten der Menschen. Philippsen-Flensburg. Zusammensetzung der zur Einbalsamierung dienenden Harze. — In der Sitzung vom 11. De- zember 191 3 der Sociele de Chimie de Geneve berichtet L. Reu tt er über die Zusammensetzung der von den alten Ägyptern und Karthagern Schicht senkte sich nach der Tiefe des Hafens zu, doch reichten die Baggermaschinen technisch nicht aus, um die Schicht bis zum Ende zu verfolgen und Bohrungen wegen der hohen Kosten vor- läufig unterbleiben mußten. Sehr wahrscheinlich ist damals die ganze Binnenförde ein langgestreck- sammensetzung der Harze, welche zur Einbalsa- mierung dienten. Unter anderem gelang es Reutter, in dem Harz des einbalsamierten Körpers des Admirals Heckan M. Saf folgende Bestandteile zu finden : Mastix, ein Harz, welches aus Pistacia lentiscus und aus den Anacardiaceen ter Süßwassersee gewesen, dessen steile Abhänge des Mittelmeergebietes stammt, ferner ein Harz mit Waldungen bedeckt waren. An den Ufern von Pinus Halepensis, dann den gewöhnlichen, des Sees waren die Hütten der damaligen Be- kleinasiatischen Styrax (ein trüber, wasserhaltiger, völkerung. zäher, klebriger, grauer Balsam), Asphalt, Zedern- Aus den verschiedenen Fundsachen kann man harz und Pflanzenreste von Koniferen wie Juni- sich ein Bild machen von der Lebensweise dieser perus Oxycedrus, ferner Weinreste, Natriumkarbo- Urmenschen. Sie jagten in den Wäldern Rot- nat, Sulfat und Chlorid, sowie verschiedene Steine hirsche, Damhirsche und Elche, deren Knochen und Geweihe zahllos umherliegen. Manche Ge- weihe sind bearbeitet und als Hacken, Dolche, Spieße u. dgl. benutzt. Auch finden sich Knochen vom Wildschwein, ebenso vom Büffel und Bären. Eine genauere Untersuchung dürfte noch die Zahl der Jagdtiere bedeutend erhöhen. Die meisten und Perlen. R. D. Wärmeapplikation ist ein beliebtes Mittel bei Krankheiten verschiedener Art, das aber gewöhn- lich nur für oberflächlich gelegene Prozesse prak- tisch anwendbar ist. Bei dem noch nicht lange geübten Verfahren der Diathermie benutzt man N. F. XIII. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 237 „IiochfrequciUe elektrische Ströme von erheb- licher Spannung und Intensität", „die durch den Körper geleilet und dort infolge des Wider- standes in sog. Foulesche Wärme umgewan- delt werden", um Tiefenwirkungen zu erzielen (Dreesen, Deutsch, med. Wochenschr. Nr. 37, 1913). Es gelingt bei dieser iVIethode, eine ganz allgemeine „Durchwärmung" der betreftenden Körperstellen zu erzielen , wobei sich nicht ein unbehagliches Gefühl übergroßer Wärme geltend macht, sondern die allmähliche Erwärmung als sehr angenehm empfunden wird. Bei verschiedenen Erkrankungen bisher praktisch erprobt, dürften das Hauptanwendungsgebiet die chronischen Leiden bilden, bei denen man schon gute Resul- tate gesehen hat. Da man mit Hilfe der Sonnenbehandlung in der Neuzeit Erkrankungen der verschiedensten Art therapeutisch beeinflußt, suchte man bald nach einem Ersatz der Sonnenstrahlen, der auch in der von Prof Kromayer angegebenen Form der Quarzlampe seine Verwirklichung fand. Das Anwendungsgebiet dieser Lampe ist jedoch haupt- sächlich auf Haulerkrankungen beschränkt. Um ihr nun eine weitere Ausdehnungsbreite zu geben, mußte man an eine Kombination der von der Quarzlampe ausgehenden ultravioletten Strahlen mit den warmen Sonnenstrahlen suchen. Man fand eine solche, indem man die Lampe mit einem Kranz elektrischer Glühlampen umgab, und erzielte durch diese „künstliche Höhensonne" einen der natürlichen vollkommen gleichen Erfolg. Busse beschreibt in einem kleinen Aufsatz: Die „künstliche Höhensonne" (Deutsch, med. Wochenschr. Nr. 42, 191 3) die genaueren Einzel- heiten, mit Hilfe deren es möglich ist, durch Ver- stellung der Apparate eventuell den ganzen Körper „besonnen" zu lassen. Dr. med. Carl Jacobs. 70 proz. Alkohol zeigt die größte desinfizierende Wirkung. Nach S. Tijmstra scheint die An- wesenheit von Wasser eine absolute Notwendig- keit für die desinfizierende Wirkung des Alkohols zu sein. Die Wirkung des Desinfektionsmittels besteht aus vier Faktoren : i. Diffusion durch die lipoide Substanz; 2. Diffusion durch die eiweiß- artigen Teile des Protoplasmas; 3. Zerstörung der lipoiden Membran ; 4. Zerstörung der Eiweiß- substanz. Bei der Konzentration von 60 — 70 "/„ werden die Eiweißstoffe so schnell denaturiert, daß letztere keine Zeit haben, Wasser aufzunehmen. Oberhalb 70 "/^ findet wieder eine konstante und starke Gewichtsabnahme statt. DerDenaturierungs- grad sinkt also oberhalb 70 "/q. Bei ungefähr 40 "/o beginnt die denaturierte Wirkung des Alko- hols, oberhalb 80 "/„ ist das oberflächlich denatu- rierte Albumin undurchlässig für Alkohol. R. Ditmar. Bücherbesprcchungen. Dr. Louis Löwenheim, Die Wissenschafi Demokrits und ihr Einfluß auf die moderne Naturwissenschaft. Herausgegeben von Leopold Löwen heim. XI und 244 Seiten. Berlin, Verlag von Leonhard Simion Nachf, 1914. — Preis geh. 6 Mk. Eine interessante Veröffentlichung, die den Nach- weis versucht, daß D e m o k r i t derjenige Philosoph des Altertums gewesen ist, von dem die moderne Naturwissenschaft auf sämtlichen Gebieten die bedeutungsvollsten Anregungen unmittelbar und mittelbar empfangen hat! Der große Abderite hat danach das Beharrungsgesetz klar ausgesprochen, die allgemeine Schwere der irdischen Körper ge- lehrt, hat gewußt, daß im leeren Räume alle Körper gleich schnell fallen, daß die in der Luft aufsteigen- den Körper durch den Stoß der Luftatome in die Flöhe getrieben werden, daß alle Körper eine wechselseitige Anziehung ausüben, daß also die Schwere ein besonderer P"all einer allge- meinen Anziehung ist; er hat das Kausalprinzip, die Sätze von der Erhaltung der Materie, von der Erhaltung der Kraft und von der Wirkung und Gegenwirkung gekannt, den Selektions und Des- zendenzgedanken gefaßt, die Ansicht geäußert, daß Körperliches nicht auf Geistiges und Geistiges nicht auf Körperliches einwirke usw. Wohl wer- den manche der in kühner Dialektik und auf Grund eines reichen, aber oft höchst unsicheren Quellenmaterials entwickelten Ansichten einer gründlichen Nachprüfung nicht standhalten; trotz- dem dürfte das bislang herrschende Zell ersehe Urteil über den Einfluß der antiken Philosophie mehr zugunsten Demokrits und zuungunsten eines Plato und Aristoteles abzuändern sein. Der Verfasser, der ein vierbändiges Werk über Demokrit geplant hatte, wurde durch den Tod an der Ausführung gehindert; aber der einzige, vom Sohne veröffentlichte Band enthält doch alle wesentlichen Ergebnisse. Angersbach. Newcomb- Engelmann, Populäre Astro- nomie. F"ünfte Auflage. Herausgegeben von Dr. P. K e m p f Mit 228 Abbildungen im Text und auf 27 Tafeln. Gr. 8". — In Leinen gebunden 15,60 Mk. Von diesem vortrefflichen Werk, das R. Engel- mann im Jahre 1881 als bearbeitete Übersetzung der Ne wcomb'schen „Populär Astronomy" er- scheinen ließ, liegt jetzt die 5. Auflage vor; die 4. war in dem kurzen Zeitraum von 3 Jahren be- reits vergriffen. Wie diese ist auch die vorliegende Auflage vonKempf,Schwarzschil d, L uden - dorff und Eberhard gemeinsam bearbeitet und mit größter Sorgfalt auf den neuesten Stand der Kenntnisse gebracht worden. Insbesondere sind das Kapitel über die Sonne, die Abschnitte über die Meteore und Sternschnuppen, die physische Beschaffenheit der Sterne, ihre Bewegung, sowie die Doppelsterne, die veränderlichen Sterne, die ^38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. ij Nebelflecke und Sternhaufen wesentlich erweitert, z. T. umgestaltet. Wir wünschen, daß sich dieses Buch, eines der besten der populären Literatur, recht viele neue Freunde erwerben möge; der Preis für den 835 Seiten starken Band ist als mäßig zu bezeichnen. Miehe. Kolkwitz, R., Pflanzen Physiologie. Ver- suche und Beobachtungen an höheren und niederen' Pflanzen einschließlich Bakteriologie und Hydrobiologie und Planktonkunde. Mit z. T. farbigen Tafeln und 116 Abb. im Text. Jena '14, G. Fischer. — Geb. 10 Mk. Der Titel ist insofern nicht recht bezeichnend, als das Buch, wenigstens der Vorrede nach, eine Anleitung zu praktischen Arbeiten sein soll; er ist aber auch mit dieser Beschränkung noch un- zutreffend, da das Prinzip : Anleitung zu physio- logischen Übungen nur zum Teil befolgt wird. Der erste etwa 60 Seilen lange Abschnitt könnte als physiologisches Praktikum bezeichnet werden, doch ist die Auswahl etwas einseitig , indem z. B. Wachstum, Heliotropismus, Geotropismus gar nicht, die Atmung nur flüchtig behandelt sind. Im Kapitel: Parasiten und Saprophyten ist sogar der physiologisch-praktische Standpunkt wieder aufgegeben. Noch mehr verschwindet er dann als leitender Gesichtspunkt im zweiten Abschnitt, der die Kryptogamen behandelt und mit seinen 170 Seiten den Hauptteil des Buches einnimmt. Hier wird eine große Anzahl von Kryptogamen in Einzelbeschreibungen aufgeführt, in die ziem- lich willkürlich experimentelle Hinweise, gelegent- lich auch nur physiologische Bemerkungen ein- gestreut sind. Selbst das, was über die IE Peutschbnd. i^ Uls"^ i'Sc.E"«-S M^^:£-="i Monafssummeim W - n ^c.^ E_: .E"^ E o ü n .°> S «^ -5.| 1^ S S gebnis geführt, das schon früher durch Beobachtungen von Stokes (1864) und von Tswett wahrscheinlich gemacht worden war. Aber die von Stokes ausgesprochene Ansicht über die Doppelnatur des Chlorophylls konnte sich nicht auf ein experimentelles Material von so zwingender Beweiskraft stützen, wie es die VVill- stätter'sche Hypothese vermag; insbesondere war früher mit der Möglichkeit zu rechnen, daß erst durch die Extraktions- und Trennungsmetho- den eine Zerlegung des Chlorophylls in zwei Komponenten erfolgte, während wir heute wissen, daß diese beiden Bestandteile schon im chemisch nicht veränderten Chlorophyll gemeinsam vorhan- den sind. Die Isolierung des Chlorophylls in reinem Zu- stand wird durch die Tatsache ermöglicht, daß sich durch Anwendung zweier organischer Lösungs- mittel iz. B. Alkohol und Petroläther) eine ver- schiedene Verteilung des Chlorophylls und seiner Begleitstoffe (hauptsächlich der gelben P^'arbstoffe) in beiden P'lüssigkeiten erzielen läßt. Man kann so durch genügend häufige Wiederholung dieser Entmischungsoperationen aus Extrakten , die nur 8— lö^o Chloroph\il enthalten, ca. 70 i)roz. Chloro- phylllösungen herstellen. Der Reinheitsgrad der Lösungen läßt sich hierbei durch kolorimetrische Methoden kontrollieren. Hat das Chlorophyll einen bestimmten Reinheitsgrad erreicht, so löst es sich nur noch in alkoholhaltigem Petroläther, aber nicht mehr in reinem Petroläther. Man braucht dann also nur noch den Alkohol durch Auswaschen zu entfernen, um das Chlorophyll zur Ausscheidung zu bringen. Durch Umfallen des Chloroi^hylls aus der ätherischen Lösung mit reinem Petrol- äther kann die letzte Reinigung des Farbstoffes bewirkt werden. Die Komponenten a und b verteilen sich bei den Entmischungsvorgängen, die zur Isolierung des Chlorophylls dienen, in ungleicher Weise zwischen dem Alkohol und dem Petroläther. Durch syste- matische Fraktionierung kann die Verteilung der beiden Stoffe so geleitet werden, daß sie schließ- lich zur Isolierung jeder einzelnen Komponente führt. Die Methoden der Extraktion und Ent- N. F. XIII. Nr. iS Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 2/9 miscluing sind jetzt so vervojll^ommnet, daß man ohne Schwierigkeit in wenigen Stunden zu größeren Mengen Ciiloroph)'ll kommen kann. Es lassen sich beispielsweise aus 250 g frischen Brennesselblättcrn nach der Angabe VVi llstätt er's in 40 Minuten 0,25 g völlig reines Chlorophyll isolieren. Chlorophyll a und b haben trotz ihrer ojitischen Verschiedenheit nahezu die gleiche chemische Zu- sammensetzung: die I'ormcl der a-Komponente ist Cj,-,H;,,OjNjMg, die der b-Komponente C-^H^nO,. N4Mg. Das Gewiclnsverhältnis, in dem beide im Chlorophyll anwesend sind, ist fast ganz unab- hängig von der Pflanzenart und von dem biolo- gischen Zustand der Pflanze; auf drei Moleküle der a- Verbindung kommt stets ein Molekül der b- Komponente. Die oben erwähnten gelben Pigmente, die das Chloroph)-ll in der Pflanze begleiten, sind ebenfalls von Willstätter untersucht worden. Für das schon früher bekannt gewordene Carotin ließ sich die Formel C^^iHr,,; sicherstellen; für das Xanthoph)'ll , das zum erstenmal in reiner Form hergestellt wurde, ergab sich die Zusammensetzung CjdH,-,i;0.,. Ein dritter ,, carotinoider" h'arbstoff, der in den Braunalgen vorkommt, wurde als eine Ver- bindung von der F'ormel C4,|H,r,40|5 erkannt. Ebenso wie das Verhältnis von Chlorophyll a : Chlorophyll b konstant ist, stehen auch die Mengen der Carotinoiden Farbstoft'e zu den Mengen der Chlorophylle, die sie begleiten, in einem bestimmten Verhältnis. Aus i kg trockener Hollunderblätter lassen sich z. B. 8,48 g Chlorophyll (6,22 g a und 2,26g b) und 1,48g gelbes Pigment (0,55 g Carotin und 0,93 g XanthophyllJ isolieren. Die Konstanz dieser Verhältnisse deutet schon darauf hin, daß die Carotinoiden Farbstoffe in nahen Beziehungen zur Funktion des Chloroph)'lls stehen müssen. Willstätter hat hier eine kühne Hypothese auf- gestellt, die vom Standpunkt des Chemikers eine Vorstellung von der Rolle geben soll, welche die verschiedenen Farbstoffe bei der Assimilation der Kohlensäure spielen. Er denkt sich die Chloro- phyllfunktion in der Weise, daß die Reduktion der Kohlensäure, die durch die Affinität der Magnesiumverbindungen angezogen wird , unter Verbrauch der absorbierten l.ichtenergie durch die a-Komponente bewirkt wird, wobei diese sich in die b-Komponente umwandelt. Das durch ().\y- dation gebildete Chlorophyll b wird unter Abgabe von Sauerstoff wieder in a zurückverwandelt, und zwischen beiden Vorgängen stellt sich ein Gleich- gewichtszustand ein. An der Rückverwandlung von b in a beteiligen sich möglicherweise die gelben P'arbstofie, vielleicht derart, daß sie das Verhältnis der Chlorophyllkomponenten regulieren. Dies könnte beispielsweise so erfolgen, daß das Carotin dem Chlorophyll b den Sauerstoff ent- zieht und sich dabei in Xanthophyll umwandelt, das dann den Sauerstoff unter der Wirkung eines Enzyms wieder abgibt. Wieweit diese interessanten Hypothesen zu- trefl'en , müssen künftige Untersuchungen zeigen, zu denen die Wi llstä t ter'schen Arbeiten eine sichere Grundlage geschaffen haben. Jedenfalls erscheint heute die Chemie des Chloroph\-lls, wenn auch die Struktur dieses Stoffes noch nicht völlig erschlossen ist, schon soweit aufgeklärt, daß ihre weitere Erforschung in vorgezeichneten Leitlinien erfolgen kann. Die P'ülle von Anregungen , die wir dem Werk Willstätter 's verdanken, läßt erhoffen, daß wir jetzt tiefer in das Problem der Kohlensäureassimilation eindringen werden , und daf3 schließlich auch die Aufgabe ihre Lösung finden wird, unabhängig von der Pflanze mit den chemisch isolierten Substanzen die Assimilation zu erzielen. Einzelberichte. Anthropologie. Über die vielumstrittene Frage der Kreuzung von Menschenrassen hielt F. V. Reitzenstein auf der 44. deutschen Anthro- pologenversammlung einen Vortrag, der kürzlich im Korrespondenzblatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie (44. Jahrg., S. 103 — 1 10) im Druck erschien. Der Vortragende bekannte sich zu der Ansicht, daß die Kreuzung verschiedener Rassen im allgemeinen nicht nachteilig wirkt, weil er an eine Minderwertigkeit der F"aibigen nicht glaubt. Den Umstand, daß die farbigen Rassen bisher nur geringe kulturelle Fähigkeiten entwickel- ten, führt v. Reitzenstein hauptsächlich auf ungünstige Beeinflussung seitens der Weißen zurück; die Wegnahme des Landes, das Aufzwingen euro- päischer Kleidung und die Versorgung mit Alkohol, dessen Genuß den Zwang zu verbrecherischen Hand- lungen fördert, sind für die farbigen Rassen ver- derblich. Die Weißen haben aber in den meisten Gebieten, welche sie den Farbigen abgenommen, keine Aussicht auf Akklimatisation. F. v. R e i t z e n - stein führt eine Reihe von Beispielen an, die zeigen, daß europäische Bevölkerungen in tropi- schen Kolonialländern in wenigen Generationen an Kopfzahl stark abnehmen, oder daß nur Misch- linge zurückbleiben. — Gewiß trägt hieran zum Teil der Umstand Schuld, daß die Körperkonsti- tution der Europäer, und namentlich der Mittel- und Nordeuropäer, der tropischen Umwelt nicht angepaßt ist.') Aber es ist zu beachten, daß in allen diesen Phallen der Degeneration von Kolonial- bevölkerungen Kreuzungen mit den Eingeborenen siattfanden. Das legt den Gedanken nahe, daß denn doch beide Erscheinungen in ursächlichem Zusammenhang stehen. Überdies wurde auch be- ') Vgl. Fehlinger, Die Akklimatisation der Europäer in den Tropen. Politisch. -Anthrop. Revue, 9. Jahrg., Heft II. 28o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. i8 reits gezeigt, ') daß in tropischen wie in außer- tropischen Ländern nach Massenl = CajNoHi 230° C SrjXj -)- 2 Ha = Sr^NoHi 270" BajNa -f 2 Hj = Sr-NjUi 300" Die Erdalkalimetalle selbst, ihre Hydride und ihre Nitride geben bei Behandlung mit einem Gemisch von gleichen Teilen Stickstoff und Wasserstoff Imide von der P'ormel CaNH, SrNH und BaNH, Stoffe, die sich ebenso wie die ent- sjirechende Lithiumverbindung, am Licht dunkel färben, jedoch gelang den Autoren die Reindar- stellung dieser Imide selbst beim Calcium noch nicht, bei dem die Imidbildung am leichtesten verläuft. Mg. Geographie. Koch und Wege n er 's Durch- querung Grönlands 1912/13.^) Bei dieser Reise, die September 191 2 bei Königin-Luise-Land an der Ostküste ihren Anfang nahm, kam es vor allem darauf an, die geplante Überwinterung auf dem Eise durchzuführen; falls diese nicht gelang, mußte die Expedition in wissenschaftlicher Hin- sicht als verfehlt betrachtet werden. Es war nicht leicht, nach dem Eisrande zu kommen. Außer Koch und W e g e n e r waren ein dänischer Seemann und ein isländischer Bauer an der Reise beteiligt. Da es' nötig war, 20C00 kg Gepäck auf das Inlandeis zu schaffen, wurden Pferde an- stelle von Hunden mitgenommen. Dies bedingte eine Verlangsamung der Reise über das Inlandeis, die für Sommer 1913 geplant war. Der Storströmmen, ein Gletscher, der sich zwischen dem Königin-Luise-Land und der Küste herunterschiebt, besteht in seinem südlichen ') J. P. Koch, Unsere Durchi|uerung Grönlands 1912 13. (Z. Ges. Erdkunde 1914, H. I.) A. Wegener, Vorläuliger Bericht über die wissenschaftl. Ergebnisse der E.xpedition [Z. G. E. 1914, H. i). Teile aus stark gefaltetem Eise, das beschwerlich zu überschreiten war. Im Herbst gibt es nur einen schmalen Gürtel mitten im Gletscher, der eine Schlittenreise ermöglicht. Das Gepäck war Ende September in einem Tal gesammelt worden, das sich einige 100 m in den Gletscher hinein erstreckte. Hier konnte zum erstenmal von Augen- zeugen das Kalben des Gletschers beobachtet werden. Es begann mit Spaltenbildung. Bei Niedrigwasser öffnen sich die Spalten, und Brocken von Eis stürzen von oben hinein und füllen sie an. Die Hochflut, die die Spalten wieder schließen will, findet Widerstand und sprengt den Eisberg von unten ab. In der Nacht vom 30. September geschah die überaus packend geschilderte Kata- strophe, in der eine 35 m hohe Eiswand an der südwestlichen Talseite zusammenstürzte und auch noch die Hälfte der Zeltscholle zerbrach , ohne daß jedoch das Gepäck der Expedition gefährdet wurde. Gleichzeitig hat eine etwa 15 m hohe Woge die Eismassen gehoben und einen Teil über die noch vorhandene Hälfte der Zeltscholle geworfen. Später konnte vom Gletscher aus der Schauplatz der Kalbung deutlich übersehen wer- den. Längs der Gletscherwand, auf einem Gebiet von 800X600 m war derBorgfjord vollständig von Eisbergen und Kalbeisbrocken bedeckt — ein Zeugnis von der Entfaltung ungeheurer Kräfte. Anfang Oktober wurde auf dem Storströmmen das Überwinterungshaus Borg eingerichtet, 3 km vom Rande des Gletschers entfernt, da es nicht möglich war, nach Königin-Luise-Land zu kommen. Es dauerte einen Monat, ehe die wissenschaftliche Arbeit in Gang kam. Nachdem Mitte Februar die Sonne zurückge- kehrt war, wurde am 20. April nach Westen auf- gebrochen. Während des Anstieges aufs Inlandeis wehte und stöberte es jeden Tag, aber auf dem Eise wurde es stiller, je mehr man nach der Mitte kam. So konnte die Reise mit einer Durch- schnittsgeschwindigkeit von 15 km vonstatten gehen. Am 7. Juli war das Land an der West- küste — die kleine Bergkolonie Pröven — erreicht. Von wissenschaftlichem Interesse sind außer dem Profil der Eiskappe, das westlich der Mitte 3020 m Höhe erreicht, die glaziologischen und meteorologischen Arbeiten, über die Wegener einen vorläufigen Bericht gibt. Für die Frage nach der Natur der Blau- bänder des Eises konnte reiches Material ge- sammelt werden. Es wurden zahlreiche Aufnah- inen der inneren Struktur dieser Blaubänder ge- macht; Verwerfungen konnten in zahlloser Menge photographisch aufgenommen werden. Auf der Winterstation wurde die Temperat u r im Inne- ren des Eises in Bohrlöchern gemessen, die zuerst im Freien 8 m tief ins Eis gestoßen wurden, später im Fußboden des Hauses 24 m unter die Gletscheroberfläche getrieben werden konnten. So konnte festgestellt werden, daß die Temperatur des Eises in derjenigen Tiefe, in der ihre jährliche Schwingung verschwindet, nur wenig von der 284 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. i8 mittleren Jahrestemperatur des Ortes abweicht. Mit größerer Tiefe zeigte sich eine Erwärmung von i" auf 20 m. Auf der großen Schliltenreise wurden Beobacli- tungen über die Schichtung des Schnees ge- macht, und festgestellt , daß schon in 2000 m Höhe, sehr nahe an der Küste, alle sommerlichen Schmelzwirkungen aufhören. Eine feinkörnige Schicht, die dem Winterniederschlag entspricht, hob sich deutlich von dem darunter liegenden grobkörnigen Eise ab. Sie nahm von ^/o m an der Ostküste auf 30 cm im Inneren ab und er- reichte an der Westküste ihren gröfjten Wert, I m. Wäiirend sich für den Ostrand eine mitt- lere Jahrestemperatur von — 15" ergab, ging diese im Zentrum Grönlands auf — 32" herab. Sie wurde auch hier durch Tiefbohrungen an zwei Rasttagen festgestellt. Auch die meteorologischen Beobachtungen sind besonders wertvoll, da sie in dieser VVeise in jener Breite noch niemals gemacht worden sind. Mit einem mikrophotographischen Apparat wurden Schnee- und Reifkristalle untersucht. In der Winternacht wurde aus dem Verschwinden der Dämmerungsbögen die Höhe der betreffenden vom .Sonnenlicht durchstrahlten Schichten ermit- telt, am ,,Hauptdämmerungsbogen" (Stickstoff- sphäre, 70 km Höhe entsprechend), ,,Nachdämme- rungsbogen" (Wasserstoffsphäre, bis 200 km Höhe) und „letzten Dämmerungsbögen" (die hypothetische Geokoroniumsphäre in mehr als 600 km Höhe). Ebenso gelangen Beobachtungen desZodiakal- lichtes als flacher Pyramide am Horizont. Mit dem Sa vart- Jensen'schen Polariskop wurde die Polarisation des blauen Himmelslichtes unter- sucht und von Euft Spiegelungen und Nord- lichtern zahlreiche photographische Aufnahmen gewontien. — Erst wenn die wissenschaftlichen Ergebnisse der Expedition in den „Meddelser om Grönland" erschienen sein werden, wird man sehen können, wie erfolgreich sie gewesen ist. Dr. Gottfried Hornig. Kleinere Mitteilungen. Fischfang mit Drachen. Über eine eigenartige, im malaiischen Archipel, aber auch weiter ostwärts geübte Methode des Fischfanges berichtet H. Bal- four in der Festschrift für Wil liamRidgeway. 'j Abb. I. Nach einer Origiualpholographie von II. Miehe *) Essays and sludics prcsented lo William R i d g e w a y on his si.\ticth birtliday b. Aug. 1913. Edited by E. C. Quig- gin. Cambridge, University Press. — Kite-tishing. S. SS3. Außer den dem vielseitigen Gelehrten dargebrachten Abhandlungen aus dem Gebiete der klassischen Philologie, der Archäologie, der mittelalterlichen Literatur und Geschichte sowie der ver- Da Referent bei einer Seegelfahrt auf der Reede von Batavia in der Nähe der Insel I.eyden (Poeloe njamok) die nicht häufige Gelegenheit hatte, selbst diesen merkwürdigen Fischfang zu sehen und zu photographieren , sei hier eine kurze Schilderung ge- geben. Wie die Photogra- phie (Abb. II zeigt, sitzen in dem Boote zwei Fischer und halten eine lange Bam- busstange in der Hand, die in einem Loch in einer Planke steckt. An der Stange läuft, geführt von zwei Ringen, eine Leine, an deren Ende ein Drache befestigt ist. Dieser besteht aus einem jener festen, perga- mentartigen Blätter, welche bei dem in den Wäldern von Java verbreiteten , epl- gleichenden Religionswissenschaft sind in dem vorzüglich ausgestat- teten, starliep Bande noch folgende ethnographische und anthropologi- sche Aufsätze enthalten: E. Th ur- ston, The number sevcn in Southern India; S.A.Cook, Tho evolution and survival of primitive Ihought ; W. Boyd DawUins, The settlement of britain in the prehistoric age ; W. W r i g h t , The mandible of man from the morphological and anthropo- logical poinls of view ; W. L. H. Dückwortli, The pro- blem of the Galley Hill skeleton ; W. H. R. Rivers, The contact of peoples; G. Elliot Smith, The evolution of the rock-cut tomb and the Dolmen; C. S. Myers, The be- ginning of music; A. C. Haddon, The outrigger canoes of Torreys Straits and North-Queensland. N. F. XIII. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 285 phytischen I-"arn Drjnaiia quercifolia Humus sammeln und unter dem Namen Nischenblätter bekannt sind (vgl. Abb. 2). Von dem Drachen hängt, gewissermaßen seinen Schwanz darstellend, die eigentliche Angelschnur herab, die in eine kleine Schlinge aus einer einzelnen Faser von der Palme Arenga saccharifera endigt, an der außer- dem noch der aus einem kleinen Fisch bestehende Köder befestigt ist. Wenn nun der Fischer die Leine locker läßt, so treibt der Wind den Drachen Abb. 2. l-)iynaiia queicifülia, an einem Baumstamm kletternd. Man bemerkt neben den großen gefiederten Laiibbluttern die kleineren dem .Stamm angcdiückten Nischenblätlcr. (X) Original|iliotcigra|>liie von II. Miehe. horizontal durch die Luft und die Schlinge samt dem Köder spielt, durch geschickte Manöver ge- leitet, über die Meeresoberfläche dahin. Sobald der Fisch nach dem Köder schnappt, wird die Schlinge angezogen und der Usch an den Kiefern gefangen. Mit dieser von den Javanen als pantj- ing (Angeln) lajangan (Drachen) bezeichneten Methode wird der Nasenhecht (Belone) gefangen.') " Miehe. ') Wegen weiterer Einzelheiten siehe ,,De Hulpmiddelen -der Zeevisscherij op Java en Madoera in gebruik" Batavia 1909 von Dr. P. \. v a n K a m p e n , der auch den Referenten bei jener Segelfahrt auf die Drachenfischerei aufmerksam machte. Bücherbesprechungen. Dr. Heinrich Karny , Tabellen zur Be- stimmung einheimischer Insekten. I. Mit Ausschluß der Käfer und Schmetterlinge. Wien 191 3. — Preis geb. 1,50 Mk. Das Büchlein bildet den ersten Teil eines drei- bändigen Bestimmungswerkes, dessen andere Teile die Käfer und .Schmetterlinge behandeln. Da ähnliche Bücher, wie ,,die Insekten well" von Karsch und „die Insekten" von Schlechten- dal- Wünsche gänzlich veraltet sind, füllt das Werk eine fühlbare Lücke aus. Der Verfasser folgt im allgemeinen dem vorzüglich ausgearbeiteten phylogenetischen S)'stem von Handlirsch, nur die Parasiten sind nicht nach äußeren Merkmalen, die dem Ungeübten weniger geläufig sind, sondern nach den Wirtstieren geordnet. Dabei kann die Gattung wohl nach den Tabellen aufgefunden werden, doch wird die Bestimmung der Art nach den Wirten vorgenommen. Nach der im Buche getroffenen Anordnung fällt es nicht schwer, ein Objekt zu bestimmen, da die Merkmale so definiert sind, daß sie sich gegenseitig ausschließen. Man geht zunächst die allgemeinen Merkmale durch und wird durch Leitzahlen dahinter auf die immer niedrigeren Begriffe P^amilie, Gattung und Art hingewiesen, eine Methode, wie sie jetzt all- gemein bevorzugt wird. Die heute gültigen Namen sind den bisher gebräuchlichen vorgezogen und hier und da durch deutsche Namen ergänzt. Ein ausführliches Literaturverzeichnis gibt dem fort- geschrittenen Sammler die Möglichkeit, sich ein- gehendere Kenntnisse zu erwerben. Das Buch wendet sich an die Anfänger im Sammeln, ist aber sicher wertvoll für jeden, der in der entomologischen Systematik nicht .Spezialist ist. Da auch der Preis sehr gering ist, kann es jedem empfohlen werden, dem an einer raschen und exakten Bestimmung liegt. Dr. Stellwaag. Robert Gradmann, Das ländliche Siedlungswesen des Königreichs Württemberg. — Die städtischen Siedlungen des Königreichs Württemberg. Mit einer Karte. (F"orschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XXI. Heft i u. 2.) Stuttgart, J Engelhorns Nachf., 1913/14. 6,80 u. 9,30 Mk. Der Verfasser, der durch wertvolle Arbeiten über die Beziehungen zwischen Pflanzengeographie und Siedlungsgeschichte bekannt geworden ist, faßt hier die P-rgebiiisse seiner auf Württemberg bezüglichen Studien in abschließender Darstellung zusammen, will aber zugleich einen Beitrag zur methodischen Behandlung siedlungsgeographischer 1^'ragen überhaupt bieten. Beides ist ihm in vor- züglicher Weise gelungen; die Arbeit verdient un- eingeschränkte Anerkennung. Der erste Abschnitt ist den physisch-geogra- phischen Verhältnissen des untersuchten Siedlungs- gebiets gewidmet. In überzeugender Auseinander- setzung mit den bisher vorgetragenen Erklärungs- 286 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xni. Nr. i8 theorien, namentlich bezüglich der Morphologie des schwäbisch fränkischen Stufenlandes, begründet der Verfasser seine Ansicht, die der tatsächlich vorhandenen Mannigfaltigkeit der Oberflächen- formen besser gerecht zu werden sucht und damit einer allzu einseitigen Deutung der sied- lungsgeographischen Gegensätze aus Unterschieden der Landesnatur (hier Muschelkalkgebiet, dort Keuperlandschaft und Moränengelände) vorbeugt. Im zweiten Abschnitt werden Form und Lage der ländlichen Siedlungen besprochen; unter ihren wichtigsten Merkmalen (Siedhmgsgröße, Siedlungs- dichte, Ortsform und Flurforml wird die Flurform für das Wesentlichste erklärt, die für den Geo- graphen noch darum besonders vorteilhaft ist, weil sie das geschlossenste Verbreitungsbild bietet. Es wird also in sehr bemerkenswerter Weise von geographischer Seite ein Anschluß an die agrar- historische Art der Untersuchung gewonnen, nicht mehr bloß in der Übernahme gewisser Grund- begrifte, sondern in eigener selbständig geographi- scher Weiterbildung der Methode. Ausführungen über die Hausformen, den wirtschaftlichen und kulturellen Charakter, sowie die Lage der Sied- lungen schließen sich an. Der dritte umfänglichste Abschnitt bringt die historisch geographische Be- trachtung: für die vorrömi'^che, die römische, die alemannisch-fränkische Periode wird die Ausdeh- nung der Besiedlung des Landes bestimmt; der mittelalterliche Landesausbau, das Wüstwerden mancher Orte, die Wandlungen der Siedlungen während der Neuzeit werden dargelegt. So wird die geschichtliche Entwicklung des Siedlungs- wesens mit besonderer Berücksichtigung der je- weiligen Verbreitung aus den Quellen selbständig (allerdings bei günstigem Stande der historischen Vorarbeiten) herausgearbeitet. Das Ergebiüs ist, daß gewisse Grundzüge des Siedlungsbildes im Bereich des offenen waldarmen Geländes schon seit frühen vorgeschichtlichen Zeiten vorhanden waren und sich aus anderen Naturbedingungen erklären, als sie heute bestehen, für die geschicht- liche Zeit aber die natürliche Beschaffenheit des Bodens zwar auch mit bedingend ist, aber vieles nur aus besonderen historischen Vorgängen erklärt werden kann. Die großen Gewanndörfer sind auf altem Kulturland von den einwandernden Aleman- nen begründet worden ; die Waldhufendörfer ge- hören dem mittelalterlichen Laiidesausbau an, eben- so größtenteils die Weilersiedlungen, die Einödhöfe im Südosten aber einer wirtschaftlich begründeten Bewegung seit dem 16. Jahrhundert. In entsprechender Weise wird die L'ntersuchung der städtischen Siedlungen durchgeführt. Für die Bestimmung der Merkmale einer Stadt genügt die Größe nicht ; andere, wie geschlossene Bau- weise, Mauerring, .\nlage, kultureller Charakter, müssen hinzukommen. Die Bestimmung der Städte- typen lehnt sich an die in der Reichsstatistik üb- liche Unterscheidung nach Größenklassen an; nur wird den Groß-, Mittel-, Klein- und Landstädten noch die Gruppe der Zwergstädte angefügt. Würt- tembergs hohe Städtedichtigkeit und die Art der Verbreitung der Städte erklärt sich aus der Ge- schichte. Meist sind sie neben schon bestehenden ländlichen Siedlungen entstanden, aber planmäßig gegründet; maßgebend dafür ist vor allem die günstige Lage für den Nahverkehr, die Marktlage. Auf die jüngere Entwicklung wirkte die Lage zum großen Handelsverkehr ein, bis die moderne Tech- nik neue Bedingungen der Entwicklung schuf, wofür sich auch politische Momente geltend machten. Eine geographische Übersicht über die Sied- lungsweise in den verschiedenen Landschaften Württembergs faßt das Vorausgehende zusammen und dient zur Erläuterung der beigegebenen Karle. Den Beschluß bilden knappe Aufstellungen über die Grundsätze der siedlungsgeographischen Me- thode, die in der Arbeit Anwendung gefunden haben, wesentlich nach dem Satze Hettner's, daß eine zeitlose Auffassung der Naturbedingtheit des Menschen eine L'topie ist. — Diesen Aus- führungen stimme ich rückhaltlos zu, möchte nur betonen, daf5 bei der Durchbildung der Grund- begriffe, die Gemeingut der Wissenschaft werden sollen — z. B. bei Bestimmung des Groß , Mittel- und Kleinbauerntums — die Berücksichtigung ganz Deutschlands oder noch größerer Beobachtungs- gebiete einzelne Änderungen bringen dürfte. R. Kötzschke. Karl Scheid, Chemisches Experimentier- buch. Zweiter Teil. VIII und 207 Seiten mit 51 .\bbildungen im Text. Bd. 15 der von Bastian Schmidt herausgegebenen natur- wissenschaftlichen Schülerbibliothek. B. G. Teub- ner, Leipzig und Berlin 1914. — Preis in Leine- wand gebunden 3 Mk. -. Ein recht hübsches Büchlein, mit dem man älteren Jungen, welche ein wenig zu „chemischer Bastelei" neigen, eine große Freude machen wird. Die Darstellung ist schlicht und klar, die Vor- schriften sind leicht verständlich und die Erklä- rungen einwandfrei. Das Büchlein verdient daher eine gute Empfehlung, mag auch im einzelnen hier und da eine Kleinigkeit auszusetzen sein. So wird z. B. die Erläuterung der Begriffe „Atom- gewicht" und „Äquivalentgewicht", wie der Referent aus eigener Erfahrung weiß, erheblich klarer, wenn man das Atom, wozu man ja nach den neueren Fortschritten der Wissenschaft durchaus berechtigt ist, als Realität voraussetzt und vom Begriff des Atoms deduktiv die Begrifte ,, Atomgewicht" und ..Äquivalentgewicht" ableitet und nicht, wie es Scheid in Anlehnung an Wilhelm Ostwald tut, induktiv, ohne Hinzuziehung des eigentlichen Atombegriffes, direkt aus dem Experiment er- schließt. Auch der Begriff der chemischen Formel würde so an Klarheit gewinnen. Werner Mecklenburg. A. Strei^Ier, Öldruck, Bromöldruck und ver- wandte Verfahren. Leipzig, Ed. Liesegang's Verlag. — Brosch. 2,50, geb. 3 Mk. N. F. XIII. Nr. 18 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 28; Verfasser gibt eine ausführliche Darstellung der neuerdings in der künstlerischen Photographie mit V^orliebe benutzten Verfahren. Die Wirkung der dem Werk beigegebenen Probetafeln ist in der Tat so hervorragend kiinstlerisch, daß man eher die Reproduktion eines Ölgemäldes als einer Photo- graphie zu sehen glaubt. Das Werk kann unseren Lesern, die sich mit der Photographie beschäftigen, angelegentlichst empfohlen werden ; inhaltlich ist es saclilich und gediegen angelegt. Als Mangel muß das Fehlen von Literatur und Quellenangaben bezeichnet werden, um so mehr, als dies die erste Veröffentlichung über genannte Verfahren in Buch- form ist. Gustav Blunck. O. Prelinger, Die Photographie, ihre Grund- lage und Anwendung. Verlag B. G. Teubner, Leipzig, 1,25 Mk. In dem neuen Bändchen der Sammlung ,,.Aus Natur und Geisteswelt" behandelt der Verfasser kurz und gedrängt in gemeinverständlicher Weise die Photographie. Das kleine Werk ist kein Lehr- buch, sondern bestimmt, Fernstehenden eine Über- sicht über das interessante, für Wissenschaft, Kunst und Technik so bedeutende Gebiet zu geben. Gustav Blunck. Röseler, P. u. Lamprecht, H. Handbuch für Biologische Übungen. Zoologischer Teil. Mit 467 Abbildungen und 574 Seiten Text. Berlin 19 14, Verlag von Jul. Springer. Preis 27 Mk. geb. 28,60 Mk. Man kann den Verfassern für ihre vorliegende, wohlgelungene Arbeit nur Dank zollen. Das Buch enthält nicht etwa Vorschriften, wie biologische Übungen abgehalten werden sollen; dagegen ver- wahren sich die Autoren ausdrücklich, sondern es soll den Leitern biologischer Übungen ein Hilfs- mittel sein, dieser soll sich über den zu be- handelnden Stoff rasch orientieren können. Das Buch ist keinesfalls so gedacht, daß der ganze Inhalt nachgearbeitet werden soll in den Übungen, sondern es bleibt dem Unterrichtenden volle Wahl- freiheit, was er auswählen will je nach den be- treffenden L-mständen. Es sind zahlreiche technisch ausgeprobte An- gaben und praktische Winke gegeben in jedem Abschnitt, die namentlich denjenigen willkommen sein werden , die im Anfang ihrer Unterrichts- tätigkeit stehen und noch nicht über viel eigene Erfahrung verfügen. Der Inhalt ist kurz folgender, denn auf Einzel- heiten können wir hier nicht eingehen. Der allgemeineTeil (Abschnitt 1 —4 S. i — 1 1 1 ) be- handelt die Ausstattung des biologischen Labors und die technischen Behandlungsmethoden des Materials. Dann folgt ein Abschnitt aus der all- gemeinen Histologie und aus der Ph\-siologie. In letzterem könnten meines Dafürhaltens Kürzungen eintreten , denn gerade Versuche aus der Ver- dauungsphysiologie setzen doch schon eine ziem- lich weitgehende Kenntnis in der Chemie voraus, sollen die Versuche nicht einfach vom Lernenden hingenommen, sondern auch voll verstanden werden. Der Raum, der durch solche .Streichungen frei würde, wäre ja sehr leicht für andere Darstellungen aus dem Gebiete der Physiologie auszunutzen, z. B. Bewegungserscheinungen der Protozoen; Be- fruchtungserscheinungen an Seeigeleiern usw. Im speziellen Teil (8 Abschnitte S. 112 bis 564) werden die einzelnen Stämme des Tierreichs im großen und ganzen der syste- matischen Stufenfolge nach abgehandelt. Auch hier hönnte manches wegfallen, um anderem Platz zu machen , z. B. die Kapitel über Spirochäten, Sagitta, Chitonen, Ascidieneier, über das C o r t i'sche Organ. — Dafür wären einzuschalten Kapitel über den Menschenbandwurm, die Leberegel (Distom. hep. und lanc), über Daphnia und Cyclops, über Corethra-Larven, Nais; auch das Kapitel Plankton könnte noch einige Erweiterung erfahren. Da Dytiscus sehr ausführlich behandelt wird, könnte das Kapitel über Hydrophilus gestrichen werden. Recht lobenswert sind die mit großer Sorgfalt ausgeführten sehr zahlreichen Abbildungen und es erhöht die Brauchbarkeit des Buches wesentlich, daß damit nicht gespart wurde. Von den 467 Abbildungen sind 439 völlig neu; gerade unter letzteren sind sehr instruktive Bilder. Ich habe, mit aus letztem Grunde, das Buch mit vollem Erfolg bei den zoologischen Kursen an der Universität Jena verwendet. Betonen möchte ich noch , daß die Bilder das zeigen , was man tatsächlich am Präparate sieht, und es sich nicht um Schemabilder handelt. — Eine kleine Revision bedürfen Fig. 82 u. 83. Fig. 126 ist wohl nur versehentlich als „Mitteldarm" vom Krebs be- zeichnet, es muß „Enddarm" heißen. Die Frost- schnittbilder (Krebs, Kaninchen u. a.) könnten wegfallen. Aber dies sind ganz unwesentliche kleine Mängel. Alles in allem liegt ein sehr wertvolles Hilfs- mittel des biologischen Unterrichtes vor, wie wir es bisher noch nicht besaßen. Die Reproduktion der P'iguren und die äußere Ausstattung sind ein- wandfrei. Der Preis ist in Anbetracht der vielen Abbildungen und des LImfanges nicht zu hoch angesetzt. Albrecht Hase-Jena. Anregungen und Antworten. Das Dynamit im Dienste der Landwirtschaft. (Eine Ent- gegnung zu dem Artikel in Nr. 4 dieses Jahrgangs.) Wenn Herr R. Ditmar der Landwirtschaft mit seinen .Ausführungen hätte einen Dienst erweisen wollen , wäre es besser gewesen, sich erst einmal in der Praxis umzusehen, statt sein Urteil lediglich aus Reklameschriften, z. T. sogar wörtlich , zu ent- nehmen. Damit ist jedoch niemandem gedient aufler dem Fabrikanten, und die Öffentlichkeit wird in bedauerlicher Weise irregeführt. Wir können in Deutschland nicht ohne weiteres die Me- thoden der extensiven amerikanischen Betriebe nachahmen. Das würde uns 50 % t^^r Krnten kosten. Im übrigen ist die Bodensprengung der Landwirtschaft und besonders dem Obstbau heute nicht mehr neu. Seit einer Reihe von Jahren sind durch ganz Deutschland Versuche ge- macht, die eben nicht e.i n so glänzendes Resultat 288 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. i8 ergeben haben, wie die Reklameschriften der Sprengmittel- fabrikanten angeben. Der Wasserhaushalt des Bodens ist nach Sprengungen im allgemeinen nicht zu seinem Vorteil verändert. Im Gegen- teil, es wird die Kapillarität in unvorteilhafter Weise gestört, was besonders in trockenen Sommern sehr merklich in Er- scheinung tritt. In schweren Böden verbleiben im Boden Hohlräume, deren Wände verhärten, so daß eine Sprengung hier mitunter den Boden geradezu verderben kann. Das sofortige .Nach- gießen von Wasser in die Sprenglöcher kann diese Schäden nur zum Teil verhindern. Zur Herstellung von Pflanzgruben mag in vereinzelten Fällen Sprengung mit Vorteil anzuwenden sein. Im heutigen Erwerbsobstbau rigolt man jedoch die ganze Fläche ! Pflanzung in Baumlöcher ist heute eiu glück- licherweise ziemlich überwundener Standpunkt. Zum Obstbau gehört bester, tiefgründiger Boden. Wo erst undurch- dringliche Schichten durchbrochen werden müs- sen, bleibe man ja fort mit i'bstbäuraen! Die Ver- kittungen im Boden sind meistens übrigens mit einer bloßen Durchbrechung nicht beseitigt, sondern sie beginnen von neuem. Zwischen alten Bäumen zu sprengen, ist ein sehr gewagtes Unternehmen wegen der dabei unver- meidbaren Wurzelzerrcißungcn. Es ist ein alter Aberglaube, daß die Wurzeln nur bis zur Kronentraufe reichen. Die Preise sind sowohl für einzelne Gruben wie auch für ganze Flächen sehr viel zu niedrig angegeben. Schon aus diesem Grunde allein würden die bisherigen Me- thoden der TiefkuUur dem Sprengverlahren überlegen bleiben! Denn jede Kulturmaßnalime ist im letzten Grunde eine Frage der Rentabilität. Die Düngung des Untergrundes aus Sprengkapseln, die inzwischen patentiert wurde, ist wirklich , .künstlich" ! Die Sprengung bleibt also ein Xotbehelf für einzelne Fälle, nicht aberist sie ein Kultur mittel ersten Ranges! Diesen Standpunkt hat auch die Obst- und Weinbauabteilung der Deutschen Landwirt- schaftsgesellschaft am 17. F'ebruar dieses Jahres auf der Versammlung in Berlin vertreten. Sowohl der Vortragende (Direktor Seh in d 1 e r-Proskau) wie auch die meisten Dis- kussionsredner sprachen sich ungünstig über das Sprengver- fahren aus. (Referat in den Mitteilungen der D. L. G., Stück 8/1914.) Um keinen Irrtum aufkommen zu lassen, bemerke ich ausdrücklich, daß meine Ausführungen sich nicht gegen das Sprengmittel Romperit C richten, — das halte auch ich für eines der geeignetsten — sondern gegen die Art und Weise, in welcher der Verfasser des genannten Artikels sich seine Informationen beschallt hat. F. Meyer. Herrn ( Jberlehrer Dr. Hackenberg, Lennep. — Können Singvögel Tuberkulose übertragen ? Man unterscheidet ver- schiedene Tuberkelbazillen, die mehr oder weniger deutlich voneinander abweichen und die man je nach der .Auffassung als verschiedene Arten oder Varietäten oder Standortsformen bezeichnet, nämlich den Menschen-T.-B. , den Rinder-T.-B., den Hühner-T.-B. und den KaUblüter-T.-B. Am ähnlichsten sind sich die beiden erstgenannten, doch ist bekanntlich der sich bis in die Gegenwart erstreckende Streit, ob die Rinder- T.-B. Tuberkulose beim Menschen hervorrufen können und dementsprechend die Perlsucht der Rinder auch für den Men- schen gefährlich ist, noch nicht endgültig entschieden. Weiter weicht schon der durch sein hohes Wachstumsoptimum der Temperatur ausgezeichnete Hühner-T.-B. von dem Menschen- T.-B. ab. Er ist kräftig pathogen für alle Vögel, nicht aber für den Menschen und auch für die größeren Säugetiere nicht. Dagegen scheinen die kleinen Nager nicht ganz un- empfänglich zu sein. Umgekehrt sind fast alle Vögel immun gegen den Menschen-T.-B. Eine merkwürdige .Ausnahme macht nur der Papagei, der sowohl durch die Hühner-T.-B. als auch durch die Rinder- und Menschen-T.-B. infiziert wer- den kann, spontan sogar am häufigsten durch den letzteien. Gegen den Kaltblüter-T.-B., der wahrscheinlich alle Kaltblüter angreift, besonders heftig die Frösche , sind alle Warmblüter vollständig unempfänglich. Sie können also Ihre kleinen Freunde ruhig weiter halten. Miehe. Der Ausschuß der akademischen Ferienkurse zu Hamburg spricht sich über die Ziele dieser Kurse folgendermaßen aus : „Die akademischen Ferienkurse zu Hamburg, die in enger Verbindung mit unseren wissenschaftlichen Instituten und Krankenhäusern 1913 zum ersten Male stattfanden, wollen wissenschaftlich interessierten Hörern, Lehrenden wie Lernen- den, in knapper Form und von sachverständiger Seite her, eine Orientierung bieten über den gegenwärligen Stand aus- gewählter Forschungs- und Kulturprobleme, die das geistige Leben im heutigen Deutschland beschäftigen. Es ist ihr besonderer Zweck, die inneren methodischen Zusammenhänge zwischen der wissenschaftlichen Arbeit, wie sie auf allen Einzelgebieten der Forschung geleistet wird , zu zeigen und zu fördern. Sie wollen insbesondere wissenschaftlichen Persönlich- keiten, die an den Problemen ihres eigenen Fachs interessiert sind, in Vorträgen über Probleme verwandter Fächer metho- dische .Anregung geben, neue und vielversprechende Wege, die einzelne Disziplinen eingeschlagen haben, klären und den anderen eröffnen. Es sind keine Fortbildungskurse zur .Auffrischung ver- loren gegangener oder zur Übermiulung noch nicht erworbener akademischei Berufskenntnisse. Sie wenden sich aber nicht nur an wissenschaftlich den- kende Deutsche, sondern an die Vertreter des geistigen Lebens und die Studierenden aller anderen Länder. Dem Ausländer, der an Ort und Stelle die deutsche Sprache praktisch erlernen und sich über die Erscheinungsformen der heutigen deutschen Kultur orientieren will, wollen sie ein Studienplatz und ein Wegweiser sein, ihm die Möglichkeit geben, sich bei uns selbst ein Bild von dem Stande des wissenschaftlichen Slrebens zu machen, das Deutschland heute mit seiner Heimat auf den verschiedenartigsten F'achgebieten verknüpft, die Art und den Inhalt, die Materien, Fragestellucgen und die Organisatinn des geistigen Lebens in Deutschland ihm nahebringen. Diesen persönlichen Kontakt des wissenschaftliclien und studierenden Auslands mit Deutschland wollen die Ferien- kurse in einem Zentrum des internationalen und überseeischen Lebens, in Hamburg, herstellen." Die für Ausländer bestimmten Vorlesungen und Übun- gen erstrecken sich größtenteils über die Zeit vom 13. Juli bis 8. August, zum Teil auch über die Zeit bis 22. August. Die für Ausländer und Deutsche bestimmten Vorlesun- gen linden in der Zeit vom 10. bis 22. .August statt. Ein detailliertes A'orlesungsverzeichnis mit Stundenplan erscheint im Frühjahr 1914 und wird an Interessenten kosten- frei von der Geschäftsstelle der Akademischen Ferienkurse, Martinistraße 52, Hamburg 20, versandt. Inhalt; F.mil Baur; Die tjuelle des Muskelkraft. Günther Bugge; Die Chemie des Chlorophylls. — Einzelberichte: F. v. Reitzen stein: Kreuzung von Menschenrassen. Thilo: Das Schnellen der Springkäfer. Shull: Die Lebens- fähigkeit der Dauereier von Hydatina senta und die Vererbung dieser Eigenschaft. Rieh. Schlegel: Leistungsfähig- keit des Haussperlings im Eierlegen. K. Bretscher: Vogelzug über die schweizerischen Alpenpässe. Dafert und Miklauz: Über einige neue Verbindungen von Stickstoff und Wasserstoff mit den Erdalkalimetallen. Koch und Wegener; Durchquerung Grünlands 1912,13. — Kleinere Mitteilungen: H. Balfour: Fischfang mit Drachen. — Bücherbesprechungen: H ei nr i ch K arny : Tabellen zur Bestimmung einheimischer Insekten. Robert Grad- mann; Das ländlrche Siedlungswesen des Königreichs Württemberg. Karl Scheid: Chemisches E.K|ierimentierbuch. .A. StreiUler: Öldruck. O. Prelinger: Die Photographie. Röseler und Lamprecht: Handbuch für Biologi- sche Übungen. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m, b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzen Reihe 29. Band Sonntag, den lo. Mai 1914. Nummer 19. Die Methode „of trial and error" (des Versuchs und Irrtums) und ihre psychologische Bedeutung. [Nachdruck verboten.] Im Jahre 1906 veröffentlichte Jennings, ein ameril«5s).•:*/y '■■■ •■'<'• . ''• * ./- Abb. 2. Meerschweinchen; Milz; 5 Min. direkt bestrahlt. Tötung nach 6 Stunden. Kernzerfall im Zentrum des Follikels. Die Strahlenempfindlichkeit der einzelnen Zell- arten ist also außerordentlich verschieden. Wir können gleichsam drei Empfindlichkeits- stufen unterscheiden: Erstens gibt es hoch- empfindliche Zellen, die nach der Bestrahlung fast explosiv in ganz kurzer Zeit zerfallen. Zweitens gibt es weniger, aber doch spezifisch emp- findliche Zellen, die nach der Bestrahlung unter Einhaltung einer Latenzperiode allmählich de- generieren und der Auflösung verfallen. Drittens gibt es unempfindliche Zellen, die nur durch große verschorfende Strahlendosen angegriffen werden. Wodurch dieses verschiedene Verhalten der gen hervor. Durch Strahlen werden diese Zellen nur sehr wenig beeinflußt. ^,o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 20 Zellen den Strahlen gegenüber bedingt ist, darüber wissen wir noch wenig. Der anatomische Bau der Zellen liefert uns keine Erklärung. Wir wissen nur das eine, daß die St rahle nempfind lieh - keitdereinzelnenZellartenungefährder Lebhaftigkeit der in ihnen ablaufenden Wachstumsvorgänge proportional ist. Die Zellen sind um so empfindlicher, je kürzer ihre Lebensdauer ist, je schneller sie sich ver- mehren und durch neue Zellen ersetzt werden, je lebhafter also die Teilungsvorgänge innerhalb der Kerne des betreffenden Gewebes sind. Eine sehr lebhafte Neubildung finden wir aber gerade bei den hochempfindlichen Zellen, den weißen Blut- körperchen; in geringerem Grade auch bei den Keim- drüsenzellen und bei den Dcckepithelzellen der Haut und der Schleimhäute, in noch geringerem Grade bei den Epithelien der Drüsen. Die un- empfindlichen Zellen, die Zellen der Bindesubstanzen, des Knorpels und Knochens vermehren sich dagegen wenigstens beim erwachsenen Menschen nur sehr langsam. — Man kann aus diesen Tatsachen den Schluß ziehen, daß die Zellen während der Kernteilung der Strahlenwirkung am meisten zugänglich sind. Wir kommen noch darauf zurück. Ich komme nun zur Nutzanwendung dieser Erkenntnisse auf die Bestrahlung der bös- artigen Geschwülste. Wir unterscheiden zwei Formen von bösartigen Geschwülsten , den Krebs und das Sarkom; beide wachsen schrankenlos zerstörend in die Umgebung hinein, auf Kosten des Organismus, der ihnen schließlich zum Opfer fällt. Es sind aber ganz andere Zellen, die den Krebs und das Sarkom zusammensetzen. Der Krebs geht von den Epithelien aus, d.h. von den Deckzellen der Haut, der Schleimhäute und der Drüsengänge, das Sarkom aber von den Bindesubstanzen, zu denen das Bindegewebe, der Knorpel und Knochen, ferner auch das Lymph- gewebe und das Knochenmark gehört. — Bei denbös- artigen Geschwülsten finden wir nun ganz dieselben Unterschiede in der St ra hl enempfindlichkeit wie beim normalen Gewebe. Die Zellen der Ge- schwülste sind im allgemeinen ebenso strahlen- empfindlich wie die Zellen des Mutter- gewebes, von denen sie ausgegangen sind, nur ist ihre Strahlenempfindlichkeit durchschnittlich und gleichmäßig etwas größer, als die des Mutter- gewebes, weil die Zellen der schnell wachsenden bösartigen Geschwülste in lebhafter Vermehrung und Teilung begriffen sind (s. o.) Unter den Sarkomen gibt es Geschwülste von höchster Strahle nempfindlichkeit, (z. B. die sogenannten Lymphosarkome, die von den Zellen des lymphatischen Gewebes, den Lymphocyten ausgehen), die nach der Bestrahlung manchmal wie Butter an der Sonne innerhalb von wenigen Tagen verschwinden. Leider gibt es aber auch Sarkome, d i e auf die Strahlen gar nicht oder fast gar nicht reagieren, z. B. die häufigen von der Knochenhaut ausgehenden Ge- schwülste, die die geringe Strahlenempfindlich- keit mit ihrem Muttergewebe teilen und deshalb mit Radium- oder Röntgenstrahlen kaum angreif- bar sind. Etwas gleichmäßiger liegen die Verhältnisse bei den viel häufigeren und wichtigeren K rebs - gesell Wülsten, deren Zellen im allgemeinen die ziemlich hohe Strahlenempfindlichkeit der Deckepithelien zeigen. Wie diese zerfallen auch die Zellen des Krebses nach der Bestrahlung ganz allmählich innerhalb von Wochen unter den Zeichen der fortschreitenden Kerndegeneration. Die Krebse der Schleimhäute reagieren etwas weniger gut als die der äußeren Haut und die Krebsgeschwülste der Drüsen noch etwas weniger, aber spezifisch zu beeinflussen sind sie offenbar alle. Man kann sie ohne schwere Schädigung des umgebenden gesunden Gewebes durch die Be- strahlung zerstören — so lange sie sich nicht im ganzen Körper veilireitet haben. Aus diesen Ausführungen geht also hervor, daß die St rahle nempfindlichkeit der Ge- schwülste sehr verschieden ist. Ferner sieht man, daß die meisten Geschwülste, vor allem alle Krebsgeschwülste, weniger strahlenemp- findlich sind als manche normale Zellen, insbesondere die weißen Blutzellen und ihre Bildungsstätten. Wir müssen also, wenn wir Ge- schwülste an solchen Stellen bestrahlen, an denen die Strahlen auch diese normalen Organe treffen müssen, damit rechnen, daß an ihnen Zellzer- störungen frühzeitiger und in größerem Umfange auftreten als an der Krebsgeschwulst selbst. Die dadurch bedingte Gefahr scheint aber bei vor- sichtigem Vorgehen und bei Bestrahlung nicht zu ausgedehnter Partien des Körpers nicht sehr groß zu sein, weil gerade die hochempfindlichen sich schnell vermehrenden Zellen, insbesondere die weißen Blutzellen, auch eine sehr ausgesprochene Regenerationsfähigkeit besitzen. Wie kommt es nun eigentlich, daß die lebende Zelle durch Röntgen- und Radi umstrahlen beeinflußt wird? Welche Kräfte sind dabei wirksam .? Eine befriedigende Antwort auf diese Frage können wir heute noch nicht geben, trotz aller Arbeit, die man auf die Lösung dieses Problems verwandt hat. Wir stecken da noch ganz in den Hypothesen. Man kann bei der Erklärung zunächst an die bekannten physikalischen Wirkungen der Strahlen anknüpfen, d. h. an die Fähigkeit, nicht leitende Körper zu ionisieren, d. h. leitfähig zu machen und an die Eigenschaft, Fluoreszenz zu erregen. Daß derartige Vorgänge sich auch im lebenden Gewebe abspielen , ist sehr wahrschein- lich, doch ist es bisher nicht möglich gewesen, über Vermutungen in dieser Hinsicht hinauszu- kommen. Man kann ferner auf die Tatsache zurückgreifen, daß die Strahlen die Eigenschaft haben , überall dort, wo sie auftreffen, wo sie in ihrer Bahn ge- N. F. XIII. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 309 hemmt werden, eine sekundäre Strahlung hervorzurufen. Diese Sekundärstrahlung ist z. T. eine körperliche, eine Elektronenstrahlung, d. h. die auftreftenden Primärstrahlen sind imstande,. Elektronen aus dem getroftenen Gewebe heraus- zuschleudern. Zum anderen Teil ist die Sekundär- strahlung eine Atherbewegung, wie die Röntgen- strahlen und die y-Strahlen des Radiums, und dann in ihrer Stärke von dem Atomgewicht der betreffenden Substanz abhängig. Man kann sich nun wohl vor- stellen, daß dieser Vorgang der Sekundärstrahlung mit einer Zerreißung des Zellzusammenhaltes ver- bunden ist, und kann diese Annahme auch zur Erklärung des explosiven Kernzerfalls an den hoch- empfindlichen Zellen gelten lassen. Ferner ließe sich auch die verschiedene Reaktion der einzelnen Zellarten auf diese Weise erklären, da die ver- schiedene chemische Zusammensetzung der Ge- webe die Art und Stärke der Sekundärstrahlung bestimmt. Aber diese Theorie liefert uns keine Erklärung für die zwischen Bestrahlung und Ein- tritt der Reaktion liegende, u. a. bis zu mehreren Monaten betragende Latenzzeit. Man hat auch die chemische Wirkung der Strahlen, die wir von der photographischen Platte her kennen, zur Erklärung des biologischen Effektes herangezogen. Schwarz hat schon 1903 die Beobachtung gemacht, daß sich bei der Be- strahlung von Hühnereiern eine Verfärbung und Geruchsveränderung des Eidotters entwickelt, die durch Zerstörung des charakteristischen F"ettstoffes des Dotters, des Lezithins bedingt ist. Bei weiterer Verfolgung dieser Untersuchungen, um die sich namentlich Werner verdient gemacht hat, hat sich herausgestellt, daß die Einverleibung des durch Strahlen zerlegten Lezithins und seiner synthetisch darstellbaren Spaltungsprodukte (in erster Linie des Chol in) im Tierkörper ähnliche Veränderungen hervorruft wie die Bestrahlung selbst. Daran hat man die Hypothese geknüpft, daß die Strahlenwirkung durch Lezithinspaltung zu erklären sei und daß die nach der Bestrahlung auftretenden histologischen Veränderungen auf einer Giftwirkung des abgespaltenen Cholins be- ruhen. Die chemische Erklärung der Strahlenwirkung ist aber sicher nicht ganz zutreffend. Zwar ist es richtig, daß man durch Einspritzung von Cholin strahlenähnliche Veränderungen, z. B. Kernzerfall im Lymphgewebe und in den Keimdrüsen und auch gewisse Hautveränderungen erzeugen kann, aber diese Eigenschaft teilt das Cholin mit manchen anderen Giften. Die Hoffnungen, die man an die Cholinhypothese knüpfte, nämlich bös- artige Geschwülste durch Einspritzung von Cholin- lösungen heilen zu können, haben sich nicht er- füllt. — Man kann aber auch durch einen ein- fachen Versuch zeigen, daß das Wesen der Strahlen- wirkung mit den chemischen Veränderungen, die sie zweifellos hervorrufen, nicht erschöpft ist. Wenn man ein Kaninchen zur Hälfte bestrahlt, so sieht man die charakteristischen Strahlenveränderungen nur in der exponierten, nicht aber in der ge- schützten Körperhälfte auftreten. Wären die chemischen Umsetzungen im bestrahlten Gewebe so bedeutend, so müßten die Spaltungsprodukte durch den Blutstrom sofort im ganzen Körper herumgetragen werden und überall die gleichen V^eränderungen auslösen, was tatsächlich nicht der Fall ist. Übrigens würde sich auch die Latenz- periode durch die chemische Hypothese schwer erklären lassen. Den besten Einblick in die feineren Vorgänge bei der Strahlenwirkung haben uns die hochinter- essanten Versuche von H e r t w i g gebracht. H e r t - w i g fand bei der Bestrahlung von Eiern des Pferde- spulwurms und von PVöschen, daß die Bestrahlung des befruchteten Eies Anomalien der Kern- teilung und des Furchungsvorganges nach sich zieht und daß die Embryonen entweder auf einem frühen Entwicklungsstadium absterben oder sich zu Mißbildungen weiter entwickeln. Die gleichen Mißbildungen lassen sich erzeugen, wenn man die Eier- und Samenzellen vor der Befruchtung isoliert mit mittleren Dosen bestrahlt, und zwar ist der Effekt derselbe, gleich ob eine bestrahlte Eizelle mit einer normalen Samenzelle oder eine normale Eizelle mit einer bestrahlten Samenzelle verbunden wird. Nun verhält sich aber die Masse des Lezithins der Samenzelle zu der der Eizelle „wie ein Weizenkorn zu einem ganzen Sack voll Weizen". Wäre die Wirkung auf das Lezithin das eigentliche Wesen der Strahlenwirkung, so müßte der Effekt ganz verschieden ausfallen, je nach dem die kleine Sperma- oder die große Ei- zelle bestrahlt wird. Das ist aber nicht der Fall. Die Gleichartigkeit des Effektes in beiden Fällen weist vielmehr darauf hin, daß die Strahlenwirkung an denjenigen Teilen der Zellen angreift, die in der Ei- und Samenzelle in gleicher Menge vor- handen sind. Das sind die Elemente des Zellkerns, die Chromosomen. Die Hert wig'schen Untersuchungen führen uns aber noch weiter. Es hat sich nämlich heraus- gestellt, daß die isolierte Bestrahlung der Samen- und Eizelle vor der Befruchtung ziemlich normale Individuen entstehen läßt, wenn mit sehr hohen Dosen bestrahlt wird, während eine ge- ringere Bestrahlung, wie eben erwähnt, Miß- bildungen hervorruft. Diese anscheinend paradoxe Erscheinung erklärt sich dadurch, daß die nach intensiver Bestrahlung entstehenden anscheinend normalen Individuen haploide Organismen sind, d. h. Organismen, deren sämtliche Zellkerne nur die halbe Chromosomenzahl, nämlich nur die Chromosomen des nicht bestrahlten Elters ent- halten. ^) Die Chromosomen der bestrahl- ten Zelle teilen sich nämlich nicht mehr und treten nicht, wie in der Norm, mit in den Komplex der Tochter- und Enkelzellen ein. ') Daß solche haploide Organismen bei Pflanzen und Tieren vorkommen, ist bekannt. Man weiß auch , daß sie sich zu anscheinend ganz normalen Individuen entwickeln können. 310 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 20 Durch die Bestrahlung ist also dem Samen- oder Eikern die Fähigkeit ge- nommen worden, sich zu teilen, nicht aber die Fähigkeit, zu befruchten oder befruchtet zu werden. Ähnliche Beobachtungen hat auch Halberstädter bei der Bestrahlung von Trypanosomen gemacht. Er hat gefunden, daß die bestrahUen Trypanosomen nicht absterben, sondern sich in anscheinend normaler Weise weiter bewegen, daß sie aber die Fähigkeit, Aft'en zu infizieren, verloren haben. Offenbar ist diese hähigkeit an die — durch die Bestrahlung aufgehobene — Vermehrung der Parasiten gebunden. — V. Wassermann hat vor kurzem auch an Mäusegeschwülsten zeigen können, daß die Strahlen die Zellteilung verhindern können. Die Tatsache, daß die Bestrahlung die Tei- lungsfähigkeit des Kernes aufheben kann, ohne die Zelle direkt abzutöten, ist für die Kenntnis der biologischen Strahlen- wirkung von großer Bedeutung; sie erklärt uns vor allem die bisher so rätselhafte lange Latenz- zeit der Strahlenwirkung: jede Zelle des Körpers hat eine bestimmte Lebensdauer, nach deren Ablauf sie durch eine neue, durch Zellteilung entstehende Generation ersetzt wird. Bleibt die Zellteilung aus, so verschwindet die alte Generation, ohne daß die Lücke ausgefüllt wird : es entsteht ein Gewebsdefekt. Je kürzer die natürliche Lebensdauer einer Zelle ist, desto schneller muß das Ausbleiben des Zell- ersatzes nach ihrem Tode in Erscheinung treten. Nimmt man solchen Zellen , deren Lebensdauer Neuere Meteoriteiifiinde in Europa. Sammelreferat von F. Heide (Jena). [Nachdiuck verboten.] Das nachfolgende Referat umfaßt die seit dem Jahre 1900 neu in Europa aufgefundenen Meteoriten. Ihre Zahl beträgt insgesamt elf, und zwar ein Achondrit (eisenarme Steine, im wesentlichen ohne runde Chondren), sechs Chondrite (im wesentlichen aus Bronzit, Olivin, Nickeleisen be- stehend, mit runden oder runden und polyedrischen Chondren), zwei Lithosiderite (Übergänge von den Eisen zu den Steinen; kristallinisch-körnige Silikate in einem auf Schnittflächen zusammen- hängend erscheinenden Nickeleisennetz) und zwei Meteoreisen. Die Literaturangabe bezieht sich jedesmal auf die Originalarbeit. Wer weitere Angaben wünscht, der sei auf die vorzüglichen Zusammenstellungen von F. B er wert h in Bd. I, II, III der „Fort- schritte der Mineralogie, Kristallographie und Petro- graphie", herausgegeben von Prof. Dr. L i n c k (Verlag von Gustav Fischer, Jena), verwiesen. Stein meteoriten. Achondrite. Am 12. Juni 1910, 7h25"i abends fiel bei dem Dorfe Pekkola in der Nähe der Bahnstation Hietanen im Kirchspiele S t. M i c h e 1 im Gouvernement gleichen Namens ein Meteor- stein. Er wurde von L. H. Borgström be- schrieben („Der Meteorit von St. Michel". Bull. Comm. Geol. de Finlande. Nr. 34. Helsingfors; August 1912; S. I — 49; Tafel I — III). Der Meteorit nur nach Stunden zählt — wie dies vielleicht bei den weißen Blutzellen der F'all ist — die Ver- mehrungsfähigkeit, so muß sich der Ausfall schon nach kürzester Zeit bemerkbar machen, handelt es sich um Zellen mit längerer Lebensdauer, wie die Epithelien, so tritt die Wirkung erst nach Tagen oder Wochen, d. h. nach Ablauf ihres Lebens in Erscheinung. Endhch werden wir überhaupt keine Wirkung zu sehen bekommen, wenn wir solchen Zellen die Teilungsfähigkeit nehmen, die sich beim ausgewachsenen Individuum überhaupt kaum mehr vermehren , wie diejenigen des Skelettes. ') Der Tod der Zelle wird dann mit dem Tode des Indi- viduums zusammenfallen müssen. Durch die Vernichtung der Zellteilung lassen sich aber keineswegs alle bei der Bestrahlung lebender Zellen auftretenden Erscheinungen er- klären. Die Einwirkung der Strahlen auf die lebende Zelle ist offenbar recht komplizierter Natur und es ist uns vorläufig nicht möglich, alle biologischen Wirkungen einheitlich zu erklären. Von einem klaren Einblick in die bei der biologi- schen Strahlenreaktion wirksamen Kräfte sind wir noch weit entfernt und es wird noch vieler For- scherarbeit bedürfen, bis unsere theoretischen Kenntnisse der heute weit vorausgeeilten Praxis der Strahlenbehandlung folgen können. ') Die Bestrahlung der Knochen von kindlichen Individuen hat aber starke Störungen des Längenwachstums zur Folge 1 muß ziemlich senkrecht herabgefallen sein ; ein 7 kg schweres Stück hatte ein 59 cm tiefes, ein anderes Stück von 10 kg ein 50 cm tiefes Loch in die Erde geschlagen. Von diesen beiden, beim Aufschlagen zertrümmerten Stücken konnten 6,802 und 9,650kg geborgen werden; sie befinden sich in der geologischen Landesanstalt. Die Schmelz- rinde ist 0,05 — 0,2 mm dick, unter ihr liegen eine Saugzone von 0,03 — 0,15 cm Dicke und schließ- lich eine Imprägnationszone von 0,20—0,45 mm Mächtigkeit, die mit Magnetkies von der äußersten Zone imprägniert ist. Die chemische Analyse ergab: Fe ^= 11,71 Ni = 1,16 Co = 0,13 Cu = 0,01 SiO., :^= .39,52 TiOa = 0,02 Al„0, = .3,31 Cr,0, = 0,56 FeO = 13,44 MnO = 0,41 CaO = 1,64 MgO = 24,60 KjO = 0,13 Na,0 • I,.32 P = 0,08 S = 2,22 100,26 Sp.G. = 3,557. N. F. XIII. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ;ii Aus der Analyse läßt sich folgende mineralo- gische Zusammensetzung berechnen: Nickeleisen ^ 8,71 Schreibersit = 0,51 Magnetkies =^ 6,11 Chromit = 0,82 Olivin = 43.22 Bronzit = 26,25 Plagioklas = 14,63 100,25 Der Olivin ist sehr eisenreich; das Verhältnis von FeO : IVIgO = i : 3,18. Der Bronzit ist farblos und weist normale Eigenschaften auf; bei ihm ist das Verhältnis von FeO : MgO = i : 3,73- Der Feldspat ist ein Oligoklas, Ab^Anj, mit sehr nie- driger Doppelbrechung (höchstens 0,06) und einer Auslöschung von 2 — 3". Das Nickeleisen setzt sich zusammen aus 86,6% Fe, ii,8''/o Ni, 1,5 7o Co; Sa. 100,00 "Z^,. Unter dem Mikroskop erweist sich der Meteorit als ein kristallinisch-körniges Gemenge von vor- waltend farblosen Silikaten mit Körnchen von metallischen Mineralien und nur vereinzelten Chon- dren oder Chondrenfragmenten. Der Meteorit ist seiner Zusammensetzung und seinem Gefüge nach als ein sehr chondrenarmer Rodit (Ro) zu bezeich- nen. Der Verfasser ist der Meinung, daß die Struktur des Steines das Resultat einer unvoll- ständigen Metamorphose eines Trümmergesteines (Tuffes) ist, dessen Partikelchen wegen der Ab- wesenheit jeglicher Schichtung keinen Lufttrans- port erlitten haben. Daraus zieht Borgström den Schluß, daß sich die meteorischen Tufife im Gegensatz zu den irdischen in einer extrem dünnen Atmosphäre gebildet haben. Chondrite. Am 22. Januar 1910, abends 9V2 Uhr, fiel in Vigarano Pieve bei Ferrara ein Meteorstein, den Aristide Rosati unter dem Namen Cariani beschreibt. („Mikrosk. Studium des in Vigarano Pieve bei Ferrara im Januar 1910 gefallenen Meteoriten". Atti. R. Accad. dei Lincei, Roma; [5]; 19. I. S. 841—846. 16./VI. Rom.) Der Meteorit hat ein Gewicht von 11,5 kg, seine Abmessungen sind 17,5 : 18,5 : 20 cm. Die glän- zend schwarze Schmelzrinde ist 2 mm dick. Die Mineralbestandteile sind Olivin, Bronzit, Nickeleisen, Magnetkies; akzessorisch Chromit, Plagioklas, Augit, Glas und C-haltige Substanzen. Unter dem Mikroskop zeigen sich zahlreiche Chondren von Olivin und Bronzit. Auch schwarze Chondren kommen vor. Die Struktur ist tufifartig. Der Meteorit wird als schwarzer Chondrit (Cs) bezeichnet. Aus derselben Gegend stammt der im Februar 1910 gefundene und von Rosati unter dem Namen Morandi beschriebene Meteorit (Atti R. Accad. dei Lincei, Roma. [5] 19. IL 25—27. 3./VII. Rom.) Er hat ein Gewicht von 4,5 kg und zeigt dieselbe mineralogische Zusammensetzung und dieselbe Struktur wie der eben angeführte Meteorit Cariani. 99,614') Am 28. April 1904, 6'' 20'" nachmittags fiel unter donnerartigem Geräusch in der Umgebung der Dörfer Gumoschnik, Wrabewo, Debuewo ein Meteorstein, den G. Bontschew untersuchte. („Der Meteorit von Gumoschnik im Bezirke Trojan in Bulgarien." Mit einer topographischen Skizze und einer Tafel mit einigen Photographien und Mikrophotographien. Periodizesko spisanie. 71. p. 373 — 390. Bulgarisch mit deutschem Auszug. Sofia 19 10.) Von diesem Meteoriten wurden 5 — 6 Stücke in einer Tiefe von 10 — 60 cm gefunden; das schwerste wog 3,815 kg; das Gesamtgewicht aller Stücke betrug 5,669 kg. Die Stücke sind in des Richtung von N-S niedergefallen und sind von einer dünnen, schwarzen Rinde bedeckt. Die chemische Analyse ergab folgenden Befund : Magnetischer Teil Nichtmagnetischer Teil Fe = 67,141 SiOj = 45,980 Ni = 2,135 Cr^Og = 0,062 Fe^Sg = 2,028 Fe.,03 = 22,834 Silikate = 28,310 FeO = 4,082 MnO ^ 0,190 CaO = 2,460 MgO = 24,470 100,078 Die Analyse des gesamten Meteoriten ergab: Fe = 15,012 Ni = 0,467 Fe-Sg = 0,453 SiOs = 42,363 CrjOg = 0,048 Fe.Og = 17,872 FeÖ = 3,29s MnO = 0,147 CaO = 1,916 MgO = 18,998 Glühverlust = 0,163 ^ö;734r Die mineralogische Zusammensetzung ist: Oli- vin, Enstatit, Augit, Nickeleisen, Magnetkies, Chro- mit und eine feinkörnige bis dichte Masse von unbestimmter Natur. Die Farbe des Meteoriten ist grau, übersät mit schwarzen und braunen Pünktchen, die von Eisen- und Erzteilchen herrühren. Die Struktur ist tuffös. Chondren treten sehr zahlreich auf und lassen sich zum Teil aus der Grundmasse loslösen. Sie bestehen aus Olivin und Enstatit. Der Meteorit ist der zweite in Bulgarien auf- gefundene. In den Comptes rend. beschreibt Meunier einen Meteoriten, der am 30. Juni 1903 beim Gute K e r m i c h e 1 , Gemeinde Limerzel, Kanton Roche- forten-Terre (Morbihau) gefallen ist. („Sur deux meteorites frangaises recemment parvenues au Mu- seum et dont la chute avait passe inapergue". C. r. Bd. 154, 1912. S. 1739 — 1741.) Aufgefunden wurde dieser Meteorit erst am 10. April 191 1. Infolge des langen Liegens war der Meteorstein schon ziemlich verwittert. ') Im Original stellt 99,814. 312 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 20 Die chemische Analyse ergab: SiO, = 36,60 MgO = 24,14 CaO = Spur K„0 = 1,64 Na^O = 1,70 AUO, = 8,00 Fe„0, = 2,90 FeO = 21,60 Ni,03 = 1,20 97.78 Die Struktur ist klastisch. In einer schwärz- lichen Grundmasse liegen zahlreiche metallisch glänzende Körnchen von Nickeleisen. Die Silikat- körner sind teilweise von Kristallflächen begrenzt. Nach der in Frankreich gebräuchlichen Klassifika- tion der Meteoriten, die vonMeunier aufgesteUt wurde, ist der Meteorit dem Typus der Luceite (Olivin, Bronzit und Enstatit; Struktur sehr fein) zuzuweisen. Am 30. November 1901 fiel mittags um 2 Uhr ein kristallinischer Kügelchenchondrit (Cck) im Chervatt ez- Walde bei Chatillens,Waadt, Schweiz. Er wurde beschrieben von M. Lugeon. („Le met. de la Chervettaz. Bull, des laboratoires de Geol., Geogr. etc. de l'universite de Lausanne. Nr. 6, 1904. S. 487 — 496. S. a. Bull. Soc. Vau- doise de sience natur. iO. Nr. 149. Der Meteorit ist 800 g schwer und hätte beim Niederfallen beinahe einen Waldarbeiter getroffen. Weitere Angaben können nicht gemacht werden, da es dem Ref trotz aller Bemühungen unmög- lich war, in die angeführte Literatur einzusehen. Der Meteorit von H vittis fiel am 21. Oktober 1901 kurz vor 12 Uhr mittags im Kirchspiel Hvittis, AboLän, Finnland, unter donnerähnlichem Getöse. Er wurde der geologischen Kommission eingehändigt und von L. H. Borgström unter- sucht. („Die Meteoriten von Hvittis und Marja- lahti." Diss., Helsingfors 1903.) Sein Gewicht beträgt 14,050 kg, die Abmessungen sind 28X23 Xi3,S cm. Die Form ist gerundet, länglich ab- geplattet. Er gehört zu den ,, orientierten" Me- teoriten. Die Brustseite ist kuppeiförmig und mit einer nur rund 0,1 mm dicken Rinde bekleidet. Die Rückenseite ist ausgefüllt mit flachen Gruben, die Rinde ist hier 2 — 3 mal so dick wie auf der Vorderseite. Der Meteorit besteht hauptsächlich aus einer feinkörnigen Mischung von Silikaten mit metalli- schem Nickeleisen und Sulfiden. Die chemische Analyse ergab : SiOj = 41.53 Fe ^= 24,66 FeO = 0,34 Ni = 1,96 Co = 0,07 A1,0, ^ I.S5 Cr,0, = 0,57 CaO = 1,41 K^O = Na,0 = 0,32 1,26 S = P = 3.30 0,08 100,28 Die aus dieser Analyse ermittelte mineralogi- sche Zusammensetzung ergab folgenden Befund: Oldhamit (CaS) = o,861 Daubreelith(FeSCr.,S3)= 0,57^8,74 °/o Sulfide Magnetkies = 7,31) Schreibersit = 0,50( 22,0 ^/^ gediegen Nickeleisen = 21,50) Metalle u.Phosphor •instatit =59,Oi\g8 8 0/ Siiij-^te Oligoklas = 9,86( ' ^ '<• Chromit = 0,32} 0,32 % Chromit Der Enstatit kommt in bis 1,5 mm langen Kristallen oder als Cliondren vor. Seine Dichte beträgt bei sorgfältig gereinigtem Material 3,217. Seine Zusammensetzung ist: SiO, = Al,03 FeO CaO MgO Na^O K,0 59.05 1,09 0,90 : 0,98 37.10 : 0,68 ■ °'4L 100,27 Er ist also fast eisenfrei. Der Plagioklas ist später auskristallisiert als der Enstatit und bildet zuweilen eine „Zwischenklemmungsmasse" zwischen den Enstatitkristallen. Hin und wieder findet man Schnitte, die aus Lamellen aufgebaut sind. Seine Dichte ist 2,60 — 2,65. Die Analyse ergab: AbjAni SiO, = 63,5 SiO., = 63,3 AloOg = 22,2 AUOg = 23,1 CaO = 4,0 CaO = 4,2 Na,0 = 9,2 Na,0 = 9,4 K,0 = 1,1 KjO = 0,0 100,0 100,0 MgO = 23,23 Der Plagioklas ist demnach, wie sich aus der daneben angeführten Analyse des Oligoklases (Ab^AnJ ergibt, ein Oligoklas, wofür auch der optische Befund spricht. Der Oldhamit erscheint in mikroskopischen Präparaten als kleine, hell braungelbe, isotrope Körnchen mit zwei gleich gut entwickelten, aufeinander senkrecht stehenden Spaltrichtungen. Das Nickeleisen bildet Körner und Klümpchen bis zu 2 mm Durchmesser. Seine Zusammensetzung wurde, wie folgt, berechnet: Fe = 91,11 Ni = 8,56 Co = 0,33 100,00 Der Magnetkies bildet kleine goldgelbe Körner. Der Daubreelith wurde im Hvittis-Meteoriten zum ersten Male in einem Meteorstein nachgewiesen. Graphit wurde in zwei kleinen Knollen von 2 und 1^/2 mm Länge und etwa i mm Durchmesser N. F. Xm. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 313 gefunden. Ferner wurden noch geringe Mengen Glas und eines unbestimmbaren Minerals und stellenweise zahlreiche Gasporen beobachtet. Der Meteorit ist sehr fest und zäh, sein Bruch ist muschelig. Die Bruchflächen haben eine dunkelgraugrüne Farbe. Chondren treten nur ver- einzelt auf und sitzen sehr fest in der Grundmasse. Sie werden beim Zerschlagen mit zersprengt. Seinem Gefüge nach besteht der Meteorit aus einer Grundmasse von kristallisierten Silikaten mit eingemengten Sulfiden und Metallpartikelchen, sowie aus einzelnen Chondren. Seiner mineralogi- schen Zusammensetzung nach unterscheidet er sich wesentlich von den übrigen Chondriten. In ihm wurde der erste Vertreter einer neuen Meteo- ritengruppe erkannt, nämlich die der kristallinen Enstatitchondriten (Gek.). ^) Eisenmeteoriten. Lithosiderite. Ein dem Pallaseisen von Krasnojarsk sehr ähnlicher Pallasit wurde im Sep- tember 1902 in Finnmarken unter 69''42' n.Br. und 22" 13' ö. L. V. Gr. gefunden. E. Cohen veröffentlichte eine kurze Mitteilung über ein ihm zugesandtes Stück dieses Meteoriten („Ein neuer Pallasit von Finnmarken". Mitt. des naturw. Ver- eins von Vorpommern und Rügen. Bd. XXXV, 1903, S. i). Der Meteorit ist 77,5 kg schwer. Der metallische Teil zeigte sich sehr reich an Nickel. Er hinterließ beim Auflösen in HCl einige schwarze Körnchen, die die Chromreaktion ergaben und wohl als Chromit zu deuten sind. Die Anwesenheit von Schreibersit lies sich eben- falls erkennen. Das Nickeleisen zeigte beim Ätzen prächtige Widmann statten' sehe Figuren. Die Silikate werden von Wickelkamazit um- geben. Die deutlich von Taenit umsäumten Bal- ken sind schmal und in der Regel geschart. Fülleisen herrscht stark vor. Kleinere F"elder be- stehen aus dunklem , feinkörnigem Plessit mit winzigen glänzenden Füttern. Die großen Felder wiederholen auf das zierlichste den Aufbau des ganzen Nickeleisens, indem kleine, 0,05 — 0,1 mm breite von Taenit umsäumte Balken und dunkle Felder — besonders unter dem Mikroskop — scharf hervortreten. Die Silikate scheinen reich- lich vorhanden zu sein. Die noch erhaltenen Olivine erreichen eine Größe von 1,5 cm und scheinen, soweit man ohne Dünnschliff beurteilen kann, aus kompakten, gerundeten, wie angeschmol- zen aussehenden Kristallen zu bestehen. Ebenfalls ein Pallasit ist der Meteorit, der am I. Juni 1902 gegen 10 Uhr abends bei Marja- lahti am Ladoga-See, Kirchspiel Jaakkima, Viborgs Län, Finnland, fiel und der von L. H. Borgström beschrieben wurde („Die Meteoriten von Hvittis und Marjalahti". Diss., Helsingfors 1903). Durch den Aufprall wurde der Meteorit zertrümmert. Die größten Stücke wiegen 22,7 und 4,8 kg; das gesamte gefundene Material zu- sammen 44,8 kg. Die Rinde, die sich leicht ab- lösen läßt, ist papierdünn bis 0,5 mm dick. Die Untersuchung ergab, daß der Meteorit ein Pallasit ist. Er besteht hauptsächlich aus einem Gemenge von Nickeleisen und Olivin, untergeordnet kommen Troilit und Schreibersit vor. Das Nickel- eisen macht 80 "/o der gesamten Masse aus. Seine Zusammensetzung ist: Fe = 92,28 Ni = 7,13 Co = 0,42 "99,83" Beim Ätzen treten Widmannstätten' sehe F'iguren auf Der Plessit ist nicht einheitlich, son- dern wird von einem feinkonstruierten Lamellen- system, das parallel mit den Balken verläuft, durch- zogen. Der Kamazit zeigt reichlich „Feilhiebe" und ist abgekörnt. Der Olivin zeigt auf den Schnittflächen eine gerundete, polyedrische Be- grenzung und ist von gelblicher Farbe. Sein spez. Gewicht ist 3,3778. Die chemische Analyse ergab: SiO, = 40,26 = 11,86 0,12 = 47.26 = 0,05 = 0,21 FeO Cr.Og MgO K,0 Nä,0 99.76 Das Verhältnis von MgO : FeO ') Als zu dieser Gruppe gehörig haben sich noch die Meteoriten von Pillistfer und St. Marks in Südafrilfa erwiesen. 7:1. Der Magnetkies kommt in runden Partikeln bis zu i cm Durchmesser vor. Seine Zusammensetzung ist: Fe = 63,63 S == 35.93 99.56 Der Schreibersit ist weniger häufig als der Magnetkies und kommt in Individuen bis zu 0,5 cm Durchmesser vor. Seine Dichte ist 7,278. Die Analyse ergab: Fe = 55,15 Ni = 29,15 Co = 0,21 P ^ 14,93 99,44 Der Meteorit von Marjalahti ist der einzige Pallasit, dessen Fall beobachtet wurde. Oktaedrite. Im Sommer 1906 wurde ein Meteoreisen bei Muonionalu sta im nördlichen Schweden gefunden und von A. G. Högbom beschrieben (,,Uber einen Eisenmeteorit von Muonionalusta im nördlichsten Schweden". Bull, of the Geolog. Inst, of the Univers, of Upsala, 9, 1908 — 1909, S. 229 — 238. Mit I Tafel). Sein Gewicht beträgt 7,53 kg, seine Dichte ist 7,9. Der keilförmige Meteorit ist von vier Hauptfiächen begrenzt, die eine charakteristische Oberflächen- skulptur zeigen und der Lage von Oktaederflächen entsprechen. Brust- und Rückenseite sind deut- lich zu unterscheiden. Die den Meteoriten ganz überziehende Rostrinde ist dünn. Stellenweise 314 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 20 läßt sich noch eine schwarze Braiidrinde erkennen, von der dünne Adern in das Innere des Meteo- riten eindringen. Das Eisen setzt sich zusammen aus der Nickel- eisentrias, Magnetkies und Daubreelith. Die Menge der Trias beträgt etwa 99 '%, Magnetkies und Daubreelith sind, nach Messungen auf den Schnitt- flächen, höchstens 0,2 % vorhanden. Die von R. Manzelius ausgeführte Analyse ergab: Fe = 91,10 Ni = 8,02 Co = 0,69 Cu = 0,01 Cr = 0,01 P = 0,05 99.88 C und S wurden nicht bestimmt. Der Dau- breelith bildet Einschlüsse im Magnetkies, von dem einige Körner parallel den Widmann- stät t en'schen Lamellen orientiert sind. Der Dicke der Lamellen nach gehört der Meteorit zu den Oktaedriten mit feinen Lamellen (Of). Der Kamazit zeigt den gewöhnlichen Schimmerreflex. Der Taenit weist keine Be- sonderheiten auf. Der Plessit, der etwa 1 7 ^l„ der Trias ausmacht, ist mitunter von feinen Lamellen durchsetzt und wiederholt so im kleinen den Aufbau des ganzen Eisens. Das Meteoreisen von Westböhmen wurde 1909 gefunden und von K. Vrba beschrieben („Ein neuer Fund von Meteoreisen''. Böhmisch im Anzeiger der Akademie Prag, 1910. S. 265 bis 266. Sitzungsberichte der naturw. Klasse vom 27. Mai 1910). Das Gewicht des keilförmigen Eisens ist 2,269 kg. An den beiden breiteren Seiten ist die Rostrinde schon sehr stark ent- wickelt, auf der dritten Fläche, die eine Bruch fläche zu sein scheint, ist sie dünn. Am Aufbau des Meteoriten beteiligen sich Nickeleisen, Magnetkies und Schreibersit, dieser teilweise in der Modifikation des Rhabdites. Beim Ätzen treten prächtige Widmann- stätten'sche Figuren und Reiche nbach 'sehe Lamellen hervor. Die Breite der Kamazitlamellen beträgt 0,5 — 1 mm, der Meteorit gehört also zu den Oktaedriten mit mittlerer Lamellenbreite (Om). Die Taenitbänder sind sehr fein, der Taenit tritt auch als feine Lamellen im Plessit auf. Die Wider- I Standsfähigkeit des Plessits ist 5 "/„ HNOg gegen- über verschieden stark. Der Magnetkies bildet einmal die bis zu 3 cm langen Reiche nbach- schen Lamellen, weiterhin tritt er in ziemlich großen Körnern auf, die Abmessungen bis zu 4,75X2,25 cm haben können. Der Schreibersit begleitet teilweise die Re iche nbach 'sehen La- mellen und umgibt die Magnetkieskörner, teilweise kommt er auch selbständig als nadeiförmiger Rhab- dit vor, dessen Enden schief oder gegabelt sind. Die Spalteueruptioii der Hekla vom Jahre 1013. Von M. phil. Carl Küchler. (Mit 2 erklärenden Skizzen nach der Natur im Te,\te.) [Naclidruck verboten.^ Die Hekla auf Island, der berüchtigtste der 130 bekannten Vulkane der nordischen Eis- und Feuerinsel, hat nach 3 5 jähriger Ruhe seit ihrem letzten Ausbruche am Krakatindur im Frühjahre 1878 durch eine erneute gewaltige Spalteneruption im April und Mai vorigen Jahres aufs neue von sich reden gemacht. Der Ausbruch am Krakatindur erfolgte aus einer Reihe von 14 Kratern und förderte einen Lavastrom von i'j.j Meile Länge und I —2 km Breite bei einer Höhe von oft mehr als 30 m zutage. Die vorjährige jüngste Eruption, die aus einer Reihe von 10 Kratern erfolgte, hat einen Lavastrom von durchschnittlich i km Breite und etwa 5 km Länge bei einer Höhe von 12 bis 16 m produziert, dessen Volumen von 60 bis 80 Millionen cbm also erheblich hinter dem der Lava [des Krakatindur zurücksteht. Aber trotz- dem hat dieser jüngste Lavaerguß genügt , ein ehedem fruchtbar grünes Weidegelände, nach dem die Bauern der nächstliegenden Bezirke alljährlich ihre Schafe zur Sommerweide zu treiben pflegten, die „Lambafit", vollständig zu vernichten, während die Lava des Krakatindur sich über schon vordem völlig wüstes Gelände ergossen hat. Es war mir, der ich im Sommer 1913 nach einem zweitmaligen längeren Aufenthalte auf den Färöern ') zum vierten Male auf Island'-) weilte, vergönnt, diese beiden jüngsten Ausbruchsstellen der Hekla zu besuchen und namentlich als erster die noch brennenden Krater der vorjährigen Erup- tion — wenn auch unter höchster Lebensgefahr — zu betreten. Beide Ausbruchsstellen liegen ziemlich entfernt von dem eigentlichen Hekla- stocke, nämlich fast 2 geographische Meilen weit im Nordosten dieses, aber einander selbst ziem- lich nahe, so daß wohl angenommen werden darf, daß der Magmaherd des alten Vulkanriesen sich mehr und mehr nach dieser Richtung verschiebt. Von den letzten menschlichen Wohnstätten im Süden, dem Bauernhofe Galtalaekur oder dem Pfarrhofe Fellsmuli nordwestlich der Hekla, sind es 4 bzw. 5 Meilen trostlosen Wüstenlandes, die man zu Pferde durchsprengen muß, um zu- nächst den gewaltigen Lavastrom des Krakatindur zu erreichen, der nicht zu umgehen ist, sondern vielmehr selbst in mühsamer Kletterei über- ') Siehe mein reich illustriertes Reisewerk „Die Färber. Studien und Wanderfahrten" (München 1913, Georg Müller Verlag). 2) Über meine früheren Reisen siehe meine 3 illustrierten Reisewerke ,, Unter der Mitternachtssonne durch die Vulkan- und Gletscherwelt Islands", Leipzig 1906; „Wüstenritte und Vulkanbesteigungen auf Island", Altenburg 1909; und „In Lavawüslen und Zauberwelten auf Island", Berlin 191 1. N. F. Xni. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 315 schritten werden muß. Dann hat man aber auch sofort das — leider auf den Karten des dänischen Generalstabs nicht mehr verzeichnete — von den düsteren Höhen des Valahnükur, der Hrafnabjarga- alda, der Hrafnabjörg und der Krukagilsalda Abb. I. Die nördliche Ausbruclisstelle der Hekla vom Nach der Natur gezeichnet von Carl Küchl umschlossene Gelände der jüngsten Eruption vor sich liegen. Als ich am 19. Juli 191 3 an der zu meiner Rechten bleibenden Kraterreihe des Krakatindur mit dem großen blutroten Schlackenhügel des Hauptkraters im Vordergrunde vorüberritt, ehe ich seinen Lavastrom selbst überkletterte, stieg aus einem der Krater noch ein leichter Rauch auf, ein Zeichen, daß nach 35 Jahren hier noch nicht alles zur Ruhe gekommen war! Und dann lag mit einem Schlage das allenthalben lebhaft rauchende und dampfende unheimliche jüngste Eruptionsgelände vor mir, das ich in einer mit von dem anstrengenden weiten Ritte zitternden Händen entworfenen Bleistiftskizze (siehe Abb. i) festzuhalten suchte, so gut ich es vermochte, da keine photographische Kamera ein Gesamtbild des ganzen , mehr als 3 km breiten Komplexes hätte liefern können. Der schon an seinem Rande bis zu etwa 10 m Höhe ansteigende wildzerrissene Lavastrom war hier jedoch so breit, daß ich es von dieser Seite kaum wagen konnte, über dieses Chaos hinweg bis an den am lebhaftesten rauchenden großen Hauptkrater, dem er in der Hauptsache entflossen ist, und der mich am meisten interessierte, hin- über zu gelangen. Ich bog deshalb nach rechts nach der steilen Krukagilsalda aus, die zu erklettern für die seit 9 Stunden abgehetzten Pferde freilich nichts Leichtes war, da ihr Hang von tiefer schwarzer jungvulkanischer Asche bedeckt war, durch welche die armen Tiere immer wieder in den darunter liegenden Schnee einbrachen. Auf ihrer Höhe sah ich mich vor einem neuen Hinder- nis. Hier war der Berg von einer grundlos tiefen, breiten Spalte , die von der etwa 3 km weit im Norden gegenüberliegenden Hrafnabjargaalda her- kam, mitten durchgerissen. In sie hinab führten zwei, ziemlich dicht beieinander gelegene enge Kraterschlünde, aus denen glühend heiße Luft heraufstieg, und in denen ich keinen Stein an- schlagen oder fallen hörte. Ein kleinerer Lava- strom hat sich von hier aus über die Krukagilsalda südwärts ergossen, wo er ein kleines, auf der beigegebenen Kartenskizze (siehe Abb. 2) nicht mehr verzeich- netes Tal vollkommen ausfüllt. Schließlich fand ich doch eine Stelle, wo die unheimliche Kluft von noch warmer Lava überbrückt war, so daß ich auch die Pferde, sie vorsich- tig hinter mir herziehend, hinüber- brachte, um nun die von vielen kleineren Nebenspalten auch weiter- hin zerrissene Krökagilsalda wieder hinab auf die Helliskvisl zuzureiten, einen von (3sten her durch den Paß Lambaskard kommenden kleinen reißenden Gletscherfluß, der jetzt unmittelbar unterhalb der Kröka- gilsalda unter dem großen Lava- strome von 1913 verschwindet. Jahre 19 13 er. Abb. 2. Skizze des nördlicheren Heklaausbruches vom Jahre 1913. Nach Gudm. Magnussen ergänzt und verbessert von C. Küchler. Nach seiner Durchquerung gelangte ich über ein in gewaltigen Erdwogen aufgetriebenes, gleich- falls von tiefer schwarzer Asche angefülltes Ge- lände um das östHche Ende des Lavastromes 3i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 20 herum glücklich in die Nähe des Hauptkraters. Einen Blick in diesen selbst zu werfen, ist mir leider nicht gelungen, wenn ich auch über das Chaos hoch übereinander getürmter Lavaplatten und wild durcheinander geschleuderter Lavablöcke, aus dem eine fast unerträgliche trockene Hitze aufstieg, bis an seine Außenwände gelangte , da mir schließlich nicht mehr zu überspringende Spalten, in denen die rotglühende Lava floß, den Weiterweg versperrten. Bis auf die Höhe der beiden ihm vorgelagerten Nebenkrater vermochte ich jedoch durch die ätzenden Salmiakdämpfe und beißenden Schwefeldampfwolken, die mir von dorther entgegenwehten, vorzudringen, indem ich die dicken Wollhandschuhe vor Mund und Nase preßte. Beide Krater fand ich noch geschlossen, mit einer festen Rinde gelben und weißen Schwefels bedeckt, die freilich an zahllosen Stellen zoll- bis fußbreite Risse aufwies, in denen die rote Glut hell leuchtete. Die Hitze dieser Schwefeldecke war so stark, daß ich trotz der dicken Sohlen meiner Reitstiefel unablässig von einem Beine auf das andere treten mußte, wenn ich nur einen Augenblick still zu stehen versuchte. Eine etwa 2 Zoll starke Lavaplatte, die ich weiterhin auf- brach und umwälzte, brannte an ihrer Unterseite noch hell, und aus dem aufgerissenen Loche leuchtete mir gleichfalls die sengende Glut ent- gegen, so daß ich wohl oder übel zurückweichen mußte. An Ausscheidungen habe ich wie hier neben dem massenhaften Schwefel so auch in dem Lavastrome selbst namentlich erhebliche Mengen von Salmiak vorgefunden. Die gewaltige Erdspalte, über der sich auch die 6 Krater des Talkessels aufbauten, verfolgte ich die Hrafnabjargaalda aufwärts, vermochte vor in sie hinabgestürzten Tuffblöcken und aus ihr aufsteigenden Dampfwolken jedoch nirgends bis auf ihren Grund hinabzusehen. In ziemlicher Höhe entdeckte ich mitten über ihr einen präch- tigen Hornito, in den ich mühelos hinabzuklettern vermochte, und noch weiter aufwärts war sie durch zwei mächtige gegeneinandergestürzte Felsen überbrückt, auf denen ich sie überschreiten konnte. Auch dieses nördliche Ende der Spalte hat eine kleine Lavazunge ostwärts nach den Hrafnabjörg zu entsandt, und am Nordhange der Hrafnabjarga- alda schließt sie mit zwei weiteren , ziemlich großen Kratern ab, die gleichfalls noch lebhaft dampften, mich aber nach den voraufgegangenen Erfahrungen zu keinem näheren Besuche zu ver- locken vermochten. Um Mitternacht stieg ich wieder zu Tal und in den Sattel, um auf dem- selben Wege nach der Krökagilsalda zurückzu- kehren, von wo mich ein neuer nächtlicher Ge- waltritt nach dem fernen Fellsmuli zurückführte. Einzelberichte. Physiologie. Die Beweglichkeit von Körper- zellen. Sie hat ihre Ursache in der Zelle selbst, „Selbstbewegung" in der Roux'schen Termino- logie. Beispiele dafür bilden die Erscheinungen, welche an Explantaten, d. h. vom Körper eines Lebewesens abgetrennten und in einem geeigneten Kulturmedium (Ringer'sche Lösung, Plasma) überlebend erhaltenen Teilen des Körpers, von H i r ß - E 1 i a O s o w s k i beobachtet wurden ( Arch. f Entwicklungsmechanik der Organismen, 38. Bd., 4. H. , 1914). Entsprechende Versuche wurden angestellt mit der Kaulquappe des Grasfrosches, Embryonen der Forelle und des Huhns. Durch einen Schnitt wurde der Schwanz von 3 — 4 Wochen alten Kaulquappen nahe dem Rumpf quer abge- schnitten und in die verdünnte Ringer'sche Lösung gebracht. Nach 24 Stunden war die Wundfläche mit Epithel überzogen. Dasselbe war der Fall bei Explantaten von Forellenembryonen (i — 6 Tage nach dem Ausschlüpfen), sowohl bei Schwanzstücken, als bei davor gelegenen Rumpf- stücken mit zwei Wuntlflächen. Die gleichen Erscheinungen zeigten die Embryonen des Huhns (48 — 60 Stunden lang bebrütet). Durch einen Schnitt wurden sie nach Entfernung des Gefäß- hofs in eine vordere und hintere Hälfte zerlegt und bei 37" in Plasma gehalten. Die genannten Explantate überlebten bis 24 Stunden. Die Über- häutung der Wundflächen geschah vom angren- zenden Epithel aus und zwar nicht durch eine Zellvermehrung — wenigstens waren nirgends Zellteilungsfiguren zu sehen — , sondern durch aktive Ortsbewegung der schon vorhandenen Zellen. Diese beruhte auf einer gleitenden Be- wegung. Sie ging ohne Pseudopodienbildung vor sich; Druck- und Zugwirkungen spielten dabei gleichfalls keine Rolle. Beim Forellenembryo wurde sogar die 3 — 4 mm aus der Wundfläche vorspringende Chorda über- häutet. Selbst eine Regeneration derselben trat insofern ein, als die normale kegelartige Form des Chordaendes wieder hergestellt wurde. Kathariner. Chemie. Eine einfache Methode zur Erzeugung einer sehr intensiven Natriumflamme, wie sie für viele Zwecke der Chemie und der Physik er- wünscht ist , wird von R. W. Wood (Phil. Mag. (6) '27, 530, 1914) angegeben. Legt man auf den Rost eines Meker-Brenners') ein Stück vom Mantel eines Auerglühstrumpfs und darauf einige Brocken vorher bis zum Schmelzen erhitzten Kochsalzes und zündet den Brenner an, so schmilzt das Kochsalz, verteilt sich über den Glühstrumpf und verdampft, da die Wärmekapazität des Quer- ') Über die Konstruktion des ,,Meker- Brenn ers" wurde in der Nalurw. Wochenschr. Bd. 12, S. 729 bis 730 (1913) berichtet. N. F. XIII. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 317 mantels sehr gering ist, außerordentlich rasch und färbt die Mamme intensiv gelb. Nach der Angabe von Wood ist die Helligkeit der so erzeugten Natriuniflamme annähernd so groß wie die der viel schwerer zu handhabenden Knallgas-Natrium- Flamnie. Mg. Zoologie. Im Anschluß an Beobachtungen der Kopulation bei Protozoen war die Meinung aufgetaucht, daß für die unbegrenzte Dauer der Fortpflanzungsfähigkeit die Kopulation die „conditio sine qua non" sei, und daß Vermeh- rung durch andauernde .Selbstteilung zur Degene- ration und schließlich zum Tode führe. Daß dies aber durchaus nicht immer der Fall zu sein braucht, hat L. L. Woodruff in einer interessanten Arbeit mitgeteilt. ') Er hat eine große Zahl von Rassen von Paraiiiacciitui aurdia gezüchtet, von denen eine nach 5 '/o jähriger Zuchtdauer die 3340. Ge- neration erzeugte, ohne daß jemals in dieser langen Zeit Konjugation eingetreten wäre. Bemerkens- werterweise zeigte die Vitalität, insbesondere die Teilungsgeschwindigkeit durchaus keine Einbuße, so daß VVoodruff zu dem Ergebnis kommt, daß das Altern und das Befruchtungsbedürfnis nicht Grundeigenschaften der lebendigen Substanz sind. „Die Ausgangszelle der 3340. Rasse hatte die Po- tenz, ähnliche Zellen bis zu einer Zahl von 2^^^" und eine Masse Protoplasma von mehr als jo"""'- mal der Masse des Erdballes zu erzeugen." Ferd. Müller. Biologie der Hokkohühner. — Eine bemer- kenswerte Eigentümlichkeit aus der Biologie der zu den Hühnervögeln gehörenden neotropischen Gattung Ortalis teilt Lowe mit"). Die erwach- senen „Hokkohühner" führen bekanntlich ein reines Baumleben und erbrüten die Jungen in ziemlich sorgfältig auf hohen Urwaldbäumen angelegten Nestern. Bald nach dem Ausschlüpfen begeben sich die jungen Vögel auf die Erde, wo sie bis zur Erlangung der Flugfähigkeit ganz wie unsere Hühner leben. Sobald sie aber fliegen können, verlegen sie ihre Wohnsitze auf die Bäume. Das *) L. L. Woodruff, Dreitausend und dreihundert Gene- rationen von Paramaeciiim ohne Konjugation oder künstliche Reizung. — Biolog. Centralbl., Bd. 33, 1913, p. 34 — 36. ^) R. P. Lowe, Sorae notes and observations on a Guan {Orlalis orlula). The Ibis. 1913. vol. I. p. 283 — 301. Baumnisten dieser Vögel darf, wie Lowe ausführ- lich darlegt, nicht als ein Rückfall in frühere Ge- wohnheiten betrachtet werden. Vielmehr erblickt er in dem Verhalten der jungen Tiere einen un- vollendet gebliebenen Versuch eines sehr alten Vogchypus, zur rein terrestrischen Lebensweise der phylogenetisch jüngeren Hühnergattungen über- zugehen. Zur Stütze seiner Theorie zieht Lowe morphologische und biologische Merkmale heran, so die F'ärbung des Dunenkleides, die frühzeitige Entwicklung der Dunenfedern bei gleichzeitiger Reduktion der äußeren Handschwingen und andere den Hokkohühnern eigentümliche Merkmale. Ferd. Müller. Spätbruten der Ringeltaube. In Eutin (Fürsten- tum Lübeck) hat R. Biederman n -Imhoof ') zu wiederholten Malen, so in den Jahren 1910 und 1911 , festgestellt, daß die Ringeltaube (Co- lumba palumbus L.) im September und bis Mitte Oktober brütete und Junge aufzog. Als normale Brutzeit gilt April bis Juni. Alb. Heß, Bern. Jedem Seereisenden sind die ununterbrochen dem Schiffe folgenden Vögel bekannt, und sicher haben besonders die Möven die Auf- merksamkeit auf sich gezogen, die ohne Flügel- schlag horizontal gleitend das Schiff auf Windseite begleiten. Es i.st klar, daß der horizontale Gleit- flug der Möven nur durch aufwärts strebende Luft- ströme ermöglicht wird. Der bekannte englische Ornithologe Bre wster hatte aber aus seinen Be- obachtungen geschlossen, daß dies nicht immer der Fall sein könne und der horizontale Gleitflug deshalb unerklärlich sei, weil an den Beobachtungs- tagen das Schiff nur von rein horizontalen Wind- stößen getroffen wurde. Demgegenüber zeigt nun A. F'orbes'-), daß durch die schnelle Fortbe- wegung des Schiffes beim Durchschneiden der Luft und durch die den Schornsteinen entströmende Hitze vertikal oder diagonal aufsteigende Luftströme gebildet werden. Der Ausgleich der nach unten wirkenden Schwerkraft durch diese Luftströme ge- stattet den Möven das unbewegliche Gleiten in horizontaler Richtung. F. Müller. ') Ornith. Monatsberichte, 21. Jahrg., 1913, S. 25 — 26. 2) Alex. Korbes, Concerning the flight of Gulls. The Auk. vol. 30. pag. 359—366. Bücherbesprechungen. O. Abel, „Die Tiere der Vor weit". Samm- lung „Aus Natur und Geisteswelt" Nr. 399. Teubner-Leipzig, 1914. Der Inhalt des vorliegenden Heftchens wäre genauer durch einen Titel „Probleme, Methoden und Möglichkeiten der Paläontologie" oder der- gleichen wiedergegeben. Denn vom Leben, der Entwicklung, dem Aussehen der Fossilien ist nicht viel die Rede; derartige Darstellungen gibt es ja aber auch schon im verschiedenartigsten Ge- wände. Ist so der Titel als etwas irreführend zu bezeichnen, so ist es doch um so erfreulicher, ein- mal ein neues wichtiges Thema in gemeinverständ- licher Weise behandelt zu sehen, dessen Behand- lung zur richtigen Einschätzung der Paläontologie und ihres Gegenstandes ganz gewiß notwendig ist. Was der Verfasser gibt, ist mehr eine persön- liche Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Paläontologie und den Folgen , die sich daraus für unsere heutige Stellungnahme zu dieser Wissen- schaft ergeben. Die einzelnen Kapitel behandeln : i . Das Quellen ■ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 20 material der Paläozoologie. 2. Die ErschHeßung vorvvehlicher Tierreste. 3. Die fossilen Tiere im Volksglauben und in der Sage. 4. Die Phantasten- zeit der Paläontologie. 5. Die Bahnbrecher der mo- dernen Paläontologie. 6. Entwicklung, Fortschritt und Ziele der Paläontologie. Es sind höchst lesens- werte Zusammenstellungen interessanter Daten, die uns unter diesen Themen geboten werden. Mag manches nicht neu sein und hier und da im Büchlein selbst eine Wiederholung sich einge- schlichen haben, die einzelnen Kapitel sind doch gar wohl in sicli abgeschlossen und z. T. recht lehrreich. Die Einsicht, daß die Paläontologie der syste- matischen Erschließung der Fossilreichtümer der Erde dringend bedarf, will sie ein rechtes Bild von dem Tier- und Pflanzenleben der Vergangen- heit bieten, bricht sich neuerdings allenthalben Bahn und wird hier durch sehr einleuchtende Bei- spiele gestützt. Innig zusammengehörig sind Kapitel 3 und 4. Wie sehr Sage, Aberglaube und Wissenschaft an der Wurzel ineinander übergehen, ist keineswegs genügend bekannt. Und wie schwer es selbst führenden Geistern zuweilen gefallen ist, ihre bloße Phantasie von der Wirklichkeit zu trennen, welche Zeiten vergingen, ehe eine ernste Selbstkritik zur unumgänglichen Mitarbeiterin erhoben wurde, das kann gar nicht eindringlich genug ausgesprochen werden. Wer wollte behaupten, daß wir in der Paläontologie die Phantastenzeit endgültig hinter uns hätten ! Alles Für-Wahr-Halten ist eben noch kein Wissen, und eine geschichtliche Betrachtung, wie sie hier geboten wird, kann nur zu allergrößter Bescheidenheit auffordern und deshalb sehr heil- sam sein. Für ,, modern" (vgl. Kap. 5I) hat sich noch jede Zeit und jede Wissenschaft geiialten und die näciiste Generation sieht doch wieder weiter und klarer. \'on bloßen Maßnahmen, wie der von Abel warm befürworteten und gewiß erstrebenswerten Trennung der geologischen und paläontologischen Leiirstühle das Heil erwarten zu wollen, erscheint gerade in diesem Zusammen- hange bedenklich. Obendrein ist die Forderung für „alle Hochschulen" doch wohl etwas extrem. Die Befürwortung einer Emanzipation von der (.geologischen Brille" scheint dem Referenten oben- drein eine Ungerechtigkeit gegen eine treue Hel- ferin zu enthalten, da ein P'ossil zoologisch und biologisch nie erschöpft werden kann, sondern der stratigraphisch-geologische Rahmen zur rechten Beurteilung unbedingt berücksichtigt werden muß. Doch kann und soll durch solche Einwände, zu denen mancher Leser angeregt werden wird, der Wert des Büchleins als einer sehr ausgesprochenen und interessanten Stellungnahme des bekannten Wiener Vertreters der ,,Paläobiologie" nicht herab- gemindert werden. Vielleicht liegt im Gegenteil gerade in dieser Anregung zu lebendiger und för- dernder Diskussion ein besonderer Vorzug des Bändchens. Besonders beachtenswert ist die re- signierte Auffassung des biologischen Wertes der Wirbellosen durch den Autor. Auch da wird mancher nicht zustimmen wollen. Um so allge- meiner dürfte die Anerkennung des wissenschaft- lichen Programms zur Auswertung des fossilen Wirbeltiermateriales sein. Wie ein großer Teil des Heftes keineswegs allein für ein weiteres Publikum, sondern auch für engere F'achkreise bestimmt zu sein scheint, so richtet sich auch die Aufforderung, die Populari- sierung der Paläontologie nicht Unberufenen zu überlassen, die paläontologische „Schundliteratur" zu bekämpfen, unmittelbar an die F"achgenossen. Der Bilderschmuck darf nicht vergessen werden : Die Auswahl der Illustrationen ist sehr sorgsam geschehen und das Ergebnis recht instruktiv, denn es findet sich mit voller Absicht gar manches Bild eingestreut, wie es nicht sein soll ! E. Hennig. Handbuch der mikroskopischen Technik, herausgegeben von der Redaktion des „Mikro- kosmos". Apparate und Arbeitsmethoden der Bakteriologie. Bd. I: Aligemeine Vorschriften, Flinrichtung der Arbeitsräume, Kulturverfahrcn, Färbeverfahren, Bestimmungstabellen. Von Dr. Adolf Reitz. Stuttgart 191 4, Geschäftsstelle des „Mikrokosmos", Frankh'sche Verlagshandlung. — Geb. 3 Mk. Das Heft stellt eine ganz brauchbare Anleitung zum bakteriologischen Arbeiten dar, insbesondere sind die allgemeinen Vorschriften sowie die Dar- stellung der Apparatur und des Arbeitsplatzes recht gut. Weniger einverstanden würde man schon mit der Beschreibung der Nährsubstrate sein. So ist die ja für gewöhnlich notwendige Neutralisation der Brühe und des Agars vergessen, eine 45 Min. dauernde t^rhitzung der Nährgelatine würde wohl nur in den seltensten Fällen zur ab- solut sicheren Sterilisation ausreichen, weshalb nur 0,3 — O,^"!^ Traubenzucker genommen werden soll, ist nicht einzusehen, doch ist das nicht be- langreich. Was dann die Auswahl der Methoden und der Beobachtungsobjekte anbelangt, so wäre dem Zweck des Buches entsprechend die Berück- sichtigung der pathogenen Bakterien entbehrlich, dafür müßten aber mehr andere ,, gewöhnliche" Formen herangezogen werden und namentlich müßte, was ich für sehr wesentlich halte, irgendwo einmal angegeben werden, wie man sich denn überhaupt Untersuchungsmaterial beschaft't. Dann fehlt ganz die wichtige Anleitung zur mikro- skopischen Beobachtung der lebenden Bakterien und ihrer Entwicklungszustände, die gerade für den Interessentenkreis von großer Bedeutung ist. Ob die Tabelle zur Bakterienbestimmung not- wendig ist, kann bezweifelt werden, man würde da viel besser eine genaue Beschreibung einiger häufiger Bakterien anschließen, wobei immer an- gegeben werden sollte, wie man sich das Material beschaffen kann und wo es vorkommt. Man würde also zusammenfassend sagen können, daß das Heft wohl recht brauchbar als Nachschlage- N. F. Xm. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ?>^9 buch für solche sein würde, die schon eine all- gemeine bakteriologische Vorbildung haben, da- gegen für solche, die aus Freude an mikrobiolo- gischen Arbeiten sich auch den interessanten Bakterien zuwenden wollen, weniger geeignet sein würde. Für diese wäre auch eine Be- schränkung auf recht einfache aber zuverlässige Hilfsmittel wünschenswert gewesen. Miehe. Jahrbuch der Deutschen Mikrologischen Ge- sellschaft. V.Jahrgang 1913. Inhalt: Prof Dr. A. Wagner, Die Gesichtspunkte der modernen Pflanzenanatomie. Prof. Dr. L. Lämmermayr, Einführung in die Elemente der physiologischen Pflanzenanatomie. Mit lo Abb. Praktische Winke f. pflanzenanatom. Untersuchungen. Mit I Abb. M. Gamgera, Fortschritte a. d. Ge- biet mikroskop. Hilfsapparate. Mit 1 1 Abb. München 1914, Verlag der Deutsch, mikrolog. Gesellschaft E. V. L. — 60 Mk. Das Heftchen ist nicht übel geeignet als hand- licher kurzer Begleit er bei botanisch-mikroskopischen Übungen. Inwieweit freilich der etwas anspruchs- volle Untertitel: ,,P~ortschritte der mikroskopischen Technik und Erkenntnis" gerechtfertigt ist, ist eine andere Sache. Auch Wagners (nicht ge- rade kritischer) Aufsatz über den „verblüffenden" I''ortschritt von de Bary bis Haberlandt scheint entbehrlich. Der praktische Abschnitt von Lämmer- mayr ist aber für den belehrungsuchenden Laien durchaus zu empfehlen. Miehe. Johannsen, Prof Dr. W., Elemente der exak- ten Erblichkeitslehre. Zweite deutsche, neubearbeitete und sehr erweiterte Ausgabe in 30 Vorlesungen. Mit 33 Abb. im Text. Jena 191 3, G. frischer. — Geb. 16 Mk. Das Hauptziel und der Hauptwert des ganz ausgezeichneten Johan nse n'schen Buches, das nach verhältnismäßig sehr kurzer Zeit bereits in der 2. Auflage vorliegt, besteht in der Darstellung der auf dem Gebiete der exakten, d. h. nicht spekulativ, sondern experimentell vorgehenden Vererbungslehre anzuwendenden Methodik, und damit in der Erziehung zu kritischer Arbeit und kritischem Urteil auf diesem bis in die Gegenwart hinein leider, insbesondere von der Mehrzahl der sog. Praktiker, aber auch von Theoretikern vor- zugsweise spekulativ angebauten Gebiete. Überall ist somit auf die rechnerische Analyse von Be- obachtungsreihen , Kreuzungsexperimenten usw. das größte Gewicht gelegt, überall sind instruktive Schulbeispiele herangezogen, Tabellen angeführt und Formeln entwickelt. Indem dadurch die zu- sammenhängende Darstellung der Erblichkeitslehre immerfort unterbrochen wird, ja indem geradezu auf eine solche leicht faßliche lehrbuchartige Dar- stellung verzichtet wird, ist die Lektüre des Buches nicht leicht und erfordert die größte Hingabe des Lesers. Um so größer ist aber der Gewinn und wir können jedem, der nicht eine „Einführung", wohl aber eine kritische Darstellung der l'unda- menle der Vererbungslehre zu haben wünscht, kein anderes Buch mehr empfehlen als das Johannsen 'sehe. Insbesondere seien auch die Zoologen auf sein sorgsames Studium hingewiesen, weil sie manchen der hier vertretenen Anschau- ungen aus historischen Gründen \'oreingenommen gegenüberstehen , sowie allen den Züchtern resp. denen , welche Zuchtlehre ex cathedra zu lehren haben, soweit sie den Wunsch haben, sich über prinzipielle Dinge klar zu werden. Der immer wieder angeschlagene Grundton des ganzen Buches ist die scharfe Scheidung der realisierten Erscheinungen und des eigentlichen Substrates der Erblichkeitsvorgänge oder nach der Ausdrucksweise des Verfassers des „Phäno- t\'pus" und des ,,Genotypus". Nach einer auch methodisch sehr ausführlich geschilderten Dar- stellung der alten, in Galton kulminierenden Ver- erbungslehre, die an der Außenseite gegebener Massen von Individuen angreift , geht der Autor zu der modernen über, die darauf ausgeht, durch exakte Nachkommenprüfungen das zu präzisieren, was in einzelnen Individuen der „ruhende Pol in der Erscheinungen P'lucht" ist, d. h. die Elemente der genotypischen Konstitution zu ergründen. Er geht da zunächst von seinen eigenen seinerzeit bahnbrechenden Untersuchungen über die Erblich- keit in Populationen und in „reinen Linien" aus (deren Fortsetzung übrigens, wie Verf hier mit- teilt, neuerdings eine merkwürdige Anomalie er- geben haben), betont die Ohnmacht der Selektion und legt seine Nomenklatur fest. Dabei sei gleich hier erwähnt, daß er im Gegensatz zu seiner in der ersten Auflage vertretenen Auffassung den strengen Parallelismus zwischen den ,, Genen" und den sichtbaren Eigenschaften zugunsten einer anderen Konzeption fallen läßt, nach der die Ge- sanitwirkung des Erbplasmas und die Variabilität seiner Funktion infolge der Entfaltungsbedingungen betont wird. Energisch weist er jedoch die Potenz- variabilität der Gene zurück. Es folgt dann eine ausführliche Behandlung des Korrelationsproblems, darauf eine eingehende Auseinandersetzung mit den Anhängern der Lehre von der Erblichkeit erworbener Eigenschaften, die mit wirksamen Argumenten bekämpft wird. Mendelismus und Mutationstheorie werden in 5 weiteren Vorlesungen behandelt und im 30. und letzten Kapitel in aphoristischer Form Rückblicke, Anwendung der Erblichkeitslehre auf den Menschen, Rassenhygiene und allgemeine Erörterungen über Evolution ge- geben. Wertvoll ist auch die Zusammenstellung der Formeln und Zeichen am Schluß sowie der für die exakte Erblichkeitslehre grundlegenden Literatur. Die Schreibweise ist sehr ausdrucksvoll, oft geistreich und amüsant. Es würde aber gewiß der originellen Sprache gar keinen Abbruch tun, wenn bei der nächsten Auflage, die sicher nicht lange auf sich warten lassen wird, einige schmerz- hafte Stilwidrigkeiten (so der Komparativ mit 320 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 20 „mehr") ausgemerzt würden. Abbildungen fehlen abgesehen von Kurvenbildern ganz (absichtlich?). Miehe. Literatur. Röseler, Prof. Dr. Paul und Lamprecht, Oberlehrer Hans, Handbuch für biologische Übungen. Zoologischer Teil. Mit 467 Textfig. Berlin '14, J. Springer. — Geb. 28,60 Mk. Schmidlin, Prof. Dr. Julius, Das Triphenylmethyl. Bd. VI der ,, Chemie in Einzeldarstellungen". Mit 23 Fig. im Text. Stuttgart '14, Ferd. Enke. — Geb. 8,80 Mk. Planck, Prof. Dr. Max, Neue Bahnen der physikalischen Erkenntnis. Rede, gehalten beim Antritt des Rektorats der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin am 15. Oktober IQI4. Leipzig '14, Joh. Ambr. Barth. — t Mk. Procter, Prof. R. H., Taschenbuch für Gerbereichemiker und Lederfabrikanten. Kurze Anleitung zu analytischen Ar- beilen. Aus dem Englischen übersetzt und unter Mitwirkung des Verfassers bearbeitet von Ing.-Chem. Josef Jettmar. Dres- den und Leipzig '14, Th. Steinkopff. — 5 Mk. Dr. Doiiarius (Joh. Ed. Böttcher"), .Mle Jahreskalender auf einem Blatt. Leipzig '14, B. G. Teubner. — 30 Pf. Neger, Prof. Dr. F'. W. , Die Laubhölzer. Kurzgcfaßle Beschreibung der in Mitteleuropa einheimischen Bäume und Sträucher, sowie der wichtigeren in Gärten gezogenen Laub- holzpflanzen. Mit 74 Texlabbild, und 6 Tabellen. Sammlung Guschen '14. — 90 Pf. Rothe, Prof. Dr. R., Darstellende Geometrie des Ge- ländes. Mit 82 Figuren im Text. Leipzig. Berlin '14, B. G. Teubner. — 80 Pf. Poincare, Henri, Wissenschaft und Methode. Autori- sierte deutsche Ausgabe mit erläuternden .Anmerkungen von F. u. L. Lindeniann. Bd. XVll von ,, Wissenschalt und Hypo- these". Leipzig-Berlin '14, B. G. Teubner. — Geb. 5 Mk. Swart, Dr. Nikolas, Die Stoffwanderung in ablcbendcn Blättern. Mit 5 Tafeln. Jena '14, G. Fischer. — 6 Mk. Haenlein, Prof. Dr. F. H., Das .Mter der Erde. Fest- vortrag, geh. am 7. Dez. 1913 anläßlich der Feier des 50jäh- rigen Bestehens des Naturw. Vereins zu Freiberg i. S. Frei- berg i. S. '14, Graz u. Gerlach (Joh. Stettner). — 80 Pf. Himmel und Erde. Volksausgabc. Lieferung 3. Berlin- München - Wien. .MIgemeine Verlagsgesellschaft (_i. m. b. H. 60 Pf, (Vollständig in 40 Lieferungen zum Gcsamipreisc von 24 Mk.) Anregungen und Antworten. Herrn Dr. S. in B. Gibt es eine Arbeit, die in elemen- tarer Weise die mechanische Erklärung der elektrischen Er- scheinungen behandelt? Auf diese Frage ist es nicht ganz leicht, zu antworten, da der Begrifl" ,, elementar" nicht ganz eindeutig ist. Wenn man sich spez'ell über Elektronentheorie in Metallen orientieren will, so mag man mit Nutzen die beiden Bändchen von J. J. Thomson ,, Elektrizität und Ma- terie" (Sammlung Wissenschaft, Heft 3] und ,, Korpuskulartheorie der Materie" (Heft 25) zu Rate ziehen, die recht leicht ver- ständlich und sehr interessant geschrieben sind. Etwas all- gemeiner und einfacher sind gehallen die Bändchen von Righi ,,Die moderne Theorie der physikalischen Erscheinun- gen (Radioaktivität, Ionen, Elektronen)", deutsch von Dessau (Barth, Leipzig 190S) und ,,Die Bewegung der Ionen bei der elektrischen Entladung", deutsch von Iklc (Barth, Leipzig 1907). Sehr einfach sind die „Leichtfaßlichen Vorlesungen über Elektrizität und Licht" von Ja u mann (Barth, 1901), sie werden aber vielleicht zu wenig das gerade enthalten, was gewünscht wird. Wenn der Herr Dr. S. sich überhaupt über die neueren Forschungen auf dem Gebiete der Elektrizität unterrichten will, so kann ihm sehr warm das leicht faßliche Buch von Kalähne ,, Die neueren Forschungen auf dem Ge- biete der Elektrizität und ihre Anwendungen", in dem auch ein Abschnitt über Elektronen enthalten ist, empfohlen werden (Quelle & Meyer, Leipzig 1908). Vielleicht ist auch ein Hin- weis auf den Aufsatz von Mecklenburg, Naturw. Wochen- schrift Bd. Vlll und IX, 1909 und 1910 „Die experimentelle Grundlegung der .\tomistik", welcher als Sonderabdruck käuf- lich ist (Falscher, Jena 1910), angebracht. V. Herrn Dr. H. in Üibeon, Dtsch.-S.-W.-Afrika. — Afrika nische Stachelschweine. — Sie machen Mitteilung von der Verwundung eines Negers .am Knie durch einen Stachel, den nach der Aussage des Erkrankten ein Stachelschwein auf ihn abgeschossen haben soll und fragen, ob dies überhaupt mög- lich ist. Schon Plinius erzäült, daß das Stachelschwein seine Stacheln durch eine Spannung der Haut fortschleudern könne und der römische Dichter O p p i a n schildert dies nach Brehm mit folgenden Worten: ,,Die Stachelschweine sehen erschrecklich aus und sind die allergefährlichsten Tiere. Wer- den sie verfolgt, so fliehen sie mit Windesschnelle, nicht aber, ohne zu kämpfen; denn sie schießen ihre todbringenden Stacheln gerade hinter sich gegen den Feind " Auch der Dichter Claudian erwähnt in einem Gedicht diese Fähigkeit und warnt ausdrücklich vor zu großer Annäherung an die kampfeslustigen Tiere. Wie Sie selbst mitteilen und wie ich in Deutsch - Ostafrika von Negern erfahren habe , wird in Afrika den Stachelschweinen die erwähnte Schießfertigkeit ausdrücklich zugeschrieben, auch Bauern aus der römischen Campagna erzählen unglaublich klingende Geschichten hier- über und Satuni n berichtet von den Bewohnern des Kau- kasus dasselbe. Es ist nur auffällig, daß die Tiere ihre furchtbaren Waffen niemals gegen Menschen richten, deren Aussagen jederzeit nachzuprüfen sind. Ich habe seit drei Jahren über Slachelschweine gearbeitet, habe häufig die nicht immer eindruckslose Bekanntschaft mit den in unseren Zoolo. gischen Gärten befindlichen Exemplaren gemacht, aber noch niemals ein ,, .Abschießen" von Stacheln bemerkt. .Auch die Wärter der Tiere verneinten jede dahingehende Beobachtung. Anatomisch-physiologisch würde eine Erklärung des willkür- lichen Fortschleuderns der Stacheln gleichfalls auf Schwierig- keiten stoßen. Denn die Stacheln sind anatomisch nichts anderes als außerordentlich stark verhornte Haare, und von willkürlich erfolgendem Haarausfall hat man bisher noch nichts gehört. Die .Stachelschweine sind überhaupt recht harmlose Geschöpfe, die angegriffen alle Stacheln des Körpers sträuben, mit den Hinterfüßen auf den Boden stampfen und mit den hohlen Schwanzslacheln ein rasselndes Geräusch erzeugen. Bei diesen heftigen Körper- und Schwanzbewegungen fallen häufig Stacheln aus, die wohl die Veranlassung zu der Er- zählung vom .Abschießen der Stacheln gegeben haben. Übrigens kommt in Süd- und Ostafrika nicht, wie Sie schreiben, Hystrix cristata vor, sondern eine durch den Schädelbau ganz von dieser nordafrikanischen verschiedene Art, Hystrix afyicae-atistralis. Ferd. Müller. Berichtigung. Das in Nr. 14 besprochene Buch von Fl as kam per (Die Wissenschaft vom Leben) kostet geh. nicht 6 Mk., sondern 4,50 Mk. Onhaltn Heineke: Über die biologische Wirkung der Radiumstrahlen, insbesondere über die Strahlenbehandlung von bösartigen Geschwülsten. F. Heide: Neuere Meteoritenfunde in Europa. Küchler: Die Spalteneruption der Hekla vom Jahre 1913. — Einzelberichte: Hirß-Elia Osowski: Die Beweglichkeit von Körperzellen. Wood: Eine einfache Methode zur Erzeugung einer sehr intensiven Natriumflamme. Woodruff; Kopulation bei Protozoen. Lowe; Biologie der Hokkohühner. B i e d e r m a nn - 1 m h o o f ; Spätbruten der Ringeltaube. Forbes: Der horizontale Gleit- flug der Möven. — Bücherbesprechungen: O. Abel: Die Tiere der Vorwelt. Handbuch der mikroskopischen Tech- nik. Jahrbuch der Deutschen Mikrologischen Gesellschaft. Johannsen; Elemente der exakten Erblichkeitslehre. — Literatur ; Liste. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafie IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Fulge 13. Band; der ganzen Reihe 29. Band, Sonntag, den 24. Mai 1914. Nummer 31. Eine Kritik der Leistunnen der „Elberfelder denkenden Pferde' Von Prof. Dr. Christoph Schröder, Berlin. [Nachdruck verboten.] Der Gegenstand dieser Darlegungen ist in der „Naturw. Wochenschrift" bereits berührt worden (namentlich von den Herren Prof. Dr. H. v. B u 1 1 e I - Reepen, „Meine Erfahrungen mit den denkenden Pferden", 1913 S. 241,245 und 257/263; Prof. Dr. L. Plate, „Beobachtungen an den denkenden Elberfelder Pferden des Herrn K. Krall", 1913 S. 263/268). Mich hatte s. Zt. gerade der von ersterem hervorgehobene Erfolg mit 4 „unwissent- lichen" Aufgaben veranlaßt, der Frage näher zu treten. Als erstes Ergebnis dieser Studien habe ich in der „Natur" (Heft 23, Jahrg. 1913, S. 543 — 548) einen Beitrag „Zum Geheimnis der Elberfelder denkenden Pferde" veröffentlicht, dem die genann- ten Autoren an gleicher Stelle (S. 548 — 550) einige „Anmerkungen" haben folgen lassen, denen ich im Hefte 14 (Jahrg. 1914) derselben Zeitschrift erwiderte. Von der „Deutsch. Naturw. Ges." in eine Kommission zur Nachprüfung der Leistungen der Pferde designiert, habe ich mich bemüht, zunächst die vorliegende Literatur in monatelanger, ob der oft ausgesproche- nen Kritiklosigkeit ihres Inhaltes recht wenig be- friedigender Arbeit sorgfältig zu vergleichen. Der Juwelier K. Krall zu Elberfeld , be- kanntlich der Besitzer jener Pferde, hatte zwar zunächst grundsätzlich zugesagt, die Tätig- keit der übrigens aus Zweiflern und Gläubigen „gemischten" Kommission zuzulassen und zu fördern. Er ist aber nicht um Vorwände verlegen gewesen, ihren Arbeitsbeginn immer wieder hin- auszuschieben, bis ihn die Zähigkeit ihrer Ersucher zu dem Bekenntnis veranlaßle, sie glatt abzu- lehnen. Die Leistungen seien bereits hinreichend nachgeprüft. K. Krall scheint hierin leider von Anhängern wissenschaftlichen Namens — ich be- tone, nicht den oben genannten Autoren — unter- stützt zu sein , die fürchten mochten , von einer solchen planmäßigen, nüchternen Untersuchung eine Erhöhung ihres Ansehens nicht zu erfahren. Eine betreffende Aufklärung scheint daher, wenigstens einstweilen, nicht mehr zu erwarten. Ich möchte daher glauben, daß es auch für wei- tere Kreise nicht ohne Interesse sei zu erfahren, was eine kritische Durcharbeitung der Literatur dem obj ektive n Urteil zu leh- ren geeignet ist. Ich sehe klar genug, um zu wissen, daß wir uns nur des Strebens nach (Objektivität der For- schung rühmen sollten. Dieses Bestreben wird — hoft'e ich — die folgende Ausführung nirgend vermissen lassen, auch dort nicht, wo mich die Bedeutung des Gegenstandes zu einer freimütigen Aussprache nötigt. Ich bitte, allein aus Rücksicht auf den verfügbaren Raum, mich wesentlich auf die rechnerischen Leistungen derPferde in dieser Kritik beschränken zu dürfen. Wie ist Herr K. Krall, Juwelier in Elberfeld, zu der aufsehenerregenden Entdeckung des Denk- vermögens der Pferde gekommen ? Er war s. Zt. „von Anfang an dem Verlaufe der Angelegenheit gefolgt, soweit dies aus Zeitungsberichten möglich war" ('' S. 3); der Angelegenheit nämlich, wie sie die bekannten Unterrichtserfolge des Herrn W. von Osten zu Berlin mit seinem „Klugen Hans" bildeten. ,, Gewichtige Umstände, die von scharfen Beobachtern, namentlich von erfahrenen Pferdekennern, berichtet wurden", erachtete K. Krall als mit dem Urteile der W isse nsch af t- lichen Kommission , .durchaus im Wider- spruch stehend". Er machte sich daher im Mai 1905, als der „Kluge Hans" schon vergessen war, mit W. von Osten persönlich bekannt, führte sich in dessen Methoden und Ideen ein, suchte diese auszubauen und pflegte die Beziehungen bis zu dessen Tode im Juni 1909. Der ,, Kluge Hans" fiel dann an K. Krall als Erbteil. Aber schon am 1. November 1908 waren bei ihm 2 Pferde, Hengste arabischer Abstammung, Muhamed und Zarif, ersterer 2- und letzterer 2 '/.i -jährig, eingetroffen, mit denen K. Krall versuchen wollte, ,,in das schier undurchdringliche Gebiet der Tierseele weiter vorzudringen" (''S. 8). Diese Genesis seiner tierpsjchologischen Versuche aus vorgefaßter Meinung erklärt be- reits zu einem wesentlichen Teile die Möglichkeit der grotesken Irrungen über die Bedeutung des Erreichten und zugleich über das Wesen der Tierseele. Die Tiere sind zuvörderst, wie es so bei Menschenkindern üblich ist, im Lesen und Rechnen unterrichtet worden. Ich gebe in Rücksicht auf den Raum nur die Anfangsdaten des „zeitlichen Ver- laufes des Rechenunterrichts" für Muhamed ('S. 447 u. f.; die Einer werden mit dem rechten, die Zehner mit dem linken Fuß geklopft): i. No- vember 1908 (s. o.) Eintreffen der Pferde. — 2. Nov. „Übungen im Zählen am Rechenknecht, mit Paiiptäfelchen und Kegeln : die Zahlen i und 2." — 3. Nov. „Die Zahlen 3 und o (Bewegung links- rechts)". — 5. Nov. „Lesenler n en von Zahl- Wörtern [auf Papptafeln. Verf.] eins zwei drei (in Verbindung mit der entsprechenden Anzahl 322 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 21 von Kegeln)". — 6. Nov. „M(iihamedj zählt tem- peramentvoller als Z(arif). Beide Pferde wissen, daß sie zu scharren haben, wenn etwa der Befehl erfolgt: ,Zähle drei'. Es wird Wert auf eine schwungvolle Art des Tretens gelegt. _Die^ah\_j. Hingehen und Berühren der Zahltafeln |j_| |^| |j_|. — 8. Nov. ,,Von links nach rechts liegt Rot an der wievielten Stelle?" — 9. Nov. „M. gibt beim Zählen mehrfach richtige Antworten". — 14. Nov. „M. zählt bis zur Zahl 4 richtig. Er lernt darauf das Zählen bis zur Zahl 10, sowie Zuzählen, Ab- ziehen, Malnehmen und Ausrechnen gemischter Aufgaben" (mehr als 2 Summanden, Addition, Subtraktion, Multiplikation zu einer Aufgabe \er- eint, z. B. 2 + 3 — I, 2X2+3- Verf.). — 1 7. Nov. „M. Erklärung der Zehner (Ausführung mit dem linken Fuß): ,Die Zehner setzen sich aus Einern zusammen'. Nach einer halben Stunde hat M. die Zähhveise begriffen und führte einige neue Auf- gaben richtig aus, z. B. 20 -I-40 32 13 (an die Tafel geschrieben. Verf). M. Malnehmen mit der I X 3 nach Zahl 3. Er führt Aufgaben -wie Igarzer Unterweisung richtig aus; desgleichen IS X 3 + 2I l? X 3 +"41- Erklärung, daß 4>3 ^3X4 'St. Kopfrechnen: einfache Zuzählauf- gaben. — 18. Nov. M. Teilen: Aufgaben ohne Rest. Nach kurzer Unterweisung, die durch Bei- spiele - wie die beiden nebenstehenden 4X2 = 8 8:2 = 4X3= i; 12:3= -ergänzt wird, rechnet M. folgende (neue) Aufgaben richtig aus: 8:4; 8:8; 12:6; 6 : 3 usw. Zuzählaufgaben mit mehreren zwei- stelligen Zahlen, z. B. r (d. h. richtig ge- löst. Verf.) 67". — 19. Nov. „Spielkarten: Zählen der Augen. Deutsche Reichsmünzen." — 20. Nov. „Die Hunderter (Ausführung mit dem rechten Fuß)." — 21. Nov. „M. Brüche: Erläuterung an Papierstreifen. Zähler , Bruchstrich , Nenner, l^-j-^ -|- I _|- I = ||." — 24. Nov. M. Malnehmen mit der Zahl 6." — 25. Nov. „M. Malnehmen mit der Zahl O." — 27. Nov. „Zählen mit verbundenen Augen. Rechenaufgaben mit gedruckten Zahl- eins plus zehn I + 10 Wörtern (zum Lesenlernen) : 2. Dez. ,,M. Bruchrechnen (mit verschiebbaren Holzklötzen)." — 3. Dez. „M. beantwortet bei der Wiederholung einfache Aufgaben richtig, z. B. : II ,Ein Ganzes hat wieviel Halbe.-' |-^ + f \l+i= A-" — ^3- Dez. „M. macht gute Fort- schritte im Bruchrechnen." — 14. Dez. „M. Mal- nehmen; Aufgaben mit gedruckten Zahlwörtern multipliziere zwei mit drei . Er fängt an, seine I //. Hafer 2 .4 Regel de tri: 3 „ „ ? „ (//.-, .Ä-, „-Zeichenl Verf). Zahlwörter, sowie einfache Aufgaben in französischer Sprache (mündlich und schriftlich), zunächst in Verbindungr mit den entsurechenden un et deux deux fois deux Ziffern: 1+2 2X2 ." — 21. Dez. „M. zählt verschiedene Zahlen richtig, die ihm in französischer Sprache genannt werden: un, trois, quatre, dix." — 28. Dez. „M. Lesenlernen deut- scher und französischer Zahlwörter : zehn und zwei dix et deux — 30. Dez. ,,M. Vorübung für das Rechnen einer (? = o! unbekannten Zahl: 2X5 .0 + 10 10 Verf.) h'ehler selbst zu verbessern." — i6. Dez. „M. 2 ,-, 6^12 10+ ^12 . Nach kurzer Unterweisung gibt er (bei neuen Aufgaben) die fehlende Zahl richtig an." C S. 447— 450). Usf. Denn der Raum gestattet leider nicht, den Unterrichtsverlauf weiter zu verfolgen; so be- deutsam gerade die Kenntnis desselben für die kritische Prüfung seines Ergebnisses auch ist. Die wiedergegebenen Monate November/Dezember werden — denke ich — genügen. „Die Dauer der gesamten Unterweisung betrug für jedes Pferd ungefähr i"., — 2 Stunden täglich" ( ^' S. I02); ,,je eine Stunde vormittags und eine nachmittags oder abends" ( '' S. 89). „Nach einem Jahre mußte K. Krall sich ,,auf eine Stunde täglicher Unterweisung für jedes Pferd beschränken" ( '' S. 89 und 90). „Bei der Vielseitigkeit des Lehrstoffes konnte selbstverständlich von einer regelmäßi- gen Wiederholung des Durchgenommenen keine Rede sein" (''S. 447). In diesen nicht selten überhaupt oder durch gänzlich andersartigen Lehrstoff unterbrochenen, kurzen 2 Monaten von durchschnittlich höch- stens V2 — Vi Stunde täglich soll Muha- med gelernt haben: das Verständnis des Zahlenkreises bis in die Hunderte hinein, die 4 Grundrechnungsarten wenigstens im ersten Hundert, die Ele- mente der Bruchrechnung, Regeldetri, Vorübung für das Berechnen einer Un- bekannten; das alles nach Wortlaut bzw. als Ziffern oder Zahlwörter — in deutscher, auch französischer Sprache — angeschrieben. K. Krall hat sich offenkundig bemüht, die Methoden des menschlichen Unterrichts zu be- nutzen. Was pflegt ein Menschenkind von 6 Jahren demgegenüber zu begreifen? Das I.Schuljahr mutet ihm die Grundrechnungsarten I — 20, das 2. innerhalb der Zahlen I — 100, das dritte in größeren Zahlen, das 4. in mehrfach oder ungleichbenannten Zahlen (Münzen, Gewichte, Regeldetri) zu; usf Man zögere nicht, die ganze überwältigende N. F. XIII. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. .123 Armseligkeit unserer über Jahrtausende geschul- ten Unterrichtserfolge mit dem zu vergleichen, was K. Krall 's schulmeisterliche Fähigkeiten aus seinem Muhanied in spärlichen Wochen schufen ! Vielleicht aber hat der Lehrmeister der Pädagogik neue Bahnen gewiesen? Wohl ist die Darstellung des Unterrichtsweges in den dürftigen Protokollen allgemein sorgfältig gefeilt; trotzdem aber be- gegnet man nicht ein mal verein zeit Lehr- proben, die nur erstauntes Kopfschüt- teln, bzw. herzhafte Heiterkeit auszu- lösen vermögen. (^'S. 116): „Das Bruchrechnen brachte ich (K. Krall. Verf.j ihnen bei, indem ich einen Papierstreifen in zwei, vier, acht gleiche Teile zerschnitt und diese erläuternder- weise wieder zu einem Viertel , einem Halben und einem Ganzen zusammenfügte; des weiteren auch, indem ich an geteilten Stäben die Halben, Drittel, Viertel usw. veranschaulichte". Wieviel saure Kinderplage könnte unser L^nterricht er- sparen, wieviel spielfreie Zeit könnte er gewinnen, vermöchte er so bequem, so schnell dasselbe Ziel zu erreichen ! Oder S. 450 (s. Auszug) : „M. Vor- übung für das Rechnen mit einer unbekannten Zahl: 2 X, 5 ^ 10 — = 10 2X6 = 12 10 , 10 -|- = 12 . Nach kurzer Unterweisung gibt er (bei neuen Aufgaben) die fehlende Zahl richtig an." Diese Zusammenstel- lung z. B. von 2-5=iomitiO — x^io, um die Berechnung der Unbekannten zu erklären, be- deutet m. E. völligen Unsinn. Wenn die Pferde das Rechnen mit einer Unbekannten nach dieser „Unterweisung" betätigt haben, so konnten sie es eben schon vorher; und ich wundere mich nur, daß sie durch solchen ,, Unterricht" nicht irre ge- worden sind ! Oder die Tafel „zur Erläuterung der Zehner" (am 17. Nov.! Verf) 0 I 23456789 10 II 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 3c 31 32 33 34 35 36 40 41 42 43 44 50 60 70 80 90 Wahrhaftig, K. Krall hat auch hier versucht, seine Pferde die schwierigsten, wunder- lichsten Unt errich ts wege zu führen, wenigstens im Vergleich zu der minderwerten menschlichen Auffassungsgabe ! Derartige — kritisch gesprochen — gänzlich unwahrscheinliche Unterrichtserfolee mit einer jochgewohnten Kreatur könnten uns nur zu leicht derart von einer Überraschung in die nächste größere stürzen, daß wir versäumen möchten zu prüfen, was bisher die anatomisch- physiologischen Untersuchungen zu- nächst der Sinnesorgane des Pferdes ergeben hatten. K. Krall unterrichtet durch das Wort und Tafelschrift bzw. Schriftdruck; er be- ansprucht also das Gehör und Gesicht des Pferdes. Es ist daher, bei der rein anthropomorphen Unter- richtsweise, unbedingt vorerst zu fragen, welcher Art die betreffenden Reiz- und Wahrnehmungs- vorgänge sein dürften. Stef. von Maday ('^' S. 26) faßt das Urteil dahin zusammen, daß „das Gehör des Pferdes dem menschlichen insofern überlegen sei, als es viel leisere Geräusche wahr- zunehmen vermöge als wir, daß es andererseits auch hinter unserem Gehör zurückbleibe, indem das Pferd Worte und musikalische Töne nur in geringem Grade unterscheiden könne. Bezüglich des Gesichtssinnes derselbe Autor (S. 15): „Der Gesichtssinn des Pferdes steht dem des ;\Ienschen im allgemeinen nach;, besonders die genauen Konturen und die Details der Körper, dann die in größerer Entfernung liegenden Gegen- stände sind es, die vom Pferde nicht unterschieden werden. Diese Schwachsichtigkeit ist ein Haupt- grund für das häufige Scheuen des Pferdes. . . . Die Ansicht, welcher zufolge das Pferdeauge nicht bloß im Vergleiche mit dem Auge des Menschen, sondern auch absolut genommen, d. h. was seine Brauchbarkeit betrifft, als ein minderwertiges Organ zu betrachten ist, kann durch eine Anzahl von Beobachtungen gestützt werden." So kommt der Astigmatismus, eine Sehstörung, bei welcher die Gegenstände verzogen und an den Rändern verschwommen, ohne scharfe Grenzen gesehen werden, neben anderen Ursachen derselben Er- scheinung häufiger vor. Blinden Pferden begegnet man zu Hunderten; und das blinde Wagenpferd verrichtet seine Arbeit so gut wie das sehende. Der Mangel seines Gesichtssinnes verrät sich kaum im Benehmen des Pferdes; usf. (nach-' S. 17/18). Diese Tatsachen erweisen, daß das Verhalten des Pferdes allgemein durch seine übrigen Sinne be- stimmt wird. Andererseits aber ist das Pferdeauge dem mensch- lichen außer durch die günstigere Stellung, die sie fast den ganzen Horizont auf einmal übersehen läßt, insofern überlegen, alses in seinernäheren Umgebung die minimalsten Bewegun- gen wahrzunehmen imstande ist. Sei es — nach R.Berlin — infolge eigentümlicher Krüm- mungs- und Lichtbrechungsverhältnisse seiner Ele- mente, welche kleinste Bewegungen verhältnis- mäßig größer erscheinen lassen würden. Sei es — nach Oskar Pfungst — wegen der im Ver- gleich zur menschlichen 3 mal größeren Ausdehnung der Netzhaut bei feinerer Struktur der Stäbchen und Zapfen, welche das Sehen vermitteln. Nehmen wir an, daß durch die Ausbreitung des Reizes von einer bestimmten Sehzelle auf die benachbarte die Empfindung eines bewegten Lichtpunktes er- zeugt werde, so versteht sich auch hiernach, daß das Pferd nochsolchekleinsten Bewegungen vonObjekten bemerken wird, welche unsere derber organisierte Netzhaut nicht zu fassen vermag (nach -' S. 18). Demgegenüber „ist nach übereinstimmender Aussage der meisten Pferdekenner der Geruchs- 324 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 21 sinn der wichtigste Sinn des Pferdes" ( -' S. 32). Es darf jedoch innerhalb dieser Darlegungen von einer Erörterung der Frage abgesehen werden, wie weit dieser Sinn etwa beim Apportieren von Tafeln usw. beteiligt sein l<önnte. Die gänzlich anthropomorphe Unterrichtsmethode K. Krall's würde dem Riechvermögen ohnedem keinen An- teil an einem Erfolge gewähren. Wenn nun so auch die Möglichkeit vorliegt, daß das Pferd auf dem Wege durch das Ohr zu Vorstellungen und Assoziationen solcher gelange, bleibt es höchst unwahrscheinlich, daß das Auge solche ruhenden Lettern, gedruckt oder ge- schrieben, vermitteln werde. Es sollen aber selbst Photographien u. a. unterschieden, er- kannt werden. Vielleicht wäre es denkbar, daß die durch die Handführung (an der Tafel) ent- stehenden Schriftzeichen von dem Pferde schärfer wahrgenommen werden. Die Unterrichtsmethode K. Krall's arbeitet aber gerade auch mit ruhen- den Lettern; seine Unterrichtserfolge ver- fallen daher von Anbeginn wiederum einem hohen Grade von Unwahrscheinlichkeit. Seine L^nterrichtserfolge im Rechnen, welche in der Fähigkeit des Radizierens von 2., 3., auch 4. und selbst 5. Wurzeln gipfeln ! Man würde nun einen grundsätzlichen Irrtum begehen, wollte man — um die Kritik einstweilen auf diese rechnerische Höchstleistung zu beschränken — etwa auf Grund einzelner Protokolle aimehmen, die Pferde hätten solche Aufgaben in beliebiger Mannigfaltigkeit ge- löst. Ich könnte hiergegen eine ganze Zahl von gleichen Wurzelaufgaben anführen, die sich beiden verschiedenstenGästen wiederholt haben. Teils zeitlich zusammen- fallend: F. Hern pel mann (vom 14. März 1912) yig36 := r. 44 (Zarif) und (vom 15. März) f. 43 r. 44 (Muhamed) wie L. Plate {*' vom 5., 10. und II. März 1912) f. 23, f. II, r. 44 (Muhamed) und ebenfalls O te Kloot C*' vom März 1912) r. 44. Oder: L. Plate l'ii56 = f. 32, r. 34 (Muhamed) wie Hartkopf (vom 3. März 1912; zitiert nach O. t e K 1 o o t , S. 28) ^r. 34 (Muhamed). Oder : F. Hempelmann 115876 = r. 126 (Muhamed) wie A. Ritter (vom 27. März 1912, zitiert nach O. te Kloot, S. 41) } 15876 — } 12769 = (126— 113) r. 13. Usf. Andere übereinstimmende Aufgaben liegen i, - - auch zeitlich mehr auseinander; so yi7850625 bei H. V. Buttel-Reepen ("^ vom Dezember 1912) mit f. 56, f. 66, f. 75, bei L. Plate (^' im März 1913) mit f. 45, r. 65. Die Aufgaben- sammlung ist hiernach recht beschränkten Um- fanges. Und die betreffenden Leistungen der Pferde sprechen wiederum nicht gerade für einen Denkakt; denn auf dieser Grundlage ließe sich die Mannigfaltigkeit solcher Aufgaben ohne jede Einschränkung lösen. Wenn möglich, noch weni- ger die rechnerisch gänzlich sinnlosen Folgen der 3, Antworten; z. B. (nach L. Plate) y32768=:ff. 18, 8, 7, 38, 45, 34, 8, 44, schließlich r. 32. Auch nicht die Tatsache, daß die Pferde nach j eder Aufgabe, sie mag schwer oder leicht sein, augenblicklich zu klopfen be- ginnen. Man wäre wohl schon berechtigt zu fragen, weshalb sich denn die Wissenschaft nach solchen Feststellungen überhaupt noch mit diesen „denken- den" Pferden beschäftige. Da sind aber die „un- wissentlichen Aufgaben", d. h. solche, die weder K. Krall noch der Prüfende zuvor gekannt halten. H. v. Buttel-Reepen verzeichnet ( "', S. 258) deren 4, die ihm von Prof. Krause in versiegelten Umschlägen zugleich mit ihren ge- trennt versiegelten Lösungen gegeben waren. Die Aufgabe wurde erst vor ihrer Niederschrift an die Tafel entnommen, die bezügliche Lösung erst am Guckloch hinter der Stalltüre. Ich muß nochmals gestehen, daß mir gerade dieser Teil des Berichtes H. v. B u 1 1 e 1 - R e e p e n ' s, den ich als kritischen Beobachter schätze, Anlaß ge- worden ist, mich näher mit dem Problem der „denkenden Pferde" zu beschäftigen. Es sind die Aufgaben: V3364 = f. 32 f. 44 f. f. r. 58; yi2i67 := f . 33, f. r. 23 (undeutlich) r. 23; }'4096 = f. 36 f. 74 f. 46 f. 46 r. 64; 16241 = vielmals f. Schon ehe ich weitere Protokolle hierzu durch- gearbeitet halte, mußte ich {'' S. 239) aus den Antwortreihen der gelösten Aufgaben schließen, daß diese den Pferden nicht das erste Mal vorgelegt waren. Das leitete mich damals zu der von H. v. Buttel-Reepen berichtigten Annahme, daß Herr Prof. Krause auch früher bereits solche Aufgaben verfaßt und sich wiederholt habe. Dies war zwar nicht der Fall. Meine Voraussage hat aber dennoch insoweit eine glänzende Bestätigung gefunden, als ich 2 jener 3 Aufgaben als zuvor „durchge- nommen" nachzuweisen vermag. P. Sara- 3 sin *) nennt als Aufgabe vom i.Juni I9i2:yi2i67 mit f. 13 r. 23 ; H. v. B u 1 1 e 1 - R e e p e n 's Besuch datiert vom 17. — 19. Dez. 1912! Beide Aufgaben beziehen sich auf Leistungen Muhameds. Und nach dem handschriftlichen Protokoll F. H e m p e 1 - m a n n's (S. 3) war eine der aus K. Krall's Aufgabensammlung (!) an Zarif gestellten Aufgaben: ] 4096 = r. 64 ; dieses Protokoll datiert vom 1 5. März 1912! Nach derartigen Erfahrungen lassen sich, von anderen Einwänden gegen sie ganz abgesehen, auch solche Aufgaben nicht mehr dafür zitieren, daß die vorhandenen richtigen Lösungen etwa gerade von den Pferden ausgerechnet worden sein mußten. L. Plate möchte dies jedoch ( ^' S. 264/5) aus einer Statistik dartun. Er ordnet die beobachteten Leistungen z. B. Muhamed's in leichte, schwere und sehr schwere Aufgabenantworten. Die I. Gruppe von 29 Aufgaben verzeichnete nach ihm 13 (44,82 "/o) sofort richtig gegebene Lösungen gegen 4 (13,8%) völlige „Versager"; die 2. Gruppe N. F XIII. Nr. 2 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 325 mit 34 Aufgaben 14 (41,17 7o) gegen 11 (32,35 "/ol Versager; die 3. Gruppe von 20 sehr schweren Aufgaben 2 (10%) gegen 4 ('207,,) Versager. Dieses mathematische Gewand könnte über den Wert seines Inhaltes täuschen. Ich habe mich deshalb die Mühe einer Nachprüfung auf genau rrleichcr Grundlage an dem von F. Hempel- niann gewonnenen Antwortenmaterial Muha- med's nicht verdrießen lassen. Dieser nennt neben wenigen unter die i. der obigen Gruppen zu weisenden 29 Rechenaufgaben der 2. und 18 Aufgaben der 3. Gruppe, also fast die- selbe Anzahl, welche L. Plate die Grundlage seiner Statistik geliefert hat. Ich finde unter den 29 .Aufgaben der 2. Gruppe: 7 sofort und i sofort „mit Einhilfe" richtig gegebene Lösungen , 8 nach Fehlschlägen richtige nebst i sodann mit „Einhilfe" richtigen, 2 später (inmitten folgender Fragen) richtige, 9 gänzlich versagte Antworten. Ich verzeichne für die 3. Gruppe: 4 sofort richtige und 2 mit ,, Einhilfe" richtige, 7 nach Fehlschlägen richtige, 3 später richtige Ant- worten und nur i, die einzig in einer anderen richtigen Antwort zutreffend enthalten war ! Hier- mit ist der Unwert der L. Plate'schen Statistik vollkommen erwiesen. Aber selbst, wenn sie sich bestätigt hätte, würde sie in Rücksicht auf die noch folgenden t^inwände nur eine Parallelitä t zwischen menschlicher Leistung und jener der Pferde dartun, keineswegs „nur die Erklärung zulassen, daß es sich bei den Pferden (d. h. eben bei diesen und nicht etwa bei K. Krall! Verf) um Ver- standcsoperationen handelt, welche um so öfter un- richtig ausfallen, je schwieriger die gestellten Auf- gaben sind" (■*' S. 265). Übrigens würde der ganze statistische Bau schon über die stetig wieder berichtete Eigenart der Pferde stürzen, daß sie in spontaner „Unlust", wie es heißt, gerade b e i den leichtesten Aufgaben nicht selten versagen. Auch II. E. Ziegler, einer der erklärtesten Anhänger K. Krall's, versucht") vergebens, in das Gebiet der Mathematik zu flüchten, tlr wendet sich gegen gewisse statistische Nach- weise von Gegnern; ich muß mich getroffen er- klären, ohne genannt zu sein. Ich würde aber den Rahmen dieser Ausführungen weit überschreiten, wollte ich an der ganzen Folge von Unrichtig- keiten hier Kritik üben. Ich treffe auch den Inhalt des Irrtums zu einem wesentlichsten Teile, wenn ich die Prüfung auf H. Fl Ziegler 's Worte beschränke: „Wenn ich einem Kinde 10 gleich- artige Divisionsaufgaben stelle, wobei jeweils eine zweistellige Zahl herauskommt, und es werden nur ein oder zwei Aufgaben richtig gelöst, so ist da- mit schon bewiesen, daß das Kind das Divisions- verfahren verstanden hat, denn sonst hätte es keine einzige Aufgabe lösen können." Vollkommen unrichtig, besonders auch im vor- liegenden Falle. Die mathematische Wahr- scheinlichkeit ist gleich einem Bruche, dessen Zähler gleich ist der Anzahl der günstigen Fälle, dessen Nenner der Zahl der möglichen Fälle gleich- kommt. Zur Gewißheit (,, bewiesen") wird die Wahrscheinlichkeit nur dann, wenn jeder mögliche Fall günstig, der Bruch gleich i ist. Variationen von 10 Elementen zur 2. Klasse mit Wiederholung gibt es rein mathematisch 100 Komplexionen, hier verwertbar 90 (es entfallen 00, Ol bis 09). Für jede einzelne der 10 Aufgaben gibt es eine einzige richtige Lösung. Die Wahrscheinlichkeit, eine der Aufgaben mit zweistelligem Ergebnis in diesem richtig zu erraten, wird daher gleich . Werden ^ ^90 aber 10 Aufgaben gestellt und soll dieVerschiedenheit bestimmt werden, daß eine dieser voneinander unab- hängigen Aufgaben zutreffend im Ergebnis erraten werde, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit damit auf denSummenwert der ioBrüche;sie ist daher = . 90 9 Das Eintreffen ist also immer noch unwahrscheinlich. Nun scheint aber H. E. Ziegler dabei gänz- lich zu übersehen, daß die Lösungstreffer meist erst nach einer ganzen Reihe von F"ehlschlägen erzielt worden sind. So zählt L. Plate (*', S. 265) unter den 20 sehr schweren (d. h. Wurzel-Aufgaben) 2 sofort, 4 nicht richtig beantwortete ; d. h. 70 "/o derart nach Fehlschlägen gefundene Lösungen. Es wäre für die genauere weitere Bestimmung der fraglichen Wahrsclieinlich- kcit notwendig, statistisch nachzuweisen, wie groß durchschnittlich die Zahl der E'ehlschläge bzw. E^inhilfen gewesen ist. Leider reichen dazu die Protokolle schlecht aus; mit Ausdrücken „Viel- mals f ', „Nach vieler Mühe" ist nichts anzufangen. Wenn ich z. B. nur die 9 betreffenden Wurzel- aufgaben bei L. Plate in Betracht ziehe, deren eine Ergebnisfolge (für y32768) lautet: 18, 8, 7, 38, 45. 34, 8, 44, endlich r. 32), so begegne ich 23 Fehlantworten vor den 9 richtigen, d. h. je 2 ; im ganzen 3 Antworten zu jeder Aufgabe. 9' " -^9 ' Doch müssen auch die oft erheblich längeren Reihen von Fehlschlägen der ungelöst gebliebenen Aufgaben berücksichtigt werden, welche die durch- schnittliche Zahl der Antworten auf sicher nicht weniger als 4 erhöhen dürfte. Es ist aber ganz selbstverständlich, daß sich die Wahrscheinlichkeit proportional der Zahl der Antworten erhöht. Sie • -1 lo 40 j4i würde im obigen Beispiele von aut -^1 '^ ' 90 90 \ 9/ steigen. Nunmehr eine andere bedeutungsvolle E'est- stellung. Bisher ist vorausgesetzt worden, daß die 10 Ziffern o bis 9 in den zweistelligen Ergebnis- komplexionen uneingeschränkt gleichmäßig auf- treten. Alles andere als das! Schon '' S. 546 habe ich hervorheben müssen, daß die Ziffern eine sehr weitgehende Auswahl erleiden. So fanden sich unter den betreffenden 13 r. Lö- sungen der H. v. Büttel -R eep en sehen bzw. 326 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 21 L. riate'schen VVurzelaufgaben, also 26 Ziffern, die Ziffer 3 viermal, 4 siebenmal, 5 viermal, 6 fünfmal. F. Hempelmann äußert sich hier/Ai ( '"' S. 233): Unter den 354 als Antwort auf Rechenaufgaben ge- tretenen Ziffern „waren nur 7 Achten und nur 2 Neunen . . . Allerdings betont schon K. Krall, daß die Hengste diese beiden Zahlen nur ungern treten, und er bittet, bei etwa selbst gestellten Aufgaben das Resultat so einzurichten, daß keine 8 oder 9 darin vorkommt". Oder K. Krall selbst ( '', S. III): „Eigentümlicherweise gaben sie im Anfang des Rechenunterrichts die Zahl i fast nie richtig an, sondern statt dessen 2 oder 3"; wie auch (S. 362): „Da Hans (das W. v. Osten 'sehe Pferd. Verf ) sich schon widerspenstig zeigte, wenn er bei Zähl- oder Rechenaufgaben mehr als 6 zu treten hatte, wollte ich ihm das , langweilige' Klopfen ersparen". In dieser Erscheinung liegt zunächst alles andere denn ein Moment, geeignet, zu- gunsten des Denkvermögens gerade der Pferde zu sprechen. Sie erklärt sich sehr einfach, wenn man sich dessen erinnert, daß das Scharren jene Ausdrucksbewegung des Pferdes ist, „die am meisten bekannt ist und auch vielen Zirkuskünsten als Grundlage dient": ,,Das wiederholte Heben und Senken des Vorder- fußes, das als Stampfen, Klopfen, Bodenkratzen bezeichnet wird" ("', S. 145). „Wiederholt"! Das bedeutet die angeborene Gepflogenheit der Pferde, innerhalb etwa der Zahlen 3 — 6 zu „klopfen". Und K. Krall dachte seine Pferde zu ,, unterrichten", während er sich wiederum nur zum .Sklaven der Instinkte der Tiere machte. (Schluß folgt.) Nene Vakniiiiiröliroii für Deiiioiistratioiis- zAveeke und tt'clmische Aerweiidiiiig. Von I'rivaldozent Dr. H. Greinacher. Mit S Textfiguren. [Nachdruck verboten.] Serienentladungsröhren. Ikvor wir auf die Beschreibung der sog. Serienentladungs- röhren eingehen wollen , sei zunächst an die Funktionsweise des Hörnerblitzableiters erinnert. Zwei Drähte sind hier hörnerartig um- gebogen (Fig. I) und so montiert, daß sie einander unten in einem .'\bstand von wenigen Millimetern gegenüber- stehen. Wird auf irgendeine Art ein Lichtbogen an der engsten Stelle ge- zündet, so wandert dieser selbsttätig nach oben und erreicht an den Hörnern schließ- ,-^^b?x lieh eine solche Länge, daß er auslöscht. Wie in einer früheren Ar- beit ') gezeigt wurde, beruht das Wandern tischen Wirkung des Stroms in den Zuleitungs- drähten. Verbindet man die Horner statt mit einer Batterie mit den Polen eines Induktoriums, so erhält man statt eines Lichtbogens eine sog. Bogen- cntladung. Die Stromstärke ist bei dieser Art Entladung viel geringer. Man erhält zwar eben- falls ein \\'andern des Bogens, die Bewegung findet jedoch viel lang.<;amer statt und ist zum größten Teil der nach oben treibenden Wirktini? Fis- .•^. Fig. 4- des Lichtbogens fast ausschließhch auf der magne- der warmen Luft zuzuschreiben. Da einlnduktorium die nötige P^ntladungsspannung liefert, so zündet ■) Verhandlungen der Ueutsch. Physika!. Ges. 15, 123, 1913. hier die Entladung von selbst an der engsten N. F. XIII. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Stelle, steigt mit mäßiger Schnelligkeit bis zu den Hörnern hinauf, löscht hier, um von neuem an der engsten Stelle einzusetzen. Besonders interessant wird die Erscheinung, wenn man die Hörner unter eine Glasglocke setzt, die man evakuiren kann. Bereits fertige Demon- strationsröhren für solche Versuche liefert die Glasinstrumentenfabrik Emil G u n d e 1 a c h in Gehl- berg (Thüringen) (Fig. 2). Man verbindet den Hahnansatz etwa mit einer Wasserstrahlpumpe und beobachtet die wandernden Lichtbogenent- ladungen, indem man allmählich zu steigender Luftverdünnung übergeht. Während man bei Atmosphärendruck das Bild eines gewöhnlichen Lichtbogens hat, verändert sich die I"'arbe mit abnehmendem Druck zunächst in rotgelb und schließlich ganz in rot, wobei zugleich an den Drähten blaues Glimmlicht erscheint. Zugleich enthüllt die Bogenentladuiig immer mehr ihren diskontinuierlichen Charakter. Besonders schön ist das Experiment, wenn man das Indukiorium bezw. einen Hochspannungs- transformator mit Wechselstrom z. B. von 50 Peri- oden speist. Dann löst sich der Lichtbogen in lauter Einzelcntladungen auf, die abwechselnd an den beiden Drähten ansetzen und lebhaft in die Höhe steigen. Oben löscht die Erscheinung und beginnt alsobald wieder unten. Obwohl ein Auf- stieg nicht länger dauert als etwa eine halbe Sekunde, ist es gelungen, einzelne Aufstiegsperioden direkt zu photographieren. Fig. 3 gibt eine solche Aufnahme wieder, die bei einem Druck von un- gefähr 7 cm Quecksilber gemacht wurde. Man sieht sehr deutlich die Ansatzstellen des negativen Glimmlichts und die langen Zacken der anodischen Entladung. In Wirklichkeit ist die Erscheinung infolge der roten und blauen harben und bei dem lebhaften Spiel der Einzelentladungen über- aus ansprechend. Eine weitere Photographie ist in Fig. 4 wieder- gegeben. Hier wurde das Induktorium mit Gleichstrom und Wehneltunterbrecher betrieben. Wie man sieht, befinden sich alle anodischen Streifen am einen, alle Glimmlichtpunkte am anderen Draht. Auch hier ist die Auflösung in die Einzelentladungen trotz der höheren Frequenz der Unterbrechungen noch sehr deutlich. Das Aussehen der beschriebenen Erscheinungen variiert übrigens etwas mit dem Gasdruck. Um eine gute Auflösung in die Plinzelentladungen zu bekommen, ist es zweckmäßig, den Druck nicht zu weit zu erniedrigen. Die Firma Gundelach liefert auch solche fertige Röhren, die passend dimensioniert und evakuiert sind (Fig. 5). Zu Demonstrationszwecken werden diese Röhren mit verschiedenen Gasfüllungen (Stickstoft', Kohlen- säure, Helium usw.) versehen. Zu beachten bleibt bei Verwendung der Röhre Fig. 2, daß sich aus der Luft durch die Bogenentladungen NO.,- Dämpfe bilden. Die Stickoxydbildung ist sehr deutlich an der Gelbfärbung des Gasinhalts zu ersehen. Da- mit die Kupferdrähte nicht angefressen werden, ist nach Beendigung der Versuche eine Erneuerung des Luftinhalts zu empfehlen. Die Serienentladungs- röhren können zu den verschiedensten praktischen Aufgaben Verwendung finden: 1. Sie lassen den Stromcharakter feststellen (Wechselstrom, kontinuierlicher bezw. intermittie- render Gleichstrom). Jede Deformation des Wechselstromes, z. B. durch Ventilzellen, läßt sich an der Serienenlladungsröhre erkennen. Diese stellt also im Prinzip einen selbsttätigen Oszillo- graphen dar. 2. Die Röhren geben ein Bild von der Funk- tionsweise von Gleichstromunterbrechern. Da überdies starke Schließungsströme leicht erkenn- bar sind, so sind sie ohne weiterem zur Prüfung des Stromes von Röntgeninduktorien geeignet. Will man etwa die Unterbrechungszahl selbst bestimmen, so photographiert man eine Aufstiegs- periode und zählt die vorhandenen Partialentladuii- gen. Bestimmt man noch die Zeit einer Auf- stiegsperiode so gibt der Quotient die gesuchte Unterbrechungszahl. 3. Kleine Zeiten lassen sich ebenfalls mit der Röhre bestim- men. Der Zeitunterschied zwi- schen zwei Zacken bei Wechcl- strom von 50 Perioden ist ^/jfK, Sekunde. Will man nun beispiels- weise die Expositionsdauer eines photographischen Momentver- t'g- 5- Fig. 6. Schlusses prüfen, so beobachtet man etwa das Bild der Serienentladungen auf der Mattscheibe. Sieht man während des P'unktionierens des Ver- schlusses z. B. 6 Zacken, so beträgt die Exposi- tionszeit 0,06 Sekunden. Glühlamp en rö hren. Eine weitere Er- scheinung, die ebenfalls bei der Entladung im luftverdünnten Raum auftritt und sich sowohl zur Demonstration als zu technischer Verwendung eignet, ist die Erwärmung der negativen Elektrode. Wie bereits Wiedemann und Ebert gezeigt haben, kann sich ein Platindraht, der als Kathode in einer Geißlerröhre verwendet wird, so weit erwärmen, daß er zur Weißglut kommt. Pis ge- nügt, auch schon bei Atmosphärendruck zwischen zwei Platindrähten I-'unkenentladungen übergehen zu lassen, um ein lebhaftes Aufglühen des nega- tiven Drahtes zu beobachten. Die starke Er- wärmung der Kathode hängt damit zusammen, 328 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 21 daß der Entladungswiderstand fast ausschließlich an der Kathode liegt. Während das Anodenge- fälle im allgemeinen nur 20 — 30 Volt beträgt, hat das Kathodengefälle, das zwischen der Kathode und der Grenze des blauen Glimm.lichts herrscht, Werte von mehreren hundert Volt. Die positiven Ionen, welche auf die Kathode aufprallen, erhalten daher im Kathodengefälle eine solche Energie, daß sie die Kathode lebhaft erwärmen. Im allge- meinen ist diese Erscheinung allerdings sehr wenig erwünscht (z. B. beiRönlgenröhrcn, Spcklralröhrcn). Sie kann jedoch zu einem sehr schönen Demon- strationsversuch verwendet werden. In Fig. 6 ist eine fertige Demonstrationsröhre wiedergegeben, wie sie ebenfalls von der Firma G u n d e 1 a c h hergestellt wird. Zwei Kohlcfaden- oder Metall- faden-Glühlampen sind durch eine Glasröhre zu einer einzigen Vakuumröhre vereinigt. Der Kaum ist bis auf wenige mm Ilg luftleer gemacht. Jeder der beiden Glühlampcnfäden wird mit den Polen eines Induktors verbunden, so daß Entladungen von der einen Glühlampe zur anderen übergehen. Zugleich wird man bei genügend kräftigem Pri- i-ig. märstrom des Induktors beobachten, wie die kathodische Glühlampe zu lirennen beginnt, wäh- rend die anodische Lampe vollständig dunkel bleibt. Man kann die negative Glühlampe leicht so hell brennen machen, wie bei dem üblichen Gebrauch. Da die Entladungsspannung nicht übermäßig hoch ist, so kann man den Induktor auch einfach mit gewöhnlichem Wechselstrom speisen und den transformierten Sekundärstrom anlegen. In diesem Fall leuchten dann beide Glühlampen. Will man das unipulare Bild haben, so hat man nur eine Ventilröhre einzuschalten. Die Glühlampenröhre ist namentlich im Hinblick auf die farbenprächtigen Lumineszenzeffekte, welche das Aufleuchten der (ilühlampen begleiten, ein vorzügliches Demonstra- tionsobjekt. Die Röhre darf allerdings nicht sehr andauernd beansprucht werden, denn mit den Ent- ladungen zugleich findet eine merkliche Zerstäubung der Glühfäden statt (Kathodenzerstäubung). Die Glaswand wird daher nach längerem Gebrauch schwarz und der Glühfaden bricht. Da die Lampe dabei weiterbrennt, so kann die Demoiistrations- röhre immerhin so lange gebraucht werden, bis der Faden vollständig aufgezehrt ist. Schließlich ist auch eine Neubeschaffung der Röhre bei dem niedrigen Preis derselben keine große Sache. Die Ka t h od e n gl ü hl am p e. Die Richtung, in welcher eine praktische Verwendung der be- schriebenen Erscheinung zu suchen ist, liegt nun nahe. Pralls es möglich ist, die Demonstralions- röhre derart umzuändern, daß eine Zerstäubung der Kathode vermieden wird und die Helligkeit der glühenden Elektrode eine genügende ist, so muß sich eine brauchbare Licht(|uelle nach dem Prinzip der Kathodenerwärmung lierstellen lassen. Die Kathodenzerstäubung ist nun im allgemeinen um so geringer, je kleiner das .'\tomgewicht des betreffenden Materials ist. Aber selbst bei einem so leichten Material wie die Kohle ist die Zer- stäubung noch sehr lebhaft. Ich habe nun versucht, ob vielleicht Materialien geeignet sind, die erst bei höheren Temperaturen zu P^lcktrizitätsleitern werden. Besonders einfach schien mir ein Versuch unter Verwendung von Nernststiften als PHcktroden. Und in der Tat hat es sich gezeigt, daß man unter Verwen- dung dieser Maße eine Glühlampe von hinreichender Dauerhaftigkeit her- stellen kann. Die Konstruktion , die ich ausgeführt habe, wird in h'ig. 7 im Schnitt wiedergegeben. Eine Glaskugel von 14 cm Durchmesser be- sitzt zwei diametral gegenüberliegende Ansatz- röhren R, wobei die eine den Ansatz Pumpe trägt. Zwei dickwandige Röhren billigem Ouarzgut ragen in die Kugel Die Weite der Quarzröhren beträgt etwa An den Enden sind die Ouarzröhren jungt, daß gerade zwei Nernststifte A zur Q aus hinein, mm. so weit ver- S hindurch- gesteckt werden können. Die Stromzuleitung zu den Nernststiften befindet sich noch innerhalb der Ouarzröhren. Um der Zuleitung festen Halt zu geben, sind sie an den Stellen K eingekittet. Die Lampe ist bis auf wenige mm Hg ausgepumpt. Die zum Betrieb nötige Wcchselspannung von etwa 1000 Volt wird an die Platinösen der Röhren R angelegt. Im Anfang setzt blaue Glimment- ladung an der Basis der Stifte S ein. Diese schreitet rasch bis zur Spitze vor, so daß die N. F. XIII. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 329 Stifte ganz von blauem Glimmlicht umgeben sind. Zugleich erwärmen sich die Stifte von der Basis her. Infolgedessen steigt die Stromstärke, bis die Stifte auf heller Weißglut sind. Dieses Anbrennen der Lampe dauert nur wenige Sekunden. Eine Photographie der breiuienden Lampe gibt Mg. 8. Man sieht die Enden der Ouarzröhren, aus denen die leuchtenden Stifte herausragen. Ferner beob- achtet man die radial von den Stiften ausgehende Glimmentladung, die hier bis an die Glaswand reicht. Fig. 8. Das Vorwärmen der Stifte besorgt hier, wie ersichtlich, die anfänglich bereits einsetzende Glimm- entladung. Die neue Lampe hat also gegenüber der gewöhnlichen Nernstlampe den Vorteil, daß sie nicht besonders vorgewärmt zu werden braucht. Zu bemerken ist, daß eine Entladung von den Zu- leitungsdrähten außen um die Quarzröhren herum durch die Glaskugel nicht stattfindet. Der Raum zwischen den Ouarzröhren O und den Ansatzröhren R braucht dabei gar nicht besonders abgedichtet zu sein. Die neue Lampe laßt sich also in einfachster Weise herstellen. Man braucht auch keine Hoch- vakuumpumpe. Es ist sogar zweckmäßig, wenn man das Vakuum nicht zu weit treibt. Das blaue Glimmlicht und damit auch Kathodenstrahlen würden sonst die Glaswand erreichen, wodurch letztere bedeutend heißer würde bei derselben Helligkeit der Stifte. Dies würde aber einen grö- ßeren Energieverbrauch der Lampe bedeuten. Bei passend gewähltem Vakuum erwärmt sich das Glas nur so weit, daß man es noch anfassen kann. Da man die Temperatur der Nernststifte ziemlich hoch treiben kann, so ist die Lichtausbeute sehr bedeutend. Immerhin konnte mit der so kon- struierten Probelampe noch keine Wirtschaftlich- keit erzielt werden, die eine unmittelbare tech- nische Verwendung zuließe, doch ist bei tech- nischer Vervollkommnung der Lampe eine erfolg- reiche Konkurrenz mit den bestehenden Systemen zu erwarten. Der Verbrauch der Lampe ergab 90 Watt (820 Volt 0,11 Ampere). Die Hellig- keit der Lampe war dabei mindestens die einer 50 kerzigen Glüiilampe. Was für die definitive Kon.->truktion einer Glüh- lampe nach dem Prinzip der Kathodenerwärmung in Betracht kommt, sind etwa folgende Punkte. Es müssen Versuche gemacht werden über die Abhängigkeit des Wattverbrauchs vom Grad der Luftverdünnung, ferner über den Einfluß verschie- dener Gase, über die geeignetste Form und das zweckmäßigste Material der Elektroden. Es wird vor allem auch von Interesse sein, ob man durch passendeWahldieserFaktoren die Betriebsspannung so weit heruntersetzen kann, daß die Lampe an demselben Netz wie die gewöhnlichen Glühlampen brennen. Man wird diese Möglichkeit um so eher ins Auge fassen dürfen, als man ja unter geeig- neten Verhältnissen schon unterhalb hundert Volt Glimmentladung erzeugen kann (Heliumfüllung und Kaliumkathode). Immerhin dürfte die Lampe in der vorliegenden Ausführung zunächst haui)tsäch- lich für direkten Anschluß an Hochspannungs- leitungen zu gebrauchen sein. Einzelberichte. Bakteriologie. Erbliche Gewöhnung niederer Organismen an Gifte. Charles Riebet ver- öffentlicht einen interessanten Bericht über Ver- suche mit einem Milchsäureferment (es ist nicht näher bezeichnet), das sich an das Leben in Milch, der giftige Stoffe zugesetzt waren, gewöhnte. Er arbeitete zunächst mit Kaliumarseniat. Kuhmilch wurde mit dem gleichen Volumen destillierten Wassers verdünnt und durch einige Tropfen Kali- lösung genau neutralisiert. Diese normale Milch- flüssigkeit heiße N, eine andere, ebenso herge- stellte, aber mit einer bestimmten Menge Kalium- arseniat versetzte werde mit A bezeichnet. Sehr reines Milchsäureferment wurde nun einige Zeit- lang auf N kultiviert, indem man es sukzessiv immer auf neue N-Llüssigkeit überimpfte. Parallel damit wurde das gleiche Ferment auf A kultiviert unter sukzessiver Übertragung von A auf A. Nach einigen Tagen wurde das Ferment N auf je 10 ccm Milchflüssigkeit übertragen, die in einem Falle kein Arseniat, im zweiten , im dritten A, im ' 2 vierten 2A Arseniat enthielt; ebenso wurde das Ferment A viermal auf Milchflüssigkeit von der gleichen Beschaffenheit gesät. Man konnte so durch Bestimmung der gebildeten Säure die Ak- tivitäten dieser beiden Fermente, die gleichen Ur- sprung hatten, deren eines aber immer auf N, 330 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 21 deren anderes immer auf A gewachsen war, mit- einander vergleichen. Das Verhältnis der Aziditäts- ziffer des Fermentes A zur Aziditätsziffer des P'ermentes N (= loo gesetzt) stellt das Verhält- nis der funküonellen Aktivität der beiden P^er- mente dar. Die Säurebestimmung erfolgte durch Titrieren mit Kalilösung, wobei Phenolphthalein als Indikator diente. Es ergab sich, daß das Ferment A in reiner Milch eine geringere Aktivität hatte als das h'erment N, aber in arsenhaltiger Flüssigkeit eine höhere Lebenstätigkeit zeigte als dieses, derart, daß ^ mit steigendem Arsenge- halt der Kulturflüssigkeit wuchs. Das Ferment A hatte sich also in den A Flüssigkeiten an das Kaliumarseniat gewöhnt, so daß es in der mit diesem Salze versetzten Milch besser gedieh als das nicht daran gewöhnte Ferment. Bei Verwendung von Kaliumphospliat, Kalium- seleniat, Bromkalium, Kaliumnitrat, Thalliumnitrat. Kupfersulfat, Chlornatrium und auch von Saccha- rose wurden ganz entsprechende, natürlich in den Ziffern nicht übereinstimmende Ergebnisse erhal- ten. Es handelt sich also hier um ein aligemeines Gesetz. Wenn man die beobachtetei\ Ziffern ver- einigt und die Mittel der Mittel nimmt ( Ergebnisse von loooo Säurebestimmungen), so erhält man für A A , : Auf reiner Milch 85; auf Milch mit - iio; N 2 ' auf Milch mit A 150; auf Milch mit 2 A 190. Das Ferment, das auf A gewachsen ist, hat sich also von dem Ferment, das auf reiner Milch ge- wachsen ist, differenziert; es ist gegen die toxi- sche Wirkung von A widerstandsfähiger geworden. Die Gewöhnung an die fremde Substanz ist verschieden je nach deren Natur. Unter den ge- prüften Verbindungen ist sie am größten beim Kaliumarseniat. Sie geht hier zuweilen so weit, daß das an Kaliumarseniat gewöhnte Ferment auf normaler Milch fast nicht mehr wächst. Die Ge- wöhnung vollzieht sich sehr schnell ; schon nach 24 stündiger Gärung macht sie sich geltend. Meistens erreicht sie aber erst nach 4, 5 oder selbst 8 Stunden ihr Maximum. Bei zu starker Konzentration der fremden Substanz entwickelt sich das F"erment gleich schlecht in der toxischen wie in der normalen Milch. Das an eine fremde Substanz gewöhnte Ferment nimmt , wenn es in normale Milch versetzt wird, sehr rasch seine ge- wöhnlichen Eigenschaften wieder an (meist nach 24 Stunden); eine beständige, an das Gift ange- paßte Rasse wurde nicht erzielt. Die Anpassung der lebenden Zelle an ein abnormes Medium, eine der regelmäßigsten und eigentümlichsten Erscheinungen der Biologie, voll- zieht sich nirgends rascher und intersiver als in diesen Fermentkulturen in vitro, die schon in 24 bis 48 Stunden ihre biologische Reaktion stark verändern und die Änderung auf ihre Nachkom- menschaft übertragen. (Comptes rendus de l'Acad. des Sciences 1914, t. 158, p. 764 — 770.) F. Moewes. Physik. Über ein akustisches Verfahren zur Dichtemessung von Gasen und Flüssigkeiten berich- tet A. Kai ahne (Danzig-Langfuhr) in den Be- richten der Deutschen Physikalischen Gesellschaft: 16, Seite 81 — 92 {1914). Schwingt eine Stimm- gabel in einem flüssigen oder gasförmigen Medium, so nehmen die benachbarten Teile des Mediums an der Bewegung teil, so daß die Masse der Gabel vergrößert und dadurch ihre Frequenz (Zahl der Schwingungen in der Sekunde) verkleinert wird. Die auf diese Weise verstimmte Stimmgabel gibt daher mit einer in Luft tönenden zweiten. Schwe- bungen, und zwar um so zahlreicher, je mehr die Dichte des Mediums von der der Luft abweicht. Aus der Zahl der Schwebungen läßt sich die Frequenzänderung der Gabel und aus dieser die ' Dichte des Mediums berechnen. Da Stimmgabeln wegen ihrer großen Masse in ihrer Frequenz nur unwesentlich durch die Massenvergrößerung be- einflußt werden, benutzte der Verfasser in seinem ,,Sch wi n g u ngspy knometer für Gase" ein gut 80 cm langes Aluminiumrohr von 4 cm Außen- durchmesser und 0,4 mm Wandstärke, das an zwei je 17 cm von seinen Enden liegenden Punkten 1 (den Knoten) fest eingespannt und in der Mitte 1 angeschlagen wird, so daß es Ouerschwingungen macht (n ^= 360). Eine gleichgestimmte Stimm- gabel dient zur Feststellung der Schwebungen, die auftreten, wenn das Rohr in einem von I.uft verschiedenen Gase schwingt. Die Fehler der Methode sind klein für Gase, deren Dichte größer ist als die der Luft, so daß der .Apparat sich be- sonders für komprimierte Gase eignet. Kalähne gibt eine besonders einfach zu handhabende Form seines Dichtemessers für technische Anwendungen an (D. R.-P. Nr. 26S353): An dem Aluminiumrohre sitzt in seinem Schwingungsbauch ein Stück weichen Eisens, dem die Induktionsspulen eines kleinen Telephonmagneten gegenüberstehen. Schwingt das durch den Anschlag eines elektromagnetisch betätigten Hammers erregte Rohr, so nähert und entfernt sich das Weicheisenstück periodisch von den Spulen und erzeugt in ihnen Wechselströme. Diese werden beliebig weit fortgeleitet und durch einen kleinen Elektromagneten geschickt, dem nach Art eines Frequenzmessers für Wechselströme Stahlzungen von verschiedener (bekannter) Frequenz gegenübenstehen. Man beobachtet nun einfach, welche von den Zungen auf den in den Induk- tionsspulen erzeugten Wechselstrom anspricht (re- soniertl Ihre Frequenz ist dann ebenso groß wie die der im zu untersuchenden Gas schwingenden Aluminiumröhre. Die Vorzüge des Schwingungs- pyknometers liegen in der Schnelligkeit der Messung j und in der Möglichkeit, aus der Ferne die Dichte (auch an unzugänglichen Orten) zu bestimmen. Ob der Apparat wie die in dieser Zeitschrift schon beschriebene Schlagwetterpfeife von Haber auch geeignet ist, den Gehalt der Grubenluft an brennbaren Gasen anzuzeigen, darüber macht der Verfasser keine Angaben. Dr. K. Schutt. N. F. XIII. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 331 Astronomie. Einen Beitrag zur Physik der ihrem Wesen nach immer noch unaufgeklärten Erscheinung des Tierkreislichtes gibt Roß, der mit seiner Frau in Westaustralien unter sehr günstigen atmosphärischen Bedingungen dies Licht beobachtet hat (Brit. Astronom. Ass. Bd. 24, 5, 1914). Er hält es für einen Ring um die Sonne in der Gegend der Erdbahn, in den diese nach Art der Teilungen im Saturnsring einen leeren Raum gerissen hat. Es handelt sich um die Frage, ob der Ring in der Ebene des Sonnen- äquators liegt oder der Ekliptik. Nach Veeder soll der Ring zwiefach gespalten sein, entsprechend den beiden Zonen der Sonnenflecken. Die Be- obachtungen von Roß zeigen, daß der Zielpunkt des Lichtes genau in der Ebene der Ekliptik liegt. Die Verteilung der Intensität des Zodiakallichtes aber ist unsymmetrisch zur Ekliptik, der südliche Teil ist heller und der südliche Rand verwaschener als der nördliche. Das müßte dann eintreten, wenn die mittlere Ebene der Teilchen innerhalb der Erdbahn ein wenig gegen die Ekliptik geneigt ist. Dies scheint für die Idee von Veeder zu sprechen. Ferner zeigte sich das Licht in einem leicht grünlich opalisierenden Schimmer, ganz anders als das bläulich getönte Licht der Milch- straße, und übertraf diese wesentlich an Helligkeit. Riem. Die von den Herren Müller und Krön vom astrophysikalischen Observatorium Pots- dam in Teneriffa angestellten spektralphoto- metrischen Messungen zur Bestimmung der Aus- löschung des Lichtes in der Atmosphäre und der Energieverteilung im Sonnenspektrum haben zu sehr bemerkenswerten Ergebnissen geführt (Publ. des astroph. Obs. Potsdam Nr. 64). Während diese Aufgabe meist mit dem Bolometer bearbeitet worden ist, kam hier die photometrische Methode zur Anwendung, um erstens die Beobachtungen gegenseitig zu kontrollieren , und um zweitens Ergebnisse unter anderen Umständen zu erhalten. Um den Einfluß der Luftschicht auszuschalten, wurde an zwei Stellen, in 1950 und 3260 m Höhe je eine Beobachtungsreihe gewonnen. Es wurden 1 1 verschiedene Strahlengattungen des sichtbaren Spektrums benutzt, die mit einer kleinen Metall- fadenlampe verglichen wurden. Zu den Berg- stationen kam noch eine nahe am Meere gelegene, so daß der Einfluß der Luftmasse über dem Be- obachter genügend berücksichtigt werden konnte. Die Berechnung der Weite ergibt zunächst das bemerkenswerte Resultat, daß für die Mitte des Spektrums, bei Wellenlängen von 0,560 — 0,570 im Gange des Transmissionskoeffizienten eine Einbiegung zu sehen ist, indem hier die gleich- mäßige Abnahme der Konstanten einen Stillstand zeigt. Die Veranlassung dazu ist in der Atmo- sphäre selber zu suchen, vielleicht in der Bei- mischung von Ozon oder einem anderen perma- nenten Gase. Die Werte selber zeigen dann in auffallender Weise die großen Vorzüge der Höhen- stationen. Für die Höhenstation von 3260 m ver- lieren die roten Strahlen bei senkrechtem Durch- gang durch die Lufthülle nur 4 %, die Strahlen von der Wellenlänge 0,430 nur 18"/,,, während für einen niedrig liegenden Ort die gleichen Werte sind 19 "'(, und 40 •*/„. Die Bestimmung der Energieverteilung im Sonnenspektrum diente dann dazu , nach dem Wien' sehen Gesetz die Temperatur der Sonnenatmosphäre zu bestimmen. Die unter den verschiedenen Bedingungen erhal- tenen Werte der drei Stationen ergeben diese Temperatur zu 6332 Grad, eine Zahl, die in guter Übereinstimmung ist mit der Zahl, die Kurl- bäum in Ägypten erhalten hat, die sich auf 6390 Grad stellte. Riem. Eine Veränderung der Umdrehungszeit des Mars glaubt Lowe 11 nachgewiesen zu haben, der in den Bull, de la Soc. astronomique de France, Band 28 erklärt, daß nach seinen Beobachtungen der Nullmeridian um 12 Mi- nuten früher durch die Mitte der Marsscheibe gehe, wie es die Berechnung angebe. Nun gehört die Umdrehungszeit des Mars zu den bestbekannten Konstanten unseres Systems, so daß diese Nach- richt sehr auffallen muß. Seit 1695 sind auf dem Mars Flecke beobachtet , und eine ganze Anzahl Rechner haben 24 Stunden 37 Minuten 22,65 Sek. als Länge des Marstages abgeleitet. Diese Zahl soll um wenige hundertstel Sekunden unsicher sein, so daß der Betrag von 12 Minuten undenk- bar erscheint. Wie Fla m marlon annimmt, handelt es sich hierbei ofifenbar um eine Ver- schiedenheit in dem Aussehen des Meerbusens, durch den der Nullmeridian gelegt ist. Ofi'enbar vermögen der Wechsel in den Eisverhältnissen und in den atmosphärischen Zuständen auf dem Mars scheinbare Veränderungen der Art herbei- zuführen, daß die betreffende Bai nicht immer dieselbe Form hat, so daß man nicht immer den- selben Punkt als den des Anfangsmeridianes auf- faßt Riem. Auffallende Vorgänge auf dem Mars hat h^ournier beobaciitet und mit Zeichnungen im Bull, de la Soc. astr. de France Bd. 28 veröffentlicht. Die Gegend Libyen erschien am II. Oktober 191 1 plötzlich in einem ungewöhn- lichen Glänze, der den des Schneefleckes übertraf und ein wenig gelblich aussah. Am Morgen des- selben Tages war alles normal gewesen. Die fortgesetzte Beobachtung dieser Gegend zeigte, daß sich die Stelle dieses Glanzes langsam auf der Oberfläche des Mars fortbewegte. Sie folgte der Richtung der Landschaft Hesperia und hatte im Laufe von 9 Tagen einen Weg von etwa 3500 km zurückgelegt. Comas Sola in Barcelona hat Ähnliches an derselben Stelle zu gleicher Zeit be- obachtet. Später kam dann an einer anderen Gegend etwas ganz Ähnliches vor. Von dem südlichen Schneefleck dehnte sich eine gelblich 332 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xni. Nr. 21 strahlende Masse auf eine weite Strecke hin aus und bedeckte in einigen Tagen eine Fläche von 1800 km Länge, um dann wieder si)urlos zu ver- schwinden. Solche Vorgänge sollen gar nicht so selten vorkommen, und erst im Dezember 191 3 haben zwei Beobachter im Gebiete Amazonis eine Fläche von ungewöhnlichem Glänze wahrgenom- men. Es scheint, daß bestimmte Gebiete auf dem Mars diese Eigenschaften in besonderem Maße zeigen. Riem. Bticherbesprechungen. Warburg, Prof Dr. Otto , Die Pflanze nw e 1 1. I. Bd. Protophyten, Archegoniophyten, Gymno- spermen und Dikotyledonen. Mit 9 farbigen Tafeln, 22 meist doppelseitigen schwarzen Tafeln und 216 Textfiguren. Leipzig und Wien 1914, Bibliographisches Institut. — Geb. 17 Mk. Dieses auf 3 Bände berechnete vorzügliche Werk stellt eine sehr erwünschte Ergänzung zu dem bekannten im gleichen Verlag neuerdings neu herausgegebenen „Pflanzenleben" von K e r n e r dar, indem es die Einzelobjekte der Pflanzenwelt in sj'Stematischer Anordnung vorführt. Eine solche das gesamte Pflanzenreich, sowohl die in- ländische wie die ausländische Flora, die niederen wie die höheren Pflanzen berücksichtigende, gut lesbare und zuverlässige Darstellung kommt einem wirklichen Bedürfnis entgegen. Besonders schät- zenswert ist auch , daß überall die mannigfachen Anwendungen der pflanzlichen Objekte sowie pflanzengeographische und ökologische Notizen, entsprechend der reichen Erfahrung des Verfassers, in umfangreichem Maße mitgeteilt werden. Ein eanz besonderer Vorzug sind die zahlreichen durchweg vorzüglichen Abbildungen (teils Zeich- nungen, teils Aquarelle, teils schöne Naturaufnah- men), die mit Verständnis ausgewählt sind, und die auch der Fachmann mit Wohlgefallen be- trachtet. Einige beim Durchblättern notierte kleine Bemerkungen seien für später angeführt. Arthrosporen sind bei Bakterien mit Sicherheit nicht bekannt. Die Ptomalne und Toxalbumine sind nicht die eigentlichen Giftstoffe der patho- genen Bakterien. .Aclinomyces darf nicht mit Sphaerotilus konfundiert werden. Daß sexuelle Vorgänge außer bei den Algenpilzen nicht fest- gestellt sind, kann man nach den L'ntersuchuiigen z. B. an Ascomyceten nicht mehr sagen. Daß in der systematisciien Anordnung der Verfasser auch seiner eigenen Auffassung Ausdruck gibt, ist durchaus versländlieh. Es wäre aber doch bei einem Buche wie dem vorliegenden zu überlegen, ob es nicht besser wäre, bei der Aufstellung der großen Gruppen der Nomenklatur eines sich all- gemeinerer Anerkennung und Anwendung er- freuenden Systems anzuschließen, wie z. B. des (ja auch sonst in dem Buche benutzten) Engler- schen und neue Namen zu vermeiden, um dem sowieso in allen Nomenklatur- und Definitions- fragen übermäßig ängstlichen Laien nicht zu ver- wirren. Miehe. Chodat, P., Mo nograpliie d 'algu es en cul- ture pure. Mit 9 farbigen Tafeln und 201 Textfiguren. Bd. IV, Heft 2 der Matcriaux pour la flore cryptogamique suisse. Bern 191 3. K. J. Wyss. — 14,40 Mk. Die einfachen, niederen Algen sind die Crux der Systematik, da sie in ihren Erscheinungsformen stark von den Bedingungen des Substrates be- einflußt werden. Um da zu entscheiden, was zu- sammengehört und was nicht, ist eine Unter- suchungsmethode notwendig, die sich auf einem ver- wandten Gebiete, nämlich auf dem der Bakterio- logie längst als ganz unumgänglich herausgestellt hat und eine conditio sine qua non ist, nämlich die Reinzucht. Verf führt uns nun eine Reihe genauer Beschreibungen von Algen vor, die er aus Anreicherungskulturen auf dem Wege des Plattengusses isoliert hat, wobei er immer die Methode der Isolation angibt. Das mikroskopische Aussehen wird durch Textabbildungen, das Ma- kroskopische der Kolonien durch 9 farbige Tafeln illustriert. Außer den häufigsten im süßen Wasser (sowohl der Seen wie der Sümpfe und Moore) vor- kommenden einfachen Algen (z. B. Scenedesmus, Chlorella, Hormidium Stichococcus, Chlaydomonas und andere, meist in zahlreichen Arten) werden auch die Flechtenalgen sowie die ihnen verwandten Formen berücksichtigt: dagegen fehlen die Cy- anophyceen. Den Schluß bildet eine Auseinander- setzung mit Wille über das System der grünen Algen. Das Buch ist ein sehr wertvoller Beitrag zur Kenntnis der einfacheren grünen .Algen, der jedem Algologen empfohlen sei. Miehe. Gohlke, Kurt, Die Brauchbarkeit der Serumdiagno- stik für den Nachweis zweifelhafter \'erwandt- schaftsverhältnisse im Pflanzenreich. Stuttgart und Berlin 191 3. Fr. Grub. — Geh. 4 Mk. Nachdem U h 1 e n h u t h den Nachweis gefunden hatte, daß mit Hilfe der Serumdiagnostik es mög- lich war, biologisch das Blut eines Tieres von dem eines anderen streng zu dift'erenzieren, wurde diese Erfindung für die verschiedensten Wissenschafts- zweige von Bedeutung. Besonders interessant wurde die Serumdiagnostik, als sich die Tatsache zeigte, daß nicht nur eine Differenzierung der ver- schiedensten Blutarten von Tieren herbeizuführen war, sondern sich auch verwandtschaftliche Be- ziehungen feststellen ließen. Uhlenhuth gelang es nicht nur, die verschiedenen Vogeleier biologisch und verwandtschaftlich zu differenzieren, neben ihm stellten auch Wassermann und Stern eine „Blutsverwandtschaft" zwischen dem Menschen und den verschiedenen Aft'enarten auf N. F. XIII. Nr. 2 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 333 Naturwissenschaftlich hochinteressante Tat- sachen erbrachte dann Kowarski mit der Fest- stellung, daß nicht nur tierisches, sondern auch pflanzliches Eiweiß sich durch die serodiagnosti- schen Methoden differenzieren ließ. Es folgten Ver- suche vonRelander, Bertarelli und anderen Forschern, die diese Beobachtung bestätigten. Magnus und Fri ed enthal zeigten, daß Trüffel (Tuber brumale) und Bierhefepiiz (Saccharomyces cerevisiae) eine Eiweißverwandtschaft aufwiesen. Jedoch sind diese Versuche noch zum Teil recht lückenhaft und mit widerspruchsvollen Resultaten publiziert worden, so daß eine Verwendung der Me- thoden zum Zwecke systematischer Familienver- knüpfung nicht möglich war, um darauf irgend- welche weiteren Versuche aufzubauen. Die Brauchbarkeit der Serumdiagnostik für derartige Untersuchungen, besonders aber die ver- schiedenen Methoden zu erweisen, stellte ich mir in dem vorliegenden Buche als Aufgabe. Es kommen in Hauptsache 4 Methoden in Frage, nämlich die Präzipitation, die Komplementbindungs- methode (Wasser man n'sche Reaktion), die Ana- phylaxie und die Konglutination. Die Anaphylaxie war für den Botaniker wohl von vornherein auszuschalten. Führt man in den Organismus eines Warmblütlers artfremdes Eiweiß ein, und zwar auf parenteralem Wege, so ent- wickelt sich nach einiger Zeit eine spezifische Uberempfindlichkeit (Hypersensibilität), die dadurch bemerkbar wird, daß ein derartig behandeltes Tier auf die neuerliche Reinjektion derselben Eiweiß- lösung, auch wenn diese völlig atoxisch ist, mit stürmischen Krankheitserscheinungen reagiert und oft nach wenigen Minuten verendet. Dieser Zu- stand, den man als Anaphylaxie bezeichnet, reagiert streng spezifisch, d. h. mit Pferdeserum vorbehan- delte Tiere sind nur gegen dieses, nicht etwa gegen Ziegen- oder Rinderserum anaphylaktisch; es lassen sich jedoch verwandtschaftliche Beziehungen er- kennen. Da in der Botanik ein sehr ungleichmäßiges Impfmaterial, es handelt sich dabei fast ausschließ- lich um das aus den Samen gewonnene Eiweiß, in Betracht kommt, das noch mit allerlei giftigen bzw. nicht antigen wirkenden Stoffen vermischt ist, so ergibt sich von selbst, daß die Beurteilung einer derartigen Erscheinung zum Zwecke von systema- tischen Feststellungen zur Unmöglichkeit gemacht wird. Ebensowenig gut erweist sich die Komple- mentbindungsmethode für botanisch-systematische Forschungen. Die Reaktion besteht darin, daß beim Mischen eines Antigens mit einem homolo- gen, inaktiven Immunserum (Ambozeptor) und mit Komplement das letztere gebunden wird, was durch ein hämolytisches System (Hammelblutauf- schwemmung -(- Immunserum für Hammelblut) nachgewiesen wird. Tritt die Reaktion ein, so bleibt letzteres unaufgelöst bei passendem Antigen und Ambozeptor, wird aber zur Lösung gebracht bei einem Antigen, das nicht zu dem Ambozeptor gehört. Die Methode ist besonders bei der Unter- suchung von Lues in Verwendung und als W a s s e r - mann' sehe Reaktion wohlbekannt. Mit derselben lassen sich auch verwandtschaftliche nahestehende Antigene nachweisen, jedoch ist die Reaktion so streng spezifisch, daß sie sich für den Nachweis weiterer Verwandtschaftskreise kaum eignet. Es gelingt leicht, mit Hilfe der Methode das zur Immunisierung verwendete Antigen festzustellen, die Reaktion tritt auch ein, wenn das Antigen von einer ganz nahe verwandten Spezies herrührt, aber weiter auch nicht, während es doch im In- teresse der Systematik liegt, den Nachweis recht weiter Verwandtschaften zu erreichen. Wohlgeeignet für die Untersuchungen erweisen sich die Präzipitation und die Konglutinations- methode. Erstere, die älteste und bekannteste, ist besonders einfach und erfordert nur ein Antigen und ein Immunserum. Beim Mischen eines solchen Immunserums mit dem in verschiedensten Ver- dünnungen sich abstufenden Antigen tritt eine Reaktion ein, die sich als Niederschlag zeigt, und nur dort zeigt, wo das zu dem Antigen gehörige Immunserum Verwendung fand, d. h. die Reaktion ist spezifisch. Ein Niederschlag, der durch eine nahestehende Eiweißart mit dem Immunserum des Ausgangsmaterials auftritt, zeigt eine Verwandt- schaft an, und speziell die Präzipitation hat in dieser Beziehung für die Botanik insofern den großen Vorzug neben ihrer einfachen Handhabung, daß sie verwandtschaftliche Beziehungen weit über die Ausgangsfamilie hinaus zu anderen Familien derselben Reihe nicht nur, sondern, was noch wichtiger ist, zu anderen Reihen hinüber zur An- schauung bringt. Die Konglutinationsmethode ist etwas kompli- zierter. Das Immunserum wird mit dem dazugehöri- gen Antigen bei 37 " C 2 Stunden sensibilisiert, d. h. gemischt, und zwar ist hierbei die Verdünnung des Ei- weißextraktes in allen Versuchsgläsern dieselbe, aber das sehr geringe Immunserumquantum abstufend verteilt (0,08, 0,02, 0,01, 0,005 ccm von Glas I — 4). Zu dieser so sensibilisierten Mischung wird nach der vorgeschriebenen Zeit aktives, frisches Rinder- serum hinzugefügt. Dort, wo größere Mengen von Immunserum vorhanden sind, entsteht dann eine deutliche Konglutination, d. h. eine Ausflockung, die von einer solchen der Präzipitation und Agglu- tination streng zu unterscheiden ist. Diese Zusammenballung, die im Rinderserum bei Gegenwart von Antigen, Ambozeptor und Komplement entsteht, beruht darauf, daß im Rinder- serum Stoffe enthalten sind, die als Konglutinine bezeichnet werden und die Konglutinationen her- vorrufen. Die Vorteile dieser Methode bestehen in der idealen Empfindlichkeit, welche die der Präzipita- tion im wesentlichen überragt, vorausgesetzt, daß das Immunserum ein vorzügliches, hochwertiges ist. Hierin ergeben sich aber für den Botaniker Schwierigkeiten. Das Material, das zur Extraktion des Eiweißes bzw. zur Injektion dient, zeigt nicht 334 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 21 die gute und gleichartige Beschaffenheit des zu analogen Versuchen verwendeten Blutes von Tieren in der Hygiene und Zoologie. Die Pflanzensamen wurden zur Herstellung des Impfmaterials zu Mehl zerstoßen und in Kochsalz- lösung die in demselben enthaltenen Eiweißstoffe extrahiert. Der Extrakt, der je nach dem Eiweiß- gehalte des Samens verschiedenen Gehalt an Eiweiß- stofifen hatte, wurde sowohl zur Injektion als auch, in natürlich viel größeren Verdünnungen, zur Unter- suchung verwendet. Der Extrakt wurde von dem Satz durch Doppelfilter filtriert, bis er ganz klar war. Hierbei zeigten sich die für pflanzliche Extrakte charakteristischen Nebenerscheinungen. Es wurden bei dem Ausziehen der Eiweißstoffe aus dem Samen auch ein Teil weiterer Stoffe gelöst, von denen man annehmen muß, daß sie für den Tierkörper von Nachteil sein müssen. Die vorhandenen Fette und < )le wurden durch Alkohol und Äther zu ex- trahieren versucht, die in verschiedenen Samen vorhandenen Säuren und Gifte sowie die nicht antigen wirkenden Stoffe wie Stärke, Glykogene, Zucker usw. wurden bei ersteren durch Neutrali- sieren, die anderen Stoffe durch Dialyse, Behand- lung mit Alkohol usw. zu entfernen versucht. Es wird jedoch nicht immer gelingen, sämtliche schädlichen Stoffe zu entfernen. Es hat deshalb die Frage nach der Verwendbarkeit eines Unter- suchungsobjektes die Voruntersuchung nach dem Vorhandensein von derartigen Stoffen zur Voraus- setzung, und die Vorbereitung des oben erwähnten Extraktes wird deshalb je nach der spezifischen Eigenart des Samens eine verschiedene sein. Die Extrakte wurden Kaninchen injiziert ent- weder intravenös, d. h. in die Ohrvene, oder intra- peritoneal, also in die Unterbauchgegend. Die Dosierung und Häufigkeit der Injektionen richtete sich nach dem Eiweißgehalte des Extraktes. Nach wenigen Impfungen, ca. 3 — 4, kann dann zuweilen schon ein hochwertiges, brauchbares Immunserum erzeugt werden, bei etwa 10 ccm Extrakt bei jeder Injektion. Die Individualität des Impftieres spricht jedoch zuweilen so mit, daß oft auch nach zehn- maliger Injektion eine Immunität nicht erreichbar war, ganz abgesehen davon, daß einzelne Pflanzen- samen so geringen Eiweißgehalt aufwiesen, daß eine Immunisierung unmöglich wurde. Zur Untersuchung, ob das Serum Immunität zeigt, wird eine Probeblutentnahme aus der Ohr- vene vorgenommen, und sofern sich die Brauch- barkeit des Serums erweist, die Schlachtung und Entblutung des Tieres durch Karotidenschnitt herbeigeführt. Das in sterilen Gefäßen aufge- fangene Blut wird zum Erstarren gebracht, zentri- fugiert, und das so gewonnene Serum steril auf- bewahrt. Es hält sich bei Beobachtung jeder Vor- sicht, steril in dunklen Gläschen konserviert, sehr gut und ist nach langer Zeit noch völlig brauchbar. Wer mit Hilfe der Serumreaktionen Unter- suchungen über Verwandtschaften anzustellen hat, muß sich dessen bewußt sein, daß Fehlerquellen überaus häufig und nur mit größter Vorsicht zu vermeiden sind. Wer jedoch längere Zeit mit den Methoden operiert hat, gewinnt bald eine genaue Kenntnis der Reaktionen und Sicherheit in ihrer Beurteilung, so daß er ein völliges Ver- trauen den Untersuchungen entgegenbringen kann. Dieses Vertrauen wird noch unterstützt durch das Arbeiten mit Samen unbekannter Herkunft und Kontrollversuchen mit normalem Kaninchenserum, wie auch mit reinem Extrakt usw. Die Serumdiagnostik hat ihre Brauchbarkeit erwiesen für systematisch botanische Zwecke. Eine große Anzahl von Familien ist bereits auf ihre Stellung im System untersucht worden. Es zeigte sich, daß der Stammbaum der höheren Pflanzen nicht von den Filices eusporangiatae zu den Cycado- filices — Cycadales — Bennettitales — Magnoliaceae geht, sondern daß die Entwicklungsreihe IVIuscineae — Lycopodiales eligulatae — Lycopodiales ligu- latae— Coniferales-Magnoliaceae eingehalten wurde. Wahrscheinlich sind die Gymnospermaediphyletisch, und zwar stammen möglicherweise die Cycadales aus Bennettitales von den Cycadofilices ab, nicht aber die Coniferales. Durch die Eiweißreaktionen ist die Verwandtschaft der Pinaceae zu den Gneta- ceae erwiesen. Es hat sich gezeigt, daß der Stammbaum der Angiospermen von den Selaginellen über die Pina- ceae nach den Magnoliaceae sich erstreckt, wobei sich die Taxaceae von den Pinaceae abzweigen, während die Gnetaceae einen anderen Seitenzweig der Coniferales bilden usw., siehe ') und ^). Ich verweise hierbei neben meinen Unter- suchungen auf die unten angeführten Abhandlungen, in denen die bisherigen Resultate verzeichnet sind, da eine Ausführung hierüber den Rahmen dieses Referates überschreiten würde. Es ist hervorzuheben, daß die bisher angestellten Untersuchungen in keinem Falle einen Widerspruch mit den morphologischen Erwägungen gebracht haben, vielmehr gibt uns die Serumdiagnostik einen Weg an, auf dem wir in dem schwierigen Gebiete der phylogenetischen Forschung vorwärts zu schreiten haben. Der Wert der scrobiologischen Methoden für den Nachweis von besonders zweifel- haften Verwandtschaftsbeziehungen im Pflanzen- reiche ist deshalb keineswegs zu verkennen. Dr. K. Gohlke. Haeckel, Walther, Ernst Haeckel im Bilde. Eine physiognomische Studie zu seinem 80. Geburtstage. Mit einem Geleitwort von Wilhelm Bölsche. Berlin 1914. — 2,40 Mk. Der hübsche Band zeigt uns eine bildliche Darstellung der Entwicklungsgeschichte des äußeren Menschen „Haeckel" vom Abiturienten bis zum 80 jährigen, eine höchst interessante Serie für ') Mez, K. und Gohlke, K., Physiol.-systemat. Unter- suchuDgen über die Verwandtschaft der Angiospermen (C o h n ' s Beiträge z. B. d. Yi\., 1913). '') I. ange, L., Serodiagnostische Untersuchungen über die Verwandtschaften innerhalb der Pflanzengruppe der Ranales. Dissert. 1913. N. F. XIII. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 335 jeden, der sich auch für die Menschen in den be- deutenden Männern interessiert, doppelt interessant bei einem solchen Individuum, dessen starker per- sönlicher Zauber Freund und Gegner in seinen Bann zwingt. Die ausgezeichnet reproduzierten Bildnisse sind mit einem Kommentar von Wil- helm Bölsche versehen, der manche feine und geistreiche Bemerkung enthält. Miehe. Maurer, Prof. Dr. Fr. Ernst, Haeckel und die Biologie. Festrede zur Feier von Ernst Haeckel's 8o. Geburtstag (i6. Februar 1914) in der Aula der Universität bei Gelegenheit der Sitzung der medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft in Jena am 13. Februar 1914. Jena 1914, G. Fischer. — 80 Ff. In ruhiger, vorurteilsloser Weise wird hier von kompenteter Seite die Summe von Ernst Haeckel's wissenschaftlicher Arbeit gezogen. Wir möchten das Bändchen gerade den vielen emp- fehlen, die gar zu leicht (oder zu gern ?) über dem streitbaren Naturphilosophen den Forscher ver- gessen, den Forscher, von dem der Verf. sagt, daß wir zugleich die Breite und Tiefe seiner wissenschaftlichen Tätigkeit bewundern müssen, und daß die E^rucht seiner Geistesarbeit nicht in Äonen untergehen werde. Miehe. Literatur. Brückmann, Dr. R. , Beobachtungen über Stranaver- schiebungen an der Küste des Samlands. Im Auftrage der Zentralkommission für wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland. Mit 9 Tafeln, 13 Kartenskizzen und 2 Text- bildern. III. Palmnicken. Leipzig-Berlin '14, B. G. Teubner. — 3 Mk. Maurer, Prof. Dr. Fr. Ernst, Haeckel und die Biologie. Festrede zur Feier von Ernst Haeckel's 80. Geburtstag (16. Fe- bruar 1914) in der Aula der Universität bei Gelegenheit der Sitzung der medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft in Jena am 13. Februar 1914. Jena '14, G. Fischer. — 80 Pf. P. Zeeman, Magnetooptische Untersuchungen, mit be- sonderer Berücksichtigung der magnetischen Zerlegung der Spektr.illinien. Deutsch von Max Ikle. Mit 74 Abb. im Text und 8 Lichtdrucktafeln. Leipzig '14, Joh. Ambr. Barth. — Geb. 9 Mk. Hörn, Dr. Carl, Goethe als Energetiker, verglichen mit den Energetikern Robert Mayer, Ottomar Rosenbach , Ernst Mach. Leipzig '14, Joh. Ambr. Barth. — 2 Mk. Block, Robert, Die Grundlagen der Rechtschreibung. Eine Darstellung des Verhältnisses von Sprache und Schrift. Mit 4 Abb. Veröftentlichung der ,,Literaturgesellsch. Neue Bahnen". Leipzig '14, R. Voigtländer. — Geb. 1,80 Mk. Bronsart v. Schellendorf, Fritz, Novellen aus der afrikanischen Tierwelt. 2. Aufl. Leipzig '14, E. Ilaberland. Goßner, Priv.-Doz. Dr. B. , Kristallberechnung und Kristallzeichnung. Ein Hilfsbuch der Kristallographie. Mit Betonung der graphischen Verfahren sowie der analytischen und zonalen Bezieliungen- Mit i Taf. und 109 Abb. im Text. Leipzig u. Berlin '14, Wilh. Engelmann. — 8 Mk. Lorscheid, Prof. Dr. Jakob, Lehrbuch der .unorgani- schen Chemie. 20. u. 21. Aufl. Mit 153 Abb. im Text und I Spektriltafel in Farbendruck. Freiburg i. Br. , Herder'sche Verlagshandlung. — Geb. 4,20 Mk. Magnus, Prof. Dr. Werner, Die Entstehung der Pflanzen- gallen, verursacht durch Hymenopteren. Mit 32 Abb. im Text und 4 Doppeltafeln. Jena '14, G. Fischer. — 9 Mk. Hughes, Arthur Llewelyn, Photo-electricity. (Cambridge Physical Series) Cambridge University Press '14. — 6 sb. Freundlich, Prof. Dr. II., Kapillarchemic und Physio- logie. 2. erweiterte Aufl. Mit 5 Fig. Dresden und Leipzig '14, Th. Steinkopff. — 1,50 Mk. Wedekind, Prof. Dr. E. , Stereochemie. Mit 42 Fig. im Text. 2. umgearb. u. verm. Aufl. (Sammlung Göschen.) Berlin und Leipzig '14. — 90 Pf. Heilig, Robert, Die Deszendenztheorie und ihre Hilfs- theorien. F.ine kritische Studie. Stuttgart '14, Franckh'sche Vcrlagshandlung. Estreicher, Prof. Dr. Tad., Über die Kalorimetrie der niedrigen Temperaturen. (Sammlung ehem. und chcm.-techn. Vorträge.) Stuttgart '14, F. Enke. — 1,50 Mk. Sarasin, Paul, Über die Aufgaben des Weltnaturschutzes. Denkschrift gelesen an der Delegicrtenversammlung zur Welt- schutzkommission in Bern am 18. Nov. 1913. Basel '14, Hel- bing und Lichtenhahn. — 2 Mk. Illustrierte Länderkunde. Herausgegeben von Ew. Banse usw. Braunschweig und Berlin '14, G. Westermann. — Geb. 6 Mk. Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Lieferung 72 und 73 (enthaltend Bogen 49 — 68 des V. Bandes). Jena '14, G. Fischer. — pro Lieferung 2,50 Mk. Dahl, Prof. Dr. Fr., Vergleichende Physiologie und Morphologie der Spinnentiere, mit besonderer Berücksichtigung der Lebensweise. I. Teil : Die Beziehungen des Körperbaues und der Farben zur Umgebung. Mit 223 Abbild, im Text. Jena '13, G. Fischer. — 3,75 Mk. Aus Natur und Geisteswelt. Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. Jedes Bändchen geb. 1,25 Mk. Bd. 28: M. Geitel, Schöpfungen der Ingenieurtechnik der Neuzeit. Mit 32 Abb. im Text. Bd. 437: F. .Auerbach, Die graphische Darstellung. Eine allgemeinverständliche, durch zahlreiche Beispiele aus allen Gebieten der Wissenschaft und Praxis erläuterte Einführung in den Sinn und den Gebrauch der Methode. Mit 100 Fig. im Text. Bd. 200; M. Verworn, Die Mechanik des Geisteslebens. 3. Aufl. Mit 19 Abb. im Text. Bd. 36: Joh. Rehmke, Die Seele des Menschen. 4. völlig umgearbeitete Aufl. Galen i in Hippocralis de natura hominis in Hippocratis de victu acutorum de diaeta Hippocratis in morbis acutis. Ediderunt Joannes Mewaldt GeorgiusHelmreich Joannes Westen- berger. Teil V 9, des,. Corpus medicorum graecorum. Auspi- ciis academiarum associatarum ediderunt academiae beroli- nensis, havniensis, lipsiensis. Lipsiae et Berolini MCMXIV. In aedibus B. G. Teubner. 20 Mk. Philumeni de venenatis animalibus eorumque remidiis. Ex codice vaticano primum edidit M. Wellraann. Ebenda. 2,So Mk. Brehm's Tierbilder. Kleine Ausgabe. 2. Teil. Die Vögel. I. Die einheimischen Vögel. II. Ausländische Vögel. Leipzig und Wien '14, Bibliographisches Institut. Paul Ehrlich, Eine Darstellung seines wissenschaft- lichen Wirkens. Von zahlreichen Forschern herausgegebene Festschrift zum 60. Geburtstage des Forschers (14. März 1914). Mit l Bildnis. Jena '14, G. Fischer. Pole, Dr. I. C, Die Quarzlampe, ihre Entwicklung und ihr heutiger Stand. Mit 47 Textabbild. Berlin '14, Jul. Springer. 4 Mk. Sitzungsberichte der mathematisch-physikalischen Klasse der K. B. Akademie der Wissenschaften zu München. 1913. Heft HI. Inhalt u. a.: Die Glazialhypothese und der Mond, von S. Günther. — Zum Turbulenzproblem von O. Blumenthal. Bar d egg, Dr. K. , Natur, Wissenschaft und Zweck. Leipzig '14, O. Hillmann. 3 Mk. Wölbling, Prof. Dr. H. , Die Bestimmungsmethoden des Arsens, Antimons und Zinns und ihre Trennung von den anderen Elementen. Mit 39 Textabbild. Bd. XVU/XVllI von „Die chemische Analyse". Stuttgart '14, Ferd. Enke. 13 Mk. Koepert, Prof. Dr. Otto, Jagdzoologisches aus Alt- sachsen. Beiträge zur sächsischen Jagdgeschichte. Mit 2 .Abb. Beilage zum Jahresbericht des Vitzthumschen Gymnasiums zu Dresden auf das Schuljahr 1913/14. Dresden '14. Brücke, Prof. Dr. E. Th. v., Über die Grundlagen und Methoden der Großhirnphysiologie und ihre Beziehung zur Psychologie. Nach einer am 18. Dezember 1913 an der 336 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 21 Universität Leipzig gehaltenen Antrittsvorlesung. Heft 24 der „Sammlung anatomischer und physiologischer Vorträge und Aufsätze". Jena '14, G. Fischer. 50 Pf. Heinricher, Prof. Dr. E., Das neue botanische Institut der Universität Innsbruck. Mit 3 Tafeln, lena'14, G. Fischer. 80 Pf. Lundegardh, Dr. Henrik, Grundzüge einer chemisch- physikalischen Theorie des Lebens. Jena '14, G. Fischer. 2 Mk. Die Kultur der Gegenwart. Berlin und Leipzig '14, B. G. Teubner. Teil 111. Abteiig. I. A. Voß: Die Beziehungen der Mathematik zur Kultur der Gegenwart. Timerding H. E. , Die Verbreitung mathematischen Wissens und mathematischer Auffassung. 6 Mk. Andree, Dr. K. , Über die Bedingungen der Gebirgs- bildung. Vorträge. Mit 16 Te.xtabbild. Berlin '14, Gebr. Borntraeger. 3,20 Mk. The Cambridge British Flora. By G. E. Moss, assisted by specialists in certain genera. lUustrated frora drawings by E. W. Hunnybun. Vol. II Salicaccae to Chenopodiaceae. Mit einem Band Tafeln. Cambridge '14, University Press. Einfach gebunden 2 £ 10 sh. Suter, Henry, Manual of the New Zealand Mollusca. With an Atlas of quarto plates. Wellington, N. Z. '13, John Mackay Government Printer. Brandt, Dr. Otto und Most, Dr. Otto, Heimat- und Wirlschaftskunde für Rheinland und Westfalen. Im Auftrage des zur Förderung des kaufmännischen Fortbildungsschulwescns in Rheinland und Westfalen unter Mitwirkung zahlreicher Fachmänner herausgegeben. 2 Bände. Essen '14, G. D. Baedeker. Geb. 8 Mk. Hansen, Prof. Dr. Adolf, Repetitorium der Botanik für Mediziner, Pharmazeuten, Lehramiskandidaten und Studierende der Forst- und Landwirtschaft. Mit 8 Tafeln und 41 Text- abbild, g. umgearbeitete und erweiterte Auflage. Gießen '14, Alfr. Töpelmann. Geb. 4 Mk. Bavink, Dr. Bernhard, Allgemeine Ergebnisse und Pro- bleme der Naturwissenschaft. Eine Einführung in die moderne Naturphilosophie. Mit 19 F'iguren und 2 Tafeln. Leipzig '14, S. Hirzel. Geb. 7 Mk. Anregungen und Antworten. Herrn Lyzeallehrer E. B. in E. — „Gibt es eine maß- analytische Methode zur quantitativen Bestimmung des Sauer- stoffgehaltes des Wassers?" Zur maßanalytischen Bestimmung des Sauerstoffs im Wasser sind verschiedene Verfahren vorgeschlagen worden, von denen das von L. W. Winkler heute wohl am meisten angewendet werden dürfte: In das zur Untersuchung stehende Wasser wird vorsichtig und unter sorgfälligem Luftabschluß Mangan- chlorür und Natronlauge gegeben. Es entsteht Mangano- hydroxyd , das durch den im Wasser enthaltenen Sauerstoff rasch zu Manganihydroxyd oxydiert wird. Nunmehr säuert man die Flüssigkeit mit Salzsäure an — nach dem Ansäuern ist LuftabschluÜ nicht mehr erforderlich, weil saure Mangano- salzlösungen durch den Luftsauerstoff nicht oxydiert werden — und fügt Jodkalium hinzu. Dabei wird in bekannter Re- aktion Jod in Freiheit gesetzt und dessen Menge mittels Natriumthiosulfats bestimmt. Da zwei Atome Jod einem Atom Sauerstoff äquivalent sind, läßt sich der Sauerstoffgehalt des Wassers leicht aus dem Ergebnis der Titration berechnen. Ist das Wasser unrein, so kann ein Teil des entstehenden Jods von den Verunreinigungen verbraucht werden , so daß man bei der Titration zu wenig Jod findet und damit zu wenig Sauerstofi" berechnet. In diesem Falle hilft man sich durch Blindversuche. Ist das Wasser nitrithaltig, so findet man zu viel Jod , weil die salpetrige Säure unter Reduktion zu Stickoxyd ebenfalls Jod in Freiheit setzt, das Stickoxyd dann mit dem Luftsauerstoff salpetrige Säure zurückbildet, diese wieder mit Jodkalium reagiert usw., d. h. also weil wenig Nitrit die Reaktion zwischen Jodkalium und Luftsauer- stoff stark katalysiert. In diesem Falle muß man also die salpetrige Säure vorher in geeigneter Weise entfernen oder unschädlich machen. Einzelheiten über die praktische Ausführung der Methode sind in den Lehrbüchern der Maßanalyse, z. B. Beckurts, ,,Die Methoden der Maßanalyse" (Braunschweig 1913, Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn), S. 286 bis 293, enthalten. Mg. Bemerkung zur Beantwortung der Frage von H. M. in Heidelberg: ,, Warum hört man aus großer Entfernung die große Trommel eines Musikchors lauter als die anderen In- strumente, während dieselbe in der Nähe nicht an Schallstärke die übrigen Instrumente übertrifft?" Siehe Seite 239. Außer der von Herrn O. Fischer bei der Beantwortung dieser Frage hervorgehobenen Tatsache, daß wahrscheinlich der Ton der großen Trommel lauter ist als der der übrigen Instrumente, spielt noch ein zweites Moment eine wichtige Rolle, nämlich die Beugung der Schallwellen. Treffen Wasserwellen auf irgendein Hindernis, z. B. eine im Wasser liegende Insel, so ist das Wasser hinter der Insel nicht in Ruhe, sondern die Wellen umfassen die Insel und zwar um so mehr, je mehr sich die Größe des Hindernisses der Länge der Wellen nähert: so zeigt ein im Wasser stehender Pfahl, wenn längere vom Wind oder einem Dampfer erregte Wellen an ihn heran kommen, keinen Wellcnschatten hinter sicli, dieser wird dagegen bemerkbar, wenn kurze von einem leich- ten Windstoß erzeugte Kräuselwellen über das Wasser laufen. Zur Beugung der sehr kurzen Lichtwellen bedarf es Körper von sehr geringen Dimensionen, sehr feiner Spalte, mit be- sonderer Sorgfalt hergestellter Gilter, der winzigen Wasser- tröpfchen des Nebels, des feinen Seidengewebes eines Regen- schirms. Ja, um Beugungsversuche mit den Röntgenstrahlen, die ja Licht von außerordentlich kleiner Wellenlänge sind, zu erhalten, muß man als Gitter die regelmäßig angeordneten Moleküle eines Kristalls benutzen. Da die Schallwellen ziem- lich große Wellenlängen haben — die der eingestrichenen Oktave liegen ca. zwischen 1,20 m und 0,60 m — , so werden sie stark gebeugt, es kann von einem scharfen Schallschalten nirgends die Rede sein. Wir vernehmen mühelos die Klänge einer in der Nachbarstraße spielenden Kapelle, da die Schall- wellen an den Begrenzungen der dazwischen liegenden Häuser gebeugt werden , und zwar werden die tiefsten Töne am stärksten, die höheren schwächer gebeugt. Aus diesem Grunde ist es möglich, daß die höheren Töne gar nicht oder doch stark geschwächt in unser Ohr gelangen , während die liefen, langwelligen kräftig erklingen. Wenn man auch von einer genau definierten Tonhöhe der großen Trommel wohl nicht sprechen kann (die ursprüngliche Stimmung der beiden Pauken ist a (n^io9, ^. = rund 3 m) und das höhere d, so ist ihr Ton aut jeden Fall ziemlich tief; daher haben die von ihr ausgehenden Schallwellen große Wellenlängen und werden stark gebeugt. Diese Tatsache im Verein mit der großen Lautstärke erklärt die in Frage stehende Erscheinung. K. Schutt, Hamburg. Inhalt: Christoph Schröder: Eine Kritik der Leistungen der „Elberfelder denkenden Pferde". H. Greinach er: Neue Vakuumröhren für Demonstrationszwecke und technische Verwendung. — Einzelberichte: Charles Riebet; Erbliche Gewöhnung niederer Organismen an Gifte. A. Kalähne: Über ein akustisches Verfahreen zur Dichtemessung von Gasen und Flüssigkeiten. Roß: Tierkreislicht. Müller und Krön: Spektralphotometrische Messungen zur Be- stimmung der Auslöschung des Lichtes in der Atmosphäre und der Energieverteilung im Sonnenspektrura. Lowe 11; Umdrehungszeit des Mars. Fournier; Vorgänge auf dem Mars. — Bücherbesprechungen: War bürg: Die Pflanzen- welt. Chodat: Monographie d'algues en culture pure. Gohlke: Die Brauchbarkeit der Serumdiagnostik für den Nachweis zweifelhafter Verwandtschaftsverhältnisse im Pflanzenreich. Haeckel: Ernst Haeckel im Bilde. Maurer: Haeckel und die Biologie. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschritten werden an den Redakteur Professor Dr. H.Mi ehe in Leipzig, Marienstraße na, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzen Reihe 2g. Band. Sonntag, den 31. Mai 1914. Nummer 32. Eine Kritik der Leistungen der „Elberfelder denkenden Pferde". [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. Christoph Schröder, Berlin. (Schluß.) Was aber bedeutet dieser Nachweis für die begonnene Wahrscheinlichkeitsbestimmung? Auch hier fehlt es an statistischen Unterlagen für eine gänzlich genaue Berechnung. Wie schon ge- zeigt, erscheinen die Ziffern 3, 4, 5 und 6 aig bevorzugt; demgegenüber fehlt die Ziffer o — die nicht geklopft, sondern durch Kopf- schütteln markiert wird , also die sonstige Ausdrucksform verläßt! — z. B. auch unter den obigen 354 Ziffern F. Hempelmann's völlig, die 8 und 9 kommen unter ihnen zu- sammen 9 mal vor. Zu diesen so gut wie ganz ausfallenden Ziffern gesellen sich dann noch jene anderen: i, 2 und 7, die doch sehr viel spärlicher vorkommen als die übrigen: 3, 4, 5 und 6; so bei den v. Buttel-Reepen- schen und Plate'schen Aufgabenergebnissen nur 6 mal gegenüber 20 mal. Ich gehe nunmehr wieder von den lOO mathe- matischen Komplexionen der 10 Zififernelemente aus. Statt der 10 Elemente aber sind es deren nur noch 7 (ohne O, 8 und 9 gerechnet); d. h. statt der lOO (10-) allein 49 (7") mögliche Kom- plexionen. Hierzu das spärlichere Auftreten der Ziffern i, 2 und 7 im Vergleich zu den 4 übrigen, die für sich nicht mehr als 16 mögliche Kom- plexionen ergeben würden. Schätze ich daher etwa selbst auf 35 mögliche Fälle, wäre die Wahrscheinlichkeit mithin auf - erhöht; d. h. 35 es ist die Gewißheit einer richtigen Zufallslösung unter 10 solchen Aufgaben. Schließlich bleibt noch auf die Neigung der Beobachter hinzuweisen, in ihren Ziffern umgekehrt geklopfte Zahlen als ein der Methode des links- bzw. rechtsseitigen Schiagens zur Last fallendes Versehen zu be- trachten. Daraus würde eine Gewißheit von mehr als 2 richtigen Zufallslösungen unter 10 Aufgaben folgen! Mathematische Methoden des Inhaltes wie bei L. Plate und H. E. Ziegler könnten einen Nachweis nur vor- täuschen. Jedoch auch, wenn eine dieDaten schärfer berück- sichtigende Berechnung zugrunde gelegt und sich ein Mehr an Wahrscheinlichkeitslösungen ergeben würde, scheint ein Übriges an zutreffenden Ant- worten der Pferde zu bleiben, das der Erklärung be- darf. Es ist mir äußerst interessant zu sehen, wie sich die verschiedenen Autoren hierzu aussprechen. Da äußert K. C. Schneider in geistvollen Satz- gefügen (**)S. 173) sein Urteil: „Daß Mathematik ein apriorisches Vermögen ist, daran kann wohl heutzutage kein Einsichtiger mehr zweifeln." — „Wer möchte mit Sicherheit sagen , daß die Bienen nicht zählen, wenn sie arbeiten ?" — „Ein Hund berechnet seinen Sprung; ja, kann er das, ohne zu zählen?" (S. 174). — „Es ist nicht nötig, daß sich die Pferde logisch strapazieren, um eine 5. Wurzel zu ziehen; sie haben einfach den Sinn dafür, und wenn man auch nicht sagen kann, daß sie die Zahlen anschauen , so bewältigen sie sie doch auf Grund einer Veranlagung, die mit An- schauung wenigstens verwandt ist" (S. 179). Wie man schon nach diesen Auszügen erkennt, zögert K. C. Schneider nicht, sich zu einem recht sorglos ad hoc gefertigten Urteil zu bekennen, das in schroffstem Wider- spruch steht zu dem aller jener, die sich ein Leben lang mit der Didaktik des Rechenunterrichts beschäftigt habe n. So C. Kehr ('-' S. 249): ,,Das Rechnen ist eines der vorzüglichsten Mittel der menschlichen Geistesbildung". Oder Max Simon -J. Kieß- ling ( !•" S. 39): „Die Arithmetik ist eine reine Vernunft Wissenschaft, ja, man kann fast sagen, es ist die reine Vernunftwissenschaft, denn die formale Logik geht, ich erinnere an Graßmann, Frege, Schröder, mehr und mehr in Arithmetik über. — (S. 41) : ,,Dem Rechen- unterricht fällt in den unteren Klassen, was die Ausbildung der Denkkraft betrifft, geradezu die führende Stellung zu." Daß dem in der Tat so ist, ,, daran kann wohl kein Einsichtiger zweifeln", niemand jedenfalls, der die Kindespsyche be- obachtet hat. K. Krall hatte jene wundersamen Unterrichts- erfolge in kurzen Stunden gezeitigt, nachdem er sich einmal für diesen Nachweis berufen fühlte. Was haben demgegenüber andere erfah- rene Tierfreunde in hartem Mühen hierin erreicht? P. Hachet -So u p le t ( '^' S. 82): ,,Wenn man interessante Dressurresultale durch Überredung erzielen will, so muß man dieser Auf- gabe fast seine ganze Zeit widmen." Und er be- zeichnet es als eine ganz vereinzelte Leistung, daß es derart gelungen sei , unter ., Verwerfung aller in den Zirken üblichen Dressurmittel einem Pferde das Apportieren beizubringen." H. Rothe ( '^' S. 744) stellte 9 Monate hindurch Unterrichts- versuche mit einem übrigens „sehr intelligenten" Hunde und Pferde an. „Vor dem Pferde hing (er) in gleichen Abständen zu beiden Seiten Zucker, den es gern fraß, auf, und zwar erst auf der einen 1 Stück und auf der anderen 2 Stücken, danach 2 bzw. 3. Stets langte es nach den meisten. Als 338 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 22 (er) aber 3 bzw. 4 aufhing, wurde es irre und wählte die Zuckerstückchen verschiedene Male unregelmäßig." Während das Pferd bei einer anderen Versuchsanordnung, ,,um festzustellen, ob die Tiere einen Begriff vom Zählen haben", schon nach der Zahl 2 völlig versagte, ist es H. Rothe gelungen, einen Hund so abzurichten, daß er lernte, erst nach 5 maligem Werfen von Holzstücken beim 6. Male auf den Leckerbissen zuzuspringen. Aber ,,auch bei ihm konnte von einem Zählen keine Rede sein; denn sobald (H. Rothe) die Stücken in ungleichen Zeitabständen in die Krippe warf, versagte auch er." Unter den manchen anderen gleichstimmigen Berichten kritischer Forschung darf der folgende für die vorliegende Frage besonderes Interesse erwarten. Auf Anregung und unter Aufsicht von George Romanus hatte der Wärter (mit einer Schimpansin Sally) in den Zoological Gardens von London Versuche über das Zählvermögen des Affen angestellt. Durch geduldige Dressur sollte das Tier dahin gebracht sein, eine bestimmte An- zahl von Strohhalmen — fünf und darüber — in den Mund zu nehmen, um sie dem Wärter dar- zureichen. Doch Lloyd Morgan (,,Introduction to comparative Psychologie", London, 1903; p. 253) be- richtet zu diesem Erfolge: ,,Währendmeines Besuches jener Gärten sah ich Sally diese Handlung 16 mal vornehmen, darunter 1 1 mal mit richtigem Resultat. Aber an einem Tage, als sie 2 mal geirrt hatte — indem sie statt 3 Strohhalmen deren 5, und dann 4 statt 3 reichte — , sagte der Wärter, sie sei müde und schlecht aufgelegt (genau wie bei K. Krall! Verf). Ich sah überhaupt keine Ver- suche, die über die Zahl fünf hinausgingen" (zit. aus ^'" S. 202). — Mit den Worten: ,, Apriorischer Zahlensinn" wird schlechthin also gar nichts ge- wonnen; so leicht auch sollten wir eine Wahrheit bis heute nicht in die Rumpelkammer werfen. Und wiederum nichts, das geeignet wäre, die Krall 's chen Erfolge als möglich er- scheinen zu lassen. Nichts als legendäre Mitteilungen älterer Jahrhunderte, die K. Krall mit rührender Sorgfalt gesammelt hat. Allerdings und gewiß, ein apriorisches Auffassungsvermögen für unterschied- liche Quantitäten haben wir sehr wohl anzu- nehmen. Das Rind, das junge Wirbeltier werden ganz allgemein das größere Stück beliebter Nah- rung wählen, vorausgesetzt allerdings, daß der Unterschied einen je augenfälligen Wert besitzt, eine je gewisse Schwelle überschreitet. Hierbei kann es nicht grundsätzlich verschieden sein, ob jene Quantitäten als Massen physikalisch- chemischen Zusammenhanges erscheinen oder aus etwa gleichartigen Einzelkörpern gehäuft werden. Im letzteren hier interessierenden Falle ist das Unterscheidungsvermögen gleichzeitig ab- hängig von der Höhe der kleineren Summe der verglichenen Zählobjekte. So vermag ein Kind bereits im 2. Jahre zu erkennen, wenn ihm von 2 oder 3 gleichen Objekten eins genommen wurde, zunächst aber nicht bei einer größeren Anzahl. Und gleichsinnig verhält sich z. B. der Vogel seinem beraubten Eigelege gegenüber. Bei einer höheren Einerzahl bedarf es für die Wahrnehmung auch eines größeren Verlustes. Das Kind entwickelt erst sehr all- mählich, insbesondere an Objekten, die seine Aufmerksamkeit durch ihre Eignung zum Naschen oder Spielen fesseln, ein feineres Anschauungs- vermögen für solche Unterschiede, ohne deshalb irgendwie mit Zahlenbegriften zu arbeiten. Für es bleiben die Objekte eine einfache Folge von Gleichartigem, das es aneinandereiht, wie die Perlen einer Kette: ,, Noch eins, noch eins." Nicht selten selbst dann noch, wenn es die Zahlen bis 10 und 20 sicher herzuplappern vermag. Es verbindet vielleicht bereits mit der 2 und 3 die Möglichkeit, sie auf verschiedene Objekte richtig anzuwenden, und ist doch völlig außerstande, eine der höheren Zahlen zu erkennen. Oft genug bezeichnet es längst ein Dutzend und mehr z. B. der Zahlenbezeichnungen elektrisch er Straßenbahnen, die ihm genannt wur- den, mit irrt ums freier Sicherheit, be- vor e s ein e der Ziffe rn an anderer St el 1 e wieder zu erkennen wüßte. Die Zahlen- eindrücke haften völlig, sie sind untrennbar asso- ziiert mit dem betrefienden Gegenstande des Interesses. Und es bedarf des Geschickes und der Mühen eines ganzen ersten Schuljah- res, die Zahlen innerhalb der Grenzen bis 20 von bestimmten Objekten zu lösen (zu abstrahieren) und sie an das (gesprochene und geschriebene) Wort wie an das Zahlenbild zu bin- den. Und die Sprache wird dann zum vornehmsten Mittel der Durchdringung des Stoffes als Vorbereitung für die nach fer- neren langen 5 Jahren einsetzende Algebra, die als eine erste Grundlage für die „Mathematik" zu dienen berufen ist. Nach alledem erscheint es sehr wohl möglich, daß ein Tier wie das Pferd mit einem bestimmten Zahlenbilde oder einer charakteristischen Laut- folge eine gewisse, seiner Natur gemäße Ausdrucks weise in Hufschlägen asso- ziiere, wenigstens, sofern es unsere Kenntnis der Anatomie-Physiologie seines Auges nicht aus- schließt; auf derselben Stufe, wie sie ein Kind |l von 2 Jahren bei der Benennung z.B. der Zahlen- schilder elektrischer Wagen äußert. Es mag selbst angenommen werden, daß das Pferd oder doch die höchsten seiner Säugetiergenossen, so Hund und Affe, auf eine gesicherte Anschauung der Zahlen bis 3, 4, 5, vielleicht noch um die eine und andere fernere Einheit dressiert werden könne. Aber von einem Verständnis füi abstrahie- rendes Zählen nirgend eine Spur, um so viel weniger von der Möglichkeit eines Ein- dringens in die höheren Rechnungsarten; nirgends bis auf K. Krall, der sich für diesen besonderen Nachweis Pferde zulegte. N. F. XIII. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 339 Wenn man nun aber auch bereit ist, in diesen Leistungen nichts als Assoziationen des sinnlichen Gedächtnisses zu erkennen, bedarf es doch noch einer Würdigung der heterogenen Mannig- faltig k e i t d e s G e b o t e n e n. Es ist zu prüfen, ob eine solche Fülle rein gedächtniswertiger Leistungen denkbar ist. Das Gedächtnis des Pferdes scheint ganz einstimmig gerühmt zu wer- den. So urteilt G. Bohn {^'' S^ 122), daß „das Gedächtnis sich (bei den Wirbeltieren) in eminen- tem Maße entwickle". Oder nach St. vonMaday ('-' S. 51): „Das Gedächtnis ist die am meisten angestaunte Fähigkeit des Pferdes. ,Das Pferd sei ein dummes Vieh, es habe aber ein vorzüg- liches Gedächtnis', sagt ein uralter Spruch, und es gibt noch heute viele Dresseure, die sich an- gebhch einzig und allein an dieses Talent wenden. ,Es ist wenig intelligent', sagt auch Le Bon, ,doch scheint sein Gedächtnis dem mensch- lichen weit überlegen zu sein." Schließlich noch eine der Notizen bei K. Krall ("S. 405, Anm.): „Derartige Gedächtnisleistungen habe ich zahlreich erlebt. Herr General Zobel schrieb mir hierzu ergänzend: ,Ich war Hans (dem , Klugen Hans' W. von Osten 's. Verf) als General vor- gestellt, und er hat mich mehrfach so genannt. Erstaunt aber war ich ganz außerordentlich , als ich bei einer der ersten öffentlichen Vorführungen durch G. Schillings nach Monaten zum ersten Male wieder zu Hans kam, ihn fragte, ob er mich noch kenne, und er nickte, ihn auf den Hof führen und durch Schillings fragen ließ, wer ich wäre. Er antwortete prompt: .General'." Wie man sieht, darf dem Gedächtnis des Pferdes nach dem Urteile erfahrenster Kenner eine außergewöhnliche Aufgabe gestellt werden, größer vielleicht als jene, mit deren Leistung das Gedächtnis des Kindes überrascht. Und, wie gesehen , jedenfalls infolge der Vielseitigkeit des Unterrichtsstoffes, waren auch die betreffenden Assoziationen derart wenig sicher, daß es angängig erscheinen könnte, die restlichen Treffer unter den Leistungen als einen Ausfluß des sinnlichen Gedächtnisses für befriedi- gend erklärt zu erachten. Doch die Pferde sollen Aufgaben gelöst haben, die ihnen nicht gelehrt worden seien. Überall, bis zum Überdrusse, liest man die Versiche- rung K. Kral l's, daß er selbst nichtradi- zieren könne. So, nach P. Sara sin (*', S. 249), von M. Döring („Neue Bahnen", '12, S. 413): . . ., der (K. Krall; Verf) eingestand, daß er kein großer Rechner sei"; oder von P. Sarasin (^' S. 251 1: „. . ., daß mir Krall nicht nur mündlieh, sondern auf besonderes Verlangen auch schriftlich versichert hat, daß weder er noch der Wärter Albert imstande seien, hohe Wurzelrechnungen, wie der Hengst Muhamed sie löste, in kurzer Zeit im Kopfe auszuführen". Oder von H. v. Buttel-Reepen ("', S. 261): „Herr Krall gab mir auf Wunsch folgende schriftliche Erklärung : Ich bin nicht im- weder im Kopfe noch schriftlich — lösen zu können . . ." Usf. Demgegenüber zitiere ich einige Stellen, die das Gegenteil besagen. Unter manchen anderen P. Sarasin's Darstellung C*', S. 248): „j/ 147008443. Krall, er (Muhamed ; Verf) hat noch nie so etwas Schweres gemacht ! Er nennt die Zahl : ,Fünfte Wurzel aus 147 Millionen 00 (?, \'erf.) 8 Tausend 443, mach das!' Antwort sogleich: f 23, f 24, f ^2 oder 33 (die Hufschläge des rechten Fußes unklar zwischen 2 und 3), f 22, f63, f 33. Krall: , Albert, die Reitpeitsche her' . . . richtig 43! Da strahlte Krall vor Freude . . ". Auch H. v. Büttel- Reepe n zur 2. (unwissentlichen 1) Kouvertaufgabe («', S. 258): }T2T67 = f33. Obgleich ich Krall die richtige Lösung (23) nicht mitgeteilt habe, ruft er ,falsch'! und läßt dem Pferde durch Albert einen Peitschenschlag geben". Leider sind Widersprüche dieser Art zuzüglich jener eigentümlichen Fest- stellungen betreffs der schon zuvor be- handelten „unwissentlichen" Wurzel- aufgaben nicht die einzigen geblieben, welche sich mir aufgedrängt haben. Sie würden dartun, daß K. Krall's Gedächtnis wenigstens dort recht unzuverlässig erscheinen möchte, wo es dem Interesse seiner Wünsche dient. So schreibt P. Sarasin ( '' S. 242) über seinen Besuch in Elberfeld vom 1.6. '12: „Man zeigt ihm ein Bild mit 3 Pferde- köpfen : ,Zarif, was siehst du ? ' (lispelnd gefragt), Fudrzeinfärd. ,Wie viele'?, fff Er wird abgeführt; er kenne dieses Bild noch nicht, es sei das erste Mal, daß man es ihm gezeigt." — „Muhamed wird vorgenommen. Man zeigt die Pferdeköpfe . . ." Dagegen entnehme ich K. Krall's Buch („Nieder- schrift vom 18. 7. '09) S. 141 : „Die nebenstehende Pferdekarte (Abb. 82) wurde Muhamed gezeigt: ,Was ist das?' Er antwortete aus sich: Drei Färt . . . Die Form der Mehrzahl einzuüben, wurde absichtlich unterlassen; ja es wurde sogar statt dessen in einzelnen Fällen die von den Pferden angewandte Form, drei Färt von uns im Unter- richt beibehalten". Oder: Nach dem handschriftlichen Protokoll F. Hempelmann's S. 7: „Muhamed soll jetzt eine für ihn neue Aufgabe rechnen, wo nämlich in Worten , addiere ... zu' geschrieben ist, wäh- rend bis jetzt immer nur ein -|— Zeichen geschrieben wurde." Dagegen lese ich in K. Krall's Buch (14. Dezember 1908): „M Malnehmen. Aufgaben mit gedruckten Zahlwörtern (es geht aus dem Folgenden hervor, daß K. Krall unter ihnen in Buchstaben angeschriebene Zahlen versteht, Verf): multipliziere zwei mit drei. „Hierzu vom 28.: „M. Stande, Wurzeln wie die angegebenen (y 12167) Lesenlernen deutscher und französischer Zahl Wörter". Da ist schwer zu glauben, daß das nächstliegende, sehr viel einfachere: „Addiere zu" übersehen sein sollte. Ich verweise den Zweifler zudem auf K. Krall's Buch S. 484: „. . .; ein Halb und ein Viertel sollst du addieren" ...(vom 12. 4. '10) 340 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xni. Nr. 22 oder S. 479: „Nicht addieren", „Addiere" (vom 18. 2. '10); u. a. O. So frei sich aber auch K. Kr all 's Buch von jeder Selbstkritik auf wissenschaftlichem Boden hält, es hieße doch der sonst gern hervorgehobenen Intelligenz desselben ein gänzlich unverdien- tes Armutszeugnis ausstellen, wollte man an- nehmen, daß nicht jedenfalls i h n sein Rechen- unterricht so weit gefördert haben sollte, jene mit elementarsten Kenntnissen lösbaren Ra- dizier ungen gründlich zu beherrschen. Diese bestehen in nichts weiterem als zu wissen, daß die Radikanden von Quadratwurzeln 2 ziffrig, von kubischen 3 ziffrig, von vierten 4 ziffrig (u. s. f.) von rechts nach links abzustreichen bzw. abzuzählen sind, um die Ziffernzahl der Wurzellösung sofort zu erkennen; ferner als die 2., 3. und evtl. 4. Po- tenzen der Ziffern 2 bis 9 im Kopfe zu haben, um nach ihnen aus der Restkomplexion links und der Endziffer rechts allsogleich jede derartige Wurzel zu ziehen. Allerdings ist mir nach dem gesamten Protokollmateriale aufgefallen, daß neue (unwissentliche) Aufgaben erst nach Fehl- antworten, wenn überhaupt, richtig gelöst wurden. Doch das „H eranrate n", das L. P 1 a t e nennt, hat kaum je menschliche Züge; am 2 meisten noch bei ^c,S2i6g — mit den Antworten 523. 347, 177. 132, 747. 7^7. 773, ^75, 7&3, 363, schließlich r 763 — die Betonung der Hunderter- ziffer 7 und der Einerziffer 3. Schwerer, unter Umständen sehr viel schwieriger ist es, die I^ösung für eine nicht restlos radizierbare Zahl anzugeben; mit solchen Ver- suchen, welche allein die Rechenfähigkeit der Tiere bezeugen würden, eben da, wo sie für die menschliche Schätzung aufzuhören beginnt, scheint sich K. Krall nie bemüht, seine „Unterrichts"- Ergebnisse an ihnen nie selbst nachgeprüft zu haben. — Hierauf weist übrigens auch eine aus- führlichere Zuschrift des Herrn Dr. Jul. Pikler (Budapest) vom 16. Sept. '13 au mich hin. — So wenig, wie sich ein Vermerk darüber finden läßt, daß es K. Krall aufgefallen wäre festzustellen, wie seine Pferde keine anderen als die alier- niedrigsten Potenzier ungen auszuführen vermögen. Und hier glaube ich K. Krall gerne, daß auch er weiteres nicht kann. Solche ausnahmslose Parallelität dieser menschlichen und tierischen Leistungen legt die Frage nahe, ob nicht ein direkter Zusammenhang beider in der Weise denkbar sei, wie ihn Osk. Pfungst für den „klugen Hans" nachgewiesen hat, der, gleichfalls durch die dargebotenen Rüben zur Aufmerksam- keit veranlaßt, infolge unfreiwilliger Futter- dressur zu gelegentlich richtigen Antworten ge- langt war. Je tiefer ich in die Literatur über den Gegenstand eingedrungen bin, desto mehr halte ich mich überzeugt, daß auch bei den Leistungen dieser Pferde derartige Beziehungen mit inFrage stehen. Nichts spricht dagegen; und K. Krall dürfte diese Mög- lichkeit selbst fürchten, wenn er, wie zu Anfang hervorgehoben, die Nachprüfung durch eine Kom- mission auf ungeradem Wege abgelehnt hat. Daß die Rechenleistungen der Pferde nicht auf einem begrifflichen Denken beruhen können, glaube ich im vorigen objektiv erwiesen zu haben. Und ich hätte die Darlegung gleichermaßen auf die gesamten Leistungen ausdehnen können. Wie weit sie als Ergebnis gedächtnismäßiger, bloßer sinnlicher Assoziationen zu betrachten sind, wie weit sie etwa der Erfolg un- bewußter Zeichengebung im Sinne der O. Pfungst'schen Erklärung sein könn- ten, wie weit sie selbst in manchen Fällen der suggestiven Wirkung K. Krall's auf seine Hörer bzw. Zuschauer entspringen dürften, das gegeneinan- der abzugrenzen würde nur möglich sein, wenn umfassendere, sorgfältigste, kritische Proto- kolle und Beobachtungen einer Kommission vorlägen, deren aus beiden Streitlagern, aus ver- schiedenen anschließenden Disziplinen gewählte Mitglieder eine angemessene Arbeit verbürgen würden. Ich meine aber, selbst ohnedem dürften die Herren, deren unkritischer Beifall, von ungezügelten Wünschen für eine anthropomorphe „Tierseele" ge- boren, „K. Krall welken Lorbeer geflochten hat, dessen bald zufrieden sein, wenn schon eine nahe Zukunft dies mit den ,Elberfelder denkenden Pferden' zugleich in Vergessenheit geraten läßt. Bis, nun bis einmal wieder ein K. Krall legendäre Berichte zur Tierpsychologie für seine Zwecke aus älteren Jahrhunderten sammelt"."" Nachschrift. Inzwischen ist in der ,,Naturw. Wochen- schrift" (1914, S. 193 — 196) eine weitere Ausführung H. v. Bu tt el-Reep e n's erschienen äoi : ,, Das Problem der Elber- l'eldcr Pferde und die Telepathie". In li' S. 259 hat derselbe seine Beurteilung der einfacheren Rechenleistungcn dahin aus- gesprochen, daß er sie sich ,, nicht ohne ein eigenes Zählver- mögen , nicht ohne eine gewisse Denktätigkeit und ein vor- treffliches Gedächtnis*' vorzustellen vermöge. Demgegenüber würde H. v. Butt el- Re ep en nach i'' S. 261 geneigt gewesen sein, eine Erklärung für ,,die Leistungen der Pferde bei der Lösung komplizierter Rechenaufgaben" ,, vielleicht auf einem ganz besonderen Gebiete" zu sehen , „auf dem uns die sog. Zahlenwunder und die Rechenkünstler begegnen". Hiermit sei eine Stelle des ProtokoUes -<>' S. 194 ver- glichen, das H. V. Buttel-Reepen vom 3. seiner 4 Besuche bei den Pferden veröffentlicht: „Herr Krall war abwesend. Als ich mich etwas später an den Pferdepileger .Albert wandte mit der Frage, wie er über die Leistungsfähigkeit der Pferde im allgemeinen dächte, sagte er ungefähr wiirtlich : ,Ich denke wie Herr Professor darüber'. , Wieso f entgegnete ich. ,Ja, ich glaube, daß es Gedächtnisleistungen sind. . . ." Ohne mich hier über den ferneren Inhalt der Ausführungen unter 20 1 auseinandersetzen zu können (vgl. zu ihm und in be- zug auf weitere Gesichtspunkte; Chr. Schröder, ,,Die rechnenden Pferde". In: „Biolog. Centralblatt", Bd. XXXIV), erachte ich es doch für recht bemerkenswert, daß der Pferde- pfieger Albert, der nach 201 S. 194 zudem ,,die Autoritäts- person bei den Pferden ist", während man sonst angenommen hat, das wäre K. Krall, daß der Pferdepfleger Albert in einem Augenblick, in dem er sich offenbar frei von Rück- sichten fühlte, die Leistungen der Pferde als rein gedächtnis- N. F. XIII. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 341 mäßige bezeichnete und dafi sich auch H. v. B u 1 1 e 1 • R e c p e n nach seinen weiteren Besuchen nicht mehr ausdrücklich gegen diese von mir schon 7' vertretene Auffassung zu wenden scheint. Wenn aber H. v. Bu 1 1 el - R e e p e n schließlich (S. 196) K. Krall als Märtyrer beldagt, den „die Wissenschaft bis- her insofern in Stich gelassen habe, als sie alles seinen Schultern aufbürde , die die Last kaum noch zu tragen ver- möge", so kann die Wissenschaft diesen Vorwurf glatt ab- lehnen mit dem Hinweise auf Tatsachen wie die K. Krall vorgeschlagene Kommission und Versuche nach 'in. i) Krall, K., „Denkende Tiere". 532 S., zahlr. (phot.) Abb. u. Taf. Fr. Engelmann, Leipzig, 19 12. 2) von Maday, Dr. Stef., ,, Psychologie des Pferdes und der Dressur". 349 S., 7 Abb. Verlag Paul Parey, Berlin, 1912. 3) Hempelmann, F., ,,Bei Hans, Muhamed und Zarif in Elbcrfeld." ProtokoUmanuskript, mir gütigst zur Benutzung überlassen. 12 S. 4) Plate, L., ,, Beobachtungen an den denkenden Elber- felder Pferden des Herrn K. Krall". In: ,,Naturw. Wochen- schrift", 1913, S. 263 — 268. 5) te Kloot, O., „Die denkenden Pferde Hans, Muha- med und Zarif. 96 S., Abb. F. Lehmann, Berlin, 1912. 6) v. Buttel-Reepen, H., ,, Meine Erfahrungen mit den denkenden Pferden". In: „Naturwiss. Wochenschrift", 1913, Hef\ 16 u. 17. 7) Schröder, Chr., ,,Zum Geheimnis der Elberfelder „denkenden" Pferde". In: „Natur", 1913, Heft 23. S) Sarasin, P. , „Ein Besuch bei Herrn Karl Krall und seinen denkenden Pferden". In: ,,Zool. Anzeiger", 1912, S. 23S — 254. 9) Ziegler. H. E., ,, Falsche Statistik". In: „Mitt. Ges. Tierpsychologie", i. Jahrg., S. 65/66. 10) Hempelmann, F., ,,Das Problem der denkenden Pferde des Herrn Krall in Elberfeld". In: „Verh. D. Zool. Ges.", 1912, S. 228—234. 11) Schneider, Karl Camillo : ,,Die rechnenden Pferde". In: „Biolog. Centralbl.", 1913, S. 170 — 179. 12) Kehr, C, ,,Die Praxis der Volksschule". 40S S. E. F. Thienemann, Gotha, 1S85. 13) Simon, Max, und J. Kießling, „Didaktik und Methodik des Rechen-, Mathematik- und Physikunterrichts". C. H. Beck, München, 1S95. 14) Hachet-Souplet, P., „Untersuchungen über die Psychologie der Tiere". 186 S. E. Ungleich, Leipzig, 1910. 15) Rothe, H., ,,Vom Zahlenbegriffsvermögen des Pfer- des". In: „Umschau", 1913, S. 744/45. 16) Wasmann, E., S. J. , ,, Instinkt und Intelligenz im Tierreich". 276 S. Herder'scher Verlag, Freiburg i. Breisg., 1905- .. 17) Bohn, Georges, ,, Die Neue Tierpsychologie". (Übers, v. R. Thesing.) 179 S. Veit & Co., Leipzig, 19 12. 18) Pfungst, Oskar, „Das Pferd des Herrn v. Osten (Der kluge Hans)". 191 S. Job. Ambr. Barth, Leipzig, 1907. 19) Schröder, Chr., ,, Berichtigungen zu den , .Anmer- kungen' der Herren Profs. Drs. L. Plate und H. v. Buttel- Reepen . . ." In; „Natur" 1914, Heft 14, S. 312 — 314. Einzelberichte. Botanik. Latentbleiben der Rostkrankheit. Vor drei Jahren hatte G. Tischler sjezeigt, daß es durch Veränderungen der Außenbedin- gungen möglich ist, einzelne Sprosse von Euphor- bia Cyparissias, die bereits vom Mycel des Rost- pilzes Uromyces Pisi durchzogen waren, äußerlich gesunden zu lassen. Tischler hat inzwischen diese interessanten Versuche fortgesetzt und fest- gestellt, daß man den Ausbruch der Rostkrankheit immer verhindern kann, wenn man die winterliche Ruheperiode der Wolfsmilch (durch Einbringen ins Warmhaus) aufhebt und die Pflanze so zu dauern- der vegetativer Tätigkeit nötigt. Die Krankheit kann dann mehrere Vegetationsperioden hindurch latent bleiben, tritt aber, wenn man die Pflanzen eine Winterruhe durchmachen läßt, an den sodann entstehenden Trieben sofort wieder auf. Bei Brand- pilzen hat Brefeld schon ein Latentbleiben der Krankheit beobachtet und gefunden, daß gewisse Pflanzenarten in einigen Jahren ganz brandfrei werden können, während andere dauernd krank bleiben. Tischler sah bei der mikroskopischen Untersuchung der Vegetationspunkte seiner schein- bar gesundeten Wolfsmilchpflanzen, daß sie sämt- lich Myzel enthielten, aber nur in bestimmter Ent- fernung von den rein meristematischen Zellen (höchstens bis zur 6. oder 7. Periklinalreihe), so daß die jüngsten Blattanlagen dem Pilze entrückt waren. Die Aufhebung der Winterruhe hatte somit nicht ein Wachsen des Myzels überhaupt unmöglich gemacht, sondern das Myzel hatte nur nicht bis in die jungen Blattanlagen dringen können ; der Sproß war hier dem Pilz „entwachsen". Tisch- ler findet, daß während der scheinbaren Ruhe- periode von Pilz und Wirtspflanze die Krankheit weiter fortschreitet, das Myzel sich also im Rhizom immer weiter verbreitet und neue Knospen infiziert. Der Pilz wuchert sowohl zwischen den parenchy- matisch gebliebenen Holzfaserzellen wie zwischen den Parenchymzellen des Markes. Zu Beginn des Austreibens könnte der Pilz in den Winterknospen überall zwischen den Zellen vordringen, aber in den vorzeitig entwickelten Trieben entwächst die Euphorbia dem Pilz bezüglich ihrer eigentlichen meristematischen Zellen. Zur Erklärung des Phä- nomens verweist Tischler auf die Untersuchungen Mac Dougals, nach denen die Möglichkeit parasitischen Lebens davon abhängt, daß in den Zellen des Schmarotzers ein höherer osmotischer Druck herrscht als in denen des Wirtes. Bei einer Verschiebung der Entwicklungsperioden (seasonal cycles) könnte eine nicht harmonische Regulierung des osmotischen Druckes in den beiden Symbion- ten erfolgen, die zur Folge haben würde, daß der Parasit nicht weiterwachsen kann. Mit dieser „Arbeitshypothese" ließe sich auch die Beobachtung erklären, daß an einigen infizierten, dann äußerlich gesundeten Euphorbien sich Blütenstände mit ver- pilzten und deformierten Blattorganen entwickelten (Engler's Botanische Jahrbücher, Bd. 50, Supple- mentband ^Festband für A. E n g 1 e r] , S. 95 — 1 10). F. Moewes. Geographie. Neues Land im Nordpolbecken. Die Bemühungen, eine freie Durchfahrt an der Nordküste Sibiriens zu finden, wurden zuerst und 342 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 22 bisher ohne Nachfolge von Nordenskjöld ge- löst, der mit der „Vega" um Asien herumfuhr. Später haben mehrere Schiffe der Nansen 'sehen und Toll 'sehen Expeditionen Taimyr glücklich umschifft, und andererseits hat die russische Re- gierung versucht, eine Seefahrt vom Stillen Ozean bis zur Kolymamündung durchzuführen \). Das Kolymagebiet wurde 1905 — 1909 aufgenommen und erforscht. Im Jahre 1909 wurden in Peters- burg zwei Eisbrecher „Taimyr" und „VVaigatsch" im Bau vollendet, die in Wladiwostok liegen. 191 1 vollführten sie Küstenaufnahmen bis zur Kolymamündung, 1912 erreichten sie die Lena- mündung wieder von Wladiwostok aus. So ist der Warentransport in das Kolymagebiet leichter geworden, auch amerikanische Schiffe aus .Maska sind 191 1 nach Nischnekolymsk an der Mündung der Kolyma gelangt. Als Endziel der Schiffahrt vom Pazifischen Ozean her erscheint einstweilen das Gebiet der Lena, das ja den größten Teil des J a k u t e n 1 a n d e s umfaßt. Das Jakutengebiet, welches von 300000 Men- schen bevölkert ist, aber eine Fläche umfaßt, die dem des westlichen Europa gleichkommt, ver- dient große Beachtung wegen des Reichtums seiner Naturprodukte und wegen seiner Tauglich- keit im südlichen Teile für die Ansiedelung einer seßhaften Bevölkerung. Im Tal der Lena und ihrer Nebenflüsse Olekma und Aldan rückt die Landwirtschaft immer mehr nach Norden vor; viele Eingeborene leben hier ansässig oder halbansässig. Die Korngewächse haben sich den rauhen klimatischen Verhältnissen angepaßt; in den südlichen Teilen des Kolymsker Gebietes können noch Kartoffeln und Gemüse angebaut werden. Vor der Entwicklung der Landwirtschaft war Viehzucht, vor allem Pferde- und Rindvieh- zucht, die Hauptbeschäftigung der Jakuten; im Tundragebiet ist die Renntierzucht verbreitet. Ebenfalls wichtig ist der Fischreichtum der großen Flüsse, die nach dem Eismeere gehen. Die Be- völkerung leidet aber sehr unter dem Mangel an Verbindung mit Verbrauchsländern. Die Jagd auf Pelztiere spielt auch eine große Rolle; diese sind im Jakutengebiet noch in ziemlich großer Menge vorhanden. Eine Hauptbeschäftigung der Bewohner ist das Aufsuchen von Mammutstoß- zähnen am Ufer des Eismeeres und auf den Neu- Sibirischen Inseln. Entschieden von Bedeutung könnten auch die mineralischen Reichtümer (Wasch- gold, Steinkohlenlager, Salzlager) werden. Aber ein schnelles Wachstum der Bevölkerungsdichtig- keit kann nur durch geeignete Verkehrswege befördert werden. Dies erklärt zur Genüge die Bemühungen der russischen Regierung um Nord- Sibirien. Bei Gelegenheit der letztjährigen hydrogra- phischen Expedition -) unter Kapitän \Vilkitskij ') B. M. Shitkow, Die nordöstliche Durclifalut (G. Z. 1913, H. 12). *) Neues Land im Nordpolbecken (Z. Ges. Erdkde. 1914, H. 2, mit Karte u. Geogr. Zeitschr. 1914, II. 2). mit den Eisbrechern „Taimyr" und „Waigatsch", die im August 1913 vom Anadyrbusen auf- brachen, wurde nördlich vom Kap Tscheljuskin neues Land entdeckt. Während ,, Waigatsch" ver- geblich versuchte, Wrangelland anzulaufen, fuhr ,, Taimyr" bis Kaji Baranow in der Nähe der Küste. Hier trennten sich die Schiffe. Der „Taimyr" ge- lang es, nördlich der Neu-Sibirischen Inseln in geradem Wege Kap Tscheljuskin zu erreichen. Hierbei wurde nordöstlich von diesen Inseln eine kleine Insel (Wil kitskij -Insel) entdeckt. Die ,, Waigatsch" folgte der sibirischen Küste und machte Vermessungen an der Chatangabucht und der ihr vorgelagerten Begitschew-Insel. Bei Kap Tscheljuskin, wo sich die Schiffe wieder trafen, war der Weg nach W. versperrt. Nach N. aus- biegend fanden sie nach 50 km Fahrt eine etwa 12 km lange Insel, „Zesarowitsch Alexis" und im NW. nach abermals 50 km ein neues hohes Land mit Gletschern bei 80" 4' n. Breite und 97" 12' ö. Länge. .Sie folgten der Küste 35 km weit, dann zwang sie das Eis (bei -p 81", 96" O.) zur Um- kehr. Das neue Nikolaus II -Land schiebt sich vor die Lücke zwischen Franz Josef-Land und Nowaja-Semlja und erklärt so auch die Eissperre am Kap Tscheljuskin, die der Schiffahrt so un- überwindliche .Schwierigkeiten bereitet. Dr. Gottfried Hornig. Astronomie. Über ein lichtabsorbierendes Medium im Räume gibt King (Harvard Coli. .-^nn. Bd. 76, i) neue Messungen, nachdem schon früher (ebenda, Bd. 59, 179) Untersuchungen über diese wichtige Frage gegeben waren. Der leitende Gedanke ist der, daß ein absorbierendes Medium zunächst die kurzen Lichtwellen beeinflussen wird, so daß also bei Sternen desselben Spektralt}-|)us mit zunehmender Entfernung eine zunehmende Färbung ins Rötliche bemerkbar sein müßte. Das zugrunde liegende Material ist nicht sehr ausge- I dehnt, weil es schwierig ist, die notwendigen Parallaxen zu beschaffen. Der Sicherheit halber sind nur die Sterne genommen, bei denen gut zusammenstimmende Parallaxen von wenigstens zwei Beobachtern vorhanden sind. Die Parallaxen sollten 0,030 Sek. überschreiten, und die Sterne wegen der Photographie des Spektrums nicht schwächer sein als von der 5. Größe. So erhielt man 28 Sterne. Das in der früheren Arbeit er- haltene Resultat wird bestätigt, dort erhielt man 0,0377 Größen Absorption der photographischen Strahlen und 0,0184 für die optischen, hier 0,0189 für die optischen Strahlen mit einem Fehler von 0,0065 Größen. Dieser Wert der Absorption be- zieht sich auf eine Rnumstrecke von der Länge von 32,6 Lichtjahren oder einer Parallaxe von 0,1 Sek. Riem. Einen Begleiter zur Capella hat Furuhjelm gefunden (.A.str. Nachr. 47x5), und zwar in dem sehr großen Abstand von 12 Minuten, in einem Positionswinkel von 141,3 Grad. Daß Capella N. F. XIII. Nr. 2: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 343 ein spektroskopischer Doppelstern sei, war bekannt. Dieser Begleiter ist dadurch gefunden, daß er dieselbe Eigenbewegung besitzt wie Ca- pella, so daß an einem inneren Zusammenhang nicht gezweifelt werden kann. Denn die sonst in der Nälie liegenden Sterne haben nicht dieselbe Eigenbewegung. Nimmt man hinzu, daß Capeila keine meßbare Parallaxe besitzt, also mindestens 100 Lichtjahre entfernt ist, vielleicht sogar sehr viel weiter, so stellt jener Abstand von mehr als 12 Minuten eine ungeheure Entfernung dar, so daß man den inneren Zusammenhang nach der Er- klärung der Hörbiger'schen Glazialkosmogonie in der gemeinsamen Entstehung beider Gestirne aus einer Riesensonne suchen wird. Riem. Eine Untersuchung über Nebelflecken hat Fath von der Sonnenwarte auf dem Mt. Wilson angestellt. Mit dem dortigen Reflektor sind an 139 Stellen der Milchstraße Aufnahmen gemacht worden (Astronom. Journal 28 Nr. 10 — 11) und der angrenzenden Partien des Himmels, zwischen dem Nordpol und 1 5 Grad südl. Dekl. Jede Platte ist an dem lichtstarken Spiegel des öoZöllers eine Stunde belichtet worden, so daß sehr schwache Objekte noch erhalten sind. Es handelte sich darum, außer der Lage am Himmel die Größen, die Lage der großen Achsen und die Helligkeiten zu bestimmen. Es zeigte sich eine sehr große Zahl von rundlichen Nebeln, vom Kreis bis zur langgestreckten Ellipse, aber ohne daß sich eine gemeinsame Orientierung auf eine be- stimmte Ebene feststellen ließ. Sowohl die run- den wie die Spiralnebel liegen in allen denkbaren Ebenen. Das Instrument würde am ganzen Himmel mit einstündiger Exposition etwa 162000 Nebel zeigen , bei längeren Belichtungen ent- sprechend mehr. Das kosmologisch wichtigste Ergebnis ist die Bestätigung der schon früher mit kleinerem Material abgeleiteten Tatsache, daß die Nebel am dichtesten gegen die Pole der Ebene der Milchstraße zusammentreten. Eine Karte, in der gleichgroße Flächen eingezeichnet sind, in denen die vorkommende Zahl der Nebel ein- geschrieben ist, beweist dies auf das deutlichste. Riem. Physik. Neues von der Lichtelektrizität. Die von Hall wachs vor gut 25 Jahren entdeckten lichtelektrischen Erscheinungen bestehen bekannt- lich darin, daß bei Bestrahlung mit Licht (ultra- violettes ist besonders wirksam) aus Metallober- flächen negative Elektrizität (Elektronen) entweicht. In den Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (Jahrg. 16 [191 4, S. 107) veröffent- lichen Hall wachs und Wiedmann Versuche, die interessante Aufschlüsse über den Mechanismus und den Sitz dieser Erscheinungen geben. Die Verfasser untersuchen das Kalium, welches von allen Metallen am wirksamsten ist und finden, daß sich der Effekt durch die große Gasaufnahme des Kaliums erklärt, daß das Vorhandensein von Gas eine notwendige Bedingung merklicher Lichtelcktrizität ist; entfernt man jede Spur von Gas, so verschwindet die Wir- kung. Da ein Volumen Kalium 126 Volumina Wasserstoff aufnimmt und recht festhält, so machte die Entfernung des Gases, also die Herstellung eines guten Vakuums beträchtliche Schwierigkeiten. Man verfuhr folgendermaßen : Das in einem Glas- kolben zunächst unter Wasserstoff eingebrachte Metall wurde unter fortwährendem Laufen einer Sprengel'schen Luftjjumpe mehrere Tage bis zum Kochen erwärmt, bis ein mit dem Kolben verschmolzenes Geißlerrohr auch bei lebhafterem Sieden des Kaliums grüne Fluoreszenz bei Durch- gang eines Induktiorstromes zeigte. Jetzt wurde das Kalium bei fortdauerndem Gang der Pumpe langsam in einen zweiten, und von hier in einen dritten, vierten und fünften Kolben, die alle hinter- einander geschaltet waren, überdestilliert und das Vakuum durch flüssige Luft und Kokosnußkohle, die besonders bei niedriger Temperatur Gas ab- sorbiert, so weit gesteigert, daß die Entladung des Induktors nicht mehr durch das Geißlerrohr, son- dern über eine ihm parallel geschaltete, 6 cm lange Funkenstrecke ging. Der nach viermaliger De- stillation erhaltenen Kaliumschicht stand eine auf -|- 8 Volt geladene Elektrode gegenüber, während der Kaliumbelag durch eine Platinelektrode mit einem H a 1 1 w a c h s - Elektrometer verbunden war. Bei Belichtung des Kaliums mit einer Ouarzqueck- silberlampe zeigte das Elektrometer keinen Aus- schlag, während eine Vergleichszelle mittlerer Empfindlichkeit einen solchen von 500 Skalenteilen ergab. Lim sicher zu gehen, wurden noch meh- rere andere Zellen nach demselben Verfahren her- gestellt; alle zeigten dasselbe Resultat. Welcher Art die Wirkung des Gases ist, darüber zurzeit eine Aussage machen, lehnen die Verfasser ab. Aus den Versuchen geht mit Sicherheit hervor, daß die lichtelektrische Wirkung in der mit Gas beladenen Metalloberfläche, also in einem Gemisch von Metall und Gas ihren Sitz hat. In ähnlicher Richtung wie die geschilderten bewegen sich Versuche von Fredenhagen, die ebenfalls in den Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (16 [1914], S. 201) mit- geteilt werden. Der Verfasser untersucht sowohl die thermische Elektronenemission als auch den lichtelektrischen Effekt des Kaliums. Dieses ist in einem mittels G ae de 'scher Molekularluff pumpe evakuierbaren Glasrohr eingeschlossen und wird mittels eines um das Rohr herumgeführten Heiz- drahtes elektrisch auf 275" bis 375" erwärmt. Es gibt dann Elektronen ab, so daß eine einerseits an das Kalium, andererseits an eine ihm gegen- überstehende Elektrode angelegte Spannung (2 bis 200 Volt) einen Strom erzeugt, dessen Stärke mittels eines empfindlichen, in die Leitung gelegten Galvanometers gemessen werden kann. Zur Ver- meidung lichtelektrischer Störungen wurden die Versuche im Dunkeln ausgeführt. Dieselbe Kalium- oberfläche wurde in der gleichen Anordnung auf 344 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xin. Nr. 22 ihr photoelektrisches Verhalten untersucht, indem sie mit einer 50 kerzigen Metallfadenlampe bestrahlt wurde. In Übereinstimmung mit den H a 1 1 w a c h s - W i ed m an n 'sehen Versuchen ergab sich, daß mehrmaliges Destillieren (bis 3mal) die Effekte, den lichtelektrischen sowohl als auch den ther- mischen, beträchtlich herabsetzte, so daß der Verfasser zu dem Resultat kommt, daß zwi- schen beiden Effekten ein Zusammen- hang besteht, der auf Beziehungen zwischen den Ursachen beider Effekte hindeutet. Ein wirk- sames Agens, wahrscheinlich Wasserstoff, ruft die Erscheinungen hervor. In wertvoller Weise bestätigt und ergänzt werden diese Ergebnisse durch eine von Freden- hagen angeregte Arbeit von Küstner, die in der physikalischen Zeitschrift 15 (1914) Seite 18 veröffentlicht ist und die das Verhalten des Zinks untersucht. Die Strahlen einer Ouecksilberlampe fallen auf eine in einem mittels Gaede- Pumpe evakuierten Glasrohr eingeschlossene Zinkplatte, deren Oberfläche mittels einer ebenfalls in das Glasrohr eingeschlossenen, elektromagnetisch zu betätigenden Schabvorrichtung jederzeit erneuert werden kann. Reaktionsfähige Gase werden durch Induktorentladungen und durch geschmolzenes Kalium entfernt, das in einem mit dem Zinkrohr verschmolzenen Nachbarrohr enthalten ist. Unter diesen Umständen erweist sich das Zink als lichtelektrisch unwirksam und zwar zeigt es sich, daß der geringste Effekt in einem ziemlich schlechten Vakuum auftritt. Es kommt also nicht auf besonders gutes \'akuum an, sondern vielmehr darauf, daß wirksame Gase durch das erhitzte Kalium entfernt werden. K. Schutt. Anatomie. Die Kurzfingerigkeit (Brachydac- tylie) ist eine nicht allzu seltene erbliche Miß- bildung. Sie besteht in einer Verkürzung der Finger oder der Zehen oder beider zusammen. Die betreffenden Individuen haben außerdem, be- sonders die Männer, eine geringere Körpergröße; die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten ist in beiden Geschlechtern gesteigert, ebenso die Fruchtbarkeit der Weiber. Bezüglich der Frage, ob das Merkmal der Kurzfingerigkeit sich den Mendel'schen Ver- erbungsregeln fügt, kommt Dr. Emile Guyenot (Le mendelisme et l'heredite chez l'homme, Bio- logica, 4. Jahrg., 1914, Nr. 37) im Anschluß an Rabaud zum Resultat, daß dies nicht der Fall ist. Zu einem anderen PIrgebnis gelangte H. Drink ■ water (Account of a family showing Minor- Brachydactyly. Journal of Genetics. February 19 12, Vol. 2, Nr. i). Während die gewöhnliche Brachy- dactylie in der Verschmelzung der kurzen zweiten und der dritten Phalange besieht, versteht er unter Minorbrachydactylie jene P'orm der Miß- bildung, bei der die Glieder selbständig bleiben, aber sehr verkürzt sind (Fig. a). Finger und Hände Kurzfingerigkeit des 2., 3. und 5. Fingers. Hände von der Palmarfläclie. Nach Rabaud (L'anthropologie 1911). sind kürzer und plumper (Fig.). Die Ursachen für diese Form der Brachydactylie können dreierlei Art sein : kürzerer Körper der Mittelphalange, Fehlen der basalen Epiphysen und vorzeitige Ver- kiiöcherung des Epiphysenknorpels. Im extrem- sten P'all sind alle 4 Finger (außer dem Daumen) betroffen. In einem anderen Fall war nur der Zeigefinger und der kleine Finger verkürzt. Bei jedem abnormen Individuum der betreffenden Fa- milie war die Anomalie an den Händen und an den Füßen symmetrisch. Die Mißbildung zeigte bei 5 Generationen einer P'amilie folgendes Bild. Wenn sie übertragen wurde, betraf sie stets beide Hände und beide Füße. Sie wurde nur von ab- normen Eltern vererbt, während die Kinder der normalen alle normal waren. Kathariner. Bücherbesprechungen. Jean Perrin , Die Atome, mit Autorisation des Verfassers deutsch herausgecreben von A. T 0 ö Lottermoser. 196 S. mit 13 Abbildungen im Text. Verlag von Theodor Steinkopff, Dres- den und Leipzig 1914. — Geh. Mk. 5, — , geb. Mk. 6,—. „Die Atomtlieorie hat triumphiert. Ihre un- längst noch zahlreichen Widersacher verzichten, da sie endlich überzeugt sind, einer nach dem andern auf die Einwürfe, welche lange Zeit be- rechtigt und ohne Zweifel nützlich waren. Nun kann der Konflikt der Meinungen, die teils aus Klugheitsgründen, teils in kühnem Vorwärtsstreben geäußert werden, an anderen Gegenständen ent- brennen. Das Gleichgewicht zwischen ihnen ist notwendig für den langsamen Fortschritt der Wissen- schaft." Diese stolzen und doch bescheidenen Worte N. F. XIII. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 345 finden sich am Schluß des Buches von Per r in. Kein anderer konnte sie mit größerer Berechtigung schreiben als der Verfasser, dessen Untersuchungen der alten Hypothese von der atomistischen Struktur der Materie zum endgültigen Siege verholfen haben. Das erste Kapitel zeigt, was die Dalton'sche Atomtheorie und die Regel von Avogadro für die Entwicklung der Chemie geleistet haben. Sie sind die Grundpfeiler der chemischen Systematik, der Yalenztheorie und der Strukturchemie; ohne sie wäre der beispiellose Aufschwung der Chemie im 19. Jahrhundert undenkbar. Angesichts dieser geschichtlichen Tatsachen ist es dem Chemiker immer schwer geworden, an die dereinstige Ent- behrlichkeit der Atomtheorie zu glauben, die Wil- lielm Ostwald noch im Jahre 1906 in einem seiner schönsten Bücher, den Leitlinien der Chemie, voraussagte. ') — Am Schluß des ersten Kapitels behandelt Perrin die Übertragung der Gasgesetze und der A vo gad ro ' sehen Regel auf verdünnte Lösungen, ferner das Faraday'sche Gesetz und die Theorie der elektrolytischen Dissoziation. Die Grundlagen für die später durchgeführte Berech- nung der ,, Elementarladung" einwertiger Ionen sind damit gegeben. Die Molekularbewegung ist der Gegen- stand des 2. Kapitels. Durch die von Clausius und Krönig aufgestellte, von Maxwell, Boltz- mann, van der Wa als u. a. ausgebaute kine- tische Gastheorie findet eine Reihe bekannter physikalischer Gesetze eine einheitliche Erklärung; neue Gesetze werden abgeleitet und durch das Experiment in überraschender Weise bestätigt. Mit ihrer Hilfe gelingt die erste annähernde „Aus- wertung molekularer Größen". Nun folgen in Kapitel III und IV die Unter- suchungen, an denen der Verf. den Hauptanteil hat, und die zu einem direkten experimentellen Beweis für die reale Existenz der Moleküle geführt haben. Sie nehmen ihren Ausgang von der zuerst von Brown beobachteten und nach ihm benann- ten Bewegungmikroskopisch kleiner, in Flüssigkeiten (oder Gasen) suspendierter Teilchen. Die Brown- sche Bewegung wird verursacht durch die unauf- hörlichen, unregelmäßigen Stöße von Seiten der bewegten i\IoIeküle des umgebenden Mediums. Diese selbst sehen wir zwar nicht, wohl aber die von ihnen hin- und hergestoßenen suspendierten Teilchen. Ebenso bleiben, um ein anschauliches Bild zu brauchen, dem entfernten Beobachter die Meereswellen unsichtbar, aber er erkennt ihre Wirkung, wenn in Sehweite ein Boot auf den Wellen schaukelt (Perrin). Durch genial ausge- dachte und experimentell bewundernswert durch- geführte Versuche wies Perrin nach, daß die Gasgesetze auf verdünnte Emulsionen anwendbar sind, daß sich die suspendierten Teile der Emulsion in einer P'lüssigkeitssäule in derselben Weise ordnen wie die Gasmoleküle in einer senkrechten Gas- ') In 2. Auflage unter dem Titel ,, Werdegang einer Wissenschaft" erschienen. säule, und daß es so gelingt, die A vogadro'sche Zahl (Zahl der Einzelmoleküle im Grammolekül) direkt durch Zählung der suspendierten Teilchen unter den Mikroskop zu ermitteln. Die gefundene Zahl ist der aus der kinetischen Gastheorie abge- leiteten fast gleich aber ungleich genauer, weil ,,sie nicht wie diese aus vereinfachenden Hypothesen hervorgeht, sondern durchaus nur von der Ge- nauigkeit der Versuche abhängt". Als wahr- scheinlichsten Wert gibt Perrin N = 68,2 >< 10-'-. Der Mechanismus der Brown' sehen Bewegung ist von Einstein analysiert worden. Die experimen- tellen Beweise von Perrin und Svedberg bringen der Theorie von Einst ein eine glänzende Bestätigung und öffnen zugleich neue Wege zur firmiitlung von ,,N". Auch die von Kamerlingh Onnes und Kee- som ausgeführte Prüfung der Theorie von Smolu- chowsky für die „kritische Opaleszenz" und die zuerst von Lord Rayleigh gegebene Erklärung für die blaue Farbe des Himmels führen zu dem gleichen Ziele. Dasselbe gilt von den Gesetzen der Strahlung des schwarzen Körpers (Quantentheorie von Planck) und von der Bestimmung des elek- trischen Elementarquantums durch T o w n s e n d , Wilson, J. J. Thomson und M i 1 1 i k a n (Kapitel VI und VII). Den Schluß der Beweiskette bildet ein Abschnitt über die radioaktiven Elemente, den Atomzerfall und die Atomzählung, wie sie zuerst von Regener und von Rutherford und Geiger durchgeführt wurde. Alle diese von- einander unabhängigen und sehr verschiedenartigen Wege führen immer wieder zu dem gleichen Werte für die A v o g a d r o'sche Zahl. Die F'üUe der Beweise ist fast erdrückend. ,,Die Atomtheorie hat triumphiert 1" ,,Aber in dem Triumphe selbst sehen wir das, was die ursprüngliche Theorie an Starrem und Endgültigem hatte, verschwinden. Die Atome sind nicht jene ewigen und unteilbaren Elemente, deren unabänderliche Einfachheit allen Möglich- keiten ein Ziel setzte, wir fangen an, ein unend- liches Gewimmel neuer Welten zu ahnen . . . Jedes neue Mittel der Erkenntnis zeigt uns die Natur mannigfaltiger, fruchtbarer, überraschender, schöner und reicher in ihrer unergründlichen Unermeß- lichkeit." Das Buch ist von A. L o 1 1 e r m o s e r sehr gut übersetzt. M Für flüchtige Lektüre ist es nicht geschrieben. Der Gegenstand fordert vom Leser angespannte Aufmerksamkeit, aber die aufgewen- dete Mühe wird belohnt durch eine reiche Fülle des Interessanten und Anregenden, von dem in diesen Zeilen nur eine Andeutung gegeben werden konnte. A. Sieverts, Leipzig. H. Gro^mann, Die B e s t i m m u n g s m e t h o d e n des Nickels und Kobalts und ihre Trennung von anderen Elementen. 140 S. Verlag von Ferdinand Enke. Stuttgart 191 3. — Preis geh. 5 Mk. ') Bei einer Neuauflage wären die Formeln auf S. 142/143 zu revidieren. 346 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 22 Die vorliegende Monographie erscheint als XVI. Band der von Margosches herausgege- benen Sammlung „Die chemische Analyse". Die Bestimmung von Nickel und Kobalt wird zuerst besprochen, sodann ihre Trennung von anderen Metallen, und endlich die Scheidung der beiden Elemente voneinander. Sie gehörte früher für den Chemiebeflissenen 7ai den gefürchteten Aufgaben der analytischen Chemie. Durch die Methoden von Großmann (des Vcrf) und von Tschu- g a e f f- B r u n c k ist aber die Kobalt-Nickeltrennung seit einigen Jahren zu einem einfachen und schnell ausführbaren Verfahren geworden. Der Inhalt des Heftes ist sehr reichhaltig; behandelt werden qualitative und quantitative Methoden, unter diesen gewichtsanalytische, maß- analytische, elektroanalytisclie, kolorimetrische, spektrometrische und gasvolumetrische Verfaliren. Ein Abschnitt über die ,, Untersuchung technisch wichtiger nickel- und kobalthaltiger Materialien" beschließt das Buch, das allen empfohlen sei, die sich über das behandelte Spezialgebiet näher unter- richten wollen oder müssen. A. Sieverts- Leipzig. A. Berg, Geographisches Wanderbuch. (Prof. Dr. Bastian Schmid's Naturwissensch. Schülerbibliothek Bd. 23). Verlag B. G. Teub- ner, Leipzig 19 14. — Preis geb. 4 Mk. Der mit zahlreichen Abbildungen geschmückte Band ist eine vorzügliche Anleitung für Schüler, Wandervögel und Pfadfinder zu geographischer Beobachtung. .\usführ]ich wird in die Kartenkunde elngefüiirt, in das Messen im Gelände mit ein- fachen selbst herzustellenden Hilfsmitteln, in Ge- ländeaufnahmen und in das Kartenlesen, wobei dem Meßtischblatt der Vorzug vor der General- stabskarte gegeben wird. .Auf die amtlichen Kartenwerke wird mit nützlichen Angaben hin- gewiesen, die Anfertigung von Reliefs eingehend dargestellt. .■\uchdieMittelzurVerständigung(Helio- graph, Telegraphie) werden in ihrer Herstellung und Wirkungsweise erklärt, wobei leider bei der Angabe des Morsealphabets ein kleiner Irrtum untergelaufen ist, indem vor dem Zeichen für o die Zahl 10 steht; aucli in dem Beispiel auf S. 188 haben sich einige Zeichenfehler eingeschlichen. Kürzer, doch ausreichend im Rahmen dieses Ban- des, wird auf Wind und Wetter, Bach und Fluß eingegangen. Die folgenden Abschnitte behandeln Fragen der Pflanzen- und Tiergeograj:)hie, sowie den Menschen und seine Werke, vor allem Eisen- bahn und Schiffahrt. Der Ilauptwert ist auch hier auf die Beobachtung der Erscheinungen selbst gelegt, die sich dem Schüler und jungen Geogra- phen darbieten. Im ganzen Buche wird von den Formeln der einfachen Trigonometrie wiederholt Gebrauch gemacht und ihre praktische Anwen- dung gelehrt. Auch der Lehrer der Geographie und Mathematik wird das Buch mit Nutzen ver- wenden können. Dr. G. Hornio-. S. Becher und R. Demoll, Einführung in diemikroskopischeTechnik für Na t u r - Wissenschaftler und Mediziner. 183 S. Verlag v. Quelle und Meyer in Leipzig 191 3. — Preis geh. 2,50 Mk., geb. 3 Mk. Das Buch gibt in kurzer und sehr klarer Form Anleitungen zur Herstellung mikroskopischer Präparate. Die Methoden der Bakteriologie und parasitischen Protozoologie, für welche es bereits genug Leitfäden gibt, sind nicht berücksichtigt. In der Einleitung, die über die allgemeine Metho- dikmikroskopischer LIntersuchungen handelt, finden sich manche gute Ratschläge für Anfänger in selbständiger Forschung. Auf die mikroskopische Beobachtung des lebenden Objektes wird mit Recht großer Wert gelegt, ebenso auf das Zeichnen des Gesehenen. Dabei wird vor zu großer Über- schätzung der Mikrophotographie gewarnt. Es folgen dann Anweisungen über die spe- ziellen Methoden der mikroskopischen Technik. Die Autoren stellen dabei die bewährten und zuver- lässigen in den Vordergrund. Was das Buch be- sonders auszeichnet, ist, daß es nicht eine ein- fache Aufzählung gibt, sondern daß überall in außerordentlicli klarer Weise allgemeine Gesichts- punkte hervorgehoben werden. Überall merkt der Leser, daß die Ausführungen auf eigener Er- fahrung der Autoren basieren. Das vortreffliche Buch eignet sich nicht allein für den Anfänger, sondern auch für den Fortge- schrittenen. Auch solchen, die nicht Berufsmikro- skopiker sind, sondern mehr zu dem weiteren Kreise der Freunde mikroskopischer Forschung gehören, ist es sehr zu empfehlen. Der Preis ist für das, was geboten wird, sehr gering. V. Berenberg-Goßler, Freiburg i. B. Friedrich Bergius, Die Anwendung hoher Drucke bei chemischen Vorgängen und eine Nachbildung des Ent- stehungsprozesses der Steinkohle. Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. Druck u. Verlag v. Wilhelm Knapp, Halle (Saale) 191 3. — Preis 2,80 Mk. Bergius gibt eine systematische Betrachtung über die Rolle des Druckes bei chemischen Re- aktionen und schildert dann die Versuchsanordnung für das Arbeiten mit hohem Druck. Den Haupt- teil der Schrift bilden Spezialitäten wie die Disso- ziation und Bildung von Kalziumsuperoxyd, Re- aktionen des überhitzten Wassers und endlich die Nachbildung des natürlichen Steinkoiilenbildungs- vorganges im Laboratorium. Von alledem werden sich weitere Kreise namentlich für den zuletzt ge- nannten Gegenstand interessieren. Der Versuch, künstliche Kohle herzustellen, ist nicht neu. Schien es doch außerordentlich einfach, die Bedingungen, unter denen totes Pflanzenmaterial mit der Zeit zu Kohle wird, im Laboratorium nachzuahmen. Man dachte sich, daß Hitze und Druck die maßgebenden Faktoren seien, und daß es deshalb gelingen müßte, durch N. F. XIII. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 347 Variation eines oder beider Faktoren, den Prozeß der Kohlewerdung zu beschleunigen. Warum sollte sich nicht ein Vorgang, der sonst Zeiten dauerte, denen die ganze menschliche Geschiciite nicht zum Maßstab dienen kann, z. B. durch eine höhere Temperatur in nur wenigen Stunden ab- spielen können r Diese und ähnliche Fragen ver- anlaßten 1841 auch Alexander Petzoldt zu dem folgenden Experiment: Er konstruierte fest verschließbare Büchsen, in die frisches Holz ge- füllt wurde, und setzte sie dem Feuer aus. Bei ( )ft'nung der Büchsen fand sich darin eine wie Steinkohle aussehende Masse. Bergius bemerkt mit Recht, daß das Pro- dukt Petzoldt 's keine Kohle gewesen sei. Bei der großen Hitze wird sich das Holz, wie dies bei der Destillation geschieht, unbedingt in Holz- kohle und Teer zersetzt haben. Was Petzoldt darstellte, war also nichts als ein Gemisch dieser beiden Bestandteile. Lenken wir deshalb unsere Aufmerksamkeit auf eine andere Mitteilung P e t z o 1 d t ' s. Einst sollten mit einer Dampframme Holz- pfähle in den Untergrund geti ieben werden und sie schienen auch den Stößen zu weichen. Es er- gab sich jedoch, daß sie auf hartes Gestein ge- raten waren und sich nur oberhalb des Eisen- schuhes, der ihre Spitze umgab, gestaucht hatten. Als nun das Innere der Pfähle an den gestauchten Stellen untersucht wurde, da fand sich, daß im Zentrum ein wie Anthrazit aussehendes Ma- terial entstanden war, weiter außen ein mehr brau nko hl i ges und schließlich zu äußerst nur ein angebräuntes bis gelbliches Holz. Sicherlich ist unter diesen Produkten zum mindesten eines ge- wesen , das gewissen Kohlen sehr nahe stand, und man muß nur bedauern, daß Petzoldt seiner Beschreibung dieser Produkte nur ganz mangelhafte chemische Daten beigegeben hat. Jedenfalls zeigt diese Beobachtung Petzoldt 's, daß es keineswegs fern liegt, den Prozeß der Kohlebildung im Laboratorium nachahmen zu wollen. Bildet sich doch auch zuweilen in den Stempeln der Bergwerke, die einem besonders starken Druck ausgesetzt waren, ein kohleartiges Material. Das Verdienst von B er gi u s ist es nun, einmal unter genau bekannten Bedingungen künstliche Kohle hergestellt zu haben. So ist der Prozeß der Kohlewerdung definitiv in ein klares Licht ge- rückt worden. Endgültig wird man jetzt aufhören, fabelhaften Druck und kolossale Hitze für unbe- dingt notwendige Faktoren zu halten; man wird in Geologenkreisen nun einen großen Schritt dem Gedanken näher kommen, daß schon bei normalem 1 )ruck und bei normaler Temperatur Kohle werden kann, wenn nur das Pflanzenmaterial hinreichend vom Sauerstoff der Luft abgeschlossen ist, um nicht zu verwesen, d. h. ,, spurlos zu ver- schwinden". Da die Zellulose keine stabile Verbindung ist, fällt sie dem Selbstzersetzungsprozeß anheim. Sie wird also freiwillig zur Kohle. Große Hitze und großer Druck wirken nur reaktionsbeschleunigend, sind aber nicht einmal nötig, um den Prozeß einzuleiten, was ja die Torfbildung deutlich zeigt. Als maßgebender Faktor ist also einzig und allein die Tendenz aller toten Zel- lulose zu betrachten, von selbst zu zer- fallen. Bergius setzte das pflanzliche Material Tem- peraturen aus, von denen er annehmen durfte, daß sie noch keinen Destiüationsprozeß bedingen, sondern nur den selbständigen Zellulosezerfall beschleunigen würden. Er erhielt poröse Mate- rialien, deren Zusammensetzung der der Fett- kohlen glich. Um den so gewonnenen Produkten den bekannten Glanz zu verleihen, setzte er sie hohen Drucken aus. Es ergab sich dabei, daß auch der Druck den Zellulosezerfall beschleunigt. Robert Potonie. O. Dittrich, Die Probleme der Sprach- psychologie und ihre gegenwärtigen Lösungs- möglichkeiten. 148 S. Leipzig 1913. — Geh. Mk. 3,20, geb. Mk. 3,80. F"ußend auf P. Kretschmer, W. v. Hum- boldt, Steinthal, H. Paul, J. Geyser, E. Husserl, A. Marty, H. Gompetz, E. Martinak, F. Saran, Brugmann u.a., die er aber auch manch- mal befehdet, gelingt es dem Verf. der schon durch seine„Grundzüge der Sprachpsychologie" u.a. bekannt ist, seine Selbständigkeit im Denken und Forschen auch gegen einen Wundt mit Erfolg zu behaupten. Für dessen von Paul abgelehnten Ausdruck „Völkerpsychologie" setzt er „Gemein- psychologie, der die nur aus der Sondergemein- schaft von Individuen erwachsenden psychischen Tatsachen zur Erforschung zufallen", und ordnet ihr die Sprachpsychologie unter, ohne die Mög- lichkeit zu bestreiten, daß alles das, wodurch die Wirkung eines Individuums auf das andere ermög- licht wird, nicht psychisch sei. P'erner ist ihm ,,Zweiheit von Individuen zur Entstehung von Sprache eine unerläßliche Bedingimg, Vielheit da- gegen nicht", und so definiert er: ,, Sprache ist die Gesamtheit aller jemals aktuell gewordenen bzw. aktuell werden könnenden Ausdruckslcistungen der menschlichen bzw. tierischen Individuen, insofern sie von mindestens einem anderen Individuum zu verstehen gesucht werden können." Diese Ein- schränkung ist aber eine klare Lossage von Wundt (vgl. von mir Sprachentwicklung der Kinder und der Menschheit, Langensalza 1899, S. 26 — 28 und R e i n ' s Enzyklopäd. Handb. d. Päd., 2. Aufl., S. 768 bis 771). Nach der aligemeinen Einführung und Gliederung der Probleme behandelt D. die p h y 1 o n - togenetischen, besonders das der Bedeu- tung, dann die ontoge netischen (Syntax und Wortbildung), endlich die phylogenetischen. Hierbei gilt ihm als wichtigste l<"rage, wie der Sprachusus entstehe, wobei es ihm aber entgeht, daß ihre Beantwortung wenigstens ver^ucht worden ist: Der durch die hilflose Lage des Kindes ge- 348 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 22 gebene lange Verkehrszwang zwischen der Mutter und diesem führte zunächst einen Ausgleich zwi- schen den Lautäußerungen beider herbei, Nach- ahmungstrieb, Respekt vor dem redegewaltigen Führer und gemeinsame Tätigkeit, dann später innerhalb der Horde (vgl. von mir „die mutm. SprachederFiszeitmenschen", Halle 19 13,5.47 — 97). Manche formelle Neuerung Dittrich's muß die Sprachforschung ablehnen, so den Ersatz der ihr gebräuchlichen Bezeichnungen ,, Satzwort" oder „Einwortsatz" (Stern) durch Häufungssatz, welches Wort eher das besagen könnte, was sie mit mehr- fachem oder zusammengesetztem Satz bezeichnet, also gerade das Umgekehrte von dem, was D. meint, nämlich e i n Wort (Lautung), auf das Sub- jekt und Prädikat gehäuft sind. Die Einführung der Begriffe Generalsubjekt, Generalprädikat usw. als Oberbegriffe von Satzaussage, Satzgegenstand usw. mag vielleicht auch für die Sprachforschung fruchtbar werden können. Doch übergeht D., daß diese in den Begriffen „logisches Subjekt, logisches Prädikat" und in der Unterscheidung zwischen ,, Inhalt- und P'ormwort" schon etwas sehr Brauchbares hat. Ja, gerade seine Beweisführung läßt mir diese Be- griffe brauchbarer erscheinen als seine General- subjekte usw. Denn mit Hilfe dieser kommt er zu der Behaujitung: „Wo sind die Gefangenen?" wäre ein wortloser Satz. „Wo", „sind" und ,,die" sind ja allerdings nur P'ormwörter und „Gefange- ner" bezeichnet die Person nicht eindeutig, wohl aber den Zustand, in dem sich diese befindet, und ist daher ein relativ selbständiges subjekt- oder prädikatseitig-integrales Satzbedeutungsglied, wie D. ,,Wort" definiert. Gleichwohl verdient diese Schrift eingehende Beachtung aller Sprach- forscher, auch der, die in der Zoologie die wert- vollste Bundesgenossin der Sprachwissenschaft er- kennen (Kosmos 1886, I, S. 98: Über die Ent- wicklung der menschl. und der tier. Sprache. Die mutm. Spr. d. Eiszeitmenschen, S. 3 — 13). Prof. Dr. Carl Franke. G. Kerschensteiner , Wesen und Wert des naturwissenschaftlichen Unterrichts. 141 S. 8". Leipzig und Berlin 1914, Teubner. — Geb. 3,60 Mk. Die sehr lesenswerte kleine Schrift, die in er- weiterter Form den Inhalt eines vom Verfasser auf der Münchner Hauptversammlung des Vereins zur Förderung des mathematischen und natur- wissenschaftlichen Unterrichts gehaltenen Vortrages wiedergibt, geht aus von einer Betrachtung über die Merkmale, nach denen der Erziehungswert eines Lehrfaches abzuschätzen sei, und findet diese in der Nötigung zur sinngemäßen, den gerade vorliegenden Verhältnissen entsprechenden An- wendungen der Begriffe, die uns übermittelt wer- den. Hierzu zu erziehen sei an sich Sprachunter- richt und naturwissenschaftlicher Unterricht in gleichem Maß imstande. Der Verfasser führt dies näher an drei Beispielen aus: der sinngemäßen Übersetzung einer griechischen Strophe aus Pindar, und je einem physikalischen und chemischen Be- obachtungsbeispiel. Der Schüler, der selbständig, ohne besondere Anleitung diese Aufgaben zu lösen hat, vollzieht dabei, wie Kerschensteiner im einzelnen ausführt, ganz analoge Verstandes- operationen. Da auf naturwissenschaftlichem Ge- biet bei solchem Verfahren übereilte I'olgerungen und Trugschlüsse meist schneller und sicherer erkannt werden, so kommt diesem ein gewisser Vorzug zu. Auch sei hier die „eindeutige Zu- ordnung eines Begriffs zu einem Wortsymbol" besonders scharf ausgeprägt. L ; In bezug auf die Ausbildung des Beobachtungs- f Vermögens schreibt Ke rsc h e nst ei n e r, dafi der ganz auf Erfahrung und Beobachtung beruhende naturwissenschaftliche Unterricht diese Fähigkeit naturgemäß besonders gut entwickelte, daß dies aber nicht als ein allgemeiner Erziehungsgewinn zu betrachten sei, da jedes Fach seine eigene Art zu beobachten habe, und daher jedes F"ach auch nur eine spezielle Art der Beobachtung entwickeln könne. Sonst aber sei eine regelmäßige Übung des Beobachtungsvermögens als Gegengewicht gegen die die Lust und Fähigkeit zu eigener Be- obachtung beeinträchtigende vorwiegende Be- schäftigung mit Büchern zu empfehlen. Einen besonderen Wert schreibt dabei Kerschen- steiner dem „aktiven" Beobachten, d. h. dem Experiment zu. Als moralische Erziehungswerte des naturwissenschaftlichen Unterrichts erscheinen dem Verfasser die Einführung in den Geist der Gesetzmäßigkeit alles Weltgeschehens, das Gefühl der Verantwortlichkeit für die Genauigkeit des Feststeilens, die Ehrfurcht vor allem streng wissen- schaftlichen Denken sowie die Erziehung zu Wahr- heitsliebe und Objektivität. Dagegen könne die Naturwissenschaft in die „Welt des Sollens" nicht einführen, wie Verfasser in einem besonderen Ab- schnitt, im Gegensatz zu Unold und Ostwald ausführt. Um nun die angeführten Erziehungswerte im Unterricht auszulösen, bedarf es des natürlichen Interesses eines selbst von P'orschergeist erfüllten Lehrers, endlich aber einer Lehrmethode, die nicht auf möglichst umfangreichen Lehrstoff, auf „Enzy- klopädismus", sondern auf Konzentration und auf möglichst ausgedehnte Selbsttätigkeit der Schüler den Nachdruck legt. Ein enzyklo])ädischer Über- blick, der nachher zu dem Dünkel führe, , .bereits alles zu wissen", bleibe äußerlich, dagegen die gründliche Beschäftigung mit einem kleinen Ge- biet, mit dem Bestreben, „den Geist des For- schens in die Schüler zu tragen" hinterlassen einen ,, unstillbaren Hunger", nun auch andere Teil- gebiete durchzuarbeiten". Den Schluß des Buches bildet der Entwurf eines Lehrplans für ein „natur- wissenschaftliches Gymnasium", in dem die Natur- wissenschaften als wesentliches Fach mit einer größeren Stundenzahl ihre bildenden und erzieh- lichen Eigenschaften entfalten können. Der Verfasser wünscht „mehr kritische, als geneigte Leser"; es sei daher, bei aller Anerken- N. F. Xm. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 349 nung vieler der in der kleinen Schrift geäußerten Gedanken, doch betont, daß der Verfasser in der — an sich wohl berechtigten — Warnung vor enzyklopädischem Vollständigkeitsstreben etwas zu weit geht. Die Schule soll doch nicht n u r for- male Bildung vermitteln, sondern auch ein ge- wisses Maß von dem , was man als ,, positive Kenntnisse" zu bezeichnen pflegt. Wohl kann auch nach des Referenten Ansicht der Unterricht dem Umfang nach auf allen Gebieten einge- schränkt werden , aber ganz darf doch auch das „stoffliche" Interesse nicht hintangesetzt werden. Auch wird Kersch ensteiner den biologischen Fächern nicht ganz gerecht. Schon der Ausdruck „beschreibende Naturwissenschaften" sollte, weil er einen inneren Widerspruch einschließt — eine „Wissenschaft" kann niemals ,, beschreibend" sein, wenn man dies Wort nicht in dem von Kirch- hof gebrauchten, weiteren .Sinn faßt — nie mehr gebraucht werden. Ein Gegensatz aber zwischen Zoologie und Botanik einerseits und Biologie andererseits, wie ihn der Verfasser mehrmals bringt, existiert nicht. Solche Ausstellungen, deren sich noch weitere machen ließen, beeinträchtigen aber den wahren Wert der Schrift nicht, be- sonders ist der Gedanke , eine Schulgattung zu gründen, die wirklich den naturwissenschaftlichen Fächern zur Entfaltung ihrer eigentümlichen Bil- dungselemente volle Gelegenheit gibt, ernstester Erwägung wert. R. v. Hanstein. J L. de Lanessan, Transformisme etCre- ationisme; contribution ä l'histoire du transformisme depuis l'antiquite j usq u 'ä nos j ou rs. Bibliotheque scientifique internationale, Librairie Felix Alcan, Paris 19 14. Das Werk ist in fünf Bücher eingeteilt. Das erste behandelt in neun Kapiteln die Gedanken über „Schöpfung" und „Entwicklung" im Alter- tume, speziell die griechischen Philosophen ; das zweite Buch behandelt in fünf Kapiteln das Mittelalter und die Renaissance. Diese beiden ersten Bücher haben mir ganz besonders gefallen; dem Naturwissenschaftler, der sich nicht speziell mit Philosophie des Altertums und des Mittelalters befassen kann, hat der Autor hiermit einen großen Dienst erwiesen. — Die acht Kapitel des dritten Buches werden ausgefüllt durch die Darstellung der Lehren Buffons über Evolution. Das Buch scheint mir unverhält- nismäßig umfangreich ausgefallen zu sein: hin- sichtlich der Einschätzung Buffons kann man anderer Meinung sein; vide a. e. : Max Rauther, „Über den Begriff der Verwandtschaft", Zool. Jahrb. 191 2, Suppl. XV, 3. Bd. pag. 95. — Im vierten Buche (das in fünf Kapitel zer- fällt) wird die Lehre Lamarck's ausführlicher dar- gestellt : die Bedeutung dieses Gelehrten erscheint mir richtig erkannt. — Trotz der Überschätzung Buffons und trotz der Unterschätzung der histo- rischen Bedeutung Etienne Geoffroy Saint-Hilaires — dem der Autor mit Unrecht nur wenige Seiten widmet — müssen die klaren Darlegungen des dritten und vierten Buches dem Leser empfohlen werden. — Das fünfte Buch (fünf Kapitel) bringt die Darlegung der Leiire und Bedeutung Darwins. Die Ausführungen und Ansichten des französischen Autors werden den deutschen Leser ganz beson- ders interessieren. Zweifellos indes ist die Be- deutung Darwins unterschätzt. — Das Werk, dem ein zweiter Teil folgen soll, verdient unbedingt Beachtung. — Eins freilich ist dem Autor, wie so manchem anderen Autor, nicht zu verzeihen, nämlich, daß er den größten „Naturforscher" nicht kennt, der mit dem Anspruch auftrat, „die menschliche Vernunft in dem, was ihr Wißbegierde jederzeit, bisher aber vergeblich, beschäftigt hat, zur völligen Befriedigung zu bringen" . . . Oristano, Sardinien, März 191 4. Dr. Anton Krauße. über Kleinere Mitteilungen. .postmortale Veränderungen beim Wild bret" referierten auf der Herbstversammlung des Vereins der Tierärzte des Regierungsbezirks Düssel- dorf die Herrn Weis eher und Dr. Möller'). Es wurden im besonderen diejenigen Vorgänge be- handelt, die für Wildfleisch eigentümlich sind und hier häufiger beobachtet werden als bei Schlacht- tierfleisch. Sie interessieren allgemeiner vom wissen- schaftlichen und sanitären Standpunkte aus, vom Standpunkt des Jägers und Jagdliebhabers. Es wurde früher angenommen, daß Wildfleisch für ge- wisse Verderbnisvorgänge von Natur aus empfäng- licher wäre wie das Fleisch der Schlachttiere. Das ist aber nicht der Fall. Im Gegenteil kann be- ') Bericht in der I9M, Nr. 14, S. 247. Berliner Tierärztlichen Wochenschrift hauptet werden, daß Wildfleisch, weil es zäh und derb ist, einen hohen Grad von Widerstands- fähigkeit besitzt. .'\uch scheint nach den Be- obachtungen des einen Referenten das Wildblut mit besonderen bakteriziden Fähigkeiten ausge- stattet zu sein. Aber das Wildbret wird gewohn- heitsgemäß vom Abschuß bis zum Verbrauch unzweckmäßig behandelt. Es unterliegt keiner besonderen Durchkühlung und Kältekonservierung und wird häufig unzweckmäßig verpackt über weite Strecken transportiert. Es ist leider nicht mehr allgemein üblich, erlegte Tiere sofort auf- zubrechen. Dies geschieht häufig viel zu spät und wird bei kleinem Wild meist überhaupt nicht mehr vorgenommen. Durch diese Unsitte verdirbt viel Wildbret. Dr. Möller schlägt nach seinen Er- fahrungen und Untersuchungen eine neue Ein- 350 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 22 teilung der Zersetzungsvorgänge vor. Er erklärt die Begriffe „Verhitztsein" und „saure Gärung" für unbrauchbar und spricht von : I. Reifung (Auto- lyse), 2. stickiger Reifung (stickiger Autolyse) und 3. der Fäulnis. Daneben kommen Bereifen, Ver- schimmeln, Vermaden des Fleisches usw. in Frage. Als .AiUtolyse bezeichnet man die nicht durch Bakterien hervorgerufene Spaltung des toten Ei- weißes , die die sog. Tafelreife des Fleisches herbeiführt. Da Wildbret viel länger aufbewahr- bar ist wie Schlachttierfleisch, ohne daß es in Fäulnis übergeht, läßt sich bei ihm ein hoher Grad der Reifung erzielen, die ihm den pikanten, aromatischen Geschmack verleiht. Die fortge- schrittenen Grade der Autolyse bezeichnet man als „Hautgout". (Fälschlicherweise wird häufig Fleisch, das bereits begonnen hat, in Fäulnis über- zugehen, als mit Hautgout versehen bezeichnet.) Bei der stickigen Autolyse erfolgt die Zer- setzung ebenfalls durch Enzyme, aber rascher und meist unter Bildung unangenehm riechender Stoffe. Sie tritt ein, wenn Wild zwar sachgemäß ausge- weidet, danach aber warm aufbewahrt oder über- einander geschichtet wird. Bei der F"äulnis sind 2 Formen zu unterscheiden: die durch aerobe Bak- terien hervorgerufene, bei der die häulniskeime von außen auf das I'leisch gelangen, und die durch Anäerobin bedingte Leichenfäulnis. Bei letzterer dringen die Bakterien bei zu spät aus- geweideten Tieren durch die Darmwand in das Fleisch. Der Ref spricht dann noch über den geringen Wert der früher allgemein angewendeten chemischen Untersuchungsmethoden, die er durch histologische und biologische bei der Nahrungs- mittelkontrolle ersetzt zu sehen wünscht, an- schließend daran über die Beurteilung des ver- dorbenen Wildfleisches im Sinne der Nahrungs- mittelpolizei. Als Regeln für die Behandlung und Aufbewahrung von Wildbret werden von den Ref. angegeben: Sämtliches Wild muß rechtzeitig ausgeweidet werden. Das Zerlegen des Großwildes muß sofort nach dem Einbringen erfolgen, wenn hohe Außentemperatur herrscht, oder auf andere Weise ein schnelles Abkühlen nicht zu erreichen ist (Aufbrechen und Zerlegen nach den An- weisungen des allgemeinen deutschen Jagdschutz- vereins). Kein Wildslück soll versandt werden, ehe es vollkommen ausgekühlt ist. Beim Trans- port sind die Stücke luftig aufzuhängen. Die Auf- bewahrung soll an einem möglichst kühlen, luftigen t)rte geschehen. So behandeltes und aufbewahrtes Wildfleisch hält sich wochenlang unverdorben und besitzt den echten Wildgeschmack. W. ligner. Ein Mittel gegen die Schlaflosigkeit gibt Dr. E. Ebst ein-Elbing in der Zeitschrift für physika- lische und diätetische Therapie (Bd. 1 8, 3. Heft, 1 9 1 4) an, das sich durch seine vollkommene Unschäd- lichkeit vor den Mitteln chemischer Natur (die zwar meist sicher wirkend und bequem anzuwenden sind, auch jetzt fast frei von Nebenwirkungen her- gestellt werden, aber gerade dadurch eine nicht zu unterschätzende Gefahr in sich bergen) und durch überaus große Einfachheit vor den Methoden auszeichnet, die auf physikalisch-diätetischem Wege die Hebung des Leidens versuchen und im Gegensatz zu den chemischen Mitteln zwar harmlos, aber auch meist in der Anwendung umständlich (z. T. Benötigung einer zweiten Person !) und in ihrer Wirkung nicht immer sicher sind. Auf das Mittel führte den Verfasser ein Zufall, der ihn in einer schlaflosen Nacht nach einer der senkrechten Stangen greifen ließ, die das Kopfende seiner Bettstelle bildeten, worauf nach kurzer Zeit Ermüdung der Arm- und Schultermuskulatur, bald darauf auch ein starkes psychisches Müdigkeitsgefühl und Schlaf eintrat. Die wissenschaftliche Erklärung dieser Wirkung läßt sich nach Dr. E. aus der Berück- sichtigung der Ursachen der Schlaflosigkeit ableiten, die letzten Endes jedenfalls auf — durch organische oder funktionelle Erkrankungen des Herzens und der Gefäße oder psychische Störungen veranlaßte — unregelmäßiger Blutzirkulation im Ge- hirn beruht. Die Sorgen und Gedanken des Tages werden auch in der Nacht weiterges])onnen, die oftmalige Verzögerung im Eintritt des Schlafes veranlaßt bald eine Art Autosuggestion, die durch Anwendung der chemischen Schlafmittel nicht be- seitigt, sondern noch verstärkt wird. Durch die Lageänderung der Arme, die so schnell den Schlaf herbeizuführen imstande ist, wird nach Dr. E. der Blut- abfluß aus dem Schädelinnern, der bei aufrechter Hal- tung durch die fast senkrechte Richtung der Kopf- venen gegeben, aber in horizontaler Lage durch den geringen Höhenunterschied zwischen Kopf und Herz fast vollkommen aufgehoben ist, sehr gefördert, denn da Arm- und Kojifvenen dann dieselbe Rich- tung haben und beide Blutströme in der Vena anonyma zusammentreffen, so wirkt der stärkere Armstrom, der durch die erhobene Haltung der Arme beiderseits ein sehr starkes Gefäll erhält, durch Aspiration verstärkend auf den schwächeren Kopfstrom. Nicht nur bei Hyperämie, auch bei Anämie im Gehirn übt diese Haltung eine wohltätige Wirkung aus. Ihre Folgen rufen allerlei Störungen im Stoftwechsel hervor, dessen normales Vorsichgehen ja nicht allein von der absoluten Menge des Blutes, sondern auch von der Schnellig- keit und Regelmäßigkeit der Zirkulation abhängt. Einem schwachen Herzen wird nun aber der Nach- schub neuen Blutes durch eine energische Ent- leerung des Blutes aus dem Gehirn viel leichter gemacht. Abgesehen von der Regelung der Blut- zirkulation ist die ungewohnte Haltung und das Bestreben sie beizubehalten, insofern von Vorteil, als sie die Gedanken in eine bestimmte Richtung zwingt und — ein nicht zu unterschätzendes Moment — die Ermüdung bestimmter Muskel- gruppen veranlaßt, die aber anfangs nicht durch ') Für Patienten, denen ein Bett mit eisernen Stäben oder Holzknäufen, die man durch ein Tuch verbinden und so eine Art Handgriff schaffen kann, nicht zur Verfügung steht, hat Dr. Ebstein einen kleinen einfachen Apparat konstruiert, den er ,,Hypnophor" nennt. N. F. XIII. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 351 ein Herunternehmen der Arme aufgehoben werden soll — am besten schläft man in der Stellung ein und ändert sie erst bei dem evt. wieder folgenden Erwachen in die gewöhnliche Schlafstellung um. R. Aichberger-München. Nachrichten aus der wissenschaftlichen Welt. Der Preis der Otto Vahlbruch-Stiftung , der alle 2 Jahre im Betrage von 12000 Mk. dem Verfasser derjenigen in deut- scher Sprache geschriebenen und verölTentlichten Arbeit ver- liehen wird, die in diesem Zeitraum den größten Fortschritt in den Naturwissenschaften gebracht hat, ist in diesem Jahre von der als Jury fungierenden philosophischen Fakultät der Universität Göttingen zwei Autoren zuerkannt worden, und zwar je zur Hälfte dem Herrn Dr. Job. Stark, Professor an der Technischen Hochschule Aachen, für die Entdeckung der Zerlegung der Spektrallinien im elektrischen Felde, und dem Herrn Dr. M. v. Laue, Professor an der Universität Zürich, für die Entdeckung der Beugung der Röntgenstrahlen durch die Raumgitter der Kristalle. K. S. 86. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte^ Hannover, 20. bis 26. September 1914. Das Programm ist in seinen Grundzügen festgelegt. Aus der großen Zahl der bisher angemeldeten Vorträge seien be- sonders hervorgehoben; W. HeUpach (Karlsruhe): Die kosmische Abhängigkeit des Seelenlebens; O. Lämmer (Breslau): Die Verflüssigung des Kohlenstoffes; Br. Tacke (Bremen): Die Entstehung und Kultivierung der Moore; H. Stille (Göttingen): Das tektonische Bild des deutschen Bodens; R. Hennig (Berlin-Friedenau): Über die Aussichten des Panamakanals; E. Abderhalden (Halle a. S.): Über die Abwehrmaßnahmen des Organismus gegen blutfremde Stoffe; E. Gaupp (Tübingen): Probleme der Degeneration; A. N o c h t (Hamburg) : Tropenmedizinische Fragen von allge- meinerer Bedeutung; H. Wieland (Straßburg); Über Beri- Beri vom physiologisch-chemischen Standpunkt; W. Uhthoff (Breslau) und L. Bruns (Hannover); Ophthalmologisches zur Hirnchirurgie; O. C. Sprengel (Braunschweig) und L. Aschoff (Freiburg i. Br.) : Über Gallensteinkrankheiten; W. Schütz (Berlin); Die Serodiagnose in der Veterinärmedizin; H. Ziegler (Stuttgart) und H. Dexler (Prag); Probleme der Tierpsychologie; u. a. An Besichtigungen sind vorge- sehen solche größerer industrieller Werke in Hannover, sowie eines Kaliwerkes in der Nähe. Ausflüge sind geplant nach Bad Nenndorf, Elisen, Minden (Besichtigung der Kanalbauten), Bad Rehburg, Pyrmont, Hildesheim, Goslar, Harzburg, Lüne- burg. Am 26. und 27. September soll bei genügender Be- teiligung ein Ausflug nach Helgoland staltfinden (Preis für die ganze Fahrt Hannover-Helgoland (über Bremen-Bremerhaven- Hannover mit Eisenbahnfahrkarte 111. Kl. etwa IG Mk., 11. Kl. entsprechend teurer; rechtzeitige Anmeldung dringend er- wünscht). Teilnehmer an der Versammlung kann jeder werden, der sich für Naturwissenschaften oder Medizin interessiert. Die Teilnehmerkarte kostet 20 Mk. Ein ausführliches Programm wird Ende Juli versandt werden. Nähere Auskunft erteilt gern das Büro der Geschäftsführung, Bahnhofstr. 6/7 1. „Bringt materielles und soziales Aufsteigen den Familien Gefahren in rassenhygienischer Beziehung?", so lautet das Thema eines Preisausschreibens, welches die Berliner Gesell- schaft für Rassenhygiene unter Verdoppelung der vorher aus- gesetzten Preise wiederholt erläßt. Zur abermaligen Aus- schreibung dieses Themas sah sich die Berliner Gesellschaft für Kassenhygiene deshalb veranlaßt, weil dem Einsender der wertvollsten Arbeit der Preis aus formalen Gründen nicht zu- gesprochen werden konnte, und weil die übrigen Einsendungen den gestellten Anforderungen nicht entsprachen. Für die besten Arbeiten sind nunmehr 2 Preise von je Soo und 400 Mk. bestimmt. Die Einsendung der Arbeiten hat bis 31. Dezember 191 5 zu erfolgen. Alle Einsendungen sind an die Berliner Gesellschaft für Rassenhygiene, z. H. des Schriftführers Dr. G. Heinemann, Charlottenburg, Cauerstr. 35, zu richten, die auch über die Bedingungen des Preisausschreibens Auskunft gibt und Drucksachen über die Ziele der Berliner Gesellschaft für Rassenhygiene versendet. Ferienkurse in Jena finden vom 5. — 18. August auf folgenden Gebieten statt: Naturwissenschaften; Pädagogik; Theologie; Psychologie und Philosophie; Geschichte, Literatur, Nationalökonomie ; Sprachen, Vortragskunst, Modellieren und Zeichnen; Staatsbürgerkunde. Anmeldungen und Auskunft beim Sekretariat (Frl. Clara Blomeyer, Jena, Gartenstr. 4). Kurse für Meeresforschung an der Zoologischen Station Rovigno (Adria). Das Institut für Meereskunde veranstaltet in der Zeit vom 9. — 22. August 19 14 einen Kurs für Meeres- forschung an der Zoologischen Station in Rovigno. Dieser Kurs bezweckt die Einführung in die Beobachtungs- und Ar- beitsmethoden der Hydrographie und Hydrobiologie. Er wird Demonstrationen und Übungen im Laboratorium und Arbeiten in der Natur umfassen. Letztere zerfallen in Küstenstudien und Ausfahrten auf das Meer. Der Kurs gliedert sich in eine hydrographische Abteilung, die der Abteilungsvorsteher am Institut für Meereskunde und a. o. Professor an der Universität Berlin, Dr. Alfred Merz, leiten wird, und in eine hydrobiologische Abteilung unter der Leitung des Kustos am Institut für Meereskunde und Direktors der Zoologischen Station in Rovigno, Dr. Thilo K ru mbac h. Gesuche um Zulassung zum Kurse sind bis zum 20. Juli d.Js. an die Direktion des Instituts für Meereskunde zu richten. Die Anmeldung soll die Angabe enthalten, ob die Teilnahme an beiden Abteilungen oder nur an einer derselben erwünscht ist. Der Kurs ist unentgeltlich, doch sind für den Verbrauch an Chemikalien usw. 20 Mark zu entrichten. Dieser Betrag ist bis zum 1. August d. Js. beim Institut für Meereskunde einzuzahlen. Nähere Mitteilungen über Wohnungsverhältnisse und Ver- pflegung erteilt auf Wunsch das Ilntel in Rovigno, das für 6 Kronen (= 5 Mark) den Tag volle Pension geben wird. Pe nck Direktor des Instituts für Meereskunde. V. Reinach-Preis für Paläontologie. Ein Preis von 500 Mk. soll der besten Arbeit zuerkannt werden, die einen Teil der Paläontologie des Gebietes zwischen Aschaffenburg, Heppen- heim, Alzey, Kreuznach, Koblenz, Ems, Gießen und Büdingen behandelt; nur wenn es der Zusammenhang erfordert, dürfen andere Landesteile in die Arbeit einbezogen werden. Die Arbeiten, deren Ergebnisse noch nicht anderweitig veröffentlicht sein dürfen, sind bis zum I. Oktober 1915 in versiegeltem Umschlage, mit Motto versehen, an die unter- zeichnete Stelle einzureichen. Der Name des Verfassers ist in einem mit gleichem Motto versehenen zweiten Umschlage bei- zufügen. Die Senckenbergisclie Naturforschende Gesellschaft hat die Berechtigung, diejenige Arbeit, der der Preis zuerkannt wird, ohne weiteres Entgelt in ihren Schriften zu veröfi'ent- lichen, kann aber auch dem Autor das freie Verfügungsrecht überlassen. Nicht preisgekrönte Arbeiten werden den Ver- fassern zurückgesandt. Über die Zuerteilung des Preises entscheidet bis spätestens Ende Februar 1916 die unterzeichnete Direktion auf Vorschlag einer von ihr noch zu ernennenden Prüfungskommission. Die Direktion der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft. Wetter-Monatsübersicht. Der diesjährige April wies zwar in seinen Witterungs- verhältnissen nicht unbedeutende Schwankungen auf, jedoch herrschte heiteres, mildes Wetter in ganz Deutschland bei weitem vor. Die Temperaturen waren besonders am Anfang, ferner zwischen dem II. und 14., dann wieder um den 22. und gegen Ende des Monats für die Jahreszeit sehr hoch. An diesen Tagen überschritten sie im Mittel vielfach 15 und in den Nachmittagsstunden 20" C, zwischen dem 21. und 23. sowie am 29. April stieg das Thermometer z. B. in Frankfurt a. M., Kleve, Münster, Magdeburg, Bromberg und Lauenburg i. P. bis auf 25 oder 26° C. Allerdings 352 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 22 kamen, namentlich um den S., 15. und 26., auch beträchtlich kühlere Zeiten vor, die aber viel weniger als die warmen von den normalen Verhältnissen abwichen. Nachtfröste waren nicht mehr gar zu häufig und traten fast überall nur gelinde auf. SlZitmr« JUmBeraTurcn einiaer ©rfe im «yippiriSlil. I.Apfil I I I I I I BerlincrWetfertureaM. Die mittleren Temperaturen des Monats waren in den meisten Gegenden um 2 bis 3 Grad zu hoch. Am geringsten war der Überschuß im äußersten Nordosten und Süden, wo er nur etwa einen Grad betrug, während er im Nordsee- gebiete bis auf fast 4 Grad anwuchs. Ebenso war der Monat in ganz Deutschland durch einen großen Reichtum an Sonnen- schein ausgezeichnet. Beispielsweise sind in Berlin insgesamt 208 Sonnenscheinstunden vorgekommen, während hier im Mittel der früheren .Aprilmonate nur 166 solcher Stunden verzeichnet worden sind. Namentlich zwischen dem 17. und 22. war der Himmel im größten Teile des Landes nahezu wolkenlos. Nur in den ersten 1 1 Tagen des Monats war das Wetter überwiegend trübe und sehr regnerisch. Zwischen dem 2. und 6. gingen in den meisten Gegenden länger anhaltende, heftige Regengüsse hernieder, während später kurze, aber kräftige Regen- und Ilagelschauer häutiger mit klarem Himmel ab- wechselten. Dabei wuchsen die westlichen Winde zeitweise zu Stürmen an und kamen in Nordwest-, Süd- und Mittel- deutschland auch vielfach Gewitter vor. In München wurden am 5. und S.April Niederschlagshöhen von 23 und 22 mm gemessen. Gerade zum Osterfest stellte sich in ganz Deutschland freundlicheres, im allgemeinen trockenes Wetter ein, das dann bis zum Ende des Monats nur noch kurze Unterbrechungen erfuhr und namentlich anfangs zur Fortführung der Frühjahrs- bestellung und für die Weiterentwicklung der Wintersaaten äußerst willkommen war. In Berlin sind z. B. vom 11. bis 22. nur wenige Regentropfen gefallen , Trockenzeiten von solcher Länge kommen hier durchschnittlich nur in jedem dritten Aprilmonat vor. Die Niederschlagssumme des ganzen Monats war aber doch wegen der Nässe der vorangegangenen en 13 5 " ^ ^ 5 _L ^ifHererWerfföi' X^eutschland. =£-ä E ctO: 10 in >!J2^-ac c S( geol. Soc. of America, vol. 17, 1906, p. i — 28. — — , Notes on fossils frome limestone of Steeprock- Lakc, Ontario, Canada, Department of Mines , Memoir 28, 1912. Bailey Willis, Stratigraphy and Structure, Lewis and Livingston Ranges, Montana. Bull. geol. soc. Am. vol. 13, 1902, p. 305—352. Wim an, Paläontologischc Notizen. I. Ein präkambri- sches Fossil. Bull. geol. Inst. Upsala, II, 1894, S. 109 — 113. Einzelberichte. Botanik. Die Giftwirkung von Metall-Ionen und der Lipoidgehalt der Zellmembran. B. Han- stee n hatte schon vor einigen Jahren die Ergeb- nisse von Versuchen über das Verhalten von Kultur- pflanzen zu den Bodensalzen veröffentlicht. Wie andere Forscher ') konnte er die Giftwirkung der K-, Na- und Mg Ionen auf Wurzeln von Keimpflanzen und die meiir oder weniger weitgehende Aufhebung dieses Einflusses bei Anwesenheit von zwei Kat- ionen-Arten in der Lösung feststellen. Ca-Salze zeigten keine wurzelzerstörenden Eigenschaften, beförderten im Gegenteil die Ausbildung der Wurzeloberfiäclie und hoben die schädliche Wir- kung der andern Salze vollständig auf. In den giftigen Lösungen fallen, wie Hansteen weiter ermittelte, nicht die Wurzelspitzen mit ihren be- sonders großkernigen Zellen, sondern immer die Streckungszonen mit ihren in starkem Flächen- wachstum begriffenen Zellwänden zuerst der Zer- störung anheim. Experimentell und durch direkte mikroskopische Beobachtung wurde festgestellt, daß die Erkrankung nicht in einer Zerstörung der Kernsubstanz ihren Grund hat (wie O. Loew und seine Schüler wollen), sondern in erster Linie auf Oberflächenwirkungen beruht; denn die Zell wände lösen sich unter Schleimbildung allmählich von außen nach innen auf, worauf die Plasmakörper zerplatzen und eine schleimige Masse entsteht. Der Angriff ist immer streng lokalisiert; er trifft nur Wurzelteile, die mit der Lösung in unmittel- barer Berührung stehen. Der in den Wurzeln selbst enthaltene Kalk hat keinen Einfluß auf die Dämpfung der Wirkung. Untersuchungen über die Wasserökonomie von Weizen, Roggen und Hafer bei Zuführung der verschiedenen Salze ergaben, daß die Ca-Ionen die ^) Da in der hier zu besprechenden Abhandlung Han- steen's diese Arbeiten nicht erwähnt werden, so sei für die weniger unterrichteten Leser bemerkt, daß sich seit Loew (1892) eine ganze Reihe von Pflanzenphysiologen mit der Frage der To.\izität und des Antagonismus der Salze beschäftigt hat. Neue wertvolle Versuche sind neuerdings von M. M. McCook im Memoir 2 der Cornell University Agricultural Experiment Station (August 1913) veröffentlicht worden. Einer kleinen Mitteilung von Mlle. C. Robert (Compt. 'rend. de l'Acad. des Sciences 1913, T. 156, p. 915) möge hier gleichfalls gedacht sein. Wasserzufuhr durch die Wurzeln erschweren und gleichzeitig die Transpiration relativ stark befördern, während die K-Ionen die Wasserzufuhr durch die Wurzeln befördern, aber die Transpirationsgröße relativ stark herabsetzen; die Na-Ioneii hemmen im Verhältnis zu den K-Ionen sowohl die Auf- nahme wie die Abgabe des Wassers. Weim da- gegen im Nährmedium K- und Ca-Ionen gemischt vorkommen, so ist sowohl die Transpiration wie auch die Wasseraufnahme stärker als in einer isosmotischen K-Lösung. Die Ergebnisse dieser Versuche stehen im Einklang mit der Erfahrung, daß Pflanzen auf kalkreichem Boden geneigt sind, xerophytische Struktur anzunehmen. Die streng lokalisierte Wirkung der Ionen wurde auch durch Kulturversuche mit blauen Lu- pinen, Pferdebohnen, Kürbis- und Maispflänzchen erwiesen. Interessant ist, daß die Keimwurzeln der Pferdebohne, deren Streckungszone durch den Aufenthalt in Magnesiumnitratlösung so stark be- schädigt worden war, daß die gesund gebliebenen Wurzelspitzen nur durch das zentrale Gewebe wie durch einen feinen Draht mit den oberen Wurzel- teilen in Verbindung standen, nach Einbringung in eine Lösung von Kalknitrat vollständig heilten. Die Versuche mit giftigen Salzlösungen sollten nun auch zu wichtigen Aufschlüssen über die Kon- stitution der Zellmembran führen. Vtrf. beobach- tete nämlich, daß Magnesialösungen, in denen eine Schädigung der Wurzeln eintrat, Trübungen in Gestalt schwebender weißer Wolken zeigten, die, wie die mikroskopische Prüfung lehrte, von äußerst kleinen Stoffpartikelchen herrührten, unter denen sich nicht Gewebs-, Zellwand- oder Plasmafrag- mente befanden. Hansteen fand, daß sie teils Pektinsubstanzen, teils Lipoidstoffe, nämlich Fett- säuren und kleinere Mengen von phytosterinartigen Stoffen enthielten. Die ersteren stammten zweifel- los aus der Membran, die ja allgemein, auch in ganz jungen Organen, Pektinstoffe enthält. Lipoid- stoffe aber, worunter Verf mit Ivar Bangs durch Äther oder ähnliche Lösungsstoffe extrahierbare Zellbestandteile versteht, sind noch nie in den Membranen ganz junger Zellen, sondern nur in kutinisierten und verkorkten Zellwänden nachge- wiesen worden. Um ihr Auftreten in jungen Mem- 358 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 23 branen zu beweisen, darf man die Zellwände nicht mit Hau de Javelle oder Äther, Alkohol und ver- dünnten Alkalien vom Zellinhalte befreien, da dabei auch Lipoide aus der Zellwand entfernt werden. Hansteen verfuhr so, daß er das fein zerquetschte und in Wasser verteilte Material (lebende, beim Stoffaustausch kräftig tätige Parenchymgewebe ver- schiedener Pflanzen und Pflanzenorgane) zentrifu- gierte, die in der Zentrifuge zurückbleibende Masse wieder im Mörser behandelte, mikroskopisch unter- suchte, mit viel Wasser anrührte, wiederum zentri- fugierte und dieses Verfahren so oft wiederholte, bis das abgeschleuderte Wasser klar blieb und die in der Zentrifuge zurückbleibende Masse nur aus ganz reinen Zellwandfragmentcn bestand. So wurden kleine Mengen (bis 87 cg) einer schnee- weißen Masse erhalten, in der stets die Anwesen- heit von Lipoiden festgestellt werden konnte. Die Gesamtmenge der Lipoide betrug gewöhnlich 3,06 bis 5,52, bei der Kartoffelknolle 10.39, bei Pfeide- bohnenwurzeln 13,21 Prozent der trocknen Wand- substanz. Von diesen Mengen waren 2,37 - I7,78'\n verseif bar und nur 0,24 — 1,64"/,, unverseifbar, phyto- sterinartig. Der verseifbare Anteil bestand sowohl aus flüssigen wie aus festen Fettsäuren ; die Schmelz- punkte der letzteren, sowie die Löslichkeitsverhält- nisse ihrer Kali- und Natronseifen ließen darauf schließen, daß sie in der homologen Reihe Glieder bilden, die höher als die Kaprinsäure und niedriger als die Myristinsäure stehen. Wie Hansteen fand, gehen Pektinsubstanz (aus Mohrrüben erhalten) und (käuflich bezogene) Laurinsäure (eine feste Fettsäure, deren Schmelz- punkt den Schmelzpunkten der festen Fettsäuren der Zelhvand am nächsten liegt) eine eigentüm- liche Verbindung ein, die aus kleinen kristallinischen Teilchen mit schwacher, aber deutlicher Doppel- brechung besieht. Beim Zusammendrücken klebten diese Teilchen aneinander und bildeten eine knet- bare Masse, aus der Verfasser Membranen herstellen konnte, die mindestens ebenso kohärent waren wie gewöhnliches Papier von derselben Dicke. Dies Verhalten weist auf die Bedeutung ähnlicher Verbindungen in der Zellwand für deren Kohä- renz hin. Wahrscheinlich bilden die Salze der Fettsäuren mit den Pektinstoffen und auch mit der Zellulose Adsorptionsverbindungen. Die jugend- liche Membran dürfte als ein H)xlrogelkomplex anzusehen sein, dessen feste Phase aus den hydro- philen Kolloiden Zellulose -j- Pektin -\- kolloidalen Seifen zusammengesetzt ist. Auch ohne die letzleren bildet die Zellwand ein Kolloidsystem, das für den Austausch der gelösten Stoffe nicht indifferent ist. Verf. verweist u. a. auf die Untersuchungen von Bau mann und Gully über Humussäure (1910), wonach die Zellhäute der Torfmoose durch ihren kolloidalen Zustand in hervorragendem Maße die Fähigkeit besitzen, Salze zu zerlegen und die Basen zu adsorbieren, eine Beobachtung, die die Ver- mutung nahelegt, die höheren Pflanzen möchten sich die Nährstoffe in ähnlicher Weise aus dem Boden aneignen. Daß die Wandung einer leben- den Pflanzenzelle nicht einfach wie eine Pergament- membran wirkt, zeigen noch folgende Versuche des Verfassers. Er stellte sich eine Zellmembran her, indem er von der ganz reinen (aus dem Blattstielmark der weißen Rübe gewonnenen) Zellwandmasse eine gewisse Menge in Wasser verteilte und die Flüssig- keit unter stetem Umrühren in ein Porzellansieb goß, auf dessen Boden Pließpapier wagerecht aus- gebreitet war. Die erhaltene dünne Schicht von Membransubstanz wurde unter passendem Druck zwischen Fließpapier getrocknet und ließ sich nachher leicht abheben. Sie besaß mindestens so große Kohärenz und Festigkeit wie gewöhnliches Papier von gleicher Dicke (90 — 100 //). i> 3 cm große Stücke solcher Membranen wurden in 0,1 bis 0,2 Mol starke Lösungen von Salzen, Säuren und Alkalien gelegt und auf die Größe ihrer Wasseraufnahme und -Abgabe Innerhalb einer be- stimmten Zeit geprüft. Nebenher gingen ent- sprechende Versuche mit Stücken aus Pergament- papier. In einigen Phallen waren die aus Zellwand- masse hergestellten Membranen durch Extraktion mit heißem salzsaurem Alkohol von ihren Lipoid- stoffen befreit worden. Solche Membranen waren nicht biegsam, sondern sehr spröde und quollen in K-Lösungen abnorm stark auf; das weist nach Hansteen daraufhin, daß der Lipoidgehalt auch für die Festigkeit und Plastizität der jugendlichen Zellwand von Bedeutung sein kann. Die mit den lipoidhaltigen Membranen ausgeführten Versuche ergaben, daß jene immer viel weniger Wasser auf- nahmen, wenn sie von Ca-Ionen, als wenn sie von K- oder Na-Ionen beeinflußt wurden, und daß sie (in trockener Luft) am meisten Wasser ab- gaben, wenn sie vorher mit Ca Ionen in Be- rührung gewesen waren. Die isolierten Zellmem- branen zeigen also in bezug auf Wasseraufnahme und Wasserabgabe unter dem Einflüsse der ge- nannten Ionen ganz dasselbe Verhalten, das nach den früheren Darlegungen bei lebenden ganzen Pflanzen oder Pflanzenteilen zu beobachten ist, so daß sich dieses auf die Eigenschaften der Zellmem- branen zurückführen läßt. Pergamenlmembranen treten nicht oder nicht in so ausgesprochener Weise mit der Umgebung in Reaktion. .Auch wich ihr Verhalten insofern von dem der Zellmembranen ab, als diese gewisse Mengen von Ca und K, die nicht ausgewaschen werden konnten, aus den Lö- sungen aufnahmen, was bei den Pergamentmem- branen nicht der Fall war. Hansteen bemerkt, daß die geschilderten Er- scheinungen ganz den von Jacques Loeb nach- gewiesenen Einflüssen der genannten Ionen aut die Flüssigkeilsresorption in Mu.-keln gleichen, und daß Loeb auf das analoge Verhalten der Kalk-, Kali- und Natron-Seifen gegen Wasser hinweist. Bei den pflanzlichen Membranen müssen auch Pektin- stoffe an den Erscheinungen ursächlich beteiligt sein, da diese auch bei den lipoidfreien Membranen, obschon nicht so ausgeprägt, zum Ausdruck kamen. Künstlich hergestellte Zellulosemembranen, die in N. F. XIII. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 359 verschiedener Weise mit l'el sieht in den sog. Bakterienmutationen „Dauermodifikationen", ein Begriff, zu dessen Auf- stellung ihn eigene Experimente mit Infusorien geführt haben. -) Jollos züchtete Stämme von Paramäcium bei verschiedenen Temperaturen sowie unter Zusatz von arseniger Säure zu dem Kulturwasser. Wurden die Paramäcien einer wilden Kultur entnommen, handelte es sich also um eine Population , so konnten zunächst mehrere Rassen isoliert werden, die höhere Temperaturen sowie die arsenige Säure verschieden gut vertrugen. Während z. B. bei den einen 0,3 " „ der verwandten Lösung ge- rade tödlich war, gingen andere erst bei 1,5 "/„ zugrunde. An den Individuallinien konnte Jollos unter der Einwirkung von arseniger Säure Ver- änderungen verschiedener Art feststellen. Bei einer bestimmten Giftkonzentration vermag eine bestimmte Individuallinie eben noch zu existieren. Bei ganz allmählicher Steigerung der Giftkonzen- ') Jollos, V., Variabilität und Vererbung bei Mil;ro- organismen. Zeitschr. f. indukt. Absl. und Vererbungslehre. 12. Bd., 1914. 2) Jollos, V., Experimentelle Untersuchungen an In- fusorien. Biol. Centralbl., 33 Bd., 1913. N. F. XIII. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 361 tration kann dieses Maximum ohne Schaden für die Rasse noch überschritten werden , bei der einen Rasse nur ganz wenig, bei anderen aber doch reciit beträclitlich, so daß schHcßhch eine Konzentration erreicht wird, die, wenn sie sofort angewandt würde, den Tod der Rasse zur Folge hätte. Bringt man die Rassen nunmehr zurück in das giftfreie Medium und prüft nach einiger Zeit wieder ihre Giftfestigkeit, so findet man, daß diese vollständig verloren gegangen ist. Wird das für die Rasse bekannte Maximum der Gift- konzentration auch nur um ein Geringes über- schritlen, so geht sie zugrunde. Die Veränderung, die an der Rasse erzielt worden war, ist also nicht erblich gewesen, sie verschwindet sehr bald wieder. Solche Veränderungen bezeichnen wir als Modifikationen. Neben diesen Modi- fikationen konnte JoUos aber noch Verände- rungen beobachten, die ohne eine genaue Prüfung wohl als Mutationen bezeichnet worden wären. Bei lange andauernder, in der Konzentration häufig wechselnder Einwirkung konnte nämlich in ver- schiedenen Fällen eine ,, Giftfestigung" erzielt wer- den. Linien, die anfangs bei einer Konzentration von 0,8 "/(i cler Lösung arseniger Säure abstarben, konnten sciiließlich noch bis 5 "/„ ohne Schädigung vertragen. Abgesehen davon, daß hier die Kon- zentration beträchtlich höher ist, ist der wesent- lichste L^nterschied zu den Modifikationen der, daß in diesen Fällen die Widerstandsfähigkeit gegen das Gift nicht verloren geht, wenn die Linie einige Zeit im giftfreien Medium gehalten wird. Ein gefestigter Stamm, der nach sieben Monaten arsenfreier Kultur plötzlich wieder in eine Konzentration von 5 "/g gebracht wurde, über- stand dies, während die Ausgangslinie bereits bei 1,1 "/o abgetötet wurde. Hier lag also die Ver- mutung nahe, daß in der Tat eine erbliche Ver- änderung der Rasse vor sich gegangen sei. Aber dem war nicht so : Das Verhalten des gefestigten Stammes änderte sich vom achten Monat ab, die Giftfestigkeit ging allmählich zurück, bis schließ- lich nach ungefähr zehn Monaten der Stamm sich von der Ausgangslinie nicht mehr unterschied. Es war also die Veränderung ebensowenig erb- lich wie bei den Modifikationen, nur hielt sie be- trächtlich länger an, weshalb auch lollos solche Veränderungen als Dauermodifikationen bezeichnet. Daß solche Veränderungen den Erb- faktorenkomplex unberührt lassen, wird am schlagendsten bewiesen durch das Verhalten der betreffenden Rassen nach der Konjugation , d. h. mit anderen Worten nach der Befruchtung. Die Befruchtung vernichtet die Giftfestigkeit der Tiere mit einem Schlage. Daß neben diesen Modifikationen und Dauer- modifikationen bei den Protisten auch echte Mu- tationen vorkommen, bestreitet natürlich Jollos nicht, aber diese sind außerordentlich selten, wer- den zum wenigsten äußerst selten beobachtet. Jollos selbst konnte bei Paramäcium eine echte Mutation feststellen. In einer Individuallinie, die bereits seit längerer Zeit bei 31 " C gehalten wurde, traten plötzlich Tiere auf, die erheblich kleiner waren als die übrigen. Bei isolierter Zucht stellte sich dieses Merkmal als konstant heraus, und außerdem unterschied sich die neue Rasse noch dadurch von der alten, daß sie ohne Schä- digung bei 39" konnte kultiviert werden, eine Tem^ieratur, bei der keine andere Paramäcienrasse zu existieren vermochte. Wie bei vegetativer Vermehrung so erwies sich die neue Rasse auch bei der Konjugation im Gegensatz zu den Dauer- modifikationen als konstant. Bei den Bakterien sowie bei den Trypano- somen, bei denen Befruchtungsvorgänge sehr selten sind oder vielleicht überhauiH fehlen, ist es natür- lich außerordentlich schwierig, von einer im Ex- periment erzielten Veränderung nachzuweisen, ob es sich um eine Dauermodifikation oder eine Mutation handelt. Ist es nun aber schon von vornherein unwahrscheinlich, daß hier so massen- haft Mutationen vorkommen, während sie sonst so außerordentlich selten sind, so überzeugt uns Jollos durch die Sichtung der vorliegenden Be- obachtungen vollkommen, daß es sich bei den meisten sog. ,, Mutationen" um Dauermodifikationen handelt. Und wir können ihm vollkommen zu- stimmen, wenn er sagt; „Handelte es sich bei den Veränderungen wirklich um eine Beeinflussung der Erbanlagen und nicht nur um Dauermodifi- kationen, wie schnell hätte dann der stolze Bau der bakteriologischen Diagnostik in sich zusammen- sinken müssen ! Denn wie wäre besonders bei unseren, rein biologisch betrachtet, recht unvoll- kommenen Kenntnissen und Hilfsmitteln eine sichere Identifizierung möglich, wenn so leicht und schnell immer neue, erblich verschiedene Formen entständen ?" Nachtsheim. Anzahl der Spermatozoen beim Coitus der Hunde. Mittels einer besonderen Apparatur hat Amantea (Atti della Reale Accademia dei Lincei. Bd. XXIII, S. 457. 1914.) Hunde einen künstlichen Coitus ausführen lassen und die Dauer des Aktes, die Menge des Sekretes sowie die Zahl der Spermatozoen gemessen. Er findet, daß die Dauer individuell verschieden, aber für das einzelne Tier annähernd konstant ist (ent- sprechende Pausen vorausgesetzt). Sie schwankt etwa zwischen 7 und 15 Minuten. Die Menge des Sekretes bewegt sich zwischen 1,7 und 19,1 ccm, die Zahl der in ihm enthaltenen Spermatozoen zwischen 38740000 und 679960000. Die letztere steht weder mit der Menge der Spermaflüssig- keit, noch mit der Dauer des Aktes noch mit der Größe des Hundes in Beziehung; auch war ein ganz deutliches Verhältnis von Sekretmenge und Größe der Tiere nicht festzustellen. Erwähnens- wert ist noch, daß die Ejakulation während der ganzen Dauer des Coitus anhält, daß aber die Menge der Spermatozoen im Anfang am größten ist, dann abnimmt und in einem letzten Stadium gleich Null wird, und daß die Zahl der Spermata- 362 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 23 zoen beim ersten Versuch nach langer Entlialt- samkeitsdauer geringer als bei dem zweiten ihm einige Tage später folgenden befunden wurde. Miehe. Physiologie. Das Auge von Periophthalmus, Boleophthalmus und Änableps hat einen sehr merk- würdigen Bau, entsprechend der eigentümlichen Lebensweise der genannten Fische. Diese leben an den Küsten der tropischen Meere, vom Roten Meere bis Japan entlang der Südküste des asiati- schen Kontinents, am Strande der Inseln des indoaustralischen Archipels und des westlichen Stillen Ozeans, Änableps in Südamerika und Perioph- thalmus koelreuteri Fall, an der Westküste Afrikas. Sie halten sich in der Nähe des Strandes auf, der zur Ebbezeit trocken liegt, um dann auf demselben ihre Beute zu jagen. Dabei können sie stunden- lang außerhalb des Wassers leben und, indem sie sich auf Schwanz und Messen stützen, überraschend schnell laufen. Ihre Augen sind, abweichend von denen der anderen Fische, an das Sehen in der Luft angepaßt. Sie stehen, dicht nebeneinander, weit über die Oberfläche des Kopfes hervor; durch besondere Muskeln können sie zurückgezogen werden. Die Hornhaut ist sehr stark gewölbt, auf dem Schnitt fast halbkreisförmig. Die Linse ist kugelig. Die Brechkraft des Auges ist infolge- dessen zu groß zum deutlichen Sehen in die Ferne, wie es in der Luft notwendig ist. Durch einen besonderen Akkommodationsmuskel aber kann die Linse und mit ihr das Bild fast bis an die Netz- haut herangebracht werden. Nach V o 1 z ') bildet die Endsehne dieses „Skleral- muskels" vor der Linse eine durchsichtige Mem- bran. Zwischen ihr und der Hornhaut bleibt ein großer Raum, welcher der Linse eine ausreichende Bewegung gestattet. Nach L. Baumeister (Die Augen der Schlammspringer [Periophthalmus und Boleoph- ') Der junge Berner Zoologe fand am 18. April igo8 einen vorzeitigen Tod .luf einer Forschungsreise durch das Hinterland von Liberia. thalmusj. Bemerkungen zu dem von W. Volz verfaßten usw., Zool. Jahrb., Bd. 35, Anat., 1913) aber ist jene Membran nur die hintere Lamelle der gespaltenen Hornhaut, und der Raum zwischen ihr und der vorderen Lamelle ein Lymphraum. Die Retraktoren von V. seien nur welliges Binde- gewebe. Die Ansicht von B. bestätigt W. Harms (Über die Augen der am Grunde der Gewässer lebenden Fische, Zool. Anz., Bd. XLIV, Nr. i, 31. März 1914). Er untersuchte gelegentlich eines Aufenthalts auf der Insel Lanzarote im Herbst 19 13 die Augen verschiedener Lepadogasterarten (zu den Gobieso- eiden gehörig). Er vergleicht ihre Hornhaut mit der „Brille" der Schlangen. Dieselbe Einrichtung fand er bei den verschiedensten Gobiiden der Ebbezone, bei Anguilla canariensis und einer dem Periophthalmus verwandten Art. Spätere Unter- suchungen an Cottus gobio (Cottidae) sowie Cobi- tis fossilis und barbatula (Cyprinidae) zeigten hier ähnliche Einrichtungen; ziemlich sicher fand sich dasselbe bei Scorpaciia und Antennarius. Mit V. und B. hält er den Hohlraum vor dem Auge der erstgenannten Fische für eine Einrichtung zum Schutz gegen das Trockenwerden der Hornhaut beim stundenlangen Aufenthalt in der Luft, sein Vorkommen bei den anderen am Grunde der Ge- wässer lebenden Fischen dient zum besonderen Schutz für das Auge durch den elastischen Kon- junktivalsack bei sehr schneller Fortbewegung, z. B. auf der Flucht. Nach einem kleinen seitlichen Einschnitt in die „Brille" konnte H. leicht die Linse oder das Auge oder beide zugleich entfernen. Die Wunde heilte innerhalb weniger Tage zu. Schon nach 10 — 14 Tagen war die ganze ,, Brille" mit Pigment durchsetzt, das von der umgebenden Haut in sie eingewandert war. Durch diesen merkwürdigen Vorgang verliert die „Brille" natürlich ihre Durch- sichtigkeit. Bei einseitiger Operation blieb diese Störung am anderen Auge aus. Die Pigment- einwanderung ist offenbar eine Folge der Auf- hebung der Funktion des Auges. Kathariner. Bücherbesprechungen. Prof H. R. Procter, Taschenbuch für Gerbereichemiker und Leder fabri- kanten. Kurze Anleitung zu analytischen Arbeiten , verfaßt unter Mitwirkung von Prof. Dr. Edmund Stiasny und HaroldBrum- well. Aus dem Englischen übersetzt und unter Mitwirkung der Verfasser bearbeitet von Ing.- Chem. Josef Jettmar. VIII und 248 Seiten. Dresden und Leipzig 1914, Verlag von Theodor Steinkopff. — Preis 5 Mk. Das in Fachkreisen bekannte Handbuch der Lederindustrie von Procter (Leather Industries Laboratory Book), das auch in einer deutschen Bearbeitung ^von Dr. Joh, Paß 1er) erschienen ist, hat sich für den Gebrauch der Studierenden an technischen Schulen und für die praktische Ver- wendung in Gerbereien als etwas zu umfangreich erwiesen. Da es ferner in manchen Punkten die letzten Forscliungsergebnisse nicht mehr berück- sichtigt, darf die Herausgabe eines kurzgefaßten und die neuesten Methoden enthaltenden ,, Taschen- buchs" als eine willkommene Ergänzung des größeren Handbuchs begrüßt werden. Aus dem Inhalt des Büchleins, das sich durch handliches Format und soliden Einband auszeichnet, seien u. a. folgende Abschnitte erwähnt : Äschern, Ent- kalken und Beizen; die qualitative und quanti- tative L'ntersuchung der Gerbstoffe; die Analyse des Formaldehyds, des Kochsalzes, der Seifen usw.; Öle und Fette; Nachweis und Bestimmung des N. F. Xm. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 363 Traubenzuckers; Analyse des Leders; Bakteriologie und Mykologie in der Gerberei und Lederfabrikation. Ein zuverlässiges Namen- und Sachregister erhöht die Brauchbarkeit des empfehlenswerten Buches. Bugge. R. Brückmann, Palm nicken. (Beobachtung über Strandverschiebungen an der Küste des Samlands. IIL) Im Auftrage der Zentral- kommission für wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland. Seite 117 — 144. Mit 9 Tafeln, 13 Kartenskizzen und 2 Textbildern. Leipzig 1913, B. G. Teubner. Der vorliegende Abschnitt ist ein Teil des umfassenden Werkes, das sich im allgemeinen mehr mit Uferabbrüchen und Versetzung des ab- gebrochenen Materials beschäftigt als mit wahren „Strandverschiebungen", worunter doch eine Land- einwärts- oder Seewärts- Verschiebung der Strand- linie zu verstehen ist. Brückmann stellt für die Gemarkung Sorgenau, die, wie alle von ihm behandelten, an der Westküste des Samlandes liegt, einen Abbruch von o,il ha, für die Ge- markung Palmnicken 4,96 ha, für die Gemarkung Kraxtepelle 4,59 ha in einem Zeitraum von 68 Jahren fest, was einen durchschnittlichen Ab- bruch von 0,5 m Breite für das Jahr ergibt. Der bergmännische Abbau des Bernsteins hat in diesen Gebieten die Uferzerstörung wesentlich befördert. Die Erörterung über Strömungen in der Ostsee, die der Verf anstellt, um den Verbleib des Materials zu untersuchen, ist sehr wenig tiefgehend. Denn die Tatsache der Verfrachtung nach Nordosten hin hätte ihn schon ein Blick auf eine Übersichts- karte lehren können, setzen doch alle Nehrungen im Westen an. Glänzend ist die Ausstattung mit Karten und Abbildungen. W. Behrmann. Die Süßwasserflora Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Bearbeitet von zahlreichen Fachgelehrten und herausgegeben von Prof. Dr. A. Pascher (Prag). Jena 1913 — 191 4, Gustav Fischer. Heft I : Flagellatae L Allgemeiner Teil von A.Pascher; Pantostamatinae, Protomastiginae, Distomatinae von E. L e m m e r m a n n (Bremen). Mit 252 Textabbild. Geb. 4 Mk. Heft 2 : Flagellatae IL Chrysomonadinae, Cryptomonadinae, Eugleninae, Chloromonadinae und gefärbte Flagellaten unsicherer Stellung von A. Pascher und E. Lemmermann. Mit 398 Textabbild. Geb. 5,50 Mk. Heft 3 : Dinoflagellatae (Peridineae) von A. J. Schilling (Darmstadt). Mit 69 Textabbild. Geb. 2,30 Mk. Heft 6: Ulotrichales, Mikrosporales, Oedogo- niales. (Chlorophyceae III) von W. Heering. Mit 38s Abbild, im Text. 6,60 Mk. Heft 9: Zygnemales von O. Borge (Stock- holm) und A. Pascher. Mit 89 Textabbild. Geb. 2 Mk. Heft 10: Bacillariales (Diatomeae) von H. V. Schön feldt (Eisenach). Mit 379 Textabbild. Geb. 4,50 Mk. Heft 14: Bryophyta (Sphagnales, Bryales, Hepaticae) von C. Warnstorf (Friedenau), W. Mönkemey er (Leipzig) und V. Schiffner (Wien). Mit 500 Textabbild. Geb. 6,20 Mk. Die Flora des Wassers in ihrer biologischen Geschlossenheit, ihrer besonders bei den mikro- skopischen Vertretern reichen Formenmannigfaltig- keit und in ihrer Fülle von besonders auffallenden Anpassungserscheinungen in einer Serie von Be- stimmungsbüchern zu behandeln, ist ein glück- licher Gedanke. Insbesondere ist es für die Klein- welt des Wassers äußerst wünschenswert, einen zuverlässigen literarischen Ratgeber zu besitzen, der die meist nur mit schwer zugänglichen Hilfs- mitteln möglichen Bestimmungen der Formen, die der Wasserbotaniker heimbringt, auszuführen gestattet. Weniger notwendig 'scheint mir die Berücksichtigung der höheren Pflanzen zu sein; doch sind von den geplanten 16 Heften einer- seits nur 2 hierfür bestimmt, andererseits ist ge- rade das eine von diesen , nämlich das über die Moose deswegen besonders wertvoll , weil es auf diesem Gebiete gegenwärtig sehr an guten Be- stimmungsbüchern mangelt. Erschienen sind bisher die oben angegebenen Bändchen. Jedes wird eingeleitet durch eine kurze allgemeine Darstellung des äußeren und inneren Baues, der Entwicklung, der Fortpflanzung, der Ernährung, Lebensweise, des Vorkommens, des Sammeins, Fixierens und Präparierens der be- treftenden Organismen. Im systematischen Teil sind klare Bestimmungsschlüssel der Familien, Gattungen und Arten gegeben. Diese sind dann noch durch zusammenhängende, durch gute Ab- bildungen unterstützte Einzelbeschreibungen cha- rakterisiert, wobei stets der Standort angeführt wird. Wie es schon durch die Namen der als Spezialforscher bekannten Bearbeiter gewährleistet ist, stellen die Bändchen keine bloße Kompilation dar, sondern sind auf genaue Sachkenntnis gegrün- dete, selbstständige, wissenschaftliche Leistungen, ganz besonders da, wo eine kritische Bearbeitung bislang nicht vorlag. So ist z. B. die Anführung der Literatur sehr wertvoll. Die Zahl der aufge- nommenen Arten ist recht bedeutend. Besonders hübsch erscheinen mir die Bändchen über die Flagellaten und über die Moose, womit aber nichts gegenteiliges über die anderen ausgedrückt werden soll. Wir können die handlichen in Taschenformat gehaltenen Büchlein als sehr nützliche Hilfsmittel beim Studium der Pflanzenwelt des Wassers durch- aus empfehlen , ja sie stellen für die Liebhaber sowohl wie für die Mehrzahl der Fachleute eine sehr dankenswerte Bereicherung der Literatur dar. Wir werden auf die Sammlung bei dem weiteren Erscheinen der Bändchen noch zurückkommen. Miehe. 364 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 23 Philippson, Alfr., Das Mittelmeergebiet, seine geographische und kulturelle Eigenart. 3. Aufl. Mit 9 Fig. im Text, 13 An- sichten und 10 Karten auf 15 Tafeln. Leipzig- Berlin 1914. B. G. Teubner. — Geb. 7 Mk. Das schöne und vielen Reisenden , die der Weg nach Süden führt, als anmutiger und zu- verlässiger Begleiter unentbehrliche Buch Philipp- son's liegt nunmehr bereits in der dritten Auf- lage vor. Sie ist von dem Verf sorgfältig durch- gesehen und auf den neuesten Stand der Keiuit- nisse gebracht worden. Bei dem Durchblättern des mit guten Bildern und Karten versehenen Buches ist man immer wieder von der Reichhaltig- keit des Inhaltes überrascht und von dem Zauber der klaren und ausdrucksvollen Darstellung ent- zückt. Im übrigen sind ja seine Vorzüge allge- mein bekannt und gewürdigt, so daß wir uns hier mit der erneuten warmen Empfehlung des vor- trefflichen Buches begnügen dürfen. Außer dem die Gestade des Mittelmeeres aufsuchenden Rei- senden wird es gerade gegenwärtig jedem als gutes Belehrungsmittel willkommen sein, der sich für die politischen Fragen im Mittelmecrgebiet, besonders in seinem östlichen Teil, interessiert. Miehe. E. Study, Die realistische Weltansicht und die Lehre vom Räume. Bd. 54 der Sammlung „Die Wissenschaft". X und 145 Seiten. Braunschweig 1914, Fr. Vieweg & Sohn. — Preis geh. 4,50 Mk., geb. 5,20 Mk. Nach Aufstellung eines realistischen Weltbildes und nach schroffer Ablehnung idealistischer, posi- tivistischer und pragmatistischer Lehren spricht der Verf. die Möglichkeit eines Systems abstrakter Begriffe und Lehrsätze aus, das als Gedanken- bild des empirischen Raumes gelten darf und diesen zum Gegenstand des quantitativen Er- kennens macht. Die mathematische Analysis liefert ein Mitte! , die Euklidische Geometrie auf eine vollkommen einwandfreie Form zu bringen, sie gestattet eine „abstrakte Koordinatengeometrie", in der die der Anschauung entnommenen Begriffe „Punkt", „Entfernung", ,, Bewegung", ,, Kongruenz" usw. in möglichster Allgemeinheit durch algebra- ische Symbole vertreten sind. Unsere gegen- wärtigen Hilfsmittel gestatten gar nicht oder nur sehr schwer, einen Unterschied zwischen dieser „natürlichen Geometrie" und irgendeiner der 4 Arten der Maßgeometrie (der sphärischen, elliptischen , pseudosphärischen und Euklidischen) festzustellen. Einstweilen gestattet jedoch die ,, natürliche Geometrie" der Euklidischen eine Vorzugsstellung. Zum Schlüsse bekämpft der Verf. diejenigen, die die analytische Grundlegung der Geometrie verwerfen und ein System von aus der Anschauung entsprungenen Axiomen vorziehen. Wer eine philosophische Richtung bekämpfen will, hat die Pflicht, sich in erster Linie mit den Forschern auseinanderzusetzen , die in ihr die vollendetste Ausbildung gegeben haben. So hätte der Verfasser von R. Avenarius und J. Petzoldt erfahren können, daß M a c h s ( jkono- mieprinzip ') keineswegs als Eckpfeiler des Positi- vismus zu gelten hat, und daß kaum ein Philosoph in schärferem Gegensatz zu dieser philo- sophischen Weltanschauung steht als W. Ostwald, der leidenschaftliche Verfechter eines energetischen Absolutismus! Wenn der Positivismus, der gerade die gesunden Gedanken des naiven Realismus zu retten sucht, hinsichtlich der Möglich- keit einer natürlichen Geometrie zu gleichen Er- gebnissen wie der moderne Realismus gelangt, so braucht er damit keineswegs seine Grundgedanken aufzugeben. Gewiß verwirft der Positivismus die I<"orderung eines Standpunktes, auf dem wir uns gar nicht stehend denken können , nimmt aber unbedenklich Hypothesen und Theorien auf sofern deren „arbeitsfähige" Bestandteile mit den u n ■ mittelbar aus dem Erleben hervorgegangenen Begriffen in eindeutigem Zusammenhang stehend gedacht werden können. Indes bieten die auf die natürliche Geometrie sich erstreckenden Abschnitte so viel gehaltvolle Gedanken und Anregungen, daß wir dem vor- liegenden Buche aufmerksame Leser wünschen. Mögen analytisch weniger geschulte Freunde des Raumprobleins sich nicht durch das Motto des Titelblattes abschrecken lassen! Angersbach. K. V. Auwers und A. Boennecke, Tabellen zur Berechnung der ,,theoretischen" Moire fr aktionen organischer Verbin- dungen. 27 Seiten. Berlin 1914. Verlag von Julius Springer. — Preis 1,20 Mk. Die vorliegenden Tabellen, die als Ergänzung der Hilfsmittel des refraktometrischen Werkes von W. A. Roth und F. Eisenlohr dienen sollen, erleichtern die oft umständlichen und zeitrauben- den Berechnungen der „theoretischen" Mol-Re- fraktionen und -Dispersionen. Sie sind für die Untersuchung von Kohlenwasserstoffen, sauer- stoffhaltigen Körpern und Halogenderivaten be- stimmt, lassen sich aber auch für Substanzen mit anderen Elementen verwenden, wenn man deren Atomrefraktionen kennt. Im allgemeinen sind Ver- bindungen und Radikale bis zu einem Gehalt von 1 5 Kohlenstoffatomen berücksichtigt worden. Der Berechnung wurden die vierstelligen Eisen loh r- schen Atomrefraktionen unverändert zugrunde ge- legt; nur für Brom wurden verbesserte Werte (von Karvonen) verwendet. Die durch beide For- cher unabhängig voneinander erfolgte Berechnung und Vergleichung der Werte dürfte die Zuver- lässigkeit der Tabellen verbürgen. Bugge. Prof. Dr. Julius Schmidlin, Das Triphenyl- methyl. Mit 23 Figuren im Text. VI. Band ') Man lese auch nach, was Mach selbst über den Sinn des Ökonoraicbcgriffes auf Seite 393 der „Prinzipien der Wärmelehre", 2. Aufl., sagll N. F. XIII. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 365 der „Chemie in Einzeldarstelkmgen", heraus- ■ gegeben von Prof. Dr. Julius Schmidt. XII u. 233 Seiten. Stuttgart 1914. Verlag von Fer- dinand Enke. — Preis geh. 8 Mk , in Leinwand geb. 8,80 Mk. Ebenso wie die \orhergegangenen „Einzeldar- stellungen" behandelt auch die neueste Monogra- phie dieser Sammlung ein Thema, daß der letzten Entwicklung der organischen Chemie angehört. Man könnte es — auf den ersten Blick — für nicht ganz angebracht halten, einer speziellen or- ganischen Substanz, der keinerlei praktische Be- deutung zukommt und deren Erforschung über- dies noch nicht abgeschlossen ist, ein umfangreiches Buch wie das vorliegende zu widmen. Aber die theoretische Bedeutung, die das Triphenylmethyl für die organische Chemie besitzt, läßt diesen naheliegenden Einwand hinfällig erscheinen. Das 1900 von Gomberg entdeckte Triphenylmethyl hat sich als der erste Vertreter einer Klasse von Verbindungen erwiesen, in denen der Kohlen- stoff nicht als vierwertiges, sondern als dreiwer- tiges Element fungiert. Es sind zwar verschiedene Versuche gemacht worden, die merkwürdigen Eigenschaften dieser Substanz in Parallele mit schon bekannten Tatsachen zu setzen und durch das Bild bewährter Formeln mit vierwertigem Kohlenstoff zu veranschaulichen; aber diese Ver- suche haben wenig Erfolg gehabt, so daß heute die herrschende Ansicht dahin geht, im Triphe- nylmethyl und seinen analogen Verbindungen ganz neuartige Erscheinungen zu sehen, die eine Erweiterung der alten theoretischen Vorstellungen nötig machen. Der Verfasser des Buches, der selbst tätigen Anteil an der Erschließung des Triphenylmethyl Problems genommen hat, ver- steht es, mehr als eine nur die Spezialforschung interessierende Literaturzusammenstellung zu geben; man durchwandert unter seiner Führung eines der reizvollsten Gebiete der organischen Chemie. Bugge. Prof. Dr. Alfred Werner , Über die Konsti- tution und Konfiguration von Ver- bindungen höherer Ordnung. 21 S. Berlin 1914, Verlag von Julius Springer. — Preis 1,20 Mk. Die kleine Schrift ist die Wiedergabe eines Vortrags, den der bekannte Züricher Chemiker am II. Dezember 191 3 bei der Entgegennahme des ihm verliehenen Nobel-Preises in Stockholm gehalten hat. Der \^erfasser, dessen experimentelle und theoretische Arbeiten grundlegend für die moderne Systematik der anorganischen Chemie geworden sind, entwirft in kurzen Zügen ein an- schauliches Bild seines Forschungsgebietes; durch die Klarheit der Darstellung und die Weglassung verwirrender experimenteller Einzelheiten dürfte die Schrift den Zweck erfüllen, die neueren An- schauungen über die Konstitution und Konfiguration der sog. Molckülverbindungen — und damit die Fortschritte unserer Kenntnis vom Bau der Mole- küle — auch demjenigen zugänglich zu machen, dem es an Zeit fehlt, die schon stark angeschwollene Literatur über dies Thema in Originalarbeiten oder umfangreichen Monographien nachzulesen. Bugge. Hann, Prof. Dr. Julius, Lehrbuch der Me- teorologie. 3. unter Mitwirkung von Prof. Dr. R. Süring, Potsdam, umgearbeitete Auflage. Mit mehreren Tafeln, Karten u. Tabellen sowie zahlreichen Abbildungen im Text. Lieferung I — 3 191 3. Chr. Herrn. Tauchnitz. — Jede Lieferung 3,60 Mk. (etwa 10 Lieferungen). Das allgemein bekannte und den Meteorologen von F"ach ebenso wie dem Biologen gleicherweise unentbehrliche Hann' sehe Lehrbuch der Meteo- rologie beginnt in der zweiten Auflage lieferungs- weise zu erscheinen. Wie der Prospekt mitteilt, unterscheidet sich die neue Auflage, abgesehen da- von, daß sie überall auf den neuesten Stand des Wissens gebracht worden ist, von der zweiten dadurch, daß die in der letzten z. T. fortgelassenen Literaturnachweise wieder aufgenommen und bis auf die Gegenwart fortgeführt sind. Außer- dem ist ein besonderes Kapitel über die wichtigen neuen Ergebnisse der aerologischen Forschung ein- geschaltet, das von Prof. Süring in Potsdam verfaßt ist. Das ganze Werk ist auf 10 Liefe- rungen berechnet, 3 sind bereits erschienen. Wir begnügen uns vorläufig, auf dieses wichtige Werk hinzuweisen, und werden, wenn es vollständig vorliegt, ausführlich darauf zurückkommen. M. Fritz Münch, Erlebnis und Geltung. Ber- lin 191 3, Reuther und Reichard. In diesem Buche konzentrieren s'ch die Er- gebnisse der Erkenntnistheorie der letzten 25 Jahre, um, gleichsam durch die richtende Kraft der von Kant, Fichte, Hegel über L o t z e und Windelband in die Gegenwart reichenden Grundgedanken ein vollständiges System der Kulturlogik herauszukristallisieren. — Die Angelpunkte der von Münch entwickelten Ge- samttheorie der ,, historischen Wirklichkeit über- haupt" erkenne ich in folgenden drei Sätzen ; I. Es gibt „Seiendes" = „reines Erlebnis", und den Begriff davon == ,, reine Geltung" = „Sinn des Seienden". 2. Es gibt eine „Realisation" der geltenden Begriffe in der Wirklichkeit des Seienden und eine „Aktualisierung" derselben durch die handelnden Subjekte ^= Realisations- prozeß des Geltenden in der Subjektbezogen- heit. 3. Es gibt „Begründungszusammenhänge" sämtlicher realisierbarer Begriffe gemäß Ideen, die als solche „objektive Werte" darstellen , und deren Gesamtheit in ihrer geschichtlichen Erfüllung die „Kultur" ist. — Hat man die drei Grund- einsichten gewonnen, so wird man dem Verfasser bis in die schwierigsten logischen Probleme folgen können, deren letztes die Möglichkeit des Zusam- menfallens von „Weltanschauung" und „Lebens- anschauung" fordert. Die Bedeutung des Münch- 366 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xin. Nr. 23 sehen Buches liegt jedoch nicht z.um geringsten Teile in der klaren , dabei eigenartigen Heraus- arbeitung dessen, was für den wissenschaftlich orientierten Erkenntnistheoretiker Gemeingut ge- worden ist. Besonders wertvoll war mir auch die vorzügliche und gewissenhafte Einführung in die um das Grundproblem gruppierte Literatur der neuesten Zeit und deren scharfe Kritik von seilen des Verfassers. Eberhard Zschimmer. Kafka, Gustav, Einführung in die Tier- psychologie auf experimenteller und etho- logischer Grundlage. Erster Band : „Die Sinne der Wirbellosen". Mit 362 Ab- bildungen im Text. XII u. 593 S. Leipzig, Johann Ambrosius Barth, 1913. — Preis 18 Mk. Ein grundlegendes für jeden synthetisch Den- kenden, insbesondere für den Tierpsychologen unentbehrliches Werk. Der erste vorliegende Band erörtert in der Hauptsache das Tatsächliche des Sinneslebens bei den Wirbellosen, dem zahlreiche psychologische Definitionen angeschlossen sind. Der zweite Band wird die Sinne der Wirbeltiere und die Entwicklung der höheren psychischen Fähigkeiten in der Tierreihe (Instinkihandlungen, Gedächtnis, Intelligenzäußeruiigen usw.) behandeln. Soweit Ref. das Gebiet zu überschauen vermag, ist Kafka gründlich und mit Kritik vorgegangen und bietet weit mehr und Zuverlässigeres als das hier kürzlich besprochene Werk von O. M. Reu- ter (Nr. II). Zahlreiche gute Abbildungen unter- stützen die Textangaben. Nicht völlig befriedigend ist die Quellenangabe, obgleich ein ausführliches, eine erstaunliche Übersicht beweisendes, Literatur- verzeichnis vorhanden ist, aber im Text fehlen die Hinweise auf die Autoren häufig, so daß eine Benutzung erschwert und man nicht weiß, wem die Beobachtung oder besondere Ansicht zuzu- schreiben ist. In der Einleitung legt Kafka seinen Standpunkt gegenüber extremen Richtungen dar, anerkennt vollkommen das Begehren des Physiologen alles rein physiologisch analysieren zu wollen, aber es fragt sich, ob wir hiermit zu einer erschöpfenden Analyse der Lebenstätigkeiten kommen, denn es steht — nach Kafka — fest, daß die psychischen Phänomene, die jeder in seiner eigenen Erfahrung vorfindet, in funktio- nellerAbhängigkeit von den physiologischen Prozessen stehen. Wir werden, wenn es uns noch nicht möglich ist, alle Bahnen einer Reizreaktion darzulegen, doch zur Einschaltung psychischer oder psychoider Faktoren unsere Zuflucht nehmen und selbst dort, wo es uns ausnahmsweise einmal gelungen ist, z. B. einige Tropismen auf physi- kalisch-chemische Prozesse zurückzuführen, dürfen wir psychische Begleiterscheinungen nicht als aus- geschlossen gelten lassen, wenn natürlich auch die Unmöglichkeit solcher Zurückführung keineswegs zwingt psychoide oder psychische Zwischenglieder anzunehmen. Die Grundlage einer fruchtbaren Tierpsychologie ist — nach Kafka — sich streng an die Ergebnisse der objektiven Forschung zu halten als ihrer einzigen Grundlage, ohne sich dazu verleiten zu lassen, psychologische Interpre- tationen als kausale Erklärungen der physischen Phänomene auszugeben. Es ist dem Ref. nicht zweifelhaft, ganz gleich- gültig, wie man sich zu den einzelnen Auffassungen Kafkas stellt, die hier natürlich nur zum klein- sten Teile angedeutet werden konnten, daß seine ganze Art und Weise der Problemerfassung bei durchaus objektiver Würdigung gegnerischer An- sichten, sehr geeignet erscheint, diesem besonde- ren psychologischem Gebiete, auch auf der ex- tremen Seite, Freunde zu gewinnen. Nach dem Erscheinen des zweiten Bandes wird auf die vor- treffliche Leistung noch wieder zurückzukommen sein. Buttel-Reepen. H. Lux: Das moderne Beleuchtungs- wesen. Aus Natur u. Geisteswelt. Verlag v. B. G. Teubner, Leipzig u. Berlin 1914. — In Leinwand geb. 1,25 Mk. Das lesenswerte und interessante Büchlein gibt in allgemein verständlicher Weise einen Über- blick über den gegenwärtigen Stand des modernen Beleuchtungwesens. Nach einem Hinweis auf die elektromagnetische Natur des Lichtes und seine Erreger, die in den Atomen schwingenden Elek- tronen, geht der Verfasser auf die Strahlung, ihre Messung und ihre Gesetze (Wien Planck'sche Strahlungsgleichung) ein, um dann die Methoden, die zur Bestimmung der Temperatur leuchtender Körper (Temperaturstrahler) dienen, zu schildern. Der erste Teil schließt mit einem Kapitel über photometrische Einheiten und Messungen und einem Hinweis auf die I,uminiszenzerscheinungen, betreffs der praktischen Verwendung wir erst am Anfang der Entwicklung stehen. Im umfang- reicheren zweiten Teil werden die sämtlichen künstlichen Lichtquellen von der Kerze und der Öllampe bis zum Vakuumlicht und der Queck- silberdampflampe besprochen. Sehr dankenswert sind die Kurven über die räumliche Lichtverteilung der wichtigeren Lichtquellen und Angaben über Ökonomie fast aller Beleuchtungsarten. Eine große Anzahl von Abbildungen unterstützt den Wortlaut des Textes. Am Schluß sind zwei Ta- bellen aufgenommen, die Aufschluß geben über Verbrauch und Kosten einer Tisch und Zimmer- beleuchtung, letztere von 200 Hefnerkerzen, wenn man als Lichtquelle eine Petroleum-, Spiritus- glühlicht-, Gasglühlicht- oder elektrische Glühlampe wählt. Es sei noch erwähnt, daß es im Interesse der Klahrheit vielleicht besser gewesen wäre, wenn in Abbildung 23 nur die Emissionskurve (d) des Auerkörpers allein, die im Text auch wirklich besprochen wird, aufgenommen wäre. K. Seh. Anregungen und Antworten. Herrn M. F. in Zw. — Was versteht man unter einer „apiitischen Injektion" in der Geologie? In Weinschenck's „petrographischem Vademekum" (Freiburg i. Br. 1907, Herder'sche Verlagsbuehhandlung) finden N. F. XIII. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 367 sich über diese in kurzen Worten schwer zu behandelnde Krage folgende Definitionen: Petrographiscli (S. Iio): „Die Aplite sind typische Feldspatgesteine , meist mit ganz untergeordnetem basischem Gemen<^teil, daher licht gefärbt, von mittlerem bis feinem Korn, oft auch ganz dicht." Über die Art des Auftretens (S. ly): feinkörnige Aplite, .welche in großer Anzahl und in schmalen , mannigfach sich verästelnden Gängen besonders in Graniten und deren Um- gebung auftreten". . . . „Diese gangförmigen Bildungen sind als Nachschübe der Intrusion selbst zu betrachten. Außer diesen zweifellos jüngeren Gängen trifft man in der Umgebung der Tiefengesteine bald vereinzelt, bald das ganze Nebengestein durchtränkend und injizierend normal zu- sammengesetzte oder aplitische Apophysen, welche die Abzweigungen der Hauptmasse darstellen." Rosenbusch (Elemente der Gesteinslehre, 3. .\ufl. 1910, Schweizerbart-Stuttgart) sagt (S. 262): ,,Die aplitischen Ganggesteine . . . treten nur selten in größerer Entfernung von, meistens in den Tiefengesteinen auf, zu deren Gefolgschaft sie gehören". Gibt es einen geologischen Führer, der über Helgoland, Kieler Bucht, die dänischen Inseln und Rügen orientiert f In der von Borntraegei-Berlin herausgegebenen „Samm- lung geologischer Führer" behandelt Band 111 vonW. Deecke die Insel Bornholm (erschienen 1899). Dänemark insgesamt findet sich behandelt in den beiden dänischen Beschreibungen von N. V. Ussing, Danmarks Geologi, Kopenh.agen 19C4 (2. Aufl.) undK. Bördam, Danmarks Geologi, Kopenhagen 1909. Eine kurze übersichtliche Zusammenfassung des Stoffes in deutscher Sprache hat Ussing ferner auch im ,, Handbuch der regionalen Geologie" Band 1, Heft 2 (Heidelberg 1910, Winter's Universitätsbuchhandlung) gegeben. Leider sind wir für die deutschen Gebiete nicht so gut gestellt, so zahlreiche Arbeiten auch über Rügen, sodann auch über die Kieler Bucht und Helgoland erschienen sind. „Über die Gliederung der Flözformationeu Helgolands" hat W. Dam es in den Sitzungsberichten der Königl. Preuß. Akad. der Wissensch. schon 1893 (S. 1019 — 1039) berichtet und dort auch die älteren Arbeiten von Wiebel und Volger zitiert. Über einen neuen wichtigen VVirbeltierfund hat neuer- dings Schröder (Jahrb. d. Kgl, Preuß. geolog. Landesanstalt) Mitteilungen gemacht. Eine moderne Gesamtdarstellung der interessanten Insel steht noch aus. ■\uf Rügen steht naturgemäß die Kreideküste im Vorder- grunde des Interesses, insbesondere in neuerer Zeit ihre Tek- tonik. Philippi,Jaekel, Keil hack haben ihr in jüngerer Zeit die .Aufmerksamkeit besonders zugewendet, letzterer auch eine Kartierung geliefert. Das Diluvium der Insel ist meines Wissens für sich nicht ausführlicher behandelt worden. Viel- leicht interessieren auch Zusammenfassungen in größerem Rahmen und nicht rein geologischer Natur, wie Braun, Das Ostseegebiet (Aus Natur und Geisteswelt), Leipzig 1912; Ders., Entwicklungsgeschichtliche Studien an europäischen Flachlandsküslen und ihren Dünen. Institut f. Meeres- kunde zu Berlin, He't I, 1911; und besonders Spethmann, Meer und Küste von Rügen bis Alsen. Ebenda Heft 71, 1912. Daselbst auch weitere Literatur. Nie zu vergessen sind für eng umgrenzte Spezialgebiete etwa bereits vorliegende Ver- öffentlichungen der eingehenden -Aufnahmen seitens der geo- logischen Landesanstalt, die freilich ein gewisses Maß von Vorkenntnissen voraussetzen. E. Hennig. teilhaftesten ab) , und auf welche Weise weicht man spröde gewordene Käfer auf, damit man sie nadeln und ausrichten kann? — Waren die Käfer mit Straßenstaub, Aas oder Kot beschmutzt, so werden sie mit Benzin abgepinselt; größere reinigt man vorher eventuell auch mit warmem Wasser. Han- delt es sich um alte, verschimmelte oder verstaubte Samm- lungsc.\emplare, so säubert man zunächst mit einem trockenen Pinsel vorsichtig und wendet dann erst Benzin an. Bei be- haarten Käfern ist zu beachten, daß die Haare nicht zusammen- kleben. Man vermeidet das, indem sie nach der Behandlung mit Benzin mit feinem Sägemehl bestreut werden. Nach dem Trocknen wird dieses behutsam abgebürstet. — Bezüglich des Aufweichens schreibt Handlirsch in der vierten Lieferung des Handbuches der Entomologie : Über eine etwa 2 cm hoch mit feuchtem, reinem Sand gefüllte Glasschüssel wird eine mäßig hohe Glasglocke gestellt, unter welche die aufzuwei- chenden Objekte je nach Größe einige Stunden bis zu einigen Tagen liegen bleiben. Fäulnis- oder Schimmelbildung wird vermieden, wenn man einige Tropfen Karbolsäure oder Kreosot auf den Sand gießt. — Eine etwas umständlichere Methode ist folgende : Man wäscht F'lußsand so lange, bis das Wasser klar abfließt, und erhitzt ihn stark, um Fäulniserrcger abzu- töten. Der heiße, feuchte Sand wird mit einer alkoholischen ThymoUösung Übergossen. Auf dem so behandelten Sand werden die trockenen Käfer aufgeweicht. Käfer, die nach dem Aufweichen erst genadelt werden, haben gewöhnlich nicht genügend Halt an der Nadel und man muß sie mit Syndetikon festkleben. Größere Formen unterstützt man auch durch ein Korkscheibchen. Dr. Stellwaag. Gibt es ein neueres größeres Werk mit bunten , zuver- lässigen Tafeln über die Haut- und Zweiflügler? — In der Frage ist nicht genau ausgedrückt , ob Werke systematischen oder biologischen Inhaltes gemeint sind. Bestimmungsbücher mit bunten Abbildungen gibt es meines Wissens nicht, da die einzelnen Spezies sehr häufig nach mikroskopischen Merk- malen unterschieden werden, die sich in einem Habitusbild selten zur Anschauung bringen lassen. Daher enthalten die modernen Bestimmungsbücher (z. B. Schmiedeknecht, Mitteleuropas Hymenopteren , Friese, Die Bienen Europas nach ihren Gattungen, Arten und Varietäten auf vergleichend morphologisch-biologischer Grundlage bearbeitet) im besten Falle Abbildungen, die systematische Merkmale darstellen. Das gleiche ist der Fall bei K. Grünberg, Dyptera (Bd. 2 von A. Brauer, Die Süßw.asserfauna Deutschlands). Es ist übrigens ein großes Werk von Friese, Enslin u.a. in Vorbereitung, das die Hymenopteren biologisch und syste- matisch behandelt und auch bunte Tafeln enthalten soll. Be- züglich der vorhandenen systematischen Literatur verweise ich auf Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. Bd. IV, S. 223 und 224 und N. F. Bd. X, S. 799. Nur über die Hummeln existiert eine Abhandlung mit bunten Tafeln und zwar Friese und Wagner, Zoologische Studien an Hummeln, I. Die Hummeln der deutschen Fauna, Zoologische Jahrbücher, Ab- teilung für Systematik, Geographie und Biologie der Tiere. Bd. 29, 1910. Ähnlich steht es mit Büchern biologischen In- haltes. Soviel ich weiß, existiert auch hier nur ein Buch über Hummeln, wie Sie es wünschen : The Humble Bee von F. W. L. S laden. Zahlreiche vorzügliche aber schwarze Abbil- dungen enthält Zander, Handbuch der Bienenkunde in Einzeldarstellungen. Bd. 3: Bau der Biene, Bd. 4 : Leben der Biene, und Escherich, Die Ameise. In beiden Büchern ist auch weitere biologische Literatur zitiert. Dr. Stellwaag. Herrn M. F. in Zt. — Kuckuck's nützliches Buch ,,Der Strandwanderer" ist eigentlich für die Nordsee bestimmt. Etwas ähnliches für die Ostsee gibt es meines Wissens nicht; daher ist vorläufig das Werk auch für die Ostsee anzuwenden. H. Harms. Herrn M. F. in Zwickau. — Wie präpariert man schmutzig gewordene Käfer wieder auf (womit pinselt man sie am vor- Herrn O. S. in Frankfurt a. M. — Verschiedenheiten zwischen den Eiern des rechten und linken Ovariums sind meines Wissens nirgends erwähnt, wenigstens soweit es sich um spezifische Merkmale irgendwelcher Art handelt, die kon- stant nur auf einer Seite sich finden oder fehlen. Überhaupt ist von sichtbaren Unterschieden zwischen verschiedenen Eiern wenig bekannt. Es kommen zweikernige Eier vor; die meisten von der Norm abweichenden Befunde gehören wohl in das Gebiet der Pathologie. Daß die einzelnen Eier ebenso wie die Sjiermien in ihrem Erbmaterial differieren geht aus den Mendel 'sehen Regeln hervor. Die Reinheit der Gameten 368 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 23 in bezug auf eine Eigenschaft war ja schon eine der von Mendel selbst aufgestellten Forderungen. Über einen eventuellen Turnus in der Ovulationstätigkeit der Ovarien ist mir gleichfalls nichts bekannt. Es ist auch schwierig einen Modus auszudenken, wie man das konstatieren soll. Es wird sich wohl schwerlieh eine Frau finden, die sich etwa ein halbes Dutzend mal hintereinander im Menstruations- intervall den Bauch aufschneiden hißt, um nachsehen zu lassen, wo das zugehörige Corpus luteum sitzt. Bei Tieren mit mehr- facher Gravidität ist die Anzahl der Embryonen in jedem Uterushorn sowohl , wie der Sitz der Corpora lutea ein un- regelmäßiger. Petersen. Herrn W. L. in Neukölln. — „Gibt es den Karbiden analoge Verbindungen von I. Silicium mit Calcium und Alu- minium; II. Bor mit Calcium und Aluminium!' Gibt es ferner Aluminiumkarbid f Wie ist die Herstellung, welche chemi- schen Eigenschaften und welche Verwendung haben diese Verbindungen?" Von Verbindungen des Calciums mit Silicium sind mit Sicherheit zwei bekannt, das Caiciumsilicid Ca^Sia und das Calciumsilicid CaSij. Beide Silicide lassen sich durch gemein- schaftliches Erhitzen der Elemente, aber auch auf anderen Wegen herstellen; auch technisch werden sie vonTh. Gold- schmidt in Essen gewonnen (D. R. P. 19g 193 KI. 12 i [190S'). Das in reiner Form dargestellte Silicid CajSio kristallisiert in Nadeln und wird durch Mineralsäuren unter Bildung von selbsteutzündlichen Siliciumwasserstoffen und gleichzeitiger Entstehung von Siliciumdioxyd zerstört. Das andere, bisher in reiner Form nicht erhaltene Silicid CaSi., ist gegen Säuren widerstandsfähiger. In der Technik werden die beiden Cal- ciumsilicide als Ersatz des Aluminiums bei Thermitreaktionen verwendet. Weitere Einzelheiten über die Herstellung und die Eigenschaften der Calciumsilicide sind in der soeben er- schienenen Monographie von Hönigschmid, ,, Karbide und Silicide" (Halle 1914, Verlag von Wilhelm Knapp, S. 165 und S. 166) zu finden. Verbindungen, die nur Aluminium und Silicium enthalten, sind bisher mit Sicherheit nicht bekannt. Calciumborid CaB^ ist von Moissan und Williams durch Reduktion von Calciumborat mit .aluminium und Zucker- kohle im elektrischen Ofen hergestellt worden. Es ist ein sehr hartes, glänzendes, schwarzes kristallinisches Pulver, das selbst überhitztem Wasser widersteht. Wird das Calcium- borid im elektrischen Ofen geschmolzen, so erleidet es irgend- eine Veränderung, denn danach zersetzt es Wasser unter Wasserstoffentwicklung. Weitere Einzelheiten siehe Gmelin- Kraut-Friedheim, Handbuch der anorganischen Chemie (Heidelberg 1909, Verlag von Carl Winter), Bd. II, .■\bt. 2, S. 311 und S. 715. In der Literatur sind zwei .Muminiumboride BjAl,, und B04AI2 beschrieben. Sie entstehen bei hoher Temperatur und sind durch große Härte ausgezeichnet. Weiteres siehe Gm el in - Kr au t - Fr ied heim a. a. O. , Bd. 11 , .'\bt. 2, S. 644. Das bislang allein bekannte Alurainiumkarbid von der Formel .M4C.1 wurde zuerst von Moissan durch Verschmelzen eines Gemisches von Aluminium und Kohle oder Kaolin und Kohle bei der Temperatur des elektrischen Lichtbogenofens erhallen. Es ist ein schön kristallisierter Stoff, von dessen Eigenschaften besonders das Verhalten gegen Wasser bemer- kenswert ist: Mit Wasser liefert das Aluminiumkarbid nach der Gleichung A\^L-^ -|- 6 H.jO = 3 CH4 -f 2 Al.O;, neben hydratischem Aluminiumoxyd reines Methan. Näheres siehe Hönigschmid, 1. c. S. 59. Mg. Herrn L. L. in W. — Über die Aufgaben und Ziele der Phänologie, der Wissenschaft, die sich mit der zeitlichen Entwicklung des Pflanzenlebens im Laufe eines Jahres (vor- nehmlich mit der Belaubung, dem Aufblühen, der F"ruchtreife, der Laubvcrfärbung, dem Laubfall) und ihrer Beziehung zum Klima beschäftigt , unterrichtet man sich am besten aus den Schriften H. Hoffmann' s und E. Ihne's, der F'orscher, die sich ganz besonders um die Förderung der Phänol ogie verdient gemacht haben. Es sind zu nennen die Arbeiten: H. Hoffmann, Resultate der wichtigsten pllanzenphänologi- schen Beobachtungen in Europa; mit F^rühlingskarle , Gießen 1X85; ders., Phänologische Untersuchungen, Gießen 1887. — H o f fm ann und I h ne , Beiträge zur Phänologie, Gießen 1884, — E. Ihne, Phänologische Mitteilungen, 1S9S — 1911; Phä- nolog. Karte des Frühlingseinzugs im Großherzogtum Hessen, mit Erläuterungen, 2. Aufl., 1911; Beziehungen zwischen Pflanzenphänologie und Landwirtschaft (Arbeiten der Deutsch. Landwirtschaflsgesellschaft, Heft 161 , Berlin 1910). Hoff- niaun's und Ihne's Arbeiten sind größtenteils in den Be- richten der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heil- kunde, später in den Abhandlungen der Naturhistorischen Gesellschaft in Nürnberg erschienen; Ihne's Mitteilungen in den letzten Jahren in den .-arbeiten der Landwirtschaftskammer für das Großherzogtum Hessen (Beigaben zur Hessischen Landwirtschaftl. Zeitschrift). — Ferner sind zu nenuen : S. Günther, Die Phänologie, ein Grenzgebiet zwischen Biologie und Klimakunde, 1895; Bemerkungen zur Geschichte der Phänologie (Archiv f. d. Geschichte der Naturwissensch. und Technik, 111. 1911). — E. Beiche, Blütenkalender der deut- schen Phanerogamenflora, 2 Bde.. Hannover 1872. — In Wien hat früher Fritsch eine eifrige Tätigkeit auf diesem Gebiete entfaltet; er veröffentlichte viele Mitteilungen (in Jahrb. der Wiener Zentralanstalt f. Meteorologie, bis 1877). F'ür Ungarn: M. Staub und J. Bernatsky, Resultate der phytophänolog. Beobaclitungen in der Umgebung des Balatonsees, Wien 1906. In Rußland hat sich F. Herder mit solchen Studien befaßt (z. B. die wichtigsten Bäume, Sträucher und Stauden des K. Bot. Gart. St. Petersburg mit Rücksicht auf ihre periodische Entwicklung; 1864). In mehreren Teilen Deutschlands hat man fast jährlich die Resultate der Beobachtungen zusammen- gestellt. So z. B. Th. Schübe für Schlesien (in Jahrbuch Schles. Gesellsch. vaterl. Kultur); H. Töpfer für Thüringen (Mitteilg. Sachs. Tliüring. Vereins f. Erdkunde in Halle a.S.; z. B. 1910); J. Ziegler für Frankfurt a. M. (z. B. Pflanzen- phänol. Beob. zu Frankfurt a. M. 1891). — Schließlich sei noch O. Drudc's Werk, Deutschlands Pflanzengeographie, 1895, genannt. Ein sehr guter allgemein orientierender Ab- schnitt ist enthalten in Meyer's Konversationslexikon, 6. Aufl., Bd. XV, wo auch 4 lehrreiche Karten beiliegen. Mehrere der genannten Arbeiten und auch andere sind unter Phänologie angezeigt im .\ntiquariatskataloge von Max Weg (Leipzig, Königstrafle 3) Nr. 129 (19U) S. 241. Schließlich möchte ich noch auf ein kleineres für die reifere Jugend bestimmtes Werk hinweisen, das bei mir früher das Interesse für solche Be- obachtungen geweckt hat: Otto Dammer, Der Naturfreund (Berlin und Stuttgart, W. Spemann, 1885); S. 61 ist dort ein längerer Abschnitt, der Anleitungen gibt, auch ist H off- mann's und Ihne's ,,Phänologischer Aufruf" abgedruckt. H. Harms. Inhalt: A. Wurm: Die ältesten Dokumente palänntologischer Überlieferung. — Einzelberichte: Hansteen: Die Gift- wirkung von Metall-Ionen und der Lipoidgeh.ilt der Zellmembran. Ehrenberg: Nachweis der Gasvergiftung bei Straßenbäumen. Lindemann: Über die Grundlagen der Atommodelle. Knoche: Meteorologisches von der Oster- insel, Jollos: ,, Dauermodifikationen" bei Mikroorganismen. Amantea: Anzahl der Spermatozoen beim Coitus der Hunde, Volz, Baumeister, Harms: Das Auge von Periophthalmus, Boleophthalmus und Anableps. — Bücher- besprechungen: Procter: Taschenbuch für Gerbereichemiker und Lederfabrikanten. Brückraann: Palmnicken. Die Süßwasserflora Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Philippson: Das Mittelmeergebiet, seine geographi- sche und kulturelle Eigenart. Study: Die realistische Weltansicht und die Lehre vom Räume. Auwers und Boen- necke: Tabellen zur Berechnung der ,, theoretischen" Molrefraktionen organischer Verbindungen. Seh midiin: Das Triphenylmethyl. Werner: Über die Konstitution und Konfiguration von Verbindungen höherer Ordnung. Hann: Lehrbuch der Meteorologie. Münch: Erlebnis und Geltung. Kafka: Einführung in die Tierpsychologie. Lux: Das moderne Beleuchtungswesen. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue P'olge 13 liaml ; der ganzen Keihu 29. Band Sonntag, den 14. Juni 1914. Nummer Ji4. Methoden /Air Untersuchung des „Sehens [Nachdruck verboten.] Von Dr. Friedrich Keyl (Frankfurt a. M.). Bis fast ZU den Tagen Darwins hatte man von einer Tierpsychologie, dem Zweige der Psycho- logie, der sich mit den geistigen P""ähigkeiten der Tiere befaßt, nahezu keine Ahnung. Man hatte sich daran gewöhnt, den Tieren jede Regung geistigen Lebens abzusprechen und alle ihre Hand- lungen, die für uns den Begriff der Zweckmäßig- keit erkennen lassen, einfach als Äußerungen des Instinktes aufzufassen. Darwins Lehre von der allmählichen Weiterentwicklung auch auf das feelische, geistige Gebiet übertragen, führte dann nach und nach zur Herausbildung eines eigenen Wissenschaftszweiges der Tierpsychologie. Beob- achtung der Tierwelt in ihrem Leben und Trei- ben in der Freiheit und in der Gefangenschaft haben den Biologen und Psychologen mehr und mehr dazu gebracht, das Experiment im Dienste der Tierpsychologie als den allein ausschlaggeben- den und weiterführenden Faktor anzuerkennen. So haben sich denn seit den Tagen Hermann Müllers und Preyers die experimentellen Untersuchungsmethoden zu immer größerer Voll- kommenheit und Sicherheit herausgearbeitet. Wie es ja nun aber so oft in der Wissenschaft geht, hat man auch hier, nachdem einmal geistige, sinn- liche Eigenschaften den Tieren zugesprochen waren, gern und leicht über das Ziel hinausge- schossen und zuviel Menschliches auch auf die Tiere übertragen. Immer wieder mußten Stim- men laut werden, um solche Analogie- und Fehl- schlüsse zu hindern oder doch vor ihnen zu war- nen. So sagten schon 1852 Bergmann und Leuckart: „Hüten wir uns, auf die Tiere mit zu großer Sicherheit zu übertragen, was wir von unseren eigenen sinnlichen Wahrnehmungen her kennen . . . Praktisch wichtiger sind die L^nter- suchungen über die Grenzen, innerhalb welcher die Tiere mittels ihrer Sinneswerkzeuge die Außen- welt zu erkennen vermögen . . ." In den folgenden Zeilen möchte ich nun einen Überblick und eine Beschreibung der Untersuchungs- methoden geben, die man herausgebildet hat, das „Sehen" der Tiere zu prüfen. Da heißt es nun in erster Linie festzustellen, was man unter „Sehen" verstehen will. Daß dies nicht ganz leicht ist, zeigt ein Blick in die ausgedehnte Literatur, aus der ich einige Definitionen als Beispiele anführen will. Noel definiert; „Le mot „voir" supposant generale- ment une distinction visuelle est une representation visuelle et psychique des objets." Max Schnitze er- klärt: „Sehen ist Umwandlung derjenigen Bewe- gung, auf welcher das Licht beruht, in eine andere, welche wir Nervenleitung nennen." Nach der Tiere. A. v. Gräfe versteht man unter Sehen „die Emp- findung des Leuchtenden haben" — das Sehen im engeren Sinne ist aufzufassen als ,,die Perzep- tion der optischen auf der Netzhaut entstehenden Bilder". Nagel ^), dem die beiden letzten Defi- nitionen entnommen sind, führt noch eine weitere an, die einem Urteilsspruch des Reichsgerichts vom 6. März 1895 entstammt, der aus Anlaß einer Sehstörung durch Verletzung herbeigeführt wurde; „Der Verlust des Sehvermögens ist an- zunehmen, wenn das Auge zwar noch für die Lichteindrücke empfänglich, das Unterschei- dungsvermögen oder die Fähigkeit, äußere Gegenstände wahrzunehmen, aber erloschen ist." Alle diese Erklärungen, bis auf die von Schnitze, bedürfen des Auges als desjenigen Apparates, der Bilder entwirft und schalten somit von vornher- ein die Tiere von der Fähigkeit zu ,, sehen" aus, die keine Augen besitzen ; und doch vermögen diese auch Helligkeitsunterschiede wahrzunehmen. Lubbock'-j sagt ja schon: „Einfaches Empfinden des Lichtes ist möglich ohne irgendeinen op- tischen Apparat." Um auch diese Fähigkeit mit in meine Ausführung einzubegreifen, möchte ich folgende Definition geben; Jede Reaktion, die durch eine Änderung am Lichtstrahlen aussen- denden Objekt, sei es durch Vermehrung oder Verminderung der Größe oder der Intensität des Lichtes, sei es durch eine Änderung in der Rich- tung der ausgehenden Strahlen, an dem von den Strahlen getroffenen Tierkörper hervorgerufen wird, ist ein Zeichen dafür, daß das Tier ,, sieht", oder um den landläufigen Begriff des ,, Sehens" als Bildempfindung ganz zu umgehen, daß das Tier Licht empfindet, also nach Beer^) photiert. Es soll aber hierbei keineswegs ausgedrückt sein, wie diese Lichtempfindung vor sich geht, ob als t^mpfindung von Helligkeit und Dunkel- heit, ob als Gefühl des Schmerzes oder der Un- lust usw. Die verschiedenen Methoden zur Untersuchung des Sehens der Tiere lassen sich in drei Haupt- gruppen einteilen: 1. die Methoden der direkten Reaktion, 2. die Wahlmethoden, 3. die Strukturmethoden. I. Methoden der direkten Reaktion. Die Untersuchung nach der ersten Art beruht ') Nagel, Der Lichtsinn augenloser Tiere, Jena 1896. 2) Lubbock, Die Sinne und das geistige Leben der Tiere. Intern, wiss. Bibl. iSSg. '■') Beer, Über primitive Sehorgane. Wiener klinische Wochenschrift 1901. 370 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 24 darauf, daß man auf ein Tier einen bestimmten Reiz einwirlage, ob der Physiologe von heute glaubt, daß bei fortschreitender Erkenntnis schließlich einmal das ganze Leben sich in seine chemischen und physikalischen Komponenten auflösen lasse oder, ob er, was wohl die philosophischeren unter ihnen tun, glaubt, daß dieses eine über die Fähigkeiten der Naturwissen- schaften hinausgehende Angelegenheit ist, die in das Gebiet gewisser letzter erkenntnistheoretischer Fragen gehört. Einerlei, wie er sich zu diesen Fragen stellt, wird der Physiologe jeden Versuch, die Äußerungen eines so unendlich zusammen- gesetzten und trotz seiner Zusammengesetztheit so geschlossen von innen heraus einheitlich re- agierenden Systemes, wie es selbst das einfachste Bakterium darstellt, mit irgendwelchen Erschei- nungen an leblosen Massen in eine ernsthafte Pa- rallele zu setzen, nur als roh bezeichnen. Daß solche Betrachtungen aber deshalb ganz zu verwerfen wären, soll damit nicht gesagt werden, ja, sie können sogar, wie meinetwegen das Studium der Kolloide lehrt, uns wesentlich klarere Vorstellungen über gewisse Eigenheiten der lebendigen Substanz, soweit wir sie experimentell zu isolieren trachten, verschaffen und sehr wertvolle Anregungen zu neuen Forschungen geben, aber „das Ganze geht wiederum in euern Kopf so wenig wie in meinen" (Goethe). Überhaupt, man kommt auf diesem Wege gar zu leicht zu zwecklosen Spielereien. Es kommt eben ganz darauf an, wie weit man den Begriff „Leben" faßt, um dann alles irgend wün- schenswerte in ihn hinein zu packen. Und da man überhaupt keine vollständig eindeutige Defi- nition des Lebens aufstellen kann, so kann man ganz nach Wunsch verfahren. Zudem werden in dem, übrigens mit vielem Fleiß zusammenge- stellten Buche die physiologischen Vorgänge zu oberflächlich betrachtet und die wissenschaftliche Analyse fehlt. Es genügt hier, z. B. auf das Ka- pitel „Atmung und Ernährung" hinzuweisen und manche andere physiologische Grobheiten. Zu weilen wird auch den Tatsachen Gewalt angetan (Holz soll z. B. auch ohne Kontakt mit Plasma wachsen). Miehe. Ewald Banse, Illustrierte Länderkunde. 335 S. mit Tafeln und Karte. 8". Braunschweig, Berlin, Hamburg, George Westermann 1914. — Preis 5 Mk. Ein interessanter und dankenswerter, im ganzen wohlgelungener Versuch, die großen natürlichen Einheiten der festen Erdoberfläche ohne Rück- sicht auf die politischen Grenzen in engem Rahmen und lesbarer Form weiteren Kreisen darzubieten. Als eigentliches Lehrbuch für den Studierenden der Geographie dürfte sich das Werk weniger eignen wie zur Lektüre für die zahlreichen Freunde der Geographie, einschließlich der Fachgeographen. Die von dem Herausgeber bereits seit längerer Zeit mit viel Temperament vertretene Anschau- ung, daß die alte Einteilung der Erde in 5 Kon- tinente unzweckmäßig sei, hat ihn dazu geführt, dieser Länderkunde seine neue Abgrenzung der Erdräume zugrunde zu legen. Es ist ihm gelungen, eine Reihe von hervorragenden Fachleuten für die Bearbeitung der einzelnen Teile zu gewinnen. Da der Herausgeber selbst ein guter Kenner des Orients ist, so hat er diesen, den er den ältesten aller Erdteile nennt, selbst bearbeitet und hinter einer kurzen allgemeinen Einleitung an die Spitze der Länderbeschreibung gestellt. Es folgen dann Europa von W. Schjerning, Groß-Sibirien, d. h. das Russische Reich mit Ausnahme der Ost- seeprovinzen und Finlands, von F. Zugmayer, Mongolien und Hochasien von demselben Ver- fasser, Ostasien von E. Tießen und Indien von M. Holz mann. Als Groß-Australien wird dieser Erdteil einschließlich der großen Inseln Neusee- land und Neuguinea sowie der Inselschwärme Mikronesiens und Polynesiens bezeichnet, ein außer- ordentlich weit ausgedehntes Gebiet, das J. V. D a n e s bearbeitet hat. Während Nordafrika etwa nördlich vom 17. Grad nördlicher Breite zum Orient gerechnet wird, hat der übrige, Nigritien genannte Teil eine Darstellung durch K. S c h w a b e gefunden. Ost-Südamerika und Andina (d. h. West-Südamerika) und Mittelamerika schildert W. Ule, Kordilleria (d. h. West-Nordamerika) und Amerika (d. h. Ost-Nordamerika) A. Oppel. Der Arktis und Antarktis schließlich sind zusammen neun Seiten Text von O. Nordenskjöld ge- widmet. 56 meist geschickt ausgewählte schöne Abbildungen auf 17 Tafeln tragen viel zur Ver- anschaulichung bei. Eine Umrisskarte, auf der die von dem Herausgebeber abgegrenzten natür- lichen Erdteile durch Flächenkolorit unterschieden sind, beschließt das Werk. O. Baschin. Neger, Prof. Dr. F. W., Die Laubhölzer. Kurzgefaßte Beschreibung der in Mitteleuropa einheimischen Bäume und Sträucher, sowie der wichtigeren in Gärten gezogenen Laubholz- pflanzen. Mit 74 Textabbild, und 6 Tabellen. Sammlung Göschen 1914. — 90 Pf. Das kleine Büchlein kann als ein sehr nütz- liches Hilfsmittel bei der Bestimmung der ein- heimischen Laubhölzer empfohlen werden. Recht praktisch erscheinen mir die die Unterscheidung der Arten erleichternden, hie und da eingestreuten kleinen Tabellen, sowie ganz besonders die größe- ren Tabellen am Schluß, zum Bestimmen i. der wichtigsten Laubholzsamen und -fruchte, 2. der wichtigeren Laubholzkeimlinge, 3. der wichtigeren Laubbäume im Sommer- und 4. im Winterzustande und schließlich 5. des Holzes nach mikroskopischen Merkmalen. Ob nicht der Verf. später auch ein- mal den Versuch machen könnte, für die wich- N. F. XIII. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 383 tigsten VValdbäume eine Bestimmungstabelle nach den Eigenheiten der Rinde und der Verzweigung auszuarbeiten? Da diese Merkmale bei hohen Räumen oft die allein oder hauptsächlich zugäng- lichen sind, wäre eine solche Tabelle besonders nützlich, abgesehen davon, daß sie auch sehr lehr- reich in bezug auf die Physiognomik des Waldes sein würde. Miehe. Kleinere Mitteilungen. Tuberkulose und Milch. Auf der letzten in Berlin abgehaltenen Tuberkulose - Konferenz er- stattete der Direktor der Veterinär-Abteilung im Kaiserl. Gesundheitsamt Geheimrat v. Ostertag einen umfassenden Bericht über die Frage, in welchem Maße durch den Genuß von Tiermilch Tuberkulose auf den Menschen übertragen werden könne. ^) Er führte aus, daß schon der Umfang, in dem Milch als Nahrungsmittel für Menschen dient, zeige, um welch wichtige Frage es sich hierbei handele. In Deutschland werden im Jahre rund 252 Millionen Hektoliter Milch gewonnen, von denen ^/,o als F"rischmilch, '^/jg als Butter und nur ^/lo als Futtermilch für Tiere verwendet werden. Die Bedeutung der Tiermilch als mensch- liches Nahrungsmittel tritt erst recht hervor, wenn man bedenkt, wie das Kind auf die Tiermilch als ausschließliches oder doch an erster Stelle stehen- des Nahrungsmittel angewiesen ist. Die Gefahr scheint auf den ersten Blick eine sehr große zu sein, sobald man in Betracht zieht, in wie hohem Maße die Tuberkulose unter den Rindern der Kulturstaaten verbreitet ist. Wir besitzen seit 1904 in Deutschland eine Statistik über die Ergebnisse der amtlichen Fleischbeschau. Nach dieser sind im Jahre 1910 als Beispiel 30,88 "/'(, der geschlach- teten Kühe mit Tuberkulose behaftet gefunden worden. Noch schlechter stellen sich die Zahlen, wenn man die Ergebnisse der Tuberkulin-Prüfun- gen heranzieht. Danach kann die Zahl der auf Tuberkulin reagierenden, also höchstwahrschein- lich an Tuberkulose erkrankten Tiere in Hoch- zuchtbetrieben, in die häufig zu Verbesserungs- zwecken fremde Tiere gebracht werden, 50 — 60 "/q, selbst 90 "/q betragen. Eine Reihe von Unter- suchungen sind über den Tuberkelbazillengehalt der auf den Markt gebrachten Milch und Butter angestellt worden. Die Häufigkeit der Funde von Tuberkelbazillen in der Milch waren sehr ver- schieden; sie schwankten von o — 61 "/^ der Proben. Schon daraus ist zu schließen, daß bei der gleich- mäßigen Verbreitung der Tuberkulose besondere Umstände bei der Infektion der Milch mitsprechen müssen. Bollinger war wohl der erste, der auf den starken Tuberkelbazillengehalt und die hohe Virulenz der aus tuberkulösen Eutern stammenden Milch hingewiesen hat. v. Ostertag stellte fest, daß außer den an Eutertuberkulose erkrankten Kühen, die mit offener Lungen-, Gebär- mutter- oder Darmtuberkulose behafteten Tiere tuberkelbazillenhaltige Milch liefern. Jedoch ') Zeitschr. f. Fleisch- und Milchhygenie, 14. Jahrg., Heft 3. 4, 5. 6. gelangen bei den letzteren die Bazillen gewisser- maßen „von außen" in die Milch. Der Vortragende berichtet dann in der eingehendsten Weise über alle auf diesen Gebieten angestellten Untersuchun- gen. In eigenen umfassenden Versuchen hat V. Ostertag nachgewiesen, daß die Milch von Tieren, die lediglich auf Tuberkulin reagieren, ohne klinische Erscheinungen zu zeigen, frei von Tuber- kelbazillen ist. Demnach darf man die Gefahr, die dem Menschen durch die Milch tuberkulöser Tiere droht, auch nicht überschätzen. Das Euter- sekret der an Eutertuberkulose erkrankten Tiere ist allerdings stets in hohem Maße virulent und kann infolge seines hohen Gehalts an Tuberkel- bazillen— 50 bis 100 000 Bazillen in i ccm Milch sind nichts seltenes, bis zu i Million sind schätzungs- weise festgestellt worden — auch die Sammel- milch von vielen Kühen in hohem Maße infizieren. Es wurden 0,1 — 0,3 "/g aller Kühe an Eutertuber- kulose erkrankt gefunden. Diese Tiere also stellen die Hauptgefahr für den Menschen dar. Danach kommen die übrigen mit „offener" Tuberkulose behafteten Rinder in Betracht. Da es feststeht, daß die Tuberkulose der Haustiere durch Milch- genuß übertragen werden kann, sind die oben ge- nannten Formen der Tiertuberkulose zu bekämpfen, in der Weise, wie es in dem neuen deutschen Viehseuchengesetz vorgeschrieben ist (Änzeige- pflicht, Tötungsbefugnis, Verkehrsbeschränkungen für die Milch). Diese Maßnahmen sollten auch auf die anderen Milchtiere, insbesondere die Ziegen ausgedehnt werden. Bis allgemein eine regelmäßige tierärztliche Kontrolle der Milchviehbestände zur Einführung gelangt ist, sollte zur Verhütung der Übertragungsgefahr die Milch vor dem Gebrauch stets abgekocht werden. W. ligner. Wendehals und Sperber. Am 16. April 1914 konnte ich in Treis a. d. Mosel eine Beobachtung machen, zu der man nicht oft Gelegenheit hat. Schon einige Tage vorher hatte mir der Wende- hals mit dem gleichförmigen Frühlingsrufe wiep, wiep, wiep . . . seine Ankunft in der schon älteren Obstbaumpflanzung oberhalb Treis angemeldet. An dem bezeichneten Tage beobachtete ich in der Morgenfrühe zwei dieser Vögel, welche lebhaft hin und her flogen. Bald trennten sie sich und einer setzte sich in meiner Nähe quer auf einen Ast und ließ fleißig seine charakteristische Stimme erschallen. Das Gefieder war bei dieser Gelegen- heit stark gelockert. Plötzlich wurde es glatt an- gelegt, der Ruf ertönte nicht mehr und nach einer schnell ausgeführten Viertelwendung saß er, wie es ja für die Nachtschwalbe bekannt ist, so auf 384 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 24 dem Aste, daß die Längsrichtung des Vogels mit der des Astes zusammenfiel. Gleichzeitig hörte ich in der Nachbarschaft einen kräftigen Flügel- schlag: ein Sperber hatte einen kleineren Vogel verfehlt. Längere Zeit wagte der dem Aste dicht an- geschmiegte Wendehals sich nicht zu rühren. Nahrungssuche und Neckereien waren unter diesen Umständen zur Nebensache geworden. Das ganze Streben des eingeschüchterten Vogels war jetzt daraufgerichtet, nur nicht als Frühstück im Sperber- magen zu verschwinden. Zur Erreichung dieses Zieles war jedenfalls ein recht zweckmäßiges Ver- fahren beobachtet worden. Prof. Dr. Brockmeier, M.-Gladbach. Über die Verwendung des Kupfers in dem 1898 gegründeten Kabelwerk Oberspree der AEG gibt die Mai - Nummer der von dieser Gesellschaft herausgegebenen Zeitung interessante Auskünfte. Der Verbrauch betrug 1898/99 5 103 t 1904/05 14800 t 1909/10 22948 t 1912/13 33778 t Die gesamte deutsche Kupferproduktion würde nicht genügen, den Jahresbedarf des Kabelwerkes zu decken. Das Kupfer wird aus Nordamerika bezogen. Es wird als reines IVIetall und als Bronze zu Leitungsdraht verarbeitet und in I^egierung mit Zink als Messing zu Konstruktionsmaterial ver- wendet. Die gesamte seit 1898 verarbeitete Kupfer- menge beträgt über eine Viertelmillion Tonnen (257631 t), das sind 29OOO cbm. Ein Kupfer- würfel von 30 m Kantenlänge würde etwa das- selbe Volumen haben. Seh. Literatur. Findlay, Dr. Ale.'iander, Der osmotische Druck, .'auto- risierte deutsche Ausgabe von Dr. Guido Scivessy mit einer Einführung zur deutschen Ausgabe von Wilh. Ostwald. Dresden und Leipzig '14, Th. Steinljopff. 4 Mk. Simroth, Prof. Dr. Heinrich, Die Pendulationstheorie. 2. Aufl. Berlin '14, Konrad Grethlein. Geb. 10 Mk. gar nichts. Inzucht, wozu ja aucli die Verwandtenheiraten gehören, ist bei gesundem Zuclitmaterial gänzlich unscliädlich. Sonst wiire eine rationelle Tierzucht gar nicht möglich. Wie hierbei, der mit Auslese verbundenen Inzucht, eine Ansamm- lung wünschenswerter Merkmale statthat, lindet bei Verwen- dung pathologischer Individuen zur gegenseitigen Befruchtung natürlich eine Häufung pathologischer Merkmale statt. Daß durch die Vereinigung zweier nahe verwandter Gameten an und für sich, oder allein die Ursache zum Auftreten eines ]iathologischen Merkmales gegeben wäre, ist weder irgendwie erwiesen, noch wahrscheinlich. Die Ursachen der Hemmungs- mitibildungen sind wohl vielfach gar nicht in der Keimkonsli- tuüon zu suchen, sondern irgendwelche während der Entwick- lung auftretenden ungünstigen Bedingungen , ,, Entwicklungs- störungen" rufen sie hervor. Petersen. Anregungen und Antworten. Herrn stud. rer. nat. G. v. B., Stuttgart. — Hasenscharte und Wolfsrachen rechnet man in der Tat zu den „Degene- rationsmerkmalen". Vgl. z. B. Ziehen, Psychiatrie (p. 212 und 213, 3. Aufl. 1908). Über die eigentlichen „Ursachen" dieser, wie der meisten Hemmungsmißbildungen weiß man Herrn G. v. B. in Stuttgart. Sind Hühnereier in ihrem Innern bakterienfrei? Gemäß der Entstehung der Eier ist zu erwarten, daß sie unter Umständen schon dann , wenn sie ge- legt werden, von Mikroorganismen infiziert sind. Die Eiweiß- hülle und die Schalen werden ja erst im Eileiter resp. im Uterus gebildet, so daß falls einmal von der Kloake aus eine Infektion dieser Organe stattgefunden hat, die eingedrungenen | Mikroorganismen mit in das Ei eingeschlossen werden. Wenn nun solche Eindringlinge oder wie man besser sagen könnte Gefangene sich in der Substanz des Eies zu entwickeln ver- mögen, verdirbt dies nach einiger Zvit. Wahrscheinlich wer- den die meisten faulen Eier auf diese Weise faul. Die Art des Fäulnisvorganges kann verschieden sein. In den meisten Fällen werden die Eier in eine mißfarbene Jauche verwandelt, wobei viel Gas, hauptsächlich H„S, gebildet wird, oft so viel, daß das Ei platzt. In anderen werden sie breiig, ockergelb und riechen stark nach menschlichen Fäces. Als Ursachen dieser Zersetzungsvorgänge werden verschiedene Bakterien an- gegeben. Es können aber auch Schimmelpilze im Ei sich entwickeln. Man trifft dann lokale, verfärbte Herde unter der Schale. Der Geruch ist in diesem Falle weniger heftig. (Vgl. Lafar, Techn. Mykologie, 2. Aufl., Bd. 111, p. 100 ff. und Bd. IV, p. 274.) Die Infektion kann aber auch nachträglich am fertigen, gelegten Ei erfolgen, da es durch verschiedene Versuche (vgl. z.B. Lind, Jahrb. f. wissensch. Botanik, Bd. 32, 1898, sowie Buller, Leipziger phil. Dissertation 1899) erwiesen wurde, daß Pilze und Bakterien durch die bekanntermaßen poröse Eischale hindurchzudiingen vermögen. Man wird aber an- nehmen können, daß diese Art der Infektion nur bei älteren, feucht und dumpf gelagerten Eiern eintritt, da für gewöhnlich die Oberfläche der Schale zu trocken ist, als daß die Mikroben auf ihr Fuß zu fassen vermöchten. Immerhin besteht bei Eiern, die längere Zeit lagern müssen, diese Gefahr durchaus. Man sucht deshalb solche Eier dadurch zu konservieren , dafl man entweder ihre Oberfläche imprägniert, z. B. mit Fett, Vaseline, Paraffin, Wasserglas, Kollodium, oder sie ganz in antiseptische Flüssigkeiten eintaucht (wie Kalkwasser, Wasser- glas), resp. mit Desinfektionsmitteln bestreicht. Ob während des Brütens eine Infektion stattfinden kann, ist mir nicht be- kannt, auch scheint die Frage bisher noch nicht erörtert zu sein, ob für erfolgreiche Ausbreitung der auf diese oder jene Weise in das Ei gelangten Keime etwa die Eizelle tot sein muß, was ja nicht ganz undenkbar wäre. Auch wäre zu be- rücksichtigen, daß die hohe Bruttemperatur, die für sehr viele Bakterien bereits ihre obere Wachstumsgrenze darstellt, die Infektion erschwert. Miche. Inhalt; Kcyl; Methoden zur Untersuchung des „Sehens" der Tiere. Babak: Zur Frage der Atemregulation in der Tier- reihe. . — Einzelberichte: Buchwald: Beugung des Lichtes an Raumgittern. Eckmann: Problem des Vogelzuges. 011 ive: Elemente der bekannten Monde. Pickering: Veränderungen am Mondkrater Eimmart. Aurenche und Loncheux: Die Abweichungen des Stoffwechsels von der Norm bei übermäßiger Muskelarbeit. Galeotti: Die Ein- wirkung kolloidaler Metalle auf Zellen. — Bücherbesprechungen: Lerch; Geologische Wanderungen in der Um- gegend von Hannover. Schrenck-Notzing: Der Kampf um die Materialisationsphänomene. Jentsch: Julius Robert Mayer, seine Krankheitsgeschichte und die Geschichte seiner Entdeckung. Hirt: Das Leben der anorganischen Welt. Banse: Illustrierte Länderkunde. Neger: Die Laubhölzer. — Kleinere Mitteilungen : ligner: Tuberkulose und Milch. Brockmeier: Wendehals und Sperber. Schutt: Verwendung des Kupfers. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H.Mi ehe in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzen Reihe 2g. Band Sonntag, den 21. Juni 1914. Nummer 25. [Nachdruck verboten.] Es ist eine alte Erfahrung, daß nicht alle Pflan- zen Samen liefern, welche gleich nach der Reife keimen. Wenn wir einen ausgereiften Kohlsamen der Schote entnehmen und ihn sogleich wieder zur Keimung in die Erde legen, so wird er, wenn nur die übrigen notwendigen Keimungsbedingun- gen vorhanden sind, alsbald wieder auskeimen. in sehr vielen anderen Fällen ist das aber nicht der Fall. Wir kennen aus unserer Kinderzeit alle Beispiele von Kirschkernen, die wir in den Boden steckten und welche dann lange Zeit zu unserem eigenen Leidwesen ungekeimt im Boden verblieben. Endlich aber lieferten sie doch nach langer Zeit kleine Pflänzchen. Aber auch der Gemüsezijchter weiß, daß der Same der Möhre, Daucus Carola, lange im Boden liegt, ehe er keimt, während Erbsen bei günstiger Witterung sehr schnell aufgehen. Und wie mancher Blumenfreund ist nicht auf eine harte Probe gestellt worden, wenn Blumensamen wie Canna, Primula, manche Phloxarten usw. nicht aufgehen wollten. Dabei erhielten sich aber alle diese Samen völlig gesund und frisch, und wenn der Züchter nur Geduld genug hatte, dann war er endlich auch noch in der Lage, die ausgelegten Samen keimen zu sehen. Wir wollen uns im folgenden derartige Fälle von Keimverzug etwas näher betrachten. Da sind einmal solche Samen zu nennen, welche trotz günstiger Keimungsbedingungen durch eine oder auch mehrere Vegetationsperioden hindurch im Boden liegen können, ohne überhaupt Keim- linge zu ergeben. So berichtet z.B. Tittmann im Jahre 1821, daß die Früchte der Rosen andert- halb Jahre im Boden liegen, ehe die Keimung der eingeschlossenen Samen erfolgt. Und Nobbe (1876, S. 352) teilt mit, daß die Saalkörner der Eibe, der Esche, Kirsche, des Weißdornes, über- haupt der Pomaceen, Amygdaleen, mancher Palmen regelmäßig eine, bisweilen zwei Vegetationsperioden über liegen. „Wenn hier im Jahre der Aussaat trotz günstiger Witterung keine Pflanze erscheint, ist die Hoffnung nicht aufzugeben, der nächste Lenz werde alles einbringen, wenn wir sonst des Ursprungs und der Aufbewahrung des Saatgutes sicher sind." Bei diesen Samen ist also der Keim- Über Keimverzug. Von Ernst Lehmann. Verzug sehr ausgesprochen. Und so verhalten sich noch die Samen vieler unserer Waldbäume, vgl. dazu Kienitz, Forstl. Blätter (Grunert und Borg- greve, l(j, 1886, S. 1—6). In vielen anderen Fällen werden nicht alle Samen einer Ernte gleichmäßig vom Keimverzug betroffen. Es keimen vielmehr einige Samen schon bald nach der Ernte, andere erst im darauffolgen- den Jahre, noch andere noch später und so kann sich die Keimung solcher Samen über viele Jahre erstrecken. Schon 1834 hat Duvernoy hierauf für eine Anzahl von Monokotylensamen hinge- wiesen. Er zeigte z. B., daß Samen der Herbst- zeillose (Colchicum autumnale), welche bald nach der Reife in Töpfe gesät werden, die den Winter über in einem mäßig geheizten Zimmer gehalten wurden, zum nächsten Frühjahr erst in einigen wenigen Exemplaren keimten; im darauffolgen- den Frühjahre erschienen wieder einige Keim- linge und wieder andere erst im dritten Jahre. Dabei war merkwürdig, daß diese Samen ebenso wie diejenigen vieler anderer Monokotylen gerade immer — trotz dauernd ungefähr gleichmäßiger Wärme — im Frühjahr keimten. Auch durch neuere Untersuchungen, z. B. der dänischen Samen- kontrollstation, hat sich das für eine Reihe von Samen immer wieder gezeigt. Du vern oy wollte dies durch einen inneren periodischen Trieb er- klären; Nobbe wehrte sich dagegen sehr lebhaft. Dennoch haben wir sicher heute für viele dieser Samen noch keinen ausreichenden Grund, warum sie immer im Frühjahr auskeimen. Besonders eingehende Untersuchungen mit langsam keimenden Samen haben daim Nobbe und Hänlein (1877) angeslelll. Sie geben z.B. für Kleesamen folgende Keimverhällnisse an : Es quollen von 64 bei 18—20° C 10 Tage lang feucht gehaltenen Körnern am 12., 14., 63., 75-. 79-. 167., 18S., 209., 247., 292. Tage 111221 3 2 I 2 Samen. Aus einer größeren Anzahl untersuchter Un- kraulsamen seien folgende hierhergehörige, beson- ders instruktive Fälle zahlenmäßig angeführt. Es keimten nach 3 8 •5 20 30 40 50 70 100 200 300 400 500 640 724 Tagen Apera spica Venti — 37 31 27 39 — 10 2 — 22 I 1 Scleranthus annus — 88 50 5 63-4 3 3 — — 15 I — Samen Myosotis intermedia - .58 ■32 3 — I 38 5 - 4 — - 2Ü - — 386 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xni. Nr. 25 Sehr auffälüg sind diese Nachkeimungen auch bei Tithymalus Cyparissias, der Cypressenwolfs- milch, wo Winkler zeigte, daß sie innerhalb 4 — 7 Jahren zustande kommen. Seit den Jahren 1898/99 durch das ganze erste Dezennium des jetzigen Jahrhunderts sind dann an der dänischen Samenkontrollstation in Kopen- hagen mit sehr vielei\ Samen Keimungsversuche angestellt worden, welche immer neue Beispiele für solche langsame Keimung erbrachten. Schließlich kennen wir noch andere Samen, welche zwar nicht direkt nach der Reife, aber doch innerhalb ein oder weniger Monate nach derselben vollständig auskeimen. Hierfiir brauche ich keine besonderen Beispiele anzuführen, denn so verhalten sich sehr zahlreiche Samen. Dieser Keimverzug ist naturgemäß praktisch von außerordentlicher Bedeutung. Der Landwirt, Forstmann, Gärtner, wie jeder, der sich mit der Anzucht von Sämlingen beschäftigt, will einmal wissen, in wie langer Zeit er nach der Aussaat die Keimung seiner Samen erwarten kann. Dann aber ist es noch von viel größerer Bedeutung, daß er erfährt, von einem wie großen Prozentsatz er innerhalb einer bestimmten Zeit Keimlinge er- zielen kann. Denn von diesem Prozentsatz an Keimlingen hängt für ihn der Wert seiner Samen- probe ab. Dieser Prozentsatz wird im Samen- handel vom Händler für die zu verkaufende Samen- menge angegeben und, soweit es der Käufer ver- langt, von einer staatlichen Samenkontrollstation beglaubigt. Für diese Samenprüfung ist aber, wie leicht ersichtlich, eine sichere Kenntnis des Keim- verzugs unumgänglich notwendig. Und so ging denn auch die Erforschung dieses Keimverzugs von Samenprüfungsanstalten aus, während sich heute auch die theoretische Pflanzenphysiologie der Aufklärung dieses interessanten Vorganges angenommen hat. Nachdem einmal die Tatsache des Keimver- zuges festgestellt war, handelte es sich vor allem um die Beantwortung der Frage, auf welche Ur- sachen das Zustandekommen des Keimverzuges zurückzuführen ist. Für eine ganze Reihe von Phallen sind diese Ursachen heute in befriedigender Weise aufgehellt, während andere noch der Auf- klärung harren. Man könnte nun vielleicht daran denken, daß un- günstige äußere Bedingungen den Keimverzug be- wirken. Wir wollen von der Erörterung solcher Fälle hier einstweilen absehen und annehmen, der Same sei unter für seine Keimung durchaus gün- stige Bedingungen verbracht worden. Unter solchen Umständen lägen aber noch zweierlei prinzipiell ganz verschiedene Möglichkeiten vor, welche den Keimverzug verursachen könnten. Wir können uns nämlich dann das keimungshemmende Prinzip entweder in der Samenschale liegend denken, oder es käme das Sameninnere in Frage. Betrach- ten wir zuerst den Einfluß der Samenschale. Es ist einmal sehr wohl denkbar, daß Samen, welche mit einer sehr harten und dicken Schale umgeben sind, oder welche sogar noch von einer festen P'ruchtschaie umschlossen werden, dem Aus- tritt des Würzelchens und der Plumula erheblichen Widerstand in den Weg setzen. Das kommt natür- lich nur für solche hartschalige Samen in Frage, welche nicht über eine besonders ausgebildete Durchtrittszone für das Würzelchen verfügen, wie das oftmals der Fall ist. Dann aber kann die harte Schale auch die Quellung stark hindern und damit die Aufnahme von Wasser und Sauerstoff hemmen. Wir wollen nun einmal einige ältere und neuere Untersu- chungen betrachten, welche sich mit dem Keim- verzug bei solchen hartschaligen Samen beschäf- tigt haben. Hart- und dickschalige Samen, welche Keim- verzug aufweisen, kommen beispielsweise bei Koni- feren und Leguminosen häufig vor. Schon Nobbe, der bekannte Tharandter Keimungsforscher und Begründer der deutschen Samenkontrolle beschäf- tigte sich mit der Untersuchung dieser Hartschalig- keit. Wir sahen ja, daß er gemeinsam mit Hän- lein gezeigt hatte, daß Leguminosensamen ein teilweise sehr erheblicher Keimverzug zukommt. Gerade von diesen Leguminosensamen konnte nun aber gezeigt werden, daß hier die Keimungs- hemmung in der Samenschale liegt. Die Samen- schale der Leguminosen ist von sehr vielen For- schern eingehend untersucht worden. Wir können auf die Erörterung dieser Untersuchungen hier nicht weiter eingehen. Die Schale besteht sehr häufig aus einer Reihe sehr schwer wasserdurchlässiger Schichten. Das Innere des Samens bleibt in vielen Fällen auch nach jahrelangem Quellen in Wasser noch völlig trocken. Der Same keimt nicht. Der Prozentsatz dieser nicht bzw. langsam keimenden — harten — Samen ist in einzelnen Samenproben sehr verschieden, aber oftmals recht hoch. Wenn aber die geringste Verletzung, ein Riß oder etwas derartiges der Samenschale zugefügt wird, wodurch das Wasser ins Innere vordringen kann, dann be- ginnt der Same alsbald zu quellen und zu keimen. Das konnte von Nobbe für Klee, Medicago, Acacia, Robinia und viele andere Papilionaceen festgestellt werden. Diese Erkenntnis wird in der Praxis heute viel- fach benutzt, indem man besonders Kleesämereien einem Ritzverfahren unterwirft, wodurch die be- treffenden Sämereien mit kleinen, auch mikro- skopisch kaum wahrnehmbaren Ritzen versehen werden, die aber genügen, um dem Wasser den Zugang zum Sameninnern zu ermöglichen und so die Keimung auch der harten Samen zustande zu bringen. Von verschiedenen Seiten sind allerlei Ritzmaschinen zu diesem Zwecke konstruiert worden, welche von P u c h n e r ausführlich beschrieben wurden. Es ist aber nicht nur möglich, diese Hart- schaligkeit und damit den Keimverzug solcher Samen auf mechanischem Wege zu beseitigen. Auch auf chemischem Wege gelingt dies in vielen Fällen, wie von verschiedenen Forschern — es N. F. XIII. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 387 seien vor allem genannt Todaro, Wübbena, Miltner — gezeigt wurde. Vor allem eine Be- handlung mit konzentrierter Schwefelsäure wäh- rend verschieden langer, ungefähr eine Stunde betragender Zeit hat sich hierfür geeignet erwieseji. Durch diese Behandlung werden die meisten harten Samen der Leguminosen keimfähig gemacht. Die Wirkung der Schwefelsäure beruht in diesen Fällen darauf, daß die für Wasser schwer durchlässigen äußeren Schichten, nach Hiltner besonders die sogenannte Lichtschicht, abgebeizt werden und dadurch dem Wasser ungehinderter Eintritt ver- schafft wird. Auch eine Behandlung solcher harter Samen mit kochendem Wasser führt zu dem Er- gebnis, daß die Samen ihre Keimunfähigkeit ver- lieren. Nobbe (S. 229) hatte früher angenommen, daß eine Sprengung der Samenschale verursacht wird; Lakon zeigt neuerdings für Gleditschia, daß diese Behandlung zu gesteigerter Imbibitions- fähigkeit der Samenschale führt. In ganz spezieller Weise wurde der Keimverzug von Glcditsdua fnacaiithos neuerdings von Ver- schaffelt untersucht. Derselbe brachte diese harten Samen statt in Wasser in Äthylalkohol. Wenn man sie dort einige Stunden beläßt und dann in Wasser überführt, beginnen sie alsbald zu quellen. Ver- schaffelt zeigt nun, daß diese Wirkung des Alkohols darauf zurückzuführen ist, daß der Alkohol in feine Spalten der Samenschale eindringt, in welche das Wasser nicht einzudringen vermag. Wenn der Alkohol aber einmal vorangegangen ist, kann sich das Wasser auf dem Wege der Diffusion mit dem Alkohol vermischen und so ebenfalls in diese feinen Spalten gelangen. Übrigens beruht dieser Einfluß des Alkohols in diesem Falle aber nicht etwa darauf, daß er verschließende Substanzen aus der Wand herauslöst, denn wenn man mit Alkohol behandelte Samen trocknet und dann das Wasser etwa direkt eindringen lassen möchte, so gelingt das nicht. Es müßte das aber doch dann der Fall sein, wenn der Alkohol hin- dernde Stoffe aus der Samenschale herausgelöst hätte. Recht interessant sind sodann die Feststellungen, Wübbenas und Hiltner s, daß die Hartschalig- keit von äußeren Bedingungen stark beeinflußbar ist. So erhöht z. B. starke trockene Erwärmung die Hartschaligkeit von Lupinen, Kleesamen und anderen nach Hiltner erheblich. Zu demselben Ergebnis führte Trocknung der Samen über Schwefelsäure. Schon Nobbe (S. 364) wollte die Ursache des Keimverzugs von Koniferensamen — er spricht von der Zirbelkiefer — auch in der harten Samen- schale suchen. Hiltner und K i n z e 1 vertraten diese Ansicht dann weiterhin für eine ganze Reihe anderer Koniferensamen, deren Keimverzug sich ebenfalls durch Abbeizen mit konzentrierter Schwefelsäure beseitigen lassen soll. Neuerdings aber kommt Lakon zu dem Ergebnis, daß bei verschiedenen Kiefernarten (Pinus Strobus, Cembra usw.J die Ursache des Keimverzuges nicht in der harten Schale zu suchen sei, sondern vielmehr im Sameninnern. Dagegen werde der Keimverzug der Samen von Taxus baccata durch die Hart- schaligkeit verursacht. Von besonderem Interesse sind dann die eben- falls in neuerer Zeit besonders lebhaft untersuchten verschiedenartigen Früchte oder Samen e i n und derselben Spezies. Wir kennen be- sonders unter Kompositen, Chenopodiaceen und Kruziferen nicht wenige Arten, welche zweierlei verschiedene Samen ausbilden ; es sei beispiels- weise an unsere bekannte Ringelblume (Calendula officinalis) erinnert. Die umschließenden Frucht- oder Samenhüllen sind bei den beiden verschiede- nen Fruchtsorten dieser Arten anders ausgebildet und hemmen offenbar einmal den Wasserzutritt, dann aber besonders den Sauerstoffzutritt in ver- schiedenem Maße. Es wurde von Crocker für die verschiedenartigen Früchte von Xanthium, dann neuerdings von Becker für sehr vielerlei Kompositen, Chenopodiaceen und Kruziferenfrüchte gezeigt, daß der Keimverzug der minder günstig gestellten Früchte dieser Arten durch den Mangel an Sauerstoffzutritt in erster Linie bedingt wird. In einem anderen Falle, nämlich dem der weit- bekannten Pflanze Chenopodium album, deren Samendimorphie von Baar beschrieben wird, stellt dieser Autor fest, daß hier nicht der geringe Sauerstoffzutritt, sondern die durch die dicke Schale veranlaßte schwächere Wasseraufnahme den Keim- verzug veranlaßt. Haben wir bisher eine Reihe von Fällen be- trachtet, bei denen, sei es in der oder jener Weise, die Samenschale den Keimvc^zug verursacht, so wenden wir uns nun zu anderen, wo zweifelsohne das hemmende Prinzip im Innern des Samens zu suchen ist. Da kennen wir vor allem einmal eine Anzahl von Samen, welche zur Zeit des Abfalls wohl äußerlich den Eindruck völliger Reife hervorrufen, innerlich aber schon deswegen keimunfähig sind, weil der Embryo entweder noch gar nicht geglie- dert oder jedenfalls noch nicht genugsam heran- gewachsen ist, um auszukeimen. Solcher Fälle kennen wir schon seit langem eine ganze Reihe. Goebel stellt deren in seiner Organographie verschiedene zusammen. Man kann unter diesen Samen einmal solche unterscheiden, welche ihren Embryo während der ganzen Ruhe- periode der Samen nicht weiter entwickeln. Es han- delt sich hier in der Regel um Parasiten, Saprophyten und in besonderer Weise organisierte Pflanzen, auf deren Verhalten wir weiter nicht eingehen wollen. Dagegen kennen wir viele andere Pflanzen, bei welchen der Embryo zur Zeit des Samen- abfalles noch ungegliedert ist, später aber, während der äußerlichen scheinbaren Ruhe — also losgelöst von der Mutterpflanze — geht im Samen die Weiterentwicklung des Embryos vonstatten. Zu den bekanntesten Beispielen hierfür zählen die häufig vorkommenden Frühlingsblumen, Eranthis hiemaüs 388 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 25 und Ficaria verna, in deren reif abgefallenen Samen der Embryo noch ohne jede Differenzierung ist, noch kein Würzelchen und keine Kotyledonen erkennen läßt. Bis zum nächsten Frühjahr aber ist der Embryo auf Kosten des Reservestoffmate- rials des Samens herangewachsen und ist dann fähig auszukeimen, während vorher auch die gün- stigsten Keimungsbedingungen den Samen eben nicht zur Keimung hätten bewegen können, aus dem sehr einfachen Grunde, weil der Embryo noch nicht in differenziertem, keimfähigen Zustande sich befand. So verhält es sich noch besonders bei einer Reihe weiterer Frülilingspflanzen. Es erweist sich das für diese auch als durchaus zweckmäßig. Sie keimen so erst nach längerer Ruhe aus, und zwar gerade daim , wenn es für sie besonders vorteilhaft ist, nämlich im Frühling. Ein nicht ganz so extremer Fall unvollständiger Reife, welcher uns zu den weiter zu besprechen- den Fällen von Keimverzug hinüberleitet, wurde neuerdings von Lakon beschiieben. Derselbe zeigte nämlich, daß Eschensamen nach dem Ab- fallen wohl schon einen ausgebildeten Embryo aufweisen; derselbe macht aber vor dem defini- tiven Keimen erst eine Vorkeimung innerhalb der Samenschale und des Endosperms auf Kosten des letzteren durch. Erst wenn er sich so vergrößert hat, wird die Schale gesprengt und das Würzel- chen tritt aus. Ganz anders liegen nun aber wieder die Ver- hältnisse bei Samen, bei denen der Keimling völlig entwickelt ist, bei denen auch die Samenschale dem Elintritt des Wassers kein Hindernis entgegen- setzt, die aber dennoch, trotzdem das Sameninnere im Keimbett von Wasser durchtränkt ist, lange nicht zur Keimung gelangen. Schon Nobbe und H ä n 1 e i n (S. 80) kannten mancherlei solche Samen. Sie wußten aber gar nichts damit anzu- fangen. ,,Die beharrliche Regungslosigkeit des wasserdurchtränkten Embryo steht uns zurzeit als ein Rätsel entgegen. Wir müssen uns einstweilen begnügen, die Tatsachen zu registrieren", schreiben sie hierüber. Die Neuzeit beginnt uns aber auch für diese Fälle einen Aufschluß zu erbringen. Es ist ein- mal kaum in Abrede zu stellen, daß unter solche Fälle früher durchaus unverständlichen Keimver- zugs eine ganze Menge von Samen gehören, für die heute sicher festgestellt ist, daß die damals verwendeten Keimungsbedingungen doch nicht zur Keimung genügten. Die Neuzeit hat gezeigt, daß das Licht eine früher ungeahnte Rolle bei der Keimung vieler Samen spielt. Legte man solche Samen nun bei bestimmten Temperaturen ins Dunkle, so keimten sie eben entweder nicht oder nur sehr langsam und man hatte einen vermeint- lichen Keimverzug vor sich. Temperaturwechsel, Lichtwechsel, wechselweises Befeuchten und Aus- trocknen sind ebenfalls Faktoren, deren Bedeutung man erst in neuester Zeit vollauf zu würdigen be- ginnt. Weiter aber erscheint von besonderer Bedeu- tung für den Keimverzug mancherlei Samen die Wirkung von Säuren in sehr schwacher Konzen- tration. So hat F"ischer (1906) gezeigt, daß Wasserpflanzensamen, welche in reinem Wasser durch Jahre hindurch nicht zur Keimung zu be- wegen waren, nach Behandlung mit schwachen Säuren innerhalb weniger Tage auskeimten. Wenn C r o c k e r diese Säurewirkung nicht auf das Samen- innere, sondern auf die Schale beziehen will, so sind doch in neuerer Zeit durch Promsy, den Verfasser dieser Zeilen, und O t ten wälder zahl- reiche Fälle bekannt geworden, wo kaum noch ein Zweifel obwalten kann, daß die Säurewirkung sich auf das Sameninnere geltend macht. Um Ver- wechslungen etwa mit der oben beschriebenen beizenden Wirkung konzentrierter Schwefelsäure auf die Samenschale von harten Leguminosensamen durchaus auszuschließen, sei hervorgehoben, daß die Säurewirkungen, von denen hier die Rede ist, von Salzsäure, Salpetersäure und anderen ausgeübt wird, wobei aber die Säuren teilweise nur in mole- kularen Verdünnungen von 0,0I oder ähnlichem Gehalt ausgeübt werden. Diese Säurewirkungen sind wohl als kataly tische aufzufassen, in der Art etwa, daß sie den L^msatz der ReservestofTe be- schleunigen und damit in die Tätigkeit der En- zyme eingreifen oder die Lebenstätigkeit des Em- bryo anregen, während die starken Säuren natür- lich auf den Embiyo selbst sofort tödlich wirken würden. In diese Vorgänge leuchtet eine jüngst er- schienene Arbeit von Eckerson in recht inter- essanter Weise hinein. Schon 1912 hatten Davis und Rose gezeigt, daß die Samen von Crataegus mollis innerhalb der intakten Fruchtschale ein oder mehrere Jahre zur Keimung brauchen. Wenn die Fruchtschale aber beseitigt wird, ist die Zeit der Nachreife bei 5 — 6" C auf 90—96 Tage abgekürzt. Wird dann auch noch die Samenschale beseitigt, so wird die Nachreifezeit dennoch nicht völlig aufgehoben, sie beträgt immer noch ungefähr 28 Tage. Dieser Keimverzug muß also sicher auf Ursachen im Sameninnern zurückgeführt wei'den. Eckerson versucht deshalb auf mikrochemischem Wege die Veränderungen festzustellen, welche vom reifen lufttrockenen Samen bis zur Keimung im Embryo vor sich gehen. Eckerson zeigte auf diese Weise, daß der Embryo zuerst Fette und Öle, dazu Lezithin ent- hält. Weder Zucker noch Stärke ist derzeit darin enthalten. Die Reaktion der Kotyledonen ist sauer, das Hypokotyl aber ist schwach basisch. Die Ab- sorptionskapazität des Hypokotyls für Wasser ist geringer als 25^/0 des Frischgewichts. Während der Nachreife beginnen nun bald Umsetzungen im Embryo. Dieselben nehmen ihren Anfang mit Erhöhung des Säuregehaltes. Damit Hand in Hand geht eine Steigerung der Wasserabsorptionskapazität und eine Zunahme der Aktivität von Katalase und Peroxydase. Gegen Ende der Nachreifeperiode tritt dann eine plötzliche Zunahme im Säuregehalt auf, desgleichen N. F. XIII. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 389; wieder in der Absorptionskapazität. Jetzt tritt auch zuerst Oxydase auf. So stehen die Verhält- nisse ungefähr, wenn das Hypokotyl 3 — 5 cm lang ist. Zu dieser Zeit zeigt sich zugleich mit einer Verminderung des Fettes ein erstes Auftreten von Zucker. All diese Vorgänge und Umsetzungen können nun erheblich beschleunigt werden, wenn die Samen mit verdünnten Säuren behandelt werden. Salzsäure, Buttersäure und Essigsäure werden dazu mit Erfolg angewandt. Hier sehen wir also als Ursache des Keim- verzugs offenbar Stoffwechselverhältnisse vorliegen. Erst wenn die genügende Menge Säuren oder auch anderer Substanzen gebildet ist, kann der Samen aus seiner Keimruhe erwachen und sich zum Keimen anschicken. Jedenfalls wird eine genaue chemische Untersuchung der Samen von der Zeit des Abfalls bis zur Keimung noch mancher- lei solche interessante chemische Umsetzungsvor- gänge erbringen, die dann auf das Problem des Keimverzugs weiter klärend wirken werden. Ehe wir unseren Gegenstand verlassen, sei nur ganz kurz noch auf die biologische Bedeutung solcher Nachreife hingewiesen. Es ist nicht zu verkennen, und ist auch schon seit langem ge- würdigt worden, daß diese Bedeutung eine recht große ist. Wenn Samen jahrelang ungekeimt im Boden liegen können, ohne abzusterben, so hat das, wie leicht einzusehen, eine sehr große Be- deutung für die Erhaltung der Art an diesem Platze. Denn wenn auch in dem einen Jahre die Bedingungen zum Fortkommen dieser Art nicht günstig waren, so sind sie es vielleicht im folgen- den oder einem späteren. Hätte die Pflanze gleich im ersten Jahre alle ihre Samen keimen lassen, so würde sie die Vorteile im folgenden nicht aus- nutzen können. Wir können die Wirkung solchen Keimverzugs am besten an unseren Unkräutern erkennen, welche oft jahrelang trotz sorgfältigsten Ausjätens, nicht zu vertreiben sind, weil eben immer wieder neue noch im Boden verbliebene, ungekeimte Samen in den folgenden Jahren aus- keimen. Oder man denke, alle Samen einer Art würden schon durch geringe Erwärmung zur Keimung veranlaßt, könnten aber unseren Winter nicht über- stehen. Die betreffende Art wäre dann rettungs los dem Untergange in unseren Klimaten geweiht. So ließe sich die biologische Bedeutung des Keim- verzugs noch an manchem Beispiel klarlegen. Liter. itur über Keimverzug. H. Baar, Zur Anatomie und Keimungspbysiologie hete- romorpher Samen von Chenopodium albuni, und Atriplex nitens. Sitzber. Kais. Akad. Wien , Mathem. - naturw. Klasse 122, I. Abt., 1913, S. 21 ff. Becker, Über die Keimung verschiedenartiger Früchte und Samen bei derselben Spezies. Beib. botan. Ccntralblatt "913- Bergt heil and Day, On the cause of Hardness in the seeds of Indigofera arrecta. Ann. Bot. J907, 21, S. 57 — 60. Crocker, Hole of sccd coats in delayed germination. Bot. Gaz. I, 1906, 42. — Germination of seeds of water plants. Ibid. 1907. Davis and Rose, Bot. Gaz. 1912. 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Wübbena, Untersuchungen über die Änderung der Quell- und Keimfähigkeit harter Rot- und Weißkleesamen. Diss. Kiel 1899. [Nachdruck verboten.] Das Naniioplaiikton. Von H. Bachmann. Die Planktonforschung hat hauptsächlich drei Fragen zu erledigen: 1. Welches sind die Lebe- wesen, die in einem Gewässer schwebend oder frei schwimmend vorkommen? Die Beantwortung dieser Frage führte zu den zahlreichen F'anglisten, die in den letzten Jahrzehnten publiziert wurden. Jede Fangmethode ergab ihre eigenen Resultate, die eine oberflächlichere, gröbere, die andere ein- gehendere, feinere. Der Gebrauch der feinma- schigen Seidennetze (frühere Nr. 20, jetzt Nr. 25) schien genügend, um über die Zusammensetzung der Bevölkerung eines Gewässers Aufschluß zu er- halten. 2. Welches ist die Lebensgeschichte der ein- 390 Naturwissenschaftliche Woch enschrift. N. F. XIII. Nr. 25 zelnen Planktonorganismen ? Wir sind noch weit entfernt, den Lebenslauf auch nur der häufigsten Planktonten zu schildern. Immerhin haben die Planktologen jahrelange Beobachtungen einem ein zelnen Gewässer zugewendet und dadurch peri- odische Veränderungen in der Population festgestellt, die von großem Interesse sind. Durch Stufen- fänge, Schließnetze, Pumpen werden die ver- schiedensten Tiefenzonen auf ihre Bewohner hin untersucht. Man beobachtete temporäre morpho- logische Veränderungen einzelner Planktonten und suchte die dabei wirkenden Ursachen dadurch aufzudecken, daß man die physikalischen und chemischen Verhältnisse der Gewässer studierte und letztere in Verbindung zu bringen trachtete mit den vorerwähnten Veränderungen der Orga- nismen. Auch das Experiment bemächtigte sich der Planktonorganismen. Und wenn die Erfolge noch bescheiden sind, so sind diese Experimente doch am ehesten berufen, in die Lebensverhältnisse der Planktonten Licht zu bringen. Für weitere Forschungen ist noch ein großes Feld offen. 3. Welches ist die Quantität der in einem Ge- wässer auftretenden Planktonten ? Die Gewässer sind nicht nur für den Wissenschaftsmann interessant, sie sind ein wichtiger Faktor in der Wirtschafts- lehre des Menschen, der den Gewässern jährlich große Mengen organischer Substanzen entnimmt und ein Interesse daran hat, zu wissen, welchen Ausgangspunkt diese organische Substanz besitzt. Da hat es sich nun gezeigt, daß die Plankton- organismen in der Entwicklungsreihe organischer Substanzen sich befinden, ja geradezu am Anfange der Reihe stehen, deren Endglieder der Mensch ausnutzt. Es ist daher von eminent praktischem Interesse, zu wissen, welche Quantität organischer Substanz die Planktonten eines Gewässers repräsen- tieren. Mit der bloßen Netzmethode konnte z. B. Schröter (1897) zu folgendem Schlußsatze für den Zürichsee kommen : „Setzen wir für den ganzen See nur 100 cm* (unter i m-), was aber jedenfalls zu wenig ist, so würde das für den Hektar 0,43 Kilozentner Trockensubstanz ergeben, und für den ganzen Untersee eine Menge von 2910, sagen wir rund 3000 Kilozentner ; das würde einem schwer- beladenen Güterzug von 34 Wagen entsprechen." Kofoid (1897) hatte schon 1897 darauf aufmerksam gemacht, daß das feinste Seidennetz den größten Teil des Planktons durchfiltrieren lasse und daß zu gewissen quantitativen Studien Pumpe, Schlauch und Filter nötig seien. Lohmann (1900) wid- mete sich mit großer Ausdauer der quantitativen Planktonbestimmung des Meeres, bestätigte die Resultate Kofoid 's und zeigte, wie man durch Filtration des gepumpten Wassers den Netzverlust bestimmen könne. Auch bei den Süßwasser- untersuchungen wurde die Pumpe und die Filtration häufig angewendet (Frenzel [1897], Bachmann [1900]) '). F'reilich zeigt die Pumpmethode nament- ') Als Filter verwendet man: gehärtete Faltenfilter von Schleicher und SchüU, Seidenstoffe, feines Ziegenleder usw. lieh zwei große Fehler : erstens werden die mit genügender freier Bewegung ausgerüsteten Plank- lonten dann nicht gefangen, wenn ihre Eigen- bewegung größere Geschwindigkeit hat, als die- jenige des angesaugten Wassers ist. Zudem wird die durch die Pumpe verursachte Strömung des Wassers schreckend auf die Kruster einwirken, und diese werden vor dem Schlaucheingang die Flucht ergreifen. Zweitens wirkt die Ventilpumpe, wie sie gewöhnlich gebraucht wird, auf die Or- ganismen zerstörend ein. 190J erschien von Loh mann die schöne Arbeit „Neue Untersuchungen über den Reichtum des Meeres an Plankton". Loh mann untersuchte den Darminhalt verschiedener Planktontiere, be- sonders von Tunicaten, ,,um ein Bild von der Zu- sammensetzung des Planktons an dem Fangorte der Tiere zu gewinnen, soweit dasselbe aus Kiesel-, Kalk- oder Chitinskelett besitzenden Arten besteht". Dabei machte er die Wahrnehmung, daß die Appen- dicularien in ihren Gehäusen eine Einrichtung be- sitzen, welche die kleinsten, skelettlosen Organis- men des Wassers zurückhalten und in vorzüglicher Erhaltung dem Studium zugänglich machen. Vor allem günstig erwiesen sich die Gattungen Oiko- pleura und Fritillaria. Oikopleura z. B. stellt Formen, die wasserklar durchsichtig sind und eine mikro- skopische Beobachtung sehr leicht gestatten. Manteltiere von 5 — 100 mm Durchmesser, be- stehen sie aus dem eigentlichen Tierkörper und einer farblosen Gallerlhülle. Das Tierchen besteht aus einem ovalen Rumpfe mit einem undulierten Schwanzanhange. Eine weite, eiförmige Gallert- blase mit einem schnabelförmig verlängerten Vorder- teile und zwei nachschleifenden Schleppfäden am Hinterende umhüllt den gesamten Tierkörper. Über dem Schnabel liegen die 2 großen Ein- strömungsöffnungen, die mit aus feinen Fibrillen gebildeten Gitterfenstern abgeschlossen sind und wo die erste Filtration des Wassers stattfindet. Hier werden alle Organismen, die über 30/* Durch- messer haben, zurückgehalten. Diese Gitterfenster filtrieren also noch besser als die feinste Müllergaze. Und doch müssen die Oikopleuren, so schloß Lohmann, noch genug Nahrung in dem ein- tretenden Wasser finden, daß sie sich ernähren und zu der Üppigkeit vermehren, wie sie oft im Mittelmeere auftreten. Durch die Undulationen des Schwanzes wird das Wasser in den hinteren Teil der Gallerthülle getrieben, wo ein zweiter, noch feinerer Fangapparat ausgebildet ist, in welchem die zweite Filtration des Wassers statt- findet, wo also die kleinsten Organismen zurück- bleiben, die noch im Wasser enthalten waren, und die, vom Mundrohr angesogen, die Nahrung des Tieres bilden. Das Wasser verläßt dann am Hinterende das Gehäuse. Ist der hintere Fang- apparat verstopft, so verläßt das Tier das Gehäuse und erzeugt wieder eine neue Wohnung. (Die ausführliche Beschreibung der Gallertblasen der Appendicularien hat Lohmann in einer kleinen Abhandlung 1899 gegeben.) Da die Appendicu- N. F. XIII. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 391 larien mit ihren Gehäusen sehr verschwenderisch umgehen und sie oft nach wenigen Stunden ab- werfen, und da sie auch nur einen Teil der im Fangfilter zurückgehaltenen Planktonten verzehren, konnte Loh mann ein äußerst interessantes Re- sultat herausrechnen, daß der Inhalt des Fang- apparates von Oikopleura albicans stets weniger repräsentiert als der Filterrückstand von 0,1 1. Und doch wurden Gehäuse beobachtet, in denen nicht weniger als 1674 Amöben gezäiilt wurden. In den Schlußbemerkungen sagte Loh mann: „Durch die Filtration von weniger als 100 cm^ Wasser füllen die Appendicularien ihren F'ang- apparat mit großen Mengen von Gymnodinien, Chrysomonadinen, Flagellaten, kleinsten Diatomeen und Bakterien." „Es stellte sich noch deutlicher als durch die früheren Untersuchungen in der Ostsee heraus, daß die Fänge mit MüllergazeNetzen nur einen sehr kleinen Bruchteil der Plankton- organismen in genügender Menge fangen und daß dieselben nicht imstande sind, uns ein zuverlässiges Bild von der wirklichen Menge und Zusammen- setzung des Auftriebs zu geben." In einem Vor- trage, den Loh mann 1909 in der Deutschen zoologischen Gesellschaft hielt, bespricht er die Gewinnung der kleinsten Planktonten durch die Zentrifuge und gibt für die westliche Ostsee das verblüffende Resultat : „Im Jahresdurchschnitt ließen sich in i cm^ Wasser 'j'^y'] Organismen nachweisen, von denen 722 Protophyten, 15 Protozoen und nur 0,1 Metazoen waren." In diesem Vortrage schlug er vor, diejenigen Planktonformen, ,,die uns erst durch die Zentrifuge und die Fangapparate der Appendicularien erschlossen werden", NailllO- plauktou zu nennen. 1911 gab Lohmann eine hübsche Zusammenfassung über Nannoplankton und die Zentrifugierung kleinster Wasserproben. Angeregt durch Lohmann's Untersuchungen und infolge der Diskussion der Pütt er 'sehen Ernährungstheorien prüfte Woltereck die Zentri- fugensedimentation in den Lunzerseen. Ihm war schon lange aufgefallen, daß im Lunzer Obersee der Ernährungszustand von Daphnia longispina viel besser war als im Lunzer Untersee, obschon der erstere See eine bedeutend geringere Menge an Netzphytoplankton aufwies. Die Untersuchung von Wasserproben mit einer Turbinenzentrifuge förderten das Resultat zutage, daß im Obersee ein bedeutend reicheres Zentrifugenplankton vor- handen war. Ruttner (1909) führte diese Unter- suchungen weiter fort und konstatierte in 10 cm'' Wasser nach lo Minuten langem Zentrifugieren 600 nackte Chrysomonadinen, 12 Mallomonas, 30 Gymnodinium, 300 Cyclotella comta, i02oCyclotella sp., 240 Staurastrum, 18 Oocystis, 72 Bakterien- zoogloen, also 2190 Algenarten. Brehm (1910) vergleicht das Netzplankton mit dem Zentrifugen- plankton eines kleinen Teiches bei Ellbogen in Böhmen und konstatiert, daß die Kurve des Netz- planktons stets gleichartig verläuft mit derjenigen des Zentrifugenplanktons, und zwar folgt sie der- selben stets nach. Die Methode des Zentrifu giere ns ge- staltet sich kurz folgendermaßen. Bis jetzt habe ich mit 2 Zentrifugen gearbeitet, welche von der Firma Hugershoff in Leipzig geliefert wurden. Die erste war eine Handzentrifuge, Modell Medico F. Sie gestattet bei geringer aufzuwendender Mühe eine Geschwindigkeit von 3000 Umdrehungen in der Minute. Das Vorteilhafte dieser Zentrifuge ist auch der Umstand, daß die Aufhänger in einem Verschluß eingeschlossen sind, so daß bei even- tuellem Losspringen von Teilen des rotierenden Apparates der Experimentator keinen Schaden leidet. Die zweite Zentrifuge, die ich gegenwärtig benutze, hat elektrischen Betrieb. Die Zahl der Umdrehungen beträgt ca. 4000 in der Minute. Die Aufhänger sind auch da in einen Blechmantel eingeschlossen. Diese Zentrifuge, die an jedem Steckkontakt der Lichtleitung angeschlossen werden kann, arbeitet außerordentlich gut. Schon Loh- mann hat daraufhingewiesen, daß es nicht nötig ist, große Wassermengen zu zentrifugieren. Meine Sedimentiergläser fassen 22 cm'', was auch für planktonarme Gewässer vollständig genügt. In den meisten Fällen und vor allem bei bloß quali- tativen Studien reichen 10 Minuten vollständig aus, um ein Bild über die Zusammensetzung des Nannoplanktons zu erhalten. Für quantitative Untersuchungen ist das Zentrifugieren keine so einfache Sache. Pascher (191 2) macht darauf aufmerksam, daß im Plankton Organismen existieren, die zufolge ihres spezifischen Gewichtes nicht sedi- mentiert werden können. Um auch diese Orga- nismen in einer Kalotte aufzufangen, benutzt er ein Sedimentierglas, in welches ein zweites so ein- geschoben wurde, daß sein zugespitztes Ende beim Zentrifugieren zentripetal gerichtet war. Nach dem Zentrifugieren wurden die beiden Gläser rasch auseinander gezogen und die Flüssigkeit ausge- gossen. Als Pipetten verwendet man am besten solche mit lang ausgezogenem, dünnem Ende und einer länglichen oder kugeligen Erweiterung, wo- durch die Eichung von i oder wenigen Kubik- zentimetern ein leichtes ist. Der Fang wird nun auf einem breiten Objektträger, der in Quadrate eingeteilt ist, ausgebreitet und ausgezählt. Steht ein beweglicher Zähltisch zur Verfügung, so ist die Zählung bedeutend erleichtert. Für tierische und für seltene pflanzliche Planktonten ist die Zählung leicht; für Flagellaten und bei Massen- entwicklung von Phytoplanktonten ist die Zählung sehr mühsam. Pascher weist in der obgenannten Abhandlung darauf hin, daß der Zwischenraum zwischen den beiden Spitzen der Sedimentiergläser immer noch Organismen enthält. Je mehr die spezifisch leichteren Organismen vorherrschen, desto größer ist die Individuenzahl der im Zwischen- raum schwebenden Organismen, so daß im letz- teren Falle mindestens 30 Minuten zentrifugiert werden muß. Noch auf einen Punkt muß mit Nachdruck hin- gewiesen werden, daß nämlich das Zentrifugieren und die Untersuchung rasch nach der Wasserentnahme 392 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 25 vorgenommen werden sollen. Schon nach wenigen Stunden sind die zarten Flagellaten nicht nur ab- gestorben, sondern ganz aufgelöst und nicht mehr nachweisbar. Auch auf Temperaturänderungen der Proben muß geachtet werden. Wenn man im Winter Wasserproben schöpft, wo der be- treffende See Wassertemperaturen von +4'' bis -|- 5 " C, die Luft dagegen — 5 "^ C aufweisen, da ist es nötig, die Wasserprobe vor zu starker x-Xb- kühlung zu schützen, sonst wird man vergeblich nach Flagellaten fahnden. Es dürfte hier auch Gelegenheit sein, die Wasserentnahme zum Studium des Nanno- planktons zu besprechen. Zur Wasserentnahme, die ja auch in verschiedenen Tiefen gemacht werden soll, dienen die verschiedenen Schöpf- flaschen, die in der Planktonliteratur schon be- sprochen worden sind, und die Pumpe. Die letz- tere, meistens in der Form der Flügelpumpe ver- wendet, hat den großen Übelstand, daß viele Planktonten verstümmelt und getötet werden. Einen sehr brauchbaren Schöpfapparat hat (Jptiker Friedinger in Luzern nach den Ideen von Dr. Theiler konstruiert. Der Grundgedanke dieses Apparates ist folgender: Ein Metallzylinder von 2 1 Inhalt mit offenem Boden und offenem Deckel wird auf die gewünschte Tiefe versenkt. Da die Wassersäule ohne Strudelbewegung durch die Röhre streicht, so wird ein Verscheuchen der sensiblen Kruster viel weniger eintreten, als es durch den Wasserzug der Pumpe geschieht. Ein Ruck genügt, und es schließen sich Boden und Deckel so dicht, daß kein Tropfen von dem ein- geschlossenen Wasser beim Heraufziehen verloren geht. Die Wassermenge kann dann leicht durch einen Hahn abgelassen werden. So stehen 2 1 Wasser zur Verfügung, wovon die größte Menge filtriert und auf die größeren Planktonten unter- sucht werden kann. Der kleinere Teil wird zentri- fugiert. Überblicken wir die Organismen, die durch die Zentrifuge aus dem Süßwasser erhalten werden, so können wir folgende Gruppen nam- haft machen : 1. Von den größeren Planktonten treffen wir hier und da ein Rotatorium. Die Kruster ent- fliehen bei der Probeentnahme durch die Sedi- mentiergläser. Größere Phytoplanktonten sind dagegen vertreten, z. B. Peridinium, Ceratium, Dinobryon, Fragilaria usw. Diese interessieren uns hier nicht. Wir wenden unsere Aufmerksam- keit vielmehr zu 2. den kleinsten Formen, von denen uns das Netz nur wenige liefert. Da erwähnen wir: a) Flagellaten. Wir lernen eine Menge farbloser Flagellaten kennen, die zu den Ord- nungen der Pantostomatineae und Protomastigineae gehören. Die Organismen der ersten Ordnung sind farblose, nackte Zellen, die an allen Stellen der Oberfläche durch Pseudopodien feste Nahrung aufnehmen können. Da ist es besonders die Familie der Rhizomastigacee, Zellen mit i oder 2 Geißeln, die im Nannoplankton vertreten ist. Die zweite Ordnung umfaßt diejenigen Flagellaten- zellen, die eine zarte, hautartige Plasmabegrenzung haben und an bestimmten Stellen die Nahrungs- aufnahme besorgen. Eine bedeutende Rolle spielen die farbigen Flagellaten : Chrysomonadinen und Crj'ptomonadinen. Erstere zeigen einen regulären Körper mit meistens braunen, hier und da grünen Chromatophoren. I — 2 Geißeln sind terminal, selten seitlich stehend. Pascher(i9ii) hat folgende Chrysomonadinen im Nannoplankton gefunden: Chrj'sapsis agilis, Länge 3 — 5 //, Breite 2 — 3 /( mit netzförmigem Chromatophor. i Geißel. Chromulina-Arten, metabolische, oft amöboide Zellen, 2 — 4 // lang, 2 /< breit. Chrysococcuspunctiformis, 2 — 3/* Durchmesser haltende kugelige Zellen mit derber Schale und I langen Geißel. Kephyrion sitta und Ovum, die kleine Zelle sitzt in einem zarten, eiförmigen oder spindel- förmigen Gehäuse, i Geißel Kephyriopsis, 9 /« lang, mit 2 Geißeln, in einem eiförmigen, breit abgestutzten Gehäuse. Chrysocapsa planctonica, kugelige Zellen von 2 — 4 (( Größe, mit muldenförmigem Chromato- phor in einer Gallerthülle von 20 /( Durchmesser. Die Cryptomonadinen zeichnen sich durch den dorsiventralen Bau, die median ventral ge- legenen 2 Geißeln und durch den von der medianen Furche in den Plasmaleib führenden Schlund aus. Besonders die Gattung Cryptomonas ist regelmäßig im Nannoplankton vertreten. b) Peridineen. Diese an der Ouerfurche leicht erkennbaren Planktonten sind im Nanno- plankton namentlich durch die Gattung Gymno- dinium vertreten, von der auch farblose Formen vorkommen. c) Diatomeen. Hier sind es namentlich die kleinen Arten der Gattung Cyclotella, die von der Zentrifuge in weit größerer Zahl nachgewiesen werden, als es die Netzfänge vermochten. d) Desmidiaceen. Welch ungenügende Resultate Netzproben ergeben, zeigten Unter- suchungen, die am Rotsee am 25. X. 1913 vor- genommen wurden. Die Proben enthielten ganz spärlich ein kleines Cosmarium von 12 // Durch- messer. 20 ccm geschöpftes Wasser wurden zentrifugiert und ergaben ein Sediment dieses Cosmarium pygmaeum, daß eine Zählung utimög- lieh war. e) C h 1 oro phy ceen. Nach den bisherigen Planktonuntersuchungen traten häufig die Chloro- phyceen quantitativ hinter den übrigen Familien stark zurück. Auch da wird die Zentrifuge noch man- cherlei Korrekturen vornehmen. Lantzsch hat das Zentrifugenplankton des Zugersees studiert und dabei konstatiert, daß eine Bumilleria-Art, die im Netzplankton sozusagen verschwand, zu ge- wissen Zeiten der vorherrschende Organismus war. Die vorerwähnte Probe vom Rotsee sowie N. F. XIII. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 393 eine Probe vom 27. November 1913 ergaben so viele Individuen von Phacotus lenticularis, Scene- desmus bijugatus und Polyedrium punctulatum, daß sie immer noch als zahlreich bezeichnet werden mußten. Auch in dieser Familie sind Zellen von bakterienartiger Kleinheit nachgewiesen worden. So fand Pascher neben einer Chlamydomonas von 2 — S i-i Länge kugelige, grüne Zellen von kaum 2 |(( Durchmesser. f) Seh i z op h )'Cee n. Sie sind meistens spe- zifisch gleich oder leichter als Wasser und daher schwer zu zentrifugieren. Über ihre Bestandteile am Nannoplankton liegen noch sehr wenige Mit- teilungen vor. Die Nannoplanktonbestimmung hat, wie wir oben schon erwähnten, aucli einen großen prak- tischen Wert. Fütter hat daraufhingewiesen, daß die Planktonmengen nicht genügen, um den Kohlenstoffbedarf derjenigen Tiere zu decken, die keine größere Nahrung aufnehmen. Er kam dann zum Schlüsse, daß die im Wasser gelösten Kohlen- stoffverbindungen für die Ernährung viel wichtiger seien als die geformten Substanzen. Pütt er hat bei seinen Untersuchungen mit denjenigen Plankton- mengen gerechnet , die man durch die früheren Methoden konstatierte. Die Entdeckung des Nannoplanktons hat die Annahme einer so unge- wohnten Ernährungsweise der Fische (Aufnahme gelöster organischer Substanzen durch die Kiemen) überflüssig gemacht. Die neuesten Untersuchungen vonLantzsch und Colditz über die Beziehungen des Zentri- fugenplankton zum Zooplankton haben die Ab- hängigkeit des letzteren vom Nannoplankton er- geben. Von dem P ü 1 1 e r ' sehen Ernährungsmodus für diePlanktoncrustaceen sehen die beiden Autoren ab. Sehr interessant sind die Untersuchungen von Lantzsch deswegen, da sie die ersten Nanno- planktonstudien an einem tiefen Alpensee dar- stellen. In diesem 150 m tiefen Zugersee ging die Nannoplanktonzone im Sommer bis zur Tiefe von 80 m , wobei eine deutliche Schichtung der Komponenten zu konstaüeren war. Die winter- lichen Konvektionsströmungen heben nicht nur die Schichtung der Nannoplanktonten auf sondern sie führten letztere auch in die größeren Tiefen. Ebenso bestimmt über die Beziehungen zwi- schen Zentrifugen- und Netzplankton spricht sich Colditz aus. Der Satz: „Das gesamte tierische Plankton der pelagischen Zone eines Sees ist an das Vorhandensein geformter Nahrung gebunden", läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Jedem Planktologen, der an Gebirgsseen Studien betrieben hat, ist die Tatsache bekannt , daß oft ein äußerst reiches Crustaceenmaterial vorhanden ist, während das Phytoplankton sehr spärlich auf tritt. Die wenigen Nannoplanktonuntersuchungen, die über Gebirgsseen vorliegen, geben Aufschluß, worin die Nahrung jener reichen Planklonfauna besteht. Es ist das Nannoplankton, dessen Be- standteile dem Mikroskopiker noch manch harte Arbeit schaffen werden. Lileraturaugaben. Bachmann, Die Planklonfänge mittels der Pumpe. Biol. Cenlralbl. 1900. Brehm, Einige Beobachtungen über das Zentrifugen- plankton. Internat. Revue jgil. Colditz, Beiträge zur Biologie des Mansfeldersees. Zeitsclir. f. wiss. Zoologie 1914. Lantzsch, Studien über das Nannoplankton des Zuger- secs und seine Beziehung zum Zooplankton. Ebenda 1914. Loh mann, Über das Fischen mit Netzen aus Müllergaze. Nr. 20. Wissensch. Meeresuntersuchungen 1901, — — , Neue Untersuchungen über den Reichtum des Meeres an Plankton. 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Das Ranunkelöl soll nach Beckurts (Archiv der Pharmacie 230, 182 [1892]) aus zwei Substanzen bestehen: aus dem Anemonin, einem bei 150—152" schmelzen- den, geschmack- und geruchlosen Stoffe von der Zusammensetzung C,„H,0,j, und dem Anemonen- kampfer, der oberhalb 300 <" verkohlt und angeb- lich für den scharfen brennenden Geschmack und die reizende Wirkung frischer Ranunculaceen ver- antwortlich zu machen ist. In einer Mitteilung ') aus dem pharmazeutischen Institut der Universität Tokio berichtet Yas u h ik o Asahina über einige Versuche zur Aufklärung der Konstitution des Anemonins, das er in größeren Mengen aus dem frischen Kraut von Ranunculus japonicus isolierte. Durch Destillation von je 10 kg der in Japan als Unkraut massenhaft vorkommenden Pflanze mit VVasserdampf wurden nach Extraktion des Destillats mit Äther und Eindampfen des Extraktes 12 g eines gelben Öles erhalten, das die Schleimhäute heftig angreift und blasenziehend wirkt. Beim ') Berichte der Deutsch. Chem. Ges. 47, 914. 394 Naturwissenschattliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 25 Stehen in der Kälte scheidet sich daraus allmäh- lich das Anemonin in Form von tafelförmigen glänzenden Kristallen aus. Durch katalytische Reduktion der in Eisessig suspendierten Substanz mittels Platinschwarz und Wasserstoff wurde ein Tetrahydroanemonin (CjuHj.^O^) erhalten. Das Anemonin nimmt also hierbei 4 Atome Wasser- stoff auf, woraus zu schließen ist, daß sein Molekül zwei doppelte Bindungen enthält. Der von Beckurtsals Anemonenkampfer bezeichnete Stoff wurde in Kristallen erhalten, die immer etwas getrübt vorkamen und beim Kochen mit Alkohol erhebliche Mengen Anemonin unter Zurücklassung einer amorphen Substanz (Isoanemonsäure) ergaben. Vermutlich ist das zuerst aus den Pflanzenteilen destillierte Ol eine labile Form des Anemonins, die sich bei der Umlagerung in Anemonin teil- weise polymerisiert. Demnach wäre also der Anemonenkampfer von Beckurts nichts anderes als Anemonin, verunreinigt mit seinem Polymeri- sationsprodukt. Bugge. Anatomie. Verhältnis des Binnenraums des Schädels, der ,, Schädelkapazität" zum Gehirn. So ist es z. B. bekannt, daß der „Wasserkopf (Hydro- cephalus) der geistigen Entwicklung durchaus nicht hinderlich zu sein braucht, im Gegenteil förder- lich sein kann, weil das Gehirn infolge der ver- späteten Verknöcherung der Schädelnähte sich über die Norm hinaus vergrößert. Ist es doch von einer Reihe hochbegabter Männer bekannt, daß sie in ihrer Jugend einen mehr oder minder aus- gesprochenen Hydrocephalus hatten. Nach Otto Rudolph (Untersuchungen über Hirngewicht, Hirnvolumen und Schädelkapazität, Beitr. path. Anat., 1914) ist das Verhältnis des Gehirns zur Kopfhöhle beim Menschen folgendes. Die Differenz zwischen Hirnvolumen und Schädel- kapazität ist am geringsten beim Neugeborenen, nur 2,5 "/o des F"assungsraumes der Schädelhöhle. Sie wächst dann — 3 ^% im sechsten Jahre — und erreicht bis zum Ende der Pubertät einen konstanten Wert, beim Erwachsenen im Durch- schnitt in beiden Geschlechtern 7,5 %; individuelle Schwankungen von 5 — lO "/^ sind noch normal. Mit der Involution im höheren Alter tritt eine Verkleinerung des Gehirns ein, und die Differenz zwischen Schädelkapazität und Gehirngröße beträgt 7,5 — 15 "/„. Das im Laufe des Lebens sich ändernde Verhältnis von Gehirngröße und Schädelkapazität erklärt es, daß die Symptome des Hirndrucks bei Kindern sich viel schneller und stärker bemerkbar machen als bei Erwachsenen und daß Hirnge- schwülste bei alten Leuten eine erstaunliche Größe erreichen können. Säugetiere zeigen ganz andere Verhältnisse und können daher zum Vergleich nicht herangezogen werden. Kathariner. Botanik. Barymorphose und StatoHthentheorie. Beim Auswachsen der Brutknospen, die der un geschlechtlichen Vermehrung der Lebermoose Marchantia und L u n u 1 a r i a dienen, ent- scheiden äußere Einflüsse allein, welche Seite des dorsiventral gebauten Thallus Rücken- und welche Bauchseite wird. Auch das Auswachsen der Initialzellen, aus denen die Wurzelhaare, die Rhizoiden, hervorgehen, wird durch äußere Einflüsse bestimmt. Diese Initialzellen liegen entweder, wie bei Marchantia, auf beiden Seiten der Brutknospe, oder sie finden sich, wie bei Lunularia, nur nahe dem Rande der Brutknospe und durchsetzen diese ihrer ganzen Dicke nach, so daß jede Initialzelle zwei freie Außenwände hat. Wie für Marchantia nachgewiesen ist, fördert die Schwerkraft die Produktion von Wurzelhaaren auf der erdwärts gewandten Seite der Brutknospe, und auch ein hoher Feuchtigkeitsgehalt der Luft übt einen begünstigenden Einfluß auf das Aus- treiben und das VVachstum der Rhizoiden aus, während Belichtung die entgegengesetzte Wirkung hat. Für Lunularia liegen keine ausführlicheren Untersuchungen über den Einfluß dieser Faktoren auf die Rhizoidbildung der Brutknospen vor, doch wird angegeben, daß er dem bei Marchantia analog sei. Die bisher nicht behandelte Frage, worauf die Wirkung der äußeren Einflüsse be- ruhe, hat G. Haberlandt nunmehr, vorzugs- weise durch Untersuchungen an Lunularia cruciata L., zu lösen gesucht. Er ging dabei von der Annahme aus, „dafä etwaige Umlagerungen des Zellinhaltes der Rhizoidinitialen, ihrer Plasma- körper, ihrer Zellkerne, Stärkekörner — Umlage- rungen, die dem Auswachsen der Rhizoiden vor- ausgehen — gewisse Anhaltspunkte dafür bieten könnten, auf welche Weise die den Ort der An- lage bestimmenden äußeren Einflüsse zur Geltung kommen". Fig. I. Fig. 2. Die Lage der Initialzellen zeigt der in Fig. 1 abgebildete Querschnitt durch den Randteil einer Brutknospe von Lunularia. Das Plasma in der dargestellten Initialzelle hat die Lage, die es erhält, wenn man Thallusstücke mit Brutbechern und reifen Brutknospen in Petrischalen, die mit nassem Fließpapier ausgekleidet sind, i — 3 Tage lang am Klinostaten derart rotieren läßt, daß die Brut- knospen der einseitigen Licht- und Schwerewirkung entzogen sind. Der plasmatische Wandbeleg ver- dickt sich in der Mitte der ausgebauchten Innen- wand der Zelle zu einer mächtigen Plasmaansamm- lung, in deren Mitte der Zellkern liegt, umgeben von zahlreichen kleinen Stärkekörnern. Wurden Brutknospen auf nasses Fließpapier ausgesät, mit welchem der Boden und der Deckel von Petrischalen ausgekleidet waren, so bildeten N. F. XIII. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 395 im feuchten Raum und bei diffuser Beleuchtung sowohl die dem Deckel innen anhaftenden, wie die auf dem Boden liegenden Brutknospen stets auf der physikalisch unteren Seite weit mehr Rhizoiden als auf der oberen. Dies zeigt den übermächtigen Einfluß der Schwerkraft auf die Anlage der Rhizoiden. Er bewirkt, wie die Ver- suche und Beobachtungen zeigten, daß sich die Plasmamasse samt Zellkern und Stärkekörnern erdwärts bewegt und den unteren VVandteilen an- legt (Fig. 2). Diese Umlagerung vollzieht sich schon im Laufe von 1 '/., Stunden, ein Zeitraum, der freilich noch beträchtlich größer ist als der für die Wanderung der Stärkekörner in den Stato- lithenorganen erforderliche. Die Umlagerung er- folgt auch, wenn die Brutknospen auf Chloroform- wasser oder Eosinlösung schwimmen, woraus hervor- geht, daß sie, wie die Umlagerung der Statolithen- stärke ein rein physikalischer Vorgang, keine geo- taktische Reizbewegung ist. Einige Zeit nach der erfolgten Umlagerung slülpt sich die Außenwand, der die Plasmamasse anliegt, papillös vor; in die so entstandene Rhi- zoidanlage wandert zuerst feinkörniges Plasma, später erst der Zellkern mit den Stärkekörnern ein. Dreht man die Brutknospen um 180", so- lange Zellkern und Stärkekörner noch außerhalb des Rhizoids verweilen , so fallen beide auf die entgegengesetzte Außenwand herab, und jetzt wächst diese zum Rhizoid aus. Waren aber Zell- kern und Stärkekörner schon in das Rhizoid ein- gedrungen, so bleiben sie darin, und die andere, nunmehr untere Außenwand wächst nicht mehr zu einem Rhizoid aus. Mithin ist die Schwerkraft nur dadurch wirksam, daß sie Plasma samt Kern und Stärke auf die physikalisch unteren Wände sinken läßt. Werden die auf Wasser schwimmenden Brut- knospen von unten kräftig beleuchtet und oben verdunkelt, so entstehen die Rhizoiden auf der Oberseite, wenn auch der Plasmaklumpen auf der unteren Außenwand liegt. Erst später wandert er mit Kern und Stärkekörnern nach aufwärts und dringt in das junge Rhizoid ein. Worauf hier die Rhizoidbildung an der Schattenseite be- ruht, bleibt völlig ungewiß. Daß auf der physi- kalischen Unterseite in diesem Falle keine Wurzel- haare entstehen, beweist, daß das Licht eine Um- stimmung in den Rhizoidinitialen herbeiführt, die die Wirkung der Plasmaansammlung auf der Unterseite aufhebt. Zur Erklärung der Plasma- wirkung in dem normalen Falle, wo die Anlage der Rhizoiden unter dem Einflüsse der Schwer- kraft erfolgt, ergibt sich nach Haberlandt aus dem Ausfall des Lichtversuchs, daß sie nicht auf der Herbeiführung einer besseren Ernährung oder auf chemischer Reizung oder auf der speziellen Funktion des Zellkerns beruht, sondern daß das Auswachsen der Außenwand zum Rhizoid nur durch den Druck der Plasmaanhäufung und ihrer Einschlüsse bedingt sein kann. Versuche mit wachsenden Thallussprossen, deren Rhizoidinitialen stets stärkefrei sind, lehren, daß die Stärkekörner zur Auslösung des Reizes, der die Rhizoidbildung im Gefolge hat, nicht immer nötig sind. Bei umgekehrter Lage der Thallussprosse konnte allerdings die Rhizoidbildung nur durch Zugabe von etwas Traubenzucker er- zielt werden, was das Auftreten von Stärkekörnern in den Zellen zur Folge hatte. Anscheinend ist die Plasmahaut hier in demjenigen Teile der Initialen, wo normal die Rhizoiden entstehen (dem basiskopen Teil) für Druck empfindlicher als in dem gegenüberliegenden (dem akroskopen) Ab- schnitt. Bei Marchantia spielen sich die Dinge in ähn- licher, doch weniger leicht zu beobachtender Weise ab. Die mitgeteilten Versuchsergebnisse, durch die „das Prinzip derStatolithentheorie des Geotropismus auf das Gebiet derBary- morp hosen übertragen wird", d. h. auf diejenigen Gestaltungsprozesse, die (nach dem Ausdruck von Sachs) durch Reizbarkeit gegen die Einwirkung der Schwerkraft hervorgerufen werden, sind von hohem Interesse und werden zweifellos weitere Untersuchungen anregen. (Sitz.- Berichte d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss. Mathem.- Naturw. KL, 1914, 12, S. 384 — 401.) F. Moewes. Zoologie. Über die experimentelle Beein- flussung der Dauereibildung und des Geschlechts bei Cladoceren. Durch eine Reihe von Experi- menten suchte v. Scharfenberg^) die Faktoren zu ergründen , die ein Daphnia- Weibchen veran- lassen, bald parthenogenetisch sich entwickelnde Eier („Subitaneier"), bald befruchtungsbedürftige Eier (,, Dauereier") zu bilden, und die ein Subitanei einmal zu einem Weibchen, ein anderes Mal zu einem Männchen sich entwickeln lassen. Zu den Experimenten wurden Daphnia magna und Daphnia pulex benutzt. Obwohl diese beiden Arten in ihrem äußeren Habitus ^ie überhaupt anatomisch ganz nahe verwandt sind, kann doch die Ei- und Geschlechtsdifferenzierung nicht bei beiden durch äußere Faktoren in gleicher Weise beeinflußt werden. Bietet man Daphnia magna grüne Algen als Nahrung dar, so behalten die Weibchen die ein- geschlechtliche Fortpflanzung bei, sie erzeugen nur Jungferneier. Durch Passieren des Darmes der Daphnien werden die grünen Algen in einen braunen Detritus, in „Mudd" verwandelt. Führt man nun keine frische Algennahrung der Kultur zu, so fressen die Tiere den ,,Mudd", und diese Ernährung hat zur P"olge, daß Daphnia magna von der eingeschlechtlichen Fortpflanzung alsbald zur zweigeschlechtlichen übergeht, sie beginnt Dauereier zu produzieren. Die Dauereibildung ') Seh arfenberg, U. v. , Weitere Untersuchungen an Cladoceren über die experimentelle Beeinflussung des Ge- schlechts und der Dauereibildung. Internat. Rev. d. ges. Hydrobiol. u. Hydrogr., Biol. Suppl. zu Bd. 6, 1914- 396 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 25 läßt sich zu jeder Zeit in jeder Generation bei Ernährung mit Mudd erzielen , in späteren par- thenogenetischen Generationen allerdings leichter als in der ersten. In der ersten Generation, also bei aus dem Dauerei geschlüpften Weibchen, ist die Tendenz, sich parthenogenetisch fortzupflanzen, gewöhnlich so stark, daß trotz Muddnahrung wenigstens die ersten Brüten aus Subitaneiern bestehen. Die Tendenz ist aber bei den ver- schiedenen Weibchen sehr verschieden stark. So gelang es v. Seh arfenbcrg, einige aus Dauer- eiern stammende Weibchen sofort zur Dauerei- bildung zu veranlassen. Bleibt den mit Mudd ge- fütterten Weibchen auch weiterhin grüne Algen- nahrung versagt, so erfolgt offenbar eine Unter- ernährung. Nachdem die Weibchen eine Anzahl Dauereier produziert haben, treten die Eierstöcke außer Funktion, die Tiere erhalten ein kränk- liches und hyalines Aussehen und gehen schließ- lich zugrunde. Man ist zunächst vielleicht geneigt zu glauben, daß der Übergang zur Dauereibildung lediglich auf die ungenügende Ernährung der Tiere zurück- zuführen ist. Dem ist aber nicht so, wie sich durch Hungerexperimente zeigen läßt. Es dürfte vielmehr die verschiedene chemische Zusammen- setzung der Nahrung in dem einen und dem anderen Falle von Bedeutung sein. In der grünen Algennahrung ist stets reichlich Sauerstoff vor- handen , während der Mudd sicher reich ist an Schwefelwasserstoff. Lediglich das Vorhandensein von O und H.,S in der Kultur kann allerdings nicht Ursache der Bildung von Jungfern- bzw. Dauereiern sein, da ein Einleiten von O bzw. H^S in das Gläschen, in dem sich die Tiere befinden, erfolglos ist. Die Reaktion muß vom Darm aus- gehen. Eine Abhängigkeit der Produktion von Männ- chen von der Dauereibildung konnte v. Scharfen- berg nicht feststellen. Die Männchen entstehen aus den parthenogenetischen Eiern ganz regellos. Gewöhnlich nimmt allerdings die Zahl der Männ- chen mit der Zahl der parthenogenetischen Gene- rationen und der Zahl der Würfe etwas zu. Durch verschiedene Nahrung läßt sich die Geschlechts- differenzierung der Jungferneier in keiner Weise beeinflussen. Auch die Temperatur spielt keine Rolle. Sie ist — übrigens auch bei der Dauer- eibildung — nur insofern von Bedeutung, als es ein bestimmtes Optimum gibt; bei niedrigen Temperaturen geht die Entwicklung langsamer vor sich. Es scheinen lediglich innere, im Orga- nismus selbst gelegene Faktoren zu sein, die die Geschlechtsdifferenzierung der parthenogenetischen Eier veranlassen. Ganz anders, fast umgekehrt, verhält sich Daphnia pulex. Eine verschiedene Nahrung ver- ändert hier die Eibildung nicht. Für die Ge- schlechtsdifferenzierung aber ist die Art der Flr- nährung wichtiger. Muddnahrung begünstigt in Verbindung mit hoher Generations- und Wurfzahl ganz unverkennbar das männliche Geschlecht. Trotzdem dürften auch bei Daphnia pulex innere Faktoren in erster Linie den Ausschlag geben bei der Geschlechtsdifferenzierung. Den Unterschied in dem Verhalten der beiden Daphnienarten führt v. Scharfe nberg auf den verschiedenen Wohnort der Tiere zurück. Daphnia magna bewohnt kleine Teiche und Tümpel, die gelegentlich austrocknen können, der Aufenthalts- ort von Daphnia pulex hingegen sind größere Seen. Das erinnert, wie mir scheint, an das Ver- halten der in Pfützen, Straßengräben usw. vor- kommenden Hydatina senta, das auch von dem anderer, ausgedehnte Wasserflächen bewohnender Rotatorien sehr verschieden ist. Während bei den letzteren Rotatorien fast ausschließlich innere F"ak- toren den Ablauf des Generationszyklus regeln, kann er bei Hydatina durch äußere Faktoren sehr stark beeinflußt werden. Für Hydatina senta so- wohl wie auch für Daphnia magna ist eine solche Reaktionsfähigkeit auf äußere Veränderungen der Umgebung natürlich äußerst zweckmäßig. Er- möglichen doch die Dauereier beider Spezies, Zeiten der Trockenheit zu überstehen. Nachtsheim. Neue tropische Planktonorganismen. Die Hydro- biologen waren lange Zeit der Ansicht, daß die Mikrofauna des Süßwassers ziemlich kosmopolitisch sei — die Art ihrer Verbreitung, die vorwiegend durch sog. ,, passive Wanderung" (d. h. die Über- tragung von Dauereiern und Cysten durch Wasser- vögel, Insekten und Luftströmungen) vor sich geht, legte diesen Gedanken nahe. In jüngster Zeit wurde er indessen sehr ins Wanken gebracht, und zwar trugen dazu größtenteils Untersuchungen über tropische Planktonten bei. Das Plankton der Tropenseen ist nicht so reichhaltig an Arten und Individuen wie das unserer Seen. Das Wasser zeigt dort, wie die darüber ruhende Luft, das ganze Jahr hindurch eine gleichmäßig hohe Temperatur, meist über 20". Doch herrscht eine gewisse Periodizität insofern, als Masse und Zusammensetzung nach den einzelnen Monaten ziemlich wechseln, was mehr als in dem verschiedenen Entwicklungsgang der einzelnen Arten darin liegen dürfte, daß mit dem Wechsel der Trocken- und Regenzeiten der Gehalt an Phytoplankton und damit die Nahrung für die tierischen Planktonten sehr schwankt. Einen interessanten Beitrag zu diesen Fragen liefert die in: Voyage d'Exploration seien t. en Co- 1 o m b i e (Mem. de la Soc. Neuchäteloise des Scienc. natur. V) Neuchätel 1913 erschienene Be- arbeitung tropischer Cladoceren, die von der Expedition von Dr. O. Fuhrmann und Dr. E. Mayor in Kolumbien gesammelt worden sind, durch den Schweizer Planktologen Stingelin. Die 34 gefundenen Arten geben von neuem einen Beleg dafür, wie vorsichtig man bei der Frage des Kosmopolitismus' der Limnobionten sein muß. Arten, die bei uns gar nicht oder nur sehr selten vorkommen, scheinen in den Tropen häufig auf- zutreten, während andrerseits solche, die bei uns N. F. XIII. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 397 gewöhnlich sind, dort vollständig fehlen. Die meisten der hier festgestellten Arten gehören bei uns EU den selteneren. Besonders auffällig ist das sehr zahlreiche Vorkommen von Lynco- daphniden. Interessant ist auch der Fund von Sida (cr)-stallina), die damit nicht nur für Süd- amerika, sondern für die Tropen überhaupt zum erstenmal festgestellt wurde, wie ja manche Arten von Cladoceren — so Leptodora und Polyphemus und die Kosminiden — sowohl in Südamerika als Zentral-Afrika noch immer unbekannt sind. Neu be- schrieben sind eine Art und vier Varietäten. Männchen, VVintereier, Ephippien fanden sich außerordentlich selten vor. Die Cladoceren wurden in Lagunen und Sümpfen in den Zentralkordilleren und Ostkordilleren bei Bogota in Höhen von 1575 bis 3671 m gesammelt. R. V. Aichberger. Bticherbesprechungen. Dr. Jacob Lorscheid, Lehrbuch der an- organischen Chemie. 20. und 21. Auf- lage, herausgegeben von Dr. Friedrich Leh- mann. 8", VIII und 336 Seiten mit 153 Ab- bildungen im Text und einer Spektraltafel in Farbendruck. Freiburg i. B. 1913, Herder'sche Verlagsbuchhandlung. — Preis geheftet 3,60 Mk., gebunden 4,20 Mk. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat der Charakter der anorganischen Chemie dank der Entwicklung der allgemeinen Chemie eine vollkommene Ver- änderung erlitten, und so muß auch ein Lehrbuch der anorganischen Chemie heute ganz andere Auf- gaben als vor 20 oder 30 Jahren lösen. Das Wich- tige und Wesentliche der anorganischen Chemie sind heute die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten, und die Einzeltatsachen, die jetzt dem Chemiker in früher ungeahnter Fülle entgegentreten, sind in kleineren Lehrbüchern in erster Linie als Beispiele und Belege für die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten zu behandeln. Daher ist ein älteres Lehrbuch der anorganischen Chemie nach dem derzeitigen Stand- punkte der Wissenschaft seiner ganzen Anlage nach als veraltet anzusehen, mag es auch einst, wie der alte Lorscheid, ein recht gutes und zweckent- sprechendes Werk gewesen sein. Die Neuauflage des Lorscheid ist besonders in technischen Einzelheiten sinngemäß ergänzt. Die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten aber, die das Werk als belebendes Prinzip durchdringen sollten, sind in ziemlich dürftiger Weise in einem Anhang zusammengestellt worden. Auch in Einzelheiten sind die Fortschritte der wissenschaftlichen Chemie nicht gebührend berücksichtigt. So wird bei der Besprechung des Radiums, bei der übrigens von den grundsätzlich verschiedenartigen «-, ß und y- Strahlen nicht gesprochen wird, auch die Emanation behandelt (S. 264): „Trotz dieser beständigen Emana- tionsabgabe hat sich erstaunlicherweise (!) bisher keine Gewichtsverminderung bei den Radiumsalzen aufweisen lassen. Es muß daher weiteren For schungen überlassen bleiben, diese auffällige Er- scheinung sowie die der fortgesetzten selbsttätigen Energieentwicklung bei den Radiumsalzen mit den Gesetzen von der Erhaltung der Materie und der Energie in Einklang zu bringen." Offenbar ist also die ganze Entwicklung, die die Lehre von der Radioaktivität im Laufe der letzten Jahre ge- nommen hat, dem Bearbeiter unbekannt geblieben. Die Angabe, daß über die Abweichungen vom D ulong-Petit'schen Gesetz nichts bekannt sei (S. 287), beweist, daß der Bearbeiter die neueren Ar- beiten von Nernst nicht verfolgt hat. Über das absolute Gewicht der Atome ist die Wissenschaft jetzt wesentlich besser unterrichtet, als man nach den Worten auf Seite 9 des Lehrbuches meinen möchte. Wenn auf Seite 278 gesagt wird, daß die Zusammensetzung des Ca ssius' sehen Gold- purpurs nicht bekannt sei, so sind die klassischen Arbeiten von Zsigmondy nicht berücksichtigt. Von Kolloidchemie und Metallographie, zwei Forschungsrichtungen, ohne die die anorganische Chemie heute nicht mehr denkbar ist, erfährt der Leser des Buches nichts. Wohl aber wird ihm mit- geteilt (S. 129), daß das Molekül des „Kohlenstoffs" (Diamant?, Graphit?) aus zwei Atomen besteht, das Molekulargewicht dieses Elements also 23,82^) sei, während in Wirklichkeit über die Molekular- größe des Kohlenstoffs bislang nichts Sicheres be- kannt ist. Kurz, das einst ausgezeichnete Lehr- buch der anorganischen Chemie von Lorscheid entspricht in der neuen Auflage in keiner Weise mehr den Anforderungen, die man heute an ein Lehrbuch der anorganischen Chemie zu stellen berechtigt und — als Rezensent — verpflichtet ist. Clausthal i. FI. Werner Mecklenburg. E. Rädl, Geschichte der biologischen Theorien in der Neuzeit. I.Teil. 2. Aufl. 351 S. Leipzig, Engelmann, 1913. — 8 — 9 Mk. Die vorliegende zweite Auflage des Rädl- schen Buches wird als ,, gänzlich umgearbeitet" bezeichnet, und mit Recht. Abgesehen von einer kleinen Änderung im l'itel sind die beiden Ka- pitel über Lamarck und Erasmus Darwin, die den ersten Band der ersten Auflage abschlössen, hier fortgeblieben und für den zweiten Band be- stimmt; aber auch alle übrigen Kapitel sind mehr oder weniger umgestaltet, die Reihenfolge zum Teil verändert, ganze Abschnitte neu eingefügt usw., so daß das Buch sich als eine völlige Neubearbei- tung des Stofi'es darstellt. ') Als Einheit der .Atomgewichte wird in dem Buch — auch das erscheint dem Rezensenten charakteristisch — noch immer das Atomgewicht des Wasserstoffs H = 1,000 genommen. 398 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 25 Einleitend betont Radi, daß eine Geschichte der wissenschaftlichen Theorien sich nicht geben läßt ohne den konkreten Subjekten der wissen- schaftlichen Persönlichkeiten , die sich mit der Begründung theoretischer Ansichten beschäftigten, gerecht zu werden. „Die Wissenschaft lebt nur in den Menschen und durch dieselben, ist durch ihre persönlichen Eigenschaften begrenzt, sie stellt sogar ebenso eine Eigenschaft des Menschen dar wie sein Gesicht und sein Knochenbau ; ihre Physiognomie verändert sich je nach dem Cha- rakter des einzelnen Menschen oder der einzelnen Epoche. Diese Arten der Wissenschaft, diese mannigfachen Äußerungen des wissenschaftlichen Triebes, die Weise, wie sich jede einzelne wissen- schaftliche Begebenheit vom dunkeln Chaos der Unendlichkeit abhebt, zu beachten, ist die Auf- gabe des Geschichtsschreibers." Nicht als eine „lineare Entwicklung" im Sinn eines allmählich zunehmenden Fortschritts seit dem Anfange wissenschaftlichen Denkens will Rädl die Ge- schichte der Biologie dargestellt wissen , sondern als eine Abwechslung verschiedener, aufeinander- folgender Systeme, deren jedes in sich seine Be- rechtigung hatte; diesen objektiv, ohne Vorein- genommenheit durch den heute herrschenden Standpunkt gerecht zu werden , sei die Aufgabe des Geschichtsschreibers der biologischen Theorien. Der in diesen Sätzen kurz dargelegte Standpunkt des Verfassers wird weiter gekennzeichnet durch die — unbestreitbar richtige — Ausführung im Anfange des ersten Kapitels, daß gewisse Grund- auffassungen des Naturgeschehens, wie sie z. B. im Piatonismus , in der Scholastik usw. zutage treten, durch individuelle Anlage des Einzelnen bedingt erscheinen, daß daher keine dieser ver- schiedenen Hauptrichtungen je völlig überwunden werden kann. Dies gilt, wie Ref. hinzufügen möchte, auch für die Frage des Monismus und Dualismus, des Vitalismus und Mechanismus, es ist daher keine dieser Grundauffassungen an sich als besser oder tiefer eindringend zu bezeichnen, es sind nur verschiedene, durch die persönliche Geistesanlage bedingte Anschauungsformen für das Naturgeschehen. Wenn nun Rädl diese Leitsätze seinem Buch voranstellte, so befremdet es, daß in der Darstellung die hier geforderte Objektivität durchaus nicht immer waltet. Daß der offenbar dem Vitalismus zuneigende Standpunkt des Verfassers deutlich er- kennbar ist, ist selbstverständlich des Autors gutes Recht; wenn aber an verschiedenen Stellen die vitalistische Auffassung als die tiefere, phisolophi- schere bezeichnet und die entgegengesetzte als Verflachung betrachtet wird, so ist dies schon nicht mehr eine objektiv dem individuellen Standpunkt des einzelnen Forschers gerecht werdende Dar- stellung. Und noch in einer anderen Beziehung vermißt Referent die wünschenswerte Objektivität. Es ist dies die geringe Einschätzung der von Rädl als „Epigonenwissenschaft" bezeichneten Leistun- gen der Forscher des 17. Jahrhunderts. Redi, Malpighi, Swammerdam, Leeuwenhoek, Rcaumur, Spallanzani — in diesen Namen verkörpert sich doch eine so gewaltige Summe ernster und vielfach grundlegender Arbeit, daß die Abschätzung: ,,Die biologische Forschung aus dem 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bietet ein unerfreuliches Bild", nicht als gerecht anerkannt werden kann. Daß unter dem Einfluß der als neues Beobachtungswerkzeug in Gebrauch genommenen Mikroskope und ihrer schrittweisen Vervollkommnung zunächst die Bewältigung des in ungeahnter Fülle neu sich darbietenden Stoffes in den Vordergrund tritt, ist historisch wohl ver- ständlich, und die sorgfältigen Beobachter, die denn übrigens doch auch manches Ergebnis von allgemeiner Tragweile erzielten — so z. B. Redi 's Nachweis der Entstehung der Fliegenmaden aus Eiern, Leeuwenhoek's Entdeckung der mikroskopischen Lebewelt usf. — werden durch den wiederholten Hinweis darauf, daß durch sie keine neue biolo- gische Disziplin geschaffen, keine fruchtbaren Ideen ausgesprochen wurden, zu einseitig beurteilt. Seltsam berührt in einem den philosophischen Standpunkt stark betonenden Buch die Bezeichnung der Insekten als „fade Tiergruppe". Überhaupt neigt Rädl stark zu Schlagworten. So z. B. S. 16: „Während Hippokrates ein großer Prak- tiker, Plato ein genialer Essayist, Aristoteles ein wissenschaftlich gebildeter Philosoph , Plinius ein aristokratischer Dilettant war, war Galen, der Sproß der Alexandrischen Schule, ein Gelehrter von Standesbewußtsein"; oder die Charakteristik von Leibniz als typischer Repräsentant „des nach Viel- seitigkeit und Genialität strebenden, aber an Klein- lichkeiten haftenden Zeitalters" , des „Zeitalters der langen Perrücken, der Jesuiten, der adeligen Wissenschaft , der Blütezeit der Mathematik und Mechanik, des Zeitalters, wo Newton das ein- fachste Gesetz für das Sonnensystem entdeckte und wo die Völker Europas dreißig Jahre lang das Gesetz des gegenseitigen anständigen Be- nehmens im eigenen Blute gesucht haben". Wenn er Leibniz's Philosophie einer ,, unangenehm kompromißartigen, alles Echte, Radikale, wahrhaft Tiefe und Gesunde beiseite schiebenden Tendenz" beschuldigt, so ist ihm Linne, der „sein Leben lang keine einzige biologisch wichtige Tatsache entdeckt" [war die Einführung des Artbegriffes, die Verfasser einige Seiten später als „Linne's unsterbliches Verdienst" bezeiclinet, nicht biologisch wichtig?!, (Jet- „für die natürlichen Beziehungen der Tiere und Pflanzen, für ihre natürliche Er- scheinungsform .... so wenig Verständnis ge- zeigt hat", ein „stiller, fleißiger, weltberühmter, pedantischer" Gelehrter, ein „vom Staub der Ge- lehrsamkeit bedeckter Forscher". Solche einseitigen Beurteilungen finden sich in dem Werke noch mehrfach. Diesen Ausstellungen gegenüber, die zur Krhik und teilweise zum Widerspruch herausfordern, sollen die Vorzüge des Werkes nicht unerwähnt bleiben. Es ist zunächst, wie schon aus dem Mitgeteilten N. F. Xm. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 399 hervorgehen dürfte, eine durchaus originelle Arbeit. Manche Persönlichkeit — so z.B. der von Rädl mit besonderer Ausführlichkeit behandelte Para- celsus — erscheint hier in neuem Licht; die zahlreichen Literaturangaben setzen den Leser in den Stand zu weiterer Nachprüfung; die ganze Darstellungsweise des Verfassers ist lebendig, an- ret^end, zum Nachdenken über die Probleme und ihre Entwicklung stimmend, wenn auch, wie ge- sagt, ein stark subjektiver Zug hindurchgeht. Ausgehend von dem „Vermächtnis des Alter- tums und Mittelalters", unter dessen Vertretern namentlich Aristoteles und die an ihn anknüpfende Scholastik näher besprochen werden, wendet sich Verfasser zunächst zu Paracelsus, als Vertreter der Renaissance, dem allein 4 Bogen gewidmet sind, und dem etwas kürzer Vesal, Leonardo und Seve- rino angereiht werden. Den Neu - Aristotelikern Caesalpin und Harvey folgen die „Encyklopä- disten" Wotton, Gesner, Aldrovandi u.a. Im folgen- den Kapitel wird die Begründung der mechanisti- schen Theorien durch Galilei, Bacon.Descar- t e s , B o r e 1 1 i erörtert ; es folgt die schon erwähnte, etwas einseitige Beurteilung der „Epigonenwissen- schaft des 17. Jahrhunderts". Zwei weitere Kapitel sind dem Paracelsisten van Helmont und den Vita- listen (Stahl, Bichat) gewidmet. Der etwas gering- schätzig bewerteten „Entomologenbiologie" des 17. Jahrhunderts wird die durch Leibniz, Bonnet, v. Haller vertretene Periode, die „die Notwendigkeit der Kompromisse mit vitalistischen Systemen an- erkannte", als Aufschwung der Biologie gegenüber- gestellt. C. F. Wolff als Hauptbegründer der Epigenesis leitet über zu den drei abschließenden Kapiteln, in denen Linne, Buffon und Cu vi er behandelt werden. Der Streit Cuvier's mit Geofifroy de St. Hilaire schließt den Band ab. R. V. Hanstein. derzeitigen Stand der Stereochemie interessieren, um so mehr empfohlen werden, als sie auch die Ergebnisse der neuesten Forschungen gebührend berücksichtigt. Clausthal i. H. Werner Mecklenburg. E. Wedekind, Stereochemie. Bd. 201 der „Sammlung Göschen". Kl. 8", 126 Seiten mit 42 Abbildungen im Text. Berlin und Leipzig 1914, G. J. Göschen'sche Verlagshandlung m.b.H. In Leinewand gebunden 0,go Mk. In dem vorliegenden Büchlein, dessen Verfasser als Forscher eine große Reihe wertvoller Beiträge zur Stereochemie des Stickstoffs geliefert hat, wird nach einer Einleitung zunächst die Stereochemie des Kohlenstoffs, dann die des drei- und fünfwertigen Stickstoffs, des Schwefels, Selens, Zinns, Siliziums und Phosphors besprochen. Dann folgt eine Dar- legung der äußerst interessanten Ergebnisse, die Werner bei den anorganischen Komplexverbin- dungen erhalten hat und die in der Entdeckung des asymmetrischen Kobalt-, Chrom-, Eisen- und Rhodiumatoms gipfeln (vgl. Naturw. Wochenschr., Bd. II, S. 657 — 666; 1912). Ein Kapitel über die sog. sterische Hinderung, d. h. die Beeinflussung chemischer Reaktionen durch räumliche Faktoren, schließt das Buch. Die vorliegende „Stereochemie" ist klar und sachgemäß und kann allen denen, die sich für den Literatur. Klingelhöffer, Dr. W. , Augenarzt, Das Auge und seine Erkrankungen. Nr. 113 — 114 der „Thomas Volks- bücher". Mit 22 Abbild. Leipzig, Theod. Thomas. Geb. 65 Pf. Jentsch, Dr. Ernst, Julius Robert Mayer, seine Krank- heitsgeschichte und die Geschichte seiner Entdeckung. Berlin '14, Julius Springer. Geb. 4,80 Mk. Voig tländ er 's Quellenbücher. Bd. 32: .\us der Ent- deckungsgeschichte der lebendigen Substanz. Herausgegeben von Dr. Gottfried Brückner. 60 Pf. Bd. 39: Im Kampf um d.as Weltsystem (Kopernikus und Galilei). Von Adolf Kistner. 80 Pf. Bd. 45: Die Entdeckung des Generationswechsels in der Tierwelt. Von Prof. Dr. Fr. Klengel. I Mk. Bd. 49: Geschichte der Dampfmaschine bis James Watt. Von Max Geitel. 1,20 Mk. Bd. 69: Die Lebenskraft in den Schriften der Vitalisten und ihrer Gegner. Von Dr. Alfr. XoU. 80 Pf. Hegi, Dr. Gustav, Aus den Schweizerlanden. Natur- historischgeographische Plaudereien. Mit 32 Illustr. Zürich, Orell & Füssli. Geb. 2,50 Mk. Bauer, Dr. Hugo, Geschichte der Chemie I. 2. verb. Aufl. Berlin und Leipzig '14, G. J. Göschen. Geb. 90 Pf. Parsons, H. Franklin, Isolation Hospitals. Aus der „Cambridge Public Health Series". Cambridge '14, University Press. 12 s. 6 d. Sa vage, William G. , The Bacteriological Examination of Food and Water. Ebenda. Mit 16 Illustr. Cambridge University Press '14. 7 s. 6 d. Prof. Dr. Bastian S c h m i d ' s Naturw. Schülerbibliothek. Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. Bd. 24: Prof. Dr. Konrad Guenther, Vom Tierleben in den Tropen. Für 12 — isjährige Schüler aller Schulgattun- gen. Mit 7 Abbild, im Text und I färb. Taf. I Mk. ; Bd. 25: Prof. Dr. W. May, Große Biologen. Für reife Schüler. Mit 21 Bildnissen. 3 Mk. Hendschel's Luginsland, Heft 43 : Dr. Otto G o e b e 1 , Über Sibirien nach Ostasien, St. Petersburg und Moskau, Tscheljabinsk-Mandschuria , Wladiwostok und Dairen. 2 Karten, 3 Streckenprofilen und 80 Abbild. Frankfurt a. M. '14. 5 Mk. Hoffman, Prof. Dr. Curt, Ältere und neuere Ansichten über das Erdinnere. Vortrag bei der von der Oberrealschule in Ravensburg gemeinsam veranstalteten Feier des Geburts- tages S. M. des Königs Wilhelm II. am 26. Februar 1914. Ravensburg '14, Fr. Alber. 80 Pf. Rüst, Prof. Dr. Ernst, Grundlehren der Chemie und Wege zur künstlichen Herstellung von Naturstoffen. Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. — Geb. 2 Mk. Seubert, Prof. Dr. Karl, Ira Remsens Einleitung in das Studium der Chemie. 5. Aufl. Mit 50 Abbild, im Text und 2 Tafeln. Tübingen '14, H. Laupp. Geb. 7 Mk. Vol terra, Vito, Drei Vorlesungen über neuere Fort- schritte der mathematischen Physik , gehalten im September 1909 an der Clark-University. Mit Zusätzen und Ergänzungen des Verfassers. Deutsch von Dr. Ernst Lamla. Mit 19 Fig. und 2 Tafeln. Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. 3 Mk. Palagyi, Melchior, Prof. Dr., Die Relativitätstheorie in der modernen Physik. Vortrag, gehalten auf der 85. Natur- forscherversammlung in Wien. Berlin '14, Georg Reimer. 1,50 Mk. Vorträge über die kinetische Theorie der Materie und der Elektrizität von M. Planck, P. Debye, W. Nernst, M. v. Smoluchowski, A. Sommerfeld, H. A. Lorentz u. a. (Mathe- matische Vorlesungen an der Universität Göttingen: VI.) Mit 7 Textfig. Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. 7 Mk. Dr. L. Rabenhorst's Kryptogamenflora von Deutsch- land, Österreich und der Schweiz. Bd. 6: Die Lebermoose (unter Berücksichtigung der übrigen Länder Europas). Mit 400 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. F. XIII. Nr. 25 vielen Te.xtabbild. Bearbeitet von Dr. Karl Müller. 19. Lief. Leipzig '14, Ed. Kummer. 2,40 Mk. Mäday, Dr. Stefan von, Gibt es denkende Tiere? Eine Entgegnung auf Krall's „Denkende Tiere". Mit 6 Fig. im Te.xt. Leipzig und Berlin '14, VV. Engelmann. — 9,60 Mk. Wolff, Prof. Dr. F. v. , Der Vulkanismus. I. Band: Allgemeiner Teil. 2. Hälfte. Die vulkanischen Erscheinungen der Oberfläche. Lunarer und kosmischer Vulkanismus. Ge- schichte der Vulkanologie. Mit 141 Textabbild. Stuttgart '14, F. Enke. 13,40 Mk. Stern, Dr. med. Lina, Über den Mechanismus der Oxy- dationsvorgänge im Tierorganismus. Mit 12 Abbild, i. Text. Jena '14, G. Fischer. 2,20 Mk. Handbuch der Tropenkrankheiten. Unter Mitwirkung von usw. . . herausgegeben von Prof. Dr. Carl Mense. 2. Aufl II. Band. Mit 126 Abbild, im Text. 14 schwarzen und 6 farbigen Tafeln. Leipzig '14, J. A. Barth. Geb. 42 Mk. Anzeiger der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften. Mathematisch -naturwissenschaftl. Klasse. I. Jahrgang 1913. Nr. I— XXVII. Wien '13, K. K. Hof- u. Siaatsdruckerei. Sitzungsberichte der mathematisch-physikalischen Klasse der K. B. Akademie der Wissenschaften zu München 19 13. Heft III. München '13. Verhandlung.n der Schweizerischen Naturforschenden Ge- sellschaft. 96. Jahresversammlung vom 7. — 10. September 1913 in Frauenfeld. Papers and Proceedings of the Royal Society of Tasmania for the year 1913. Rodway, Leonhard , Tasmanian Bryophyla Vol. 1. Mosses. Hobart '14, The Royal Society of Tasmania. Ostwald's Klassiker der exakten Wissenschaften. Leipzig und Berlin '14, W. Engelmann. Nr. 191: Abhandlungen über jene Grundsätze der Mechanik, die Integrale der Differentialgleichungen liefern, von Isaac Newton (1687), Daniel BernouUi (1745) ""^ I '74^) uod Patrick d'Arcy (1747). Aus dem Lateinischen und Französischen übersetzt von A. v. Oettingen. Herausgegeb. von Philip E. B. Tourdain. Mit 34 Textfig. 2,80 Mk. Ni. 193; Über die dynamische Theorie der Wärme usw. von William Thomson. Ins Deutsche übertragen und heraus- gegeben von Dr. W. Block. Mit 6 Fig. im Text. 5,20 Mk Hentschel, Dr. E., Die Meeressäugeliere. Leipzig '14, Th. Thomas, i Mk. Thoraas, Prof. Dr. Friedrich A. W., Das Elisabeth Linne-Phänoraen (sog. Blitzen der Blüten) und seine Deutungen. Zur Anregung und Aufklärung, zunächst für Botaniker und Blumenfreunde. Mit einer kleinen Farblafel. Jena '14, G. Fischer. 1,50 Mk. Klein, F. und Sommerfeld, A., Über die Theorie des Kreisels. Heft 1. Die kinematischen und kinetischen Grundlagen der Theorie. 2. durchgesehener .Abdruck. Leip- zig und Berlin '14, B. G. Teubner. Geb. 6,60 Mk. Bjerrum, Dr. Niels, Die Theorie der alkalimetrischen und azidimetrischen Titrierungen. Mit II Textabbild. Aus der Sammlung chemischer und chemisch-technischer Vorträge. Stuttgart '14, F. Enke. 4,50 Mk. Gräfe, Dr. Viktor, Ernährungsphysiologisches Praktikum der höheren Pflanzen. Mit 186 Textabbild. Berlin '14, P. Parey. 17 Mk. Fester, Dr. Gustav, Die chemische Technologie des Vanidins. Ebenda. 3 Mk. Dr. Julius Hoffmann's Alpenflora für Alpenwanderer und Pflanzenfreunde. Mit 283 farbigen Abbild, auf 43 Taf., meist nach Aquarellen von Hermann Friese. In 2. Auflage mit neuem Text herausgegeben von Prof. Dr K. Giesenhagen. Stuttgart '14, Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung. Geb. 6 Mk. Anregungen und Antworten. Herrn Dr. L., Essen. — I. Zur Ansiedlung bedarf die Auster eines festen Substrats und zwar bevorzugt sie sandigen oder schlickigen Untergrund ; auf felsigem Boden kommt sie seltener vor. Sie geht nur in geringe Tiefe, bis etwa 30 m, herab, ist also eine typische Litoralform. Zum Gedeihen be- nötigt sie einen Salzgehalt von mindestens i,7°'o; daher kommt sie in der salzarmen Ostsee nicht vorwärts. Sehr gut wächst sie jedoch in der Nähe von Flußmündungen, da hier die Strömung für reichliche Nahrungszufuhr sorgt. Als Feinde kommen hauptsächlich der Taschenkrebs, Carcinus maenas, sowie Murex erinaceus , eine Verwandte der Purpurschnecke in Betracht, ferner Seesterne, die sie gerne öffnen und ver- zehren; auch Bohrschwämme und Bohrschnecken spielen eine Rolle, da sie sich in die Schalen einbohren. Auf den Austern- bänken siedeln sich gerne noch andere Muscheln wie Cardium edulis und Mytilus edulis, die Miesmuschel, an; Moebius hat gerade an diesen Beispielen den Begriff der Lebens- gemeinschaft oder Biocoenose geprägt. Literatur; Moebius, Die Austern und die Austernwirt- schaft Berlin 1877. 2. Wenn wir hier ganz von den wenigen, das Süßwasser bewohnenden Formen absehen, so teilen sich die marinen Fo raminif e r en biologisch in die frei schwebenden, pcla- gisch lebenden und die benthonisch, d. h. am Boden lebenden Formen. Erstere sind an Artenzahl bei weitem in der Minder- heit, indem nur einige 20 planktonischer Foraminiferen be- kannt sind ; doch ersetzen sie diesen Mangel durch die unge- heure Individuenzahl, so daß die herabgesunkenen Schalen der toten Tiere den bekannten Globigerinenschlick bilden, der in Tiefen von 700 — 5000 m den Boden , hauptsächlich des At- lantic und des Indic bedeckt. Planktonisch lebend sind einige Arten der Gattungen Globigerina, Pulvulina, Orbiculina u. a. Die meisten Foraminiferen leben aber am Boden und zwar sind hier solche, die direkt auf Steinen, Korallen, Muschel- schalen mit ihrer Schale feslgewachsen sind, zu unterscheiden von anderen, die an Pflanzen oder auf dem Boden leben, und sich nur mit ihren Scheinfüßchen befestigen. Sie kommen hier in allen Tiefen vor, doch nimmt die Arienzahl in der Tiefsee bedeutend ab. Immerhin hat man unterhalb 4500 m Tiefe noch 19 Arten gefunden gegenüber 138 Arten in Tiefen von o — 100 m. Die Temperatur hat insofern einen Einfluß auf die Gestalt, als bei manchen Arten, deren Schale aus organischer Substanz — nicht aus Kalk — besteht, die Kälte eine Vergrößerung der Schalen bewirkt, so daß hier die Indi- viduen aus der Arktis oder der Tiefsee bedeutend größer sind als die des tropischen Litorals. Bei Arten mit Kalkschale ist dies Verhältnis umgekehrt, indem hier die Wärme die Kalk- abscheidung begünstigt So waren die Nummulitcn, die ja die Größe eines Talers erreichten, Warmwasserbewohner, so daß man nach ihrem Vorkommen glaubt, die frühere Richtung der Meeresströmungen feststellen zu können. Bemerkenswert ist, daß manche Arten sich an Brackwasser mit bedeutend verringertem Salzgehalt anpassen können; bei diesen wird dann auch die Kalkschale bedeutend reduziert. Auch der Wellen- schlag scheint einen Einfluß auf die Schalenbildung zu haben, indem die Schalen um so kräftiger werden, je flacher und bewegter das Wasser ist. Literatur; Rhumbler, L. , Die F'oraminifcren. In Er- gebnisse der Planktonexpedition Bd. III, Abt. L, 1912. Dof- lein. F., Lehrbuch der Protozoenkunde. Jena. Steuer, A., I'lanktonkunde. Leipzig 1909. Walther, J, Einleitung in die Geologie als historische Wissenschaft. Jena 1 892. Stromer von Reichenbach, E., Lehrbuch der Paläozoologie. Bd. 1. Leipzig 1910. May, W. , Korallen und andere gesteinsbil- dende Tiere (Aus Natur und Geisteswelt. Populär.) Dr. H. Balß, München. Inhalt: Lehmann; Über Keimverzug. Bachmann; Das Nannoplankton. — Einzelberichte: Vasuhiko Asahina: l'ber das Anemonin. Rudolph; Verhältnis des Binnenraums des Schädels, der „Schädelkapazilät" zum Gehirn. Haberlandt; Barymorphose und Statolithentheorie. v. Sc h ar f e nber g ; Über die experimentelle Beeinflussung der Dauereibildung und des Geschlechts bei Cladoceren. Stingelin; Neue tropische Planktonorganismen — Bücher- besprechungen: Lorscheid; Lehrbuch der anorganischen Chemie. Kadi: Geschichte der biologischen Theorien in der Neuzeit. Wedekind; Stereochemie. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H.Mi ehe in Leipzig, Marienslrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert S Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzen Reihe 29. Band. Sonntag, den 28. Juni 1914. Nummer 26. Die neuere Entwicklung der Lehre von der chemischen Affinität. [Nachdiuck verboten.] \^on Werner I. Einleitung. Das alte und vielbearbeitete Problem der chemischen Affinität, d. h. die Frage nach den Gesetzen, denen das Wechselspiel der Atome bei der Bildung der molekularen Verbände gehorcht, hat in den letzten Jahren, besonders dank den umfassenden Arbeiten von Walt her Nernst und seinen Schülern, grundsätzliche För- derung erfahren, und so möge denn im folgenden, gewissermaßen zur Feier des fünfzigsten Geburts- tages von Nernst,^) ein kurzer Bericht über die Entwicklung der Lehre von der chemischen Affi- nität in der neueren Zeit erstattet werden. Die neuere Affinitätslehre ist in erster Linie durch die Anwendung der Thermodynamik auf chemische Vorgänge gekennzeichnet, nachdem van't Hoff als Maß für die chemische Affinität die maximale Arbeit eingeführt hatte, die der chemische Vorgang zu leisten vermag, wenn er bei konstanter Temperatur („isotherm") und ohne Arbeitsverlust durch sekundäre Vorgänge („rever- sibel") verläuft. Diese maximale Arbeit A , die auch als „freie Energie" bezeichnet wird, weil sie den Teil der gesamten umgesetzten Energie dar- stellt, die der Experimentator ganz beliebig zur Leistung äußerer Arbeit oder zu anderen Zwecken verwenden kann, ist, wie die Thermodynamik lehrt, mit der Abnahme /\U, die die Gesamt- energie des reagierenden Systems erfährt, durch die Fundamentalgleichung -AU = -a-KtQ^, (!) verbunden, in der T die absolute Temperatur und l-5-=| den auf konstantes Volumen bezogenen Temperaturkoeffizienten der maximalen Arbeit darstellt. ') ') Hermann Walther Nernst wurde am 25. Juni 1864 in Briesen in Westpreußen geboren. P> studierte 1S83 bis 1887 in Züricli, Berlin, Graz und Würzburg und ging nach der in V\'ürzburg eifolgten Promotion 18S7 als Assistent zu Wilhelm Ostwald nach Leipzig. Im Jahre 1889 habi- litierte er sich in Leipzig, wurde 1891 an die Universität Göttingen in das neu gegründete Extraordinariat für physika- lische Chemie berufen und wirkte dort — seit dem Jahre 1894 als Ordinarius — bis zum Jahre 1905, in dem er als Nachfolger von Hans Landolt als ordentlicher Professor und Direktor des Instituts für physikalische Chemie nach Berlin berufen wurde. ^) In diesem Bericht werden bei der Aufstellung der Energiebilanz sämtliche dem reagierenden System als Arbeit oder Wärme oder in irgendeiner anderen B'orm zugeführten Energiemengen als Gewinn gebucht und darum mit dem Plus- zeichen versehen, während alle von ihm als Arbeitsleistung oder Wärmeentwicklung an die .\ußenwelt abgegebenen Energiemengen auf das Verlustkonto geschrieben und darum Mecklenburg. Die Abnahme der Gesamtenergie — /\JJ läßt sich leicht messen: sie ist gleich der Wärme- entwicklung — Q der Reaktion, sofern bei der Reaktion auf Arbeitsleistung überhaupt verzichtet und sie allein zur Abgabe von Wärme nach außen benutzt wird: -AU = -Q (2) Wir können Gleichung (i) also auch in der Form -Q = -A+Tg4)^ (la) schreiben. Nun hatte man früher, bevor van't Hoff als Maß für die Affinität die maximale Arbeit der Reaktion eingeführt hatte, im Anschluß an Thomsen und vor allen Dingen an Berthe - 1 o t die Wärmeentwicklung — O chemischer Vor- gänge als Maß für die Affinität angesehen. Die Gleichung (la) zeigt, daß das Berthelot- sche und das van't Hoff sehe Maß im allge- meinen nicht identisch sind; Wärmeentwicklung und maximale Arbeit sind nur dann einander gleich, wenn das zweite Glied auf der rechten Seite der Gleichung (la) T-(dTl = ° ist, d. h. wenn entweder der Temperaturkoeffizient der Affinität |dA\ (dT)v = ° ist oder wenn die Reaktion sich beim absoluten Nullpunkt T = o abspielt. In allen anderen Fällen geben die beiden Meßmethoden verschiedene Werte, und es handelt sich daher um die Frage, ob die van't Hoff- sche oder ob die B e r t h e 1 o t ' sehe Methode zweckmäßiger ist. Diese Frage ist dahin zu be- antworten, daß als Maß für die Affinität nur eine Größe in Betracht kommen kann, die bei allen freiwillig verlaufenden Vorgängen einen negativen Wert hat, und diese Bedingung wird wohl von der freien Energie — A , nicht aber von der Wärmeentwicklung — O erfüllt; kein einziger frei- willig verlaufender Vorgang ist init Aufnahme von freier Energie verknüpft, während viele frei- willig verlaufende Vorgänge mit einer Aufnahme von Wärmeenergie verbunden sind. Demnach ist die Berthelot' sehe Methode der Affinitäts- messung weniger zweckmäßig als die van't Hoff- negativ gerechnet werden. Die .^flinität selbst muß darnach als Arbeitsleistung des reagierenden Systems mit dem negativen Vorzeichen versehen werden. 402 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 26 sehe. Im folgenden wird daher als Affinität einer Reaktion allein die maximale Arbeit oder die freie Energie bezeichnet; die drei Ausdrücke „Affinität", „maximale Arbeit" und „freie Energie" werden unterschiedslos nebeneinander gebraucht werden. 2. Die Methoden zur Messung der chemi- schen Affinität. — Um die in Gleichung (i) ent- haltene theoretische Definition der chemischen Affinität für die Chemie nutzbar zu machen, muß der Chemiker außer der Änderung der Gesamt- energie -AU = — Q (2) vor allen Dingen die Affinität A selbst auswerten, d. h. er muß erstens dafür sorgen , daß die Re- aktion vollkommen isotherm und reversibel ver- laufe, und zweitens die bei diesem isothermen und reversibelen Verlauf in maximo zu gewinnende Arbeit — A messen. Hier kommen vor allen Dingen zwei Methoden in Frage : Die genaueste und bequemste, leider aber nicht immer anwendbare Methode der Affinitätsmessung besteht in der Messung der elektromotorischen Kraft E, die ein aus den reaktionsfähigen Stoffen zweckmäßig aufgebautes, isotherm und reversibel arbeitendes galvanisches Element liefert. Werden in dem Element m Wasserstofifäquivalente der wirksamen Stoffe umgesetzt, so ist, da bei der Umsetzung eines WasserstofTäquivalents 96 540 Coulomb durch das Element fließen, die maxi- male Arbeit — A, die das Element bei der Um- setzung liefert, — A= — m -96 540- E- Volt-Coulomb (3) oder, im Wärmemaß ausgedrückt, — A = — m • 0,2388 • 96 540 • E = — 23046 m • E cal. (3a) E ist nach bekannten Methoden leicht meßbar, m ist durch die Gleichung der in dem Element ablaufenden chemischen Reaktion gegeben , also läßt sich — A aus den Gleichungen (3) oder (3a) berechnen. Die zweite Methode beruht auf der Messung der Gleichgewichtskonstanten reversibler chemi- scher Reaktionen im homogenen System und wird hauptsächlich bei Gasreaktionen, nicht selten aber auch bei Reaktionen im Lösungen ange- wendet. Wenn eine Reaktion im homogenen System nach dem Schema 5^1 + ^^2 + ^'3 + • • • <=^ Xj + X., + Xg -f- . . . bei konstantem Volumen verläuft, so ergibt sich, wie van't Hoff gezeigt hat, die maximale Ar- beit, die die Reaktion bei isothermem und rever- siblem Verlauf zu leisten vermag, nach der Glei- chung (4) ■A = — RTln ■Cn-c, C, -C^ -Cg -RTln Cj • Cj -L-g .. . in der (4) A die Affinität der Reaktion R die Konstante der Gasgleichung T die absolute Temperatur ^17 ^2' *^3 Cj,C.,,C.,, c., c. C ' C ' C ' i3 2 TD ^3 O a; \^, X.i, x^ . . . Molekularkonzen- die Molekularkonzentrationen der Molekülarten Xj,x.2,x.j ... die Molekularkonzentrationen derMolekülartenXj,X.,,X3 ... . die Molekularkonzen- trationen der Molekül- arten X, . die trationen der Molekül- arten Xj, X2, Xg . . . und In den natürlichen Logarithmus bedeutet. Inir die Bildung von Wasserdampf aus seinen Elementen, die nach der Gleichung H2 + H.3 + 0.3 T Abb. I. 404 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 26 je nach dem Zahlenwerte, den man der Integrations- konstanten J beilegt, unendlich viele Kurven, Aj, A.,, A.J . . ., die nur darin übereinstimmen, daß sie sämtlich gegen die Temperaturachse konkav ge- krümmt sind und sämtlich im absoluten Nullpunkt init der Kurve O zusammentreffen, die die Abhängig- keit der Reaktionswärme von der Temperatur darstellt. Aus den unendlich vielen Kurven Aj, A.i, A.; . . . die richtige herauszusuchen, vermag die klassische Thermodynamik nicht. N ernst traf nun eine außerordentlich glück- liche Auswahl unter den A-Kurven. Aus der Tat- sache, daß die Bert helot'sche Regel besonders häufig bei den sogenannten „kondensierten Reak- tionen" zutrifft, d. h. bei solchen Reaktionen, die sich nur zwischen reinen festen (oder auch flüssigen) .Stoffen, also „im kondensierten System" abspielen, an denen aber Gase oder Lösungen nicht beteiligt sind, bildete er sich die Vorstellung, daß die A- Kurve und die 0-Kurve nicht nur beim absoluten Nullpunkt zusammenfallen, sondern daß sie sich — diese Hypothese gilt nur für kondensierteReaktionen ! — schon vorher asymptotisch nähern. Da die Krümmung der beiden Kurven mathematisch ihr Maß in den beiden Differentialquotienten dA j dO dT ""'^ df hat, so wäre die Nernst 'sehe Vermutung durch den Satz wiederzugeben, daß die Grenzwerte ,. dA , ,. dQ lim ^pi, und hm -^ dT dl für T = O einander gleich werden : ,. dA ,. dO .... T, , hm -:z^ = hm (für I --o) (10). Durch diese Hypothese, das Nernst' sehe Theorem, das, im Jahre 1906 aufgefunden, seit- dem sowohl in physikalischer als auch in chemi- scher Hinsiclit vielseitigster experimenteller Prüfung unterworfen worden ist und bislang in keinem einzigen Falle versagt hat oder gar als unzutreffend befunden worden ist, wird unter der Gesamtzahl der A-Kurven eine einzige ausgewählt; ihren Ver- lauf im Verhältnis zur OKurve zeigt das Diagramm in Abb. 2, das die Abhängigkeit der Wärmetöiiung Q und der Affinität A von der absoluten Temperatur für die kondensierte Reaktion zwischen kristall- wasserfreiem Ferrozyankalium und Eis KjFe(CN)« + 3H,,0 = K,Fe(CN), • 3H.,( ) wiedergibt. 5. Die Anwendung des Nernst'schen Theo- rems auf die Affinitätsgleichung. Um das Nernst 'sehe Theorem auf die Affinitätsgleichung anwenden zu können, müssen wir zunächst die beiden Difterentialquotienten dA , dQ dT ""^ dT berechnen, in den beiden Gleichungen dann T = o setzen und die beiden so erhaltenen Werte einander gleichsetzen. Aus der Affinitätsgleichung (9), in der wir die Reihe hinter dem dritten Gliede ab- brechen, also der Gleichung - A = - Qo + oTlnT + ^T -' - J F (9a) folgt dA ^y = — ölnT — « — 2/:?T + J (11) und aus der ebenfalls hinter dem dritten Gliede abgebrochenen Interpolationsgleichung (8) y = Qü + "T + ,i'T-^ (Sa) folgt g = «+2iST (12) Für T = 0 gehen die Gleichungen (ii) und (12) in die Grenzwerte über dA , , : J — «InO— « lim dT I la und ,• dQ hm ,.„= c( d 1 (12a) Diese beiden Werte (iia) und (i2a) sind nach dem Nernst'schen Theorem einander gleich zu setzen, also ist J — « Ino — a = a (13) oder J = « Ino ('Sa) Nun ist der Logarithmus von o bekanntlich negativ unendlich In O = — 00 Wenn das « einen endlichen Wert hätte, so müßte die Integrationskonstante J ebenfalls negativ unendlich werden, was offenbar unzulässig ist. Also muß sein « = 0 (14) -1500-f Abb. 2. d. h. die algebraische Summe der spezifischen Wärmen der Reaktionsteilnehmer beim absoluten Nullpunkt ist gleich Null, ein sehr überraschender Satz, der jedoch durch direkte Messungen, die im Nernst'schen Laboratorium in den letzten Jahren ausgeführt worden sind, vollkommen bestätigt worden ist; Die spezifische Wärme aller einzelnen Stoffe wird beim absoluten Nullpunkt gleich Null, also ist auch ihre algebraische Summe gleich N. F. XIII. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 40s Null 0 Aus (Tleicliung (14) folgt ohne weiteres J = o (15) und damit muß auch ,. dA ,. dO . ,, hm ,^ = hm;j-4r = o (16) dl dl sein, d. h. die A- und die O-Kurve triflt im Winkel von 90" aut die A- und 0-Achse des Koordinaten- systems. Die von der klassischen Thermod)-namik un- bestimmt gelassene Integrationskonstante J der allgemeinen Affinitätsgleichung (9) hat also nach dem N e r n s t ' sehen Theorem den Wert Null, und die Gleichung der Wärmetönung (Sa) und insbe- sondere die Affinitätsgleichung (9 a) nehmen darum die h'ormen -Q = -Oo-,^T-^ (17) und — A = — Qo+^T^ (18) an: Die beiden Kurven sind in der Nähe des absoluten Nullpunktes symmetrisch, wie das Bei- spiel in Abb. 2 ja auch zeigt; bei höheren Tempe- raturen, wenn die anderen Glieder hinter dem ;:?-Glied, hinter dem die beiden Gleichungen ab- gebrochen worden sind, nicht mehr vernachlässigt werden dürfen, verschwindet die Symmetrie, wie schon die Betrachtung der Gleichungen (8) und (9) erkennen läßt. Das Ergebnis dieses Abschnittes läßt sich in folgende Worte zusammenfassen; Durch das Nernst'sche Theorem ist die Berechnung che- mischer Affinitäten allein aus thermischen Größen wenigstens für kondensierte Reaktionen, für die allein ja die Gleichung dA ,. dO ,... _ , , , hm ,^ = hm ~(furT=o) (10) dT nur gilt, möglich geworden. Für kondensierte Reaktionen ist danach vom Standpunkte des Thermodynamikers aus das Problem der chemischen .Affinität gelöst, und daß es damit im Prinzip auch für homogene Gasreaktionen (und Lösungen) und weiter auch für heterogene Reaktionen ge- löst ist, werden die folgenden Abschnitte zeigen. 6. Die Reaktionsisochore. — Wie aus der Gleichung (6) — A = — RTlnk — RTln " hervorgeht, hängt die maximale Arbeit, die eine bei konstantem Volumen verlaufende homogene Gasreaktion zu leisten imstande ist, in hohem Maße von den zufälligen Konzentrationsverhält- nissen ab, in denen sich das reaktionsfähige System vor der Reaktion befunden hat, und es hat daher auch keinen Sinn, diese maximale Arbeit zur Grund- lage weiterer Untersuchungen zu machen. Un- abhängig von den zufälligen Konzentrationsverhält- nissen aber ist die Gleichgewichtskonstante k, und an sie haben daher die weiteren Überlegungen anzuknüpfen. ■*) Vgl. die demnächst in der Naturw. Wochenschrift er- scheinende Besprechung von Estreicher, ,,Die Kalorimetrie der niedrigen Temperaturen". Um zunächst die Gesetzmäßigkeit, nach der die Gleichgerichtskonstante k von der Temperatur abhängt, kennen zu lernen, führen wir den aus Gleichung (6) entnommenen Wert für die Affini- tät der Gasreaktion und ihres Differentialquotienten in die allgemeine Affinitätsgleichung -Q = -A + Tp^ da) ein und erhalten dann, indem wir, um Irrtümern vorzubeugen, Qoas anstatt O setzen, sobald es sich um handelt. oder die Wärmetönung von Gasreaktionen O Gas ■ dlnk: + RT- Qoas RT'- dlnk dT dT (19)- Um diese Gleichung, die sog. „Reaktionsiso- chore", die die Abhängigkeit der Gleichgewichts- konstanten k von der Reaktionswärme Qg;,^ und der Temperatur T angibt, zu integrieren, müssen wir für Qcas wieder eine Interpolationsgleichung Qoas = QoGas + aT + bT'^ (20) einsetzen, in der QuGas wie früher die Reaktions- wärme bei der absoluten Temperatur o und a und b wieder die algebraische Summe der spezifischen Wärme der Reaktionsteilnehmer und ihrer Tempe- turkoeffizienten sind. Die integrierte Form der Reaktionsisochore ist dann QoGas a . „, b , RT ~R R wenn mit J' die auch hier wieder von der klas- sischen Thermodynamik unbestimmt gelassene, mit der Konstanten J der nur für kondensierte Reaktionen geltenden Gleichung (9) natürlich nicht identische Integrationskonstante bezeichnet wird. Die Auswertung dieser Integrationkonstanten ist die nächste Aufgabe. 7. Die Auswertung der Integrationskon- stanten J' der Reaktionsisochore. — Die Affinität einer Gasreaktion läßt sich, wie weiter oben dar- gelegt worden ist, nach der Gleichung Ink: T + J' (19a), A = — RTln c, -c. Uj • L.2 • V'S ' RTlnk (6) aus den Anfangskonzentrationen c^, c,,, c. und C,, C, Cg . . . der Reaktionsteilnehmer, der Gleich- gewichtskonstanten k, der absoluten Temperatur T und der Gaskonstanten R berechnen. Diese Gleichung (6) gilt — darauf wurde bereits hinge- wiesen — unter der Annahme, daß die Reaktion bei konstantem Volumen verläuft. Für den F^all, daß die Reaktion nicht bei konstantem Volumen, sondern bei konstantem Druck verläuft, muß die Gleichung etwas erweitert werden, da ja mit dem Verschwinden und dem Neuauftreten von Gas- 406 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 26 molekülen bei konstantem Druck eine Arbeits- leistung verbunden ist: Für jedes verschwindende Mol wird die Arbeit RT gewonnen, und für jedes neu auftretende Molekül muß die gleiche Arbeit RT aufgewendet werden. Verschwinden also bei der Reaktion n Mole und werden gleichzeitig n' Mole neu gebildet, so ist der Arbeitsgewinn nRT n'RT = (n ~ n')RT zu buchen, so daß sich als maximale Arbeit Ai der Gasreaktion bei konstantem Druck der Wert Ai RTln ^ '- — RTlnk -|- (n — n')RT (21) ergibt. Nun kann dieselbe Gasreaklion, anstatt sich direkt im Gaszustande abzuspielen, auf einem Um- wege über das kondensierte System verlaufen. Die auf diesem Umwege in maximo gewinnbare Arbeit — sie werde als An bezeichnet — be- rechnet sich als .Summe folgender Einzelarbeiten: a) Zunächst werden die Gase, deren .Anfangs- druck p sein möge, bis zum Sättigungsdampfdruck p' komprimiert; dabei haben wir für jedes Mol die Arbeit A'i = RTln P' , V für alle Gase zusammen also die Arbeit RTlnP'^ + .. 1>3 A, =RTlnP' +RTlnl'- 4 Pi P2 Pi-Ps-Pa--- zu leisten. b) Die unter dem Sättigungsdampfdruck stehen- den Gase werden zu festen Körpern oder reinen Flüssigkeiten kondensiert; das bedeutet für n Mole den Arbeitsgewinn A., = nRT. c) Nunmehr lassen wir die Reaktion im konden- sierten System vor sich gehen, wobei die .Arbeit ^H = Atond. geleistet wird. d) Die Reaktionsprodukte — n' Mole — lassen wir so verdampfen, daß sie nach der Verdampfung gerade wieder unter dem .Sättigungsdruck P' stehen. Dieser Vorgang schenkt der Außenwelt die .Arbeit A, = — n'RT. e) Die unter dem Sättigungsdruck P' stehenden Gase werden dilatiert, bis sie wieder unter dem Anfangsdruck P stehen, ein \'organg, bei dem das System die Arbeit ?' .P' .P' ^ 1 ■ ^ 2 ■ ^ 3 • • • leistet. Der Gesamtarbeitsertrag An, den die Reaktion auf diesem Umwege leistet, ist also - A„ ^ A, + A., + A3 + A, + A, RTln Pi-Po-Pa + nRT - Ak Pi-P-2-p3 • • • P' RTln ' n'RT P' .P' P . P oder, wenn wir an Stelle der Anfangs- und End- dampfdrucke pj, p.j, pa . . . und P], P.,, P.5 ... die Konzentrationen in der früheren Bezeichnung Cj, c.,, C3 . . . und C, , Cj, Co . . . und an Stelle der Sättigungsdampfdrucke p'j, p',,, p'g . . . und V\, V\, P'3 ... die Konzentrationen der gesättigten Dämpfe J'i' 72' "/i ■■■ und I\, I'o, Tg... einführen und die zusammengehörigen Glieder zusammenfassen, -A, — RTln • c, -c. C j • Ug • L3 , -RTln^ ri-j'2 -Aucui. + (n-n')RT Da sich nun beide Reaktionen , die direkte wie die indirekt über das kondensierte System verlaufende, bei konstantem Druck isotherm und reversibel abgespielt und beide vom gleichen An- fangs- zum gleichen Endzustand geführt haben, so müssen auch die maximalen Arbeiten gleich sein: — Ai = — Au. Also ist auch -RTlnAlMj = — RTln RTln c .c .r ^1 ^2 ^3 • • Ci-Cj-C,... r .r .r v,j ^2 ^3 • • i\-r,-i\.. RTlnk -|-(n — n')RT + (n- n')RT — A kond. ode — RTlnk = — RTln '^'■''i^:'^--Ako.j (22) ■/i-y-i-Y-i--- Die Gleichgewichtskonstante einer Gasreaktion läßt sich also aus der Affinität der kondensierten Reaktion und den Konzentrationen berechnen, die die bei der Reaktionstemperatur T gesättigten Dämpfe der Reaktionsteilnehmer besitzen. Um sie allein aus thermischen Daten berechnen zu können , müssen wir also schließlich noch die Konzentration der gesättigten Dämpfe als Funk- tion nur thermischer Größen ausdrücken. Wenden wir die Gleichung der Reaktions- isochore .<2oG3._a,_^.j._b^_^j, (.9a) Ink^ RT R R auf den Verdampfungsvorgang an, so ist k gleich der Konzentration des gesättigten Dampfes /', -(-OyGas gleich der latenten Verdampfungswärme — L„ beim absoluten Nullpunkt, während die Tem- peraturkoeffizienten a und b der Wärmetönung Qc.ns gleich den Temperaturkoeffizienten A und B der Verdampfungswärmen zu setzen sind. Wenden wir auf die Temperaturkoeffizienten A und B den be- reits weiter oben benutzten Satz an, daß der Temperaturkoeffizient der Reaktionswärme, hier also der Verdampfungswärme, gleich der algebra- ischen Summe der spezifischen Wärmen der Re- aktionsteilnehmer, also der der Flüssigkeit und N. F. XIII. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 407 der des gesättigten Dampfes ist, so gilt für jeden einzehien Stoft: dl = (A*Uo,Kl. — A*r,as) +(Bkond. — Bcas) T, wenn durcli die Indices „kond." und „Gas" der A'TCTregatzustand bezeichnet wird, auf den sich die Ternperaturkoeffizienten beziehen und der Stern bei A*ko,ui. und A*Gas davor warnt, die Temperatur- koeffizienten A*kond. und A*Gas rnit den Affinitäten Akond. und Aoas z" verwechsehi. ^A/ir erhalten danach für das erste Gas die Gleichung I (Bjkond. BiGas) . In/', R T + L (23) -RTln'' '^— ''-^-Akund. (22) «-•-■• = ln/\+ln/, + lny,+ ... in der I, wieder die von der klassischen Thermo- dynamik unbestimmt gelassene Integrationskon- stante ist. Analoge Gleichungen gelten für die anderen Gase. Führen wir alle diese Gleichungen (23) in die Affinitätsgleichung / 1 ■ /'■_> ■ /s ■ ein, so erhalten wir, da — Inj'i ist, die Gleichung - RT Ink = + A, — (A*kond. — A*Gas) T In T — (Bk„„d. — BGas) l' — I<-Ti — Akond. (24) in der '•0 == L,,, -j- L(,., -|- Ly;5 -|- • • . ''-ui ''•02 '■US • ■ • (A^kond. A'-"'Gas) ^ (A'^jkoiul. A*jGas) -f" ( A*.,kond. — A*„Gas) + (A*3kond. — A^Gas) + • . . — (ajkond. 3lGas) (a2kond. SaGasj (a3koiid. ^^Gasj •■ • (Bkond. Egss) = (Bl kond. — B, Gas) "T (B2kond. B., Gas) + (Bakond. BgGas ) + ■ . . (blkond. b, Gas) 'nj'2 In 73 — (b.,k J2G, s) (bakond. ■'s Gas :)-•■• und ist. ^Ii+l2+l3 + - Nun ist _ — Akond. = - Qokond. + ßT-' ( 1 S) oder, da ja ß gleich der Summe der Temperatur- koeffizienten der spezifischen Wärme der festen Stofie, also mit dem soeben als Bkond. bezeichneten Gliede identisch ist, Akund. = QoUund. -|- Bkond. • T ' ( 1 8a ) also ist — RT Ink = — Q„kond. + A„ — (Akond. — Acas) TlnT (Bkond. Bkond. Bgis) T" Rl i oder, da, wie wir früher gesehen haben, Akond. = ö = 0 (141 ist - R'I- Ink = - O.kond. + K + AGas T In T + BnasT- -RTi (24a) wenn wir mit — Q„kond. die Wärmetönung der kondensierten Reaktion bezeichnen ; dieses Uokon.i. ist natürlich nicht identisch mit dem O, ((Gas der Gleichung (19 a), denn in dieser bedeutet ja QoGas die Wärmeentwicklung bei der Gasreaktion: Die beiden Wärmetönungen Qokond._ und Qo Gas müssen scharf unterschieden werden. Sind nunQiikond. und Qo Gas auch nicht identisch, so stehen sie doch in sehr engen Beziehungen zu- einander, wie wir sogleich ersehen, wenn wir die Wärmetönung einer Reaktion einerseits im kon- densierten System, andererseits nach Vergasung des reaktionsfähigen Systems im Gaszustande messen und die Energiebilanz der beiden Vorgänge aufstellen. Im ersten Falle ist die Änderung der gesamten Energie — /\U gleich der Wärme- entwicklung Quond. ,AU ^ Qkond. Im zweiten Falle haben wir zunächst n Mole- küle zu vergasen, was erstens die Zuführung der latenten Verdampfungswärme erfordert und zweitens mit der Arbeitsleistung — nRT verknüpft ist. Nun folgt die Reaktion im Gas- zustande mit der Wärmeentwicklung - ÜGas und schließlich wird wieder kondensiert, ein Vor- gang, bei dem die latente Verdampfungswärme -(Li+I.., + L, +...) = -L nach außen abgegeben und die Arbeit -f n'RT Enereiebilanz der ganzen gewonnen wird. Die Rcaktionsfolge ergibt sich also zu ;. _ n RT — QGas — I^ + n' RT Die Energiebilanz muß in beiden Fällen das gleiche Endergebnis haben, d. h. es ist - Qkond = 0^ - L) — (n - n'i RT CjGas (25 > Diese Gleichung gilt für jede beliebige Tempe- ratur T; für den absoluten Nullpunkt folgt aus ihr Q„ Qn 6) wenn wir wie vorher die algebraische Summe der Verdampfungswärmen l — punkt mit /.„ bezeichnen. Gleichung (24a) geht Gleichung , beim absoluten Null- demnach über in die — RTlnk - K - Q, II Gas oder -4-BGasT-^-RTi + A„ 4- AGas TlnT Ink: Q, oGas Ar MnT- .^l^T + i (24 b) (24c). RT R Diese Gleichung (24c) ist offenbar identisch mit der integrierten Gleichung der Reaktionsisochoren Ink^^^^^-|lnT-J^T + J' (iga) denn a und b sind ja genau wie AGasUnd Bgss die Summe der spezifischen Wärmen der an der Reaktion teilnehmenden Gase a = A Gas und die Summe ihrer Temperaturkoeffizienten b = BGas- 4o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 26 P'olglicli ist J'=i (26) d. h. die thermodynamisch unbestimmte Inte- grationskonstante J' der Reaktionsisochore ist gleich der algebraischen Summe der Integrationskon- stanten der Gleichungen, die für die einzelnen an der Reaktion teilnehmenden oder durch sie ent- stehenden Gase die Konzentrationen der ge- sättigten Dämpfe als Funktion der Temperatur und der Verdampfungswärmen beim absoluten Null- jjunkt darstellen: J' = i = Ji+J-2+J3 + ■•■-!,--!.-!.-•■■ (26a). Die theoretische Berechnung der Integrationskon- stanten i selbst ist bisher nicht möglich gewesen; wir sind also auf ihre empirische Bestimmung angewiesen. 8. Die Berechnung der Gleichgewichts- konstanten heterogener Reaktionen. — Nach- dem durch das Nernst'sche Tlieorem die Be- rechnung der Affinität kondensierter Reaktionen und die Affinität homogener Gas- (oder Lösungs-) Reaktionen ermöglicht worden war, bot die Be- rechnung der Affinität heterogener Reaktionen, d.h. solcher Reaktionen, die sich, wie z. B. die Ent- wicklung von Gasen aus festen Körpern, im heterogenen System abspielen, keine -Schwierig- keiten mehr. Wie sich die Gleichgewichtskon- stante einer Gasreaktion beim Übergang zu einer heterogenen Reaktion verändert und sich die Gleichgewichtskonstante der heterogenen Reaktion aus der der homogenen Reaktion berechnen läßt, soll im folgenden gezeigt werden. Bei einer heterogenen Reaktion ist — das ist das wesentliche — in der Gasphase (oder der Lösung) die Konzentration derjenigen Reaktions- teilnehmcr, die gleichzeitig als Bodenkörper vor- handen sind, konstant. Die Gleichgewichtskonstante der reinen Gasreaktion C -C -C k = —^-—^— '---'- '' (k) nimmt also, wenn z. B. die beiden Stoffe, deren Konzentration in der Gasphase C, und c'.. beträgt, gleichzeitig Bodenkörper System sind, den Wert C-K', dem heterogenen c'i • C, • k'3 an, wenn wir C, = konstant ^ K'.^ und c'.j = konstant = k'^ setzen. Ziehen wir die Konstanten K',_, und k'., in die Gleichgewichtskonstante k hinein, so erhalten wir die Gleichgewichtskonstante K der heterogenen Reaktion K = k 3 oder cV 7) In K = In k + ( In k'3 — In K'., ) (2; a) Der natürliche Logarithmus der Gleichgewichts- konstanten einer heterogenen Reaktion ist dem- nach gleich dem natürlichen Logarithmus der Gleichgewichtskonstanten, die dieselbe Reaktion besitzen würde, wenn sie als reine Gasreaktion verliefe, plus der algebraischen Summe der mit dem richtigen Vorzeichen versehenen natürlichen Logarithmen derjenigen Stoffe, die als Boden- körper im System vorhanden sind. 9. Schlu§bemerkungen. — In den vorstehen- den Abschnitten ist gezeigt worden, wie sich, dank der zweckmäßigen Definition der chemischen Affinität als maximaler Arbeitsleistung durch van't Hoff und dank insbesondere der Auffindung des Nernst 'sehen Theorems die Lehre von der chemischen Affinität in neuerer Zeit entwickelt hat: Die klassische Thermodynamik hat eine Diffe- rcntialformel für die chemische Affinität gegeben,' die bei der Integration dieser Differentialformel auftretende Integrationskonstante aber unbestimmt lassen müssen. Nernst hat den beiden Haupt- sätzen der klassischen Thcrmodj'namik einen neuen Hauptsatz, das Nernst 'sehe Theorem, beigesellt, der, wohl als gleichberechtigt neben den beiden ersten Hauptsätzen stehend, die Auswertung der Integrationskonstanten wenigstens für kondensierte Reaktionen ermöglicht hat. h'ür kondensierte Reaktionen hat die Integrationskonstante den Wert Null. Damit ist das IVoblem der chemischen Affinität kondensierter Reaktionen vom Stand- punkte des Tliermod)'namikers aus als definitiv gelöst anzusehen, besonders wenn man berück- sichtigt, daß sich an Stelle der Interpolations- gleichung, die wir hier aus Bequemlichkcitsgründeii für die Abhängigkeit der Reaktionswärme von der Temperatur benutzt haben, aus der Ouantenthcorie eine rationelle Formel ergeben hat. Bei Gas- reaktionen spielt die Affinität an sich eine geringere Rolle, weil die maximale Arbeit, die die Reaktion zu leisten vermag, in hohem Maße von den zu- fälligen Konzentratioiisverhältnissen abhängt, unab- hängig von den zufälligen Konzentrationen aber ist die Gleichgewichtskonstante. Für Berechnung der Abhängigkeit der Gleichgewichtskonstanten von der Temperatur hat die klassische Thermo- d\'namik ebenfalls eine Differentialgleicliung ge- liefert, die bei der Integration ebenso wie die allgemeine Affinitätsgleichung eine Gleichung mit einer von der klassischen Thermodynamik wieder unbestimmt gelassenen Integrationskonstanten er- gibt. Diese Integrationskonstante ist gleich der alge- braischen Summe der natürlichen Logarithmen der Konzentrationen der gesättigten Dämpfe der Re- aktionsteilnehmer bei der Reaktionstemperatur. Sie läßt sich daher auch aus den uns bis jetzt allein zur Verfügung stehenden Interpolationsgleichungen berechnen, die die Abhängigkeit der Konzentration der gesättigten Dämpfe von der Temperatur an- geben; diese Interpolationsgleichungen enthalten als Integrationskonstanten eine Größe, die für die betreffende chemische Molekülart charakteristisch, unabhängig aber von ihrer Erscheinungsform, also unabhängig davon ist, ob der Stoff flüssig oder fest ist, ob er diesem oder jenem Kristallsystem angehört. Der Wert dieser stoftlichen Konstanten läßt sich aus thermischen Größen bisher nicht N. F. XIII. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 409 berechnen. Für den rhcrniodynamiker ist also das Problem der Affinitcät für nichtkondensierte Reaktionen noch nicht vollständig gelöst. Zum Schluß sei darauf hingewiesen, daß die thermodynamische Betrachtung chemische Reak- tionen bisher nicht vollständig zu charakterisieren o-estattet. Besonders vermag die Thermodynamik nur wenig über die Geschwindigkeit chemischer Reaktion zu sagen, und darum entzieht sich vor allen Dingen die Chemie der Kohlenstoffver- bindungen, die durch verhältnismäßig sehr große Beständigkeit der Komplexe und im allgemeinen sehr geringe Umwandlungsgeschwindigkeit ge- kennzeichnet ist, der auf die Thermodynamik be- gründeten Erforschung. Die große Mehrzahl der organischen Stoffe lassen sich als Xichtgleich- gewichtszustände thermodynamisch nicht be- handeln, ja sie sind vom Standpunkte des Thermo- d3-namikers aus betrachtet eigentlich überhaupt nicht existenzfähig, haben eigentlich gar nicht das Recht zu existieren. In F^ällen dieser Art führt eine andere Betrachtungsweise, die Atom- und Molekulartheorie weiter; sie hat die organische Chemie geschaffen, vor der die Thermodynamik heute noch ratlos steht. Literatur. Außer der Originalliteratur und dem bekannten Lehrbuch von Walt her Nernst ,, Theoretische Chemie vom Stand- punkte der Avogadro'schen Regel und der Thermodynamik", VlI. Auflage, Stuttgart 1913, kommen für diejenigen, die sich für das nähere Studium der Lehre von der chemischen Affinität interessieren, noch folgende Werke in Betracht: Walther Nernst, ,,Experiniental and Theoretical Ap- plications of Thermodynamics to Chemistry", X und 123 Seiten kl. 8", London 1907 ; lUto Sackur, „Die chemische Affinität und ihre Messung", Vlll und 129 Seiten, kl. S", Braunschvvcig 1908; F. Pollitzer: „Die Berechnung chemischer Affinitäten nach dem N e r ns t ' sehen Wärmetheorem", 170 Seiten, gr. 8°, Stuttgart 1912; Ivarl Jellinek, „Physikalische Chemie der homogenen und heterogenen Gasreaktionen unter besonderer Berücksich- tigung der Stvahlungs- und (Juantcnlchre, sowie des Nernst'schcn Theorems", XIV und 844 Seiten, gr. 8", Leipzig 1913. Eiuzelberichte. Anthropologie. Die „blonden Eskimo". Ge- der Existenz eines Eskimovolkes, das bis dahin egentlich seiner ersten Reiste nach dem^ktischen "o^h gar nicht mit Weißen in Berührung ge- .Amerika erfuhr Vilhjalmur Stefansson von kommen war und augenscheinlich manche interes- .Abb. I. Eine Gruppe von Victorialand-Eskimos. (Aus Stefansson, „My Life with the Eskimo"; Verlag Macmillan, London und Xew York.) 410 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 26 sante Eigenarten besaß. Wo diese Eskimo hausten, war nicht genau festzustellen, aber Stefansson nahm an, es müsse sich um Bewohner der großen Victoria-Insel handeln, die als menschenleer ge- golten hatte. Um mit dem unbekannten Volk in Verbindung zu treten, unternahm Stefansson mit Unterstützung des amerikanischen Museums für Naturgeschichte in den Jahren 1908 — 1912 eine zweite Forschungsexpedition nach dem fernen Norden, auf der er von dem Zoologen Dr. R. M. Anderson begleitet wurde. Über diese Reise berichtet Stefansson in dem Buch „My Life with the Eskimo", das eben bei Mac mi 11 an in London und New-York erschien (IX u. 527 S., mit sie mit den Eskimo überein, aber ihre helle Pig- mentation fällt sofort auf, obzwar sie es auch er- klärlich macht, warum Eskimo, die mit den Leuten von Victorialand in Verkehr stehen, nichts Sonder- bares an Stefansson 's hellbraunem Bart und seinen blauen Augen fanden, sondern ihn einfach als Eskimo betrachteten — hatten sie docli solche Eskimo schon gesehen ! Blaue Augen kommen bei den Bewohnern der Victoria-Insel vor, aber sehr selten. Unter einer Bevölkerung von fast 1000 Personen wurden nur etwa 10 beobachtet, die blaue Augen hatten. Doch ist zu bedenken, daf3 sonst die Irisfarbe der Eskimo tiefdunkelbraun ist. Das Kopfhaar ist Abb. 2. Frauen und ein Mann vom Prinz-Albert-Sund. [(Aus Stefansson, ,,My Life with llie Eskimo"; Verlag Macmillan, London und Xew York.) vielen Tafeln und 2 Karten; Preis 17 Schillinge) und sich durch reichen Inhalt wie gediegene Schreib- weise auszeichnet, so daß man es zu den besten .Stücken der Literatur über Polarreisen zählen darf. Das Buch trägt wesentlich zur Bereicherung und Berichtigung unserer anthropologischen, ethno- graphischen und geographischen Kenntnis der ark- tischen Gebiete .Amerikas bei. Stefansson 's wichtigstes Ergebnis ist die Entdeckung der „blonden Eskimo". Sie leben auf der Victoria-Insel, an der Dolphin- und Unionstraße und dem Prinz Albertsund, in einem äußerst dürftigen Kulturzustande. In ihrer Klei- dung, ihrer Sprache und ihren Handlungen stimmen niemals goldblond, wie etwa bei typischen Skan- dinaviern, aber viele Personen haben dunkelbraunes oder rostrotes Haar. Die Barthaare zupfen viele Männer aus, so wie es die Indianer tun; von den bärtigen Männern hatten jedoch zahlreiche hell- braune Barte. Die Augenbrauen sind bei nahezu der Hälfte der Personen dunkelbraun bis ganz hellblond. Doch ist nicht allein die helle Pigmen- tierung der Victoria-Insulaner auffallend, sondern auch ihre Kopfform. Bei den typischen Eskimo ist das Gesicht breiter als der Plirnschädel ; bei den blonden Eskimo aber ist das Verhältnis um- gekehrt: die Stirn ist breiter. Auch sonst gemahnt die Erscheinung vieler Personen an Europäer. Der N. F. XIII. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 411 Gedanke ist naheliegend, daß man es hier mit Nachkommen verschollener europäischer Forscher zu tun haben könnte, namentlich mit Nachkommen von Angehörigen der Franklin- Expedition. Aber von allen Stämmen dieses Gebiets sind wohl nur drei mit jenen Forschern in Berührung gekommen und es leben unter ihnen noch Männer, die sich des Ereignisses erinnern, ohne daß sie von einer Vermischung berichten könnten. Überdies wiirde eine solche Vermischung so wenig ausgiebig ge- wesen sein, daß sie keine auffallende Änderung des physischen Typus herbeizuführen vermocht hätte. Stefansson sagt, es ist nun über 100 Jahre, seitdem die Eskimo im westlichen Alaska mit den Russen in Kontakt kamen. Über ein halbes Jahrhundert lang stehen sie mit den ameri- kanischen Walfischfängern in Verkehr, worunter sich manchmal an 1000 weiße Männer befanden; viele von diesen ließen sich dauernd im Norden nieder und heirateten Eskimofrauen; doch von ihren Nachkommen ist ein großer Teil vom rein- blütigen Eskimo nicht zu unterscheiden und im ganzen haben die Gruppen, unter denen die Misch- linge leben, nichts von Europäerähnlichkeit. — Für wahrscheinlicher hält Stefansson, daß die blon- den Eskimo Nachkommen der ersten europäischen — nämlich norwegischen — Ansiedler auf Grön- land sind. Kurz nach 870 wurde Island von Nor- wegern besiedelt und über ein Jahrhundert später, 985, zogen isländische Kolonisten nach dem von Erich dem Roten entdeckten Grönland. Jahr- hunderte hindurch bestanden rege Handelsbeziehun- gen zwischen Grönland einerseits und Island sowie ■ Norwegen andererseits; ferner ist sicher, daß die Kolonisation Grönlands auch zur ersten Entdeckung Amerikas Anlaß gab. Doch die im Jahre 1294 erfolgte Monopolisierung des Grönlandhandels ver- nichtete nicht bloß den Wohlstand der Kolonie, sondern führte schließlich dazu, daß sie ganz von j der Verbindung mit Europa abgeschnitten wurde. Über das Schicksal der norwegischen Kolonisten in Grönland ist nichts Sicheres bekannt. Soviel steht fest, daß sie um die Mitte des 14. Jahrhun- derts von Eskimo bedroht wurden, die von Norden her vordrängten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die in den Kämpfen mit den Eskimo überlebenden Kolonisten es schließlich vorzogen, auszuwandern — und das Polareis mag ihnen als Weg nach Westen gedient haben, bis die Wanderung auf der , Victoria-Insel ihren Abschluß fand. Es könnte wohl auch gesagt werden, daß die „blonden Eskimos" das Ergebnis einer „Mutation" seien; doch bleibt erst abzuwarten, ob der Nach- weis des Auftretens von Mutationen beim Menschen und der Entstehung neuer Menschenrassen durch Mutation tatsächlich erbracht werden wird. S t e f ä n s - son bemerkt, daß auch kein Grund für die An- nahme vorhanden ist, die tellurischen Bedingungen auf der Victoria-Insel seien der Hervorbringung und Erhaltung einer blonden Variation besonders günstig; denn die Lebensbedingungen, die hier die Erde darbietet, sind in keiner Weise von denen verschieden, wie sie in den von echten Eskimo bewohnten Gebieten herrschen. Stefansson ist noch vor dem Erscheinen seines hier erwähnten Buches wieder in die ark- tische Eiswelt gezogen und man darf gespannt auf die weiteren Resultate seiner Forschungen warten. H. Fehlinger. Physiologie. Das Verhältnis der nötigen Nahrungsmenge zur Außentemperatur. Mira- mond de Laroquette (Variations de la ration alimentaire et du poids du corps sous l'action du rayonnement solaire dans les diverses Saisons. Nutrition par la chaleur, C. R. Ac. sc. Nr. 8, 23 fev. 1914) machte diesbezüglich genaue Feststellun- gen an Meerschweinchen. Die Tiere wurden in einem Glaskäfig auf einer Terrasse in Algier ge- halten. Sie bekamen als Futter täglich dieselbe Ration von 100 g Grünfutter. Aus einem Rezi- pienten konnten sie so viel Hafer nehmen, als sie fressen wollten. Sie wurden, anfangs täglich, später an jedem vierten Tage gewogen. Auf 100 g Körpergewicht berechnet wurde Hafer genommen: im Frülijahr und Herbst (bei einer Durchschnitts- temperatur von 22") 3 g, im Winter (Temperatur 15") 4 g. irn Sommer (Temperatur 30") 2 g. Das Körpergewicht nahm vom Juni an ab und stieg wieder im Oktober. Bemerkenswert ist die Gewichts- zunahme vom Februar bis Juni, obgleich die Hafer- kurve von 4,2 auf 2,7 g sank. Es scheint L, daß das Steigen der Luftwärme und der Sonnenstrah- lung ausgleichend gewirkt hat. Im Herbst sank das Körpergewicht, obgleich die Haferkurve stieg. Im Sommer war die Verminderung des Körper- gewichts nicht proportional zur Haferkurve; letz- tere fiel auf 1,6. Es hat die Herabsetzung des Körpergewichts ihren Grund wahrscheinlich in der sehr gesteigerten Wasserabgabe. Die Gewichts- und die Haferkurve kommen sich am nächsten im Mai und November, gehen dagegen am weitesten auseinander in der Zeit vom 20. August bis 10. September, als die Temperatur in Algier durchschnittlich 34" betrug. L. glaubt, daß auch bei den homöothermen Tieren, wie bei den Pflanzen und den heterothermen Tieren, die Schwankungen im Nahrungsbedürfnis der Außentemperatur ent- sprechen, weil die Strahlenenergie der Sonne von den Tieren absorbiert und ausgenutzt werde wie von den Pflanzen. Es erkläre dies gewisse Wirkungen der Lichtbäder und entspreche dem geringen Nahrungsbedürfnis des Menschen in süd- lichen Ländern. So kämen die Eingeborenen in Südalgerien mit 200 — 300 g Mehl oder Datteln aus, entsprechend 1200 — 1500 Kalorien, statt 3000 Kalorien in Mitteleuropa. In Abessinien und Java genügten 1160 und 1240 Kalorien, statt 140c in den südlichen gemäßigten Ländern. Die Wärme- strahlung, selbst von künstlichen Wärmequellen, sei imstande, den Geweben direkt Energie zu liefern; es könnte dadurch die Nahrung teilweise ersetzt werden. In hygienischer Beziehung werde die Nützlichkeit eines verschiedenen Regimes im 412 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 26 Winter und im Sommer, in kalten und in warmen Ländern, bei Arbeit und bei Ruhe verständlich. Im ersten Fall muß es reichlicher sein, um mehr Kalorien zu enthalten, während es im zweiten Fall wasserreicher sein müsse, um dem Wasserverlust bei hoher Temperatur die Wage zu halten. \^om therapeutischen Standpunkte aus würden die Liege- kuren in der Sonne bei gleichzeitiger Herabsetzung des Regimes verständlich. Im Gegensatz zu diesen Ausführungen sieht Louis L a p i c q u e (Sur l'economie d'aliment rcali- sable par Fclcvation de la tempcrature exterieure, C. R. Äc. sc. Nr. 10, 9 mars 1914) in den genannten Erscheinungen durchaus nichts, was uns veranlassen könnte, von den bisherigen .•Anschauungen abzu- weichen und von einer direkten Ausnutzung der strahlenden Wärme zu sprechen. Die homöother- men Tiere (V^ögel, Säugetiere) verlieren fortwährend durch Ausstrahlung VVärme; diese Körperwärme muß ersetzt werden, und zwar ist der Verlust um so größer, je kälter die Umgebung ist. Wird sehr viel Wärme abgegeben, so muß auch entsprechend viel Nahrung aufgenommen werden. Im allgemeinen ist die bei der Muskeltätigkeit erzeugte Wärme nicht ausreichend, um die Wärme- abgabe an die Umgebung zu decken. Diese muß daher, um die Körperwärme konstant zu erhalten, durcli eine erhöhte Nahrungsaufnahme gedeckt werden. Es kann dies auch, außer durch die bei der Muskeltätigkeit entstehende Wärme, auf andere Weise geschehen, z. B. durch den elektrischen Strom (Diathemie). Bei warmem Wetter ist weniger Nahrung nötig, weil der Wärmeverlust des Körpers geringer ist. Umgekehrt muß bei Kälte mehr Nahrung auf- eenommen werden, vor allem solche, die mög- liehst viele Kalorien enthält. Die Bewohner der Polargegenden müssen deshalb viel, namentlich fett essen (Tran), während der Mensch in Süd- algerien, der halb nackt in der Sonne ausgestreckt liegt, mit 200 — 300 g Mehl oder Datteln aus- kommen kann, ungefähr 1200 — 1500 Kalorien statt der für den Europäer nötigen 3000. Larguier des Bancels fand, daß bei einer Taube die Tages- ration bei 9" 80 Kalorien, bei 25 " nur 55 Kalorien enthalten mußte. Lapicque nahm entsprechende Versuche mit einer Reihe von Körnerfressern vor. Der Bengalifink, der nur 7 — 8 g wiegt, braucht bei einer Temperatur von 39 " nur -/g der Futter- ration, die er bei 16" nötig hatte. Als sekundäre Geschlechtsmerkmale bezeich- nete man nach H u n t e r alle Verschiedenheiten zwischen den beiden Geschlechtern einer Art, außer den Keimdrüsen selbst, welche als primäre davon unterschieden wurden. Zahl- reiche V^ersuche der letzten Zeit haben indes er- geben, daß man damit zwei ganz verschiedene Gruppen von Eigenschaften unter einem gemein- samen Terminus zusammenfaßte. Es ergab sich nämlich, daß die einen Charaktere von Anfang an unveränderlich und ebenso primär sind wie die Keimdrüsen selbst, während die anderen vom Vor- handensein der Geschlechtsdrüsen abhängen. Sie werden offenbar durch ein „Hormon" bestimmt, das von jenen ausgeht. Während beim kastrierten Hahn der Kamm klein bleibt wie beim Huhn, entwickelt sich das Gefieder und der Sporn wie beim Hahn. Dadurch wird bewiesen, daß der Kamm vom Vorhandensein der Geschlechtsdrüse abhängig ist, während die anderen Geschlechts- charaktere davon unabhängig sind. A. P e z a r d (Developpement experimental des ergots et crois- sance de la crete chez les femelies des Gallinaces, C. R. .Ac. sc, Paris, 16 fev. 1914) untersuchte nun, ob das Fehlen des Sporns beim Huhn durch einen verhindernden Einfluß des Eierstocks bedingt würde. Er entfernte bei 4 von 5 Hühnern die Eier- stöcke. Beim ersten wurden die Eierstöcke am 1. Juli 191 3 entfernt; die Sporen erschienen im Oktober desselben Jahres, zu derselben Zeit, wie bei den gleichalterigen Hähnen und erreichten 8 mm Länge. Die Autopsie im Januar 19 14 er- gab ein vollständiges Fehlen der Eierstöcke. Beim 2. Huhn, das im Oktober und November noch keine Sporen besessen hatte, erschienen solche nach der Ovariotomie am 9. Dezember und hatten am I.Februar 1914 bereits eine Länge von 5 mm erreicht. Beim 3. Huhn, das am 3. Oktober 1913 kastriert worden war, zeigte sich bis zum 9. Januar 1914 keine Spur eines Sporns. Bei einer Wieder- holung der Operation fand sich ein Rest des Ova- riums; nach dessen Entfernung erschienen die Sporen und hatten im Februar bereits 3 mm Länge erreicht. Das 4. Huhn wurde nicht operiert und blieb spornlos. Ebenso ein 5. Tier, bei dem die Eierstöcke nur teilweise entfernt worden waren. Das Erscheinen der Sporen wird beim normalen Huhn also verhindert durch einen vom Eierstock ausgehenden Einfluß. Bezüglich des Kamms kann man nicht das gleiche sagen, da er klein, weich und wenig ge- färbt blieb wie bei normalen Hühnern. Beim 4. und 5. Huhn trat eine bemerkenswerte Rück- bildung im Dezember ein, während bei den anderen der Kamm zu wachsen fortfuhr. Es bildet dies eine Bestätigung der Beobach- tungen von G. Smith, wonach der Kamm in Beziehung zur Tätigkeit des Eierstocks steht. Kathariner. Astronomie. Über die dunklen Stellen in der Milchstraße hat Knox Shaw (Observatory 471, 1914I Untersuchungen angestellt. Die An- sicht, daß diese Höhlen oder tunnelartige Löcher seien, hat nur für wenige Stellen Gültigkeit. Sehr oft sind die schwarzen Stellen mit Nebelmassen verbunden , und diese lagern um einen helleren Stern herum. Neben solchen Nebeln findet sich oft ein starker Mangel an Sternen, die paar Sterne sind dann meist veränderlich. Auch solche Nebel sind in manchen Fällen veränderlich. Bedenkt man, daß diese Sternleeren oft in Sternhaufen sich finden, .so muß man zugeben, daß eine große N. F. XIII. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 413 Wahrscheinlichkeit vorliegt, daß von den helleren Sternen Nebelmassen, Gase ausgestoßen werden, die sich dann abkühlen und nun als lichtabsor- bierendes Medium wirken. So zeigt eine Auf- nahme des großen Sternhaufens Messier 8 zahl- reiche kleine Fleckchen, die noch dunkler sind als der dunkle Himmelshintergrund, so daß man un- mittelbar den Eindruck eines Schleiers erhält, der vor diesem Sternliaufen liegen muß , und durch seine flockige Struktur den beschriebenen Eindruck hervorruft. Freilich soll diese Erklärung nicht für alle Löcher in der Milchstraße gelten, aber sicher dort, wo die Sterne in oder am Rande der Stern- leere veränderlich sind. Riem. Die Leistungsfähigkeit des großen Lickrefrak- tors wird durch die Entdeckung und Ausmessung immer engerer Doppelsternpaare bezeugt. Die soeben herausgegebene 21. Liste enthält die Nummern 2601 — 2700 der dortgemessenen Sterne (Lick Obs. Bull. 251). Es befinden sich darunter Paare von 0,16 Sek. Distanz, die noch gut ge- trennt werden, und deren Positionswinkel ge- messen werden kann. Die Paare gehören meist der 8. — 9. Größe an, die Begleiter werden bis zu der 14. Größe geschätzt. Riem. Botanik. Ein merkwürdiger Mikroorganismus. In leicht schwefelwasserstoffhaltigen Gewässern entdeckte Buder (Ben d. Deutsch. Botan. Gesell- schaft, Generalversammlungsheft 1913, S. 80) ein, gewöhnlich in Gesellschaft von Schwefelbakterien, namentlich Chromatien vorkommendes, außer- ordentlich merkwürdiges Kleinwesen. Es sind zylindrische, winzige, in ihrer Bewegung sehr an Chromatien erinnernde Gebilde von einer eigen- tümlichen, durch kleine grüne Körnchen hervor- gerufenen, granulären Struktur. Ein eingehendes, mit geeigneter Präparation verbundenes Studium bei sehr starker Vergrößerung hatte das über- raschende Ergebnis, daß es sich gar nicht um einen einheitlichen Organismus, sondern um eine Symbiose handelte. Buder konnte (vgl. die Ab- bildung) ein farbloses, stäbchenartiges, mit einer 1II a b Chloronium mirabilc. a normale .\nsicht, b die isolierten Symbiunten, Geißelfärbung. 3000 fache Vergrößerung. (Nach Buder.) endständigen Geißel versehenes, zentrales Klein- lebewesen unterscheiden und auf seiner Oberfläciie, es mit einem lockeren Mantel umgebend, eine Anzahl winzigster grüner Kügelchen oder Stäb- chen, über deren Struktur sich nichts Näheres fest- stellen ließ. Wie diese Symbiose zustande kommt und welche physiologische Bedeutung sie hat, wird erst durch weitere Untersuchungen des Ver- fassers endgültig festgestellt werden können. Die grünen kokkenartigen Gebilde scheinen Chloro- phyll zu enthalten und auch wirklich assimilieren zu können. Miehe. Chemie. Die kolorimetrische Bestimmung des Schwefelwasserstoffs in Form des Methylenblaus ist von Werner Mecklenburg und Felix Rosenkränzer einer eingehenden Untersuchung unterzogen worden, über die im folgenden kurz berichtet werden möge (Zeitschr. f. anorg. Chem., Bd. 86, S. 143—153, 1914). Als bei weitem empfindlichste Reaktion auf Schwefelwasserstoff ist von Emil Fischer die Bildung des von H. C a r o entdeckten Methylenblaus empfohlen worden, das bei der Oxydation eines Gemisches von Schwefelwasserstoff und Dimethyl- p-phenylendiaminsulfat (CH3),N- H H I I H H -NH.-HaSOi mittels Ferrichlorid in ziemlich stark salzsaurer Lösung nach der Gleichung 2(CH3).,N-C6H3-NH2.H.2S04 +6FeCl3 + H,S = .N\v ^S' (CH3),N . C,H,\'yC,U, : N(CH3 l^Cl + 2 H,S0, + NH,Cl + 6FeCL+4HCl entsteht. Da sich dasMethylenblau, ein äußerst inten- siver, reinblauer Parbstoff, wie die meisten anderen Farbstofi'e gut kolorimetrieren läßt, lag es nahe, die Reaktion auch für die quantitative Bestimmung des Schwefelwasserstoffs nutzbar zu machen. Der Verwirklichung dieses Gedankens treten jedoch erhebliche Schwierigkeiten in den Weg: Zunächst zeigte sich, daß das bei der Reaktion entstehende Methylenblau — vermutlich infolge der bei der analytischen Reaktion allein in Frage kommenden starken Verdünnung der Lösungen — gegenüber dem reinen Blau des technischen Methylenblaus einen leicht grünlichen Ton aufweist und sich m.it wässerigen Lösungen des reinen Methylenblau im Kolorimeter überhaupt nicht vergleichen läßt; man muß daher an Stelle von Lösungen technischen Methylenblaus zum Vergleich eine Serie von Lö- sungen benutzen, die unter den für die analj-tischen Bestimmungen in Betracht kommenden Bedingungen 414 Naturwissenschaitliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 26 mit bekannten Schwefelwasserstoffmengen her- gestellt sind. Ferner stellte sich heraus — und das ist das Wichtigste — , daß die Intensität der Blaufärbung nicht nur von der Menge des vor- handenen Schwefelwasserstoffs, sondern in sehr erheblichem Maße auch von den speziellen Ver- suchsbedingungen, so von der Reihenfolge, in der die Reagentien (Schwefelwasserstoffwasser, Salz- säure, Dimethyl-p-phenylendiaminsulfat und Ferri- chlorid) gemischt werden, von der Temperatur und von der Konzentration des Diaminsulfats und des Ferrichlorids abhängt, eine Tatsache, die auch ein recht beträchtliches theoretisches Interesse besitzt. Hält man nun aber, was praktisch leicht zu erreichen ist, die angegebenen Bedingungen konstant, arbeitet also bei konstanter Temperatur und mit konstanter Menge von Diaminsulfat und Ferrichlorid , so erweist sich die Blaufärbung als streng proportional der Schwefelwasserstoffmenge und ist daher als deren einfaches und sicheres Maß anzusehen. Es gelang so, von G bis 3000 / 4- ""J 5- Finger. Fig. 2. Linker Hinterfuß: T = Tibia, F = Fibula, C = Calcancus, Mt 2, 3, 4 = 2., 3. und 4. Mittelfußknochen ; 2, 3, 4 ^ 2., 3. und 4. Zelic Beide I'"iguren beziehen sich auf den Knibryo von Tajiirus americanus L rotidae haben am vorderen und hinteren Fuß drei Zehen, 2., V und 4., die Tapiridac vorn vier, 2., 3 , 4. und 5.; hinten drei, 2., 3. und 4. Am weitesten geht die Reduktion des P'ußskeletts bei den Equidae. Vorn und hinten kommt nur eine einzige, die dritte Zehe zur Ausbildung. Die den Metacarpalia bzw. den Metatarsalia 2 und 4 entsprechenden sog. Griffelbeine erreichen bei den jetzt lebenden Equiden nicht den Boden. Die rezenten Perissodactyla gehören zu den drei Familien der Rhinocerotidae, Tapiridae und Equidae. Fossile F"amilien sind die Titanotheriidae und die Chalicotheriidae. Fossile Tapiriden sind bekannt aus dem Untereozän von Europa und Schabrackentapir, Maiba (T. indicus Desm.) in Hintcrindien, dem südlichen China und Sumatra vor. Von einem Sammler erhielt ich den Embryo eines amerikanischen Tapirs aus dem Amazonen- gebiet. In Beistehendem gebe ich zwei Röntgen- aufnahmen des F"ußskeletts der vorderen und hinteren Extremität. Die Maße des Tieres von der Schnauzenspitze bis zur Schwanz wurzel sind der Krümmung nach gemessen 39,5 cm, die direkte Länge 32,5 cm. Von den Carpalia ist nocii nichts zu sehen, in der I-'iißwurzel ist dasegen das h^rsen- (NB. Fig. I und 2 ist in je einem Exemplar gegeben, von denen auf dem einen die Hinweisstriclie eingetragen sind.) N. I''. .Mir. Nr. 27 Naturwissenschaftliche VVocliciischrift. bein (Calcaneus c) bereits deutlich. Von den fehlenden iMngern und Zehen ist keine Spur vor- handen. VV'ie beim au.sgewachsenen Tier sind auch hier Radius (R) und Ülna (U) bzw. Tibia (T) und Fibula (F) deutlich selbständige Stücke. Zwischen Unterarm bzw. Unterschenkel und Mittclhand-(Mi>h I bzw. Miitelfußknochen (Mt) ist eine weite knochen- lose Uücke. Kine Abbildung vom Fuf'i des mensch- lichen Embrj'os aus der Mitte des 4. Monats ( J. Kollmann, Handatlas der Entwicklungsgeschichte des Menschen, Bd. I, Jena 1907, Fig. 300) zeigt ein ganz entsprechendes Verhalten. Einzelberichte. Physik. El u c k e n ') ist es geglückt, die Ad- ling^l nachgeprüft und ihre Kenntnis auf Hohen bis zu 9000 m ausgedehnt worden. Die Messungen wurden im bemannten Freiballon ausgeführt. Da der Ballon fast stets, besonders bei raschem Steigen oder Fallen und bei Ballastabgabe, eine Eigen- ladung besitzt, stört er elektrische Messungen er- heblich. Um ihn mit der Umgebung ins elektrische Gleichgewicht zu setzen, wurden in einigen Fällen blanke Magnaliumbleche benutzt, die, von der Sonne bestrahlt, einen genügend starken Photo- effekt zeigten, um die Ballonladung zu zerstreuen. Außerdem waren bei den meisten Fahrten ständig tropfende, mit Kalziumchloridlösung gefüllte Gummisäcke am Ballon angebracht. Die Resultate sind interessant genug. Es nimmt nämlich die Leitfähigkeit nach ihnen in etwa exponentiellem Verhältnisse mit wachsender Höhe zu , was auf eine außerordentlich starke Ionisation der Luft in höchsten Schichten durch die Sonnenstrahlung deutet. Li 9000 m ist die Leitfähigkeit wenigstens 40 mal so groß wie an der Erdoberfläche. Der erhöhten Leitfähigkeit entsprechend, aber vielleicht nicht allein durch sie bedingt, sinkt das Spannungs- gefälle. Es beträgt nur noch 3 — 4 Volt pro m in 90CO m Höhe. Interessant ist es, daß die an der Erd- oberfläche häufigen starken Störungen in größeren Höhen fast oder ganz verschwinden. Br. Sorptionserscheinungen in die allgemeine kinetische Theorie der Materie einzureihen, wenigstens für die Fälle, bei denen sie nicht mit chemischen Vor- gängen (wie z. B. beim Färben) verknüpft sind. E u c k e n geht von der allgemeinen Attraktionskraft aus, die zwischen gleichartigen und ebenso zwischen ungleichartigen Molekülen herrscht und die sich vor allem durch das Vorhandensein einer Ver- dampfungswärme und der Oberflächenspannung bemerkbar macht. F'ür diese Attraktion ist rech- nerisch charakteristisch das Attraktionspotential, das sich bei gleichartigen Molekülen nahe gleich dem Siedepunkt bei Atmosphärendruck ergibt. Wird nun in dem Falle der Adsorption von Gasen (Stickstoff, Argon und andere Gase) für Kohle dieses Attraktionspotential = 3600, und außerdem der Exponent des Abstandes, mit dem die Kraft abnehmen soll, gleich 4 gesetzt, so ergibt sich für nicht allzu tiefe Temperaturen eine geradezu glänzende Übereinstimmung zwischen Theorie und Beobachtung. Die Abweichungen, die sich bei sehr tiefen Temperaturen ergeben, lassen sich zwanglos dadurch erklären, daß bei der sehr ge- ringen Geschwintligkeit mit der in diesen F'ällen die Adsorption vor sich geht, das Gleichgewicht noch nicht erreicht war. Größere, nicht restlos zu erklärende Abweichungen ergeben sich aller- dings bei Wasserstoff, der sich ja aber auch sonst in seinen molekularen Erscheinungen abweichend verhält. Sehr gut ist auch die Übereinstimmung für die Adsorptionswärme, die sich natürlich auch aus der Rechnung ergibt. Ferner zeigt die Beobachtung, daß bei mäßigen Drucken die adsorbierle Menge dem (iasdrucke proportional ist. Dasselbe ergibt die Theorie und auch die Temperaturabhängigkeit der Adsorption wird durch die Theorie im allgemeinen richtig wiedergegeben. Betreffs der Adsorptionserscheinun- gen bei Dämpfen muß auf die Originalarbeit ver- wiesen werden. Die beiden wesentlichsten elektrischen Daten der Erdatmosphäre, die Leitfähig- keit und das Spannungsgefälle, sind von Wigand-},Lutze,BongardsundEver- ') A. Eucken, Zur Theorie der Adsorption. Ber. d. D. Phys. Ges. 1914, 345. '') Wigand, Messungen der elektrischen Leitfähigkeil in der freien Atmosphäre bis 9000 m Höhe. Ber. d. D. Hiys. Ges. 1914, 232. Astronomie. Eine Beziehung zwischen Durch- messer und Temperatur der Sterne sucht Hnatek aufzustellen (Astr. Nachr. 4731). Aus den bekann- ten Strahlungsgesetzen ist die Sterntemperatur zu ermitteln, und diese in Verbindung mit der Ent- fernung des Sternes muß die scheinbare Größe ergeben. Das nicht sehr zahlreiche Material zeigt zunächst, daß bei 5500 Grad ein kritischer Punkt liegt. Die heißeren Sterne sind alle von der Größe unserer Sonne, die selber etwa 6600 Grad hat, während die kühleren Sterne sehr groß sind. Hier gehen die Temperaturen bis 2800 Grad herunter, und die Durchmesser bis zum 100 fachen der Sonne, ja bei ß Ursae minoris bis zum 330 fachen der Sonne. Dieser Kör[)er ist also der Größe der Erdbahn ver- gleichbar und hat das 36 Millionenfache der Sonne an Oberfläche. Es erscheint dem Autor fraglich, ob diese riesigen Durchmesser reell sind, da doch die Sterne sich mit zunehmender Abkühlung zusammenziehen sollten. Er meint daher, daß diese Ausmaße nur zum Teil reell seien. Bei der *) Everling, Messungen des elektrischen Spannungs- gefälles in der freien Atmosphäre bei goo m. licr. 1914,250. 424 Naturvviescnschaftli VVochcnsclirift. N. F. XIII. Nr. kritischen Temperatur fangen chemisclie Verbin- dungen an sich zu bilden. Dies geschielit bei starker WärmeentwickUiiig und gewaltigen Ex- plosionen, die die großen Durchmesser erzeugen. Auf der anderen Seite wirken diese Verbindungen als stark lichtabsorbierende Gase, und zwar zu- nächst auf die kurzwelligen Strahlen, so daß wir im Spektrum das Knergicmaximum an die ialsche Stelle legen, also auch zu niedrige Temperaturen bestimmen und daraus auf zu große Durchmesser schließen. Vielleicht wirken beide Ursachen zu- sammen. Riem. Zoologie. Die Fortpflanzung der Süßwasser- ostrakoden. Einen wesentlichen Beitrag zur Kennt- nis der Biologie der Sijßwasseroslrakoden liefert Wohlgemuth mit einer kürzlich erschienenen Arbeit '). Von besonderem Interesse scheinen mir die von dem Verfasser angestellten Beobachtungen und Untersuchungen über die Fortpflanzung dieser Entomostraken zu sein. Unsere bisherigen Kenntnisse über die Ver- mehrungsweise der Süßwasserostrakoden sind recht lückenhaft. Wohlgemuth suchte diese Lücken auszufüllen nicht nur durch die Untersuchung mög- lichst zahlreicher F"änge zu verschiedenen Jahres- zeiten, sondern er beobachtete auch eine größere Anzahl .'\rten längere Zeit in der Kultur. Die Zucht mancher besonders empfindlicher Arten macht allerdings große Schwierigkeiten, immerhin konnte Wohlgemuth von 30 beobachteten Arten 21 züchten, eine Anzahl von diesen wurde ein bis zwei Jahre hindurch auf ihre Fortpflanzungs- weise untersucht. Nach ihrer F'ortpflanzung teilt W o h 1 g e m u t h die Süßwasserostrakoden in zwei große Gruiipen ein. Die einen pflanzen sich rein zweigeschleciit- lich fort, bei den anderen fehlt das männliche Geschlecht vollständig, sie vermehren sich aus- schließlich parthenogenetisch. Durch Übergänge sollen diese beiden Typen verbunden sein. Nach den Beobachtungen VVohlgemuth's erscheint es mir richtiger, drei Gruppen zu bilden, ähnlich der von Lange') für die Rotatorien gegebenen Einteilung. Der ersten Gruppe sind dann die Formen mit ausschließlich bisexueller Fortpflanzung einzureihen, der dritten die, welche sich rein parthenogenetisch vermehren. Einen Übergang von dem einen zu dem anderen Extrem stellt die zweite Gruppe dar, Formen, die einen Wechsel zwischen pnrthcnogenetischer und bisexueller Fort- pflanzung, eine Heterogonie, aufweisen. Für Ostra- koden hat W o h 1 g e m u t h diesen Fortpflanzungs- modus als erster nachgewiesen. Diese Einteilung ') Wohlgemuth, R., Beobachtungen und Untersuchun- gen über die Biologie der Süi3wasserostrakoden ; ihr Vorkom- men in Sachsen und Böhmen, ihre Lebensweise und ihre Fort- pflanzung. Intern. Rev. d. ges. Hydrobiol. u. liydrogr., Biol. Suppl. z. Bd. 6, 1914. ^) Lange, A. , Unsere gegenwärtige Kenntnis von den Fortpfl.inzungsverhältnissen der Kädertiere. Kritisches Sammel- referat. Intern. Rev. d. ges. Hydrobiol. u. Hydrogr., Bd. 6, 1913- läßt sich freilich bei den Ostrakodeii nicht in gleicher Weise durchführen wie bei den Rotatorien. Während bei den Rädertieren die drei Gruppen mit den von Plate aufgestellten drei Familien einigermaßen zusammenfallen, gibt es bei den Ostrakoden einzelne Arten, die je nach der Ürt- lichkeit, wo sie vorkommen, verschiedenen Gruppen zugewiesen werden müssen. Rotatorien sowohl wie Ostrakoden zeigen, phylogenetisch gesprochen, die Tendenz zu einer, .progressiven Parthenogenese", bei den Ostrakoden aber ist, möchte ich sagen, der Zustand mancher rezenten Arten ein labilerer als bei den Rotatorien. Cypris virens z. B. wurde von Wohlgemuth, genau wie von allen früheren Untersuchern, nur in weiblichen Exemplaren be- obachtet. In Afrika (Algier) hingegen — und wahrscheinlich auch in Nordamerika — pflanzt sich diese Spezies zum mindesten zeitweise zwei- geschlechtlich fort. Ähnliche Beobachtungen liegen auch für andere Arten vor. Von manchen Arten allerdings mögen die Männchen noch gefunden werden bei ausgedehnteren Untersuchungen, als sie bisher vorliegen. Besonders eingehend hat sich W ohl gcni ut h mit der F'ortpflanzungsweise von Cj'prinotus incon- gruens befaßt. FIs ist dies auch die Art, für welche er einen Generationswechsel mit Sicherheit nach- weisen konnte. Cyprinotus incongruens, ein sehr weit verbreiteter und außerordentlich häufiger Ostrakode, lebt in Pfützen, Straßengräben, Dorf- teichen ohne Vegetation, in Gewässern also, die gelegentlich austrocknen. Die meisten Beobachter haben diese Art nur in weiblichen Exemplaren gefunden, an gewissen Stellen aber — z. B. in Böhmen — sind auch Männchen beobachtet worden. Man kam infolgedessen zu der Ansicht, daß die Artsich gewöhnlich parthenogenetisch, an manchen Orten aber zweigeschlechtlich vermehrt, ähnlich wie die oben genannte Cj'pris virens. Man unterschied also zwei hinsichtlich ihres Fortpflanzungsmodus verschiedene Rassen. Wohlgemuth versuchte nun, die eine ,, Rasse" in die andere überzuführen. Eine lehmige Pfütze vor dem Dorfe Bösig bei Llirschberg in Böhmen wurde vom August 191 1 bis Finde März 1913 beobaclitet. Sie enthielt aus- schließlich weibliche Individuen. Die Pfütze trock- nete im Sommer ab und zu aus, fror im Winter bis zum Grund vollkommen zu, immer traten aber hernach wieder die parthenogenetischen Weibchen von Cyprinotus auf. Mehrere Dorftümpel in Alt- Kalken ebenfalls bei Hirschberg wiesen während der ganzen Zeit, wo sie beobachtet wurden — die gleiche Zeit, wie die obige F"orm — Weibchen und Männchen auf. Die eingeschlechtliche Form wurde 2''., Jahre lang — zeitweise unter den ver- schiedensten Bedingungen — in Kultur gehalten. Die einen Tiere wurden bei Zimmertemperatur gezüchtet und reichlich mit Schneckenfleisch gefüttert, andere kamen in 28—30", in 17 — 19", in 9—1 1" C, wieder andere in ^/m und ^Z., normal Nordseewasser, die einen wurden reichlich mit Schneckenfleisch ge- füttert, andere knapp mit Schlamm. Alle Ver- N. F. Xlll. Nr. 27 Natur wisscnscliaftlichc Wochenschrift. 425 suche — auch Hintrocknungsversuche wurden unter- nommen — blieben erfolglos : Es entstanden aus- schließlich patthenogeneiische Weibchen. Mehr Glück hatte Wollige muth hei Versuchen mit der zweigeschlechilichen Form von Kalken. Auch diese wurde unter ähnlich verschiedenen Be- dingungen gezüchtet wie die eingeschlechtliche Form, hinzu kam noch eine Kultur, welche mit Schlamm von der Fundstelle der parthenogene- lischen Form in Bösig versehen wurde ider Schlamm wurde vorher erhitzt, um etwa noch vorhandene Eier abzutöten). Alle Kulturen wurden am 5. Dezember 191 1 mit kopulierenden Pärchen be- setzt. Nach der Kopula wurden die Männchen entfernt und nur die begatteten Weibchen weiter- gezüchtet. Während bis dahin, wie gesagt, alle beobachteten Generationen von Kalken aus Weib- chen und Männchen bestanden, wurden jetzt plötz- lich von den begatteten Weibchen nur noch W e i b c h e n erzeugt, ganz gleichgültig, unter welchen Bedingungen sich die Tiere befanden. Die verschiedenen Lebensbedingungen waren nur insofern von Bedeutung, als die Entwicklungsdauer eine verschiedene war. Am 22. F"ebruar 191 2 war in allen Kulturen die rein weibliche Nach- kommenschaft vorhanden. Die Weibchen lieferten parthenogenetisch sich entwickelnde Eier, aus denen auch in den nächsten Generationen immer wieder nur Weibchen entstanden. Die in der Kultur parthenogenetisch gewordene Kalkencr Form versuchte sodann Wohlgemut h in den zvveigeschlechtlichen Zustand zurückzuführen. Aber das Resultat aller Versuche war ebenso negativ wie das bei den Versuchen mit der Form von Bösig erhaltene. Ist der beobachtete Generationswechsel nun ausschließlich ein Produkt der künstlichen Züchtung, oder kommt er auch in der Natur vor? Die höchst interessante Tatsache, daß die Kalkener Form in der Natur nicht zur Parthenogenese überging, sondern, solange sie beobachtet wurde, die zweigeschlechtliche F'ortpflanzung beibehielt, scheint für die erstere Alternative zu sprechen. Es gelang indessen Wohlgemuth, an anderen Stellen auch in der Natur einen Generationswechsel bei Cyprinotus festzustellen, dreimal in Böhmen, sowie sehr genau in Maßlau bei Leipzig. Während des Jahres loii fand er dort ausschließlich Weib- chen. Im Spätherbst (November) verschwand die Art. Überwinterte Eier wurden im März 1912 gesammelt: Es entstanden aus ihnen überraschender- weise Weibchen und Männchen. Das ganze Jahr 191 2 vermehrte sich die Maßlauer F"orm zwei- geschlechtlicb, auch im F'rühjalir 1913 traten wieder beide Geschlechter auf. Ob auch an anderen Orten Cyprinotus incongruens einen Generationswechsel besitzt, muß vorläufig unentschieden bleiben. Da nach den Beobachtungen Wohlgemuth 's der Wechsel in der Fortpflanzungsart nur nach längeren Zeiträumen eintritt, sind ausgedehnte Unter- suchungen notwendig, um auf diese Frage eine sichere Antwort geben zu können. In Nordafrika scheint sich Cyprinotus incongruens ausschließlich zweigeschlechtlich fortzupflanzen, im Westen Europas ausschließlich parthenogenetisch. Lassen sich diese Angaben be.'^tätigen, so haben wir in diesem Ostrakoden eine Spezies vor uns, die alle bei den Ostrakoden überhaupt vorkommenden F'ortpflanzungsmodi aufweist. Es ist möglich oder vielmehr sogar wahrscheinlich, daß auch noch bei anderen Ostrakoden ein solcher Generationswechsel vorkommt. Über die Ursachen des Generations- wechsels bei den Ostrakoden sind wir bisher ganz im unklaren. Ähnlich wie bei den Rotatorien, Cladoceren usw. mögen in erster Linie innere F'aktoren maßgebend sein für den Ablauf des Generationszyklus. Aber gerade die Tatsache, daß die zweigeschlechtliche F'orm von Kalken nur in d e r K u 1 1 u r zur Parthenogenese über- ging, zeigt, daß die äußeren Bedingungen keines- wegs gleichgültig sind. Die Faktoren freilich, welche von Bedeutung sind, lassen sich aus den Angaben Wohlgemuth's nicht erkennen. Zu- künftige Untersuchungen werden uns wohl auch darüber noch Aufschluß bringen. Nachtsheim. Entwicklungsmechanik. MerkwürdigeDoppel- bildungen bei den Nemertinen ^) beschreiben Nusbaum und Oxner (Archiv für Entwicklungs- mechanik der Organismen, i. H., 39. Bd., 1914). Verf haben schon früher von Lineus ruber Müll, die merkwürdige Tatsache beschrieben, daß es in den sog. Kolben, welche je 2, 3, 4—8 Eier ent- halten, sehr oft zum Zusammenfließen von zwei benachbarten Eiern kommt, wobei aus einem solchen Komplex ein einziges Individuum sich entwickelt. Ein solcher „diovogonischer" Embryo zeichnet sich nur durch seine Größe aus, ist aber unzweifel- haft nur ein Individuum. Bei der Bearbeitung des embryologischen Materials fanden sich indes auch durch das Zusammenfließen entstandene Doppelbildungen. Es werden zwei Typen solcher Doppellarven unterschieden. Bei dem einen Typus sind zwei Köpfchen vorhanden mit je einem Ge- hirn, Augen, Rüssel usw. Der Schlund eines jeden führt in einen gemeinsamen Darm, der mit einer unpaaren Afteröffnung mündet. Beim anderen, ,, Kreuztypus", sind zwei Mund- und zwei After- öffnungen vorhanden, die je an einem Ende des kurzen bzw. des langen Kreuzarms liegen. Was die Entstehung solcher Doppelindividuen angeht, so ist sie oftenlDar auf die Verschmelzung späterer Entwicklungsstadien zurückzuführen, wäh- rend die frühzeitige Verschmelzung, bis zum Blastulastadium, die Bildung eines Riesenembryos zur Folge hat. Ganz allgemein können die auch bei ver- schiedenen anderen Tieren — besonders Strudel- und Regenwürmern — beobachteten Zwillings- bildungen auf zweierlei Art entstehen und dem- ') Eine hauptsächlich im Meere vertretene Gruppe von Würmern. 426 Naturwisscnscliaftliche Wocliensclirift. N. F. XIII. Nr. 27 nach als „fissiembryonale'' und „diovogonische" Doppelbildungen bezeichnet werden. Erstere wird durch eine Spaltung der Keimblättcranlageii ver- anlaßt. So fand V e j d o v s k )• die Spaltung eines Eies in zwei Blastoineren beim Regenwurm. Doch ist die Verallgemeinerung dieser Entstehungsart, wie esSekera will, nicht berechtigt. Es können vielmehr, wie das namentlich an den Keimen von Seeigeln gefunden wurde, auch aus einer Ver- schmelzung, je nach der Lage der Keime zuein- ander, solche Zwillinge hervorgehen. Namentlich entscheidet die Lage und der Winkel der Achsen zweier Keime zueinander, ob eine große Einheits- oder eine Zwillingsbildung entstehen soll. Hei den Nemertincn scheint es außerdem davon abzuhängen, in welchem Stadium die Eier oder Keime miteinander verschmelzen. Besonders bemerkenswert ist, daß sich beim Zusammenfließen von zwei bilateralen Individuen eine Bilateralität des Ganzen wieder herstellen kann, während von den zwei Individuen jedes seine Bilateralität verliert. Letztere scheint eine kardinale Eigentümlichkeit der lebendigen Sub- stanz zu sein. Kathariner. Geographie. „Über Abtragungsvorgänge in den regenfeuchten Trojien und ihre morphologischen Wirkungen" veröffentlicht Karl Sapper in der G. Z. 1914, H. 1/2 eine ausführliche Lhitersuchung. In den Tropen muß unterschieden werden zwischen Gebieten mit regelmäßiger Trockenzeit und Gebieten mit Rcgenfall das ganze Jahr über, und in jedem dieser Gebiete zwischen den höheren Regionen mit Frost und den tieferen frost freien Regionen, die allein betrachtet werden. Während der Zeit des üppigsten Pflanzenwuchses erreichen beide Regionen ähnlich starken Vegetationsschutz, aber je liöher man kommt, desto mehr erinnern die Bergformen unmittelbar an die der gemäßigten Zone. Im tropischen Regenwald hingegen fällt die außerordentliche Üppigkeit der Vegetation auf durch die das Eindringen des Regenwassers er- leichtert und die oberflächliche Abspülung erschwert wird. Dadurch wird der Untergrund rasch zer- setzt, die große Mehrzahl der Gesteine unterliegt in gleicher Weise der chemischen Umsetzung; nur Kalksteine, Quarzite oder Sandsteine findet man bisweilen anstehend. Der Zersetzungsboden neigt zur Herausbildung ähnlicher Geländeformen, die aber der Waldbedeckung wegen meist sehr schwer zu studieren sind. I. Die Abtragungsvorgänge. Das Maß der Abspülung ist jahreszeitlich verschieden, doch scheinen Messungen der Sedimenlführung reiner ürwaldflüsse noch nicht ausgeführt zu sein. Die Abtragung steigert sich außerordentlich bei Herab- setzung des Vegetationsschutzes durch grabende Tiere, Wildpfade und Fußpfade der Menschen. Auch die Erosionswirkung der Flüsse ist bedeutend ; da aber wenig festes Gesteinsmaterial in die F'luß- betten gelangt, so sind die LTrvvaldflüsse arm an Gerollen. Die Seitenerosion ist durch die dichte X'egetation entschieden erschwert. Der Boden selbst f 1 i e ß t mehr als daß er abwärts rückt, doch nur in den unteren Lagen, wo das Wurzclwerk der Bäume nicht stört. Diese beiden Boden- regionen, die \ bis i m mächtige Wurzel- region und die wurzelarme müssen unter- schieden werden. Schlammausflüsse bei Verletzung der Wurzelregion sind ab und zu zu beobachten. Häufiger sind während der Regenzeit Erd- schlipfe, die mit ihren Abrißstellen und Lauf- bahnen den bekannten Erscheinungen der ge- mäßigten Zone gleichen. Sie bewegen sich vor- zugsweise innerhalb des Verwitterungsbodens '). Wesentlich anders sind die Abtragungsvorgänge im Gebiet löslicher Gesteine (Gipse, Kalk- steine und Dolomite), die der Abspülung einen bemerkenswerten Widerstand entgegensetzen, aber die Höhlenbildung und Versickerung fördern. In ausdauernden Flüssen bilden sich an Gefällsknicken nicht selten K a 1 k t u f f d ä m m e aus. Im allge- meinen sind hier die Erscheinungen der Abtragung ähnlich denen der gemäßigten Zone. II. Die Gelände formen im Gebiet des regenfeuchten T r o p e n w a 1 d e s. Im Gegen- satz zu den ariden und semiariden Gebieten der gemäßigten Zone und dem Zurücktreten der Vege- tation in denselben, gewinnt diese in den Tropen eine große Bedeutung für die Entstehung der h'ormen ; sie setzt die mechanische Verwitterung herab, begünstigt aber sehr die chemische Ver- witterung, erhält die Geländeformen durch ihren intensiven Schutz, ohne aber die Abtragung hindern zu können. In Guatemala und Neu-Mecklenburg, den Gebieten, in denen Sapper derartige morpho- logische Beobachtungen anstellen konnte, zeigen sich Tatsachen, die auf bedeutende Hebungen aus tiefem Niveau schließen lassen. Wenn auch in Guatemala die Abtragung erst mäßig gewirkt hat, so konnten in Nikaragua und Britisch Hon- duras Rumpfflächen beobachtet werden, die erst vor kurzem gehoben und erst teilweise wieder durch Erosion zerschnitten wurden. S a p p e r glaubt deshalb, daß auch in den regenfeuchten Tropen die Abtragung (xebirge und Hochländer in Rumpfflächen verwandeln kann. Es liegt nun nahe, die Formen reihen zu skizzieren, die bei der allmählichen Abtragung im feuchten Tropenland entstehen dürften. Sofern die Hebung einer Scholle nicht bis in die Region regelmäßiger Fröste geschieht, dauern auch die vorhin geschilderten Abtragungsvorgänge in der neuen Ilage fort. Gegen die ungemein bedeut- samen Rau mbeziehungen zu den Hauptwegen der Abtragung, den Flußtälern, tritt wesentlich zurück der in trockenen Gebieten bedeutsame Gegensatz der Gesteine gegeneinander; harte Gesteinsschichten als Leisten oder Terrassen sind M W. Volz, Bodcniluß in den Tropen (Z. Ges. lüdkde 1913, II. 2). N. F. XIII. Nr. 27 Naturvvisscnscliaftliclic Wochenschrift. 427 nirgends an den Hängen, sondern nur in den Fliiß- tälern angedeutet. So ist die Rücke nforni der Kämme nicht nur eine Folge der Zeiteinflüsse, sondern viehnehr der Raumeinflüsse, indem sie sich zur Grat form umwandelt, wo die den Kamm begleitenden Flußläufe sich nähern. Der zu- schärfende Einfluß beiderseitiger Rutschungen ist dabei unverkennbar. Durch diese geht die Ab- tragung gehobener Landstriche in den feuchten Tropen ziemlich rasch vor sich. Doch ist die Rückenform in Mittel Amerika weit häufiger; sie bringt es mit sich, daß trotz der gewaltigen Höhenunterschiede die Gebirge den Eindruck von Mittelgebirgen machen. Trotz starker Abtragung sind die Flußtäler noch kerb- förmig ohne Sohle. Dagegen ist Borneo (nach Molengraaff) schon ein Gebiet von greisenhafter Gestaltung: ein abgerundetes Bergland, breit von Tiefland um- säumt. Es scheint sich dem Zustande einer Rumpf- fläche stark zu nähern. So zeigt sich, daß im Gebiet der feuchten Tropen die Formenreihen vielfach geringeren Reichtum aufweisen als in Gebieten der ge- mäßigten Zone; die größere Üppigkeit der Vege- tation erlaubt auch weit stärker bewaldete Hänge als hierzulande. Das Mäandrieren der Flüsse da- gegen ist ziemlich gleichartig mit den Erscheinun- gen in unseren Klimaten. Auch die Erreichung des Reifezustandes bringt ähnliche Formen in beiden Gebieten zustande. In den Gebieten durchlässiger Gesteine (Sandsteine usw.) dürften ähnliche Formen ent- stehen wie in der gemäßigten Zone, besonders aber in denen löslicher Gesteine (Kalksteine), in denen auch hier die auffälligen Dolinen- und Höhlenformen vorherrschen Dr. (lottfried Hornig. Bücherbesprechungen. Eberhard Zschimmer, Philosophie der Technik. 1S4 Seiten. Jena 19 14, Verlag von Eugen Diederichs. — Preis brosch. 3 Mk. , geb. 4 Mk. Die Technik, ein Kind der modernen Natur- wissenschaften , deren Fortschritte sie groß ge- macht haben, hat sich in kurzer Zeit selbst zu einer Wissenschaft entwickelt. Ihre Arbeits- methoden sind dieselben geworden wie die der Naturforschung, die Männer, die an ihren Erfolgen arbeiten, sind exakte Naturwissenschaftler, und während früher die Technik in der gegenseitigen Wechselwirkung mit der Wissenschaft mehr der empfangende als der gebende Teil war, liefert sie jetzt täglich der Wissenschaft immer mehr neue Hilfsmittel, neue Anregungen und neue Problem- stellungen. Wenn auch heute noch wichtige Fragen der Naturwissenschaft ungelöst sind und weite Gebiete unseres Wissens, die nur in den äußersten Umrissen abgesteckt sind, des Ausbaues harren, so scheint doch zunächst ein gewisser Abschluß erreicht zu sein. Diese Bekenntnis kommt in verschiedenen Symptomen zu Ausdruck; einmal in dem neu erwachten Sinn für die Ge- schichte der Wissenschaft , dann aber vor allem in dem Bestreben, sich Rechenschaft über das Gesamtresultat des bisher Erreichten zu geben und sich über den eigentlichen Wert der Wissenschaft klar zu werden. Die Zahl der Skeptiker, denen die Motivierung der Wissenschaft als Drang zur „Wahrheit" Anlaß zur Kritik gibt, ist gewachsen, und gerade aus den Reihen der Fachwissen- schafiler kam jene bescheidenere, aber positivere Definition, daß sie irn besten Fall eine „Ökonomie des Denkens" sei. Ähnliche Erscheinungen be- obachten wir in der Entwicklung der Technik. Auch sie hat jetzt einen Reifezustand erreicht, der es angebracht erscheinen läßt, eine Weile von der Arbeit aufzusehen und darüber nachzu- denken, welchen Sinn die Technik hat und wohin sie uns führt. Bedeutet sie weiter nichts als die Anwendung der Ergebnisse der Naturwissenschaft auf die Lösung nüchterner Nützlichkeitsfragen ? Erschöpft sich ihr Sinn, wie Pessimisten meinen, in der animalischen Notdurft der Millionen Ar- beiter und in der zwecklosen Profitsucht einiger Tausend Unternehmer? Oder liegt ihr irgendeine höhere Idee zugrunde, die über das Prinzip der Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit hinausgeht? Diese Fragen , die in zunehmendem Maße unsere Zeit bewegen, behandelt E. Zschimmer in seinem lesenswerten Buch über die „Philosophie der Technik". Der Verfasser, der selbst in der Industrie tätig ist und durch Veröffentlichungen über verwandte Themata schon früher mehrfach hervortrat, ist, um es vorweg zu nehmen, ein Lobredner der Technik. Aber seine Wertschätzung der Technik entspringt einem Standpunkt, der nichts gemein hat mit der mehr oder weniger materialistischen Begründung, die man gerade bei ..philosophierenden" Technikern so häufig antrift't. Auch der Stil des Buches unterscheidet sicli durch seine stets anschauliche, nie langweilende Eigen- art vorteilhaft von der Form , in der das Thema ,, Kultur und Technik" in manchen technisch orien- tierten Abhandlungen schon vorgetragen worden ist. Zschimmer betrachtet die Technik als die ,, organische Teilerscheinung eines größeren Phä- nomens, der Kulturentwicklung überhaupt". Da- durch , daß sie unsere Sinne erweitert und uns eine immer größere Macht über die Stofile und Kräfte der Natur verschafft, ist sie berufen, dem Menschengeschlecht die materielle Freiheit zu sichern, die es braucht, um seine organische Fort- entwicklung bewußt - schöpferisch zu vollenden. Diesem in seiner Vollkommenheit zur „Idee" er- 428 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. V. XIII. Kr. 27 hobenen Ziel dient der Techniker, dessen Tätig- keit im letzten Grunde mit dem Schaffen des Künstlers zu vergleichen ist. Allerdings läßt sich hier einwenden , daß gewisse Arbeitsformen, wie Teilarbeit und Mechanisierung, die als Folge tech- nischer Kulturentwicklung immer stärker hervor- getreten sind, so sehr die Idee der Technik be- einträchtigen, daß ihr ideeller Wert unter diesen schädigenden Begleiterscheinungen kaum noch zu erkennen ist. Daß derartige unerfreuliche Nebenfolgen tatsächlich existieren , leugnet auch der Idealist Z s c h i m m e r nicht ab ; aber er glaubt nicht, daß sie notwendigerweise zu einem alle Lebensfunktionen des IVIenschen unterjochenden Vernützlichungsprinzip ausarten müssen , und er deutet an, auf welchen Wegen dieser ,,Verameisung" des Menschen — wie es ein spöttischer Kritiker genannt hat — erfolgreich entgegengearbeitet werden kann. Aus jeder Zeile seiner Ausführungen spricht der starke Glaube an das neue Geschlecht, dem die Technik den Boden bereitet; und in der Überzeugungskraft dieser echten Begeisterung liegt, mehr noch als in der Beweiskraft der philo- sophischen Deduktionen, der Hauptwert dieses tapferen Bekenntnis-Buches. Günther Bugge. Dr. C. H. Stratz, Die Darstellung des menschlichen Körpers in der Kunst. Mit 252 Textfiguren. Berlin, Verlag von Julius Springer, 19 14. — • Preis geb. 12 Mk. Die von dem bekannten Verfasser, dem wir bereits mehrere verbreitete Monographien über den menschlichen Körper verdanken, in dem vor- liegenden Werke verfolgte Absicht kennzeichnet er selbst im Vorwort als eine „naturwissenschaft- liche Kunstbetrachtung". Der etwas gewagte Ausdruck meint, daß das Buch durch Text und Illustratlonsmaterial dem Leser die Möglichkeit geben soll, sich darüber klar zu werden, welche Rolle der menschliche Körper als Naturmaterial für die bildende Kunst (Plastik und Malerei) bei den verschiedensten X^ölkern und in den verschieden- sten Entwicklungszuständen der Kunst gespielt hat. Dies Thema ist im einzelnen fast unüber- sehlich, und demgemäß hat der Verfasser sich in dankenswerter Weise bemüht, die großen Haupt- linien des Bildes zu unterstreichen. Nach einer kurzen Einleitung, in der man den Satz nicht überlesen sollte, daß der Verfasser nur die Ab- sicht hat, den menschlichen Körper, wie er in den Kunstvverken erscheint, vom Standpunkte des Naturforschers resp. Arztes zu beurteilen und aus- drücklich feststellt, daß dieses Urteil von dem künstlerischen oder kunsthistorischen Wert der betreffenden Werke unabhängig ist, folgen vier Kapitel. Das erste enthält allgemeine Bemerkungen über die künstlerische Wiedergabe des Menschen und stellt dabei besonders, mit einer glücklichen Prägnanz, den einschneidenden Unterschied der vorchristlichen und nachchristlichen Epochen her- aus — ein Punkt, über den sich noch viel sagen ließe. Es folgt sodann ein instruktives Kapitel über die Normalgestalt und den Kanon des Men- schen, wobei es interessant ist, sich von dem Oszillieren um gewisse Mittelmaße nähere Rechen- schaft zu geben. Im Anschluß an diesen allge- meinen Teil kommen dann die beiden, mit mehr- fachen Unterabteilungen versehenen Hauptkapitel: Der Mensch in der Plastik, und der Mensch in der Malerei. Besonders in diesem Teile sind schon die Illustrationen von großem Interesse, indem oft neben das Kunstwerk ein lebendes Modell in gleicher oder doch ähnlicher Stellung gesetzt ist. Diese sehr glückliche Veranschaulichungsmethode ist übrigens bekanntlich auch schon anderweitig, so in L. V o 1 k m a n n ' s Buche „Naturprodukt und Kunstwerk" zur Anwendung gekommen. Besonderen Nachdruck legt der Verfasser, wie natürlich , auf die griechische Kunst, sodann auf Michelangelo, und unter den Neueren auf Rodin. Auf die vielen interessanten Einzelheiten kann natürlich in einer Anzeige nicht näher eingegangen werden, auch würde es unvermeidlich sein, damit das eigentlich künstlerische Gebiet zu betreten. Doch wird man gut tun, sich stets an den oben erwähnten Ausspruch des geistreichen Autors zu erinnern, daß nämlich anatomische Korrektheit und künstlerischer Wert zwei sehr verschiedene und in hohem Maße voneinander unabhängige Begriffe sind. Als besonders interessant soll hier nur die Erörterung S. 146 — 158 über Michelangelos be- rühmte vier Tageszeiten in der Medicikapelle von San Lorenzo (Florenz) erwähnt werden , speziell der Nachweis, in wie hohem Grade sämtliche so verschieden wirkende Figuren aus demselben Grundmotiv entwickelt sind. Noch einige beim Lesen Ref. aufgefallene Einzel- heiten. — S. 195 müßte neben Klinger vor allem ArturVolkmann als Vertreter moderner farbiger Plastik genannt werden. — Adam und Eva auf Dürer's Stich von 1 504 (Fig. 167) haben doch wohl eher 8 und nicht beinahe 9 Kopf höhen, wie Verf. S. 217 angibt. — Für die Entwicklung des Barock ist Michelangelo, wenn nicht in höherem Maße, so doch sicher mindestens ebenso aus- schlaggebend geworden wie Tizian (zu S. 230 oben). — Die Decke der sixtinischen Kapelle ist, soweit Ref. bekannt , niemals übermalt worden, es handelt sich S. 234 um eine Verwechslung mit dem im gleichen Räume befindlichen jüngsten Gericht Michelangelo's. Dr. Waldemar v. Wasielewski. R. R. Schmidt, Der Sirgenstein und die diluvialen Kulturstätten W'ürttem- b e r g ' s. 47 S. u. I Tafel. Stuttgart, E. Seh weizer- barth'sche Verlagsbuchh. R. R. Schmidt beschreibt in dieser Broschüre die prähistorischen P"unde vom Sirgenstein (zwischen Schelklingen und Blaubeuren) und von einigen anderen Orten, worauf er eine Einreihung der älteren paläolithischen Funde Württemberg's in das System der älteren Steinzeit vornimmt. Die N. F. XIII. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 429 Darstellung, die auf gründlicher eigner Kenntnis der vorgeschichtlichen Fundstellen Süddeutschlands wie der einschlägigen Literatur beruht, ist sehr leicht verständlich und man kann die Schrift bestens empfehlen. H. Fehlinger. Tad. Estreicher, Über die Kalorimetrie der niedrigen Temperaturen. (Sonder- ausgabe aus der „Sammlung chemischer und chemisch-technischer Vorträge" von A h r e n s (f) und Herz.) Gr. 8'\ 66 Seiten mit 6 Abbil- dungen im Text. Stuttgart 1914, Verlag von Ferdinand Enke. — Treis geh. 1,50 Mk. Kalorimetrische Messungen bei niedrigen Tem- peraturen sind erst durchführbar geworden, nach- dem durch die Gewinnung flüssiger Gase, zunächst von flüssiger Kohlensäure, die, mit Alkohol oder Äther zu einer Paste angerührt, eine konstante Temperatur von — 78,3" C liefert, dann von flüssi- gem Äthylen vom Siedepunkt — 103" G und weiter von flüssiger Luft und flüssigem Wasser- stoff die bequeme Erreichung niedriger Tempera- luren ermöglicht worden war. Die große Mehr- zahl der bei diesen niedrigen Temperaturen aus- geführten kalorimetrischen Messungen knüpfen in der Hauptsache, wenn auch nicht ausschließlich, an das Dulo n g-Petit'sche Gesetz an, nach dem die Atomwärme der festen Elemente, d.h. das Produkt aus der spezifischen Wärme und dem Atomgewicht etwa 6 Kalorien betragen soll. Von diesem Gesetze machen einige Elemente, beson- ders Silizium, Bor und Kohlenstoff insofern eine Ausnahme, als ihre Atomwärmen viel zu niedrig sind. Es ist das Verdienst von H. F. Weber, im Jahre 1875 festgestellt zu haben, daß die Atomwärme im allgemeinen keine Konstante ist, sondern in der Weise von der Temperatur ab- hängt, als die Atomwärme bei niedrigen Tempe- raturen kleiner als bei hohen Temperaturen ist, und daß sich insbesondere die Atomwärme der drei Elemente Silizium, Bor und Kohlenstoff mit steigender Temperatur mehr und mehr der Normal- zahl 6 nähert. Ihre theoretische Deutung und deren experimentelle Verifizierung hat diese Tat- sache in neuerer Zeit durch die Arbeiten zunächst von Boltzmann, dann besonders von Einstein und von Nernst und seinen .Schülern gefunden: Die Atomwärmen sämtlicher Elemen-te fallen, wenn man sich dem absoluten Nullpunkte nähert, äußerst rasch. Die folgende Tabelle, die einige im Nernst 'sehen Institut experimentell bestimmte Daten enthält, diene als Beleg für das Gesagte: Element Beobachtungstemperatur Atomwärme Schwefel Silber —71» c 4,88 — 190 2,68 -216 2,06 —250,4 0,96 -65« c 5,92 -187 4,35 — 219,2 2,90 -238 1,58 Element Beobachtungstemperatur Atmosphäre Diamant —53" C oj2 — 181 0,03 — 226,8 0,00 — 249,7 0,00 Für den Diamanten wird also schon bei — 226,8" die Atomwärme, d. h. auch die spezifische Wärme gleich Null , bei dieser Temperatur ver- liert der Temperaturbegriff für den Diamanten seinen Sinn. Diese Tatsachen sowie ihr Zusam- menhang mit dem Nernst 'sehen Theorem und damit mit den fundamentalen F'ortschritten, die die Theorie der chemischen Affinität in jüngster Zeit gemacht, lassen die „Kalorimetrie der niedri- gen Temperaturen" als ein interessantes und wichtigesKapitel moderner ])hysikalisch chemischer F'orschung erscheinen, das auch schon die Auf- merksamkeit weiterer Kreise des naturwissenschaft- lich gebildeten Publikums auf sich gelenkt hat. Estreich er's Schrift gibt eine gewissenhafte historische Darstellung der Fintwicklung, die die experimentelle Technik der kalorimetrischen Mes- sungen bei niedrigen Temperaturen gefunden hat, die Ergebnisse der mittels dieser Technik durch- geführten Untersuchungen aber und ihre theore- tische und praktische Bedeutung werden leider nur kurz gestreift. Trotz dieser Beschränkung im Umfange des abgehandelten Stoffes wird sie in den Kreisen der Physiker und Chemiker lebhaftes Interesse und die verdiente Beachtung finden, und zwar um so mehr, als Est reich er selbst als erfolgreicher F'orscher auf dem von ihm be- sprochenen Gebiete tätig war und so manche wertvolle kritische Bemerkung in den Gang der Darstellung einflechten konnte. Clausthal i. H. Werner Mecklenburg. Dr. Carl Hern, Goethe als Energetiker, verglichen mit den Energetikern Robert Mayer, Ottomar Rosenbach, Ernst Mach. Lei])zig,' Ver- lag von Johann Ambrosius Barth, 1914. — Preis Mk. 2.— Referent hat die kleine Schrift mit besonderem Interesse gelesen, da auch er zu der (immer mehr anwachsenden) Zahl derer gehört, die eine ein- dringliche Beschäftigung unserer Zeit mit Goethes Naturansichten und naturwissenschaftlichen Arbeiten für eine höchst wünschenswerte und reiche Aus- beute verheißende Angelegenheit halten. Trotzdem hat er sie mit zwiespältigen Empfindungen aus der Hand gelegt. Einerseits ist unbestreitbar, daß Goethe auf die Prinzipien der Polarität und der Analogie ent- scheidendes Gewicht legt, und in diesem Umstände sind zum mindesten, um uns vorsichtig auszu- drücken, Beziehungen zu einer energetischen Welt- auffassung gegeben. Ähnlich steht es mit dem Prinzip der Ökonomie. Goethe redet nicht selten von der (Ökonomie in der Natur, z. B. bei der Ausgestaltung des tierischen Organismus. Erkennt auch den ökonomischen Gedanken in der Natur- 430 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr 27 forschung und tritt damit Mach merkwürdig nahe. Klarer übrigens als in der vom Verfasser S. "]"] ff. zitierten Stelle finde ich das Letztere von Goethe in den meteorologischen Schriften, besonders am Schlüsse des „Versuchs einer VVitterungslehre" ausgesprochen und habe auch seinerzeit auf dieses merkwürdige und nachdenkenswerte Phänomen aufmerksam gemacht ^). Rückt also Goethe mit derartigen, seiner Zeit höchst genial vorgreifenden Ideen einer energe- tischen Weltanschauung unverkennbar nahe, so er- geben sicii doch auf der anderen Seite gewichtige Bedenken, ob wir ihn mit Hörn kurz und gut zum „Energetiker" stempeln dürfen. Ganz davon ab- gesehen, daß bei einem Geiste wie dem G o e t h e ' s , weit und unermeßlich, wie die Natur selber, jede unbedingte Inanspruchnahme für diese oder jene Auffassung ihr Bedenkliches hat. Goethe als Monist (Häckel), Goethe als Okkultist (Sei- ling), Goethe der Heide, Goethe der Christ — wer dürfte sich anmaßen, die Formel gefunden zu haben, vor der alle diese scheinbaren oder wirklichen Widersprüche verschwinden — wenn sie nicht in der einfachen Anerkenntnis liegt, daß alles dies und noch mehr in ihm war, weil er ein Mensch war und weil wir nie erschöpfend wissen werden, was dies bedeutet und in sich schließt: ein Mensch sein. Aber davon soll hier nicht ge- redet werden. Ich vergegenwärtige mir, welches die Grund- lagen der energetischen Auffassung sein müssen und sage; Prinzip der Erhaltung der Energie, und Prinzip der kleinsten VVirkung. Und ich sage mir: Goethe war kein Energe- tiker, oder doch nicht in dem gebräuchlichen Sinne des Wortes, schon weil er wenigstens den ersten dieser Sätze nicht besaß, und auch den zweiten nicht in irgendwie umfassender und strenger Weise. Streiche ich aber speziell den ersten Satz, habe ich nicht die klare \'orstellung, daß bei allen Vorgängen in der Welt ein Etwas unverändert bleibt — und ich sehe nicht ein, wie man vor Entdeckung der Beziehungen zwischen Wärme und Arbeit eine klare Vorstellung hiervon haben konnte, so scheint mir die notwendigste Vor- bedingung, Goethe einen Energetiker zu nennen, zu fehlen. Der Verfasser weiß zwar ebenfalls, daß Goethe den Satz von der Erhaltung der Energie nicht hat, er sagt S. 32 sogar, er (G.) könne ihn seinen Anschauungen nach nicht anerkennen. Wenn er ihn trotzdem als Flnergetiker zu bezeichnen fort- fahrt, so meint er das Wort eben in einem weit allgemeineren, lockereren Sinne. Von diesem Ge- sichtspunkte aus nun versciiwinden die Schwierig- keiten zum Teile allerdings. Vielleicht wird man sich dahin einigen können, daß Goethe hier wie auch anderswo (z. B. in der Deszendenzfrage) durch ') W. V. Wasielewski, Goethc's meteorologische Studien. Leipzig, Inselverlag 1910. Seite 44, und besonders 52-54. tiefgreifende geniale Intuition Erkenntnisse voraus- nahm, auf die der forschende Menschengeist lang- samer und schrittweise, dafür aber in mehr durch- gebildeter und systematischer Form mittlerweile ebenfalls gekommen ist. Dabei aber schwebt die intuitive Erkenntnis, gerade weil teilweise mehr in Andeutungen als in genau umgrenzten, in System gebrachten Begriffen sich ergehend, auch uns noch wie ein Leitstern vor. So glaube ich persönlich, daß in G o e t h e ' s Begriff der Steigerung, mit dem die heutige Energetik imgrunde nichts anzu- fangen weiß, ebenfalls ein wichtiges Element steckt, das eines Tages naturwissenschaftlich in Beleuch- tungen treten wird, von denen wir noch nichts ahnen. Vielleicht bringt uns die Entwicklung der organischen Energetik, die Hörn im Anschluß an Mayer und Rosenbach ankündigt, schon in Bälde Überraschungen in dieser Hinsicht. Der Verfasser stellt eine ausführlichere Gesamt- darstellung von Goethe als Energetiker — oder wie wir es nennen möchten: von Goethe's Verhältnis zur energetischen Naturanschauung — in Aussicht. Es wird also seinerzeit auf die Materie zurückzukommen sein. Jedenfalls ist weiteres Durcharbeiten, und in seinem Gefolge weitere Klärung des ebenso interessanten wie schwer zu durchdringenden Stoft'es sehr erwünscht. Sjiäße wie auf Seite 25, wo die Energie mit dem Logos des Johannisevangeliums oder gar Seite 45, wo sie in allem Ernste mit der — Jungfrau Maria (!) identifiziert wird, würden aber wohl auf jeden Fall besser vermieden. Überhaupt, hier und da etwas mehr Klarheit, und weniger Argumentieren mit Erwägungen, wie die, daß Goethe in der Sonne die allgemeine Kraftquelle für die Erde erkannt und bekannt habe. Das ist noch keine Energetik, oder man gerät in Gefahr, den Begriff überhaupt aufzulösen. Es kommt ja doch nicht darauf an, Goethe ä tout prix zu einem -etiker dieser oder jener Art zu stempeln, sondern diesen machtvollen Geist immer besser in seiner ureignen Wesenheit verstehen zu suchen, um i h n besser zu lieben und uns mehr zu fördern. Ich möchte auch diese Gelegenheit nicht ohne ein bescheidenes Ceterum censeo vorbeigehen lassen : Möchten alle, die über die Natur nachdenken, Goethe's naturwissenschaftliche Schriften und besonders die Farbenlehre lesen — aber mindestens dreimal. Noch ein Wort. In der Literaturübersicht (S. 84 — 86) zitiert Hörn Goethe's Werke nach der Co tta 'sehen Ausgabe von 1868 nach Band und Seitenzifi'er, ohne den geringsten anderweiten Hinweis, auch ohne den Titel der betr. Arbeit anzugeben. Es ist also für jeden, der nicht zufällig das Glück hat, dieselbe Ausgabe benutzen zu können, fast unmöglich gemacht, die Zitate bei Goethe selbst zu finden. Dies ist — man kann es unmöglich anders ausdrücken — eine Rücksichts- losigkeit gegenüber der Zeit und Geduld des Lesers, die unbedingt hätte vermieden werden müssen. Dr. Waldemar v. Wasielewski. N. F. XIII. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 431 Friedrich A. W. Thomas, Das Elisabeth Linne-Phänomen (sog. Blitzen der Blüten) und seine Deutungen. Zur Anregung und Aufklärung, zunächst fiir Botaniker und Blumen- freunde. Mit einer kleinen Farbtafel. 53 S. Jena, Gustav Fischer, 191 4. — Preis 1,50 Mk. Im Jahre 1762 sah Linne's Tochter Elisa- beth eines Abends, wie die Kapuzinerkressen im Garten des väterlichen Gutes Hammarby auf- leuchteten, und sie beschrieb diese Erscheinung, die sie noch wiederholt beobachtete und anderen Personen, darunter Lin ne selbst, zeigte, in einem Bericht, der in den Verhandlungen der Schwedi- schen Akademie erschien. Später haben sich noch zahlreiche Beobachter und Beurteiler mit diesem „Blitzen der Blüten" (das auch an anderen Blumen wahrgenommen wurde) beschäftigt, ohne daß die Frage nach seiner Ursache zum Austrag gebracht worden wäre. Die einen betrachteten die Erscheinung als objektiv und führten sie zu- meist auf elektrische Ursachen zurück; die anderen, an ihrer Spitze Goethe, erklärten sie für sub- jektiv und physiologischer Natur. Nachdem 1908 schon A. Schi ei e r mach e r auf Grund von Beobachtungen für die letztgenannte Deutung ein- getreten war, beschrieb Friedrich Thomas 1910 in der „Naturw. Wochenschr." (Bd. 9, S. 573) einen interessanten Versuch, der die Möglichkeit bot, zu einem besseren Verständnis des Phäno- mens zu gelangen. Thomas klebte auf einen blauen Untergrund einige Stückchen feuerroten Papiers und zeigte, daß diese, die in der Dämme- rung schwarz auf hellgrau erscheinen, nachein- ander rot und lichtstark werden , wenn man sie (in der Dämmerung, die noch eben das Lesen gewöhnlicher Druckschrift gestattet) der Reihe nach fixiert. In der Tat wird jeder, der den Versuch angestellt hat, durch das prompte Auf- leuchten der roten Flecke überrascht worden sein. Inzwischen hat Thomas den Gegenstand lite- rarisch und experimentell weiter verfolgt, und er gibt in der jetzt veröffentlichten Schrift eine historische und kritische Darstellung sowie die eingehende Begründung seiner Erklärung der Er- scheinung, die er, um sie präzis zu bezeichnen, das Elisabeth Linne-Phänomen nennt. Er kommt auf Grund seiner Versuche zu folgenden Schlüssen: i. Das ursprüngliche El. L.-Ph. ist nur wahrnehmbar, wenn bei geeignetem Grade der Dämmerung das Bild der roten Blume von den peripherischen Teilen der Netzhaut auf die Netz- hautgrube wandert. 2. Die im peripherischen Teile der Netzhaut vorherrschenden Stäbchen sind rotblind. Sobald das Bild von ihnen auf die (von Stäbchen nicht durchsetzten) Zapfen der Fovea wandert, wird das Rot schon darum etwas leb- hafter als vorher empfunden. 3. Der Eindruck dieses Bildes fällt zusammen mit dem Purkinje- schen Nachbild der Umgebung. Ist dieses ein helles, wie bei blauem und grünem Untergrund, so summiert sich die Empfindung seiner Hellig- keit mit der Rotempfindung zu einem Aufleuchten. Daß diese Erklärung in jeder Richtung und für alle an das ursprüngliche El. L.-Ph. sich an- schließenden Erscheinungen restlos erschöpfend sei, nimmt der Verf. nicht an; doch meint er, daß sie die hauptsächlichsten Momente enthalte. Nach seinen Beobachtungen ist das El. L.-Ph. nur an roten, besonders feuerroten, vielleicht auch an ge- wissen gelben Blüten wahrzunehmen. Anhangs- weise macht Verf. einige Angaben über Erschei- nungen, die häufig mit dem El. L.-Ph. zusammen- geworfen worden sind (St. Elmsfeuer an Pflanzen, Aufflammen der Blütenstände von Diclamnus Fraxinella bei Entzündung ihres ätherischen C )les, Blütenfunkeln infolge der Anwesenheit leuchten- der Collembolen). Das Literaturverzeichnis weist 66 Nummern auf. Mit der lose beigefügten Farb- tafel kann man in einer halbdunklen Zimmerecke auch bei Tage den Versuch leicht ausführen. F. Mocwes. Anregungen und Antworten. Herrn Prof. E Weise, Plauen i. V. — ,,Sind außer der Arbeit von H. B. Brady in den Veröffentlichungen der Palae- ontographical Society 1876 und derjenigen von V.v. Möller in den Memoires de l'Acad. Imp. Sc. St. Petcrsbourg 187S neuere Arbeiten über karbonische Foraminiferen erschienen? Uer wichtigste Beilrag zur Kenntnis karbonischer Kora- rniniferen in der angegebenen langen Zeit dürfte die „Mono- graphie der Fusulinen" sein. Sie wurde von Schellwien geplant und begonnen, nach seinem Tode fortgeführt von 5'rech und seinen Schülern von Staff und Dyhrenfurth und findet sich in den „Palaeontographica" (Schweizerbart- Stuttgart): Teil I ,,Die Fusulinen des russisch-arktischen Meeres- gebietes" in Band 55 (1908,09); Teil II ,,Dic asiatischen Fusu- linen" in Band 56 (190g!; Teil 111 „Die Fusulinen (Schell- wicnien) Nordamerikas" in Band 59 (1912). Zu letzterem ver- gleiche die nomenklatorischen Einwände vonGirty in Journal of Geology Bd. 22, April-Mai-Heft 1914, S. 237. v. Staff berichtete noch besonders ,,Über Schalenverschmelzungcn und Dimorphismus bei Fusulinen" in Sitz.-Ber. Ges. Naturf. Freunde Bln. 190S und über ,, Die Anatomie und Physiologie der Fusu- linen" in „Zoologica" H. 58 (Stuttgart 1910), sowie zusammen mit Wedekind über den ,,oberkarbonen Forarainiferensa- propelit Spitzbergens" im Bull. Geol. Inst. Upsala 1910. Es ist aber naturgemäß nicht möglich über derartige klei- nere Beiträge hier Vollständigkeit zu erzielen. Gute Führer- dienste in der Literatur leistet das „Geologische Zentralblalt" (Borntraeger-Berlin) und die Repertorien des „Neuen Jahr- buchs" für Min., Geol., Pal. (Schweizerbart-Stuttgart). E. Hennig. Wettei'-Monatsuberslclit. Während des diesjährigen Mai änderte das Wetter in Deutschland zweimal von Grund aus seinen Charakter. Bis gegen Mitte des Monats und dann wieder vom 25. bis fast zum Schlüsse war es größtenteils külil, trübe und regnerisch, wogegen in der Zwischenzeit überaus freundliches, trockenes Sommerwetter herrschte. .\m 2. und 3. Mai kamen im größ- ten Teile des Landes Nachtfröste vor, die in vielen Gegen- den, namentlich an der Obstblute, Kartoffeln und Frühgemüse erheblichen Schaden anrichteten; in der Nacht zum 3. brach- ten es z. B. Eberswalde und Glinau bei Neutoniischel auf 5, Tremessen auf 6" C Kälte. Nach vorübergehender Zunahme gingen die Temperaturen dann seit dem 8. wieder mit jedem Tage liefer herab, auch die Nachtfröste und Reif bildungen wiederholten sich zwischen dem 11. und 15. noch mehrmals, 432 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. F. XIII. Nr. 27 waren aber jetzt weniger verbreitet und im allgemeinen nur leicht. In der zweiten Hälfte des Monats trat überall eine starke Erwärmung ein. Seit dem 19. wurden im größeren Teile des Binnenlandes 25° C überscliritten ; am 23. stieg das Thermo- meter in Magdeburg bis auf 31, in Halle und Ludwigshafen bis 30° C. Aber bereits am folgenden Tage erfolgte bei frischen nördlichen Winden in Nordwest-, Süd- und Mittel- deutschland ein jäher Temperatursturz, während östlich der Oder das warme Wetter noch mehrere Tage länger anhielt. Auch die mittleren Monatstemperaturen überschritten in den nordöstlichsten preußischen Provinzen um ungefähr einen Grad ihre normalen Höhen, im übrigen waren sie allgemein zu 5ßifflereTsmpcrafurcn ciniaer ©rfe im 5Bai 1914 . BcrIinerWeffertureau. niedrJCT, bis zu 2 Grad in Süddeutschland. Ebenso nahm die Anzahl der Sonnenscheinstunden von Nordosten . nach Süd- westen ziemlich gleichmäßig ab und war im Durchschnitt etwas kleiner als gewöhnlich. Beispielsweise hat in Berlin die Sonne im vergangenen Mai an 1S9 Stunden geschienen, während hier im Mittel der früheren Maimonate 226 Stunden mit Sonnen- schein verzeichnet worden sind. Fast täglich fanden bis zur Mitte des Monats in den meisten Gegenden ausgedehnte Regonfälle statt, die in der ersten Woche von zahlreichen Gewittern und Hagelschauern begleitet waren. An einzelnen Orten im Osten, z. B. in Königsberg i'Pr., Landsberg a/W., Cottbus, Görlitz, Oppeln fiel am 2. auch etwas Schnee. Am 16. stellte sich im größten Teile Norddeutschlands heiteres, trockenes Wetter ein, während sich im Süden, anfangs auch in Schlesien und im Königreich Sachsen, die Niederschläge weiter fortsetzten ; be- sonders kamen im östlichen Bayern noch starke Kcgenfälle vor, die z. B. am 19. in Passau 26 mm ergaben. Nachdem der durch trockene östliche Winde noch ver- schärfte Regenmangel, der sich seit dem 21. auch auf ganz Süddeutschland erstreckte, zuletzt schon sehr empfindlich ge- worden war, leiteten zwischen dem 23. und 24. Mai weitver- breitete Gewitier in West- und Mitteldeutschland neues Regen- wetter ein, das sich allmählich ostwärts fortpflanz'.e und fast ununterbrochen bis kurz vor Schluß des Monats anhielt. In vielen Gegenden gingen außerordentlich starke Regengüsse hernieder, die sich öfter wiederliolten, z. B. fielen vom 24. zum 25. in Torgau 45, in Frankfurt a/M. und in Zittau 38 mm Regen. Erst gerade zum Pfingstfeste ließen die Regenfälle überall nach und klärte sich der Himmel im größten Teile des Landes wieder auf. Die Niederschlagssumme des Monats ergab sich für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen zu 78,4 mm und übertraf um 21,7 mm die Regen- mengen, die die gleichen Stationen seit dem Jahre 1891 durch- schnittlich geliefert haben. Ißisferjgc^racj^^ö^cn im 5Bai 1914. (yiitrierer Wertfär PeuFschland. 1911.13. 12.11. 1D.Ü9. BErlmerWetoburMi.. Auch die allgemeine Anordnung des Luftdruckes in Europa wies im Laufe des vergangenen Monats mehrmals stärkere Änderungen auf. Ein in den ersten Tagen von Island über Schottland und die Nordsee nach Mitteleuropa gelangtes, sehr hohes barometrisches Maximum wurde bald durch eine nachfolgende umfangreiche atlantische Depression nach Süd- rußland getrieben. Das Minimum drang dann aber nur ziem- lich langsam nordostwärts vor und verbreitete im größten Teile West- und Mitteleuropas dampfgesättigte westliche Winde, die sich später, als bei Irland ein neues Hochdruckgebiet er- schien, mehr nach Norden hin drehten. Um Mitte des Monats rückte auch das neue Maxiraum ostwärts vor. Am 22. befand es sich mitten in Deutschland, jedoch schon am folgenden Tage gelangte eine llache Baro- meterdepression vom biscayischen Meere nach der südlichen Nordsee hin und schob, nordostwärts weiterziehend, wiederum das ganze Hochdruckgebiet rasch vor sich her, worauf bald verschiedene flache Minima, größtenteils von Süden her, ins Innere des europäischen Festlandes eindringen konnten. Dr. E. Leß. Inhalt: Hennig: Die deutschen Ausgrabungen von Dinosauriern im letzten Jahrfünft. Kathariner: Das Fußskelett des Tapirs. — Einzelberichte: Eucken: Adsorptionserscheinungen. Hnatek: Durchmesser und Temperatur der Sterne. Wohlgemuth: Die Fortpflanzung der Süßwasserastrakoden. Nusbaum und Oxner: Merkwürdige Doppelbildungen bei den Nemertinen. Sa p per: Über Abtragungsvorgänge in den regenfeuchten Tropen und ihre morphologischen Wirkungen. — Bücherbesprechungen: Zschimmer: Philosophie der Technik. Stratz: Die Darstellung des mensch- lichen Körpers in der Kunst. Schmidt: Der Sirgenstein und die diluvialen Kulturstätten Württembergs. Estreicher: Über die Kalorimetrie der niedrigen Temperaturen. Hörn: Goethe als Energetiker. Thomas: Das Elisabeth Linne- Phänomen. — Anregfungen und Antworten. — Wetter-Monatsübersicht. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H.Mi ehe in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schcn Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band ; der ganzen Reihe 29. Band Sonntag, den 12. Juli 1914. Nummer 28. Vererbung bei vegetativer Vermehrung. Von Paul Vogler, St. Gallen. [Nachdruck verboten.] M'' 2 Tex Das Problem der Vererbung ist bekanntlich eines der praktisch und theoretisch wichtigsten Probleme der Biologie. Denken wir nur daran, welche Bedeutung es für die Tier- und Pflanzen- zucht und für die Rassenhygiene des Menschen hätte, wenn wir die Gesetze der Vererbung genau kennen würden und dann zielbewußt anwenden könnten, ferner aber auch daran, daß es in der Bio- logie von heute eine Frage nach der Entstehung der Arten aus anderen gibt, von der ein wesent- licher Teil diejenige nach der Vererbung der auf irgendeine Weise entstandenen Unterschiede ist. Während die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr reich ist an Versuchen, das Problem der Vererbung großzügig zu lösen durch theoreti- sche Spekulation, ist die Vererbungswissenschaft im 20. Jahrhundert erst zu einer experimen- tellen Wissenschaft geworden. Die Resultate dieser eigentlich noch so kurzen Spanne exakter Forschung sind bekanntlich großartig: wir brau- chen nur zu erinnern an all das, was man zu- sammenfaßt unter der Bezeichnung: Mendel Is- mus und an das, was steckt hinter der scharfen Fassung der Begriffe: Population und reine Linie, Phänotypus und Genotypus. Es ist nicht meine Absicht, hier des näheren auf die Erfolge der Erblichkeitsforschung der letzten zwanzig Jahre einzutreten. Ich begnüge mich mit einigen Erinnerungen , die notwendig sind, um die Fragestellung, die meinen Untersuchungen zugrunde liegt, klar zu legen. Mit Population bezeichnen wir jede Gruppe von Individuen einer Art oder Rasse, deren Ab- stammung nicht näher bekannt ist. Die Individuen einer solchen Population sind niemals einander vollständig gleich : sie variieren. Ihre Verschieden- heiten können aber verschiedenen Ursprungs sein : Entweder sind sie bedingt durch verschiedene, von den Eltern mitgebrachte innere Anlagen, oder sie sind bei gleichen Anlagen bedingt durch äußere Einflüsse. Die bloße vergleichende Betrachtung wird uns nie Aufschluß über die Ursache der Verschiedenheit in einem bestimmten Falle geben können. Geht man von einer solchen Population aus und wählt zur Fortpflanzung jeweils nur die extremsten Formen aus, etwa die größten und die kleinsten Individuen, so kann man meist durch solche Selektion zwei verschiedene Gruppen von Individuen erhalten, deren Unterschiede erblich konstant bleiben. Darauf beruhen bekanntlich die meisten Erfolge der gewöhnlichen Tier- und Pflanzenzucht. tfiguren. Unter reiner Linie dagegen faßt man zu- sammen die Gesamtheit der bei engster Inzucht, womöglich bei Selbstbefruchtung, erhaltenen Nach- kommen eines einzigen Individuums oder eines Elternpaares. Dabei wird noch die Voraussetzung gemacht, daß das Ausgangsindividuum, nach dem Sprachgebrauch des Mendelismus, ein Homo- zygot sei, daß also vorausgehend keinerlei Bastardierung stattgefunden habe. Auch die Individuen einer Generation inner- halb einer solchen reinen Linie sind untereinander nicht vollständig gleich. Da sie aber von den Eltern alle gleiche Anlagen mitbringen, so können ihre Unterschiede nur durch äußere Ein- flüsse (Nahrung, Luft, Licht, Temperatur usw.) hervorgebracht sein. Daß dem so ist, lehrt der Vererbungsversuch: Lesen wir aus einer Generation einer reinen Linie etwa die größten und kleinsten Individuen zur Fortpflanzung aus, so ist diese Selektion vollständig wirkungslos. D. h. : die Mittelwerte der Nachkommen der beiden extremen Gruppen fallen wieder zusammen. Dabei ist selbst- verständliche Voraussetzung, daß die Nachkommen unter möglichst gleichen Bedingungen aufwachsen. So können wir also auf dem Wege des Ver- erbungsversuches die beiden verschiedenen Arten von Variabilität trennen : die durch innere Anlagen und die durch äußere Einflüsse bedingte. Die aus der ersten Ursache hervorgehenden Verschie- denheiten sind vererbbar, die aus der zweiten hervorgehenden sind nicht vererbbar. Die letzte- ren nennt man heute auch Modifikationen. p;in durch vielfache Experimente festgelegter Satz der modernen Vererbungslehre lautet nun : M o d i - fikationen sind nicht vererbbar. Das ist eigentlich nur eine andere Ausdrucksweise für die Tatsache, daß Auslese nach Plus- und Minus- varianten innerhalb einer reinen Linie nicht wirk- sam ist, oder auch für die Tatsache, daß die auf die Eltern verändernd wirkenden äußeren Lebens- bedingungen nur den Körper beeinflussen , nicht aber die Keimzellen. Soweit mehrzellige Pflanzen und Tiere in Be- tracht kommen, sind diese Sätze das Ergebnis von Versuchen bei sexueller Fortpflanzung. Im Pflanzenreich sehr häufig, im Tierreich auf einzelne Abteilungen beschränkt, gibt es aber neben der sexuellen Fortpflanzung noch eine asexuelle oder vegetative Vermehrung. Es entsteht nun die Frage, ob der Satz von der Nichtvererbbarkeit der Modifikationen auch gültig sei bei asexueller Fortpflanzung. k 434 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 28 Zunächst haben wir uns Rechenschaft zu geben über die wesentlichsten Unterschiede zwischen sexueller und asexueller Fortpflanzung. Bei der sexuellen steht am Anfang des neuen Individuums eine befruchtete Eizelle, eine Zygote, also ein Verschmelzungsprodukt zweier Zellen, deren Bildung eine Reduktionsteilung vorausgegangen ist. Ist nun diese Zelle prinzipiell verschieden etwa von einer Zelle in einem noch nicht difte- renzierten Vegetationspunkt einer Pflanze? Da die beiden Komponenten der Zygote häufig verschie- dener Abstammung sind, so kann sie in ihren Anlagen von den Zellen der Eltern verschieden sein, weil jedes der beiden Eltern sich selbst vom andern unterscheiden kann. Stammen aber Ei- und Samenzelle vom gleichen Individuum, aus derselben Blüte, so kommt bei homozygoten Individuen dieser Unterschied nicht in Betracht. Da nun ein Vegetationspunkt durch Differen- zierung stets neue Wurzeln, Stengel, Blätter und Blüten erzeugen kann, also seine Zellen die sämt- lichen für die Art charakteristischen Anlagen be- sitzen müssen und die befruchtete Eizelle ebenso diese sämtlichen Anlagen und nur diese enthält, so ergibt sich, daß prinzipiell, soweit die vererb- baren Anlagen in Betracht kommen, kein Unter- schied besteht zwischen einer noch nicht differen- zierten Zelle eines Vegetationspunktes und einer befruchteten Eizelle eines homozygolischen Indivi- duums derselben Art. (Natürlich können Unter- schiede anderer Art zwischen den beiden Zellen bestehen, die sich z. B. in der Tatsache äußern können, daß manche nur auf vegetativem Wege vermehrte Pflanzen schließlich degenerieren.) Neben der bisexuellen Forlpflanzung gibt es eine unisexuelle, die jedenfalls als eine Rückbildung zu betrachten ist. Die Eizelle ist imstande, ohne vorher- gehende Befruchtung zu einem neuen Individuum auszuwachsen. Diese Parthenogenese leitet sich zwar von einer echten sexuellen Fortpflanzung ab, ist aber im Prinzip bereits eine asexuelle. Da hier keine Mischung der Anlagen zweier verschiedener Individuen stattfinden kann, ist die Vererbung der Anlagen und damit der Eigenschaften des Mutter- individuums eine sehr „strenge". Zwischen der parthenogenelischen Fortpflanzung durch eine unbefruchtete Eizelle und der vegeta- tiven Vermehrung im gewöhnlichen Sinne gibt es keinen prinzipiellen Gegensatz mehr. Denn ob schließlich die Zelle, aus der das neue Indivi- duum entsteht, als Eizelle in einem Fruchtblatt erzeugt wird, oder irgend eine nicht differenzierte Zelle eines Vegetationspunktes darstellt, die ja in ihren Anlagen vollständig mit einer befruchteten oder unbefruchteten Eizelle übereinstimmen muß, konmit weiter nicht in Betracht. Bei der asexuellen oder vegetativen Ver- mehrung der Pflanzen kommt es bekanntlich nur darauf an, daß sich irgend ein Sproß oder Sproß- teil oder auch nur eine einzelne Zelle von der Mutterpflanze auf natürlichem Wege loslöst oder vom Menschen losgelöst und unter Verhältnisse gebracht wird, wo er weiter wachsen kann. Dieser Sproß mag nun ein abgeschnittener Zweig sein oder ein Ausläufer oder eine Knolle oder eine Brutzwiebel, das macht keinen Unterschied; das, worauf es ankommt, ist immer der dort vorhan- dene Vegetationspunkt. Seine noch nicht differen- zierten Zellen sind in diesen Fällen die Träger der Vererbung. Aus diesen Überlegungen folgt also als theo- retisch wahrscheinlich, daß zwischen der Ver- erbung bei sexueller Fortpflanzung eines Homozy- goten einer reinen Linie und bei der vegetativen P'ortpflanzung kein Unterschied besteht. Anders verhält es sich bei heterozygoten In- dividuen, also bei Bastarden. Diese spalten be- kanntlich bei sexueller Fortpflanzung nach den Gesetzen des Mendelismus. Die Praxis hat aber schon längst gelehrt, daß bei vegetativer F"ort- pflanzung die Bastarde in der Regel nicht spalten. Darauf beruht ja die große Bedeutung dieser Art der Vermehrung für unsere Kulturpflanzen. Ge- legentlich mag allerdings auch vegetative Spaltung vorkommen, die dann in Erscheinung tritt als Knospenmutation. Normalerweise aber verhalten sich bei vegetativer Vermehrung heterozygotische Individuen ganz wie homozygotische. Aus rein theoretischen Überlegungen definitive Schlüsse zu ziehen, ist aber in der Biologie ge- fährlich. So steht also noch nicht ohne weiteres fest, daß die Gesetze der Vererbung bei sexueller Fortpflanzung auch für die asexuelle Fortpflanzung gelten. Man kann nämlich aus anderen theoretischen Überlegungen auch zum gegenteiligen Schluß kommen. Die Reduktionsteilung, die der Bildung der Sexualzellen vorausgeht, ist ein in die Organi- sation der Zelle sehr tief eingreifender Vorgang. Wenn nun auf eine Pflanze während ihres vegeta- tiven Lebens allerlei äußere Einflüsse wirken, die sich eben in den Modifikationen äußern, so kann das vielleicht auch so aufgefaßt werden, daß davon die Zellen des Vegetationspunktes sogar in ihren Anlagen verändert weiden. Bei der Reduktions- teilung aber und der späteren Wiedervereinigung zweier Sexualzellen wäre die Möglichkeit vorhanden, die früher durch äußere Einflüsse erzeugten Störun- gen wieder auszumerzen. Bei der asexuellen Ver- mehrung aber, wo es sich in Wirklichkeit doch um ein bloßes Fortwachsen eines Vegetations- punktes handelt, kommt es nicht zu einer solchen Regeneration der beeinflußten Zellen. Aus der- artigen Überlegungen heraus könnte man also eine Vererbung von Modifikationen bei asexueller Ver- mehrung prinzipiell für möglich erklären. In der Praxis ist man sogar geneigt, das als Tatsache hin- zunehmen, und man versucht durch direkte Ein- wirkungen auf die Mutterpflanze extreme Formen zu bekommen, wobei man hofft, daß sich diese Einflüsse auch in den folgenden Generationen, wenn sie nicht mehr direkt wirken, geltend machen werden, daß also eine Vererbung der erworbenen Eigenschaften stattfinden wird. N. F. Xm. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 435 Es kann also auch diese Frage nur durch das Experiment gelöst werden. Sehen wir uns in den zusammenfassenden Wer- ken über Vererbungslehre um, so suchen wir ver- geblich nach exakten Daten über die Vererbung bei vegetativer Vermehrung mehrzelliger Organis men. Suchen wir nach Spezialarbeiten, so ist unsere Ausbeute auch sehr gering. Als ich vor Jahren anfing, mich mit diesem Problem näher zu befassen, war mein Suchen danach sogar voll- ständig ergebnislos '). So kam ich dazu, eine eigene Versuchsreihe anzufangen, die nun, trotz- dem ich, unter ungünstigen Verhältnissen arbeitend, die Versuche nur in verhältnismäßig kleinem Maß- stabe ausführen konnte, schon nach vier Jahren, eigentlich fast wider Erwarten, zu einigen klaren Resultaten geführt hat, über die ich an dieser Stelle auch berichten möchte ''). Zunächst muß aber noch eine Frage der Ter- minologie kurz erledigt werden. Dürfen wir die Bezeichnungen Population und reine Linie auch übertragen auf Individuengruppen, die durch vege- tative Vermehrung erhalten wurden? Was Be- zeichnung und Begrift' Population anbetrifft, so be- steht kein Zweifel, denn unter Population verstehen wir ja einfach eine Gruppe von Individuen gleicher Art oder Rasse, ganz unbekümmert um ihre Ab- stammungsverhältnisse. Anders verhält es sich mit der reinen Linie. Gewiß ließe sich dieser Begriff so definieren, daß auch die durch asexuelle Fortpflanzung erhaltene Generationenfolge eines einzigen Individuums darunter fallen würde. Aber es ist zu beachten, daß mit dem Begriff der reinen Linie der der Homozygote eng verbunden ist. Wie wir ausge- führt haben, spielt aber die Frage: Homo- oder Heterozygot bei der asexuellen Fortpflanzung keine Rolle. Daraus ergibt sich, daß man besser eine neue Bezeichnung einführt. Die richtigste wäre wohl ,,p h y s i o 1 o g i s c h e s ') Natürlich habe ich mir auch weiterhin Mühe gegeben, Spezialarbeiten über dieses Thema zu finden. Was ich auf- finden konnte, sind folgende zwei Arbeiten: Hanel, Elise, Vererbung bei ungeschlechtlicher Fort- pflanzung von Hydra grisea. (Disserl. der philosophischen Fakultät II, Zürich 1907.) Das Resultat dieser Arbeit ist ganz kurz gesagt folgendes: .Auch bei asexueller Fortpflanzung ist Selektion der Modifikationen wirkungslos. East E. M., The transmission of variations in ihe Potato in asexual reproduction (Agr. Station Report, Connecticut 1910 pp. 119 — 160). Mir im Original nicht zugänglich. Nach dem Referat in der Zeitschrift für induct. Abstammungs- und Ver- erbungslehre 191 1 wird das Ergebnis dieser .Arbeit in folgenden Satz zusammengefaßt: This paper stows the Similarity between the inheritance of flucluations in asexual reproduktion in multi- cellular Organismus and that in the pure Lines of Johannsen and Jennings. '-) Siehe meine: Vorläufige Mitteilung über , .Versuche über Selektion und Vererbung bei vegetativer Vermehrung von AUium sativum L. Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre 1914, Bd. XI, H. 3. Ferner meine ausführlichere Arbeit im Jahrbuch 1913, Bd. 53 der naturw. Gesellschaft St. Gallen, St. G.allen 1914: Vererbung und Selektion bei vegetativer Vermehrung von AUium sativum L. Experimentelle Untersuchungen. 44 S. mit 9 Textfiguren. I n d i V i d u u m". Denn nach dem strengen Sprach- gebrauch der Physiologie bilden alle Pflanzen, die durch bloß vegetative Vermehrung von einem aus einer befruchteten Eizelle hervorgegangenen In- dividuum abstammen, in Wirklichkeit ein einziges Individuum. Das kann sich oft physiologisch im Altern und Degenerieren der stets nur vege- tativ vermehrten Kulturpflanzen äußern. Deut- licher noch in der Erscheinung der Stocksterilität. Diese wirkt ganz unabhängig davon, ob die ein- zelnen Teilstücke eines solchen Individuums einer bestimmten Apfelsorte z. B. als Zweige auf einem Stamm stehen oder durch Pfropfung auf ver- schiedene Stämme verteilt sind. Aber ,, physiologisches Individuum" ist ein recht schwerfälliger Ausdruck. Dazu kommt noch, daß es dem natürlichen Sprachgefühl wider- spricht, von einem Individuum zu sprechen, wenn man ein paar hundert einzelne Pflanzen meint. Vergeblich suchte ich aber nach einem kurzen treffenden deutschen Ausdruck. Shull (Science XXXV, 191 2) möchte die Bezeichnung Clone einführen, die er definiert als „.A group of indi- viduals traceable through asexual reproductions to a Single ancestral Zygote, or eise perpetually asexual". Vielleicht bürgert sich diese Bezeichnung mit der Zeit ein. Vorläufig möchte ich sie noch nicht brauchen. Für diese Arbeit genügt ein neu- trales deutsches Wort, das sich einschränkend definieren läßt. Ich spreche im folgenden einfach von Stämmen. Unter der Bezeichnung Stamm verstehe ich also die durch vegetative Ver- mehrung erhaltenen Nachkommen eines einzigen Individuums. Die F"ragestellung für die Versuche lautet nun : 1. Bleiben quantitative Unterschiede zwischen verschiedenen Stämmen erhalten auch bei vege- tativer Vermehrung und Kultur unter gleichen äußeren Bedingungen?. D. h. mit andern Worten : Läßt sich eine Population durch Selektion bei vegetativer Vermehrung in dauernd unterscheidbare Stämme zerlegen? 2. Ist Selektion nach Plus- und Minusvarianten innerhalb eines Stamines wirksam oder nicht ? Oder anders ausgedrückt : Vererben sich Modifikationen bei vegetativer Ver- mehrung? Zunächst handelte es sich darum, ein für solche Untersuchungen günstiges Untersuchungs- material zu finden. Ein solches glaube ich ge- funden zu haben in unserem gewöhnlichen Knob- lauch (Allium sativum L.). Eine sogenannte Knoblauchzwiebel besteht bekanntlich aus meist ziemlich zahlreichen „Brutzwiebeln", die einzeln ausgepflanzt, wieder eine zusammengesetzte Zwiebel ergeben. Dazu kommen zwei leicht exakt quan- titativ feststellbare, stark variable Eigenschaften : das Gewicht der Zwiebeln und die Anzahl ihrer Brutzwiebeln. Über die Anordnung der Versuche sei folgen- des mitgeteilt. Im Frühjahr 1910 wurden von 436 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xni. Nr. 28 10 Knoblauchzwiebeln verschiedener Größe (die schwerste wog 61, die leichteste 12 g; das Maxi- mum der Brutzwiebeln betrug 20, das Minimum 8 g) und verschiedener Herkunft die sämtlichen auf 0,1 g genau ausgewogenen Brutzwiebeln aus- gepflanzt. Im folgenden Winter wurden von jeder erhaltenen Zwiebel bestimmt: das Totalgewicht der sämtlichen aus den alten Hüllen herausge- schälten Brutzwiebeln und die Anzahl der Brut- zwiebeln. Dabei ergab sich, was von vornherein zu erwarten war: Aus den großen Brutzwiebeln erhielt ich größere Zwiebeln mit zahlreicheren Brutzwiebeln als aus den kleinen Brutzwiebeln. Die Erklärung dafür ist sehr einfach. Je größer die Brutzwiebel ist, mit der die neue Pflanze be- ginnt, um so kräftiger wird diese Pflanze, um so mehr organische Substanz wird sie zum Aufspeichern produzieren können. Für die weitere Untersuchung aber sagt dieses Resultat: Bei vergleichend enUnt ersuch un- gen dürfen nur aus Brutzwiebel 11 glei- chen Gewichts erhaltene Zwiebeln direkt miteinander verglichen werden. Im folgenden Frühjahr 191 1 wurde nun mit allen zehn Stämmen in der Weise weiter gearbeitet, daß je etwa von der Hälfte der Zwiebeln jedes Stammes 2 Brutzwiebeln von 2 g und 2 Brut- zwiebeln von I g Gewicht in gleicher Weise in ein möglichst ausgeglichenes Gartenbeet wie 1910 ausgepflanzt und auch sonst in gleicher Weise weiterbehandelt wurden. Jetzt ergaben sich ver- gleichbare Zahlen. 1912 und 1^13 wurde, um für die einzelnen Stämme größere Zahlen zu er- halten, nur noch mit 4 Stämmen und mit Brut- zwiebeln von 2 g Gewicht weitergearbeitet. (Das ganze Zahlenmaterial, auf das sich die folgenden Schlüsse stützen, findet sich in der erwähnten Publikation im St. Galler Jahrbuch.) Die wichtigsten Resultate meiner Unter- suchungen lassen sich folgendermaßen in Kürze zusammenfasse'n und erläutern : Als ich 191 1 die Stämme nach dem mittleren Gewicht der aus den Eingramm Brutzwiebeln er- haltenen Zwiebeln ordnete, ergaben sich für die in der Reihe unmittelbar aufeinanderfolgenden nur sehr kleine Difterenzen, die ihren mittleren F'ehler meist nicht überstiegen. Betrachtete man aber nur die beiden Extreme, so zeigle sich eine Maximaldifferenz von 4,217 ± 1,834 g. Ordnete ich sie in gleicher Weise nach dem mittleren Gewicht der aus den Zweigramm-Brutzwiebeln erhaltenen Zwiebeln, so erhielt ich im wesent- lichen die gleiche Reihenfolge. Die Differenz der beiden zitierten Stämme (sie mögen hier mit A und B bezeichnet werden) beträgt jetzt 6,727 ± 1,400 g. 191 2 beträgt diese Differenz A — B 4,066 ± 0,949 g, 191 3 4,238 ± 0,775 g. Wir haben also in den drei aufeinanderfolgen- den Jahren zwischen den beiden Stämmen A und B gleichsinnige, im Vergleich mit ihrem mittleren Fehler ziemlich große Differenzen. Mit anderen Worten: In drei aufeinanderfolgenden Jahren haben die Stämme A und B ihren Unterschied im Ge- wicht der aus Brutzwiebeln gleichen Gewichts erhaltenen Zwiebeln beibehalten. Dieser Unter- schied ist also vererbbar. Die beiden Stämme verhalten sich also zueinander wie zwei reine Linien bei sexueller Fortpflanzung. Die Versuche gaben, wenn auch etwas weniger scharf ausgeprägt, das gleiche Resultat für die Anzahl der Brutzwiebeln. Unsere hrage i. kann also für Allium sativum mit Ja beantwortet werden. Es seien hier für das Gewicht der beiden Stämme noch die Zahlen aufgeführt und zwar zunächst die absoluten Werte. Daneben stelle ich die zur Ausschaltung des „Einflusses des Jahr- gangs" jeweils auf das Mittel gleich 100 umge- rechneten Werte, die den in der F'ig i. gegebenen graphischen Darstellungen zugrunde liegen. Fig. 1. Mittleres Gewicht der Zwiebeln der Stämme A und B in den Jahren igii — 1913. A B Fig. 2. Selektion nach Plus- und Minusmodifikationen innerhalb der Stämme A und B. (Links jeweils Mutterzwiebeln, rechts Tochterzwiebeln.) Stamm A Stamm B absolut relativ absolut relativ QU 24,1 g 58,1 17.4 S 41,9 912 26,8 54 22,8 46 914 18,7 56,5 14.4 43.5 Wie verhält es sich nun init unserer Frage 2.f Ist Auslese innerhalb eines Stammes wirksam oder N. F. XIII. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 437 nicht? Schon die Versuche von 191 1 ergaben wichtige Anhaltspunkte. Damals wurden in jedem Stamm von mehreren Zwiebeln der Ernte 1910 Brutzwiebeln von i g Gewicht ausgepflanzt. Die Untersncbung der Ernte mußte dann sofort er- geben, ob ein Zusammenhang besteht zwischen Gewicht und Brutzwiebelzahl der Mutterzwiebeln einerseits und Gewicht und Brutzwiebelzahl der Tochterzwiebel andererseits. Das Resultat war in allen Stämmen durchaus negativ. Das Gewicht der Mutterzwiebel hat keinen Einfluß auf das Ge- wicht der Tochterzwiebel und das gleiche gilt für die Anzahl der Brutzwiebeln. Das mag für das Gewicht belegt werden mit den Zahlen der beiden Stämme A und B. Stamm A Stamm B Gewicht der Tochter- Mutter- Tochter Mutterzwiebel zwiebel zwiebel Zwiebel 16,8 15,3 30,4 12,9 13,1 20,1 27,2 12,9 11,2 18 25,7 16,3 6,9 12,7 23,6 11,9 — — 18,4 10,6 Das weist schon darauf hin, daß innerhalb eines Stammes die Selektion kaum wirksam sein dürfte. Erst die Versuche von 191 3 wurden wieder so angelegt, daß eine definitive Antwort auf unsere Frage 2. zu erwarten war. Die Ernte von 191 2 wurde in jedem der vier Stämme je in drei Gruppen geteilt: Schwerste, mittlere und leichteste Zwiebeln. Bei Aussaat und Ernte 19 13 wurden die drei Gruppen scharf auseinander gehalten. Das Resultat war in allen vier Stämmen genau gleichsinnig. Die großen Differenzen der beiden extremen Gruppen a und c bei den Mutterzwiebeln sind bei den Tochterzwiebeln vollständig verschwunden. Auch hierfür seien die Zahlen unserer Stämme A und B aufgeführt, und zwar wiederum die absoluten und die der graphischen Darstellung zugrunde liegenden relativen. Stamm A Mutterzwiebeln Tochterzwiebeln absolut relativ absolut relativ 29.5 g 56,0 17,4 g 48,6 23,2 44,0 18,4 51,4 — I — 2,8 Differenz -\-6,2 +12 Stamm B Mutterzwiebeln Tochterzwiebeln absolut relativ absolut relativ a 25,3 g 56,6 14 g 47,6 c 19,4 43,4 15,4 52,3 Differenz +5,9 +13,2 —1,4 —4,7 Mit Worten ausgedrückt: Selektion innerhalb eines Stammes erwies sich als vollständig wirkungs- los. Modifikationen vererben sich also bei vegetativer Vermehrung von Allium sativum nicht. So hätten wir unsere beiden Hauptfragen beant- wortet. Wir kommen zu dem Schluß, daß auch bei vegetativer Vermehrung die Unterscheidung zwi- schen Populationen und Stämmen notwendig ist und daß die Ergebnisse der Versuche über Vererbung in Populationen und in reinen Linien bei sexueller Fortpflan- zung auch Gültigkeit haben für vege- tative Vermehrung, soweit bis jetzt exakte Untersuchungen vorliegen. Damit erhält unser aus theoretischen Über- legungen hervorgegangener weiterer Schluß, daß zwischen der Vererbung bei sexueller und asexueller P"ortpflanzung keine prinzipielle X'erschiedenheit besteht, eine experimentelle Stütze. Endlich noch eine kurze Schlußbemerkung. Ich bin mir voll bewußt, daß vier Versuchsjahre noch eine etwas kurze Dauer vorstellen, und daß die Anzahl der Individuen jedes Stammes selbst 1913 mit 50 noch klein genannt werden muß. Zur absoluten Sicherstellung der Ergebnisse ist eine Fortsetzung der Versuche, womöglich in größerem Maßstabe, erforderlich. Das soll in den nächsten Jahre geschehen. Reflexion uud spektrale Zeii [Nachdruck verboten.] Sammelreferat von K, Das Dunkel, das über dem Wesen der Röntgen- strahlen geruht hat, ist durch die schönen Ver- suche von Laue, Friedrich und Knipping, über welche schon in dieser Zeitschrift berichtet wurde, gelichtet worden. Die Beugungs- und Interferenzerscheinungen , die die Strahlen beim Durchgang durch das Raumgitter eines Kristalls zeigen, beweisen , daß sie elektromagnetische Strahlen, also dem Lichte wesensgleich sind, daß sie ferner eine außerordentlich kurze Wellenlänge (etwa 0,01 — 1 fi/x) haben. Fast gleichzeitig ist zwei englischen Forschern, W. H. und W. L. BraggM (Vater und Sohn) der Nachweis ge- lungen, daß die R-Strahlen an der Oberfläche von egiing der ßöntgenstrahleii. . Schutt, Hamburg. Kristallen eine regelmäßige Reflexion*) er- leiden, die sich allerdings in wesentlichen Punkten von der des Lichtes unterscheidet, ferner daß man die Reflexion zur Bestimmung des Spektrums der Strahlen benutzen kann und daß man aus dem Spektrum wiederum wertvolle Schlüsse über die Anordnung der Moleküle in den Kristallen ziehen kann. Nach der schon von Bravais vor etwa 60 Jahren ausgesprochenen Theorie sind die Mole- küle in einem Kristalle ganz regelmäßig in einem *) Die Theorie nimmt eine Beugung an den Molekülen an, deren Ergebnis aber mit einer Reflexion identisch ist. 438 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 28 Raumgitter angeordnet: stellen wir uns einen Kochsalzwürfel viele Millionen mal vergrößert vor und nehmen wir nun an, daß wir senkrecht zu den Flächen in den Kristall hineinblicken, so sind die Moleküle stets ausgerichtet, sie liegen auf einer Geraden, stehen also auf Vordermann. Denkt man sich auf einer Würfelflache durch die Mitten der Moleküle die Parallelen zu den Seiten der Ouadratfläche gezogen, so wird dadurch die Würfel- fläche in lauter gleich große Quadrate zerlegt, in deren Ecken je ein Molekül sitzt. Man nennt eine solche mit Molekülen besetzte Plbene eine „Netzebene". Der Kristall baut sich aus äqui- distanten Netzebenen auf. Während die Laue- schen Versuche Aufschluß gaben , wie sich ein Bündel R- Strahlen beim senkrechten Auf- treffen auf die Netzebenen des Raumgitters (Ein- fallswinkel o") verhält, untersuchten die beiden englischen Forscher ein streifend (Einfallswinkel nahezu 90") auffallendes Bündel; sie fanden, daß es reflektiert wird. Abb. I. Man kann sich jede Netzebene des Kristalls als spiegelnde Fläche vorstellen : in Abb. i sind nur 2 nämlich Fj und F., gezeichnet, die etwa der Vorder- und I linterfläche einer planparallelen Glas- platte entsprechen. Die unter dem Winkel (p ein- fallenden Strahlen i und 2 werden zum Teil an Fj reflektiert, zum Teil dringen sie ein und wer- den an F"», F3 usw. zurückgeworfen. Fi Richtung 3 fallen mithin zwei Strahlen aus, die miteinander interferieren und sich verstärken oder schwächen je nach ihrem Ganguntcrsclüed a. a ist gleicii AB-|-BC — DC. Eine einfache Rechnung ergibt, daß a = 2d • cos ij ist, wo d der Abstand der Netzebenen ist. Die in Richtung 3 ausfallenden Strahlen zeigen maximale Intensität, wenn ihr Gangunterschied a ein ganzes Vielfaches n von / ist, da dann die beiden interferierenden Strahlen die gleiche Phase haben. Es ist demnach in allen den Richtungen verstärkte Helligkeit zu erwarten, für welche 2 d ■ cos 71 = n • / ist, wo n = i, 2, 3 usw. ist. Nehmen wir nun an, daß monochromatische Strahlen, die also nur die Wellenlänge /.„ entlialten, unter allmählich abnehmendem Einfallswinkel '/ auf die Kristallfläche fallen, so tritt das erste Maxi- mum für den Winkel '/j ein, wenn 2d-cos'/ = I )< ■^0' '^^^ zweite und dritte für den Winkel ( ^n resp. =^ 3 X ^(1 ist. Besteht das einfallende Strahlenbündel aus mehreren Wellenlängen, z. B. aus dreien A,, /„ und /,, (Aj ■ Ag f.,,), so wird zunächst bei großem Einfallswinkel die kleinste Wellenlänge /.j , dann bei etwas kleineren der Reihe nach '/.„ und A^ ver- stärkt, so daß demnach zu beiden Seiten des oben erwähnten , in Richtung r/j liegenden Maximum von /„ je ein Maximum von A, und A., liegt. Für alle drei Maxima ist der Gangunterschied I >; A, die drei Maxima bilden zusammen das Spektrum erster Ordnung. Ebenso liegen zu beiden Seiten des zweiten Maximums, das in Richtung (p^ hegt und das zur Wellenlänge A„ gehört, die Maxima von A, und /.,,. Der Gang- unterschied der Wellen , die diese drei Maxima durch Interferenz erzeugen , ist 2 X ^, sie bilden das Spektrum zweiter Ordnung. Auf dieselbe Weise entstehen bei weiterer Verkleinerung des Einfallswinkels Spektren höherer Ordnung, die aber sehr bald sehr lichtschwach werden. Man sieht, daß die Reflexion der Strahlen nach ganz ähnlichen Gesetzmäßigkeiten erfolgt, wie beispiels- weise die Reflexion des Lichts an der Vorder- und Hinterfläche einer Seifenlamelle (nur findet hier, da die Reflexionen einmal am dichteren und zweitens am dünneren Medium erfolgen, bei der einen eine Phasenverschiebung statt) oder wie die Spiegelung des Lichtes an den planparallelen Silberschichten einer Lippmann'schen farbigen Photographie. Die \' e rs u ch sa n o r d n u n g, mit welcher die beiden Bragg die Helligkeitsunterschiede in den reflektierten Strahlen feststellen konnten, war die folgende: Durch zwei schmale spaltartige Blei- blenden wird ein Strahlenbündel von einer Röntgen- röhre ausgeblendet, fällt auf die vertikale Fläche des Kristalls, der auf dem Tische eines Gonio- meters montiert ist, wird von dieser unter dem- selben Winkel reflektiert und fällt in eine mit Schwefeldioxyd gefüllte Ionisationskammer, die auf dem einen drehbaren Arm des Goniometers befestigt ist. Mittels eines Elektrometers wird die ionisierende Wirkung der reflektierten Strahlen gemessen; sie dient als Maß für ihre Intensität. Durch Drehen des Tischchens läßt sich der P^in- fallswinkel ändern und die, .Helligkeit" der unter ver- schiedenen Richtungen zurückgeworfenen Strahlen messen. In Abbildung 2 ist auf der horizontalen Achse der Einfalls-(Ausfalls-)winkel (p, auf der vertikalen die zugehörige Intensität der gespiegel- I ten Strahlen angegeben. Bei nahezu streifendem Einfall, also großem Winkel if, ist die Intensität beträchtlich (doch wird nur etwa '/js,,,, der die Kristallflächen treffenden Strahlen reflektiert); sie nimmt mit abnehmendem (/' schnell ab. Das | Spektrum der Strahlen ist kontinuierlich (die ge- ' strichelte Linie), darüber lagert sich ein diskon- tinuierliches Spektrum mit drei scharfen Maxima, N. F. XIII. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 439 denen je eine ganz bestimmte Wellenlänge (Ap A„ und L) entspricht. Bis zur 3. Ordnung war das Spektrum noch festzustellen. Die Lage der Maxima (die Winkel */) und mithin die Wellen- länge hängt vom Material der Antikathode ab, die" bei den ersten Bragg' sehen Versuchen aus Platin bestand. Die Maxima geben uns mithin Aufschluß über die charakteristische Röntgenstrahlung des Antikathoden- m e t a 1 1 s. 1 2 3 Ordnung V ^ 1 I 1 1 1 -^Ts /iv 90 80 70 60 ^jAflAo A, /li) ^, A , Aq (A;) < ^ *^ * -e — > Sangunrerschied 1 x/t 2 «d ixA Abb. 2. Als die Bragg' sehen Versuche bekannt wurden, glaubte man die Reflexions- und Inter- ferenzerscheinungen auf feine, im Glimmer wirklich vorhandene Spaltflächen zurückführen zu können '-). Doch ließ sich zeigen, daß dieselben Erscheinungen bei einer ganzen Reihe anderer Kristalle, wie NaCI, KCl, Pyrit, Diamant auftreten. Ein weiterer Beweis für die Richtigkeit liegt in folgendem: Die Richtungen, in denen die 3 Maxima der Wellenlänge /„ liegen, sind bestimmt durch die Gleichungen: jd-cosf/i = I -Aj, 2 d • cos fPi^ -• ^0 2d.cosberflächenbeschaffenheit in Betracht kommt. Eng \erknüpft mit der Geschwindigkeit der (3'-Strahlen ist ihre I-'ähigkeit, Gase zu ionisieren, Sekundärstrahlen zu erzeugen und Materie zu durchdringen. Der Nachweis einer Ionisation durch (J-Strahlen mißlang früher, da die Versuche bei zu hohem Gasdruck durchgeführt wurden, bei dem die durch die (J-Strahlen hervorgebrachte Wirkung im Vergleich zu dem lonisationsstrom der «-Strahlen unmerkbar ist. Es wurde nun zu- erst der lonisationsstrom mittels des Bragg'schen Apparates gemessen bei solchen Drucken, bei denen die «Strahlen allein zur Wirkung kommen. Hieraus wurde der durch die a-Strahlen erzeugte lonisationsstrom für die kleinsten Drucke berechnet und es ließen sich die Abweichungen, welche die bei kleinsten Drucken gemessenen Ströme von den bereclmeten zeigten, auf Ionisation durch eine leicht absorbierbare Strahlung zurückführen. Da der durch letztere erzeugte Strom im Magnetfelde etwas abnahm, so muß diese leicht absorbierbare Strahlung aus einem magnetisch nicht ablenkbaren und einem magnetisch ablenkbaren Teil bestehen, von denen der erste Teil als aus Atomen des Zerfallproduktes der benutzten radioaktiven Sub- stanz bestehend erkannt wurde, während der andere den an den Innenwänden des Rohres erzeugten (5-Strahlen seine Entstehung verdankt. Schnelle (5-Strahlen sind auch imstande, Sekundär- strahlen geringerer Geschwindigkeit auszu- lösen, und da schätzungsweise bei obigem loni- sationsversuch 'V^j der Sekundärstrahleu nicht durch die «-Strahlen, sondern durch jene schnellen (5-Strahlen erzeugt wurden, so sind einige Forscher der Ansicht, daß die Ionisation der Gase möglicher- weise nicht direkt durch c(-Strahlen, sondern durch Vermittlung von an den Gasmolekülen erzeugten (5-Strahlen stattfinde. Die D u rchd r i n gu n gs - fähigkeit der ()'-Strahlen ist keine sehr große. Die Grenze ihrer Durchdringungsfähigkeit ist er- reicht, wenn sie bei 760 mm Druck in Luft eine Strecke von 0,13 mm durchlaufen haben, was einer Aluminiumdicke von etwa 0,08 /t entspricht. Zahlreiche Untersuchungen galten der Zahl der ausgesandten (5-Strahlen in ihrer Ab- hängigkeit von den verschiedensten Größen. Ver- suche über die Abhängigkeit von der Geschwindig- keit der erzeugenden ((-Strahlen, bei verschiedenem Elektrodenmaterial bei den verschiedenartigsten Gasfüllungen und Drucken und im Vakuum lassen einen starken Einfluß der im Innern oder an der Oberfläche der aussendenden Elektrode okkludier- ten Gasmengen erkennen, so daß Bumstead zu dem Schluß kommt, daß möglicherweise die festen Körper überhaupt keine (5-Strahlen aussenden, sondern daß die ganze (5-Strahlung nur von nicht entfernbaren Resten anhaftender Gasschichten her- rühre. Sollten die (5 Strahlen also wirklich aus anhaftenden Gasschichten stammen, so würde die Ionisation eines Gases in der Weise vor sich gehen, daß die Elektronen aus den Gasmolekülen mit be- trächtlicher Anfangsgeschwindigkeit ausgeschleu- dert werden. Für die Anzahl cler pro «-Teilchen eine radioaktive Schicht verlassenden cl-Strahlen hat man gefunden, daß dieselbe um so kleiner ist, je dicker die aktive Schicht ist, infolge der großen Durchdringungsfähigkeit der «-Teilchen und der geringen der (5-Strahlen. Die Zahl liegt zwischen 60 und 125. Die Zahl der pro «-Teilchen austretenden Aufprall- und Austrittsstrahlen hängt sehr von der Geschwindigkeit der erzeugenden «-Strahlen ab, zwischen 7 und 17, und muß daher auch von dem mittleren Winkel abhängen, unter dem die «-Strahlen die Elektrodetioberfläche treffen, welche Abhängigkeit bei sekundären und primären /:?-Strahlen auch in der Tat gefunden ist. H. Schönborn. Völkerpsychologie. Die Anfänge von Kunst und Religion in der Urmenschheit behandelt Prof Dr. H. Klaatsch in der ihm eigenen geistvollen Weise in einer eben im Verlag Unesma zu Leipzig erschienenen Schrift. ') Die ältesten Bewohner Europas, die einen auffällig hohen Kunstsinn ver- raten, waren paläolithische Jäger, die sonst nach unseren heutigen Begriffen sehr wenig Kultur be- saßen, nämlich die Menschen vom „Aurignactypus". In den von ihnen hinterlassenen Schnitzereien aus Knochen, Einritzungen, sowie Malereien von Tieren auf Felswänden, die man vorzugsweise in Spanien und Südfrankreich fand, kommt eine Naturtreue zum Ausdruck, die in späteren Perioden vergeb- lich gesucht wird; Man muß einen Zeitraum von mindestens zwanzigtausend Jahren überspringen, vom Ende der Eiszeit bis zur Entfaltung myke- nischer und hellenischer Kunst, um wieder auf jenen großen Zug in Malerei und Plastik zu stoßen, der den ,, geborenen" Künstler kennzeichnet. Bemerkenswert ist ferner, daß den Zeitgenossen der Aurignacmenschen, den Neandertalern, jeder Kunstsinn mangelte; man hat in ihrem Kultur- 63 S. mit 30 Abb. Preis 2 Mk. 442 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 28 inventar bisher gar nichts gefunden, was auf faltung nicht der von Malerei zur Skulptur ge- künstlerische Betätigung hinwiese. wesen sein dürfte , sondern daß umgekehrt das Die Schichten des Aurignacien lassen eine scheinbar kompliziertere, die plastische Form- deutliche Gliederung in einen unteren, mittleren gebung, älter ist als flächenhafte Darstellung, und oberen Horizont unterscheiden. Die älteste I'^rner lenkt die Tatsache, daß nicht tierische, Schicht enthält neben schön bearbeiteten Werk- sondern mcnscliliche Körper das älteste Objekt Abb. 1. Skulpturen und Einritzungen der Aurignacmensclicn. (Aus Klaatsch, Die .Anfänge von Kunst usw., Verlag Unesma, Leipzig.) Abb. 2. Aurignacienkunst. Speerwerfer mit Raubtierkopf und Geweihstück worauf der Kopf eines Huftieres graviert ist. (Aus Klaatsch, Die .Knfänge von Kunst usw., Verlag Unesma, Leipzig.) zeugen und Geräten Schnitzereien aus Knochen, die den weiblichen Körper darstellen. Wohl kommen solche auch in den späteren Horizonten vor, aber in den früheren sind sie allein da ohne Begleitung von Tierdarstellungen — Skulptur allein und noch nichts von Malerei. Diese Er- scheinung hält K. für sehr beachtenswert ; Sie be- lehrt uns darüber, daß der Gang der Kunstent- ■\bb. 3. Aurignacienkunst. Farbige Halbreliefdarstellung eines Wisent mit Benutzung eines Felsvorsprungs. (Aus Klaatsch, Die Anfänge von Kunst usw., Verlag Unesma, Leipzig.) Abb. 4. Farbige Tierdarstellungen der Aurignacmenschen. (Aus Klaatsch, Die Anfänge der Kunst usw., Verlag Unesma, Leipzig.) künstlerischer Darstellung gewesen zu sein scheinen, unsere Aufmerksamkeit darauf, daß möglicher- weise die älteste Betätigung des Triebes, Dinge, die die Phantasie beschäftigen , mit Händen zu formen, mit dem Sexualtrieb in genetischen Zu- sammenhang zu bringen ist. Das frühe Auftreten menschlicher Figuren ist um so erstaunlicher, als späterhin die Darstellung solcher keinen wesent- lichen P'orlschritt macht und gegen die Tierbilder entschieden zurückbleibt. Die Darstellungen von Tieren an den Wänden von Grotten sind oft dem beschränkten Raum in merkwürdig geschickter Weise angepaßt, freilich N. F. XIII. Nr. 2S Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 443 ist dabei vielfach der Darstellung von Einzelheiten Zwang angetan, wie z. B. den Zähnen und dem Rüssel des Mammuts, dem Geweih der Huftiere usw., aber gerade in dieser Kinschachtelung liegt ein Beweis für künstlerischen Scharfsinn. Es ist sehr schwer verständlich , wie die Künstler jener Zeit mit einfachen Steininstrumenten solche Wunder- werke herstellen konnten; besonders erstaunlich ist, daß man keine Fehlgriffe findet, die ja gar nicht wieder gut gemacht werden konnten. Zu bedenken ist überdies, daß in diese unterirdischen Stätten künstlerischen Schaffens nie ein Sonnen- strahl fiel, daß die Leute bei künstlicher Beleuch- tung zu arbeiten hatten. Bei den Darstellungen an den Felswänden wurden zwei auch lokal gesonderte Methoden an- gewendet : nämlich erstens einfache Einritzung ohne Bedacht auf natürliches Relief und ohne Farbengebung; und zweitens die Kombination der Umrißzeichnung mit Malerei auf P'elsvorsprüngen. Was mag nun aber der Ansporn gewesen sein, der die Aurignacmenschen zu ihren Kunst- leistungen trieb? Klaatsch verweist darauf, daß die sonst nicht sehr kunstsinnigen Neger Tier- figuren herstellen, um durch sie Zaubereinfluß auf bestimmte Jagdbeute zu gewinnen. Ähnliche Regungen können gewiß auch die Eiszeitmenschen Europas beherrscht haben. Mit ihren Venus- statuetten und Tierbildern strebten sie etwas zu beherrschen, zu gewinnen; in beiden Fällen han- delt es sich um eine Jagd, nur die Art der Beute ist verschieden. Die Grundidee, um die es sich hier handelt , ist dieselbe wie bei der „Fern- zauberei" lebender primitiver Völker. Es ist auch möglich, daß die europäischen Steinzeitmenschen, gleich den Australiern, an eine direkte Verwandt- schaft zwischen Menschen und Tieren, an das Stattfinden einer Seelenwanderung, glaubten. Bei den Australiern geht dieser Glaube auf ihre Un- fähigkeit zurück , die Entstehung des Menschen zu erklären. Sie meinen, das Kind dringe in den Körper der Mutter ein, kurz bevor seine ersten Bewegungen verspürt werden. Aber woher kommt es? Von irgendeinem Tier, das sich zufällig in der Nähe befindet. Auf diese Weise wäre die Tierverehrung und die Vorliebe für Darstellung von lierkörpern seitens der Aurignacmenschen ebenfalls zu erklären, obzwar es schwer sein wird, den Nachweis zu führen, daß bei ihnen tatsäch- lich ein dem australischen ähnlicher Seelen- wanderungsglaube bestand. Auf jeden Fall aber spielt die Furcht vor umher- wandernden Seelen bei primitiven Menschen eine große Rolle. Wer im Leben als großer Krieger ge- fürchtet war, bleibt es auch nach dem Tode. Das ist noch nicht Ahnenkultus (denn es mangelt das Bestre- ben, den Toten versöhnlich zu stimmen), sondern einfach reale Furcht vor Schädigungen, die von dem Tolen ausgehen könnten; denn das der Tod ein Ende ist, begreift der Wilde nicht, er stellt ihn vielmehr mit dem Schlaf auf eine Stufe. Wegen seiner Unfähigkeit, sich komplizierte Vorstellungen über sog. übernatürliche Kräfte zu machen, hält der Wilde ferner jedes Naturereignis für die I''olge menschlicher Wirkung, und die h'urcht vor dem Einfluß des mächtigen Mannes — des lebenden wie des toten — darf man als Vorstufe der Gottesfurcht der höheren Religionssysteme be- trachten. Je nach der Macht , die ein Krieger, Zauberer usw. im Leben besaß, wird die Furcht- enipfindung, die er hinterläßt, kürzer oder länger andauern. Je länger sich die Erinnerung an je- mand und die Furcht vor ihm hält, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit der Vergöttlichung. Klaatsch legt das Hauptgewicht seiner l^rklä- rung darauf, daß das Persönliche als das älteste und primitivste am Gottesbegrift' erscheint , wäh- rend früher allgemein darin die mühsam erklom- mene höchste Stufe der Gotteserkenntnis erblickt wurde. Durch Herstellung von Götzenbildern suchen die primitiven Menschen auf die gefürchteten Verstorbenen geradeso einzuwirken, wie auf Tiere durch Tierbilder. Es ist sehr interessant, sagt Klaatsch, wie der alttestamentarische Gott gegen die Anfertigung von Bildnissen eifert. Durch solche würde ja der Mensch Einfluß auf seinen Gott gewinnen können. Ganz leicht verständlich wird uns auch die Verehrung von Tieren nach allem, was Klaatsch über den Totemismus vor- bringt. Man wird geradezu an die Gemälde- grotten der Aurignacmenschen mit den Stieren und Wisents erinnert, wenn man an die vielfache göttliche Verehrung gerade stierähnlicher Wesen bei den ältesten Kulturvölkern denkt. Es ist immerhin möglich, daß bereits bei den Gemälde- grotten auch die Anfänge solcher Tiervergötterung in Frage kommen. Wie schon aus den hier angeführten Beispielen hervorgeht, ist Klaatsch 's Schrift an neuen Gedanken und Anregungen über Probleme der Völkerpsychologie ungemein reich. H. Fehllnger. Mineralogie. Mit den Namen Custerit be- legen J. B. Umpleby, W. T. Schall er und E. S. Larsen in Washington ein neues kontakt- metamorphes Mineral, das der erstgenannte Autor in einem großen Kalkeinschluß südwestlich von Mackay, Custer County, Idaho, gefunden hat (Zeilschr. f Krist. u. Mineral, Bd. 53, 1914, H. 4). Der Custerit tritt in feinkörnigen Massen auf, die leicht für grünlichen Marmor gehalten werden können. Auf verwitterten Oberflächen ist eine hauptsächlich aus Karbonat bestehende kreidige Kruste nicht selten. Die Härte ist ungefähr 5 ; die Dichte = 2,91; Glanz: fettig bis glasartig; Strich weiß; Farbe: grünlichgrau, spröde, durch- scheinend. Das Mineral hat drei Spaltrichtungcn, die sich nahezu rechtwinklig schneiden. Parallel zu einer Spaltungsrichtung, der vollkommensten, ist polysynthetische Zwillingsbildung sehr schön ausgebildet. Die Doppelbrechung ist gering. Im geschlossenen Rohr gelinde erhitzt, wird der Custerit vorübergehend gelb und phospho- 444 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xni. Nr. 28 resziert mit goldgelbem Licht. Im verdunkelten Zimmer gleicht die Piiosphoreszenzfarbe der eines tief goldgelb gefärbten Berylls. Bei zunehmender Temperatur wird die Phosphoreszenz zerstört und Wasser abgegeben. Das Mineral dekrepitiert dabei nicht. Wenn man schließlich das Mineral bis zum Schmelzen des Rohres erhitzt, erhält man einen weißen Ring, der von Fluordämpfen herrührt. Vor dem Lötrohr schmilzt Custerit nur schwer zu einer trüben, weißen, Emaille. Von Säuren wird er leicht zersetzt, mit HCl befeuchtet, scheidet sich gallertartige Kieselsäure ab. Das Mittel aus zwei Analysen ist folgendes: SiO., CaÖ H„0 F = MgO = Fe^O, = 102,89 Überschuß von O wegen F = — 3,42 99,47 Aus dieser Analyse leiten die Verfasser folgende Strukturformel ab CaOH = 3^-17 = 55,11 = 5.30 = 8,12 = 1,19 1,00 Si03< CaF Es ist nicht anzunehmen, daß der Custerit ein weitverbreitetes Mineral ist, denn seine optischen Eigenschaften sind so charakteristisch, daß er wohl kaum übersehen worden wäre. In den Hand- stücken sieht er jedoch so wenig auffallend aus, daß bisher vielleicht Dünnschliffe noch nie her- gestellt worden sind. Jedenfalls müßte man das Mineral in fluorhaltigen Kontaktzonen besonders gegen den Rand der metamorphischen Bildungen hin suchen. V. H. Zoologie. H. Ch. Bryandt behandelt in einer gründlichen Arbeit (University of California publications in zoology) die Frage nach dem Nutzen und Schaden der westlichen Wiesenlerche (Stur- nella neglecta), eines Vogels, der in dem west- lichen Teile der Vereinigten Staaten etwa die ökonomische Bedeutung hat wie bei uns der Star. Er geht dabei in ähnlicher Weise zu Werke, wie Kör ig in seinen grundlegenden Untersuchungen über die Nahrung unserer einheimischen Vögel. Veranlaßt wurde der Verfasser zu seiner Studie durch die California Fish and Game Com- mission, von welcher evtl. die Aufhebung der Gesetze zum Schutze gewisser Vögel, u. a. der Wiesenlerche, geplant wurde. Diese Vögel schaden gerade zur Zeit des keimenden Getreides; es wurden daher Untersuchungen über die Verdauungszeiten und die Art und Menge der Nahrung angestellt und ca. 2000 Magenuntersuchungen angestellt. Die Größe des Schadens ist abhängig von der Zahl der Vögel und davon, wie tief die Saat liegt. Junge Vögel werden mit Insekten gefüttert. Als Verdauungszeit für Körner ergaben sich 4 — 6, für Insekten 3 — 4 Stunden. Der Nahrungsbedarf stellt sich pro Jahr auf 63,3 "/q animalische und 36,7 "/„ vegetabilische Nahrung. Das Maximum der Körner- nahrung fiel in die Monate November, Dezember, Januar, der Insektennahrung auf den Frühling und ■Sommer. Bei abnormem Auftreten der hisekten vergrößert sich auch die Aufnahme animalischer Nahrung. Alles in allem verdient die VN'iesenlerche Schonung, da sie mehr Nutzen wie Schaden bringt. Die Saat könnte man durch Tieferlegen schützen. Als Nebenergebnisse seiner Untersuchungen fand Bryandt noch folgendes: Die Schutzvorrichtungen der Insekten, wie Stachel, schädliche Ausscheidun- gen, Haare usw. sind als schützende h'aktoren gegenüber den Angriffen von Vögeln überschätzt worden. Bei den Coccinelidcn (Blattlauskäfern) scheinen aber die Ausscheidungen derart übel zu wirken, daß die Käfer von den Vögeln nicht gefressen werden. Im übrigen beeinflußt der Nährwert der Insekten zumeist die Nahrungsgewohnheiten der Vögel. Insekten mit Schutzfärbung im Ruhe- zustande werden von Vögeln und anderen Feinden entdeckt, sobald sie sich bewegen. Ein Insekt außerhalb seines gewöhnlichen Wohnorts wird leicht entdeckt. Beides erklärt das Vorkommen von Insekten mit Schutzfärbung unter der Nahrung der Wiesenlerche. Der 115 Seiten umfassenden Abhandlung sind noch ein Literaturverzeichnis, das bez. der deutschen Literatur indes auf Voll- ständigkeit keinen Anspruch machen kann, sowie vier Tafeln beigegeben. Letztere veranschaulichen zumeist den Mageninhalt pflanzlicher oder anima- lischer Provenienz. Dr. Koepert. Astronomie. Die Beziehungen zwischen Farbe, Spektrum und Parallaxe der Fixsterne hat Nashan untersucht (.Astr. Nachr. Nr. 4722). Da der Mangel an genügend vielen und gut bestimmten Parallaxen immer bei solchen Aufgaben eine sehr fühlbare Rolle spielt, so ist das Material nicht sehr reichhaltig, aber doch ausreichend , so daß loi Sterne benutzt werden konnten. Daß sich die roten und weißen Sterne am Himmel gesetz- mäßig verteilen, war schon bekannt, und zwar in bezug auf die Milchstraße. Hier sind 12 weiße Sterne, 48 gelbe und 41 rote Sterne verarbeitet worden. Es zeigt sich zunächst, daß die Anzahl der Sterne von weißer Farbe um so größer ist, je weitere Entfernungen vorkommen. Die roten Sterne verhalten sich umgekehrt, sie stehen ver- hältnismäßig nahe. Für die gelben Sterne ist ein solcher Satz nicht auszusprechen. Nun ist be- kannt, daß die Reihe der Spektralklassen der Farbenreihe parallel läuft, so daß also die Gesetz- mäßigkeit zwischen Spektrum und P'arbe und die zwischen F'arbe und Parallaxe auch eine zwischen Spektrum und Parallaxe hervorrufen muß. Das hier zur Verfügung stehende Material ist reicher, es umfaßt 246 Sterne. Auch hier wird das kos- mologisch wichtige Verhältnis festgestellt, daß die relative Anzahl der weißen Sterne und die Spektral- tyjien B und A nach Picke ring mit wachsen- der Parallaxe abnimmt, während die Relativzahl N. F. Xin. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 445 der roten, Typ K und M mit steigender Parallaxe wächst. ' l^iem. Eine bisher unbekannte Form von Stern- schnuppen hat Ho ff meist er mehrfach be- obachtet 7Astr. Nachr. Nr. 4733), die in der Literatur nicht beschrieben werden. Das Meteor besteht aus einem mehrere Grad langen schweif- artigen Streifen, der sich in seiner Längsrichtung fortbewegt, ohne daß ein helleres Kopfstück zu sehen ist. Die Bewegung ist langsam und lang- dauernd. Ein Meteor dieser Art dauerte 4 Se- kunden und war von rötlicher F'arbe. Es blieb schließlich in der Luft stehen, verlor seine Farbe und verlosch wie ein gewöhnlicher Meteorschweif, indem die rötliche Farbe in ein mattes Silbergrau überging. Da die Meteore diese Gestalt schon vom Moment des Aufleuchtens an besitzen, so kann sie nicht eine Folge des Widerstandes der Luft sein. Der Beobachter glaubt, daß es sich hier um staubförmige Massen, also Siaubmeteore handelt, die schon in diesem Zustande in die Atmosphäre eindringen. Sie sind sehr selten, unter 5600 beobachteten Meteoren nur 4 dieser Art. Aufmerksame Beobachtungen auch von anderer Seite sind wünschenswert. Riem. Meteorologie. Über Aufgaben und Probleme der meteorologischen I""orschung in der Antarktis spricht Wilhelm Meinardus in der Geogr. Ztschr. (Bd. 20, 19 14, H. i). Die bisherigen meteorologischen Beobachtungen aus der Antarktis rühren her von festen Stationen, Schlittenreisen und Eistriften, daneben auch Ballon- und Drachenaufstiegen. Besonders der „Deutschen Antarktischen Expedition" unter Filchner ge- langen im Weddellmeer 255 Aufstiege von Drachen und Ballons. Aus allen diesen Beobachtungen ist es möglich, allgemeine Schlüsse zu ziehen. Für die Te m pera t u r verte il u ng im Süd- polargebict ist die niedrige S o m m e r t e ni p e r a - tur kennzeichnend. Schon die mittlere Temperatur des wärmsten Monats liegt am Rande der Antark- tis fast überall unter o". Die Isotherme von 0° fällt ungefähr mit dem südlichen Polarkreise zusammen. Im Nordpolargebict, das ungleich günstiger gestellt ist, liegt die eben bezeichnete Linie jenseits 85" Nord. Je weiter nach Süden im inneren Südpolargebiet, desto mehr sinkt die Temperatur. Wenn auch das Innere mehr als 3000 m hoch liegt, so können dadurch doch nicht Sommertemperaturen von — 50" erklärt werden. Die Ursache für diese Erscheinung ist noch zu finden! Die Wintertemperatur ist recht gleichmäßig. Ganz im Gegensatz zur nördlichen Halbkugel erscheint die Temperaturkurve hier abgeflacht. Auch in dem Verhalten einzelner Stationen ergeben sich ganz überraschende Ab- weichungen. Amundscn's Framheim und die englische Station am Mac MurcoSund unter der- selben Breite im Meeresniveau zeigen einen Unter- schied der Jahresmitte von /^a"- Auch die Lage des Kältepols, der vielleicht exzentrisch nach dem Indischen Ozean liegt, ist noch zu bestimmen. Luftdruck und W i n d v e r t e i 1 u n g weisen im Südpolargebiet im allgemeinen die theoretisch erwarteten Züge auf. Aus den Windverhältnissen konnte man schließen, daß das Südpolargebiet zwischen 60" und 70" Breite von einer F'urche niederen Druckes durchzogen wird, die man als subantarktische Windscheide bezeichnen kann. Die Ostwinde südlich davon hielt man früher für antarktischen Lirsprungs, aber sie sind feucht und warm. Sie tragen zyklonalen Charakter, ihr Ursprungsgebiet ist der südliche Indische Ozean. Die Subantarktische Luftdruckfurche gilt als Zug- straße für Depressionen, die in der Richtung des Uhrzeigers das Südpolargebiet umkreisen. Die Ostwinde an der Südseite dieser Depressionen kommen aus wärmeren Gegenden und vom Meere her, wodurch sich ihre Eigenschaften erklären. Der Mechanismus dieser Depressionen ist zwar viel verwickelter, als man früher annahm — L'm- bildungen der Tief- und Hochdruckgebiete finden auch hier in buntem Wechsel statt. Eine Frage, die noch gelöst werden muß, ist die der großen Konstanz der Ostwinde. So wehten sie in der Winterstation der „Gauß" fast ununterbrochen. Die Niederschläge im Südpolargebiet fallen fast nur als Schnee. Lls ist deshalb schwer, einen genauen Wert der Niedersclilagsmenge zu finden. \IVenn die Ostwinde zyklonalen Charakter haben, so ist es wahrscheinlich, daß sie besonders nieder- schlagsreich sind. An der Grenze zwischen zyklo- nalem und antizyklonalem Gebiet findet die Nieder- schlagsbildung infolge der Abkühlung meist als Schnee statt. An der „Gauß Station" beträgt die Niederschlagshöhe wahrscheinlich mehr als 800 mm im Jahr; dagegen ist sie kleiner im Weddellmeere, da hier trockene Südwestwinde vorherrschen, die aus dem Inneren kommen. Von großer Bedeutung sind diese Unter- suchungen für die Frage: durch welche meteorologischen Verhältnisse wird die Ernährung des Inlandeises bewirkt? Aus der inneren Antarktis findet ein beständiger Abfluß von Eis statt. Daraus muß geschlossen werden, daß die Niederschlagsmenge im Ganzen größer ist als die Verdunstung. So muß durch Luftströmungen eine entsprechende Zufuhr von Wasserdampf stattfinden. Um diese zu erklären, müssen wir auf die Frage eingehen: wie ist die Luftdruckverteilung in höherem Niveau? Das Randgebiet der Antarktis steht unter zykloiialer Luftbewegung, die antarktische Antizyklone könnte also nur die inneren Teile einnehmen. Dann ist es aber schwierig, die Schnee- bedeckung des Inneren zu erklären. Diese Über- legung führte Meinardus zu einer Revision der Ansicht, daß die Antarktis von einer Antizyklone bedeckt wäre, die nur im Meeresniveau in Er- scheinung tritt. Wegen der niedrigen Temperatur des Kontinents muß oberhalb eines gewissen 446 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 28 Niveaus der Luftdruck niedriger sein als in seiner Umgebung. Über der unteren Antizyklone liegt also eine Zyklone, der Polarwirbel, der über 2000 m seinen Anfang nimmt. Der südpolare Kontinent läßt nur einen Teil der Antizyklone und der östlichen Winde in Erscheinung treten und ragt selbst in das Gebiet der Zyklone und der westlichen Winde hinein. In Ostantarktis, wo das Land steil ansteigt, ist das Gebiet der Ostwinde am kleinsten, im Roßmeere am aus- gedehntesten. Im Bereich des obei'en Polarwirbels findet nun ein Zuströmen von Luft und Wasser- dampf in die Antarktis statt. Diese Auffassung, die durch mehrere Figuren erläutert wird, daß die Landmassen des Südpolargebietes in das Gebiet der oberen Zyklone emporragen, löst die Schwierig- keiten der Erklärung der zentralen Eisbedeckung leiciit. Im einzelnen muß die zukünftige P'orschung diese H)'pothese weiter begründen, die auch wichtig erscheint für die Erklärung der Inlandeisdecken von Nordeuropa und Kanada während der dilu- vialen Eiszeit. Dr. G. Hornig. Bücherbesprechimgen. A. Li. Hughes, Phot o -Elec trici ty. Cam- bridge, Universiiy Pres, 19 14. Das Buch erhebt den Anspruch auf Vollstän- digkeit in seinem Gebiete; es will den gegen- wärtigen Stand der photoelektrischen Forschung darstellen. Das ist auch zweifellos erreicht bei dem ersten wesentlichen Teile, der sich auf die lonisationserscheinungcn bezieht, die Licht in Gasen hervorruft. Auch die IMessungen der Ge- schwindigkeit der Photoelektronen sind wohl voll- ständig da. .Aber das Kajjitel über den selektiven Photoeffekt, der doch augenblicklich im Vorder- grund des Interesses steht, mit seinen schönen Aufschlüssen über die Eigenschwingungen der Moleküle und seinen ungeheuer weittragenden Beziehungen zur Thermodynamik usw., kommt recht stiefmütterlich weg. Bräuer. H. Wölbling, Die Bestimm ungsmethoden des Arsens, Antimons und Zinns und ihre Trennung von den anderen Ele- menten (Bd. XVII und XVIII der von B. M. Margosches herausgegebenen Sammlung ,,Die chemische Analyse"). Gr. 8", 377 Seiten mit 39 -Abbildungen im Text. Stuttgart 1914, V^er- lag von Ferdinand Enke. — Preis geheftet 13 Mk , gebunden 13,80 Mk. Das vorliegende Werk, zu dem der Verfasser nicht nur die zurzeit vorliegende Literatur zu- sammengetragen, sondern auch mancherlei eigene Erfahrungen beigesteuert hat, wendet sich, der Tendenz der ganzen Sammlung entsprechend, in erster IJnie an die Analytiker von Fach. Nur der Fachmann wird die P'ülie der in ihm enthaltenen Einzelheiten zu würdigen und nach den jeweiligen Anforderungen, die die Praxis an ihn stellt, aus- zunutzen verstehen, während der weniger Ge- wandte eher Gefahr läuft, von ihr erdrückt zu werden. Die in dem Buch enthaltenen .Angaben sind, wie ja bei dem fast ausschließlich analytisch tätigen Verfasser nicht anders zu erwarten ist, sachgemäß und klar dargelegt, und so scheint das Werk wohl geeignet, die Aufgabe zu erfüllen, die ihm im Rahmen der Sammlung zugefallen ist. Clausthal i. M. Werner Mecklenburg. Geologische Karte von Preußen und benach- barten Bundesstaaten. Herausgegeben von der Königlich Preußischen Geologischen Landes- anstalt. Lieferung 188. Wriedel, Eimke, Unter- lüß. Berlin 191 J— 191 3. — Preis 6 Mk. Die Lieferung umfaßt einen Ausschnitt aus dem Gebiet der Zentralheide westlich der Bahnstrecke Ülzen — Lüneburg und gehört der äußersten Zone an, bis zu welcher das Landeis der letzten Ver- gletscherung in die Lüneburger Heide vordrang. Von hohem Interesse ist die diluviale Hydrographie des Gebietes, die zwei Hauptphasen der glazialen Entwässerung unterscheiden läßt: in der ersten geschah sie vollständig in südlicher Richtung durch das Talnetz der Ortze zum Allerurstromtal, in der zweiten konnte sich ein Teil der Schmelzwasser, die den toten, schwimmenden Eisschollen des Ge- l)ietes entströmten, unter vorübergehender Bildung von Eisstauen nordwärts zu dem inzwischen vom Eise ausgekehrten Eibtal einen Weg bahnen. Von altern Diluvialbildungen, die im Gebiet auf- geschlossen sind und studiert werden konnten, sind namentlich die interglazialen Süßwassermergel und die interglaziale Kieselgur zu neiuien. Lieferung 177. Zu beziehen durch die Ver- triebsstelle, Berlin N 4, Invalidenstraße 44, zum Preise von 10 Mk. für die ganze Lieferung, von 2 Mk. für das einzelne Blatt. Blatt Calbe a. S. | Blatt Staßfurt J bearbeitet von K. Keil hack. Blatt Güsten ) Blatt Nienburg ( bearbeitet von K. Keil hack Blatt Bernburg ) und B. Damm er. Die Lieferung umfaßt das Gebiet zwischen dem nordöstlichen Harzrande und der Elbe und gehört in ihrer ganzen Ausdehnung jener frucht- baren Lößlandschaft an, deren nördlicher Teil unter dem Namen der Magdeburger Börde bekannt ist. An seinem .Aufbau beteiligen sich die Formationen vom Oberrotliegenden bis zum Mittleren Keuper lückenlos; vom Tertiär finden sich Eocän, Unter- und Mitteloligocän, vom Quartär Vertreter aller drei Eiszeiten und jugendliche Bildungen der heutigen Gewässer. Die glazialen .Ablagerungen gehören ausschließ- lich der vorletzten Eiszeit an, jungglaziales Alter N. F. Xni. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 447 besitzen nur der Löß und die Talsande der Elb- talterrassen. Die Tektonik dieses Gebietes ist verhältnis- mäßig einfach. Die gesamte 2000 m mächtige Schichtenfolge permo-triassischcn Alters bildet ein System flacher Mulden und Sättel, die teils von SO nach NW teils von O nach W streichen. Die Einfachheit dieses Baues erfährt eine Beeinträch- tigung durch die Herausbildung steil aufgerichteter, schmaler Sättel, in deren Kern die Zechsteinsalze emporgepreßtsind, und sodann durch Verwerfungen, die den Faltenbau teils im Streichen, teils spieß- eckig durchsetzen. Unter den vier in unserm Ge- biet auftretenden Zeclisteinsätteln ist der seit alters- her bekannte Staßfurter Rogensteinsattel der längste. Vom Ascherslebener Sattel fällt nur ein kurzes Stück in unser Blatt; der Calber Sattel er- scheint nicht an der Oberfläche und der Beesen- laublinger Sattel nur in einer domförmigen Auf- wölbung von Zechsteingips. Unter den Verwerfungen, von denen die Sättel selbst nicht betroffen zu sein scheinen, spielen die Grabenbrüche eine wichtige Rolle. Sie verlaufen im allgemeinen den Sätteln parallel und enthalten in sich die einzigen heute noch vorhandenen Ab- lagerungen des Keupers, in den dann wiederum in Spezialgräben Streifen von Tertiär eingesenkt sind. Die Lagerungsbeziehungen des Tertiär zu den Verwerfungen lassen erkennen, daß ein Teil der Störungen voreocän, wahrscheinlich cretaceisch, ein anderer Teil postmitteloligocän, wahrscheinlich miocän ist. Im bodenkundlichen Teil der Erläuterungen ist insofern eine Neuerung eingeführt, als die sämt- lichen mechanischen und chemischen Analysen zu Tabellen zusammengestellt und in den Text ein- gearbeitet sind. Im bergbaulichen Teil werden einerseits die Braunkohlen, anderseits die Salzablagerungen be- handelt. In der Kartendarstellung sind zum erstenmal in größtem Umfang die Untergrundverhältnisse berücksichtigt. Zunächst sind alle unter dem Löß auftretenden Schichten, mit Ausnahme weniger Gebiete, in denen seine IVIächtigkeit 4 — 5 m über- schreitet, durch farbige SchrafTen, Punkte, Ringe oder Balken, letztere im Tertiär und Mesozoikum dargestellt. Außerdem sind die unterirdischen Grenzen der einzelnen P'ormationen und ihrer wichtigeren Stufen durch breite farbige Linien be- zeichnet. Farbige Profile am unteren Kartenrande stellen die Lagerungsverhältnisse eines bis 2000 m mäch- tigen Schichtenkomplexes dar, und lassen beson- ders die verschiedenartigen Lagerungsverhähnisse des Salzgebirges überaus klar erkennen. Alle künstlichen Aufschlüsse der einzelnen Blätter sind in der Karte numeriert und diese Zahlen entsprechen kurz gehaltenen Aufschluß- beschreibungen in der Erläuterung. Hierdurch wird das Studium der Aufschlüsse in der Natur erleichtert. Vanino, Prof. Dr. L., Handbuch der präpa- rativen Chemie, ein Hilfsbuch für das Arbeiten im chemischen Laboratorium, unter Mitwirkung verschiedener Fachgenossen. I. Band: Anorganischer Teil; mit 82 Abbil- dungen. Stuttgart 191 3, Verlag von Ferdinand Enke. Der nahezu 760 Seiten umfassende I. Band des Werkes behandelt eingehend die Darstellungs- methoden der anorganischen Präparate. Das Werk ist nicht wie z. B. Gattermann „Methoden des organischen Chemikers" in erster Linie ein Lehr- buch, sondern in ihm wird jeder Chemiker, sei es in wissenschaftlicher oder in technischer Praxis, eine große Unterstützung und Erleichterung für viele präparative Arbeiten finden. Daher hat Verf. fast ausschließlich die Herstellungsmethoden der anorganischen Präparate beschrieben, während er über die Eigenschaften und das Aussehen der Präparate nur das Wichtigste gesagt hat. Nicht erwähnt sind einerseits Präparate, die in der Groß- industrie billig hergestellt werden, andererseits solche, die zu spezieller Art sind. Aber von sämtlichen billigen Präparaten der Großindustrie sind eingehend die speziellen Reinigungs- und Prüfungsmethoden behandelt. Auch finden wir in dem Werke viele gründlich geprüfte Literatur- angaben, wodurch es Spezialinteressenten möglich ist, über ein bestimmtes Präparat und dessen Pligenschaften usw. Ausführlicheres zu finden. Im Anhang gibt uns der Herausgeber in klarer, kurzer und übersichtlicher Form Ratschläge und Hilfs- präparate für das Laboratorium. Mit diesem Werk ist es dem Verfasser glän- zend gelungen , dem Chemiker ein äußerst prak- tisches Hilfsbuch an die Hand zu geben, weshalb es jedermann nur empfohlen werden kann. Parzival Runze, BerlinLichterfelde. Pole, J. C. , Die Quarzlampe, ihre Ent- wicklungundihr heutigerStand. S4 S. Berlin 1914, Julius Springer. — Preis ungeb. 4 Mk. Das Buch, das von dem früheren Chefingenieur der Cooper Hewitt Electric Co (Hoboken U. S. A.) verfaßt ist, gibt eine ausführliche und gründliche Darstellung über die Entwicklung, die wissen- schaftlichen Grundlagen und die technischen Typen der Quecksilber-Quarzlampe. Eine große Reihe von Figuren , Kurven und Tabellen stellt eine wertvolle Bereicherung des Textes dar; zahlreiche Literaturangaben weisen auf die Originalarbeiten hin. Allen denen, die sich eingehend über diese neue Beleuchtungsart , deren zukünftige Entwick- lungsmöglichkeit sich heute noch nicht übersehen läßt, informieren wollen, sei es zum Studium an- gelegentlich empfohlen. K. Seh. Prof Dr. August Forel, Die sexuelle Frage. Gekürzte Volksausgabe, I. bis 20. Tausend. Verlag von Ernst Reinhardt in München, 1913- — Preis kartonniert Mk. 2.80. 448 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 28 Forel 's Buch über die sexuelle Frage ist ein so kekanntes und in vielen Auflagen so allgemein verbreitetes Werk, daß eine Besprechung seines Inhalts an dieser Stelle weder vonnölen noch selbst angebracht erscheinen kann. Die Volksausgabe ist in den mehr wissenschaftlichen Erörterungen vielfach gekürzt und auch im übrigen, z. B. durch ein Fremdwörterverzeichnis am Schlüsse, dem Verständnis möglichst weiter Kreise näher gerückt worden. Forel's hauptsächlichster Beweggrund für die Schaffung einer derartigen billigen und allgemein verständlichen Ausgabe ist ein sozialer. Die gegen- wärtige gesellschaftliche und gesetzliche Regelung der ganzen Materie erscheint ihm in vieler Hin- sicht derartig verfehlt und — bestenfalls — ver- altet, daß er nur in einer Änderung der gesamten öffentlichen IVleinung, die dann neue und bessere Sitten und Gesetze nach sich ziehen müsse, den Weg zu einer Gesundung erblickt und erhofft. Man weiß, daß der Gelehrte mit dieser Auffassung vielen unter uns aus dem Herzen redet. Wenige werden heute tatsächlich so glücklich sein, daß sie nicht die immer noch steigende Misere unserer sexuellen Verhältnisse irgendwie am eigenen Leibe und eigener Seele zu fühlen bekommen hätten. Die Erschwerung und daher Verzögerung der Eheschließung speist direkt oder auf dem Umwege über das „Verhältnis" den Sumpf der Prostitution, dieser erhält und verbreitet neben anderen Scheuß- lichkeiten die venerischen Krankheiten in üppigem Flor, von dort aus werden diese wiederum in die Familien verschleppt und oft unbeschreibliches Unheil angerichtet — und so steigern sich die Mißgeschicke, die recht eigentlich am Marke der zivilisierten Menschheit zehren, gegenseitig. Von der Rolle, die (lold, sozialer Ehrgeiz usw. usw. in der ganzen Erage spielen, gar nicht zu reden. Ob bloße Belehrung viel helfen kann? Dies ist die Frage, die zweifelnd ein jeder tun möchte, dem es gegenwärtig ist, wie tief jene Schäden mit der gesamten Gestaltung unserer gesellschaft- lichen Ordnung zusammenhängen, und der be- gründeten Zweifel hegt, ob irgendeine gesellschaft- liche Ordnung, die mit vielen Millionen Einzelner zu rechnen gezwungen ist, gerade auf diesem Ge- biete eine völlige Wandlung zu schaffen vermögen könnte. Bisher wenigstens gehören alle diesbe- züglichen Spekulationen dem Gebiete der Uto- pien an. Diesem skeptischen Gefühle gegenüber, dem sich weniestens der Referent nicht entziehen kann. darf jedoch mit Zuversicht behauptet werden, daß Belehrung ein erster Schritt ist, und daß sie auch wohl vermag, dem und jenem wirklich zu helfen, sei es, daß sie ihn in dem Entschlüsse stählt, sich der Prostitution in jeder Weise fern zu halten, sei es, daß sie seine Energie anspornt, möglichst bald den Hafen einer gesunden Ehe zu erreichen. Und so sei denn dem Werke, das im einzelnen, wie bekannt, reiche Belehrung und reichen Stoff zum Nachdenken enthält, auch in dieser Form weiteste Verbreitung und soviel Nutzen, als ein Buch über diesen Gegenstand nur zu stiften vermag, von Herzen angewünscht. Dr. Waldemar v. Wasielewski. Literatur. Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie, lierausgegeben von Prof. Dr. A. Oppel. S. Teil : Die Hypo- physis cerebri von Dr. W. Siendell. Mit 92 Textabbildungen. Jena '14, G. Fischer. S Mk. Ostwald's Klassiker d. exakt. Wissensch. Nr. 194. Die erste Integralrechnung. Eine .Auswahl aus Job. Bernoulli's Mathematischen Vorlesungen über die Methode der Integrale und anderes. Aus dem lateinischen übersetzt und herausge- geben von Dr. Gerh. Kowalewski. Mit 119 Texlfig. Leipzig und Berlin, W. Engelmann. Geb. 5 Mk. Kryptogamenflora für Anfänger. Bd. IV, I. Die Algen. I. Abteil, von Prof. Dr. Gustav Lindau. Mit 489 Fig. i. Text. Berlin '14, J. Springer. Geb. 7,80 Mk. Meyer, Friedrich, Der deutsche Ubstbau. Mit 79 Abb. und 3 Tafeln. Leipzig '14, Quelle & Meyer. Geb. 1,80 Mk. Verhandlungen der k. k. zool.-botan. Gesellschaft in Wien. LXIV. Band. '14. I. und 2. Heft. Enthalt u. a. : Uandlirsch, Anton, Eine interessante Crustaceenform aus der Trias der Vogesen. Michaelsen, Prof. Dr. W. , Ein neuer Regenwurm aus Griechenland. Heikertinger, Franz, Untersuchungen über das Käfcrleben der Mediterranflora Österreichs. Karny, H., Beilrag zur Thysanopterenfauna des Medilerrangebietes. Verhoeff, Dr. K. W. , Einige Chilo- gnalhen aus Palästina. Schlechter, Dr. Rudolf, Die Orchideen, ihre Beschrei- bung, Kultur und Züchtung. Handbuch für Orchideenlieb- haber, Kultivateure und Botaniker. Lieferung I (vollständig in 10 Lieferungen). Mit 12 in Vierfarbendruck nach farbigen Naturaufnahmen hergestellten Tafeln und über 200 Texlabbild. Berlin '14, P. Parey. — 2,50 Mk. Dahl, Prof. Dr. F'r., Kurze Anleitung zum wissenschaft- lichen Sammeln und Konservieren von Tieren. 3. verb. und vermehrte Auflage. Mit 274 Abbild, im Text. Jena '14, G. Fischer. Geb. 4,80 Mk. Ostwald, Wilhelm, Die Schule der Chemie. Erste Einführung in die Chemie für jedermann. 3. verb. Aufl. Mit 74 Tcxttig. Braunschweig '14, Fr. Vieweg & Sohn. Geb. 5,50 Mk. Ulmer, Dr. Georg, Aus Seen und Bächen. Die niedere Tierwelt unserer Gewässer. Mit zahlr. Textabbild, und 3 Taf. I^eipzig '14, Quelle & Meyer. Geb. i,So Mk. Sticker's J., Monistische Möglichkeiten. Haeckel, l->st- wald und der Monistenbund. Dresden '14, B. Sturm. Inhalt; Vogler; Vererbung bei vegetativer Vermehrung. Schutt: Reflexion und spektrale Zerlegung der Röntgenstrahlen. — Einzelberichte: Schönborn: Überblick über unsere gegenwärtigen Kenntnisse über die Delta-Strahlen. Klaalsch: Anlange von Kunst und Religion in der Urmenschheit. Umpleby, Schaller und Larsen: Custcril. Bryandt: Nutzen und Schaden der westlichen Wiesenlerche. Nashan: Beziehungen zwischen Farbe, Spektrum und Parallaxe der Fixsterne. II o f f m e is t er : Sternschnuppen. Meinardus: über Aufgaben und Probleme der meteorologischen Forschung in der Arktis. — Bücberbesprechungen : Hughes: Photo-Eleclricity. Wölbung: Die Bestimmungs- melhoden des Arsens, Antimons und Zinns und ihre Trennung von den anderen Elementen. Geologische Karle von Preußen und benachbarten Bundesstaaten. Van in o: Handbuch der präparativen Chemie. Pole: Die Quarzlampe, ihre Entwicklung und ihr heutiger Stand. F'orel: Die sexuelle Frage. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. M i e h e in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lipperl & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzen Reihe 29. Band. Sonntag, den 19. Juli 1914. Nummer 29. Grundzüge einer vergleichenden Geo- und Aphroditographie. (Erd- und Abendsternkunde.) Von ®r. Dr. C. Schoy. [Nachdruck verboten.] Mit I Ti Im Jahrgang 191 3, Heft Nr. 11 dieser Zeit- schrift habe ich versucht, aus unseren wenigen einigermaßen als gesichert geltenden Kenntnissen vom Planeten Venus insbesondere den Schluß zu ziehen, daß ihm ebenfalls ein Achsenumschwung eignet wie unserer Erde. Gleichzeitig habe ich darauf hingewiesen, daß es nicht immer ratsam ist, irdische Analoga da zu suchen, wo sie möglich oder gar wahrscheinlich sind. Allein weiteres Nachdenken hat mich zu der Ansicht geführt, daß, solange uns keine anderen als irdische Erfahrungs- tatsachen zur Seite stehen, wir unmöglich anders als vergleichend und spekulativ vorgehen können; mithin diese Methode zunächst wissen- schaftliche Berechtigung hat. Freilich sind ihre Ergebnisse dafür auch nur hypothetischer Art. Zunächst sei in Kürze hier alles aufgeführt, was wir von Venus wissen : Größe und Dichte sind nahezu gleich der der Erde. Die Entfernung von der Sonne ist rund 14 Mill. Meilen, diejenige der Erde hingegen 20 Mill. Meilen. Aus dieser Tatsache folgt, daß die Sonnenbestrahlung am oberen Rand der Venusatmosphäre 4 mal stärker ist, als an der Grenze der Erdatmosphäre ^). Daraus ergibt sich, auf dem Abendstern, ein Luftmeer ganz ähnlich dem unsrigen vorausgesetzt, extügur. eine etwa 4 mal stärkere Beleuchtung und Er- wärmung seiner Oberfläche, also am Äquator eine mittlere Jahreswärme von ca. 100" C. Aber diese Zahl wird ganz erheblich modifiziert durch den zweifellos viel dichteren Luftmantel, in den sich Venus hüllt. Ich habe für dessen Existenz in dem schon erwähnten Aufsatz mehrere Belege gegeben; hier sei noch hinzugefügt, daß C. H. Vogel 1871 in Bothkamp eine 30 — 40 Grad breite sich an die Lichtgrenze anschließende Zone im Dämmerlicht erblickte, und nach den neuesten Beobachtungen von A. Fock in Kopenhagen (Astron. Nachrichten 191 3) ragte die eine Spitze der schmalen Sichel ungefähr 1 5 Grad, die andere bis zu 60 Grad über ihre mathematische Grenze hinaus in die dunkle Nachtseite des Planeten hinein. Wenn solche be- trächtlichen Partien der Atmosphäre noch vom Sonnenlicht auf direktem Wege erreicht werden sollen, so muß man der letzteren eine außerordent- lich große lichtbrechende Kraft zuschreiben, ver- möge deren sie imstande ist, einen Lichtstrahl unter Umständen in eine stark gekrümmte Kurve umzuwandeln. Dazu muß aber das Luftmeer ent- •) Nicht 2'/-) mal, wie ich in meinem Aufsatz angab und wie sich in vielen Büchern findet. Ist nämlich in der Figur o der Sonnenradius und sind y und i/- die Winkel, unter denen derselbe von der Erde, resp. Venus aus gesehen wird, so ist ^ ' 20 ^ ' 14 mithin tgy^U^ 7 tg „ (oder vielleicht auch CjgHjs) ist. Um die Konstitution dieses Kohlenwasserstoffes, der offenbar der Reihe CnH_)„-L' angehört, weiter aufzuklären, wurde sein Abbau durch Kaliumpermanganat bei verschiedenen Tem- peraturen in wässerigalkalischer Lösung genauer untersucht. Die sauer reagierenden Oxydations- produkte ließen sich durch Cliloroform in zwei Teile zerlegen : der in Chloroform unlösliche Teil enthält eine Substanz, die beim Erhitzen ohne zu schmelzen sublimiert und mit Terephthalsäure (CgH^Oj) identisch zu sein scheint; der in Chloro- form lösliche Bestandteil schmilzt bei 40 — 42", riecht nach Schweiß und ist, nach der Anah'se des Calciumsalzes zu schließen, wahrscheinlich Isobut)lessigsäure. Über den Ätherextrakt von Tabakblättern hat auch E. Traetta Mosca einige neue Resultate publiziert (Gazzetta chim. ital. 43, II, 440). Dieser Autor erhielt beim Ausziehen von 20 kg Kentucky- tabak mit Äther ca. i kg eines Extraktes, der mit kaltem Alkohol behandelt wurde. Aus dem in Alkohol unlöslichen Teil konnte eine weiße, schuppige Substanz vom Schmelzpunkt 62—63" isoliert werden. Dieses Harz gibt die Lieber- mann-Burchard' sehe Reaktion auf Phytosterin- ester und enthäh 77,9% Kohlenstoff, 10,7 "/n Wasserstoff und ii,4"lo Sauerstoff. Es lieferte ein sauerstoffreies Bromderivat und ein Oxydations- produkt vom Typus der Hexahydrophthalsäuren. Offenbar ist die Substanz der eigentliche Träger des Tabakaromas. In einer weiteren Arbeit (Gazzetta chim. ital. 43, II, 431 u. 451) beschäftigt sich Traetta Mosca mit den Fermenten, die in der Pflanze des in Italien angebauten Kentuckytabaks enthalten sind. Aus seinen Versuchen geht hervor, daß die grünen Blätter zahlreiche hermente enthalten (Oxydasen, Katalasen, Invertin, Emulsin, proteo- lytische Fermente und andere), daß aber in den getrockneten Blättern keine Fermente vorhanden sind. Den Prozeß der Fermentation bei der Gärung führt der Verfasser auf die in der Umgebung vor- handenen Keime zurück, aus denen sich im gären- den Tabak die verschiedensten Mikroorganismen entwickeln. Durch Innehalten der günstigsten Bedingungen läßt sich eine gewisse Auswahl der Gärungserreger erreichen. Es erscheint daher nicht aussichtslos, zu versuchen, die nützlichen Gärungs- erreger bzw. Fermente in reinem Zustande zu ge- winnen und so die Qualität der Gärungsprodukte erheblich zu verbessern. In den Aschen von Tabakblättern fand Traetta Mosca (Gazzetta chim. ital. 43, II, 437) außer den schon früher bekannten Metallen noch Lithium, Caesium und Titan. Von dem letzteren Element nimmt er an, daß es ein wesentlicher Bestandteil ist und bei dem Stoffwechsel der Zelle als Kataly- sator eine wichtige Rolle spielt. Dasselbe gilt wahrscheinlich für das Barium, das McHargue (vgl. Journ. of the Americ. Chem. Soc. 35, 826) aus Tabakblättern mit Wasser extrahieren konnte. Bugge. Das Hexanitroäthan. Die große Flüchtigkeit des Tetranitroäthans macht eine sprengtech- nische Verwendung dieser Substanz unmöglich. W. W i 1 P) hat daher (zusammen mit Knöffler und Beetz) die nächsthöhere, völlig nitrierte, homologe Verbindung, das Hexanitroäthan, her- gestellt. Diese Substanz läßt sich aus dem Kalium- salz des Tetranitroäthans durch Behandeln mit einem Gemisch von Salpetersäure und Schwefel- säure erhalten; Voraussetzung für eine gute Aus- beute ist die Verwendung eines sehr reinen Kalium- Tetranitromethans. Die letztere Verbindung, die in bezug auf Empfindlichkeit gegen Stoß etwa dem Kaliumpikrat gleichkommt, wird neben Brom- kalium gebildet, wenn man eine Lösung von Cyan- kalium und KaHumnitrit in eine solche von Brom- pikrin (aus Calciumpikrat, Kalkwasser und Brom) in Methylalkohol unter Kühlung einträgt. Das Hexanitroäthan bildet farblose Kristalle, schmilzt bei 142", riecht ähnlich wie Kampfer, ist unlöslich in Wasser und leicht löslich in Benzol, Chloroform, Äther und Petroläther. An der Luft verflüchtigen sich in 18 Stunden bei 20—22" 1,5—1,8"/,, Hexani- troäthan (gegenüber iOO"/o Tetranitroäthan). Mit Naphthalin bildet die Substanz eine charakteristische ') Berichte der Deutsch. Chem. Ges., 47, 961 ; vgl. Naturw. Wochenschr. 1914, S. 263. 4S8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xin. Nr. 29 rote Doppelverbindung. Plötzliches Erhitzen be- wirkt eine schwache Verpuffung, gegen Stoß, Schlag und Reibung ist die Verbindung sehr un- empfindlich. Mischt man Hexanitroäthan mit wasserstoffhaltigen organischen Substanzen, so er- hält man je nach dem Mischungsverhältnis und der Art der Bestandteile sehr kräftig wirkende Sprengstoffe oder Zündmittel. Bugge. Bticherbesprechimgen. Andr^e, K., ,,Über die Bedingungen der Gebirgsbildun g", mit 1 6 Textabbild. Born- traeger, Berlin 1914. — Preis 3,20 Mk. Das Werk ist aus Vorträgen hervorgegangen, wie so manches andre Buch auch. Man würde ihm aber ohne die Versicherung des Autors eine solche Herkunft kaum anmerken. Denn es han- delt sich keineswegs um einen behaglich anzuhören- den oder auch nur leichthin zu lesenden Text über das Thema, sondern um eine recht konzen- trierte Abhandlung, deren ganzer Inhalt sich wohl nur dem mit den betreffenden Problemen bereits einigermaßen vertrauten Leser erschließt. Die Geologie im üblichen Sinne des Wortes hat gegenüber den in den Gebirgsfaltungen ge- fundenen Aufgaben, je emsiger sie ans Werk ging, um so mehr ein Gefühl der (Minmacht beschlichen. Wie immer man die durch eifrigstes Beobachten aufgedeckten Phänomene zu erklären trachtete, die Schwierigkeiten und Gegengründe, die sich jedem Deutungsversuche entgegenstellten, schwollen stets sofort in's Unermeßliche und ließen kaum eine Theorie wirklich zur Entfaltung kommen. Nun zieht man sich in die Tiefen der Erde zurück, sucht sich die dortigen Vorgänge vorzustellen und faßt die Umformungen der Erdoberfläche nur als eine für sich allein garnicht verständliche, dem Ganzen gegenüber mehr untergeordnete Begleit- erscheinung auf. .\mpferer machte in seiner Theorie der Erdhaut den Anfang und auf der von ihm geschaffenen Grundlage baut Andree weiter. Gewiß: Das Gebiet der unmittelbaren geolo- gischen Beobachtungen verlassen wir auf diese Weise und die Gefahr des ,,SpekurLerens" wächst dabei natürlich. Aber doch nur für den, der da glaubt, dat5 jedes geologische Phänomen auch einzig und allein innerhalb der engsten Grenzen des einen Wissenszweiges seine Erklärungsgrund- lagen finden muß. Das Reich exakter I3eobach- tung überhaupt brauchen wir keineswegs zu ver- lassen, wenn wir der Geologie als selbstverständ- liches Operationsfeld den ganzen Erdball, nicht nur seine äußere Kruste zuerteilen. Nur werden wir die Beihilfe anderer Disziplinen nicht ver- schmähen dürfen, wenn wir in den tiefen Schoß der Erde hinabsteigen, ja wir werden den Interessen- kreis garnicht weit genug spannen können. ') Ohne Physik und Chemie, Petrographie und die ') In einem Referat „Neues aus der Geophysik" (diese Zeitschrift 1909, S. 309 — 312) suchte ich bereits Iturz auf den hohen Wert hinzuweisen, den gewisse Nachbarwissenschaften bei rechter .Anwendung für die Geologie haben können. gesamte sog. „allgemeine" Geologie (Vulkanismus, Erdbcbenlehre, Tektonik, auch Regionalgeologie usw.), d. h. also auch ohne ein sehr umfassendes Literaturstudium insbesondere auf allen Grenz- gebieten läßt sich die Aufgabe nicht erfolgreich anfassen. Es muß dem Verfasser nachgerühmt werden, daß er in dieser Beziehung hervorragend gerüstet ans Werk geht. Nicht minder anerkennens- wert ist bei einem derartig mannigfaltigen, nach allen Seiten überquellenden Stoff, die unbeirrte Verfolgung des Themas, wobei es der Natur der Sache nach unvermeidlich ist, daß die F'üUe und der Umfang der P'ußnoten zuweilen den Satz- spiegel zu sprengen droht. Diese starke Erweite- rung des eigentlichen Textes enthält nicht nur die zahlreichen Literaturhinweise und Zitate, son- dern auch manche interessante Auseinandersetzung mit wichtigen Einzelproblemen der Gegenwart. Der Verfasser befaßt sich zunächst mit den hergebrachten Theorien über Gebirgsbildung, läßt insbesondere die Kontraktionstheorie vom Schauplatze der Tektonik verschwinden. Dann schürft er tiefer, läßt den Leser Vorstellungen gewinnen vom inneren Bau der Erde nach dem, was neuere Forschungen, insbesondere die Seismologie darüber gelehrt haben. Die Kontinente erscheinen, roh gesprochen, als schwimmende Schollen auf einer schwereren, aber plastischen Unterlage wie Eisberge auf dem Wasser. Mit solchen Anschauungen gerüstet wird der Leser ohne bedeutende Schwierigkeiten zu dem für den Uneingeweihten wohl schwer zu- gänglichen Begriff der „Unterströmungen", d. h. Zustandsänderungen in der liefe, die trotz des festen Gesteins als ein Fließen aufzufassen sind, hinübergeleitet. Die Petrographie der meta- morphen Gesteine, die Erfahrungen des Vulkanismus, die Beobachtung erd magne- tisch er A nomalien im Zusammenhange mit Erdbeben, werden zur Stütze für diese Vorstellun- gen herbeigerufen. Jene Zustandsänderungen haben auch Volumenvermehrung und -Verminde- rung zur Folge, die durch die Schwerkraft im Verein mit der „Flüssigkeit" der Lithosphäre wieder ausgeglichen werden können (Lehre der Isostasie). Gleichgewichtsstörungen solcher Art sind durch die systematischen Schwere- messungen zu Wasser und zu Lande klargestellt worden, doch spielen die isostaslschen Verschie- bungen keine führende Rolle bei der Gebirgs- bildung, sondern sind lediglich Begleiterscheinungen. Am Rande der Kontinentalmassen müssen die Gegensätze am ehesten in Berührung treten und N. F. XIII. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 459 diese Frage führt über zu den eigentümlichen durch eine derartige Lage gekennzeichneten Zonen namens Geosy nkli nale n, deren geologische Geschichte sie als besonders wechselreiche, labile Streifen der Erdoberfläche erscheinen läßt und aus deren Schöße ja tatsächlich bekanntermaßen die großen Faltengebirge erwachsen sind. Alsbald stellen sich weitere vielbehandelte Fragen ein, wie die nach dem Wandern der Gebirgs- faltung, dem Vorhandensein und der Erklärung der „Einseitigkeit" des Gebirgsdrucks oder besser gesagt des Gebirgsbaues, nach dem Auftreten von Zerrungen und ihrem Verhältnis zu den Schubkräften, der Deck e nbild u ng, der Bogenform in den Faltengebirgen. So sieht sich der Leser (stets nur mit wenigen Sätzen oder gar nur durch eine Abbildung) über alle Teile der Erde geführt, in die Appalachien, in die Alpen, nach Ostasien. Endlich wird — es handelt sich nicht allein um Faltengebirge! — die sehr schwierige Frage nach dem Verhältnis epeirogenetischer^) Bewegungen zu orogenetischen , wie auch die Spaltung in eine pazifische und eine atlan- tische Eruptivgesteinsprovinz seit dem Tertiär in ihrem Zusammenhange mit der Tektonik behandelt und auch die Unterscheidung von Bruch- und Faltungsbeben andeutungsweise damit in Parallele gesetzt. Zusammenfassend skizziert der Verf am Schluß seine Auffassung „des Zyklus der Bewegungsvorgänge, welche die Lithosphäre durchmacht". Gewiß war hier in der Beschränkung wahre Meisterschaft erforderlich; der Raum ist fast all- zuknapp bemessen, und doch : wo wäre bei jedem einzelnen dieser Themata überhaupt ein Ende ab- zusehen? Hier sind ihre gegenseitigen Beziehungen ins rechte Licht gerückt und das ist verdienstlich genug. Eine endgültige „Erledigung" des Problems oder der Probleme wird gerechterweise niemand erwarten wollen. Der sorgsam gefaßte Titel spricht nicht von „Wesen" und „Ursachen", son dern von Bedingungen der Gebirgsbildung! Der Hauptwert der Arbeit ist in der kritisch würdigenden Vereinigung all der Bestrebungen zu suchen, aus denen der Erforschung der Gebirgs- bildung Hilfsquellen zufließen können, woraus eine starke Vertiefung des Problems hervorgeht. E. Hennig. Kalähne, Prof Dr. Alfred, Grundzüge der mathematisch -physikalischen Akustik. 2. Teil, 8", 225 S. mit 57 Abb. Leipzig und Berlin 1913, B.G. Teubncr. Geb. 6 Mk. (Samm- ) Wenn auf S. 72 die cpeirogenetischen Bewegungen ausdrücklich als Abwärtsbewegungen definiert erscheinen und in diesem Sinne den orogenelischcn gegenüberstehen sollen (Stille), so ist damit doch wohl der ursprüngliche Sinn des Wortes fast in's Gegenteil umgedreht und wir erhalten nur emen neuen Namen für den Begriff der säkularen Hebungen und Senkungen, statt einer wirklichen Bereicherung des geologi- schen Anschauungsschatzes. lung mathematisch - physikalischer Schriften, herausgegeb. von E. Jahnkc, II, 2.) Der zweite Teil des vortreftlichen Kalähne- schen Werkes über Akustik enthält die Theorie der Schwingungen elastischer Körper. Nach einer kurzen Einleitung über die Grundlagen der Elastizi- tätstheorie werden der Reihe nach die Saiten, die zylindrischen und konischen Pfeifen, die Stäbe, die Membranen und die Platten behandelt; ein Schlußkapitel bringt die von Helmholtz stam- mende vervollkommnete Theorie der offenen Pfeifen. Das Buch stellt beträchtliche Anforde- rungen an die inathematische Vorbildung der Leser; sein Schwerpunkt liegt in der streng mathe- matischen Durchrechnung der Probleme und in der eingehenden Diskussion der Ergebnisse der Theorien. Die Darstellung ist überall sehr klar, geschickt und gründlich. Wallot. Gesellschaft für Linde's Eismaschinen, Abtei- lung für Gasverflüssigung. Technik der tiefen Temperaturen, gr. 8". 63 S. mit 34 Abb. München und Berlin 191 3, R. Olden- bourg. — Geb. 3 Mk. Das vorliegende kleine Werk ist von der Ge- sellschaft Linde für die Teilnehmer an dem 3. inter- nationalen Kältekongreß in Chikago 1913 verfaßt worden. In einem ersten Teil behandelt C. Linde die physikalischen und technischen Grundlagen; in einem zweiten setzt R. Wucherer ausein- ander, wie sich in verhältnismäßig kurzer Zeit aus dem Linde 'sehen Verfahren zur Verflüssigung der Luft eine bedeutende Industrie entwickelt hat, die schon jetzt die drei für die Technik so wich- tigen Gase Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff in einer großen Zahl von Anlagen technisch rein, billig und in großen Mengen gewinnt. Dem ur- sprünglichen Zweck des Büchleins entsprechend ist sein physikalischer und technischer Inhalt für den Laien teilweise schwer verständlich; der Fachmann dagegen wird es als eine knappe, durch die zahlreichen beigegebenen Abbildungen sehr anschauliche Übersicht über die Technik der tiefen Temperaturen begrüßen. Wallot. Abderhalden, Emil, Abwehrfermente des tierischen Organismus gegen körper-, blutplasma- und zell fremde Stoffe, ihr Nachweis und ihre diagnostische Bedeutung zur Prüfung der Funktion der einzelnen Organe. Mit 1 1 Textfiguren und I Tafel. 2. vermehrte Auflage. Berlin 1913, J. Springer. — Geb. 6 Mk. Bereits nach Jahresfrist erscheint das Büchlein, in welchem der Verf eine übersichtliche und les- bare Darstellung der vorwiegend auf seine und seiner Schüler zurückgehenden LIntcrsuchungen über die spezifischen Gegenreaktionen des Orga- nismus gibt, in einer neuen Auflage. Da der Inhalt seinerzeit in der Naturw. Wochenschrift be- reits ausführlich charakterisiert ist (vgl. Jahrg. 1912, S. 749), so sei hier darauf verwiesen. Erwähnt 460 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 29 sei nur, daß Verf. den Namen Schutzfermente gegen- über dem etwas neutraleren Abwehrfermente hat fallen lassen. Das Buch ist für den Physiologen von gleichem Interesse wie für den Kliniker, der hier z. B. eine Schilderung der biologischen Diagnose der Schwangerschaft und mannigfache Hinweise auf weitere Anwendungsmöglichkeiten auf dem Gebiete der Pathologie (so z. B. beim Karzinom) findet. Besonders wertvoll ist die am Schluß gegebene ausführliche Darstellung der Methodik Miehe. Verworn, Max, Erregung und Lähmung eine allgemeine Physiologie der Reizwirkungen. 304 S. mit 113 Abb. im Text. Jena, G. Fischer, 1914. Verworn gibt in diesem Buche eine allen Physiologen sicher sehr willkommene Zusammen- fassung der von ihm und unter seiner Leitung ausgeführten Versuche, soweit sie zu einer Er- kenntnis der Reizwirkungen im Allgemeinen bei- tragen können. Nach einer Analyse und Definition des Reiz- begriffes werden die einzelnen Reizarten im Speziellen charakterisiert und ihre allgemeinen VVirkungen erörtert. Der übrige Teil des Buches ist den mannigfaltigen Problemen des Erregungs- vorganges gewidmet. (Die Analyse des Erregungs- vorganges, die Erregungsleitung, Refraktärstadium und Ermüdung, die Interferenz von Reizwirkungen, rhj'thmische Entladungen, die Lähmungsvorgänge und die spezifischen Leistungen der lebendigen Systeme.) Die klare und präzise Darstellung der einzelnen Probleme dürfte diesem Werke Verworn's auch unter den Nichtfachleuten manchen Freund ge- winnen. Für den Physiologen liegt ein besonderer Reiz des Buches in der konsequenten Durchführung des Versuches, ein großes und mannigfaltiges Tatsachenmaterial auf einige wenige allgemeine Grundsätze der Erregungsphysiologie zurück- zuführen. Bei der großen Rolle, welche hierbei rein theoretische Betrachtungen spielen müssen, werden sich wohl manche Leser den Ansichten des Verfassers nicht immer anschließen können, aber auch in dieser Anregung zur Diskussion möchte der Referent eher einen Vorzug als einen Nachteil des Buches erblicken. El. Th. V. Brücke, Leipzig. Barthel, Dr. Ernst, DieErdealsTotalebene, hyperbolische Raumtheorie mit einer Vorunter- suchung über die Kegelschnitte. Leipzig 1914, O. Hillmann. — Preis 2,50 Mk. Der Verfasser, der offenbar ernst genommen werden will, läßt bei einer Kugel und einem Kreise den Krümmungsradius über unendlich wachsen , und erhält so einen hyperbolischen Raum, ein Hyperboloid, das eine Fläche ist. Die Erde ist ihm dann der Raum selbst, kein Körper, und zwar eine absolute Fläche ! Sie ist kreisförmig, mit dem Radius unendlich, und zwar ist die Größe unendlich gleich der Entfernung Pol — Äquator, gleich 40000 km, da es größere Entfernungen nicht geben kann. Auch die astronomisch ge- messenen Abstände der Sterne sind LInsinn. Die Erde bewegt sich auch nicht, sie ist eine „absolut flache Totalität, auf welcher jeder Ort als ein biologisches Zentrum angesehen werden kann, die aber selbst kein Zentrum ist, sondern das unvor- stellbar Weitgebreitete". Für uns ist der Unsinn dieses Buches auch unvorstellbar weitgebreitet. Die Sonne steht z. B. auch nachts nicht unter dem Horizont, da es kein „Unten" bei der Erde gibt, und daher werden die Mondfinsternisse durch eine Dunkelsonne hervor- gerufen. Diese Proben genügen wohl. Riem. "Doliarius, Dr., Alle Jahres kalender auf einem Blatt. Leipzig, Teubner. — Preis in Tasche 30 Pf. Eine Tabelle enthält alle Osterdaten julianisch und gregorianisch, von 1470 bis 2000. Indem man für ein bestimmtes Jahr das Osterdatum ent- nimmt, und mit diesem Datum in eine zweite Tafel eingeht, kann man sofort für dies Jahr den Wochentag jeden Datums feststellen, sowie an- geben, auf welches Datum ein beliebiger Sonntag des Jahres fällt. Ein außerordentlich sinnreiches und brauchbares Werkchen. Riem. Swart, Dr. Nicolas, Die Stoffwanderung in ablebenden Blättern. Jena 1914, Gustav Fischer. 117 S., 5 Tafeln. — Preis 6 Mk. In vorzugsweise historisch-kritischer Darstellung behandelt Verf. die Frage, ob während der herbst- lichen Verfärbung des Laubes, kurz vor bis un- mittelbar nach der beendigten Vergilbung, eine Auswanderung der für die Pflanze wichtigen Nähr- stoffe aus den Blättern in den Stamm erfolgt. Seitdem diese Lehre zum ersten Male von Sachs vor 40 Jahren deutlich ausgesprochen wurde, hat man an ihr ganz allgemein festgehalten, bis Weh m er 1892 die experimentellen Arbeiten, auf die sie sich gründete, einer scharfen Kritik unterwarf und namentlich auf die Unzulässigkeit der Verwendung von Prozentzahlen der Aschen- analysen hinwies. Swart bespricht eingehend die vorWehmer's Kritik erschienenen Arbeiten und kommt mit diesem zu dem Ergebnis, daß sie einen einwandfreien Beweis für die herbstliche .Auswanderung der Nährstoffe in ihrer Gesamtheit nicht liefern können. Indessen pflichtet er Wehmer nicht bei, wenn dieser behauptet, daß die in Frage stehenden Untersuchungen gerade gegen die Theorie sprächen; vielmehr kommt er zu dem Schluß, daß die gewonnenen Ergebnisse eher eine Bestätigung als eine Widerlegung der Theorie durch die späteren .Arbeiten erwarten lassen. Diese Annahme findet dann in der kriti- schen Darstellung der neueren Untersuchungs- ergebnisse und in den eigenen Versuchen des Verfassers ihre Begründung. N. F. Xni. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 461 Swart gewann sein Versuchsmaterial nach einer von Stahl (1909) angegebenen Methode. Um nämlich gleiche Blattflächen der grünen und der gelben Blätter zum Vergleiche zu erhalten, wurde das IVIaterial zu den Analysen mittels einer Schablone (Korkbohrer) aus den Blättern heraus- gestanzt. Die Blätter wurden einmal kurz vor der herbstlichen Verfärbung und dann wieder, als die Gelbfärbung ihren Höhepunkt erreicht hatte, geerntet; die Frist zwischen beiden Terminen be- trug im Durchschnitt drei Wochen. Außer den Blättern von Bäumen und Sträuchern wurden einige perennierende Kräuter zu den Versuchen verwendet. Im ganzen kamen 25 Arten zur Unter- suchung; alle entstammten einem ausgesprochenen Kalkboden. Wie die meisten Autoren hat sich Verfasser auf die Bestimmung des Stickstoffs und der Aschenbestandteile beschränkt. Die Analysen ergaben übereinstimmend, daß die Blätter in der kurzen Zeit vor ihrem Abfall — während der Verfärbung — einen Verlust an Stickstoff, Phosphorsäurc und Kali erlitten hatten, und daß dieser Verlust, im besonderen der an Stickstoff und Phosphorsäure, zumeist recht be- deutend war. Hierdurch werden die Angaben der früheren Beobachter über die Auswanderung jener Stoffe bestätigt. Kalk und Kieselsäure (auch Schwefelsäure und Chlor), Stoffe, die sonst in den Blättern angereichert werden, nehmen wenig oder gar nicht zu, woraus zu schließen ist, daß die Blätter in dieser letzten Lebensperiode nur noch wenig Nährsalze aus dem Boden aufnehmen. Verf diskutiert dann die Frage, was mit dem Chlorophyll und den anderen geformten Inhalts- stoffen der Zelle beim Vergilben geschieht. Ge- ■Btützt auf Versuche Stahls, die er selbst zumeist mit gleichem Erfolge wiederholte, pflichtet er der Ansicht seines Lehrers bei, daß der grüne Farb- stoff zersetzt und in Form seiner Abbauprodukte in den Stamm übergehe, während die gelben Farb- stoffe, die das Chlorophyll begleiten (Carotin, Xanthophylle), im Blatte verblieben. An der Aus- wanderung der Bestandteile des grünen Farbstoffs scheine allerdings das Magnesium nicht teilzu- nehmen. Die Stärke verschwinde nahezu voll- ständig aus dem Blatte. Plasmaschlauch und Zellkern bleiben in den vergilbenden Blättern erhalten, doch werden Zerfallsprodukte des Plasmas augenscheinlich durch die Gefäßbündel des Blattes abgeleitet. Die Einwände gegen die Auswanderungstheorie, die sich darauf gründen, daß die Bildung der den Laubfall bedingenden Trennungsschicht im Blattstiel vor dem Vergilben des Blattes stattfinde, wird vom Verf zurückgewiesen, einerseits auf Grund von Versuchen, die zeigen, daß Farbstofflösungen (Indigokarmin) in abgeschnittene Zweige mit ver- gilbenden Blättern bis in die Blattspreite vordringen, andererseits durch den Hinweis auf den Verlauf des Vergilbens und der Stärkeauflösung, auf die Versuche Stahls und das mikroskopische Bild der Leptomelemente, die zweifellos während der Vergilbung den Durchtritt der plastischen Nähr- stoffe gestatten. Unter gewissen Bedingungen er- folgt allerdings der Trennungsprozeß so rasch, daß eine Auswanderung der Stoffe nicht mehr möglich ist. Der Fall, daß eine Pflanze in ihrer Heimat die Blätter normalerweise grün und unver- ändert abstößt, gehört zu den Seltenheiten. Die umgekehrte Erscheinung, daß die Blätter vergilbt und abgestorben noch längere Zeit am Baume verbleiben, beruht, wie Verf. ausführt, darauf, daß die Ausbildung der Trennungsschicht in diesen Fällen durch die niedrige Temperatur verhindert und erst im nächsten Frühjahr bewerkstelligt wird. Nach allem kommt Swart zu dem Schluß, ,,daß die anatomischen Veränderungen im Blattgrunde, welche die Abtrennung der Blätter herbeiführen, zwar unter bestimmten Bedingungen unabhängig von dem Verfärbungsprozeß erfolgen können, daß aber beim normalen Laubfall die beiden Prozesse mit wenigen Ausnahmen so eng miteinander ver- knüpft sind, daß auch der eigentliche Trennungs- akt nicht eher erfolgt, als bis die Verfärbung des Blattes eine vollständige ist". Den Einfluß des in den Herbstblättern einiger Arten auftretenden Anthokyans auf die Stoff- wanderung, den Stahl annimmt und auf die Wärmeabsorption des Blattrots zurückführt, hat Verf durch vergleichende Versuche an grünen, gelben und roten Blättern von Parottia persica nachzuweisen gesucht. Die Stickstoffbestimmungen ergaben aber einen fast gleichen Gehalt in roten und in gelben Blättern (2,024 "/o N, auf Trocken- substanz bezogen, in grünen, 0,532 "/g in gelben, 0,5 1 3 "/o ir* roten Blättern). Verfasser hält es jedoch für ,, zumindest verfrüht", wenn man hiernach den Einfluß des Anthokyans auf die Stoffwanderung leugnen wollte. Schließlich erörtert Swart eingehend die in neuerer Zeit so viel behandelte Frage nach den Ursachen des Laubfalls. Er kommt zu dem Ergebnis, daß der Laubwechsel sowohl in Gegenden mit gleichmäßigem, wie in solchen mit periodischem Klima in erster Linie von inneren Ursachen bedingt werde und als eine Alt erser schein ung betrachtet werden müsse, obwohl auch ein direkter Einfluß des Klimawechsels auf den Laubfall zu beobachten sei. Der Stoffverlust, den die Blätter vor dem Abfallen erleiden, charakterisiert sich als eine Folge derjenigen Prozesse, die mit der Alters- degeneration des Blattes verknüpft sind. Wieder- holt hebt der Verf. hervor, daß die vergilbten Blätter keineswegs tot seien. Der Assimilations- prozeß kommt in ihnen zum Stillstand; die Dissi- milation schreitet ruhig fort, und die Spaltungs- produkte werden weiter dem Stamme zugeführt. Auf den fünf Tafeln ist die Zu- und Abnahme der Nährstoffe in den Blättern während des Sommers » und des Herbstes auf Grund der Analysenresultate verschiedener Autoren graphisch dargestellt. ¥. Moewes. 462 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 29 Smiles, S., Chemische Konstitution und Physikalische Eigenschaften. Aus dem Englischen von P. Krassa, bearbeitet und herausgegeben von O. Herzog. XII u. 676 S. Dresden, 1914, Steinkopf. — 20 Mk. Von dem vorliegenden Gegenstande ist seit der Darstellung, die derselbe 1889 in dem großen Werke der „Allgemeinen Chemie" von Willi. O s t w a 1 d gefunden hat, keine umfassende Be- arbeitung in der deutschen chemischen Literatur erschienen. Die seither verflossenen fünfundzwanzig Jahre haben nun zwar den Wissensbesitz auf diesem Gebiete nicht gerade groß verschoben, wenigstens nicht groß, wenn man die Veränderung in vielen anderen Gebieten der Physik und Chemie zum Vergleich nimmt. Immerhin sind natürlich auch hier wenigstens viele neue Messungen hinzuge- kommen. Somit wird eine Darstellung, die die neue Literatur verarbeitet enthält, von allen In- teressenten gern ergriffen und benutzt werden. Das Wissensgebiet, um das es sich hier handelt, läuft auf die PVage hinaus, wieweit kann man einem Stoffe sein chemisches Verhalten, das es doch erst bei Umwandlungen und im Verkehr mit anderen Stoffen äußern kann, schon zuvor ansehen ? Das ist natürlich eine sehr interessante Frage, die man auch so ausdrücken kann: Wiewe't kann Chemie physikalisch begründet werden? Oder wieweit kann das Ergebnis der Wechselwirkung der Stoffe aus deren persönlichen Eigenschaften ermessen werden ? Die chemische Natur der anorganischen Stoffe ist von so großer Mannigfaltigkeit, daß sie sich nur unvollkommen in abgestufte Reihen ordnen läßt. Nur das Periodengesetz der Elemente bringt ein System in deren Oualitäten. Viel besser steht es in dieser Hinsicht mit den zahllosen Stoffen der organischen Chemie. Ihre chemische Natur findet systematischen Ausdruck in den Konstitu- tionsformeln. Sie vermitteln eine scharf umgrenzte und abgestufte Definition chemischer Oualitäten. Daher ist die Chemie der Kolilenstoffverbindungen der eigentliche Übungsboden für das gestellte Problem, und es lautet dann die experimentelle Fragestellung dahin, es seien die physikalischen Eigenschaften der Verbindungen mit deren Kon- stitution zu vergleichen. Solches kann nun mit allen möglichen mecha- nischen Eigenschaften, wie Gewicht, Dichte, Reibung usw. geschehen, vor allem aber mit den optischen Eigenschaften. In diesen steckt die individuellste, reichste, intimste, innerste Art und Weise, wie ein Körper zu uns sprechen kann; sie führen daher am weitesten in die Verborgenheiten seiner che- mischen Natur hinein. Dementsprechend füllt die Abhandlung die optischen Merkmale etwa die Hälfte und den interessanteren Teil des vorliegen- den Bandes aus. Man wird nicht fehlgehen in der Vermutung, daß wir hier knapp vor der Einsicht in allgemein gültige, quantitative Gesetze stehen. Seit etwa zehn Jahren, seit Drude's letzten Arbeiten (1904), hat sich immer mehr Material angehäuft für den Satz, daß die Reaktionsfähigkeit von den Frequen- zen gewisser Valenzelektronen im Molekül ab- hängt. Zweifellos wird es gelingen, die Konstanten der Reaktionsgeschwindigkeit mit den Wellenlängen die Lichtabsorption in einen quantitativen Zu- sammenhang zu bringen. Es fehlt dazu nur noch ein ausgiebigeres Material reaktionskinetischer Messungen. Bei dieser bevorstehenden Entwicklung dürfte nun das vorliegende Handbuch ein recht nützliches Nachschlage-Hilfsmittel werden. Es ist zwar, wie die meisten englischen Bücher, reichlich trocken geschrieben. Die englischen Autoren lassen ge- meinhin vermissen, was wir in Deutschland von einer richtigen Darstellung verlangen. Wie das englische Recht nur Kasuistik, so ist ein englischer wissenschaftlicher Traktat nur eine chronologische Aufreihung einzelner Arbeiten. Das hindert in- dessen nicht, daß das Buch durchaus klar ge- schrieben und entsprechend zuverlässig zu hand- haben ist. Auch finden sich kurze, eigens gekenn- zeichnete Zusammenfassungen, die sehr zweck- mäßig erscheinen. Der deutsche Herausgeber hat von verschie- denen Bearbeitern noch eine Anzahl Kapitel hinzu- fügen lassen, die den Umfang des Buches gegen- über dem englischen Original um ein Viertel er- weitert haben. Um die im Titel gegebene In-age- stellung zu erschöpfen, war dies durchaus geboten. Baur. Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie der Wirbeltiere. Herausgegeben von A. Oppel. 8. Teil. Die Hypophysis cerebri von Dr. phil. Walter Stendell. 168 S. Mit 92 Textabb. Jena 19 14, G. Fischer. — Preis brosch. 8 Mk. Das Werk bildet die 8. Fortsetzung des rühm- lichst bekannten Oppel' sehen Lehrbuches, welches nach unserer jetzt geltenden Ausdrucks- weise eigentlich mehr den Namen eines Hand- buches der vergl. mikr. Anatomie verdient, da von dem Herausgeber und seinen Mitarbeitern so ziem- lich alles darin zusammengetragen und kritisch beleuchtet wird, was auf diesem gewaltigen Gebiete bekannt ist. Es war ein guter Gedanke, die vergl. mikr. Anatomie der Hypophyse als einen besonderen Abschnitt erscheinen zu lassen, da dieses merk- würdige Organ, vor allem seit den Entdeckungen der letzten Jahre auf physiologischem, patholo- gischem und pharmakologischem Gebiete, ge- steigertes Interesse für sich in Anspruch nimmt. Trotzdem eine fast unübersehbare Fülle von medizi nischer Literatur über sie entstanden ist, wurde ihre vergleichende Histologie bisher sehr stief mütterlich behandelt, so daß ein großer Teil der Darstellung auf eigenen Untersuchungen des Ver- fassers basiert. Als sehr angenehme Zugabe ist das ausführliche Literaturverzeichnis zu bezeichnen, welches auch viele pathologische und physiologische N. F. XIII. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 463 Arbeiten aufzählt und geeignet ist, es späteren Untersuchern zu erleichtern, sich auf dem Gebiete der Hypophysenforschung einzuarbeiten. Das Buch beginnt mit einer Darstellung der Embryonalentwicklung der Hypophyse, welche bei den verschiedenen Gruppen der Wirbeltiere im allgemeinen ziemlich gleichartig verläuft. Das Organ entsteht bekanntlich aus zwei gesonderten Anlagen, von denen die eine vom Gehirn geliefert wird, während sich die andere aus dem Epithel der ektodermalen Mundbucht entwickelt. Der von der Mundbucht herstammende Abschnitt sondert sich später in Zwischenlappen und Hauptlappen. Verf. ist der Ansicht, daß der Zwischenlappen später in den Zwischenhirnboden hinein sezerniere, während der Hauptlappen zu einer echten Epithel- körperdrüse wird, deren Sekret von reichlichen Blutkapillaren in die Karotiden abgefiihrt wird. Dem sollen die Lagebeziehungen dieser Teile ent- sprechen. Der Zwischenlappen bleibt meistens solide und liegt dem Boden des Zwischenhirns fest an. „Dafür aber geht der Boden des Zwischen- hirns seinerseits verschiedene Bildungen ein, um zur Aufnahme des Zwischenlappensekretes geeignet zu sein." Dementsprechend soll dieser Teil der Hirnwand zu demjenigen Gebilde werden, welches als Hirnteil der Hypophyse bezeichnet wird. Auf der Einteilung in drei verschiedene Lappen beruht die Disposition der Darstellung. Von jedem der drei Teile wird zuerst Form und Lage, dann der histologische Aufbau in der Reihe der Wirbel- tiere besprochen. Es folgen dann einige Abschnitte über die Rachendachhypophyse , über Drüsenskapsel usw., zuletzt ein Kapitel über die Phylogenie des Organs. Auch dieses gründet sich auf die im ganzen Buche leitende Hypothese des Verfassers, nach welcher der Zwischenlappen sein Sekret in den Hirnteil ergießen soll, während der Hauptteil eine echte Drüse mit innerer Sekretion, d. h. mit Sekretion in die Blutgefäße herein, ist. Als Stütze dieser Anschauung werden die Untersuchungen einiger Autoren über die mutmaßliche Wirkung der Sekrete kurz herangezogen. Diese Ansicht, welche der Verf. sich über die Sekretionsweise des Zwischenlappens und über seine funktionellen Beziehungen zum Hirnteil gebildet hat, ist einstweilen noch eine weitgehende Hypo- these, deren Bestätigung durch eingehende physio- logische und vor allen Dingen chemische Unter- suchungen erst noch abgewartet werden muß. Dadurch fällt die Darstellung aus dem Rahmen eines Lehrbuches heraus. Wenn man diesen Teil des Oppel'schen Lehrbuches aber lediglich als eine wissenschaft- liche Arbeit betrachtet, so ist er als eine Neu- erscheinung, welche eine Lücke in der vergleichend- anatomischen Literatur ausfüllt, zu begrüßen, von Berenberg Goßler, F'reiburg i. B. Bragg, Durchga ngder «-,/!?-, y-undRöntgen- Strahlen durch Materie; deutsch von Max Ikle; mit 70 Figuren. Leipzig 1913, Verlag von J. A. Barth. — Preis 6,80 Mk., geb. 7,80 Mk. Verf hat in seinem Werk einen allgemeinen Überblick über den Durchgang der verschiedenen Strahlen durch die Materie gegeben. Er hat die Strahlen einzeln beschrieben und deren Beziehun- gen zueinander erörtert. So z. B. die von «-Teil- chen erzeugte Ionisation in verschiedenen Gasen, das Zerstreuungsgesetz, der Energieverlust und die Absorption des /i-Strahles, als auch seine sekundäre Erzeugung durch den Röntgenstrahl. Er geht auf die korpuskulare Gestalt und Energie des Röntgenstrahles ein, ferner auf die Natur und Zerstreuung der Röntgen- und j'-Strahlen. Der Verfasser legt also nicht nur das Ergebnis seiner Forschungen auf diesem Gebiete klar, sondern bringt sie in nahe Beziehung zu den z. T. von seinen Arbeiten unzertrennlichen F"orschungen an- derer Gelehrter, wodurch das Werk an Wert be- deutend zunimmt. Besonderes Gewicht hat Verf. darauf gelegt, eine Brücke zwischen ß- und y- Strahlen herzustellen, wodurch er seine eigene Korpuskulartheorie der y- oder Röntgenstrahlen uns wesentlich verständlicher macht. Verf. gibt der Anschauung Ausdruck, daß bezüglich der Strahlungsvorgänge sowohl der Begriff der Welle mit ihrer regelmäßigen Periodizität, als auch seine Korpuskulartheorie richtig sein und schließlich in eine Theorie übergehen können. — Auch der Übersetzer hat den Verf. inhaltlich richtig ver- standen. P. Runze. Kleinere Mitteilungen. Weitere Zerealienfunde vorgeschichlicher Zeit aus den thüringisch - sächsischen Ländern. Nach Erscheinen meines Aufsatzes „Zerealienfunde vor- geschichtlicher Zeit aus den thüringisch-sächsischen Ländern" (Naturwissenschaftliche Wochenschrift 1914, Heft 19, S. 294—297) sind mir einige neue Zerealienfunde aus den thüringisch - sächsischen Ländern bekannt geworden, die ich, um die in meinem Aufsatz gegebene Übersicht zu vervoll- ständigen, im folgenden kurz bekannt machen möchte: I. Braunsdorf, Kr. Quer fürt. Von Herrn Rentier O r t m a n n , dem Leiter des Museums des Merseburger Geschichtsvereins, ist ein sehr interessanter hallstattzeitlicher I'und mit Kulturpflanzen- und Unkrautresten in einer Herdgrube bei Braunsdorf, Kr. Querfurt gemacht worden. In dem Funde befanden sich Weizen, Gerste, Vicia Faba (Saubohne), Linum usitatissi- mum (Flachs), Camelina sativa (Gebauter Lein- dotter oder Butterraps; auf Äckern als schädliches Unkraut hauptsächlich bei Lein vorkommend, aber 464 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xni. Nr. 29 auch zur Ölgewinnuiig gebaut), Avena fatua (Wild- hafer), der hier wohl zum ersten Male prähistorisch sicher nachgewiesen und im Hinblick auf die Frage nach der engeren Heimat des Kulturhafers von ungeheurer Bedeutung ist, ^) und schließlich Agustemma Githago (rote Kornrade), die aus prä- historischen Funden nur zweimal bekannt war. Herr Prof. Dr. August Schulz hat diese Braunsdorfer Pflanzenreste sorgfältig untersucht und bestimmt; wir dürfen von ihm eine ausführ- liche Abhandlung hierüber im 85. Bande der Zeit- schrift für Naturwissenschaften erwarten. 2. Gleichberg bei Römhild (Sachsen - M ei ni n gen). Am kleinen Gleichberge bei Römhild — vgl. Naturw. Wochenschrift 1914, S. 295 — hat Herr Technikumslehrer Kumpel aus Hildburghausen einen zweiten Fund von Getreide in einer Wohn- grube — wohl aus der Latenezeit (500 v. Chr. Geb. bis um Chr.) — entdeckt. Der Fund ent- hält — nach einer freundlichen Mitteilung des Herrn Kumpel — ,, nur Weizen einer Sorte und zwar in ganz anderen Körnern als der erste Fund". Herr Kumpel wird darüber selbst ausführlich — hoffentlich bald — berichten. Herr Kumpel hat übrigens brieflich seine von mir angezweifelte Datierung des ersten Ge- treidefundes am kleinen Gleichberge in die Bronze- zeit aufrecht gehalten. Mir persönlich fehlt jeg- liche nähere Kenntnis des Geländes und ich ver- mag mich deshalb über die sichere Zeitstellung des Fundes nicht bestimmt zu äußern. Es steht aber zu erwarten, daß der beste Kenner des Gleichberges, Herr Prof. Dr. A. Götze, dem- nächst ausführlich zu dieser Frage Stellung nehmen wird. 3. Burg Kyffhäuser bei Kelbra, Kr. Sangerhausen. Herr Klempnermeister Ed. Gü nth er-Roßla hat in der l'luine der Burg Kyffhäuser, die nach Zerstörung einer früheren (von Heinrich V. er- bauten) Burg II 52 durch Friedrich Barbarossa wiederhergestellt wurde, einen Getreidefund ent- deckt, der ebenfalls von Herrn Prof. Dr. Schulz untersucht ist und über den wir von diesem be- rufenen Forscher gleichfalls einen Bericht erwarten dürfen. Ich erwähne nur, daß das Getreide zum Roggen und zu Triticum compactum globiforme gehört, eine Sorte, die bisher nur prähistorisch bekannt war. Dieser P"und vom Kyffhäuser gehört , da er mittelalterlich ist, eigentlich nicht in den Rahmen dieses Aufsatzes hinein; ich hielt es jedoch für angebracht, auf ihn infolge seiner Wichtigkeit auch in diesem Zusammenhange hinzuweisen. Durch die zwei neuen Funde von Braunsdorf und Römhild ist die Zahl der vorgeschichtlichen Getreidefunde aus den thüringisch - sächsischen Ländern auf zehn gestiegen. Hoffentlich vermehrt sich das Material im Laufe der Jahre entsprechend weiter! Hugo Mötefindt, Wernigerode. Literatur. Schrenck-Notzing, Dr. Freiherr v., Der Kampf um die Materialisationspliänomene. Eine Verteidigungsschrift. Mit 20 Abbild, u. 3 Tafeln. München '14, E.Reinhardt. I,6oMk. Brauns, Prof. Dr. Reinhard, Vulkane und Erdbeben. Mit 74 Abbild, u. 6 Tafeln. Leipzig '14, Quelle & Meyer. Ueb. 1,80 Mk. Himmel und Erde. Volksausgabe. Lieferung 12. Berlin- München-Wien, .Allgemeine Verlagsansialt. 60 Pf. Beiträge zur Kenntnis der Land- und Süßwasserfauna Deutsch-Südwestafrikas. Ergebnisse der Hamburger Studien reise 1911. Herausgegeben von W. Michaelsen. Lieferung I 12 Mk. Beiträge zur Kenntnis der Meeresfauna Westafrikas, Herausgegeben von demselben. Lieferung I. Hamburg '14, L. Friederichsen. 6 Mk. Jahrbuch f. d. Gewässerkunde Norddeutschlands. Her^ ausgegeben von der Preuß. Landesanstalt f. Gewässerkunde Besondere Mitteilungen Bd. 2 (Heft 4). Der Zusammenhang der Rhumei)uelle mit der Oder und Sieber von Karl Thürnau, Berlin '14, S. Mittler. 2 Mk. ') ^'s'- H o o p s , Waldbäume und Kulturpflanzen im germanischen Altertum. S. 300. Am'egungen und Antworten. Herrn Lehrer Hauerstein, Nürnberg. — Werke über die fossilen Reptilien bzw. über das „Zeitalter der Reptilien". — Besonders reiches Bildermaterial , und zwar von ganzen Ske- letten, also Rekonstruktionen findet man in A. Smith- Wood ward's ,, Outlines of Vertebrate Palaeontolugy" (Cam- bridge 1898). Wie der Titel sagt, beschränkt das Werk sich nicht auf Reptilien. Eine derartige Darstellung von allge- meinverständlichem Charakter ist mir in der Paläontologie überhaupt bisher nicht bekannt. Auch nicht in geologischer Abgrenzung („Zeitalter der Reptilien"). Die Themata pflegen weiter gefaßt zu werden. Ich erwähne die ausgezeichnete, wenn auch nicht ganz neue Arbeit von E. Koken: „Die Vor- welt" (Leipzig 1893). D'^ neueren Lehrbücher in deutscher und französischer Sprache sind naturgemäß für den Fachmann, aber doch für den studierenden abgefaßt (Zittel, Kayser, Hang). Eine Sammlung paläontologischer Projektionsbilder war vor kurzem in Vorbereitung, doch ist mir über den Stand des Unternehmens nichts bekannt. E. Hennig. InhaDt; Schoy; Grundzüge einer vergleichenden Geo- und Aphroditographie (Erd- und Abendsternkunde). Nachtsheim; Das Verhalten der Bienenkönigin und anderer Hymenopterenweibchen bei der Eiablage. — Einzelberichte: Michel: Unterschiede zwischen Birma- und Siamrubinen. Mauriac undStrymbau: Der Cholesteringehalt des Blutes. Gruber; Toxinwirkungen, welche die Anwesenheit der Trichinen im Körper bedingt. Riem: Kometenfarailie des Neptun. Halle und Pribram: Neue Beiträge zur Chemie des Tabaks. Will: Das Hexanitroäthan. — Bücher- besprechungen: Andree: Über die Bedingungen der Gebirgsbildung. Kalähne: Grundzüge der mathematisch- physikalischen Akustik. Gesellschaft für Linde's Eismaschinen, Abteilung für Gasverflüssigung. Abderhalden: Ab- wehrfermente des tierischen Organismus gegen körper-, blutplasma- und zellfremde Stofl'e. Verworn: Erregung und Lähmung. Barthel: Die Erde als Totalebene. Doliarius: Alle Jahreskalender auf einem Blatt. Swart: Die Stoffwanderung in ablebenden Blättern. Smiles: Chemische Konstitution und Physikalische Eigenschaften. Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie der Wirbeltiere. Bragg: Durchgang der a-, 3-, •/■ und Röntgenstrahlen durch Materie. — Kleinere Mitteilungen: Mötefindt; Weitere Zerealienfunde vorgeschichtlicher Zeit aus den thü- ringisch-sächsischen Ländern. — Literatur; Liste. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. M i e h e in Leipzig, Marienstraße 1 1 a, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Nene Folge 13. Band; der ganzen Reihe 29 Band, Sonntag, den 26. Juli 1914. Nummer 30. Neuere Untersuchungen über den Farbensinn der Fische. [Nachdruck verboten.] Die Sinnespsychologie der Fische gehört zwar zu den am gründlichsten bearbeiteten Gebieten der Tierpsychologie, dennoch aber ist diese Ar- beit bisher nicht in dem Sinne von Erfolg gekrönt gewesen, daß sie zu feststehenden positiven Re- sultaten geführt hätte, vielmehr hat sie bisher zur Entwicklung recht widersprechender Theorien Anlaß gegeben. Man braucht nur an die ver- schiedenen Hypothesen über die Funktion der Seitenorgane zu denken — , obzwar gerade dieses Problem dank den Untersuchungen Hofer 's neuerdings geklärt zu sein scheint, — an den Streit über den Einfluß des Labyrinthes auf die Regulation des Gleichgewichtes, an die lebhaften Diskussionen über das Hörvermögen, über die Verbreitung und die Bedeutung des Geruchs- sinnes usw., um zu erkennen, wieweit alle diese PVagen noch von einer endgültigen Lösung ent- fernt sind. Der Farbensinn der Fische ist erst relativ spät einer Analyse unterzogen worden, deren Methodik den Erfordernissen einer wissenschaftlichen Farben- lehre genügt, und V.Heß, dessen Untersuchungen auf diesem Gebiet bahnbrechend gewirkt haben, glaubt auf Grund zahlreicher Beobachtungen be- haupten zu können, daß der Lichtsinn der Fische ebenso wie derjenige der Wirbellosen dem des total farbenblinden Menschen entspricht, daß die Fische also die einzelnen Farben nicht nach ihrer spezifischen Farbqualität, sondern nur nach ihrem farblosen Helligkeitswert zu unterscheiden ver- mögen. Den Beobachtungen von v. H e ß stehen jedoch zum Teil die Angaben anderer Forscher entgegen, über deren Beweiskraft man verschie- dener Ansicht sein kann, die jedoch in einem objektiven Bericht über den gegenwärtigen Stand des Problems keineswegs mit Stillschweigen über- gangen werden dürfen. Eine brauchbare Handhabe zur Erforschung des Farbensinnes bieten in erster Linie die sog. „phototaktischen" Erscheinungen, deren Vorhanden- sein bei Larven und Jungfischen namentlich von Franz (0) festgestellt wurde. Geht man nämlich von der Tatsache aus, daß bestimmte Arten stets die hellsten, andere die dunkelsten Stellen ihrer Umgebung aufsuchen, so läßt sich aus dem Ver- halten der Tiere gegen Strahlen von verschiedener Wellenlänge ein Schluß auf die Helligkeit ziehen, in der sich ihnen die verschiedenen Farben dar- stellen, — vorausgesetzt natürlich, daß die Farben keine spezifische, von der Helligkeit unabhängige Wirkung ausüben. Unter Anwendung dieser Methode gelangte v. Heß (16, 18, 19) zu dem Von Privaldozent Dr. Gustav Kafka, München. bereits angedeuteten Ergebnis, daß besonders die Jungfische gewisser positiv phototaktischer Arten (von Seefischen namentlich Atlicn'iia Jirpsd/ts, A/iigü und Sargus (?), von Süßwasserfischen Lrncisciis , Alburnus, Squalnis (.?) und Karpfen), das Spektrum in der gleichen Hellig- keitsverteilung perzipieren, wie das dunkel- adaptierte oder total farbenblinde mensch- liche Auge, d. h. am hellsten in der Gegend des Grüngelb, und das Blau erheblich heller als das Rot. V. Heß stützt seine Hypothese auf die Beobachtung, daß die Tiere, wenn man in dem allseitig verdunkelten Aufbewahrungsgefäß ein Spektrum entwirft, stets in die Gegend des Grün- gelb schwimmen und, wenn sie durch Vorschieben eines schwarzen Kartons in andere Gegenden des Spektralstreifens gedrängt werden, nach dem Fortziehen des Kartons alsbald wieder in das Grüngelb zurückkehren, und daß sie von zwei verschiedenfarbig beleuchteten Bassinhälften stets diejenige aufsuchen, welche für das dunkeladap- tierte menschliche Auge den größten Helligkeits- wert besitzt. ') Die Annahme einer spezifischen Wirkung bestimmter Strahlen widerlegt v. Heß durch den Nachweis, daß man die Tiere zum Aufsuchen jeder beliebigen Farbe veranlassen kann, wenn man deren Intensität genügend erhöht. Umgekehrt gelingt es nur dann, zwischen zwei verschiedenen Farben oder zwischen farbigen und farblosen Lichtern Helligkeitsgleichungen herzu- stellen, d. h. eine gleichmäßige Verteilung der F'ische in beiden Bassinhälften herbeizuführen, wenn die Helligkeitswerte der Versuchslichter für das dunkeladaptierte Auge übereinstimmen. Weiterhin konnte v. Heß feststellen, daß die für das farben- blinde menschliche Auge charakteristische Ver- kürzung im roten Ende des Spektrums auch für das Fischauge besteht, weil sich die Fische durch das Vorschieben eines Kartons von dem kurz- welligen gegen das langwellige Ende des Spek- trums nur bis ins Gelbrot drängen lassen, sich dagegen regellos im Gefäß verteilen, sobald der Karton nur mehr das äußerste rote Ende des Spektrums frei läßt. Beim Antpliioxus fand v. Heß ebenfalls, daß die Kurve der photokineti- schen Reizwerte der homogenen Lichter annähernd der Kurve ihrer farblosen Helligkeitswerte ent- spricht. Diese Übereinstimmungen zwischen dem Lichtsinn der Fische und des farbenblinden Men- ') In einer primitiveren Form wurde diese ,,Walilmctliode" (vgl. 22, 370) bereits von Graber angewendet, doch sind seine Resultate wegen der Vernachlässigung des farblosen Ilelligkeitswerles der verwendeten Lichter wenig verwertbar. 466 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 30 sehen betrachtet v. Heß als ebensoviele Argumente gegen das Vorhandensein einer qualitativen FarBenunterscheidung bei dem untersten Stamm der Wirbeltiere. Eigentümlicherweise gelangte Bauer bei seinen Versuchen über den Farbensinn der Fische (I, 3) zu Resultaten, die zum Teil erheblich von denen v. Heß' abweichen. Bauer verwendete nicht ganz dieselbe Methode wie v. Heß, indem er die Tiere in einem sog. „Phototaxistrog" be- obachtete, einem innen geschwärzten, aber oben unbedeckten Gefäß , das von einer Schmalseite her durch Vorhalten verschiedenfarbiger Papiere oder durch Einschaltung verschiedenfarbiger Gläser verschiedenes Licht empfangen konnte. Während nun die Reaktionen der dunkeladaptierten Tiere im wesentlichen mit den Angaben von v. Heß übereinstimmten, fand Bauer, daß sich Charax funtnz::o, wenn er sich zuvor längere Zeit im Hellen befunden hatte, gegen rotes Licht nicht bloß indifferent verhielt, sondern sich, trotz seiner positiven Phototaxis, von der roten Lichtquelle fortbewegte; desgleichen, daß helladaptierte Atherinen im Spektrum stets vom Rot weg- flohen, sich durch Vorschieben eines schwarzen Schirmes niemals ins Rot treiben ließen, sondern die verdunkelten Bassinteile den rot beleuchteten vorzogen, und sich bei Anwendung der ,, Wahl- methode" in einem Blau ansammelten, das ihnen im Zustand der Dunkeladaptation — ihren photo- taktischen Reaktionen nach zu schließen — er- heblicher dunkler erschien als ein gleichzeitig dargebotenes Rot. Auch konnte Bauer bei helladaptierten (.7/()';'(7.v-Individuen eine Verkürzung des Spektrums im Rot nicht beobachten. Bi>x salpa wiederum zog zwar im dunkeladaptierten Zustand, seiner negativen Phototaxis zufolge , das hellere Weiß der blauen Farbe vor, im helladap- tierten Zustand dagegen begab er sich ins Blau, obgleich dieses naturgemäß weniger lichtstark war als das Weiß, und suchte auch im Spektrum stets die Gegend des Blau auf. Der Gegensatz zwischen der Phototaxis der untersuchten Fische und ihrer „Rotscheu" oder „Blauvorliebe" läßt sich nach Bauer nur durch eine spezifische Wirkung der genannten Farben erklären. Daß dieser Gegensatz im Zusammen- hang mit Adaptationsphänomenen stehe , scheint Bauer auch deshalb wahrscheinlich, weil er bei Aliigil , Athcriiia und Sargiis ein Analogon des Pu rkin j e'schen Phänomens, d. h. ein Über- wiegen der Wirkung kurzwelliger über langwellige Strahlen im dunkeladaptierten Auge, nachweisen zu können glaubte. Die Tiere nämlich , die im Zustand der Helladaptation ein bestimmtes Grün einem bestimmten Blau vorzogen, trafen im Zu- stand der Dunkeladaptation die entgegengesetzte Wahl zwischen beiden Farben. Den Angaben Bauer's gegenüber verharrte V. Heß (17, 18) auf seinen früheren Befunden und betonte insbesondere, daß seine Beobachtungen sowohl an dunkel- wie an helladaptierten Fischen angestellt worden seien, und daß es bei den hell- adaptierten Individuen nur einer Verstärkung der Gesamthelligkeit des Spektrums bedürfe, um die- selben Reaktionen hervorzurufen wie bei den dunkeladaptierten. Von den Einwänden, die er gegen die Methodik Bauer's erhob, ist der eine zweifellos berechtigt, daß Bauer nicht im Dunkel- zimmer experimentierte und daher eine gewisse Unübersichtlichkeit der Versuclisbedingungen schuf Auch die Heranziehung des Purkinje- schen Phänomens will v. Heß nicht gelten lassen, vielmehr sieht er die Bedeutung des Adaptations- zustandes für die Farbenwahrnehmung der F"ische lediglich darin (18), daß im dunkeladaptierten Auge das bräunlich-gelbe Pigment zwischen die perzipierenden Elemente vorrückt, die kurzwelligen Lichtstrahlen stärker absorbiert und dalier ihre Wirksamkeit beeinträchtigt. Dieser geringere Helligkeitswert, den das Blau für das dunkel- adaptierte Fischauge besäße , wäre aber natürlich eine dem Purk inj e'schen Phänomen entgegen- gesetzte Erscheinung. Im übrigen bestreitet v. Heß die Richtigkeit der Angaben Bauer's, so daß sich auf diesem Gebiet die Anschauungen beider Forscher über die beobachteten Tatsachen schroff gegenüberstehen und daher vorläufig keine einheitliche theoretische Deutung zulassen. Eine andere Methode zur Analyse des Farben- sinnes besteht in der Feststellung der synchro- matischen Farbenänderungen , welche gewisse Fische auf verschieden gefärbten Unterlagen er- leiden. Dieses Phänomen wurde bereits von Pouchet (28) zum Gegenstand eingehender Be- obachtungen gemacht und hat seither das Inter- esse der Forscher immer Avieder auf sich gezogen. Das Ergebnis der bisherigen Lhitersuchungen — die Literatur bis 1906 siehe bei v. Rynberk (31), die spätere wird sich vollständig bei Fuchs (1-1) finden — läßt sich kurz folgendermaßen zu- sammenfassen: Die Farbenänderungen kommen durch die Tätigkeit von Ciiromatophoren zustande, pigmentierter Zellen , die sich meist in einer für die betreffende Art charakteristischen Anordnung in der Haut verteilen, mit verschiedenfarbigem Pigment versehen sind und sowohl von einem zerebralen wie von einem medullären Zentrum aus auf dem Weg über das sympathische Nerven- system in einem tonischen Kontraktionszustand erhalten werden. Die Erregung der Kolorations- zentren bewirkt eine verstärkte Kontraktion, ihre Zerstörung eine Expansion der l'igmentzellen. Die beschriebenen Innervationsverhältnisse dürften nach den Untersuchungen v. Frisch's (7,9) für alle Teleostier und für alle Arten von Pigment- zellen die gleichen sein. Auch die adaptativen Farbenänderungen scheinen wenigstens zum Teil nur von der Helligkeit und nicht von der Farbqualität der Umgebung abzu- hängen und werden in diesem Fall vornehmlich durch Veränderungen im Kontraktionszustand der schwarzen Pigmentzellen oder Melanophoren her- beigeführt. Über den Zusammenhang der Farben- N. F. XIII. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 46 / Labriden (Crciiüahrus) Karauschen und Fluß- regulation mit dem optischen Apparat liegen be- reits ijenügend zahlreiche Beobachtungen vor, um feststellen zu können, daß eine Anpassung der Tiere an ihre Unterlage nur durch die Augen vermittelt wird, da nach Blendung bei Hechten (24), Bart- grun'deln (33), Schollen (36), Cyprinoiden, Salmo- niden (7) und Labriden (S, 11) die Tiere stets eine dunklere Färbung annehmen und die Fähigkeit zur .Anpassung an die Unterlage verlieren. Diese Dunkelfärbung kann jedoch, wie v. Frisch an seinen Versuchstieren konstatierte, einige Wochen nach der Operation wieder verschwinden oder sogar einer helleren Färbung Platz machen, ohne daß sich allerdings die Fähigkeit der Farben- anpassung wieder herstellte. Auch der Farben- wechsel, mit dem die Tiere jede Beunruhigung beantworten (s. u.), wird durch die Operation nicht beeinträchtigt. Bei und Cyprinoiden (Pfrillen, barschen), weniger deut- lich bei Salmoniden und Aalen, besteht ferner ein direkter Einfluß des Lichtes auf die Färbung, indem die geblendeten Tiere im Licht einen dunk- leren, im Dunkel einen helleren Farbton anneh- men. Bei den Pfrillen konn- te v. Frisch nachweisen (7), daß die Farbwechsel- reaktionen der geblende- ten Tiere von der Pineal- gegend des Gehirnes aus- gelöst werden, an welcher das seiner Funktion nach sonst wenig erforschte unpaare Medianauge liegt. Wie es sich bei den übrigen Arten verhält, ist noch nicht bestimmt, doch scheint eine un- mittelbare Einwirkung des Lichtes auf die Chromatophoren nicht stattzufinden. Insbesondere konnte v. Lyrisch (9) auf Grund histologischer Untersuchungen die Hypothese SeO erov's (33) nicht bestätigen, daß die Farben- anpassung bei den Bartgrundeln eine mechanische im Sinne Wiener's (38, vgl. 22, 448) sei, indem sich der schwarze Farbstoff der Melanophoren unter der Einwirkung einer bestimmten P'arbe so lange zersetze, bis er die Beleuchtungsfarbe an- genommen habe, die, da sie nicht mehr absorbiert werde, auch keine chemischen Veränderungen hervorzurufen vermöge. Die gegen v. Frisch gerichtete Antikritik Sererov's (35) erscheint nicht überzeugend. Auffallenderweise sind die Reaktionen der ge- blendeten Fische auf Intensitätsänderungen der Beleuchtung den Farbwechselreaktionen gerade entgegengesetzt, welche unter Vermittlung der Augen durch die Beschaffenheit der Unterlage be- stimmt werden, da sich die Tiere an einen hellen und an einen dunklen Grund in der Helligkeit ihrer Körperfärbung zweckmäßig anzupassen ver- mögen (Fig. i). Zugleich hat sich aus den oben angeführten Versuchen Mayerhofe r's, Sece- rovs, Sumners und v. Frisch 's überein- stimmend ergeben, daß der P'arbwechsel tatsäch- lich durch die Farbe des Grundes und nicht durch die Farbe des oberhalb liegenden Teils der Um- gebung modifiziert wird. So stellten Mayerhofe r und Secerov fest, daß beim Hecht und bei der Bartgrundel die charakteristische, durch Expansion der Chromatophoren bewirkte Anpassung an einen dunklen Grund nur dann eintritt, wenn sich das Tier auf einer dunklen Unterlage befindet und von oben beleuchtet wird, aber nicht, wenn das Licht von unten einfällt und das Gefäß mit einer schwarzen Kappe bedeckt ist, und Sumner beobachtete, daß bei den Schollen infolge der eigenartigen An- Fig. I. Rhomboiduhthys pcitlas , /\ nach 4 tägigem Aufenthalt auf schwarzem Sand, B nach I4tägigem Aufenthalt auf einem weißen Marmorboden. Nach Sumner. Ordnung ihrer Augen zwar nicht der Grund allein, sondern auch die unteren Teile der vertikalen Ge- fäßwände die Färbung beeinflussen, daß sich aber dieser Einfluß der Gefäßwände selbst im günstigsten P^all nicht weiter als bis zu einer Höhe von ca. 4'/2 cm erstreckt. v. Frisch fand (7), daß bei Forellen ein Ver- kleben der unteren Augenhälften, also eine Aus- schaltung der oberen Netzhautpartien, stets den gleichen oder sogar noch einen stärkeren Erfolg hatte wie das Versetzen auf einen dimkeln Boden, daß dagegen auf einem weißen Boden das Ver- kleben der oberen Augenhälften, also die Aus- schaltung der unteren Netzhautpartien, ohne Wir- kung auf die (helle) Färbung der Tiere blieb. Daß die Forellen im ersteren Fall eine dunklere P"ärbung annahmen als nach totaler Verdunklung der Augen, führt v. F r i s c h auf Kontrastphä- nomene zurück, welche zwischen den durch Ver- 468 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 30 kleben der unteren Augenhälften verdunkelten oberen Netzhautpartien und den durch direkte Beleuchtung von oben erhellten unteren Netzhaut- partien auftreten, und stützt diesen Schluß auf die Beobachtung, daß auf dunklem Boden auch die totale Verdunklung eines einzigen Auges eine dunklere Färbung der Fische herbeiführt als die totale Verdunklung beider Augen. Denn wenn man von der Annahme einer (konsensuellen) Kontrastwirkung zwischen oberen und unteren Netzhautpartien ausgeht, wird bei totaler Verdunk- lung des linken Auges die Wirkung, welche die Verdunklung der oberen Netzhautpartien des linken Auges auf die Chromatophorentätigkeit ausübt, durch die Erhellung unterstützt, welche die unteren Netzhautpartien des rechten Auges erfahren, wäh- rend das diffuse Licht, welches von der schwarzen Unterlage und dem Glasboden des Aquariums in die oberen Netzhautpartien des rechten Auges reflektiert wird, die Kontrastwirkung nicht erheb- Fig. 2. Schema der Kontrastwirkungen im Fischauge. Die schraffierten Felder bedeuten verdunkelte, die punktierten diffus und die weißen direkt beleuchtete Netzhautpartien. Das Nähere siehe im Text. lieh beeinträchtigt (Fig. 2 A). Eine Herabsetzung der Kontrastwirkung und damit eine Aufhellung der Körperfärbung tritt vielmehr erst dann ein, wenn die obere Hälfte des rechten Auges ver- klebt wird und die Verdunklung der unteren Netz- hautpartien des rechten Auges der Verdunklung der oberen Netzhautpartien des linken Auges ent- gegenwirkt (Fig. 2B). Dagegen wird der anta- gonistische Effekt einer diffusen Beleuchtung der rechten oberen Netzhautpartien vollkommen aus- geschaltet und dadurch eine maximale Verdunk- lung der Körperfärbung herbeigeführt, wenn die rechte untere Augenhälfte verklebt wird, so daß die oberen Netzhautpartien des rechten Auges maximal verdunkelt, die unteren maximal erhellt erscheinen (Fig. 2C). Es besteht also offenbar in der funktionellen Ausbildung der Augen eine analoge Wechselwirkung der verschiedenen Netzhautstellen wie bei gewissen Crustaceen (vgl. 22, 449), nur daß es sich dabei nicht um Kontrastphänomene zwischen beliebigen Netzhautpartien handelt, son- dern die Reaktion stets durch die obere, biologisch wichtigere Augenhälfte bestimmt wird. Nach den Angaben Buytendyk's (5) hat bei Tarbutten eine allgemeine Verdunklung des Ge- sichtsfeldes sogar überhaupt keinen Erfolg, adap- tative Änderungen der Körperfarbe sind vielmehr nur nach partieller Verdunklung wahrzunehmen. Die Wichtigkeit der Kontrastphänomene für die Regulation der Körperfärbung wird durch eine weitere Beobachtung Sumners an Schollen be- stätigt (36), daß die Wirkung des Grundes in weitem Umfange von der absoluten Intensität der Beleuchtung unabhängig ist, daß also ein grauer Grund unter allen Umständen eine Verdunklung, ein weißer Grund unter allen Umständen eine Aufhellung der Körperfarbe hervorruft, selbst wenn die Lichtintensitäten, mit denen man beide Unter- lagen beleuchtet, in der Weise abgestuft sind, daß der graue Grund eine größere absolute Lichtmenge reflektiert als der weiße. Diese Tatsache ist ver- mutlich dem aus der Lehre vom menschlichen Lichtsinn bekannten Phänomen der „Gedächtnis- farben" (Hering) zu subsumieren, und es bedarf daher zu ihrer Erklärung nicht der Hypothese eines „Vergleiches", den der P'isch zwischen seiner Körperoberfläche und der LTnterlage oder zwischen der Intensität des einfallenden und des reflektierten Lichtes zu ziehen hätte; vielmehr dürfte sie sich in derselben Weise wie die Gedächtnisfarben auf eine Wechselwirkung der verschiedenen Netzhaut- stellen zurückführen lassen, welche durch adapta- tive Veränderungen im Sinne der Gültigkeit des Web er 'sehen Gesetzes unterstützt würde. Die Frävalenz der oberen Netzhautpartien scheint ferner darauf hinzudeuten, daß von hier aus die wichtigsten afferenten Bahnen zu den Kolorationszentren führen. Ein weiterer Hinweis auf die Innervationsverhältnisse liegt in den Be- obachtungen über die Wirkung einseitiger Blendung. Diese Operation hat nach v. Frisch (7) bei Cyprinoiden eine beiderseitige Verdunklung (die in kürzerer Zeit abklingt als nach beiderseitiger Blendung), bei den Salmoniden eine auf die ge- kreuzte Körperseite beschränkte Verdunklung zur Folge, was vermutlich mit einer verschiedenen Aus- bildung zentraler Kommissuren zusammenhängt. Interessant ist ferner die von Mast (23) be- stätigte Beobachtung Sumner's (3G), daß sich die Schollen nicht nur in ihrem Farbton an die Helligkeit der Umgebung anpassen, sondern auch die Musterung des Grundes bis zu einem gewissen Grad nachzuahmen vermögen; zwar ist die Varia- bilität ihrer Zeichnung durch die Konstanz der Punkte beschränkt, an denen eine Aufhellung oder Verdunklung eintreten kann, dennoch pflegt aber, durch eine verschieden weit gehende Kontraktion oder Expansion des Pigmentes, auf einem grob N. F. Xm. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 469 gemusterten Grund eine grobe, auf einem fein ge- musterten eine feinere Zeichnung zu entstehen (F'S- 3)- ^s "^'J'^ daher die ÜLialität der von den Kolorationszentren ausgehenden Erregungen auch durch die Abstände der gereizten Netzhautpartien voneinander in irgendeiner Weise modifiziert werden. Ein von v. Rynberk (32) behaupteter, von Suniner (30) geleugneter Einfluß der von der Bodenfläche ausgehenden taktilen Reize auf die Körperfärbung scheint sich nach den Untersuch- ungen von P o 1 i in a n t i (27) darauf zu beschränken, daß ein ganz ebener oder ein mit größeren Steinen bedeckter Boden einen lästigen Reiz ausübt, der die Tiere zu beständigem Umherschwimmen ver- anlaßt, und daß diese dynamogene Wirkung in- direkt auf den Chromatophorenmechanismus über- greift. Wie bereits im frühe- ren angedeutet wurde, sind die Reaktionen der farbigen Pigmentzclien im wesentliclien mit denen der Melanoplioren identisch. Ihr Tonus wird ebenfalls durch ein zerebrales und ein medul- läres Kolorationszentrum in der Weise reguliert, daß Erregung des Zen- trums eine Kontraktion, seine Ausschaltung eine Expansion der Pigment- zellen bewirkt, und die synchromatische Anpas- sung an die Unterlage wird nur durch Impulse vermit- telt, die dem Kolorations- zentrum vom Auge aus zu- fließen, da nach Blendung die adaptativen Verände- rungen verschwinden ') und nur mehr ein durch „psychische Erregungen" (v. Erisch), d. h. durch störende Einwirkungen beliebiger Art bedingter Farbwechsel erhalten bleibt. Dieser „emotionale" I<"arb\vechsel kann sich bei gewissen Arten in einer Aufhellung, bei anderen wieder in einer Verdunklung äußern, und besonders bei den Pfrillen unterscheiden sicli die sehenden Individuen von den geblendeten dadurch, daß bei jenen die „psychische Erregung" eine Aufhellung, bei diesen dagegen eine Verdunklung und meist auch eine Rotfärbung zur P^olge hat (9). Ein charakteristischer Unterschied zwischen farbigen und schwarzen Pigmentzellen besteht nur darin, daß die Reaktionen der ersteren bedeutend lang- samer verlaufen. Die Untersuchung der synchromatischen Phäno- mene hat nun zugleich zu Resultaten geführt, welche gewisse Aufschlüsse über den P'arbensinn der Fische zu erteilen scheinen, v. Frisch beobach- tete nämlich (8, 9), daß sich Pfrillen (Plioxüms lacvis) an roten und gelben Grund durch Expan- sion ihrer gelben und meist auch ihrer roten Chromatophoren adaptieren, auf blauem, grünem und violettem Grund dagegen die gleiche Färbung zeigen wie auf einer farblosen Unterlage, indem sie die farbigen Chromatophoren kontrahieren. Daß es sich dabei um eine spezifische Wirkung m m Fig. 3. KhomhoUlichthys poi betreuenden Muster. ') Daß eine gelegentlich beobachtete Farbenanpassung geblendeter Bartgrundeln durch eine Erregung des Opticus- stumpfes zustande kommen könnte (34), erscheint mehr als fraglich; vielleicht handelt es sich in diesem Falle, der sich noch dazu bei einer Wiederholung der Versuche nicht be- stätigen ließ, um eine Perseverationstendcnz der Anpassung an eine, kürzere oder längere Zeit vor der Operation verwendete Unterlage, wie sie von Bauer (2), Buytendyk (5) und Sumner (.36) bei Schollen nachgewiesen wurde, oder um zu- fällige Erscheinungen, wie sie y. Frisch (!)) bei Crciiüabnis roissa/i beobachtete, las, A nach ötägigem, B nach 3t3gigem Aufenthalt auf dem (Verkl. in beiden Fällen ca. '/a)- Nach Sumner. der gelben und der roten Farbe und nicht etwa bloß um die Wirkung verschiedener flelligkeits- werte der verwendeten Farben handelt, erschließt V. Frisch aus folgendem Experiment. Er suchte eine Helligkeitsgleichung zwischen gelben oder roten und grauen Papieren in der Weise herzu- stellen, daß er zwei Fische, deren Chromatophoren- mechanismus mit der gleichen Präzision funk- tionierte und die auf HelHgkeitsänderungen durch übereinstimmende adaptative Veränderungen re- agierten, abwechselnd auf eine farbige und eine farblose Unterlage versetzte und die Helligkeit der farblosen Unterlage durch Verwendung einer Serie grauer Papiere so lange variierte, bis die Fische beim Übertragen von der einen auf die andere Unterlage ihre Helligkeit nicht mehr ver- änderten. Unter diesen Bedingungen zeigten die tische auf der farbigen Unterlage nach einiger 470 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 30 Zeit, im Gegensatz zu den auf dem farblosen Grunde gehaltenen Kontrolltieren, immer eine deutliche gelbe und, wenn sie zur Expansion der roten Chromatophoren überhaupt befähigt waren, an bestimmten Stellen (Maul, Rücken, Augen- gegend, Unterflossen) auch eine rötliche F"ärbung. Bei allmählicher Aufhellung eines gelben und eines blaugrünen Grundes (durch Verdünnung der verwendeten Strahlenfilter) trat die Gelbfärbung ebenfalls nur auf der gelben Unterlage auf, wäh- rend sie doch offenbar auch auf dem blauen Grunde bei einer bestimmten Lichtstärke hätte stattfinden müssen, wenn bloße Helligkeitsdifferen- zen für die Färbung maßgebend wären. Gegen die Versuche v. Frisch 's erhob je- doch V. Heß ("20) verschiedene Einwände, die sich zum Teil gegen die Methodik, zum Teil gegen die Interpretation der Beobachtungen V. Fr isch's richteten. Die Methodik v. Frisch 's erschien v. Heß deshalb ungeeignet, weil in seinen eigenen Experimenten die Helligkeits- anpassung der Pfrillen an farblose Unterlagen so ungenau war, daß sich Helligkeitsgleichungen aus der Färbung der Tiere überhaupt nicht ableiten ließen. Überdies leugnete v. Heß den Eintritt einer Gelbfärbung auf gelbem Untergrund. V. Frisch stellte jedoch in seiner ersten Replik (10) fest, daß v. Heß eine Versuchsanordnung verwendet hatte, in welcher den Fischen die Farbe nur unter einem relativ kleinen Gesichtswinkel in einer farblosen Umgebung erscheinen konnte, und wies zugleich nach, daß die Helligkeitsanpassung der Pfrillen keineswegs so ungenau sei, wie v. Heß behauptet hatte, sondern sich bereits bei Helligkeitsdifferenzen deutlich äußere, die für das menschliche Auge nur eben merklich seien. Als weitere Bestätigung seiner früheren Beobachtungen führte er an, daß Pfrillen, die nach Herstellung einer Helligkeitsgleichung zwischen einem hell- gelben und einem grauen Papier auf ein dunkel- gelbes Papier versetzt werden, eine deutliche Ver- dunkelung erfahren, daß also der Helligkeitsunter- schied lediglich die Helligkeit , aber nicht den Farbton modifiziere, weil sich die gelbe Färbung auf allen gelben Papieren, aber nur auf diesen und niemals auf den grauen Papieren einstelle. Dieser Replik v. P"r isch's gegenüber hielt V. Heß (21) seine Behauptung aufrecht, daß ein gelber Grund keinen eindeutigen Einfluß auf die Färbung der Pfrillen ausübe, die Gelbfärbung viel- mehr auch auf farblosen Gründen eintreten und auf gelbem und rotem Grund ausbleiben könne. Gegen die Methodik v. Frisch's erhob er ein weiteres Bedenken, daß nämlich der durch „psy- chische Erregung" hervorgerufene Farbwechsel die Schlüsse illusorisch mache, die man aus der Körperfärbung auf den Farbensinn zu ziehen ge- neigt sein möchte. ^) ') Neuerdings leugnet auch Frey tag auf Grund eigener Experimente das Bestehen einer gesetzmäßigen l'arbenanpassung bei der Pfrille (Lichtsinnesuntersuchungen bei Tieren, 1., Arch. f. vergl. Liphth. 4, 1914). V. Frisch hinwiederum (12) erkannte diesen Einwand nicht als beweiskräftig an, weil man die Fehlerquelle, die in dem „emotionalen" Farb- wechsel liege, durch Verwendung genügend ,, ein- geübter" Tiere und häufige Wiederholung der Versuche ausschalten könne. Seine Behauptung einer spezifischen Wirksamkeit der gelben und der roten Farbe stützte er ferner durch Herstel- lung von Helligkeitsgleichungen zwischen farbigen und farblosen Papieren, die für das dunkeladap- tierte menschliche Auge den gleichen Helligkeits- wert besaßen und von denen trotzdem nur die farbigen Papiere zu einer bunten Körperfärbung Anlaß gaben. Die zweite Reihe der Einwände, die v. Heß gegen die Versuche v. Frisch's erhebt, richtet sich gegen die teleologische Bedeutung einer adaptativen Körperfärbung für die Fische. Da die gelben und roten Chromatophoren oft Stunden lang bis zu ihrer vollen Expansion brauchen, scheint ihm dieser Prozeß viel zu langsam vor sich zu gehen, als daß er den Tieren einen wirk- samen Schutz durch Anpassung an die Unterlage gewähren könnte, und er findet zugleich einen Widerspruch darin, daß die spezifische Wirkung der P'arben auf das Auge mit zunehmender Adap- tation abnehme, während die Farbenänderungen gerade erst nach einer Zeit auftreten, in der sich eine Adaptation an die Farbqualität bereits voll- zogen haben müßte. Überdies erklärt er es für eine physikalische Unmöglichkeit, daß rote und gelbe Farben in größerer Wassertiefe überhaupt noch perzipiert werden könnten, da natürlich im Wasser die langwelligen Strahlen besonders stark absorbiert werden (20). Aufden ersten Einwand erwiderte v. F" r i s c h (10), daß der Nachteil, der den Fischen aus dem lang- samen Funktionieren der farbigen Chromatophoren erwachse, durch die schnelle Anpassung der Melanojjhoren ausgeglichen werde , zumal eine genauere Adaptation an die Farbqualität des Grundes nur dann erforderlich sei, wenn sich die Plsche länger an derselben Stelle aufhalten. Ferner sei das Abklingen der farbigen Erregung im Auge mit der zunehmenden Expansion der farbigen Chromatophoren im Laufe einer länger dauernden Adaptation sehr wohl zu vereinigen, wenn die Ver- zögerung in der Funktion des Chromatophoren- 1 mechanismus nicht auf den Verhältnissen der Reiz- i' perzeption, sondern auf der durch die eigentüm- liche Physiologie der Pigmentzellen bedingten Reizübertragung beruhe. Insbesondere aber weist er darauf hin, daß die Bedeutung eines P'arbkleides bei den F'ischen nicht nur in dem adaptativen Schutz liege, den es ihnen in einer bestimmten Umgebung biete, sondern daß namentlich die rote Farbe eine Schmuckfarbe sei und sich daher von 32 darauf untersuchten Arten bei 18 Arten finde, die an der Oberfläche des Wassers oder in geringen Tiefen laichen, während sie bei anderen 14. Arten, die zur Naclit oder in größeren Tiefen laichen, nicht zur Ausbildung gelange. N. F. Xm. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 471 Eine weitere Duphk von v. Heß (21) be- schränkte sich auf die experimentelle Feststellung, daß eine rötliche Farbe in einer Wassertiefe unter 6 — 8 ixi nicht mehr ihrem Farbwerte nach erkannt werde, und auf die Anführung eines Fisches (des Königsseesaiblings), der trotz eines prächtigen roten Hochzeitskleides in beträchtlichen Tiefen (20-80 m) laiche. Auch fragt v. Heß, in wel- cher Weise wohl die Schmuckfarben als sexuelle Anlockungsmittel zu wirken vermögen, wenn sie auf der Bauchseite, also gerade unter den un- günstigsten Lichtverhältnissen angebracht sind. Demgegenüber betont v. Frisch (12), daß der experimentelle Beweis des geringen Farb- wertes langwelliger Strahlen im Wasser, den v. H e ß für das menschliche Auge erbracht habe, nicht auch für das Fischauge unbedingte Gültig- keit besitzen müsse, daß ferner die Färbung des Königsseesaiblings eine Ausnahme bilde, die nicht hinreiche, um eine aus der Beobachtung von 32 Arten gewonnene Regel umzustoßen , zumal sie sich als eine gewissermaßen rudimentär ge- wordene Erbschaft strandlaichender Vorfahren er- klären ließe, und daß sich endlich Schmuckfarben überall nur an den Körperstellen finden können, wo sie nicht den Zwecken der Schutzfärbung zu- widerlaufen. Auch über die Farbenanpassung des Crc)iilahrns hat sich zwischen v. Frisch und v. Heß eine heftige Polemik entsponnen. Der Farbenwechsel bei Crciiilabrus kommt in derselben Weise zu- stande wie bei Plwxiiius, nur daß hier außer dem in Chromatophoren eingeschlossenen roten und gelben Pigment noch ein blaugrüner Farbstoff diffus in der Haut verteilt ist, der sich in blauem und grünem Licht zu vermehren scheint. Nach der Blendung geht jede gesetzmäßige P'arben- anpassung verloren, obgleich die Reaktionen der Chromatophoren auf partielle Belichtung oder auf sonstige Reize nicht beeinträchtigt erscheinen. Die ersten Versuche an Crciiilabrus wurden von Gamble (15) an der Species iiuiops ange- stellt und führten zu dem Ergebnis , daß die Wirkung allseitiger monochromatischer Belichtung und die Wirkung eines farbigen Grundes einander insofern entgegengesetzt sind, als sich die Fische einem farbigen Grund im allgemeinen anpassen, also auf schwarzem Grund dunkelbraun, auf weißem hellgrün, auf braunem (durch Expansion der Chromatophoren) braun, auf grünem, allerdings aber auch auf rotem Grund (durch Expansion des gelben Pigments in Verbindung mit der Wirkung des diffusen blauen Farbstoffes) grün erscheinen, in allseitiger monochromatischer Belichtung da- gegen die Komplementärfarbe, also in grünem Licht (durch Expansion des roten Pigments) eine braune, in rotem Licht (durch Expansion des gelben Pigments) eine grüne Färbung annehmen sollen. Eine analoge Komplementärwirkung allseitiger monochromatischer Belichtung hatte Gamble für gewisse Crustaceen nachgewiesen (vgl. 22, 449). v. Frisch (8, 9, 11) konnte jedoch weder bei Criiti'labnis roissali noch bei Crcnilabnis occllahis das Auftreten einer Komplementärfarbung in mono- chromatischem Lichte bestätigen. Allerdings setzte er die Fische keiner im strengen Sinn allseitigen Beleuchtung aus, da bei seiner Versuchsanordnung von oben her überhaupt kein Licht in das Gefäß eindrang, doch läßt sich aus den Angaben Gam- bles nicht entnehmen, ob diese Bedingung für den Ausfall der Versuche wesentlich ist. Andrer- seits gelang es v. P'risch nicht, eine Farben- anpassung zu erzielen, wenn er das monochroma- tische Licht nur vom Boden und nicht auch zu- gleich von den Seiten her einfallen ließ, was er auf die Lichtschwäche der verwendeten Strahlen- filter zurückführt. Dagegen beobachtete er, daß sich Crciiilabrus roissali durch Expansion der roten und gelben Pigmentzellen an rotes und gelbes Licht, durch Kontraktion der farbigen Chromatophoren und eine besonders im Grün erfolgende Vermehrung des blaugrünen Pigmentes an grünes und blaues Licht adaptierte. Bei Crciiilabrus uccllatus war die Farbenanpassung nicht so genau (die Tiere reagierten auf rotes, gelbes und grünes Licht in gleicher Weise und nur auf blaues Licht deutlich synchromatisch) und bei Crciiilabrus iiiassa blieb sie überhaupt ganz aus. Da sich nun die von v. Frisch verwendeten Farben ihrem farblosen Helligkeitswert nach in der gleichen Reihenfolge anordnen ließen wie die Spektralfarben für das dunkeladaptierte menschliche Auge, nämlich zuerst Gelb und Grün, dann Blau, dann Rot, ist es wenig wahrscheinlich, daß die F"arbenanpassung lediglich durch die farblosen Helligkeitswertc bestimmt wurde; sonst müßten nämlich maximale und minimale Helligkeit im gleichen, die Zwischenstufen dagegen im entgegen- gesetzten Sinne wirken. Einen stringenten Schluß auf das Vorhandensein eines F"arbensinnes beim Crciiilabrus glaubt allerdings auch v. Frisch nicht aus dieser Tatsache ziehen zu dürfen, doch bestreitet er die Beweiskraft eines Gegenversuches von V. H e ß (20), in dem Crciiilabrus (sp. ?) auf rotes Licht und Lichtabschluß in der gleichen Weise reagierte, weil v. H e ß selbst zugibt, daß die von ihm verwendeten Tiere zu farbenphysio- logischen Experimenten wenig geeignet erschienen. Auch der negative Ausfall der Versuche v. Frisch's mit einer monochromatischen Unter- lage bietet dem Einwände von v. H e ß (21) keine Stütze, daß eine Anpassung der Körperfarbe in der Natur immer nur an die Unterlage, aber nicht an allseitiges monochromatisches Licht erfolgen könne, da sie sonst nutzlos wäre. Denn einerseits sprechen die Versuche mit farblosen Helligkeiten infolge der Prädominanz der oberen Netzhaut- partien (s. o.) für eine identische Wirkung des allseitig und des von unten her einfallenden Lichtes auf die Fische ^), andrerseits wäre es natürlich für ein Tier, das überhaupt ein Farbkleid besitzt, von der größten Wichtigkeit, nicht etwa durch eine ') Anders verhält es sich bei Crustaceen (vgl. 22, 449). 472 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 30 zur Beleuchtungsfarbe komplementäre Körper- färbung schwarz zu erscheinen. Über eine synchromatische Farbenanpassung bei Flundern hat neuerdings Mast (23) eine kurze Notiz veröffentlicht, in der er, im Gegensatz zu Sumner's (30) Angaben über die Beschränkung der adaptativen Veränderungen bei Schollen auf eine Helligkeitsanpassung, über das Bestehen einer Farbenanpassung an gelbe, blaue und rote Unter- lagen berichtet und, wiederum im Gegensatz zu Sumner, behauptet, daß die Tiere, wenn sie, nacli eingetretener Adaptation an eine bestimmte Unterlage, in eine neue Umgebung versetzt werden, mit Vorliebe einen der früheren Unterlage gleich- gefärbten Grund aufsuchen. Für das Vorhandensein eines Farbensinnes sprechen auch die bei gewissen Teleostieren in regelmäßiger Zahl und Anordnung über den Rumpf verteilten Leuchtorgane, die nach Brauer (4) verschiedenfarbiges Licht laterad und ventrad oder candad und dorsad entsenden und daher nicht, wie die am Kopf, an den Tentakeln oder an der Rückenflosse angebrachten Leuchtorgane alsSchein- vverfer zur Erhellung desGesichtsfeldes funktionieren können, sondern vermutlich zum Anlocken der Artgenossen dienen und das Aufsuchen der Ge- schlechter vermitteln. Speziell bei den Mycto- phyiden entwickeln sich die Leuchlorgane erst mit der Differenzierung der Geschlechtsorgane und stellen somit charakteristische sekundäre Ge- schlechtsmerkmale dar. Wieweit allerdings die Schutz- und Schmuck- farben ihren biologischen Zweck tatsächlicJi er- füllen, steht noch keineswegs mit genügender Sicherheit fest. Insbesondere hatReighard (30) bei den lebhaft gefärbten Korallenrifffischen kon- statiert, daß der Färbung vi'eder eine adaptative noch eine sexuelle Bedeutung zukommt, ja I' uchs (13) sucht sogar den Nachweis zu erbringen, daß der Chromatophorenapparat nur zur Wärmeregu- lation des Organismus diene. Allerdings erscheinen die Argumente, die er in seiner vorläufigen Mit- teilung gegen die Annahme einer Schutzfärbung und eines Farbensinnes der Fische vorbringt, nicht gerade überzeugend. Aufschlüsse über den Farbensinn der Fische lassen sich endlich auf Grund einer dritten Me- thode, nämlich durch hütterungsversuche mit Nahrungsstoffen von bestimmter Farbe, gewinnen. Die älteren Experimente dieser Art sind jedoch sämtliche dem Einwand ausgesetzt, daß die be- obachteten Unterschiede im Verhalten der Fische gegen verschiedene Farben nur auf L'nterschieden im farblosen Helligkeitswert der verwendeten Lichter, nicht aber auf einer spezifischen Wirkung der einzelnen Farbqualitäten beruhen, und v. Heß suchte diesen Einwand in seiner Besprechung der früheren .Arbeiten (17) ausführlich zu begründen. Wenn nämlich Zolotnitsky (39) fand, daß Makropoden, insbesondere Schleien, die er mit roten C/iiroitoiiii/sA^zvvcn gefüttert hatte, nur auf rote, aber nicht auf wei(3e, grüne und gelbe Wollfäden losfuhren, die er an die Aquariumwand heranbrachte, — Ähnliches berichtet Pieron ("26) vom Goldfisch, Carassms auratus, — so läßt sich dieses Resultat ohne weiteres aus dem geringen farblosen Helligkeitswert der langwelligen Strahlen erklären, zumal auch total farbenblinde Menschen aus eben diesem Grund im allgemeinen zu einer hinreichend genauen Erkennung der roten F"arbe befähigt sind. Wenn ferner Washburn und Bentley (37) bei Semotihis atromacitlatiis eine Assoziation zwischen der Nahrung und der Farbe einer Pinzelte herzustellen vermochten, mit der dem Fische die Nahrung dargeboten wurde, und die Ausbildung dieser Assoziation durch die wechselweise Verwendung verschieden gefärbter Pinzetten prüften, so genügt die Differenz zwischen den farblosen Helligkeitswerten von Dunkelrot und Grün einerseits und von Hellrot und Hellblau andererseits, um die Grundlage der Unterscheidung zu bilden, während sich allerdings über das Ver- hältnis von Hellrot zu Grün, die von den Fischen ebenfalls auseinandergehallen wurden, ohne Kennt- nis der verwendeten Farbengrade a priori nichts aussagen läßt. Wenn endlich nach R e i g h a r d (30) Lutiaiitis i^risf/zs, dessen gewöhnliches Futter die farblos silberglänzenden Atherinen bilden, bei gleichzeitiger Darbietung von weißen und blau gefärbten Atherinen zuerst nach den weißen, bei gleichzeitiger Darbietung blauer und roter Athe- rinen zuerst nach den blauen schnappte, und wenn er rote Atherinen, die durch die Einführung von Nesselquallen ungenießbar gemacht wurden , von weißen Atherinen zu unterscheiden lernte, so steht einer Zurückführung dieser Erscheinungen auf die farblosen Helligkeitswerte der verwendeten Farben nichts im Wege. Weniger gut stimmt es dagegen zu dieser Erklärung, daß Liitiaiius keinen Unter schied zwischen blauen und grünen Atherinen machte, zumal neben einem dunkleren auch ein sehr helles Grün benutzt wurde, und die relative Aufhellung, die das Blau dem Grün gegenüber beim Übergang vom Tages- zum Dämmerungs- sehen erfährt, vermutlich zu gering gewesen wäre, um das Helligkeitsverhältnis zu invertieren. Auch zog der Fisch die blauen den gelben Atherinen vor, obzwar das verwendete Gelb noch erheblich heller erschien als das Hellgrün. V. H e ß versuchte aber, ebenfalls auf Grund der Fütterungsmethode, einen direkten Nachweis für die Farbenblindheit der Fische zu erbringen (16,18). Er beobachtete nämlich, daß Jiili's pavo, Mt(gil und Phoxinns Oüro>iomus-\jix\zr\, die in dem rot belichteten Teil des Aquariums zu Boden sanken, nicht mehr zu sehen vermochten, wenn die Intensität der Beleuchtung nicht allzusehr ge- steigert wurde, was er auf den geringen farblosen Helligkeitswert der langwelligen Strahlen zurück- führt. Er beobachtete ferner, daß Mugil und Plwxinus, die mit (roten) CIiironotints-L^rven ge- füttert zu werden pflegten, ohne Unterschied auf rote, schwarze, dunkelgelbe, dunkelgrüne und dunkelblaue Attrappen von der Form der Üiiro- N. F. Xin. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 473 nomus-LüTvcn losschwammen, die an die Glas- wände herangebracht oder zwischen Glasplatten in das Aquarium eingetaucht wurden, und es ge- lang ihm endlich, Helligkeitsgleichungen zwischen farbigen Unterlagen und Attrappen herzustellen, deren Bestehen sich daraus erschließen ließ, daß die Fische niemals auf Attrajipen losfuhren, die den gleichen farblosen Helligkeitswert besaßen wie die Unterlage, während jede Differenz der farblosen Helligkeitswerte genügte, um die Fische zum Angriff auf die Attrappen zu veranlassen. Auch bei diesen Experimenten vermochte v. Heß festzustellen, daß der Helligkeitswert des Blau durch die Absorption der kurzwelligen Strahlen im innenständigen Pigment (s. o.) nicht wesentlich beeinflußt wurde. Wiederum aber war es v. Frisch, der bei der Untersuchung von PJwxiiuis zu abweichenden Resultaten gelangte (9). Wenn er nämlich Pfrillen längere Zeit hindurch mit gelb gefärbtem Schab- fleisch gefüttert hatte, fuhren die Tiere stets auf gelbe Papierflecke los, die, auf einen grauen Karton geklebt, an die Aquariumswand herangebracht wurden, selbst wenn dieses Gelb den gleichen farblosen Helligkeitswert besaß wie die graue Unter- lage, ließen dagegen hellere und dunklere graue Papierstückchen, die auf dieselbe Unterlage aufge- klebt waren, ausnahmslos unberücksichtigt, v. H e ß bestritt allerdings wieder die Richtigkeit dieser Beobachtung und behauptete (21), daß bei An- wendung farbiger Attrappen unter Glas selbst Tiere, die auf die gelbe Farbe dressiert waren, keinerlei Bevorzugung des Gelb erkennen ließen. Demgegenüber wiederholte v. Frisch seine Ver- suche und gelangte zu dem Ergebnis (12), daß sowohl die auf Gelb wie die auf Rot dressierten Fische nicht nur Gelb, sondern auch Rot auf einem Grund von gleichem farblosem Helligkeitswert erkennen und nur auf diese Farben losfahren, daß sie dagegen Gelb und Rot miteinander verwech- seln. Eine Anziehung der auf Gelb und Rot dressierten Individuen durch Grün und Blau war nur in Ausnahmefällen zu beobachten. Endlich vervollkommnete v. Frisch seine Methode, indem er die Pfrillen daran gewöhnte, ihr Futter aus Glasnäpfchen zu holen, die durch eingeschmolzene graue und bunte Papiere eine verschiedene Färbung erhalten hatten. Dabei zeigte sich, daß die Fische nicht nur Gelb und Rot, sondern auch Grün und Blau von allen Abstufungen des Grau unterschieden, daß sie ferner imstande waren, Blau un'd Grün von- einander und von den übrigen Farben zu sondern, daß sie dagegen Rot und Gelb wie in den früheren Experimenten miteinander verwechselten. Über die farblosen Helligkeitswerte der verwendeten Papiere gibt v. Frisch allerdings ebensowenig Auskunft wieOxner(25) in seinem Bericht über analoge Versuche mit Seefischen. Wie sich aus diesem kurzen, nur die wichtig- sten Streitpunkte berücksichtigenden Überblick er- gibt, besteht vorläufig noch keine IVlöglichkeit, die vielen einander widersprechenden Beobachtungen und Behauptungen über den Farbensinn der Fische zu einem befriedigenden Gesamtbilde zu vereinigen. Die anatomischen Daten können natürlich zur Klärung der Frage keinen entscheidenden Beitrag liefern. Doch ist zu beachten, daß sich bei den meisten Fischen „Stäbchen" und „Zapfen" (von denen die ersteren im menschlichen Auge als Träger der farblosen, die letzteren als Träger der farbigen Empfindung betrachtet werden) nicht nur ihrer Gestalt nach unterscheiden lassen , sondern daß bei den Sehzellen der Selachier und der Teleostier auch die P'orm der Fußstücke und die nervöse Versorgung Differenzen aufweisen, welche nach Puetter (29) den eigentlichen Unterschied zwischen Stäbchen und Zapfen begründen, indem sich das Fußstück der Zapfen dendritisch ver- zweigt und nur mit einer einzigen Nervenfaser in Verbindung steht, während das Fußstück der Stäbchen knopfförmig endigt und zugleich mit den Fußstücken mehrerer anderer Stäbchen von den Ausläufern derselben Nervenzelle umsponnen wird. Daneben kommen aber bei den Selaclüern auch dendritisch endigende Stäbchen und bei den Teleostiern summierend abgeleitete Zapfen vor. Literaturverzeichnis. 1) Bauer, V., Über das Farbenunterscheidungsvermögen der Fische. Pflüger's Arch. 133, 1910. — 2) Ders., Über die tonische Innervation der Pigmentzcllen bei den Fischen. Zcn- tralbl. f. Physiol. 24, 19 10. — ;{) Ders., Zu meinen Versuchen über das Farbenunterscheidungsvermögen der Fische. Pflüger's Arch. 137, 1911. — 4) Brauer, A., Über die Leuchtorgane der Knochenfische. Verh. d. deutsch, zool. Ges. 1904. — 5) Buytendyk, F., Über die Farbe der Tarbutten nach Exslirpation der Augen. Biol. Zentralbl. 31, igi I. — 6)Franz, V., Phototaxis und Wanderung. Intern. Rev. f. d. ges. Hy- drobiol. 3, 1910. — 7) v. Frisch, K. , Beiträge zur Physio- logie der Pigmentzellen in der Fischhaut. Pflüger's .Arch. 138, 191 1. — S) Ders., Über den Farbensinn der Fische. Verh. d. deutsch, zool. Ges. 191 1. — 9) Ders., Über farbige An- passung bei Fischen. Zool. Jahrb. (Allg. Zool.) 32, 1912. — 10) Ders., Sind die Fische farbenblind? Ibid. 33, 1912. — 11) Ders., Über die Farbenanpassung des Cieniiabnis. Ibid. — 12) Ders., Weitere Untersuchungen über den Farbensinn der Fische. Ibid. 34, 1913. — 13) Fuchs, R. F., Die phy- siologische F\mktion des Chromatophorensyslems als Organs der physilrache eines Redners, der in diesen verschiedenen Räumen zu sprechen hat, ganz ver- schieden von der Resonanz derselben beeinflußt werden muß. Im ersteren Falle, wo alle Ton- höhenwerte gleichmäßig verstärkt werden , wird der Redner am wenigsten gestört. Er kann seine [lersönliche beste Stimmtonhöhe auswählen und fortsetzen, ohne daß die Umgebung ihn auf eine andere Tonhöhe lenkt. Der zweite Fall kann dagegen schlimme Folgen haben , wenn der Raum Töne verstärkt, welche der Sprache der Redner nicht adäquat sind. Er wird daini auf diese Tonhöhe von der Umgebung unwillkürlich gebracht, die zu tief oder zu hoch für seine Sprach- organe ist ; infolgedessen verliert seine Stimme die gewohnte Wirkung, und er wird dadurch ziemlich bald müde. Auf Grund der Tendenz und Fähigkeit, die der Mensch in so ausgesprochenem Maße besitzt, die Höhe seiner mittleren Stimme beim Sprechen durch die Schallempfindungen der Umgebung zu regeln, können wir also eine Anzahl auffälliger Tatsachen und täglicher Erfahrungen verstehen; vielleicht kann daraus in der Zukunft auch ein Mittel zur pädagogischen Bildung der Stimme und Heilung von Sprach- und Gesangfehlern gewonnen werden. SteinwerkzeHge aus dem noiMlischcu (Jletscliermergel. Von Prof. Dr. Ferd. Richters f. Mit 6 Textliguren. [Nachdruck verboten.] Der nordische Gletscher der Eiszeit hat ge- waltige Massen Gebirgstrümmer mit sich geführt und über Norddeutschland ausgestreut. Teils sind es ungeschichtete Mergel mit Geschieben von allen Größen, teils in Zwischen - Eiszeiten sortierte Schwemmprodukte der Gletschermergel : ge- schichtete Sand- , Lehm-, Mergel-, Kieslager und Blockpackungen. Außer natürlichen Gesteinsbrocken schloß der Gletschermergel auch solche ein, die Spuren menschlicher Tätigkeit erkennen lassen. Die hoch- nordischen Gefilde müssen schon während, ver- mutlich sogar schon vor der Eiszeit von Menschen bewohnt gewesen sein, dafür liefern eben die im Gletschermergel sich findenden Manufakte den unumstößlichen Beweis. Eine besonders wichtige Rolle spielen bei der Untersuchung der Geschiebe die Gletscher- schrammen, das sind Verletzungen, welche dieselben beim Abwärtsrutschen des Gletschereises, durch Berührung untereinander oder mit der Sohle und den Wandungen des Gletscherbetts erhalten haben. Nach Maßgabe des Härleverhältnisses zwischen dem ritzenden und dem geritzten Gestein sind sie verschieden kräftig ausgebildet. Weiche Kalksteine werden leichter ..gekritzt" als harte, kristalline Gesteine oder gar Feuersteine. Meistens sind es schnurgerade .Striche und Schrunden, oft zu vielen untereinander jiarallel, die unter dem gewaltigen Druck Hunderte von Metern hoher Eismassen, durch Ecken und Kanten von Kristallen und Körnern eines harten Minerals auf der ( )berfläclie eines weniger harten Gesteines erzeugt werden. Früher oder später gelangen die geschrammten Geschiebe auf der Gletschersohle in die schlam- migen Abwässer des Gletschers und werden durch diese poliert. Gletscherschrammen haben daher ein mehr oder weniger verwaschenes Aussehen und unterscheiden sich dadurch von anderen Druck- spuren. So ist es auch bei dem Feuerstein, dem Material, aus dem fast ausschließlich die Manufakte bestehen. Auf dem Acker und am Wege liegende Feuersteine können auch, unter Umständen, durch menschliche Tätigkeit, durch Ackergeräte, Wagen- räder usw. Druckspuren annehmen ; diese sind aber ganz anderer Art. Die Feuersteine, die von derartigen Eingriffen betroffen werden, sind im Laufe der Zeit meistens mit einer Kruste von „Patina" überzogen. Diese schilfert in flachen Druckspuren auch noch unter dem Druck eines Wagenrades ab, vgl. „Umschau" Nr. 16 19 14; friscli zerschlagene Steine mit gesunder Oberfläche nehmen auf diese Weise keine Schrammen an. Finden wir daher ein Feuersteingerät mit deut- lichen Gletscherschrammen auf den geschlagenen Flächen, so dürfen wir sicher sein, daß es den Gletschertransport, schon bearbeitet, mitgemacht hat, also sicherlich der Alt-Steinzeit angehört. Für den Archäologen ist dieses Erkennungsmittel manch- mal von hoher Bedeutung, denn gar oft liegen die Inmdstücke nicht an der Stelle, wo der Gletscher sie deponierte: sie sind verschwemmt, vom Regen N. F. XIII. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 487 ausgewaschen, vom Menschen verschleppt. Alle solche Oberflächenfunde wertete man früher sehr Fig. I. Faustkeil von Labö. 10 cm. wenig, weil sich nichts über ihr geologisches Alter sagen lief5. Darauf müssen wir eben bei Gletscher- mergel-Vorkommnissen verzichten, denn selbst wenn wir ein Stück in einer geologisch noch so sicher festgestellten interglazialen Kiesschicht finden, so wissen wir über sein Alter doch noch nichts Sicheres. Trägt es Gletscherschrammen auf ge- schlagenen Flächen, so wissen wir wenigstens, daß es altsteinzeitlich ist; trägt es keine, so kann es immerhin doch den Gletschertransport mit- gemacht haben; nicht alle Geschiebe werden ge- schrammt. Aber das steht fest, daß ein ge- schrammtes Werkzeug nicht neusteinzeitlich sein kann. Zurzeit wird angenommen, daß der sog. „Obere Geschiebelehm" Norddeutschlands der vierten Eis- zeit Penck's, der „Würmeiszeit", angehört und Fig- 3- Faustkeil von Strande. 13 cm. Fig. 4. Keule von IloUenau. 16,5 cm. Fig. 2. Faustkeil von Kitzeberg. Natürl. Größe. urgeschichtlich in die Zeit der Mousterienperiode fällt. Demgemäß dürften wir in den unteren Schichten des Diiuviallehms noch Werkzeuge aus den Perioden des Acheulcen, Chelleen und Stre- pyien und des Eolitiiicums erwarten. Und darin werden wir nicht getäuscht, wie ich durch Funde aus der Umgebung der Kieler Förde glaube er- weisen zu können. Als Eolithe habe ich in meiner Sammlung mehrere Oberflächenfunde aufgelegt, die mit großer Wahrscheinlichkeit als solche aufzufassen sind. Es sind natürliche Steinknollen und -brocken von handlicher Form mit Verletzungen, die man für das Produkt menschlicher Tätigkeit halten kann; volle Gewißheit kann bei keinem Eolithen, in diesem engeren Sinne des Wortes, gegeben werden. Absichtlich geformte Stücke finden sich im ,, Untern (jeschiebelehm", in dem wir mal ein Produkt der Rißeiszeit erblicken dürfen; ich habe 488 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 31 solche eigenhändig dem intakten Gletschermergcl mit seinen zahlreichen, schön geschrammten und polierten Silurkalkgeschieben und seinen vorwiegend Fi?- ■;. a Sar^cac, Aurignacien ; b Haffkam p; c le Moustier, Mo lusterien ; Labo e le Moustier, , Moust crien ; ; f Labö; g Labö ; h le Moustier, Mouslericn. '/5 nat. Größe. e Fig. 6. a Labö e Haff kamp ; b le Moustier, Aclieuleen; c Haffkarap; d Longueroche, Magdalenien; f le Moustier, Mousteriea ; g Brodersdorf; h le Moustier, Mousterien. ^/j nat. Größe. tiefschwarzen heuersteinknollen entnommen. Die Bearbeitung ist noch eine sehr rohe; man begnügte sich damit, einer Feuersteinknolle durch wenige Schläge eine Spitze (Fig. i) d oder eine Schneide (Fig. 2) zu geben. Die Kruste der Knolle wurde im übrigen nicht ent- fernt. Solche Stücke ent- sprechen den Strepyien Belgiens. Die abgebildeten sind Ober- flächenfunde; Fig. I, ein typi- scher coupde poing, den ich auf einer Straße in Labö, Fig. 2, ein Faustkeil mit zickzackför- migcr Schneide, und hinten mit Anpassung an die Hand durch Abrundung, den ich im Walde bei Kitzeberg auflas. Typische Stücke aus dem Clielleen, die künstlich entkrustet waren, hat mir besonders der Strand von Strande bis Büjk geliefert. Fig. 3, ein Faustkeil von Strande von 13 cm Länge, entspricht auf das genaueste dem in allen Lehrbüchern der Urge- schichte wiedergegebenen Bild eines h'austkeils von ChcUes aus Mortillet, Musce prae- historique pl. V., Fig. 28. Die in Fig. 4 dargestellte, 16,5 cm lange Keule (casse-tete) aus einer Sandgrube in Hol- tenau, ist durchaus das Ebenbild eines im Bulletin de la societe d'anlhro- pologie de Bruxelles, 1 89S, Fig. I 5 abgebildeten h'undstückes vonTrien im Hennegau, von 11,5 cm Länge. Besonders reich sind h'ormen des Acheuleen und Moustcrien unter den Funden aus der Umge- bung der Kieler h'örde vertreten. In Heft 12 der ,, Prähistorischen Zeit- schrift" 1914 habe ich bereits je drei Manufakte von Labö und Umgegend neben Fundstücken aus dem Acheuleen und Mou- sterien des Vezere-Tals abgebildet. Unsere Ab- bildungen 5 und 6 zeigen weiter e i n solches Paar von Pendants aus dem Acheuleen, P"ig. 6 a, b, fünf aus dem Mousterien, Fig. 5c -h, Fig. 6 c — h. Es sind Schaber von ver- N. F. XIII. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 489 schiedener Gestalt, alle mit Retuschen, resp. mit Gebrauchsspuren ; drei von diesen haben Gletscher- schrammen. Mit dem diluvialen Mousterien aber sind die Funde in der Kieler I-'örde nicht erschöpft; Aurig- nacien, Solutreen, Magdalenien schließen sich an. In der Prähistorischen Zeilschrift veröffentlichte ich vier Fundstücke aus dem französischen Aurignacien und entsprechende Gegenstücke zu diesen von der Kieler Förde. In Fig. 5 a, b füge ich ein fünftes Paar hinzu und gebe auch ein Bild eines Stichels (burin) aus den Magdalenien von Longue- roche, F"ig. 5 d, verglichen mit einem solchen von Haffkamp bei Labö, Fig. 5 c. Aus allen Perioden des französischen Palaeo- lithicums finden sich typische Fundstücke an den Ufern der Kieler Förde; ob dieselben den franzö- sischen durchaus gleichalterig sind, ist eine andere, noch eingehender zu prüfende h'rage. Die Gletscher- schrammen tragenden Werkzeuge aber sind von nördlichen seßhaft gewesenen Nachbarn herge- stellt. Einzelberichte. Anatomie. Aniphibienlarven können längere Zeit ohne Kopf leben. C. Eycleshymer (Some observations on ihe decapitated young Necturus. Anat. Anzeiger, 46. Bd., 1914) fand, daß von 10 bis 15 mm langen Necturuslarven, die bei einem Versuch infolge heftiger Bewegungen des Wassers in Stücke gegangen waren, 3 kopflose Individuen am Lieben blieben ; zwei noch einige Wochen, ein drittes 3 Monate. Fs wurde in einem weiteren \^ersuch eine größere Zahl von Larven absichtlich durch einen scharfen Schnitt enthauptet. Die Schnittlinie lag vor den Kiemen, direkt hinter dem Kleinhirn. Einige von den Larven überlebten den Eingriff um ungefähr 3 Monate, bis der Dotter gänzlich aufgebraucht war. Das Wachstum war langsamer als bei der unverletzten Larve. Die Differenzierung der Organe dagegen verlief in dem- selben Tempo. Die Bewegungen waren weniger häufig, zeigten im übrigen aber keine Veränderung. Die Verteilung des F'arbstofls war normal, ob- gleich die Chromatophoren stark zusammengezogen waren. Die ersten Pigmentstreifen fielen mit den großen dorsolateralen Venen zusammen. Die anderen Bänder und Flecken zeigten keine Be- ziehung zu den Blutgefäßen, weder in ihrer Ent- stehung noch in ihrer Entwicklung. Von den Hautsinnesorganen war das Auftreten des Pig- ments unabhängig. Die beiden Pfoten bildeten sich wie bei den normalen Larven, nur langsamer. Die Reaktion auf Licht war im wesentlichen dieselbe und zeigte, daß der Hautlichtsinn den durch die Entfernung der Augen entstandenen Verlust decken kann. Katharincr. Geographie. Walter Behrmann faßt die „Geographischen Ergebnisse der Kaiserin-Augusta- Fluß-Expedition" in derZeitschr. Ges. Erdkde., 1914, H. 4, zusammen. Die F.xpedition, die Ende 191 1 ihre Ausreise nahm und September 1913 aufgelöst wurde, halte die Hauptaufgabe, den westlichen Anteil des deutschen Gebietes zu erforschen und besonders die Nebenflüsse des Sepik, wie der Kaiserin- Augusta-Fluß kurz genannt wird, zu erkunden, von diesen aus in das unbekannte Innere einzudringen, um die Gebirge desselben zu erforschen. Der Sepik, der in seiner Größe dem Rhein vergleich- bar ist, fließt in großen Windungen dahin, aber das Fahrwasser ist sehr wechselnd. Es kommt sehr häufig zu Flußverlegungen, der F'luß wird deshalb von vielen abgeschnittenen Schleifen be- gleitet. Auch durch Änderungen des Pegelstandes — der größte Unterschied betrug 7,25 m — wegen der häufigen Hochwasser, können bedeutende Flußverlegungen zustande kommen. Die jährliche Regenhölie in Malu betrug 2919 mm. Das Hoch- wasser lagert viel schwebende Erdteilchen seitlich am Ufer ab, sie erhöhen das umliegende Land und bilden einen natürlichen Damm, der bei einer Breite von 200 m eine Höhe von 3 — 4 m erreichen kann. Bei Niedrigwasser dagegen erodiert der Fluß seitlich stark und führt große Schlamm- und Vegetationsmassen mit sich, die ein Anwachsen des Landes in der Nähe der Küste bedingen. Aber der Fluß baut trotzdem kein regelmäßiges Delta auf, denn alle Sedimente werden seitlich verlagert. Nicht nur an der Mündung, sondern auch zu beiden Seiten sucht der Fluß Land zu erobern; die Grasflächen hier sind fast nie passier- bar. Die Entdeckungen der Nebenflüsse, die Haupt- aufgabe der Expedition, fielen in ihre erste Zeit. Der Maifluß und der Leonhard Schnitze -Fluß brachten die P'orscher mit Eingeborenen in Be- rührung, die noch niemals Weiße gesehen hatten. Der interessanteste Nebenfluß war der Töpferfluß, der in die hochkultivierten Zentren der Topf- industrie führte und weiter zu Eingeborenen, die kein Eisen kannten und vor Streichhölzern die Weiter im Osten war wieder ganz andere Kulturzone; eine zeitweilige Wasserverbindung zwischen Ramu und Töpferfluß wurde hier festgestellt. Sepik und Ramu haben ein weites Delta aufgeschüttet. Dem zweiten Ethnologen, Dr. Thurwald ist es gelungen, auf seiner Durchquerung des Landes noch viele primitive Eingeborene auch fern vom Fiußdamm zu finden. Beide Geschlechter gehen unbekleidet, schmücken sich aber schön durch F'rüchte. Zwischen den einzelnen Stämmen, die nicht volkreich sind, liegen weite unbewohnte Gebiete gewissermaßen als Schutzzonen. Am oberen Fluß bilden Bogen und Pfeil, am unteren Speerschleuder und Lanze Flucht ergriftVn. eine 490 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 31 die Bewaffnung. Den Ilaustyi) bilden am oberen Fluß das große Pfahlhaus (Breithaus), weiter strom- abwärts hohe viereckige spitze Häuser (bei Tsenap). Die gemeinsamen Versammlungshäuser sind mit kunstvoller Bemalung und Schnitzereien versehen ; hohe Dächer mit schöngeschwungenen Giebeln sind nicht selten. Gegen diese hohe Kultur am Malu stechen die jirimitiven Häuser an der Küste und am Ramu sehr ab. Von Malu aus wurden Vorstöße ins de- birge unternommen. Es erheben sich hier links und rechts des P'lusses Gebirge, südlich aus Gneis und Schiefer, nördlich aus Glimmerschiefer be- stehend. Sie tauchen unter die AUuvionen des Sepik unter. Bis zur Umgebung des Südflusses zeigt sich diese Erscheinung, daß das Gebirge sich in Ketten auflöst, die von Alluvialebenen beinahe erstickt werden. Vier Vorstöße ins Gebirge ge- langen der Expedition. Der eine führte auf die Hunsteinspitze, ein zweiter an die Wasserscheide im zentralen Guinea, der dritte wurde dem Zwischen- gebiet zwischen Ramu und Sepik gewidmet und im letzten sollte Anschluß an die Arbeiten von Leonhard Schnitze gesucht werden.') Da das Gebirge so gut wie unbewohnt ist, muß man sich mit dem Messer erst selbst den Weg bahnen. So ist die Maximalleistung des Tages höchstens 7 km; auch die Proviantversorgung verlangsamt das Vordringen sehr. Nur wenige Stunden des Tages stehen zur Arbeit zur Verfügung, bis 8 Uhr des Morgens lagert der Nebel in den Tälern, mit der höher steigenden Sonne hob sich die Nebel- decke. Der Vorstoß zur Zentralkette führte über Bergstürze, die eine häufige Erscheinung im Inneren sind. Das Zentralgebirge fällt mit hoher Kette gegen das Vorland ab, das durch eine alte durch Korallenkalk bezeichnete Küstenlinie vom Meere getrennt ist. Kurz zusammengefaßt ergibt sich folgendes: Von Holländisch -Neuguinea streicht ein bis über die Schneegrenze reichendes Gebirge in unsere Kolonie; es teilt sich östlich der Grenze in einzelne Ketten, die an Höhe abnehmen und unter die AUuvionen des Kaiserin Augusta-Flusses tauchen. Das aus altem Gesiein und Vulkanen bestehende Gebirge hat in der Schatteburgketie eine unge- faltete Sandsteinauflageruiig. Während nun der Ostteil langsam versinkt, steigt der Westteil empor, Schollen Landes werden gegeneinander verschoben. Auf- und .'\bbewegungen bildeten das Gebirge. Die P'lüsse schmiegen sich dem Gebirgsverlauf an und gestalten im Inneren das Relief aus. Dr. Gottfried Hornig. Physiologie. Der Cholesteringehalt der Neben- nierenkapscln unterliegt bei den verschiedenen Krankheiten großen Schwankungen. Nach C h a u f - fard, La rose he und A. Grigaud (C. Soc. biol., 28. März 1914) beträgt er bei: Septikämie ^) Forschungen im Inneren (_ler Insel Neuguinea. (Mitteil, dtsch. Scliutzgeb., Erg.-Heft Nr. 11), Berlin 1914. 4,io"||||. Lungentuberkulose 4,16 "/„n, Lungenent- zundiuig 4,44 "/ Krebs (des Uterus und der Leber) 7,21 "/(,(,, Chronische tuberkulöse Nephritis 22,8o''/„j, Geschwür des Zwölffingerdarms 31,20 "/„„, Nephritis mit Retinitis (Nieren- und Netzhautentzündung) 72,^4"'iji,, Gehirnblutung und Netzhautentzündung 78,74 ",,:„r- 82,86 "„„. Der mittlere Gehalt ist (20— 25 "/„„) ; die ge- ringste Quantität findet sich bei Infektionskrank- heiten und der Tuberkulose. Katluuiner. Physik. Ein Röntgenspektroskop beschreibt H. Roh mann (Straßburg) in der Physikalischen Zeitschrift XV (1914) Seite 510. Wie früher in dieser Zeitschrift auseinandergesetzt ist, werden Röntgenstrahlen, die unter dem Winkel (f eine Kristallfläche treffen, in derselben Weise gebeugt, als wenn sie an den im Abstände d hintereinander liegenden Netzebenen (Molekülschichten) reflektiert würden. Die an den parallelen Ebenen zurück- geworfenen Strahlen interferieren und zwar ergibt sich in der Richtung fp ein Maximum, für welche die Beziehung besteht n-/ = 2d sin fp, wo n eine kleine ganze Zahl und/ die Wellenlänge der Strahlen bedeutet. Die Braggs, Moseley und Darwin, de Broglie und Herweg haben dadurch, daß sie den Kristall drehten und dabei den Winkel (p änderten, das Spektrum der Röntgenstrahlen ent- weder photographisch oder mit Hilte der ionisieren- den Wirkung untersucht. Ein viel einfacheres Ver- fahren benutzt Roh mann. Er läßt ein schmales Bündel Röntgenstrahlen (Spaltbreite 0,7 mm) auf ein zylindrisch gebogenes Glimmerblatt fallen (Krümmungsradius = 5 cm). Trifft der mitt- lere Strahl des Bündels das Blättchen z. B. unter einem Winkel von 45", so ist es ohne weiteres klar, daß die links und rechts von ihm liegenden Strahlen unter größeren resp. kleineren Winkeln auffallen, so daß auf diese Weise ohne Drehung des reflektierenden Kristalls für eine Änderung des Winkels

Tridymit bei 870° f 10" als auch die L'mwandlung Tridymit ^r*: Cristobalit bei 1470"+ 10" enantiotrop verläuft, d. h., daß oberhalb der Llm- wandlungstemperatur von 870" Quarz sich immer in Tridymit und unterhalb dieser selben Tempe- 492 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 31 ratur Iridymit immer in Quarz und oberhalb der Umwandlungslemperatur von 1470" Trid)-mit sich immer in Cristobalit und unterhalb dieser selben Temperatur Cristobalit immer in Tridymit um- wandelt. Man erhält also, von welchem der drei Mineralien man auch ausgehen möge, unterhalb 870" inmTcr Quarz, zwischen 870" und 1470" immer Tridymit und zwischen 1470" und 1625" — dem Schmelzpunkte des Cristobalits — immer Cristobalit als kristalline Erscheinungsform des Kieselsäureanhydrids. Unerläßliche Voraussetzung für den Erfolg ist aber die, daß man auch wirk- lich bis zur Einstellung des Gleichgewichtes wartet. Erhitzt man z. B. etwas Kieselsäureglas oder ge- fällte Kieselsäure unter Zusatz von Natrium- wolframat während einiger Stunden auf 800" bis 850", so erhält man nicht, wie man erwarten sollte, Quarz, sondern Tridymit, obwohl der Tridy- mit in diesem Temperaturgebiet dem Quarz gegen- über instabil ist, und erst, wenn man das Erhitzen erheblich länger fortsetzt, verwandelt sich der zunächst entstandene Tridymit in Quarz. .Ahn- liche Erscheinungen sind auch bei anderen Tem- peraturen beobachtet worden. Wir haben hier ein Beispiel der bekannten ,, Stufenregel" von Ost- wald, nach der wenigstens in vielen Fällen die Umwandlung eines Stoffes A in einen zweiten Stoff B nicht direkt, sondern über eine Reihe von Zwischenstufen Aj, A.,, A.. . . . A„ erfolgt, von dem Aj weniger stabil als A.,, A., weniger stabil als A3 sind und A,, endlich weniger stabil als B ist. Im vorliegenden Fall ist zwischen 800" und 850" der Tridymit zwar — das ist die Bedingung dafür, daß er überhaupt zunächst entsteht — stabiler als das Kieselsäureglas, aber weniger stabil als der Quarz, und er tritt als Zwischenprodukt auf, weil seine Bildungsgeschwindigkeit, die mit der Stabilität in keinem einfachen Zusammenhange steht, größer als die des stabileren Quarzes ist. Beweise dafür, daß die von Fenn er erhaltenen Kristalle rein (insbesondere frei von einem Gehalt etwa in Form einer festen Lösung aufgenommenen Natriumwolframats) und identisch mit den natür- lichen Mineralien Quarz, Tridymit und Cristobalit waren, wurde durch die chemische und vor allen Dingen durch die kristallographisch-optische Ana- lyse erbracht. Die Umwandlungen Quarz ^ > Trid)'mit "^zt. Cristobalit finden selbst unter den günstigsten Bedingungen nur langsam statt, und jedes einzelne Mineral kann Temperaturen außerhalb seiner Stabilitätsgrenzen ausgesetzt werden, ohne daß die Umwandlung auch wirklich stattfindet. Von einem ganz anderen Charakter sind nun eine Reihe von anderen Um- wandlungen, die sich, ebenfalls reversibel, bei der Über- und Unterschreitung bestimmter Temiiera- turen ohne jede Verzögerung und praktisch momen- tan vollziehen. Während es sich bei den zuerst besprochenen L^mwandlungen um eine vollkommene Änderung der Kristallsj-steme handelt, treten hier nur geringe .Änderungen in den optischen Eigen- schaften auf Man sieht daher die Erscheinungs- formen des Kieselsäureanhydrids, zwischen denen sich die rasch verlaufende Umwandlungsreaktion abspielt, nicht als besondere Mineralien wie Quarz, Tridymit und Cristobalit, sondern nur als ver- schiedene Modifikationen desselben Minerals an und unterscheidet sie durch Hinzufügung der griechischen Buchstaben a und ß voneinander, wobei sich der Buchstabe a auf die Modifikation bezieht, deren Existenzgebiet bei niedrigerer Tem- peratur liegt. So geht der gewöhnliche «Quarz beim Erhitzen über 575" in den /t^-Quarz und der /i'-Quarz beim Abkühlen unter 570" wieder in «•Ouarz über: 575" ß-Quarz ^z^ /^-CHiarz. 5/-0" Ein ähnliches Umwandlungsschema gilt für den Tridymit I170 163« «-Tridymit — > /t^j-Tridymit — >■ /?., Tridymit, nur ließen sich hier die Temiieratureti, bei denen sich der/y.,-Trid\'mit während der .Abkühlung wieder in ;i, -Tridymit und in «-Tridymit verwandelt, nicht mit genügender Sicherheit festlegen. Tlieoretisch müßte ja die Umwandlung der einen Modifikation in die andere unabhängig von der Richtung, in der sich der Wärmegrad des Systems ändert, bei durchaus konstanter Temperatur erfolgen. Die beim Quarz angegebenen Umwandkingstempera- turen 570" und 575" sollten also eigentlich iden- tisch sein, indessen treten wohl auch bei diesen rasch verlaufenden Umwandlungen kleine Verzögerungen auf, die beim Quarz nur geringe Bedeutung haben, bei Tridymit die Beobachtung der Umwandlungspunkte bei fallender Temperatur aber doch merklich erschweren. Erheblich verwickelter ist die Sachlage beim Cristobalit, bei dem Fenner ähnliche Erscheinun- gen beobachtet hat, wie sie schon seit langem beim Schwefel bekannt sind. Der Erstarrungs- l)unkt des Schwefels ist keine Konstante, sondern hängt von den Bedingungen ab, unter denen die .Schmelze vor dem Erstarren gestanden hat, vor allen Dingen von der Temperatur, auf die sie er- hitzt worden war, und von der Zeitdauer der Reaktion. Eine Erklärung für diese Erscheinung hat A. Smits gefunden. Nach Smits besteht eine Schwefelschmelze aus einem Gemisch zweier Molekülarten, zwischen denen .sich ein Gleich- gewicht nur langsam und allmählich einstellt, und der Erstarrungspunkt der Schmelze wird je nach dem zufälligen Mengenverhältnis, in dem die beiden Molekülaiten in der Schmelze gerade vor- handen sind, verschieden gefunden. Ganz ähnlich liegen nun nach Fenn er die Verhältnisse beim Cristobalit: „Cristobalit besteht nicht aus einer einzigen, sondern wenigstens aus zwei verschiede- nen Molekülartcn in demselben Kristalle. Die relativen Mengen dieser Molekel hängen von den Bedingungen zur Zeit der Kristallisation ab, z. B. von der Natur der Lösung, wenn der Cristobalit N. F. XIII. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 493 aus einer Schmelze, und von der Temperatur zur Zeit der Umwandlung, wenn er auf trockenem Wege gebildet wurde. Die relativen Mengen der polymeren Molekel, die durch die Bildungsbedin- o-ungcn festgelegt sind, werden nicht beeinflußt durch schnelles Abkühlen aut Zimmertemperatur, aber durch ein zweites starkes Erhitzen wird eine Umwandlung von Molekeln der einen Art in die der anderen Art und damit eine Änderung ihrer relativen Menge herbeigeführt, und beim Abkühlen findet man dementsprechend wieder andere Eigen- schaften". Die Erscheinungen bei der Umwandlung des «-Cristobalits in die /i-Form haben folgenden all- tremeinen Charakter: Ist der Cristobalit bei sehr hoher Temperatur entstanden, so tritt die Um- wandlung bei der Abkühlung bei etwa 240" und bei der Wiedererwärmung bei etwa 270" ein; läßt man nun aber den Cristobalit bei niedrigerer und niedrigerer Temperatur entstehen, so fallen auch die beiden Umwandlungspunkte, und zwar bei der niedrigsten Grenze, bei der der Cristobalit überhaupt noch entstehen kann, bis auf 198" resp. 220" : Die Umwandlungstemperatur des Cristobalits ist eine Funktion seiner Bildungstemperatur 2 19,7"- 274,6" «-Cristobalit /5-Cristobalit. 198,1° — 240,5" Betreffs zahlreicher weiterer Einzelheiten bei der Umwandlung der verschiedenen Erscheinungs- formen des Siliciumdioxyds sei auf die Original- arbeit F e n n e r ' s verwiesen. Mg. Botanik. Die Parthenokarpie der Eßbananen. Zu den ersten Pflanzen, für die man Parthenokarpie (Jungfernfrüchtigkeit) angegeben hat, gehören die Kulturformen der Bananen, die fast alle samenlose Früchte und nach Fritz Müller „untauglichen" Pollen haben. Der experimentelle Nachweis aber, daß die Früchte tatsächlich ohne Mitwirkung des Pollens gebildet werden, ist erst von A. d ' A n g r e - mond geliefert worden, der seine Versuche 1909 bis 191 1 in Surinam ausführte und in den nächsten Jahren im Botanischen Institut von Prof. Ernst in Zürich die Entwicklungsgeschichte und Zytologie der Sexualorgane an fixiertem Material studierte. Zu den Versuchen dienten drei Kulturbananen : Gros-Michel und Appelbacove, beides Varietäten von Musa paradisiaca L. subsp. sapientum (L.) O. Ktze., sowie Musa Cavendishii Lamb. Zum Vergleich wurden zwei samenerzeugende Bananen untersucht, nämlich Musa basjoo Sieb, et Zucc. und eine im Botanischen Garten zu Paramaribo als Musa ornata chittagong bezeichnete Form. Durch Einhüllen der Blütenstände in Säcke sowie durch frühe Entfernung der männlichen Blüten in den einzelnen Blutenständen wurde jede Be- stäubung ausgeschlossen. Trotzdem entwickelte sich jeder der 2914 PVuchtknoten in den 20 be- handelten Blütenständen der drei Eßbananen zu einer völlig normalen Frucht. Damit ist nachge- wiesen, daß bei diesen Varietäten die P'ruchtbildung von der Bestäubung ganz unabhängig ist. Da- gegen ergaben alle derartigen Versuclie mit den beiden andern Musaarten Fruchtbildung nur nach Bestäubung. Bei der Pollenenlvvicklung der Appel- bacove tritt frühzeitig Degeneration ein, und die Antheren zeigen sich fast leer. Auch bei der Gros-Michel ist die Entwicklung des Pollens ab- norm ; es entstehen Tetraden mit überzähligen Kernen und Zellen, und die Pollenkörner sind un- gleicli groß, häufig plasmaarm und selten keimungs- fähig. Musa basjoo und M. orn. chitt. zeigen da- gegen normale Pollenentwicklung. Die künstliche Bestäubung von Eßbananen mit solchem normalen Pollen hatte keinen Einfluß auf die Gestaltung der Früchte, wohl aber wurde die Samenbildung beeinflußt. 1539 so bestäubte Gros-Michel-Blüten bildeten nur 4 Samen; die Bestäubung von 11 56 Appelbacove-Blüten ergab die Ausbildung von 38 vollen, nebst 10 tauben Samen. Die mikroskopische Untersuchung der Ovula zeigte, daß bei Gros- Michel fast nie ein entwickelter Embryosack ge- bildet wird; bei der Appelbacove fanden sich neben früh degenerierten auch weiter entwickelte Embryosäcke mit Andeutung von Eiapparat und Antipodenkernen. Die Verfolgung der einzelnen Entwicklungsstadien ließ erkennen, daß bei der Bildung der Embryosäcke abnorme Teilungen auf- treten. Bei Musa orn. chitt. war die zum Ver- gleich geprüfte Embryosackentwicklung völlig regelmäßig. Die diploide Chromosamenzahl ist bei Gros-Michel allem Anschein nach 32, während sie bei den beiden samenerzeugenden Arten 22 beträgt; für die Appelbacove konnte sie nicht genau festgestellt werden (Schätzungen zwischen 22 und 24). Über die vermutete (von Tischler bezweifelte) Bastardnatur der Kulturformen läßt sich aus diesen Beobachtungen nichts Sicheres schließen. D'Angremond ist aber zu der An- nahme geneigt, daß die Eßbananen durch Kreuzung in freier Natur entstanden seien, sich durch vege- tative Sprößlinge vermehrt hätten und dann vom Menschen weiter verbreitet worden seien. (Fest- schrift zur Eröffnung des neuen Instituts für all- gemeine Botanik an der Universität Zürich. Jena, Gustav Plscher, 1914, S. 233 — 286. Auch: Flora, N. F., Bd. 7, 1914, H. I, S. 57—110.) F. Moewes. Bücherbesprechungen. I Friedländer, J., Beiträge zur Kenntnis der I Kapverdischen Inseln. Mit einer Über- sicht über die Gesteine der Inseln von W. Bergt. Berlin 1913, Dietrich Reimer. 494 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 31 Friedländcr hat im Jahre 1912 während vier Monaten sämtliche Inseln der Kapverden durchwandert. Galt der Hauptzweck der Reise auch vulkanologischen Studien, so hat der Verf. doch stets einen offenen Blick für allgemeine Fragen gehabt und sie dankenswerterweise auch in dem vorliegenden Buche vereinigt. Es folgen dem flott beschriebenen Verlauf der Reise kurze Abschnitte über die Geschichte des Archi- pels, sein Klima, über Flora und Fauna sowie über die Bevölkerung und die Gesundheilsverhält- nisse, so daß ein guter geographischer Überblick gegeben wird. Der zweite Teil des Buches bietet dann im einzelnen die geologischen Beobachtungen. Den Schluß bildet eine Denkschrift über die Wasserverhältnisse der Inseln sowie eine Über- sicht der Gesteine, die von W. Bergt herrührt und auchStübel's Anscliauuiigen von 1863 be- rücksichtigt. Dem gut ausgestatteten Werke sind neben zahlreichen photographischen Originalaufnahmcn zehn Spczialkarten der einzelnen Inseln und eine geologische Übersichtskarte beigegeben , die die besten kartographischen Darstellungen des Archi- pels, die gegenwäicig existieren, geben. Hans Spethmann. Mitchell, P.C., Die Kindheit der Tiere. Deutsche Übersetzung von Hans Pander. Stuttgart, Verlag von Julius Hoffmann. In dem vorliegenden Buche, dessen Übersetzung ins Deutsche von H. Pander eben erschienen ist, hat der Verf. versucht, alles, was über die Kindheit der Tiere im weitesten Sinne bekannt ist, in allgemeinverständlicher Form zur Darstel- lung zu bringen. Der überaus anziehende und reichhaltige Gegenstand ist in der umfassendsten Weise beliandelt; alles, was aus den Lebensstadien der Tiere von der Entwicklung aus dem Ei bis zum erwachsenen Alter von Wichtigkeit erscheint, findet eine Erwähnung. Wenn auch die Kindheit der Tiere aus allen Gruppen des Tierreiches in dem Buche besprochen wird, so ist doch der weitaus größte Teil des Textes den Wirbeltieren, und unter diesen vor- nehmlich den Vögeln und Säugern gewidmet, deren Junge Mitchell in seiner Eigenschaft als Sekretär der Londoner Zoologischen Gesellschaft im Zoologischen Garten, aber auch an eignen zahmen Tieren, zu beobachten reiche Gelegenheit hatte. Verf. bespricht nicht nur die Entwicklung der jungen Tiere, die Dauer ihrer Jugend, sondern auch die Mauserung, den Haarwechsel, die Unter- schiede im Aussehen zwischen jungen und erwach- senen Tieren, woran sich ein Kapitel über Färbung und Zeichnung schließt, ferner die Größe der Familie, die Anzahl der Nachkommenschaft, die Entwicklung der Familie durch die Stufenleiter des Tierreichs hindurch , die Brutpflege und Be- schränkung der Nachkommenschaft, die Ernährung der jungen Tiere und anderes mehr. Dabei sucht Verf. auch den Zweck der Jugend und die Er- ziehung der jungen Tiere durch die Alten ver- ständlich zu machen. Bei dem allgemeinen Interesse, das man neuer- dings dem Verhalten der Tiere zuwendet, wird nicht nur der naturwissenschaftlich interessierte Laie, sondern auch der Fachmann manche An- regung und Belehrung aus dem Buche schöpfen können. Besondere Beachtung verdienen die durch eine eigenartige, nicht unschöne Manier auffallenden Farbentafeln von E. Yarrow Jones, welche die dargestellten Tiere in äußerst markanten und charakteristischen Umrissen und in vortreff- lich beobachteter Stellung wiedergeben. F. Hempelmann. Bavink, Allgemeine Ergebnisse und Pro- bleme der Naturwissenschaft. Eine Einführung in die moderne Naturphilosophie. Leipzig 1914, Hirzel. — Preis geh. 6 Mk., geb. 7 Mk. Bavink bezeichnet als Naturphilosophie das Streben nach Erkenntnis desjenigen Allgemeinen, das der Naturwissenschaft zugrunde liegt oder aus ihr sich ergibt. Damit ist zugleich die wesent- liche Absicht des Buches bezeichnet. Bavink geht bei der Darstellung von den Naturwissen- schaften selber aus und versucht, die allge- meinen Probleme , die über die Behandlung der Vorgänge selber hinausführen, herauszuschälen. Vielfach ist ihm das recht gut gelungen. Der reiche Inhalt des Buches gliedert sich in 4 Kapitel: Kraft und Stoff, das die Grundlagen der Chemie und Physik behandelt; Weltall und Erde; Materie und Leben ; das Problem der Artbildung. Bavink will eine Einführung in die moderne Natur- philosophie geben und so setzt er im allgemeinen auch keine größeren Kenntnisse in den Einzel- fächern voraus. Trotz dieser gewissen Populari- sierung in der Darstellung ist diese jedoch stets sachlich und kritisch und hält sich von der Art naturphilosophischen Schrifttums, wie sie etwa im „monistischen Jahrhundert'; verbreitet wird, einer Katogorie, an die man durch das Wort „Natur- philosophie" zunächst zu denken verführt wird, durchaus fern. Denn was Bavink bringen will, und auch bringt, ist keine Naturphilosophie als System, sondern eine Philosophie der Naturwissen schaffen. Hervorzuheben ist, daß auch dort, Bavink kritisch aburteilt, andere Ansichten kämpft, ein vornehmer und sachlicher Ton wahrt wird. Natürlich gibt es eine Menge einzelnen Anschauungen und Darstellungen denen der nicht einverstanden ist, der über ausgebildete Anschauungen in wo be- ge- von mit selber diesen Punkten verfügt. Von mehr prinzipiellen Dingen wäre vielleicht auszusetzen, daß Bavink nicht zu den eigentlichen Problemen der Erkenntnis- theorie durchdringt. Vielleicht ist das beabsich- tigt; daß der Verfasser selbst diesen Problemen nicht fernsteht, beweist die Auswahl der im Lite- raturverzeichnis angeführten Schriften, die wohl N. F. XIII. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 495 den Leser nach erfoljjreichcm Studium der „Ein- führung" weiterführen sollen. In dem letzten Teil, dem Abschnitt von dem Ursprung und der Stel- lung des Menschen rennt Bavink wohl größten- teils offene Türen ein, denn bei einer Stellung- nahme zu dem besagten Problem spielt wohl nirgends mehr die Genesis eine Rolle. Petersen. Bateson, William, Problems of Genetics. I,\ u. 258 Seiten, mit Tafeln und Abbildungen. New Haven (V. St. v. Am.) 191 3. Yale Uni- versity Press. — 4 Dollars. Das Buch enthält die im Jahre 1907 von dem bekannten englischen Biologen Prof Bateson gehaltenen Silliman- Vorlesungen, die vor der Drucklegung auf die Höhe der Zeit gebracht wur- den. Der Inhalt gliedert sich wie folgt: Das Problem der Art und Varietät; meristische Pheno- mena; organische und mechanische Segmentation ; die Klassifikation der Variation und die Natur der Substantiven Variation; die Mutationstheorie; Va- riation und Örtlichkeit; Lokale Differenzierung; die Wirkungen veränderter Lebensbedingungen; die Sterilität der Hybriden. Bateson hat eine Masse Material aus den verschiedensten Quellen zusammengetragen, an Hand dessen er sich be- müht, die grundsätzliche Richtigkeit der Lehren Mendel's und die Unrichtigkeit der Selektions- lehre, namentlich der Annahme vom Selektions- wert kleinster Variationen , darzutun. Allerdings weiß er nichts an die Stelle dieser Lehre zu setzen, er vermag den Mechanismus der Variation nicht zu erklären. Die Darstellungsweise ist, wie in allen Schriften Bateson's, äußerst schwer ver- ständlich und es kostet nicht geringe Mühe, dem Gedankengang des Verfassers zu folgen. Hans Fehlinger. Lundegardh, Henrik, Grundzüge einer che- misch-physikalischen Theorie des Lebens. Jena 1914, Verlag von Gustav Fischer. — Preis 2 Mk. Der Verfasser versucht in dieser kleinen Schrift eine „Maschinentheorie" des Lebens zu entwickeln, und zwar auch die Lebensäußerungen, welche der Vitalismus als spezifische ansieht, also die Regu- lationserscheinungen, die organische Formbildung und die Regeneration aus dem Gesetz der Massen- wirkung zu erklären. Die Beispiele, an welche diese rein chemisch physikalische Theorie anknüpft, und mit denen der Verfasser seine Auffassung annehmbar zu machen sucht, sind fast durchweg der modernen Pflanzenphysiologie entnommen. Diese wird als bekannt vorausgesetzt und alles sehr knapp auf nur 63 Seiten angedeutet, so daß die interessante Schrift für den Anfänger kaum j in Frage kommt. Eine kritische Würdigung, wobei man sich auch vielfach über Begriffe mit dem Verfasser auseinandersetzen müßte, würde erheblichen Raum beanspruchen, und kann somit nicht Zweck dieser kurzen Zeilen sein; deshalb sei nur folgendesbemerkt : Am gelungensten erscheint die rein chemisch-physi- kalische Betrachtung des Stoffwechsels, die auch manches Neue bringt. Mit Recht wird die Be- deutung der komplizierten physikalischen Organi- sation, der physikalischen Hcterogenität des Proto- plasmas für die sehr komplexen chemischen Gleich- gewichte in demselben besonders hervorgehoben und etwas eingehender behandelt. Zu den Regu- lationen leitet der Verfasser nun über, indem er die Auffassung zugrunde legt, daß sie „ihren eigentlichen Sitz im Stoffwechsel haben" und also durch die gegenseitige Anpassung der chemischen und physikalischen Organisation des Protoplasmas zustande kommen. Scheint dem Ref schon die Durchführung dieses Gedankens nicht besonders geglückt, so gilt dies noch mehr von den folgenden Kapiteln, die die „ontogenetische Formbildung" und die Regeneration in eine solche chemisch- physikalische Theorie zwängen wollen. Als Ganzes ist der Versuch des Verfassers auch für den interessant, der in allem Wesentlichen, wie der Ref, auf anderem Standpunkt steht. Er- schwert wird das Verständnis der Schrift leider durch das ziemlich fehleriiafte „Ausländer-Deutsch", sowie durch eine gerade bei schwierigen, prinzipiellen Fragen unangebrachte Kürze. So ist dem Ref z. B. nicht klar geworden, wie die „generative Kraft" des Protoplasmas (S. 6, 17) sich in die Theorie des Verfassers fügen soll. Ruhland-Halle a. S. Anregungen und Antworten. Herrn Gymnasiallehrer H. A. in Bern. — Der llöhen- gewinn beim fiügelschlaglosen Flug, d. i. beim Segelflug, den Sie an einem über dem Haslital in Spiralen aufsteigenden Raubvogel beobachteten, lätit sich folgenderinaßcn erklären: Voraussetzung für die Ausführung der oft bewunderten Flugart ist Windbewegung. Aufsteigende Luftströme, wie sie manch- mal hinter Schiften, an Waldrändern oder an Felswänden (Helgoländer Windphänomen) beobachtet werden, sind dazu nicht erforderlich, nur ein irgendwie pulsierender Wind über- haupt. In gewisser Höhe ist der ja fast immer vorhanden, und deshalb kann der Vogel erst von hier ab ausschließlich zum Segelflug übergehen. Auch der beste Segler muß den Ruderflug anwenden, solange er nicht in die Kegion der Windpulsationen gelangt ist. Die beim Rudeiflug durch die Flügelschläge erzeugte Hubkraft wird durch einen Geschwindig- keitsgewinn ersetzt, den sich der Segler durch den Kurvenflug schafft. Es gibt kein Segeln ohne Kurve, immer geschieht es bei Wind in kreisförmiger, elliptischer, schleifenförmiger, spiraliger oder sonst irgendwie gekrümmter Bahn. Im Luvbogen der Kurve, die konvex gegen die Windrichtung gewendet ist, führt der Segler seine Flugflächen proniert gegen den Flugwind an. Dabei nimmt der Körper eine schräge Haltung ein; der eine Flügel ist gegen die Horizontale gehoben, der andere gesenkt, der Vogelrücken ist dem Zentrum der Kurve zuge- wandt. Deshalb trifft der Flugwind die Flugflächen etwas von unten. Der Widerstand, der sich dabei an den parabolisch gekrümmten, in Fronation verharrenden Flügeln ergibt, verleilit dem Segler einen Vortrieb, und damit einen Gewinn an Ge- schwindigkeit. Dieser Geschwindigkeitsgewinn wird noch ver- größert durch das Auftreten der Zentrifugalkraft, die den im Bogen segelnden Vogel aus der Bahn zu werfen strebt wie den Reiter im Zirkus, wenn er sich nicht nach der Bahnniitte neigt, also keinen zentripetalen Gegendruck ausübt. Denselben Gegendruck wie der Zirkusreiter erzeugt der Vogel durch seine 496 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 31 schräge Haltung; er stützt sich gewissermaßen auf die Zentri- fugalkraft, sich mit ihrer Hilfe einen größeren Schwung ver- leihend. Die so auf doppelte Weise gewonnene Geschwindig- keit kann er im Leebogen der Kurve zum Steigen verwenden. Nur muß er dabei traversieren, d. h. seine Längsachse unter einem kleinen Winkel zur Klugrichtung einstellen, so daß der Schnabel im Winde bleibt. Denn sonst würde ihn der Wind nicht auf der Unterseite der in vortreibender Vorneigung ge- haltenen Flügel treften, sondern direkt im Rücken, was seinen Absturz zur Folge hätte. Das Geheimnis des Segeins beruht also darin, daß der Vogel im Bogenflug den Wind als arbeits- fähige Kraftquelle geschickt auszunutzen weiß , selbstverständ- lich reflektorisch-instinktmäßig. — Zur Orientierung seien Sie auf zwei Veröffentlichungen des Unterzeichneten verwiesen: I. Die Atmung der Vögel während des Fluges, 2. Der Ruder- flug der Vögel. Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung Jahrgang 1912 Nr. I und Jahrgang 1913 Nr. 21. Preis je 10 Pfennige. Leipzig. Prof. Dr. William Fritzsche. In der Besprechung meines Werkchens „Entwicklungs- geschichte des Menschen", Aus Natur und Geisteswelt, Bd. 388, (Nr. 19 [10. 5. 14] der Naturw. Wochcnschr. S. 302) bemerkt der Referent, mein „Büchlein schöpfe wesentlich aus älteren Quellen". Das muß auf den Leser des Referats den Eindruck machen, das von mir in meinem Büchlein Vorgetragene sei veraltet. Ich sehe mich deshalb genötigt, in Kürze zu konstatieren wie folgt: Zugrunde legte ich meiner Darstellung, die für ein in das Ge- biet der Keimesgeschichte des Menschen einzuführendes Laienpublikum (was man nicht übersehen wolle !) bestimmt ist, die klassischen Arbeiten Oskar Hertwig's und zwar vornehmlich, wie ich mehrfach betont habe (siehe z. B. S. 3, 47 usf.) das „Lehrbuch" in der 9. Aufl. (1910) und die „Ele- mente" in der 4. Aufl. (1910). Aus zahlreichen Zitaten geht dann weiter hervor, daß ich die Fachliteratur der allerletzten Jahre, soweit sie für meine besonderen Zwecke in Frage kam, recht ergiebig benutzt habe. Ich verweise dafür z. B. auf S. 15, 25, 27, 28, 29, 33, 34, 35, 36, 37, 39, 43. 49, 58, 68, 71, 72, 76, 81, 82, wo Arbeiten (Spezialwerke und Aufsätze in Archiven usf.) aus dem Jahrfünft 1909 — 1913 zitiert sind. Der Leser mag danach selbst beurteilen, ob Petersen's Behauptung berechtigt ist. Daß ich im historischen Teile (S. : — 14) auf die frühesten Schriften zurückgreifen mußte , versteht sich doch wohl von selbst. Schließlich sei mir gestattet, in diesem Zusammenhange zu bemerken, daß die vom Referenten als „recht minderwertig" monierten Embryonenbildcr (Abb. 42, S. 55) Kopien (für Strichätzung) aus Ranke („Der Mensch" 191 1, Bd. 1, Tafel auf S. 141 Nr. 10 u. 24) bzw. nach Bis („Menschliche Em- bryonen", i8So)sind, was in meinem Büchlein anzugeben leider übersehen wurde — die einzige Abbildung ohne Quellen- vermerk. Dr. A. Heilborn (Steglitz). Herrn Oberlehrer Lud. Frölich, Colmar i. Eis. Ein modernes Werk , welches Bestimmungstabellen für das ganze Tierreich enthält, gibt es leider nicht. Der alte Leunis- Ludwig (letzte Auflage, die III. von 1883/S6) ist, obwohl in bezug auf die Nomenklatur als auch manche systematische Einzelheiten veraltet, doch immer noch das einzige Buch, welches in dieser Art existiert. Als Bestimmungswerke, welche der modernen Systematik und Nomenklatur gerecht werden, siud u. a. zu empfehlen, fürSüflwassertiere: Brauer, Die Süßwasserfauna Deutschlands, Lampert, Das Leben der Binnengewässer. Für Mollusken: Geyer, Die Weichtiere Deutschlands. IV. Aufl. Für Wirbeltiere: Brehm's Tierleben, Hempelmann. Herrn J. Seh. in O, oberirdischen Stamm, sondern ein Die Banane hat keinen eigentlichen unterirdisches Rhizom. Aus diesem treten die riesigen Knospen über die Erde, die aus umeinandergewickelten Blättern bestehen. Bei ihrer wei- teren Entwicklung bleiben die Blattscheiden umeinandergerollt, so daß der Stamm nur aus diesen Scheiden besteht und z.B. mit einem scharfen Buschmesser auf einen Streich durchhauen werden kann. In dieser Rolle, dem Scheinstamm, schiebt sich nun in einem gewissen Entwicklungsstadium der Schaft des Blütenstandes in die Höhe und kommt schließlich aus dem riesigen Blattbüschel zutage; er ist also nicht seitlich am Scheinstamm ,, befestigt". Er biegt sich dann im Bogen um, so daß der Fruchtstand nachher abwärts hängt. Die Kämme, d. h. die Gruppen der in der Achsel großer Hüllblätter neben- einander angelegten Früchte stehen bei der natürlichen t)rien- tierung aufrecht. Im Obstladen ist der Fruchtstand also dann richtig aufgehängt, wenn die Früchte auf ihren Stielen stehen. Die Abbildung im Schmeil ist richtig, aber insofern nicht instruktiv, als nicht zu sehen ist, wie die Früchte be- festigt sind. Literatur. Miehe. im mittleren von Mittel- F. Lehmann. Hundt, Rudolf, Geologische Wanderungen Elstertale. Lobenstein, Fr. Krüger. H e g i , Prof. Dr. Gustav , Illustrierte Flora europa. VI. Band, 5. Lieferung. München, J. 1,50 Mk. Himmel und Erde, Volksausgabe, Lieferung 10 — 15. Berlin- München-Wien, Allgem. Verlagsgesellsch. m.b.H. aöoPf. Karsten -Schenck, Vegetationsbilder. 12. Reihe. Heft 2 u. 3 : Vegetationsbilder vom Kilimandscharo von Ger- trud Tobler-Wolff und Fr. Tobler. Jena '14, G. Fischer. 8 Mk. Gebbardt, Paul, Mit der Kamera auf Reisen, Ratschläge für die Ausrüstung und Ausübung der Photographie fern von der Heimat. Mit eingehender Erörterung der Zollverhältnisse und Photographieverbote. Mit 38 Abbild, im Text u. 3 An- lagen. Leipzig, Liesegang's Verlag, M. Eger. Geb. 3 Mk. Keller, H., Ursprung und Verbleib des Festland-Nieder- schlags. Mit I Tafel. Berlin '14, E. S. Mittler und Sohn. 1,25 Mk. Schaefer, Prof. Dr. Clemens, Einführung in die theo- retische Physik in zwei Bänden. I. Bd. Mechanik materieller Punkte, Mechanik starrer Körper und Mechanik der Kontinua (Elastizität und Hydrodynamik). Mit 249 Textfig. Leipzig ■14, Veit & Co. Geb. 20 Mk. Viel Weber, Tafel der Steinobst- und Beerensorten. 1,20 Mk.; Prof. Dr. Rasch ke, Tafel der Bäume und Sträucher. 90 Pf. Graser's Verlag (R. Liesche), Annaberg i. S. Weimarn, Prof. Dr. P. von. Zur Lehre von den Zu- ständen der Materie. 2 Bde. Dresden und Leipzig '14, Th. Steinkopff'. Geb. 9 Mk. Pohl, Dr. R. und Pringsheim, Dr. P., Die licht- elektrischen Erscheinungen. Heft i der Sammlung Vieweg. Tagesfragen aus den Gebieten der Naturwissenschaften und Technik. Braunschweig '14, Fr. Vieweg & Sohn. 3 Mk. Hägglund, Lic. E., Hefe und Gärung in ihrer Ab- hängigkeit von Wasserstoff- und Hydroxylionen. Mit 4 Text- abbild. Stuttgart '14, F. Enke. 1,50 Mk. Inhalt; Baglioni: Der Einfluß äußerer Schallemptindungen auf die Tonhöhe der menschlichen Sprache. Richters: Steinvi-erkzeuge aus dem nordischen Gletschermergel. — Einzelberichte: Eycleshymer: Amphibienlarven können längere Zeit ohne Kopf leben. Behrmann: Geographische Ergebnisse der Kaiserin-Augusta-Fiuß-Expedition. Chauf- fard, Larosche und Grigaud: Der Cholesteringehalt der Nebennierenkapseln unterliegt bei den verschiedenen Krankheiten großen Schwankungen. Roh mann: Röntgenspektroskop. Quiring: Über die niederschlesischen Gold- vorkommen. Fenn er: Die Stabilitätsbeziehungen der Kieselsäuremineralien. d'Angremond: Die Parthenokarpie der Eßbananen. — Bücherbesprechungen: Friedländer: Beiträge zur Kenntnis der Kapverdischen Inseln. Mitchell: Die Kindheit der Tiere. Bavink: Allgemeine Ergebnisse der Probleme der Naturwissenschaft. Bateson; Problems of Genetics. Lundegardh: Grundzüge einer chemisch-physikalischen Theorie des Lebens. — Anregungen und Antworten. — Literatur : Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafie IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzen Reihe 2g. Band. Sonntag, den 9. August 1914. Nummer 33. Das geologische Alter der Angiospermen. [Naclidnick verboten.] Eine der überraschendsten Tatsachen, die uns im Laufe der Entwicklung der Pflanzenwelt in den geologischen Epochen entgegentreten, bildet das anscheinend plötzliche Erscheinen der höch- sten Pflanzengruppen, der Angiospermen, und zwar sowohl der Monokotylen wie Dikotylen mit dem Beginn der oberen Kreidezeit, im Cenoman. Dieses Verhältnis finden wir wenigstens in Deutsch- land, Österreich und der Überzahl der übrigen Länder deutlich ausgeprägt. In der unterhalb des Cenomans lagernden Abteilung der Kreide- formation, dem Gault, hatte sich bisher bei uns niemals eine Spur dieser seit dem Cenoman mit so elementarer Gewalt die früheren Pflanzentypen zurückdrängenden Gewächsgruppen gefunden. Ist doch von da an in den meisten Fällen das Ver- hältnis der Überreste der mesozoischen Pflanzen- welt zu den Angiospermen ungefähr dasselbe wie heute. Auch heute haben wir ja noch eine An- zahl solcher Überbleibsel der Juraflora, wie z. B. den Ginkgobaum, verschiedene Farne (Mahonia, Dipteris, Todea u. a.), die in ähnlicher Weise wie jetzt lokal in der oberen Kreide und zum Teil noch in der Braunkohlenformation ganz unterge- ordnet auftreten. Von einem allmählichen Ein- treten einer neuen Ära der Pflanzenwelt, etwa von dem allmählichen Auftreten einzelner zer- streuter Vorkommnisse von Dikotylen in der oberen Juraformation scheint nichts zu spüren zu sein. Betrachtet man dagegen den Übergang der alten Zeit der Pflanzenwelt, also das Ende der Steinkohlenformation im Verhältnis zu der Flora des Zechsteins, so ist der Schritt hier keineswegs so un- vermittelt, indem einige Vorläufer der Zechsteinflora, z. B. Ulmannia Baiera u. a., in den ersten Spuren bereits im Rotliegenden auftreten. Betrachtet man den nächstfolgenden ziemlich fühlbaren Schritt im Laufe der Entwicklung der Pflanzenwelt, so liegt dieser im allgemeinen in den obersten Schichten der Keuperformation, den sog. Rhätschichten. Auch hier stellen sich speziell in der Gruppe der cykadeen-ähnlichen Gewächse, dann in der Farn- welt anscheinend ziemlich plötzlich eine große Menge neuer Formen ein; ihr Auftreten verliert jedoch dadurch bedeutend an der Unvermittelt- heit, daß an einigen Stellen, nämlich z. B. in dem Keuper von Lunz in Niederösterreich und von Basel (Schweiz) ähnliche nahe verwandte Typen bereits etwas früher auftreten. In neuerer Zeit hat nun die Frage des Er- scheinens der Angiospermen verschiedentlich neue Beleuchtung und Klärung erfahren, und verschie- dene an mich direkt oder indirekt gelangte An- Von W. Gothan. fragen geben mir Veranlassung im folgenden den Stand des Problems im Augenblicke kurz in den wesentlichen Zügen auseinanderzusetzen, um so mehr, da die Lehrbücher, die sich mit der fossilen Pflanzenwelt beschäftigen, diese neuen Ergebnisse noch nicht enthalten. Bei uns in Deutschland, in Österreich und vielen anderen Gegenden steht die Frage noch auf dem alten Standpunkt: wir haben einerseits, wie schon oben gesagt, in der oberen Kreide eine erdrückende Menge dieser höheren Pflanzen, ande- rerseits in der unteren Kreide und zwar speziell den VVealden- und Neokom Schichten eine noch total mesozoische, d. h. angiospermenlose Pflanzen- welt, der dazwischenliegende Gault enthält da- gegen bedauerlicherweise außer einigen überaus traurigen Holzresten sozusagen absolut keine Pflanzenreste. Eine andere Sachlage schien in Nordamerika nach den Untersuchungen von F"ontaine vorzu- liegen, wo an der atlantischen Küste von Mary- land usw. Schichten der unteren Kreide mit reicher Flora bis zur oberen Kreideformation hinauf ent- wickelt sind. Die Formation, die früher allgemein unserem Neokom und Wealden als gleichaltrig angesehen wurde, wurde nach dem Namen eines dortigen Flusses als Potomac-Formation bezeichnet. Diese enthielt nun nach der Darstellung Fon- ta ine's ein Gemisch von Typen der früheren jurassischen (oder genauer Wealden-Flora), wie Sphenopteris mantelli, gewisse Koniferen (Brachy- phyllum, P'renelopsis , Sphenolepidium), Ginkgo- phyten, Nilssonien, Bennettiteen usw. und daneben eine große Masse von Angiospermen, speziell Blätter von Dikotylenbäumen, deren nähere Ver- wandtschaft allerdings in vielen Fällen fragwürdig erscheint. Wenn diese Darstellung einer aus älteren und jüngeren Typen derart gemischten Flora richtig gewesen wäre, so hätte sich daraus zweierlei entnehmen lassen: nämlich erstens, daß in gewissen Gebieten der Erde die Angiospermen ganz bedeutend früher erschienen als bei uns und dann wahrscheinlich von hier aus ihren Eroberungs- zug über die noch unbesiedelten Gebiete antraten, und zweitens, daß in dem genannten amerikanischen Gebiet und vielleicht noch anderswo sich gewisser- maßen ein Kampf zwischen beiden Vegetations- formen abgespielt habe, der mit dem baldigen und vollständigen Siege der Angiospermen endete. Es war dies jedoch nicht die einzige .Stelle, von wo aus tieferen Schichten der Kreideformation das Auftreten dieser Gewächse angegeben wurde. Schon vorher hatte O. Heer aus der unteren 498 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 32 Kreide von Grönland ebenfalls neben einer An- zahl von mehr mesozoischen Formen das Auf- treten einiger dikotyler Blätter, z. B. einer Pappel- art, angezeigt. Fs handelt sich hier um die sog. Komeschichten , deren reiche Flora namentlich durch das Auftreten zalilreicher Gleichenien, C}-- cado]ihytcn, Ginkgogewächsen einen recht meso- zoischen Anstrich erhielt. Weiterhin hatte Sa- porta aus Portugal eine Flora beschrieben, in der ebenfalls eine größere Anzahl von Angiospermen auftreten, die etwa als in die Stufe des Gault gehörig angesehen wurden. Doch haben diese beiden letzteren Vorkommnisse anscheinend auf die Anschauung über das Alter der Angiospermm bei uns nur geringen fc^influß gehabt. In neuerer Zeit hat nun diese Frage eine ganz neue Beleuchtung erfahren durch die Unter- suchungen des Amerikaners E. W. Berry,\) der die von Fontaine im Jahre 1889 veröffentlichte Potomacflora einer Revision unterzog und darüber eine Reihe von kleineren Mitteilungen und beson- ders 191 1 eine zusammenfassende Abhandlung verfaßt hat, in der er zu ganz anderen Resultaten als Fontaine kommt. Das Abweichende seiner Resultate mit Beziehung auf die Benennung und nähere systematische Stellung der einzelnen F"or- men interessiert uns hier nicht weiter; der für uns bedeutungsvollste Punkt ist, daß das Vor- handensein der von Fontaine behaupteten Mischflora im Neokom sich als ein höchst bedauerlicher Irrtum heraus- stellte. Es zeigte sich nämlich bei genauerer Untersuchung, daß die als mesozoische Formen aufzufassenden Gewächse sich meistens auf eine untere .Abteilung der Potomacformation beschränk- ten, die als Patuxentformation bezeichnet wiid und etwa unserem Neokom entspricht; eine An- zahl dieser geht zwar noch in die höhere Etage der Potomac hinauf, die sog. Patapscostufe, aber in dieser erscheinen erst die Angio- spermen, die früher angeblich in der ganzen Potomacformation auftreten sollten. Die Patapscoformation entspricht etwa unserem Gault, und mit dieser Verschiebung werden die Verhältnisse, wie wir gleich sehen werden, für eine ganze Reihe von Gegenden der Erde, die darauf untersucht sind, sofort bedeutend Iiomogencr. Wir hatten schon oben erwähnt, daß aus Europa von Portugal aus demselben Horizont die ersten Angiospermen angegeben waren; vor einiger Zeit wurde nun aus dem gleichen Horizont der Insel Madagaskar ein Laubholz angegeben, das von dem LIntersucher der Lorbeerfamilie zu- gewiesen wurde (Fliehe 1905). In außerordent- lich wertvoller Weise sind nun diese Funde ergänzt worden vor kurzer Zeit durch die Untersuchungen von M. Stopes in London, die aus einem unse- rem Gault entsprechenden Horizont Südenglands, dem Lower Greensand, zwei ganz zweifellose M ^^gJ- besonders seine Arbeiten in Geolog. Survey of Maryland, Lower cretaceous, Baltimore 1911. Dikotylenhölzer beschrieb unter dem Namen Aptiana und Woburnia (Thil. Trans. Roy. Soc. London, B, Vol. 203, p. 75—100, 1912). Überblicken wir die hieraus sich ergebende Folgerung, nämlich daß an einer ganzen Reihe von Lokalitäten der Erde die ersten Angio- spermen in Horizonten auftreten, die etwa unserem Gault entsprechen, so sehen wir einerseits, daß die früher so befremdend erscheinende Ungleich- mäßigkeit in dem Auftreten dieser Pflanzen z. B. bei uns und in Nordamerika so gut wie ausge- glichen erscheint, daß aber bei uns die Verhält- nisse offenbar nur deswegen anders erscheinen, weil der Pflanzengehalt des Gault bei uns eben ein überaus minimaler und erbärmlicher ist. Anderer- seits war oben darauf hingewiesen worden, daß in Nordamerika ein Teil der Repräsentanten der unteren Potomacformation, also den mesozoischen Typen noch in den Angiospermenhorizont, die Patapscostufe hinaufreicht und dort also in Mischung mit den Repräsentanten der neuzeitigen Pflanzen- welt auftritt. Der alte Charakter der Potomacflora als einer Übergangs und Mischflora älterer und neuerer Pflanzenform bleibt also mehr oder weniger erhalten, nur daß diese Mischflora eben in Horizon- ten auftritt, in denen auch anderwärts Angio- spermen bereits vorhanden waren, leider aber durch die Ungunst der Verhältnisse sich nebst der älteren Flora weniger zahlreich erhielten. Die Periode des Gault ist also als diejenige auf- zufassen, in der sich der Daseinskampf der meso- zoischen und neuzeitlichen Pflanzenelemente im wesentlichen abspielte ; der Ausgang dieses Kampfes ist ja bekannt und wurde auch oben bereits berührt. (Ib nicht in noch früheren Zeiten ausnahmsweise und lokal bereits Spuren der Angiospermen vor- handen gewesen sind, ist eine Frage, die oft auf- geworfen, aber noch nicht völlig beantwortet worden ist. Von der Hand zu weisen ist diese Möglich- keit ja nicht, da man daran denken kann, daß in ähnlicher Weise, wie im Rhät Bonebed die ersten Spuren primitiver Säugetiere auftreten, auch die höchsten Pflanzengruppen solche zerstreuten Vor- läufer gehabt haben könnten. Sichere Hinweise darauf fehlen nun zwar, doch hat man z. B. im Lias vonStonesfield in England einigeBlattreste gefunden, die, wenn es sich um Tertiärflora handeln würde, an standslos als Dicotyle passieren würden, so aber mit Vorsicht aufgenommen sind, um so mehr, da die Blätter von Gnetum, einer Gruppe, die zwar zu Gymnospermen gestellt wird, aber eine ganze Reihe von Angiospermencharakteren zeigt, durch- aus dikotylenartig aussehen. Daherwird es schwierig, die Gnetacecn überhaupt in der fossilen Flora nachzuweisen. Vorhanden müssen sie aber sein und sehr alt muß diese Gruppe auch sein, da sie so außerordentlich inhomogene Angehörige, wie Welwitschia, Ephedra und Gnetum enthält. Vor einiger Zeit haben übrigens zwei Franzosen (Li- g n i e r und T i s o n) sie für primitive Angiospermen erklärt. N. F. Xni. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 499 Recht auffallend ist ferner der Fund von H. H. ration mit HNO., -j-KClOj) sich als mehrere Samen Thomas') im Brauiijura von Yorkshire, wo er enthaltend entpuppten; diese Caytonia genann- geschlossene Früchte fand, die bei Präparation ten Früchte weisen also auch auf Angiospermen, mit bleichenden und oxydierenden Mitteln (Maze- Es ist also möglich, daß in der Tat schon im Jura einzelne Spuren der höchsten Pflanzengruppen auf- ') Report Brit. .^ssoc. Adv. .Sciences. Portsmouih 191 1. tauchen, sicher ist CS aber noch nicht. Die Entstehung der Erstarrnngsgesteine. [Nachdruck verboten.] Von Adolf Wenige Wissenschaften sind noch so vollständig im Stadium der bloßen Erfahrung befangen, wie die Gesteinskunde, die Petrographie. Nimmt man eines ihrer Kompendien zur Hand, so stößt man auf eine Unsumme von Einzelerscheinungen, die man alle seinem Gedächtnisse einprägen muß, um mitreden zu können, und die Regeln, die man sich im Interesse der Übersichtlichkeit bilden möchte, erleiden alle viele Ausnahmen. Selbst ein gemeinschaftlicher Name, wie z. B. der des Melaphyrs, umschließt manchmal noch recht Ungleichartiges und Wechselndes, nicht bloß in bezug auf die hier und da vorkommenden, sog akzessorischen mineralogischen Bestandteile (was beinahe für jedes Gestein gilt) sondern — sogar in bezug auf die mineralogischen Grundbestandteile, die man sonst die charakteristischen nennt. Da wird zwar Plagioklas und Augit als Hauptbestandteil genannt, aber dieser letztere tritt oft stark zurück und wird lokal durch Hornblende ersetzt, und Plagioklas ist überhaupt keine einzelne Mineralspezies sondern eine ganze Familie, in der bald natronreiche und kalkreiche Formen aus lediglich kristallographischen Gründen zusammengefaßt werden. Ja man würde die rein mineralogische Beschreibung manches Melaphyres mit der mancher Basalte oder Dolerite vertauschen können, ohne es zu merken, und man muß die feinere mikroskopische oder die Mandel- struktur des Melaphyrs zu Hilfe nehmen, um den Unterschied einigermaßen greifbar zu machen, was für den Lernenden, der die Verhältnisse nach ein- fachen Gesichtspunkten übersehen möchte, keine angenelime Sache ist. Und wirklich hat man neuerdings in der Gesteinskunde die Konsequenzen dieses unhaltbaren Zustandes gezogen und faßt die Melaphyre einfach als ältere Basalte mit nur etwas modifizierter Ausbildung. Solche einfachen großen Gesichtspunkte, durch welche die geschichteten Gesteine längst von den Erstarrungsgesteinen und jene unter sich geschie- den wurden, fehlen für die Petrographie der Er- starrungsgesteine noch beinahe ganz. Wohl hat man gelernt, die Ergußgesteine oder Laven von den Tiefengesteinen zu unterscheiden. Man glaubt jetzt — hauptsächlich auf Grund der mikroskopi- schen Beobachtungen der Dünnschliffe, aber auch auf Grund der Gebirgsformen — zu wissen, daß der- Quarzporphyr, ehedem als selbständiges Ge- stein behandelt, nur die Lava des Granits ist, der quarzfreie Porphyr die Lava des Syenits und der Porphyrit die Lava des Diorits, daß also diese Mayer. Gesteine in flüssiger P'orm sich ergossen haben, wie noch heutzutage basaltische und andesitische Laven sich ergießen oder in Bimssteinstruktur von den Vulkanen in die Luft geblasen werden und nach dem Niederfallen lose Tuffe bilden. Hier besteht eben bei aller Verschiedenheit des Aussehens und der äußeren Struktur eine so auf- fällige Gleichförmigkeit der elementaren chemischen Zusammensetzung zwischen Tiefengestein und dem dazu gehörigen Ergußgestein, dazu ist die Gebirgs- form der beiden zueinander gehörigen Gesteins- arten so charakteristisch, daß hier nur die einfache Kenntnis dieses leicht übersichtlichen Sachver- haltens nötig war, um eine greifbare und leicht zu erhärtende Hypothese aufzustellen. Auch in einer anderen Richtung hat man schon lange einen theoretischen Fortschritt ver- sucht. Es ist natürlich, sobald die ersten chemi- schen Analysen der hauptsächlichsten Gesteins- arten vorlagen, aufgefallen, daß man die Erstar- rungsgesteine auch nach ihrer Zusammensetzung gruppieren kann, in kieselsäurereichere, sog. Acidite und ärmere (die an Stelle der Kieselsäure mehr basische Bestandteile besitzen) Basite. Für die ersteren ist der Granit (mit seiner zugehörigen Lava, dem Quarzporphyr) der beste, für die letz- teren der Olivin - Gabbro mit der gewöhnlichen dunkeln Basaltlava der beste Vertreter. Granit besteht zu ungefähr -/g aus Kieselsäure, Basalt kaum zur Hälfte, hat aber dafür 10 "/o Kalk und noch mehr Eisenoxydul, von dem im Granit nur I oder wenige Prozente anwesend ist. Das sind die greifbaren Unterschiede. Worauf aber sind diese Unterschiede zurückzuführen ? Der erste Forscher, der sich mit dieser Frage ernstlich beschäftigte und auf Grund seiner eigenen Studien eine (freilich nur für das beschränkte Ge- biet dieser bezügliche Theorie) aufstellte, war Robert Bunsen. Er hatte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts Island bereist, die dortigen vulkanischen Gesteine gesammelt und analysiert und meinte aus seinen Analysen zu dem Schlüsse berechtigt zu sein, daß alle diese vulkanischen Gesteine Mischlinge seien aus zwei feuerflüssigen Massen, sog. Magmen, von denen die eine die Zusammensetzung eines Trachyts, die andere die eines augithaltigen Gesteines '), etwa des Basaltes ') Bunsen sprach von normaltrachytisch und normal- pyroxenisch. Pyroxen ist eine Mineralspezies, zu der der Augit gehört. 500 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xra. Nr. 32 hatte, Mischungen in den verschiedensten Ver- hältnissen von I bis 100 fortschreitend. Man erkennt, welche Vorteile die Bestätigung dieser Theorie gehabt haben würde, obgleich es an sich wenig plausibel erscheint, daß die feuer- flüssige Masse des Erdinnern, die doch als die letzte Ursache aller vulkanischen Erscheinungen aufgefaßt wird, gerade in zwei Sorten vorhanden sein könne, wie Sodawasser und Himbeersyrup in dem Ausschank von Limonaden. — Warum zwei Sorten ? Das Magma des Erdinnern müßte doch eigentlich ganz gleichartig sein. Genug Zeit zum Mischen hat es doch gehabt, wenn es nicht schon bei seiner Entstehung gleichartig war. Und, wenn nicht, warum gerade zwei Mutterlaugen? Dafür gab es keine theoretischen Gründe. Es war ledig- lich Erfahrungssatz, und als solcher blieb er — ohne Bestätigung. Infolge dieser, namentlich durch die massen- haften Analysen des großen geologischen Instituts zu Washington mehr und mehr sich zeigender Unstimmigkeit kam selbst gegen Ende des Jahr- hunderts die ganze Einteilung von Aciditen und Basiten in Mißkredit. Die Mannigfaltigkeit der Gesteine war viel zu groß, um sie in solche enge Formeln zu bannen. Aber Theorien sind keine Spielereien unseres müßigen Geistes. Sie sind bekanntlich notwendig für den Forlschritt der Wissenschaft, die ohne dieselben jede Übersichtlichkeit über das endlos sich dehnende Tatsachenmaterial verlieren würde, und ebenso für die Befähigung zur Stellung von Fragen nach neuen besonders wichtigen Tatsachen. Nach einer aus der Reaktion gegen Mißbrauch der Phantasie entstehenden Periode der Empirie folgt immer wieder der Hunger nach vielumfassen- den Theorien, genau wie in der Geschichte der Kunst naturalistische und idealistische Perioden einander ablösen nach den bekannten Gesetzen von Aktion und Reaktion, von These und Anti- these. So tauchen jetzt auch wieder in der Wissen- schaft der Geologie Hypothesen auf, die die Ver- schiedenheit der Erstarrungsgesteine zu erklären suchen, ohne in die Fehler der verlassenen Theorien zu verfallen. Man ist vorsichtiger geworden und baut nicht mehr auf wenige, noch so feststehende Tatsachen allein, sondern auf viele, die sich nicht bloß bei den im engeren Sinne des Worts vulka- nischen Gesteinen, sondern bei allen Erstarrungs- gesteinen wiederholen. Eine solche Tatsache ist die der Differen- zierung vieler Gesteine von ihrer massigen Mitte aus nach den Rändern zu, Erscheinungen, die sich meist in der Weise wiederholen, daß die Gesteine nach den letzteren zu basischer, in Sonder- heit reicher an Kalk und Eisen und ärmer an Kiesel werden. Als solche Tatsachen werden z. B. die folgenden genannt. DieGranitmassedesBrockens wird überall da, wo sie an andere Gesteine grenzt, zu Diorit oder Gabbro. Ebenso zeigt das Meißner Granitmassiv eine breite Randzone von Syenit, und dieselbe Erscheinung konnte auch im Schwarz- walde beobachtet werden ^). Gabbro, Diorit und Syenit sind aber alle basischere Gesteine als der Granit. Dieselbe Erscheinung findet sich im kleineren Maßstabe in Gängen, wo Porphyr am Rande des Ganges in sog. Salbänder von Melaphyr oder Diabas übergeht. Melaphyr und Diabas sind aber wieder basischere Gesteine als der Porphyr. Also, wie es den Anschein hatte, eine ganz allgemeine Regel, die bei der natürlichen Annahme, daß ursprünglich das Magma doch überall chemisch gleichgewesen sein muß oder vielleicht höchstens infolge der Einwirkung der Schwerkraft von oben nach unten differenziert, zu einem Erklärungs- versuche herausfordert. Eisen und Kalk wandern nach außen ; Kieselsäure und Kali bleiben mehr im Kern der Gesteinsmasse. Was kann davon die Ursache sein? An zwei ^) differenzierende Ursachen war hier zu denken ; Die eine ist die Temperaturdifferenz. An den Rändern stößt die Masse an schon erhärtetes Gestein, das schon Abkühlung erlitten hat, oft gar an geschichtetes, das schon mit der stark ab- gekühlten Luft und den atmosphärischen Nieder- schlägen in Berührung war. Hier in den äußeren Teilen der Masse wird also die Kristallisation zuerst beginnen, und was kristallisiert zuerst? Das Studium der Dünnschliffe gibt hierüber Auskunft. Die mikroskopische Beobachtung derselben lehrt, welche Mineralien ungestört durch andere Minera- lien ihre nach den Regeln der Kristallographie erfolgende Ausbildung finden. Das sind die E^rst- linge. Die Nachkömmlinge müssen sich einrichten in dem Räume, den jene übrig gelassen haben. Die Reihenfolge ist nun diese : „Die Verfestigung beginnt . . . mit der Kristallisation der Erze, des Apatits . . ., darauf folgt die Ausscheidung der eisen- und magnesiahaltigen Silikate: Hornblende, Pyroxen, Glimmer, dann diejenige der Feldspäte und endlich des Quarzes". ^) Freilich ist das kein allgemein gültiges Gesetz, sondern nur eine Regel mit ihren Ausnahmen. Also erst — der Gehalt an Erzen ist ja nur gering — die eisen- und magnesiahaltigen SiHkate, die meist auch kalkreich sind; dann erst die Feld- späte, die kieselsäurereicher und eisenarm sind, mehr Kali und weniger Kalk enthalten und zuletzt die kristallisierte reine Kieselsäure selber. Hier- durch ist aber ein Impuls zur Wanderung gegeben, und zwar zur Wanderung in einem ganz bestimm- ten Sinne, in einem Sinne, der mit dem tatsäch- lichen Befunde derselbe ist. Denn jeder Punkt, wo Kristallisation statthat, dient ja als Anziehungs- ') Crcdn er, Geologie, 10. Auflage, S. 1S7. Gute Belege bei Rosenbusch, Elemente der Gesleinslehre, S. 183. ^) Wenn wir nämlich die Hypothese einer Verwandlung der sog. chemischen Elemente selber zur Seite lassen (eine Hypothese, die in unserer Zeit der zerfallenden Elemente und bei den ungeheuren Zeiträumen, die in geologischen Dingen zur Verfügung stehen, nicht völlig ungereimt erscheint, so wenig auch die gerade in Frage kommenden Elemente Ver- anlassung zu solchen Vermutungen geben). ') Credner, Geologie a. a. O. S. 286. N. F. Xm. Nr. 3: Naturwissenschaftliche Wochenschrilt. 501 punkt für die durch dieses Festwerden sich der Diftusionsmöglichkeit entziehenden chemischen Bestandteile, genau wie der in den Zwischenzell- räumen sich bildende Eiskristall dem ganzen Pflanzengewebe langsam das Wasser entzieht, weil hier das Wasser mit der Tendenz zur Gegen- bewegung ausscheidet. Und der Umstand, daß es sich bei geologischen Prozessen um große Ab- stände handelt, legt der Langsamkeit der Diffusions- bewegung keine weitere Schwierigkeiten, als Er- klärungsprinzip dienen zu können, in den Weg, da auch groi3e geologische Zeiträume für solche Prozesse zur Verfügung stehen. In den Klüften und Gängen aber, in denen wir die gleiche Differenzierung vor sich gehen sahen, handelt es sich gar nicht um große Abstände, und hier genügen kürzere Zeiten, wenn hier die Erstarrung rasch von außen nach innen fortschreitet, so daß auch hier von einem Mißverhältnis von Weglängen und Zeiten nicht die Rede sein kann. Neben der allerdings sehr plausiblen Tem- peraturdifferenz gibt es noch ein anderes Moment, das manchmal in derselben Richtung, manchmal modifizierend auf die erste Ausscheidung wirken könnte, so daß auf diese Weise vielleicht die Verschiedenheiten der jungen und alten Erstarrungs- gesteine zu erklären wären. Freilich könnten auch wohl die Temperaturen an sich in dieser letzteren Richtung modifizierend wirken, indem die Stärke der seitlichen Abkühlung nicht immer dieselbe und mit der fortdauernden Abkühlung unseres ganzen Planeten eine mit der Zeit größere zu werden die Aussicht haben muß. Denn man weiß (z. B. aus den klassischen Untersuchungen van't Hoff 's) über die Salzwasserausscheidungen, daß schon ein Temperaturunterschied von wenigen Graden aus einer komplizierten Lösung die Erst- ausscheidung eines anderen Minerals (z. B. des Natronsulfats statt des Kochsalzes bei gewissen asiatischen Ablagerungen) veranlassen und damit der ganzen Geologie eines Salzlagers eine andere Richtung geben kann. Man hat daraus selbst auf die bei geologischen Ablagerungen herrschenden Temperaturen Rückschlüsse gemacht. — Und warum sollte es bei einem Magma anders sein? Trotzdem ist jener andere Gesichtspunkt doch wohl noch von größerem Interesse. Ich meine jenen, der sich uns durch das Studium der Kontaktmeta- morphosen auftut. Unter Kontaktmetamorphosen versteht man die Veränderungen , welche schon erkaltete oder vielleicht schon geschichtete, also umgebildete Gesteine durch die direkte Berührung mit Laven oder nicht zum Ausbruch gelangenden Schmelzmassen erleiden. Diese Veränderungen sind äußerlich oft sehr bedeutend, und auf hun- derte von Metern, ja über tausend Meter, sich er- streckend (wenn auch gering in bezug auf die elementare Zusammensetzung), aber wir haben direkt mit denselben nichts zu tun. Ich will also nur erwähnen, daß Kalksteine sich in Marmor verändern, Braunkohlen in anthrazitähnliche Koke, Tonschiefer in Glimmerschiefer oder glasartige Massen u. dgl. mehr. Weniger beachtet wurde bisher der umge- kehrte Einfluß, der natürlich auch nicht ausbleibt. — D. h. wohl wird überall beschrieben, daß Bruchstücke des anstehenden Gesteines, natürlich gleichfalls in der angedeuteten Weise umgewan- delt, in der Schmelzmasse eingebettet sich finden, seltener jedoch von einer Veränderung dieser selbst durch die Berührung gesprochen. Und doch ist anzunehmen, daß ein derartiger Einfluß vorhanden sein muß. Und wirklich dergleichen Fälle sind bekannt. Selbst der Fall ist beobachtet, daß so viel von den anstoßenden Gesteine ab- geschmolzen und mit der Schmelzmasse vermischt wird, daß dadurch eine wesentliche Veränderung in deren Zusammensetzung und durch diese Resorption schließlich ein wesentlich differenziertes Erstarrungsgestein aus dieser Mengung hervor- gegangen ist. Dafür stehen zuverlässige Daten zur Verfügung. Um so mehr aber erscheint es als eine Konsequenz aller unserer auf dieses Ge- biet bezüglichen Anschauungen, daß solche Ein- dringlinge unter Umständen auf die Anregung zur Erstkristallisation gewisser Mineralien wirken müssen, deren Ausbildung dem vorhin erwähnten Diffusionsstrome der chemischen Körper, die an dem Aufbau dieser Mineralien sich beteiligen, zum Zielpunkte dient. Ist doch bekannt, dal3 man in übersättigten Lösungen von Gemischen von ver- schiedenen chemischen Stoffen durch „Impfen" (mit dem, den man zu haben wünscht) die Kristalli- sation dieses zwingen kann, ja, daß man in Labo- ratorien, in denen man aus einem gemischten Syrup Fruchtzucker erzielen will, den unsichtbaren Staub von Traubenzucker (als Aussaat in der unwillkom- menen Richtung) meiden muß genau wie Wund- fieberkeime enthaltende Luft in einem Operations- raume. Es handelt sich einfach darum, die Konse- quenzen dieser Erscheinungen für die Erstarrungs- vorgänge der Gesteine zu ziehen, und wirklich sind gewisse Anzeichen dafür vorhanden, daß gerade bei der Berührung zweier ungleichartigen Gesteine bei hohen Temperaturen das eine durch die Struktur des anderen — angesteckt wird. Aber so weit brauchen wir nicht einmal zu gehen und wollen es nicht, weil auch hier noch zu viel F'ußangeln und Selbstschüsse liegen und zu wenig Tatsächliches auf dem Gebiete bekannt (wenig- stens uns) ist. Aber der naheliegende Schluß ist doch wohl erlaubt, daß, wenn auch in den anstehenden geschichteten Gesteinen, die ja in der Geschichte ihres Entstehens schon tiefgreifende Verwitterungsprozesse durchgemacht haben, auch gewöhnlich keine Mineralien mehr vorhanden sind, die als Impfstoff im eben angedeuteten Sinne wirken können, doch die bloße lokale Anreiche- rung an Kieselsäure aus einem benachbarten Sandsteine, an Ton aus einem Schiefer, an Kalk aus einer nach diesem Stoffe genannten Gebirgs- art Veranlassung geben kann zu der Bildung eines 502 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 32 besonderen Minerals, dessen Entstehen der Aus- gangspunkt für den Differenzierungsprozeß abgibt, mit dem wir es hier zu tun haben. Und bei dieser Überlegung steht die nicht wegzuleugnende Tatsache vor Augen, daß die neueren basischen Gesteine, die Basalte und Dolerite, reicher an Augit, die älteren Syenite, M Gabbros und Diorite im allgemeinen reicher an Hornblende sind. Augit aber ist das kalkreichere IVIineral, und es könnte gar wohl zur Ausbildung dieses aus ein und der- selben Schmelzmasse durch die lokale Zufügung von etwas Kalk Veranlassung gegeben werden. Und die Tatsache des stärkeren Überwiegens des Augits in den neueren Erstarrungsgesteinen wäre dann zusammenzuhalten mit der anderen Tatsache, daß Kalkgebirge unter den geschichteten Gesteinen erst auftreten nach Auftreten einer Organismenwelt, die sich aus dem kohlensauren Kalke ihre Panzer baut, also nicht zu Anfang der Erdgeschichte, wo vielmehr eine Erstarrungsmasse nur Aussicht hatte, außer mit erstarrten Gesteinen von verwandter Zusammensetzung mit mehr kieseligen oder tonigen Gesteinen in Berührung zu kommen, während der bei d.-r Verwitterung ausgelaugte Kalk gewiß zum größten Teile noch Bestandteil des Weltmeeres war. Und nun kommen allerdings Einwürfe, die für das eben Entwickelte vernichtend zu sein scheinen. Die sich in der Wissenschaft häufenden Erfahrun- gen haben neuerdings den Satz erschüttert von der Regel des sauren Kerns und der basischen Randfazies. Es gibt auch eine Reihe von umge- kehrten Fällen : in Amerika, in den südlichen Alpen, überall. Auch die Hilfsh)-pothese, von der wir ausgegangen sind, ist unsicher. Ich meine die Reihenfolge der zuerst kristallisierenden Mine- ralien. Es gibt auch Ausnahmen von dieser Regel. Es gibt auch Fälle, wo die Feldspäte zu- erst kristallisiert sind vor den schwarzen basischen Mineralien. Das Studium der Dünnschliffe zeigt das deutlich. Aber gerade weil dies alles noch unsicher ist, ist freilich nichts bewiesen aber auch nichts widerlegt. Es fragt sich nun, ob sich das eine mit dem anderen kombinieren ließe, so daß die Sache in allen Phallen zum klappen kommt. In jedem Falle ist ein neues Erklärungsprinzip aufge- stellt, um das sich die Tatsachen grui)pieren können, und das unwiderstehlich neue, entscheidende Tatsachen hervorlockt. Natürlich wird es nicht genau so gewesen sein, wie wir es uns hier vorstellen; aber etwas der Art, wie wir es uns vorstellen, muß gewesen sein. Es gibt also voraussichtlich für die Verschiedenheit der Erstarrungsgesteine eine ganze Reihe von Ur- sachen : Temperaturdifferenzen einer empordrängen- den Erstarrungsmasse zwischen außen und innen, die spezifische Anregung durch das Kontaktgestein zu ganz bestimmten Mineralindividuen, wodurch eine Wanderungstendenz der zuerst sich verfestigen- den Verbindungen angeregt wird. So ist doch vielleicht die große Mannigfaltigkeit der Erstarrungs- gesteine bei der großen Anzahl von chemischen Körpern, die das Magma enthält, und mit deren Potenz die Anzahl von möglichen Mineralien wächst, erklärlich auch bei dem Ausgang von einer ein- heitlichen Urschmelzmasse. Diese kann der Zu- sammensetzung des Granits ähnlich gewesen sein mit einer Abweichung nach den basischen Ge- steinen zu, wiewohl keineswegs ein arithmetisches Mittel zwischen den äußersten Typen, da der Granit in seiner gesamten Masse den anderen und namentlich den basischen Gesteinen gegenüber so ungeheuer erscheint, und auch theoretisch klar ist, daß diese letzteren sich in ihrer Masse zu jenem Verhalten müssen etwa wie die Schale zu dem Kern, von denen wir Bewohner der Schale nur immer relativ viel von dieser ansichtig werden. Dazu ist dann die Komjilikation zu beachten, die die Stübel'schen und ähnliche z. T. ältere, z. T. neuere Anschauungen, für welche der ge- nannte Geologe gern seinen Namen lieh, in das Verständnis des Vulkanismus hineingebracht hatten. Die Eruptionen, aus denen die neuen Gesteine entstehen, geschehen nicht mehr, wie man früher glaubte, aus dem allgemeinen zentralen P'euerherde des Erdinnern, sondern aus kleinen, zwischen er- starrten Gesteinen eingeschlossenen Magmaherden, und die Eruption erfolgt nicht so sehr unter dem Druck der sich zusammenziehenden Erdkruste, sondern durch den des gerade erstarrenden und dabei sich ausdehnenden Magmas, oder vielmehr durch komplizierte physikalische Reaktionen, über deren Mitwirkung die Wissenschaft noch nicht entschieden hat ^), wodurch der noch flüssige Teil partiell ausgepreßt wird. Durch diese Komplika- tion und durch die allseitige Berührung der Lava mit sehr verschiedenen Erstarrungs- und geschich- teten Gesteinen entstehen so viel verschiedene Möglichkeiten, daß wir uns nicht mehr wundern dürfen über das überaus bunte Bild, das eine Sammlung der verschiedenen Erstarrungsgesleine uns darbietet. ') Obgleich es auch junge Syenite usw. gibt. ') Namentlich kommt hierfür das bekannte Henry 'sehe Gasabsorplionsgesetz in Betracht, aus dem zu berechnen ist, bei welciicn Temperaturen und Drucken Gasabscheidungen stattlinden müssen, um ihrerseits Druckerhöliungen zu liefern, die als vulkanische Kraft in Betracht kommen. Einzelberichte. Botanik. Die mechanischen Eieenschaften der Pflanzengewebe. W. Rasdorsky hat die bis- herigen Untersuchungen über die mechanischen Eigenschaften der Pflanzengewebe, die in den be- rühmten Arbeiten Schwendener's ihren Aus- gangspunkt und ihre Grundlage haben, einer kriti- N. F. XIII. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 503 sehen Prüfung unterworfen. Dabei ist er einmal zu dem Ergebnis gekommen, daß die bisherigen Ver- suche lückeniiaft sind, da nur der Widerstand auf Zug und auch dieser nur bei dem eigentlich mechanisciien Gewebe (Stereom) eine eingehende Untersuchung erfahren hat. Sodann findet er die Grundlagen unzureichend, auf denen die drei S c h w e n d e n e r - sehen Regeln ruhen: i. Das Tragvermögen des Bastes bei der Elastizitätsgienze ist selbst dem Schmiedeeisen und in den besten Fällen sogar dem Stahl ebenbürtig; 2. der Bast unterscheidet sich aber von den Metallen durch die ungleich größere Dehnbarkeit und durch den Umstand, daß 3. zwischen Tragmodul und Pestigkeitsmodul des Bastes (d. h. zwischen den Zugkräften, die bloß eine Verlängerung bis zur Elastizitätsgrenze, und denen, die ein sofortiges Zerreißen bewirken) eine ganz geringe Differenz vorhanden ist. Die bisherigen Versuchseinrichtungen zur Bestimmung des Zug- widerstandes sind, wie Rasdorsky im Verein mit J. A. K a 1 i n n i k o w ausführt, zu unvollkommen gewesen, um die Aufstellung allgemeiner Sätze zu rechtfertigen. Der Festigkeitsmodul und die Ausdehnung der mechanischen Gewebe sind infolge der Beschädigung der geprüften Pflanzenteile durch die Klemmen, in die sie eingespannt wurden, kleiner als es in Wirklichkeit der Fall ist. Eine genaue Bestimmung der Elastizitätsgrenze ist nach dem bisherigen Verfahren der „mittelbaren" Bestimmung der Längenänderung nicht möglich, da sie auf der Bestimmung der Längenänderung zwischen zwei Marken auf den Klemmen beruht, wobei insbe- sondere das Herausrücken des Probestückes aus den Klemmen nicht berücksichtigt wird. Um diese Übelstände zu beseitigen, halDcn die beiden Moskauer Herren sowohl die Längenänderungen unmittelbar gemessen mit Hilfe von Apparaten, deren einer (von Kalinnikow konstruiert) die Messung größerer Längeiiänderungen mit einer Genauigkeit von i/j^ mm gestattete, als auch den Probestücken eine Form gegeben, durch die die erwähnte schädliche Wirkung der Klemmen beseitigt (Köpfchen an beiden Enden), sowie eine ungleiche Beanspruchung der Probestücke ver- mieden wurde (möglichst großer Querschnitt). Die genaue Messung der Zugbelastung war durch Benutzung der in der technischen Hoch- schule in Moskau vorhandenen Maschinen gesichert. Eine sorgfältige Bestimmung der Querschnitts- fläche der Stereidenwände in den untersuchten Pflanzenobjekten mit Hilfe des Zeichenapparates und eines Zeiß'schen Projektionsapparates vervoll- ständigte die experimentellen Maßnahmen. Die Zugversuche wurden an Blattstielen und Blatt- spreiten von Palmen, an den Blättern von Phor- mium tenax und Pandanus, dem Stengel von Cyperus Papyrus und einjährigen Stengeln einiger dikotylen Pflanzen vorgenommen. Bei der Ver- gleichung der an Phormium tenax erhaltenen Re- sultate mit den von Schwendener und andern für diese Pflanze gewonnenen Zahlen ergibt sich, daß die Zugfestigkeit und die Normaldehnung 2 und I ','2 mal so groß erhalten wurden als bei den früheren Versuchen. Bezüglich des Verhältnisses der mechanischen Eigenschaften der Stereiden zu denen des Pilsens und Stahls stellen die Ver- fasser folgendes fest: Die mechanischen Gewebe der Pflanzen im frischen Zustande geben an Zue- festigkeit durchschnittlich dem Schmiede- und Plußeisen wenig nach, in einzelnen Pällen aber kommen sie dem Stahl nahe. Die Zähigkeit (Duktilität), die durch die Fähigkeit des Materials, beim Bruch dauernde Verlängerungen zu geben, charakterisiert und durch die Größe der nach dem Bruch verbleibenden Dehnung des Probestücks gemessen wird, ist bei den Pflanzengeweben im Vergleich mit Eisen und Stahl äußerst gering. Andererseits unterscheiden sie sich durch ihre sehr große Elastizität von diesen Metallen. Die Elastizitätsgrenze nimmt wahrscheinlich in bezug auf den Zugfestigkeitskoeffizienten bei den in Warmhäusern kultivierten und den unter natür- lichen Bedingungen wachsenden Pflanzen eine verschiedene Lage an. — Die Stereiden in den verschiedenen Strecken des Blattstiels und der Blattstiele zeigen ungleiche mechanische Eigen- schaften, die z. B. bei den Blattstielen der Palmen eine Beziehung zu ihrer Beanspruchung unter der Einwirkung starker Winde erkennen lassen. (Bulle- tin de la Soc. imper. des Naturalistes des Moscou, Annee 191 1, N. S., T. 25, p. 351 — 523, Moskau 1913. In deutscher Sprache). F. Moewes. Zoologie. Zur Frage der konjugierenden und nichtkonjugierenden Rassen von Paramäcium. — Die Veröffentlichungen Jennings', die kürzlich an dieser Stelle schon besprochen wurden, haben einer Gruppe der ziliaten Infusorien, den Paramä- cien, allgemeines Interesse zugewendet. In neuester Zeit sind zwei Mitteilungen von Woodruff erschienen, die unerwartet neue und wichtige Ge- sichtspunkte speziell über die Konjugation dieser Tiere bringen. Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Para- mäcien sich unter gewissen künstlichen Bedingungen oft sehr leicht zur Konjugation bringen lassen, und daß andererseits, oft bei gleichen Bedingungen, jeder Versuch, sie zur Konjugation zu bringen, vollkommen erfolglos bleibt. Jennings schreibt dieses Verhalten den Rassenunterschieden zu : „Some races conjugate frequently and under con- ditions readily supplied in experimentation. Others, under the same conditions, conjugate very rarely or not at all". '■) Diese Veränderlichkeit der Konjugationstendenz hatCalkins zu der Äußerung veranlaßt, daß „die übliche Annahme, daß jedes Paramäcium eine potentielle Keimzelle ist, nicht richtig ist". Er vermutet, daß es Paramäcienrassen gibt, die unter keinen Umständen konjugieren, und überhaupt ihre Konjugationsfähigkeit verloren haben, also ') Einige Rassen konjugieren häufig und unter im Experi- ment leicht zu beschaffenden Bedingungen. Andere lionjugieren unter gleichen Bedingungen sehr selten oder gar nicht. 504 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 32 rein somatische ungeschlechtliche Zellen darstellen. Woodruff bestätigte anfangs diese Ansicht, da er eine Paramäcienrasse, die von einem einzigen Individuum stammte, über 6^/4 Jahre kultivierte, ohne sie zur Konjugation zwingen zu können. Eine neue Serie von Experimenten jedoch, die am 12. Januar 1913 mit der 4162. Generation dieser Tiere begonnen wurde, lieferte unerwatteter- weise mehrere Konjugationspärchen. Cytologische Untersuchungen der Präparate von konservierten Tieren dieser Rasse brachten weitere Klärung der Tatsachen. Es stellte sich nämlich heraus, daß bei Paramäcien, die von der normalen Konjugation durch irgendwelche unbekannten äußeren Lebens- bedingungen abgehalten werden, eine vollstän- dige Reorganisation des gesamten Kernapparates und vor allem der Neuaufbau des großen vegetativen Kerns (Makronukleus) mit Hilfe gewisser Veränderungen an dem kleinen ge- schlechtlichen Kern (Mikronukleus), innerhalb eines einzigen Individuums stattfinden kann! Ein Prozeß, der in seinem Resultat voll- ständig der Konjugation äquivalent zu setzen wäre! — Auf diese Weise scheint also die alte, in der letzten Zeit von verschiedenen Seiten sehr heftig angefochtene Annahme R. Hertwig's, daß das Endziel der Konjugation in einer Reorganisation und damit in einer Auffrischung sämtlicher Lebens- funktionen der tierischen Zelle bestehe, wieder zur Geltung zu kommen; im Gegensatz zu Jen- nings, der zu behaupten geneigt ist, daß das Endziel der Konjugation in der Vereinigung der Anlagen zweier Individuen und dadurch in einer eventuellen Verbesserung der Rasse beruhe. Durch diese Ergebnisse wäre uns aber auch die Möglichkeit genommen, an normalen Paramä- cien zu beweisen, daß diese Reorganisation, diese, wie man oft sagt, Verjüngung des gesamten tierischen Apparates, unter Umständen für ihre Lebensfähig- keit nicht unbedingt notwendig wäre, d. h. zu be- weisen, daß die Paramäcien sich auf einem rein vegetativen Wege, durch unzählige Generationen hindurch, vermehren können. Um dieser Frage näher zu treten, muß man sich einer komplizierten Experimentanordnung be- dienen, und die Funktion des in dieser Richtung tätigen Faktors, des geschlechtlichen IVlikronukleus, paralysieren. Um dies zu erreichen, habe ich schon im April 191 3 Radium angewendet. Mit Hilfe günstig konstellierter Radiumbestrahlungen gelang es mir auch (wie schon Herr Geheimrat Prof. Boveri in einem Vortrag in der physikalisch- medizinischen Gesellschaft Würzbürg im November 1913 berichtete), die chromatischen Teile des Mikronukleus, die allein als Träger der geschlecht- lichen Funktion gelten, zu vernichten, ohne den Makronukleus oder das Plasma im geringsten zu schädigen. Die gemischten Kulturen und die reinen Linien, die von so bestrahlten Tieren stammen, gedeihen bis jetzt (Juni 1914), ohne daß ich sie, trotz der sorgfältigsten Versuche, zur Konjugation veranlassen konnte. Voraussichtlich wird mir dies auch nicht gelingen, da die Zellen be- kanntlich nicht imstande sind, das Idiochromatin, und von einem solchen wäre hier hauptsächlich die Rede, zu regenerieren. Es ist nur die Frage, ob die Lebensdauer dieser Kulturen beschränkt ist, was sich in der Folge ja noch ergeben wird. Literatur. Woodruff: So-called Conjugaling and non-Conjugating Races of Paramaecium. Rcprinted from The Journal of Experimental Zoology Vol. 16, Nr. 2, ]9i4. Woodruff and Erdmann: Complete periodic nuclear reorganization wilhout cell fusion in a pedigreed race of Paramaecium. Reprinted from tlie Proceedings of the society for Ex- perimental Biologie and Medicine, Vol. XI, Nr. 3, 1914. Dr. L. V. Dobkiewicz (Würzburg). Geologie. Die preußische Geologische Landes- anstalt beging am 29. November 1913 das Fest ihres 40jährigen Bestehens, verbunden mit der Einweihung des Erweiterungsbaues ihres Dienst- gebäudes, wobei ihr derzeitiger Direktor, Geh. Oberbergrat Professor Dr. F. Beyschlag die Festrede hielt über Entwicklung und Leistun- gen, Aufgaben und Ziele der Anstalt.') Anfänglich ein bescheidenes Institut mit 19 Beamten, wurden mit dem raschen Fortschreiten von Wissenschaft und Technik wie auch der wirt- schaftlichen Verhältnisse zahlreiche Erweiterungen und Ergänzungen der ursprünglichen Aufgaben nötig, die einen fortwährenden Ausbau zur Folge hatten, so daß der heutigen Landesanstalt mit ca. 170 Beamten und einem Etat von 900000 Mk. eine führende Rolle unter den Schwesteranstalten der Welt zukommt. Die Haupttätigkeit einer geologischen Landes- anstalt liegt naturgemäß in der Herstellung einer geologischen Karte. Bereits 1866 begann man als Grundlage der aufzunehmenden und zu veröffentlichenden Kartenblätter den Maßstab 1:25000 der Meßtischblätter des Generalstabes zu benutzen. Damals war die topographische Unterläge nicht selten mangelhaft, was die geolo- gische Arbeit wesentlich erschwerte. Das Gesamtaufnahmegebiet wird in das Ge- birgsland (Mitteldeutschland) und das Flachland (norddeutsche Tiefebene) geschieden. Am weitesten vorangeschritten sind die Ge- birgslandsaufn ahmen. Von den insgesamt veröffentlichten 93 1 Blättern im Maßstab 1:25000 entfallen allein 406 auf dieses Gebiet, ebenso auch die Mehrzahl der Übersichtskarten. Kartierung und Sammlung von Belegmaterial waren anfangs die alleinigen Aufgaben. Allmählich ging man auch zu vergleichenden Untersuchungen der ein- zelnen Gebiete Mitteldeutschlands über. Außer- ordentliche Schwierigkeiten bereiteten infolge der Zerrissenheit des Schichtenbaues und der vielfach ') F. Beyschlag, Die preußische Geologische Landes- anstalt. Entwicklung und Leistungen, Aufgaben und Ziele. P'estrede am 29. XI. 1913. Zeitschrift für praktische Geologie, 1914, H. I, S. 22. N. F. XIII. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 505 eintönigen Gesteinsbeschaffenheit das Rheinische Schiefergebirge, der Harz und das Niederschlesische Schiefergebirge. Die anderen Gebiete boten ein verhältnismäßig klareres Bild. Doch immerfort beginnt sich auch in den strittigen Gebieten das Bild zu klären und man darf unumwunden zuge- stehen, daß Großes getan ist. Von außerordent- licher volkswirtschaftlicher Bedeutung waren die Gebiete des Steinkohlen-, Braunkohlen- und Salz- bergbaues, die auch der Hauptsache nach unter- sucht und veröffentlicht sind. p"ür die Flach landsau fnahmen war der wenige Jahre nach der Gründung am 3. November 1875 zu Berlin in der Deutschen Geologischen Gesellschaft gehaltene Vortrag Otto Torrel's von weittragender Bedeutung. Torr eil erklärte den im norddeutschen Flachlande weit verbreiteten Geschiebemergel als Grundmoräne des aus seiner skandinavischen Heimat stammenden flächenhaften Inlandeises, das er an den Gletscherschrammen der Rüdersdorfer Kalkberge zu beweisen vermochte. Damit fiel die alte Drifttheorie (Verfrachtung durch kalbende Gletscher). Rasch wurden die Urstrom- täler Norddeutschlands als Randgewässer des einstigen Binneneises gedeutet, die weithin zu- sammenhängenden Endmoränenzüge als Stillstands- lagen des Eises erkannt. Schwieriger indessen arbeitete sich die Erkenntnis verschiedenaltriger Glazialablagerungen durch, wenngleich heute die Vorstellung einer dreimaligen diluvialen Ver- gletscherung Norddeutschlands eine fast allgemeine ist. Mancherlei Schwierigkeiten dürften die viel- fachen Oszillationen und Schwankungen des sich zurückziehenden Eises und die dabei unter wech- selnden klimatischen Bedingungen entstandenen interglazialen und interstadialen Faunen und Floren bieten. Die weitere Festlegung der interglazialen Meerestransgressionen in Westpreußen wie der jüngeren Meeresüberflutung des südlichen Holstein und Hannovers harrt noch der Lösung. Tekto- nische Erdbewegungen zur Diluvialzeit haben dazu noch das Bild verwirrt. Die Beziehungen zwischen den Ablagerungen vergletscherter Gebiete und gleichzeitigen eisfreien Ablagerungen sind weiter- hin festzustellen. Für die Geschichte der Ost- und Nordsee ist von einer sorgfältigen und aus- gedehnten Grundprobenuntersuchung wichtige Förderung zu erwarten. Die Aufklärung des Fels- gerüstes des norddeutschen Flachlandes bleibt eine der größten Aufgaben. Es ist sehr wahr- scheinlich, daß mancherorts unter der Bedeckung von Tertiär und Quartär aus der weiten Kreide- bedeckung Salzpfeiler wie in der Lüneburger Heide und Mecklenburg oder bei Hohensalza in bergmännisch erreichbare Höhen aufragen. Von besonderer Bedeutung sind die Flachlands- karten (geologisch - agronomische Karten) für die Land- und F"orstwi rtschaft. Durch Fest- stellung des Bodenprofils bis zu 2 m Tiefe wird auf einem Meßtischblatt in mehreren Tausend 2 m - Bohrungen der Befund der Oberflächen- kartierung vervollständigt. Damit der Landwirt in das richtige Verhältnis zur geologisch-agrono- mischen Karte kommt, ist alljährlich eine Aus- bildung von Kulturtechnikern in bodenkundlichen Aufnahmen geplant, die alsdann in der Praxis die Karten dem Landwirt verständlicher machen sollen. In den letzten Jahren erschienen jährlich 40 Kartenblätter und in den nächsten Jahren sollen 45 Blätter erscheinen. Alljährlich werden in 2 Jahrbuchsbänden und zahlreichen größeren Abhandlungen, von denen bisher über lOO erschienen sind, die Er- gebnisse geologischer, paläontologischer und petro- graphischer Forschung niedergelegt. Arbeiten, die sich mit der Schilderung der Lagerstätten nutzbarer Mineralien befassen , sind unter dem Titel „Archiv für Lagerstätten- Forschung" zusammengefaßt. Die immer weiter wachsende Inanspruchnahme der Geologischen Landesanstalt durch das Reichs- kolonialamt und aus den deutschen Kolonien führte zur Gründung einer besonderen vom Reich sub- ventionierten Abteilung unter dem Namen „Geo- logische Zentralstelle für die deut- schen Schutzgebiete". Außerordentlicher Wertschätzung erfreut sich die Geologische Landesanstalt im Ausland. Der Internationale Geologenkongreß zu Bologna im Jahre 1881 beauftiagte die damaligen Direktoren der Kgl. Preußischen Geologischen Landesanstalt Hauchecorne und Beyrich mit der Bear- beitung und Herausgabe einer geologischen Karte von Europa (i : i 500000), die nunmehr nach 30jähriger Arbeit unter alleiniger Leitung von Geh. Oberbergrat Prof Dr. Beyschlag im Herbst 191 3 vollendet wurde. In ihrer schmucken Ausführung mit ihren farbenprächtigen Tönen gibt sie einen guten Überblick der geologischen Verhältnisse von Europa. Die das zentrale Europa darstellenden Blätter sind bereits für eine 2. .'\uf- lage vorbereitet. Eine noch größere Ehre wurde Geh. Oberbergrat Beyschlag und damit der Geologischen Landesanstalt vom Internationalen Geologenkongreß zu Stockholm 19 10 zuteil durch Übertragung der Herstellung einer inter- nationalen geologischen Karte der Erde (i : 5000000), eine hohe Anerkennung deutscher Arbeit, die nicht ohne Neid geblieben ist. Das bei den Aufnahmen gewonnene Material gelangt im Geologischen Landesmuseum zur Aufstellung (Erweiterung desselben nach Frei- gabe der Räume der Bergakademie). Einerseits soll es ein Belegmaterial der gedruckten Arbeiten sein, andererseits mit einer gewissen Auswahl der Belehrung des Publikums dienen. An die strati- graphische und nach Landschaften geordnete Heimatsammlung schließt sich die paläontologische Vergleichssammlung mit den für die Bearbeitung der heimischen Objekte nötigen fremdländischen Vorkommen an, daran die paläobotanische Samm- lung hauptsächlich mit den Floren unserer Stein- kohlen- und Braunkohlengebiete, dann die Samm- lung der Lagerstätten nutzbarer Mineralien, wobei 5o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 32 das ausländische Vergleichsmaterial dem heimi- schen zwischengeordnet ist, endlich eine Bau- materialiensanimlung und schließlich die Samm- lung aus den deutschen Schutzgebieten. Weiter- hin soll auch die wissenschaftliche und praktische Tätigkeit der Geologischen Landesanstalt veran- schaulicht werden. Neben der rein wissenschaftlichen Tätigkeit hat die Geologische Landesanstalt auch prakti- schen Interessen zu dienen zur Wohlfahrt und Förderung unseres Vaterlandes, ohne indessen in wirtschaftliche Abhängigkeit irgendwelcher Unter- nehmen zu geraten. Im letzten Jahrzehnt hat sich die Zahl der amtlich gelösten praktischen Arbeiten wesentlich gesteigert. (Gutachten für Wasserversorgungsprojekte, Talsperren, Stau- anlagen, Heilquellen, Wasser- und Kanalbauten, Eisenbahn- und Tunnelbauten, bergbauliche Unter- nehmungen.) Die Rolle Deutschlands in der Weltwirtschaft zwingt zu einer kritischen Beobachtung aller die mineralische Urproduktion der übrigen Länder be- treffenden Vorgänge. In diesem Jahre ist die Herausgabe einer mit lehrreichen graphischen Dar- stellungen ausgestatteten Wel t mo n t a ns t at i - stik in Aussicht genommen, ähnlich wie es von Amerika und England bereits geschehen ist. Mit der Ermittlung der Weltvorräte an Steinkohlen und Eisenerzen haben sich die beiden letzten Internationalen Geologenkongresse zu Stockholm und Toronto (Canada) beschäftigt, woran die Geologische Landesanstalt wesentlich mitarbeitete. Den Versuch einer h'esistcllung des heimischen Kalireichtums hatte die Geologische Landesanstalt bereits vorher gemacht. Angestrebt ist fernerhin eine objektive und zuverlässige Informationsstelle über die nutzbaren Mineralschätze der Erde, so- wie die Bedingungen ihrer Gewinnung und Ver- wertung, die sowohl dem Privatmann als auch den staatlichen Behörden Auskunft erteilen soll. Zur Vertiefung geologischer Kenntnisse werden Lehrkurse für Bergassessoren und -referendare, Markscheider, Landwirtschaftslehrer, Meliorations- baubeamte, Forstleute abgehalten. Durch popu- läre Vorträge, Exkursions- und Museumsführungen soll mehr wie bisher den Bedürfnissen des ein- fachen Mannes entgegengekommen werden. Um das Verhältnis zur Schule zu festigen , werden Karten zu ermäßigten Preisen abgegeben, außer- dem Steinsammlungen zum Selbstkostenpreis und unter besonderer Berücksichtigung des Lehrzweckes zusammengesetzt. Damit dürften derartige Schul- sammlungen gut und billig werden. V. Hohenstein, Halle a. S. Physiologie. Die Abhängigkeit der Haut- färbung von äußeren Faktoren bei den Wirbel- tieren. Als besonders geeignet zur Prüfung der Frage, inwiefern ihre Hautfarbe durch äußere Ein- flüsse bedingt wird, haben sich die Fische und Amphibien erwiesen. Über die Abhängigkeit der Hautfarbe von P. äußeren Einflüssen bei Amphibien hat P. Muri- sier (Notes sur les Chromatocytes intracpidermi- ques des Amphibiens, extrait des C. R. de l'Asso- cialion des anatomistes, quinz. reunion, Lausanne 191 3) Beobachtungen am Axolotl angestellt. Bei niederer Tem])eratur gehalten und schlecht ge- nährt, verfärbten sich vorher dunkelgrau und schwarz gefleckte Tiere zu partiellen Albinos. Das Haut- pigment wurde, wie schon E. J. Ogneff (1908) beobachtet hatte, resorbiert und die Entfärbung geschah durch Zerstörung der Chromatocyien (Chromatophoren) der äußeren Haut und der Schleimhäute auf dem Wege der Phagocytose. Eingehend behandelt M. die P>age des Ursprungs von Pigment in der Epidermis selbst. Ehr mann (1885, 1892) und Borel (1913) hatten eine ent- sprechende von M. bestätigte Aufstellung gemacht. Danach ist es unzweifelhaft in der Epidermis ge- bildet. In den Zellen selbst treten beim Axolotl, Salamander und Triton schwarze Farbstoffkörnchen auf Bei den jungen Larven der beiden ersten P'ormen kann ihre Entwicklung verfolgt werden, da sie sich schon im Leben mit Neutralrot färben. Sie liegen um die von den Zellen eingeschlossenen Eiweißschollen und P"etttröpfchen herum. Bei in Teilung begriffenen Zellen umgeben sie den Kern. Wenn sich infolge eines Lichtreizes, welcher die Netzhaut trifft, die Chromatophoren zusanmien- ziehen, so sitzt das Pigment dem Pole der Zelle in Form einer Kalotte auf Auf den ersten An- blick bei der Entfärbung der Haut des Axolotls scheint es zunächst, daß die rapide Entfärbung dadurch verursacht werde, daß die Pigmenlkörn- chen in die interzellulären Zwischenräume aus- treten. In Wirklichkeit aber liegen sie gar nicht frei. Die äußeren Ausläufer der Chromatocyten verlieren sich zwischen den abgeplatteten Zellen der äußeren Lage der Haut, während die inneren die Basalmembran erreichen, bisweilen durchsetzen. M. sagt, die Phagocyten entstammten nicht dem Bindegewebe, sondern seien Epidermiszellen, mit denen sie auch bei ihrer Entstehung durch Zell- brücken zusammenhängen. Mit Kodis (1889) und P r o w a z e k ( 1 900) hält er die F"arbstoffkugeln für Zerfallprodukte der Zellen. Es würde sich damit ihr Auftreten bei Tieren erklären, die durch langes Fasten geschwächt sind. Als M. aufmerk- sam die Haut an den Stellen untersuchte, wo beim Axolotl die Wanderzellen in größerer Zahl erscheinen, fand er eine andere Art des Durch- dringens des Blutfarbstoffs in die Epidermis, als es Rabl beschrieben hat. In den tiefen Schichten der Haut bilden sich kleine Anhäufungen von Blutkörperchen, welche durch Verschwinden oder Bersten der Kapillaren in Freiheit gesetzt werden. Die stark verdünnte Basalmembran verschwindet an der Stelle des Extravasats und es bildet sich ein enger Durchgang für die roten Blutkörperchen. In einem früheren Versuche untersuchte M. die Abhängigkeit der Färbung der Seeforelle (Trutta lacustris L.) von Licht und Temperatur. Die von N. F. Xm. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 507 denselben Kitern stammenden Tiere wurden vom Ausschlüpfen aus dem Ei an 9 Monate lang unter verschiedener Beleuchtung und bei verschiedener Temperatur gehalten. Die chemische Zusammen- setzung des Wassers, seine Gasspannung, sowie die Menge und die Qualität des Futters waren die gleichen. Bei hoher Temperatur (18 — 20") bewirkte das Licht, welches von einem weißen Untergrund reflektiert wurde, nicht nur eine dauernde Zu- sammenziehung der Pigmentzellen, sondern auch einen Stillstand in der Bildung von Hautpigment. Am Ende der 9 Monate hatten sich zwei Varie- täten gebildet, eine sehr blaß gefärbte, auf weißem Untergrund, und eine dunkel gefärbte mit stark markierten schwarzen Flecken auf dunklem Grund und in der Dunkelheit. Die Verschiedenheit in der Färbung beruht auf der Menge der Melano- phoren und der Quantität des gebildeten Pigments. Sie ist nicht die Folge einer direkten I.ichtwirkung auf die Farbstoffträger. Auf weißem Grund werden blinde Forellen dunkel. Der von der Netzhaut ausgehende Reiz bedingt nicht allein die Zu- sammensetzung der Chromatophoren, sondern ver- hindert auch die Bildung des Pigments in ihnen und die Umwandlung von Bindegewebszellen in Melanophoren. In einer Untersuchung: Über den Einfluß chemischer Faktoren auf die Farbveränderung des P'euersalamanders (Archiv fiir Entwicklungsmecha- nik, 39. Bd., 1914) behandelt Irena Pogonoska (Lemberg) jenen von Kochsalzlösung. In der Haut treten zwei P'arbstoffe auf, eine schwarze Grundfarbe und eine gelbe Zeichnungsfarbe. Nach dem gegenseitigen Verhältnis beider unter- scheidet man zwei P"ormen, Salamandra maculosa var. typica und maculosa taeniata. Während die erstere auf der ganzen Körperoberfläche unregel- mäßige gelbe Flecken auf schwarzem Grund zeigt, sind bei letzterer die gelben Flecken, zu schmäleren oder breiteren Längsstreifen, beiderseits der Mittel- linie des Rückens verschmolzen. Jede der beiden Formen bewohnt bestimmte Gebiete: Salamandra typica die Gebirge Österreich-Ungarns, S. taeniata Frankreich, die Niederlande, Deutschland, die Schweiz und die Pyrenäen. Nach Kammerer erwies sich die Färbung in hohem Maße abhängig von jener des Untergrunds und dem l-'euchtigkeits- gehalt. Auf hellem Untergrund (Lehmerde, gelbes Papier) und in feuchter Luft trat eine stärkere Entwicklung des gelben P'arbstofifes auf, dunkler Untergrund (schwarze Gartenerde, schwarzes Papier) und Trockenheit verhinderten seine Ausbildung. Von der Annahme ausgehend, daß eine verschie- dene chemische Beschaffenheit des Wassers, in dem die Larven groß geworden sind, für die Färbung des alten Tieres maßgebend ist, hielt Verf die Larven in drei verschieden starken Lösungen von Kochsalz: 0,15 7o, 0,3 »/(, und 0,6%. Einige Larven wurden zur Kontrolle in Leitungs- wasser gehalten. Das Vorhandensein von Natrium chloratum im Wasser wirkt ungünstig einerseits auf die Bildung des gelben Farbstoffs, andererseits auf die Entwicklung und das Wachstum. Die Ursache für die Beeinflussung der Hautfarbe ist nach Verf. die chemische Wirkung des Natrium chloratum. Weitere Versuche bezüglich anderer chemischei' Bestandteile, die im Gebirgswasser vorkommen, in verschiedenen Prozenten, des Calcium carboni- cum, sulfuricum, der Ferrum- und Aluminium- verbindungen sind in Aussicht genommen. Während die Versuche von Paul Kammerer sich auf die Änderungen in der Hauifärbung des verwandelten Tieres beziehen, hat Secerov (Über das Farbkleid von P^euersalamandern, deren Larven auf gelbem oder schwarzem Untergrund gezogen waren, Biol. Zentralbl., Bd. 34, 1914) ein ent- sprechendes Verhalten schon bei den verschiedenen Lichteinwirkungen auf die Larven festgestellt. Er faßt seine Resultate folgendermaßen zu- sammen: 1. Die Salamanderlarven von der gelbgestreiften Varietät zeigten Farbenanpassungsersclieinungen wie die metamorphosierten; 2. sie werden auf dem gelben Untergrunde, sobald sie sich zu verwandeln beginnen, mehr gelb gefärbt als die Mutter; die Flecken werden größer, die Streifen zeigen eine Tendenz zum Zu- sammenfließen an den beiden Seiten ; die Unger werden ebenso reichlicher gelb gefärbt als bei der Mutter; 3. dieSalamanderlarven zeigen auf dem schwarzen Untergrunde eine Vergrößerung der Zahl der gelben F"lecken, die etwa nicht durch Vermehrung des Gelb entsteht, sondern durch Zerstückelung der Längsstreifen in Plecken, Verschwinden kleiner mütterlicher P'lecken, also überhaupt eine Reduk- tion des Gelb. Nach photometrischen Messungen wirft — wie in den Versuchen von Kammerer — das glän- zende Versuchspapier '30 des auffallenden Lichtes, das glänzend schwarze '/go zurück. Die Versuchs- papiere sind die gleichen bei beiden Versuchen. Kathariner. Physik. Mit den sogenannten Cyanbanden beschäftigt sich eine Arbeit von G r o t i a n und Runge (Göttingen) in der Physikalischen Zeit- schrift XV (1914) Seite 545 — 548. Untersucht man spektroskopisch einen kurzen Kohlelichtbogen in Luft, so findet man, wie eine ganze Reihe von Beobachtern festgestellt hat, im ganzen Bogen Banden, deren Hauptkanten bei 4606, 4216, 3883, 3590 und 3360 liegen. Da man die Anwesenheit und N und C für ihr Auftreten für nötig hielt und sie sich andererseits in der Cyanflamme zeigen, so schrieb man sie dem C y a n zu. In der ge- nannten Arbeit wird gezeigt, daß die Banden nicht dem Cyan, sondern dem Stickstoff angehören. Zu den Versuchen verwenden die Verfasser bis 100 cm lange Hochspannungslicht- 5o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 32 bögen in Luft von Atmosphärendruck, wie sie die badische Anilin- und Sodafabrik in einer Länge von 8 m zur Stickstoffgewinnung aus Luft benutzt. Um den gegen ungleichmäßige Luftströmungen empfindlichen Bogen zu stabilisieren, läßt man ihn nach Schönherr in einem zylindrischen Rohr brennen, in welches man unten tangential einen Luftstrom hineinbläßt; in der Mitte des schraubenförmig aufsteigenden Wirbels brennt dann der Lichtbogen völlig ruhig. Geht der Bogen in Stickstoff über, so treten die „Cyanbanden" auf, ohne daß eine Spur von Cyan, Kohlenstoff oder Kohlcnstoffverbindungen zugegen ist. Ersetzt man die Metallelektroden durch solche aus Kohle, so werden dadurch die Banden nicht heller. Bringt man in den zwischen Metallelektroden übergehen- den N-Lichtbogen kleine Luftmengen, so ver- schwinden die „Cyanbanden" sofort; sie werden von dem Sauerstoff-Spektrum überdeckt und verdrängt, wie man auch nur das 0-Spek- t r u m sieht, wenn ein langer Lichtbogen zwischen Metallelektroden in Luft brennt, während vom Stickstoffspektrum nichts zu merken ist. Nimmt man im letzten Fall aber Elektroden aus Kohle, so bindet diese bei der hohen im Bogen herr- schenden Temperatur den Sauerstoff, so daß das Spektrum des Stickstoffs, zu dem auch die sogenannten Cyanbanden gehören, herauskommt. In einem langen Bogen treten sie nur in der Nähe der Kohleelektroden auf, in der Mitte überwiegt, weil hier nicht genügend C zur Bindung des O vorhanden ist, das 0-Spek- trum. Kurze Kohlelichtbögen in Luft zeigen sie dagegen in ihrer ganzen Länge. Leitet man den Luftstrom vorher durch einige mit Pyrogallussäure gefüllte Waschfiaschen, so zeigt der (zwischen Metallelektroden übergehende) Bogen die „Cyan- banden", da der Sauerstoff in den Flaschen ab- sorbiert wird. Sie verschwinden aber sofort, wenn Sauerstofi( zugeführt wird. In der Cyanflamme findet eine Verbrennung des Kohlenstoffs statt; es wird demnach auch hier der Sauerstoff ge- bunden, so daß das N-Spektrum herauskommen kann. Die Versuche lassen wohl keinen Zweifel darüber, daß die „Cyanbanden" dem Stickstoff zuzuschreiben sind. K. Schutt, Hamburg. Kleinere Mitteilungen. „Was ist Schweinepest?" Diese Frage hat in den letzten Jahren in hervorragendem Maße die For- scher und Fachleute und wohl auch schon man- chen durch diese Seuche schwer geschädigten Tierbesitzer beschäftigt. In der jüngeren Zeit ist die Schweinepest in erheblichem Umfange be- sonders in Preußen und ganz besonders in den viehreichen östlichen Provinzen aufgetreten und hat dort gewaltigen Schaden angerichtet. Fast allgemein entschlossen sich die Besitzer großer Schweinemästereien sofort nach dem Auftreten der Pest in ihren Ställen die gesamten, oft viele Hundert Stück zählenden Bestände der Schlacht- bank zu überliefern, nur um den Fleischwert der noch gesunden Tiere zu retten, da alle Tilgungs- versuche erfolglos blieben. Über den Begriff „Schweinepest" herrscht augenblicklich in der Veterinärmedizin ziemliche Verwirrung. Vielleicht trägt eine kürzlich von Prof. Dr. Sehern und Prof. Dr. Stange auf Grund ihrer in Jowa ge- machten Erfahrungen veröffentlichte Arbeit') zur Klärung bei. Die Verff erinnern daran, daß im Jahre 1S85 von Salmon eine Schweinekrank- heit, die Hogcholera, beschrieben wurde, als deren Erreger er den Bacillus suipestifer isolierte. Auf Grund der bei dem Sektionsbilde im Vorder- grunde stehenden schweren Darmveränderungen (Diphtherie und Nekrosen) bezeichnete man die Krankheit als eine infektiöse Darmkrank- ') Zeitschr. f. Infektionskrankheiten usw. der Haustiere, XV. Band, Heft 2, S. 107. heit. Diese Befunde sind auch in Dänemark und Deutschland bestätigt worden. In neuerer Zeit ist man nun mehr und mehr zu der Über- zeugung gekommen, daß die primäre Ursache der Schweinepest ein filtrierbares Virus sei, das in erster Linie bei der Erkrankung der Tiere das Bild einer hämorrhagischen Septikämie hervorrufe. Erst sekundäre Bedeutung wohne dem Bacillus suipestifer bei, der im wesentlichen die Darmnekrosen verursache. Über die Rolle, die der Bacillus suispestifer spielt, wogt der Streit ganz besonders hin und her. Die Verft". glauben nun behaupten zu können, daß man drei ver- schiedene Formen der „Schweinepest" auseinan- der zu halten habe. Und zwar i. die alte, durch den Bacillus suipestifer erzeugte „klassische" Schweinepest, 2. eine mit ähnlichem Bilde ver- laufende, durch eine „Mischinfektion" hauptsäch- lich des Bacillus suipestifer mit einem filtrier- baren Virus hervorgerufene Schweineseuche, und 3. eine ganz unter dem Bilde einer hämorrha- gischen Septikämie verlaufende , .Viruspest". Die unter 2 genannte ,, Mischinfektion" ist die in der Praxis am häufigsten beobachtete Form der sog. „Schweinepest". Sie wollen die Verff. daher mit dem Namen „Pest" bezeichnet wissen. Für die erste „klassische" Form schlagen sie den Namen „Parapest" vor und für die letzte den Namen „X'iruspest". Auf dem nächsten internationalen tier- ärztlichen Kongreß wird die F'rage „Schweinepest" weiter diskutiert werden. W. ligner. N. F. Xm. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 509 Bücherbesprechiingen. Weimarn, Prof. Dr. P. P. von, Zur Lehre von den Zuständen der Materie. 2 Bände. Dresden und Leipzig 1914, Verlag von Theodor Steinkopff. — Preis 7 Mk., geb. 9 Mk. Nach einem Buche „Zur Lehre von den Zu- ständen der Materie" von P. P. von Weimarn wird ein Jeder greifen ; auch den Lesern dieser Zeitschrift sind die Ideen dieses Forschers bekannt. Vorhegendes Buch bringt in etwas gekürzter und umgearbeiteter Form eine Reihe von .Abhandlungen, die ursprünglich in der Kolloid-Zeitschrift erschie- nen sind. Es handelt sich um die Untersuchungen und Betrachtungen des Verfassers über den kristal- loiden und kolloiden Zustand der Materie, in denen er nachweist, daß zwischen beiden kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller Unterschied besteht, nämlich: Verkleinerung der Korngröße und zu gleicher Zeit Vergrößerung der Oberfläche. Die Darstellung jedes beliebigen Körpers in deutlich kristallinischer oder in kolloidamorpher, gallert- artiger Form, je nach den Konzentrationsbedingun- gen beim Entstehen — die Änderung nicht nur der physikalischen, sondern auch der chemischen Eigenschaften mit der Korngröße — die Nicht- existenz spezieller Adsorptionsverbindungen, die den stöchiometrischen Gesetzen nicht gehorchen — die Betrachtung der Kolloide als Dispersoide, Systeme von allerkleinsten Kriställchen, worin die Eigenschaften der Oberfläche vorherrschend sind — dies sind nur die am meisten hervorragenden aus der h'üUe von neuen Ideen , die dieses Buch behandelt. Mag für den NichtSpezialist auf diesem Gebiet das Buch vielleicht noch etwas zuviel die Zeichen tragen von dem Stürmen und Drängen in der Entstehungsperiode dieser neuen Ideen, und wäre ihm die klare Ruhe einer fest gewonnenen Überzeugung vielleicht lieber, so wird man Ver- fasser und Verleger doch nur dankbar sein, daß sie diese wichtigen Untersuchungen durch diese Ausgabe dem Studium leichter zugänglich gemacht haben, um so mehr als der zweite Band in einer Reihe ausgezeichneter Mikro- und Makrophoto- graphien den Gedankengang des Verfassers in schönster Weise illustriert. O. de Vries. Neophilosophos Tis, DerMensch und seine Kultur. 100 Seiten. Konstanz, Ernst Acker- mann. — Preis 3 Mk. Nach einer kurzen Einführung werden in dieser Schrift die nach Ansicht des Verfassers bei der Menschwerdung wirksamen Kräfte dargelegt und in der Entwicklung der menschlichen Kultur wird das Fortwirken der gleichen Kräfte verfolgt. Im Schlußabschnitt werden Mensch und Kultur als Naturerscheinungen betrachtet. H. Fehlinger. Lenz, Fritz, Über die krankhaften Erb- anlagen des Mannes und die Bestim- mungdesGeschlechtsbeimMenschen. 170 Seiten mit 23 Abbild. Jena, Gustav Fischer. — Preis 4,50 Mk. In den ersten Kapiteln veranschaulicht Dr. Lenz die Vererbung gewisser Abnormitäten oder Kränkelten, von denen die Bluterkrankheit (Hämo- philie) am ausführlichsten behandelt wird. Die Krankheit tritt nur bei männlichen Personen her- vor. Von den Kindern der Kranken aber erben nur die weiblichen, nicht auch die männlichen die Krankheitsanlage, denn nur unter der männ- lichen Nachkommenschaft der weiblichen Linien kommt die Krankheit wieder zum Vorschein. Hierfür vi'urden verschiedene Erklärungen gegeben, aber sicher festgestellt ist die Ursache dieser Er- scheinung noch keineswegs. Die betreffenden Krankheiten stehen zum männlichen Geschlecht bloß in somatischer, zum weiblichen jedoch in idioplasmatischer Beziehung. Die idioplasmatische Korrelation zwischen Geschlecht und pathologi- scher Anlage ist nicht auf die Menschheit be- schränkt, sondern sie findet sich auch sonst im Reiche der Organismen. Lenz zeigt ferner, daß die Vererbung der pathologischen Anlagen den M e nde Ischen Regeln folgt und in Einklang mit der Sutton-Boveri' sehen Chromosomentheorie steht. In folgenden Abschnitten stellt der Ver- fasser Betrachtungen über die allgemeine Ätiologie und die Therapie der krankhaften Erbanlagen an. Es ist zu bemerken, daß Lenz die ,, einzige Mög- lichkeit der Beseitigung erblicher Krankheiten in der negativen Selektion der pathologischen Ein- heiten des Idioplasmas" erblickt. Jedoch kann „eine positive Gesundung der Rasse nicht ohne die damit nur teilweise zusammenfallende positive Selektion gesunder Idioplasmastämme erreicht werden". In bezug auf die Bestimmung des Ge- schlechts beim Menschen ist Lenz der An- sicht, daß das Zustandekommen der primären Sexualcharaktere beim Menschen wie bei allen Tieren mit intrauteriner Fetalentwicklung von äußeren Einflüssen kaum bestimmt werden kann; „denn es ist nicht recht denkbar, wie es derart gesetzmäßige Schwankungen des die Keimzellen oder den Fötus beeinflussenden Milieus geben sollte, daß immer gerade die empirische feste Sexualproportion .sich im Durchschnitt ergeben sollte". Die Tatsachen sprechen hingegen dafür, daß die Vererbung der primären Sexualcharaktere durch Mendeln geschlechtsbestimmender Erbein- heiten zu erklären ist. — In den Schlußabschnitten des Buches befaßt sich Lenz mit den Problemen der Erblichkeit der geistigen Begabung und der pathologischen Geschlechtsdisposition. H. Fehlinger. Hundt, Rudolf, Geo logische Wandern ngen im mittleren Elstertale. Fr. Krüger- Lobenstein R. j. L. (1914?) ,,Nur in der Natur selber läßt sich Geologie treiben." Das ist der Leitsatz dieser ausgezeich- 5IO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 32 neten, populären und doch auch für den orts- fremden Fachmann äußerst brauchbaren Einführung in die Stratigraphie und Paläontologie eines eng- umgrenzten Bezirkes, der weiteren Umgebung von Gera. Die Tektonik mag mit Absicht bei Be- handlung eines verhältnismäßig so kleinen Ge- bietes fast ganz außer Betracht geblieben sein. „Nach einer Übersicht der in der Geraer Gegend vorhandenen Schichten . . . folgen zwölf geologi- sche Wanderungen, auf denen alle in I'rage kom- menden Schichten an Ort und Stelle ihres An- stehens studiert werden können." Dazwischen findet sich ein sorgfältiges Literaturverzeichnis, auf das im Text fleißig verwiesen wird, und An- leitungen zum Sammeln für Anfänger nebst sehr dankenswerten Hinweisen auf Belehrungsmittel und ■Stätten. Kincn interessanten Beitrag hat Soergel über die Lindentaler Hyänenhöhle beigesteuert. Eine Anzahl lehrreicher und z. T. sehr wohl- gelungener Aufnahmen erläutert den Text. Da- gegen vermag ich dem „Buchschmuck" (von Kunstmaler P a s c h o 1 d gezeichnet ) gar keinen Ge- schmack abzugewinnen. Soweit er sich auf Leisten beschränkt, stört er wenigstens nicht, einige wenige Textfiguren aber, besonders die Fossiltafeln auf S. 130 und 138 können neben der wesentlich wertvolleren Tafel der Zechsteinversteinerungen auf S. 48 schwerlich bestehen. DemgegenüJDer gewährt eine aus Pfeiffer's Werk übernonmiene Abbildung der prähistorischen Zeichnung eines Hasenkopfes auf Renntiergeweih aus der erwähnten Höhle wahrhaft ungetrübten Genuß. Sie ist wert, allgemeiner bekannt zu werden. [NB. Die Ansicht, daß die Graptolithen den Echinodermen zuzuzählen seien, kann wohl kaum als die „bisher gültige" (S. 16) bezeichnet werden!! E. Hennig. Brandt, Bernhard, Studien zur Talge- schichte der Großen Wiese im Schwarz - wald. Abh. z. badischen Landeskunde. Heft 3. Mit 2 Karten und 3 Tafeln. Karlsruhe 1914. — Preis geh. 2,40 Mk. Kennern und Freunden des lieblichen Wiesen- tals im südlichen Schwarzwald wird die genaue Analyse des Formenschalzes und die aus ihr sich ergebende Entwicklungsgesciiichte dieses Tal- systems willkommen sein. Den einzelnen Ab- schnitten folgt jedesmal eine Zusammenstellung der wichtigsten Ergebnisse, die gesamte Talge- schichte erscheint zum Schluß noch einmal in einer klaren Tabelle. Auch die reiche Ausstattung des Heftes erhöht den Wert der Ausführungen. E. Hennig. Handbuch der naturgeschichtlichen Technik, für Lehrer und Studierende der Natur- wissenschaften, herausgegeben von B. Sc hm id. 555 S. S". Leipzig und Berlin 1914, B. G. Teubner. — Preis geb. 16 Mk. Seitdem die Biologie in den oberen Klassen der höheren Schulen einer»., wenn auch zunächst noch bescheidenen Platz errungen hat, sind eine ganze Reihe von Leitfäden , Lehrbüchern und methodischen Schriften erschienen, die sich mit diesem Lehrfach befassen. Auch der Herausgeber des vorliegenden Handbuches hat sich an dieser Arbeit mehrfach mit wertvollen Schriften beteiligt. Die Aufgabe, die er sich bei der Herausgabe dieses Buches gestellt hat, ist aber eine andere. Die Anforderungen, die der biologische Unter- richt heute an den Lehrer stellt, sind umfassen- dere als die, mit denen noch vor wenigen Jahr- zehnten gerechnet wurde. Nicht mehr der kon- servierte, in der Sammlung aufbewahrte, sondern der lebende Organismus mit all seinen Lebens- äußerungen und Wechselbeziehungen tritt mehr und mehr in den Vordergrund des Unterrichts; nicht das fertige Präparat allein soll den Schülern den Einblick in den Aufbau der Lebewesen ver- mitteln, sondern sie sollen zu eigner Mitarbeit, zu eignem Präparieren, Experimentieren und Beobach- ten angeleitet werden. Neben der Schulsammlung sind der Übungsraum, der Schulgarten, das Aqua- rium und Terrarium, neben dem Klassenunterricht die Übungen und Exkursionen zu wesentlichen Hilfsmitteln geworden. Aus alledem erwachsen dem Lehrer der Biologie, der zudem in der Regel auch noch chemischen, mineralogischen, geologischen, eventuell auch physikalischen, geographischen oder mathematischen Unten-icht zu erteilen hat, neue Aufgaben, denen gerecht zu werden nament- lich an kleinen Orten, fern von den Universitäten und anderen Zentren der fortschreitenden Wissen- schaft durchaus nicht leicht ist. Der Gedanke, die gesamte Technik des naturge^chichtlichen Unterrichtsbetriebes, wie sie in all den angedeu- teten Einzelzweigen erfordert wird, zum Gegen- stand einer einheitlich zusammenfassenden Dar- stellung zu machen, ist daher ein wohl berech- tigter. Sollte nun das Buch seinen Zweck, so weit dies einem Buche auf diesem Gebiet überhaupt möglich ist, erfüllen, so mußten die Grenzen weit gezogen werden. Auch konnte bei der weiten Ausdehnung der biologischen Wissenschaften etwas allen Anforderungen Entsprechendes nur durch die vereinigte Arbeit einer Anzahl erfahrener Spezial- forscher geschaffen werden. Da nun erfreulicher- weise auch unter den Universitätslehrern die Zahl derer, die dem naturwissenschaftlichen Scliulunter- rieht ihr Interesse zuwenden, in stetem Wachsen begriffen ist, so ist es dem Herausgeber gelungen, eine Anzahl namhafter Fachmänner zur Mitarbeit heranzuziehen. Die ersten Abschnitte des Buches betreffen die im Laboratorium auszuführenden Arbeiten. Die zoologisch-mikroskopische Technik wird von H. Po 11, die botanische, nebst Pilz- und Bakterien- kultur von H. Fischer behandelt. Beide Ab- schnitte gehen, und zwar wohl mit voller Absicht, nicht unerheblich über das hinaus, was günstigsten Falls in Schülerübungen behandelt und geleistet werden kann. Den Verfassern schwebte als Ziel N. F. Xril. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 5" offenbar auch die Einführung des Lehrers in die neuere mikroskopische Technik vor, und vielen, deren Studienjahre bereits um einige Jahrzehnte zurückhegen, dürfte diese kurz gehaltene und da- bei doch sehr viel bietende Anlehung für eigene Arbeiten von hohem Wert sein. Neben der tech- nischen Anleitung geben beide Verfasser auch dankenswerte Hinweise auf die Beschaffung des Untersuchungsmaterials. Den Anleitungen zur Mikroskopie schließen sich zwei Kapitel über physiologische Versuche an. Die Verfasser, der Botaniker P. Clausscn und der Physiologe R. R o s e m a n n , haben schon in früheren Veröffentlichungen Winke und Rat- schläge für Schulversuche erteilt, die hier, etwas erweitert und teilweise anders gruppiert, wieder- holt werden. Soweit die von den Verfassern hier angegebenen Versuch^anordnungen Neues bieten, kann Referent auf Grund eigner mehrfacher Nach- prüfung deren Zweckmäßigkeit bestätigen. Eine Reihe weiterer Kapitel behandeln das .Aufsuchen und Sammeln der Tiere und Pflanzen im Freien. Über hydrobiologische Sammelmetho- den berichtet E. Wagler, über Sammeln und Präparieren von Insekten O. St ec h e, über Fund- plätze, Fang und Transport der Weich- und Wirbeltiere P. Kamm er er. Diesen Abschnitten sind auch Literaturangaben , sowie Mitteilungen über Anfertigung und Bezug der notwendigen Sammel- und Fangapparate beigefügt. Wie das heimgebrachte Material zu konservieren und sammlungsmäßig aufzubewahren ist, erörterte für die Pflanzen B. Schorler, für Tiere B. Wan- dolleck. Auch diese beiden Abschnitte sind recht vielseitig, es werden die für die verschiede- nen Tier- und Pflanze nteile geeignetsten Methoden der Präparation, Konservierung, Aufstellung, die Konservierungsflüssigkeiten, Verschlußmassen usw. unter Angabe von Bezugsquellen besprochen. Die Beobachtung lebender Organismen ermög- lichen einerseits Vivaricn aller .Art, andererseits Schulgärten. Die ersteren haben in F. Urbahn einen kundigen und erfahrenen Bearbeiter gefun- den; betreffs der Schulgärten hat F. Esser, der Leiter des botanischen Gartens der Stadt Köln, für die allgemeine Anlage, sowie für die verschie- denen in Betracht kommenden Formen desselben leitende Gesichtspunkte aufgestellt. Er unter- scheidet zwischen Zentralzuchtgarten, der wesent- lich zur Anzucht des für die Schulen erforderlichen Materials dient, Zentralschulgarten, der der Be- obachtung dienen soll und daher neben systema- tischen auch ökologische und ökonomische Ge- sichtspunkte im .'\uge behalten muß, und Einzel- schulgarten, und erörtert im einzelnen die Anlage, die Bepflanzung, die Unterhaltung und die Kosten. Auch diesem Abschnitt sind Literaturangaben bei- gefügt. Der folgende, von H. Fischer bearbeitete Abschnitt über das Mikroskop, seine optischen Leistungen, seine Teile und seine Behandlung, mit Fingerzeigen für Auswahl, Prüfung und Aufstellung der Instrumente hätte wohl besser am Anfang des Buches, vor den Kapiteln über die mikrosko- pischen Arbeiten seinen Platz gefunden, während die von B. Wandoll eck verfaßte Anleitung zur Photographie besser hinter das von K. Fr icke geschriebene Kapitel über Exkursionen gestellt wäre. Es wäre dann eine natürlichere Reihenfolge der einzelnen Abschnitte gewonnen worden. Ein vom Herausgeber selbst bearbeiteter Ab- schnitt behandelt „zeitgemäße Einrichtungen für den naturgeschichtlichcn Unterricht"; unter Hin- weis auf neuere, namentlich in Schulprogrammen enthaltene Mitteilungen und Illustrationen wird die Einrichtung des Unterrichtszimmers , der Vi- varien , des Übungsraumes, der Schulsammlung erörtert, anhangsweise finden sich noch einige be- sondere Einrichtungen — Schaukasten, Pflanzen- kulturschrank, Vorrichtungen für Baktcrienkultur, Stoffwech'^elkäfig — erwähnt. Mit Recht betont der Verfasser am Schluß seiner Ausführungen nachdrücklich die Notwendigkeit ausreichender Etatsmiitel für einen nutzbringenden Unterricht. Beschäftigen sich die bisher erwähnten Kapitel wesentlich mit dem biologischen Lehrstoff, so be- handelt ein von A. Berg bearbeiteter weiterer Abschnitt die Errichtung geologischer, paläonto- logischer und mineralogischer Schulsammlungen. Ausrüstung für geologische Exkursionen, Ausstat- tung des Arbeitsraumes, Einrichtung und Auf- stellung der Sammlungen finden Berücksichtigung, ebenso die — neben der Beobachtung im Freien — zu benutzenden Anschauungsmittel — Bilder, Karten, Reliefs, Modelle, Zeichnungen, sowie aus Gesteinen aufgebaute Profile und andere Frei- luftanlagen. Auch auf Übungsarbeiten und Ex- perimente wird kurz hingewiesen. Außer einer Reihe von Literaturangaben findet sich hier end- lich noch ein Hinweis auf Bezugsquellen. Den Abschluß des ganzen Bandes bildet ein Kapitel über Pflege der Naturdenkmäler von W. Bock. Von einem näheren Eingehen auf den Inhalt der einzelnen Abschnitte muß hier, schon mit Rücksicht auf den verfügbaren Raum, abgesehen werden. Es konnte nur Zweck dieser Besprechung sein , dem Leser eine Vorstellung zu geben von dem, was dieses Handbuch enthält. Daß natür- lich manches an mehreren Stellen Erwähnung und Besprechung findet, daß z. B. auch die den mikro- skopischen und physiologischen Arbeiten gewid- meten Kapitel sich mit der Einrichtung und Aus- stattung der Arbeitsräume beschäftigen u. dgl. m., liegt in der Natur der Sache. Wo die einzelnen Bearbeiter in ihren Ratschlägen voneinander ab- weichen, wird dies kein Fehler sein. Kann es sich doch bei diesen Fragen, wo so vielfache Rücksichten auf den verfügbaren Raum, die Lage der Zimmer, die Etatsverhältnisse usw. mitsprechen, immer nur um Vorschläge handeln. Sehr viele Anstalten werden noch auf lange Zeit hinaus ge- nötigt sein, sich mit relativ einfachen Mitteln zu behelfen. Allen aber wird dieses Handbuch, das 512 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 32 eine wesentliche Lücke unserer biologisch-uiiter- richtlichen Literatur ausfüllt, viele wertvolle An- regungen geben. Zur Anschaffung für Schul- bibliotheken sei es in erster Linie empfohlen. R. V. Hanstein. Anregungen und Antworten. Herrn X. D. in A. — Ist es möglich , aus dem Atom- gewicht eines Elementes sein spezifisches Gewicht zu berechnen? Eine einfache, exakt formulierbare Beziehung zwischen dem Atomgewicht eines Elementes und seinem spezifischen Gewicht ist nur für die einatomigen Gase bekannt. Nach dem Satz von Avogadro enthalten nämlich die gleichen Volumina der verschiedenen Gase beim gleichen Druck und gleicher Temperatur die gleiche Anzahl von Molekülen , also wenn die Moleküle aus je einem Atom bestehen, was bei den Edelgasen, beim Quecksilberdampf, beim Natriumdampf usw. der Fall ist, auch gleich viele Atome. Die spezifischen Ge- wichte der G.ase sind demnach proportional den Molekular- gewichten und bei den einatomigen G.asen proportional den Atomgewichten. Für feste und flüssige Elemente, die in der Anfrage wohl in erster Linie gemeint sind, ist ein analoges Gesetz nicht be- kannt. Wohl aber weist, wie Lothar Meyer schon im Jahre 1869 gezeigt hat, die Kurve, welche die Atomvolumina der Elemente, d. h. die Produkte A v der Atomgewichje A und der spezifischen Volumina v oder, was d.asselbe ist, die Quotienten A/s aus den Atomgewichten .\ und den spezifischen Gewichten s als Funktion der Atomgewichte darstellt, unver- kennbare Kegelmäfligkeilen auf. Dank diesen Regelmäßig- keiten ließen sich, wie besonders D. Mendelejeff bewiesen hat, in ähnlicher Weise wie andere Eigenschaften auch die spezifischen Gewiclite einzelner, damals nicht bekannter, aber bei der Anordnung der chemischen Elemente im periodischen System vermißter und später tatsächlich aufgefundener Elemente voraus- sagen. So sagte M en d el ej e ff im Jahre 1871 für das „Ekalalu- minium" mit dem hypothetischen Atomgewicht 6S und das ,,Eka- silicium" mit dem hypothetischen Atomgewicht 72 die spezifischen Gewichte 6,0 und 5,5 voraus, während das 1875 von Lecoq de Boisbaudran entdeckte Gallium mit dem Atomgewicht 69,9 und das 1886 von Gl. Wink 1er entdeckte Germanium mit dem Atomgewicht 72,3 die spezifischen Gewichte 5,96 und 5,469 besitzen. Es handelt sich in allen Fällen dieser Art aber nicht um eine strenge Berechnung, sondern nur um eine auf mathematisch nicht streng formulierbaren Überlegungen beruhende Schätzung. W. Borchers (Die Beziehungen zwischen .\quivalentvolumen und .Atomgewicht; Halle 1904) fand, daß die Kurve regelmäßiger wird, wenn man an Stelle der Atomvolumina die Äquivalentvolumina, d. h. die Quotienten .\tomvolumina ^ i — r^— r — , als Funktion der Atomgewichte graphisch maximale Valenz ' darstellt. Mg. Zur Frage der Schädlichkeit einiger Beeren. — Auf meine diesbezüglichen Notizen in Nr. 37 und 46 Jahrg. 1913 dieser Zeitschrift hatte Herr Apotheker A. Müller (Kreuznach) die Freundlichkeit mir mitzuteilen , daß er schon nach Genuß weniger Nachtschattenbeeren Herzschwäche, Übelkeit und Er- brechen bekomme. Die Beeren von Solanum nigrum werden also mit Recht als giftig bezeichnet, was nicht ausschließt. daß sie von manchen anstandslos vertragen werden. Auch über die Giftigkeit der Einbeere (Paris quadrifolia) sind die Meinungen geteilt. In botanischen Büchern werden sie als stark betäubend, abführend und brechenerregend bezeichnet. Nach Kunkel ist bei Kindern nach größeren Mengen Schwin- del, Kopfweh, Leibschmerzen und heftiges Erbrechen be- obachtet worden. Heim beobachtete nach Verschlucken zweier Beeren Übelkeit, Konstriktionsgefühl, Stuhl- und Harn- zwang, Herzdelir, Sensibilitätsstörungen und Verkleinerung der Pupillen. Husemann hat von 6 genossenen Einbeeren gar keine Wirkung verspürt. Ich selbst schluckte 25 Einbeeren, die ich vorher zerkaut hatte, herunter. Brennender und wider- licher Geschmack im Mund, den ich dieserhalb mit Wasser ausspülte. Außer einem Biechreiz beim Herunterschlucken der Beeren und außer wiederholtem Aufstoßen bald nach Ge- nuß verspürte ich keinerlei weitere Symptome. In den Binde- hautsack des Auges geträufelt macht der spärliche Beeren- saft, wie ich zweimal an mir selbst konstatierte. Brennen und wohl lediglich infolge des Brennens leichte Verkleinerung der Pupille. Vielleicht haben gütige Leser die Liebenswürdigkeit mich durch Mitteilungen über Giftbceren und Idiosynkrasien gegen eßbare Beeren zu erfreuen. Dr. med. et phil. F. Kanngießer (Braunfels ob der Lahn). Literatur. Gaupp -Trendelenburg, Sammlung anatomischer und physiologischer Vorträge und Aufsätze. Heft 25 : Die Erregungsleitung im Wirbellierherzen von Prof. Dr. E. Man- gold. 1,20 Mk. Heft 2ö: Das Herzflimmern usw. von Priv.- Doz. Dr. L. llaberlandt. 40 Pf. Jena '14, G. ?~ischer. Handwörterbuch der .Naturwissenschaften. Lieferung 76 und 77 (Wärmehaushalt— Zellteilung). Jena '14, G. Fischer. :i 2,50 Mk. Güldi, Prof. Dr. Emil August, Die Tierwelt der Schweiz in der Gegenwart und in der Vergangenheit. Bd. I. Wirbel- tiere. Mit 2 Karten und 5 farbigen Tafeln. Bern '14, A. Francke. Geb. 14,40 Mk. Sieghardt, Erich, Vom Leben in Wald und Feld. Biologische Bilder aus der Pflanzenwelt. Ravensburg '14, Otto Maier. Biologen- Kalender. Herausgegeben von Prof. Dr. B. Schmid und Dr. C. Thcsing. I. Jahrgang. Mit einem Bildnis von August Weismann und 5 Abbild, und 2 Karten. Leipzig- Berlin '14, B. G. Teubner. Geb. 7 Mk. Soddy, Frederick, Die Chemie der Radioelemente. Deutsch von Max Ikle. 2. Teil; Die Radioelemente und das periodische Gesetz. Leipzig '14, J. A. Barth. Geb. 2,So Mk. Lodgc, Sir Oliver, Radioaktivität und Kontinuität. Zwei Vorträge. Leipzig '14, J. A. Barth. Geb. 6 Mk. Tornquist, Prof. Dr. A., Die Wirkung der Sturmflut vom 9. — 10. Januar 1914 auf Samland und Nehrung. Sonder- abdruck aus den Schriften der Physik. -ökonomischeu Gesell- schaft zu Königsberg i. Pr. LIV. Jahrg. 19 13. III. Leipzig- Berlin '13, B. G. Teubner. 1,20 Mk. Mangold, Prof. Dr. Ernst, Hypnose und Katalepsie bei Tieren im Vergleich zur menschlichen Hypnose. Mit 18 Abbildungen im Text. Jena '14, G. Fischer. 2,50 Mk. Hann, Prof. Dr. Julius, Lehrbuch der Meteorologie. 3. .Aufl. Lieferung 4 — 7. Leipzig '14, Chr. Hcrm. Tauchnitz. Jede Lief. 3,60 Mk. Annuario Meteorologico de Chile. Primera Parte {30 esta- ciones in extenso) 1912. Santjago de Chile '14. Inhalt; Gothan; Das geologische Alter der .Angiospermen. Mayer: Die Entstehung der Erstarrungsgesteine. — Einzel- berichte: Rasdorsky: Die mechanischen Eigenschaften der Pflanzengewebe. v. Dobkiewicz; Zur Frage der konju- gierenden und nichtkonjugierenden Rassen von Paramäcium. Bey schlag: Die preußische Geologische Landesanstalt. Murisier: Über die Abhängigkeit der HauU'arbe von äußeren Einflüssen bei Amphibien. Pogonoska: Über den Einfluß chemischer Faktoren auf die Farbveränderung des Feuersalamanders. Grotian und Runge: Sogenannte Cyanbanden. — Kleinere Mitteilungen: Sehern und Stange: Was ist Schweinepest? — Bücherbesprechungen: Weimarn: Zur Lehre von den Zuständen der Materie. Neophilosophos Tis: Der Mensch und seine Kultur. Lenz: Über die krankhaften Erbanlagen des Mannes und die Bestimmung des Geschlechts beim Menschen. Hundt: Geologische Wanderungen im mittleren Elstertale. Brandt: Studien zur Talgeschichte der Großen Wiese im Schwarz- wald. Handbuch der naturgeschichtlichen Technik, für Lehrer und Studierende der Naturwissenschaften. — Anregungen und Antworten. — Literatur : Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Mi ehe in Leipzig, Marienstrafie II a, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Bucbdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. liniiJ ; der ganzen Reihe 29. Baiul. Sonntag, den i6. August 1914. Nummer 33. Einige bemerkenswerte Registrierungen und Beobachtungen vom deutschen Spitzbergen-Observatorium 1912—13. [Nachdruck verboteu. 1 Von I>r. Max Robitzsch, Marburg in Hessen. Das von I Icrni Geheimrat H e r g e s e 1 1 - Straß- burg ins Leben gerufene Observatorium auf Spitz- berffen wurde 1912 am Ebeltoflliafen, einer kleinen Lagune der Crossbay, Nordwest Spitzbergen, er- baut, naclidem im Winter zuvor die Herren Dr. Rempp und Dr. Wagner in Adventbay-Eisfjord überwintert hatten, um die nötigen Erfahrungen für den Betrieb eines definitiven Observatoriums zu sammeln. Die Nachfolger genannter Herren, Dr. Kurt Wegen er und der Verfasser, über- winterten 1912 — 13 auf dem neuen Observatorium. Die Observatoriumsarbeiten hatten in der Haupt- sache den Charakter geophysikalischer Unter- .suchungen. Es mögen in folgenden Zeilen einige meteo- rologisch interessante Fälle berührt werden. I. Gewitterbeobachtung. Zunächst mag erwähnt werden, daß die im Oktoberheft 1912 der Meteorologischen Zeitschrift beschriebenen Gewittererscheinungen ^) auch vom Verfasser vor dem Eingange des Eisfjords in der Nacht vom 13. auf 14. August 1912 beobachtet wurden. Auch in Kingsbay wurden von den dort stationierten Engländern auf dem Observatorium Gewittermeidungen gemacht. Auf der Funken- station Greenharbour wurden an genanntem Tage starke atmosphärische Störungen bemerkt. 2. „Talphänomen." Seit Anfang August 191 2 wurden neben den Registrierungen der meteorologischen Elemente beim Observatorium Temperaturregistrierungen auf dem 596 m hohen Mt. de la Brise (S km nord- westlich des Observatoriums) gewonnen, seit An- fang 191 3 solche an dem am Eingange der Cross- bay gelegenen Kap Mitra (7 km südwestlich des Observatoriums) {Vig. i). Der Vergleich der gewonnenen Temperatur- kurven ist recht interessant, zumal während der Perioden des „Talphänomens". Diese Erscheinung, bekanntlich hervorgerufen durch eine bei stillem, klarem Wetter dem Talboden auflagernde, hin- und herpendelnde kältere Luftschicht, deren Be- wegung zeitweise das Registrierinstrument mit einer darüber lagernden wärmeren Schicht in Be- rührung bringt, ist charakterisiert durch mehr oder weniger starke, in unregelmäßiger Periode auf- tretende Schwankungen der Temperaturkurve. ^) Diese Temperaturschwankungen, die übrigens nicht nur in der Arktis auftreten, bei geschützter Lage des Beobachtungsortes aber für diese und vornehmlich für die dunkle Zeit charakteristisch sind, dürfen naturgemäß in den Registrierungen der Bergsiation nicht auftreten. Fig. 2 zeigt dieses an einem beliebig gewählten Beispiele vom Dezember 1912. Die Basisstalion beim Obser- vatorium zeigt Schwankungen bis 7 Grad, wäh- rend die Registrierung auf dem Mt. de la Brise eanz glatt verläuft und nur hier und da schwach 5iruation5pian Fig. I. Orienlierungskarte für die Umgebung des Observatoriums. I ; 200000. ausgeprägte Zacken zeigt. Die mittlere Tempe- ratur auf dem Berge ist bei den Kurven höher als die des Tales, auch die mittlere Temperatur der Bergstation über größere Zeitintervalle ge- nommen, liegt um etwa 2 Grad über dem Mittel der Basisstation. Registrieraufstiege , die während der Dauer der Erscheinung des „Talphänomens" ausgeführt wurden, zeigten, wenn Auf- bzw. Abstieg gerade ') Rudolf Jamojlowitz, Gewitter auf Spitzbergen. M. Z. 29 p. 485. ') Vgl. hierüber A. W e g e n e r , Terminbeobaclitungen am Danmarljs-Havn. Kopenhagen 1911, sowie seine ,, Thermo- dynamik der Atmosphäre". Auch in den Temperaturkurven von dreenharbour und Advcntbay treten diese Schwankungen in typischer Weise auf. SI4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 33 in entgegengesetzten Phasen der Ersclieinung stattfanden, bis zu einer gewissen Höhe vom Erd- boden beim Vergleich der Angaben des Registricr- instrumentes beim Auf- und Abstieg zweideutige Temperaturen. Da während der dunklen Zeit eine Fälschung der Angaben durch Strahlung ausgeschlossen ist, ist auf diese Weise die Mög- 3. Temperaturverhältnisse. Die Temperaturverhältnisse Nordwest -Spitz- bergens, hauptsächlich die der Küste, sind im Vergleich zu der nördlichen Lage des Landes recht wenig arktisch. Wir haben es hier, um ein Schlag- wort zu gebrauchen, mit einem ,,Gollstromklima" zu tun, denn der Tempcraturverlauf ist zeilweise Observcit. Mt. Brise DezemDer 1912 17 -10 18 ,,r^YwV--^,_,,..^~^A, Temperatur 19 X^^vW ZO KA^Vv^iA/^^'V^^lW" 21 Fig. 2. Teniperaturscliwankungen des , .Talphänomens" sowie gleichzeitige Registrierung auf dem de la lirise-Berg. daß obiges Schlagwort die Verhältnisse recht gut 2? Mar; 1913 Mt. Brise Kap Mitra März 1913 0 15 16 Ol -10 ^--0 . />J 1^AA./\ y ^ j, -10 0 0 ?;T! -— ' _____^ 0 0 -10 — -.__ -10 Fig. 3. (Ueichzeitige Temperaturkurven am Obseratorium, dem de la Brise-Berg und Kap Mitra phänomens" nicht zeigen. Das in Fig. 3 gege- bene Beispiel vom März 191 3 zeigt neben den Kurven der Temperatur beim ( )bservatorium und auf dem la Brise-Berge noch die gleichzeitige Kurve vom Kap Mitra. Diese weist allgemein denselben Gang der Temperatur auf, wie die des Observatoriums, zeigt aber nicht die typischen Schwankungen, die auch auf dem la Brise-Berge fehlen. ?■' lt> Man lichkeit gegeben, die Höhenerstreckung der Kr- derartig von der Wirkung der Ausläufer des noch scheinung des „Talphäiiomens" in der freien At- in diese Breite eindringenden Golfstroms abhängig, mosphäre zu bestimmen. In den zur Untersuchung brauchbaren Plillen ergab sich für diese etwa die Höhe der umliegenden Berge (500 ml). Am Ausgange des Tales, wo die Bildung einer stagnierenden Luftschicht am Erdboden infolge der exponierten Lage erschwert ist, darf natürlich ein Thermogramm die Schwankungen des „Tal- Temperatur Observat. Ipmperaturshdia ü -1 Fig. 4. Gleichzeitige Registrierungen des Luftdruckes, Windes und der Temperatur gelegentlich des Vorüberziehens einer barometrischen Depression am 27. März 1913. N. F. XIII. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 515 charakterisiert. Zu Zeiten vorherrschender Winde aus südlichen Gegenden ist die Lufttemperatur auch während des eigentlichen Winters recht hoch, zeitweise einige Grade über Null, während bei Perioden nördlicher Winde oder Wind- stille die Temperatur mehr an arktische Ver- hältnisse erinnert und im Mittel — 20 — 30 Grad be- trägt. Diese Abiiängigkeit der Luftwärme von der*^ Windrichtung ist der Grund für die enormen Temperaturschwankungen, die vornehmlich an der Nordwestküste Spitzbergens im Laufe des Winters auftreten. Ob diese Verhältnisse allerdings als Norm anzusehen oder nur als Eigentümlichkeit des Winters 191 2 — 13 mit seinem anomalen Witterungsverlauf aufzufassen sind, muß noch dahingestellt bleiben. Ein Beispiel vom 27. März 191 3 möge zeigen, daß sich diese Verhältnisse nicht nur bei größeren W i 1 1 e r u n g s [) e r i o d e n bemerkbar machen, son- dern sich auch im Detail widerspiegeln. In den Nachmittagsstunden genannten Tages passierte eine kleine barometrische Depression das Obser- vatorium. Die Luftdruckkurve des R i c h a r d ' sehen Barographen gibt Fig. 4 wieder. Die Schwankung betrug nur wenig über 2 mm. Der relativ langsam fallende Luftdruck brachte, wie aus der Kompo- nentendarstellung des Windes in der Figur hervor- geht, langsam an Stärke zunehmenden SSE-Wind. Die Kurven der Windrichtung und Stärke wurden gewonnen mit einem einfachen Instrument. Ein vertikal hängendes Pendel wird vom Winde aus seiner Ruhelage abgelenkt und seine Bewegungen werden vermittelst eines „Pantographen" in N-S bzw. W-E Komponenten des Windes auf rotieren- dem Zylinder und berußtem Papierstreifen dar- gestellt. Der langsam an Stärke gewinnende SSE bringt bei allen Stationen für Temperaturregistrie- rung Erwärmung um ungefähr 2 Grad. Kurz vor 10 p steigt der Luftdruck ziemlich plötzlich, ebenso plötzlich schlägt der Wind bei zunehmender Stärke nach NNW um; die Temperatur fällt an allen drei .Stationen um ungefähr 6 Grad. Der Tem- peraturabfall beginnt natürlich zuerst bei der Berg- station, an der exponiertesten Stelle, folgt dann zeitlich an zweiter Stelle am Kap Mitra, das eben- falls für NNW leichter erreichbar als das relativ geschützt liegende Observatorium. 4. T r i e b s c h n e e. Bei trockener Schneedecke und bewegter Luft finden sich in den dem Erdboden zunächst liegenden Luftschichten fast zu jeder Zeit Schnee- kristalle, die als Triebschnee vom Winde fort- geführt werden. Es sind dieses nicht vollständige Kristalle von der bekannten Form sechsstrahliger Sterne, sondern zumeist Eis nadeln, die teils in dieser Form in der Luft entstanden, teils sich in- folge eines Sublimationsprozesses an der Oberfläche der Schneedecke bildeten. Auch Trümmer der Schneesterne finden sich im Triebschnee. Der Triebschnee ist nur eine spezifische Er- scheinung in der dem Erdboden naheliegenden Luft. Je nach der Windstärke ist seine Höhen- erstrcckung verschieden. Bei geringen Wind- geschwindigkeiten, bis etwa 6 m/sek., werden bei ebenem Terrain nur die untersten zehn Dezimeter der Luft Triebschnee führen, bei größeren W'ind- stärken reicht die Erscheinung unter sonst gleichen Bedingungen bis zu etwa 5 — 10 Meter Möhe. Die Zone des Triebschnecs schmiegt sich im allgemeinen den Terrainverhältnissen an. Im Lee von flachen Hügeln, wo man in größerer Nähe eine größere Höhe des Triebschneebereiches findet, trifft man in einiger Entfernung wieder normale Verhältnisse an. Infolge des Windschutzes, der eine geringere Windgeschwindigkeit bedingt, sammeln sich nahe dem Hügel größere Trieb- schneemengen an, die einen flach auslaufenden Wall bilden, dessen Längsrichtung mit der Rich- tung des beim Triebschnee herrschenden Windes identisch ist. Auf diese Weise entstehen die auch bei uns bekannten eigentümlichen Gebilde an der Oberfläche einer Schneedecke, bei denen ein kleiner störender Körper lange, in keinem Verhältnis zu der Größe der Störung stehende Schneewälle ver- ursachen kann. Bei uns in Norddeutschland bilden sich aber diese Formen zumeist nur während der Schneefälle selbst („Sclineetreiben"), während in der Arktis und im Hochgebirge das eigentlich bildende Element der „Triebschnee" ist, da hier sich auch ohne Schneefall Form und Rich- tung der Wälle ändert. Fallen die Hindernisse im Lee steil ab, wie es Fig. 5. Schneefalinen über den Gipfeln der Berge nördlich Mt. Scoresby am 26. Februar 191 3. bei hohen felsigen Bergen der Fall ist, so wird auf der dem Winde abgewandten Seite nahezu Windstille herrschen; ja es wird sich hier eine Art Wirbel bilden, der im Tale eine Luftbewegung entgegen der allgemeinen Windrichtung zur Folge hat, und die Luft nahe dem Steilabfalle des Berges zwingt, vertikal emporzusteigen. Die mit Triebschnee angefüllte Luftmasse im Luv des Berges gleitet den Bergabhang hinauf und strömt an der Bergspitze in der Richtung der allgemeinen Luftströmung ab; die Folge hiervon ist die Bildung von Schnee fahnen, die von dem Berggipfel ausgehen, deren Bestand aber wesentlich mitbe- dingt wird durch die Existenz der aufsteigenden Luftbewegung im Lee des Hindernisses. Fig. S stellt eine Zeichnung dieser Erscheinung dar, die 5i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 33 am 26. I'^ebruar 191 3 mittags über den Bergen nordwestlich des Observatoriums beobachtet wurde. In der freien Atmosphäre herrschte damals in der Höhe der Berge ein Wind von 6 — 7 m pro Sek. aus NNK. Der Schnee dieser Windfahnen treibt häufig sehr weit mit dem Winde fort und kann Anlaß geben zu „Schneefällen aus heiterem Himmer', wie sie oft beobachtet wurden und die häufig optische Erscheinungen (Nebensonnen) verursachen. 5. Schneekristalle. Was die Form der S c h n e e k r i s t a 1 1 e be- trifift, so fand Verfasser die bekannten Schnee- s t e r n e in Spitzbergen in der Regel nur bei Tcmpe- Robitzsch phot. 15. 3. 12 strahliger Schneestern. 16 ; I. 13- Robitzsch phot. 15. 3. 13. I2strahligcr Schneestern. 16 : I. raturen bis zu etwa — 10 Grad. Bei tieferen Tem- peraturen, bei denen die Schneefälle selten und wenig ergiebig waren, ist die vorherrschende Form die „Eisnadel" (das sechsseitige Prisma) und das „Plättchen". Die Größe der Kristalle nahm, wie bekannt, auch hier in Spitzbergen mit der Tem- peratur ab. Eigentlich schön ausgeprägte Sterne fanden sich nur bei Temperaturen unter Null, da bei höherer Luftwärme naturgemäß die l'lockenbildung es fast unmöglich macht, die Kristalle zu isolieren. Deshalb gehören auch die meisten Kristallformen, die mikrophotographisch aufgenommen wurden, zu den bei — 4 bis — 10 Grad auftretenden Formen. Robitzsch phot. 15. 3. Schneekristall-Zwilling. 16 : 1. Robitzsch phot. 15. 3. 13. Normaler Schneestern. 8:1. Die Größe der Flocken war im allgemeinen die auch bei uns für normal geltende. Nur einzelne Schneefälle, so z. B. ein am 10. Dezember 1912 bei +4 Grad auftretender, brachten ungewöhnlich große Flocken von etwa 4 cm Durchmesser. Die große Menge der Mikrophotographien, speziell angefertigt zum Studium der Abhängigkeit der Kristallform von den Witterungsfaktoren, vor- nehmlich der Luftfeuchtigkeit (Sättigung in bezug auf Eis), bietet viele interessante Details, deren Besprechung aber einer anderen Notiz vor- behalten werden muß. Es mag hier nur erwähnt werden, daß die Kristallform in der Hauptsache wohl eine Funktion des Ortes im barome- trischen Minimum ist, an welchem die N. F. XIII. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 517 Bildung der Iv ristalle vor sich ging, und daß man möglicherweise von einer der Vorderseite bzw. Rückseite der Depression typischen Kristall- form sprechen kann. Die prinzipielle Entscheidung dieser Frage erfordert aber noch weit mehr syste- matisch gewonnenes Material, wie bisher vorliegt. In dem Folgenden mögen nur einige interes- sante Anomalien der Form der Schneekristalle berührt werden. Zwar sind die beobachteten Formen schon in der Literatur bekannt, doch ist es wohl nicht unangebracht, zu den beigelegten Bildern einige erläuternde Worte zu geben. Während weitaus die größte Zahl der Schnee- fälle normale Kristall formen zeigen, die zwar hier und da „Mißbildungen" und ,, Verwachsungen" aufweisen, so wird man bei aufmerksamer Ver- folgung der Erscheinung bald zu der Überzeugung i^elangen, daß diese Mißbildungen bei dem einen Schneefalle häufiger sind, wie bei dem anderen. Die Tatsache, daß die Schneeform überhaupt von den äußeren Bedingungen für die Kristall- bildung abhängig ist wie auch die Verschiedenheit der Kristallfonn selbst, läßt ohne weiteres eine Erklärung hierfür zu. Es sind eben nicht immer die für die Bildung der Anomalien notwendigen äußeren Bedingungen vorhanden; sind diese ge- geben, so muß notwendigerweise das Auftreten anomaler Formen häufiger sein. Ein in den Nachmittagsstunden des 15. März 191 3 stattfindender Schneefall war sehr reich an ungewöhnlichen Formen. Leider waren die Be- leuchtungsverhältnisse sehr schlecht, so daß von den zahlreichen mikrophotographischen Aufnahmen nur wenige brauchbar wurden. Es war unsichtiges Wetter, die Luft war mit Feuchtigkeit (in bezug auf Wasser) gesättigt. Die Temperatur betrug — 7,5 Grad. Die Übersättigung in bezug auf Eis betrug also etwa 0,2 mm Hg. Es herrschte fast Windstille, so daß die Kristalle leicht und unver- letzt aufgefangen werden konnten. Unter diesen Verhältnissen beobachtete man neben normalen Kristallformen sehr häufig „Zwillingskristalle". Die Plättchen im Zentrum des Sternes, an die sich normal die Strahlen des Schneekristalls ansetzen und sich dann weiter ausbilden, lagen bei diesen Formen mit einer Seite aneinander. Nur an den „freien Nebenachsen" des so entstandenen Kristallaggre- gates war es zu einer Ausbildung von Strahlen gekommen. Die Richtung der kristallographischen Hau[)tachsen der Kristallzwillinge war in den meisten Fällen parallel, d. h. die Ebenen der Zentralplättchen fielen zusammen. Weniger häufig lagen diese in einem stumpfen Winkel zueinander, so daß die eine Zwillingskomponente nicht in der Ebene der anderen lag. Unser Bild zeigt einen Vertreter der letzterwähnten Form. Infolge der ungleichen Reflexion des Lichtes an den Kristalloberflächen erscheint auf der Mikrophoto- graphie die eine Komponente lichtschwächer wie die andere und tritt deshalb weniger hervor. Während die meisten Sterne sich nur in der Richtung der Nebenachsen des Kristalls aus- bilden und nur relativ wenige andeutungsweise oder doch weniger ausgebildet Ansätze zeigen, deren Richtung mit der Winkelhalbierenden der Nebenachsen zusammenfällt, so daß man von einem ungleich ausgebildeten zwölfstrahligen Sterne sprechen kann , so brachte der erwähnte Schneefall völlig ausgebildete Vertreter dieser Formen. Zwei Photographien dieser Reihe mögen diese Kristallform repräsentieren. Die Strahlen sind recht gleichmäßig ausgebildet und sind „nackt", d. h. ohne seitliche Abzweigungen. Die letzte Mikrophotographie zeigt ein unge- wöhnlich großes Kristall, das bei einer Temperatur von — 9 Grad am 9. März 191 3 aufgenommen wurde. Nach Hell mann beträgt der mittlere Durchmesser strahliger Sterne in Europa bei dieser Temperatur etwa 2 mm. Unser der Form nach wenig auffallendes Kristall ist nur 8 fach ver- größert, besaß also in Wirklichkeit einen Durch- messer von rund 6 mm und übertrifft also an Größe die Norm um das dreifache. 6. Vergletscherung. Die meisten Schneefälle traten bei einer Wind- richtung aus NW auf Hierdurch erklärt sich eine Tatsache, die Dr. Kurt Wegener auf seiner Schlittenreise nach Wijdebay beobachtete. Je weiter man nach Osten in das Innere Spitzbergens eindringt, um so geringer ist die Höhe der Neu- schneedecke. Die von der See kommende feuchte Luft verliert beim Übersteigen der verschiedenen Parallclplateaus Nordwest - Spitzbergens durch Niederschlagsbildung immer mehr von ihrem Feuchtigkeitsgehalt. Bedingt wird hierdurch die schwächere Entwicklung der Gletscher im Land- inneren, wo Täler ohne Gletscher angetroffen werden (Nebentäler der Wood und Wijdebay), eine Tatsache, die in den Küstengegenden unbekannt ist. Auch die Vergletscherung des Nordostlandes wird so wieder erklärlich, da zu ihm die aus NW kommenden Winde, ohne vorher Berge zu pas- sieren, freien Zutritt haben und ihren Feuchtig- keitsgehalt dort in P'orm von Schnee nieder- schlagen können. 7. Fall winde. Die Windregistrierungen waren häufig charak- terisiert durch plötzliches Einsetzen der Wind- strömungen, die gleich von vornherein ihre volle Stärke besaßen. Auf dem Observatorium war dieses nur bei Nordwinden der Fall. Schon im Herbst 191 2 hatte es sich bei Pilotballonaufstiegen herausgestellt, daß in Höhe der Berge gelegent- lich solcher Nordwinde eine starke Geschwindig- keitsabnahme des Windes vorhanden war. Als am 30. Oktober 191 2 eine Exkursion nach dem nördlichen Bergplateau unternommen wurde, herrschte unten im Tal seit etwa 7 a ein scharfer NE bei — 25 Grad Celsius. Je näher man (gegen 10 a) dem Plateau kam, das um etwa 200 m den Talboden überragt, um so mehr ließ der Wind an 5i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 33 Stärke nach. Oben auf dem exponierten Plateau selbst herrschte völlige Windstille. Dieser Befund spricht dafür, daß die erwähnten, plötzlich ein- setzenden Nordwinde den Charakter von typischen Fallwinden tragen, deren Bildungsgebiet die nörd- lich des Observatoriums gelegenen ausgedehnten l'latcaus darstellen. 8. F ö h n e r s c h e i n u n g e n. Im Frülisommer zur Zeit der Schnee- schmelze hält sich die Lufttemperatur tagelang um Null Grad ; die durch die immer höher steigende Sonne wach- sende Wärmezufuhr wird aufgebraucht zur Schmelze des Schnees. Je mehr sich schneefreie Bodenflächen ausbilden, um so mehr wird die Sonnenstrahlung eine Erhöhung der Lufttemperatur über dem Lande herbeiführen, welche ihrer- seits wiederum Luftzufuhr von der kälteren Meeresoberfläche — See- winde — bedingt. Diese Seewinde haben im allgemeinen nur eine geringe Stärke, geben aber Anlaß zu Föhnerscheinungen, die zwar im kleinen aber recht typisch vor sich gehen. Ein Bild von Ende Juni 19 13 zeigt die schön ausgeprägten „Föhnwolken" über den Bergen seewärts vom Observatorium. Mehr im Land- inneren bildeten sich dann gelegentlich solcher Föhntage, allerdings nur über höheren Erhebungen, die bekannten ,, Hinderniswolken" oder „Wind- fahnen" aus, die recht weit über den störenden Robitzsch pliot. Juni 1913. FöluiiiKuier über den Bergen im Westen des Ebcltofthafens. Berggipfel hinaus verfolgt werden konnten. Nahe am Horizont erschienen sie dann als System paralleler Wolkenstreifen, deren Anfang bestimmt war durch die Lage der störenden Berge. AiiiinoiiiaUsyiillieseu. [Naclidiuclc verboten.] Von Otto Bei der Eröffnungsversammlung der British Association in Bristol im Jahre 1898 sprach Sir William Crookes die Befürchtung aus, daß es auf die Dauer unmöglich sein würde, der stetig an- wachsenden Bevölkerung der Erde Brot zu be- schaffen, wenn es nicht gelänge, auf künstlichem Wege dem Boden die erforderliche Stickstofif- düngung zu geben, und daß es eine der größten Erfindungen wäre, den Stickstoff der Luft zu binden. In der Tat hat man, während der Bedarf an stickstoffhaltigen Düngemitteln in ständiger Steige- rung begriffen ist, mit aller Wahrscheinlichkeit mit einer relativ rasch fortschreitenden Erschöpfung der natürlichen Vorräte an Chilisalpeter zu rechnen. Andererseits kann auf einen Ausgleich durch rasche Steigerung der Produktion von Ammoniak bzw. schwefelsaurem Ammoniak nicht gerechnet werden, da sie vom Betriebe der Gasfabriken und Kokereien abhängig, als Selbstzweck auf diesem Wege aber unmöglich ist. Das Problem, den elementaren Stickstoff dennoch zu bezwingen, wirft sich daher immer gebieterischer auf und hat seit einiger Zeit eine sehr aktuelle Bedeutung gewonnen. Die Natur bietet uns den freien Stickstoff überall auf der Erde an; die uns umgebende Luft- schicht enthält neben 20,833 "/^ Sauerstoff und geringen Mengen sog. Edelgase 79,167 "/„ Stick- Bürger. stoft'. Über einem einzigen Ouadratkilometer unserer Erde lagern solche Mengen Stickstoff (ca. 8 Millio- nen Tonnen), wie sie 25 Jahre hindurch den Welt- bedarf an gebundenem Stickstoff decken würden. Die Natur hat es uns überlassen, die richtigen Methoden zu finden, den freien Stickstoff in ge- btindene Form überzuführen. Außer dem schon erwähnten Stickstoff des Chilisalpeters ist noch der Stickstoff von Bedeutung, der sich in der Kohle vorfindet. Der durchschnitt- liche Stickstoffgchalt der Kohle beträgt etwa i %, und wenn auch hiervon nur etwa 70 " „ bei der gewöhnlichen Form der Vergasung gewonnen werden können, so bildet doch die Kohle heute noch die Hauptquelle unseres Bedarfs an Ammoniak. Von einer eigentlichen Ammoniakindustrie war um die Mitte des vorigen Jahrhunderts noch nichts zu bemerken. J. Dumas sagt in seinem von L. A. Buchner übersetzten Handbuch der an- gewandten Chemie') folgendes: „Die Zeit kann nicht mehr fern sein, wo die Ammoniaksalze eine bedeutende Rolle spielen werden. Gegenwärtig gebraucht man sie, um das Verzinnen von Eisen, Kupfer, Messing und Hausgeräten zu erleichtern. Auch zur Gewinnung ') Nürnberg 1S4Ö, 7, 7 16 ff. N. F. Xni. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 519 des Platins werden sie gebraucht. In der Medizin wird der Salmiak als Reizmittel und Auflösungs- mittel angewendet. Das schwefelsaure Ammoniak nimmt man zur Bereitung des Ammoniakalauns, welcher mit Vorteil in mehreren I'^ällen den Kali- alaun ersetzt, und für diese einzige Anwendung ist ' der Verbrauch des seil wefelsauren Ammoniaks schon ' beträchtlich. Einen viel größeren Verbrauch würde die Benutzung des schwefelsauren Ammoniaks als Düngemittel in der Landwirtschaft zur Folge haben, (legenwärtig macht man in mehreren Ländern Versuche im großen hierüber, und es ist beinahe gewiß, daß sie für die Kultur einiger wichtiger Gewächse ein sehr gutes Resultat geben werden." ') Auch die allgemeine Einführung der I^euchtgas- fabrikation aus Steinkohlen ließ es zu keinem Aufschwung der Ammoniakindustrie kommen; sie war vielmehr lange Jahre liindurch eine Ouelle von Unannehmlichkeiten für die Leuchtgasfabrikanten, sei es wegen zu geringen Nutzens, sei es, daß die Behörden die Verarbeitung des Gaswassers wegen der Belästigung der Anwohner durch den „üblen Geruch" verboten. Genau so, wie man die ersten Schiffsladungen Salpeter ins Meer versenken mußte, weil man sie auf dem Markt nicht unterbringen konnte, so war man glücklich , wenn man , unbehelligt von den Behörden, die Gaswässer auf dem kürzesten Wege im nächsten Flusse zum Abfließen bringen konnte. Erst Ende der 70er Jahre, nachdem man schon längst dmch Liebig und dessen Schüler auf den Wert des schwefelsauren Ammoniaks als Düngemittel aufmerksam gemacht worden war, wurde von den Gaswerken mit der Verarbeitung des Ammoniakwassers begonnen und .Anfang der 80 er Jahre nimmt die Ammoniakindustrie einen nahezu ungeahnten Aufschwung, da neben der I^andwirtschaft auch die chemische Großindustrie Massenabnehmerin geworden ist. Auch die Eisen- industrie ist neuerdings der Ammoniakgewinnung nähergetreten, so daß in Deutschland die Ver- wertung des Kohlenstickstoffs ihr Maximum an- nähernd erreicht haben dürfte. Anders steht es in Nordamerika. Dort ist man jetzt erst in den großen Eisenwerken daran , den Kohlenstickstoff auszunutzen, so daß wir innerhalb 2 Jahren etwa mit einer Jahresproduktion von 500000 Tonneu Ammoniumsulfat von selten Nordamerikas zu rechnen haben. Diese Tatsache konnte den Anschein erwecken, die synthetische Ammoniakherstellung habe nun- mehr nicht die volkswirtschaftliche Bedeutung, die ihr von manchen .Seiten zugeschrieben wird. Wenn wir jedoch bedenken, daß die Bevölkerungszunahme eine beträchtliche Konsumzunahme von Ammoniak bedingt, und daß wir die Summen, die jährlich an das Ausland für den Salpeterbezug bezahlt ! werden, dem Lande erhalten möchten, so recht- fertigt sich schon das Streben nach einer praktisch ') Zeitschrift für angewandte Chemie, 27, Nr. S, S. 41—48. ') J. Soc. Chem. n, Nr. I und z. durchführbaren, rentablen Ammoniaksynthese. Zum Schluß ist dann auch das Ammoniak dazu be- rufen, das Rohmaterial zur Herstellung von .Salpeter- säure zu liefern. 1835 machte Dawes") die Beobachtung, daß sich in den Schmelzen von Hochöfen Cyankalium bildet und 1839 gelang es Lewis Thompson durch Erhitzen von Koks, Pottasche und Feil- spänen bei Gegenwart von Luft Cyankalium her- zustellen. Auf diesen Beobachtungen fußend, er- hielt Swindells 1844 ein englisches Patent auf die Erzeugung von Ammoniak durch l'berleiten von Wasserdampf über erhitzte Cyanide. Die .Ammoniakabgabe der Cyanide erklärt sich aus folgender Gleichung : KCN + 2H.,0 = NH., + HCOOK Margueritte und Sourdeval benutzten das Barium- cyanid zur Ammoniakerzeugung: Ba(CN).3 -|- 4H.,0 = l^U,, + Ba(OH)., + 2CO Mond') änderte dieses Verfahren etwas um. Er formte aus 32 T. Bariumkarbonat, 8 T. Koks und 1 1 T. Pech Briketts, die nach dem Ausglühen unter Luftabschluß in Stücke gebrochen werden. Die Stücke kommen in Retorten, die in Kammern eines Ringofens eingebaut sind und von außen geheizt werden. In die Retorten wird Stickstoff eingeleitet. Diese Verfahren hatten sehr unter dem ('beistände zu leiden, daß kein reiner Stick- stoff verwendet wurde, sondern durch CO verun- reinigter. Auch die Badische Anilin- und Sodafabrik er- hielt auf ein Ausführungsverfahren der Margue- ritte- und S ou rde val'schen Reaktion ein Patent, wonach die Bariumoxydkohlemischung in senkrecht aufeinander gesetzten Kapseln durch Flammgase, die parallel zur Achse der Kapsel- stöße geführt sind, erhitzt wird, während reiner Stickstoff zuströmt. In fast quantitativer Weise entsteht nachher Ammoniak, wenn die Erdalkali- cyanide mit Wasser im Autoklaven bei etwa 150" behandelt werden ; als Nebenprodukt entsteht dabei ameisensaures Barium. Dieses Alkalicyanidverfahren ist das erste, das zur synthetischen Ammoniakgewinnung in Vor- schlag gebracht wurde. Jedoch ist aus dieser Ouelle bis heute noch nicht viel Ammoniak ge- flossen. Wichtiger ist das Cyanamid- oder Kalk- stickstoffverfahren, das auf der Verwendiuig von Calciamkarbid beruht, einem ausgezeichneten Ab- sorptionsmittel für Stickstoff. In der ersten Karbid- fabrik (Spray in Nordcarolina) wurden 1895 von Wilson die ersten Versuche zur Bindung von Stickstoft' mittels Calciumkarbid unternommen. Frank und Caro fanden dann, daß fein gepulfer- tes Karbid bei ca. looo" mit Stickstoff im Sinne der Gleichung CaCo +N,, = CN.CNCa reagiert, welches Produkt als Salz des Cyanamides CNNL1._, anzusehen ist. Die Stickstoffbindung auf Calciumkarbid vollzieht sich jedoch nur dann in ») D. R. P. 21 175. 520 Naturwissenschaltliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 33 glatter Weise, wenn man äußerst reinen Stickstoff anwendet. Ein kleiner Zusatz von Metallchloriden zum gepulverten Karbid beschleunigt jedoch die Reaktion. Nach diesem \-on Polzenius gefun- denen Verfahren wunle der erste auf dem Markte erschienene Kalkstickstoff hergestellt. Das heute im großen mit Erfolg durchgeführte Verfahren beruht darauf, daß das in einem isolierten Gefäß befindliche zerkleinerte Karbid durch einen im Inneren befindlichen elektrisch geheizten Kohlen- Stab erhitzt und der Stickstoff direkt in die Meiz- zone zugeführt wird. Nach diesem Verfahren sollen pro Pferdestärkenjahr 2000 kg Calciumcyanamid herzustellen sein. Eine ganze Reihe von iMetallen hat bei mehr oder weniger erhöhter Temperatur die h'ähigkeit, elementaren Stickstoff zu binden; diese Metall- Stickstofifverbindungen nennt man Nitride. Einige von diesen Nitriden haben die Eigenschaft, ihren Stickstoff mittels Wasser als Ammoniak abspalten zu lassen, diese Nitride kommen denn auch haupt- sächlich für die synthetische Gewinnung von Ammoniak in Frage. Für den Großbetrieb eignen sich natürlich nur diejenigen Nitride, die billig hergestellt werden können, infolgedessen schrumpft die Zahl der verwendbaren Nitride auf einige wenige zusammen. Zuerst wurde hauptsächlich das Bornitrid (BN) angewendet, das man durch Erhitzen von mit Borsäure getränkter Kohle in Gegenwart von Stickstoff herstellte (Banet, 1879, Engl. Fat. 4338). L y o n s und B r o a d w e 1 1 stellen BN durch Elektrolyse eines auf looo" erhitzten Bades von Boraten her, in Gegenwart von Stick- stoff. Durch Behandlung mit Wasser erhält man aus dem Bornitrid Ammoniak, nach der Gleichung: BN -j- 3H.,0 = B(0H)3 + NHo Behandelt man Bornitrid mit einer Säure, so er- hält man Borsäure und das entsprechende Ammo- niaksalz. Auch Silicium verbindet sich bei 1250 — 1300" mit Stickstoft' zu Siliciumnitrid ; da jedoch dieses hauptsächlich nur durch Alkali und zwar sehr langsam in Ammoniak übergeführt wird, so hat es für die Ammoniaksynthese keine große Be- deutung. Wichtiger für die Ammoniakerzeugung ist das Aluminiumnitrid AIN. Matignon beobachtete, daß beim starken Erhitzen von Aluminiumpulver das Aluminium verbrennt, und daß sich neben Al.^Og stets auch Aluminiumnitrid bildet. Die Vereinigung von Aluminium und Stickstoff geht, wie Fichter 1907 gezeigt hat, bei einer Tem- peratur von 720 — 740^' vor sich. Da jedoch metallisches Aluminium zu teuer ist, so läßt sich diese Methode zur technischen Gewinnung des Nitrids nicht anwenden. Es lag jedoch nahe, statt des Metalles das Oxyd (Al.,Og) anzuwenden, was auch Ende der 90er Jahre von Willson, Chal- mott und Mehner in ihren Patenten zur Nitrid- herstellung benutzt wurde. Die Schwierigkeiten bei der Ausführung dieser Patente überwandt jedoch erst O. Serpek, der extrem hohe Temperaturen vermied und die Bildung von Aluminiumkarbid Alj^Cg schon im Keime vermied. Wohl läßt sich AljCg zur Nitridherstellung heranziehen, gemäß der Gleichung: AL.Og + A1.,C. -f 6N = 6 AIN + 3CO. Diese Reaktion vollzieht sich bei einer Temperatur von etwa 1500"; erhöht man jedoch die Reaktionstemperatur nur um etwa 50 "1 so kann man ohne Karbidzusatz allein aus Tonerde und Kohle das Aluminiumnitrid herstellen (D. R. P. 224628 vom 16. 3. 1909). Am vorteilhaftesten verwendet man als Ausgangsprodukt Bauxit. Setzt man jedoch der Tonerde Katalysatoren wie Eisen, Kieselsäure, Titansäure, Mangan usw. zu, so kann diese ebenso leicht wie der Bauxit in das Nitrid übergeführt werden. Eine Erniedrigung der Reaktionstemperatur erreichte Serpek dadurch, daß er dem Stickstoff etwa 5 Vol.-"/,, Wasserstoff beimischte. Bei dieser Versuchsanordnung ist es erforderlich 5 — 6 Stun- den bei nur 1250 — 1300" zu erliitzen und zwar bei einem ca. 5 fachen N-Uberschuß , da das sich bildende, die Reaktion hemmende CO stark ver- dünnt werden muß. ') Dieser Vorteil kommt je- doch erst bei einer Erhöhung der Temperatur zum richtigen Ausdruck; so kann man z.B. schon durch ein halbstündiges Erhitzen von Bauxit auf iCoo" in richtig konstruierten Apparaten sämt- liche Tonerde in Nitrid umwandeln. Bei weiterer Erhöhung der Temperatur läßt sich die Reaktions- zeit noch bedeutend abkürzen und bei einer Tem- peratur von 1900" endlich erreicht man eine voll- ständige LImwandlung von Tonerde in Nitrid inner- halb 5 Minuten ja sogar, in letzter Zeit, innerhalb von Bruchteilen von Sekunden. Das Aluminiumnitrid wird durch Wasser in Ammoniak und Tonerdehydrat gespalten: 2AIN + 6H,0 = 2NH3 + Al.,(OH)ß. Diese Zerlegung findet im Rührautoklaven statt. Um reine Tonerde zu erzeugen, zerlegt man das Nitrid nicht mit Wasser , sondern mit Alu- minatlösung (2o''Be). Bei einem Druck von 2 Atmo- sphären vollzieht sich die Zersetzung in i '/., bis 2 Stunden. Durch Dekantation läßt sich die Ton- erdelösung leicht von den ungelösten Verunreini- gungen trennen und man erhält aus ihr nach Bayer 's Vorschrift durch Autoausfällung reine Tonerde. Die zurückbleibende Aluminatlauge kann zur Zerlegung neuer Mengen AUmiinium- nitrid benutzt werden. Bei den oben besprochenen Verfahren der synthetischen Ammoniakerzeugung wurde Wasser oder Wasserdampf bei höherer Temperatur in Gegenwart von Cyaniden oder Nitriden zerlegt, so daß der Stickstoff aus diesen Körpern sich mit dem frei gewordenen Wasserstoff zu Ammoniak vereinigte. Jetzt wenden wir uns einer Methode zu, bei der Wasserstoff und Stickstoff direkt in ') Man vgl. auch; Adolph Sprengel, Über Aluminium- nitrid (Diss. Basel 1912) und W. Fränkel's Studie über die Bildung von Aluminiuninitrid aus Tonerde, Kohle und Stick- stoff (Zeitschrift für Elektrochemie 19, Nr. 8, 362). N. F. Xm. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 521 Reaktion gebracht werden, es ist dies die Haber- sche Ammoniaksynthese. Bei gewöhnlicher und auch bei erhöhter Tem- peratur vereinigen sich Sticksioft' und Wasserstoff kaum merklich miteinander. Bei fast genau looo" zerfällt Ammoniak in seine Elemente, umgekehrt sollte man meinen, müßte bei dieser Temperatur auch Ammoniak aus Stickstoff und Wasserstoff herstellbar sein. In der Tat bildete sich auch hierbei 0,0048 1 ";„ (Habe r), bzw. 0,0032 "/„ (J o s t) ; bei 700" betragen diese Mengen 0,0221 und 0,0174 '%. Hiernach scheint also das Problem der synthetischen Ammoniakerzeugung aus den Ele- menten mehr denn je ein schöner Traum. Den- noch gelang es Haber zusammen mit der Badi- schen Anilin- und Sodafabrik (Dr. Bosch und Mittasch) dieses schwierige und wichtige Pro- blem zu lösen. Das Verfahren wird wohl am besten durch das D. R. P. 235429 charakterisiert, dessen Patentanspruch lautet: I „Verfahren zur synthetischen Darstellung von Ammoniak aus den Elementen, wobei ein geeig- netes Gemenge von Stickstoff und Wasserstoff kontinuierlich der Ammoniakbildung mittels er- hitzter Katalysatoren und nachfolgender Ammoniak- entziehung unterworfen wird, dadurch gekenn- zeichnet, daß hierbei unter dauerndem Druck und unter jeweiligem Ersatz des zu Ammoniak ver- bundenen und zweckmäßig durch Abkühlung und Abscheidung in flüssiger oder fester Form ent- fernten Anteiles durch neue Stickstoffwasserstoff- mischung gearbeitet untl dafür gesorgt wird, daß die Wärme der ammoniakhaltigen Reaktionsgase auf das von neuem der Reaktion zu unterwerfende ainmoniakfreie Gasgemisch übertragen wird." Einen besonderen Fortschritt erzielte Haber durch die Auffindung von Katalysatoren, die schon bei weit niedrigeren Temperaturen als den bisher erforderlichen eine genügend schnelle Vereinigung von Stickstoff und Wasserstoff zu Ammoniak be- wirken. So entfaltet Osmium schon bei 550" eine derart günstige Wirkung, daß bei einem Druck von 175 Atni. 8 Vol.-"/,, Ammoniak erhalten wurden. Ein sehr guter Katalysator ist auch das Uran, hierbei ist jedoch Abwesenheit von Wasser Haupt- bedingung. Setzt man dem Katalysator gewisse Oxyde, Hydroxyde oder Salze der Alkalien, alka- lische Erden und Erdmetalle usw. zu, so wird er aktiviert, d. h. in seiner Wirksamkeit außerordent- lich verbessert. Andererseits gibt es jedoch auch sogenannte Kontaktgifte, welche die Reaktion be- einträchtigen oder verhindern, so z. B. Schwefel, Selen, Tellur, Arsen, Phosphor, Bor, Schwefelwasser- stoff usw. Zum Schluß sei die dritte, bekannteste Stick- stoffverwertungsmöglichkeit angeführt, die Oxyda- tion des Luftstickstoffs unter Bildung von Salpeter- säure, auf die einzugehen nicht hierher gehört. So haben unsere Chemiker und Ingenieure auch dieses Problem gelöst, und unseren Ländereien neuen Stickstiff gesichert, ehe die von Chile drohende Stickstoffnot an unsere Türen pocht. Einzelberichte. Botanik. Sind die Wurzeln der Pflanzen fähig, Temperaturunterschiede wahrzunehmen ? Bekannt- lich kommt den Wurzeln die Fähigkeit zu, auf Licht-, Schwere- und F'euchtigkeitsreize durch Krümmungen zu reagieren. Sachs, van Tieg- hem. Wortmann, afKlercker glaubten nun auch eine Empfindlichkeit für Temperaturdifferen- zen nachgewiesen zu haben, dergestalt, daß sich die Wurzeln von zu hoher Temperatur fort- und nach günstiger Temperatur zukrümmen. Da aber die Versuche noch kritische Einwände zuließen, hat neuerdings H. D. Hook er (The Plantworld, Vol. 17, Nr. 5, 1914) auf Veranlassung von L. Jost in Straßburg die P'rage von neuem aufgenommen. Steckte er Keimlinge in ein zweifächriges Gefäß, dessen eine Hälfte mit feuchten Sägespänen aus- gefüllt war, und dessen durch eine Scheidewand abgetrennte andere von kühlem strömendem Wasser durchflössen wurde und erhitzte er dann die Außen- wand des die Wurzeln bergenden Sägemehlfaches, so entstand hier ein Temperaturgefälle, das nun tatsächlich die Wurzeln zu Krümmungen ver- anlaßte. ¥.s stellte sich aber bald heraus, daß der Erfolg nicht auf den Temperaturabfall, sondern auf das mit ihm bei dieser Versuchsanordnung notwendigerweise verbundene Feuchtigkeitsgefälle zurückzuführen war. Wurden nämlich die Wurzeln in Agar-Gallerte eingeführt und wiederum in dieser ein Wärmeabfall hergestellt, so blieb jede Art von Krümmung aus, trotzdem das Wachstum und die P'ähigkeit, z. B. geotropische Krümmungen aus- zuführen, nicht beeinträchtigt waren. Es muß also den Wurzeln die Fähigkeit abgesprochen werden, mit Hilfe einer besonderen Empfindlichkeit die Orte günstiger Wärme im Erdboden aufzusuchen. Miehe. Zoologie. Ein fremder Ansiedler der Warm- häuser (Branchiura Sowerbyi Beddard). Seit dem Jahre 1892, in dem Beddard als Erster den am Hinterende dorsiventral stehenden, zirrenförmigen, Kiemen tragenden oligochäten Wurm Branchiura Sowerbyi im Schlamm des Victoria regia-Beckens des Royal Botanical Socicty's Garden, Regents Park in London fand, ist dieser Wurm des öfteren in unseren Warmhäusern beobachtet worden. So in Dublin, Hamburg, P>ankfurt a. M. und Göttingen. Stephenson gibt als außer europäische Fund- orte an: ein kanalartiges Behältnis in den Agri- horticultural Gardens in Madras, einen Teich des Museumsgartens in Kalkutta und eine „nullah" (d. i. ein Wasser, das zeitweilig trocken liegen c 22 Naturwissenschaftliche Wochensclirift. N. F. Xm. Nr. 33 kann) in Lahore. Nach einer mir durch Herrn Dr. Annandale (Superintendent Indian Museum, Kalkutta) zugeg-angenen Mitteilung, daß Brancliiura Sowerbyi in Indien in Teichen gemein ist, glaube ich annehmen zu dürfen, daß Indien wohl die Heimat dieses Oligochäten ist und er mit Pflanzen bei uns eingeschleppt wurde. Einmal in einem oder einigen unserer Warmhäuser angesiedelt, war seine Weiterverbreitung möglicii durch den Pflanzenaustauschverkehr, in dem unsere Gärten untereinander stehen. Daß Branchiura die Strapazen einer solchen Verschickung, wie evtl. Trockenheit und große Temperaturunterschiede gut verträgt, das zeigten mir meine Beobachtungen in Göttingen nur zu deutlich. Im November 1909 beim Entleeren des Victoria regia Hauses wurden Branchiuren zum ersten Male dort beobachtet. Ich holte mir eine Anzahl der- selben ins Laboratorium und hielt sie dort den ganzen Winter hindurch sehr gut bei einer Tem- peratur, die immerhin bedeutend unter der tropi- schen Temperatur des Warmhauses lag. Im Früh- jahr 1910 trat unser Wurm wieder in sehr großen Mengen im Warmwasserbecken auf. Wie ist er dorthin gekommen, da doch den Winter über die Becken vollständig geleert waren und man die Erde im I-'reien hatte durchfrieren lassen.? Die Erklärung fand sich bald. Einen Teil der Pflanzen hatte man in einem anderen Warmhause in Töpfen überwintert und in den von mir davon untersuchten fanden sich einheimische Tubifexformen und auch Branchiuren. Die Überwinterung war so erklärt, und wenn dann die Tiere in die günstigeren Ver- hältnisse der Warmasserbecken kamen, konnten sie sich besser entwickeln und rascher vermehren. Nun aber zeigte sich im März 1911 nur 2 Wochen nach dem Beschicken eines Beckens mit der im Freien überwinterten Erde Branchiura in großer Zahl und in fast völlig geschlechtsreifen Exemplaren. Der leitende Obergärtner versicherte mir, es sei noch keine überwinterte Pflanze im Becken ge- wesen. Diese Tatsache bewog mich nun, den kleinen Rest der noch im P'reien lagernden P>de zu durchsuchen. Ich fand auch bald in einem Erdballen ein lebendes Teilstück von Branchiura. Damit war gezeigt, daß Branchiura in fast trockener Erde, ohne sich in einen Kokon einzuschließen, bei uns im Freien überwintert hatte. Diese an und für sich für eine tropische Form zuerst er- staunende Anpassungsfähigkeit wurde durch weitere Beobachtungen auch solcher anderen Autoren ge- stützt. So korrespondiert das Vorkommen von Branchiura in der zeitweilig trocken liegenden Nullah von Lahore mit meinem Fund des Bran- chiurateilstückes in der trockenen Erde. Die Eury- thermie wird dann auch noch durch die Tatsache be- wiesen, daß der Wurm in Göttingen in den im Winter zwar überdeckten aber nur auf einer Tem- peratur von 1 5 " C erhaltenen Becken im Freien auch vorkommt, ohne seine Lebensweise irgendwie merkbar zu ändern. Damit kommt ein neuer Gesichtspunkt zu der Beurteilung unseres Wurmes hinzu, nämlich der, daß er als tropischer Oligochäte doch auch in unserem Klima im Freien leben kann. Für Frankfurt liegen mir noch, allerdings nicht selbst geprüfte Angaben vor, daß im heißen Sommer 191 1 Branchiura im P'reien in einem Teiche mit tropischen Wasserpflanzen vorgekom- men sein soll. Diese Beobachtungen finden nun eine Parallele in den Angaben Perrier's. Dieser fand Bran- cliiura Sowerbyi in den Jahren 1906 und 1907 in einem Altwasser der Rhone nahe der Einmündung des Doux in der Nähe von Tournon. Dieses Alt- wasser stand mit dem Strom durch einen unter- irdischen Zufluß in Verbindung, war nicht tief und sein Boden war mit dichtem Schlamme be- deckt. Hier fand Perrier die Tiere entweder tief im Schlamme versteckt oder frei mit ihren Hinterenden im Wasser flottierend. Im nächsten Jahre war dieser Fundort leider ausgetrocknet und seitdem auch ausgestorben. Perrier fand aber ganz in der Nähe am Ufer des Doux einen neuen P^undort, der von besonderer biologischer Bedeutung ist. Das Wasser hatte hier einen ziemlich raschen Lauf und daher war der Grund auch zum größten Teil rein sandig und nicht mit .Schlamm bedeckt, der sich nur an einzelnen Ufer- stellen ansetzen konnte aber dann immer sehr mit granitischem Sandmaterial vermischt war. Gegenüber dem ersten Beobachtungsorte war die Zahl der gefundenen Individuen geringer. Rhone- abwärts fanden sich noch zwei weitere Verbrei- tungsstelleii, die der erst beschriebenen völlig gleich kamen. Auch hier wirft sich nun die Frage auf, ob Branchiura in der Rhone autoch- thon oder eingeschleppt ist. Perrier gibt hier- über keine abschließende Antwort, immerhin er- scheint es ihm möglich und ist auch wohl wahr- scheinlich, daß der Wurm durch mit der Rhone in Verbindung stehende Abzugskanäle von Warm- häusern zahlreicher an ihren Ufern liegender Gärten in die Rhone gelangte. Dem wäre natür- lich weiter nachzuforschen; auch wäre zu prüfen, ob die jährliche Wiederkehr auf erneuter Ein- schleppung oder auf Überwinterung beruht. Das letztere ist nach den in Göttingen gemachten Befunden ja keineswegs von der Hand zu weisen. Seit ihrem zum ersten Male beobachteten Auf- treten hat sich Branchiura in Göttingen ständig vermehrt und ich schätze ihre Anzahl auf viele Tausende. Durch dieses massenweise Auftreten und durch ihre Lebensweise ist sie zu einem Schädling geworden. Branchiura baut nämlich ganz ähnlich wie der ihr verwandte heimische Tubifex tiefgehende Wohnröhren in den Grund der Wasserbecken. Dieser besteht nun z. B. in Göttingen aus guter Gartenerde, in der die Pflanzen wurzeln und einer darüber liegenden Kiesschicht. Diese wird durch die zahlreichen Wohnröhren unterminiert, was oft zu unliebsamen Senkungen Veranlassung gibt. Weiter schaff": sie die Erde, die vorher die Röhren ausfüllte und die beim N. F. Xm. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 523 Bau den Darm des Wurmes passiert hat , als speckigen Mutt in kurzer Zeit über den Kies. Dadurch werden oft junge Pflänzchen verschüttet, am Fortkommen gehindert oder gar getötet. Natürlich ist es das Bestreben des Gärtners, diesen schlechten Gast aus seinem Behälter zu entfernen. Obwohl der Wurm gegen chemische Reagenzien und Gifte, wie z. B. Coccain, Chloro- form, Nikotin sehr empfindlich ist, so vermag er sich doch durch Zurückziehen in seine Röhren dagegen zu schützen, auch ist ja stets zu beachten, inwieweit diese Gifte nicht auch den Pflanzen schaden. Zahlreiche in die Becken eingesetzte Fische scheinen sich auch nicht als ihre Veniichler zu erweisen; denn sie vermögen ja auch nicht den Würmern in ihren Röhren zu folgen. Das ein- zige mir bis jetzt als wirksam bekannt gewordene Mittel, unter den Branchiuren aufzuräumen, ist das Einsetzen von Planarien. Diese haben sich näm- lich in meinen Kulturen als die gefährlichsten Vernichter der Würmer erwiesen. Hiermit ist vielleicht der Weg angegeben, wie man Branchiura Sowerbyi Bedd. wieder aus dem Warmhause entfernen kann. Selbstverständlich muß dann erst, ehe man Planarien in großer Zahl in die Becken einsetzt, geprüft werden, ob diese wiederum selbst nicht in irgendeiner Weise schädlich auf den Pflanzenwuchs einwirken. \) Keyl. Nahrungswahl bei Infusorien. M. S. Metal- nikov stellt in seiner vor einiger Zeit er- schienenen Arbeit: Contribution k l'etudc de la digestion intracellulaire (Arch. Zool. exper. T. 9) die Ansicht auf, daß die Infu- sorien imstande sind, zur Nahrung ungeeignete Stoffe von nahrhaften zu unterscheiden. Er erwies ihre Richtigkeit durch eine Anzahl von Versuchen, die im Archiv für Protistenkunde, Bd. 34, H. I, 1914 beschrieben sind.-) Es wurde mit der Gattung Paramaecium experimentiert und zwar gab man in die verschiedenen diese Infusorien ent- haltenden Kulturen Giftstoffe, im Wasser un- lösliche Blei- und Arseniksalze. Es bildeten sich wie gewöhnlich bei der Aufnahme fester Stoffe Nahrungsvakuolen, nach deren Anzahl Metal- ') Beddard, F. K. , A new brancliiate Oligochactc. Journ. of microscopical Science. Vol. 33, 1892. Keyl, F., Beiträge zur Kenntnis von Branchiura Sower- byi Beddard. Zeitschrift f. wiss. Zoologie Bd. 107, 2, 1913. — , Zur Verbreitung von Branchiura Sowerbyi Beddard. Zool. Anzeiger Bd. 43, 1914. Michaelscn, W., Zur Kenntnis der TubiBciden. Arch. f. Naturg. 74. Jahrg. Bd. I. Perrier, L. , Une Station rhodanienne de Branchiura Sowerbyi Bedd. .^nn. Univ. Grenuble. Vol. 21, 1909. Stephenson, J. , Ün Branchiura sowerbyi Beddard, and on a new species of Limnodrilus with distinctiv charac- ters. Trans. Roy. Soc. Edinb. Vol. 48, 1912. -—, On a new species of Branchiodrilus and certain other aquatic Oligochaeta, with remarks on cephalization in thc Naididae. Kecords of the Indian Museum Vol. 7, Part. 3, Nr. 21, igi2. ") Les infusoires peuvent-its apprendre a choisir leur nourriture ? n i k o V die Menge der aufgenommenen Substanzen festzustellen versuchte: einige Minuten nach Plin- zufügung der betr. Substanz wurden die Tiere durch Osmiumdämpfe getötet, bei 20 Individuen die Vakuolen gezählt und das ganze durch 20 ge- teilt, so daß ein Durchschnittswert erhalten wurde. Ebenso wie bei diesen Kulturen mit den Arsenik- resp. Bleisalzen, deren Bewohner kurze Zeit nach Aufnahme der Stoffe eingingen, xerfulir der Ver- fasser bei den Kulturen, denen er Substanzen von geringerer Giftigkeit oder solche, die vollkommen unschädlich, aber ohne Nährwert für die Tiere waren, beigegeben hatte. Wie die trifte, so wurden auch diese Stoffe zuerst sämtlich wahllos aufge- nommen. Nach einiger Zeit zeigte sich jedoch eine Auswahl nach Wert der betr. Substanzen. So wurden z. B. Individuen 20 .Stunden nach Ver- bringen in einer Kultur mit beigefügtem A 1 u m i- n i u m aus dieser herausgenommen und in eine andere versetzt, wo sie nichts mehr davon berühr- ten. Schneller als bei dem Aluminium, das keinen Nährwert hat, geht die Reaktion bei Sepia und Carmin, die als organische Substanzen ihrer ge- wöhnlichen Nahrung ähnlich sind, vor sich. Die dargereichten Bakterien und Albumin wurden immer aufgenommen. Ebenso ein Gemisch von Nahrungsstoffen und neutralen Stoffen. Bei der Darbietung dieser Mischungen zeigte sich die sehr interessante Erscheinung, daß ihre Aufnahme ganz von der Zusammensetzung des Gemisches abhängt. Befanden sich giftige Substanzen darunter oder auch solche ohne Nährwert, so nahm die Zahl der Vakuolen bald ab und verschwand schließlich ganz. Bei Menschen und höheren Tieren würde man in diesem Falle von einer Lernfähigkeit sprechen, welche die nach einiger Zeit getroffene Auswahl der Nahrung im Gefolge hat, somit an- nehmen, dal3 sich die Tiere in ihren Handlungen von einer vorhergehenden P^fahrung leiten lassen. Das setzt aber die P'ähigkeit der Erinnerung, des Vergleichs, der Folgerung voraus, wenigstens wenn wir den Ausdruck „lernen" im psychologischen Sinne nehmen. Kann man somit von einem Gedächt- nis bei den Infusorien sprechen nach dem Schluß, daß, weil wir hier bei niederen Organismen ähn- liche Handlungen wahrnehmen wie bei uns, auch ihre psychische F'ähigkeiten nur graduell von den unseren verschieden sind (Jennings) oder muß man mit Bohn, der die Lebenstätigkeit der niederen Tiere durch Anwendung der Begriffe Tropismen und Unterschiedsemiifindlichkeit analy- siert, diese Wahlfähigeit einfach als einen Fall von physiologischer Anpassung auffassen? V. Aichberger. Vererbungslehre. Vererbung bei Kreuzung von Knochenfischen. Während die Echinodermen, speziell die Seeigel, von jeher zu Bastardie- rungsexperimenten und Vererbungsstudien viel benutzt worden sind, hat man die Knochenfische bisher verhältnismäßig wenig zu Versuchen dieser Art verwandt. Und doch sind gerade bei ihnen 524 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 33 Kombinationen in fast unbescliränkter Zahl mög- lich, und in mancher Hinsicht stellen sie ein viel geeigneteres IVIaterial als die Echinodermen dar. In der letzten Zeit scheint man nun allgemein zu dieser Erkenntnis gekommen zu sein, denn es liegt uns in diesem Jahre bereits eine ganze Reihe von Untersuchungen vor, die an Teleostierbastarden ausgeführt wurden. Während die einen das Ver- halten des fremden Spermiums im Ei und der väterlichen Chromosomen während der Furchung untersuchten, wandten die anderen ihre Aufmerk- samkeit den verschiedenen Eigenschaften zu, die die Bastardtiere bzw. -larven zeigten. Hier soll von den Untersuchungen NewmansM die Rede sein, dem wir bereits mehrere ähnliche Arbeiten verdanken. Newman benutzte zu seinen Experimenten drei Vertreter der Gattung h'undulus: F. hetero- clitus, V. majalis und F. diaphanus, außerdem Cyprinodon variegatus. Die zwischen diesen vier Spezies theoretisch möglichen Kreuzungen lassen sich alle ausführen, aber die Embryonen der ver- schiedenen Kreuzungen zeigen eine sehr verschie- dene Entwicklungs- und Lebensfähigkeit. Am erfolgreichsten ist die Kreuzung F. diaphanus >; F. heteroclitus, was um so merkwürdiger erscheinen muß, als die erstere Spezies im Süßwasser heimisch ist, während F. heteroclitus im Meere lebt. Es ist behauptet worden, daß die Kreuzungen um so leichter gelingen, je mehr die Lebensgewohnheiten und Aufenthaltsorte der verwandten Spezies über- einstimmen. Daß diese Ansicht zum mindesten keine allgemeine Gültigkeit haben kann, beweist Newman mit seinen Experimenten. Bei Kreuzung ausschließlich mariner Fundulusarten entstanden weniger lebenskräftige Larven als bei der oben genannten Kreuzung, und zwar war es bei dieser Kreuzung gleichgültig, welcher Spezies der Vater angehörte. Die Entwicklung dieser Bastard- embryonen geht schneller vor sich als die der reinen Embryonen der elterlichen Spezies, die Bastardlarven schlüpfen früher aus, sie sind sehr kräftig und wachsen schneller als die reinen Larven. Die Beschleunigung des Entwicklungsprozesses bei den Bastardlarven möclite Newman auf die Wirkung eines fremden Enzyms, das durch das Spermatozoon eingeführt wird, zurückführen. Die Angabe, daß die Entwi('klung durch fremdes Sperma immer verlangsamt wird, ist nicht richtig. Ver- schiedene (Objekte können sich hier ganz verschieden verhalten. Befruchtet man z. B. drei Portionen von F. diaphanus-Eiern, die eine mit Sperma der eigenen Art, die zweite mit Sperma von ¥. majalis und die dritte mit F. heteroclitus-Sperma, so wird in dem einen Falle von Bastardierung (F. majalis- Sperma) die Entwicklung verlangsamt, während sie in dem anderen Falle (F. heteroclitus-Siierma) beschleunigt wird. Es scheint, daß im allgemeinen bei Kreuzung sehr nahe verwandter Formen die ') Newman, H. H., Modes of inheiitance in Teleost hybrids. Journ. of. Exper. Zoöl., WA. Ib, 1914, Entwicklung beschleunigt wird, bei entfernt ver- wandten verlangsamt, ohne daß notwendigerweise hier ein bestimmtes Verhältnis zu bestehen braucht. Die Entwicklungsgeschwindigkeit wird also nicht durch Vererbung bestimmt, sondern beruht auf physiologisch-chemischen Wirkungen. Die Erbmasse, die das Spermatozoon mitbringt, tritt während der Furchuiig überhaupt noch nicht in Funktion, erst wenn sich der Embrj-o zu differen- zieren beginnt, fängt auch die väterliche Erbmasse an, ihren Einfluß auf die Entwicklung geltend zu machen. Damit hängt es zweifellos auch zu- sammen, daß mit Beginn oder während der Ga- strulation viele Bastardembryonen, die sich in ganz noimaler Weise gefurcht haben, absterben. Von großer Bedeutung ist es nach Newman für das Resultat der Kreuzung, ob die benutzten Geschlechtsprodukte ganz frisch gewesen sind. Bei der Kreuzung F. heteroclitus X F. majalis wird die Entwicklung nur verzögert, wenn frisches Sperma verwandt wird. Bewahrt man das Sperma aber einige Zeit auf, so erfolgt eine ganz normale Entwicklung, und die Larven zeigen kaum Sjjuren eines väterlichen Einflusses, während die mit frischem Sperma befruchteten Eier typische Hybri- den liefern. Es liegt nahe, hier die Versuche über Entwicklungserregung mit künstlichen IVIitteln oder über Besamung von Seeigeleiern z. B. mit Mollusken- oder Wurmsperma zum Vergleich heranzuziehen. Das Sperma s]iielt hier nur die Rolle wie dort das künstliche Mittel, es ist nur Entwicklungserreger, das Ei entwickelt sich trotz Besamung — von „Befruchtung" dürfen wir hier nicht sprechen — parthenogenetisch, und infolgedessen zeigt die „Bastardlarve" nur mütterliche Eigenschaften, sie ist in Wirklichkeit gar kein Bastard. Ob in diesen mit abgestandenem Sperma ,, befruchteten" P'un- duluseiern das Spermatozoon eine ähnliche Rolle spielt, kann nur durch eine cytologische Unter- suchung entschieden werden. Bei den Kreuzungen F. majalis $ >( V. diapha- nus (J und F. majalis $ > F. heteroclitus (J ent- wickeln sich die Eier zwar, aber es entstehen nie ausschlüpfende Larven. Zurückzuführen ist dies offenbar auf die Unfähigkeit der Larven, den Dotter zu verarbeiten. In den letzten Stadien der Ent- wicklung ist regelmäßig noch ein großer Sack voll unverdauten Dotters vorhanden. Bei Kreuzung von Cyprinodon mit einer Fundulusspezies ent- steht nie eine Larve oder auch nur ein weiter fortgeschrittener Embryo mit spezifischen Charak- teren. Verschiedene Kreuzungen sowie reziproke Kreuzungen führen aber auch hier zu sehr ver- schiedenen Resultaten. Überhaupt darf man aus diesen Angaben nicht den Schluß ziehen, daß die Entwicklung des Bastards bzw. seine Entwicklungs- fähigkeit in einem bestimmten Verhältnis steht zu dem Verwandtschaftsgrade der elterlichen Tiere. Schon die häufig konstatierte Tatsache, daß selbst nahe verwandte Formen sich in ihren reziproken Kreuzungen sehr verschieden verhalten, beweist die Irrigkeit dieser Annahme. Nicht selten lassen sich N. F. XIII. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 525 Knochenfische, die verschiedenen Ürdnungen an- gehören, leichter kreuzen als solche aus verschie- denen Familien derselben Ordnung oder sogar aus verschiedenen Gattungen derselben Familie. Von erblichen Merkmalen untersuchte New- man eingehend Farbe und X'erteilung des Pig- ments bei den Bastardlarven, und zwar bei den Larven der vier Kreuzungen F. diaphanus >; F. heteroclitus und F. diaphanus X F. majalis. Jede dieser drei Arten weist eine ganz charakteristische Verteilung des Pigments auf, so hat, um nur ein Beispiel herauszugreifen, ¥. heteroclitus am Kopf rote Chromatophoren, V. majalis gar keine und F. diaphanus rotbraune. Das wichtige Resultat, zu dem Newman kommt, ist: Bei der Vererbung des Pigmentcharakters kann man alle gut bekann- ten Vererbungsmodi konstatieren, d. h. der Bastard zeigt nicht etwa allgemein die Pigmentierung des Vaters oder aber die der Mutter oder eine Mischung, sondern in dem einen Merkmal der Pigmentierung kann der Bastard rein dem Vater ähnlich sein, in einem anderen rein der Mutter, wieder eine andere Gruppe von Pigmentzellen kann hinsichtlich der Farbe z. B. eine Mittelstellung einnehmen zwischen den entsprechenden Pigmentzellen des Vaters und der Mutter, sodann kommt Mosaik- vererbung vor usw. Die genaue Analyse des Pigments der Bastardlarven deckt also äußerst komplizierte Verhältnisse auf. Es wäre für unsere theoretischen Vorstellungen über die Vererbung natürlich von größtem Interesse, ließe sich das Verhalten der Pigmentzellen auch in der zweiten Bastardgeneration studieren. Hier scheinen indessen andere Kreuzungen als die Newman 's mehr Aussicht auf Frfolg zu versprechen. Nachtsheim. Physik. Die optischen Konstanten dünner Kupferschichten werden in einer Arbeit von W. Planck (Göttingen) bestimmt, die in der physikalischen Zeitschrift XV (1914J Seite 564 bis 569 veröffentlicht ist. Die Metallschichten, deren Dicke zwischen 46 und 1,3 ;((/< liegt, wurden durch Kathodenvcrstäubung auf Glas hergestellt und ihre Dicke aus dem Polarisationszustande des durchgegangenen Lichtes dreier verschiedener Farben berechnet. Aus den Azimuten und Phasen- verzögerungen des reflektierten und durchgelassenen Lichtes, die mit Hilfe eines Polarisationsspektro- meters in Verbindung mit einem Monochromator (das Licht lieferte eine Bogenlampe) bestimmt wurden, lassen sich nach von Försterling auf- gestellten Formeln Brechungs- und Absorptions- index bestimmen. Der ersterc nimmt mit ab- nehmender Dicke der Kupferschicht beträchtlich zu, während der letztere beträchtlich abnimmt, so daß mithin die Schichtdicke von wesentlichem Einfluß auf die optischen Parameter ist. K. Schutt, Hamburg. J. R. Partington (Manchester) berichtet in der Physikalischen Zeitschrift XV (1914) Seite 601 — 605 über die Bestimmung des Ver- hältnisses der spezifischen Wärmen des Chlors nach der von K u n d t angegebenen und von Behn und Geiger modifizierten, hübschen Me- thode. Ein 125 cm langes und 4 cm dickes Glas- rohr wird nach sorgfälliger Reinigung und Trock- nung mit reinem Chlor von Atmosphärendruck gefüllt, dann wird etwas Kieselsäurepulver hinzu- gegeben und das Rohr auf beiden Seiten zuge- schmolzen. Klemmt man es jetzt in der Mitte ein und reibt das eine Ende mit einem angefeuch- teten Tuch, so werden im allgemeinen im Rohre keine Kundt'schen Staubfiguren auftreten, da die Rohrlänge kein ganzes Vielfaches der Halb- wellenlänge des betreffenden Tones darstellt. Ver- größert man aber hinreichend die Masse des Rohres dadurch, daß man mittels Siegellack Blei- scheiben auf seine Enden kittet, so spricht die Chlorsäule im Rohr an und man kann durch Messung an den Staubfiguren die Wellenlänge des Rohrtones in Chlor feststellen. Um die Wellenlänge dieses Tones in Luft zu finden, be- nutzt man ein 150 cm langes und 4,25 cm weites Glasrohr, das einen Korkstempel enthält, so daß die Länge der Luftsäule verändert werden kann. Auch in dieses Rohr bringt man in einem langen schmalen Streifen Kieselsäurepulver und hält vor das offene Ende das Chlorrohr. Bringt man dieses zum Tönen, so treten auch in dem Luftrohr bei geeigneter Einstellung des Kolbens Staubfiguren auf, deren Ausmessung die Wellenlänge in Luft gibt. Aus den beiden Wellenlängen läßt sich das Verhältnis der spezifischen Wärmen berechnen ; es ergibt sich für Chlor von 16" und i Atmosphäre 1,329 + 0,001, Cv = 6,39 cal u. C,, = 8,49 cal. K. Schutt, Hamburg. Chemie. Kolloidale Lösungen von Mono- natriumurat. Auf der 21. Hauptversammlung der Deutschen Bunsengesellschaft in Leipzig (21. — 24. Mai) berichtete Professor Bechhold über Ver- suche, welche die Frage entscheiden sollten, ob es kolloidale Lösungen von Mo nonatriumu rat gibt. Dieser Frage, die nach den Untersuchungen von Bechhold bejahend zu beantworten ist, kommt eine große biologische Bedeutung zu, weil das Natriumsalz der Harnsäure im Organismus des gesunden und kranken Menschen eine wich- tige Rolle spielt. Bei der normalen Bildung von Natriumurat im gesunden Körper wird das gelöste harnsaure Natrium teils durch die urikolytischen Fermente zerstört, teils durch die Niere ausge- schieden. Der Teil des Mononatriumurats, der in kolloidem Zustande, also nicht in echter Lösung vorliegt, vermag infolge der relativen Größe seiner Teilchen die Niere nicht zu passieren und kann daher nur durch die Tätigkeit der urikolytischen Fermente aus dem Körper entfernt werden. Ver- sagen diese — wie es beim Gichtiker der Fall ist — , so scheidet sich die I larnsäure in fester L'orm in den Gichtknoten aus. Der Nachweis, daß kolloidale Lösungen von Mononatriumurat existie- 526 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 33 ren, gelang Bechhold dadurch, daß er Lösungen dieses Salzes von bestimmter Konzentration unter StickstofTdruck ein sogenanntes Ultrafiltcr passieren ließ und durch Titration mit Kaliumpermanganat den Uratgehalt in der Lösung und im F"ilterrück- stand ermittelte. Es ergab sich, daß die ursprüng- liche Lösung ca. 15";,, des Mononatriumurats in kolloider Lösung enthielt, und daß durch die Ultra- filtration eine Anreicherung der kolloiden Form auf 25 ",;, erzielt worden war. Bugge. Kleinere Mitteilungen. Eine Austerbank aus der Litorinazeit. In Nr. 15 dieser Zeitschrift wurde bereits von einem wichtigen h'und aus der Ancyluszeit im Flens- burger Hafen berichtet und zugleich einer Auster- bank erwähnt, die über der Kulturschicht sich befindet. Inzwischen habe ich Zeit und Gelegen- heit gehabt, alle Schichten eingehend zu unter- suchen und dabei mancherlei interessante Funde gemacht, auch in der Austerschicht. Die alte Austerbank zeigte manche Ähnlich- keit mit den lebenden Bänken der Nordsee. Die Schalen bedeckten förmlich den Boden, bildeten aber nie Klumpen, obwohl mehrere Schalen An- wachsstellen von anderen Muscheln zeigten. Die Schalen selbst waren etwas kleiner und dünner als von den Austerbänken bei Sylt, vermutlich weil sie in einer verhältnismäßig ruhigen Meeres- bucht mit geringem Salzgehalt wuchsen. r-"ast alle Schalen zeigen die bekannten Bohrlöcher des Wurmes Dodecaceraea concharum , genau so wie auf den Nordseebänken. Aber merkwürdieer- weise ist bisher noch keine Auster, überhau|it keine Muschel mit Ansätzen der sonst so häufigen Baianusarten gefunden. In einer Schale fanden sich mehrere größere Perlenansätzc, die größten Perlen noch recht gut erhalten. Vielleicht ist dies der erste Fund von Perlen aus der Urzeit, sicher aus der Litorinazeit. Der sonstige Muschelreichtum der Austerbank war ganz enorm , freilich von etwas anderer Zu- sammensetzung als gewöhnlich, da alle Hochsee- arten fehlten. Die Miesmuscheln, Mytilus eduU waren außerordentlich häufig, davon kamen eigen- artig gekrümmte Schalen vor; aber Perlen suchte ich bisher vergebens, obwohl man solche in der Nordsee fast in jeder anderen Miesmuschel finden kann. Noch zahlreicher kamen die Herzmuscheln, Cardium edule vor, bei denen man noch klarer eine ganze Reihe von Varietäten unterscheiden konnte als bei den jetzt lebenden Arten. Auch die kleinen Arten Cardium fasciatum und exignum waren nicht selten. Die größere Herzmuschel erreichte eine Größe, wie man sie lebend in der Ostsee jetzt vergebens sucht, und es ist mir wäh- rend meines siebzehnjährigen Aufenthalts an der Nordsee auch nicht möglich gewesen, dort jemals eine lebende Muschel von dieser Größe zu be- kommen. Besonders die schiefe Varietät, als Cardium rusticum bekannt, zeichnete sich durch besondere Größe aus. Die verschiedenen Arten der Uferschnecken, Litorina, waren natürlich häufig vertreten, alle großen Gehäuse aber an der Spitze von dem kleinen Bohrwurm zerstört. Dieser Wurm scheint im Litorinameer eine bedeutende Rolle gespielt zu haben, da er in der jetzigen Nordsee nicht so häufig zu sein scheint, wie da- mals hier. Ziemlich häufig waren Nassa reticulata und pygmaea; wahrscheinlich stammen alle an der Ostsee gefundenen Gehäuse aus jener Zeit, wenigstens war es mir bisher nicht möglich, lebende Tiere zu bekommen. Ein gewisses Kopfschütteln wird in den Kreisen der Gelelirten vielleicht das Vorkommen von Scrobicularia und Mya verursachen. Die Scrobi- cularia war sehr häufig und hat mit den Austern in derselben Schicht gelebt, habe ich doch Auster- schalen bekommen, die zwischen den Klappen die andere Art bargen, die dort eingeschwemmt lag. Aber die Mya. Wer weiß genauer über die Zeit der Einwanderung? Sie muß früher hier eingedrungen sein, als man bisher angenommen hat. Mehrere verkrüppelte Schalen zeigen, daß sie in der harten Kulturschicht bohrte, also ihre Bohrlöcher durch die untersten noch schwachen Litorinaschichten führte. Sonst erreichten ihre Schalen eine bedeutende Größe wie jetzt in der Nordsee, während sie in der Ostsee lebend nur bis etwa 5 cm lang wird. Zahlreiche kleinere Gehäuse von Hydrobia baltica und stagnalis, so- wie Rissoa labiata und turris lagen im Sande verschwemmt. Merkwürdigerweise scheinen Tapes undModiola gefehlt zu haben da keine einzige Schale davon gefunden wurde; wahrscheinlich aber liegt der Grund darin, daß die Bank zu geschützt lag, kommen doch beide Arten in den Resten eines Abfallhaufens derselben Zeit vor, der freilich etwas weiter nach der offenen See liegt. Die Litorinaschichten waren 2 m stark. Nach oben zu nahmen allmählich die Austerschalen ab; die Schalen von Cardium und M\-a wurden kleiner, bis sie in den oberen Schichten die Größe zeigten, wie die jetzt lebenden. Eine genaue Grenze zwischen Litorina- und Myaablagerung ist nicht möglich. Eine Grabung würde die allmähliche Veränderung freilich deutlicher zeigen, als dies beim Ausbaggern geschehen kann, leider aber ist diese Untersuchung hier unmöglich ; doch ist die Arbeit so sorgfältig ausgeführt worden, daß an dem Ergebnis nichts geändert werden könnte. Philippsen, Flensburg. Die Juni-Nummer der A. E. G.- Zeitung be- richtet über den A. E. G.-Zweidecker, der in der 1910 begründeten Flugtechnischen Abteilung der N. F. XIII. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 527 Allgemeinen Elektrizitäts - Gesellschaft gebaut ist. Der Rumpf der Maschine ist aus nahtlos gezogenen Stahlrohren hergestellt, die mittels autogener Schweißung miteinander verbunden werden. Sein Gewicht (70 kg) ist nicht höher als das eines solchen aus Holz von gleicher Festigkeit. Der besondere Vorzug des Stahls liegt in seiner VVetter- beständigkeit ; VVerfen und Verziehen durch Luft- feuchtigkeit ist ausgeschlossen. Das Flugzeug hat eine Spannweite von 15,5 m und ein Gewicht von 650 kg. Der Antrieb geschieht durch einen 4zylindiigen N. A. G.-Motor, der bei einer Leistung von 95 PS nur 180 kg wiegt. Die im Luftstrom liegenden Streben und Drähte sind auf ein Mindest- maß beschränkt; die schädliche Stirnfläche beträgt nur 2,2 qm. Die Geschwindigkeit beträgt 92 km pro Stunde. Ein besonderer Vorzug des Zwei- deckers ist die Möglichkeit ihn leicht zu trans- portieren: Die Flügel können um ihren Holm ge- dreiit und nach hinten fächerartig übereinander geklappt werden, so daß das Eisenbahnprofil so- wohl in der Höhe als auch seitlich eingehalten wird. Für kürzere Transporte wird das im F'luge vorn sitzende Sturzrad durch einige Handgriffe herausgezogen und an die Stelle der Kufe am Schwanz eingesteckt. Für lange Transporte ist eine auf 2 Rädern ruhende Hinterachse vorhanden. Auf diese Weise hat ein Doppeldecker durch ein Automobil gezogen 700 km zurückgelegt, ohne daß sich Mängel zeigten. Alle lösbaren Teile lassen sich ohne Hilfe irgendeines Werkzeuges herausnehmen und einsetzen. Diesem Zweck dient ein besonderer Steckbolzen, der durch eine herausklappbare Zunge in seiner Lage festgehalten wird. Die fertige Maschine wird durch Belastung der Flügel mit Sand auf ihre Bruchfestigkeit ge- prüft. Das A. E. G.-Flugzeug besitzt eine sechs- fache Sicherheit. K. Seh. In der Zeitschrift für experimentelle Patho- logie und Therapie (Bd. 14, Heft 3) bringt Dr. Grumme interessante Angaben über die Mög- lichkeit den Fettgehalt der Milch zu steigern. Man weiß schon längere Zeit, daß es möglich ist, die Menge der Milch durch die den betreffen- den Milchtieren verabreichte Nahrung zu beein- flussen. Bekanntlich wird in landwirtschaftlichen Betrieben eine Zunahme der Miclimenge durch Kraftfutter erreicht. Der Verf. legte bei seinen Versuchen nicht nur auf die Menge, sondern auch auf die Zusammensetzung der Milch, besonders ihren Fettgehalt Wert. Er ging folgendermaßen vor: die zu den Versuchen verwandten 3 — 4 Ziegen erhielten wochenlang ein stets gleich- mäßiges, täglich abgewogenes Futter, daneben zeitweise täglich 200 g Malztropon. Die alle zwölf Stunden gemolkene Milch wurde sofort zentrifugiert , der Rahm nach 3 bis 4 Tagen als saurer Rahm verbuttert. Dabei zeigte sich , daß durch das Malztropon eine durchschnittliche Ver- mehrung der Milchmenge um i8"/(| und eine Er- höhung des prozentualen F'ettgehaltes der Milch um fast ein Drittel, eine Steigerung der Tages- leistung an P'ett um mehr als die Hälfte gegen- über der gewöhnlichen F'ütterung erzielt wurde. v. Aichberger. Bücherbesprechungen. Bauer, Hugo, Geschichte der Chemie I von den ältesten Zeiten bisLavoisier. Zweite verbesserte Auflage. Band 264 der „Sammlung Göschen", kl. 8". 96 Seiten. Berlin und Leipzig 1914, G. J. Göschen'sche Verlags- buchhandlung m. b. H. — In Leinw. geb. 90 Pf Die vorliegende ,, Geschichte der Chemie von den ältesten Zeiten bis Lavoisier" kann als Ein- leitung in das Studium der Geschichte der Chemie empfohlen werden, weil es bei klarer und sach- gemäßer Darstellung auch die interessanten und wichtigen Ergebnisse neuerer geschichtlicher P'or- schungen gebührend berücksichtigt. Auf S. 50 muß es auf der 6. Zeile von unten „Zinnchlorid" anstatt „Zinnchlorür" heißen. Clausthal i. H. Werner Mecklenburg. The Cambridge British Flora. By G. E. Moss, assisted by specialists in certain genera. lUu- strated from drawings by E. W. Hunnybun. Vol. II Salicaceae to Chenopodiaceae. Mit einem Band Tafeln. Cambridge 1914, Univer- sity Press. — Einfach geb. 2 ^^^ 10 sh. Im Verlage der Cambridger Universitäts- druckerei beginnt ein großes Florenwerk zu er- scheinen, auf das wir die Leser der Naturwissen- schaftlichen Wochenschrift hinzuweisen niciit ver- fehlen möchten. Das große P'oliowerk soll die gesamte Flora der Britischen Inseln umfassen und zwar sowohl die einheimischen, wie die einge- bürgerten Arten und ist auf 10 Bände berechnet, die in jährlichen Abständen erscheinen sollen. Der Text ist von dem Kurator des Cambridger LIniversitätsherbariums, Dr. C. E. Moss über- nommen, der von einer größeren Zahl von Spe- zialisten unterstützt wird ; die Illustrationen sind ganzseitige klare Federzeichnungen , die E. VV. Hunnybun in natürlicher Größe nachlebenden, genau charakterisierten Exemplaren entworfen hat. Augenblicklich liegt der zweite Band vor, der einen Einblick in das weitausgreifende L^nterneh- men gestattet. Er umfaßt die Archichlamydeen bis zu den Chenopodiaceen einschließlich und ist mit 206 Tafeln illustriert, die entweder in den Text eingefügt oder in einem besonderen Bande beigegeben sind. Als allgemeine Grundlage ist das sich immer mehr einbürgernde Engl ersehe System gewählt. Auf analytische oder künstliche Bestimmungsschlüssel ist verzichtet worden. Die Sprache ist nicht Lateinisch, sondern Englisch. 528 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 33 Bei vielen Arten ist die Verbreitung durch kleine Kärtchen veranschaulicht. Der I. Band soll die Koniferen, Farne und Schachtelhalme und viel- leicht auch die Lebermoose und Moose enthalten, während der Einschluß von Algen, Pilzen und Flechten in Anhängen einer späteren Berück- sichtigung vorbehalten ist. Bei der Ähnlichkeit der deutschen und der briti- schen Flora werden auch bei uns sich viele Lieb- haber für dies moderne und wissenschaftlich- kritische, so vorzüglich illustrierte Werk finden. Miehe. Entwurf einer verallgemeinerten Relativitäts- theorie und einer Theorie der Gravitation. I. Physikalischer Teil von Albert Einstein in Zürich. II. Mathematischer Teil von Marcel Großmann in Zürich. Tcubner, 1913. Erstgenannter Verf. hat schon früher der Über Zeugung, daß die schwere Masse sich auf die träge Masse zurückführen läßt, Ausdruck gegeben in der „Äquivalenz-Hypothese". Dabei sieht er sich allerdings genötigt, die Grundlage der bis- herigen Relativitätstheorie, nämlich den Satz von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit aufzugeben. Es ergibt sich, daß die Lichtgeschwindigkeit ab- hängig ist von dem Gravitationspotential. Die weitere Verfolgung dieses (iedankens führt zu dem überraschenden Schluß, daß die Lichtgeschwindig- keit geradezu identisch ist mit dem Gravitations- potential. War nun in der alten Relativitäts- theorie der Abstand zweier Raumzeitpunkte (d. h. die Geschwindigkeit eines Körpers) durch den Bewegungszustand des Beobachters eindeutig ge- geben, so hängt dieser in der neuen Theorie noch vom Schwerefelde ab, „das Gravitationsfeld be- einflußt die Uhren und Meßkörper in bestimmter Weise". Der Einfluß des Gravitationsfeldes auf physikalische Vorgänge, besonders elektromagne- tische, wird alsdann eingehender untersucht. Alle Resultate gehen für den speziellen Fall des schwere- freien Feldes in die der alten Relativtheorie über. Die z. T. recht komplizierten Rechnungen sind im II. Teil von dem zweitgenannten Verf zu- sammengestellt. Parzival Runze, Berlin-Lichterfelde. Laue, M., Das Relativitätsprinzip. Zweite vermehrte Auflage. Friedr. Vieweg u. Sohn in Braunschweig 191 3 (Die Wissenschaft, Bd. 38). Das Buch hat sich längst als eine kurzgefaßte, übersiclitliche Darstellung der Relativitätstheorie eingebürgert. Das starke Anwachsen der Literatur in den letzten Jahren rechtfertigt eine Neuauflage. Dabei hat sich Verf erfreulicherweise bemüht, den ursprünglichen Rahmen des Werkchens nach Mög- lichkeit nicht zu durchbrechen. Trotzdem schien eine vollständige Umarbeitung und Erweiterung des Abschnittes „Dynamik" geboten. Der grund- legenden Bedeutung der Arbeiten von Herglotz über die Elastizitätslehre in der Relativtheorie ist dabei vielleicht nicht vollauf Rechnung getragen. Einen breiten Raum nehmen dagegen die äußerst interessanten hydrodj'namischcn Folgerungen des Relativitätsprinzips ein. Dieses Gebiet ist erst vor kurzem durch die aus der Planck'schen Schule hervorgegangene Dissertation von L a m 1 a er- schlossen worden. Auch den Erörterungen über den T r o u t o n - N o b 1 e ' sehen Versuch ist ein längerer Abschnitt gewidmet. Sehr zu begrüßen sind die neuen Beispiele, an denen der sonst der Anschauung so schwer zugängliche Begriff des Weltvektors erläutert ist. Parzival Runze, Bcrlin-Lichterfelde. Literatur. Geyer, Franz Xaver, Apostolischer Vikar von Zentral- afrika, Durch Sand, Sumpf und Wald. Missionsreisen in Zentralafrika. Mit 395 Bildern und 9 Karten. Neue Ausgabe. Freiburg '14, Herder'sche Verlagshandlung. Geb. 6 Mk. Bateso n, W., Mendel's Vererbungstheorien. Aus dem Englischen übersetzt von Alma Wincklcr. Mit einem Beglcit- wort von R. v. Wettstein sowie 41 Abbild, im Text u. 6 Taf. Leipzig-Berlin '14, B. G. Teubner. Geb. 13 Mk. Fall ad in, W. I., Pflanzenanatomie. Nach der 5. russi- schen Auflage übersetzt und bearbeitet von Dr. S. Tschulok. Mit 174 Abbild, im Text. Leipzig-Berlin '14, B. G. Teubner. Geb. 5 Mk. Bolk, Prof. Dr. L., Die Morphogcnie der Primatenzähne. Eine weitere Begründung und Ausarbeitung der Dimertheorie. Mit 61 Abbild, im Text und 3 Tafeln. Jena '14, G. Fischer. 7 Mk. C o h en - K y s p e r , Adolf, Die mechanistischen Grund- gesetze des Lebens. Leipzig '14, J. A. Barth. 8 Mk. Scheiner, Prof. Dr. J., Der Bau des Weltalls. 4. Aufl. Mit 26 Fig. im Text. Aus Natur und Geisteswelt Band 24. Leipzig-Berlin '14, B. G. Teubner. Geb. 1,20 Mk. Johnstone, James, The Philosophy of Biology. Cam- bridge '14, University Press. Fortschritte der Mineralogie, Kristallographie und l'etro- graphie. Herausgegeben von der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft unter der Redaktion von Prof. Dr. G. Linck. 4. Bd. Mit 23 Abbild. Jena "14, G. Fischer. 12 Mk. Osburn, R. C, The care of Home-aquaria. New York. Published by the New York Zoological Society March, 1914. Rusch, Franz, Winke für die Beobachtung des Himmels mit einfachen Instrumenten. Mit 6 Abbild. Leipzig-Berlin '14, B. G. Teubner. 1,50 Mk. Inhalt; Robitzsch: Einige bemerkenswerte Registrierungen und Beoliachtungen vom deutschen Spitzbergen-lJbservatorium 1912 — 13. Bürger: Ammoniaksynthesen. — Einzelberichte: Hooker; Sind die Wurzeln der Pflanzen fähig, Tem- ]ieraturunterschiede wahrzunehmen? Keyl: Ein fremder Ansiedler der Warmhäuser (Branchiura Sowerbyi Beddard). Metalnikov: Nahrungswahl bei Infusorien. Newman: Vererbung bei Kreuzung von Knochenfischen. Planck: Optische Konstanten dünner Kupferschichten. Partington; Bestimmung des Verhältnisses der spezifischen Wärmen des Chlors. Bechhold: Kolloidale Lösungen von Mononatriumurat. — Kleinere Mitteilungen: Philippsen: Eine Austerbank aus der Litorinazeit. Schutt: A. E. G. -Zweidecker. Grumme: Möglichkeit, den Fettgehalt der Milch zu steigern. — Bücherbesprechungen: Bauer: Geschichte der Chemie I von den ältesten Zeiten bis Lavoisier. The Cambridge British Flora, lüitwurf einer verallgemeinerten Relativitätstheorie und einer Theorie der Gravitation. Laue: Das Relalivitlitsptinzip. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschrilten werden an den Redakteur Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafie IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Baiul ; der ganzen Reihe 29, band. Sonntag, den 23. August 1914. Nummer 34. Neuere Ergebnisse und Streitfragen der Raiichschadenforschung. (Hin Sammelrefcrat.) Von F. W. Neger (Tharandt). Verbrennungsgase, besten tun , [Nachdruck verboten,] Die Wirkung der sauren sowie anderer in industriellen Betrieben entstehen der und in die Atmosphäre entweichender giftiger Gase auf die Pflanzenwelt — eine wenig erfreu- liche Nebenerscheinung der gewaltigen Entwick- lung menschlichen Könnens auf technischem Ge- biet — beschäftigt seit mehr als einem Menschen- alter sowohl Forscher wie Praktiker. Gleichwohl ist diese Frage weit entfernt nach jeder Richtung hin gelöst und geklärt zu sein. Daß jene Gase für die Pflanzen mehr oder weniger schädlich sind, darüber kann kein Zweifel mehr bestehen. Wohl aber gehen die Anschau- ungen der beteiligten Kreise noch sehr auseinan- der über eine Reihe von Einzelvorgängen, welche eben diese Schädigung ausmachen. Die Punkte, welche noch als strittig oder gar als ungeklärt gelten können, lassen sich in folgen- den Fragestellungen zusammenfassen: 1. Bei welchem Verdünnungsgrad hört ein Abgas auf, giftig zu sein.? 2. Wirken die giftigen Gase als solche, oder nachdem sie durch die Niederschläge — Regen, Schnee, Nebel — in Wasser gelöst wurden ? In engstem Zusammenhang hiermit steht die P'rage : 3. Wirken die Abgase nur oberirdisch indem sie ausschließlich die in der Atmosphäre befind- lichen Organe schädigen, oder liegt der Schwer- punkt ihrer Giftigkeit darin, daß sie durch die Niederschläge niedergerissen, in den Boden gespült werden und nun das Wurzelsystem in seiner Leitungsfähigkeit stören.' die Frage 3 ganz oder ersten Alternative ent- noch die P'ragen zu be- 4. In dem P'all , daß teilweise zugunsten der schieden wurde, bleiben antworten: a) Dringt das gasförmige Gift durch die Spalt- öffnungen der Blätter in das Innere ein oder zer- stört dasselbe — etwa in Wasser gelöst — infolge äußerlicher Ätzung das Hautgewebe, um so den Weg in die tieferlicgenden Gewebeteile zu finden ? b) Welchen Einfluß haben die giftigen Gase auf die verschiedenen P'unktionen des Lebens: Assimilation, Atmung, Transpiration ? 5. Gibt es ein untrügliches Merkmal auf (irund dessen die Rauchwirkung auf Pflanzen erkannt und von anderen, äußerlich ähnlichen Absterbe- vorgängen — Wirkungen des Frostes, der Hitze usw. — unterschieden werden kann? Wir werden, wenn wir die so angedeuteten Probleme auf Grund der vorliegenden Unter- suchungsergebnisse kritisch beleuchten wollen, am die obigen Fragen der Reihe nach zu beantworten zu suchen, und werden so finden, was einigermaßen sichergestellt, und was der weiteren Klärung noch harrt. I. Die Schädlichkeitsgrenze. Naturgemäß richtet sich die Schädlichkeits- grenze nach der Natur bzw. dem Giftigkeitsgrad des in Betracht kommenden Gases. Wir wissen, daß die Fluorwasserstoffsäure bei akuten Vergif- tungen viel intensiver wirkt als beispielsweise die schweflige Säure. Da aber gerade die letztere Säure bei chronischen Rauchschäden die größte Rolle spielt und überhaupt das in der Atmosphäre am meisten verbreitete giftige Gas ist, so haben sich ganz besonders zahlreiche und sorgfältige Untersuchungen mit der L'rage beschäftigt, bei welcher Verdünnung das Schwefeldioxyd aufhört giftig zu wirken. Auf Grund der in der freien Natur gemachten Beobachtungen wurde bis vor kurzem die Schädlichkeitsgrenze von SO., bis TiTiTFD-inT bis ^tiVti-^tt angenommen (d. h. i" Vol. Teil SO2 auf 200000 — 500000 Teile Luft). Bei den sorgfältigen Untersuchungen , die H. Wislicenus (12) in einem eigens für diese Zwecke gebauten Rauchversuchhaus angestellt hat, ergab sich aber, daß dieser Wert zu niedrig angesetzt ist, d. h. es zeigte sich, daß die Schäd- lichkeitsgrenze der schwefligen Säure bei noch weitergehenden Verdünnungen zu suchen ist, näm- lich zwischen ;,-nV(n5ü ""d y-ß-^U-a ir- Gleichzeitig ergab sich aber bei diesen Ver- suchen die bemerkenswerte Tatsache, daß der Verdünnungsgrad allein nicht maßgebend ist für das Zustandekommen oder Ausbleiben einer Rauchbeschädigung. Vielmehr spielt dabei der Zustand der Pflanzen eine sehr große Rolle, indem bei aktiver Assimilation sowie überhaupt bei energischer Lebenstätigkeit die Gefahr der Schä- digung viel größer ist als im Zustand der Vege- tationsruhe. Demgemäß ertragen die meisten Nadelhölzer (z. B. Fichte) während der Winter- ruhe weit höhere Konzentrationen von SO., als während der Vegetationszeit, nämlich bis zu yy.-ü'onTTi aber auch im Sommerzustand befindliche Bäume werden durch sonst gefährliche Konzentrationen nicht geschädigt, wenn sie sich im Dunkelraum befinden, also nicht assimilieren köimen. Daß dabei nicht nur die verschiedenen Baum- arten, sondern sogar die einzelnen Individuen einer Art beträchtliche Verschiedenheiten auf- weisen, kann als bekannt vorausgesetzt werden, 530 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 34 erschwert aber außerordentUch die Gewinnung eines allgemeinen Urteils über die Grenze der Schädlichkeit eines giftigen Gases. Man bringt diese Verschiedenheit dadurch zum Ausdruck , daß man eine Empfindlichkeitsskala aufgestellt hat, welche mit Fichte, Tanne, Douglas- tanne (sehr empfindlich) beginnt und mit der Kiefer, Schwarzkiefer, Buche, Eiche schließt. Jedenfalls ist es unmöglich einen eindeutigen Schwellenwert der Giftigkeit für die SO., aufzu- stellen, indem selbst der geringe Wert von -j^j-jy^YiiiTi unter Umständen , nämlich bei intensivster Assi- milationstätigkeit, während des Hochsommers, an den besonders empfänglichen Individuen rauch- empfindlicher Holzarten noch schwere Schädigun- gen hervorbringen kann. Fluorsilicium und Fluorwasserstoffsäure stehen an Giftigkeit der SO., kaum nach , ja sie über- treffen die letztere häufig, und dementsi>rechend ist die Giftigkeitsgrenze bei diesen Verbindungen in ähnlicher Verdünnung zu suchen wie bei der schwefligen Säure. Dagegen erweisen sich Nebel von SO., merkwürdig wenig wirksam. So ertrug bei den Versuclien von H. Wislicenus eine Fichte dicke SOg-Nebel 14 Tage lang ohne irgend- welche Schädigung erkennen zu lassen. Es ist anzunehmen, daß das SO.j durch Vereinigung mit Wasserdampf (aus der Euft) derartig große Nebel- bläschen bildet, daß höchstens äußerliche Atz- wirkungen zustande kommen, nicht aber das Gift durch die Spaltöffnungen eindringt. 3. In welcher Form wirken die Gifte, als Gas oder in Wasser gelöst, ober- irdisch oder unterirdisch? Man macht häufig die Beobachtung, daß in nassen Jahren die Rauchbeschädigung der Vege- tation durch SO., viel intensiver ist als in trockenen. Diese Erfahrung deckt sich mit der Tatsache, daß bei künstlichen Räucherversuchen benetzte h'ichten — gleiche Konzentration des Giftes vorausgesetzt — weit mehr geschädigt werden als trocken ge- haltene. Diese Erscheinung wurde in der Regel so gedeutet, daß die schweflige Säure durch das Benetzungswasser niedergeschlagen werde, und nachdem sie — große Überfläche ! — zu Schwefel- säure oxydiert wurde, äußerlich ätzend wirke und so durch die zerstörte Epidermis in das Blatt- gewebe eindringt. Um diese Vermutung auf ihre Richtigkeit zu prüfen, stellte ich (3) folgende Versuche an: .'\b- geschnittene Zweige von h'ichte, Tanne, Kiefer und anderen Nadelhölzern wurden in verschiedene Konzentrationen von Schwefelsäure eingetaucht, darin kürzer oder länger gelassen, dann abgespült und beobachtet. Es zeigte sich bei diesen Ver- suchen, daß die Widerstandsfähigkeit der Koniferen- nadeln gegen benetzende Schwefelsäure auffallend groß ist, z. B. ertragen Fichtenzweige das Ein- tauchen in 5 ";„ Schwefelsäure InH.iSO,) 24 Stunden lang ohne nennenswerte Schädigung. Wenn eine solche eintritt, so ist sie auf die Anwesenheit mechanischer Wunden zurückzuführen, und so erklärt sich, daß die Tanne mit ihren viel weicheren Nadeln gegen Benetzung mit verdünnter Schwefelsäure weit empfindlicher ist als die F'ichte mit ihren derben, harten Nadeln, sowie daß die Empfindlichkeit gegen wässerige Schwefelsäure bei allen Nadelhölzern mit steigendem Nadelalter zunimmt, indem offenbar jüngere Nadeln viel weniger mechanische Wunden aufweisen als etwa 6— 8jährige, welche schon eine Anzahl von Win- tern, und damit Sturm, Frost und Duftanhang über sich haben ergehen lassen müssen. Die Bilder in Fig. I veranschaulichen diese Verhältnisse. Jedenfalls beweist die Erfahrung, nach welcher Kig. I. Tannen- (links) und Fichtenzweige (rechts), nach (n n n \ ~i "p » — )• 2 b 32/ Die Fichte leidet viel weniger als die Tanne. 5 "Z,, Schwefelsäure unter Umständen keinerlei Schädigung hinterläßt, daß auf äußere Benetzung wohl nur wenige Rauchschäden zurückzuführen sind und wir müssen somit annehmen, daß die giftigen Gase als solche — und nicht in Wasser gelöst — in das Innere der Blattorgane eindringen; auf welchem Wege dies geschieht, werden wir im nächsten Abschnitt sehen. Vorher wäre allerdings noch kurz an eine andere Hypothese, die kürzlich Wieler (10) auf- gestellt hat, zu erinnern. Wieler meint, daß N. F. XIII. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 531 durch die mit den Niedersclilägen in den Boden gewasclienen Säuren der Abgase dem Boden der darin enthaltene Kalk- entzogen werde und die Pflanzen dann infolge von Kalkmangel zugrunde gingen. So beachtenswert die von Wieler an- gestellten Versuche auch sind — sie scheinen die Richtigkeit seiner Erklärung in der Tat zu be- weisen — , so liegt doch kein Grund vor, diese indirekte Art von Schätligung als die allein be- stehende und die direkte Vergiftung der ober- irdischen (Organe durch giftige Gase als unter- geordnet anzusehen. Denn einerseits kommen schwere Rauchschäden auch auf reinem Kalkboden vor, wo von Bodenentkalkung wohl nicht die Rede sein kann, andererseits macht man die Beobachtung, daß bei Beseitigung der Rauchquelle die Schädi- gungen der Vegetation in der Regel aufhören, was unverständlich wäre, wenn nur indirekte Schä- digung durch Bodenent- kalkung vorläge. Endlich nützt sehr häufig die Zu- führung von Kalk auf Rauchblößen nichts oder nur sehr wenig, weil eben die direkte Vergiftung intensiver ist als die in- direkte (durch Bodenent- kalkung). Die Wieler 'sehe Hypothese ist daher in der von ihm ge- dachten Ausdehnung zurückzuweisen , womit allerdings nicht gesagt sein soll, daß sie nicht unter gewissen besonderen Umständen wertvolle Dienste leiste. 3 a. Die Eintritts- pforten der giftigen Gase. Die von Reuß und von Schröder (4) ver- tretene Ansicht, dieschwef- liche Säure (und andere giftige Gase) trete nicht durch die Spaltöffnungen, sondern durch die Epidermis — also auf osmo- tischem Weg — in das Innere der Blätter ein, ist für die Laubhölzer von Wieler (9) endgültig als nicht zutreffend nachgewiesen worden. " Nur bezüglich der Nadelhölzer hat sich Wieler nicht in bestimmter Weise ausgesj^rochen. Er rechnete noch mit dem von Schwab ach (5) behaupteten dauerndem Geschlossensein der Stomata an Koni- ferennadeln. Diese Darstellung beruht aber auf einer falschen Beobachtung. Denn auch die Koniferenschließ- zellen sind ebenso bewegüch wie diejenigen der Laubgehölze und bei hohem Turgor mehr oder weniger weit geöffnet. Dies kann sowohl direkt mittels der Infiltrationsniethode (nach vorhergehen- der Evakuierung) als auch auf indirektem VVeg — Ermittelung des Wasserverlustes durch Wägung verdunstender Zweige — ermittelt werden. Aller- dings ist — wie sich durch beide Methoden über- einstinmiend ergab — der Grad der Beweglichkeit verschieden groß bei den verschiedenen Nadel- jahrgängen, d. h. mit zunehmendem Alter nimmt die Beweglichkeit der .Stomata ab, derart, daß die Spaltöffnungen an älteren Nadeln fast andauernd offen sind und sich nur noch unvollkommen zu schließen vermögen. In eklatanter Weise zeigt sich die Fähigkeit Fig. 2. Geknickter Zweig eioer mit SUo behandelten Kiclite. der Spaltöffnungen sich bei Wassermangel zu schließen, an folgendem Versuch: Man knicke an einer bewurzelten und gut be- wässerten Fichte einige Zweige, dann bringe man die Pflanze (in i — 2 Tagen) in eine SO., atmosphäre (durch Abdampfen aus wässeriger Lösung erhalten); nach einiger Zeit sind alle Triebe, mit Ausnahme der geknickten, rauchkrank und demgemäß fahlgrün. Die geknickten Triebe dagegen haben ihre frisch- grüne Färbung beibehalten. Indem sie ihre Spalt- öffnungen unter dem Einfluß der VVassernot schlössen, ließen sie kein Gift in das Innere der Nadeln eintreten (Fig. 2). 532 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 34 Ähnlich verläuft der Versuch , wenn abge- schnittene Triebe von Nadel- (und Laubhölzern) teils in Wasser eintauchend, teils trockengehalten einer SO.,- Atmosphäre ausgesetzt werden; erstere werden rauchkrank, letztere bleiben gesund. Die oben angedeutete Erscheinung, daß die Nadelhölzer im beregneten Zustand sehr viel emp- findlicher sind als bei Trockenheit, ist also ein- fach so zu erklären: Wenn die Nadeln benetzt sind, öfTnen sich die Spaltöffnungen weit und lassen das giftige Gas eintreten; bei Wasser- mangel erfolgt Schluß der Stomata, wodurch der Eintritt des Gases verhindert wird. 3b. Die Beeinflussung der Lebens- funktionen durch die schweflige Säure (und andere giftige Gase). Es sind hauptsächlich zwei Lebensfunktionen, welche durch die in den Rauchgasen entlialtenen flüchtigen Säuren in sehr ungünstigem Sinne be- einflußt werden: die Assimilation und die Tran- spiration. Schon früher hat Wislicenus (i i) den Nach- weis geliefert, daß bei ruhender Assimilation (d. h. im Dunkelraum sowie während der winterlichen Vegetationsruhe) von den grünen Pflanzen be- trächtliche Mengen von SO._, aufgenommen werden können, ohne daß eine Schädigung zu beobachten ist (vgl. oben). Diese Versuche wurden im neuen Rauchversuchshaus mit dem gleichen Ergebnis wiederholt. Gleichzeitig wurde mittels der Eva- kuationinfiltrationsmethode nachgewiesen, daß bei den im Dunkelraum befindlichen Pflanzen kein vollkommener Spaltöftnungsschluß stattgefunden hatte, daß also das Ausbleiben der Schädigung nicht auf Ausschluß des Giftes beruhen kann, sondern daß die schweflige Säure eben gerade in den Assimilationsvorgang störend eingreift. Man könnte versucht sein das SO., geradezu als ein Reagens auf tätige Assimilation anzusehen. Daß dies tatsächlich zutrifl't, geht namentlich noch aus folgendem — sich auch für Vorlesungs- zwecke zur Demonstration eignenden — Labora- toriumsversuch hervor. Junge kräftige Sprosse von Elodea cana- densis wurden (in zwei Gefäßen) in Wasser ge- bracht, welches verdünnte schweflige Säure gelöst enthielt, und zwar ^/.,|,g " ,^ SO.,. Das eine der beiden Gefäße wurde dem dift'usen Tageslicht ausgesetzt, das andere mit einer schwarzen Glas- glocke bedeckt. Nach 24 Stunden war der Sproß im ersten Gefäß (Licht) stark gebleicht , der im zweiten (Dunkel) frisch grün und vollkommeti intakt (Fig. 3). Die Giftwirkung der schwefligen Säure auf assimilierende grüne Pflanzen beruht wahrschein- lich auf ihren stark reduzierenden Eigenschaften, vermöge welcher diese Verbindung in den Che- mismus der Assimilation eingreift, etwa durch Anlagerung an die intermediär entstehenden Alde- hyde. Sonst wäre nicht zu verstehen, warum die gesättigte Schwefelsäure so viel weniger giftig wirkt als die ungesättigte schweflige Säure. Auch dies läßt sich mittels E 1 o d e a sprosse in einem einfachen Laboratoriumsversuch nach- weisen. El odeasprosse wurden in zwei Reihen von Gefäßen gebracht, in welchen sich SO., bzw. H.,S( \ befand, und zwar in den Konzentrationen '/m,,, Vjoo. Vjpo. '/MIO. Viüdo"/.!. alles am dift'usen Licht. H,,SOj wirkte noch giftig bei der Konzentration '/iii" "io< während bei '/.,,,„ *'/(i keinerlei Schädigung wohl aber intensive Assimilation (0-Entwicklung) zu beobachten war. Anders bei SO.j. Hier wirkte noch die Konzentration ^/j^^ % überaus Fig. 3. Elodea ranadensis in verdünnter schwefliger S.iure. Links im Dunkelraum: dunkelgrün. Rechts dem Licht ausgesetzt; gebleicht. giftig (vgl. oben), und der Grenzwert der Giftig- keit wurde zwischen '/,,||(| und '/, „o,, "/„ gefunden. Wir können demnach sagen, daß die SO2 rund zehnmal giftiger ist als die H.^SO^ — soweit die Assimilation in Betracht kommt. Auch diese Versuche beweisen klar, daß die Giftwirkung der SO., weniger in einer Atzwirkung des (Xxydations- Produktes, der Schwefelsäure, wie so vielfach an- genommen wurde, als viel mehr in einer direkten, von der SO., ausgehenden Störung des Assimila- tionsvorganges zu suchen ist. Auch die Beeinflussung der Wasseraufnahme und -abgäbe durch die schwefliche Säure ist viel- N. I^ XIII. Nr. 34 NaturwissenschafUichc Wochenschrift. 533 fach Gegenstand sorgfältiger Untersuchungen ge- wesen. Während Reuß und v. Schröder gefunden haben wollten, daß bei rauchkranken Sprossen die Wasseraufnahnie größer sei als die Wasser- abgabe, demnach in solchen Sprossen eine Saft- stauung zustande komme, kam Wieler auf Grund seiner allerdings äußerst komplizierten und daher bezüglich der Beseitigung der Fehlerijuellen wenig Vertrauen erweckenden Versuchsanstellung zu dem Resultat, daß bei schwacher Einwirkung der schwef- ligen Säure — die äußerlich sichtbare Schädigungen nicht hinterläßt — eine Beeinflussung der Wasser- druckstrümung überhau])t nicht nachweisbar sei. Man wird dem gegenüberstellen müssen, daß es sich dann eben auch nicht um rauchkranke Sprosse handelte, und somit das Resultat der Wiel er- sehen Untersuchung nichts besagt. Wo Wieler stärkere — äußerlich sichtbare Schädigungen ver- ursachende — Konzentrationen anwandte, da fand er auch eine Herabsetzung der Wasserbilanz. Wie sich diese Beeinflussung der Wasserdruck- strömung im einzelnen gestaltet, ergibt sich aus unseren (3) Untersuchungen, bei welchen ein be- sonderes, die individuellen Verschiedenheiten der Vergleichspflanzen möglichst ausschließendes Ver- fahren angewendet wurde. Eine genaue Dar- stellung dieser Methode würde zu viel Raum in Anspruch nehmen ; es muß in dieser Hinsicht auf die Originalunlersuchung verwiesen werden. Das Ergebnis der Untersuchung läßt sich in folgender Weise kurz zusammenfassen. Rauch- kranke Triebe (von Laub und Nadelhölzern) ver- lieren mehr Wasser als gesunde, ofifenbar, weil das kranke Plasma das Wasser leichter und schneller abgibt als gesundes. Sehr bald aber erfolgt eine Umkehrung des Verhältnisses, indem die kranken Sprosse das Wasser viel langsamer aufnehmen als gesunde, und daher bald Wassernot eintritt (Fig. 4). Diese äußert sich in einer schnellen Vertrocknung der kranken Triebe. Außerdem haben die kranken Triebe die Fähigkeit des Deplacements des Wassers aus der Achse in die Blätter verloren, was sich in einer daucrndenTurgeszenz der (noch nicht verholzten Achsenteile erkennen läßt (Fig. 5). Kurz gesagt: Rauchkranke Triebe nehmen weniger Wasser auf als gesunde, verlieren aber auch das ihnen eigene Wasser schneller und erwecken daher sehr bald den Eindruck von durch Frost getöteten und dann vertrockneten Trieben. 10. K r a n k h e i t s b i 1 d e r , welche der Rauch- erkrankung zum Verwechseln ähnlich sind. Wir kommen damit zu der für die praktische Rauchexpertise äußerst wichtigen Frage, ob es niöglich ist, auf Grund makro- oder mikrosko- pischer Merkmale die Rauchschäden von anderen Todes- oder Krankheitsursachen zu unterscheiden. Als R. Hart ig (i) vor fast 20 Jahren mitteilte, ein solches Mittel gefunden zu haben, schien diese Frage gelöst zu sein. Hart ig behauptete näm- lich, daß Raucherkrankung an einer intensiven Rötung der Schließzellen erkennbar sei. Sehr bald aber erhoben sich Stimmen, welche dieses Merkmal als durchaus unzuverlässig darstellten. So führte Wieler (8) aus, daß Rötung der Schließ- Kig. 4. Schematische Darstellung des Verlaufs der Transpiration bei einem rauchl: ZnlNOg)., ■ 3H.,0 + 3H.3O. Die Lage des Gleichgewichts ist also nach dem Massenwirkungsgesetz ') durch die Gleichung [Zn(NO,)o-6H..O] [Zn(N03),.3H;ö:[H.,0]«^ konstant, gegeben, wenn die eckigen Klammern die Mole- kularkonzentrationen der in ihnen angegebenen Stoffe darstellen. Wird nun mehr und mehr Wasser zu der Schmelze gefügt, so wird der Zer- fall des Hexahydrats mehr und mehr zurück- eedränet, bis schließlich bei starkem Wasserzusatz der Zerfall des Hydrats praktisch überhaupt aus- bleibt. Anfangs wird also ein Teil des Wassers zur Rückbildung des Hexahydrats verbraucht, und darum bleibt die wirkliche Schmelzpunktserniedri- gung hinter derjenigen zurück, die man der Größe des Zusatzes nach eigentlich erwarten sollte. Mit wachsendem Zusatz von Wasser spielt dieser Ver- brauch an Wasser eine geringere und geringere Rolle, und wenn schließlich die Dissoziation des Hexahydrats vollständig zurückgedrängt ist, wird die Schmelzpunktserniedrigung einfach proportio- nal der zugesetzten Wassermenge, die Schmelz- punktskurve wird zu einer Geraden. Das zeigt nun das Diagramm. Würde der Zusatz von ZOO wo 600 800 äi 0 E I I I ' 1 . V Mol ri;0 in 100 Hol (lexahydrar Wasser zur Schmelze keinen Verbrauch an Wasser zur Folge haben, so würde die Erniedrigung des Schmelzpunktes, wie es die gestrichelte Kurve andeutet, vom Schmelzpunkt des Hexahydrats (36,4" C) proportional der zugesetzten Wasser- ') Vgl. z. B. W e r n e r M e c k 1 e n b u r g , ,,Die verdünnten Lösungen", Naturw. Woclienschr. X. F. Bd. II, S. 15 — 20; 1903. ') Vgl. A. Orechow, Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. VI, s. 536— .>4i; 1907. N. F. XIII. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 5,^9 menge sinken. Tatsächhch aber ist die beobach- tete Erniedrigung des Schmelzpunktes infolge des Wasserverbrauchs geringer, wie der Verlauf der die wirklichen Beobachtungsdaten zusanmien- fassenden ausgezogenen Kurve zeigt. Verlängert man nun das gerade Stück der ausgezogenen Kur\c, ohne Rücksicht auf die Krümmung zu nehmen, bis zum Schnittpunkt mit der Ordinate (46" C), so erhält man den theoretischen Schmelzpunkt des Hexahydrats, denn dieser Schnittpunkt ent- spricht ja demjenigen Temperaturpunkte, bei dem das reine Hexahydrat ohne Wasservusatz schmelzen würde, wenn kein Zerfall in Trihydrat und Wasser stattfände. In der Gleichung ist also A = 46,0 - 36,4 = 9,6" c. Die molekulare Schmelzpunktserniedrigung E er- gibt sich aus dem Winkel « = 47,5, den die Ge- rade mit der Ordinate bildet, zu 0,93 ; es ist also, da die Abszisse einen zehnmal kleineren Maßstab als die Ordinate hat, E = 0,093. Nun verläuft der Zerfall des Hexahydrats nach der Gleichung Zn(N03)., -öRjO = ZnlNOgl, • 3H,0 + sH.O, d. h. aus einem Molekül Hexahydrat entstehen 4 andere Moleküle. Wenn also beim Schmelz- punkt von 100 Molekülen Hexahydrat x Moleküle zerfallen, so sind 4x „verunreinigende Moleküle" vorhanden. Es gilt demnach die Proportion 4x n 100 — X 100' in der n wie früher die Anzahl der Fremdmole- küle in 100 nichtzersetzten Molekülen Hexahydrats angibt. Setzen wir diesen Wert von n in unsere Gleichung ein, so erhalten wir oder 0,092 9,6 • 1 00 400 X 100— X = 19. 400-0,092 -f- 9,6 d. h. im Schmelzpunkt sind von 100 Molekülen Zinknitrathexahydrat 19 Moleküle in Trihj-drat und Wasser zerfallen. Nach demselben Schema sind von Riesen- feld und Milch sack noch eine Reihe anderer Nitrate untersucht worden. Alle von ihnen er- haltenen Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt, wozu nur zu bemerken ist, daß die berechneten Werte für die prozentische Disso- ziation beim Cadmiumnitrat und beim Kupfernitrat unsicher sind, weil die Voraussetzung für die Rech- nungen ,, glatter Zerfall des Hydrats in ein nie- drigeres Hydrat und Wasser ohne Nebenreaktion" bei ihnen wohl kaum zutrifft. Salz V a ■sg. ° B Molekulare Schmelz- punkts- erniedrigung Betrag der Dissoziation beim Schmelzpunkt Mg(N03)„.6H2 0 90» C 9S» r 0,1550 c 11% Mn(N03)2.öH20 25,8 28,5 0,076 9 Zn(N03)2-6H.20 36,4 46 0,093 19 Co(N03)2.6H20 57 63,5 0,105 13 Ni(N03)2.6HoO 56,7 60 0,0875 8 Cu(N03)2-6H20 244 45 0,070 (39?) Cd(N03).,.4H20>) 59,5 90,5 0,113 (48?) ') Das Cadmiumnitrat kristallisiert mit vier Molekülen Wasser; la der Schmelze wird das Gleichgewicht Cd(N03)2-4H.>Ü -^ Cd^NOala-sHaO + aH-^ö angenommen. Msj. Bücherbesprechungen. Ulmer, Dr. Georg, Aus Seen und Bächen. Die niedere Tierwelt unserer Ge- wässer. Mit zahlreichen Abbildungen im Text und 3 Tafeln. Naturwissenschaftliche Bibliothek für Jugend und Volk. Leipzig, Quelle & Meyer. — Preis geb. 1,80 Mk. Seinem in der gleichen Sammlung vor 2 Jahren erschienenen Bändchen über „unsere Wasser- insekten" hat Ulm er jetzt ein zweites folgen lassen, das die gesamte niedere Tierwelt unserer Gewässer (exkl. Einzeller) behandelt. Auf eine kurze historische Einleitung, die auch die wichtigste zusammenfassende Literatur über die Hydrobiologie der Binnengewässer bringt, folgen Einzelkapitel über Bau und Lebensweise der Mollusken, Moos- tierchen, Würmer, Schwämme, Polypen, Spinnen, Krebse und Insekten. Im zweiten Teil wird ein allgemeiner Überblick über die niedere Tierwelt unserer Gewässer gegeben, und hierbei nachein- ander die Tierwelt des Baches, die Tierwelt der stehenden Gewässer sowie speziell das Plankton besprochen. Das trefflich ausgestattete Büchlein berücksichtigt überall die neuesten Untersuchungen ; nirgends zählt es nur die Einzelformen auf, sondern verknüpft sie im Sinne ökologischer P'orschung und ist dabei in dem flotten, flüssigen Stil ge- schrieben, der uns überall in den Arbeiten U 1 m e r ' s so ansprechend entgegentritt. Es bietet weit mehr, als man in einer Naturwissenschaftlichen Bibliothek „für Jugend und Volk" wohl erwartet und sollte in keiner biologischen Bibliothek fehlen. Besonders den Zoologie-Studierenden kann es zur Anschaffung nur wärmstens empfohlen werden. Denn es regt zu eigner Weiterarbeit an. Thienemann. Auerbach, Felix, Die Weltherrin und ihr Schatten. Ein Vortrag über Energie und 540 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 35 Entropie. Zweite ergänzte und durchgesehene Auflage. Jena, Verlag von Gustav Fischer, 1913. Die kleine Schrift versucht mit viel Glück, einem gebildeten Laienpublikum das Wesen und die Bedeutung der beiden Begriffe klarzumachen, welche das moderne System der l'hysik beherrschen. Als „Einlauftour" vor der eigentlichen „Hochtour" wird das erste Erhaltungsgesetz, das der Materie kurz behandelt. Sodann leitet Verf zum Energie- prinzip über, wobei er sich als x^nhänger der Ostwald'schen Energetik zeigt. Aber das Energie- prinzip ist nicht eigentlich das, was das Welt- geschehen eindeutig bestimmt, es spielt nur die Rolle einer „Aufsichtsbehörde". Seine notwendige Ergänzung ist der zweite Hauptsatz, der Satz von der beständigen Zunahme der Entropie eines voll- ständigen Systems. Das Dämonische, welches dem Entropiebegriffe innewohnt, ist treffend zum Aus- druck gebracht, wie überhaupt Verf durch treffende Vergleiche diese recht abstrakten Dinge dem Ver- ständnis näherzubringen weiß. Auch an interessan- ten Abschwenkungen auf das psychologische Ge- biet fehlt es nicht. l'arzival Runzc, Berlin-Eichterfelde. Bolk, L., DieOntogenie derl'rimaten- z ä h n e. Versuch einer Lösung der Gebiß- probleme. VII und 122 Seiten mit 2 Tafeln und 74 Abbildungen im Text. Jena 191 3, Gustav Fischer. — Preis 5 Mk. Prof. Bolk befaßt sich seit mehreren Jahren mit Studien über die Ontogenie des Primatur- gebisses. Eine abschließende Darstellung seiner Ergebnisse ist bisher nicht erfolgt, weil es dem Forscher, wie er selbst zugibt, an einer klaren Einsicht mangelt, wie er die Elementarerscheinungen zu einem organischen Ganzen zusammenfügen soll. Denn in der Ontogenese, auch des Menschen- gebisses, machen sichErscheinungen geltend, welche merkwürdigerweise bis jetzt unbeachtet blieben, obzwar deren Kenntnis die mit dem Gebiß in Zusammenhang stehenden Probleme ihrer Lösung wesentlich näher bringen könnte. Die vorliegende Schrift enthält nur Teilergebnisse. Unmittelbaren Anlaß zu ihrer Veröffentlichung liot Bolk's Be- fürchtung, daß ohne Kenntnis der von ihm fest- gestellten Tatsachen die Anschauung über die Entwicklungsgeschichte unseres Gebisses in falsche Bahnen gelenkt werden könnte. Die einzelnen Abschnitte behandeln die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische, das Schmelzseptum und den Schmelznabel, die Beziehungen des Säuger- zahnes und Säugergebisses zum Zahn und Gebiß der Reptilien. Im Schlußabschnitt werden auch die auf die Entwicklung des Gebisses bezüglichen Theorien anderer Forscher kritisch betrachtet. Bolk's Schrift ist deshalb wichtig, weil sein Versuch einer Lösung des Gebißproblems von den geläufigen Ansichten stark abweicht und dabei ein logisches Ergebnis aus wahrgenommenen Tat- sachen ist. Hans Fehlinger. Eisenlohr, Dr. F., Die Spcktrochemie or- ganischer Verbindungen, Molekular- refraktion und -Dispersion, mit 15 Fig., aus Chemie in Einzeldarstellungen. Herausgegeb. von Prof J. Schmidt, III. Bd. Verlag von Enke, Stuttgart, 19 12. — Preis 7 Mk. Verfasser gibt uns in seinem vorliegenden Werke einen Überblick über die Molekularrefrak- tion und -Dispersion organischer Verbindungen. Die Bezeichnung „Spektrochemie organischer Ver- bindungen" entspricht allerdings nicht den modernen Anschauungen, sondern denen von J.W. Brühl, der diesen Ausdruck für die Beziehungen zwischen den Refraktions- und Dispersionserscheinungen der Körper und ihrer Konstitution geprägt hat. Die Methoden, die Konstitutionen der Substanzen auf diesem Wege zu bestimmen, sind jetzt für jeden Chemiker von größter Bedeutung geworden. Verfasser hat hier gezeigt, wie die vielen scheinbar z. T. auseinandergehenden Gesetzmäßigkeiten, die in den letzten Jahren aufgedeckt sind, in einer eng zusammenhängenden Entwicklung stehen. Nach einer Einleitung über die diesbezüglichen Grundbegriffe gibt uns Verfasser ein klares Bild von der Molekularrefraktion und -Dispersion als additive Eigenschaft, von dem optischen Verhalten der Ringbildung und von den spektrochemischen Wirkungen von sich gegenseitig beeinflussenden Gruppen. Ferner gewährt uns das Werk einen Überblick über das Wesen des Drei- und Vier- ringes, über Stoffe mit Doppelbindung, über die spektrochemischen Wirkungen ungesättigter Ele- mente und andere spektrochemische Erscheinungen. Zum Schluß geht Verfasser ein auf die Anwendung spektrochemischer Gesetzmäßigkeiten zur Kon- stitutionsbestimmung und auf das Brechungs- vermögen der gasförmigen, festen und flüssigen Körper und Mischungen. — Das Werk bietet also vieles über die Gesetzmäßigkeiten der Molekular- refraktion und -Dispersion im Zusammenhang mit der Konstitution der Körper und läßt den Chemiker Leistungsfähigkeit und Grenzen der Anwendbarkeit dieser Hilfsmethode erkennen, sowie den inneren Zusammenhang dieser Methoden mit einigen anderen physikalischen Hilfsmethoden. — Somit hat Ver- fasser, der alle diesbezüglichen Fragen, wenn auch manche nur kurz, soweit sie für den Chemiker in Betracht kommen, erwähnt, durch diese Schrift eine Lücke in der Literatur ausgefüllt. P. Runze, Berlin-Lichterfelde. Urbain, Prof. an der Sorbonne, Paris, Einfüh- rung in die Spektrochemie, übersetzt ij von Ülfilas Meyer, wissenschaftlicher Hilfs- 'fl arbeiter an der Physikal. Techn. Reichsanstalt. Mit 67 Figuren und 9 Tafeln. Verlag von Th. Steinkopfif, Dresden und Leipzig, 191 3. — Preis 9 Mk., geb. 10 Mk. Der Verfasser befaßt sich im vorliegenden Werke mit einem Gebiet, der Spektrochemie, das für die moderne Wissenschaft von der größten Bedeutung ist. Sie ermöglicht es uns, die Konstitution der N. F. XIII. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 541 Materie experimentell festzustellen. Dieses neue Gebiet, eine Wissenschaft für sich, wenn auch noch im Kntwicklungsstadium, dient den meisten Natur- wissenschaften als unentbehrliches Hilfsmittel, wie z. B. der Chemie und Astronomie. So hat z. B. die Spektralanalyse, eine technisch experimentelle Wissenschaft, zu der Entdeckung der meisten seltenen Elemente geführt, die z. T. für Technik und Industrie von unvergleichlichem Werte sind. Nur mit Hilfe der Spektroskopie war es möglich, sich in dem Chaos der vielen seltenen Erden zu- recht zu finden und sie scharf voneinander zu trennen. Dem Verfasser, der selbst die Methoden der Spektrochemie sehr verbessert hat, ist es ge- lungen, die Trennung bekannter und Auffindung neuer seltener Erden, wie das Neoytterbium und lAitetium, in dem früheren Ytterbium usw. zu ermöglichen. Eine Einführung ist das Werk im wahren Sinne des Wortes, da man ohne besondere Vorkenntnisse die Abschnitte versteht, und viele elementare Gesetze usw. kurz erörtert werden, wobei die Max wel 1 - Theorie etwas sehr knapp behandelt ist. In ausführlicher Weise erhalten wir hier Auf- schluß über Licht und Spektrum, über die durch Wärme verursachte Emission und über die Flammen. Ferner beschreibt er eingehend das Leuchten der Gase bei geringerem Druck, sowie Herstellung und Füllung der Geißlerröhren. Nachdem die Vorgänge im Lichtbogen und das Bogenspektrum behandelt sind, finden wir eine kurze klare Ab- handlung über den elektrischen Funken, seine Erzeugung, Beschaffenheit und Zerlegung durch den Luftstrom, Beschreibung der Funkenspektren. Das folgende Kapitel über Phosphoressenz ist gründlich durchgearbeitet und enthält viele neue Fragen behandelt und neue Beobachtungsmethoden, ferner eine ausführliche Darlegung der Erscheinun- gen, die von der Lichtquelle herrühren, wodurch auf diesem Gebiete unerfahrene Beobachter vor vielen Illusionen und Irrtümern bewahrt werden. Sehr klar ist in dem Kapitel über die Absorption das Lambert 'sehe und Beer 'sehe Gesetz ab- geleitet. Die Bemerkungen des Verfassers über den Zweck des Buches und Zukunft der Spektro- chemie sind sehr einleuchtend. Er zeigt, wie wichtig sie für den Chemiker ist, der noch immer zu ungern sich mit den spektrographischen und spektroskopischen Methoden befaßt, weil ihm die Apparate und Resultate zu kompliziert erscheinen. Wir sehen hier, wie die Methoden schneller und exakter zum Ziele führen als die Gewichtsanalyse. Allerdings vergißt Verfasser die bedeutend höheren Ausgaben, die mit Anschaffung der Spektralapparate verbunden sind und daher manchen Laboratoriums- vorstand davon zurückhalten. Durch die vielen Figuren im Text erleichtert uns der Verfasser das Verständnis des Werkes in sehr anschaulicher Weise, die es gestattet, an ihrer Hand die Apparate leicht zu handhaben. Erwähnt sei noch der Übersetzer Dr. U 1 fi 1 a s Meyer, dem es glänzend gelungen ist, die Über- setzung so zu gestalten, daß sich das Werk wie ein deutsches Buch liest, das seinen vom Verfasser beabsichtigten einheitlichen Charakter bewahrt. Er hat viele Literaturangaben hinzugefügt, um für Spezialinteressentcn das Nachschlagen erwähnter Arbeiten zu erleichtern. Der Chemiker wird aus dem Werke, zu dessen Schöpfung Verfasser durch seine über diesen Gegen- stand gehaltenen Vorlesungen an der Sorbonne veranlaßt wurde, die wesentlichen Grundlagen lernen, die nötig sind, um das theoretische und experimentelle Studium der Chemie anzugreifen und die aussichtsvollen Methoden kennen zu lernen. P. Kunze. Poincar^, Henri, Wissenschaft und Me- thode. Autorisierte deutsche Ausgabe mit erläuternden Anmerkungen von V. u. L. Linde- m a n n. Druck und Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin, 1914. — Preis in Lwd. geb. 5 Mk. Die bekannte Sammlung „Wissenschaft und Hypothese", die mit zwei Werken Poincare's, derem ersten sie ihren Namen verdankt, begann, bringt als 17. Band eine dritte und leider wohl letzte dieser eigenartigen Darstellungen, die man — freilich muß das Wort erst aus dem Schmutz gezogen werden, in den es gedankenloser Miß- brauch getreten — im eigentlichen Sinne geist- reich nennen dürfte. Vielleicht ist es wirklich nur gallischem Geist möglich, in dieser Art und in dieser Materie, als sei es nur ein Spiel, sach- liche Gründlichkeit mit dem liebenswürdigsten und graziösesten Plauderton zu verbinden. Ein scharfsinniger, tiefgelehrter Geist, der gleichzeitig anmutig ist — man darf wohl einen Augenblick darüber nachdenken. Unwillkürlich kommt der Vergleich mit den populären Arbeiten eines deut- schen großen Gelehrten, der ebenfalls Mathema- tiker war, Hermann v. Helmholtz — es ist sehr lehrreich, ihn weiter zu verfolgen. Das Buch zerfällt in vier Abteilungen, deren Verbindendes ein gemeinsamer Grundgedanke ist: die Welt ist unendlich; die uns Menschen zuge- messene Zeit und Kräfte dagegen sind sehr endlich und beschränkt: wie müssen wir sie anwenden, um der Welt den möglichsten Gehalt abzugewinnen. Natürlich behandelt Poincarc diese Frage nur für das Gebiet der Wissenschaft (Naturwissenschaft), aber er selbst macht darauf aufmerksam, daß sie, wie auch teilweise die speziellen Probleme des Buches, etwa das der mathematischen Erfindung, einer Anwendung auf andere Gebiete fähig sind: „so ist z. B. der Mechanismus der mathematischen Erfindung von dem Erfindungsmechanismus über- haupt nicht wesentlich verschieden". Dies ist einer der F"aktoren, die das Buch für jeden lesens- wert machen, auch wenn er zur Mathematik kein unmittelbares Verhältnis hat. Das Buch erschöpfend zu beurteilen, müßte man eine Broschüre schreiben, und der sie schriebe, müßte selbst ein hervorragender Gelehrter sein, der die Elemente seiner, und der Wissenschaft 54: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 34 überhaupt, gleich gründlich durchdacht hätte wie ihre derzeit letzten umstrittensten Konsequenzen. Denn im selben Hauptabschnitte (dem 2.) finden sich Ausführungen über den mathematischen Elementarunterricht neben kritischen Behandlungen einer neuesten und verwickeltsten Frage hochge- steigerter mathematischer Kultur, der Beziehungen zwischen Mathematik und Logik nämlich, und der Versuche, die sich, wie es scheint, hauptsächlich an die Arbeiten Cantor's anschließen, in diesem abstrakten und verwickelten Gebiete weiter und ins klare zu kommen. Über beide so weit von- einander abliegenden Themata äußert sich Poin- care mit der gleichen Klarheit und Eleganz, und es gewährt ein intellektuelles Vergnügen beson- derer Art, unter seiner hühruiig als Nichtmathe- matiker von den abstrusen .-arbeiten (?outurat's, Peano's, Russel's und anderer nicht nur eine Vorstellung zu erhalten, sondern bis zu der an- genehmen Täuschung gebracht zu werden, man habe sogar ein Urteil darüber. Täuschung sage ich, weil zu einem wirklichen, d. h. eigenen Urteil in diesen Materien nur eine geringe Anzahl Spezia- listen derzeit befähigt sein dürfte — Poincarc war es anscheinend in besonders hohem Maße. Von den vier Hauptabschnitten des Buches heißt der erste : Forscher und Wissenschaft. Außer interessanten Erörterungen zur Psychologie des gelehrten Arbeiters und der Wissenschaft selbst (wenn man sie als lebendigen (Organismus betrach- tet) findet sich auch hier ein Kapitel über den Zufall, dessen Probleme Poincarc, wie es scheint, besonders interessierten, da er schon früher darauf zu sprechen kam (in ,, Wissenschaft und Hypothese"). — Von der zweiten Abteilung, betitelt ,,Die mathe- matische Schlußweise", war schon die Rede, sie enthält die Auseinandersetzungen über den mathe- matischen Unterricht und die Kritik der ,, Logistik", außerdem ein Kapitel über die Relativität des Raumes. Das dritte Buch „Die neue Mechanik" mit den Kapiteln „Mechanik und Radium", ,, Mechanik und Optik" und ,,Die neue Mechanik und die Astro- nomie" stellt mit ihren Erörterungen über die Loren tz'sche Theorie, das Relativitätsprinzip usw. ziemlich hohe Anforderungen an den Leser, und vielleicht ist Poincare's Präzision und Klar- heit diesem Abschnitte am meisten zustatten ge- kommen. Es dürfte manchem fast unmöglich er- scheinen, ziemlich ausführlich über diese Dinge zu handeln, ohne eine einzige Gleichung niederzu- schreiben. — Das letzte Buch endlich, „Die Wissen- schaft der Astronomie", enthält eine höchst an- regende Betrachtung über die ursprünglich von Lord Kelvin ausgesprochene Idee einer Betrach- tung der Milchstraße vom Standpunkte der kine- tischen Gastheorie aus. Poincare sagt darüber, er ,,habe hier keine neuen Resultate zu verkündigen", er könne ,, nichts anderes tun als eine Vorstellung von den Problemen geben, die sich darbieten, die zu lösen aber bis heute noch niemand ver- sucht hat". Wir befinden uns also hier dicht am Rande des dunklen und ungeheuren Gebietes unserer Unwissenheit, in einer Region, die die Strahlen der gegenwärtigen Wissenschaft nur erst mit einem schwachen Dämmerlicht zu erleuchten beginnen. Ein zweites Kapitel entwirft eine kurze, wie das ganze Buch sehr gut geschriebene Skizze des rühm- lichen Anteils, den Frankreich an der geodätischen P^orschung genommen hat. Bei diesen kurzen Andeutungen des Inhalts muß es an dieser Stelle sein Bewenden haben, wenigstens geht aus ihnen so viel hervor, daß das Buch in jedem Sinne lesenswert ist, und keines- wegs nur, ja nicht einmal hauptsächlich, für den eigentlichen Fachmann. Die Anmerkungen von ¥. Lindemann geben erwünschte Möglichkeiten, durch erläuterte Literaturangaben ein tieferes Ein- dringen in die von Poincare behandelten Pro- bleme zu ermöglichen. Leider fehlt diesmal ein Autoren- und Sachregister, das z. B. der ersten in der Sammlung erschienenen Arbeit Poincare's beigegeben war und das Referent als so nützlich zum Studium befunden hat, daß er den Wunsch nicht verschweigen kann, es möchte auch dem vorliegenden Werke bei einer zweiten Auflage ein Register angehängt werden. Noch einige Worte über ein drolliges Ouid- proquo. In dem höchst interessanten Kapitel über die mathematische Erfindung ist (auf Seite 46) öfters von dem ,, sublimen Ich" die Rede. Ich weiß nicht, welches Wort im französischen Text steht, da ich ihn nicht vergleichen kann. Im Deutschen kann der Ausdruck sublim jedenfalls nur irreführend wirken. Bei seiner ersten An- führung ist zwar gesagt : „das unbewußte, oder wie man sagt , das sublime Ich" — aber das können wir eben nicht sagen. Das Fremdwort sublim bedeutet im Deutschen schlechtweg hoch, erhaben, vergeistigt u. dgl. Sachlich handelt es sich aber nicht um ein erhabenes Ich, sondern offenbar um das sublim i 11 ale Ich, das Ich sub limine, unter der Schwelle — des Bewußtseins nämlich. Die Engländer nennen es subliminal, auch wohl subconscious mind, der Ausdruck ist in der modernen psychologischen, speziell der okkultistischen Literatur häufig. Wollen wir das Wort subliminal oder auf deutsch „unterschwellig" nicht brauchen, so wäre ,, unbewußtes Ich" ein leidlicher, obwohl nicht unmißverständlicher Aus- druck. — Da weiterhin an der betreffenden Stelle von dem sublimen Ich ohne Zusatz die Rede ist, werden viele Leser an ein besonders hochstehendes und feierliches Ich in uns denken, wozu dann der letzte Absatz der Seite 46, der beginnt: „Das sublime Ich steht keineswegs tiefer als das bewußte Ich", ||l einen unbeabsichtigt belustigenden Kommentar H bildet. Wasielewski. Hegi, Gustav, Dr., Aus den Schweizer- landen. Naturhistorisch-geographische Plau- dereien. Mit 32 Illustrationen. Druck und Ver- lag: Art. Institut Orell Füßli, Zürich 191 4. — N. F. XIII. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 543 In farbigem Umschlag brosch. Fr. 2,50 (Mk. 2), geb. in Lwd. Fr. 3 (Mk. 2,50). Das kleine, angenehm geschriebene und hübsch ausgestattete Buch, dessen Illustrationen z. T. Originalaufnahmen des Verfassers sind, enthält 9 Abhandlungen verschiedenen Umfanges und In- teresses. \Vährend der Bericht über Zerfall und Erhaltung der Utlibergkuppe, über eine Hochwasser- katastrophe im Misoxtal, sowie einige andere, lediglicii oder hauptsächlich ein schweizerisches Lokalinteresse haben, verdienen andere unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. So vor allem gleich die erste und (mit einer Ausnahme) längste Ab- handlung, ein Bericht über den ganz neuerdings angelegten ,, Schweizerischen Nationalpark". Da die Naturschutzbewegung eine P>age von größter Bedeutung hinter sich hat, nämlich ob der Begriff der „freien Natur" wenigstens in Europa und Nord- amerika ein bloßer Klang zu werden bestimmt ist, dem nichts Lebendiges mehr entspricht, oder ob wir diese (Juellc edelsten Genusses und wahrhaften Lebensgewinns uns und unseren Nachkommen wenigstens an einigen Punkten rein und unver- fälscht erhalten wollen, sei auf Hegi's klaren und verständnisvollen Bericht besonders aufmerksam gemacht. Die Reservation liegt in der Südostecke von Graubünden, zwischen Ober- und Unterengadin und umfaßt das sogenannte Ofengebiet. Nach einigen klimatischen und geologischen Angaben behandelt der Verfasser ausführlicher die sehr in- teressante l'lora des Gebietes, sodann die Tierwelt, bei der die hocherfreuliche Möglichkeit bemerkens- wert ist, daß der Bär, der in diesen wilden und einsamen Tälern immer noch, wenngleich ver- einzelt, beobachtet wurde, nunmehr im Schutze des Nationalparkes hofientlich der mitteleuropä- ischen E'auna dauernd erhalten bleiben wird. Es folgt eine Schilderung der Straßen, der Täler selbst, der mit den betr. Gemeinden geschlossenen Ab- kommen, sowie der getroffenen Maßregeln, die naturgemäß auf den Ausschluß jeder wirtschaft- lichen Nutzung und ähnlicher Eingriffe in das Naturleben, sowie auf die sehr nötige Überwachung des Gebietes durch besonders angestellte Wärter hinauslaufen. Auch der Steinbock, über dessen versuchte und, wie es scheint, glückende Wieder- einbürgerung in der Schweiz der letzte Aufsatz des Buches ausführlich berichtet, soll in den Natur- park, in dessen Gebiet er nach Hegi's Mitteilungen früher einheimisch war, eingesetzt werden. Schließ- lich s^oll Italien beabsichtigen, das unmittelbar an den Schweizer Park anstoßende obere Livignotal als „Italienischen Nationalpark" anzugliedern, was, da die Natur keine politischen Grenzen kennt, einer sehr dankenswerten und zu begrüßenden Verdoppelung des geschützten Gebietes gleich- kommen würde. Hoffentlich gedeiht die ganze erfreuliche Unternehmung aufs beste. Übrigens ist aus leicht verständlichen Gründen für Italien ein Naturpark im Süden des herrlichen Landes ein noch weit nötigeres und wünschenswerteres Unternehmen, als jener alpine. Von den übrigen Aufsätzen des Büchleins ist für Deutschland der fünfte: „Unsere Blutbuchen" von besonderem Interesse, da auch hier die alte oft behandelte Frage erörtert wird, ob die be- rühmte Blutbuche der Thüringer Hainleite, nahe bei Sondershausen, ihren Ruhm als Stammutter sämtlicher Blutbuchen, der ihr verschiedentlich zuge- sprochen wurde, wirklich verdient. Da Referent zufällig, in Sondershausen wohnhaft, diesen Baum und den von Hegi zitierten Verfechter obiger Anschauung, Herrn Oberlehrer G. Lutze, per- sönlich kennt, und noch jüngst auf einer Radfahrt sich von dem Wohlergehen des berühmten und um die Pfingstzeit besonders schönen, in tief- dunkelrotem Laubschmucke prangenden Baumes überzeugt hat, darf er sich vielleicht noch eine kurze Mitteilung über ihn gestatten. Der bekannte Porstmann und Ornithologe Joh. Matthäus Bechstein in seiner „Forst- botanik" und R e u m in einem gleichnamigen Werke waren wohl die ersten, die diese Buche in die Literatur einfüiirten, kurz nach Begitm des 19. Jahrhunderts. Sie scheint auf Autorität dieser Werke hin bei uns lange Zeit unbestritten als die ein- zige Originalblutbuche gegolten zu haben. Neuerdings aber haben Nachrichten über Blutbuchen in der Schweiz (Dorf Buch im Kanton Zürich) und be- sonders in Südtirol (bei Rovereto und an anderen Orten), die zum Teil viel weiter hinaufreichen, als das Alter des Sondershäuser Exemplars betragen kann, sowohl diesem als auch den Schweizer Buchen jenen Ruhm endgültig entrissen. Es gab nämlich im Mittelalter in Bozen ein Geschlecht der „Rodten- puecher", welches ein rotes Buchenblatt im Wappen führte und im Mannesstamme schon 1471 ausstarb. Die Sondershäuser Buche wird nur auf etwa 200 Jahre geschätzt. Ist damit, wie schon aus Gründen allgemein botanischer Natur von vornherein wahrscheinlich war, als so gut wie erwiesen anzusehen, daß es eine Originalblutbuche nicht gibt, sondern daßdiese Varie- tät unabhängig voneinander an sehr verschiedenen Orten aufgetreten ist, so bleibt doch derSondershäuser Buche der Vorzug, eins der wohl zweifellos autoch- thonen Exemplare zu sein, und zweitens, wenigstens in Deutschland, aber auch auswärts (es wird an- gegeben, daß u. a. sehr viele Pfropfreiser nach Nordamerika gegangen seien) den Ursprung vieler anderer Blutbuchen abgegeben zu haben. Der Baum, der inmitten der wundervollen Buchen- bestände der Hainleite nicht ganz frei, sondern umschlossen von einer Gruppe ebenfalls sehr schöner und z. T. noch höherer gewöhnlicher Buchen steht, soll (nach Lutze) 27 Meter hoch sein. Sein Stammumfang beträgt in Schulterhöhe etwa 3,50 Meter, der Durchmesser danach etwas über einen Meter. Übrigens pflichtet auch Herr Lutze jetzt der Ansicht bei, daß der thüringer Baum nicht die Stammutter sämtlicher Blutbuchen sein kann. Wasielewski. 544 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XlII. Nr. 34 Anregungen und Antworten. Herrn D. K. in E. — Über das Gebiet der Regierungs- bezirke Cöln und Aachen unierrichtet vollständig v. Dechen mit der geologischen Spezialkarte von Rheinland und West- falen (l : 80000) und den zugehörigen Erläuterungen. Über besondere Teile der Eitel, des Siebengebirges usw. sind spe- zielle Führer vorhanden (z. T. allerdings aus älterer Zeit). Außerdem ist bereits ein Teil der Regierungsbezirke von der Kgl. Preuß. Geologischen Landesanstalt zu Berlin im Maß- stabe I : 25 000 kartiert worden. Ein Verzeichnis der bereits erschienenen Blätter können Sie von der Vertricbsstelle der Landesanstalt, Berlin N4, Invalidenstraße 44, kostenlos be- ziehen. Str. Herrn Dr. W. in F. — Ist in der Literatur bereits etwas Näheres bekannt über die Löslichkeit einzelner Karbide, spez. der Alkali- und Erdalkalikarbide, in verschiedenen Lösungs- mitteln, besonders in Metallen- Systematische Llntersuchungcn über die Löslichkeit von Alkali- und Erdalkalikarbiden in solchen Lösungsmitteln, in denen die Karbide keine Zersetzung erleiden, liegen nicht vor. Über das Verhalten von Calciumkarbid gegen Metalle hat insbesondere M o i s s a n (vgl. G m e 1 i n - K r a u t ■ E r i e d h e i m - Peters ,, Handbuch der anorganischen Chemie", Bd. II, Ab- teil. 2, S. 322; Heidelberg 1909) einige wenige Angaben ge- macht, die für Sie aber wohl kaum von größerem Interesse sind. Übrigens finden Sie wohl alles, was über die Karbide auch der Leichtmetalle bekannt geworden ist, außer in dem angeführten Handbuche auch in der sorgfältig bearbeiteten Monographie von O. H ö nigsc h mi d „Karbide und Suizide" (Halle 1914). Auch sei auf das im Erscheinen begriffene ,, Handbuch der Metallographie" von Guertler verwiesen, das in ungemein sorgfältiger Weise die gesamte, sehr zer- splitterte melallographische Literatur zusammenfaßt; das Heft, das die Eisen-KohlenstolTlegierungcn bespricht, ist vor einiger Zeit veröffentlicht worden, das Hell, in dem die Legierungen des Kohlenstoffs mit den anderen Metallen behandelt werden, muß in nächster Zeit erscheinen; vielleicht können Sie dann den in dem Werke gegebenen Zustandsdiagrammen der frag- lichen Systeme einige Sie interessierende Daten entnehmen. Mg. Herrn Dr. W. in Gießen. — Über das Keimen der Mistel wurde in dem namhaft gemachten Aufsatze nichts berichtet, weil wir über die Ursachen des Keimverzuges bei dieser Pflanze noch nicht genügend orientiert sind und es gerade dort vorzüglich darauf ankam, diese zu untersuchen. Zweifel- los gehört die Mistel zu den ersten Beispielen, bei welchen — durch Wiesner — der Keimverzug festgestellt wurde. Im Herbst gesammelte Samen keimen nach diesem Autor nicht oder nur zu ganz geringen Prozentsätzen vor dem nächsten Frühjahre. In neuerer Zeit hat Heinrich er durch Ver- bringung der Mistelsamen unter erhöhte Temperatur die Ruhe- zeit der Mistelsamen erheblich abzukürzen vermocht. Über neuere Untersuchungen , welche sich mit der Wirkung des Passierens von Vogelmagen bei den Mistelsamen beschäftigen, ist mir nichts bekannt. Dagegen liegen andere solche Unter- suchungen vor. Es soll hier nur beispielsweise an die Mit- teilung Ostenfeld 's erinnert werden, welcher zeigt, daß im Kote von Schwänen aufgefundene Samen bzw. Früchte von Potamogeton natans schneller und reichlicher keimer, als un- gefähr gleichzeitig am selben f )rte gesammelte frische F'rüchte. Dabei zeigte sich, daß zeitsveis erhöhte Temperatur die Keim- geschwindigkeit in beiden Fällen steigerte. Diese Keimbe- schleuniguug durch Passieren des Vogelmagen ist nun in ver- schiedener Weise erklärbar. Einmal kann man eine chemische Wirkung des Magensaftes auf das Sameninnere annehmen, sei es, daß Säuren oder Enzyme verantwortlich gemacht würden. Weiter wäre an eine mechanische oder chemische Veränderung der Schale zu denken , welche ein Sprengen erleichtert oder den Wasserzutritt beschleunigt. Schließlich wäre an die Tem- peraturwirkung zu denken. Eine sichere Entscheidung in der einen oder anderen Richtung ist aber heute noch nicht zu erbringen. E. Lehmann. 1 , Der die Fliegen be- Nähercs findet sich in Herrn F. Br. in Elberfeld. — fallende Pilz heißt Empusa muscae. jedem Lehrbuch der Botanik. 2. Die Frage wegen des schnelleren Welkens von Blumen, die von menstruierenden Frauen getragen werden , ist nicht einmal diskutabel. Miehe. 3. Über die Ursache der von Ihnen beobachteten Unregel- mäßigkeiten läßt sich aus der Ferne nichts Bestimmtes sagen. Mecklenburg. Literatur. Annalen des k. k. Naturhislorischen Ilofmuseums, Band XXVII, Nr. 4. Wien 1913. Frech, Prof. Dr. Fritz, Allgemeine Geologie III. Die Arbeit des fließenden Wassers. Eine Einleitung in die physi- kalische Geologie. 3. erweiterte Auflage von „Aus der Vor- zeit der Erde". Mit einem Titelbilde sowie 56 Abbildungen im Text und auf 3 Tafeln. 209. Bd. der Sammlung ,,Aus Natur und Geisteswelt". Leipzig und Berlin '14, B. G.Tcubner. Geb. 1,25 Mk. Buchner, Prof. Dr. H, Acht Vorträge aus der Gesund- hcitslehre. 4. durchgesehene Auflage, besorgt von Prof Dr. M. V. Gruber. Mit zahlreichen Textabbildungen. Ebenda. I. Bd. Unwin, Ernst, E. , Pond Problems. Cambridge '14, University Press. Ramsay, Sir William, Moderne Chemie. II. Systematische Chemie. Ins Deutsche übertragen von Dr. Max Ilulh. 2. Aufl. Halle '14, W. Knapp. 3,50 Mk. Ruß, Dr. Karl, Die Amazonen, ihre Naturgeschichte, Pflege und Züchtung. 2. gänzlich neubearbeitete und ver- mehrte Auflage von Karl Neunzig. Mit einem Aquarelldruck und 21 Abbildungen im Text. Magdeburg '14, Creutz. Geb. 3 Mk. Tangl, Prof Franz, Energie, Leben und Tod. Vortrag, gehalten in der Wiener Urania am 7. Februar 1914. Berlin '14, J. Springer. 1,60 Mk. NöUer, Tierarzt Wilhelm, Die Übertragungsweise der Rattenlrypanosomen. Ein experimenteller und kritischer Bei- lrag zur Kenntnis des Übertragungsproblems der Trypano- somen überhaupt. Mit besonderer Berücksichtigung der para- sitischen Protozoen einiger Hauslierflöhe. Mit S Textabbild, und 2 Tafeln. Abdruck aus ,, Archiv für Prolistenkunde". Jena '14, G. Fischer. 3 Mk. Svedberg, The, Die Materie. Ein Forschungsproblem in Vergangenheit und Zukunft. Deutsche Übersetzung von Dr. H. Finkelstein. Mit 15 Abbildungen. Leipzig '14, Aka- demische Verlagsgesellschaft m.b.H. Geb. 7,50 Mk. Pearson, Karl, The Life, Letters and Labours of Francis Galton. Vol. I. Birth 1S22 to marriage 1853. Cambridge '14, University Press. Brehm's Tierleben. Allgemeine Kunde des Tierreichs. 4. vollständig neubearbeitete Auflage, herausgegeben von Prof Dr. Otto zur Strassen. Säugetiere 2. Band. Leipzig und Wien '14, Bibliographisches Institut. Geb. 12 Mk. Teil. Inhalt: Neger: Neuere Ergebnisse und Streitfragen der Rauchschadenforschung. Brockmeier; Kritische Betrachtungen über den Löß. — Einzelberichte: Dambergis und Komnenos; Lößregen. Wieselsberger; Luftwiderstand eines Frciballonmodelles. Riesen feld und Milchsack; Über einen Versuch zur Bestimmung des Hydratations- grades von Salzen in konzentrierten wässerigen Lösungen. — Bücherbesprechungen: Ulmer; Aus Seen und Bachen. Die niedere Tierwelt unserer Gewässer. Auerbach; Die Wcltherrin und ihr Schatten. Bolk; Die Ontogenie der Primalenzähne. Eisenlohr; Die Speklrochemie organischer Verbindungen, Molekularrcfraktion und -Dispersion. Urbain; Einführung in die Speklrochemie. Poincare; Wissenschaft und Methode. Hegi; Aus den Schweizer- landen. — Anregungen und Antworten. — Literatur ; Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. M i e h e in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzeil Reihe 29. Band. Sonntag, den 30. August 1914. Nummer 35. Tierische Farbstoffe. [Nachdrack verboten.] Von Dr. Emil Den zahlreichen Farben, die uns im Tierreiche begegnen, entspricht auch eine große Mannigfaltig- l" f-' Zwischen dem 21. und 23. Juli fand in Nordwest-, Süd- und Mitteldeutschland plötzlich eine starke Abkühlung statt, die in den nächsten Tagen zunahm und sich mit frischen westlichen Winden allmählich weiter nach Osten fortpflanzte. Bis zum Schlüsse des Monats herrschte dann für die Jahres- zeil sehr kühle, überwiegend trübe, regnerische Witterung. Die mittleren Temperaturen des Monats lagen deshalb in Nordwestdcutschland durchschnittlich nur etwa einen Grad über und in Süddeutschland sogar ein wenig unter ihren nor- malen Werten, wogegen östlich der Elbe der Temperaturüber- schuß 2 bis 3, in Ostpreußen sogar volle 4 Celsiusgrade be- trug. Auch der Sonnenschein war wiederum im Nordosten Deutschlands reichlicher als im Südwesten, im Durchschnitt aber etwas zu gering bemessen. Beispielsweise hatte Berlin im letzten Monat 209 Sonnenscheinstunden und 233 im Mittel der 22 früheren lulimonate. üicdors'cblaaöl&c^cn im Suii 1914. -^ " -'- ^.fflererWerrrür Ceufschinnd. 5 g -iJ-ir-i ä w^ R^ R Si L t- ■^ R 120 mml 1. bis 3. Juli JÜ_L ii i i L ' "H.'bisS' Juli. " 9.bisZ2.Juli blii^iikHB [llonatssummc.mJuli 19R13.IZ.11.10.09 Wie es in Gewitterzeiten nicht selten vorkommt, gab es im Laufe des Monats fast überall einen mehrmaligen Wechsel zwischen großem Mangel und Überfluß an Niederschlägen. Nach wenigen trockenen Tagen setzten zunächst im oberen Rheingebieten die ersten Gewitterregen ein, die sich zwischen dem 4. und 8. Juli öfter wiederholten und nach Norden und Osten weiterverbreiteten. Besonders in einigen Gegenden Süddeutschlands, ferner an verschiedenen Stellen zwischen der Weser und unteren Oder gingen in dieser Zeit außerordentlich heftige Regengüsse hernieder, die am 4. Juli in Nürnberg 78, in Fulda 57, am 8. in Hamburg 76, in Hildesheim 44, in Stettin 42 mm ergaben. Vom 9. bis 22. Juli hatte das Wetter überwiegend einen trockenen Charakter. Zwar kamen noch sehr zahlreiche Ge- witter vor, die an einzelnen Orten mit starken Regenfällen und auch vielfach mit Hagelschlägen verbunden waren, jedoch immer häufiger mit nur ganz geringem Regen oder ohne alle Niederschläge auftraten. Mit dem 23. begann aber eine all- gemeine Regenzeit, die überall bis Ende Juli fortdauerte. Die Niederschläge fielen jetzt zwar weniger heftig als früher, hielten dafür aber jedesmal um so länger an und, obwohl sie mehr den Charakter starker Landregen hatten, waren sie trotz der eingetretenen Kühle wieder oft von Gewittern begleitet. Die Niederschlagssumme des ganzen Monats belief sich für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen auf ni,4 mm und übertraf die Regenmengen, die die gleichen Stationen in allen früheren Julimonaten seit dem Jahre 1891 geliefert haben; im Mittel betrug der Überschuß 33,4 mm. » • * Die allgemeine Anordnung des Luftdruckes in Europa änderte sich von einem Tage zum anderen im Juli meistens nur sehr langsam. Zunächst wurde ein barometrisches Maxi- mum, das mit seinem Gebiete fast ganz West- und Mittel- europa bedeckte, durch eine vom Atlantischen Ozean heran- ziehende Depression nach Nordrufiland verschoben, wo es an Höhe zunahm und längere Zeit verweilte. Ein Teil der at- lantischen Depression drang am 4. in das Innere Deutschlands ein und trennte das nordöstliche Hochdruckgebiet von einem neuen, das inzwischen von Südwesteuropa vorgedrungen war. Auch später rückten mehrmals Barometerma.xima von Südwest- nach Nordwest- und Nordosteuropa vor, während verschiedene flache Teildepressionen vom Ozean und vom Adriatischen Meere her nach Mitteleuropa gelangten. In der nordöstlichen Hälfte Deutschlands wehten daher größtenteils sehr warme, trockene östliche Winde, während in Süd- und Westdeutschland auch kühle, feuchte Südwestwinde nicht selten waren. Erst am 23. Juli breitete ein tiefes und außerordent- lich umfangreiches barometrisches Minimum, das aus der Ver- einigung zweier flacherer Depressionen hervorgegangen war, über ganz Mitteleuropa eine dampfgesättigte , frische West- strömung aus und machte damit der Hitze und Dürre überall ein Ende. Dr. E. Leß. Literatur. Zenelti, Prof. Dr. Paul, Die Entstehung der schwäbisch- bayerischen Hochebene. Rede beim Antritt des Rektorates des Kgl. Bayerischen Lyzeums Dillingen, gehalten am 20. Jan. 1914. Verlag Natur und Kultur. 75 Pf. Weinschenk, Prof. Dr. Ernst, Bodenmais-Passau. Petro- graphische Exkursionen im bayerischen Wald. Mit einem Titelbild, 5 Tafeln und 47 Textfig. München '14, Verlag Natur und Kultur. 2,70 Mk. Jellinek, Priv.-Doz. Dr. Karl, Lehrbuch der Physikali- schen Chemie. 4 Bände. Erster Band. Die Lehre von den Aggregatzuständen (i.Teil). Mit 81 Tabellen, 253 Textabb. und 4 Bildnissen. Stuttgart '14, F. Enke. 24 Mk. Rosenthaler, Prof. Dr. L., Der Nachweis organischer Verbindungen. Ausgewählte Reaktionen und Verfahren. XIX. bis XX. Band der Sammlung „Die chemische Analyse". Stuttgart '14, F. Enke. 34 Mk. Brunswig, Dr. H., Die Explosivstoft'e. Einführung in die Chemie der explosiven Vorgänge. 2. verbesserte und ver- mehrte Aufl. Mit 9 Abbildungen u. 12 Tabellen. Sammlung Göschen. Berlin u. Leipzig '14. 90 Pf. Jahrbuch der Naturwissenschaften 1913 — 1914. 29. Jahr- gang. Unter Mitwirkung von Fachmännern herausgegeben von Josef Plaßmann. Mit 96 Bildern auf 10 Tafeln und im Text. Freiburg i. Br. '14, Herder'sche Verlagshandlung. Geb. 8 Mk. Inhalt; Lenk: Tierische Farbstoffe. Krizenecky: Das Hungern als fördernder Faktor der organischen Entwicklung. — Einzelberichte: Neeff: ZellumlagerungunterpolaremRichtungsreiz. Roncato und Si ccard i; Bleivergiftung. Waibel: Der Mensch im Wald und Grasland von Kamerun. Baltzer; Die Geschlechtsbestimmung bei Bonellia. Caesar; Die Stirnaugen der Ameisen. — Bücherbesprechungen: Fortschritte der Mineralogie, Kristallographie und Petrographie. Remsen: Einleitung in das Studium der Chemie. Pohl und Pringsheim: Die lichtelekirischen Erscheinungen. — Anregrungen und Antworten. — Wetter-Monatsübersicht — Literatur: Liste. ^ Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzen Reihe 29. Band. Sonntag, den 6. September 1914. Nummer 36. [Nachdruck verboten.' Physiognomik der Tropenlandschaft. Studien auf Ceylon von Dr. Konrad Guenther, Professor an der Universität Freiburg i. Br. Es war kein Geringerer, als Alexander von Humboldt, der zu der Erkenntnis kam, daß, wie die Menschen und die Tiere, so auch die Pflanzen ihre bestimmte Physiognomie hätten. Immer wieder bewunderte er auf seinen Reisen des Naturschutzes. Ich versuchte, der bisher vor- wiegend geübten Naturdenktnalpflege einen Schutz aller erhaltbaren Gestalten der Natur über die ge- samte Kulturerde hinweg an die Seite zu stellen und wissenschaftlich zu begründen. Es mußte im tropischen Südamerika das charakteristische dazu untersucht werden, welche Lebensbedin- Aussehen der Bäume und die Mannigfaltigkeit gungen das oder jenes Tier unbedingt brauchte, ihrer Formen. Gerade diese Mannigfaltigkeit suchte er verstehen zu lernen, und um sich in ihr zu- rechtzufinden, unternahm er es, alle verschiedenen Pflanzenformen auf 17 Grundgestalten zurück- zuführen. Je mehr nun seit Humboldt unsere Kenntnis von der Pflanzenwelt wuchs, um so weiliger glaubte man mit solch einer geringen Zahl von Grundformen auskommen zu können. So fand sich Grisebach genötigt, die 1 7 Grund- gestalten Humbold t's auf 60 zu vermehren. Noch andere Forscher arbeiteten an der Pflanzen- und ob diese Lebensbedingungen in Wald-, Feld- und Wasserwirtschaft geduldet oder, wenn ver- loren, neu geschaffen werden könnten, ohne die Ertragsfähigkeit des betreffenden Kulturgeländes zu schmälern. Es zeigte sich, daß in der Tat Teile der Natur oder einzelne Tiere und Pflanzen sehr wohl auf einem vollkommen kultivierten Boden sich erhalten lassen.') Bei dem Studium der Frage, welche Lebensbedingungen für Tiere und Pflanzen unsere Kultur noch bieten könne, lag der Wunsch nahe, zum Vergleich die Lebens- physiognomik, soWarming, Drude, Engler; bedingungen einer noch unberührten Natur herbei- in derartig umfassender und vor allem künstleri- scher Weise, wie Humboldt diesen Zweig der Wissenschaft schuf und ausbaute, ist es aber seit- dem nicht wieder geschehen. Die Pflanzen bedecken die Oberfläche der Erde. zuziehen. Eine solche fand ich am ehesten in den Tropen, von denen wieder Ceylon am leich- testen zu erreichen war. Die Summe der Lebens- bedingungen einer Landschaft kommt aber in ihrer Physiognomie zum Ausdruck. Und so erstand Sie geben ihr Farbe und Abwechslung und haben die Aufgabe, die Physiognomie der Tropenland daher an der Physiognomie der Landschaft in " erster Linie teil. Für das einzelne Landschafts- bild kommen freilich bestimmend auch noch die Bergformationen, P'lüsse oder Seen in Betracht. Der Leser wird sich erinnern, mit welch hübschen Worten Scheffel in seinem Ekkehard von dem „deutschen Antlitz", dem das Land der Alamannen gleiche, gesprochen hat. Will man aber die Physiognomie eines ganzen Landschaftskomplexes oder gar eines großen klimatischen Gebietes schildern, so wird man den Pflanzen eine größere Rolle zuweisen müssen, als den Bergen und dem Wasser, weil sie unter denselben klimatischen Bedingungen einem einheitlichen Charakter haben auf Ceylon nämlich sowohl eine Küsten- schaft mit der der unseren zu vergleichen und die Gründe für die Verschiedenheiten aufzudecken. Es wird wenig Tropenländer geben, die so geeignet sind, wie Ceylon, dem Neuling das Charakteristische der Tropenlandschaft zu zeigen. Nicht nur wegen der leichten Erreichbarkeit, dem verhältnismäßig gesundheitszuträglichen Klima, den guten Verbindungen, die den Reisenden an alle Teile der Insel heranführen und der sauberen Unterkunftshäuser, der ,, Rasthäuser" ist die Insel für das Studium empfehlenswert, sondern vor allem auch deshalb, weil sie die wichtigsten Formen der Tropenlandschaft in sich vereint. Wir zustreben, während die geologischen Formationen mehr oder weniger durch örtliche Erderschei- nungen bestimmt wurden, wie sie auch in ganz verschiedenen klimatischen Gebieten wiederkehren können, mithin nicht für eines derselben charakte- ristisch sind. So geht es nicht an, von einer tropischen Gebirgsform zu reden — diese ent- spricht z. B. auf Ceylon durchaus der der deutschen Mittelgebirge — wohl aber kann man von einer tropischen Pflanzenwelt sprechen. region, als auch Brackwasserseen mit Mangrove- vegetation, feuchtes und trockenes Tiefland und Berge in Höhenlagen bis zu 2500 Meter. Am Westabhange des Gebirges wächst prachtvollster •) Die allgemeinen Resultate dieser Reise, Tiere, Pflanzen und Völker betreffend, sind geschildert in meinem Buche: Einführung in die Tropenwelt. Erlebnisse, Beobachtungen und Betrachtungen eines Naturforschers auf Ceylon. Leipzig, W. Engelmann, 1911. -) Ich habe solches dargelegt in meinem Buche „Der Es war der Wunsch, die Physiognomie der Naturschutz" Freiburg i. Br. igio. Der wissenschaftliche Tropenlandschaft zu studieren der mich veran- Naturschutz ist ein noch jungfräuliches Gebiet, das aber InRtn Anr, \A?:„i -.^,^1.. f /^' 1 i_ • i\ 'J'ic große Zukunft hat. Mir wenigstens scheint die Arbeit in laßte, den Wmter 1910/1 1 auf Ceylon zuzubringen.^) ji,,,^ Gebiet so wichtig, daß ich dem Naturschutz ein eigenes Ich kam dazu durch Beschäftigung mit Fragen Institut und einen Lehrstuhl wünsche. 562 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 36 Regenwald, hier regnet es das ganze Jahr, auch zur schönen Jahreszeit entlad sich fast jeden Tag am Nachmittag ein Gewitter. Den Gegensatz dazu bildet die Südostecke der Insel, auf der es nur in einem Monat Niederschläge gibt, und auch in diesem nur selten. Die Landschaft zeigt an dieser Stelle daher das Bild einer Trockensteppe oder eines dornigen Busches, charakterisiert durch Kakteen, Euphorbien und versehen mit Salz- inkrustrierungen. Alles in allem sind die Gegen- sätze der Landschaften auf Ceylon so groß, daß man kaum glaubt, in demselben Kontinent, ge- schweige denn auf derselben Insel zu weilen, wenn man von einer in die andere kommt. Immer aber ist es außer dem Klima die Pflanzenwelt, die dem Bilde den Stempel aufdrückt. Die geologischen Formationen bieten uns nichts Fremdartiges, die Formen des Gebirges erinnern, wie schon er- wähnt, immer wieder an unsere Mittelgebirge. Nur die Farbe des Bodens ist im Tiefland eigenartig. Sie ist nämlich kräftig dunkelrot; schon wenn man in Colombo ans Land tritt, fällt einem die durch ihre rote Farbe ordentlich festlich aus- sehende Straße auf. Auf dem Lande aber wirkt das Rot der Straße noch schöner, weil Palmen hier den Boden überschatten, durch deren glitzernde Fiederblätter Sonnensterne auf die Straße fallen und ihn auf das zarteste marmorieren. Es ist der Laterit, der dem tropischen Boden die rote Farbe gibt. Der Laterit ist ein typisch tropisches, an feuchtes Klima gebundenes Zersetzungsprodukt des Urgesteins, das durch Bakterienwirkung zu- stande kommen soll. Und so häufig ist er in der Äquatorialzone, daß man meint, er nehme ein Viertel der gesamten festländischen Erdoberfläche ein. So ist die erste Farbe, die dem Reisenden in den Tropen ins Auge fällt, Rot. Und Rot mit allen seinen Abschattierungen nach Orange und Gelb ist überhaupt charakteristisch für die äqua- toriale Landschaft. Schon das Licht enthält in den Tropen viel mehr gelbe Strahlen als bei uns. Das merkt zuerst der Photograph. Bei dem grellen Sonnenlicht glaubt er nur kurz belichten zu müssen, und ist dann sehr erstaunt, beim Ent- wickeln gänzlich unterbelichtete Platten zu erhalten. Abends tritt das gelbe Licht auch äußerlich in Erscheinung. Schon im Roten Meer fällt es dem scharfen Beobachter auf, daß die Sonnenuntergänge, die allabendlich eine wunderbare Farbenpracht entwickeln, sich von den unseren dadurch unter- scheiden, daß in der heißen Zone das Rot nach Orange und Gelb sich abschattiert, bei uns nach Rosa. Zu dem orangeglühenden Horizont stimmt wunderbar das kräftig ultramarinblaue Meer, dessen Wellenkämme wie mit Goldschaum bedeckt sind. Und der Himmel erscheint durch die gelben Strahlen fast grün, während die zarten Wölkchen, die in ihm schwimmen, goldumsäumt sind. Noch mehr, als beim eigentlichen Sonnenuntergang, kommt das Gelb bei dem Nachglühen zum Vor- schein, einer farbenprächtigen Lichterscheinung, die für die Tropen charakteristisch ist. Etwa eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang, wenn es schon etwas dunkler geworden ist, flammt der Horizont noch einmal in leuchtendstem Goldgelb auf, und tiefschwarz zeichnen sich von ihm die Fiederkronen der Palmen ab. Ich habe die einzig- schöne Kontrastwirkung immer wieder mit neuer Bewunderung angeschaut. Es ist merkwürdig, daß auch die tropischen Pflanzen und Tiere viel mehr orangene Farben- töne zeigen als bei uns, wo ja ein kräftiges Orange in der Natur fast überhaupt fehlt. Tulpengroße orangene Blüten hat ein buchengroßer afrikanischer Baum, die Spathodea campanulata; die schon in Ägypten gepflanzte Flammenakazie (Poinciana regia) hat orangene Blütentrauben, und noch viele ähnlich gefärbte Blüten ließen sich nennen. Aber nicht nur sie, sondern auch die jungen Blätter zeigen diese Farbe, so besonders der Eisenbaum (Mesua ferrea) und die Litseen des Hochlandes. Zwei indische Schmetterlinge, Ophideres materna und fuUonia, gleichen unseren Ordensbändern, nur sind ihre Hinterflügel statt rosa orange gefärbt. Ein prächtiger Vogel, Pericrocotus flammeus, hat ein aus Orange und Schwarz zusammengesetztes Gefieder, auch der Kopf der chamäleonartigen Schönechsen (Calotes) glüht orange bis zinnober- rot. Diese Beispiele ließen sich noch vermehren. Und es ist vielleicht kein Zufall, daß auch die Eingeborenen in ihrer Kleidung rot und gelb karrierte Stoffe bevorzugen. Man denkt überhaupt, wenn man die Tropen nennen hört, an glühende, reiche Farben. Farbig, duftend, üppig, das sind die drei Eigenschaften, die man bei uns mit der Tropenwelt verknüpft. Aber wie so oft verspricht uns auch hier unsere Phantasie mehr, als die Wirklichkeit halten kann. Ja man kann sogar sagen, daß jene drei Eigen- schaften eher zu der Physiognomie unserer Land- schaft gehören , als zu der der tropischen. Und das läßt sich beweisen. Es sind die Blumen, die bei uns die haupt- sächliche Farbenpracht in Wald und Feld ent- wickeln, dazu kommen dann im Frühling das frische Laub und die lichtgrünen Spitzen der Tannen und Fichten, und im Herbst die bunten, fallenden Blätter. Das Nadelholz erhält auch der schneebedeckten Landschaft die grüne Farbe und gibt gerade im Winter schöne Gegensätze. Dazu ist es gerade diese Baumgruppe, die den wesent- lichsten Beitrag zum Duft des Waldes gibt, einen Duft, der besonders nach dem Regen kräftig und erfrischend hervortritt. Nadelhölzer aber fehlen im Tropengürtel der Erde. Für uns Europäer ist das ein Verlust, den auch die Palmen nicht wettmachen. Denn nicht nur strömen diese Königinnen des Südens keinen Geruch aus, auch die ernste und doch so weiche Form einer Fichte erreichen sie, wenigstens meiner Ansicht nach, an Schönheit nicht. Auch Farbenpracht und Duft der Blumen ist in den Tropen nicht in dem Maße vorhanden wie N. F. XIII. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 563 bei uns. Das liegt vor allem an folgendem. In unserem Klima haben die Pflanzen mit dem Winter zu rechnen, also mit einer Jahresperiode, in der es ihnen unmöglich ist, ihre Lebensfunktionen frei zu entfalten, zu wachsen, an sich zu bauen, sich zu vermehren. Ein Teil der Pflanzen hat sich an den Winter angepaßt, das sind die Bäume. Diese kapseln ihre Triebe ein, werfen das Laub ab, um es wieder im Frühling zu ersetzen oder haben in den Nadeln widerstandsfähige Organe ausgebildet. Aber die Zahl der Bäume und auch der Sträucher ist gering bei uns. Wie schon der erste Blick in eine europäische Flora lehrt, sind weitaus die meisten unserer Pflanzen Kräuter. Diese haben im vorhinein auf den Kampf mit dem Winter verzichtet, sie geben ihre oberirdischen Triebe einfach preis und erhalten ihre Art nur in dem durch harte Schalen geschützten Samen oder in der Wurzel, die in der warmen Frde den Winter überdauert. Wir haben Tausende von solchen Kräutern in Deutschland , aber nur 36 einheimische Baumarten, dagegen hat allein die Insel Java 1500 wildwachsende Baumarten, und auf Ceylon sind es kaum weniger. In den Tropen gibt es eben keinen Winter. Nicht hohe Temperaturen zeichnen die Aquatorialländer aus — das mittlere Temperaturmaximum von Wien ist sogar höher wie das von Colombo, Buitenzorg und Rio de Janeiro — , sondern gleichmäßige Wärme. Bei uns schwankt die Temperatur im Laufe des Jahres um 50 Grad und mehr, im tropischen Tiefland um 3—5 Grad. Bei einer derartig gleichmäßigen Temperatur ist es den tropischen Pflanzen möglich , das ganze Jahr an sich zu bauen und ununterbrochen auf dem Vor- handenen wieder aufzusetzen , während unsere Kräuter jeden Frühling wieder von unten, vom Erdboden anfangen müssen. Darum ist die Mehr- zahl unserer Pflanzen niedrig, die der tropischen hoch, baumartig, mit holzigen Stämmen versehen. Schon in den botanischen Gärten zu Peradeniya, Buitenzorg, Singapore und Rio de Janeiro tritt das hervor. Diese Gärten haben nämlich weniger das Aussehen eines Blumengartens, als das eines englischen Parks, eines Arboretums. ^) Die baumartige Entwicklung einer Pflanze hat aber zur Folge, daß sie ihre Blütenpracht in die Höhe hebt und zum großen Teil dem Auge des Beschauers entzieht. Es gibt natürlich herrlich blühende Tropenbäume mit farbenprächtigen, zahl- reichen und großen Blüten, und jedem Reisenden werden z. B. die bereits erwähnten Spathodeen am See von Kandy auf Ceylon oder der Bombax mit seinen tulpengroßen, erdbeerroten Blüten, die den ganzen, zu dieser Zeit blätterlosen Baum über- säen, unvergeßlich bleiben. Jedoch ein solcher Anblick bietet sich vorwiegend dort, wo die Bäume in Alleen oder auf dem Rasen freistehend ') Ausführlich begründet hat den Unterschied zwischen tropischen und europäischen Pflanzen Haberlandt, Eine botanische Tropenreise. Leipzig 1910. Siehe auchHolter- mann, In der Tropenwelt. Leipzig 1912. gepflanzt sind. Im allgemeinen ist aber der natür- liche Standort der Bäume der Wald, der Urwald, und in diesem entzieht das Blätterdach und die kreuz und quer sich rankenden Lianen dem Auge des Wanderers das Blütenmeer der Höhe. Bei uns hingegen legt sich die Blütenpracht der Kräuter als bunter Teppich uns zu Füßen, den wir weithin überschauen können. Eine solche Farbenpracht, wie sie eine Blumenwiese oder ein Chausseegraben unserem Auge bietet, wird man in den Tropen vergebens suchen. Das hat auch noch einen anderen Grund. Die europäische Pflanzenwelt kann ihre Blüten nur innerhalb von vier bis fünf IVIonaten bilden, während in den winterlosen Tropen dafür das ganze Jahr zur Verfügung steht. Es gibt zwar auch in den Tropen regelmäßig wechselnde günstigere und un- günstigere Bedingungen für die Organismen. Diese Zeiten werden durch die Winde verursacht, die bald vom Meere kommen und Regen bringen, bald, aus großen Landmassen herüberwehend, die Feuchtigkeit aufzehren. Aber derartige Regen- und Trockenzeiten schneiden doch nicht entfernt so scharf in das Leben der Organismen ein, wie unser Winter und Sommer. Und so kann man am Äquator zu jeder Zeit blühende Bäume sehen oder solche mit frischen Blättern und wieder andere ohne Laub, denn auch manche Tropen- bäume haben, wie z. B. der obengenannte Bom- bax, die Gewohnheit vor der Blütezeit die Blätter abzuwerfen und diese erst nach vollendeter Blüte neu zu entfalten, Verhältnisse, die wir an unserem Obst und den Magnolien kennen. Natürlich wirkt aber das Landschaftsbild farben- freudiger, wenn die meisten Pflanzen gleichzeitig, oder doch wenigstens in kurzer Aufeinanderfolge blühen. Unserem Frühling haben die Tropen nichts Gleichwertiges an die Seite zu stellen. Genießen wir doch das Aufblühen der Natur ge- rade deshalb so sehr, weil diese vorher monate- lang schlummerte. Der Gegensatz ist es, der auch den sonst der Natur fremd Gegenüberstehen- den auf die bunte, duftige Pracht in Wald und P'eld aufmerksam macht. Von diesem Gesichtspunkte aus werden wir unseren Winter nicht verdammen, sondern preisen. Er erst lehrt uns den Sommer richtig einschätzen. Überhaupt ist es ja der Kampf, der Kraft und Schönheit schafft. Wie die Völker in einem gleichmäßig schönen Klima und in einer reichen Gegend erschlaffen, ja zugrunde gehen, so ent- wickelt auch die Natur ihr prächtigstes Bild dort, wo sie zu kämpfen hat. Darum wirkt die Pflanzen- welt nicht nur farbenreicher und duftiger bei uns, sondern auch frischer, kräftiger, ja selbst üppiger. Wer mit übertriebenen Vorstellungen von „tro- pischer Üppigkeit" an den Äquator reist, wird von dem Erschauten sehr enttäuscht sein. Es soll damit natürlich nicht gesagt sein, daß die tropischen Pflanzen keinen üppigen Wuchs hätten. Doch dieser zeigt sich in anderer Form wie bei uns, wir aber gehen, wenn wir uns eine 564 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 36 tropische Üppigkeit vorstellen, von europäischen Anschauungen aus, die wir nur noch bedeutend steigern. Für uns ist die Pflanzenwelt dann üppig, wenn sie in reicher Fülle saftiger Blätter schwelgt. Gerade diese Eigenschaften aber charakterisieren unsere, nicht die tropischen Pflanzen. Was zunächst die Fülle des Laubes betrifft, so ist es verständlich, daß unsere Bäume und Sträucher mehr Blätter haben müssen als die tropischen, da sie eben nur in wenig Monaten sie entfalten können. Um trotzdem wachsen und an sich bauen zu können, müssen sie die Organe dazu, die Blätter, so viel es geht, vermehren. Der Tropenbaum hingegen, der das ganze Jahr Blätter tragen kann, kommt mit weniger Laub aus. Ein so dichtes Blätterdach, wie die Buche oder gar die Kastanie haben die äquatorialen Bäume im allgemeinen nicht. Darum ist es auch im tro- pischen Urwald niemals so finster wie in unseren Buchen- oder Fichtenforsten. Die Sonne spielt durch das dünngesäete Laub bis auf den Boden und läßt hier reichlichen Unterwuchs aufsprießen. Licht und freundlich, hell und glitzernd ist es überall. Und es ist bezeichnend, daß die Tiere, die in diesem lichten Wald \or ihren Artgenossen auffallen sollen, damit Männchen und Weibchen sich erkennen, ernste Farben haben. So zeigen die handgroßen, prachtvollen Schmetterlinge In- diens aus den Geschlechtern Papilio und Orni- thoptera vielfach ein tiefes Sammetschwarz als Grundfarbe, von der sich daim grün, gelb, rot oder blau leuchtend abhebt. Unsere größeren Tagfalter, von der Gattung Papilio gibt es bei uns den Schwalbenschwanz und Segelfalter, sind viel lichter gefärbt. Bei den europäischen Bäumen ist das Geäst mehr oder weniger von der Blättermasse verdeckt, bei den tropischen kann man vielfach Äste und Zweige bis in die höchsten Spitzen verfolgen. Das Bild eines solchen Baumes gibt uns einiger- maßen unsere Akazie (Robinia pseudacacia) wieder. Die Akazien gehören zu den Leguminosen, sie entstammen wahrscheinlich dem Süden, und zwar trockenen Gegenden, wie denn viele von ihnen Dornen tragen, eine Bewaffnung, die für Wüsten- bewohner charakteristisch ist. Denn die Wüsten- pflanzen haben des Wassermangels wegen nur weniges, zartes Laub und müssen dieses vor den Pflanzenfressern durch Dornen schützen. Auch bei unserer Akazie kann man das Astwerk in der ganzen Krone verfolgen. Das ist bei den tropischen Leguminosenbäumen in ähnlicher Weise der Fall. So wird in Indien und auch in Afrika als Allee- baum gern der Guanco (Pithecolobium saman) gepflanzt. Der aus Amerika stammende Baum breitet schirmartig seine große Krone über die Straße, durch das lichte, zart gefiederte Laub fallen überall .Sonnenstrahlen hindurch und marmo- rieren in hübscher Weise den Boden. Die Tropenbäume haben mit der Gewalt tropischer Regengüsse zu kämpfen ; die gefiederten Blätter der Leguminosen bieten den Wasserstrahlen weniger Angriffsraum als große, ganzrandige Blätter. Nun gibt es in den Tropen aber auch Bäume mit derartigem Laub. Aber dann sind die Blätter meistens widerstandsfähig gegen die Gewalt des Wassers, sie sind dick und lederartig. Unsere Lorbeerbäume, besser noch der Kirschlorbcer ver- anschaulichen diese Art von Blättern, die für die Tropenbäume so charakteristisch sind, daß sie die Physiognomie des Urwaldes so recht eigentlich bezeichnen. Nicht nur gegen die Regengüsse, auch gegen die am Äquator senkrecht fallenden Sonnenstrahlen müssen sich die Tropenblätter schützen. Darum sind sie nicht nur dick und fest, sondern auch glänzend. Sie blenden so die Sonnenstrahlen ab, werfen sie zurück und werden nicht so durch- leuchtet wie die transparenten Blätter unserer Pflanzen. Sehr richtig sagt Haberlandt, daß man den Unterschied der europäischen von den tropischen Blättern durch die Worte Transparenz und Reflexion ausdrücken könne. Durchscheinende Blätter aber erscheinen frischer, saftiger als harte, reflektierende. Und so entspricht auch diese Eigenart des tropischen Laubes nicht unseren Vorstellungen von Üppigkeit. Schauen wir am Äquator von einem Berge herab auf den Urwald oder auch auf die weiten Haine von Kokospalmen, wie sie dort an der Meeresküste so verbreitet sind, so gewahren wir kein frisches Grün, sondern die glitzernde Blätter- masse dort unten ist graugrün; scharf umgrenzt hebt sich Baumkuppel von Baumkuppel ab, be- sonders im Hochland wirkt alles so plastisch, daß man jedes Blatt zählen zu können glaubt. Alles ist klar umrissen, voneinander abgesetzt, wir haben keine so zarten, ineinander verschwimmenden Linien und Flächen wie bei uns. Ich hatte manchmal das Gefühl, daß ein derartiges Bild das Auge ab- stoße, während die Farben unserer Landschaft von ihm aufgesaugt würden. Und in der Tat be- obachtet man, daß die Reisenden an der glitzernden Tropenlandschaft sehr bald ermüden. Nur wer sich in die fremdartige Welt vertieft, der wird auch hier, wie überall in der Natur, die hohe Schönheit erkennen. Man stellt sich immer vor, in den Tropen sei alles viel grüner als bei uns, und sogar die Wissen- schaft hat das angenommen und daraus ihre Schlüsse gezogen. Es gibt, im Gegensatz zu Europa, in den Äquatorialländern eine ganze Reihe großer grüner Vögel, z. B. verschiedene Tauben, Papageien, Spechte, Bienenfresser, Blaltvögel (Phyl- lornis), Megalaemas. Man hat nun gemeint, diese Farbe als Schutzfärbung in dem grünen Tropen- walde ansprechen zu müssen. Ich aber habe zu meinem Erstaunen bald gesehen, daß die licht- grüne Farbe der Vögel im Laub sehr auffiel, weil dieses eben nicht lichtgrün ist wie bei uns, sondern dunkler und grauglitzernd. Die grüne Farbe tropischer Vögel kann also nicht die Be- deutung einer Schutzfärbung haben, sondern im Gegenteil, sie hebt die Tiere aus der Natur heraus, 1 N. F. XIII. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 565 gibt ihnen ein charal^teristisches, weitliin erkenn- bares Äußere und so den Artgenossen die MögHch- keit, das andere Gesclileclit zu finden. Bestätigt wird diese Ansiclit durch den Vergleich der grünen mit anderen Vögeln. Wir beobachten nämlich im allgemeinen, daß bei den Vögeln die Schutz- färbung im Einklang mit dem Brutgeschäft steht. Offen brütende Vögel, wie Rotkehlchen, Nachti- gallen, Grasmücken, Lerchen, Rebhühner sind un- scheinbar gefärbt, und in der Tat, würden sie aus ihrer Umgebung hervorstechen, dann wären sie dem Auge der Feinde allzu leicht sichtbar und mit ihnen wären Eier oder Junge gefährdet. Vögel hingegen, die in finsteren Höhlen brüten, bedürfen der Schutzfärbung nicht, bei ihnen können in beiden Geschlechtern die „Arterkennungsfarben" zur Geltung kommen, und das ist denn auch bei den Spechten, Meisen, Blauraken, Eisvögeln der Fall, Tieren, die derartige Brutgelegenheiten auf- suchen. Nun besteht aber die Mehrzahl jener grünen Vögel ebenfalls aus Höhlenbrütern. In Baum- und anderen Höhlen brüten Papageien, Spechte, Bienenfresser, Megalaemas, und auch bei einigen der grünen Tauben ist eine derartige Brut- gelegenheit beobachtet worden. Ein besonders schlagender Beweis für meine Deutung gibt eine Gattung neuseeländischer Papageien (Eclectus). Diese Tiere sind nämlich im männlichen Geschlecht grün, im weiblichen rot, wir kennen aber sonst kein Beispiel, wo das brütende und für die Art- erhaltung wichtigere Weibchen die Schutzfärbung entbehren muß, während das Männchen sie hat. Vielmehr ist überall, wo die Geschlechter in der Färbung sich unterscheiden, das Umgekehrte der Fall. Nicht nur die ausgewachsenen Blätter stören durch ihre glitzernde Beschaffenheit den frisch grünen Eindruck des Tropenwaldes, sondern auch die jungen. Diese bedürfen nämlich wegen ihrer noch zarten Beschaffenheit eines besonderen Schutzes gegen Sonnenstrahlen und Regengüsse, und so sehen wir, daß sie zunächst eine Farbe entwickeln, die die Sonnenstrahlen weniger kräftig in ihr Inneres dringen läßt, nämlich rot. Ich war sehr überrascht, als ich zum ersten Male einen voll- ständig feuerroten Baum, es war der Eisenbaum (Mesua ferrea) erblickte. Noch stärker wirkt aber diese Erscheinung im Hochland. In 2000 m Höhe darf auf Ceylon der Wald nicht mehr geschlagen werden, weil er das Wasserreservoir der ganzen Insel darstellt. Hier oben bedeckt er daher meilen- weit die sanftgewellten Höhen in reizvoller Ab- wechslung mit wogenden Steppen, die aus einem zitronenartig duftenden Grase (Andropogon martini) zusammengesetzt sind. Im Walde überwiegen Bäume aus den Gattungen Litsea und Calophyllum, es sind das knorrige Pflanzengestalten, etwa von der Höhe unserer Obstbäume mit lederartigen, glitzernden Blättern. Darunter wogt in grüner Üppigkeit der Dschangelbambus ') (Arundinaria walkeriana) — der Bambus ist eine Tropenpflanze, deren Laub wirklich lichtgrün, zart und saftig aus- sieht — , oder der Nillu (Strobilanthus pulcherri- mus), dessen alle 12 Jahre erfolgende, bienen- durchsummte Biütenpracht einen herrlichen An- blick gewährt. Von den Bäumen steht nun jeder in einem anderen Stadium der Blätterentwicklung, und so ist der eine karminrot, der nächste orange, wieder einer gelb, und so geht die ganze h'arben- skala fort bis grün. Hier hat man wirklich ein Bild vor sich von unerhörter Buntheit und man genießt es um so mehr, als im Hochland von Ende Dezember an tagaus, tagein ein herrlich blauer Himmel leuchtet und frischeste Luft dem Wanderer die Lunge weitet. Als ich zum ersten Male die bunte Pracht sah, wollte ich es kaum glauben, daß die roten Baumkuppeln ihre Farbe durch Blätter, nicht durch Blüten erhalten hatten. Es ist eine sehr verbreitete Eigenart tropischer Bäume, daß die jungen Blätter an den Zweig- enden in ganzen Schöpfen hervorsprießen und hier schlaff und weich nach unten hängen — ebenfalls ein Schutz gegen Sonne und Regen. Der Buitenzorger Botaniker Treub hat treffend dar- gelegt, daß man in den Tropen nicht sagen könne: ,,die Bäume sprießen", sondern vielmehr die Wen- dung gebrauchen müsse, „die Bäume schütten die Blätter aus". Für uns aber macht es zwar einen fremdartigen, aber durchaus keinen Eindruck von Üppigkeit, wenn an den spärlich belaubten Zweig- enden derartige braun oder gelblich gefärbte weiche Blätterschöpfe herabhängen. Welches ist nun der Eindruck des Tropen- waldes auf den Europäer, wenn es nicht der der Üppigkeit ist ? Es ist der der Wucht, der Monu- mentalität. Während unser Wald aus einer Säulenmasse und einem Blätterdach besteht, geht im tropischen Urwald das Holzwerk überall durch- einander. Da schwingen sich zwischen den Bäumen die armesdicken Stämme der Lianen wie elastische Riesenseile, andere verlaufen schräg nach unten, wieder andere liegen zu Füßen eines Baum- riesen zusammengerollt wie ein Knäuel von Schlangen. Mächtige Holzentwicklung ist das Wesen des Tropenwaldes. Überall sieht man Stämme und Aste in bizarren Linien kreuz und quer ziehen. Nur im eigentlichen Regenwald ist das Holz vielfach verdeckt. Wie grüne Feder- boas umgeben die Schlingpflanzen Pothos scandens und Freycinetia die Stämme der Bäume in dem feuchten Urwald des Westabhangs des Ceylon- sehen Gebirges, und von den Asten nicken die Blätter epiphytischer Baumfarne herab. Aber auch hier verbirgt das Grün nur selten den monumentalen Bau der Bäume. Denn monumen- tale Gestalt ist den meisten Tropenbäumen eigen. Bei dem einen steigt der Stamm mastgleich und riesenhaft in die Höhe, nur ganz oben eine Blätter- krone tragend, ein zweiter verzweigt sich schon bald über dem Boden, und schirmartig gehen ') Es heißt Dschangel, nicht Dschungel, denn es geht nicht an, in der englischen Schreibweise des indischen Wortes ,, Jungte" nur das J, nicht auch das u, das als reines a ge- sprochen wird, zu verdeutschen. 566 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 36 seine Äste auseinander. Auch die Linien der Äste sind wuchtiger als bei uns. Vielfach geht der Ast zuerst wagrecht, dann mit scharfem Knick senkrecht nach oben. An einer solchen Biegung beginnt dann der Regen seine zerstörende Wir- kung auszuüben, und Höhlungen bilden sich, die von den Vögeln als Nistrauni benutzt werden. Überhaupt ist es diese Eigenart, wie die starke Holzbildung der Tropenbäume, die es bedingen, daß es am Äquator viel mehr Baumhöhlenbriiter unter den Vögeln gibt als bei uns. Nicht nur Stamm und Äste der Tropenbäume haben einen monumentalen Aulbau, sondern viel- fach auch schon die Wurzeln. Auf meterhohen „Bretterwurzeln" erheben sich die Canariumarten, wie Kulissen stehen diese rosettenförmig vom Stamme ab. Ficus elastica sendet ein ganzes Schlangengewirre von kammartig aus dem Boden ragenden Wurzeln aus, wieder andere Bäume, wie die Pandangs (Pandanus) stehen gar auf Stelzen. Bei vielen tropischen P'eigcnbäumen (z. B. Ficus benjamina), senken sich von den Zweigen Luft- wurzeln herab, die in den Boden dringen und all- mählich selbst zu starken Stämmen werden. An einer Straßenkreuzung in Colombo steht ein ganzer Hain von Bäumen. So glaubt man wenigstens nach der Zahl der Stämme das Pflanzenbild be- nennen zu müssen. In Wirklichkeit sind die scheinbaren Stämme Luftwurzeln und der ge- samte Hain ist nur ein einziger Baum. Auch die Palmen wirken monumental, vor allem die Fächerpalmen. Die Blätter der Talipot- palme (Corypha umbraculifera) sind so groß, daß sie zusammengefaltet ein Zelt bilden können. Die Palmyrapalme (Borassus flabelliformis) hat kleinere Blätter, aber gerade diese Palme macht einen sehr monumentalen Eindruck. Nach allen Seiten starren die Fächerblätter, die unteren sind ab- getrocknet und grau von Farbe, und manchmal glaubt man gar keinen lebenden Baum, sondern ein Kunstwerk aus Holz und Stoff vor sich zu haben. In der Physiognomie einer Landschaft spielen die Tiere eine geringe Rolle. Nur zum Bilde einer Seenlandschaft in den heißen Ländern gehören rosenrote Flamingos und weiße Reiiier, obgleich der Mensch diese Schönheit oft genug zerstört hat. Für die indischen Küstenstädte sind die Pausende von Krähen (Corone splendens) charak- teristisch, die statt der von vielen Reisenden er- warteten Papageien in den Palmen sich tummeln. Schöne Schmetterlinge sieht man häufig und auch die „gefiederten Schmetterlinge", wie wir die Honigvögelchen (Cinnyris) nennen können, die in den östlichen Tropen die Kolibris Amerikas er- setzen und ihnen an Kleinheit und bronzeschillern- der Pracht des Gefieders gleichen. Wer natürlich gelernt hat, zu Hause sich in die Natur zu ver- tiefen, wird in den Tropen viel Schönes und Interessantes aus der Tierwelt auffinden. Die meisten Reisenden verstehen das aber nicht, und es war mir sehr charakteristisch, daß von meinen Mitreisenden fast keiner bei einem dreiwöchent- lichen Aufenthalt auf Cejlon Pagageien gesehen hatte, obgleich diese Vögel dort so häufig sind wie bei uns die Meisen. Man muß eben auf die Stimmen der Vögel achten, wenn man sie sehen will. Und Stimmen gibt es im Tropenwald genug zu hören. Auch prachtvolle Sänger sind nicht selten, denn es ist ein Märchen, daß am Äquator die Vögel nur schön aussähen, aber nicht sängen. Nachts aber, wenn der Lärm des Tages schweigt, dann kommen unzählige Zikaden und Grillen zur Geltung. Ununterbrochen gellt ihr Schrillen, da- zwischen tönen wie kleine blecherne Schellen die Rufe von F"röschen, oder das klagend jauchzende Geheul von Schakalen läßt sich aus der P'erne hören. Und während das Ohr dem Leben und Weben der Natur lauscht, schaut das Auge ent- zückt auf die Myriaden von Leuchtkäfern, die zwischen den dunklen Stämmen der Bäume ihren schweigenden Funkentanz aufführen. [Nachdruck verboten.] Über den Cheniisniiis der alkoholischen Gärung. Von Dr. H. Mengel, Marburg. Unter Gärung im weitesten Sinne des Wortes versteht man den Abbau von komplizierten or- ganischen Verbindungen zu einfacheren und ein- fachsten Substanzen unter dem Einfluß gewisser Mikroorganismen. Es handelt sich also hierbei um biochemische Prozesse. Im engeren Sinn bezeichnet man mit Gärung speziell die alko- holische. Ihr besonderes Merkmal besteht in der Aufspaltung gewisser Zuckerarten (Mono- saccharide) in Alkohol und Kohlensäure, die durch die Hefe bewirkt wird. Dieser Vorgang wird durch die bereits von Gay-Lussac zu Beginn des vorigen Jahrhunderts aufgestellte Gärungs- gleichung summarisch wiedergegeben : CgH.oOe —> 2C2H5OH + 2CO2. Über die Wirkungsweise der Hefe bei der Gärung sind bekanntlich im Laufe des vorigen Jahrhunderts mehrere Theorien aufgestellt worden: Liebig erklärte sie rein mechanisch chemisch, P a s t e u r deutete sie vitalistisch als physiologischen Lebensprozeß der Mikroorganismen , und die moderne Enzymtheorie vermittelt zwischen beiden Auffassungen, indem sie annimmt, daß der eigentliche Gärungsvorgang, also der Zuckerzerfall, rein chemischer Natur ist, die ihn bewirkenden Enzyme jedoch vermag, vorerst wenigstens, nur die lebende Zelle zu erzeugen. In den Unter- suchungen Buchners und seiner Mitarbeiter fand diese letzte Erklärungsweise eine wichtige Stütze. Ihm gelang es bekanntlich, die gärungserregenden N. F. XIII. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 567 Enzyme (Zymase) von der lebenden Zelle abzu- trennen, indem er diese durch mechanische oder chemische Mittel zerstörte; so schied er den rein chemischen Prozeß von dem Lebensvorgang.') Mit der Aufklärung des Reaktionsmechanismus dieses Prozesses haben sich nun in den letzten Jahren mehrere Forscher beschäftigt , und im folgenden soll ein kurzer Überblick über den Verlauf der Untersuchungen und die gewonnenen Resultate gegeben werden: Zunächst war die eigentliche Aufgabe des Chemikers, die Feststellung der in der Gärlösung auftretenden Verbindungen, ganz in den Hinter- grund getreten gegen die Aufklärung der Ursachen der Gärung. Man begnügte sich mit der alten Erfahrungstatsache, daß der Z u c k e r in der Haupt- sache in Alkohol und Kohlensäure vergoren wird, welchen Vorgang man durch die angeführte Gärungsgleichung summarisch widergab. Bald jedoch wurde erkannt (Pasteur), daß neben diesen wichtigsten Produkten der Zuckerspaltung noch viele andere in größerer oder kleinerer Menge in der Gärlösung auftreten — man erhielt nie die aus der Gay-Lussac'schen Gleichung berechneten Mengen Alkohol und Kohlensäure. So fand man noch Milchsäure, Bernsteinsäure, Ameisen- säure, Glycerin, Amylalkohol u. a., und es ergab sich die Frage, ob diese Körper, wie Alkohol und Kohlensäure, normale E ndprodukte eines nur in anderer Richtung erfolgten Zerfalls des Zuckermoleküls darstellen oder als Z w i s c h e n - Produkte bei der doch sicher stufenweise er- folgenden Alkoholbildung zu betrachten sind oder endlich nur als untergeordnete Nebenprodukte, entstanden durch Reaktionen, die mit diesem Hauptgärungsprozeß direkt nichts zu tun haben. Weniger zur Klärung dieser Frage als, um überhaupt einmal dieses schwierige Problem an einem Ende anzupacken, stellte man Gärungs- schemen auf, Hypothesen, die mit Hilfe der dem Chemiker bereits bekannten Reaktionen den Übergang des Zuckers in Alkohol und Kohlen- säure sukzessive über verschiedene Zwischen- produkte erklären sollten. Unseren modernen Ansichten sehr nahe steht ein Schema, das Baeyer im Jahre 1870 in den Berl. Ber. d. Deutsch. Chem. Ges. veröffentlichte in einer Abhandlung, betitelt „Über die Wasser- < entziehung und ihre Bedeutung für das Pflanzen- leben und die Gärung". Nach ihm verläuft der Zerfall des Zucker- moleküls bei der alkoholischen Gärung in zwei Phasen: Bekanntlich stellt der Traubenzucker (Glukose) CuHp^Og einen Körper dar, der gleich- zeitig ein primärer und sekundärer Alkohol und ein Aldehyd ist und dem daher folgende Konsti- tutionsformel zukommt: H- OH'OHOH-OHOH^ I I I I I y.O* -C— C-C— C-C-C<' I I I I I ^H»^ H Hl H^ H'^ H* In der ersten Phase nun werden nach Baeyer 4 Mol. Wasser abgespalten (durch Zusammentritt der gleichartig numerierten Gruppen) und sofort wieder aufgenommen, jedoch in der Weise, daß jetzt die H-Atome sich an das Ende der stark ungesättigten Kette addieren, die OH-Gruppen dagegen in der Mitte. So erfolgt eine Anhäufung (Akkumulation) des Sau erst offes in der Mitte der Kohlenstoffkette. Der so entstehende labile Körper wird nun im Verlauf der zweiten Phase gesprengt: die beiden mittelständigen C-Atome liefern mit ihrer Sauerstoffbeladung die zwei Moleküle CO.,, die vier nach den Enden stehenden die beiden Moleküle CH-jCHgOH. Die Entstehung der anderen bei der alkoholi- schen Gärung beobachteten Verbindungen erklärt Baeyer in gleicherweise, nur erfolgt dabei die Sauerstofifakkumulation und die Sprengung etwas anders. Als experimentell bestätigtes Analogon des Vorgangs der ersten Phase — Abspatltung von VV asser und Wiederanlagerung in anderer Weise unter Anhäufung von Sauerstoff — verweist Baeyer auf den Übergang von Glykol in Acetaldehyd unter dem wasserentziehenden Einfluß von Zinkchlorid. Für die zweite Phase — Sprengung einer Kohlenstoffkette an einer stark mit Sauerstoff beladenen Stelle — gibt die Spaltung von Oxalsäure in Kohlen- dioxyd und Ameisensäure unter Einwirkung von Glycerin ein Beispiel. Ein auf ganz ähnlichen Prinzipien aufgebautes Gärschema wurde späterhin von J. Meisen- heimer angegeben. i) Er vermied dabei nur die un>vahrscheinliche Reduktion der endständigen Aldehydgruppe und baut so das Glukosemolekül zunächst ab zu zwei Molekülen Milchsäure (CH.j— CH— COOH), die sich dann leicht in COg I OH und CHgCHjOH zu spalten vermögen. Weitere Schemen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, stammen von W o h 1 und Schade. Bei der Aufstellung dieser Gärungshypothesen wurden die experimentellen Tatsachen nur in zweiter Linie berücksichtigt. Erst in neuerer Zeit gewann die exakte Erforschung der chemischen Vorgänge bei der alkoholischen Gärung festen Grund, vor allem durch die bahnbrechenden Ar- beiten von B u c h n e r und M e i s e n h e i m e r. Man suchte nun festzustellen, ob^die in der Gär- lösung aufgefundenen Körper in dem bereits an- gedeuteten Sinn Zwischen- oder Neben- produkte bei der Bildung von Alkohol und Kohlensäure sind. Ein einleuchtendes, wenn auch ') cf. E. u. H. Buchner u. Hahn ,,Die Zymasegärung", Monogr., München 1913. ') Berl. Ber. d. Deutsch. Chem. Ges. 37 [04], S. 417- S68 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 36 nicht ganz einwandfreies Kriterium hierfür bietet die Vergärbarkeit der betreffenden Verbindungen, wenn sie in reinem Zustand den Bedingungen der Gärung ausgesetzt werden. Durch die Verwendung des Buc hner'schen Hefe- preßsaftes*) an Stelle der lebenden Hefe wurde man in die Lage versetzt, gewisse Stoffe, deren Entstehung auf die Lebenstätigkeit des Hefepilzes zurückzuführen ist, von vornherein als physiologi- sche Nebenprodukte zu charakterisieren und aus- zuschalten. Unterwirft man unter diesem Gesichtspunkt die in der Gärflüssigkeit aufgefundenen Verbin- dungen einer Prüfung, so stellen naturgemäß Alkohol und Kohlensäure die bei weitem über- wiegenden Hauptprodukte dar. Sie entstehen nach Buchner und Meisenheimer stets in konstantem Verhältnis (= 1,04). Nur bei sehr lange dauernden Gäransätzen findet man etwas mehr Kohlensäure infolge eines schleichen- den Verbrennungsvorganges. Bis 10 "/„ der an- fänglichen Zuckermenge entziehen sich dem Zer- fall in Alkohol und Kohlensäure. Sie finden sich am Schluß zum Teil als Glyzerin vor, in der Hauptmenge aber haben sie sich durch Poly- merisation der Gärung entzogen. Nach deren Beendigung kann man nämlich durch Hydrolyse (Entpolymerisation) eine geringe Menge unver- gorenen Zucker zurückgewinnen, der sich durch Reduktion von P' e h 1 i n g ' scher Lösung leicht nachweisen läßt. -) Viel umstritten war früher die Frage der Milchsäurebildung bei der alkoholischen Gä- rung. Schon früh hat man ihr Auftreten beobachtet. Pasten r's Untersuchungen sprechen gegen ihr Vorhandensein in der Gärlösung. Baey er nimmt sie als normales Gärprodukt an und berücksich- tigt sie auch in seinem vorerwähnten Schema als Zwischenglied. Auch Buchner und Meisen- heimer schlössen sich dem anfangs an, wurden jedoch späterhin anderer Ansicht auf Grund ihrer eigenen Untersuchungen und der von Slator, die übereinstimmend zeigten, daß Milchsäure nichtvergärbar ist, also höchstens ein N e b e n - Produkt sein kann, derart, daß sie in einer Nebenreaktion aus direkten Zwischengliedern des Zuckerzerfalls entsteht.^) Als solche kommen, wie wir später sehen werden, Dioxyaceton, Glyzerinaldehyd und Met hy Igly oxal in Betracht. Interessant ist das Auftreten der Milch- säure in größeren Mengen bei der Ein Wirkung verdünnter Alkalien auf Hexoselösun- gen, wenn man durch besondere Vorsichtsmaß- regeln eine Verharzung vermeidet. Dabei wird der Zucker auch in geringem Maße in Alkohol und Kohlensäure übergeführt, ein Beweis dafür, daß auch die alkoholische Gärung, wie viele ') cf. Anm. I auf S. 567. 2) Berl. Bcr. d. Deutsch. Chem. Ges. 39 (06), S. 3201. ä) Cbem. Centralbl. 1906, I, S. 383 u. 1034; Berl. Ber d. Deutsch. Chera. Ges. 43 (10), S. 1773. andere enzymatische Vorgänge, künstlich nachge- ahmt werden kann. Glyzerin tritt bei der alkoholischen zellfreien Gärung in schwankenden, doch beträchtlichen Mengen auf (5-6% des verbrauchten Zuckers). Auch ihm kommt wie der Milchsäure wahrschein- lich der Charakter eines Derivates eines Zwischenproduktes zu, und zwar des Gly- zerinaldehyds. So erklärt sein Auftreten zu- sammen mit der Polymerisation des Zuckers den Umstand, daß bis 10% von letzterem nicht als Alkohol und Kohlensäure wiedergefunden werden, 'j Bernsteinsäure findet man nur bei der Gärung mit 1 e b e n d e r H e f e. Das spricht schon zur Genüge für ihre Entstehung bei dem Stoff- wechselprozeß der Zelle. Ihre Bildung ist eng verknüpft mit der der P^uselöle, die im Roh- spiritus bis zu 0,7 '% vorkommen, bei der zell- freien Gärung dagegen nur in 0,01 "/„ '). F. Ehr- lich erklärt die Entstehung der F"uselöle (haupt- sächlich Amylalkohol) mit der Tätigkeit proteoly- tischer (eiweißspaltender) Enzyme, die sich auch in der Hefe befinden. Sie bauen die Eiweißkörper ab zu Aminosäuren, die sich dann weiterhin in Amylalkohol, Kohlensäure und Ammoniak spalten. Durch Zusatz einer solchen Aminosäure (Leucin) kann man die Ausbeute an Fuselölen bei der alkoholischen Gärung bedeutend erhöhen. -) In viel geringerer Menge als die erwähnten Verbindungen treten noch Essigsäure und Ameisensäure bei der alkoholischen Gärung auf. Sie entstehen ziemlich sicher in Neben- reaktionen, wie denn naturgemäß die Zwischen- produkte der Alkohol- und Kohlensäurebildung in der verschiedensten Weise zu solchen Veran- lassung geben können. Dadurch werden dann, allerdings nur in Spuren, vielerlei Nebenprodukte gebildet, die für die Aufklärung des Reaktions- mechanismus der eigentlichen Zuckerspaltung un- wichtig sind. Diese Zwischenprodukte nun müssen also so konstituiert sein, daß einerseits ihre Bildung aus dem Glukosemolekül und ihr weiterer Über- gang in Alkohol und Kohlensäure verständlich ist, andererseits aber auch ihre Umwandlung in Milchsäure und Glyzerin. Solange man sie in der Gärflüssigkeit nicht direkt nachzuweisen vermag, sind sie mehr oder weniger hypothetischer Natur. Es ist fraglich, ob dieser Nachweis für alle überhaupt zu führen ist ; denn diese Zwischen- körper werden naturgemäß in der Gärlösung von recht labiler Beständigkeit sein und, kaum ent- standen, sich sofort weiter umsetzen bis zu den stabileren genannten Endprodukten. In ihrer Ver- gärbarkeit (in Form des reinen Präparates) haben wir allerdings ein Kriterium, das die Wahr- scheinlichkeit ihrer Zwischenproduktnatur wesent- lich erhöht. Ein solches Zwischenglied sollte so- gar stärker vergären als der Zucker selbst, da ja der Zerfall bereits begonnen hat. ') Berl. Ber. d. Deutsch. Chem. Ges. 39 (06), S. 3201. ') Chem. Centralbl. 1905, II, S. 156. N. F. XIII. Nr. 36 Naturwissenschaftliclic Wochensclirift. 569 Als solche Zwischenprodukte kommen zu- nächst die isomeren Verbindungen Dioxyaceton (CH, — CO— CH.,) und Glyzerinaldehyd r I ■ 011 OH (CH.,— CH— CHO) und das um ein Molekül Wasser OH OH ärmere Methylglyoxal (CHO— C XH., % O in Betracht, und zwar insofern, als sie sich durch Spaltung des Zuckermoleküls in zwei Hälften leicht bilden und ebenso leicht in Milchsäure (CH3-CH-COOH) und Glyzerin (CH,,— CH— CH^) OH OH OH OH überzuführen sind.') Wohl hat bereits im Jahre 1904 auf sie als mögliche Zwischenstufen des Zuckerzerfalls hingewiesen, läßt sie aber in seinem Schema über die Milchsäure in Alkohol und Kohlensäure übergehen, was, wie wir gesehen haben, wegen der Nichtvergärbarkeit dieser Säure sehr unwahrscheinlich ist. Wie steht es nun mit der Vergärbarkeit der angeführten Verbindungen ? — Nach älteren Untersuchungen, die von Buchner und Meisenheim er kontrolliert wurden, wird nur Dioxyaceton annähernd so schnell vergoren wie Glukose. Glyzerin- aldehyd vergärt langsam und unvollkommen (vielleicht wegen der giftigen Wirkung der Aldehydgruppe auf die Enzyme), dagegen ver- gärt die zugehörige Säure, die Glyzerinsäure (CH2 — CH — COOH), nach Untersuchungen von I I OH OH Neuberg ') und A. v. Lebedew^) bedeutend rasch er. Dabei wird Acetaldehyd (CH3 — CHO) und Kohlensäure gebildet, wahr- scheinlich über Benztraubensäure (CH,— CO— COOH), die auffällig gutvergärbar ist.^) *) Das Auftreten von Acetaldehyd bei der zellfreien alkoholischen Gärung wurde in letzter Zeit von verschiedener Seite bestätigt. Er müßte dann durch Reduktion weiter in Alkohol über- gehen. Dieser Vorgang wäre eine Kompensation zu jener oxydativen Überführung des Glyzerin- aldehyds in seine Säure. Die Untersuchungen Neuberg's und seiner Mitarbeiter sprechen da- ') Berl. Ber. d. Deutsch. Chem. Ges. 43 (10), S. 1773. ') Bioch. Z. 31 u. 32 [11]. ') Berl. Ber. d. Deutsch. Chem. Ges. 47 (14), S. 660. ') C. Neuberg, ,, Die Gärungsvorgänge und der Zucker- umsatz der Zelle". Monogr., Jena 1913. für, daß ganz allgemein die biologische Alkohol- bildung über den Aldehyd in einem Reduktions- vorgang erfolgt.') Dann würden also bei der Gärung Wasserabspaltung und -anlage- rung, Oxydations- und Reduktions- prozesse Hand in Hand gehen. Es ist daher wahrscheinlich, daß sich an dem Zuckerblau mehrere Enzyme beteiligen, die alle unter den Begriff der Buchner 'sehen Zymasc fallen. Die Untersuchungen sind zurzeit noch in vollem Gang und werden so schnell nicht zu Ende geführt werden können. Man scheint jedoch auf dem richtigen Weg ziu' Aufstellung eines ein- wandfreien Schemas des Zuckerzerfalls zu sein. Zum Schluß sei noch kurz darauf eingegangen, wie man sich etwa die Wirkungsweise der Enzyme im chemischen .Sinn deuten könnte. Nach Donath") sind es hoch hydratische Verbindungen, die an die zu spaltenden Körper die Elemente des Wassers im Status nascens abzugeben vermögen und so deren Molekül lockern. Indem sie der zerfallenden Verbindung dann wieder Wasser entziehen, werden sie re- generiert. Man könnte auch daran denken, daß die Enzyme zunächst Additionsverb in düngen mit dem zu hydrolysierenden Körper eingehen, die dann infolge ihrer labilen Natur leicht zer- fallen. Geht dieser Abbau seinem Ende zu, so werden die Enzyme wieder unverändert abge- spalten. In diesem Fall kämen die oben dis- kutierten Zwischenprodukte gar nicht selbständig in der Gärlösung vor, sondern gleichsam maskiert als Komponente einer solchen Enzymaddilions- verbindung. Dann allerdings wäre ihr Vorhanden- sein sehr schwer direkt zu beweisen, und man hätte eine Erklärung für ein unterschiedliches Verhalten, wenn die betreffenden Substanzen als Präparate der Gärung ausgesetzt werden. Liebig hat sich bereits den chemischen Vorgang der Gärung in ähnlicher Weise erklärt: Er vergleicht ihn nämlich mit der Darstellung von Oxamid (CO — NH2) aus Cyan und Wasser bei der Gegen- I CO-NHj wart von Acetaldehyd, wobei auch zunächst eine Aldehydadditionsverbindung entsteht (Diäthyl- idenoxamid), die sich unter Aufnahme von Wasser spaltet unter Bildung von ( )xamid und Re- generation des Aldehyds. Jedenfalls kommt den Enzymen eine katalytische Kontakt- wirkung zu. ') Berl. Ber. d. Deutsch. Chem. Ges. 46 (13), S. 2225. 2) Chem. Centralbl. 1S95, S. 158. Einzelberichte. Zoologie. Die Bromelienfauna von Costa Rica hat C. P i c a d o zum Gegenstand einer interessanten Studie gemacht (Les Bromeliacees epiphytes con- siderees comme milieu biologique. Bull. Scienti- fique de la France et de la Belgique 7" Serie T. 17. Fascic. 3 p. 2 IS— 360, PI. VI -XXIV). 570 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 36 Die in den Wäldern Mittel- und Südamerikas häufigen epiphytischen Bromeliaceen sammeln zwischen ihren Blättern an der Basis die atmo- sphärischen Niederschläge an , so daß hier viele Liter enthaltende Wasseransammlungen hoch oben in den Bäumen entstehen. Da fast alle größeren Bäume dort reichlich mit diesen Bromeliaceen — den Verwandten der Ananas — bewachsen sind, so ist auf diese Weise Wassertieren die Lebens- möglichkeit in Wäldern geboten, in denen Tüm- pel und Sümpfe im allgemeinen fehlen. Schon Fritz Müller, der große deutsche Naturforscher, hat in den Urwäldern Brasiliens in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Fauna dieser Bromelien- gewässer beobachtet und von den „Wassertieren in den Wipfeln des Waldes" berichtet. Betrachtet man einen solchen epiphytischen Bromelienbusch genauer, so sieht man, daß nur die inneren, lebenden Blätter an ihrer Basis Wasser enthalten und daß dieses Wasser in den verschie- denen Blattachseln häufig verschieden hoch steht. Es entsteht so ein „Aquarium" mit lauter ver- schiedenen , vollständig voneinander getrennten Abteilungen; die Scheidewände werden von den Blättern dargestellt. Rings umgeben wird dies „Aquarium" von einem „Terrarium", d. h. den Resten der abgestorbenen Blätter und den sich zwischen ihnen reichlich ansammelnden anderen toten Pflanzenresten, die hier dauernd feucht ge- halten allmählich in Humus zerfallen. Beide, Aquarium wie Terrarium, werden von einer reichen Fauna bewohnt, die zum großen Teil ganz aus- schließlich in diesen Bromelien angetroffen wird. Hier leben verschiedene I'rösche und Salamander, von Würmern, Borstenwürmer, Blutegel, Strudel- würmer; Schnecken; von Krebsen Ostracoden, Copepoden, Isopoden, allerlei Spinnentiere, Räder- tiere, Protozoen und vor allen Dingen Insekten im Larven- und Imaginalzustande in größter Arten- und Individuenzahl. So ist die Brutstätte wohl der meisten Moskitos jener Wälder in den Bromelienaquarien zu suchen. All diese Organis- men leben direkt oder indirekt von dem organi- schen Detritus, der sich zwischen den Bromelien- blättern ansammelt und der, dank der Tätigkeit der lebenden Blattwandungen jener Aquarien nicht in Fäulnis gerät, sondern sich in eine braune, torfähnliche Masse zersetzt. Diese kleinen Teiche in der Spitze der hohen Waldbäume , die von lebenden Pflanzen gebildet werden, müssen natürlich ihren Bewohnern ganz eigenartige biologische Bedingungen bieten. In erster Linie geben sie überhaupt Bewohnern stehenden Wassers die Möglichkeit des Vorkom- mens in jenen Gegenden, die im großen und ganzen „terrestre" Tümpel nicht besitzen. Das fernerhin diese Bromelienaquarien fast ausschließlich von dem Wasser gespeist werden, das sich aus den tagtäglich in jene Wälder einfallenden Nebeln kondensiert, so sind sie dauernd, während des ganzen Jahres mit Wasser gefüllt und trocknen nie aus. Ihre Bewohner zeigen demgemäß keine bestimmt festgelegte Fortpflanzungsperiode, wie man sie bei den Tieren in regelmäßig austrock- nenden Kleingewässern sonst häufig findet. Daher trifft man in den Bromelien zu jeder Jahreszeit z. B. Larven von Fliegen und Libellen und Käfern in jeder Altersstufe an. Eine weitere Eigenart des Bromelienwassers ist — trotz der großen Mengen organischer Stoffe, die in ihm lagern — sein Sauerstoffreichtum, oder mit anderen Worten das I<"ehlen von Fäulnisprozessen darin. Die Bro- melienbewohner sind sehr sauerstoffbedürftig. — Die Kleinheit des „Lebensraumes" macht den Bromelientieren das Schwimmen schwierig, wo nicht unmöglich. Und so haben manche Bromelien- bewohner Schwimmorgane völlig verloren, wäh- rend ihre nächsten Verwandten, die in anderen Gewässern leben, solche besitzen. Das klassische Beispiel hierfür ist die Puppe der Köcherfliege, Phylloicus bromeliarum, deren Schwimmhaarverlust Fritz Müller schon 1879 beschrieben hat.') Von Bedeutung für seine Bewohner wird auch die Zerteilung des Bromelienaquariums in lauter ganz getrennte ILinzelräume; so können räube- rische Insektenlarven, die sich sonst gegenseitig anfallen würden, in großer Zahl in einem solchen Bromcliengewässer hausen, da ja jedes Exemplar gewissermaßen in Einzelhaft sitzt. Wenn im allgemeinen auch die Bromelien dauernd mit Wasser gefüllt sind, können doch starke Winde einmal die Bromelienaquarien aus- schütten. Wie Versuche gezeigt haben, können die meisten Bromelienbewohner solches kurz- dauerndes Trockenliegen vertragen; manche von ihnen besitzen zudem Hxationsorgane, die sie vor der Gefahr, aus ihrem Wasser herausgeschleudert zu werden, schützen. In dem das „Aquarium" umgebenden ,, Terra- rium" finden viele feuchtigkeitsliebende und licht- scheue Tiere äußerst günstige Lebensbedingungen. Die Bromelienfauna der von Picado studierten Gegend ist äußerst reich (etwa 250 Arten!) und enthält Organismenarten, die man fast in einer jeden Bromelie antrifft. Wie mögen die Tiere sich verbreiten ? Bei den geflügelten Insekten bietet die Antwort auf die Frage keine Schwierig- keiten; auch die Verbreitung der räuberischen Tiere mit wohl entwickelter Bewegungsfähigkeit (Peripatus, Scolopendren, Frösche, Spinnen usw.) ist leicht verständlich. Bei den übrigen weniger beweglichen Tieren (Ostracoden, Copepoden, Rota- torien , wasserbewohnenden Turbellarien usw.) wird das Ausschütten und Anschütteln der Bro- melienwässer durch die Stürme wohl die Haupt- rolle für ihre Verbreitung spielen. Die feuchtig- keitsliebenden Borstenwürmer und Schnecken können aktiv in die Humusmassen der Bomelien- terrarien einwandern. Es mag zum Schluß daran erinnert sein, daß ') Sonderbarerweise hat Picado diese Angabe übersehen, wie er in seiner sonst so erschöpfenden Arbeit überhaupt die bromelienbewohnenden Trichopteren nicht behandelt. N. F. XIII. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 57« außer den Bromelien auch viele andere Pflanzen tropischer Gegenden (Bambus, Musaceen, Sarra- cenien, Nepenthes, Pandanaceen, Liliaccen usw.) mehr oder weniger große Wasseransammlungen aufweisen, deren Fauna indessen noch nicht ein- gehender untersucht worden ist. Thienemann (Münster i. W.). Physik. Über das neue Röntgenrohr nach Coolidge berichtet I"". Kerschbaum in den Naturwissenschaften (1914) 654 — 657. Das Rohr hat einen Durchmesser von 18 cm und trägt zwei einander diametral gegenüberstehende seitliche Ansätze. Der eine enthält als Anode und zugleich Antikathode ein massives Stück Wolframmetall von 100 g Gewicht und einer ebenen Stirnfläche von 2 cm Durchmesser. Dieser steht in einem Abstand von 2 cm die Kathode gegenüber, eine winzige, 5 Windungen enthaltende Spirale aus Wolframdraht von 0,2 mm Dicke und 23 rrmi Länge. Die beiden Enden der Spirale sind an 2 dickere Molybdändrähte, diese wieder an 2 Platindrähte angeschweißt, die voneinander isoliert durch das Glas des zweiten Ansatzes hindurch- führen. Zur Herstellung des Vakuums wird das Rohr an eine Molekularluftpumpe angeschlossen und im Luftbade längere Zeit bis zu 470" erhitzt. In den Heizpausen wird ein möglichst hoher Be- lastungsstrom hindurchgeschickt. Hierdurch wer- den alle im Metall und an der Wandung haften- den Gasteile entfernt, so daß der Druck nach dem Abschmelzen von der Pumpe höchstwahrscheinlich kleiner als '/looooo ^'^™- ^st; eine angelegte Span- nung von 100 000 Volt löst trotz des geringen Elektrodenabstandes keine Entladung aus. Um diese einzuleiten, schickt man durch die als Ka- thode dienende Wolframspirale den mittels Wider- stand regulierbaren Strom einer hochisoliert auf- gestellten Akkumulatorenbatterie und erhitzt die Spirale dadurch zu heller Weißglut (bis 2180°). Dann gehen von ihr, wie durch die neuesten Unter- suchungen La n gm uir 's einwandfrei erwiesen zu sein scheint, auch ohne Gegenwart von Gas Elektronen aus; diese erlangen unter dem Ein- fluß der hohen Spannung eine sehr große Ge- schwindigkeit und erregen bei ihrem Aufprall auf die Wolframanode (Antikathode) Röntgenstrahlen. Die neue Röhre mit ihrem hohen Vakuum, das 100 — looomal besser ist als das der gewöhnlichen Röntgenröhren, benutzt demnach die „unselbstän- dige" Entladungsform in ähnlicher Weise, wie es auch in einem Entladungsrohr mit Wehnelt- Kathode geschieht. Ein solches Coolidge-Rohr hat sich 50 Minuten lang mit 25 Milliampere bei einer Parallelfunkenstrecke von 7 cm (mittels Hochspannungstransformator von 10 KW) be- treiben lassen. Die Glaskugel mußte dabei durch einen kräftigen Luftstrom gekühlt werden. Trotz der hohen Temperatur trat keine Metall- zerstäubung an den Elektroden auf. Das Rohr zeigt keine Glasfluoreszenz, ein Zeichen dafür, daß sekundäre Elektronenstrahlen fehlen. Die Über- legenheit des Rohrs über alle früheren Typen liegt darin, daß man Intensität und Härte der Strahlen in weiten Grenzen und raschem Wechsel unabhängig voneinander variieren kann. Durch Erhöhung der Stromstärke in der Kathodenspirale steigt deren Temperatur, damit die von ihr aus- geschickte Elektronenzahl und die Stromstärke des durch die Röhre gehenden Stromes. Durch Ände- rung der angelegten Hochspannung läßt sich die Geschwindigkeit der Elektronen und damit die Härte (Wellenlänge, Durchdringungsvermögen) der Strahlen variieren. Sorgt man für konstante Spannung, so sind die Strahlen homogen. Die neue Röhre kommt durch die General Elektric Company in den Handel. K. Schutt. Bakteriologie. Entstehung der Terra di Siena durch Bakterienwirkung. Zu den mit dem Namen Bol bezeichneten eisenoxydhaltigen Erden gehört die gelbe „Terra di Siena", die wie andere Bole praktisch verwendet wird. Sie findet sich am Monte Amiata in Toskana und hat sich jedenfalls in Teich- und Sumpfwasser gebildet. Doch be- steht, ebenso wie über die Entstehung des Ockers und Raseneisensteins, eine Kontroverse darüber, ob diese gelben Erden auf rein chemisch physi- kalischem Wege entstanden seien, oder ob Mikro- organismen bei ihrer Entstehung mitgewirkt haben. Als solche „Ockerbakterien" sind bisher haupt- sächlich Fadenbakterien in Betracht gezogen worden, wie Crenothrix, Cladothrix, Chlamydothrix (Lepto- thrix) usw. Bei der mikroskopischen Untersuchung von Rasenerzproben hat Molisch in einigen wenigen Fällen das Vorhandensein der rostroten Scheiden fädiger Eisenbakterien feststellen können; meist war nichts von ihnen nachzuweisen, und Molisch hat aus diesen Beobachtungen ge- schlossen, daß die Rasenerze in ihrer Mehrzahl nicht unter Mitwirkung von Bakterien gebildet worden seien. Andererseits ist von demselben Forscher nachgewiesen worden, daß zu den Eisen- bakterien nicht bloß fadenbildende Formen ge- hören; die von ihm zuerst beschriebene, obwohl sehr häufige Siderocapsa besteht aus Kokken, die in ihren Gallerthüllen große Mengen braunen Eisenhydroxyds ablagern. Nach den Untersuchungen von G. B. Petrucci ist die Bildung der Terra di Siena und anderer Eisenabsätze durch die Tätig- keit einer nicht fadenförmigen Bakterie herbei- geführt worden, die er Bacillus ferrigenus genannt hat, und die sowohl in der Natur wie in der Kultur Eisen zu oxydieren und in der Form von Hydroxyd niederzuschlagen vermag. Die Tätigkeit dieses Mikroorganismus zeigt sich mit größerer Inten- sität da, wo ein lebendes Substrat von grünen Algen und Diatomeen vorhanden ist. Nach Petrucci 's Ansicht ist die Entstehung der Eiseninkrustationen des Bodens und der Mauern, der Ockernieder- schläge der Gewässer und anderer Bildungen auf die Wirksamkeit dieses Bazillus zurückzuführen. Der B. ferrigenus bekleidet sich nicht wie die anderen Eisenbakterien mit einer Eisenoxydscheide. 572 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 36 Er schlägt das Eisen in Form von Eisenoxyd nieder, nachdem er es wahrscheinlich durch eine kolloide Phase hat hindurchgehen lassen. Es ist eine thermophile, sporenbildcnde Form, die gegen Wärme und gegen antiseptische, chemisch und physikalische Einflüsse ziemlich widerstandsfähig ist. Die alten Seen unterhalb des Monte Amiala, in denen die Terra di Siena entstand, hatten wahrscheinlich eine üppige Vegetation ; Diatomeen waren reichlich vorhanden ; Eisen wurde ihnen von dem Trachyt des Berges zugeführt, und auch die organischen Stoffe sowie die Temperatur, die zur Entwicklung des Bazillus nötig waren, fehlte nicht. Daß diese Bakterien in verhältnismäßig kurzer Zeit eine nicht geringe Menge von Eisen- hydroxyd niederschlagen können, zeigten Versuche, in denen eine sehr verdünnte Lösung von am- moniakalischem Eisencilrat mit Agarkulturen des B. ferrigenus geimpft wurde. In der mikroskoj^isch untersuchten gelben Erde fanden sich nur ein paarmal spärliche Bruchstücke der Scheiden von P^adenbakterien ; die meisten Erdteilchen sahen auch nicht so aus, als ob sie aus Fadenbakterien hervorgegangen wären: sie erinnerten vielmehr in ihrer Struktur an die Teilchen der Eisenoxyd- niederschläge, die sich in den Reinkulturen von B. ferrigenus bildeten, sowie an die Inkrustationen an Wasserpflanzen, die nach Molisch durch Siderocapsa hervorgerufen werden. Durch die Angabe von Vinassa de Regny, daß beim Zusammentreffen von Eisen hydroxyd in kolloidaler Lösung mit in Wasser suspendiertem Ton Eisen- oxyd niedergeschlagen und ein Ton- Ocker-Sediment gebildet werde, ist P e t r u c c i zu folgendem Ver- such veranlaßt worden, der seine Annahme von der allgemeinen Verbreitung der Eisenoxydbildung durch Bakterienwirkung stützen soll. Er fügte zu der oben erwähnten Eisenzitratlösung, die sterili- siert worden war, nichtsterilisierten feinzerteilten Ton aus der Umgebung von Siena. Der Inhalt einiger Versuchsgläser wurde nachträglich sterili- siert oder antiseptisch gemacht. In diesen Gläsern trat keine Veränderung ein. In den anderen aber kam ein Prozeß in Gang, durch den das Ferro- salz zuerst in den Zustand des Ferrisalzes und von da an in den Zustand des kolloidalen Hydroxyds überging, um endlich als Niederschlag zu Boden zu fallen. (Spuren von Fadenbakterien wurden in dem Niederschlage nicht gefunden.) Hieraus schließt der Verf., daß der „biologische" Prozeß der Eisen- oxydation auch in gewissen Böden vor sich gehe. Ferner spricht er die Vermutung aus, daß gewisse Eisenabsätze in Wasserleitungsröhren , die nicht auf die Wirkung der bekannten und verbreiteten fädigen Eisenbakterien zurückzuführen sind, mit dem Vorhandensein anderer Bakterien in Verbindung stehen. (Memorie della R. Accademia dei Lincei, 19 14, Ser. 5, VoL 10, Fase, i.) F. Moewes. Chemie. Die Hitzekoagulation der Eiweiß- körper. Beim Erhitzen pflegen wässerige Eiweiß- lösungen eine nicht-umkehrbare Zustandsänderung, die sog. „Hitzekoagulation" zu erleiden, die sich in einer Trübung der vorher klaren Eiweißiösung oder in einer Änderung in der chemischen und physiologischen Reaktionsfähigkeit des Eiweiß äußern kann. Die Temperatur, bei der diese Änderungen erfolgen, werden in der Regel als eine Art physikalischer Konstante, die für die betreffende Eiweißart charakteristisch sei, bt trachtet, obwohl schon im Anfange der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen worden ist, daß die Koagulationstemperatur in Wirklichkeit keine Konstante im eigentlichen Sinne des Wortes sei, ihr Wert vielmehr von den Versuchsbedingungen abhinge. In der Tat handelt es sich bei der Hitzekoagulation der Eiweißstoffe um zwei auf- einanderfolgende Reaktionen, nämlich erstens um einen chemischen V^organg, die Denaturicrung des Eiweiß, und zweitens um einen kolloidchemischen oder, richtiger gesagt kolloidphysikalischen Vor- gang, die Koagulation oder Agglutination des denaturierten Eiweiß. Beide Vorgänge, der eigentliche chemische Vorgang wie der kolloid- physikalische Vorgang, sind irreversibel, beide verlaufen nicht momentan, sondern bedürfen zu ihrem Ablauf einer gewissen Zeit, und beide werden von den äußeren Versuchsbedingungen, und zwar in verschiedener Weise, beeinflußt. Eine eingehende Untersuchung dieser komplizierten Vorgänge ist von Harriette Chick und C. J. Martin im Lister-Institut in London aus- geführt worden; der folgende Bericht schließt sich eng an die von diesen beiden Autoren in einer zusammenfassenden Arbeit in den Kolloidchemi- schen Beiheften (Bd. V, S. 49 bis 140; 19 13) ge- machten Angaben an. Daß es sich bei der Hitzekoagulation um eine Reaktion zwischen Eiweiß und Wasser handelt, beweist der Umstand, daß getrocknetes Eiweiß (kristallinisches Eieralbumin und Metliämoglobin) selbst bei fünfstündigem Erhitzen auf 120" C seine Wasserlöslichkeit behielt und bei vierstün- digem Erhitzen auf 130" C — wohl infolge einer sekundären Reaktion — erst zum kleinen Teil verlor. I. Die Denaturierung von Eiweiß. — Die Denaturierungsgeschwindigkeit des Eiweiß in wässeriger Lösung ist, sofern die Reaktion der Lösung sich während des Vorganges nicht ändert, in jedem Zeitmoment der Konzentration des noch nicht denaturierten Eiweiß proportional. Die Er- klärung für diese Tatsache liegt darin, daß die Konzentration des Wassers, das ja auch an der Reaktion teilnimmt, in wässeriger Lösung, auf die sich die von den beiden Autoren gemachten An- gaben allein beziehen, als konstant angesehen werden darf Von Säuren als auch von Basen, d. h. sowohl durch Wasserstoffion als auch durch Hydroxylion, wird die Denaturierungsgeschwindig- keit erhöht, vermutlich weil das Eiweiß als am- photerer Elektrolyt sowohl mit Säuren als auch mit Basen Salze bildet und Eiweißsalze leichter N. F. XIII. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 573 als freies Eiweiß denaturiert werden. Geht man bei der Denaturierung von einer annähernd neu- tralen Eiweißlösung aus, so bietet der Vorgang der Denaturierung aus folgenden Gründen ein wesentlich komplizierteres Bild ; In der nicht- denaturierten Lösung ist das Eiweißsalz wie die Salze aller amphoteren Elektrolyte zum großen Teil in Eiweiß und freie Säure, wenn in der neu- tralen Lösung das Eiweißsalz einer Säure, in Ei- weiß und freie Base, wenn das Eiweißsalz mit einer Base vorliegt, hydrolytisch gespalten. Bei der Denaturierung wird nun, wie bereits soeben bemerkt wurde , das Eiweißsalz rascher als das freie Eiweiß angegriffen, das hydrolytische Gleich- gewicht wird, da das denaturierte Eiweiß ausfällt, gestört, und es muß sich daher nach den Grund- gesetzen der Lehre vom chemischen Gleichgewicht neues Eiweißsalz bilden: die Konzentration des VVasserstoffions oder die des Hydroxylions in der Lösung nimmt ab, und damit sinkt auch die von der Konzentration des Wasserstoff- oder des Hydroxylions ja stark abhängige Denaturierungs- geschwindigkeit. Auch der Zusatz von neutralen Salzen hat — aus allerdings noch nicht befriedi- gend ermittelten Gründen — einen stark verlang- samenden Einfluß auf die Dcnaturierungsgeschwin- digkeit. Mit wechselnder Temperatur nimmt die Denaturierungsgeschwindigkeit und zwar nach einer logarithmischen Funktion stark zu. Der Temperaturkoeffizient ist ganz außergewöhnlich groß: Er hat für das Albumin den Wert 1,9 und für das Hämoglobin den Wert 1,3, während er für gewöhnliche chemische Reaktionen etwa den Wert 1,1 hat. Mit anderen Worten: Bei einer Temperatursteigerung von 10" C steigt die Denaturierungsgeschwindigkeit des Albumins auf das 1,9^"- ^ etwa 6oofache, Denaturierungsgeschwindigkeit des Hämoglobins auf das 1,3'"- = etwa 14 fache, die Geschwindigkeit einer gewöhnlichen chemischen Reaktion aber nur auf das i '"- = 2,5 fache. II. Die Agglutination des denaturier- ten Eiweiß. — Die Aggluiinierung des dena- turierten Eiweiß, ') d. h. der Zusammentritt der einzelnen Eiweißteilchen zu größeren, filtrierbaren Komplexen hängt, wie schon von anderen Autoren nachgewiesen worden ist, in erster Linie von der elektrischen Ladung der Teilchen ab: Aggluiinie- rung tritt in dem sog. iso elektrischen Punkt ein, d. h. dann, wenn die elektrische Ladung der Teil- chen gerade gleich Null ist. Eine rein wässerige ') Nicht denaturiertes Eiweiß koaguliert auch im iso- elelttrischeti Punkt nicht. Lösung von reinem Eiweiß reagiert schwach alka- lisch, und man bedarf daher, wenn man das Ei- weiß neutralisieren will, eines schwachen Säure- zusatzes. Bei Abwesenheit von Elektrolyten liegt der isoelektrische Punkt von denaturiertem Eiweiß bei einer Konzentralion von etwa 3-IO"'' normal H+. Die Anwesenheit von Elektrolyten übt auf die Agglutinierung einen sehr erheblichen Einfluß aus, und zwar einerseits deswegen, weil Neutral- salze die Konzentration der Wasserstoffionen in sauren, die der Hydroxylionen in alkalischen Lösungen nach bekannten Gesetzen verkleinern, andererseits deswegen, weil die Ionen der Neutral- salze in im einzelnen gegenwärtig noch nicht recht übersehbarer Weise von den Eiweißteilchen aufgenommen, „adsorbiert" werden und damit deren Ladung verändern. Außer der elektrischen Ladung ist von wesentlicher Bedeutung für die Aggluti- nierung noch die Temperatur. Für jede denatu- riertes Eiweiß enthaltende Lösung gibt es eine von der Reaktion der Lösung, von der Eiweiß- und von der Elektrolytkonzentration abhängige ,, kritische Temperatur", unterhalb deren überhaupt keine Agglutination stattfindet. Unmittelbar ober- halb dieser kritischen Temperatur übt eine kleine Temperatursteigerung einen großen Einfluß auf die Geschwindigkeit der Agglutinierung aus, mit steigender Temperatur aber wird dieser Einfluß kleiner und kleiner und nimmt bei weit oberhalb der ,, kritischen Temperatur" liegenden Tempera- turen einen konstanten Wert an, indem die Agglu- tinierungsgeschwindigkeit dann bei einer Tempe- ratursteigerung von 10" C regelmäßig um das 2- bis 5 fache steigt. „Aus diesen Ergebnissen geht hervor, so schreiben die beiden Autoren, daß es ganz un- richtig ist, einem Eiweißkörper eine bestimmte Koagulationstemperatur zuzuschreiben. Es ist ja richtig, daß Eiweißlösungen, welche unter ganz ähnlichen Bedingungen erhitzt werden, gewöhnlich bei oder in der Nähe einer bestimmten Tempe- ratur zu koagulieren beginnen ; es ist aber eine ganz irrtümliche Auffassung, die ,, Koagulations- temperatur" als eine physikalische Konstante des betreffenden Eiweißkörpers anzusehen. Dem hohen Temperaturkoeffizienten dieser Reaktionen ist es zuzuschreiben, daß die Bestimmungen der sog. Koagulationstemperatur von praktischem Nutzen gewesen sind. Eine wirkliche Unterschei- dung kann jedoch durch die Geschwindigkeit ge- geben werden, mit welcher ein Eiweißkörper bei einer bestimmten Temperatur und bei gleichen Bedingungen (Reaktion, Salzgehalt) koaguliert." Mg. Kleinere Mitteilungen. Drohende Ausrottung von Fischotter und w j- j ui- u 1 i j a T,. -j- — TT — ; — p . '^ macht, die der angeblich drohenden Ausrottung Fischroher? Bei den Vorbereitungen für das neue der fischereischädlichen Tiere, wie Otter, Reiher, preußische Fischereigesetz hat sich eine starke Eisvogel, vorbeugen will. Sind die Befürchtungen, Agitation der Naturschutzvereine bemerkbar ge- Otter und Reiher möchten durch die Nachstellun- 574 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 36 gen der Fischereiinteressenten gänzlich aus unserer Fauna verschwinden, wirklich berechtigt? Der Fischereiverein für Westfalen und Lippe zahlt, wie wohl die meisten Provinzialfischereivereine, Schuß- prämien für die Erlegung dieser Räuber, und zwar für jeden Otter 5 Mk., jeden Reiher 1,50 Mk. Die folgende Zusammenstellung gibt an, für wieviel Stück Otter und Reiher seit 1902 in jedem Jahre Prämien gezahlt worden sind. Jahr Fischotter Fischreiher Stück Siück 1902 40 12 1903 40 7 1904 43 15 1905 41 19 1906 35 56 1907 24 99 1908 18 77 1909 39 74 19IO 38 97 1911 26 67 I912 36 62 1913 23 94 Im aanzea in 12 jähren 403 67g Im Durchsclinilt 57 im Jahr 34 Es geht aus diesen Zahlen hervor, daß selbst in Westfalen, einem Lande, in dem die Verhält- nisse für Otter und Reiher keine günstigen sind, seit 1902 trotz starker, durch Schußprämien besonders geförderter Nachstellungen die Zahl der Otter und Reiher keineswegs abgenommen hat, sondern daß — von kleinen, durch nicht näher zu bestimmende Faktoren hervorgerufenen Schwan- kungen abgesehen — alljährlich stets etwa die gleiche Zahl dieser Tiere zum Abschuß gelangt. Eine Ausrottungsgefahr für Reiher und Otter be- steht wenigstens in Westfalen nicht. — Die Ver- eine zum Schutze der Naturdenkmäler arbeiten leider nicht selten mit Schlagworten, die einer schärferen Kritik nicht standhalten. Es wäre sehr zu bedauern, wenn die stellenweise schon hervortretenden unberechtigten Auswüchse der Naturschutzbewegung der an sich so guten Sache Abbruch täten. Thienemann (Münster i. W.) Fremdkörper in Vogeleiern. Als ich vor einigen Monaten auf einer Fußwanderung im Wirtshause eines kleinen Gebirgsdorfes frisch gekochte Eier verlangte, brachte mir die Frau zwei Hühnereier und ein Entenei — ihren ganzen derzeitigen Vorrat. An dem Entenei bemerkte ich ein kleines Haar und suchte dasselbe durch Wischen und Reiben mit dem Finger zu entfernen, es widerstand aber allen meinen Bemühungen. Bei näherer Unter- suchung sah ich, daß das Haar durch die Schale hindurch ging und auch auf der entgegengesetzten Seite des Eies ein kleines Ende desselben hervor- sah. Ich konnte mir nicht vorstellen , daß das Haar, wie es den Anschein hatte, auch durch das Innere des Eies ging und war deshalb sehr er- staunt, nach dem Ablösen der Schale zu sehen, daß dieses doch der Fall war. Es zog sich durch Schale und Eiweiß dicht an der oberen Rundung des Dotters vorüber und trat auf der entgegen- gesetzten Seite durch die Schale wieder heraus. Um dieses interessante Stück aufzubewahren und Sachkennern vorzulegen, versuchte ich die Schale zu erhalten, doch sie war, durch den wohlgemein- ten Eifer der Wirtin, zu sehr beschädigt und zerfiel zu meinem größten Bedauern in kleine Stücke. Die Frau hatte, um mir das Schälen der Eier zu erleichtern, die Schalen mit dem Messerstiel ge- klopft. Ein anwesender Herr, anscheinend ein behäbiger Gutsbesitzer, welcher mir zugesehen hatte, und sich sehr für die Sache interessierte, teilte mir mit, er habe vor längeren Jahren ein Weizenkorn im Eiweiß eines gekochten Hühnereies gefunden. Da er gewußt habe, von welcher Henne das Ei stammte, habe er aufgepaßt und bemerkt, daß sich dieser eigentümliche Vorfall bei von derselben Henne gelegten Eiern in längeren Zwischenräumen mehr- mals wiederholte. Er habe viel darüber nach- gegrübelt, wie die Körner in die Eier gekommen sein könnten, doch des Rätsels Lösung nicht ge- funden. Auch eine Untersuchung der später ge- schlachteten Henne habe kein Resultat ergeben. Ich kann mir diese Vorgänge auch nicht er- klären — vielleicht kommt von berufenerer Seite eine Aufklärung dieser eigentümlichen Natur- erscheinung, 'j _ Tii. Reineck. ') Vgl. diese Wochcnschr. Bd. XIII (N. F.) S. 3S4, wo unter „.Anregungen und .\nt\vorten" aus der Beantwortung der Frage: „Sind Hühnereier in ihrem Innern bakterienfrei?" auch die Aufklärung über die oben geschilderte Erscheinung her- vorgeht. Die Redaktion. Bücherbesprechungen. Tornquist , Prof. Dr. A. , Die Wirkung der Sturmflut vom 9. bis lo. Januar 1914 auf Samland und Nehrung. S. A. aus den Schriften der Physik.- Ökonom. Gesellschaft zu Königsberg i. Pr. LIV. Jahrg., 19 13 III. B. G. Teubner, 19 13. Nachjeder großen Sturmflut setzt begreiflicher- weise ein intensives Studium der Veränderungen ein, die die Küste durch Landabbruch oder Land- gewinn genommen hat. Kann doch nur durch genaueste Kenntnis des Vorganges gehofft werden, Vorkehrungen ausfindig zu machen, um den Zer- N. F. XIII. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 575 Störungen der Sturmfluten vorzubeugen. Die Arbeit von Tornquist aber gewinnt dadurch an Wert, weil die Beobachtungen unmittelbar nach dem Naturereignis einsetzten. Am 9. und 10. Januar 1914 war die Flut, am 13. Januar schon war er mit den Herren des geologischen Institutes im Felde und konnte die Sturnnvirkungen studieren, da außerdem noch Frost Veränderungen sekundärer Art verhindert hatte. Ein Sturm aus NW, der das überhaupt schon hohe Wasser der Ostsee gegen die Küste drängte, schlug abends in NNE-Orkan um. Das angestaute Wasser wurde in hohen Wellen gegen die Küste getrieben und rief jetzt Zerstörungen hervor, von denen die Ab- bildungen ein klares Bild geben. Verstärkt wurden sie durch eine Brandungsvereisung. Es wurden typische Abrasionsformen geschaffen, die im ein- zelnenbeschrieben werden, und denen I icoooocbm Gestein zum Opfer fiel. Außerdem wurde durch Zerstörung von Dünen 850000 cbm Sand ver- loren, so daß an der 170 km langen Küste im ganzen 2 Mill. cbm Land verlagert wurden. Da- gegen gab das Meer für 49726,60 Mk. Bernstein her. Besonders haben die Buhnen sich als vor- züglicher Küstenschutz erwiesen. W. Behrmann. Eckardt, Dr. Wilh. R., Praktischer Vogel- schutz. 90 Seiten und 48 Abbildgn. Leipzig, Verlag von Theod. Thomas. — Preis geh. i Mk. Es ist ein erfreuliches Zeichen dafür, daß der Vogelschutz in unserem Vaterland immer mehr an Bedeutung gewinnt, daß fast jedes Jahr neue Vogelschutzbücher auf den Büchermarkt kommen. Doch ist es andererseits bei der Fülle des bereits dargebrachten Materials nicht leicht, dem Vogel- schutz wieder eine neue Seite abzugewinnen , so daß sich die Berechtigung einer weiteren Arbeit ergibt. Der Verfasser des vorliegenden Buches ist aber, das spürt man bald, nicht nur Verarbeiter anderer Forschungen, sondern auch selbst Praktiker. Wo er von den Nisthöhlen für Höhlenbrüter, von der Zurichtung des Gebüsches für Freibrüter, von Winterfütterung spricht, überall kann er dem aus anderen Werken Wiedergegebenen eigene Erfah- rungen an die Seite stellen, so z. B. über die Schaffung von Nistgelegenheiten für den Baum- läufer. So wird auch der Kenner aus diesem Buch manches Neue lernen, und das um so mehr, als die ganze Darstellung in wohltuend sachlicher Form gehalten ist. Alles in allem, ein sehr emp- fehlenswertes Buch, dem wir für eine Neuauflage nur noch eine Liste der wichtigsten Vereine, so- wie einen Hinweis auf den deutschen Vogelschutz- tag wünschen, in dem jetzt alle zwei Jahre das im Vogelschutz Erreichte durchgesprochen und gefestigt wird. K. Guenther. Brücke, E. Th. v., Über die Grundlagen und Methoden der Großhirnphysio- logie. (Nach einer am 18. Dezember 191 1 an der Universität Leipzig gehaltenen Antrittsvor- lesung). Sammlung anatomischer und physio- logischer Vorträge und Aufsätze. Herausgegeben von Prof. Dr. E. Gaupp und Prof Dr. VV. Tren- delenburg. Heft 24. Jena 1914, G. Fischer. — 50 Mk. Verfassersteht ganz auf dem Boden des psycho- physischen Parallelismus, wonach jede psychische Tätigkeit durch eine Veränderung der physiolo- gischen Grundlage verursacht wird. Entsprechend dem Gesetz von der Eindeutigkeit der Natur- vorgänge (Petzoldt) ist das Resultat mit den Va- riabein gegeben ; ist deren Zahl entsprechend groß, so kann eine Tätigkeit willkürlich erscheinen, wie denn auch selbst die F'achphysiologen noch zwischen willkürlichen und reflektorischen Tätigkeiten unter- scheiden, obschon doch in letzter Linie alle Lebens- erscheinungen reflektorischer Natur sind. Da sie, wie alle, auf die Erhaltung des Lebens hinaus- laufen, erwecken sie den Eindruck der beabsich- tigten Zweckmäßigkeit. Der Petersburger Physiologe P. Pawlow hat eine Methode eingeführt, welche es erlaubt, die stattgefundene Reizung eines Sinneszentrums, frei von jeder anthropomorphistischen Deutung fest- zustellen. Es wird eine Speicheldrüsenfistel an- gelegt ; die infolge einer reflektorischen Reizung der Speicheldrüsennerven gesteigerte Absonderung dient als Index für einen jeweils durch ein Sinnes- organ oder durch einen beliebigen zentripetalen Nerven der Großhirnrinde zugeleiteten Reiz. Der dem Tiere angeborene „unbedingte" Reflex wird durch einen Nahrungsbissen ausgelöst, indem der- selbe die Endigungen der Geschmacksnerven in der Muudhöhlenschleimhaut reizt. Ein „bedingter" Reflex kann dem Versuchstier anerzogen werden. Erhält z. B. ein Hund jedesmal beim Erklingen eines bestimmten Tones Futter, so wird nach 20 — 30 maliger Wiederholung der Ton allein den Reflex der Speichelabsonderung auslösen. ^) Selbst Schmerzempfindungen, die sonst eine Abwehr- bewegung veranlassen, können in dieser Weise benutzt werden. Eine Ausnahme macht indes das Periost, bei dessen Reizung die Abwehr- bewegungen überwiegen. Die Pawlow'sche Methode gestattet auch die Höhe der Reizempfindlichkeit eines Sinnes- organs zu prüfen. So unterscheidet z. B. der Hund Töne, deren Höhe um weniger als einen ganzen Ton differiert und hört solche, deren Schwingungs- zahl höher ist (70 — 80000 Schwingungen pro Sek.) als die eines für das menschliche Ohr wahrnehm- baren Tones (bis 20000). Die Erforschung der Funktionen des Groß- hirns an einem hoch entwickelten Säugetier er- ') Diese Versuche erinnern lebliaft an das gelegentlich der Debatte über den Hörsinn der Fische viel erörterte Ver- halten der Fische im Teich des Klosters Kremsmünster in Oberösterreich, die auf ein Glockensignal hin zur Futterstelle eilen. Ob dabei freilich die in der Luft erzeugten Schall- wellen oder die Erschütterung des Bodens durch die Schritte des Glöckners den reflexauslösenden Reiz bilden, wird durch das Verhalten der Fische nicht entschieden, ist übrigens auch für unseren Fall gleichgültig. 576 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 36 scheint v. B. gerade heute von großer Wichtigkeit. „Wiederholt haben wir ja in den letzten Jahren sehen müssen, daß Männer der Naturwissenschaft märchenhafte psychische Fähiglceiten bei Pferden für möglich hielten. Vielleicht werden uns ein- wandfreie Untersuchungen der ,, bedingten" Reflexe beim Pferde einen in einer bestimmten Richtung auffallend hoch entwickelten Analysator kennen lehren, der für die Leistungen der ,, gelehrigen" Pferde mi'.bestimmend war, so weit hier nicht viel gröbere Irrtümer vorliegen." V. B. meint, dieselbe Methode, welche zur Er- forschung der physiologischen Vorgänge in den Sinnesorganen diene, könne auch zur Ergründuiig der physiologischen Korrelate höherer psychischer Vorgänge benutzt werden. Kathariner. Die erste Integralrechnung, eine Auswahl aus Johann B e r n o u 1 1 i ' s Mathematischen Vor- lesungen über die Methode der Integrale und Anderes. Aus dem Lateinischen übersetzt und herausgegeben von Dr. Gerhard Kowa- lewski. Bd. 194 von Ostwald's Klassikern der exakten Wissenschaften, kl. 8". 187 S. mit 1 19 Textfiguren. Leipzig und Berlin 1914, Verlag von Wilhelm Engelmann. — Preis gut kartonniert 5 Mk. Wenn auch der Begriff des Integrals sich schon bei Leibnitz und bei Newton findet und das Wort „Integral" selbst schon von Jacob Ber- noulli gebraucht worden ist, so spielt doch das von Johann Bernoulli, dem jüngeren Bruder des eben erwähnten Jacob Bernoulli, in den Jahren 1691 und 1692 für seinen Schüler, den Marquis d'Hospital niedergeschriebene Werk ,,De methodo integralium" als erstes eigentliches Lehr- buch der Integralrechnung in der Geschichte der Mathematik eine wichtige Rolle. Seine von Gerhard Kowalewski besorgte und durch eine Reihe nützlicher Anmerkungen bereicherte Neuausgabe muß daher als eine wertvolle Be- reicherung der verdienstvollen O s t wald ' sehen Sammlung allen denen, die sich für die Geschichte der Mathematik interessieren, empfohlen werden. Auch dem mathematisch weniger Geschulten kann die Lektüre des Büchleins angeraten werden , da das Verständnis der abstrakten mathematischen Vorstellungen nach Ansicht des Referenten durch nichts so gefördert wird wie durch die Lektüre jener guten älteren Werke, deren Autoren noch selbst mit dem Stoff zu ringen hatten. Clausthal i. H. Werner Mecklenburg. Fester, Dr. Gustav, Die chemische Tech- nologie des Vanadins. Bd. XX der Samm- lung chemischer und chemisch technischer Vor- träge, herausgegeben von Prof. Dr. W. Herz. 79 Seiten. Mit 3 Textabbildungen. Stuttgart 1914, Verlag von Ferd. Enke. Das Vanadin gehört zu den Elementen, die, wie die seltenen Erden, die Wandlung von der „wissenschaftlichen Kuriosität" zum wertvollen Objekt der Technik durchgemacht haben. Nach- dem man erkannt hatte, daß geringe Vanadin- zusätze die Qualität des Stahls in hohem Maße verbessern , wurde dieses Element in großen Mengen in Nord- und Südamerika aufgefunden. Die Wichtigkeit des Vanadins für die Technik (auch die therapeutische Verwendung scheint Be- deutung zu erlangen) rechtfertigt die vorliegende, klar und übersichtlich geschriebene Technologie des Vanadins, die eine erwünschte Ergänzung der in der gleichen Sammlung erschienenen Abhand- lung von Ephraim (Das Vanadin und seine Verbindungen, Bd. IX, 1904) darstellt. Wir finden in dem F"e st er 'sehen Buche eine historische Einleitung, eine Besprechung der wichtigsten Vor- kommen des Vanadins, Bemerkungen über Nach- weis und quantitative Bestimmung, einen Ab- schnitt über die Verwendungsmöglichkeiten des Vajiadins und seiner Verbindungen, und eine aus- führliche Zusammenstellung der älteren und neueren Methoden zur Verarbeitung von Vanadinerzen. Günther Bugge. Literatur. Haubcrrisscr, Dr. Georg, Herstellung photographi- scher Vergrüßerungen. Mit 50 Abbild, u. 2 Tafeln. Leipzig '14, Dr. Licsegang's Verlag M. Eger. Geb. 3 Mk. Mahne, Friedrich, Leitfaden der Filmphotographie. Ebenda. Geb. 2,50 Mk. Dähne, Major August, Bausteine zur Flugbahn- und Kreiselthcorie. Mit 5 Textfiguren. Berlin '14, Eisenschmidt. 1,50 Mk. West eil, W., Percival, Bird Studies in twenty-four les- sons. Cambridge '14, University Press. Becker, A. und Ram sa u e r , C, Über radioaktive Meß- methoden und Einheiten. Aus dem radiologischen Institut der Universität Heidelberg. Mit einem Vorwort von F. Lenard. Heidelberg '14, C. Winter. 80 Pf. Hegg, Dr. med. Emil, Das Ewige im Zeitlichen. Eine naturwissenschaftliche Formulierung. Bern '14, A. Francke. 2,40 Mk. Nußbaum, M., Karsten, G., Weber, M., Lehrbuch der Biologie für Hochschulen. 2. Aufl. Mit 252 Textabbild. Leipzig und Berlin '14, W. Engelmann. Geb. 13,25 Mk. Jecck, Dr. B., Aus dem Reiche der Edelsteine. Mit 8 Bilderbeilagen und 8 Textfiguren. Prag '14, E. Weinfurter. 3 Kr. Inhalt; Guenthcr; Physiognomik der Tropenlandschaft. Mengel: Über den Chemismus der alkoholischen Gärung. — Einzelberichte: Ficado: Die Bromelienfauna von Costa-Rica. Kerschbaum: Das neue Röntgenrohr nach Coolidge. Pe trucc i ; Entstehung der Terra diSiena durch Bakterienwirkung. Chick und Marlin : Die Hitzelioagulation der Eiweiß- körper. — Kleinere Mitteilungen: Thienemann: Drohende Ausrottung von Fischotter und Fischreiher? Reineck: Fremdkörper in Vogelciern. — Bücberbesprcchungen : Tornquist: Die Wirkung der Sturmflut vom 9. — 10. Januar 1914 auf Saniland und Nehrung. Eckardt: Praktischer Vogelschutz, v. Brücke: Über die Grundlagen und Methoden der Großhirnphysiologie. Die erste Integralrechnung. Fester: Die chemische Technologie des Vanadins. — Lite- ratur ; Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. II. Miehe in Leipzig, Marienstrafie IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schcn Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzen Reihe 29. Bai Sonntag, den 13. September 1914. Nummer B7. Goethe's naturwissenschaftliche Sammlungen im Neubau des Goethehauses zu Weimar. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. Vor den Ostertagen wurde die Aufstellung von Goethes naturwissenschaftlichem Nachlaß in dem schönen mit Staatsmitteln ausgeführten Anbau des Goethehauses in Weimar vollendet. In sehr geschickter Weise hat man vermieden, das alte Goethehaus durch diesen Anbau in irgendwelcher Weise zu benachteiligen. Der Neubau ist ein selbständiges Haus im altweimarcr Stil, und es ist A. Hansen. als Andenken an diesen außerordentlichen Genius die Besucher erfreuen, sondern sie werden die Mission für das geistige Weimar, ja für das ganze Deutsch- land erfüllen können, welche Goethe für seine mit Plan und Absicht angelegten Sammlungen vor- ausgesehen hat. Ein groser Saal von einfach vor- nehmem Eindruck hat in stilvollen Schränken die kostbare Majolikasammlung, die Broncen, die ihm von außen die Verbindung mit dem alten Goethehause gar nicht anzusehen. Unter der Leitung W. von Oettingens sind in fünf schönen und stimmungsvollen , hellen und ge- räumigen Sälen Goethes bisher im alten Goethe- hause sehr unvorteilhaft verstauten Sammlungen so aufgestellt worden, daß sie besichtigt und studiert werden können. So werden endlich diese von Goethe mit Recht als mannigfach und be- deutsam bezeichneten Sammlungen nicht bloß reiche Sammlung von Medaillen und Münzen und die antiken Gegenstände, Vasen, Lampen usw. aufgenommen. Der anstoßende, nach dem Garten zu gelegene Saal ist ganz von dunkeln Schränken umgeben, die durch einzelne unter Glas gefaßte Stiche belebt werden. Ein mächtiger Tisch von Stühlen umgeben kennzeichnet ihn als Studiersaal. In den Schränken usw. ist die gewaltige Sammlung der vielen tausend Handzeichnungen Goethes, der Kupferstiche, Lithographien, Silhoueten geborgen, 578 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 37 Schätze die bislier gar nicht zugänglich waren, von Oett Ingen und Dr. Kröber haben diese Sammlungen geordnet und es läßt sich erst jetzt ihr Wert übersehen. Fig. I. Commeliüa communis L. Fig. 2. Helenium quadridentatum. die da natur- sie in Am schlimmsten waren bisher wissenschaftlichen Sammlungen daran Bodenräumen des Goethehauses zum Teil in alten Schränken und Schubladen sehr mangelhaft unter- gebracht und den Blicken entzogen waren. Bedauer- lich genug, denn wenn ein Goethe seiner Aussage nach an jedem Stück etwas gelernt hat, so sind auch diese Gegenstände heute noch von lehr- haftem Wert. Ihnen sind im Obergeschoß des Neubaues drei helle und geräumige, einfach ge- tönte Säle eingeräumt, die sofort den Eindruck eines gut ausgestatteten naturwissenschaftlichen Museums machen, so daß man hier den Dichter vollkommen verspürt. Die Frage, ob Goethe auch Naturforscher gewesen sei, wie eine Literatur be- hauptet, während andere das bezweifeln möchten, ist hier durch Anschauung endgültig im bejahen- den Sinne zu beantworten. Vier Spezialisten, Prof Sem per aus Aachen (Geologe), Dr. Lehrs Fig. 3. Rudbeclh)'siologischer Vorträge und Auf- sätze. Herausgegeben von Prof. Dr. E. Gaupp und Prof. Dr. W. Trendelenburg. H. 23 (2. Bd., H. 10). Jena 1914, Gustav Fischer. — Preis —,60 Mk. Wenn auch die Zellen der Vielzelligen als Teile des Gesamtorganismus viel von ihrer Selb- ständigkeit verloren haben, so haben sie dieselbe doch nicht vollständig eingebüßt. Aus dem Ver- band gelöst vermögen sie unter günstigen Be- dingungen eine Zeitlang weiter zu leben. Am deutlichsten ist die Individualität derjenigen Zellen, die in tierischen Flüssigkeiten vorkommen. Vor allem ist dies der Fall bei den männlichen Keim- zellen und den weißen Blutkörperchen. Bei der Bienenkönigin bleiben die beim Hochzeitsflug auf- genommenen Samenzellen mindestens 3 Jahre am Leben, bei der Fledermaus vom Herbst bis zum nächsten Frühjahr. Auch Stücke menschlicher und tierischer Gewebe haben unter Umständen eine erstaunliche Uebenszähigkeit. Die Bewegung an Flinmierzellen überdauert bei Schildkröten den Tod des Tieres wochenlang; die Rachenschleim- haut des Frosches, in den Rückenlymphsack eines anderen Tieres eingebracht, bildet kugelige Zellen- komplexe, die durch Wochen hindurch weiter leben. Das Überleben von Stücken der Haut und der Knochenhaut wird chirurgisch längst praktisch verwertet. Das Herz eines drei Monate alten, an Lungenentzündung gestorbenen Knaben, 20 Stunden nach dem Tode aus der Leiche ge- nommen und von der Aorta aus mit Locke- scher Flüssigkeit durchströmt, fing wieder an zu pulsieren und arbeitete über eine Stunde ziemlich regelmäßig weiter. Andere von Kuliabko am Herzen angestellte Versuche zeigten, daß an den Vorhöfen und den Kammern rhythmische Pulsationen noch 30 Stunden nach dem Tode hervorgerufen werden können. Es kann demnach die individuelle Überlebensdauer auch bei den gleichartigen Ge- weben desselben Organs schwanken. Selbst die Zellen eines Gewebes sind individuell ver- schieden widerstandsfähig, wie sich namentlich aus Beobachtungen am Flimmerepithel ergibt. Bei der Kultur kleiner Partikel embryonalen Ge- webes in einem Tropfen Lymphe unter dem Deck- glas, wo es bis vier Wochen lebend blieb, sah Harrison aus Zellen der Myotonie querge- streifte Muskelfasern entstehen. Aus Zentralnerven- zcllen wuchsen Achsenzylinder hervor. „In rascher Folge erschienen dann die Mit- teilungen insbesondere von CarrelundBurrows, Lambert und Hanes, Ruth, Weil, Oppel, Hada, Dilger, Champy u. a. über die ver- schiedensten explantierten Gewebe und Organe nicht nur von Embryonen, sondern auch von er- wachsenen Tieren, so daß wir heute über das Verhalten nahezu aller Organteile im Explantate bis zu einem gewissen Grade unterrichtet sind." Es fragt sich nun, ob man es bei der Gewebs- kultur mit einer wirklichen Kultur von Geweben oder mit Überlebenserscheinungen zu tun hat. Im ersten Fall müßte das explantierte Gewebe nicht nur weiter leben, sondern es müßten auch neue Zellen gebildet werden von der gleichen Art, wie sie für das betreffende Gewebe charak- teristisch ist. Bezüglich des Überlebens besteht kein Zweifel. Je nach der Art des Gewebes, des Kulturmediums, dem Alter des Tieres usw. bleibt das Explantat 3 — 15 Tage lang am Leben. Carrel gelang es, mit seiner „Methode des alter- nierenden Lebens" das Leben des Explantats wesent- lich zu verlängern. Eine Phase des sichtbaren Lebens im Kulturmedium und Wärmeschrank wechselt mit einer Phase des latenten Lebens in Ringer- scher Lösung und in Kälte. Embryonales Bindegewebe wurde so zwei Monate lang am Leben erhalten und Stücke des Herzmuskels pul- sierten noch länger als drei Monate. Amöboide Zellbewegungen blieben gleichfalls lange Zeit er- halten. Das Herz zeigte noch rhythmische Kon- traktionen, die Aufnahme von PVemdkörpern wurde an Zellen der Hühnermilz beobachtet. Was die Zellvermehrung durch Teilung anbelangt, so sind die Meinungen darüber geteilt. Mitosen im Ex- plantat brauchen nicht auf einem wirklichen Wachs- tum zu beruhen, da sie schon vor der Explantation vorhanden gewesen sein können. Ein wirkliches Wachstum ließe sich nur durch eine genaue Zählung der Zellen feststellen. Die dritte Frage, ob die neugebildeten Zellen bezüglich ihrer Form, Funktion und Lagerung für den explantierten Organteil charakteristisch sind, wird von den meisten Autoren verneint. Durch die Teilung sollen Bindegewebszellen entstehen , die regellos in das Nährmedium hineinwachsen. Die durch Mitose neugebildeten Zellen sind indifferente Zellen und haben auch nicht die für das Mutter- organ charakteristische Anordnung. Wenn man sonach auch nicht von einer eigent- lichen Kultur des Explantats sprechen kann, so ist die Methode doch von größtem Wert für das Zellstudium. Kathariner. Fuchs, C. W. C, Anleitung zum Bestim- men der Mineralien. 6. Aufl. Neu be- arbeitet von R.Braun s. gr. 8". 223 S. 27 Abb. im Text. Gießen 191 3, Alfred Töpelmann. — Preis geh. 4,50 Mk., geb. 5 Mk. Die vorliegende 6. Auflage des bekannten Buches ist in allen Teilen durchgesehen, ergänzt und verbessert. Eine besondere Erweiterung er- fuhr der Abschnitt über die mikrochemische Ana- lyse. In den Bestimmungstafeln nach äußeren Eigenschaften und einfachen chemischen Reaktionen 59° Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 37 sind noch mehr als in den früheren Auflagen die kristaliographischen Zeichen und Winkelvverte ge- strichen, da bei diesen Bestimmungen vorzugs- weise derbe Mineralien zur Benutzung gelangen. Dafür sind einige Winkelwerte in einem 5. Teile zusammengestellt. Eine besondere Empfehlung des verbreiteten Buches erübrigt sich. K. Andree. Franke, H. , Die Umrisse der Kristall- flächen und die Anfertigung von Kri- s taUm odcllen. 4". iii S. Stuttgart 191 3, F'erd. Enke. Verf. behandelt die Aufgabe, den Umriß einer Kristallfläche zu finden, die von irgendwelchen anderen Flächen desselben Kristalls begrenzt wird, und bietet zu diesem Zweck eine Anzahl Hilfs- tafeln, mit deren Benutzung die gesuchten Umrisse konstruiert werden können. Von den Beweisen ist überall abgesehen, denn der Zweck des Ganzen ist die Benutzung in der mineralogischen Praxis. Dementsprechend bildet der Abschnitt über die Anwendungen den Hauptteil der Darstellung. Der Empfehlung des Verfassers zum eigenen Ent- werfen und Anfertigen von Kristallmodellen kann man nur zustimmen. K. Andree. Rüst, E., Grundlehren der Chemie und Wege zur künstlichen Herstellung von Naturstoffen. 138 S., Leipzig u. Berlin 1914, Verlag von B. G. Teubner. — Preis 1,60 Mk., geb. 2, Mk. Der Verfasser dieses Büchleins gibt eine popu- läre Darstellung der wichtigsten theoretischen Grundlagen der Chemie und daran anschließend einen Überblick über die chemisch-technische Synthese der Naturstoffe. Aus dem vielseitigen Inhalt seien folgende Kapitel erwähnt : Chemische Grundgesetze — Atom- und Molekulartheorie — chemische h'ormeln — unorganische Naturstoffe und ihre Herstellung (Salpeter, Pottasche, Soda, Ammoniak, Mineralfarbstoffe, Edelsteine) — or- ganische Stoffe und ihre Synthese — künstliche Herstellung organischer Naturstoffe (Pflanzenfarb- stoffe, Arzneimittel, Riechstoffe, Kampfer, Kaut- schuk, Eiweißstoffe). Die Aufgabe, dieses weite Gebiet von Tatsachen aus der theoretischen und technischen Chemie auf beschränktem Raum „populär" zu behandeln, führt naturgemäß leicht zu Kompromissen hinsichtlich der Art der Dar- stellung, so daß manchmal die Klarheit des Aus- drucks unter dem Streben nach allgemeiner Verständlichkeit leiden muß. Beispielsweise ließe sich die Diskussion der Begriffe ,, Stoffe", „Ver- bindungen", ,, Elemente" usw. wohl etwas präg- nanter geben, als es im vorliegenden Buch ge- schehen ist. Andererseits kann man verschiedener Ansicht darüber sein, ob die Erörterung spezieller organischer Probleme (wie z. B. Konstitutions- bestimmung beim Kampfer) nicht etwas über den Rahmen eines Buches, das sich an „Leser ohne be- sondere chemische Vorkenntnisse" wendet, hinaus- geht. Von diesen Einwänden abgesehen, möchte ich das Buch deshalb empfehlen, weil es dem Leser durch zahlreiche statistische Angaben über Produktion, Einfuhr und Ausfuhr, Preise usw. einen guten Begriff von der volkswirtschaftlichen Be- deutung der Chemie gibt. Günther Bugge. Bjerrum, Dr. Niels, Die Theorie der alkali- metrischen und azidi metrischen Ti- trierungen. Bd. XXI der Sammlung chemi- scher und chemisch-technischer Vorträge, heraus- gegeben von Prof Dr. W. Herz. 128 Seiten, mit 1 1 Textabbildungen. Stuttgart, Verlag von F'erd. Enke. Die analytisclie Chemie hat, hauptsächlich durch das Verdienst Wilhelm Ostwald's, längst das Stadium roher Empirie überwunden, und immer mehr werden — vor allem im Unterricht — ihre durch die Fortschritte der elektrolytischen Disso- ziationstheorie bedingten wissenschaftlichen Grund- lagen betont. Auch das vorliegende Buch, das aus Vorlesungen des Verfassers an der Universität Kopenhagen hervorgegangen ist, gehört zu den Arbeiten, die zum Ausbau des theoretischen Ge- bäudes der analytischen Chemie beitragen sollen. Der Verfasser gibt zunächst eine elementare Dar- stellung der Grundbegriffe der Titrationslehre (Stärke von Säuren und Basen, Hydrolyse usw.), erörtert dann die Lehre von den Indikatoren und behandelt schließlich eingehend die eigentliche Titrierungslehre. Einen wesentlichen Teil des letzten Abschnittes nimmt die Frage nach der Genauigkeit der Titrierungsmethoden ein. Bei der großen Bedeutung, welche die Titrierungsmethoden nicht nur für die reine Chemie, sondern auch für die Technik haben, wird eine Klarlegung ihrer Theorien wie die vorliegende sicher zahlreiche Leser finden. Günther Bugge. Gebhardt, Paul, Mit der Kamera aufReisen. Ed. Liesegang's Verlag, M. Eger, Leipzig. Mit 38 Abb., Belichtungstabelle usw. — 2,50 Mk., geb. 3 Mk. Das Buch ist mit großer Sorgfalt bearbeitet und kann unseren Lesern zur bevorstehenden Reise- zeit warm empfohlen werden ; auch die speziellen Zwecke des naturwissenschaftlichen Photographen sind kurz berücksichtigt. Zum ersten Male sind hier die Zollverhältnisse und Photographieverbote aller Länder zusammengestellt; es wird hierdurch eine oft empfundene Lücke der photographischen Lite- ratur ausgefüllt. Gustav Blunck. Rinne, F., Gesteinskunde. Für Studierende der Naturwissenschaft, F"orstkunde und Land- wirtschaft, Bauingenieure, Architekten und Berg- ingenieure. 4., vollständig durciigearbeitete Auf- lage. Leipzig, Max Jaenecke, 1914. 4", 336 S., I Tafel (Titelbild), 451 Abb. im Text. — Preis geb. 14 Mk. Ein Buch, welches sich, wie die Rinne'sche Gesteinskunde in so vieler Hinsicht, nicht nur für N. F. Xm. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 591 den Gebrauch des Studierenden, sondern auch den der Lehrenden bewährt hat, wird mit jeder neuen Auflage um so freudiger bcgriißt, wenn man beim Durchblättern derselben überall die bessernde I land des Autors verspürt, welche hier Zusätze machte, dort die Darstellung im Interesse einer wissen- schaftlichen V^ertiefung erweiterte und den Fort- schritten der modernen Wissenschaft anpaßte. Ein solches Buch bedarf keiner besonderen Empfeh- lung; und es mag hier nur darauf hingewiesen sein, in welcher Weise der Verf die Darstellung er- weitert hat. In der Überzeugung, daß die weiter- gehende Anwendung der physikalischen Chemie von Nutzen sei, sind einfache Lehren dieser Wissen- schaft noch mehr als früher vielen Betrachtungen zugrunde gelegt, was besonders der Erkenntnis der Bildung der Ausscheidungssedimente, der Salze, zugute kommt. Umgekehrt aber fuhren die Er- fahrungen, welche die Wissenschaft bei der che- misch-physikalischen Lhitersuchung der Verhältnisse dieser Gesteine machen konnte, zu einem besseren Verständnis der Erscheinungen der Eruptivgesteine. Ein gleiches Verhältnis besteht übrigens zwischen der modernen, ebenfalls auf der physikalischen Chemie beruhenden IWelallographie und Eruptiv- gesteinskunde; und wir finden dementsiirechend im Anschluß an die Eruptivgesteine eine sehr klare Darstellung über die Meteoriten. Sehr lesens- wert ist auch das Kapitel über die Entstehung der kristallinen Schiefer, in welchem die neuesten Erkenntnisse auf dem Gebiete des Gesteinsmeta- morphismus Berücksichtigung fanden. Nach alledem wird es nicht ausbleiben, daß das Buch sich seine alten Freunde bewahrt und neue hinzugewinnt, zumal auch die zahlreichen Abbildungen, ohne die ein solches Buch nicht denkbar wäre, auf bewährter Höhe stehen. Der Vorzug, welcher im nachstehenden Referat der W einschenk'schen Gesteinskunde nach- gerühmt wurde, die glückliche Art der Gliederung des Stoffes, gilt ebenso für das Rinne' sehe Buch. K. Andree. Die Lieferung 164 der geologisch - agrono- mischen Karte von Preußen und benachbarten Bundesstaaten umfaßt mit den Blättern Barby, Zerbst, Aken, Wulfen und Cöthen einen Teil des Herzogtums Anhalt und der Provinz Sachsen. Die auf den Blättern vertretenen Formationen sind Culm (?) bei Paschleben (Blatt Cöthen), Rot- liegendes und Zechstein, auf dessen Kupferschiefer früher mehrfach vergeblich ein Abbau versucht worden ist. Von der Trias tritt nur der untere Buntsandstein zutage, während IVIuschelkalk nörd- lich von Cöthen erbohrt worden ist. Die Braun- kohle, auf deren eocänes Alter v. Linstow zu- erst hingewiesen hat, ist auf mehreren Blättern verbreitet, im Norden bei Pömmelte von Unter- oligocän, weiter südlich von mitteloligocänem Septarienton bedeckt, der hier weit verbreitet ist. Vom Oberoligocän ist das Eisensteinvorkonmien von Brambach a. Elbe von Interesse. Das Diluvium ist nach Ansicht des Verfassers auf beiden Seiten der Elbe der zweiten Vereisung zuzurechnen, abgesehen vom Löß, der während der letzten Eiszeit abgelagert wurde. Fossilien sind in letzterem an keiner Stelle gefunden worden. Weinschenk, E., Grundzüge der Gesteins- kunde, I. Teil. Allgemeine Gesteinskunde als Grundlage der Geologie. Dritte, verbesserte Auflage. IWit isSTextfig. und 6 Tafeln, gr. 8". (XII u. .274 S.) Freiburg i. Br. 1913, Herder'sche Verlagshandlung. — Preis geh. G,6o IVIk., in Leinw. geb. 7,30 Mk. Nach mehr als zweijähriger Pause ist die dritte Auflage der „Allgemeinen Gesteinskunde" in einem um über 2 Bogen und eine entsprechende Anzahl von Abbildungen erweiterten L^nfange erschienen. In manchen Teilen hat eine Neugruppierung des Stoffes stattgefunden. Bei dem raschen I-'ortschritt der Wissenschaft in bezug auf die Kenntnis der Verwitterungsvorgänge und Metamorphosen haben besonders die mit diesen sich beschähigenden Kapitel eine durchgreifende Neugestaltung erfahren. Weinschenk's ,, Allgemeine Gesteinskunde als Grundlage der Geologie" ist ein recht brauch- bares Buch und wohl imstande, die Lücke auszu- füllen, welche unsere Lehrbücher der Geologie in dieser Beziehung bisher leider darbieten, eine Tat- sache , die der Bedeutung der modernen Fetro- graphie für die Geologie in keiner Weise mehr entspricht. Besonders hingewiesen sei noch auf die didaktisch glückliche und der Reihenfolge des geologischen Geschehens gut entsprechende Anord- nung des Stoffes, ein Vorzug, welcher nicht allen Lehrbüchern der Geologie zukommt. K. Andree. Haberlandt, Ludwig, Das Herz flimmern. Seine Entstehung und Beziehung zu den Herz- nerven. Nach einem am 6. F'ebruar 1914 in der wissenschaftlichen Ärztegesellschaft in Inns- bruck gehaltenen Vortrag. Sammlung anato- mischer und physiologischer Vorträge und Auf- sätze, herausgegeben von Prof Dr. E. Gaupp und Prof Dr. W. Trendelenburg. Heft 26 (3 Bd. Heft 2). Jena 1914, Gustav Fischer. ■ — Preis 40 Pf Unter Herzflimmern (Delirium cordis) versteht man jene Koordinationsstörung der Herztätigkeit, bei der nicht nur das Zusammenarbeiten der ein- zelnen Herzteile gestört ist, sondern auch die Elemente des gleichen Herzteils nicht gemeinsam miteinander arbeiten, indem die einzelnen Muskel- bündel sich ungleichzeitig kontrahieren. Haberlandt erörtert die verschiedenen An- sichten, die man bezüglich der Ursache der nicht seilen zum Tode führenden Affektion gehabt hat. Sie wurde in der Zerstörung eines ,,K.oordinations- zentrums" , in einer Anämie des Herzmuskels in kombinierter Reizung des Nervus vagus accelerans gesehen. Unter letztgenannter Bedingung konnten 592 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 37 Rothberger und Winterberg das llerzflimmern auch experimentell hervorrufen. Sie weisen auch darauf hin, daß die kombinierte Nervenreizung wohl auch die klinischen Fälle von plötzlichem Herztod durch starken Schreck erklären dürfte, wobei durch die .Sektion keinerlei pathologisch- anatomische Veränderung nachweisbar ist. Haberland t sagt am Schluß seiner Be- trachtungen : „Danach würde sich also das Mimmer- phänomen als Ausdruck der Interferenz zahlreicher, dissoziierter extrasystolischer Kontraktionen der einzelnen Muskelbündel auffassen lassen, die bei spontanem Fortdauern der Erscheinung nach be- endigter Reizung durch automatische Reize her- vorgerufen werden , deren Entstehungsort im atrioventrikulären Verbindungssystem und seinen Verzweigungen gelegen sein dürfte." Kathariner. Nachrichten ans der wissenschaftlichen Welt. Das Treub-Laboratorium in Buitenzorg auf J.-iva. Der botanische Garten, den die Holländer vor rund hundert Jahren auf der schönsten ihrer überseeischen Besitzungen, auf der Insel Java angelegt haben, ist mit der Zeit nicht nur zum reichhaltigsten Pllanzengarten der Tropen geworden, sondern er zeichnet sich vor allem auch dadurch aus, dafi in den mit ihm vereinigten Laboratorien eine ganz ausgezeichnete Arbeits- gelegenheit gcschafl'en worden war, die es auch dem Physiologen, Morphologen und Anatomen ei möglichte, die reichen Schätze des großen Gartens wissenschaftlich auszubeuten. Diese Annehmlichkeit haben im Laufe der Jahre auch, oder man könnte fast sagen in erster Linie, eine staUliche Reihe deutscher Botaniker genossen und ich glaube, daß wohl nie- mand von ihnen die Insel ohne ein aufrichtiges Gefühl des Dankes für die stete und mit der größten Bereitwilligkeit ge- währte Hilfe der Verwaltung und dem der Hochachtung für den idealen Sinn der Niederländischen Regierung verlassen hat, die in der sorgsamen und opferwilligen Pflege ihres 's,, Lands Plantentuin" an der Spitze aller Nationen mit über- seeischen Kolonien steht. Zur Aufnahme der fremden Forscher diente das sogenannte Fremdcnlaboratorium, das von Melchior Treub gegründet wurde, dem im Jahre 1910 verstorbenen bedeutenden Direktor des Gartens und des bis dahin mit ihm vereinigten De|iartement van Landbouw. Um das .Andenken dieses außerordentlichen Mannes zu ehren, hat man bald nach seinem Hinscheiden den Plan gefaßt, den fremden Forschern ein neues größeres Heim zu schaffen. Dieses neue, geräumige Laboratorium ist nun vor kurzem fertig geworden, Ende Mai dieses Jahres eingeweiht und auf den Namen ,, Treub-Laboratorium" getauft worden. Das Gebäude liegt an einer der schönsten Stellen des Gartens und hat eine 3g m lange Front. Aus dem Vorraum, den bald eine Marmorbüste Treub 's zieren wird, gelangt man zunächst in die Bibliothek, in der eine Hand- und Treub 's wissenschaftliche Bücherei aufgestellt ist. Das übrige Gebäude ist dann in drei Teile geteilt, in den großen .\rbeitsraum, das physiologische Dunkel- zimmer und das Laboratorium des Leiters. Der Arbeitssaal wird auf beiden Seiten durch drei große Fenster beleuchtet; die Arbeitsplätze sind durch Zwischenwände voneinander getrennt. .\ußerdem sind noch ein Raum für spezielle Unter- suchungen, eine photographische Dunkelkanmier, Magazine für Glas und Chemikalien vorhanden, sowie auf der Rückseite eine große oflene Halle. Hinter dem Laboratorium ist ein geräumiges Versuchsfeld mit einem Glashause angelegt. Leiter dieses Laboratoriums ist Herr Dr. F. C. von Faber, der vor seiner Ijbersiedelung nach Java längere Zeit in Deutschland tätig gewesen ist. M. Die diesjährige Versammlung deutscher Naturfosrcher und Ärzte wird wegen des Krieges ausfallen, wie das in früheren Kriegs- und Epidemiejahren auch der Fall war. Eine diesbezügliche Bekanntmachung im Reichsanzeiger ist bereits erfolgt. Mit 250 Abbild. Fischer. Geb. Experimentelle Literatur. Br ohmer, Dr. P., Fauna von Deutschland. Ein Be- stimmungsbuch unserer einheimischen Tierwelt. Unter Mit- wirkung verschiedener Gelehrter herausgegeben von Dr. P. Brohmer. Mit 912 Abbild, im Text und auf Tafeln. Leipzig '14, (Quelle und Meyer. Geb. 5 Mk. Abel, I >., Die vorzeitlichen Säugetiere, im Text und 2 Tabellen. Jena '14, G. 9,50 Mk. Sammlung Göschen : Elektrochemie 11. Elektrochemie, Meßmethoden, Leitfähigkeit, Lösungen von Dr. H. Danneel. Mit 26 Figuren und mehreren Tafeln. 2. .'\uflage. — Algebraische Kurven. Neue Bearbeitung von Prof. Dr. H. Wieleilner. I. Teil: Gestaltliche Verhältnisse. Mit 97 Figuren. Geb. je 90 Pf. France, R. H., Spaziergänge durch den Hausgarten. Mit 24 Text und Vollbildern. Leipzig '14, Th Thomas. I Mk. Wissenschaft und Bildung. Band 12S: Arznei- und Genußmittel, ihre .Segnungen und Gefahren von Prof. Dr. Fr. Müller. Band 125: Über Stoffwechsel und Diät von Gesunden und Kranken von Prof. Dr. C. A. Ewald. Leipzig '14, Quelle und Meyer. Geb. je 1,25 Mk. S c h m e i 1 , Prof. Dr. O. und Jost Fitschen, Flora von Deutschland. Ein Hilfsbucb zum Bestimmen der zwischen den deutschen Meeren und den Alpen wildwachsenden und angeb.auten Pflanzen. Mit 1000 Abbild. 15. Auflage (unver- änderter Abdruck der 13. Aufl.) Leipzig '14, Quelle und Meyer. Geb. 3,80 Mk. Michaelis, Prof. Dr. L., Wasserstoffionen-Konzentra- tion. Mit 41 Textfiguren. Berlin '14, J. Springer. Geb. 8,80 Mk. Bubnow, Prof. Dr. N., .\rithmctische Selbstiindigkeit der europäischen Kultur. Aus dem Russischen übersetzt von Joseph Lezius. Berlin '14, R. Friedländer. 10 Mk. Knauer, Prof. Dr. Fr., Der Zoologische Garten. Ent- wicklungsgang, .Anlage und Betrieb unserer Tiergärten und deren erziehliche, belehrende und wissenschaftliche .Aufgaben. Mit 122 Abbild. Leipzig '14, Th. Thomas. Mayer, Prof. Dr. P., Einführung in die Mikroskopie. Mit 28 Textfiguren. Berlin '14, J. Springer. Geb. 4,80 Mk. Lieb mann, Dr. Willy, Die Beziehungen der Früchte und Samen zur Tierwelt. Leipzig '14, Quelle und Meyer. So l'f. Inhalts Hansen: Goethe's naturwissenschaftliche Sammlungen im Neubau des Goethehauses zu Weimar. Nachtsheim; Sind die Mitochondrien Vererbungsträger? Wolf; Dutten und Riechen. — Einzelberichte: Jacobacci: Ein neues Zeugnis zugunsten der Statolithentheorie. Boveri und Herbst: Die Bedeutung des Mengenverhältnisses mütterlicher und väterlicher Substanzen für die Vererbung. Wulf; Einfadenelektrometer. K; arm in: Über die Ursachen vulkani- scher Ausbrüche. — Kleinere Mitteilungen: Schloeßmann: Die Wiederanheilung einer fast vollständig abgeschnit- tenen Hand. — Bücherbesprechungen: v. Schumacher: Die Individualität der Zelle. Fuchs; Anleitung zum Be- stimmen der Mineralien. Franke: Die Umrisse der Kristallflächcn und die .Anfertigung von Kristallmodellen. Rüst: Grundlehren der Chemie und Wege zur künstlichen Herstellung von Naturstoffen. Bjerrum: Die Theorie der alkali- metrischen und azidimetrisehen Titrierungen. Gebhardt: Mit Kamera auf Reisen. Rinne; Gesteinskunde. Die Lieferung 164 der geologisch-agronomischen Karte von Preußen und benachbarten Bundesstaaten. Weinschenk; Grundzüge der Gesteinskunde. Haberlandt; Das Herzflimmern. — Nachrichten aus der wissenschaftlichen Welt. — Literatur : Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. M i e h e in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band ; der ganzen Reihe 2g. Band. Sonntag, den 20. September 1914. Nummer 38. [Nachdruck verboten,] Unsere Vorstellungen von dem Kreislaufprozeß des Wassers, insbesondere von dem Wasserhaushalt der Erde, sind im letzten Jahrzehnt durch die Ar- beiten von hervorragenden IVIeteorologen, wie von Hann, Hellmann, Woeikoff, und durch die scharfsinnigen Deduktionen von Geographen, wie Brückner, Meinard us, Penck, Supan wesentlich klarer geworden. In allerneuester Zeit hat Keller,') Direktor der Preußischen Landes- anstalt für Gewässerkunde, welcher sich schon früher erfolgreich mit diesen Problemen beschäftigt hat, die Bilanz des Wasserhaushaltes der Erde aufs neue geprüft und dabei einige neue Ge- sichtspunkte aufgestellt, welche wohl geeignet sind, neues Licht auf dieses noch immer der Erhellung sehr bedürftige Kapitel zu werfen , obgleich ich durchaus nicht der Überzeugung bin, als ob nun alle Schwierigkeiten dieser recht spröden Materie überwunden wären. Die eigentliche Kernfrage, um welche es sich hier handelt, betriftt den Austausch des Festland- wassers in seinen verschiedenen Erscheinungsformen in flüssigem, festem und dampfförmigem Zustand mit dem Ozeanwasser. Ersteres steht in Menge ganz außerordentlich hinter letzterem zurück. In einem Aufsatz über den „Wasservorrat der Erde" -) be- rechnete ich, daß das sogenannte Süßwasser im allergünstigsten P'alle kaum 4 Promille des Ozean- volumens ausmacht, wahrscheinlich aber noch erheblich weniger, und daß von den VVasservorräten der festen Erde die in den Eismengen des ant- arktischen Kontinents enthaltenen sicherlich weit- aus die größten seien. Trotzdem wird der arme Bruder vom reichen im großen und ganzen doch nicht aufgefressen, wenigstens nicht in historisch-angebbarer Zeit (s. u.), denn sonst müßte der Spiegel des Ozeans überall merklich gestiegen sein, es muß also ein Gleich- gewichtszustand zwischen beiden Welten, wenn ich mich so ausdrücken darf, existieren. Aufweiche Weise kommunizieren nun beide miteinander? Die festen Eismassen der arktischen Länder Vom Wasserhaushalt der Erde. Von Prof. Dr. W. Halbfaß in Jena. ') H. Keller, Niederschlag, Abfluß und Verdunstung in Mitteleuropa. Jahrb. f. d. Gewässerkunde Norddcutschlands. Besondere Mitt. Bd. I, Nr. 4. Berlin 1906. Derselbe: Ur- sprung und Verbleib des Festland -Niederschlags ; ebenda Bd. I!, Nr. 7. Berlin 1914. Örtliche und zeitliche Beziehun- gen zwischen Niederschlag, Abiluß und Verdunstung der Fluß- gebiete (Zenlralblatt der Bauverwaltung Jahrg. 34, Nr, 39. Berlin, I6. Mai 1914); vgl. auch Keller's Aufsatz: W^asser- haushalt und Wasserwirtschaft, Festrede gehalten am 22. März 1914 io der öffentl. Sitzung der kgl. Akademie des Bauwesens, abgedruckt ebenda Nr. 24, 1914. ■-) Zeitschrift für die gesamte Wasserwirtschaft Jahrg. VIII, 9 Halle 1913. und des antarktischen Kontinents werden nach einfachen mechanischen Gesetzen nach und nach in den Ozean hinabgedrückt, in dem sie langsam aufgelöst werden und in tiefere Breitengrade ver- frachtet werden; ein großer Teil dieser festen Wassermassen verdimstet nicht und wird ohne Zweifel geradeso von den arktischen und antarktischen Gletschern kondensiert, wie dies in den Gletschern der Gebirge im Innern der Kontinente geschieht und bereits rechnerisch z. B. im Rhonegebiet nachge- wiesen werden konnte. Meinardus') hat das jährlich ins Meer hinausgeschobene Inlandeisvolumen der Antarktika zu 640 cbkm berechnet, dem ein Wasser- volumen von rund 550 cbkm entspricht. Dieses Volumen bezeichnet ungefähr den jährlichen Überschuß des Niederschlags über die Verdunstung innerhalb der vereisten Landschaften der Ant- arktika, die Meinardus auf 13 — 14 Million qkm veranschlagt, so daß die Abflußhöhe also rund 40 mm beträgt. Gegenüber den mindestens 30000 cbkm (s. u.), welche die hauptsächlichsten Flüsse der Erde jährlich dem Ozean zuführen, kommt dieser Umschlag nicht recht in Betracht. Der Austausch zwischen Ozean und Festland voll- zieht sich in den arktischen Gegenden jedenfalls nur sehr langsam und hält sich in mäßigen Grenzen. Unnötig zu betonen, daß der Kreislauf des Wassers in den vereisten Gebieten sowohl im Innern der Kontinente wie in den arktischen Gegenden sich nur mit Hilfe des atmosphärischen Wasserdamjjfes vollziehen kann. Das Wasser der Seen ohne oberflächlichen Abfluß versickert teilweise unterirdisch und ver- mehrt das Grundwasser, teiweise verdunstet es und kann bei geeigneten Luftströmungen zum Ozean gelangen, um dort wieder kondensiert zu werden, dasjenige der Seen mit oberflächlichem Abfluß wird teils direkt durch die Flüsse mit dem Ozeanwasser vereinigt, teils verdunstet es und kann auf dem Lande zur Kondensation ge- langen; Die Flüsse bringen einen großen Teil ihres Wasserreichtums ohnehin auf dem einfachsten Wege dem Ozean zum Opfer. Auch das in der obersten Erdrinde aufgespeicherte Boden- oder Grundwasser steht ohne allen Zweifel wenigstens an manchen Orten der Erde direkt mit dem Ozean in Verbindung, teils kommt es in Gestalt von Quellen wieder auf dem festen Land an die Oberfläche, kann abfließen oder verdunsten. Der- jenige Bestandteil des Landwassers endlich, der in ') Über den Wasserhaushalt der .Antarktis. Sitzungsbcr. der mediz.-naturw. Gesellschaft zu Münster i. W. 1910, abge- druckt in der Met. Zeitschr. Juniheft 1911. 594 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 38 Form von Wasserdampf jedesmal über dem Festland lagert, wird ohnehin bei günstigen Windverhältnissen ohne weiteres dem Meer zugeführt und unter ge- eigneten Umständen daselbst kondensiert. Die zahlreichen Kommunikationswege des Süßwassers beschränken sich, was gleich hier besonders betont werden soll, keineswegs auf die sog. peripherischen Gebiete, d. h. diejenigen mit oberflächlichem Abfluß, sondern umfassen auch auf die scheinbar abflußlosen Gebiete. Es ist ein Verdienst Kellers hierauf besonders hingewiesen zu haben. In um- gekehrter Richtung steht dem Ozeanwasser nach dem Kontinent zu in der Hauptsache nur Ein Weg offen, derjenige durch die Luft, und auch dieser wird ihm je nach der Bodenkonfiguration des Landes oder der Luftdruckverteilung häufig genug erheblich erschwert. Daß trotzdem ein so reich- licher Übertritt von Wasserdampf vom Ozean zum Festland erfolgt, ist sowohl in der viel größeren Ausdehnung des Ozeans gegenüber dem Kontinent als auch in seiner weit stärkeren Verdunstung be- gründet. Ein kleiner Teil des Ozeanwassers dringt aber auch jedenfalls direkt in die Erdrinde ein und vermehrt ihr Bodenwasser, nur sind wir bisher über den direkten Verkehr zwischen Ozean und Grundwasser sehr wenig orientiert und können nur aus gewissen Vorkommnissen den sicheren Schluß ziehen, daß er überhaupt existiert. Eine außerordentlich wichtige Rolle im Wasser- haushalt spielt also der in Form von Wasser- dampf aufgespeicherte Wasservorrat und die Frage, wieweit daran das Meer und das Festland beteiligt ist. Meinardus^) hat diesen Wasser- gehalt auf Grund der von Arrhenius angegebe- nen Mittelwerte der Luftfeuchtigkeit in den ver- schiedenen Breitengraden auf 12300 cbkm be- rechnet und wenn selbstverständlich diese Zahl nur als eine Annäherung an den wahren Betrag dieser an und für sich schon schwankenden Größe angesehen werden darf, so dürfte doch wohl der Fehler kaum 10 — 15 "/o dieses Betrages erreichen, so daß man wohl annehmen könne, daß er ungefähr den 40. Teil der jährlichen Niederschlagsmenge der gesamten Erde beträgt. Der Austausch zwi- schen Kondensation und Verdunstung geschieht also im großen und ganzen innerhalb 9 Tagen, eine außerordentlich sehr kurze Zeit , wenn man sie mit den langen Zeiträumen vergleicht, die ver- gehen , bis ein Wasserteilchen des Ozeans im Durchschnitt zur Verdunstung gelangt. Der Aufenthalt des Wasserdampfes in den unteren Schichten der Atmosphäre ist aber sehr wahr- scheinlich noch erheblich geringer als die oben angegebene Zeit. Zur Entscheidung der Frage, wieviel nun von den auf die feste Erde gelangenden Niederschlägen dem Ozean und wieviel von der Verdunstung des Festlandes stammt, eine Frage, die praktisch wohl die wichtigste im Wasserhaushalt der Erde ist. ist es notwendig, auf die verschiedene Verteilung der Niederschläge und der Verdunstung auf dem Ozean und dem Festlande hinzuweisen. Der Austausch zwischen Verdunstung und Konden- sation ist unstreitig auf dem Meer energischer wie über dem Festlande. Brückner (s. u.) hatte die jährliche Verdunstungsmenge auf dem Ozean zu 384000cbkm berechnet, die neueren Messungen, besonders die von Lütgens'') haben aber er- geben, daß sie wahrscheinlich um ^j^ größer und mindestens zu 450000 cbkm veranschlagt werden dürfen. Die Verdunstungsmenge auf dem festen Lande wird im Mhtel auf 81000— 82 oco cbkm angenommen. Diese Zahl ergibt sich, wenn man von der durchschnittlichen jährlichen Niederschlags- menge diejenige Wassermenge abzieht, welche die Flüsse dem Meere zutragen. Letztere Menge be- läuft sich auf Grund von Messungen in 52 Fluß- gebieten, welche zusammen 28 "/„ des Kontinents ausmachen, nach Fritzsche auf 31000 cbbm. Die jährliche Niederschlagsmenge auf dem Fest- lande beträgt bei einer durchschnittlichen Regen- höhe von jährlich 75 cm etwa Ii2000cbkm, wo- raus eben durch Subtraktion jene Zahl für die Verdunstungsmenge sich ergibt. Danach ist die Verdunstung auf dem Meere gleichmäßig auf das- selbe verteilt, auf derselben Fläche etwas mehr als doppelt so groß wie auf dem festen Lande. Auf Grund der damals bekannten Messungen über die Abflußhöhen sprach Brückner in seinem ersten Vortrag die Überzeugung aus, daß wahrscheinlich -,'3, sicher mehr als die Hälfte des Landregens aus Wasserdampf entsteht, welcher den Landflächen entstammt. In einem Vortrag, den derselbe am 31. Januar 1905 am Institut für Meereskunde zu Berlin hielt, ^) kommt er zu dem Ergebnis, daß sogar volle '^l^ des gesamten Regen- falls der peripherischen Landflächen, d. h. der Teile des festen Landes, die oberflächlichen Abfluß besitzen, durch die eigene Verdunstung des Fest- landes gedeckt werden. Spätere Berechnungen, die sich auf neuere Zusammenstellungen des Be- obachtungsmaterials durch Fritzsche stützen, ergaben, daß der durchschnittliche Regenfall auf den zum Meer abwässernden Landflächen um etwa 'Ib geringer sein muß, als Brückner angenom- men hatte, dem entsprechend auch die Land- verdunstung nicht unerheblich geringer ist, daß aber der oberflächliche Landabfluß nicht unbe- deutend höher erscheint. Aber auch abgesehen davon, daß ein vervollkommnetes Beobachtungs- material natürlich auch genauere Zahlenwerte er- ■) Über den Kreislauf des Wassers. Sitzungsber. des Naturf. Vereins Klicinland-Weslfalen. Bonn 1909. ') Ober die Herkunft des Regens. Verh. d. 7. Internat. Geographen-Kongresses Berlin 1899. Teil II, S. 412 ff. Ab- gediuckt ist dieser Vortrag auch in der Geogr. Zeitschr. Bd. VI, 1900, S. 89 ff. -) Ergebnisse einer ozeanographischen Forschungsreise in dem Atlantischen und dem südöstlichen Stillen Ozean. Archiv der deutschen Seewarte XXXIV. Jahrg., 191 1, Nr. I. Hamburg 1911. ä) Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. IV, Nr. 26, Jena 1905; ausführlicher hat Brückner das Thema in der Geogr. Zeit- schrift Bd. XI, Leipzig 1905, S. 436 ff. behandelt. N. F. Xm. Nr. 38 Natuiwisscnschaftliche Wochenschrift. 595 geben muß, und örtlich wie zeitlich sich außer- ordentlich große Abweichungen von der für den Durchschnitt aufgestellten Bilanz sich ergeben haben, haben sich gegen die von Brückner auf- gestellte Bilanz des Wasserkreislaufes auf der Erde noch nach anderen Richtungen prinzipielle Be- denken geltend gemacht. Das eine betrifft seine Annahme, daß nur so viel Wasserdampf vom Meer auf das Land gebracht wird, wie durch die Flüsse dem Meer wieder zugeführt wird, das andere seine Voraussetzung, daß die abflußlosen Gebiete der Erde, die von dem gesamten P'estlande immerhin etwas mehr als 20 ° ^ ausmachen, von dem all- gemeinen Kreislauf des Wassers ausgeschaltet sein sollen. Meinard US hat wohl zuerst nachdrücklich darauf hingewiesen, daß die jährlichen Abfluß- mengen der Flüsse durchaus nicht die einzigen Wassermengen darstellen, welche dem Fesilande in flüssiger Form geraubt und ins Meer überführt werden, sondern daß in Form von Wasserdampf eine weitere beträchtliche Menge diesen Weg geht. Es kommen hier zunächst die abflußlosen Gebiete in Betracht, deren Niederschlagsmenge auf minde- stens 10 000 cbkm veranschlagt werden muß. Nimmt man nun an, daß etwa nur "5 von ihnen von Meereszufuhr herstammt, so ergeben sich minde- stens 2000 cbkm. Aus den peripherischen Ge- bieten tritt mindestens das Doppelte davon als Wasserdampf wieder zum Meer zurück, von dem es gekommen ist. Die jährliche Meereszufuhr kann demnach auf rund 37000 cbkm angenommen werden. Dabei wird von den Wassermengen, die auf unterirdischem Wege zirkulieren, und von den Wassermengen , die im festen Zustand vom Kontinent in den Ozean gelangen, nur deswegen abgesehen, weil wir bisher noch keine rechte Vor- stellung über ihre Größe haben. Daß sie mit einem gewissen Gewicht in die Bilanz des Kreis- laufprozesses des Wassers eingestellt werden müssen, unterliegt keinem Zweifel, und daher sind auch alle Zahlen , die das Größenverhältnis des Austausches der Wassermassen zwischen Ozean und Festland darstellen wollen, bisher immer nur sehr problematisch und cum grano salis aufzufassen. Dieser Einwurf gilt auch gegenüber den neueren Aufstellungen von Keller, einen wie großen Fortschritt sie auch gegenüber früheren bedeuten mögen. Bleiben wir nun einstweilen bei der allein einigermaßen feststehenden Menge von 37 — 38 000 cbkm stehen, welcheim jährlichen Kreis- lauf im Durchschnitt zwischen Meer und Konti- nent hin- und herwandern, die also mehr als drei- mal so groß ist als die in der Atmosphäre fest- gehaltene Wassermenge, so versteht sich ganz von selbst, daß von der auf den Kontinent im Durchschnitt jährlich niederfallenden Regenmenge ein sehr beträchtlicher Teil ozeanischen Ursprungs sein muß. Es ist aber ganz unmöglich anzugeben, wieviel von jedem einzelnen I-'all von den Nieder- schlägen von Ozeandampf oder Landverdunstung herrührt, da dieses Verhältnis zeitlich wie örtlicli sehr großen Schwankungen unterliegt. Inwieweit die vertikale Gliederung des Festlandes an der verschiedenen Inanspruchnahme des Ozeandampfes wie den Niederschlägen des Festlandes beteiligt sind, darüber gibt H a n n ' s groß angelegtes Lehr- buch der Klimatologie einigermaßen ausreichend Bescheid. Keller hat in seiner zweiten Ab- handlung (1914) auf Grund des neuesten Be- obachtungsmaterials die bei Hann niedergelegten Resultate zu vervollkommnen gesucht; er gibt aber selbst zu , daß sich eine Karte, auf welcher die Bezirke der Meereszufuhr auf dem Festland ein- gezeichnet werden könnten, bisher noch nicht konstruierbar ist und daß seine darauf bezüglichen Ausführungen noch sehr der Ergänzung bedürfen. Soviel scheintschon heute festzustehen, daß klimatisch Afrika in der Hauptsache eine Provinz des Indischen Ozeans, Europa und Amerika des Atlantischen Ozeans ist, während in Asien sich beide Einfluß- sphären ungefähr das Gleichgewicht zu halten scheinen und der Stille Ozean eigentlich nur für den australischen Kontinent in Betracht kommt. Ein weiteres großes Verdienst hat sich Keller durch exakte Berechnungen darüber erworben, in- wieweit die Temperaturverhältnisse eines Gebietes für die Ursprungsquelle der Niederschläge eine ausschlaggebende Rolle spielen. Schon in seiner ersten Abhandlung (Berlin 1906) war Keller zu dem Resultat gekommen, daß für die Flußgebiete der Memel, Pregel, Weichsel, Oder, Elbe, Weser, Ems, Teile von Rhein und Donau, also ein Gebiet, welches Deutschland, Westrußland, Österreich und der Schweiz bis zum Hauptkamm der Alpen umfaßt und ca. 834 OGO qkni groß ist, im Winterhalbjahr der Anteil an den Nieder- schlägen , welche durch Kondensation des vom Meer her einem Flußgebiete zugeführten Wasser- dampfes entsteht, größer ist als der Anteil, der durch Kondensation des im Lande verdunsteten Wasserdampfes erzeugt wird, während im Sommer- halbjahr das Umgekehrte der Fall ist. Weitere Untersuchungen, welche sich auf den Abflußkoeffi- zienten einer größeren Anzahl über die ganze Erde verbreiteten Stromsysteme bezogen, ergaben, daß sowohl die Aufnahmefähigkeit der Luft für Feuch- tigkeit, die Kondensation und die Verdunstung des Wasserdampfes wesentlich in erster Linie von der Höhe der Lufttemperatur abhängen. Um zunächst einmal einen allgemeinen Überschlag über die Einflußzonen der Lufttemperatur zu gewinnen, unterscheidet Keller neuerdings (19 14) drei klimatische Hauptgruppen. I. Tro p e ngebiet e mit durchschnittlich 24" Mitteltemperatur, 2. gemäßigte warme Fluß- gebiete mit durchschnitthch 10" Mitteltemperatur und 3. kalte F'luß gebiete mit durchschnittlich etwa 1,6" Mitteltemperatur. Selbstverständlich hat die Abgrenzung dieser drei Arten klimatischer Fluß- gebiete sehr viel Willkürliches an sicli, sie richtet sich eben nach dem vorhandenen Beobachtungs- material, das sich auf 70 I'"lüsse verteilt, deren Strom- gebiet ungefähr 28''/u der Festlandfläche der Erde um- 596 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 38 faßt. Man ersieht schon daraus, daß alle Schluß- folgerungen, die Keller daraus zieht, nicht im entferntesten exakt sein können und es auch gar nicht sein wollen, daß es sich vielmehr lediglich um skizzenhafte Darstellung handelt , welche wenigstens vorläufig die Grundlage der Erörterung bilden können, bevor uns eben bessere und um- fassendere Beobachtungen zur Verfügung stehen. Gegenüber der bekannten Zusammenstellung Fritzsche's von 52 Flußgebieten,^) welche üb- rigensKeller für 28 Flußgebiete ohne weiteres, für 10 andere mit geringen Abänderungen benützt hat, bedeutet die Kelle r'sche Zusammenfassung be- sonders deshalb einen wichtigen Fortschritt , als sie namentlich auch ein Anzahl kalter und tropischer Flußgebiete einbeziehen konnte, über welche früher noch nichts Näheres bekannt war. Indem für jedes einzelne Flußgebiet graphisch festgestellt wurde, welcher Teil der mittleren Niederschlagshöhe zum Abfluß kommt, ist Keller in die Lage versetzt, die Hauptlinien der Meeres- zufuhr für jedes der behandelten Flußgebiete zu zeichnen. Weil die Zunahme der Meereszufuhr natrgemäß auf das Maß der Landverdunstung günstig ein- wirkt, — weil ja diese indirekt doch wieder auf jene zurückgeführt werden muß, so muß bei steigender Niederschlagshöhe die Meereszufuhr einen immer größer werdenden Prozentsatz ein- nehmen, bis eine Grenze erreicht ist, von der ab das weitere Wachsen des Niederschlags nur noch von der zunehmenden Meereszufuhr abhängt, während die Verdunstung von der festen Landfläche aus einen sich gleich bleibenden konstanten Wert ergibt. Für kalte Flußgebiete ist die Grenze 18, für gemäßigte warme 55 und für Tropengebiete iio cm. Der gesamte jährliche Niederschlag dieser Gebiete beträgt im Durchschnitt 36 bzw. 85 bzw. 185 cm. So kommen z.B. beiden gemäßigt warmen Flußgebieten bei einem mittleren Nieder- schlag von 90 cm 55 cm auf die Meereszufuhr, 35 cm auf die Landverdunstung, bei einem mittleren Niederschlag von 60 cm dagegen 1 2 auf die Meeres- zufuhr, 48 cm auf die Landverdunstung. Es ist ohne weiteres klar, daß jene Grenzzahlen sich nur auf die Durchschnitsleistungen beziehen, von freien Wasserflächen und auch von Landflächen wird unter besonders günstigen Bedingungen die Verdunstung auch erheblich größer sein können. Weicht die Mitteltemperatur eines Flußgebietes von den oben mitgeteilten Grenzfällen erheblich ab, so weicht auch seine Abflußquote und damit auch der Anteil der Meereszufuhr erheblich von jenen Mittelzahlen ab; dies ist unter den aufge- führten Flußsystemen z. B. mit dem La Plata der Fall, dessen Gebiet größtenteils den Tropen an- gehört, während seine mittlere Temperatur nur etwa 17 — 18" beträgt, also erheblich geringer ist als sonst für Tropengebiete angenommen ist. ') R. Frilzsche, Niederschlag, Abfluß und Verdunstung auf den Landfläclien der Erde. Halle a. S. 1906. Für kalte Flußgebiete ist dies Abflußverhältnis ausnahmslos hoch, am niedrigsten bei der Piirteen- wirta (Pinnland) 50, am höchsten beim Skianfluß 84. Für gemäßigt warme Flußgebiete schwankt das Verhältnis zwischen Murray (11) und Rhein (73), bleibt aber meist unter 50 %. Die größten Extreme kamen dagegen in den Tropengebieten vor, denn während beim San Carlos in Mittel- amerika das Verhältnis 75 ist, sinkt es beim Nil auf 4,2 "/„ , ein ganz abnormes Verhalten, wovon noch weiter unten die Rede sein wird. Zu ähn- lichen Resultaten ist auch Oldekop*) gekom- men. Er sagt, daß es für jedes Flußgebiet mit genügend großen Niederschlägen eine Grenze der Landverdunstung gibt, nach dessen Erreichung das weitere Wachsen des Niederschlags nur noch von der Zunahme der Meereszufuhr abhängt. Er unterscheidet weiter 2 Typen von Plußgebieten, solche, in denen die jährliche Verdunstung weit geringer ist als das mögliche Maximum der Ver- dunstung unter den gegebenen klimatischen Ver- hältnissen und solche, bei dem die wirkliche Ver- dunstung das Maximum völlig oder wenigstens nahezu erreicht. Nach den von ihm beige- brachten Beispielen entsprechen den erstgenannten P^lußgebieten die gemäßigt warmen, den an zweiter Stelle genannten die kalten Flußgebiete Keller's, während Oldekop auf die tropischen Plußgebiete bei seiner Auseinandersetzung keine Rücksicht zu nehmen scheint. Alle Zahlenangaben über die Bildung des Wasserhaushaltes auf der Erde wer- den aber so lange immer in der Luft schweben, als wir über die Beziehungen des Grundwassers zum Ozeanwasser, die ja schon vorhanden sind (s. o.), wenn sie auch in einem früheren Zustand der Erde innigere gewesen sein mögen, und über die Herkunft und Mengen des Grundwassers über- haupt noch so gut wie gänzlich im Dunkeln tappen. Namentlich macht sich diese Unkenntnis für die Wasserbilanz der abflußlosen Gebiete der Subtropen geltend und es ist als ein glücklicher Umstand zu bezeichnen, daß die ausgiebigen Versuche einer künstlichen Bewässerung dieser Gegenden gegründete Aussicht bieten , unsere grundlegenden Kenntnisse des Verlaufes und der Menge des Grundwassers auf einen höheren Standpunkt zu heben. Energisch tritt Keller der Anschauung Brückner's entgegen, als nälimen die abflußlosen Gebiete an der allgemei- nen Zirkulation des Wassers auf der Erde nicht teil. Die Abflußlosigkeit eines Gebietes bedeutet nach Keller keineswegs irgendeinen Grenzfall im Kreislaufprozeß, sie hängt keineswegs mit einem Mindestmaß der Niederschläge allein zu- sammen, sondern ist in der Hauptsache die Wir- kung bestimmter Windrichtungen, welche die Ein- fuhr ozeanischen Wasserdampfes zu gewissen Jahreszeiten auf ein Minimum herabdrücken, also ') Verdunstung an Flußgebieten. Sammlung von Arbeiten, ausgeführt von Studenten am Met. Observatorium der K. Uni- versität zu Jurjew (Dorpat), redigiert von Prof. Dr. B. Sres- newski, Bd. IV. Jurjew 1911. N. F. XIII. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 597 wesentlich eine Funktion der Luftdruckverteilung. Der Austausch zwischen Ozean und Festland ge- schieht in abflußlosen Gebieten eben nicht durch oberflächlichen Abfluß, sondern durch Verdunstung mit Vermittlung der Atmosphäre. So besteht in dem zum Hinzugsgebiet des ab- flußlosen Kaspisces gehörigen Wolgagebiet etwa ',\j der Niederschlagshöhe aus Meereszufuhr, die wohl zum bei weitem größten Teil aus dem At- lantischen Ozean stammt, und dasselbe ist sicher mehr oder weniger bei allen Zuflüssen des Kaspi- sees der Fall. Wie wenig es darauf ankommt, ob ein Gebiet seinen Überschuß an Feuchtigkeit durch ober- flächlichen Abfluß, oder in Form von Wasser- dampf abgibt, erkennt man leicht, wenn man sich einen Augenblick überlegt, wodurch denn der Wasserhaushalt der vielen kleinen abflußlosen Seen im Gebiet der ballischen Seenplatte in Nordostdeutschland, z. B. auch der Endmoränen- zug, der Hinterpommern und Westpreußen trennt, von denen ihrer Nachbarn untersclieidet, die einen obei flächlichen Abfluß besitzen. Beide vergrößern bei starken Niederschlägen ihre Spiegel- fläche und verkleinern sie bei anhaltender Dürre, gespeist werden sie in beiden Fällen in gleicher Weise durch Meereszufuhr und Landverdunstung, da die klimatischen Bedingungen für beide Arten von Seen ja die gleichen sind. Der einzige Unter- schied besteht darin, daß die Periode des hohen resp. tiefen Wasserstandes bei abflußlosen Seen eine längere, die Amplitude der Wasserstands- schwankungen eine intensivere ist, als bei Seen mit Abfluß. Der Unterschied in den Niveauflächen ist aber in den seltensten Fällen so groß, daß etwa bei hohem Wasserstand eine erheblichere Landverdunstung — im Gegensatz zur Meeres- zufuhr — Platz greifen kann, als bei niedrigem Wasserstand. Der Austausch zwischen Kontinent und Ozean ist langsamer in abflußlosen Gebieten als in Gebieten mit Abfluß. Das ist eigentlich der einzige klimatische Unterschied, so außer- ordentlich tief eingehend wirtschaftliche Folgen diese Verlangsamung auch haben mag. Nicht Probleme des Wasserhaushaltes der Erde, sondern der morphologischen Beschaffenheit ihrer Ober- fläche und der petrographischen ihrer obersten Rinde beherrschen das Gebiet der Abflußlosigkeit. Nur bei ganz großen abflußlosen Seen, wie beim Kaspisee, mögen sich Ereignisse abspielen, welche scheinbar einen Ausnahmezustand dar- stellen. So empfangen, worauf auch Keller auf- merksam macht, die im Süden dieses Sees ge- legenen fruchtbaren persischen Provinzen am Nord- abhang des Eibursgebirges ihre Feuchtigkeit ohne Zweifel in erster Linie von den Verdunstungsmengen jenes Riesensees, während er selbst in der Haupt- sache von seinen nördlichen und westlichen Zu- flüssen gespeist wird. Hier liegt also die Sache so: Der Kaspisee empfängt ozeanische Wasser- dämpfe indirekt durch seine westlichen und nörd- lichen Zuflüsse, gibt einen Teil seines Über- schusses an seine südliche .Umgebung ab, wäh- rend Zu- und Abfuhr in entgegengesetzter Rich- tung unbedeutend sind. Wir haben hier also so- zusagen einen etwas verwickelten Kreislauf 2. Ord- nung vor uns, der eben, wenn auch nicht in diesem Umfang und dieser Regelmäßigkeit, sich fast überall auf der Erde abspielt und auch das Kaspi- seegebiet nimmt sicherlich, wenn auch mit be- deutenden Umwegen und erheblichem Zeitverlust, am großen Kreislauf des Wassers vom Meere zum Festland und zurück ins Meer ebensogut teil wie andere Landschaften der Erde. Zuletzt müssen wir uns noch etwas mit den natürlichen Reserven an Wasservorräten beschäf- tigen, welche dem Festland zur Verfügung stehen für solche Zeiten, in denen der große Bruder Ozean uns nicht genug von seinem Überfluß ab- geben will, sondern zu streiken droht. Daß feuch- tere Zeiten mit trockneren wechseln steht ohne allen Zweifel fest. Ob dieser Wechsel in Perioden auftritt, die etwa, wie dies Brückner wahr- scheinlich zu machen sucht, für die ganze Erde einen Zeitraum von 35 Jahren oder für die ver- schiedenen Gebiete der Erde einen verschiedenen Zeitraum umfassen, zu welcher Anschauung ich mich persönlich bekenne, wollen wir hier uner- örtert lassen, auch nicht die l<"ragc anschneiden, ob etwa die Erde seit der Beendigung der Eiszeit in einem ununterbrochenen Austrocknungsprozeß begriffen ist, welche erst jüngst Leo Berg in einer ausgezeichneten Arbeit *) entschieden zu verneinen versucht hat. Schickt uns der Ozean eine den Durchsclinitt erheblich überragende Portion Wasserdampf über den Hals, so vermag das feste Land diesen Über- schuß in drei Sparkassen, wie sich Keller hübsch ausdrückt, anzulegen. Bei durchweg günstiger, d. h. kühler, Witterung kann es ihn aufspeichern in P'orm von Schnee und Eis auf unseren Gebirgen , besonders aber in den Polar- gebieten. Einen weiteren Teil bringt sie mühelos in ihrer obersten Rinde als Grund- oder Boden- wasser unter und endlich vermögen unsere Seen, sowohl die abflußlosen wie auch diejenigen, welche einen Oberflächenabfluß besitzen, einen nicht un- beträchtlichen Teil des Ozeansegens in sich auf- zunehmen , sofern er sich nur nicht zu plötzlich und zu ausgiebig ergießt. Tritt nämlich letzterer Umstand ein, so nützt uns die P'reigebigkeit des Ozeans wenig, denn er füllt damit nur seine eigenen Taschen; die Erdrinde kann den Über- schuß nicht mehr fassen, sondern gibt ihn in Gestalt von Quellen und Flüssen sehr bald dem Ozean sogar mit Zinsen wieder zurück und die bis zu einer gewissen Höhe angefüllten Seen ver- stärken bei weiterer Zufuhr nur die Abflußmengen der P'lüsse, die sich mit dem Ozean vermähjen. Aber selbst unter günstigen Umständen ver- ^) Das Problem der Klimaänderung in geschichtlicher Zeit. Geogr. Abhandlungen herausg. von l'rof. Dr. A. Penck in Berlin. Bd. X, Heft 2. Leipzig und Berlin 1914. 59« Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 38 mögen diese Sparkassen, falls die Wiederauffiillung vom Ozean her zu stocken droht, nur verhältnis- mäßig kurze Zeit mit ihrem Überschuß das Manko in der Bilanz des Kreislaufes des Wassers zu decken. Gewöhnlich macht man sich von dem Fassungsvermögen der Festlandsvorratskammern ozeanischer Zufuhr eine sehr übertriebene Vor- stellung. In meiner S. 593 zitierten Arbeit über den gesamten Wasservorrat der Erde habe ich die Menge des in der Erdrinde zirkulierenden Grundwassers in günstigem Falle auf etwa das Doppelte bis Dreifache der jährlichen Niederschlags- menge, also auf 250000 cbkm, geschätzt. Das ist nur etwa 6-7 mal mehr als der im Durchschnitt jähr- lich dem Festlande zugeführte ozeanische Wasser- dampf. Ebensoviel Wasser, d. h. eine Viertel Million cbkm, fassen etwa die Binnenseen der Erde zusammen genommen. Dieses Volumen kann aber keineswegs als Reservoir für solche Zeiten be- trachtet werden, in denen der Ozean zu streiken droht, denn der größte Teil dieser Masse fheßt nicht ab, sondern muß als stehendes Gewässer betrachtet werden. Das eigentliche Retentions- vermögen der Binnenseen beträgt höchstens so viel als der Ozean jährlich im Durchschnitt Wasserdampf an den Kontinent abgibt. Diese beiden Sparkassen können also weder ein großes Kapital aufnehmen, noch auch infolgedessen in Notstandszeiten wieder abgeben. Beträchtlicher ist immerhin das Reservekapital an Ozeandampf, das in den Eismassen der arktischen Gegenden aufgespeichert ist und eventuell zur Verfügung steht. Ich habe es auf Grund der Angaben von Heß und Meinardus im ganzen auf etwa 4 Miil. cbkm Eis entsprechend 3 V2 Mill. cbkm Wasser geschätzt, also eine Menge, welche etwa das Hundertfache der durchschnittlichen jährlichen Ozeanfracht beträgt. Man darf aber über dieser erfreulichen Aussicht nicht vergessen, daß der Austausch zwischen diesen Eismassen und dem Ozean sich in der Hauptsache auf ein isoliertes Gebiet beschränkt, das mit der übrigen Ökumene nur in sehr losem Zusammenhange steht. Bleibt als letztes noch die Schneemengen, welche teils dauernd, teils während der kühleren Jahreszeit einen nicht unbeträchtlichen Teil des festen Lan- des bedecken. Nehmen wir an, daß dies etwa '/^ der Landfläche sei, so erhalten wir, eine durch- schnitdiche Schneedecke von 25 cm gerechnet, für die ganze Erde noch nicht 1000 cbkm Schnee und setzen wir den durchschnittlichen Wasserwert des Schnees zu 0,25, so repräsentiert die Schnee- decke der gesamten Erde nur den winzigen Be- trag von 250 cbkm, das ist weniger Wasser als der einzige Onegasee in Rußland faßt und wenig mehr als das Doppelte des Volumens des Genfer Sees. Und selbst, wenn wir das Zehnfache dieses Betrages annehmen wollten, kämen wir doch nur auf 2500 cbkm, also etwa den 14. Teil des jähr- lichen Betriebskapitals des Ozeans. Also auch mit den in Form von Schnee aufgespeicherten Wasservorräten des festen Landes ist lange nicht soviel Staat zu machen, wie man sich gewöhn- lich einbildet. Ein einziger Hoffnungsstrahl scheint den um den Wasserhaushalt magerer Jahre besorgt in die Zukunft schauenden Menschen noch zu schimmern: Der große jüngst verstorbene Geologe Sueß hat bekanntlich die Quellen in zwei Gruppen einge- teilt, in solche, deren Wasser aus der Atmosphäre stammt, die er vadose nennt, und solche, die, wie der Wasserdampf der Vulkanausbrüche, ein Ergebnis des allmählichen Entgasungsprozesses des Magmas der Erde sind und juvenile genannt werden. Nun mag man immerhin zugeben, daß alles vadose Wasser einst juvenil war, aber die Experimente des Genfer Apothekers B r u n i) haben es in hohem Maße wahrscheinlich gemacht, daß es zurzeit über- haupt gar kein juveniles Wasser mehr gibt, daß alles Wasser in der Erdrinde vados, d. h. aus der Atmosphäre stammt, also fiüher schon einmal an die Erdoberfläche gekommen ist. Noch sind diese Untersuchungen nicht abgeschlossen, weil sie äußerst kostspielig sind, aber wir müssen mit großer Wahrscheinlichkeit mit der leidigen Tat- sache rechnen, daß das Erdinnere kein neues juveniles Wasser mehr besitzt, also von sich aus nicht in der Lage ist, den einmal \ orhandenen Wasservorrat zu vermehren. Pessimisten sind so- gar der Anschauung, daß sich derselbe stetig ver- mindere (s. o.), doch wollen wir diese Frage, wie gesagt, hier unerörtert lassen. Es scheint also so, daß uns Menschen, wenn wir den Wasserhaushalt der Erde zugunsten einer geordneten Wasserwirtschaft, die in Zeiten der Not zehren soll von den Überschüssen der fetten Jahre, verbessern wollen , nichts anderes übrig bleibt, als durch künstliche Maßregeln einerseits den übermäßigen Abfluß der Flüsse in den Ozean zu verhindern, andererseits durch Anlage von Staudämmen und Staubecken die natürlich vor- handenen stehenden Gewässer zu vergrößern und ihre Zahl zu vermehren. Die zweckmäßigste Ein- richtung aber aller wasserwirtschaftlichen Maß- regeln, welche der Mensch in seinem eigenen wohlverstandenen Interesse ergreift, können nur getroffen werden auf Grund einer immer mehr in die Tiefe gehenden Kenntnis von dem wirklichen Wasserhaushalt der Erde, von dessen völliger Be- herrschung wir noch weit entfernt sind. Aber alle die erwähnten Arbeiten, vor allem auch die von Keller, haben ihr Scherflein dazu beige- tragen, uns diesem endgültigen Ziele mehr und mehr zu nähern. 1) Recherches sur rexlialation volcaniquc. Genf und Paris 191 1. N. F. Xlll. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 599 [ Nachdruck verboten. Stoßioiiisatiou. Sammclreferat von Dr. Bräuer, Lichtenberg. Freie Elektronen haben die Fähigkeit, wenn sie mit genügend großer Geschwindigkeit auf ein neutrales Molekül auf[>rallen, von diesem ein anderes Elektron, also ein masseloses Elektrizitätsatom, ab- zuspalten; die Masse des Moleküls bleibt dabei natürlich mit dem entsprechenden Betrage positiver Elektrizität geladen als positives Ion zurück. Läßt man z. B. Kathodenstrahlcn, die ja nichts anderes sind als ein Strom rasch fliegender Elektronen, durch ein dünnes Aluminiumblättchen, ein sog. Lcnard'sches Fenster, aus dem Entladungsrohre, in dem sie erzeugt wurden, in die Atmosphäre austreten, so wird die Luft in der Umgebung des Fensters stark leitend; ebenso ionisieren (^-Strahlen des Radiums jedes Gas, in das sie eindringen, sehr stark. Da diese Ionisation gewissermaßen durch Stoß erfolgt, nennt man sie Stoßionisation, ob- wohl der Vorgang ein rein elektrischer sein muß und wohl mehr Ähnlichkeit mit einem kurz- dauernden Induklionsvorgange hat als mit einem Massenstoße hat. Man ist nun in der Lage, wie aus den unten beschriebenen Versuchen hervorgeht, die Be- dingungen, unter denen Stoßionisation eintritt, mit einer für Molekülvorgänge sehr großen Genauigkeit zu ermitteln und damit ohne erhebliche hj'pothetischc Voraussetzungen eine der wesentlichsten und inter- essantesten Eigenschaften der Materie messend zu verfolgen. Die wesentlichen Versuche in dieser Richtung sind von J. Frank und G. Hertz am Berliner Physikalischen Universitätsinstitut ausge- führt worden. Das Prinzip der Messungen ist das folgende : Man erzeugt Elektronen mit möglichst geringer Anfangsgeschwindigkeit, entweder, indem man sie durch ultrariolettes Licht aus einer Metallfläche auslöst, oder durch einen glühenden Platindraht, der ja bekanntlich spontan Elektronen geringer Geschwindigkeit aussendet. Das letztere Verfahren wurde von Frank und Hertz angewandt. Der Glühdraht war von einem zylindrischen Draht- netze umgeben und zwischen Glühdraht und Netz wurde ein elektrisches Feld erzeugt, das die Elek- tronen beschleunigte und sie mit einer Geschwindig- keit, welche aus dem Potentialabfalle im Felde ohne weiteres bekannt war, wenn keine Geschwin- digkeitsverluste eintraten, durch die Maschen des Netzes hindurchtrieb. Da der Glühdraht elektrisch geheizt wurde, lag zwischen seinen beiden Enden der durch den Ohmschen Wiederstaud erzeugte Potentialunter- schied, und das P'eld gegen das Drahtnetz war um diesen Betrag nicht gleichmäßig. Es gelang aber diesen Potentialabfall so niedrig zu halten, daß die gewonnenen Kurven nur unwesentlich ab- geflacht wurden. Die das Netz durchfliegenden Elektronen ge- langten in ein zweites elektrisches Feld, erzeugt zwischen dem Drahtnetze und einem äußeren Metallzylinder, welches dem inneren Felde ent- gegengesetzt gerichtet war, die Elektronen also abbremste. War das Gesamtgefälle des zweiten F'eldes größer als das des ersten, so gelangte selbst- verständlich kein Elektron bis auf den Außenzylinder. Je schwächer das äußere Feld im Verhältnis zu dem inneren gemacht wurde, desto mehr Elek- tronen kamen durch, je nach dem Geschwindig- keitsverluste, den sie auf ihrem Wege erfahren hatten. War der Verlust Null, so schnellte der Strom zwischen Netz und Außenzylinder, sowie das äußere F'eld im geringsten das innere unter- schritt, von Null auf seinen höchsten Wert empor. Ging aber schon bei stärkerem Außenfelde ein Strom zwischen Zylinder und Netz über, so war das das Anzeichen, daß Stoßionisation stattfand, daß also positive Ionen gebildet wurden, die soweit sie sich auf der Außenseite des Drahtnetzes be- fanden, das Feld natürlich auf den Außenzylinder trieb. Durch Variieren des äußeren und inneren Feldes war man also in der Lage, zu verfolgen, 1. welchen Teil ihrer kinetischen Energie die Elektronen beim Aufprallen auf die Moleküle des den Apparat erfüllenden Gases verlieren, oder mit anderen Worten, inwieweit diese Zusammenstöße elastisch resp. unelastisch verlaufen, 2. wie sich dieser Energieverlust mit der Ge- schwindigkeit des stoßenden Elektrons ändert, 3. bei welcher Geschwindigkeit der Stoß eine Zertrümmerung des getroffenen Moleküls, also Stoßionisation, zur Folge haben kann, 4. bei welchem Bruchteil der mit genügender Geschwindigkeit erfolgenden Zusammenstöße nun auch wirklich Stoßionisation eintritt, 5. mit welchem Energieverlust für das Elektron eine solche Stoßionisation verknüpft ist. Diese Fragen sind noch keineswegs alle in vollem Umfange beantwortet. Aber die Beobach- tungen geben doch schon ein in den Grundzügen geklärtes Bild der Vorgänge, wenn auch über den Mechanismus eines Elektronenstoßes noch recht wenig ausgesagt werden kann. Nun die Ergebnisse, zunächst bei Feldern, die nicht stark genug sind, um ein Elektron zur Stoß- ionisation zu befähigen : War der Apparat gefüllt mit Wasserstoff, so ergab sich ein allmähliches An- steigen des im äußeren Kondensator fließenden Stromes, wenn die verzögernde Spannung immer kleiner gemacht wurde im Verhältnis zu der be- schleunigenden Spannung des inneren Feldes. Das heißt, die Elektronen traten mit sehr ver- schiedenen Geschwindigkeiten durch das Drahtnetz, sie hatten also Energie beim Auftreffen auf die Gasmoleküle verloren. Verdeutlicht wurde dieses Resultat noch dadurch, daß die Zahl der bis zum Außenzylinder durchgelangenden Elektronen, also der gemessene Strom, mit steigendem Gasdrucke, also bei Vermehrung der Zusammenstöße abnahm. 6oo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 38 Sauerstoff ließ überhaupt nur bei sehr kleinen Drucken einen Strom entstehen. 0.,,CI, Br, I, und ähnliche Gase besitzen nämlich hohe „Affinität zum Elektron", sie lagern die Elektronen ihren Molekülen an und bilden schwere negative Ionen, die entsjjrechend starke Reibung der Gase erfahren. Ganz anders war das P>gebnis, wenn Edelgase, He, Ar, Ne, auch äußerst reiner Stickstoff und Metalldämpfe die Kondensatoren füllten. Jetzt stieg nämlich der Strom, sowie die verzögernde Spannung auch nur wenig die beschleunigende unterschritt, rasch an, und die Auswertung der Beobachtungen ergab keinen nachweisbaren Energieverlust. Die Elektronen werden also von den Molekülen der elektropositiven Gase beim Zusammenstoß elastisch reflektiert — solange ihre Geschwindigkeit nicht den kritischen, zur Stoßionisation befähigenden Wert überschreitet. Diese Reflexion ist auch direkt von Frank und Hertz verfolgt worden, indem die seitwärts abfliegenden Elektronen aufgefangen und ihre Zahl und Geschwindigkeit gemessen wurden. Auch diese Versuche geben als einfachste Deutung völlig elastische Stöße bei den Edelgasen, bei Hj merkliche Energieverluste, z. T. auch An- lagerung, bei O.^ wohl ausschließlich Anlagerung des Elektrons an das neutrale Molekül. Der scharfe Unterschied zwischen den Gasen, Sauerstoff, Chlor usw. und Wasserstoff einerseits, den Edelgasen und Metalldämpfcn andrerseits ist auch dann ausgeprägt, wenn das stoßende Elektron die zum Ionisieren befähigende Geschwindigkeit besitzt. Die elektronegativen Gase sind im all- gemeinen leichter zu ionisieren als die Edelgase. Drückt man die Geschwindigkeit des Elektrons durch das T'eld aus, welches es frei durchlaufen haben müßte, um diese Geschwindigkeit zu er- halten, so beträgt die lonisierungsgesch windigkeit für Volt Molekülradius, cm He 20,5 o,g ■10-'* Ne 16, 1,1 Ar 12 1,35 H.2 II 1,09 O2 9 1.36 N., ^ 7,5 1,48 In der Tabelle ist der gaskinetisch gewonnene Molekülradius zugefügt. Sein Parallelgehen mit der lonisierungsspannung ist recht interessant. Der Moment , in dem das innere Feld die lonisierungsspannung überschreitet, macht sich nun aber nicht etwa in einem Anwachsen des Stromes bemerkbar, sondern in einem völligen Ver- schwinden eines Elektrizitätstransportes selbst bei sehr schwachem Gegenfelde. Zunächst ist dabei zu beachten, daß die erzeugten positiven Ionen ja ganz überwiegend dem Einflüsse des inneren Feldes unterliegen, also nach dem Glüh- drahtc zurückgetrieben werden. Sie bewirken also keinen Strom. Daß aber auch die Elektronen, mögen sie nun ionisiert haben oder nicht, auch nicht mehr gegen das schwächste Feld im Außen- kondensator anzulaufen vermögen, beweist, daß sie allesamt bei einem mit mehr als lonisationsge- schvvindigkeit erfolgenden Zusammenstoß ihre ge- samte Energie abgeben. Diese abgegebene Energie dient nun in einigen F'ällen dazu, ein anders Elektron aus dem Molekülverbande herauszuschlagen, in anderen tritt sie als Strahlung auf Diese merkwürdige Tatsache , daß in einem Edelgase ein stoßendes Elektron , das geringere als lonisierungsenergie besitzt ohne Energieabgabe reflektiert wird, daß es aber seine gesamte Energie verliert, sowie diese einen ganz bestimmten Wert erreicht hat, ohne Rücksicht darauf, ob der lonisationsvorgang eintritt oder nicht, deutet natürlich sofort auf einen Zusammenhang mit anderen un- stetigen quantenhaften Energieübertragungen, wie sie die Theorie der Strahlung fordert, hin. Nach ihr soll ja bekanntlich eine Strahlung erst dann eintreten, wenn das schwingende Gebilde die Energie eines Wirkungsquantums = h- )' (h Konstante, v Eigenschwingungszahl) besitzt. Die Energie eines ,, unelastisch" stoßenden Elektrons ist aus den Messungen bekannt, und es liegt nahe, unter v die Eigenschwingung des gestoßenen Moleküls zu verstehen. Von dieser Überlegung ausgehend, be- stimmten Frank und Hertz die lonisierungs- energie in Ouecksilberdampf. Das Molekühl des (Juecksilberdampfes hat ja eine typische Eigen- schwingung bei 253,6 |((/( (vgl. das Sanmiclreferat über Resonanzstrahlung in Heft 16 d. Ztschr. 1914) und außerdem zeigt Hg-Dampf ganz das Ver- halten eines Edelgases. Bei den Messungen wurde das verzögernde Feld konstant gehalten, und zwar war sein Gefälle niedriger als die lonisierungs- spannung. Es wurde dann der durch den Außen- kondensator fließende Strom als F"unktion des beschleunigenden Innenfeldes festgestellt. Die Messungen ergaben als Kurven dargestellt äußerst saubere Wellenlinien, deren Maxium um 4,9 Volt voneinander abstanden. Das ist folgendermaßen zu erklären: Solange das beschleunigende Feld schwächer ist als das verzögernde, kommen über- haupt keine Elektronen auf den Auffangezylinder. Bei weitcrem Steigen des Innenfeldes zeigt sich ein wachsender Strom, der in dem Moment, wo die lonisierungsspannung erreicht wird und die Elektronen alle bei einem Stoße in der Nähe des Drahtnetzes auf Null abgebremst werden, von einem Maximalwerte auf o fällt. Dann wächst der Strom wieder, bis die Elektronen ein zweites IMal ionisieren können, wobei sie wieder sämtlich ihre ganze Energie abgeben und der Strom ver- schwindet. Es ließ sich eine ganze Reihe solcher Maxima erhalten, denn, wie angegeben, ergab sich die lonisierungsspannung zu 4,9 Volt, also niedriger als bei den möglichen störenden Verunreinigungen. (Die gleichen Kurven fielen bei Helium weit weniger schön aus, denn bei der hohen lonisierungs- energie dieses Gases (20,5 Volt) wurde natürlich jedes fremde Molekül leichter zertrümmert als die Heliummoleküle}. Nun wurde dieser Wert 4,9 Volt gleich h-v und v gleich der zur Wellenlänge 253,6 /(;« gehörigen Schwingungszahl gesetzt. Es ergab sich h zu 6,59- lO""^' erg sec ± 2"!^, während aus N. F. XIII. Nr. 38 Naturwissenschaftliche VVochcnsclirift. ( lO I dem Strahlungsgesetze h = 6,62-io~-' folgt, also Quarzspektrograph diese Lienie und nur diese eine glänzende Übereinstininiung. Linie als Strahlung des von Elektronen getroffenen Um diesem schönen Resultate die volle Re- Quecksilberdampfes auf. Man kann sagen, daß deutung zu geben, wurde nun versucht, ob sich hier zum ersten Male direkt durch das Experiment diese Strahlung von 253,6 fift nicht auch optisch eine quantenhafte Energieübertragung nacho-e- nachweiscn ließe. Und tatsachlich zeichnete der wiesen ist. Einzelberichte. Botanik. Der Antagonismus der Salze und seine Bedeutung für den Pflanzenbau. Man ver- steht bekanntlich unter Antagonismus der Salze die Eigenschaft von Mineralsalzen die giftige Wir- kung anderer Salze herabzusetzen oder aufzuheben. Für tierische Organismen sind zuerst von Jac- ques Loeb, für Pflanzen von Osterh out phy- siologisch ausgeglichene Lösungen solcher Salze hergestellt worden, d. h. Lösungen, in denen die Salze in solchem Verhältnis vorhanden sind, daß sie die giftige Wirkung aufheben, die ihre Bestand- teile für sich allein ausüben würden. Natürliche Lösungen dieser Art sind das Seewasser und das Blut. Chas. B. Lipman von der Universität in Kalifornien, dem wir bereits eine Reihe interessanter Untersuchungen über diesen Gegenstand verdanken, hat neuerdings die Bedeutung studiert, die der Antagonismus der Salze im Erdboden für die höheren Pflanzen und für die Bodenbakterien hat. Da sich herausgestellt hatte, daß die mit Wasser- kulturen erhaltenen Ergebnisse sich meist nicht auf Bodenkulturen anwenden lassen, so führte Lipman seine Versuche mit Alkalisalzen in Bodenkulturen aus. Durch die Untersuchung sollte auch festgestellt werden, ob ein Antagonis- mus zwischen den Anionen bestehe. Dieser Punkt war von besonderem Interesse, da in gewissen Böden, in denen sich das Alkali in schädlichem Maße angehäuft hat, vorzüglich verschiedene Natriumsalze eine Rolle spielen und die Moffnung bestand, durch genauere Kenntnis der antagonisti- schen Beziehungen eine Waffe in dem Kampfe um die Wiedergewinnung solcher Alkaliböden zu erlangen. Demgemäß wurden Topfkulturen von Gerste unter Verwendung verschiedener Böden und einer großen Zahl verschiedener Kombina- tionen von Chlornatrium, Natriumsulfat und Na- triumkarbonat angesetzt. Der Einfluß der Salze wurde gemessen an dem größeren oder geringeren Trockengewicht der geernteten Gerstenpflanzen. Es zeigte sich deutlich, daß die geernteten Pflan- zen ein beträchtlich geringeres Trockengewicht hatten, wenn z. B. der Boden nur 0,25 "/„ Chlor- natrium enthielt, als wenn ihm außerdem noch 0,12 '7(, Natriumkarbonat zugesetzt waren. Kom- binationen von Natriumkarbonat und Natrium- sulfat ließen gleichfalls, wenigstens in Konzen- trationen von einer gewissen Stärke, antagonisti- sche Wirkung hervortreten. Da das Kation in allen Fällen das gleiche ist, so ergibt sich, daß ein Antagonismus zwischen den Anionen besteht. Lipman prüfte aber auch den Antagonismus zwischen Kationen durch Kulturversuche, in denen dem Boden verschiedene Mengen von Natrium- sulfat und Kalksulfat zugesetzt wurden. Wurde Kalksulfat zu einer giftigen Menge Natriumsulfat gefügt, so zeigte sich eine ausgesprochene Besse- rung des Bodenzustandes für die Gerstenkultur, vorausgesetzt, daß das zugesetzte antagonistische Salz in genügender Menge verwendet wurde, wäh- rend kleine Mengen von Kalksulfat eher die toxi- sche Wirkung des Natriumsulfats verstärkten. Diese Versuche lassen, wie Verf. glaubt, die Möglichkeit erkennen, der giftigen Wirkung von Alkalisalzen in Böden entgegenzuwirken. Angesichts der Bedeutung der Bakterienflora des Bodens für das Wachstum der höheren Pflanzen zog Lipman auch sie in Betracht, indem er untersuchte, wie die Tätigkeit der ammonifizieren- den und der nitrifizierenden Bakterien durch die Salze beeinflußt würde. Frühere Versuche hatten gezeigt , daß 0,2 % Chlornatrium und 0,9 "/„ Na- triumsulfat (jedes für sich) auf die ammonifizieren- den Bakterien eines leichten kalifornischen Sand- bodens toxisch wirkten. Bei Anwesenheit von 0,2 "/„ Chlornatrium in einer Bodenkultur wurden beispielsweise 30,73 mg Ammoniak gebildet. Ent- hielt der Boden aber außer 0,2 " „ Chlornatrium noch 0,3 "/o Natriumsulfat, so wurden 37,10 mg Ammoniak-Stickstoff erzeugt. Bei Hinzufügung von 0,7 % Natriumkarbonat zu derselben giftigen Menge Chlornatrium verdreifachte sich die er- zeugte Menge Ammoniakstickstoff gegenüber der- jenigen Menge, die in dem nur Chlornatrium ent- haltenden Boden gebildet wurde. Eine Boden- kultur mit der toxischen Menge Natriumsulfat (0.9 "(o) ergab nur 28,59 mg Ammoniakstickstofi"; wurden aber 0,6 "/„ Natriumkarbonat hinzugefügt, so bildeten sich 45,38 mg Ammoniakstickstoff. Auch für die nitrifizierenden Bakterien wurde eine ausgesprochene Besserung festgestellt beim Zufügen eines toxischen Alkalisalzes zu einem anderen. Z. B. vermehrte der Zusatz von 0,05 "/„ Natriumsulfat zu einer Bodenkultur, die 0,2 % Chlornatrium enthielt, das Nitrifikationsvermögen desselben Bodens um 40 "/„, und die Erhöhung dauerte fort selbst bei Anwendung größerer Mengen von Natriumsulfat (bis 0,15 %). 0,05 "/o Natriumkarbonat waren entschiedenen toxisch ; aber wenn 0,1 "/„ Natriumsulfat hinzugefügt wurden, stieg das Nitrifikationsvermögen um 35 "'q. Wurde Natriumsulfat in giftiger Konzentration, z. B. von 6o2 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. F. XIII. Nr. 38 0>35 "luf verwendet, so erhöhte der Zusatz von 0,05 "/(, Natriumkarbonat (gleichfalls in toxischer Konzentration) das Nitrifikatioiisvermögen des Bodens um annähernd 25 % über das desselben Bodens, der nur die erwähnte Menge Natrium- sulfat enthielt. Auch diese Ergebnisse zeigen deutlich die antagonistifche Wirkung von Anionen. Am stärk- sten ist dieser Antagonismus bei den untersuchten Natriumsalzen zwischen dem Karbonat und dem Chlorid, weniger stark ist er zwischen dem Kar- bonat und dem Sulfat, und am schwächsten zwi- schen Chlorid und Sulfat. Der größte Antagonis- mus wurde beobachtet zwischen 0,2 "/^ Chlorid und 0,7 "/o Karbonat. Die Prozentzahlen beziehen sich alle auf Trockengewicht des Bodens. (Proceed. Sog. for the Promotion of Agricultural Science 1913, 8 pp. Centralbl. f. Bakt. Abt. II, Bd. 36, 191 3i P- 3^2—394). F. Moewes. Bakteriologie. Einfluß der Schwermetallsalze auf Ammoniiizierung und Nilrifizierung im Boden. Im Laufe von Untersuchungen über den Einfluß von Hüttcnabfällen auf das Wachstum des Getrei- des haben C. B. Li p man und P. S. Burgeß auch die Einwirkung von Kupfer-, Zink-, Eisen- und Bleisulfat auf die Umwandlung organischen Stickstoffs im Boden in Ammoniak und Nitrat, die den Pflanzen als Stickstofifquelle dienen, ge- prüft. Sie fanden, daß diese Salze in allen Kon- zentrationen, von 50 bis 2500 Gewichtsteilen in I MiU. Gewichtsteilen des trocknen Bodens, auf die ammonifizicrende Bakterienflora eines Sand- bodens von Südkalifornien giftig wirkten. Doch ist die Giftwirkung verhältnismäßig gering und in Konzentrationen unter 0,1 "/^ zumeist mehr aus- gesprochen als darüber. Eine stimulierende Wir- kung üben die erwähnten Metalle in keiner Kon- zentration auf die ammonifizicrende Flora aus. Wohl aber ist eine solche W'irkung bei der nitri- fiziercnden P'lora zu beobachten ; sie ist häufig so bedeutend, daß die Nitratbildung verdoppelt wird. In sehr geringen Konzentrationen können dieselben Metalle auf die nitrifizierenden Organismen eine giftige oder gar keine Wirkung ausüben. Die stimulierende Wirkung war noch sehr ausgesprochen bei einer Konzentration von 0,15 "/(,, der höchsten hierbei verwendeten Konzentration (davon machte nur Bleisulfat eine Ausnahme). Daß zwischen dem Verhalten der nitrifizieren- den und der ammonifizierenden Bodenflora, von denen die eine hinsichtlich ihres Rohmaterials ver- mutlich von der anderen abhängig ist, eine so große Verschiedenheit besteht, ist überraschend und schwer erklärlich. Im ganzen bewirken die Schwermetallsalze eine Erhöhung des Nitratgehalts im Boden; denn die Ammonbildung wird höch- stens um 30 "/(, herabgedrückt, während die Nitrat- bildung, wie erwähnt, häufig verdoppelt wird. Am meisten stimulierend wirkt das Kupfer, dessen anregende Wirkung auf das Wachstum höherer Pflanzen ja wiederholt erörtert worden ist und z. T. damit zusammenhängen dürfte, daß Kupfer in den Boden gelangt. Lipman und Burgeß haben auch gefunden, daß keimende Samen und junge Pflanzen bei Gegenwart von Kupfer eine stärkere Wasserabsorption zeigen, und sie ver- muten, daß dasselbe für die nitrifizierenden Bak- terien gelte, die in physiologischer Hinsicht den höheren Pflanzen viel mehr glichen als die übrige Bodenflora (University of California Publications in Agricultural Sciences 1914, Vol. I, Nr. 6, p. 127 bis 139). P. Moewcs. Geologie. Die Entstehung von Schwarzwald und Vogesen behandelt ein mit 13 Profilen illu- strierter Aufsatz von Paul Keßler in den Jahres- ber. und Mitteilungen des Oberrheinischen geolo- gischen Vereins (N. F. Bd. 4, H. i, 1914, S. 30). Die Forschungen der letzten Jahre haben die Entstehungsgeschichte von Schwarzwald und Vo- gesen im großen und ganzen geklärt. Bereits zur präkambrischen Zeit erfolgte eine P'altung der archäischen Sedimente und Eruptivgesteine zu einem Gebirge, das im Oberdevon wieder ab- getragen war. Hierauf trat eine langsame Senkung ein, so daß zur Unterkarbonzeit das Meer ein- dringen konnte und über der devonischen Ein- ebnungsfläche eine Schichtfolge von mehreren tausend Metern Sedimenten und Eruptivgesteinen sich ausbreiten konnte. Gegen Schluß dieser Periode setzte ein seitlicher Schub ein, wodurch ein mächtiges Gebirge aufgetürmt wurde. Auch an diesem jungen Gebirge wirkte während des Ober- karbons eine kräftige Erosion, so daß die Gipfel erniedrigt, Niederungen mit dem Schutt ausgefüllt wurden. Bisweilen bildete sich auch ein Kohlen- flöz. Diese Abtragungsvorgänge dauerten auch noch während des Rotliegenden an und an seinem Schlüsse war eine eingeebnete Landschaft vor- handen. Da und dort erfolgten Eruptionen im Rotliegenden — allerdings weniger bedeutend als im Unterkarbon — , die mit denen des Saar- Nahegebirges ungefähr zusammenfallen. Über dem Rotliegenden, das in den obersten Teilen wohl auch Äquivalente des Zechsteins einschließt, lagert der Buntsandstein, im O. etwa 400 m mächtig, gegen S. und W. langsam auskeilend. Darüber folgen die Schichten des Muschelkalks, Keupers, Lias, Doggers und Malms, die einschließlich des Buntsandsteins ca. lOOOm mächtig sind. Während dieser Zeiten befand sich unser Gebiet in lang- samem Absinken, im N. stärker als im S. Gegen Ende der Malmzeit trat eine Hebung über den Meeresspiegel ein, die während der ganzen Kreide- zeit anhielt. (Erosion!) Im Eozän bildete sich an Stelle des jetzigen Rheintals eine schwache von Flexuren begrenzte Einsenkung. Im Oligozän setzte der eigentliche Einbruch des Rheintalgrabens ein. Die mesozo- ische Schichtentafel samt den darunter liegenden alten Gesteinen zerbarst in einzelne Stücke. Auch die im W. und O. gelegenen Ränder begannen sich zu senken. Infolge der immer weiter schrei- N. V. XIII. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 603 tenden Sent;ungsvorgäiige drang das Meer vom Pariser Becken her in den Graben ein und schlug eine mächtige Schichtfolge nieder. Zur Bildungs- zeit des Septarientons im höheren Milteloligozän erreichte das Oligozänmeer seine größte Ausdeh- nung und war sowohl mit den Meeren im N. und S. verbunden als auch weit über die Ränder des Rheintalgrabcns ausgebreitet. Nach Ablagerung des Septarientons trat eine Hebung ein. Das Meer zog sich zurück. Es kam nun zum Absätze von brackischen oder Süßwasserschichten. Die Gesamtmächtigkeit des Oligozäns dürfte looo m weit übertreffen. Wo Vogesen und Schwarzwald heute liegen, war eine weite Fas' ebene, die auch heute noch trefflich erhalten ist. Diese schneidet die Schichtflächen, die stärker als die heutige Oberfläche nach O. bzw. W. einfallen, schief ab. Im Miozän setzten die gebirgsbildenden Vor- gänge von neuem ein. Während früher die Ab- senkung des Rheintalgrabens und des Ostabfalles des Schwarzwaldes bzw. des Westabfalles der Vogesen die Niveauunterschiede bedingten , tritt jetzt eine gleichmäßige Hebung der beiden Ge- birge ein. Schwarzwald und Vogesen, wie auch Haardt und Odenwald zeigen den Aufbau von Gewölben. Wohl im Zusammenhang mit den tektonischen Vorgängen erwachte die eruptive Tätigkeit wieder (Kaiserstuhl und die kleinen Basaltvorkcnmen im Rhcintal, Schwarzwald und den Vogesen). In den folgenden Zeiten vom Miozän bis zur Jetztzeit erfolgte die Herausmodellierung des jetzigen Landschaftsbildes, vor allem der mehrere 100 m tiefen Schluchten und Täler nach dem Rheintal zu. Am Außenrand war die Abtragung weniger stark, doch wurde ein großer Teil der weichen Schichten zwischen Schwarzwald und Alb wegerodiert. Der Rhein selbst ist früher durch die burgundische Pforte zum Rhonesystem abge- flossen und wurde verhältnismäßig spät in seine jetzige Richtung abgelenkt. Der Diluvialzeit ge- hören die prächtigen Terrassen und Lößablage- rungen im Rheintal an. Spuren der Eiszeit be- gegnen wir in manchen Tälern. Zahlreiche Ge- birgsseen sind durch Gletschertätigkeit entstanden. Indessen sind manche Wasseransammlungen auch auf moorigen Untergrund zurückzufahren. V. Hohenstein. Entwicklungsmechanik. Wiederholt wurde über Erscheinungen an den unbefruchteten Eiern von Lurchen und Vögeln berichtet, welche an die normale Furchung des befruchteten Eies erinnern; sie wurden als „rudimentäre natürliche Partheno- genese^' bezeichnet Wie aus einem Aufsatz von Lecaillon (Sur l'existence de phenomcnes de Parthenogenese naturelle rudimentaire chez le Crapaud commun (Bufo vulgaris Laur). C. R. Ac. sc. Paris Nr. 25, 22 Juni 1914) hervorgeht, treten solche Erschei- nungen in der Tat auf, haben aber mit einer wirklichen F'urchung nichts zu tun. Wenn man eine weibliche Kröte zur Zeit der Eiablage aus der Umklammerung durch das Männchen löst, sorgfältig mit Wasser und Sub- limatlösung I : 1 000 wäscht, so fährt das Weibchen in der Eiablage fort, die abgelegten Eier sind aber sicher unbesamt. Ebenso kann man von einer weiblichen Kröte, die dauernd isoliert gehalten wurde, unbefruchtete Eier erhalten. In derTat entwickeln sich zwar niemals Plmbryonen aus derartigem Material. Einige Stunden nach der Ablage jedoch zeigt das Ei auf seiner Ober- fläche 4 — 5 nahezu parallele Furchen, die aber nur sehr wenig tief in den Dotter einschneiden. Bei den meisten Eiern treten daneben noch zwei oder drei deutlichere Purchen auf, und bei einem sehr geringen Teil der Eier außerdem solche, welche jenen des befruchteten Eies entsprechen. Die Oberfläche des Eies wird dann in ziemlich zahlreiche Abschnitte geteilt. Die Furchen aber erreichen niemals das Zentrum des Eies. Die Furchen gleichen auffallend jenen, die nach dem Anstich des l'roscheies zur Hervorrufung der künstlichen Parthenogenese nach dem Battaillon- schen\'erfahren auftreten. Letztere dürften also nicht auf den Anstich zurückzuführen sein, da sie auch ohne einen solchen auftreten können. Ebenso aber stellt die Furchung des befruchteten Eies auch keine neue Eigentümlichkeit dar, die Segmentation wird durch die Samenzelle nur besser orientiert im Hinblick auf einen gesicherten Verlauf der Ent- wicklung. Kathariner. Anatomie. Eine lebende erwachsene Doppcl- mißbildung (Epigastrius parasiticus) beschreibt P". Marc band (Münchener Med. Wochenschrift Nr. 28, 14. Juli 1914). Es handelt sich um einen 30-jährigen Mann, der 1884, von italienischen Eltern abstammend, in Buenos- Aires geboren wurde. Seine Mutter hatte 13 Kinder; ein bei der Ge- burt gestorbenes hatte zwei Köpfe und ein Bein- paar. In der Gegend des Epigastriums hängt ein vollkommen entwickelter Körper mit 4 Extemi- läten herab; die Bauchfläche des Parasiten ist dem Autositen zugekehrt. Die beiden Gliedmaßen tragen Hände und Füße. Finger und Zehen sind entwickelt, mit je einem Nagel. Vom Skelett waren bei der Röntgenaufnahme nur einige Knochenstücke zu finden, die als Reste des Schulter- und Becken- gürtels gedeutet werden. Wirbelsäure und Rippen fehlen gänzlich. Auch ein Herz scheint nicht vorhanden zu sein. Die Blutversorgung erfolgt vom Autositen her durch eine Arterie. Der Puls ist nur stellenweise schwach fühlbar und die Extremitäten fühlen sich sehr kühl an. Ob ein selbständiger Darm vorhanden ist, konnte mit Sicherheit nicht entschieden werden; jedenfalls fehlt eine Afteröffnung. Früher bekannt gewordene derartige Doppel- mißbildungen sind der Heteradelphus (Geofroy St. Hilaire d. Altere) und Dipygus parasiticus Ahlfeld. 6o4 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. F. XIII. Nr. 38 Die meisten starben schon vor oder während der Geburt. Einzelne dagegen erreichen ein höheres Alter, so der Genueser Lazarus, Colloredo (geb. 161 7). In mehreren Fäl- len ließen sich auch Reste eines Kopfes nachweisen, in denen diese jedoch mit dem Kopf des Auto- siten völlig ver- schmolzen waren. So wurden z. B. wiederholt solche beschrieben, in de- nen der Kopf 4 Ohren trug. Bei den meisten Doppelmißbildun- gen, so im vorlie- genden h'alle, fehlt der Kopf ganz, so daß es aussieht, als sei der Parasit in die Brust seines Trägers einge- pflanzt, während die Extremitäten und Teile des Rumpfes, mehr oder weniger ausgebildet, frei her- vortreten. Im Jahre 1899 beschrieb Rudolf Virchow einen etwa 18 — 19 Jahre alten derartig mißbildeten Indier und 1901 wurde in Prag ein 14 Jahre alter Knabe vorgestellt mit der gleichen Mißbildung, ebenfalls indischer Herkunft. Was die Entstehung einer derartigen Mißbildung angeht, so beruht dieselbe nach Marchand darauf, daß zwei Anlagen sehr frühzeitig ziemlich ventral einander gegenübergestellt, miteinander verwachsen, bei ungleichmäßiger Ausbildung der beiden. Das Herz fehlt dem Parasiten ganz, während es bei den symmetrischen Thorakopagen ver- doppelt ist. Kathariner. Geographie. Neuere Forschungsreisen. Die Eröffnungssitzung des 19. deutschen Geographen- tages zu Straßburg (Pfingsten 1914) war wie üb- lich den neueren F"orschungsreisen gewidmet. ') Die Kameruner Grenzexpedition, über die H. G e h n e berichtete, hatte die Aufgabe, die neue Südgrenze von Kamerun festzulegen. An der Küste ist diesem Gebiet eine 5 — 10 km breite Mangrovensumijfzone vorgelagert, der im Innern ein sanftwelliges Hügelland folgt, aus flachge- lagerten Sedimenten bestehend, die wahrschein- lich alttertiäres Alter besitzen. Östlich daran schließt sich ein kristallines Gebiet, in dem sich zwei Zonen unterscheiden lassen. Die höhere bildet ein Plateau von 800 m Höhe, das zur zweiten Zone, einer 2 — 300 m niedrigen Ein- cbnungsfläche abfällt. Das ganze Gebiet, das mit primärem Urwald bedeckt ist, zeigt klimatisch zwei Regenmaxima: Ende April und Oktober, empfängt aber Regen zu allen Jahreszeiten. Die chemische Verwitterung des (lesteins führt zur Hu n tey debildung und zwar bilden die kristal- linen Gesteine ockergelbe Tonerde, der faule Mangrovenschlick dagegen tiefschwarze Erde. Der Abs|)ülung setzen hier die Wurzeln großen Wider- stand entgegen, während die Bodenversetzung im allgemeinen bedeutende Beträge erreicht. So tritt an den Rücken oft das kahle Gestein zutage, an dem die Insolation kräftig arbeitet. Die Endform dürfte eine Rumpffläclie sein. Über die geologischen und geographischen l^rgebnisse der 2. deutschen Antarktischen Expedition berichtete F. Heim. Die Weddel- scc, tue viel weiter ins Innere des Kontinents vor- dringt als man bisher annahm, gehört zu einem großen Bruchschollengebiet, dessen innere Teile, das Luitpoldland, eine wenig mächtige Inlandeis- decke tragen. Dem geologischen Charakter nach weist das Kettengebirge des Grahamlandes nicht auf die Anden, sondern eher auf Australien liin- über — in den Moränen wurden rote Konglo- merate mit PorphyrgeröUen gefunden. Die Eis- barriere des Luitpoldlandes hält Heim für einen Relikt aus der Eiszeit; unter den heutigen klima- tischen Verhältnissen kann sich eine über tieferem Meere schwimmende Barriere nicht neu bilden. Beim Trifteis spielen Pressung und Packung eine große Rolle. Auch Süd-Georgien wurde von der Ex- pedition untersucht; es besteht aus jungpaläozo- ischen und mesozoischen Gebirgsketten, die 2000 bis 3000 m Höhe erreichen. Die Gebirge tragen in den Hauptkämmen Eisbedeckung, die aber wäh- rend der Eiszeit noch bedeutend stärker war. Die Abtragung der fast vegetationslosen Inseln geschieht außer durch die Gletschererosion und die Meeres- tätigkeit vornehmlich durch den Bodenfluß. Der Mawson'schen Südpolarexpedi- tion, über die die G. Z. außerdem berichtet,') die 191 1 — 1914 tätig war, begann ihre Tätigkeit in Adelieland unter 60 " 50' s. Br. und 145" ö. L, wo eine Station errichtet wurde. Wegen der schwierigen Eisverhältnisse erfolgte die Landung der übrigen Teilnehmer auf einer Eisbarriere unter 66" 18' s. Br. und 95" ö. L. in der Nähe von Kaiser Wilhelm IL-Land. Von beiden Stationen wurden im Süd-Sommer 19 12 größere Streifzüge ins Innere und an der Küste unternommen; u. a. wurde der Gaußberg bestiegen und 400 km neue Küste — Königin Mary-Land — erforscht. Die Küste lag unter einer mindestens 300 m hohen Eisdecke begraben. Auch in Adelie-Land steigt die Eisdecke bis zu 2100 m Höhe im Innern an. Bei einem Vorstoß in die Nähe des magnetischen Südpols 191 2/19 13 fand Lt. Ninnis durch Sturz ') S. den Bericht: ,,Petermann's Mitteil." 1914, H. 7 und ,, Geographische Zeilschrift" 1914, H. 7. H. 7, S. 413. N. F. Xlir. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 605 in eine Gletscherspalte den Tod, während Dr. Merz, der andere Begleiter IVIa WS on's, den An- strengungen der Reise erlag. Im ganzen konnte die Expedition 1800 km Küste zwischen Adelie- Land und Kaiser Wilhelm II. -Land aufnehmen. Der in Adelie-Land fast beständig aus S mit 50 m/sec. Geschwindigkeit wehende Wind hat föhn- artigen Charakter, so daß die Temparatur der Station nicht allzu niedrig war und die Küste nicht mit Packeis verbarrikadiert ist. In diesem Gebiet ist der Kontinentalsockel nur schmal. Bei 120 km Entfernung von der Commonwealth-Bai wurde schon 2693 m Tiefe gelotet, nachdem vorher die Tiefe des Meeresbodens nur 382 m betragen hatte. Interessant ist ferner der Nachweis eines 3791 tiefen Grabens südlich von Tasmanien. Über die Augustaflußexpedition ist schon be- richtet worden; eingehender soll später über die Expedition der Kolonialgesellschaft und über F. Klute's h'orschungen am Kilimandscharo im Jahre 19 12 berichtet werden. Dr. Gottfried I lornig. Bticherbesprechungen. Planck, M., Debye, P., Nernst W., von Smo- luchowski, M., Sommerfeld, A. und Lorentz, H. A. Vorträge über die kinetische Theorie der Materie und der Elektrizität. Mit Beiträgen von H. Kam e rling-h- Omes und W. H. Keeson und einem Vorwort von D. Hiebert. 196 Seiten mit 7- in den Text gedruckten Figuren. Leipzig und Berlin 1914. B. G. Teubner. — Preis geh. 7 Mk. In vergangenen Jahre hat die Kommission der Wolfskehlstiftung der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen einen Zyklus von Vorträgen veranstaltet, in welchen die bedeutendsten Vertreter der modernen Forschung auf dem Gebiet der kinetischen Theorie der Materie einen inter- essanten Überblick über den neuesten Stand dieser Theorie gegeben haben. Durch die vor- liegende, von Herrn H i e b e r t besorgte Zusammen- stellung werden diese Vorträge jetzt in dankens- werter Weise einem weiteren Interessentenkreise zugänglich gemacht. Im ersten Vortrag über „die gegenwärtige Be- deutung der Ouantenhypothese für die kinetische Gastheorie" giebt Herr Planck einen kurzen Vergleich der Aussagen der Quantentheorie über das thermodynamische Verhalten eines idealen einatomigen Gases mit den entsprechenden Resultaten der klassischen Theorie. Im zweiten Vortrag über ,, Zustandsgieichung und Ouantenhypothese mit einem Anhang über Wärmeleitung" entwickelt Herr Debye auf Grund der Betrachtung der Helmholtz'schen freien Energie die Zustandsgieichung des festen Körpers für den Grenzfall niederer Temperaturen und zeigt, daß deren Aussagen mit den bisherigen Ergebnissen des Experiments übereinstimmen. Von besonderem Interesse ist das Ergebnis, daß die einfachste Annahme der Linearität der Bewewegungs- gleichungen der Atome des festen Körpers für alle Temperaturen den Ausdehnungskoeffizienten Null und andererseits unendlich große Wärmeleitfähigkeit fordern würde. Beide Forderungen scheinen nach den bisherigen Versuchen bei sehr tiefen Tempe- raturen tatsächlich erfüllt zu sein, so daß für sie die genannte Annahme zuzutreffen scheint, während für höhere Temperaturen eine Modifikation dieser Annahme einzutreten hat. Der Vortrag von Herrn Nernst über die „Kinetische Theorie fester Körper" gibt einen ausgezeichneten Überblick über die (Juantentheorie der spezifischen Wärme und die Bestimmungs- weisen der Eigenfrequenzen der Atome fester Körper. Zu seinem Vortrage über die „Gültigkeitsgrenzen des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie" zeigt Herr v, Smoluchowski, wie die atomistisch- kinetische Auffassung der Materie dazu führt, die Aussagen des zweiten Hauptsatzes der Thermo- dynamik nur noch soweit vom theoretischen Standpunkt aus als bindend anzuerkennen, als sie sich auf das durchschnittliche Verhalten der Körper beziehen, d. h. wenn die in dem betrachteten physikalischen Vorgang mitspielende Anzahl von Einzelereignissen so unmeßbar groß ist, daß eine Abweichung des momentanen Zustands von durch- schnittlichen Zustand außerhalb jeder Wahrnehmung bleibt. Wird hierdurch, da diese Voraussetzung in den allermeisten Fällen zutrifft, auch die enorme praktische Bedeutung des zweiten Hauptsatzes in keiner Weise eingeschränkt, so verliert er doch seine Stellung als unerschütterliches Dogma und wird zu einer nur sehr angenähert gültigen Regel. Verf bespricht dies näher an den Beispielen der zufälligen Konzentrationsschwankungen einer Lösung und der sog. Brown'schen Bewegung. Der Vortrag von Herrn Sommerfeld über „Probleme der freien Weglänge" enthält in seinem ersten Teil eine Untersuchung der Frage, wie weit die Methode der Eigenschwingungen , die von Herrn Debye mit so gutem Erfolge zunächst beim Strahlungsproblem, sodann bei dem Problem der spezifischen Wärme fester Körper in den Dienst der Quantentheorie gestellt worden ist, geeignet ist, auch auf die Theorie der idealen einatomigen Gase angewandt zu werden. Wie sich zeigt, ergeben sich hierbei trotz mancher Er- folche noch Schwierigkeiten, die noch nicht be- friedigend eliminierbar sind sind. Der zweite Teil des Vortrags enthält Betrachtungen über eine durch die Einführung derQuantentheorie erforderlich werdende Modifikation des Begriffs der freien Weglänge in der Gastheorie. Im letzten Vortrag über „Anwendung der kinetischen Theorien auf Elektronenbewegung" bespricht Herr Lorentzdie elektronentheoretischen 6o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xni. Nr. 38 Vorstelkingen über die Elektrizitäts- und VVärme- leitung in Metallen und teilt neue Betrachtungen über die thermoelektrischen Erscheinungen mit. Dieser reiche hihalt der Sammlung gibt ein anschauliches Bild von der gewaltigen Forscher- arbeit und den glänzenden Errungenschaften der letzten Jahre. A. Becker. Das Pflanzenreich. Herausgegeben von A. Engler Heft 55—61. Leipzig und Berlin, W. Engelmann 1912 — 1913. Die Hefte 55 — 61 des im Auftrage der Preuß. Akademie der Wissenschaften von A. Engler herausgegebenen Riesenwerkes „Das Pflanzenreich. (Regni vegetabilis conspectus)", die in dem Zeit- raum vom 6. August 1912 bis 16. Dezember 1913 erschienen sind, legen Zeugnis von dem erfolg- reichen und rüstigen Fortschreiten dieses Unter- nehmens ab, das in der Botanik seinesgleichen sucht und der deutschen Wissenschaft ebensowohl wie der preußischen Akademie und nicht zuletzt dem Verlage von Wilhelm Engelmann in Leipzig zu höchstem Ruhme gereicht. Der Inhalt der erwähnten I lefte ist der folgende : Heft 55 (VL 23 Da.) Araceae-Philodendroideae von A. Engler und K. Krause. Allgemeiner Teil, Homalomeninae und Schismatoglottidinac (mit 678 Einzelbildern in T] Figuren) von A. Engler. 1912. (136 S., 6,80 Mk.) Heft 56(1V.47.) Cannaceae vonFr. Kränzlin Mit 80 Einzelbildern in 16 Figuren. 1912. (IV und 177 S., 4 Mk.) Heft 57 (IV 147. VI.)Euphorbiaceae-Acalypheae- Chrozophorinae unter Mitwirkung von Käthe Hoffmann von F. Fax. Mit 116 Einzelbildern in 25 Figuren. 191 2. (i44 S., 7,20 Mk.) Heft 58 (IV. 147) Euphorbiaceae-Poranthe- roideae et Ricinocarpoideae (Euphorbiaceae- Stenolobeae) (mit 89 Einzelbildern in 16 Figuren) von G. Grüning. (S Mk.) Heft 59 (IV. 251) Hydrophyllaceae (mit 17S Einzelbildern in 39 Figuren) von A. Brand. (210 S., 10,60 Mk.) Heft 60 (IV. 23 D b) Araceae-Philodendroideae- Philodendreae von A. Engler und K. Krause und Philodendrinae von K. Krause (mit 553 Einzelbildern in 45 Figuren. (143 S., 7,30 Mk.) Heft 61 (IV. 228) Umbelliferae-Saniculoideae von Herrn. Wolff (mit 198 Einzelbildern in 42 Figuren und einer Doppeltafel). (305 S., i5,8oMk.) Hoffen wir, daß auch trotz der bedrängten Zeiten das große Werk in gleichem Tempo weiterrücken möge ! Miehe. Geologische Karte von Preußen und benach- barten Bundesstaaten i : 25000. Lieferung 141, Blätter Herzogenrath, Eschweiler, Düren, Aachen, Stolberg und Lcndersdorf, mit Erläuterungen, bearbeitet von E. Holzapfel, herausgegeben von der Königlichen Geologischen Landesanstalt, Berlin 1912. Von dem von der Königlichen Geologischen Landesanstalt herausgegebenen Kartenwerk ist die Lieferung 141 mit den Blättern Herzogenrath, Eschweiler, Düren, Aachen, Stolberg und Lcnders- dorf erschienen. Die Blätter sind von E. Holz- apfel bearbeitet und umfassen ein Gebiet, zu dem der zwischen der Landesgrenze und dem Tal der Roer gelegene nördliche Teil der P_;ifel, die Aachener Berge und der anschließende Teil des Niederrheinischen Tieflandes gehören. Der Name des Bearbeiters, der in den Blättern und den dazu gehörenden Erläuterungen die Ergebnisse seiner langjährigen eingehenden Beschäftigung mit der Geologie des dargestellten Gebietes nieder- gelegt hat, bürgt dafür, daß die Bearbeitung einer- seits eine in jeder Richtung erschöpfende ist, andererseits auch dem heutigen Stande der Geologie in jeder Weise entspricht. Es ist dieses um so höher zu bewerten, als es in Deutschland nicht viele Gebiete gibt, in denen eine Mannigfaltigkeit der geologischen Verhältnisse vorliegt, wie sie das Kartengebiet enthält, das der geologischen Auf nähme die Aufgabe stellte, sowohl in stratigraphischer wie in tektonischerHinsicht cineFülle von Problemen zu lösen wie auch die Verhältnisse der zahlreichen wichtigen Lagerstätten einer Neubearbeitung zu unterziehen. In stratigraphischer Hinsicht interessiert zunächst die Entwicklung des Kambriums, das mit seiner mittleren und oberen Abteilung, derRevin- und der Salm-Stufe den zentralen Teil des Hohen Venns auf den Blättern Stolberg und Lcndersdorf zusammensetzt. Die petrographische Entwicklung gab die Möglichkeit, die beiden Stufen in je zwei Unterabteilungen zu zerlegen. Die Tonschiefer des Salm enthalten oft Dictyograptus flabelliformis (Dictyonema sociale) und weisen dadurch auf Gleichaltrigkeit mit den Dictyonemaschiefern Nor- wegens und Englands hin, die bereits zum Silur gestellt werden. Wenn wir von den Dictyonemaschichten ab- sehen, fehlt das Silur im Bereich unserer Blätter, so daß daß Devon, das in seinen drei Abteilungen vertreten ist und große Flächen zu beiden Seiten des Vennrückens einnimmt, über ältere Schichten transgrediert. Hinsichtlich des Unter devons ist besonders bemerkenswert, daß die Coblenz- Stufe fehlt, dafür aber auf der Nordseite des kam- brischen Sattels ein Schichtenkomplex auftritt, der der „Assise de Burnot" Dom ont's entspricht und rotgefärbte Schiefertone, Sandsteine und Konglome rate umfaßt. Holzapfel zerlegt diese Schichten- gruppe in drei Horizonte und bemerkt, daß die höchste Stufe vermutlich schon Vertreter des unteren Mitteldevons umfaßt. In ihrem Hangenden liegt die Givet- Stufe, die bereits dem oberen Mitteldevon angehört und gleichaltrig mit den Stringocephalenschichten ist. Eine besonders reiche Entwicklung zeigt das Oberdevon, das in einem breiten Band des Mitteldevon begleitet und die Sattelkerne zwischen den nach Nordwesten folgenden Karbonmulden N. F. XIII. Nr. 38 Natu r wissenschaftliche Wochensch ri ft. C07 bildet. Die beiden oberdevonischen Stufen des Frasnien und Famennien werden in eine Reihe von Horizonten zerlegt, die in ihrer Ausbildung in verschiedenen Punkten auf die rechtsrheinische Entwicklung der gleichen Formationsabteilung hinweisen. Das Karbon ist scharf geschieden in zwei Abteilungen, den Kohlenkalk und das pro- duktiv e K a r b o n. Der erstere bildet die Grund- lage einer bedeutenden Steinbruchindustrie und umfaßt drei Abteilungen, den Crinoidenkalk, den Dolomit und den oberen Kohlenkalk. Das größte Interesse von allen geologischen Bildungen des Blattes beanspruchen aber die Schichten des produktiven Karbons, das im Bereich der Blätter Stolberg und Aachen in großen Flächen zutage liegt und durcli Steinkohlenbergbau und Tiefbohrungen unter dem Diluvium und Tertiär des Vorlandes nach Norden bis über die Blätter Herzogenrath und Eschweiler hinaus und nach Osten bis an das Roertal (Blatt Düren) nachge- wiesen ist. Das Profil des Aachener produktiven Karbons entspricht in seinem oberen und mittleren Teil dem Profil des niederrheinisch-westfälischen Pro- duktiven, greift aber nach unten weit über dieses hinaus, indem es nicht allein Äquivalente des Flözleeren sondern auch des oberen Kulm ein- schließt. Der von Holzapfel unterschiedene tiefste Horizont enthält Goniatites diadema, der auf der rechten Rheinseite für die oberen Alaunschiefer des Kulm charakteristisch ist. Die tieferen Schichten des Aachener Produktiven füllen die Mulden aus, die sich zwischen die Oberdevon- und Kohlen- kalksättel am Nordwestabfall des Hohen Venns einschieben, und erreichen ihre große Mächtigkeit in der durch Bergbau seit alter Zeit bekannten Es ch weile r- oder Inde-Mulde. In ihrem Profil unterscheidet Holzapfel eine Anzahl von Horizonten, von denen wegen ihrer Flözführung die Außen werke und die Binnen werke be- sondere Bedeutung haben. Zwischen beiden liegt der Breitgang -Horizont, ein etwa 400 m mächtiges flözarmes Mittel. Die Binnenwerke ent- sprechen den Fettkohlen Westfalens. Ihr tiefstes Flöz Padtkohl ist ident mit Sonnenschein. Das Steinkohlengebiet des Vorlandes ist unter dem Namen Wurmmulde bekannt und wird von den beschriebenen Vorkommen durch die mit einer beträchtlichen Überschiebung verbundene Aufwölbung des Aachener Sattels getrennt. Die tieferen Schichten des Produktiven sind hier nicht bekannt. Sie liegen unter der Überschiebung des Aachener Sattels. Der Bergbau geht im wesentlichen um in einem Schichtenkomplex, der nach unten mit dem Flöz Steinknipp und nach oben mit Horizonten abschließt, die den Gasflamm- kohlen Westfalens entsprechen. Steinknipp ist Sonnenschein Westfalens, bzw. Padtkohl der hidemulde. Seit längerer Zeit ist bekannt, daß im Hangenden von Flöz 6 der Mariagrube eine marine Schicht auftritt, die die Parallelisierung dieses Flözes mit Catharina gestattet. Von den mesozoischen Schichten sind Trias und die obere Kreide vertreten. Die erstere nimmt den südöstlichen Teil des Blattes Lenders- dorf ein und schließt sich in der Entwicklung der beiden vorhandenen Stufen, des Buntsandsteins und des Muschelkalks, dem ausgedehnten Trias- vorkommen an, das den Nordrand der Eifel östlich vom Roertal bildet. Holzapfel hält abweichend von der älteren Auffassung die untere Abteilung des Buntsandsteins vom Eifelrand für ein Äquivalent des mittleren Buntsandsteins. Die obere Kreide bildet große Flächen in der Umgegend von Aachen und zerfällt in eine Reihe von Horizonten, die so- wohl die untere wie die obere Abteilung des Senoris vertreten und nach oben mit den Vet- schauer Kalken abschließen. Von den neuzeitlichenGebirgsgliedernseihiernur noch das Tertiär genannt, dessen Schichten den we- sentlichenTeildesDeckgebirges in dem Steinkohlen- gebiet der Wurmmulde und in der östlichen Inde- mulde zusammensetzen und sich in den Stufen des Oligozäns, des Miozäns und des Plio- zäns einordnen lassen. Das letztere hat eine besondere Bedeutung durch das Auftreten von bauwürdiger Braunkohle, die an verschiedenen Stellen Gegenstand des Bergbaus ist. Im Gebirgs- land tritt das Tertiär in einer Zahl von isolierten Partien auf, die sich z. T. ihrem Alter nicht genau festlegen lassen. Das tektonische Bild des Kartengebietes läßt die beiden für unsere Gebirgsbildung wichtigen Faktoren, die Faltung und die Schollenver- schiebungen deutlich erkennen und beansprucht durch den Gegensatz des Gebirgslandes zu dem anstoßenden Flachlande und die sich daraus er- gebenden strukturellen Eigentümlichkeiten beson- deres Interesse. Neben der va riscischen Faltung, die dem Bau des Gebirgslandes wie des alten Untergrundes des Flachlandes seine großen Grund- züge gegeben hat, zeigen die kambrischen Schichten des Hohen Venns noch den Einfluß einer älteren Faltungsperiode, die als kaledonische bezeichnet wird. Mit der Faltung stehen in engem ursäch- lichem Zusammenhang die als Überschiebungen bezeichneten Gebirgsstörungen , von denen die bekannteste die des Aachener Waldes ist. Weitere Störungen dieser Art konnten namentlich noch in dem zentralen Teil des Hohen Venns nachge- wiesen werden. Nicht weniger wichtig als die I'altung sind die Schollenverschiebungen, die in engen Beziehungen stehen zu den senkrecht zu den Faltenzügen verlaufenden NW-Verwerfungen. Für die Erkenntnis ihrer Bedeutung ist die Gegend von Aachen geradezu ein klassisches Gebiet. Es zeigt in ausgezeichneter Weise den Einfluß der Schollenbewegungen auf den Bau des gefalteten Gebirgslandes und auf seinen Absturz zum Flach- land, und in diesem selbst ihren Zusammenhang mit der Verbreitung der Tertiärstufen und der 6o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 38 Gliederung und Tiefelage des paläozoischen Unter- grundes. Das erste Einsetzen der Schollenver- schiebungen läßt sich zeitlich nicht festlegen. Für die heutigen Verhältnisse sind aber wesentlich maßgebend die Bewegungen der jüngeren Tertiär- zeit. Zu erwähnen ist besonders, daß bei Aachen zuerst nachgewiesen wurde, daß die Schollen- verschiebungcn in der Diluvialzeit noch nicht zur Ruhe gekommen waren. Bei dem hohen Interesse, das das Aachener Gebiet in bergbaulicher Hinsicht verdient, ist es von besonderer Wichtigkeit, daß sowohl Steinkohle als auch Braunkohle und Erze besondere auf die Praxis und die wirtschaftliche Bedeutung Bezug nehmende Bearbeitungen er- fahren haben, und daß die Erläuterungen die Profile sämtlicher Tiefbohrungen aus dem Karten- gebiet enthalten. Die Lage der Bohrungen ist den Karten selber zu entnehmen. Im Anschluß an die bergbaulichen Bearbeitungen sind auch den wichtigen nutzbaren Gesteinen und Bodenarten besondere Kapitel gewidmet. Praktisch und wissenschaftlich gleich wertvoll ist schließlich noch die Bearbeitung der hydro- logischen Verhältnisse, die bei dem Blatt Aachen auch die Thermalquellen besondere berück- sichtigt. Lieferung 169 enthält 5 Blätter mit Erläu- terungen, einer Obersichtskarte und einer Licht- drucktafel : Blatt Köslin bearbeitet durch L. Finckh, „ Bulgrin „ „ O. Schneider u. H. Menzel, „ Seeger „ „ L. Finckh, „ Boissin „ „ O. Schneider, „ GroßTychow „ „ L. Finckh. Das auf diesen Blättern dargestellte Gebiet gehört zum Regierungsbezirk Köslin und umfaßt Teile der Kreise Köslin, Beigard, und Bublitz. Es gehört größtenteils in die breite, durch weit verzweigte diluviale Talbildungen gekennzeichnete Zone auf der nördlichen Abdachung des uralisch- baltischen Höhenrückens, die sich zwischen der eigentlichen Grundmoränenlandschaft und den Endmoränengebieten auf dem Höhenrücken selbst und der fruchtbaren Grundmoränenebene des Küstengebietes ausdehnt. Dieses Gebiet grenzt im Süden an den unter der Bezeiclinung „Pommer- sche Schweiz" bekannten Teil des Höhenrückens in der weiteren Umgebung des Bades Polzin. Am geologischen Bau dieser Gegend beteiligen sich vorwiegend diluviale und alluviale Bildungen. Vordiluviale und zwar tertiäre Schichten treten in etwas größerer Ausdehnung nur am Gollen bei Köslin an die Oberfläche, dagegen erscheinen sie in kleineren Flächen, sowie in künstlichen oder natürlichen Aufschlüssen an zahlreichen Stellen, besonders im nördlichen und westlichen Teil des Gebietes. Abgesehen von dem Vorkommen von Oligozän bei Ristow auf Blatt Boissin gehören diese Bildungen vorwiegend dem Miozän an. Das Vorhandensein von Kreide und Jura im tieferen Unter- grund ist nur durcli einzelne Bohrungen bekannt ge- worden. Das Diluvium gehört vorwiegend der jüng- sten Vereisung an. Ob ein Teil der diluvialen Bildun- gen zweifelhafter Stellung als Ablagerungen einer äl- teren Eiszeit anzusehen ist, kann mangels vor- handener Interglazialschichten nicht mit Bestimmt- heit gesagt werden. Von besonderem Interesse sind in diesem Gebiete die diluvialen Talsande, die als Ablagerungen in Stauseen am Rande des abschmelzenden Inlandeises aufgefaßt werden. Die Talsandflächen werden in mehrere Stufen einge- teilt, die verschiedenen Eisrandlagen entsprechen. Anregungen und Antworten. Berichtigung: In meinem Artikel ; Welclie Bedeutung liabcn die DeckIlUgcl der Käfer (Naturwissensch. Wochenschrift Nr. 7) habe icli mitgeteilt, daß nach der Anschauung von Voß die Elytren für den Käfer den Wert von Drachenflächen be- sitzen würden. Ich stützte mich dabei auf Untersuchungen, die Voß 1905 veröffentlicht hat, in der Hauptsache aber auf sinen Vortrag, den er auf dem deutschen Zoologenkongreß in Bremen 1913 gehalten hat. (Siehe Verhandlungen der deut- schen zoologischen Gesellschaft 1913). Dort bezeichnete Voß die Käfer als sogenannte ,, Doppeldecker oder Drachenflieger". Unsere Korrespondenz und persönliche Unterhaltung über diesen Gegenstand hat aber ergeben, daß Voß die Drachen- flächentheorie schon seit längerer Zait als revisionsbedürftig erkannt hatte und dies durch das Wörtchen , .sogenannte" und ferner in der Diskussion zum Vortrag Erhard (Verb. 1913, S. 225) ausdrückte. Die Ansicht, als ob Voß ein Ver- treter der Drachenflächentheorie sei, ist daher hinfällig. Dr. Stellwaag. Literatur. Spilger, Dr. Ludw., Biologische Versuche. Als An- leitung zur Benutzung des ,, Biologischen Expertmenticrkastens" zusammengestellt. Stuttgart, Prof. C. Bopp's Verlag. 1,20 Mk. Brill, A., Das Kelativitätsprinzip. Eine Einführung in die Theorie. 2. Aufl. Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. 1,20 Mk. Loren tz, Dr. H. A., Das Kelativitätsprinzip. Drei Vor- lesungen, gehalten in Teylers's Stiftung zu Haarlem. Bearbeitet von Dr. W. H. Keesom. Leipzig und Berlin '14, B. G. Teub- ner. 1,40 Mk. Schlechter, Dr. Rud., Die Orchideen, ihre Beschreibung, Kultur und Züchtung. Handbuch für Orchideenliebhaber, Kultivateure und Botaniker. Lieferung 2 — 4 (vollständig in 10 Lieferungen ä 2,50 Mk.). Berlin '14, P. Parcy. Inhalt: Halbfaß: Vom Wasserhaushalt der Erde. Bräuer; Sloßionisation. — Einzelberichte: Lipman: Der Antago- nismus der Salze und seine Bedeutung für den Pflanzenbau. Lipman und Burgeß; Einfluß der Schwermetallsalze auf Ammonifizierung und Nitritizierung im Boden. Keßler: Die Entstehung von Schwarzwald und Vogesen. Lecail- lon: Rudimentäre natürliche Parthenogenese. Marchand: Epigastrius parasiticus. Gehne, Heim, Mawson; Neuere Forschungsreisen. — Bücherbesprechungen: Planck, Debye, Nernst, v. Smoluchowski, Sommer- feld und Lorentz: Vorträge über die kinetische Theorie der Materie und der Elektrizität. Das Pflanzenreich. Geo- logische Karte von Preußen und benachbarten Bundesstaaten I : 25000. — Anregungen und Antworten. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, MarienstraSe IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band ; der ganzen Reihe 29. Band. Sonntag, den 27. September 1914. Nummer 39. Lage und Beziehungen der italienischen Vulkangebiete zu gleichzeitigen Meeren oder Binnengewässern. [Nachdruck verboten." Von Alfred Braß (Berlin). In der Spannkraft des Wasserdampfes, der im Magma enthalten ist, wurde vielfach die Ursache zum Aufsteigen des Magmas erblickt. Neuere Forscher wie E. Sueß und Dölter vei treten die Ansicht, das Wasser sei von vornherein im Magma. Nach anderen Forschern (L y e 11 , R e y e r) dringt das Wasser durch Spalten in die Tiefe. Nach ihrer Ansicht wären die Vulkane also stets an die Nähe des Meeres oder der Binnengewässer gebunden. Die Lage der Vulkane in bedingungs- lose Abhängigkeit von der Meeresnähe zu bringen, ist nicht annehmbar, da die großen Vulkane von Ecuador und Mexico in ziemlich großer Entfernung vom Meere liegen. Antonie Täuber^) hat von diesem Gesichtspunkte die tertiären Vulkane Un- garns, Böhmens, Deutschlands und Frankreichs in einer Arbeit behandelt, die mir Veranlassung zur vorliegenden gegeben. In dieser Arbeit sollen zu- nächst die tätigen italienischen Vulkane, die eine Bevorzugung der Meeresnähe zeigen, hinsichtlich ihrer Lage zum Meere betrachtet werden; im zweiten Teile werde ich festzustellen versuchen, ob für die erloschenen ähnliche Verhältnisse ge- herrscht haben. I. Die Betrachtung beginne ich mit dem Vesuv, dem einzigen, dauernd tätigen Feuerberg des euro- päischen F'estlandes. Aufgabe dieser Arbeit kann es nicht sein, einen historischen Bericht über die Tätigkeit des Vesuv zu geben, der allein ein Buch füllen würde. Ich beschränke mich darauf, das Wichtigste mitzuteilen. Der Vesuv -) hat, wie ein jedes von Neapel aufgenommene Bild zeigt, die Gestalt einer zwei- gipfeligen Doppelpyramide. Die dem Meere zu- gewandte Spitze der Pyramide hat sich seit dem Schreckenstage der Zerstörung von Pompeii und Herculanum allmählich zur heutigen Gestalt auf- gebaut. Vorher bestand nur der alte Ring eines längst erloschenen Kraters, der Monte Somma. An dem Aufbau des Vesuv beteiligen sich in der Hauptsache Aschen und Bomben und nur unter- geordnet Lavaströme. Die ruhige Bautätigkeit des regelmäßigen Aschen- und Bombenauswurfs und der gelegentlichen Lavafluten wird von Zeit zu ') Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Palä- ontologie. XXXVI. Beilage-Hand 1913, p. 413 — 490. ''] In der Darstellung folge ich: Mercalli, Vulcano e fenomeni vulcanici in Italia. Mil.-ino 1S83. Parona, Trattato di geologia. Milano 1903. J. Roth, Der Vesuv und seine Umgebung. Berlin 1S57. Frech, Aus den Erdbeben- und Vulkangebieten Süditaliens. 1909. Zeit durch eine heftige Eruption unterbrochen. Der Monte Somma besteht aus trachytischen Laven und Bomben; seit 79 sind meist leuzitische Basalte hervorgebrochen. Der Versuvkegel ist zweifellos junger Entstehung. Auch die Somma zeigt keine Spuren einstiger Meeresbedeckung; ihre Unterlage besteht aus quartären Sedimenten. Roth und Mercalli treten für subacre Entstehung des Vesuv ein. Dem Vesuv ähnelt in der Art seiner Tätigkeit am meisten der Ätna,^) der höchste tätige Vulkan Europas. Der Hauptkegel erhebt sich aus dem einen Ende eines lang gezogenen, elliptischen Kraters, des Val del Bove. Erdstöße als Vor- aussage der Eruption wie beim Vesuv, Aschen und Dampfexplosionen großen Maßstabes kenn- zeichnen die zahlreichen Ausbrüche. Lavaergüsse besitzen meist geringe Bedeutung. Die Basis des Ätna ist zusammengesetzt aus basaltischem, sub- marinem Material, das sich im oberen Pliozän über die Sedimente ergossen hat. Der ganze Rest des Riesenvulkans hat sich seit jener marinen Ab- lagerung langsam auf diesen Sedimenten aufgebaut, ist also von quartärem und historischem Alter. Ich wende mich nun zu dem der Küste Siziliens vorgelagerten liparischen Archipel, der sieben Inseln umfaßt: Lipari, Salina, Vulcano, Stromboli, Filicuri, Alicuri und Panaria. Auf die erloschenen komme ich später zurück. Ich beginne mit der Betrachtung des Stromboli, dessen vulkanische Tätigkeit von der vesuvianischen sich wesentlich unterscheidet. Der Stromboli zeigt eine ganz geringfügige Aschenenlwicklung, dafür kocht in seinem Krater beständig ein kleiner Lavasee, dessen rasch erstarrende Decke alle 3 bis 4 Minuten von einer Explosion zerrissen wird. I-'ür einige Minuten erscheint der W^idcrschein der feurigen Lavamassen auf der stets über dem Krater schwebenden Wolke. Die Insel Stromboli -) zerfällt in zwei Teile, die sich zu verschiedenen Zeiten gebildet haben und geologisch stark abweichende Beschaffenheit haben. Der eine ist der uralte Feuerberg, bereits zerstört durch die Vorgänge verschiedenster Art, der andere ist der junge tätige Vulkan, der sich am nordwestlichen Abhänge des ersteren ange- siedelt hat. Beide stehen in dem Verhältnis wie die Somma des Vesuv zu dessen jungem Eruptions- kegel. Das älteste vom Stromboli geförderte ') Sartorius vonWaltershauscn, Der Ätna. Hrsg. von A. von Lasaul.'i. 2 Bde. Leipzig 1880. ■-) Alfred Bergeat, Die äolischen Inseln. München 1899. 6io Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 39 Material besteht in andesitischen Laven und gleich- artigen Auswürflingen; beide wechsellagern in Bänken von mehreren Metern Mächtigkeit. Das Material des tätigen Vulkans ist basaltischer Natur. Eine von der Tätigkeit der bisher betrachteten Vulkane ganz abweichende zeigt der Vulcano. Die Insel zerfällt in drei Teile; der eine stellt den Rest eines alten Vulkans dar, der zweite wird zum größten Teile von dem aktiven Vulkan, der Fossa di Vulcano, eingenommen, der dritte nördliche Teil trägt den merkwürdigen Vulcanello. Über die Entstehung der Fossa — nach der Sage die Schmiede des Hephaistos — liegen keine historischen Nachrichten vor; sie ist seit Menschengedenken tätig gewesen. Der Vulcanello, der mit der Fossa in Zusammenhang steht, wird zum größten Teil durch übereinandergelagerte Lavaströme gebildet. Über die petrographische Natur der Vulcanellolaven sind die Meinungen bis in die neueste Zeit ver- schieden. Sabatini') bezeichnete sie als Augit- Trachyt, Mercalli-) als in Noseanbasanit über- gehenden Andesit. Die oberste Schicht ist als typische Fladenlava ausgebildet. Die Tätigkeit des Vulcano ist, wie bereits oben gesagt, eine ganz andere als die des Ätna, Vesuv und Stromboli. Es sind beim Vulcano intermittierende Eruptionen begleitet von Detonationen von solcher Stärke, daß sie auf beträchliche Entfernung ver- nehmbar werden. Lavaerguß findet nicht statt. Die nur kurzdauernden Eruptionen wechseln mit langen Ruhepausen und kündigen sich nicht wie bei vesuvianischen Eruptionen durch geodynamische Paroxysmen •'') an. Die vulcanianische Phase konnte man zwischen die vesuvianische und die nachher zu betrachtende Solfatarentätigkeit stellen, für die die Solfatara in den Campi flegrei ein Beispiel bietet. Die Solfatara di Pozzuoli ist ein alter Krater, dessen letzte Lavaeruption in das Jahr 1198 fällt. Aus zahlreichen Spalten und Rissen , namentlich aus der bocca, einer Höhlung auf dem Grunde des Kraters, dringt heißer Schwefelwasserstoff und schwefelige Säure mit VVasserdampf gemischt hervor. Die trachytischen Kraterwände sind durch sie zu Grus zersetzt und gebleicht worden. Die Solfa- tara repräsentiert einen noch ziemlich intensiven Grad der sterbenden Vulkantätigkeit. Sie ruht auf dem fossilführenden Posilipptuff, der dem jüngeren Quartär angehört. Die Insel Vulcano hat auch noch ein Beispiel der Solfatarenphase aufzuweisen. Betrachten wir nun die Lage der eben be- sprochenen Vulkane zum tyrrhenischen Meere, so ') Cortese,E., e Sabal ini, V., Descrizione geologico- petrogralica delle Isole Eolie. Vol. VII. delle Memorie de- scrittive della Carla geol. d'Italia. Roma 1S92. ^) G. Mercalli, Le ullime eruzioni dell' isola Vulcano. Bull. Tulc. it. IV. 1S79. G. Mercalli, Le lave antiche e moderne dell' isola Vul- cano. Giorn. d. Mineral, ecc. 111. 1892. ') Mercalli, G., Nalura delle eruzioni dello Stromboli ed in generale della atlivil.ä sismo-vulcanica nelle Eolie. Atli della societä italiana di scicnze naturali XXIV. iSSl. sehen wir sie entweder an eine Steilküste (Vesuv, Ätna) gebunden, die infolge des Hinabsinkens des jetzt vom Meere begrabenen tyrrhenischen F"est- landes gerade an den beiden Stellen, wo die Vulkane aufsitzen, stark zerrüttet ist, oder als Inseln (Stromboli, Vulcano) aus dem von drei kon- vergierenden, sehr tief hinabreichenden Spalten durchsetzten Einbruchskessel des liparischen Meeres sich erheben. Überblicken wir die geographische Verteilung der Vulkane auf der Erde, so müssen wir feststellen, daß dieselben nicht ordnungslos zerstreut liegen, sondern sich auf bestimmte Striche konzentrieren. Die Ursache dieser Verteilung auf bestimmte Zonen ist darin begründet, daß das Magma die leichtesten Wege zur Erdoberfläche dort vorgezeichnet fand, wo gewisse Teile der Erdkruste infolge starker tektonischer Störungen eine Zerrüttung oder Lockerung ihres Gefüges er- fahren haben. Von solchen Zerklüftungen sind die Senkungsfelder begleitet, die zur Entstehung der Meeresbecken geführt haben. Daher sind die Bruchfelder des Meeres und die seine Steilküste begrenzenden Störungsgebiete, sowie kontinentale Bruchzonen zum hauptsächlichen Schauplatz vul- kanischer Erscheinungen geworden. Solche Ver- hältnisse liegen für den Vesuv, den Ätna, die Solfatara und die liparischen Inseln vor, die genetisch in enger Beziehung stehen. Allen ist gemeinsam das Auftreten in oder an Senkungsfeldern. Diese Erscheinung erklärt ihre Lage an und im Meere. IL In als erloschen geltenden Vulkandistrikten erlischt die vulkanische Tätigkeit nicht immer gänzlich. Gasexhalationen sind die letzten un- scheinbaren Nachwirkungen der großartigen Er- eignisse früherer Zeiten. Da die Fumarolen und Mofetten, zugleich die aufeinander folgenden Sta- dien in dem Ersterben der vulkanischen Tätigkeit bezeichnend, in erloschenen Vulkangebieten auf- treten und eher einem im Zustand der Ruhe be- findlichen, erloschenen Vulkane nahe kommen, mögen sie an dieser Stellung Erwähnung finden. Ich denke da in erster Linie an die Fumarolen von Sasso, Laderello und Volterra in Toscana, ferner an die Gasausströmungen am Monte Tabor auf der Insel Ischia. Das letzte Anzeichen ver- löschender vulkanischen Tätigkeit bildet die Hunds- grotte in den Campi flegrei, eine kluftartige Höhle im alten Krater von Agnano. Das erste Stadium in dem Bildungsprozesse der Vulkane repräsentieren die Vulkanembryonen (Branca) der römischen Campagna. In dem nördlich vom Tiber gelegenen Abschnitte der römischen Campagna befinden sich die etruski- schen Vulkane, zunächst im Norden der lago di Bolsena, ein wassergefüllter vulkanischer Kessel, dem zwei alte Eruptionskegel als Inseln entragen. Eingebettet in einen halben Krater liegt an seinem Südende das durch seinen Wein bekannte Städt- chen Montefiascone. Mercalli^) erkannte im ') Mercalli, G. , Contribuzione allo Studio Geologico N. F. Xm. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 6ii Gegensatz zu Sabatini/) nach dessen Ansicht die Höhe von IVIontefiascone kein vulkanischer Krater sei, verschiedene Lavaströnie, die ihren Ausgangspunkt von den zwei Spitzen Montefias- cone und Monte Calvario hatten. Bei Montefias- cone hat M e r c a 1 1 i auch Anhäufungen von losen Auswurfsprodukten, wie Bomben, Lapilli, entdeckt. Es folgt weiter südlich der Monte Cimino. Das Ciminer Gebirge mit dem lago di Vico stellt einen Doppelvulkan dar, dessen älteren Teil der Monte Cimino bildet, und dessen jüngerer, flacher Kegel den weiten Kratersee von Vico mit dem Monte Venere umschließt. Ponzi'-) undVerri^) haben die innige genetische Beziehung beider Vulkane erkannt. Am Ende der älteren Pliozän- zeit erfolgten an der Stelle , wo sich heute der Monte Cimino erhebt, gewaltige Trachytergüsse, begleitet von Aschenregen und Tuffbildung. Aus diesem Material baute sich im pliozänen Meere über mesozoischen Kalkfelsen und jungtertiären Sedimenten ein Berg ■*) auf, dessen Flanken später weitere Trachytmassen entquollen. Dann öffnete sich amSüdabhange des Vulkans ein neuer Schlund, der Krater des jetzigen lago di Vico, der dann der Mittelpunkt der ganzen vulkanischen Tätig- keit wurde, während der ursprüngliche erlosch. Durch das Auftreten von leuzitführenden Laven unterscheidet sich der lago di Vico von dem älteren Monte Cimino, der nur trachytische oder andesitische Gesteine gefördert hat. Der jetzige lago hat im Laufe der Zeiten verschiedene Phasen durchgemacht. In seiner ersten Periode lieferte er gewaltige Massen von Leuzitlaven, darauf folgten Lapilli und Ascheneruptionen, deren letzte zur Entstehung mächtiger Tuffmassen Veranlassung gab. Diese Tuffe bedecken die ganze Umgebung des Monte Cimino in weitem Kreise. Nach Verri ist dann ein Einsturz des hoch aufragenden Vul- kans erfolgt, und es hat sich das Seebecken ge- bildet. Als Rest des Aschen- und Lavakegels sei der Monte Venere übrig geblieben , der nicht eis letzter zentraler Kegel aufzufassen sei. Nach Deecke und nach vomRath") ist er als selb- ständiger Vulkan zu betrachten. Das Gebiet der Monti Cimini stellt sich als Analogon den Campi dei Vulcani Viterbesi. Roma 1903. Mern. Pont. Acc. Nuovi Lincei. ') Sabatini, V. , De l'etat acluel des recherch. sur les volcans de l'Italie centr. C. R. Congres geol. intern. Paris 1901, pag. 366. Derselbe, Vulcano Laziale , Mcm. descr. di Carta Geol. d'Italia, X, 1900. '} Ponzi, Descrizione della carta geologica della pro- vincia di Viterbo. Atti d. Accad. Pontif. d. Nuovi Lincei. Tomo IV. Anno IV. 1850— 1851, p. I56ff. Id. La Tuscia romana e la Tolfa. Mem. d. R. Accad. dei Lincei. 1877. 'l Verri, I vulcani Cimini. Mem. d. R. Accad. dei Lincei. Seria III. a. vol. Villa. 1880. ■*) Deecke, Bemerkungen zur Enstehungsgeschichte und Gesteinskunde der Monti Cimini. Neues Jahrbuch für Mine- ralogie. VI. Beilage-Band. 1889. ) vom Rath, Geognostisch - mineralogische Fragmente aus Italien. L Teil, I. Rom und die römische Campagna. Zeitschrift der deutschen geol. Gesellschaft .Will. 1867, S. 506 f. flegrei und dem Vesuv zur Seite. Denn auch bei diesen Eruptionszentren sehen wir in den geför- derten Laven trotz ihrer benachbarten Lage funda- mentale Unterschiede. Nordwestlich von Rom erscheint das Maar von Bracciano, das besonders gewaltige Massen von Aschen und Schlacken ausgeworfen hat. Die Eruptionen der etruskischen Vulkane be- gannen im Pliozän, waren nach de Stefani') submarin oder schleuderten ihre Produkte wenig- stens ins Meer. Ihre Tätigkeit dauerte fort in einer Gegend von litoralen Sümpfen , so daß sie schließlich subaer wurden. Als selbständiges Zentrum ragt im Südosten der ewigen Stadt das bekannteste unter den er- loschenen Vulkangebieten Italiens hervor, das Albanergebirge, das bedeutend jünger ist als die besprochenen Maare Etruskiens. Diese Bergoase in der öden Campagna besteht vor allem aus einem Krater von riesigem Durchmesser. Ober- halb Frascatis beginnend, zieht sich der etwa 18 km weite Ringwall vom Tusculaner Berg an Rocca Priora vorbei zum Monte Ceraso, dann zum Monte Vescovo und endet endlich über dem See von Nemi im langgestreckten Monte Arte- misio. Dieser Höhenzug bildet keinen vollständi- den Ringwall, sondern ist gegen Westen geöffnet, vermutlich eingestürzt, und in dieser Lücke liegen drei kleinere Kraterbecken, von denen zwei, der lago di Albano und der lago di Nemi, noch heute mit Wasser gefüllt sind, während das dritte, das Valle di Ariccia, wenigstens jetzt trocken liegt. Im Zentrum des großen Ringgebirges steht ein zweiter innerer Kratergipfel, der sich zu jenem verhält wie der Vesuv zur Somma. Dieser zen- trale Krater des Albanergebirges ist ebenfalls nach Westen nicht geschlossen; er umfaßt in seinem Innern eine Ebene, das sog. Lager des Hannibal, einen alten Seeboden. Das Albaner- gebirge hat eine Reihe bedeutender Ströme von Leuzitlava in die Campagna gesandt, von denen sich die beiden größten bis nahe an Rom vor- schieben. Einen Ausläufer der eruptiven Bildungen der Campagna von Rom bildet noch die Vulkangruppe des Hernikerlandes, die nach Branca'-j folgende Vulkane umfaßt: i. Giuliano, 2. Patrica, 3. Selva dei Muli, 4. Tichiena, 5. Callame, 6. San Fran- cesco, 7. San Marco, 8. Pofi. Die Vulkane liegen am Fuße des Volskergebirges fast im Halbkreise um die Stadt Frosinone. Der Giuliano hat Lava hervorgebracht sowie Tuffe und Lapilli , während bei dem Patrica Lavaerguß nur geringe Bedeutung hat. Der Selva di Muli erhebt sich als isolierter Hügel, auf Tuffschichten aufgesetzt, aus der Sacco- ebene. Schlacken und zersetzte Lapilli sind an ') de Stefani, I vulcani spcnti deil' Appen. Settentr. Boll. Soc. Geol. Ital. X, 3, 449—555, 1892. ^) W. Branca, Die Vulkane des Hernikerlandes bei Frosinone in Mittelilalicn. Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie 1S77. Dort weitere Literatur- angaben. 6l2 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 39 verschiedenen Stellen aufgeschlossen. Das Vor- kommen dieser Massen macht es wahrscheinlich, daß hier ein kleiner Vulkan mit nur kurzem Da- sein steht. Sehr bald erlosch er. Tuffe, die steten Begleiter aller übrigen Vulkane des Hernikerlandes, fehlen beim Tichiena. Nur Lavaströme sind durch Steinbrüche aufgeschlossen. Der Callame ist der einzige Vulkan, der eine Kraterbildung zeigt. Die von dem Hügel S. Fiancesco herabkommenden Laven sind als von einem kleinen selbständigen Vulkan herrührend aufzufassen, da die Lage des- selben isoliert ist, ferner nicht unbeträchtliche Schlackenmassen, große Mengen von Lavakugeln in der Umgebung des Vulkans zu finden sind, die durch ihre Struktur und ihre Farbe große Über- einstimmung mit der Masse des Lavastromes zeigen. Diesen und den S. Marco fügte Branca zu den sechs bereits von Ponzi entdeckten Vul- kanen hinzu. Der San Marco liegt durch tertiäres Gebiet fast völlig getrennt von der großen Tuff- Lapilliablagerung, die sich um Pofi ausdehnt. Seine Umgebung zeichnet sich durch ungeheure Massen von Lapilli aus, während Tufte mehr zurücktreten. Lava anstehend hat Branca nicht gefunden. Das Dorf Pofi ist auf einem Vulkan erbaut. Der eigentliche Kegel zeigt fast nur Schlacken, Lapilli und Tuffe. Nur im Norden nahe vor dem Dorfe ist ein Aufschluß von Lava, im übrigen ist sie bedeckt von losen Auswürflingen. Den Aruara spricht Branca nicht als selbständigen Vulkan an. Die Zeit der Tätigkeit der Herniker- vulkane fällt nach den Untersuchungen Branca's zwischen Jungtertiär und Alluvium. Nach Ponzi sind die Vulkane bei Beginn des Alluviums be- reits erloschen. Nach Branca sind sie jünger als die mittel- und jungtertiären Schichten, älter als gewisse alluviale Bildungen. Südlich vom Gebiete des Hernikerlandes hört jede Spur von Eruptivbildungen für eine kurze Strecke auf. Im Südosten zwischen dem Bene- diktinerkloster Monte Cassino, dem Meere und dem Städtchen Teano erhebt sich die Rocca Mon- fina, deren Aschen die benachbarten Appenin- höhen bedecken und die Täler meterhoch anfüllen. Heute gilt der Vulkan als erloschen, 269 v. Chr. soll er seine letzte Eruption gehabt haben. Die Rocca Monfina besteht aus einer zentralen Kegel- gruppe aus Trachyt, die ein aus Leuzitgestein bestehender Ringwall umgibt. Eine Reihe interessanter Vulkantypen liefert die Umgebung Neapels. Unmittelbar vor dem Westen der Stadt liegt ein Vulkangebiet mit zahlreichen Ausbruchsstellen, das phlegräische Gefilde. Das ganze Ausbruchsgebiet der Campi flegrei ist als einziger Vulkan aufzufassen nach Sieberg,') dessen Aschenkegel der langsam gegen die Cam panische Ebene abfallende Berg von Camaldoli ist, und den das Meer quer durch- brochen hat. Auf dem ehemaligen Kraterboden trägt er die zahlreichen Ringberge und Vulkan- ruinen, die diese Gegend einer Mondlandschaft so ähnlich machen. Der Charakter '} dieses Gebietes besteht in dem ausschließlichen Vorherrschen trachytischer Gesteine, in dem Zurücktreten von Laven, in dem enormen Vorwiegen von losen Auswurfsprodukten und aus ihnen gebildeten Tuffen und darin, daß sich im Laufe der Zeit bald hier, bald dort eine Bocca gebildet hat, die bald nur eine, bald einige wenige Eruptionen liefert und dann wieder in Ruhe versinkt. Die Zahl der Krater ist bedeutend (einige zwanzig). Es ist natürlich nicht möglich, hier die einzelnen Vorkommen zu schildern, nur einige der merk- würdigsten mögen erwähnt werden. Eine der vollendetsten Kraterformen ist der Astroni. Er besteht aus trachytischem Tuff, aus den losen Auswürflingen des Vulkans, der nie Lava zutage gefördert hat. \^on einer Tätigkeit des Astroni in historischer Zeit ist nichts bekannt. Der wichtigste Punkt in den Campi flegrei ist der Monte Nuovo, der sich im Jahre 1538 im Laufe weniger Tage durch eine heftige Eruption aufgebaut hat bis zu einer Höhe von 139 m. Es ist dies einer der seltenen Fälle, in denen wir genauere Berichte -) über das Entstehen eines neuen Vulkans haben. Der Berg besteht aus Asche, Sand und Schlacken, gemengt mit Bruch- stücken der durchbrochenen und zerstörten hellen Tuffmassen des Untergrundes. Spuren eines Lava- stromes sind nicht vorhanden. Aus demselben Material wie der Monte Nuovo besteht nach Deecke^) der Vulkan der Fossa Lupara. Dieser zeigt zwei Ringwälle und einen zentralen Krater- kegel, muß daher der Sitz einer länger dauernden, wahrscheinlich in prähistorische Zeit fallenden Tätigkeit gewesen sein. Dicht neben dem Monte Nuovo liegt der Averner See, ein mit Wasser gefülltes Kraterbecken , in dessen Nähe heiße Quellen aufsteigen. An die phlegräischen Felder schließen sich an die Inseln Nisida und Procida, von denen Nisida eine ausgezeichnete Form von Kratern aufweist, die sich bei Inselvulkanen viel- fach wiederfindet. Der Kraterboden liegt tiefer als der Meeresspiegel, und das Meer ist durch eine Lücke im Ringwall eingedrungen und füllt eine kreisförmige Bucht aus. Weiterhin bildet die Insel Ischia eine Fort- setzung der phlegräischen Felder. Von allen Vulkanen , die sich in diesem Gebiete befinden, ist Ischia der wichtigste nicht nur wegen der Höhe des vulkanischen Gebirges und des Um- fanges der Tätigkeit, sondern wegen der Ver- schiedenheit der Produkte und der langen Dauer der Tätigkeit. Der Epomeo bildet den wirklichen Kern der Insel; rings um ihn häufen sich die ') August Sieberg, Einführung in die Erdbeben- und Vulkankunde Süditaliens. Jena 1914. ') G. de Lorenzo, L'attivitä vulcanica nci Campi flegrei. Rcnd. .Accad. de sc. fis. e mat. Napoli (3.) 10. 1904, 203 — 221. '-) Berichte von Francesca del Nero und Marco Antonio degli Falconi. ^) D e e c k e , Fossa Lupara. Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft 1888, pag. 166. N. F. Xin. Nr. 39 NatunvissenscIiafUiche Wochenschrift. 613 Produkte zahlreicher Eruptionen an. Dieser zen- trale Teil der Insel setzt sich zusammen aus einer besonderen Art von Tuff, der an einzelnen Stellen nach Fuchs') von den Produkten eines zersetzten Tuffcs bedeckt wird. Der Epomeo hat schon vor langer Zeit seine Tätigkeit eingestellt, dagegen haben sich an seinen Planken zahlreiche Neben- kegel gebildet. Einer von diesen, der Monte Rotaro, hat selbst wiederum an seinem Fuße einen kleinen sekundären parasitischen Krater er- halten, den Monte Tabor, aus dem sich ein Lava- strom bis in das Meer ergossen. Die letzte P^rup- tion fand 1302 aus dem Nebenkegel Cremate am Seitenabhang des Epomeo statt und lieferte einen mächtigen Lavastrom. Andere Eruptionen erfolg- ten, wie berichtet wird, 47 u. 92 v. Chr. Heute erinnern nur noch P'umaroleii und heiße Quellen an die einstige Tätigkeit. In genetischem Zusammenhang mit den Vul- kanen des neapolitanischen Einbruchsgebietes steht die an der Westküste Neapels, unweit des Golfes von Gaeta gelegene, pontinische Inselpruppe, die fünf größere Inseln umfaßt: i. Ponza, 2. Palma- rola, 3. Zannone, 4. Ventotene und 5. Santo Stefano. Zwei Gruppen kann man unterscheiden, eine westliche aus den drei ersten bestehend, und eine östliche, von den zwei letzteren gebildet. Die Insel Ponza zerfällt in drei Teile nach Dölter. ^) Der südliche TeiP) wird von dem Monte La Guardia und einer kleinen Halbinsel, östlich vom Hauptorte Ponza, gebildet. Der mittlere Teil ist der größte. Den höchsten Punkt bildet der Monte Tre Venti. Der dritte, nörd- lichste ist der Höhe nach der niedrigste. Das große Massiv des Monte La Guardia besteht aus einem dunklen zwischen Andesit und Trachyt stehenden Gesteine, das D ö I t e r Sanidin- Plagioklas- Trachyt genannt hat. Sehr ver- breitet kommt auf der Insel in Gängen Rhyo- lith vor, der ganz den von Richthofen in Ungarn als Rhyolithe bezeichneten Gesteinen ent- spricht. Das am weitesten über die Insel ver- breitete Gestein ist Trachytbreccie, ) das aus fein zerriebenem porösen Tuff besteht. Tuffschichten erreichen eine ziemlich bedeutende Mächtigkeit. Ein hohes geologisches Alter schreibt Dölter dem Ponzavulkan nicht zu. Nach seiner Ansicht hat er sich im Pliozän gebildet; dafür sprechen die Analogien mit anderen vulkanischen Gebieten. Die aktive Periode vulkanischer Tätigkeit ist längst erloschen. Weder in Exhalationen noch in heißen Quellen finden sich Nachwehen derselben. Nach ') C. W. C. Fuchs, L'isola d'Ischia. Monografia e Carla geologica 1:25000. t'irenze 1872. '^) Dölter, Die Vulkangruppe der pontinischen Inseln. Wien 1875. ^) Hamilton, BericlU über den gegenwärtigen Zustand des Vesuv und Beschreibung einer Reise in die Provinz Abruzzo und nach der Insel Ponza (siehe bei Dölter, Vulkangruppe der pontinischen Inseln). *) Abbe Fortis, Osservazioni litografiche suUe isole di Ventotene e Ponza (siehe bei Dölter, Vulkangruppe der pontinischen Inseln). Dölter erfolgten die Eruptionen nur an der Ost- küste und begannen mit dem Auswurfe von Trachytbreccie, hierauf folgten die gangförmigen Durchbrüche des Rhyoliths und die Stromausgüsse des Sanidin-Trachyts, denen der Auswurf der verschiedenen Tuffe sich anschloß. Die Insel Palmarola besteht aus einem von Süden nach Norden ziehenden Gebirgszug und baut sich auf aus einer Decke von Trachytbreccie, die von zahlreichen Trachytgängen durchbrochen ist. Alle diese (länge kommen aus ein und dem- selben Eruptionszentrum. Gegen Süden bricht ein mächtiger Trachytgang durch die Tuffbreccie, derselbe nimmt ein Drittel des Gebirgsrückens ein. Ein zweiter Gang, heute nicht mehr voll- kommen erhalten, wird von den beiden Inseln P'araglioni und Faraglioni pallante und der Halb- insel della Torre gebildet. Ein weiterer Gang ryolithischer Natur zieht sich von Westen nach Osten. An den Küsten Palmarolas findet sich eine größere Anzahl von Inselchen, die offenbar früher zu derselben gehörig, durch die Wirkung der Meereswogen von der Hauptinsel losgerissen wurden. Der geologische Bau der Insel Zannone ist ein ziemlich einfacher. Bei weitem der größte Teil der Insel besteht aus einer gangförmig auf- tretenden Rhyolithmasse. Der nordöstliche Teil dagegen wird von dem abgerissenen Stücke eines geschichteten Gebirges gebildet. Das Alter konnte Dölter wegen Mangels an Petrefakten nicht mit Genauigkeit feststellen. Obgleich allem Anscheine nach die Periode der Insel Ventotene verhältnismäßig einer jüngeren Zeit angehört, finden sich nirgends mehr Anzeichen vulkanischer Tätigkeit. Daß andererseits auch die Formen des rezenten Vulkans nicht in ihrer ur- sprünglichen Gestalt zurückgeblieben sind , wird keinen wundern, wenn man die fortdauernden Wirkungen der Meereswässer auf die Insel ins Auge faßt. Lavaströme mit darüber liegenden Tuffschichten bauen die Insel auf. Die Ortschaft Ventotene liegt auf dem jüngsten, dem Peperin ähnlichen Gestein der Insel; an der Südwestspitze erhebt sich aus dem Meere eine mächtige Basalt- decke. Der geologische Bau der Insel Santo Stefano ist dem der Insel Ventotene ganz ähnlich. Die Insel besteht aus Lavaströmen und darüber liegen- den Tuffschichten. Die Lavadecke auf Santo Stefano hat eine größere Mächtigkeit als auf Ventotene. Nach der Ansiciit D öl t e r ' s sind die beiden Inseln Ventotene und Santo Stefano Über- reste eines großen Kraters, der nach Norden und Süden, wenigstens durch Tuffschichten, geschlossen war. Durch spätere Einflüsse der Denudation entstand der Kanal von Santo Stefano. Ange- nommen jedoch, es wären zwei Öffnungen ge- wesen, aus denen die beiden Inseln sich gebildet haben, so müssen sie ziemlich gleichzeitig bestan- den haben, wofür die Identität der Tuffe spricht. Die beiden Lavaströme sind nicht gleichzeitig ent- 6i4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 39 standen, da der eine zu den sauren trachytischen Laven gehört, während der andere aus basaltischer Lava besteht. Ich wende mich nun zu den erloschenen Vulkanen der äolischen Inseln. Lipari nimmt unter diesen sowohl nach Größe als auch wegen seiner Fruchtbarkeit und Bevölkerungszahl die erste Stelle ein. Auch durch ihre Oberflächen- beschaffenheit ist sie vor ihren Schwestern aus- gezeichnet. Sie ist vielgestaltig, reich an Kuppen und Höhenrücken und durch die gleichzeitige Tätigkeit einer großen Anzahl von Vulkanen ent- standen, von denen nur einer, der jüngste, näm- lich der Monte Pelato, ') fast ganz in seiner ur- sprünglichen Gestalt erhalten ist, während ein Teil durch das Meer bis fast zur Unkenntlichkeit zerstört, die Gestalt anderer durch Tuffablagerun- gen verschiedener Herkunft mehr oder weniger verdickt und verwischt worden ist. Nicht nur der Ort, sondern auch die chemische Zusammen- setzung der Produkte der lange Zeit hindurch vor sich gehenden Ausbrüche haben gewechselt; mit der Förderung basaltischen Materials haben sie begonnen und sich mit dem Hervorbringen ganz saurer Massen erschöpft. Der schönste und besterhaltene der erloschenen Vulkane Liparis ist der Bimsteinkratcr, dessen Umwallung im Monte Pelato seine höchste Erhebung erreicht und einen 2 km langen Obsidianstrom gefördert hat. Aus den verschiedenartigen, lockeren, vulkanischen Massen (Tuffe und Agglomcrate) kann man auf die verschiedenen Ausbrüche schließen. Ein Teil der Auswurfsprodukte hat sich, wie auch auf den übrigen Inseln, unter Wasser, ein anderer, jüngerer, auf dem Trockenen abgelagert. Es folgt die Insel Salina, die sich aus den Produkten von vier heute noch über dem Meeres- spiegel wahrnehmbaren Vulkanen aufgebaut hat: Die Fossa delle felci, der Monte dei Porri, der Monte Rivi, der Krater von Pollara. Die Fossa delle felci erinnert in ihrer Struktur an den Strom- boli, übertrifft ihn aber durch die Mächtigkeit ihrer Lavaströme und Agglomeratmassen. Der Gipfel wird von braunen Tuffen bedeckt. Die Laven sind Pyroxenandesite. Der Monte dei Porri ist der jüngste Vulkan Salinas. Seine Laven nehmen stets ein höheres Niveau ein, als die der Fossa, sie haben sich über diese ergossen. Der Monte Rivi stellt die Ruine des bedeutendsten der drei Sabinakegel dar nach Hoffmann. ^) Das vom Rivi geförderte Material ist basaltischer Natur; er ist die älteste Bildung der Insel. Von Tuffen der Fossa ist er bedeckt, und Laven sind auf ihn übergetreten. Bergeat hält den Pollarakrater für einen verhältnismäßig jungen. Die vulkanische Tätigkeit ist auf der Insel bis auf unbedeutende Gasausströmungen gänzlich erloschen. Die Insel Panaria stellt ein aus Hornblende- andesiten bestehendes Massiv dar, die Reste eines Vulkanstockes, der ähnlich Lipari, aus einer Reihe von Kegeln bestanden hatte. Diese sind teilweise allmählich der Erosion zum Opfer gefallen. Nach D o 1 o m i e u ') haben diese Kegel früher einen ungeheuren Krater gebildet. Spal lanzini -) schloß sich dieser Ansicht an. Nach Ho ff mann stellt die Insel die Reste eines ungeheuren Er- hebungskraters dar. Panaria ist nach S u e ß ^) die älteste Bildung der äolischen Inseln. Bergeat ist anderer Ansicht. Er weist ihr eine Stellung inmitten der Gebilde mittleren Alters an. Die Insel ist gleichaltrig mit gewissen Bildungen auf Filicuri, die auch massige Struktur besitzen, und deren Gestein in mancher Beziehung dem von Panaria ähnlich ist. Filicuri ist nur mehr die stark entstellte Ruine eines ehedem bedeutenden Vulkaneilandes. Sie gipfelt in der 773 m hohen basaltischen Fossa delle felci. An ihrem Südabhange nehmen zwei andesitische Erhebungen eine selbständige Stellung ein : Montagnola und Terrione. Die Fossa ist der älteste und wichtigste Teil der Insel. Ihre Laven sind basaltischer Natur. Der Terrione besteht aus einer Ubereinanderfolge von mächtigen Lava- strömen. Sein Gipfel zeigt keinerlei krater- förmige Vertiefung. Die losen Auswürflinge des Urkraters bilden mächtige Bänke und sind analog denen Salinas, des Urkegels des Stromboli, des alten Vulcanokraters. Alle das heutige Filicuri aufbauenden Eruptionen haben unter dem Meeres- spiegel stattgefunden. Alicuri ist die unbedeutendste unter den äoli- schen Inseln. Sie erhebt sich als einziger Berg fast ohne irgendeine ausgedehnte Strandbildung, allenthalben steil geneigt gegen das Meer, ähnlich dem Kegel des Stromboli. Die Insel besteht aus zwei Teilen: Im Westen bildet eine Wechselfolge von basaltischen Auswurfsprodukten und Laven, stellenweise durchsetzt von Gängen, den Abhang des Kegels, den östlichen setzen andesitische Laven zusammen. Möglichst in Kürze will ich auf die noch nicht betrachteten Vulkane Sardiniens, Toscanas, der Poebene und der übrigen Distrikte eingehen. Auf der Insel Sardinien ist es der Monte Ferru,'') der in dem fast ganz aus Tertiärablage- rungen und vulkanischen Bildungen aufgebauten NW. Viertel der Insel eine dominierende Stellung einnimmt. Über einen aus mittelmiozänen Trachyten bestehenden L^ntergrund haben sich im Spätmiozän bzw. Postmiozän die Laven des Monte Ferru ergossen. Im Norden des Monte Ferru finden wir noch jüngere vulkanische Bildungen mit treff- lich erhaltenen Schlackenkratern und Lavaströmen. ') A. Bergeat, Die äolischen Inseln. München 1899. *) Hoffmann, Über die geognostische Beschaffenheit der liparischen Inseln. Annalen der Physik und Chemie. 1832. ') Dolomieu, Voyage aux iles de Lipari 1783. Paris. ^) Spallanzini, Viaggi alle due Sicilie. 6 vol. Pavia 1792—97. ») E. Sueß, Antlitz der Erde. Wien. *) Dannenberg, Der Monte Ferru auf Sardinien. Sitzungsberichte der Kgl. Preußischen Akademie der Wissen- schaften. XL, 1903 und C. Dölter, 11 vulc. Monte Ferru in Sardegna. Boll. r. Com. Geol. 1S7S. N. F. Xni. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 615 An der Grenze zwischen Toscana und dem ehemaligen Kirchenstaat liegt, zugleich der nörd- lichste Punkt der italienischen Vulkanreihe, der Monte Amiata di Radicofano, ein bedeutender Berg, der nach dem Eozän Ströme trachytischer Laven ausgestoßen hat, seinen Krater indes nicht mehr erkennen läßt. Am Südabhange der Alpen ragt aus der Po- ebene als Insel der von der Denudation stark an- gegriffene, ehemalige Trachytvulkan des Monte Venda in den Euganeen bei Padova empor, auf den ich an Hand der Darstellungen von Reyer,') E. Sueß und Stark-) etwas näher eingehen möchte. Das Zentrum des Gebietes nehmen Trachyt- tuffe ein, durchzogen von zahlreichen Trachyt- gängen, von denen einige auch in den Bereich der am Rande stehenden Sedinientärhügel hinaus- reichen. Diese Gänge laufen strahlenförmig im Zen- trum der ganzen Berggruppe am östlichen Ende des Monte Venda zusammen. Der Venda selbst und seine Umgebung besteht aus Tuffen, und aus diesen ragen die größeren und mächtigeren Trachytgänge als langgestreckte Bergkämme hervor. Um die Mitte der Tertiärzeit, als die Tätigkeit der Euganeen endgültig erlosch, mag über dem Venda ein Aufschüttungskegel ähnlich dem Ätna gestanden haben, dessen Reste in den zentralen Tuffmassen zu suchen sind. Die Radialgänge sind die Aus- füllungen jener Spalten, die einst den Seitenaus- brüchen und den parasitischen Kratern die Lava zuführten. Unter den italienischen Vulkanen nimmt der Monte Vulture bei Melfi eine besondere Stellung ein. Er ist der einzige Vulkan an der Ostseite der Appenninen und erscheint daher als eine durchaus selbständige Bildung, die mit keiner der Vulkanreihe an der Westküste in direkte Ver- bindung gebracht werden kann. Der Vulture '■) liegt an der Grenze zwischen Apulien und der Basilicata am Ofanto bei Melfi. Er erhebt sich auf einem 500 bis 600 m mächtige Sedimentplateau und steigt an bis zu einer Höhe von 1330 m. An der Stelle, wo man den Krater vermuten sollte, befindet sich ein weites Circustal, das Monticchio. An der tiefsten Stelle liegen zwei kleine Seen. Der Hauptkraterwall trägt auf seinem oberen Rande, sieben kleine Spitzen, durch Erosion bereits stark- ausgewaschen, deren höchste der Monte Vulture ist. Die weitere Umgebung gehört wie der Se- dimentsockel zu dem östlichen tertiären Vorlande des Appennin. Die wichtigsten posttertiären Bildungen sind die vulkanischen Gesteine des Vulture, die das ganze Plateau zwischen der Fiu- ') Reyer, Die Euganeen. Wien 1877. ^) Stark, Beiträge zum geologisch-petrographischen Auf- bau der Euganeen und zur Lakliolithenfrage. Tschermak, Mineralogische und petrographische Mitteilungen, XXXI. Band, I. Heft, 1912. ') Deeckc, Der Monte Vulture in der Basilicata (Unter- italien). Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geognostit, Geo- logie und Petrefaktenkunde. VU. Beilage-Band. 1891. mara di Atelia und der Melfia bedecken und bis Venosa, Maschito und F'orenza reichen. Es sind sowohl Laven als auch Tuffe, letztere von sub- aerer Fazies. Beide zusammen bilden den Kegel des Vulture und gehören vorzugsweise zur Familie der Tcphrite. Ihre Haupteigentümlichkeit ist ihre Hangzuführung, die De ecke auf den Umstand zurückführt, daß das Magma vor der Eruption in ziemlicher Tiefe unter der Oberfläche mit größeren Gipslinsen in Berührung gekommen ist. Die Eruptionen des Vulture begannen nach der post- pliozänen Faltung des Appennin und wurden erlebt von dem prähistorischen Menschen. Zum Schluß sei noch der Insel Pantelleria, zwischen Sizilien und Nordafrika gelegen, gedacht. Sie zeigt mehrere, kleinere Krater, die in histo- rischen Zeiten keine Ausbrüche gehabt, aber teil- weise noch in lebhafter Solfatarentätigkeit stehen. Um so größeres Interesse bieten die submarinen Eruptionen, die in der dortigen Gegend an der Tagesordnung sind. Durch eine solche Eruption wurde beispielsweise die Insel Ferdi- nandea aufgeworfen. Nach Betrachtung der einzelnen Vulkane von geo- logischem Gesichtspunkte untersuchen wir nun die- selben hinsichtlich ihrer Lage zu den gleichzeitigen Meeren. Beginnen wir mit Süditalien unter Einschluß der Vorkommen Siziliens, Sardiniens, der pontini- schen und der äolischen Inseln, für welche Gebiete die Verhältnisse fast die gleichen waren. Werfen wir zu diesem Zwecke einen vergleichenden Blick nach dem von Seguenza^) sorgfältig studierten Tertiär- und Ouartärgebiet von Reggio. Nach- dem am Schlüsse des Miozäns (MessinianoJ ein Rückzug des Meeres stattgefunden hat, trat nach Beginn des Pliozäns eine gewaltige Verschiebung zwischen Wasser und Land ein, ein weites Über- greifen des Meeres. Über den früheren Tertiär- sedimenten, 1200 Meter über dem heutigen Meeres- spiegel findet sich der Tiefseeschlamm des Zan- cleano (Unterpliozän). Die gleichen Verhältnisse dauern fort während des Astiano (Oberpliozän). Erst im Pleistozän (Siciliano) beginnt ein Rück- zug des Meeres, der während des ganzen Quartärs anhält. Die äolischen Inseln waren zur Zeit ihrer Tätigkeit umbrandet von dem übergreifenden und dann im Siciliano allmählich zurückweichen- den Meere. Der Monte Vulture lag auch zur Zeit seiner Eruptionen an der Meeresküste. Die phle- gräischenFelder, deren Produkte dem jüngeren Quar- tär angehören, liegen ebenfalls wie die Rocca Monfi- na unmittelbar am quartären Meer. Der Epomeo war unter Wasser getaucht und wurde dann wieder gehoben. Bei den pontinischen liegen die Ver- hältnisse so wie bei den äolischen. Der Monte I'erni bildete sich wie alle bisher betrachteten in der Nähe des Meeres. Für Mittelitalien haben die Meeresbildungen der Subappenninformation ') G. Segcnza, La formazione terziaria nella provincia di Reggio di Calabria. Mera. r. Acc. Lincei, 1880. 6i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 39 größere Bedeutung. Wo sich heute die Römische Campagna befindet, rolhen in der jüngsten Ter- tiärzeit die Wogen eines Meerbusens und brandeten an der damals noch vorhandenen tj-rrhenischen Ländermasse. Das Albanergebirge, der lago di Bolsena, der lago die Bracciano, der Monte Cimino, diese ganze Vulkaiireihe wurde gleichzeitig mit der ganzen Scholle, dem heutigen Appennin während der Pliozänzeit gehoben, lagen zur Zeit ihrer vulkanischen Tätigkeit in unmittelbarer Nähe des Meeres. Das Saccotal, in dem sich die Vulkane des Ilernikerlandes befinden, war zur Zeit, als die Vulkane tätig waren, nachBranca seeartig erweitert. Bei den Euganeen in der Po- ebene hat nach Reyer die vulkanische Tätigkeit bereits im Jura begonnen; aus tiefer See hat sich dann allmählich der Monte Venda aufgebaut und überseeisch seine Tätigkeit noch bis ins Quartär fortgesetzt, als die Poebene noch einen Meerbusen bildete. Fassen wir die Untcrsucluingen der einzelnen Vorkommen hinsichtlich ihrer Lage zum Meere zusammen, so sehen wir, daß in der Vergangenheit ähnliche Verhältnisse geherrscht haben wie jetzt. Die Lage der erloschenen italienischen Vulkane an und im Meere ist bedingt durch die Tektonik. Die Vulkane an der Westküste Italiens finden wir auf Schollen, die von Spalten und Bruchlinien durchzogen sind, da, wo am Innenrande, d. h. der konkaven Seite der sich aufstauenden Appenninen das tyrrhenische Festland in die Tiefe gesunken ist und sich das tyrrhenische Senkungsfeld bildete. Dem Rande dieses Scnkungsfeldes gehören das toskanische Eruptivgebiet, das Latinergebirge, die Rocca Monfina und die phlegräischen Felder an. Die liparischen Inseln erheben sich als Inseln aus diesem Senkungskcssel. Die Lage des Monte Ferru ist eine ähnlche wie die der Vulkanreihe an der Westküste Italiens. Die Pocbenc stellt gegenüber den Alpen ebenfalls ein Senkungsfeld dar, an dessen Rande die Basalte von Vicenza und Verona und die Trachyte des Monte Venda in den Euganeen emporsteigen konnten. Die einzige Ausnahme bildet der Monte Vulture, der sich auf einer Kreuzung von Längsbrüchen mit einer den Appennin durchquerenden Spalte (Deecke) erhebt. Da das Meer immer die tiefsten Stellen erobert , so werden solche Senkungsfelder ent- weder vom Meere überflutet, oder wenn es keinen Zutritt hat, von Binnenseen ausgefüllt (Vulkane des HernikerJandes im Saccotale). So kommt es, daß die erloschenen Vulkane Italiens zur Zeit ihrer Tätigkeit am Rande von Wasserbecken lagen. Einzelberichte. Botanik und heliotropischer Beziehungen zwischen Spaltöffnungen Empfindlichkeit. Bei den Keimpflanzen der Gramineen ist die heliotropische Empfindlichkeit nicht gleichmäßig verbreitet. Edgar Zaepffel hat nun kürzlich die Beziehun- gen untersucht, die zwischen dem Vorhandensein von Spaltöflnungen und der heliotropischen Emp- findlichkeit beim Weizen, Hafer, Panicum altissimum und Paspalum stoloniferum bestehen. Bei allen diesen Gramineen fehlen die Spaltöffnungen am hypokotylen Glied, derjenigen Region also, die zur heliotropischen Perzeption unfähig ist. Bei den Kotyledonen des Hafers und des Weizens sind die Spaltöß'nungen an der Spitze, dem Sitze der größten heliotropischen Empfindlichkeit, reich- lich vorhanden. Sie treten auch noch, aber viel weniger zahlreich, an der subapikalen Region auf, die nur eine schwache heliotropische Perzeptions- fähigkeit besitzt. Bei den Kotyledonen von Pani- cum und Paspalum sind Spaltöffnungen auf ihrer ganzen Länge vorhanden; hier ist aber auch der Kotyledon außerhalb der Spitze stärker reizbar. Aus diesen Befunden schließt Zaep f fei , daß bei den untersuchten Gramineen die Menge der Spalt- öffnungen der Keimpflanzen dem Grade der helio- tropischen Empfindlichkeit entspreche (Comptes rendus 1914, T. 159, Nr. 2, p. 205 — 207). F. Moewes. Chemische Physiologie. Nach den Versuchen vonHammer(i89ij,Veiel(i887),Widmark(i889) und I'insen kaim man Erythrose und Melanose der menschlichen Haut durch ultraviolette Strah- len hervorrufen. Imbert und Marques (1906) haben festgestellt, daß die Farbe des Bartes durch die X-Strahlen verändert wird. V. Moycho (191 3) sah in der Haut des Kaninchenohrs, unter dem Einfluß der ultravioletten Strahlen ein bräunliches Pigment auftreten. S. Secerov (Sur l'influence des rayons ultraviolets sur la coloration des poils des lapins et des cobayes. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 24, 15 juillet 1914) hat die Wirkung der ultraviolletten Strahlen auf die Haarfarbe des Kaninchens und Meerschweinchens untersucht. Es wurde dabei eine Quarz- Ouecksilberlampe nach dem System von Westinghouse-Cooper- Herrwitt von iio Volt Spannung verwendet. Bei einem vorherrschend weißen Meerschweinchen, das täglich 4 Stunden in einer Entfernung von 9 — 10 cm den Strahlen ausgesetzt wurde, waren nach 35-40 Stunden die weißen Haare geblich gefärbt. Zwei junge Albinos des Kaninchens, ein weib- liches und männliches Tier, wurden den ultravio- letten Strahlen 5 — 6 Stunden unterworfen. Nach ungefähr 80 Stunden begann die Umfärbung und nach 100 Stunden war sie sehr deutlich. Die Haare wurden zuerst gelblich, dann rötlich gelb. Sie waren in einer Temperatur von 18", in 6 — 7cm Entfernung von der Lampe; in der Umgebung war die Temperatur ziemlich niedrig, o" — 4". Nur N. F. XIII. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 617 der Teil des Haares, welcher direkt vom Licht fjetrofilen wurde, verfärbte sich. Verglichen mit jenen der Kontrollüere war die Behaarung der bestrahlten Tiere länger. Die Haare fielen nicht aus und der Haarwechsel verlief regelmäßig. Um den Einfluß der Temperatur zu prüfen, wurden die abgetrennten Haare eines weißen Kaninchens mehrere Monate einer Temperatur von 40" ausgesetzt, ohne daß sie sich in der Färbung irgendwie verändert hätten; selbst nicht bei 100" in i^,. Stunden. Erst bei i 50" zeigte sich nach i'/o Stunden eine gelbliche Färbung. Als die abgeschnittenen Haare des weißen Kaninchens 5 — 6 Stunden lang pro Tag in 6 — 7 cm Entfernung von der Lampe bestralilt wurden, verfärbten sie sich viel langsamer. Der Beginn der Gelbfärbung trat erst am Ende von 100 Stunden ein; außer- dem glich sie viel mehr der durch hohe Temperatur, als der durch die Bestrahlung des Kaninchens mit ultraviolettem Licht erreichten. S. hält die Gelb- und Rotfärbung für eine Vor- stufe bei der Bildung des schwarzen Farbstoffes und glaubt, daß bei längerer Dauer der Bestrahlung auch Schwarzfärbung eintreten würde. Die Ver- färbung der weißen Haare tritt leichter ein bei Tieren, welche, wie das Meerschweinchen, nor- malerweiße schon schwarze und gelbe Haare haben, als bei jenen, die vorherrschend weiß gefärbt sind. Die hohe Temperatur, welche zur Verfärbung nötig wäre, kann bei lebenden Objekten nicht in Betracht kommen. Abgetrennte Haare verfärben sich gleichfalls, aber viel weniger rasch, als wenn sie noch am Tiere sitzen. Kathariner. Physik. Versuche mit einer Lochkamera für Röntgenstrahlen beschreibt N. Uspenski (Moskau) in der Physikalischen Zeitschrift XV (1914) Seite 717. Sie war aus 2 mm dicken Bleiplatten hergestellt ; in der der photographischen Platte gegenüber- liegenden Wand war eine 2 — 3 mm große Öffnung angebracht. Die Aufstellung des zu photogra- phierenden Gegenstandes geschah auf optischem Wege mit Hilfe einer Mattscheibe; diese wurde bei der Aufnahme durch eine die Trockenplatte enthaltende Metallkasette ersetzt, die mit einem 0,2 mm dicken , also für die Röntgenstrahlen durchlässigen Deckel aus Aluminium versehen war. Zur Beleuchtung diente eine mit 2 — 3 Milliampere belastete Müller „Rapid"-Röhre mit wassergekühlter Platinantikathode. Bei stärkerer Belastung (5—6 Milliampere) ließen sich die Bilder auch auf dem Leuchtschirm beobachten. Als Objekt wurde zu- nächst die Röntgen-Röhre selbst gewählt; die Bilder, die der Verfasser durch eine Belichtung von 1 5 Minuten erhalten hat, zeigen deutlich den kreisförmigen Umriß der Röhre, die hellleuchtenJe Antikathode und Andeutungen eines seitlichen Ansatzrohres. Eine weitere Aufnahme wurde von einem vierbeinigen hölzernen Tischchen, auf dem eine Metallsäule stand, dadurch erhalten, daß man diese Gegenstände mit dem Strahlen der Röhre beleuchtete, die neben der Lochkamera so stand, daß keine ihrer Stralilen direkt durch die ( )ffnung auf die Platte fallen konnten. Nach sehr langer Belichtung entstand eine Aufnaiiiiie, auf der sich die Umrisse der Gegenstände erkennen lassen. Ebenfalls in der Physikalischen Zeitschrift Seite 715 veröffentlicht H. Roh mann (Straßburg) die Röntgenspektren einiger Metalle, die er mit seinem Röntgenspektroskop') mit dem gebogenen G 1 i m m e r b 1 ä 1 1 c h e n er- halten hat. Er benutzt eine Röhre, deren Antika- thodenansatz mit einem Schliff versehen ist, so daß die verschiedenen Metalle (Ni, Cu, Zn, Mo, Ag, Fl, An, Th) nacheinander eingeführt werden können. Die Vorderfläche der Röhre wird durch eine aufgekittete Messingplatte gebildet, in der ein I mm breiter und 4 cm langer Schlitz angebracht ist. Dieser wird durch ein dünnes Alu miniumblättchen nach Art der Lenard Röhren verschlossen und dient als Spalt. Während der '/., bis 1 Stunde dauernden Aufnahmen bleibt die Röhre mit der Gaedepumpe in Verbindung, da die Antikathode dauernd Gas abgibt. Die sämtlichen Spektren zeigen eine Reihe von ziemlich scharfen Linien; Silber liefert ein intensives kontinuierliches Spektrun. K. Schutt, Hamburg. Biologie. Die Raupen der meisten Bläulings- arten (Lycaenidae) leben an Schmetterlingsblütlern (Papilionaceae). Einige stehen in einem merk- würdigen Verhältnis zu Ameisen, welche den von ihnen abgeschiedenen süßen Saft auflecken und ihre Leibwache bilden. Alluaud und R. Jeannel (CR. Ac. sc. Paris 16, 20. April 1914) fanden in Gallen an den Ästen einer ostafrikanischen Akazienart, die von Kolonien einer Ameisenart der Gattung Crema- stogaster spec. bewohnt wird, die Raupen einer morphologisch und biologisch überaus merkwür- digen Lycaenidenart. Sie ist etwa 10 mm lang und hat wie die Raupe der anderen Arten, eine asseiförmige Gestalt. Der Rücken ist außer- ordentlich stark gewölbt, und die Segmente durch tiefe Einschnitte getrennt, so daß sie in ihrem Aussehen einer Käferschnecke (Chiton) gleicht. Der Rücken ist trüb grau gefärbt und mit schwärz- lichen Punkten übersät. Die Haut trägt lange und kurze zylindrische Haare, sowie kelch- und ringförmige Chitingebilde. Die von der Raupe bewohnte Galle ist hohl und hat eine Öffnung von etwa i mm Durchmesser. Die Ameisen sammeln in derselben die Kelchblätter der Akazie. Da der Durchmesser der erwachsenen Raupe viel größer ist, als jener der Eingangsöffnung in die Galle, muß die Raupe direkt nach dem Aus- schlüpfen aus dem Ei hineingelangt sein. Aus der indo australischen F"auna ist eine Lycaenide bekannt, deren ganze Entwicklung in dem Nest erdbewohnender Ameisen verläuft. Die Raupe ist fleischfressend und lebt von den Larven und Puppen ihres Wirtes. ') Der tJnterzeichnete hat kürzlich in dieser Zeitschrift darüber berichtet. 6i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 39 Daß die neue Form dagegen pflanzenfressend ist — sie frißt wahrscheinHcli die von den Ameisen gesammelten Kelchblätter der Akazie, — geht aus den schwach entwickelten IVIundgliedmaßen hervor. Kathariner. Zoologie. Dinoflagellaten als Ursache des roten Schnees. Bisher wurden die Flagellaten Euglena sanguinea und Haematococcus (Sphaerella) nivalis als einzige Veranlasser des roten Schnees, der besonders im Gebirge eine nicht seltene Er- scheinung ist, angesehen. Die interessante Tat- sache, daß auch massenhaftes Auftreten von Dino- flagellaten Rotfärbuiig hervorrufen kann, wird von M. Traun st ein er in der „Ztschr. d. mikr. Ges." (Bd. 6, 1914) berichtet. In der Langau bei Kitz- bühel traten in einem kleinen gefrorenen Fisch- teiche, der im Sommer von einer reichen Orga- nismenwelt, darunter auch Peridineen bewohnt ist, gegen Ende Februar im schmelzenden Firn- schnee ziegelrote Flecke von bedeutender Breite und Tiefe auf Das Schmelzwasser im Teiche wie in den Kulturen zeigte sich ebenso wie der am Rande des Teiches gesammelte rötliche Schnee gleichmäßig von roten Stäubchcn durch- setzt, die sich bei mikroskopischer Untersuchung als eine Unzahl von Peridineen erwiesen. Die Frage, ob es sich hierbei um eine speziell an das Leben im Schnee angepaßten Art der Gattung Peridinium, mit welchem die Flagellaten eine gewisse Ähnlichkeit zeigen oder nur um eine vorübergehende Erscheinung einer sonst unter normalen Umständen gedeihenden Peridinee handelt, läßt Verf. zunächst offen. Für die Zugehörigkeit zur Gattung Glenodinium spricht hinwieder die Tatsache, daß die jungen Zellen vollständig nackt sind, während sich an älteren beim Zusatz Fl e m m i n g'scher Lösung die Ablösung einer dünnen Membran konstatieren läßt. Die Form unter- scheidet sich von Glenodinium oculatum, mit dem es am meisten Ähnlichkeit hat, durch die Größe (0,030 — 0,040 mm) und auffallend rote Färbung im Zellinnern, die ihren Sitz sowohl im Plasma als auch in zahlreichen Oltropfen hat. Die Tatsache, daß die Randzone gewöhnlich von strahlig geordneten gelbgrünen Chromatophoren, bei den aus Schnee aufgetauten Individuen aber nur von farblosen Körnchen erfüllt ist, meint Verf. als Anpassung an die jeweilige Temperatur- und Lichtverhältnisse auffassen zu müssen. Die roten Peridineen zeigen eine sehr große Licht- empfindlichkeit, die mit der Rotfärbung des Inneren steigt. Die Zysten sind je nach den Be- dingungen, durch die ihre Bildung hervorgerufen wird, von verschiedener Form: die durch Tempe- raturerniedrigung erzeugten sind eiförmig und an den Enden farblos (wie die Schneeformen der beweglichen Zellen) die sich in längerstehenden Kulturen entwickelnden (Sauerstoffmangel !) sind rotgrün und weisen eine dicke, verquellende Mem- bran auf Solche Dauerzysten fand Verf massen- haft an den Ranunculusrasen und in Eisenflocken des von Mitte März an aufgetauten Teiches. Die Annahme, daß sie wenigstens z. T. aus den roten Peridineen entstanden, ist nicht von der Hand zu weisen. Auch die umgekehrte Annahme, „daß auch die roten Peridineen aus Zysten, die im Herbst in die Schnee- und Eismassen über dem Teich gelangt sein könnten, entstanden sind", liegt nach Meinung v. Verf nahe. R. Aichberger. Physiologie. Die Zunahme der Zahl der Blut- körperchen mit der Höhe soll nach der Meinung verschiedener Forscher nicht auf einer wirklichen Neubildung von Blutkörperchen beruhen, die Ver- mehrung soll vielmehr nur relativ sein und auf einer Konzentration des Blutserums infolge der barometrischen Depression beruhen. Um diese PVage zu entscheiden, haben Raoul Bayeux und Paul Cheva liier (Recherches comparatives sur la concentration du sang veineux et du sang arteriel ä Paris, ä Chamonix et au mont Blanc, par l'etude refractometrique du serum. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 21, 25 mai 1914). Unter- suchungen mit menschlichem Venenblut und mit arteriellem und venösem Blut des Kaninchens in verschiedenen Höhenlagen angestellt, in Paris, in Chamonix (1050 m) und auf dem Mont Blanc (4360 m). Zur Bestimmung der Konzentration des Serums diente der refraktometrische Index. Nach den Arbeiten von Reiß und anderen ist derselbe abhängig von dem Eiweißgehalt des Serums. Die Schwankungen im Gehalt an Harn- stoff können dabei vernachlässigt werden. Der Eiweißgehalt wurde bestimmt nach den Tabellen von Reiß für eine Temperatur von 17, 5". Das menschliche Blut wurde durch Punktieren einer Hautvene gewonnen; arterielles und venöses Blut des Kaninchensaus der Arteria und Vena femoralis. Das geronnene Blut wurde in einem hermetisch verschlossenen Röhrchen aufbewahrt und durch- schnittlich nach Verlauf von 18 Stunden untersucht. Die Forscher verweilten zwei Monate in Cha- monix und 9 Tage im Mont Blanc-Observatorium. Wie die Bestimmungen ergaben, stieg die Kon- zentration des Serums mit der Höhe; es trat eine Anpassung ein, indem die Konzentration mit der Zeit wieder abnahm. Am stärksten war sie am Ende des Aufenthalts auf dem Mont Blanc bei Chevallier; zugleich stellten sich Anfälle der Bergkrankheit ein. Der refraktometrische Index und der Eiweißgehalt betrug beim Kaninchen in Paris im arteriellen Blut durchschnittlich 1,34619 bzw. 59,4, im venösen Blut 1,34709 bzw. 64,6; in Chamonix 1,34678 bzw. 62,8; auf dem Mont Blanc 1,34780 bzw. 68,77; für ^^^ venöse Blut sind die entsprechenden Zahlen 1,34756 bzw. 67,34 und 1,34888 bzw. 75,05. Zusammenfassend kann man also sagen, daß der refraktometrische Index des Blutserums auf der Höhe des Mont Blanc jenen in Chamonix und in der Ebene übertrifft, daß das Serum des venösen Blutes konzentrierter ist, als jenes des arteriellen, N. F. XIII. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 619 daß der Unterschied mit der Höhe ausgesprochener wird und eine Konzentration des Blutserums in größeren Höhenlagen eintritt. Kathariner. Astronomie. Die Veränderlichkeit der Satel- liten des Jupiter und Saturn hat Guthnick von neuem behandelt (Astr. Nachr. 4741) und eine Anzahl Beobachtungsreihen verarbeitet; 4 Monde des Jupiter und 6 des Saturn, deren Veränderlich- keit zum Teil schon lange feststand. Während man aber bisher annahm, daß deren Lichtwechsel zusammenfalle mit ihrer Umlaufszeit, daß sie also ebenso wie unser Mond ilircm Hauptkörper immer dieselbe Seite zudrehen, kommt Guthnick auf Grund eines sehr eingehenden Studiums der Licht- kurven zu ganz überraschenden Ergebnissen. Die beiden inneren Monde beider Planeten zeigen Kurven ähnlicher Form, bei denen das Maximum der Helligkeit in der Gegend der östl. Elongation liegt; die äußeren Monde beider Systeme zeigen das umgekehrte Verhalten, und die noch fehlenden Monde gehören zeitweise dem einen, zeitweise dem anderen Typus an. Sie haben stark ver- änderliche Lichtkurven. Nun zieht Guthnick die Werte der Albedo und der Dichtigkeiten der einzelnen Monde heran, und stellt fest, daß, je geringer die Dichte, um so geringer auch die Albedo. Ferner wie in der Anordnung der Pla- neten, die äußeren Monde sind die weniger dich- ten. Im übrigen erinnert der Charakter der Lich- kurven sehr an die veränderlichen Sterne vom Typus ö Cephei. Die Trabanten stellen eine Ent- wicklungsreihe dar, sie sind mit mehr oder weniger hohen Atmosphären bedeckt, die Wolken oder Wasserdampf enthalten. Entsprechend der Er- klärung des Lichtwechsels der ö Cepheisterne [vgl. diese Zeitschrift 1914, Seite 140/141] ist auch hier die Erklärung der Veränderlichkeit in der Bahn- bewegung zu suchen. Man muß annehmen, daß sich in den Systemen von Jupiter und Saturn ein dünnes, die Bahnbewegung nicht merklich hem- mendes Medium befindet, unter dessen Einfluß die Satellitenatmosphären ganz merkwürdige meteo- rologische Verhältnisse ausgebildet haben müssen, die sich je nach der physischen Beschaffenheit eben in dem Lichtwechsel ausprägen. Man kann auch diese Annahme verallgemeinern, und das ganze Sonnensystem von einem solchen Medium ausgefüllt denken, auf das eine ganze Anzahl von Beobachtungen hinweisen. Wird doch sogar bei der Erde trotz ihrer schnellen Umdrehung eine Abhängigkeit meteorologischer Vorgänge von der jedesmaligen Richtung der Bewegung gegen den Apex oder den Antiapex vermutet. Sehr genaue Messungen auch an den andern Trabanten müssen noch mehr Licht auf diese Erscheinungen werfen. Riem. Bodenkunde. Worauf beruht die ungünstige Wirkung des Nadelhumus? Wie dem Forstmann längst bekannt ist, wirkt der Humus verschiedener Bäume in ungleichem Maße auf das Wachstum der Pflanzendecke ein. Am besten soll Haselhumus wirken, dann in abnehmendem Maße Buche, Ahorn, Flrle, Ulme, Linde, Akazie, Esche, Eberesche. Ganz besonders ungünstig wirkt die durch Zersetzung von Nadelstreu entstehende Humusdecke auf den Pflanzenwuchs ein, so daß in ihr Sämlinge von Waldbäumen, sogar die der Nadelbäume selber sowie anderer Pflanzen nur sehr kümmerlich fort- kommen, in vielen Phallen sogar ein solcher Boden fast ganz steril bleibt. Die Aufdeckung der Ursache dieser Erscheinung ist von erheblicher forstwirt- schaftlicher Bedeutung, wenn man in Erwägung zieht, daß in Deutschland in dem Bestreben, frei werdende I'lächen mit Nadelholz zu besiedeln, in den Jahren 1890 — 1910 die Laubholzfläche um looooo ha abnahm, während die mit Nadelholz aufgeforstete um 200000 ha zunahm. Auch der Gärtner bemerkt diese schädliche Wirkung der Tannennadeln, wenn er nach dem Wegräumen des zum Bedecken von Rosen und anderen Pflanzen benutzen Nadelholz- reisigs sieht, daß der Rasen unter dieser Decke zugrunde gegangen ist. In vielen Fällen beruht die auffallende Armut des Nadelholzbodens an Pflanzen auf dem dichten Schatten, der im Nadelwald herrscht. Er läßt aus diesem Grunde ebenso wie z. B. in den Tropen das Bambusgebüsch nichts aufkommen. Doch trifft dies nicht so durchgehends zu, daß die frag- liche Erscheinung vollständig dadurch erklärt wäre. Dann spielen zweifellos die Feuchtigkeitsverhält- nisse insofern eine Rolle als die flachstreichenden Wurzeln der Nadelhölzer die oberflächlichen Boden- schichten stark austrocknen. Das hat z. B. Fr icke zeigen können, indem er junge Föhren durch Ringgräben isolierte und damit die starken Wurzeln der umstehenden älteren Bäume abschnitt. Solche Föhren zeigten eine auffallend üppige Entwicklung und gleichzeitig tauchten auch zahlreiche Wald- kräuter auf dem isolierten Terrain auf. Schließlich weisen viele Erfahrungen darauf hin, daß auch eine Gift Wirkung in Betracht kommen könnte, die von den ätherischen Ölen sowie anderen Stoffwechselprodukten als Gerb- stoffen, Harzen, Ameisensäure, die in der Nadel- streu enthalten sind, ausgehen könnte. A. Koch hat nun in einer eingehenden Untersuchung, der wir hier folgen, speziell diese PVage der eventuellen Giftwirkung geprüft (Zentralbl. f. Bakteriologie usw. II. Abteilung, Bd. 41. S. 545, 1914)- Daß ätherische Öle wirklich giftig sind, geht aus vielen Tatsachen hervor. So gehen Pflanzen, die den Dämpfen ätherischer Öle ausgesetzt werden, bald zugrunde; Spatzen fressen keine Umbelliferen- früchte, wie Stahl beobachtete, ja sie sterben, wenn man ihnen 5 Früchte des Kümmels oder 15 des Fenchels einführt! Bekannt ist auch die desin- fizierende Wirkung ätherischer Öle, die der der kräftigsten bakterientötenden Mittel, wie z. B. Sublimat nahekommt. Das zeigt sich auch darin, daß manche ätherische Öle enthaltende Pflanzen- abkochungen erst nach einiger Zeit eine Entwick- lung von Bakterien und Schimmelpilzen erkennen 620 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. F. XIII. Nr. 39 lassen. Das gilt aber auch für andere in pflanz- lichen Resten häufig vorkommende Stoffe, wie die Gerbstoffe, deren bakterienhemmende Wirkung in der Gerberei ausgenutzt wird, die Ameisensäure, die infolge ihrer giftigen Wirkung auf l'ilzc, Hefen, Bakterien als Fruchtsaftkonservierungsmittel ge- braucht wird, die Harze, die die Griechen seit den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag zum Wein hinzusetzen, um ihn vor dem Essigstich und dem Kahmigwerden zu bewahren. Auch in der Spiritusbrennerei wenden die Franzosen einen kleinen Harzzusatz an, um die unerwünschte Bak- terienwirkung zu hemmen. Die Wirkung solcher ätherischer Öle, Terpene, Harze usw. könnte einmal eine direkte sein, indem die Pflanzen in einem solche Stoffe enthaltenden Boden vergiftet werden, oder eine indirekte, indem das „Leben" des Bodens, d. h. die Tätigkeit der IVlikroorganismen in ihm, in einer schädlichen Richtung beeinflußt wird. Kulturversuche in Buchen- und Fichtenhumus, der aus Sieber im Harz stammte, überzeugten zunächst von der Richtigkeit der scliädlichcn Wirkung des letzteren. Buchweizen z. B. wuchs im Ficlitenhunuis nur halb so kräftig als im Buchenhumus, Buchen- und Fichtenkeimlinge verkümmerten oder gingen gar ganz ein in ersterem, während sie in letzterem normal gediehen. Dabei zeigte aber die chemische Analyse, daß beide Ilumussorten einen Gehalt an Gesamtstickstoff und an Salpeter besaßen, der denjenigen einer guten Ackererde ganz bedeutend übertrifft. Dasgleiche gilt für den Gehalt an Phosphorsäure und Kalium. Koch hat nun zunächst verschiedene Keim- pflanzen mit ätherischen Ölen behandelt (Terpen- tinöl, Carven, Bornylester, Edeltannenöl, Kiefernöl usw.). indem er Samen in mit solchen Stoffen versetzter Erde keimen ließ. Es zeigte sich, daß wirklich eine schädigende Wirkung eintrat, doch machte sie sich hauptsächlich in den ersten Keimungsstadien bemerklich, und ferner nur dann, wenn die Samen vorher angequollen waren. Edel- tannenöl wirkte wenig schädlich, desgl. Tannin und Kolophonium, sehr dagegen Ameisensäure. Auch bei älteren Pflanzen war die Wirkung an- fänglich am stärksten und flaute dann ab. Was nun die Wirkung der oben genannten Stoffe auf niedere Organismen anlangt, so ver- hinderte Carven die Hefengärung vollständig in einer Konzentration von i Proz, die übrigen Che- mikalien hemmten nur mehr oder weniger stark. Bornylester und Carven setzte die Zahl der Bak- terien in Erdproben stark herab, während Ter- pentinöl fast gar nicht und Edeltannenöl sogar umgekehrt wirkte. In Milch wurde meist eine Herabsetzung der Säurebildung gefunden, besonders bei Terpentin und Kiefernöl. Ganz ähnlich schützen diese Stoffe das Bier gegen Essiggärung. Auch die Harnstoffgärung und Nitrifikation , d. h. die O.xydation des Ammoniaks zu Nitrat wird im all- gemeinen gehemmt, aber nur vorübergehend. Die weiterhin gefiuidene Tatsache, daß die Zellulose der Fichtennadeln die Zerstörung der Nitrate, d li. also die Denitrifikation begünstigt, steht in einem Gegensatz zu dem hohen Gehalt der F'ichtenstreu an Nitraten, der oben erwähnt wurde. Überhaupt war die Slickstofffrage nicht ganz befriedigend aufzuklären. Laub- nnd Fichtennadelhumus zeigten die gleiche Denitrifikation, doch ist möglicherweise die Schnelligkeit der Salpeterzerstörung verschieden. Deutlich wurde die Zersetzung von Fließpapier durch zellulosezersetzende Bakterien gehemmt, wenn z. B. Edeltannenöl, Terpentin, Kolophonium oder Tannin zugesetzt wurden. Wenn auch im einzelnen noch manche Un- klarheiten eine präzise Beantwortung der Frage, weshalb der Nadelstreuboden minderwertig ist, heute unmöglich machen, so scheint doch so viel aus den Versuchen des Verfassers hervorzugehen, daß in der Tat der Giftwirkung der in den Nadeln enthaltenen ätherischen Öle, Harze usw. eine direkte oder eine indirekte Bedeutung bei dem Problem zukommt. Miehe. Bücherbesp Ehrlich, Paul, Eine Darstellung seines wissenschaftlichen Wirkens. Von H. A p o 1 a n t , Frankfurt a. M. ; H. A r o n s o n , Ber- lin; H. B e c h h o 1 d , Frankfurt a. M. ; J. B e n a r i o , p>ankfurt a. M. ; L. Benda, P'rankfurt a. M. ; A. B e r t h e i m , Frankfurt a. M. ; K. B i e r b a u m , PVankfurt a. M. ; K. E. Boehncke, Frankfurt a. M. ; V. C z e r n y , Heidelberg ; E. v. D u n g e r n , Hamburg; A. Edinger, Frankfurt a. M.; G. Embden, Frankfurt a. IVI. ; U. P'riedmann, Berlin; G. Gaffky, Hannover; R. Gonder, Frankfurt a. M.; S. Hata, Tokio; A. C. Hof, Frankfurt a. M.; M. Jacoby, Berlin; A.Laza- rus, Charlottenburg; C. Levaditi, Paris; Th. Madsen, Kopenhagen; L. H. Marks, Frank- rechungen. fürt a. M. ; E. Marx, Frankfurt a. M.; L. IMi- chaelis, Berlin; J. Morgenroth, Berlin; P. Th. Müller, Graz; A. Neisser, Breslau; M. Ne isser, Frankfurt a. M.; R. Otto, Berlin; H. Ritz, Frankfurt a. M.; H. Sachs, Frank- furt a. M.; G. Schöne, Greifswald; K. Shiga, Tokio; W. Waldeyer, Berlin; A. v. Wasser- mann, Berlin; A. v. Weinberg, Frankfurt a. M.; R. Will stätter, Berlin. Festschrift zum 6o. Geburtstage des Forschers (14. März 1914). 668 S. Mit I Bildnis. Gustav Fischer, Jena 1914. Brosch. Mk. 16. — , geb. Mk. 17.— • Die von den genannten Forschern, zum großen Teile Autoritäten auf ihrem Gebiet, gelieferten Beiträge werden in fünf Kapiteln zusammengefaßt: N. F. Xm. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 621 Histologie und Biologie der Zellen und Gewebe. Immunitätsforschung, Geschwulstforschung, Chemie und Biochemie, Chemotherapie. Voraus geht eine biographische Darstellung, während ein vollständiges Verzeichnis der Ver- öffentlichungen Ehrlich's, sowie der Arbeiten, die aus den von ihm geleiteten Instituten hervor- gegangen, bzw., unter seiner Leitung entstanden sind (bis zum i. Februar 1914), den Band schließt. Kathariner. HeinrichSchmidt, Jena, Was wir Ernst Haeckel verdanken. Ein Bucii der Verehrung und Dank- barkeit. Im Auftrag des deutschen Monisten- bundes herausgegeben. 2 Bde. mit 12 Abb., darunter 5 Haeckel -Porträts. Leipzig 1914, Verlag Unesma. — Preis 8 Mk. Zum 80. Geburtstag Ernst Haeckel's hat der Deutsche Monistenbund vorliegende P'est- schrift herausgeben lassen, die von einem „Prolog der Weihe" eingeleitet wird; daran reihen sich eine 172 Seiten umfassende Abhandlung von Heinrich Schmidt über Haeckel's Bedeutung für die allgemeine Kultur, ein Verzeichnis der Schriften Haeckel's und 123 meist ganz kurze Aufsätze von Schülern und Anhängern des grei- sen P'orschers. Darunter befinden sich Beiträge be- kannter Biologen, wie z. B. die von Richard Semon, München; Hermann von Ihering, Sao Paulo, Brasilien; Paul Kammerer, Wien; Jac. Loeb, New York; Richard von Hert- wig, München; Alfred Gre il, Innsbruck; Max Verworn, Bonn; Wilhelm Schallmayer, München u. a. Die Aufsätze behandeln die Beziehungen der .Autoren zu Haeckel, Haeckel's Einfluß auf sie und ihre Ansichten über Haeckel's Einfluß auf die kulturelle Entwicklung der Menschheit. Der Eindruck, den man aus den Aufsätzen be- kommt ist der: Der große Jenenser Biologe hat mehr dazu beigetragen, der freien Naturforschung den Weg zu bahnen, Licht und Aufklärung zu verbreiten, als irgendein anderer einzelner Forscher. Was wäre aus dem ,, Darwinismus" geworden, wenn nicht Haeckel mit seiner bewunderungs- würdigen Furchtlosigkeit die Lehren Darwin 's verkündet und unermüdlich für ihre Verbreitung gearbeitet hätte! Besonders lesenswert ist die Abhandlung Heinrich Schmidt's, welche zuerst den Fort- schritt der Naturerkenntnis wie die ihm bereiteten Hemmungen in der Zeit vor Haeckel's Auftreten darstellt; dann werden Haeckel's Lebensgang und sein Wirken für die Wissenschaft und Gewissen- freiheit ausführlich und objektiv geschildert. Schließlich sei noch besonders verwiesen auf Joseph Mc. Cabe's „Ernst Haeckel in Eng- land" und des amerikanischen Ethnologen Robert H. Lowie's ,, Haeckel's Verhältnis zu Amerika". Beide Aufsätze zeigen deutlich, daß Haeckel's Einfluß sogar im Bereich des englischen Kultur- kreises größer war, als der irgendeines englisch sprechenden Naturforschers, Darwin selbst nicht ausgenommen. Die Ausstattung der Festschrift ist eine gute und die Bilder sind prächtig ausgeführt. H. Fehlinger. Nufsbaum, M., Karsten, G., Weber, M., Lehr- buch der Biologie für Hochschulen. 2. Aufl. Mit 252 Tcxtabbild. Leipzig und Berlin 1914, W. Engelmann. — Preis geb. 13,25 Mk. Der Hauptwert des Buches, für dessen Beliebt- heit diese bereits nach 3 Jahren notwendig ge- wordene 2. Auflage spricht, liegt darin, daß es gleicherweise Botanik und Zoologie berücksichtigt. Referent möchte zunächst zur prinzipiellen Klä- rung einige naturgemäß rein subjektive Bemer- kungen vorausschicken, von denen aus dann ein Rückblick auf das vorliegende Buch zu werfen wäre. Als Ziel einer allgemeinen Biologie, die in der Tat ein zweifellos vorhandenes Bedürfnis befriedigen würde, dächte er sich, das organische Leben in seinem Zusammenhange darzustellen, von einheitlichem Standpunkte aus eine Total- ansicht der vielgestaltigen im Wechselspiel mit der umgebenden Natur sich bildenden Formen und sich betätigenden Kräfte zu versuchen. In den Bereich einer solchen Darstellung würde der Gesamtbestand alles dessen gehören, was an ge- sicherten Tatsachen Botanik und Zoologie über die bloße systematische Beschreibungs- und In- ventarisierungsarbeit hinaus geleistet haben, immer mit dem Ziel, nicht diese durch morphologische, anatomische, oder experimentell-physiologische Forschung eruierten Tatsachen zu registrieren (das tun die üblichen Lehrbücher und sollen es tun), sondern sie in einer ganz bestimmten Weise und zwar so zu gruppieren und zu beleuchten, daß der Leser die näheren und ferneren Zusammenhänge durchschaut, die die Einzelphänomene miteinander verknüpfen. Als Grundlage dächte sich Referent überall die Physiologie, sonst würde eine ,, Allge- meine Biologie" herauskommen, wie sie mit Un- recht O. Hertwig sein Buch nennt. Es dürften aber auch nicht nur die herkömmlichen biolo- gischen Themen berücksichtigt werden, sondern auch das, was meist als die Domäne der experi- mentellen Physiologie bezeichnet wird. Denn mir scheint, daß die Biologie nicht ein gewisses Stoff- gebiet umgrenzt, sondern nur eine bestimmte Art der Darstellung bedeutet. Als einen interessanten Versuch einer solchen Darstellung möchte ich hier zur Illustration meiner Auffassung z. B. die „Aligemeine Botanik" von A. Nathan söhn an- führen. Schließlich dürfte nirgends die synthe- tische Phantasie die nüchternen Tatsachen ver- schleiern. Schlagen wir nun das vorliegende Buch auf, so überrascht zunächst die Einteilung. Wir finden nämlich zunächst einen Abschnitt über experi- mentelle Morphologie, der mit Ausnahme einiger weniger flüchtiger botanischer Exkurse ganz zoo- 622 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 39 logisch ist. Dann schließt sich daran die Biologie der Pflanzen und die der Tiere. Damit ist in den Plan des Buches eine gewisse Ungleichmäßigkeit gekommen. Es ist nicht einzusehen, weshalb den nach den oben entwickelten Gesichtspunkten be- arbeiteten Abschnitten einer vorausgeschickt wird, der eine Spezialdisziplin behandelt. Daß es sich hier, wie die Vorrede ausführt, um ein allmählich selbständig gewordenes Gebiet von gewisser Be- deutung handelt, das eine zusammenhängende Darstellung verdient, soll nicht bestritten werden. Nur ist es fraglich, ob sie als selbständiger Teil den anderen gegenübertreten darf. Man könnte dann auch mit demselben Rechte eine analoge Darstellung der botanischen Tatsachen verlangen oder meinetwegen auch andere sich selbständig herausarbeitende Zweige der Biologie, wie z. B. die Vererbungslehre gesondert darstellen. Um nicht mißverstanden zu werden, möchte ich noch betonen, daß dieser Abschnitt durchaus ver- dienstlich ist, daß er mir aber aus dem Plane des Buches trotz der Rechtfertigung in der Vor- rede herauszufallen scheint. Karsten umgrenzt die Aufgabe der Biologie mit den Worten, sie frage nach der Bedeutung der durch die äußeren Einflüsse hervorgerufenen Lebenserscheinungen der Pflanzen für ihr Eeben ; ich befinde mich also hier durchaus in Harmonie mit ihm. Nur wäre viel- leicht erlaubt, zu fragen, weshalb eine Anzahl ge- rade der auffälligsten Lebenserscheinungen wie z. B. Geotropismus, Heliotropismus u. a. von einer solchen biologisch orientierten Darstellung aus- geschlossen werden. Auch der letzte Abschnitt von Max Weber ist im ganzen nach einem ein- heitlichen biologischen Gesichtspunkte geschrieben, doch würde man auch hier gelegentlich noch eine Erweiterung des Stoffes wünschen. So z. B. ist, soweit ich sehe , hier (ebensowenig wie in dem botanischen Abschnitt) die Beziehung der Orga- nismen zum Sauerstoft', kurz das große und wich- tige Kapitel der Atmung nicht im Zusammenhange dargestellt. Schließlich wäre es sehr instruktiv gewesen, wenn in einem besonderen Abschnitte die großen Wechselbeziehungen zwischen Tieren und Pflanzen geschildert wären, wobei sich gerade aus der Welt der Mikroorganismen noch manche wichtige Einzelheit hätte heranholen lassen. Die Darstellung verdient alles Lob. Sie läßt überall Erfahrung, Sachkenntnis und Kri- tik erkennen. Besonders wertvoll sind die Lite- raturnachweise, die in den ersten beiden Ab- schnitten jedem Kapitel, im letzten dem Schluß angefügt sind, sowie die guten und instruktiven Abbildungen. Der Inhalt des Werkes ist der folgende: M. Nußbaum behandelt nach einem umfangreicheren Kapitel, in welchem die Regenerationerscheinungen in den verschiedenen Gruppen des Tierreiches geschildert werden, in weiteren kürzeren die Ka- stration, die Transplantation, die künstliche Be- fruchtung, die Pfropfungen (wo, wie mir scheint. die fundamentalen Versuche Winkler's zu wenig hervortreten), die Parabiose, d. h. die Erscheinungen, die ganze, zusammengeheilte Individuen zeigen, die Symbiose, die Doppel- und Mehrfachbildungen, den Riesen- und Zwergwuchs, die künstliche Parthenogenese, die Abhängigkeitsverhältnisse der Organe, sowie die txpcrimentell hervorrufbaren Abänderungen, den Einfluß des Hungers, die funk- tionelle Anpassung, die Teilbarkeit der Organis- men, die Polarität und Heteromorphose und die experimentelle Erzeugung des Geschlechtes. G.Karsten schildert nach einer allgemeinen Einleitung zunächst die Hauptgruppen der ein- zelligen Organismen nach wesentlich morpholo- gischen und entwicklungsgeschichtlichen Gesichts- punkten und geht dann zur Darstellung der Öko- logie der Keimung, der Ernährung (die mir be- sonders gelungen erscheint) und der Fortpflanzung über. Den Schluß machen die Kapitel über PVucht- und Samenverbreitung, über die Beziehungen der Pflanzen zu gesellig lebenden Tieren, in dem sich eine moderne Darstellung der Myrmekophilie fin- det, und über das Zusammenleben der Pflanzen, wo wichtige pflanzengeographische Prinzipien auf physiologischer Basis entwickelt werden. M. Weber beginnt mit einem Kapitel über Wachstum, Lebensdauer und Tod, erörtert dann die Form und ihre Bedingungen, die Körper- größe und einige ihrer Bedingungen, die Örts- veränderung und Sessilität, die Färbung, Zeichnung und den Earbenwechsel, die Lautäußerung, die Gerüche und das Leuchten der Tiere. Ein größeres Kapitel behandelt die Lebensbedingungen der Tiere: Temperatur, Ernährung, Licht, Wohnraum, ein weiteres die Verbreitung und Wanderung der Tiere; dann folgt die Fortpflanzung und den Be- schluß macht eine Schilderung der Beziehungen der Tiere zueinander. Wir können das Buch dem Studenten wie dem Forscher, der das Bedürfnis fühlt, sich den Über- blick über das Gesamtgebiet der Biologie zu wahren, durchaus empfehlen. Miehe. L. V. Bortkiewicz. Die radioaktive Strah- lung als Gegenstand wahrscheinlich- keitstheoretischer Untersuchungen. 84 Seiten mit 5 Textfiguren. Berlin 1913, J. Springer. — Preis geh. 4 Mk. Die vorliegende Schrift enthält eine ins Ein- zelne durchgeführte kritische Darlegung der mathe- matischen Methoden, welche dazu dienen, die aus der Beobachtung von Szintillationen zu gewinnen- den experimentellen Daten über die Gesetze der radioaktiven Strahlung einer wahrscheinlichkeits- theoretischen Prüfung zu unterziehen. Es handelt sich hierbei im wesentlichen um zwei Methoden. Entweder werden die Zeitabstände zwischen je zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Szintilla- tionen betrachtet und die Verteilung ihrer Größe studiert, oder aber es wird die Anzahl der Szin- tillationen beobachtet, die sich in Zeiträumen von bestimmter Dauer ereignen und die auftretende N. F. XIII. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 623 Schwankung dieser Zahlen untersucht. Im letz- teren Fall kann entweder der ganze Zeitraum, über den sich die Beobachtung erstreckt, in gleiche Zeitintervalle zerlegt werden, auf welche jeweils eine kleine Anzahl von Szintillationen entfällt, oder es kann die für eine Anzahl von Zeiträumen ver- schiedener Länge festgestellte große Anzahl von Szintillationen darauthin geprüft werden, ob sich ihr Verlauf im Hinklang mit der Wahrscheinlich- keitstheorie befindet. Verf gibt eine eingehende aligemeine Dar- stellung dieser einzelnen Betrachtungsweisen und wendet diese dann an auf die bis jetzt vorliegenden experimentellen Ergebnisse der Untersuchungen von IVIarsden u. Barratt, Rutherford u. Geiger und von Regen er. Damit ist gleich- zeitig der Weg gezeigt, wie künftige Unter- suchungen des Problems im Sinne möglichster Korrektheit durchzuführen sind. A. Becker. Wetter-Monatsübersicht. Der vergangene August hatte in ganz Deutsch- land einen etwas veränderlichen Witterungscharakter, jedoch herrschte ruhiges, trockenes, heiteres Sommer- wetter, besonders im Norden, bei weitem vor. Die anfangs verhältnismäßig niedrigen Temperaturen gingen seit dem 7. oder 8. beträchtlich in die Höhe, am 10. August stieg das Thermometer in Aachen und Magdeburg bis auf 31, am 11. beispiels- weise in Trier, Frankfurt a M., Halle, Grünberg, Icmj>cra[ur-Sßaxima einiaer ©m im t3uai^f IBl'f. 1. ^gguit 6. 11. ^ 2). *26. *. 31. Berliner WcfferbuPOflu Königsberg i/Pr. bis auf 32, in Dresden sogar bis 33 " C. Bald darauf wurde durch frische nördliche Winde die Hitze bedeutend gemildert, in der Nähe der Ostseeküste, desgleichen z. B. zu Dahme in der Mark kühlte sich die Luft während mehrerer Nächte bis auf 7 " C. ab. Die Mittags- temperaturen überschritten zwar noch meistens 20, jedoch nur vereinzelt 25 " C. Erst seit dem 24. August fand wieder eine stärkere Erwärmung statt, am 27. wurden in Dahme und hVankfurt a ;ü. nochmals 30" C. erreicht und bis zum Schlüsse des Monats blieb das Wetter in Norddeutschland bei größtenteils wolkenlosem Himmel hochsommer- lich warm. Auch die mittleren Monatstemperaturen lagen östlich der Elbe mehr als einen Grad, im Nord- westen einige Zehntelgrade über ihren normalen Werten, während sie in Süddeutschland ein wenig zu niedrig waren. Die Anzahl der Sonnenschein- stunden nahm ebenfalls in der Richtung von Nor- den nach Süden ab und zwar im allgemeinen Durch- schnitt etwas größer als gewöhnlich. In Berlin z. B. hat während des vergangenen Monats die Sonne an 254 Stunden geschienen, während hier in den früheren Augustmonaten durchschnittlich 215 Sonnenscheinstunden verzeichnet worden sind. Die Niederschläge traten der großen Mehrzahl nach in Begleitung von Gewittern und daher selbst in benachbarten Gebieten oft an sehr ver- schiedener Stärke auf Am reichlichsten fielen sie im allgemeinen während der ersten acht Tage des Monats, in denen sich das schon am 23. Juli eingetretene Regenwetter, obschon mit vielen Unter- brechungen, überall fortsetzte. Namentlich im Weichsel- und Odergebiete gingen in dieser Zeit sehr heftige Regengüsse hernieder, die z. B. am 5. in Neufahrwasser 56, in Bcuthen 30, zwei Tage später in Neufahrwasser 21, Beuthen 46 mm ergaben. ay T2kSiCVß.i^aa^^^ßlzr\ imd?liici,u5f 1914. '^ ^ilHercr Wert Für Deulschbnd. Ee5 E_&^F^_ __ mxrnzsri/J^rS <;5xcnacn SiiiLtaazS . bis 8- Augus^ )xmm mm ^111— 9.bis23.Au W.tt±j mm' 10 Zl.bisai. August 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 ^ 1^ 1 ■hd _^ ■.M^ mm /MonatssummemAug. 1914.13.12, II. 10. Of. eerUerWp.rr<.Urt>' Seit dem 9. August stellte sich in den meisten Gegenden trockeneres Wetter ein, das im größten Teile Norddeutschlands bis zum Schlüsse des Monats anhielt. In Süddeutschland wiederholten sich noch öfter starke, strichweise mit Hagelschauern ver- bundene Regenfälle, blieben jedoch bis zum 23. auch im Norden nicht gänzlich aus. Beispiels- 624 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 39 weise wurden am 17. August in Ludwigsharen46, in Kaiserslautern 30, am 17. und 18. zusammen in Worms 67, am 22. in Trier 23, in Essen 38, in Bremervörde 51, am 23. in Swinemünde 39, am 28. in Bamberg 40 mm Regen gemessen. Die Niederschlagsunimc des Monats belief sich für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen auf 50,7 mm und zwar um 25,6 mm geringer als der Betrag, den die gleichen Stationen im Mittel der früheren Auguslmonate seit dem Jahre 1891 geliefert haben. In der allgemeinen Anordnung des Luftdruckes in Europa vollzogen sich die Änderungen von einem Tage zum andern im letzten Monat immer nur sehr langsam. In seinen ersten zehn Tagen zogen mehrere barometrische Minima vom atlan- tischen Ozean über Schottland und Südskandi- navien ins Innere Rußlands hin, während Südwest- und Mitteleuropa sowie das nördliche Skandi- navien gewöhnlich von Hochdruckgebieten ein- genommen wurden. Am 11. August drang ein Maximum vom biscayischen Meere langsam nach Norden vor und breitete später sein Gebiet süd- ostwäits bis nach Ostdeutschland aus. Etwas süd- licher erschienen gleichzeitig vom westlichen Mittel- meere her verschiedene flache Teildepressionen, die längere Zeit im südwestlichen Teile des F'est- landes verharrten, so daß jetzt in Deutschland trockene nordöstliche Winde von sehr geringer Stärke vorherrschen mußten. Erst im letzten Monatsdrittel gelangte von Westen ein neues Barometermaximum nach Mitteleuropa hin, von wo es durch eine nachfolgende atlantische De- pression ganz allmählich nach Osten verschoben wurde. Dr. E. Leß. Anregungen und Antworten. Eine Korrektur der photomelrischen Gesetze? In Nr. 29 (19. Juli) dieser Zeitschrift entwickelt Dr. Schoy eine Formel über die Bestrahlungsintensität der Sonne an der Oberfläche der Atmosphären der Erde und Venus, wobei er zu dem Re- sultat kommt, das J'J=4J6 (rund) sei. Da die Entfernungen dieser beiden Planeten von der Sonne sich wie 7 : 10 verhalten, so folgte hieraus, dal3 die Strahlungsintensität sich umgekehrt wie die 4. Potenzen der Entfernungen verhalten würden. Die bisherige Annahme, daß sie umgekehrt proportional dem Ouadrate der Entfernung, wäre also falsch, und es verlohnt sich darum vrohl, die erwähnte Ableitung näher prüfen, zu welchem Zwecke sie hier kurz wiederholt sei. Da der schein- bare Radius der Sonne auf der Erde ('/) zu dem auf der Venus (1,") sich wie 7:10 verhält, so folgt, daß die Sonnen- scheibe d. h. also die strahlende Fläche, von der Venus i'ioV-' I mal größer erscheint, als von der Erde aus, oder 1 o\. Fl =11" F = 2F (rund). Hieraus wird nun der folgende Schluß gezogen: „Nach dem Grundsatz der Photometrie ver- halten sich aber die Beleuchtungsintensitäten I, u. J in 9 u- Fi 14^ -5, d. i. ], : 4 .1 (rund)". In Worten läßt sich dies folgendermaßen wiedergeben : Die Intensitäten stehen zur Größe der strahlenden Flächen im geraden, zum Quadrate ihrer Entfernungen im umgekehrten Verhältnis. Da also die strahlende Fläche (Sonnenscheibe) für Venus und Erde 10^ : 7'^, die Quadrate der Entfernungen . J. 7" 10* 7- : 10-, so ist V = ^- = : 4 (rund). Der Leser wird sofort bemerken, daß das Neue dieser Ableitung in der Her- anziehung der scheinbaren Größe der Sonnenscheibe liegt, und die Frage ist kurz diese, ob es auf die scheinbare Größe, oder auf die für beide Planeten gleichbleibende wirkliche Größe ankommt? Da nun wohl kein Zweifel bestehen kann, daß die Ausstrahlung der Sonne, von anderen Faktoren abgesehen, nur von der Größe ihrer Oberfläche abhängt, d. h. nur die wirkliche Größe maßgebend ist, so muß eben in obiger Formel F,^F gesetzt werden. In Wirk- lichkeit stellt die Einführung der scheinbaren Radien der Sonne ein nochmaliges Inrcchnungstellen der verschiedenen Entlernungen dar. Dr. Baum. Literatur. Berg, Dr., D.as Problem der Klimaänderung in geschicht- licher Zeit. Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. 3,60 Mk. Jaiser, Ad., Farbenphotographje in der Medizin. Prak- tischer Ratgeber für farbenphotographische Aufnahmen am lebenden und leblosen Objekt zum Gebrauch für Arzte, Natur- forscher und Photographen. Mit 6 farbigen Tafeln nach Originalaufnahmen des Verfassers, 69 Textabbild, sowie einem Geleitwort von Prof. Dr. Steinthal. Stuttgart '14, F. Enke. 6 Mk. Das Leben und die Lehre Epikurs übersetzt von Kochalsky. Leipzig und Berlin '14. B. G. Teubner. Geb. 2,40 Mk. Lud ewig, Dr. P., Die drahtlose Telegraphie im Dienste der Luftfahrt. Mit 55 Te.\tabkild. Berlin '14, 11. Meußer. 3,60 Mk. W i 1 1 g e r o d t , Prof. Dr. C., Die organischen Verbindungen mit mehrwertigem Jod. VII. Band der ,, Chemie in Einzeldar- stellungen". Herausgegeben von Prof. Dr. Julius Schmidt. Stuttgart, '14. Ferd. Enke. 8,40 Mk. Ergänzung. Infolge einer durch die Kriegswirrnisse verursachten Ver- zögerung im Eingang der Korrektur bei der Druckerei sind im Artikel Physiologie Nr. 35 S. 554, Zeile 24 hinter: „Zeit nachdem er" folgende Worte ausgefallen: ,,die giftige Sub- stanz aufgenommen hat. Nach den Autoren kann . . . ." Inhalt: Braß: Lage und Beziehungen der italienischen Vulkangebiete zu gleichzeitigen Meeren oder Binnengewässern. — Einzelberichte: Zaepffel; Beziehungen zwischen Spaltöffnungen und heliotropischer Empfindlichkeit. Sccerov: Die Wirkung der ultravioletten Strahlen auf die Haarfarbe des Kaninchens und Meerschweinchens. Uspenski: Loch- kamera für Röntgenstrahlen. AUuaud und Jeannel: Die Raupen einer morphologisch und biologisch überaus merk- würdigen Lycaenidenart. Traunsteiner: Dinoflagellaten als Ursache des roten Schnees. Bayeux und Cheval- lier: Die Zunahme der Zahl der Blutkörperchen mit der Höhe. Guthnick: Veränderlichkeit der Satelliten des Ju- piter und Saturn. Koch: Worauf beruht die ungünstige Wirkung des Nadelhumus? — Bücherbesprechungen: Ehrlich. Eine Darstellung seines wissenschaftlichen Wirkens. Schmidt: Was wir Ernst Haeckel verdanken. Nuß- baum, Karsten, Weber: Lehrbuch der Biologie für Hochschulen. Bortkiewicz: Die radioaktive Strahlung als Gegenstand wahrscheinlichkeitstheoretischer Untersuchungen. — Wetter-Monatsübersicht. — Anregungen und Ant- worten. — Literatur : Liste. — • Ergänzung. Manuskripte und Zuschriften werden an den Redakteur Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band ; der ganzen Reihe 29, Hand. Sonntag, den 4. Oktober 1914. Nummer 40. Die modernen Heringsforschungen. [Nachdruck verboten.] In das Geheimnis der Lebensgeschichte der Meeresfische einzudringen, ist keine leichte Auf- gabe. In vielen Fällen, und gerade bei den wirt- schaftlich wichtigsten Formen, kennt man gewöhnlich nur einen kleinen Lebensausschnitt, wo sie in großen Schwärmen in den küstennahen Gebieten sich zusammenscharen und dann in großen Massen den Fanggeräten der Fischer zum Opfer fallen. Wo sie die übrige Zeit ihres Lebens zubringen, ist unbekannt und es ist verständlich, daß es bei der ungeheuren Weite ihres Lebenselementes, des Ozeans, kein leichtes ist, die Schleier dieses Rätsels zu enthüllen. Immerhin haben die letzten Jahre manche Aufklärungen gebracht und vor allem sind es hier die systematischen Untersuchungen des „Conseil permanent international pour l'explo- ration de la mer", an denen sich alle seefahrenden und an der Fischerei interessierten Staaten Nord- europas beteiligen, welche in dieser Beziehung schon manche schönen und unerwarteten Resultate zutage gefördert haben. Allgemein bekannt sind wohl die Ergebnisse, die man in Bezug auf die Geschichte des gewöhnlichen Flußaals hat fest- stellen können, welcher, eine echter Tiefseefisch, aus den Flüssen beim Herannahen seiner Ge- schlechtsreife in große Meerestiefen hinunter wandert, wo er seinen Laich absetzt. Die ausge- schlüpften Larven, die sog. Leptocephalen, unter- nehmen dann wieder die weite Wanderung in die Flüsse, wo sie erst die typische Form des Flußaals annehmen und verbleiben, bis die Zeit der Geschlechtsreife herannaht. An dieser Stelle soll eine Übersicht über die Ergebnisse der Heringsforschungen gegeben werden, die zuerst in Deutschland von Heincke in aus- gedehntem Maße gepflogen und im letzten Dezen- nium in Norwegen von Hjort und seinen Mitar- beitern vor allem beim norwegischen Heringe mit Hilfe einer neuen weit einfacheren Methode durch- geführt wurden und zu Resultaten führten, die nicht nur für die Praxis der Großfischereien von weit- tragender Bedeutung sind, sondern auch in wissen- schaftlicher Hinsicht in die Biologie der Meeresfische und in die Lebensverhältnisse imMeere wertvolle und neuartige Einblicke verschaffen, so daß sie auf das Interesse eines jeden Biologen Anspruch erheben können. Es gibt wohl kaum eine Fischart, die eine so hervorragende wirtschaftliche Bedeutung besitzt wie der Hering, aber wohl auch keine, über deren Lebensgeschichte und Biologie mehr phantasiert und geschrieben wurde. Schon in der Mitte des I S.Jahrhunderts wurde von dem gelehrten Hamburger Bürgermeister Anderson in bezug auf die Von Dr. Otto Storch (VVienl Wanderungen des Herings die sogenannte Polar- stammtheorie aufgestellt, nach welcher die eigent- liche Heimat dieses Fisches das eisbedeckte Polar- meer sein sollte. Alljährlich werden gewaltige Wanderungen nach Süden unternommen, wo die unendlichen Heringsmassen sich in einzelne Schwärme auflösen sollen, die die Küsten Groß- britanniens, Irlands und Norwegens bis zum Kanal und bis in die Ostsee aufsuchen, um hier ihren Laich abzusetzen. Die der Fangkunst des Menschen entgangenen Tiere sollen dann wieder, von den herangewachsenen Nachkommen begleitet, in ihre nordische Heimat zurückkehren. Diese Hypothese verlor später, wegen der Unwahrscheinlichkeit so ausgedehnter Wanderrungen in so kurzer Zeit, an Glaubwürdigkeit und wurde bald (zu Ende des 18. Jahrhunderts) von einer anderen, doch eben- falls nicht bewiesenen Lehre, die M. E. Bloch aufstellte, abgelöst. Dieser hielt den Hering für einen Tiefseefisch, der nur zur Laichzeit die Küsten aufsucht, sonst aber sich in den großen Tiefen des Ozeans aufhält. Diese Lehre hat fast bis in unsere Zeit allgemeine Anerkennung genossen, jedoch in den letzten Jahrzehnten durch eingehende spezielle Untersuchungen ebenfalls ihre Wider- legung erfahren. Während der ursprünglichen Polarstammtheorie die Annahme eines einheitlichen Heringsstammes zugrundelag, ist mit der Bloch'schen Lehre die Tatsache von der Aufspaltung dieser Art in ein- zelne, vor allem biologisch unterschiedene Rassen schon wohl vereinbar. Und diese Tatsache der Rassengliederung des Herings zieht im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts das haupt- sächliche Interesse der Heringsforscher an und führte vor allem zu den grandiosen und umfassenden Unter- suchungen Heincke's, welcher in der aus der Anthropologie herübergenommenen biometrischen Methode ein Mittel fand, dieser auf exaktem wissen- schaftlichem Wege schwer beizukommenden Tat- sache der Rassengliedcrung des Herings Herr zu werden. Die lange Reihe seiner mühevollen Unter- suchungen fand ihre Krönung in der Herausgabe seiner „Naturgeschichte des Herings" (1898), in welcher er eine größere Anzahl von Individuen aus verschiedenen Gegenden in bezug auf eine ganze Anzahl (bis zu 65) ihrer Eigen- schaften einer genauen quantitativen Untersuchung unterzog und schließlich einen zahlenmäßigen Ausdruck der Kombination dieser Eigenschaften aufstellen konnte. Auf diese Weise fand er, daß die Individuen einer und derselben Rasse sich zwanglos um einen bestimmten Typus (das Mittel der Rasse) gruppierten und daß die Individuen 626 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 40 verschiedener Rassen sich voneinander unterschieden, indem ihre Eigenschaften sich auf verschiedene Mittelwerte einstellten. Auf diese Weise gelang es Heincke, eine ganze Anzahl von genauer charakterisierten Rassen aufzustellen, deren wichtigste folgende sind: i. die nördlichen Seeheringe, die in der Nähe der Küste im Winter und Frühjahr laichen, während des Sommers sich aber in der ofi'enen See aufhalten. In diese Gruppe gehören der isländische und der norwegische Hering. 2. Die Küstenheringe, die stets im Winter laichreif werden, in unmittelbarer Nähe der Küste leben und in brackischem Wasser oder in Flußmündungen ihren Laich absetzen. Infolge der stark varierenden physikalischen Ver- hältnisse ihrer speziellen Aufenthaltsorte zeigen sie an den verschiedenen Lokalitäten eine größere Variabilität als die Seeheringe. Zu dieser Gruppe sind zu zählen: der Küstenhering der nördlichen Nordsee und des Skageraks, dann der Küstenhering der südlichen Nordsee, des Kattegats und des westlichen baltischen Meeres, endlich der Früh- jahrshering von Rügen. 3. Der Seehering der Nordseebänke, der die offene See von den Küsten Englands und Schottlands durch die ganze Nord- see, den Skagerak und Kattegat bis in den west- lichen Baltik bewohnt. Im Sommer und Herbst sucht er zum Zwecke des Laichens die sandigen und steinigen Bänke auf, die sich hier in einiger Entfernung vom Lande aus den Tiefen des Meeres erheben. Hierher zu rechnen ist der Bankhering der nördlichen Nordsee, des Skageraks und Katte- gats und der Bankhering der südlichen Nordsee. Diese Resultate bedeuten einen außerordent- lichen Fortschritt in der Heringsforschung. Und wie wohl aus der Wiedergabe der Ergebnisse dieser Studien hervorgeht, spricht sich darin auch eine grundlegende Änderung in bezug auf die an- genommenen Wanderungen aus, die schon durch mannigfache Beobachtungen früherer Forscher an- gebahnt wurde. Doch kann hierauf nicht näher eingegangen werden. Die immer mehr zur Geltung kommende Lehre ist die, daß die Spezies Hering eine ganze Anzahl differenter Lokalrassen in sich schließe, deren jeder ein verhältnismäßig be- schränktes Bewegungsgebiet zukomme, und daß das besondere jaiireszeitliche Vorkommen des Herings nur auf die Tatsache zurückzuführen ist, daß die Fische während der Entwicklungs- periode ihrer Geschlechtsorgane bis zur Sexual- reife sich in dichteren Schwärmen zusammenscharen und so die Großfischerei ermöglichen, während sie die übrige Zeit mehr oder weniger zerstreut in den angrenzenden Meeresgebieten sich aufhalten und so weder leicht zur Beobachtung gelangen noch auch in beträchtlicher Menge gefangen werden können. Wenn auch diese von Heincke inaugurierte biometrische Methode einen großen Schritt vor- wärts bedeutete, so war sie doch nicht hinreichend, um die vielen bei dem Ileringsproblem vorhandenen Fragen einer Lösung zuzuführen. Auf Heincke selbst geht dann auch eine andere, und wie sich erwiesen hat, außerordentlich fruchtbringende Untersuchungsmethode zuiück. Im Jahre 1904 legte er der Internationalen Meereskommission die Resultate von Untersuchungen vor, die auf die Bestimmung des Alters beim Kabeljau und Gold- butt gerichtet waren und auf dem .Studium der Knochen dieser Fische basierten. Dr. Hjort, Fischereidirektor in Bergen, nahm diese Ergebnisse mit großem Interesse auf und begann bald mit Unterstützung seiner Assistenten in großem Maß- stabe eine praktische Methode für Altersbestim- mungen von Fischen auszuarbeiten, wobei alle wichtigsten Fischspezies Berücksichtigung fanden. Das Resultat dieser Untersuchungen war, daß beim Kabeljau wie auch beim Hering die Schuppen ein äußerst vorteilhaftes Mittel bieten, das Alter der Tiere zu bestimmen. Die Heringsschuppe zeigt sich im mikroskopi- schen Bilde durch eine ausgeprägte Linie in zwei Abteilungen geteilt (siehe Fig. 2 — 4). Während die eine Hälfte sehr durchsichtig und strukturlos ist, besitzt die andere außerordentlich feine Streifen und überdies einige konzentrische scharf hervor- tretende Halbzirkel (Ringe). Die genaueren Unter- suchungen ergaben, daß diese Ringe ihre Ursache im stillegelegten Winterwachstum besitzen und so ein bequemes Mittel zur Altersbestimmung des Herings darbieten. An der Anzahl der vorhandenen Winterringe kann man bequem das Alter des Herings ablesen. Mit Hilfe dieser ziemlich einfachen Methode hat man im Laufe der zehnjährigen Untersuchungen eine ganze Anzahl sehr interessanter biologischer Details über die Lebensgeschichte des Herings in Erfahrung bringen können '). Nur über die wichtigsten der erhaltenen Resultate will ich hier referieren. Besonders genaue Untersuchungen liegen über den norwegischen Hering vor, der fast an der ganzen atlantischen Küste Norwegens in großen Mengen vor- kommt. Schon von altersher unterschieden die Fischer hier zwi- schen mehreren Sorten, vor allem zwischen den Frühjahrsheringen, Großheringen, Fett- „. , t^- ,■ , . j T^T • ^'S- 1* -^'^ verschiedenen beringen und Klem- Fanggebiete längs der nor- heringen. Diese ver- wegischen Küste. schiedenen Sorten (Aus Hjort.) unterscheiden sich so- wohl in bezug auf iiiren physiologischen Zustand wie auch in bezug auf ihren Aufenthaltsort, auf ') Johan Hjort, Fluctuations in tlie great Fisheries of northern Europe, reviewed in the light of biological research. Conseil perm. int. pour l'exploralion de la mer, Rapports et Proces. — Verbaux. Vol. XX. Copenhague 1914. — Hier findet sich auch die ganze übrige Literatur zitiert. N. F. Xin. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 627 ihre Hauptfanggebiete und die Jahreszeit ihres massenhaften Auftretens. So werden die sog. F"rühjahrsheringe nur in der Zeit von Januar bis April gefangen, und zwar an der Westküste (Fig. i) und sind durchwegs ausgewachsene laichreife Heringe. Das Hauptgebiet der Großheringe ist die Küste von Romsdal, die Fangzeit der Spät- herbst und Winter; es sind erwachsene Tiere, deren Geschlechtsorgane jedoch nicht so weit entwickelt sind als die der P"rühjahrsheringe. Die Fettheringe sind unreife, oft ziemlich große Tiere, die im Herbst im nördlichen Norwegen gefischt werden, die Klein- heringe endlich sind ganz junge Tiere , welche die ganze Küste entlang gefangen werden. Schon G. O. Sars hat die Annahme aufge- stellt, daß die Fettheringe, Großheringe und Früh- jahrsheringe die Glieder des Entwicklungszyklus des norwegischen Herings seien, daß die aus dem im Süden an der Westküste Norwegens abgesetz- ten Laiche ausgeschlüpften Jungfische durch die nordwärts gerichtete Strömung die Küste entlang verbreitet werden und bei erlangter Schwimm- fähigkeit ihre Wanderung südwärts beginnen und daß auch die ausgewachsenen abgelaichten Heringe eine korrespondierende Wanderung in weniger ausgedehntem Maßstabe (Romsdal - Westküste) durchführen. Durch die neue Methode der Alters- bestimmung konnte diese Annahme exakt be- wiesen werden. Die Untersuchung ergab näm- lich, daß die Fettheringe nur ein durchschnitt- liches Alter von 2 — 4 Jahren besitzen , während Großhering und Frühjahrshering fast durchwegs 4 Jahre und darüber sind und bis zu 18 Jahren erreichen können. Der Fetthering ist also das noch nicht geschlechtsreife Stadium, das erst mit 4 Jahren erreicht wird, der Frühjahrshering das geschlechtsreife Tier und der Großhering im Be- griffe, seine Geschlechtsorgane wieder auszubilden. Sehr interessant ist die Tatsache, daß diese Winterringe auch noch in anderer Beziehung be- nutzt werden können. Es ist nämlich festgestellt worden, daß der Abstand zwischen zwei Ringen, also die Zuwachszone der Schuppe während einer Wachstumsperiode (eines Jahres) im Verhältnis zum Längenwachstum des Herings in diesem Jahre steht. Wenn man also, wie es in Fig. 2 ge- schehen, eine Schuppe so stark vergrößert, daß Fisches gleich wird, so geben die Abstände der verschiedenen Winterringe unmittelbar die Länge des Fisches im betreffenden Winter. Dieses Faktum hat zu einem neuen Wege ge- führt, das Rassenproblem des Herings in anderer Weise in Angriff zu nehmen. Da nämlich die verschiedenen Lokalvarietäten eine verschiedene Wachstumsgeschwindigkeit besitzen, was wohl durch die difierenten physikalischen und biologi- schen Verhältnisse in ihrem bestimmten Aufent- haltsgebicte bedingt ist, so muß sich dies auch in der Anordnung der Ringe auf den Schuppen aussprechen. Dadurch ist die Möglichkeit ge- geben, sog. „Normalschuppen" zu konstruieren, welche das durchschnittliche Wachstum einer be- stimmten Heringsvarietät veranschaulichen. Die Fig. 3 stellt neun solche Normalschuppen dar von fünfjährigen Heringen, die aus den verschie- Fig. 2. Die Wachstumszonen der Heringsschuppe verglichen mit der Lange des Fisches. (Aus Hjort.) die Distanz vom Zentrum der Teilungslinie der Schuppe bis zum Schuppenrande der Länge des Fig. 3. Normalschuppen eines fünfjährigen Herings aus ver- schiedenen Fanggebieten. (Nach Lea aus Hjort.) I Lysefjord, 2 Zuyder See, 3 Kattcgat, 4 Faröer, 5 Island, 6 Norwegen (Frühjahrshering), 7 Westlicher Teil der Nordsee, 8 AUantischer Ozean, 9 Shetland. densten Fanggebieten stammen. Man sieht, daß diese Normalschuppen nicht nur über die ver- schiedene Größe des erwachsenen Fisches Auf- schluß geben, sondern auch über die ganz ver- schiedene Art ihres Wachstums in den früheren Lebensjahren. Einige besitzen während der Bil- dung des ersten Winterringes ein geringes Wachs- tum (i und 2), andere ein besseres (3). Einige wachsen in den ersten Lebensjahren schnell, später aber langsamer (7 und 8), w^ährend andere bis in ihr fünftes Jahr ein gutes Wachstum zeigen (S, 6 und 9). Das Wachstum ist häufig so charakte- ristisch, daß schon mittels einer losen Schuppe die Rasse bestimmt werden kann. Es ist klar, daß damit ein ausgezeichnetes und bequemes Mittel zur Unterscheidung der Heringsrassen an die Hand gegeben ist, und man hat damit be- gonnen, durch Aufsammlung von umfangreichem Material und Bearbeitung desselben auf diese Weise den noch lange nicht vollständig gelösten Fragen des Rassenproblems und der Wanderungen des Herings nachzugehen. Wie groß die Verwendbarkeit dieser Methode ist, zeigt folgendes Ergebnis: Es stellte sich heraus, daß der größte Teil der nordländischen Heringe vom Jahrgang 1904 im dritten Sommer ihres Lebens sehr schlecht wuchsen, wodurch die be- treffende Zone dieses Jahres auf den Schuppen auffallend schmal wird und diese Heringe dadurch gleichsam „markiert" erscheinen. In Fig. 4 a ist 628 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 40 die Schuppe eines 5 jährigen Herings bei normalem Wachstum dargestellt, in Fig. 4 b diejenige eines Fig. 4. Schuppen von zwei fünfjährigen Heringen von der Nordliüste Norwegens; a normales Wachstum, b marinierter Fisch. (Nach Lea aus Hjorl.) gleichaltrigen „markierten" Herings, bei dem die dritte Zuwachszone auffällig schmal erscheint. Da eine ganze Anzahl von Proben aus verschiedenen anderen Gebieten ebenfalls daraufhin untersucht wurden, ohne eine solche Wachstumsabnormität zu zeigen, so ist die Annahme berechtigt, daß diese eigentümliche Wachstumserscheinung nur für die aus dem nördlichen Norwegen stammenden Heringe des Jahrganges 1904 charakteristisch ist. Es ist dies gleichsam ein von der Natur veranstalteter Markierungsversuch, ein Phänomen, das wohl auf schlechte Ernährungsbedingungen in den nord- ländischen Gewässern im Sommer 1906 zurück- zuführen ist. Man konnte auf diese Weise die Einwanderung dieser gezeichneten Heringe in andere Gebiete feststellen. So wurde schon im Jahre 1908 eine kleine Beimischung dieser Tiere in den Großheringsschwärmen beobachtet, die im Januar igio auf 12 "/^, stieg und im November des- selben Jahres 47 "/f, erreichte. Eine gleiche Ein- wanderung ließ sich an der Westküste Norwegens feststellen, wo sich schon im Herbst igo8 ziem- lich viele markierte Individuen, jedoch noch in unreifem Zustande, vorfanden. Ahnliches gilt für das Jahr 1909. Doch erst 1910 fanden sie sich auch in den Laichschwärmen daselbst, und zwar 31 "/q, und im Jahre 191 1 ebenfalls mit 32%. Außerdem wurden in der Nordsee westlich von der norwegischen Westküste im Sommer und Herbst 1910 ebenfalls markierte Heringe in ver- schiedener Prozentzahl festgestellt. Auf diese Weise hat man also einen Blick in die Wanderun- gen des Herings tun können, weiters ist man aber auch dadurch auf die interessante Tatsache aufmerksam geworden, daß der Bestand an Früh- jahrsheringen sich aus zwei ungefähr gleich großen Komponenten zusammensetzt, deren eine diesem nordländischen, deren andere einem Heringe noch unbekannter Herkunft, doch wahrscheinlich aus südlicheren Gegenden als Nordland angehört. Diese beiden unterscheiden sich vor allem auch dadurch, daß der nordländische erst um 2 Jahre später als der andere die Sexualreife erlangt. Wohl am bedeutendsten und weitreichendsten sind jedoch die Ergebnisse, welche mit Hilfe dieser Untersuchungsniethode in bezug auf die außer- ordentlichen Schwankungen in der Menge der auftretenden Heringe erhalten wurden. Seit den ältesten Zeiten sind die großen Schwankungen in den jährlichen Erträgnissen für alle Zweige der Fischereiindustrie charakteristisch gewesen. Gegen- wärtig wird über das Ausbleiben der Markrelen- fischerei in den Vereinigten Staaten geklagt, wäh- rend in P'rankreich eine Sardinenkrise entstanden ist, indem das Erträgnis der Sardinenfischerei, das 1898 sich auf über 50 Millionen Kilo belief, 1899 auf unter 30 und 1902 auf weniger als 9 Millionen Kilo herabsank. Die norwegischen Fischereien kennen seit Hunderten von Jahren solche alter- nierende Perioden reicher und armer Erträgnisse. Diese periodischen Fluktuationen sind in der Regel von beträchtlicher Dauer, eine Reihe von Jahren erträgnisreicher Fischerei folgt auf dürre Jahre und wird von ihnen wieder abgelöst. Um vor allem bei der norwegischen Plerings- fischerei zu bleiben, so zeigte diese außerordent- lich große Variationen, sowohl in bezug: auf den laichreichen Fisch, den F"rühjahrshering, als auch den jüngeren unreifen Fetthering. Die Frühjahrs- hering-Hscherei, die vom Skagerak im Süden bis zum Kap Stat im Norden stattfindet, zeigt außer- ordentliche Schwankungen seit der Einführung der Statistik. 1866 belief sich das Erträgnis auf über eine Million Hektoliter, sank jedoch während der folgenden Jahre so rapid, daß der Totalfang 1874 24000hl, 1875 nur 208hl betrug. Noch 1883 war der Ertrag nur 100 000 hl, erhob sich jedoch schon 1884 wieder auf über 262000 hl. In den Jahren 1891 — 93 zeigte er dann eine Durchschnitts- höhe von über 700000 h!, 1894 — 96 wieder we- niger als 400000. 1909 setzte ein rapides An- wachsen ein, und 1913 stellte die Statistik ein Erträgnis von nicht weniger als 1V2 Millionen hl fest, die höchste Ziffer, die je in diesem Fischerei- zweig verzeichnet ist. Ähnliche Schwankungen zeigt der Ertrag der Fettherings-Fischerei, der sich z. B. in den Jahren 1892, 1896 und 1909 auf über I Million hl belief, 1904 und 1905 jedoch weniger als looooohl. 1907 stieg er aber wieder auf über eine halbe Million hl, und 1909 überschritt er eine Million. Es ist klar, daß dieser außerordentliche Wech- sel in der Höhe der Erträgnisse, der auf den Wohlstand der mit diesen Fischereien sich be- schäftigenden Küstenbewohner so einschneidend zurückwirkt, das Nachdenken der Menschen von altersher wachgerufen hat. Und wenn man in früheren Zeiten den Zorn Gottes darin erblickte und die verschiedenartigsten Sünden des Volkes dafür verantwortlich machte, so wurde dieser Aberglaube in unserer Zeit durch verschiedene wissenschaftliche Hypothesen abgelöst, die jedoch an exakter P'undierung ebenfalls vieles zu wünschen übrig ließen. So versuchte Ljungmann eine Erklärung der regelmäßig wiederkehrenden Perio- den der Heringsfischerei an der Bohuslänküste in den gleichzeitig fallenden Perioden der Sonnen- flecke zu finden, andere machten dafür den perio- dischen Wechsel der Meeresströmungen verant- N. F. XIII. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 629 wortlich, wieder andere wollten die einzige Schuld dem unvernünftigen Fischcreibetrieb des Menschen zuschreiben. In neuester Zeit wurde von Heiland-Nansen und Nansen (The Nor- wegian Sea, 1909) die Hypothese aufgestellt, daß die größere Ausdehnung des Küstenwassers, dessen Salzgehalt unter 35 ",'„„ Hegt, mit einem reichlichen Auftreten der Kleinheringe einhergeht. Im allgemeinen gesprochen, war bis jetzt die Meinung vorherrschend, daß der vorhandene Fisch- stock stets auf ungefähr derselben Höhe bleibt, die Erneuerung desselben in ähnlicher Weise vor sich geht wie bei der menschlichen Bevölkerung, näm- lich durch einen mehr oder weniger konstanten jährlichen Zuwachs und daß irgendwelche physi- kalische oder andere Verhältnisse in den Küsten- wässern, wo die Fische jährlich zu bestimmten Zeiten in ungeheuren Schwärmen zu erscheinen pflegen, eine so unzuträgliche Änderung erfahren, daß ihre massenhafte Einwanderung dadurch stark beeinträchügt wird. i9w 09 08 oj 06 OS l„, 19,9% und 33,5"/o des Anfangsgewichts. Die Gewichts- zunahme der Kontrolltiere stieg während der gleichen Zeit von 8,7 ",„ auf 24 "/(,. Im Gehalt der Exkremente an Stickstoff und Cellulose bestand kein Unterschied gegenüber den Kontrolltieren. Mikroskopische Untersuchungen und Impfungen auf Nährgelatine mit dem Darm und seinem Inhalt ercjaben das völlige Fehlen von Bakterien. Kathariner. Physik. Über die Verwendung der lichtelek- trischen Zelle als Empfangsinstrument für draht- lose Telegraphie berichtet H. Behnken in den Berichten der Deutschen Physikalischen Gesellschaft XVI (1914) Seite 668—678. Mit der in der Em- pfangsantenne liegenden Spule ist eine zweite von großer Windungszahl gekoppelt, so daß in dieser die von der ersteren aufgenommenen Schwingungen auf hohe Spannung transformiert werden. Das eine PInde der Sekundär-Spule ist mit der Kaliumschicht der lichtelektrischen Zelle, die dieser gegenüber- stehendende Platinanode mit dem Faden eines Lutz-Edelmann'schen Einfaden-Elektrometers ver- bunden. Die Kaliumschicht wird mit einer Nernst- lampe beleuchtet. Würde man das andere Spulen- ende unmittelbar erden, so wurde beim Leuchten der Lampe das E.!ektrometer stets einen Ausschlag zeigen. Um dies zn vermeiden, ist in die Erd- leitung ein Regulierwiderstand eingeschaltet, der es erlaubt, von einem Akkumulator einen Teil der Spannung abzuzweigen. Dadurch werden die durch die Belichtung am Kalium ausgelösten Elektronen so stark verzögert, daß in nicht zur Anode und zum Elektrometer gelangen. Wird aber die Antenne angeregt, so entsteht in der Sekundärspule eine beträchtliche Wechselspannung von der Frequenz des Antennensystems. Während jeder Halbperiode, in der dadurch die Kaliumschicht ein negatives Potential erhält, werden die durch die Belichtung befreiten Elektronen so stark beschleunigt, daß sie gegen die verzögernde Spannung anlaufen und zur Anode gelangen können, so daß der Elektro- meterfaden die Schwingungen der Antenne mit- macht. Es gelang in Charlottenburg das Zeitzeichen von Norddeichmit 20 — 30, das des Eiffelturmes mit 4 — 5 Skalenteilen .Ausschlag aufzunehmen. Dabei bestand die Empfangsantenne einfach aus einem Kupferdraht von 3 mm Dicke, der in einer Länge von 70 m zwischen zwei Holztürmen in 15— 20 m Höhe über dem Dach des Starkstromlaboratoriums der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt ausgespannt war. Es sei noch erwähnt, daß es zweckmäßig ist, von einer Abstimmung zwischen der in der Antenne liegenden Spule und der mit der licht- elektrischen Zelle verbundenen abzusehen, daß man vielmehr der letzteren die Schwingungen des Antennenkreises besser einfach aufzwingt. Diese Zellanordnung hat vor den Kreistalldctek- toren den Vorteil, daß sie nicht einreguliert zu werden braucht, daß sie konstant ist und daß ihr selbst starke atmosphärische Entladungen nichts anhaben, wodurch eine große Betriebssicherheit gewährleistet wird. K. Schutt, Hamburg. 634 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 40 Geologie. Über tropische und subtropische Flach- und Hochmoore auf Ceylon hielt Geh. Bergrat K. Keilhack auf der Tagung des Ober- rheinischen geologischen Vereines in Friedrichs- hafen a. B. einen interessanten Vortrag, der nun- mehr in den Jahresberichten und Mitteilungen dieses Vereins erschienen ist. (N. F. Bd. 4, H. 2. Jahrgang 1914.) Eine ausführliche Mitteilung über Moore mit Torfboden aus der tropischen und subtropischen Zone gab zum ersten Male H. Potonie in der Naturwissenschaftlichen Wochenschrift vom Jahre 1907. Es handelte sich um ein von der Holländisch- Indischen Expedition in Sumatra entdecktes, ca. 90 km von der Küste entferntes Flachmoor, dessen Bestand ein immergrüner etwa 30 m hoher Misch- wald ist. Niedrige Pflanzen und Kräuter fehlen völlig. Gelegentlich der Arbeiten der Deutschen Tendaguru-Expedition in Deutsch-Ostafrika wurden durch Janensch und v. St äff Moorbildungen im südlichen Küstengebiet des Lukulabi entdeckt. Es herrscht dort eine üppige Vegetation, doch ist über die Flora dieser Moore nichts bekannt. Grasmoore, wie sie in den gemäßigten Breiten auftreten, waren in der tropischen und subtropischen Zone nicht bekannt. Selbst die Möglichkeit des Auftretens des Zwischenmoores und des Hoch- moores hielt H. Potonie in den tropischen Ge- bieten für ausgeschlossen. Auf einer im vorigen Jahre unternommenen Forschungsreise nach Ostasien konnte nun Keil- hack auf Ceylon in der Umgebung von Nurelia, i) einer in 1850 m Meereshöhe gelegenen Sommer- frische, die am Fuße des 2550 m hohen Talagalla liegt, ein typisches Flach- und Hochmoor nach- weisen. Nurelia ist in einem wannenartigen Becken gelegen, das auf beiden Längsseiten von ziemlich hohen Gebirgswänden begrenzt ist. Im südlichen etwa 3 km langen Teil des Beckens befindet sich der durchschnittlich 6 m tiefe Lake Gregory, der infolge der immer mehr fortschreitenden Ver- landung seiner randlichen Teile von einem Flnch- moor umgeben ist. Wie bei der \'erlandung unserer Seen, so lassen sich auch beim Lake Gregory mehrere Vegetationsgürtel unterscheiden. Im Wasser schwimmt Aponogeton, eine Najadee mit großen elliptischen Blättern. Dann folgt ein 3 — 25 m breiter Gürtel von Juncus effusus und Scirpus mucronatus mit vereinzelten Büschen von Eriocaulon, Blütenpflanzen, Cyperaceen und Gra- mineen. Der folgende ca. 15 — 50 m breite Gürtel wird von meterhohem Eriocaulon gebildet, dessen dichtstehende Bülten ein weißes P'arbband er- zeugen, das dem von Eriophorum in unseren Mooren ähnlich sieht. Auf den Eriocaulon-Bülten wachsen ') Ein treffliches Bild mit Beschreibung jener Gegend gibt E. Haeckel in seinem Tafelwerk Wanderbilder, Serie I und II , Die Naturwunder der Tropenwelt (Insulinde und Ceylon), fünfte Lieferung 1905 in Wanderbild 15: Nu- rellia-See, Blick vom Rambodde-Paß auf den Nurellia-Scc (Ceylon), wie auch in dem Aquarell, das den See mit seiner Umgebung deutlich zeigt. Blütenpflanzen und Gräser, welche die Plora des Flachmoores bilden. Der dritte zwischen 10 bis 100 m breite Gürtel besteht aus zahlreichen Bülten von kleinen Gramineen und Cyperaceen, wozu vereinzelt auch große Bülten des meterhohen Grases Vetiveria zizanoides treten, dessen Haupt- verbreitung auf das Hochmoor beschränkt ist. Das Profil des P'lachmoores besteht zu unterst aus gelbem Ton, der wohl ein Sediment des Sees ist; darüber 30—60 cm typischer Faulschlamm, der von 30—80 cm Torf überlagert wird. An das P"lachmoor schließt sich das Hoch- moor an, das als typisches Gehängemoor 10— 30 m am Gehänge aufsteigt. Unter dem bis i m mäch- tigen Torf lagert nur in den tieferen Teilen Faul- schlamm, gewöhnlich aber verwitterter Granit. Das Auftreten von Faulschlamm ist so zu erklären, daß das Hochmoor ursprünglich Flachmoor war und erst nach Senkung des Seespiegels in den jetzigen Zustand übergegangen ist. Das Gehängemor ist als Zwischenmoor oder wohl eher als Hoch- moor anzusehen und unterscheidet sich in wesent- lichen Punkten vom Flachmoor. Nächst der Ober- flächenform liegt der wichtigste Unterschied in der Pflanzenwelt. Unter den 80 Arten von höheren Pflanzen, die im Moore von Nurelia auftreten, ge- hören 42 Arten dem Flachmoor, 32 Arten dem Gehängemoor und nur 8 Arten beiden gemein- sam an. Auch in der Baumvegetation zeigen sich Unterschiede. Auf dem Flachmoor sind kleine Gruppen von künstlich angesiedelten australischen Eucalypten verstreut, während auf dem Hochmoor der leuchtend rot blühende Rhododendron arbo- reum, der Charakterbaum des Urwaldes von Cey- lon auftritt, welcher sonst 12 — 15 m Höhe erreicht, hier aber verkrüppelt (3 — 4 m) gewachsen ist und an die verkrüppelten Moorkiefern der deutschen Hochmoore erinnert. Weitere Übereinstimmung mit unseren Hoch- mooren besteht in der völlig abweichenden Vege- tation an Ufern von Bächen, die, vom Gebirge kommend, das Gehängemoor durchziehen. Hier, wo größerer Reichtum an Nährstoffen im Wasser besteht, entwickelt sich die Plachmoorvegetation ähnlich den Rüllen der deutschen Hochmoore, während der übrige Teil des Hochmoores nur mit Regenwasser getränkt wird. Eine Besonderheit der Moorflora von Nurelia ist die Ausbildung xerophiler Merkmale bei zahl- reichen Arten. Auffallend ist das Fehlen von Moosen sowohl im Flach- als auch im Hochmoor. Die Moore sind also ausschließlich Grasmoore. Als Torfbildner sind neben Cyperaceen und Grami- neen noch eine Binse Juncus effusus und versch. Arten von Eriocaulon von Bedeutung. Große Übereinstimmung mit unseren Mooren besteht in der Bildung von Bülten durch zahl- reiche Pflanzen (Juncus, Scirpus, Eriocaulon, Veti- veria, Carex, Cyperus usw.), wodurch die Moore von Nurelia den unsrigen ähnlich sehen. Die Familien der Moorflora von Nurelia sind mit einigen Ausnahmen auch bei uns vertreten, N. F. XIII. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 635 während nur mehr als die Hälfte der Gattungen bei uns vorkommt. Dagegen sind nur 4 Arten unserer Flora gemeinsam (u. a. Juncus effusus). Ein Flachmoor von 30 m Breite und unbe- kannter Länge ist im Urwald des Talagalla in 2250 m Höhe gelegen und zeigt unter 10 ge- sammelten Pflanzen nur eine, die dem Moor von Nurelia gemeinsam ist. Die Moore von Nurelia gehören trotz 7 " nörd- licher Breite bei einer Höhe von 1850 m klimatisch bereits der subtropischen Zone an und sind als Grasmoore entwickelt, die unseren Flach- und Hochmooren zuzurechnen sind. Typische tropische Flachmoore wurden noch nahe dem südlichsten Teil der Insel im Gebiet des tropischen Regenwaldes nur wenige m über dem Meeresspiegel unter 6 " nördl. Breite entdeckt. Sie liegen beiderseits von Point de Galle und er- strecken sich 30 - 40 km der Küste entlang hinter einem 100 — 300 m breiten Strandwall in i — 2 m über dem Meere liegenden Niederungen. Der Torf ist ca. i m mächtig. Faulschlamm ist zu vermuten. Auch hier haben wir typische Gras- moore, die von niederen Bäumen und Büschen sowie Schlingpflanzen besetzt sind. Haupttorf- bildner sind wiederum Gramineen und Cyperaceen, sowie Eriocaulon. Auffallend ist der Reichtum an Farnen. Besonders merkwürdig ist es, daß mit Ausnahme des Kletterfarns Gleichenia linearis keine Pflanze des tropischen Moores mit der sub- tropischen Moorflora von Nurelia übereinstimmt. Hinsichtlich des Charakters der Flora steht das subtropische Moor unseren Mooren viel näher als das tropische. V. Hohenstein. Botanik. Beobachtungen über Protoplasma- strömung in Pflanzenzellen. Man ist geneigt, leb- hafte Protoplasmaströmung mit kräftiger Lebens- tätigkeit und den sie begleitenden stofflichen Umsetzungen und Wanderungen in Beziehung zu bringen. Beobachtungen, die G. Lakon in den Zellen der inneren Epidermis von Zwiebelschuppen (Allium Cepa) gemacht hat, beweisen aber, daß solche Beziehungen nicht zu bestehen brauchen. In diesen Zellen strömt das Plasma nicht bloß in dem protoplasmatischen Wandbeleg, sondern auch in den feinen Plasmasträngen, die das Innere der Zellen durchziehen, — eine Strömungsform, die unter dem Namen Zirkulation des Plasmas bekannt ist. Das Plasma zirkuliert in gleicher Weise in verschiedenen Lebensperioden der Zwiebel ; weder bei der Abwanderung noch bei der Auf- wanderung der Assimilate strömt es lebhafter als bei der völligen Ruhe im Winterlager. Die Strömungsfähigkeit des Plasmas ist also hier von einer erhöhten Lebenstätigkeit des Organes völlig unabhängig, und es ist für sie auch ohne Bedeutung, ob in den Zellen eine rege Stoffwanderung statt- findet oder nicht. Lakon hebt hervor, daß die beobachtete Plasmaströmung nicht etwa erst durch die Präparation (Entnahme der Zellen mittels einer Pinzette und Einlegen in einen Wassertropfen) hervorgerufen werde, wenn der Reiz sie auch möglicherweise beschleunige. Weitere Beobach- tungen zeigten, daß osmotisch wirksame Lösungen (am besten Kalisalpeter) die Protoplasmaströmung in den Zwiebelschuppen in hohem Maße befördern. Die optimale Konzentration richtet sich nach den osmotischen Druckverhältnissen der Zellen. Im Winter abgelagerte Zwiebeln z. B., deren Zellsaft hoch konzentriert ist, bedürfen auch einer stark konzentrierten Lösung, um eine deutliche Be- schleunigung der Strömung zu entfalten. Bei der bekannten Rotation des Protoplasmas (Strömung nur im Wandbeleg) in Blättern von Elodea cana- densis ist die Wirksamkeit von Salzlösungen im Vergleich zu der bei der Zirkulation in Zwiebel- schuppen nur sehr gering. Doch hat Verf. ge- funden, daß die Plasmaströmung bei Elodea in ausgezeichneterweise durch eine 0,005 proz. Lösung von Schwefelsäure angeregt und zur Anschauung gebracht werden kann. Da die giftigere schweflige Säure in entsprechend niedrigerer Konzentration eine gleiche Wirkung nicht ausübt, so schließt Lakon, daß der Einfluß der Schwefelsäure ein spezifischer sei, nicht auf Giftwirkung beruhe. Verf. stellte auch einen sehr günstigen Einfluß der Verdunstung auf die Rotation bei Elodea fest; am lebhaftesten trat die Plasmaströmung hervor an Sproßspitzen, die aus dem Wasser frei in die Luft ragten (Ber. d. Deutschen Bot. Ges. 1914, Bd. 32, S. 417 — 426). F. Moewes. Chemie. Über die Darstellung der Elemente Thorium, Uranium, Zirkon und Titan berichten D. Lely j r. und L. Hamburger in der Zeit- schrift f. anorg. Chem. Bd. 87, S. 209—228. Der schönen, klar und zielbewußt durchgeführten Arbeit sind die folgenden Angaben entnommen: Die Reindarstellung der elementaren Metalle Thor, Uran, Zirkon und Titan wird einerseits durch ihren hohen Schmelzpunkt, andererseits durch ihre == 50—58 cm). Sie sind aus Bambusgeflecht und innen mit dickem Papier (Bambuspapier) ausgekleidet. Etwa 40 Eier wer- den auf ein Tuch aus Hanf) gelegt, ein solches Bündel heißt Kuah^. Etwa fünf bis sechs (je nach Bedarf) solcher Kuah schichtet man in die Enten- körbe. Auf die Korböffnung wird ein gegen 2 — 3 cm dickes Tuch gelegt. Ich hielt es für Watte, die Chinesen sagten, es sei aus Hanfwurzeln und nannten es auch demgemäß Ma^-gänT-tsi^« = „Hanfwurzelpapier". Auch mit dem blumigen Namen „Entchenhülle" wird es bezeichnet. Diese Art der Bebrütung wird von den Züchtern in Kuang-tung als die Tung-kunMethode bezeichnet (Tung-kun ^= Stadt, nicht weit östlich von Canton, am Ostfluß). Sind die Bruträumlichkeiten beschränkt, so wendet man die Siu-hing-Methode an (Siu-hing = Präfekturstadt der Provinz Kuangtung am West- fluß). Bei dieser Art fallen die großen Kisten weg, statt der Körbe nimmt man Fässer von gleicher Größe, die frei auf dem Dachboden stehen. Diese Fässer haben doppelte Wände, die Außenwand ist mäßig dickes Holz, die Innenwand ist Bambusgeflecht, der ca. 6 cm breite Zwischen- raum zwischen beiden Wänden ist mit dem grauer Watte ähnlichen Hanfwurzelgewebe ausgefüllt. Die Eier liegen in dünnen, weitmaschigen Netzen. Im Winter erhitzt man Reiskörner, packt sie in ein Tuch -) und legt in Körbe oder Fässer abwechselnd eine Schicht Eier und eine Schicht Körner. Im Sommer, überhaupt bei wärmeren •) Der chinesische Name dieses Tuches ist Neap-pa (= Entenhülle). & v v ') (chinesisch Ngap-kuan). Temperaturen, legt man im Wechsel je eine Schicht Eier, die schon zehn Tage bebrütet sind und eine Schicht frischer, d. h. aus dem Brutbett kommender Eier. Von Zeit zu Zeit müssen die Eier gedreht werden. (Das tun die Vögel beim Brüten ja auch.) Die l'ücher oder Netze werden an dem Tragfaden gehoben , durch die eigene Schwere drehen sich die Eier und das ganze Bündel. Im Anfange ge- schieht dies jede Stunde, Tag und Nacht, später tags einmal und nachts einmal. Sind die Eier fünf Tage im Brutraum, so werden sie geprüft, ob die Entwicklung eingesetzt hat. Man hält Stück für Stück gegen die Flamme einer Öllampe. Scheinen die Adern rot, und scheint in der Mitte ein kornartiger Punkt, so hat die Entwicklung be- gonnen. Auch die Farbe der Schale ändert sich, wenn das Ei angebrütet ist, weiße Eier werden schmutzig, grünliche werden dunkler. Die ange- brüteten kommen in die Körbe zurück. Die an- deren werden als ,,Sha^-wongT-tan^ (== Sand- gelb-eier) ausgeschieden. Die Entchen schlüpfen nach 27 — 28 Tagen. Etwa 8 Tage vor dem Schlüpfen werden die Eier aus Körben und Fässern genommen. Sie kommen zurück in einen Raum zu ebener Erde. Hier sind große Gestelle, in Länge und Breite dem Räume entsprechend. Zwei Fächer mit Randleisten sind darauf, das eine in i m, das andere etwa in 1,80 m Höhe. Hierauf liegen die Eier in einer dicken Schicht zu zweien und dreien übereinander. \^on Zeit zu Zeit werden die Eier gedreht : ohne große Sorgfalt schiebt der Gehilfe einen Arm voll Eier nach einem anderen Platze. Sind die kleinen Enten dem Schlüpfen nahe und man hört schon ihre Stimme, so nimmt man die Eier herunter und legt sie in Körbe; hier läßt man sie schlüpfen, oft liegen 50 — 60 Eier übereinander, anscheinend ohne den ausschlüpfenden Tieren zu schaden. Sind lang bebrülete Eier nicht ausgekommen, die Jungen also im Ei gestorben, so öffnet man die Eier oder verkauft sie auch ungeöffnet an Delikatessenläden oder Gastwirtschaften. Den kleinen Enten werden die F"edern ausgezupft, dann werden sie gebraten und in Reiswein (Reisschnaps) gelegt und so ausgelaugt. Solcher Ngap'-tsai"^- tsao^ (^ Enten-klein wein) gilt als sehr nahrhaft. Ausfuhr angebrüteter Eier. Die Eier scheinen wenig empfindlich zu sein; das läßt sich aus der ganzen Art der Behandlung vermuten und auch daraus, daß die angebrüteten Eier ausgeführt werden. In Swatau (Ostküste von Kuangtung) sind angebrütete Enteneier ein ganz beachtlicher Ausfuhrartikel. Sie gehen nach den stark mit Chinesen durchsetzten Gebieten Hinterindiens (besonders Slam, Annam, auch Singapore). Die Körbe mit den angebrüteten Eiern werden unter Deck verstaut, wo ja bekannt- lich meist Temperaturen herrschen, die beträcht- lich höher sind als in den Brutanstalten. Die Fahrzeit der Dampfer ist bekannt, die Brutdauer 644 Naturwissenschaftliche Wochensciirift. N. F. Xm. Nr. 41 der Eier auch, man wählt also zur Ausfuhr Eier, die zwei bis drei Tage nach der voraussichtlichen Ankunft des Dampfers schlüpfen. Warum die Eier und nicht die Enten verschifft werden ? Ge- flügel unterliegt einem Ein- und Ausfuhrzoll, Eier sind zollfrei. Geflügel beansprucht mehr Platz beim Versand und außerdem Pflege. Geflügel- versand ist also durch Zoll, höhere Fracht, sowie Pflege- und P'uttergelder teuer. So gehen die jungen Enten als „Eier" zollfrei und billig. Geschäftsbetrieb. In den Brutanstalten ist für die geschlüpften Enten kein Raum, die Leute haben auch keine Zeit zur Pflege. Sie verkaufen am liebsten die Eier ein bis zwei Tage vor dem Schlüpfen. In guten Jahren, wenn starke Nachfrage ist, sind die Eier oft schon lange vor dem Schlüpftermin ge- kauft, I Lo schlüjifende Eier kostet dann vielleicht 30 — 40 ,S' (60 — 80 Mk.). In Zeiten schlechter Konjunktur arbeiten die Züchter mit beträchtlichen Verlusten. Sind die Enten geschlüpft, so muß sie der Brutladen um jeden Preis verkaufen, und es kann vorkommen, daß ihm i Lo Schlüpfeier, das im Einkaufe 12 — 18 .S' kostete, jetzt nur 5 — 6 !ji bringt. Der Markt ist in China auf allen (lebieten sehr starken Schwankungen unterworfen. Dieses Jahr (1914) soll ein P^i im Einkaufe 3 Cent ge- kostet haben, die Schlüpfeier kosteten am 3. Mai auch nur 2 — 3 Cent — nach 28tägiger Arbeit. In Ng-an-kiu waren im Frühlinge 1914 zehn solcher Brutanstalten, in jeder schlüpften Anfang Mai täglich über 5000 Enten, im ganzen also über 50000 Stück. Aufzucht der Enten. Zwei bis drei Tage vor dem Schlüpfen werden die Eier an Händler der Nachbarschaft verkauft, die die jungen Tiere zu Tausenden züchten. Etwa sechs Stunden nach dem Schlüpfen fangen die jungen Tiere an zu fressen. In den ersten 20 Tagen erhalten sie weichgekochten Reis und Fischreste, dann Kleie mit Spreu, allerhand Wassergetier, kleine Landkrabben u. a. Sind sie groß genug, so werden sie an die reisenden Bootshändler ver- kauft. Diese kaufen, wenn sie abschließbare Räume und Tonöfen haben, auch direkt von der Brut- anstalt. Diese P^ntenboote sind große, breite Kähne, fast von Dschunkengröße. Zum Auslaufen der Enten ist an jeder Schififsseite noch eine breite Plattform. Die Boote erkennt man allerdings ebenso sehr am Geruch als an der plumpen Ge- stalt. Sie ziehen schwerfällig die Ufer des Husses entlang, Auslagen hat der Züchter fast gar nicht. Zweimal täglich je zwei bis drei Stunden läßt er die Tiere an den Schlammufern der Flüsse und Kanäle sich selbst die Nahrung suchen. Es haben sich bei diesen schwimmenden Entenfarmen ganz bestimmte Zugstraßen herausgebildet. Die Canton- Händler ziehen zum Teil den Westfluß aufwärts bis zur Präfekturstadt Nanningfu (Provinz Kuangsi). Das ist eine Reise von vielen Wochen für die schwerfälligen Boote. ^) Als Grund dieser wohl traditionell übernommenen Fahrt wird angegeben, daß die Enten in Nanningfu schlecht seien, da- gegen der Reis (zur Mast der Enten) billig. Es wird so das bessere Canton-Material eingeführt und an Mastkosten gespart. Verwendung der 1^ n t e n. Der schwimmende Händler verkauft seine Ware gelegentlich an Dorfbewohner am Ufer. Haupt- zweck seines Unternehmens ist aber Verkauf an die Nahrungsmittelhändler. Von Nanningfu wer- den die Tiere im großen an die „Salzentenfabriken" verkauft, bekannt sind die von Lui-chaw (Provinz Kuangsi, südwestlich von Nanningfu). Bei der \'erarbeitung der Enten gibt es keine Abfälle. Im ersten Räume werden die Enten getötet und gerupft. Die P'edern gelten als vorzüglicher Dünger und werden von den Landleuten gern ge- kauft. '-) Im zweiten Räume werden die Enten geöffnet, ausgenommen, Schnäbel und P'üße ab- geschnitten und die Körper flach gepreßt. Im dritten werden Schnäbel und P^üße eingesalzen, d. h. in große irdene Kübel in eine Salzwasser- lösung gelegt (für spätere Verwendung als Suppen- knochenj. Im ersten Hofe werden die eingesalze- nen Entenkörper in der Sonne getrocknet; der Wind gilt als wichtig bei Herstellung guter Salz- enten (Lap-ap). Bei Nordwind braucht man wenig Salz, die Enten trocknen schnell und werden schmackhaft; bei Südwind braucht man viel Salz, die Enten trocknen langsam und schmecken schlecht. (Die Ursache ist natürlich der Feuchtigkeitsgehalt der Luft.) In einem anderen Hofe werden Herzen, Magen, Lungen, Leber an Schnüre gereiht und in der Sonne getrocknet (Fleischzutat zum Reis). Die Canton-Enten (d. h. die bei Canton ausgebrüteten) gehen also, wie schon gesagt, zum großen Teil nach Nanningfu, der Provinz Kuangsi, Tonkin und benachbarten Südwestgegenden. Nach Canton kommen die Salzenten, die in Nam-on (Provinz Kiangsi) hergestellt werden und sind in Canton als beste Qualität geachtet. Dieses eine Beispiel zeigt wieder, auf welch alten, traditionell über- nonmienen Handelsstraßen der chinesische Innen- handel sich bewegt und welche Entfernungen er überwindet (trotz schlechter Verkehrsverhältnisse), wie er mit kleinsten Vorteilen und Geschmacks- zufälligkeiten rechnet. Lap-ap werden nur in der Trockenheit ge- gessen, von November bis März etwa. Für Euro- päer sind sie reiz- und geschmacklos. Eine Deli- katesse auch für jeden europäischen Gaumen ist dagegen die auf chinesische Art bereitete frische ') Bei den gegenwärtigen modernen Verkehrsmitteln be- ansprucht die Reise dahin 5 Tage, 2 Tage Dampferfahrt und 3 Tage mit einem Motorboot. -) Auch hier eine uns beinahe lächerlich vorkommende Spezialisation: Gänsefedern werden zu Fächern ver.irbeitet, Hühnerfedern zu Federwedeln zum Abstäuben, Entenfedern werden als Dünger gebraucht. Ein Wechsel findet nicht statt. N. F. XIII. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 645 Ente: gedämpft, mit Colacasium und Nam-yüli (eine Art Gelee aus Sojabohnenextrakt). Von der chinesischen Gepflogenheit, die Ente zur Sodomiterei zu verwenden, hört jeder Globetrotter von Ceylon bis Java. In China kommt sie nicht vor; die Auswanderung von Chinesen nach Indien und den indischen Inseln ist stark, die Auswanderung von Frauen gering. Zum dauernden oder gelegentlichen Erwerb dortiger Frauen fehlen dem Ausgewanderten Geld und Geschmack. So verfällt er auf die Sodomiterei ') mit der Ente oder Päderastie. In China ist mir nichts Positives über erstere bekannt geworden. Wildenten. Sie kommen in mehreren Arten und großer Anzahl in Canton auf den Markt, und zwar aus- schließlich lebend. (Totes Geflügel verdirbt infolge der Temperatur leicht, muß schnell verkauft wer- den und ist deshalb billig.) Sie werden aus dem Nest genommen oder in Fallen gefangen. Enten- jagd als S[)ort ist in Südchina zurzeit unbekannt, wahrscheinlich auch nie hier heimisch gewesen. Dagegen ist sie in nördlicheren Gebieten gepflegt worden, wie das nachfolgende Gedicht beweist. Entenjagd. Zum Entenschießen zog ich aus Des Morgens in der Frühe Und kam nach langer Wege Fahrt Des Abends hin zum See. Der lange Regentag zerschlug Der Trapa Stamm und Blätter. Stumm im Verstecke hält sich noch Der wilden Fnten Scharen. Das harte Schilf steht hoch und dicht Daß man sich gut kann bergen ; Kein Führer liegt darin und lockt, Ich probe still den Bogen. Kalt glänzt die Flut, breit liegt das Feldl — O weh, sie sind noch mager! — Bleib, Fischer, weg und schrecke nicht Die scheu ins Rohr geduckten. War ihre Mahlzeit reich und gut, So Schrein sie nach dem Essen; Ihr Schnabel geht Ap-ngap, Ap-ngap, Hell glänzt ihr bunt Gefieder. Ich fasse nach dem Bambuspfeil Und ziele leise, leise — — Pfit — fliegt der kalte Todespfeil. — Ich stehe wie das Schicksal! — Ihre Wertung als ästhetisches Mo- ment in Malerei und Dichuing der Chinesen ist bekannt. Zwei Enten oder auch Mandarinenten ("^len-yöng) im Teiche schwimmend sind ein ebenso oft gesehenes malerisches Motiv wie der Eisvogel auf dem Stengel vom Lotosblatt. Einige dichterische Behandlungen des Enten- lebens und seiner Stimmungswerte sind hier an- gefügt, ) Bekannt, wenn auch z. T. anderen Motiven entsprun- gen, ist auch die Sodomiterei mancher mohammedanischer indischer Stämme mit Ziegen, die sogar bei Soldaten von den Vorgesetzten stillschweigend geduldet wird (Ziegenherden werden umziehenden Garnisonen nachgetrieben). Die Ente. Wenn sie in das Wasser taucht, Hält sie Moos im Schnabel. In den Fluten schwimmend, wäscht Sie ihr Kleid am Strande. Nach Gespielen suchend, fliegt Sie durch Rohr und Fluren Sieht im Wasser sie ihr Bild, Ist sie nicht mehr einsam. Glückliches Leben. Glücklichste Harmonie Ist das Leben der Enten im Wasser. Nach Belieben ziehen Sie in des Teiches Mitte, Nach Belieben trollen Sie ans Ufer zurück : Immer halten sie Gras Friedlich spielend im Schnabel. Sie rufen und schreien und plaudern Und fliegen gegen den Wind. Sie schwimmen umher ohne Pause Und springen und s])ielen und tauchen, Als ob es kein Hindernis gäbe, Leicht wie die Segler der Luft. Der Papagei kann zwar dichten Doch läßt er sich töricht einfangen Und in den Käfig tun. Drum auch verlacht ihn die Ente. Die zwei Enten. Zwei kleine Enten schwimmen In des Lotosteiches Flut. Sie spielen mit dem Gras Und halten Moos im Schnabel — Wagen nicht, der Menschen Saaten Gierig abzufressen ! Nein, Glücklich sind sie, daß kein Aar Noch kam, um sie zu scheuchen. Winzig feiner Seidenregen Sprüht und sprüht herunter. Ein Wasserlinscnteppich liegt Der See so grün und schwer. Von der Enten Ruderspiel Wiegt er fern und näher. Wiegt hinaus zur Weite, Wiegt heran zu mir. Rote Abendsonne Sinkt auf blaue Flut. Niemand kommt, zum Stall Die Enten heimzurufen. Unterm Silbermond Noch spielen sie herum. — Ein ganzes Leben Frieden Unter Wasserlinsen. Damit auch der chinesische Humor zu seinem Rechte komme, noch eine „Ente" aus diesem Stalle. Log-kuei-mung züchtete eine große Menge Enten. Eines Tages ging ein Postbote vorbei, der schoß die beste seiner Enten tot. Da sagte Log: „Uh, diese Ente konnte sehr gut sprechen, ich wollte sie dem Kaiser schenken. Warum schössest du sie tot?" — Da kriegte es der Bote mit der Angst. „Oh, entschuldige meine Unvor- sichtigkeit, „sagte er, „ich spielte nur und traf un- glücklicherweise diese Ente." hJr zog alles Geld heraus, was er bei sich hatte und bat Log, es als Sühne anzunehmen. Log schien befriedigt, und der Postbote fragte ihn : „Ja, aber sage mir doch. 646 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 41 wie können Enten sprechen? Ich habe noch nie eine sprechen hören." — „Was," sagte Log, „du hast noch keine sprechen hören ? Sie können ja ihren eigenen Namen rufen: Ap-ngab! Ap-ngabl"^) — Da lachte der Bote ärgerlich, daß er sich hatte überlisten lassen und ging weiter. Aber Log rief ihn zurück: „Ich scherzte und du ver- gaßest dein Geld !' — ') Die Ente heißt cliinesisch „Ap". Direkt wirkende [Naclidiuck verboten.) Von W. Die großen z. T. unersetzbaren Vorteile des stereoskopischen Bildes vor dem Flachbilde ver- mochten bis heute dem ersteren nicht die Ver- breitung zu verschaffen, die es verdient. Der Grund ist wohl zum gröl3ten Teil darin zu er- blicken , daß das stereoskopische Bild nur dann seinen besonderen Wert entfalten kann, wenn es mit einem Apparat , dem .Stereoskop betrachtet wird. Diese Beschränkung in der Betrachtungs- möglichkeit hemmt das Vordringen des Stereoskop- bildes überall dorthin , wo es Nutzen bringen könnte. Diese Erkenntnis muß uns die Frage auf- drängen, ob es nicht möglich sei, Bilder zu schaffen, welche unvermittelt, d. h. ohne Beschauapparat, Raum und Körperlichkeit zum Ausdruck bringen. Der Wunsch nach solchen Bildern ist nicht neu und es hat auch nicht an Versuchen gefehlt, solche herzustellen. Es wurden verschiedene Ver- fahren angegeben, so von Ives, Rigl, Lipp- mann, t'Hooft, h" riedmann und Reiffen- stein. Keines derselben ließ sich aber bis jetzt in irgendeiner Weise dem Zwecke der bildlichen Darstellung wirklich dienstbar machen. Die praktischen Resultate, welche ich selbst auf neuem Wege vorgehend, erreicht habe, bsgründen dagegen die Hoffnung, daß wir nun tatsächlich im Besitze brauchbarer, unmittelbar wirkender Stereoskopbilder sind. ') Ein h'ilm , dessen eine Fläche durch Prägung mittels Klichee eine Summe aneinander gereihter feinster Linschen aufgepreßt erhielt, dessen Rück- fläche die lichtempfindliche Schicht trägt, und dessen Dicke gleich der Brennweite der Linschen ist, erfüllt die Forderung, ein stereoskopisches Bilderpaar so aufzunehmen , daß jedes Auge nur das eine der beiden Bilder zu sehen bekommt. Der optische Vorgang, welcher dies bedingt , ist folgender : Wenn auf einen solchen Film aus irgend- welcher Richtung Lichtstrahlen einfallen, werden diese von jedem Einzellinschen zu einem Punkte gesammelt (bei Zylinderlinsen zu einer Linie), der, wegen des gewählten Abstandes, in die lichtemp- ^) Die Bilder wirlven in der Tat vorzüglicli und sclieinen mir ein selir beachtenswertes Hilfsmittel bei Demonstrationen zu sein. Die Redaktion. Stereoskopbilder. R. Heß. findliche Schicht zu liegen kommt und dort als solcher zeichnet. Er wird dadurch sichtbar, aber nicht nach allen Richtimgen ; denn das Licht macht nun genau den umgekehrten Weg wie bei der Erzeugung des Punktes durch Belichtung: es tritt nach derjenigen Richtung aus dem Linschen, aus welcher es eingefallen war. Was sich bei einem Linschen, als optisches Element, abspielt, wiederholt sich bei allen ande- ren, mit denen es, ähnlich wie bei einem Insekten- auge, zu einer zusammenhängenden Pläche ver- einigt ist. Wurde das kopierende Licht vor dem Auf- treffen auf die Fläche durch ein photographisches Negativ gesandt , so kopiert dieses infolge der Linsenwirkung in Form von lauter kleinen Punkten (bei Z}'linderlinscn , die aus technischen Gründen gewählt werden können , in P'orm von feinen Linien). Jeder derselben zeigt sich, wie erwähnt, nur in der Richtung des eingefallenen Lichtes; in dieser aber schließen sie sich in ihrer Gesamtheit genau so zu einem kontinuierlichen Positiv zu- sammen, wie sie durch Zerlegung eines kontinu- ierlichen Negativbildes entstanden sind. War es das links stereoskopische Teilbild und wurde es mit Licht kopiert, das von links einfiel, so bleibt es nur für das linke Auge sichtbar. Kopieren wir auf dieselbe Fläche nun auch das rechte Teil- bild, so wird es vom rechten Auge und nur von diesem gesehen. Es wurde also genau erreicht, was sonst vom Stereoskop; der Anblick eines solchen Bildes muß deshalb auch den Eindruck der Räumlichkeit genau so hervorrufen, wie wir ihn sonst nur im Stereoskop zu finden gewohnt sind. Es handelt sich auch tatsächlich um stereo- skopische Bilder. Die Negative können aus irgend- einer stercoskopischen Camera stammen. Nur das Mittel, jedem Auge das ihm zukommende stereo- skopische Einzelbild zuzuführen, ist ein neues. Es bleibt nun nur noch übrig, diese Bilder der Allgemeinheit dienstbar zu machen; der Anfang dazu ist dadurch gemacht, daß für Gelegenheit gesorgt ist, jedes (gute) Stereonegativ in eine direkt wirkende Stereokopie übertragen zu lassen. ') 'I Besorgt durch die Stereo-Photographie A.-G. Zürich, Winterthurstrafie 40. N. F. XIII. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 647 Einzelberichte. Botanik. Assimilation und Atmung der Meeres- algen. Die Untersuchung der Assimilations- und der Atmungsgrößc bei Meeresalgen hat großes phy- siologisches Interesse, da diese Pflanzen unter Be- dingungen leben , die von denen der Land- und Süßwassergewächse erheblich abweichen. Von den dabei in Betracht kommenden Faktoren nennt H. K n i e p den hohen Salzgehalt des Wassers (dessen osmotischer Druck bei 35 "/^j, Salzgehalt 23 Atmosphären beträgt), die relativ gleichmäßige Temperatur des Wassers, die in den arktischen Meeren für lange Zeit des Jahres in der Nähe des Nullpunktes liegende Temperatur, bei welcher die bekanntlich der Dauerorgane entbehrenden Meeres- algen üppig vegetieren, die eigenartigen Beleuch- tungsverhältnisse und die mit den Gezeiten zu- sammenhängenden Erscheinungen. Genauere Kenntnis der Assimilations- und Atmungskoeffi- zienten könnte auch zu Folgerungen über die Natur der Assimilationsprodukte und Reservestoffe der Meeresalgen führen, über die wir nur mangel- haft unterrichtet sind. K n i e p hat in Neapel und Helgoland einige Bestimmungen ausgeführt, die recht bemerkenswerte Folgerungen gestatten. So ließen die Assimilationsbestimmungen (ausgeführt durch Messung des Kohlensäureverlustes im Ver- suchswasser nach dem von Tornöe 1880 ange- wandten Verfahren) erkennen, daß von den unter- suchten Grün-, Rot- und Braunalgen die Braun- alge Fucus serratus weitaus am stärksten assimi- lierte, daß aber bei bedeutender Abnahme der Lichtintensität die Assimilationskurve dieser Alge ziemlich steil absinkt. Sollte Ähnliches auch für andere Fucaceen festgestellt werden, so würde man darin vielleicht einen Grund erblicken, wes- halb diese nicht in größeren Tiefen vorkommen. Indessen können, wie sich herausstellte, auch einige Rotalgen, die in ziemlich tiefe Regionen hinabsteigen, in gedämpftem Tageslicht (in dem man noch zu lesen vermag) ihren Atmungsverlust durch Assimilation nicht mehr decken. Im Ver- gleich mit der Assimilation der höheren Pflanzen ist die Assimilation der Meeresalgen im allgemei- nen viel schwächer. Dasselbe gilt für die Atmung. Die dünnlaubigen oder stark verzweigten Algen atmen stärker als dicklaubige Formen. Die Be- stimmung des Atmungskoeffizienten für L'ucus ser- ratus ergab Werte, die wenig über oder unter i lagen. Daraus geht mit Wahrscheinlichkeit her- vor, daß die veratmeten Stoffe Kohlenhydrate sind. Weiter hat ein mit Fucus serratus angestellter Versuch großes Interesse, der von der Frage aus- ging, wie es möglich ist, daß diese und 'andere Algen im hohen Norden lange Dunkelperioden überstehen können, ohne in ' ihrer Vegetations- tätigkeit irgendwie schädlich beeinflußt zu werden. Bekanntlich können die Phanerogamen Verdunke- ung im allg; meinen nur kurze Zeit aushalten; sie vergilben gewöhnlich, und die Zellen sterben ab. K n 1 e p hielt Fucusthalli fünf Monate hindurch in Flaschen von etwa i 1 Inhalt im Dunkelraum, in- dem er etwa i '/.^ Monate lang die Atmungsgröße von Zeit zu Zeit bestimmte und während der übrigen Zeit nur das Wasser häufig erneuerte. Die Temperatur stieg von 11" bis auf 20". Die Pflanzen blieben völlig frisch. Im Wasser ließ sich niemals eine Spur von Braunfärbung (die als Zeichen des Absterbens einiger Zellen dienen kann) feststellen. Wachstum schien nicht stattgefunden zu haben, während die belichteten Kontrolipflanzen beträchtlich gewachsen waren und zahlreiche junge Sprosse gebildet hatten. Auch zeigten die Dunkel- pflanzen keine Anzeichen des Alterns (rostbraune Färbung) wie die Kontrollpflanzen. Es scheint sonach, daß verschiedene vegetative Prozesse in der Dunkelheit sehr stark gehemmt sind. Am Schluß des Versuchs wurde die Atmung wieder gemessen; sie hatte langsam abgenommen, doch war kein völhger Stillstand der Atmung einge- treten. Als die Pflanzen wieder ins Licht gebracht wurden, trat wider Erwarten keine Kohiensäure- assimilation in die Erscheinung, sondern es zeigte sich ebenfalls Sauerstoffabnahme, die im Vergleich zu der vorhergehenden Atmung sogar erheblich gesteigert war. Das Licht fördert also in diesem Falle den destruktiven Stoffwechsel. Wenn außer- dem Assimilation stattfindet, so ist damit jedenfalls kein Stoff- und Energiegewinn verbunden. Leider mußte der Versuch aus äußeren Gründen abge- brochen werden, und die Pflanzen starben einige Zeit darauf ab, ohne daß die Ursache davon fest- gestellt werden konnte. Immerhin ist es bemer- kenswert, daß die Algen fünf Monate hindurch am Leben blieben. In der Natur kommen nur Dunkelperioden von erheblich geringerer Dauer vor, und zudem liegt in den Polargegenden die Wassertemperatur unterhalb des Nullpunktes, so daß der Stoffwechsel verlangsamt ist. Da aber auch während der hellen Jahreszeit die Wasser- temperatur sehr niedrig ist, so liegt die Vermutung nahe, daß die Meeresalgen abweichend von anderen grünen Pflanzen auch bei niederen Temperaturen stark assimilieren und, bei gleichzeitig schwacher Atmung, das für die Dunkelzeit nötige Reserve- material gewinnen können. Einige Versuche des Verf mit P^ucus serratus stützen in der Tat die Annahme, daß mit abnehmender Temperatur der „ ^. Assimilation . , Ouotient sich vergrößert. Die Tat- Atmung " Sache, daß die Meeresalgen zum Unterschiede von den submersen Phanerogamen kein im Dienste des Gasaustauschs stehendes Interzellularsystem haben, läßt sich nach Kniep einmal aus dem Umstände erklären, daß ihre Membranen für Gase besonders leicht durchlässig sind (nachgewiesen von W i e s n e r und M o 1 i s c h für Ulva latissima) und sodann aus dem trägen Stoffwechsel der Meeresalgen. (Internationafe Revue der ges. Hy- drobiologie und Hydrographie 1914, Sonderabdruck 38 S.) F. Moewes. 648 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 41 Physik. Mit Zusammenstößen zwischen Elek- tronen und den Molekülen des Ouecksilberdampfes und der lonisierungsspannung desselben beschäf- tigt sich eine Arbeit von J. Frank und G. Hertz (Berlin), die in den Berichten der Deutschen Physikalischen Gesellschaft 1914, Seite 457—467 erschienen ist. Prallt ein Elektron, dessen Ge- schwindigkeit und damit kinetische Energie unter einer bestimmten Größe liegt, auf ein Molekül eines Gases, das keine Elektronenaffinität besitzt, so wird es ohne Energieverlust, d. h. vollkommen elastisch reflektiert. Überschreitet die kritische Geschwindigkeit dagegen eine bestimmte Größe, so tritt Ionisation des Gases ein, d. h. die Stöße werden unelastisch, das aufprallende Elektron ver- liert seine Energie und dafür werden aus dem getroffenen Gasmolekül Elektronen herausgeschleu- dert. Da die Geschwindigkeit der stoßenden Elektronen von der Spannung abhängt, die sie durchlaufen haben, so ist die kritische Geschwin- digkeit durch eine bestimmte, die lonisierungs- spannung, charakterisiert. In einer früheren Arbeit (Ber. d. D. Phys. Ges. 15, 34(1913)) haben dieselben Verfasser diese Größe für Helium, Neon, Argon, Wasserstoff u. a. Gase bestimmt. P'ür den Quecksilberdampf wenden sie folgende neue Me- thode an; Als Elektronenquelle dient ein dünner, durch einen elektrischen Strom zum Glühen ge- brachter Platindraht, der in der Achse eines aus feinem Platindrahtnetz bestehenden Zylinders von 8 cm Durchmesser ausgespannt ist. Zwischen Draht und Zylinder ist eine veränderliche be- schleunigende Spannung angelegt. Den Zylinder umgibt in i — 2 mm Abstand von ihm isoliert eine zylindrische Platinfolie, die durch ein Galva- nometer mit der Erde verbunden ist. Zwischen Folie und Netz liegt eine konstante verzögernde Spannung. Das ganze ist luftdicht in ein Glas- rohr eingeschlossen, das durch ein elektrisch ge- heiztes Paraffinbad auf etwa 110" erhitzt wird. Während der Versuche ist die Luftpumpe dauernd in Betrieb. Da sich in einem seitlichen Rohr ein Tropfen üuecksilber befindet, ist das Versuchsrohr mit Ouecksilberdampf von i mm Druck gefüllt. Der Galvanometerstrom wird bei steigender be- schleunigender und konstanter verzögernder Span- nung gemessen. Nimmt die beschleunigende Spannung von o auf 5 Volt, so nimmt der Strom von o aus zu. Wird sie größer als 5 Volt, so nimmt der Strom plötzlich ab, um bei 10 Volt ein neues Maximum zu erreichen. Wird die be- schleunigende Spannung größer als 10 Volt, so fällt der Galvanometerstrom wieder. Das nächste Maximum erreicht er bei 1 5 Volt usf. Dieses Anwachsen und plötzliche Abfallen erklärt sich auf folgende Weise: Ist die beschleunigende Spannung kleiner als 5 Volt, so werden die von dem Glüh- draht ausgehenden Elektronen von den Hg-Mole- külen vollkommen elastisch reflektiert, sie dringen durch das Platindrahtnetz hindurch und zwar ver- mögen sie um so zahlreicher gegen die verzögernde Spannung anzulaufen und den zum Galvanometer führenden Platinzylinder erreichen , je höher die beschleunigende Spannung ist. Ist die letztere indessen gleich der lonisierungsspannung von 5 Volt, so werden die Stöße unelastisch , es tritt Ionisation ein. Die hierbei aus den Hg-Molekülen austretenden Elektronen durchlaufen bis zum Durchtritt durch das Netz nur eine geringe Spannung, erhalten demnach nur eine kleine Ge- schwindigkeit, so daß sie nur in geringer Zahl gegen das verzögernde Feld anlaufen können. ' Der Galvanometerstrom wird wieder klein. Wird die beschleunigende Spannung größer als 5 Volt, so rückt die Stelle, an der die Elektronen un- elastische Stöße erleiden, weiter nach dem Heizdraht zu. Die durch den Stoß befreiten Elektronen durchlaufen demnach eine größere Spannung als vorher und erhalten dabei eine größere Geschwindigkeit, so daß sie wieder zum Zylinder gelangen. Wird die beschleunigende Spannung 10 Volt, so finden etwa in der Mitte zwischen Heizdraht und Drahtnetz zum ersten- mal die unelastischen Stöße statt, die dabei be- freiten Elektronen haben dann bis zum Drahtnetz noch 5 Volt zu durchlaufen, so daß sie, wenn sie hier ankommen, zum zweitenmal unelastisch gegen die Hg- Moleküle prallen. Die vermöge dieser zweiten Ionisation entstandenen Elektronen kom- men indessen vermöge ihrer geringen Geschwin- digkeit nicht zum äußeren Zylinder. Bei 15 Volt sind 3 Zonen vorhanden, in denen durch unelasti- sche Stöße Ionisation stattfindet. Der genaue Wert der loniserungsspannung läßt sich demnach aus der Kurve, die den G a 1 V a n o m e t e r s t r o m als I*" u n k t i o n der beschleunigenden Spannung darstellt, ablesen; ihr genauer Wert ist für Hg- Dampf 4,9 Volt. Um die Güte der Methode zu prüfen, wurden die Versuche mit Helium wiederholt; in guter Übereinstimmung mit frühe- ren Versuchen ergab sich 21 Volt. Die Tatsache, daß die lonisierungsspannung eine für jedes Gas charakteristische Größe ist, entspricht durchaus der Quantentheorie; nach dieser soll nämlich den Schwingungen der Elek- tronen im Atom Energie nicht in beliebigen Be- trägen, sondern nur in bestimmten Quanten zu- geführt werden können. J. Stark hat als erster ij ausgesprochen, daß der geringste zu übertragende || Energiebetrag gleich ist dem Produkte aus der Planck' sehen Konstante h und der Frequenz V desjenigen Elektrons, das die Energie empfängt. Durch Versuche von Wood über Resonanzstrahlen, über die kürzlich in dieser Zeitschrift berichtet ist, ist bewiesen, daß in jedem Quecksilberatom ein schwingungsfähiges Elektron mit einer der Wellen- länge 2S3,6 ftft entsprechenden Frequenz vorhanden ist. Es zeigt sich nun, daß der Energiebetrag, den dasElektron nach Durchlaufen von 4,9 Volt enthält, innerhalb der Fehler- grenzen mit dem Produkt h-v überein- stimmt. N. F. XIII. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 649 Ein großer Teil der (unelastischen) Stöße, bei welchen dem schwingenden Elektron der Energie- betrag h-v zugeführt wird, führt nicht zur Ioni- sation. Es ist zu erwarten, daß diese Stöße zu einer Lichtemission von der Fre- quenz V führen, daß also eine Emission der Resonanzstrahlung zu beobachten ist. Die Versuche, die dieselben beiden Verfasser in den Verh. d. Deutsch. Piiysik. Ges. 1914, S. 512 bis 517 veröffentlichen, haben diese Er War- tung in vollem Maße bestätigt. In einem kugelförmigen Quarzgefäß, dessen unterer Teil mit Quecksilber gefüllt ist, wird ein Platindraht durch einen elektrischen Strom zum Glühen ge- bracht und sendet die Elektronen aus. Ihm steht im oberen Teil des Gefäßes ein durch das Galva- nometer mit der Erde verbundenes Platindrahtnetz gegenüber. Zwischen diesem und dem Glühdraht wird die beschleunigende Spannung angelegt. Der Apparat wird durch einen ringförmigen Gasbrenner auf 150" erhitzt. Zur Untersuchung der auftreten- den Strahlung dient ein Ultraviolettspektrograph von Fueß. Die nach ein- bis zweistündigem Exponieren erhaltenen Photographien zeigen ein bis ins Violette gehendes, kontinuierliches Spek- trum, das von dem glühenden Draht herrührt, und ferner, durch einen weiten Abstand getrennt, deutlich die Linie 253,6 f-i/i, aber in keinem Fall auch nur eine Andeutung der anderen Hg-Linien. Liegt die beschleu- nigende Spannung unter der kritischen von 5 Volt, so tritt auch die Linie 253,6 uii nicht auf. — Da die lonisierungsspannung sich nach der oben geschilderten Methode recht genau bestimmen läßt, läßt sich die Plank'sche Konstante h aus ihnen mit einem möglichen Fehler von 2 "/o berechnen ; h = 6,59-io~-' erg sec. K. Schutt, Hamburg. Über Messungen der durchdringenden Strah- lungen bis in Höhen von 9300 m berichtet W. Kolhörster (Charlottenburg) in den Be- richten der Deutschen Physikalischen Gesell- schaft XVI (191 4) Seite 719. Die Messungen sind mit dem Elektrometer nach Wulf, das vom Verfasser verbessert wurde, auf 4 Ballonfahrten ausgeführt, die sich zu einer Höhe von 4100, 4300, 6300 und 9300 m ausdehnten. Am Boden beträgt die lonisierungsstärke 13,2 Ionen pro Kubikzenti- meter und Sekunde, sie nimmt bis 700 m ab, um dann zunächst langsam und in größerer Höhe beträchtlicher zu steigen; so beträgt sie in 6300m Höhe 43 Ionen cm ■' sec~'. Die folgende Ta- belle gibt den Überschuß der lonenzahlen in der Höhe über die Zahl am Boden an In looom Höhe —1,5 2000 + 1-2 3000 +4,2 4000 +8,8 5000 + 16,9 6000 +28,7 7000 +44,2 8000 +61,3 9000 +80,4. Man sieht, daß die Zunahme beträchtlich ist. P^s scheint ausgeschlossen, daß die bekannten radioaktiven Substanzen des Erdbodens und der Luft hierfür verantwortlich sind. Vielmehr muß man vermuten, daß eine sehr durchdringende Strahlung kosmischen Ursprungs existiert, die wohl zum größten Teil von der^. Sonne herrührt. Zur Entscheidung dieser Frage sind u. a. Be- obachtungen während der Sonnenfinsternis vom 21. August d. J. in der Zone der Totalität beab- sichtigt. K. Schutt, Hamburg. Das Programm der radiotelegraphischen Aus- breitungsversuchebei Gelegenheit der Sonnenfinster- nis am 21. Aug. 1914 wird von M. Wien, Jena in der Physikalischen Zeitschrift XV (1914) Seite 746 mitgeteilt. Der Kernschatten des Mondes bewegt sich in einer Breite von 160 km mit einer Ge- schwindigkeit von 1,2 km von der Mitte Skandi- naviens durch Westrußland nach der Krim. P\inf Gebestationen, von denen jede mit einer andern Wellenlänge sendet (zwischen 9400 und 1670 m) sind vorgesehen. Petersburg liegt nordöstlich vom Kernschatten, Bobruisk in demselben, Nauen, Nord- deich und Paris südwestlich außerhalb des Kern- schattens. Die Stationen sollen abwechselnd je 2 Minuten geben und zwar erst einen Buchstaben dann je 4 Striche von 10 Sekunden Dauer mit 10 Sekunden Pause. Wenn die 5 Stationen hinterein- ander geben, dauert eine Serie demnach 10 Minuten. In der Zeit 11'' 30'" bis iS*" 30'" (Green wich) werden diese Serien ununterbrochen hintereinander gegeben, so daß jede Station alle 10 Minuten 2 Minuten gibt. Am Tage vor der Sonnenfinster- nis wird das gleiche Programm gegeben und von den Empfangsstationen beobachtet werden. Die Konstanz der Intensität und der Wellenlänge der Sendestationen wird durch Hitzdrahtampere- meter und Wellenmesser auf den Stationen selbst kontrolliert. Die Empfangstationen liegen auf bei- den Seiten des Kernschattens und in demselben, namentlich südwestlich desselben sind sie in großer Zahl (Deutschland, Frankreich usw.) vorhanden. Nach Möglichkeit sollen auch die atmosphärischen Störungen registriert werden. Die Beobachtung soll, wenn irgend möglich, mit Spiegelgalvanometer (von nicht zu langer Schwingungsdauer) erfolgen. Wenn die atmosphärischen Störungen allzu schlimm sind, so muß auf die Parallelohm-Methode zurück- gegriffen werden. Die Ergebnisse werden in den einzelnen Ländern — • in Deutschland in Jena — gesammelt und dann von der internationalen Kommission zusammen bearbeitet. Man hofft durch diese Versuche Aufschluß darüber zu be- kommen, in wie weit die Sonnenstrahlung Ein- fluß auf die Ausbreitung der elektromagnetischen Wellen längs der Erdoberfläche hat. Daß ein solcher Einfluß in starkem Maße vorhanden ist, zeigt die Tatsache, daß die Reichweite der Sta- tionen bei Nacht sehr viel beträchtlicher ist als bei Tage. — Leider ist zu erwarten, daß dieses Programm wegen des Krieges nicht zur Ausführung gelangt. K. Schutt, Hamburg. 650 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 41 Medizin. Über den Einf^uß_der Ernährung auf das Wachstum^ deTTTeschwülste haben van A 1 s t y n e und B e e b e (Journal of niedical research 1913) sehr interessante Versuche ana Tiere ange- stellt. Von zwei Gruppen gleich schwerer Ratten wurde Gruppe I mit Nahrung gefüttert, welche keine Kohlehydrate enthielt und ausschließlich aus Casoin und Schweineschmalz zusammengesetzt war. Die Gruppe II wurde mit Brot gefüttert. Nach 45— 60 Tagen wurde allen Tieren zerriebenes Sarkomgewebe inokuliert. Bei den Tieren I ent- wickelte sich die Geschwulst gar nicht oder wenig. hn Gegensatz dazu entstanden bei fast allen Tieren II Sarkome, welche rasch und stark wuchsen. Wenn man statt der Emulsion Fragmente der Geschwulst mit dem Trokar einführte, entwickelte sich die Geschwulst bei allen Tieren. Bei den Tieren II aber waren die Sarkome immer viel größer, Rück- bildungen traten sehr selten ein und die Mortalität war erheblicher als bei den Tieren I. In einer anderen Versuchsreihe erhielten beide Gruppen ausschließlich Cascin und Schmalz, aber bei den einen war eine Portion Schmalz durch eine bestimmte Menge Milchzucker ersetzt. Wäh- rend bei beiden Gruppen 100 % Tumoren hatten, waren dieselben bedeutend umfangreicher bei den Ratten, welche Milchzucker erhalten hatten. Wenn man, statt die Tiere vorher mehrere Wochen dem Nahrungsregime zu unterwerfen, mit diesem erst im Moment der Übertragung des Sar- koms begann, verhielten sich beide Gruppen gleich- mäßig. Genannte Autoren wollen ihre Forschungen fortsetzen, glauben aber schon jetzt schließen zu dürfen, daß die Art der Ernährung eine bedeutende Rolle bezüglich der Empfänglichkeit des Tier- organismus "für Geschwulsbildungen spielt. Kathariner. Physiologie. Verhalten der Kaltblüter gegen das Tollwutgift. Bei der Mehrzahl der Forscher ist die Meinung verbreitet, daß die „kaltblütigen" (richtiger: Wechsel warmen) Tiere für Wutkrank- heit unempfänglich seien. Es ist indes nur für eine sehr beschränkte Zahl von Arten festgestellt worden. So hat J. Remlinger das Virus fixe') Fischen und der mauretanischen Schildkröte ohne Erfolg eingeimpft. Högyes fand die Widerstands- fähigkeit des Frosches aufgehoben, wenn derselbebei 35" im Wärmekasten gehalten wurde. Durch Babes und Remlinger konnte dies indessen nicht be- stätigt werden. In einer Mitteilung (Action du virus rabique sur les Batraciens et les Serpents, C. R. Ac. sc. Paris Nr. 3, 20 juillet iqh') berichtet Marie Phisalix über ihre Versuche, welche sie seit 1910 mit Amphibien und Reptilien zu wieder- holten Malen und zu verschiedenen Jahreszeiten angestellt hat. Zur Verwendung kamen: Gras- 1) Es ist das von einem spontanen Fall (Straüenvirus) herrührende Wutgift, welches durch Tierpassage zu einer kon- stanten Höchstvirulenz gebracht ist. und Wasserfrosch, Kröte, Erdsalamander, Bhnd- schleiche, Ringel- und Wassernatter und Aspisviper. Das Gift wurde an den verschiedensten Stellen eingeimpft : Subkutanes Bindegewebe, Peritoneum, Muskel und vordere Augenkammer. Von den Tieren der zehn Versuchsreihen wurden die von drei im Wärmekasten bei 35'' gehalten. Ein Unterschied zwischen ihnen und den Kontrolltieren zeigte sich nicht. Während bei den meisten die Resultate vollständig negativ waren, erlagen die Salamander und Vipern in den ersten 5—12 bzw. 5 — 8 Tagen unter Lähmungs- erscheinungen. Im ganzen wurden 48 Vipern und 22 Salamander den Versuchen unterworfen. Die Stelle der Einimpfung spielte für den Verlauf keine Rolle. So war es einerlei, ob bei den Vipern das Gift in das Auge oder unter die Haut ein- o-ebracht wurde. Bei den Vipern war indessen nur die Körpermuskulatur gelähmt, denn sie konnten beißen, indem sie ihre Giftzähne auf- richteten, wenn sie stark gereizt wurden; aber es war ihnen unmöglich, ihren Körper, wie sie das gewöhnlich tun, in Verteidigungsstellung zu bringen; sie blieben vielmehr bis zu ihrem Tode unbeweg- lich auf einem Platz liegen. Bei der Autopsie sah man an der Impfstelle nichts Außergewöhnliches. Wurde eine Emulsion des Gehirns gesunden Tieren inokuliert, starben diese; anfangs wirkte sie ebenso stark als das Gift selbst. Vipern und Salamander waren aber nicht an der Wutkrankheit zugrunde gegangen. Dies ging daraus hervor, daß Kaninchen, denen nach dem Verfahren von Pasteur und Roux eine Emulsion des ver- dächtigen Gehirns unter die Meningen gebracht worden war, nicht an der Wut eingingen. Viel- mehr ergab sich aus anderen Versuchen, daß die normale Nervensubstanz sowohl für Kaninchen, als für Viper und Salamander ein Gift darstellt. Die scheinbare Ausnahme, welche der Salamander und die Aspisviper von den übrigen genannten Tieren machen, erklärt sich aus der Giftwirkung der Gehirnsubstanz, ob dieselbe nun von einem cresunden oder einem wutkranken Tier stammt. " Wie die gleiche Verf. schon früher zeigte (Vaccination contre la rage experimentale par la secretion cutanee muqueuse des Batraciens, puis par le venin de la vipere aspic. C. R. Ac. sc. Paris, Nr. I, 6 juillet 1914), wirkt das Gift der Hautdrüsen der Amphibien in Verbin- dung mit Viperngift immunisierend gegen die Tollwut. Kaninchen, welche mit dem Schleim der Haut- drüsen des gefleckten Salamanders vorbehandelt waren, widerstanden der Einimpfung einer mehr- fach tödlichen Dosis des Viperngiftes. Da ein cTemeinsames Symptom beider Gifte und jenes der Tollwut die Lähmung ist, wurde mit beiden Giften behandelten Kaninchen das Virus fixe der Tollwut eingeimpft. . Der Verlauf der Versuche war folgender: Bei 3 Kaninchen wurde der Hautschleim des gefleckten Salamanders in Pausen von 3 Tagen 4 mal N. F. XIII. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 651 intravenös eingespritzt. Er wurde gewählt, weil er sich durch Erhitzen aseptisch machen läßt, ohne seine Giftigkeit zu verlieren. Es wurden jedesmal 3 ccm eingespritzt, entsprechend einer Menge, welche von 4 Salamandern gewonnen wurde, die durch Aether- oder Chloroformdämpfe zur Aus- scheidung des Sekrets der Hautdrüsen gebracht worden waren. Drei Tage nachher vertrugen die Tiere mehr als die doppelte tödliche Dosis Vipern- gift, dem die Kontrolltiere in weniger als 2 Stunden erlagen. Sechs Tage nachher wurde 2 Tieren vom Institut Pasteur in Paris bezogenes Virus fixe unter die Bindehaut des Auges, in die vordere Augenkammer und unter die Gehirnhäute gebracht. Die Kaninchen erkrankten nicht an der Tollwut. Die Immunität war nach 6 Wochen noch vorhanden. Einzeln angewandt konnte das Sala- mander- oder Viperngift nicht gegen die Toll- wut immunisieren, sondern nur den tödlichen Ausgang verzögern. Kathariner. Der kolloidale Kohlenstoff als ein Gegen- mittel bei Vergiftungen (nach Versuchen von L. Sabatani, Archivio di fisiologia, settembre 191 3). Wenn man Kaninchen eine Mischung von Strychnin und der sechsfachen Menge von kollo- idalem Kohlenstoff subkutan injiziert, so erliegen sie nicht der tödlichen Dosis und weisen keine Zeichen der Vergiftung auf Wird die Dosis des Kohlenstoffs verdoppelt oder verdreifacht, be- obachtet man nur eine leichte und vorübergehende Steigerung der Reflexe. Wenn die Dosis des Kohlen- stoffs dagegen nur das Fünffache der Strychnindosis beträgt, wird das Kaninchen vergiftet. Die Krank- heitserscheinungen sind schwer, aber man kann das Tier noch am Leben erhalten. Wenn die Menge des kolloidalen Kohlenstoffs dagegen nur das Zwei- oder Dreifache der tödlichen Dosis des Alkalolds beträgt, erliegen die Kaninchen immer der Vergiftung. Die Wirkung des Kohlenstoffs wird erklärt aus einer unmittelbaren Absorption des Strychnins durch den kolloidalen Kohlenstoff. Strychnin und Kohlenstoff müssen gleichzeitig und an derselben Stelle injiziert werden. Wenn sie an zwei getrennten Stellen injiziert werden, erliegt das Tier der Vergiftung. Die Stelle der Injektion ist gleichfalls von hoher Wichtigkeit. Bei der Einspritzung in eine Vene erliegt das Tier selbst bei richtiger Dosierung. Es wäre interessant, noch mehr Versuche an- zustellen, um zu sehen, ob der Kohlenstoff, dank seiner Fähigkeit zur Absorption, als Gegengift auch bei anderen giftigen Alkaloiden wirkt und auf Gifte im allgemeinen, sowohl auf solche, die von außen eingeführt werden, als auf solche, die im Körper selbst gebildet wurden. Kathariner. Kleinere Mitteilungen. Einige auffallende Beispiele von Mimikry bei tropischen Insekten. Schon in der einheimischen Tierwelt gibt es ziemlich viele Tiere, besonders Insekten, die sich unkenntlich machen, sei es daß sie durch bestimmte Färbung, Zeichnung oder auch gleichzeitig durch eigenartige F'orm in der Umgebung zu verschwinden vermögen, sei es daß sie andere Tiere nachahmen oder durch unheim- liche Form verblüffen oder gar schrecken können. Ganz besonders zahlreich sind aber diese Er- scheinungen, die immer eins der interessantesten Kapitel der Biologie ausgemacht haben, in den Iropen. Es ist geradezu erstaunlich, in welcher Fülle und Eigenartigkeit sie hier selbst dem nicht besonders auf sie eingestellten Beobachter ent- gegentreten, so daß auch der eingefleischteste Skep- tiker sich der starken Wirkung zum mindesten auf seine eigene, die Natur durchstreifende Person nicht verschließen kann. Beispiele wie die wan- delnden Blätter, die Stabheuschrecken sind so be- kannt, daß sie schon fast zum eisernen Bestand des biologischen Unterrichtes gehören, ja vielen durch private und öffentliche Terrarien und In- sektenhäuser aus eigener Erfahrung vertraut sind. Vielleicht ist aber die Mitteilung einiger weniger bekannter Fälle erwünscht, die der Verfasser in der verschwenderisch reichen Natur der paradi- sischen Insel Java aus eigener Anschauung kennen lernte und zum Teil photographierte. Allerdings geben die Photographien wegen des Mangels der Farbe den ursprünglichen Eindruck nur un- vollkommen wieder und es bedarf der durch das Wort unterstützten rekonstruierenden Einbildungs- kraft, um einigermaßen in dem Leser den Eindruck lebendig werden zu lassen, den der Verfasser hatte. Er kann aber versichern, daß dieser Eindruck ganz außerordentlich frappant war und nicht etwa aus der voreingenommenen und übertreibenden Phanta- sie eines auf sensationelle „biologische Ent- deckungen" ausgehenden Biologen entsprang. Lei- der war es mir wegen der durch andere Inter- essen sehr in Anspruch genommenen Zeit nicht möglich, von allen Objekten eine zuverlässige Be- stimmung zu erlangen. Die Namen, die mitge- teilt werden, gehen auf die überaus freundliche Belehrung zurück, die mir nachträglich der Direktor des Botanischen Gartens zu Buitenzorg auf Java, Herr Professor Dr. Koningsberger auf Grund meiner Photographien und Beschreibungen er- teilte und für die ihm auch hier herzlichst ge- dankt sei. Eines Tages, als ich beim Mikroskopieren be- schäftigt war, hörte ich das charakteristische Schleifen nackter Füße neben mir, das jeder Tropenreisende genugsam kennt, und als ich auf- schaute, kauerte neben mir ein kleiner Sunda- nesenjunge, der mir mit seinen schlanken Affen- fingern ein Blatt entgegenstreckte und seine hüb- 6^- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 41 sehen, schwarzen, sanften Augen gespannt auf das Gesicht des Tuan Propessor's ^) in Erwartung einiger Sen heftete. Ich warf einen Bück auf das große Blatt und wollte ihn gerade, da ich nichts an ihm bemerkte mit einem „tida pake" -) ab- weisen, als er „ular bulu" '''j murmelnd auf eine Stelle des Blattes wies. Ich sah nun bei genau- erer Prüfung in der Tat eine Raupe auf dem Blatte sitzen von einer sehr merkwürdigen Gestalt und Zeichnung. Sie war blattgrün gefärbt, auf dem Rücken zog sich eine hellere Linie entlang. Das Merkwürdigste waren aber in einem spitzen Winkel abstehende, ebenfalls grünlich gefärbte, verzweigte h'ortsätze, die die Raupe als einen flachen der Blattfläche anliegenden Saum umgaben (vgl. Fig. i). Indem sich nun diese Raupe auf die Mitterippe gesetzt hatte, verschmolz sie mit Hilfe des Längsstriches und des Sau- mes, der aus stärkeren, mit feinen Seiten- zweiglein be- setzten Asten bestand , so vollkommen mit der Ner- vatur des Blat- tes, daß sie bei flüchtiger Be- trachtung un- sichtbar wur- de. Ursprüng- lich hatte sie sich so gesetzt, daß die Rich- tung der Hauptäste des Fiedersaumes parallel zur Richtung der Seitennerven erster Ord- nung waren, später hatte sie sich dann umgedreht, und da sie sich weigerte, wieder ihre ursprüngliche Lage anzu- nehmen und die Zeit drängte, mußte sie in dieser Lage abgebildet werden, die weniger frappant wie anfänglich war. Die Raupe gehört zu der Gattung Euthalia. Die folgenden beiden Bilder (Fig. 2 u. 3) zeigen Raupen der Gattung Papilio. Wie man sieht, haben Fig. I. Raupe einer Euthalia spec, Nervatur des Blattes nachahmend. sie eine kragenartige Wulst, unter die sie, wenn sie still sitzen oder beunruhigt werden, den Kopf zu- rückziehen, wie das ja auch viele einheimische Raujjen tun. Der Buckel ist nach vorn zu flach und be- kommt, da hier ein stark hervorstechender weißer Saum verläuft, ein eigentümliches schnauzenförmiges Aussehen. Zu beiden Seiten des kammartigen höch- sten Punktes des Buckels sitzt je ein weißer, eben- falls scharf hervortretender Fleck, in welchem eine dunklere Stelle ausgespart ist, so daß er den Eindruck eines glänzenden hervorspringenden Kör- pers, eines Auges, macht. Es ist ein unbe- schreiblich merkwürdiger Anblick, wenn man, wie es die Fig. 3 zeigt, eine größere Zahl dieser Raupen auf dem Aste einer Citrusart sitzen sieht, mit den breiten Schnauzen und den überall tückisch funkelnden Augen. ^) Die Javanen können ebenso wie die Singaleseu das f schlecht aussprechen, -) Malayisch : Das brauche ich nicht. ^) Raupe, eigentlich „Federschlange". l'ig. 2. Raupen einer Papilio spec. mit .\ugen und Schnauzen. Sehr verbreitet sind in Java die Loranthus- arten, grüne Parasiten, die ebenso wie unsere Misteln, mit denen sie nahe verwandt sind, über- all als große Sträucher auf den Bäumen sitzen. Ihre Früchte werden ebenso wie die der Mistel von Vögeln gefressen und da sie ebenfalls klebrige Stoffe enthalten , haften die Samen, von dem \^ogelschnabel an Ästen abgestrichen, leicht an ihnen fest, so daß man sie bei aufmerksamem Suchen sehr häufig an Asten auffinden kann. Sie keimen bald aus und treiben zunächst eine Art Ausläufer, der bei passender Orientierung des Samens sich dem Aste anschmiegt. Eines Tages fand ich nun an einem Aste ein Gebilde, das so- fort den Eindruck eines loranthusartigen Keim- lings machte, sich aber von den typischen mir wohl vertrauten unterschied, so daß ich glaubte. N. F. Xni. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 653 eine mir bisher unbekannte Art mistclnrtigcr Parasitenlhlern machen kann, besonders da die bei einer Sonnenfinsternis auf- tretenden Erscheinungen oft kaum eine Sekunde dauern. So ist z. B. erst durch die Photographie eine auffallende Erscheinung, das Flash-Spektrum, einwandfrei festgestellt worden. Diese tritt während des nur i — 2 Sekunden dauernden Zeitraumes auf, in dem gerade der Mondschatten die Sonnen- kugel völlig bedeckt, und zeigt sich darin, daß in diesem Moment statt der dunkeln Fraunhofer- schen Linien im Sonnenspektrum helle Linien treten. Es ist dies das Eigenspektrum des un- mittelbar nur in einer Schichtdicke von 1000 km die Photos])häre umlagernde Gashülle, die man deshalb auch als die „umkehrende Schicht" be- zeichnet. Überhaupt bietet das Spektrum und vor allem das der Sonnenflecken sehr wertvolle Anhalts- punkte für die chemische Zusammensetzung des Sonnenkörpers. Dann hat die Astrophotographie wertvolle Bilder von den verschiedenen Planeten geliefert, so auch Aufnahmen der noch nicht aufgeklärten Marskanäle (von Lowell). Manche kleinere Planeten sind überhaupt erst durch die photo- graphische Aufnahme „ans Licht gekommen", weil ihr Licht zu gering ist, um bei der okularen Be- obachtung durch ein Teleskop erkannt zu werden. Das gleiche gilt von dem sechsten, siebten und achten Mond des Planeten Jupiter und dem neunten und zehnten Monde des in der Entwicklung sich noch sehr im Rückstande befindenden Planeten Saturn. Von diesen Monden haben wir also erst durch die Photographie Kenntnis erlangt. Man ist jetzt auf vielen Sternwarten in gemein- samer Arbeit daran, eine vollständige Himmels- karte der Fixsterne herzustellen. Das wäre, wenn man auf Zeichnungen angewiesen wäre, ein Ding der Unmöglichkeit, schätzt man doch die Anzahl der Fixsterne bis 15. Größe auf etwa 60 Millionen! Wir haben oben g-esagt, daß die Fixsterne ihre gegenseitige Lage nicht verändern. Das stimmt für den Augenschein, aber in Wirklichkeit bewegen auch sie sich ebenso wie unsere Sonne, und zwar nicht alle nach der gleichen Richtung und in gleicher Geschwindigkeit, sondern verschieden. Die Menschheit wird daher nach vielen Jahrtausenden und vor vielen Jahrtausenden einzelne Sternbilder in ganz anderer Zusammenstellung sehen und gesehen haben. Mit Hilfe der Photographie können wir fest- stellen, ob ein Stern sich uns nähert und sich von uns entfernt und in welcher Geschwindigkeit dies geschieht. Auch für Laien ist es sehr interessant, wie man das ermöglicht. Schon jeder wird auf einem Bahnhofe beobachtet haben, wenn ein Schnellzug vorbeisaust, daß der pfeifende Ton der Lokomotive beim Annähern einen immer höheren Ton an- nimmt, um, wenn sich die Lokomotive wieder entfernt, wieder allmählich tiefer zu werden. Eine ähnliche Erscheinung gibt es aber auch beim Licht. Entwerfen wir nämlich von dem Licht eines Fixsternes das Spektrum mit den bekannten Frau nhoferschen Linien, so werden die ein- zelnen Teile gegenüber dem Sonnenspektrum das eine Mal eine Verschiebung nach dem roten, das andere Mal nach dem violetten Ende des Spek- trums zeigen. Nach dem Doppl ersehen Prinzip erklärt man dies, analog der akustischen Erscheinung, damit, daß sich der betreffende Stern in dem einen Falle nähert, in dem anderen Falle entfernt, während der Grad der Verschiebung die Geschwindigkeit angibt. Um aber nun hierbei die wahre Ge- schwindigkeit und Bewegungsrichtung festzustellen, muß auch die scheinbare Fortbewegung am Fir- mament in Rechnung gesetzt werden. In jüngster Zeit wird sogar das Prinzip der Stereoskopie, des plastischen Sehens, auf die Astrophotophie angewandt. Wir sehen bekanntlich dadurch plastisch,' daß jedes unserer Augen ein etwas anderes Bild empfängt, wodurch sich die vorderen Objekte von dem hinteren abheben. Da aber unser Augenabstand nur 6,5 cm ist, so werden die beiden Bilder schließlich bald völlig gleich, und zwar bei etwa 450 m. Von da an hört auch das plastische Sehen auf, also für außerirdische Objekte erst recht. Sonne und Mond erscheinen uns nicht als Kugeln, sondern als Scheiben und die ver- hältnismäßig sehr nahen Planeten erscheinen dem Auge in keiner anderen Ebene als die unendlich weiten Fixsterne. Würde man nun den Augen- abstand künstlich erweitern, indem man zwei in größerem Abstände voneinander aufgenommene Bilder eines und desselben Objektes im stereos- kopischen Betrachtungsapparat vereinigt zusammen betrachtet, so könnte man auch plastische Bilder von weiteren Objekten, ja von außerirdischen Körpern erhalten, sofern nur der Bildabstand bei der Aufnahme groß genug ist. Und in der Tat hat man schon stereoskopische Aufnahmen des Mondes gemacht, bei denen dieser als Kugel wirkt und sich die Gebirge und Krater plastisch zeigen. Wahrlich ein wunderbares Bild. Auch sind schon Photographien erreicht worden, N. F. XIII. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 679 auf denen sich die Planeten von dem übrigen Himmel plastisch abheben. Um nun die hierfür erforderlichen ungeheuren Ab- stände der Aufnahmepunkte für die beiden Bilder zu erzielen, macht man diese nicht zu gleicher Zeit von verschiedener Stelle aus, sondern zu verschie- denen Zeiten von der gleichen Stelle aus. Wir warten für die zweite Aufnahme so lange, bis wir uns durch die Drehung der Erde, ja des ganzen Sonnensystems um den erforderlichen Abstand im Weltenrauni weiter bewegt haben. Für plastische Mondaufnahmen ist z. B. ein Abstand von 95000 km notig, bei anderen Aufnahmen gehen die Abstände in die Millionen Kilometer, so daß wir mit der zweiten Aufnahme Tage, Monate ja Jahre warten müssen. Die Himmelsstereoskopie, die noch jüngsten Datums ist, wird der Wissenschaft noch große Dienste leisten. Aber auch die anderen zufälligen Ilimmelser- scheinungen, Kometen, Leuchtkugeln usw. werden teilweise durch die photographische Platte fest- gehalten, wodurch der Astronom ein weit besseres Urteil über Form und Bahn erhält. Den größten Nutzen von den fleißigen photo- graphischen Arbeiten der Astronomen werden je- doch erst die künftigen Geschlechter haben. Einzelberichte. Paläontologie. Über Crustaceen aus dem Voltziensandstein des Elsasses berichtet Ph. C. Bill in den Mitteilungen der Geologischen Landes- anstalt von Elsaß-Lothringen Bd. VIII, Heft 3, 1914. Der nach der Abietide Voltzia heterophylla benannte Voltziensandstein bildet die Oberstufe des oberen Buntsandsteins oder Rots in Elsaß- Lothringen, dem Saargebiet und der Eifel und wird von dem in sandiger F'azies auftretenden unteren Muschelkalk, dem Muschelsandstein über- lagert. Der Voltziensandstein besteht vorherr- schend aus feinkörnigen, glimmerig-tonigen Sand- steinen. Fossilien treten fast nur in tonigen Schich- ten auf. Neben zahlreichen Pflanzenresten (Voltzia, Neuropteris, Doleropteris, Schizoneura) sind von tierischen P'ossilicn vor allem zahlreiche Crusta- ceen, seltener Muscheln (Myophoria, Pecten, Unio), Brachiopoden (Lingula) und Fischreste nachge- wiesen. Das Vorkommen der Krebse ist auf die obersten 10 m des Voltziensandsteins beschränkt. Sie liegen in der Regel in 3 m dicken und 20 — 100 m langen linsenförmicren Einlagerungen von hellen Schieferletten im Sandstein. Der Er- haltungszustand wechselt je nach der Art und dem Fundpunkt. Mit Ausnahme der zu den Schizopoden gehörenden Gattung Schimperella ist bei keinem der Krebse irgend etwas von der Schale erhalten. Bei der unserem Flußkrebs nahe stehenden Gattung Cl^-tiopsis können 2 Erhaltungs- arten unterschieden werden; entweder ist der Panzer erhalten, wobei die Gliedmaßen fehlen Isopoden (Anhelkocei)halon) verteilen. Die meisten Formen sind der Trias eigentümlich, während Penaeus und vor allem die niederen Formen noch heute leben. Von besonderer Bedeutung ist die Fauna für die Phylogenie der Crustaceen. Die niedere Formen haben geringes Interesse, denn Estheria minuta unterscheidet sich im Körperbau kaum von den heutigen Estherien; ebenso auch Apus antiquus nicht viel von seinen heutigen Verwandten. Ab- gesehen von der Kleinheit und den relativ größeren Augen ist auch Limulites nicht viel anders als der heute lebende Limulus. Das meiste Interesse beanspruchen die Decapoden, zu denen unter den heute lebenden Formen der Flußkrebs, der Hum- mer, die Garneelen und die Krabben gehören. Abgesehen von Palaeopemijhix, deren systematische Stellung noch ungeklärt ist, stellen die hier vor- kommenden P^ormen (Penaeus, Litogaster, Clytiop- sis) die ältesten Vertreter der Ordnung dar. Die Decapoden zerfallen in die 2 Unterordnungen der Macruren (kräftiges Abdomen, gut entwickelte Seitenteile der Schwanzflosse; Natantia garneelen- artig, schwimmend; Reptantia krebsartig, kriechend) und die Brachyuren, bei denen die vorhin er- wähnten Eigenschaften rudimentär sind. Bereits zu Beginn der Triaszeit bestand die Trennung der Decapoden in Natantia und Reptantia. Er- stere sind durch Penaeus (Penaeidea), letztere durch Clytiopsis (Nephropsidea) vertreten. Auf Grund interessanter Untersuchungen, die sich vor allem auf die Ausbildung der Pereiopoden (? bei der Häutung abgeworfener Panzer) oder und der Schwanzflosse beziehen, kommt Bill zu das ganze Tier ist zur Silhouette zusammenge- drückt. Hauptfundorte für die Fauna sind Wasseln- heim, Sulzbad, Gressweiler, Gottenhausen, Saar- brücken. An der Crustaceenfauna beteiligen sich 12 Ar- dem Ergebnis, daß die beiden Gruppen der Na- tantia und Reptantia nicht gleichwertig sind. Die Natantia erweisen sich als einheitlich, während die Reptantia inhomogen sind und aus Gruppen (Nephropsidea, Eryonidea, Loricata) bestehen, die sich zu verschiedener Zeit (und zwar vortriassischer ten, die 10 Gattungen angehören, welche sich auf Zeit) vom Stamme der Natantia abgezweigt haben, die Ordnungen der Decapoden (Clytiopsis, Lito- In der Trias existieren die Gruppen der Nephrop- gaster, Penaeus), Schizopoden (Schimperella, Dia- sidea und Eryonidea, während im Jura noch die phanosma), Syncariden (Triasocaris), Phyllopoden Grujipe der Loricata hinzukommt. Möglicher- (Estheria, Apus), Xiphosuren (Limulites) und der weise haben sich die Loricaten und Eryoniden in 68o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 43 vortriassischer Zeit ll'ermocarbonj selbständig aus Schizopoden entwickelt. V. Hohenstein, Halle a. S. Botanik. Antike Samen aus dem Orient. Franz v. Frimmel hat eine schwierige Unter- suchung durchgeführt, um einige antike Pflanzen- samen zu bestimmen, die teils aus Nippur in Babylonien, teils aus Gezer in Talästina stammten. Zwei Proben aus Gezer gehörten offenbar der Gattung Vicia an, und wahrscheinlich handelt es sich um Vicia sativa L. oder Vicia Ervilia (L.) Willd. und Vicia palaestina Boiss. Eine Probe aus Nippur besteht aus Citrus-Samen, möglicher- weise aus dem Formenkreise von Citrus medica. Zerealienreste aus Nippur erwiesen sich als der Gerste zugehörig, und die Befunde lassen darauf schließen, daß es sich um eine der wilden Gerste in manchen Merkmalen nicht ganz fernstehende Kulturrasse gehandelt hat. Es war eine mehr- zellige I'orm, bei der die Körner in verhältnis- mäßig spitzem Winkel von der Achse abstanden, denn nur unter dieser Voraussetzung können die vom Verf. beobachteten grubigen Eindrücke am Rücken des Kornes zustande kommen, ein Merk- mal, das die Form mit der Wildgerste gemeinsam hat ; „daß es sich aber keineswegs um eine wirk- lich wilde Form handelt, geht aus der Größe des Korns hervor und aus dem Umstände, daß die Körner sozusagen so hypertrophicrt waren, daß sie sich eben gegenseitig in der Ausbildung nor- maler F"orm störten". Hieraus schließt Verf, daß die fragliche Gerste das Endergebnis eines noch unbekannten, vielleicht unbewußten Züchtungs- prozesses gebildet habe ; denn eine noch größere Entwicklung der Körner als die, daß sich die einzelnen Körner gegenseitig in der Entwicklung stören, sei undenkbar. Eine bewußte, rationelle Züchtung würde wohl von Formen ihren Ausgang nehmen, bei denen eine gegenseitige Entwicklungs- hemmung gerade der größten Körner durch ein mehr wagerechtes Abstehen von der Spindel nach Möglichkeit verhindert würde. — Eine andere Getreideprobe, die aus Gezer stammte, konnte als Weizen, wahrscheinlich Triticum turgldum, identifiziert werden. (Sitzungsberichte der Kais. Akad. d. Wiss. in Wien. Phil.-hist. Kl. 1914, Bd. 173, I. Abhdlg. 14 S. u. Taf.). F. Moewes. Physik. Mit der Demonstration und Photographie von Strömungen im Innern einer Flüssigkeit beschäf- tigt sich eine Arbeit von J. Zenneck (München) in den Berichten der Deutschen Physikalischen Gesellschaft XVI (1914) Seite 695. Während sich Bewegungen in Flüssigkeitsob e r f I ä c h en durch Aufstreuen z. B. von Bärlappsamen nach dem von V. Ahlborn (Hamburg) ausgearbeiteten Verfahren gut sichtbar inachen und photographieren lassen, stößt man auf Schwierigkeiten, wenn es sich um Strömungen im Innern handelt. Zenneck ver- fährt in der Weise, daß er der Flüssigkeit sehr kleine, durch Elektrolyse erzeugte Gasbläschen bei- micht, die an ihrer Oberfläche das Licht einer Bogenlampe total reflektieren und dadurch hell leuchten. Das in einen größeren Trog ruhenden Wassers aus einer Düse eintretende Leitungs- wasser, dessen Stromlinien beobachtet werdensollen, passiert zunächst einen Zersetzungsapparat, in wel- chen zwei an die elektrische Zentrale angeschlossene Bogenlampenkohlen hineinragen. Die durch die Zersetzung erzeugten Glasbläschen, deren Durch- messer zwischen 0,014 und 0,023 mm liegt und die infolge ihrer Kleinheit eine sehr geringe ver- tikale Eigengeschwindigkeit haben (0,16 cm pro sec), dringen mit dem aus der Düse austretenden Wasserstrahl in die ruhende Wassermasse ein. Das durch einen Kondensator gesammelte Licht der Bogenlampe fällt durch einen vertikalen Schlitz an der der Düse gegenüberliegenden Seite in den Trog, so daß im Wasser eine vertikale Ebene beleuchtet ist. Man beobachtet und photo- graphiert senkrecht in dieser Ebene; die Rück- wand des Kastens, der Hintergrund, ist geschwärzt. Zwei der Arbeit beigegebene Tafeln, von denen die eine die Strömung gegen eine quadratische Platte, die zweite die gegen einen zur Düse senk- rechten Zylinder (exzentrisch) zeigt, lassen sehr schön die scharfen hellen Slrömungslinien auf dunklem Grunde erkennen. Aus ihnen kann man nicht nur die Richtung der Bewegung ersehen, sondern auch mit Hilfe der Expositionszeit die Gröfje der Geschwindigkeit ausmessen. Soll die F"lüssigkeitsbewegung in der Nähe einer im Trog rotierenden Schraube oder einer im Trog beweg- ten Platte dargestellt werden, so läßt man die Glasbläschen im Trog selber in der Weise ent- stehen, daß man auf seinem Boden eine Anzahl von Bogenlamjienkohlen anbringt, die man ab- wechselnd mit dem positiven und negativen Pol der Stromquelle verbindet. Duich Regulieren des Stromes man kann die Zahl der Bläschen ändern, durch Anordnung der Kohlen die Bläschen auf einzelne Stellen des Wassers mehr oder weniger konzentrieren. Leider ist die Erscheinung nicht so lichtstark, daß sie sich für einen großen Zuhörerkreis wirksam projizieren läßt. K. Schutt, Hamburg. Kleinere Mitteilunsen. Zwei lehrreiche Profile aus dem Frankenwald. Zwei Natururkunden. Der Frankenwald, der in seinem Aufbau fast nur aus paläozoischen Ge- steinen, vorzugsweise aus Schiefern besteht, ist ein in der Nachkulmzeit entstandenes P'alten- gebirge mit varistisch verlaufenden Sätteln und Mulden. Dieser Faltung, zu der als Begleit- erscheinung die Schieferung tritt, der Lehesten, N. F. XIII. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 68 1 ÄyT Wurzbach , Ueincrsdorf und Röttersdorf vorzüg- hche Dachschiefer und Gräfenthal und Ludwigs- stadt Griffelschiefer verdanken, unterlagen alle kambrischen, silurischen, devonischen und kulmi- schen Gesteine. Auf das Profil im Kicselschiefer machte ich schon im letzten Jahres- bericht der Gesell- schaft von Freunden der Naturwissenschaf- ten zu Gera aufmerk- sam, p. 171 — 172. Jetzt stehen mir zwei gute photographische Auf- nahmen des Flerrn Prof. Dr. Gott lieb v. Koch zur Verfügung, die ich einem größeren Kreise von Naturfreunden nicht vorenthalten möchte. Sechsmal hat der Druck, der den Fran- keinvald zur Zeit der Aufrichtung des varisti- schen Gebirges zusam- menschob, an dieser Stelle den mittelsiluri- schen Kieselschiefer zusammengepreßt. Wenigstens kann man sechs kleine Sättel und Mulden im Profil zählen. Das geschah auf eine Entfernung von 2 m hin. Der hier gefaltete Kieselschiefer bewahrt auch anderwärts , wie mir Herr Geheimrat Zimmermann mit- teilte, die Faltung am besten. Aber an dieser Stelle blieb die Er- scheinung im Franken- walde am schönsten erhalten. Durch sie wird uns im kleinen der ganze Bau und die Entstehung des F"ran- kenwaldes klar. So mag im Frankenwald ein Durchschnitt aus- gesehen haben, ehe die Verwerfungen und die Durchbrüche vulkani- scher Gesteine auf den Schichtenbau verän- dernd einwirkten. Jetzt ist der Bau des Ge- birges viel beschwer- licher zu begreifen. Verwerfungen haben Sättel und Mulden zerrissen, gegenseitig verschoben und neu gedehnt und zusammengestaucht. In den dünnen, dunkleren Schichten des Profils, die aus Alaunschiefer bestehen, habe ich trotz dieser haltungen und Pressungen noch bestimmbare Ver- steinerungen, Graptolithen gefunden. Ich konnte Fig. I. Gefalteter Kieselschiefer vom Eselsberge bei Saalburg a. d. S, (Frankenwald). Fig. 2. Sattelbildung im Kulm von Ziegenrück a. d. S. (Frankenwald). 682 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 43 dort Rastrites hybridus Lapw., Rastrites percgrinus Barr, und üiplograptus folium Hiss. nachweisen. Der ungeheure Drucl; vermoclite die tierischen Überreste doch nicht zu vernichten. In diesem zweiten Profil sind kulinische Schieferschichten , die den Lehestener Schiefern dem Alter nach gleichkommen, zu erkennen. Der Steinbruch schlielSt uns einen Sattel auf, in dem genau wie oben die Kieselschicferschichten hier die Kulmschieferschichten zusammengefaltet wur- den. Der Sattel ist bedeutend größer wie die kleinen Sättel im Eselsbergprofil. Leider wird dieser und auch der andere hochinteressante Stein- bruch immer noch benutzt, so daß in kurzer Zeit diese lehrreichen Profile verschwinden werden. Rudolf Hundt. In Tschermak's Mineral, petrogr. Mittei- lungen bringt ¥. ¥^. Wright die Beschreibung eines von ihm konstruierten neuen petrographischen Mikroskopes, das sich besonders zur Untersuchung sehr feinkörniger Mincrialien, also z. B. künstlicher Silikat])räparate eignen soll. Eine starre Ver- bindung der Nikols ermöglicht eine gleichzeitige Drehung um die Aclise des Mikroskopes. Der obere Nikol bleibt im Tubus. Der Polarisator wird bei Beobachtung im gewöhnlichen Licht ausge- schaltet, wobei sicli keine Störung des Bildes, die bei Ein- und Ausschaltung des Analysators oft eintritt, bemerkbar macht. Die Art der Anbringung eines Abbekondensors in A'^erbindung mit einem Ahrensprisma (wie bei P'uessmikr. la) macht die Vorrichtungen, die der Ein- und Ausschaltung der Oberlinse des Kondensors dienen, entbehrlich. Die Platte mit der „tinte sensible", die nicht zwischen Objekt und Analysator, sondern unter dem Kondensor angebracht ist, kann mit ihrer Metallfassung um die geometrische Achse des Mikroskopes gedreht werden. Die Bestimmung der Hauptschwingungsrichtung in einem Mineral wird dadurch erleichtert, daß diese Drehung schneller als die des Objekttisches vor sich gehen kann. P^ine Abstufung in der Vergrößerung des Bildes wird durch Verschiebbarkeit der Bertrand- schen Linse ermöglicht, unter der sich — ebenfalls eine Neuerung — eine Irisblende befindet, die mit ihr auf und ab bewegt werden kann. Eine zweite unter dem Okular angebrachte Blende soll das nicht von dem zu untersuchenden Material, sondern von seinen Nachbarn im Schliffe her- rührende Licht abblenden, das sich bei Beobach- tung der Achsenbilder oft unangenehm bemerkbar macht. Aicliberger. Eugenik. In jüngster Zeit wurde der Geburten- rückgang in den europäischen Kulturstaaten von vielen Autoren behandelt, aber nur wenige machten den Versuch, diese Erscheinung wissenschaftlich zu erklären, sondern sie wurde meist auf sittliche Verkommenheit zurückgeführt. Prof Dr. Hugo .Sellheim in Tübingen sucht nun in einer Ab- handlung über ,,Produktionsgrenze und Geburtenrückgang" den Beweis zu führen, daß die Ursache der abnehmenden Geldhäufigkeit in der Erschöpfung der menschlichen Produktions- kraft liegt, die, aufgezehrt von der Sorge um die Selbsterhaltung, für die Zeugung von Nachkommen nichts oder nicht viel übrig hat. Die moderne kapitalistische Wirtschaftsweise, welche die An- spannung aller körperlichen und geistigen Kräfte erfordert, hat die individuelle Selbsterhaltung schwierig gestaltet und damit einen nachteiligen Einfluß auf die I''orlj)flanzung ausgeübt; denn je mehr Kraft ein Organismus für die Erhaltung des eigenen Lebens aufzuwenden hat, um so weniger vermag er für die Hervorbringung von Nachkommen zu erübrigen. Das Tierreich bietet hierfür zahl- reiche Beispiele, die es uns auch klar machen, warum beim Menschen zu Zeiten des Aufbaues und Abbaues seines Organismus, in Jugend und Alter, schließlicli auch bei schweren Krankheiten, d. h. in Zeiten, in denen der Körper mit sich selbst genug zu tun hat, die h'ortpflanzung ver- mindert oder ganz ausgeschlossen wird. Die Blütezeit von Körper und Geist ist deshalb zu- gleich die Domäne der Fortpflanzung. Beim Übergänge von der harten Wildheit zur bequemen Zivilisation steigt die P'ruchtbarkeit wie bei einer Pflanze beim Kultivieren und beim Tier durch Domestizieren. Unter günstigen Existenz- bedingungen erfolgt nur eine spielende, nicht fühl- bare, dalier unbewußte Aufteilung der Menschen- kraft in Selbsterhaltung und P'ortpflanzung. Wie- viele Kinder dabei einer P'amiiie von Natur aus zustehen, ist im allgemeinen schwer zu sagen. Daß die ungehemmte P"ruchtbarkeit sehr groß sein muß, dürfte schon aus der Beobachtung her- vorgehen, daß beim neunten Kinde der Höhepunkt der körperlichen Entwicklung der P'rucht gefunden wird und dann erst das .Absteigen beginnt. Doch steigt die F"ruchtbarkeit in der Zivilisation nur so lange, als neben Vermehrung der Nahrungs- zufuhr auch eine Verminderung der Kraftausgabe besteht oder wenigstens nicht eine stärkere Zu- mutung, wie im Daseinskampfe des Menschen in der modernen Welt, auf dem Plane erscheint. Schließlich führt die höchste Übertreibung der Produktion für die Selbsterhaltung zu einer Ver- nichtung der Fortpflanzung und umgekehrt, die Übertreibung der Fortpflanzungsproduktion zur Selbstvernichtung. Beim Menschen bewirkt die große .Anpassungs- fähigkeit, seine Beherrschung der Natur, daß die Fortpflanzung durch die Anstrengungen zur Selbst- erhaltung lange nicht arg gefährdet wird. Den Eintritt einer solchen Gefährdung genau festzustellen ist überdies schwer, weil der Mensch dem Zusammen- bruche durch eine rechtzeitige Korrektur seiner Kräftebilanz vorbeugen kann. Sellheim sagt: Wo eine Reibung droht, wird ihr aus dem Wege gegangen. Der Wettbewerb wird auf allen Ge- bieten menschlichen Lebens immer mehr durch eine Art Schiedsgericht, statt durch den Kampf, planmäßig zu regeln gesucht. Der Mensch ist N. F. Xm. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 683 sich meist iiiid von vornlierein der Verteilung der Kräfte im Kampfe bewußt. Darum unterläßt er — z. B. durch den Schaden anderer klug geworden — die Fortpflanzung oder wenigstens ihre emsige Betätigung. Aus dieser Gewohnheit, sich nicht erst durch eine wirkliche auftretende Verantwortung, sondern schon durch die Voraussicht einer Ver- antwortlichkeit in seiner Handlungsweise bestimmen zu lassen, entspringt die Gefahr einer Übertreibung der Vorsicht. Fs ist also im einzelnen Falle nicht leicht zu sagen, ob die Unterlassung der h'ort- pflanzung überhaupt oder weiterer Fortpflanzung aus einer wirklichen oder eingebildeten Kraftlosigkeit, neben der Selbsterhaltung die Sorge für die Nach- kommen übernehmen zu können, sich herleitet. Dazu kommt unser materielles Zeitalter mit dem auf die Spitze getriebenen Bedürfnis eigener sowie der Nachkommenschaft Sicherstellung gegenüber allen Eventualitäten, wodurch jeglicher Unter- nehmungsgeist lahmgelegt wird. Die Befürchtung, daß mit dem Rückgang der Geburtenhäufigkeit eine qualitative Verschlech- terung des Menschenmaterials eintritt, hält SeU- heim für begründet, namentlich dann, wenn die Abnahme der Geburtenzahl durch das wahllose Unterliegen der Fortijflanzung im Wettbewerb mit der Selbsterhaltung bedingt wird. Zur Hebung der körperlichen Konstitution der Bevölkerung wünscht Seil heim eine allgemeine „Menschen - Ökonomie", welche Selbsterhaltung und Fort- pflanzung in das richtige Verhältnis bringt, und als erste Maßregel dieser Art empfiehlt er die Verhütung der Vergeudung von Frauenkraft im Fortpflanzungsleben durch Frühgeburten, zu frühe oder zu späte Geburten usw., und durch verkehrte Plazierung der Frauen im Leben, hauptsächlich ihre Teilnahme an der Produktion zur Lebens- erhaltung. H. P^hlingfer. Biicherbesprechungen. Diapositive zu H. Potoni^'s Entstehung der Steinkohle. — In der paläobotanischen Ab- teilung der Kgl. Geol. Landesanstalt zu Berlin sah ich kürzlich eine durchscheinende Fenstertafel, welche in einem Pappdeckel zwanzig ausgewählte Diapositive nacli Abbildungen zeigt, welche von H. l^otonie in seinen Werken über die h^ntstehung der Steinkohle aus die Kaustobiolithe wiederge- geben sind. Die Tafel enthält eine gute Aus- wahl aus den 72 Diapositiven, welche der Verlag von Otto Roth in Berlin NO, Prenzlauer Berg 21 vertreibt. Sowohl Landschafts- wie Museums- aufnahmen, und auch einige Mikrophotogramme, von fossilen Hölzern, Schlammbildungen usw. waren vertreten. Die Tafel hatte, wie mir Kustos Dr. W. Gothan, der jetzige Leiter der paläo- botanischen Abteilung und Nachfolger von H.Poto- nie mitteilte, seit einem Jahre am Fenster ge- standen, so daß unter der Wirkung der Sonnen- strahlen die Pappe verbogen war und die Farbe verloren hatte. Dennoch wirkten die Diapositive frisch, ihre Farben waren kräftig. Das Verzeichnis umfaßt F'aulschlamm und seine Lagerstätten, Torfe und ihre Lagerstätten, Braunkohle- und Stein- kohlenprofile, deren paläobotanisch wichtigste Eigenheiten, fossile Hölzer mit und ohne Jahres- ringbildung, Liptobiolithe. H. Potonic hat den Verlagsprospekt mit folgenden Worten eingeleitet ; „Wiederholte Anfragen aus Universitäts- und an- deren Kreisen nach den von mir in langen Jahren zusammengebrachten Diapositiven über den im Titel genannten Gegenstand veranlassen mich, die wichtigsten dieser Diapositive hiermit der ()ff"entlichkeit zu übergeben. Als Führer für diese Abbildungsreihe sind zu benutzen in erster Linie die fünfte Auflage meines Buches „Die Entstehung der Steinkohle usw. (1910), sodann meine drei- bändige Arbeit „Die rezenten Kaustobiolithe und ihre Lagerstätten" (Berlin, Kgl. Geolog. Landes- anstalt)." Stremmö. Janson, O., Das Meer, seine Erforschung und sein Leben. (Aus Natur und Geisteswelt, Nr. 30. Dritte Auflage, 1914). Das kleine Werkchen behandelt in flüssiger Sprache die physische Meereskunde sowie einige Kapitel aus dem Tier- und Pflanzenleben des Meeres. Zum besseren Verständnis des Textes wäre die Beigabe einer Karte mit den Meeres- strömungen sowie den Tiefen förderlich gewesen. Ferner ist zu beanstanden, daß bei den Abbil- dungen nie der Maßstab der Vergrößerung ange- geben ist; der Laie, der die Dinge nicht aus eigener Anschauung kennt — und nur unsere größ- ten Museen können solche Seltenheiten wie z. B. Tiefseeformen öffentlich ausstellen — muß sich nach diesen Bildern ganz falsche Vorstellungen bilden. H. Balss. Schaefer, CL Einführung in die theore- tische Physik. Erster Band: Mechanik materieller Punkte, Mechanik starrer Körper und Mechanik der Kontinua (Plastizität und Hydrodynamik). 925 Seiten mit 249 Figuren im Text. Leipzig 1914. Veit & Co. — Preis geh. 18 Mk. Verf. hat die mühevolle Arbeit unternommen, ein neues Lehrbuch über das Gesamtgebiet der theoretischen Physik zu schreiben, das, nament- lich für Studierende bestimmt, den Gegenstand etwa mit derjenigen Ausführlichkeit und Voll- ständigkeit darstellt, wie er in den allgemeinen Vorlesungen über theoretische l^hysik behandelt werden kann. Trotz der nicht geringen Anzalil von Gesamtdarstellungen der theoretischen Physik ließ sich bisher in der Literatur in der Tat ein 684 Naturwissenschaftliche Wochensclirift. N. F. Xm. Nr. 43 Werk vermissen, welches die großen theoretischen Zusammenhänge mit genügender Klarheit in Ab- leitung und Ergebnis quantitativ darlegt, die kon- kreten phj'sikalischen Grundlagen genügend deut- lich hervorhebt und andererseits diejenige Be- grenzung des Stoft'es namentlich in der Richtung der vielfach mehr mathematisches Interesse bieten- den Spczialprobleme einhält, welche zur Erhaltung des Überblicks für den Lernenden erforderlich erscheint. Die Arbeit des Verfs. ist daher, da sie einem tatsächlichen Bedürfnis gerecht wird, als eine höchst dankenswerte zu bezeichnen. Ihre klare Ausdrucksweise, die auch im Druck hervor- tretende präzise Betonung der wesentlichen Be- ziehungen werden dem Werke sicherlich viele Freunde erwerben. Die im vorliegenden ersten Bande gegebene Darstellung der Mechanik ist, der Bedeutung dieser Disziplin für die Einführung in die theoretische Betrachtung des phx'sikalischen Geschehens ent- sprechend, sehr umfangreich. Im ersten, der iViechanik materieller Punkte gewidmeten Ab- schnitt findet sich die Kinematik eines materiellen Punktes, die allgemeine und spezielle Dynamik eines substantiellen Punktes und eines S)-stems materieller Punkte. Im zweiten Abschnitt über die Mechanik starrer Körper wird die Kinematik und die allgemeine und spezielle Dynamik dieser Körper besprochen. Der besonders ausführliche dritte Abschnitt über die Mechanik der Kontinua bringt außer der Kinematik und der allgemeinen Dynamik der Kontinua Betrachtungen über den Zusammenhang zwischen Spannung und Deforma- tion, spezielle Fälle des elastischen Gleichgewichts, Gleichgewicht und Bewegung in einem unendlich ausgedehnten Medium, Schwingungen von Saiten und Membranen, Schwingungen von Stäben und Platten, Gleichgewicht und kleine Schwingungen von I'lüssigkeiten, wirbelfreie Bewegung einer Flüssigkeit, Wirbelbewegung und Reibung von inkompressiblen Flüssigkeiten. A. Becker. Brohmer, P., ha u na von Deu tsc h la nd. Ein Bestimmungsbuch unserer heimischen Tierwelt. Mit 912 Abb. i. Text u. auf Tafeln. Leipzig, Quelle i^C' Mayer, 1914. — Preis 5 Mk. Eine Exkursionsfauna für unser Deutsches Gebiet existierte bisher noch nicht. Überhaupt fehlte es gänzlich an einem modernen Bestimmungs- buch der Tierwelt für weitere Keise, vor allem zum Gebrauch bei zoologischen Ausflügen und für Scliülerübungen. Die an sich sehr wertvolle Syn- opsis von L e u n i s - L u d w i g ist für diese Zwecke einmal zu umfangreich, dann aber erlaubt sie nicht immer ein sicheres Bestimmen der Tiere bis wenigstens auf die Gattungen. Zudem sind seit der letzten Auflage des Leunis fast dreißig Jahre vergangen. Die eben erschienene Fauna von Deutschland von Brohnier versucht nun diesen Mangel zu ersetzen. Da sie als Exkursionsfauna gedacht ist, mußten bei der unter Mitarbeit von zahlreichen Spezialisten zustande gekommenen Abfassung dieses Werkes von vornherein ganz andere Gesichtpunkte als beim alten Leu nis maßgebend sein. Obwolil äußerlich in der P'orm eines kleinen bequem in der Tasche mitzuführenden, nicht übermäßig starken Bandes, enthält diese neue Fauna doch 587 Seiten, und da sie sich nur mit der in Deutschen Landen heimischen Tierwelt befaßt, übertrifft sie die Synopsis ganz bedeutend in der Zahl von Gat- tungen und Arten aus diesem Gebiet. Die in Deutsch- land heimischen Wirbeltiere, Schwämme, Nesseltiere und Weichtiere sind, soweit sich übersehen läßt, sämtlich aufgenommen worden; für die anderen Gruppen, vornehmlich die Protozoen, Spinnen und Insekten, mußten Beschränkungen eingeführt werden, wie das ja bei dem nicht zu überschrei- tenden Umfang des Werkes nicht anders sein kann. Alle Meerestiere sind fortgelassen, wodurch ebenfalls für die anderen Raum gewonnen wurde. Dichotomischc Tabellen führen mindestens bis zu den Gattungen, bei denen die häufigsten und bekanntesten Arten vermerkt stehen. Außer der Tabelle zum Bestimmen nach morphologischen Merkmalen findet sich für die Vögel noch eine solche nach den Stimmen, soweit das möglich ist. Überall erläutern schematische Skizzen das Wich- tige an den zu unterscheidenden Merkmalen. Ein- ausführlichcs Register erlaubt das Nachschlagen bestimmter Namen. Hempelmann-Leipzig. Knauer, Friedrich, Der Zoologische Gar- ten. In: Thomas' Sammlung von Anleitungs-, PIxkursions- und Bestimmungsbüchern. Leipzig, Th. Thomas 1914. Mit 122 Abbildungen. Der vorliegende Band der Thomas'schen Samm- lung: „Der Naturforscher" will einem breiteren Publikum den Entwicklungsgang, die Anlage und den Betrieb unserer Tiergärten und deren erzieh- liche, belehrende und wissenschaftliche Aufgaben vor Augen führen, was um so notwendiger ist, als über diese Dinge in weiten Kreisen eine große Unkenntnis herrscht. Der Verf., der bekannte Begründer und Direktor des Wiener Vivariums und Tiergartens, berichtet über die Geschichte der Tiergärten, Tierimport und Transport, Tier- ]3reise, besondere .Seltenheiten an Tieren in zoo- logischen Gärten, Zuchterfolge in solchen, und über das Alter der Tiere. Er gibt ferner einen Einblick in den Haushalt der Zoologischen Gärten, er- läutert deren Aufgaben, betont die Wichtigkeit einer Zurschaustellung unserer einheimischen P'auna und weist auf die Bedeutung der Tier- gärten für die Wissenschaft, die Schule und die Kunst hin. Es schließen sich ausführlichere Be- schreibungen der größten Zoologischen Gärten der Erde an, worauf kürzere von den übrigen, nach Erdteilen und Ländern geordnet folgen. Auch eine reiche Literaturliste über Tiergärten ist vor- handen. Hempelmann, Leipzig. Weinberg, Dr. med. W., Die Kinder der Tuberkulösen. Mit einem Begleitwort von N. F. Xin. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 68 s Ober- Medizinalrat Prof. Dr. M. v. Gruber. VI u. i6o S. Leipzig 191 3, S. Hirzel. Auf Grund der Stuttgarter Familienregister und Totenscheine untersuchte Dr. Weinberg die Fruchtbarkeit der in Stuttgart von 1873 bis 1902 gestorbenen Tuberkulosen und das Schicksal der ehelichen Kinder dieser Tuberkulosen bis zum 20. Lebensjahre. Zum Vergleich wurden ent- sprechende Ermittlungen bei den Kindern der 1S76, 1879 und 1886 gestorbenen Nichttuber- kulösen vorgenommen. Die Untersuchung ergab die Unrichtigkeit der häufig gehörten Annahme einer Überfruchtbarkeit der Tuberkulösen ; deren Kinderzahl ist im Gegenteil etwas geringer als die der nicht tuberkulösen Bevölkerung, was wohl hauptsächlich auf das frühere Sterben tuberkulöser Eltern zurückzufuhren ist. Von den Nachkommen der Tuberkulösen erreichen aber im Verhältnis erheblich weniger das Fortpflanzungsalter, als von dem Nachkommen anderer Personen. Verfolgt man das Schicksal der Nachkommen der in den Jahren 1873 bis 1889 verstorbenen Eltern, so er- gibt sich, daß vor Vollendung des 20. Lebensjahrs starben von den Nachkommen tuberkulöser Väter 46,8"/,,, von den Nachkommen tuberkulöser Mütter 48,i''/o, von den Nachkommen nichttuberkulöser Väter 40,3% und von den Nachkommen nicht- tuberkulöser Mütter 40,2''/(|. Die Nettofruchtbar- keit gemessen an der Zahl der das 20. Lebens- jahr erreichenden Nachkommen betrug bei tuber- kulösen Vätern wie bei tuberkulösen Müttern i,S, bei nichttuberkulösen Vätern 2,6, bei nichttuber- kulösen Müttern 2,3. Die Nettofruchtkarkeit der Tuberkulösen reicht also zu ihrem eigenen Ersatz nicht hin, was vom Standpunkte der Rassen- hygiene gewiß nicht zu bedauern ist. Die Ur- sachen der Übersterblichkeit der Kinder der Tu- berkulösen sind vorwiegend sozialer Natur. Wenn drei Wohlstandsschichten unterschieden werden, so kommt man zu folgendem Resultat. Von je lüoo Nachkommen Tuberkulöser starben vor voll- endeten 20. Jahre: Bei Tuberkulose des Vaters der Mutter In der wohlhabenden Schicht 370 388 In der Mittelschicht . . . 497 484 ,, „ Unterschicht (Arbeiter, Unterbeamte u. dgl.) 481 502 In Familien mit vielen Kindern sterben ver- hältnismäßig mehr Kinder als in kinderarmen Familien. Von sozialen Unterschieden abgesehen, kommt dies daher, daß bei großer Kinderzahl auch die Ansteckungsgefahr entsprechend größer ist. Bei den ersten Kindern ist die Sterblichkeit im allgemeinen geringer als bei den später Ge- borenen, und der Einfluß der Geburtenfolge tritt bei den Kindern der Tuberkulösen stärker hervor als bei den Kindern nicht tuberkulöser Eltern. Die Steigerung der Allgemeinsterblichkeit mit der Geburtenzahl ist hauptsächlich, aber nicht aus- schließlich, die Folge der Steigerung der Tuber- kulosesterblichkeit. Namentlich im ersten Lebens- jahr ist die Sterblichkeit an anderen Ursachen noch wesentlich stärker gesteigert. Auffallend ist auch, daß die Kinder der Tuberkulösen keine erhöhte Sterblichkeit an den akuten Infektions- krankheiten des Kinderalters aufweisen. H. Fehlinfjer. Zenetti, Paul, Professor am Lyzeum Dillingen, Die Entstehung der seh wäbi seh- bay- rischen Hochebene. Verlag Natur und Kultur, München, o. J. (1914). — Preis 75 Pfg. Die sich an Gümbel, Penck-Brückner und Weithofer im wesentlichen anlehnende Darstellung gibt ein Bild der Entstehung der schwäbisch-bayrischen Hochebene und ihrer mor- phologischen Umbildung im Tertiär und Diluvium. Abgesehen von manchen nicht präzisen Formu- lierungen („Einbruchsgebiet" für Geosynklinale (!), ferner über die Stellung der Vulkane) ist das ge- gebene Bild im ganzen wohl zutreffend. Strit- tige Punkte sind hervorgehoben. Aber gegen die Art der Darstellung muß entschieden Einspruch erhoben werden. Die gesuchte und z. T. in üblem Sinne schulmeisterliche und un- sachliche Ausdrucksweise („schlimme klimatische Veränderungen", „das Verhängnis" für die Eiszeit sind nur ein Beispiel von vielen) ist typisch da- für, wie eine populäre Darstellung nicht sein soll ! G. Hornig. Sir William Rarrsay, Moderne Chemie. II. Teil, systematische Chemie. Ins Deutsche übertragen von Dr. Max H u t h. Zweite Auf- lage. 8". VII und 243 Seiten. Halle a. S. 1914, Verlag von Wilhelm Knapp. Preis geheftet 3,80 Mk., in Ganzleinewand geb. 4.30 Mk. Ramsay 's „Moderne Chemie" ist in den chemisch interessierten Kreisen als ein ausge- zeichnetes elementares Lehrbuch bekannt, in dem besonders die allgemeinen Charakteristika der verschiedenen Stoffklassen in glücklichster Weise hervorgehoben worden sind. Daß die Darstellung einwandfrei ist, erscheint bei der wissenschaft- lichen Stellung, die der Verfasser in der inter- nationalen Chemie einnimmt, als selbstverständlich, und Stichproben bestätigen diese Erwartung. Nur wäre bei Hydraten vielleicht ein Hinweis auf die Werner 'sehen Anschauungen zweckmäßig gewesen, während — wenigstens nach Ansicht des Referenten — bei der Diskussion der Poly- kieselsäuren von strukturellen Vorstellungen wohl etwas zu reichlich Gebrauch gemacht ist. Ab- gesehen von solchen Kleinigkeiten muß das Buch als eine der besten Einführungen in die moderne Chemie, die zurzeit in deutscher Sprache vor- liegen, bezeichnet und kann daher rückhaltslos empfohlen werden. Berlin-Lichterfelde W 3. Werner Mecklenburg. Dr. Julius Hoffmann's Alpenflora für Alpen- wanderer und Pflanzen freunde. Mit 283 farbigen Abbild, auf 43 Taf, meist nach 686 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xin. Nr. 43 Aquarellen von Hermann Friese. In 2. Auflage mit neuem Text herausgegeben von Prof. Dr. K. Giesenhagen. Stuttgart '14, Schweizer- bart'sche Verlagsbuchhandlung. — Geb. 6 Mk. Das Buch ist für den Alpenwanderer bestimmt, dem es das Erkennen der auffälligsten Pflanzen- formen erleichtern soll. Ohne besondere botanische Kenntnisse vorauszusetzen, will es ihn in den Stand setzen, die wichtigsten Vertreter der schönen Alpen- flora zu bestimmen. Dies wird durch eine große Zahl sehr guter farbiger Abbildungen erreicht, die meist nach Aquarellen von Heimann Fr i ese hergestellt sind, sowie durch einen ausführlichen begleitenden Text, der für diese 2. Auflage von dem Münchener Botaniker Giesenhagen ver- faßt ist. Ausgeschlossen sind die sehr selten vorkommenden Pflanzen sowie die, welche auch außerhalb der Alpen gewöhnlich sind; doch werden hier und da auch Ausnahmen gemacht. P^erner ist dem Zweck des Buches entsprechend darauf verzichtet worden, solche Pflanzen zu berück- sichtigen, denen Erkennung dem Laien größere Schwierigkeiten macht, wie z. B. Vertreter der auch manchem Botaniker „unsympathischen" Familien der Umbelliferen, Kompositen, Gräser, Riedgräser usw. Immerhin ist aber z. B. von 4 neuen Tafeln eine den Gräsern gewidmet. Auf den übrigen dieser neuen Tafeln sind auch die aufrälligstcnp'arne, Moose, Lebermoose.undFlechten dargestellt. Die Beschreibungen und Bilder sind nach P^amilien angeordnet. Der Text, der mit großer Sorgfalt, Sachkenntnis und Liebe herge- stellt ist, enthält außer den Beschreibungen der Pflanzen auch Angaben über ihre Verbreitung, Umwelt, Lebensweise, ihren Nutzen, ihre "V^olks- namen sowie manche anderen wertvollen Notizen. Wir können das hübsche Buch, dessen Preis in Anbetracht der großen Zahl der farbigen Bilder als durchaus mäßig zu bezeichnen ist, jedem Alpenwanderer als wertvolles Ausrüstungsstück warm empfehlen. Miehe. Dr. H. Brunswig, Die Explosivstoffe. Ein- führung in die Chemie der explosiven X'orgänge. Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. Band 333 der „Sammlung Göschen", kl. 8^ 158 Seiten mit 9 Abbildungen und 12 Tabellen. Berlin und Leipzig 1914. G. J. Göschen'sche Verlags- buchhandlung m. b. H. — In Leinwand geb. 90 Pf. Die vorliegende kleine Schrift besitzt gerade jetzt, wo die Explosivstoffe inmitten unseres Erd- teiles ihre verheerenden Wirkungen in furchtbarster Weise ausüben, ein besonders aktuelles Interesse. Sie eignet sich für alle die, die mit den Grund- tatsachen und -theorien der Chemie bekannt sind, und wird sich unter ihnen zu den alten noch viele neue Freunde erwerben. Denn sie arbeitet, ohne die Praxis zu vernachlässigen, die theoretischen Grundlagen der Explosionsvorgänge sorgfältig heraus, eine Aufgabe, zu deren Lösung Bruns- wig als Verfasser des Bandes „Explosivstofi'e" in Bredigs „Handbuch der angewandten physi- kalischen Chemie" besonders befähigt erscheint. Die Darstellung ist im allgemeinen klar und sach- gemäß, nur hätte vielleicht ein etwas reichlicherer Gebrauch von Abbildungen und Diagrammen ge- macht werden können. Jedenfalls kann das Büch- lein in jeder Hinsicht empfohlen werden. Berlin-Lichterfelde W 3. Werner Mecklenburg. Jezek, B., AusdemReiche der Edelsteine. gr. 8". 171 p., 8 Bilderbeilagen und 8 Textfig. Prag 1914. E. Weinfurter. — Preis 3 Kronen. Es handelt sich um den Wiederabdruck von 13 P'euilleton-Artikeln, die seit Oktober 1912 in der Prager Tageszeitung „Union" veröffentlicht waren. Für den Fachmann bringen sie nichts Neues. Die Mehrzahl der Artikel behandelt böh- mische Edelsteine und Halbedelsteine. Im Vor- dergrunde der Behandlung stehen weniger natur- wissenschaftliche als ökonomische und historische Daten. K. Andree. Hägglund, E. (Stockholm), Hefe und Gä- rung in ihrer Abhängigkeit von Was- serstoff- und Hydroxylionen. Sonder- ausgabe aus der Samml. ehem. u. chem.-techn. Vorträge, Band 21. Verl. von Ferd. Enke, Stutt- gart. — Preis 1,50 Mk. Der Verfasser behandelt im wesentlichen den Einfluß von Säuren und Basen auf die alkoholische Gärung. Er unterscheidet da- bei, wie das jetzt seit den bahnbrechenden Ar- beiten E. Buchners allgemein üblich ist, zwi- schen ze 11 freier Gärung und solcher, die mit lebender Hefe vorgenommen wird. Der Hauptwert der Veröffentlichung liegt in der Wiedergabe der anscheinend sehr gewissenhaft vom Verfasser selbst systematisch aus- geführten Versuche. Ihr geht eine ziem- lich vollständige Zusammenfassung der bisher auf diesem Gebiet gezeitigten Ergebnisse voraus, so- wie ein kurze Betrachtung über die allgemeine Dynamik der Gärung und der Giftwirkung. Die eigenen Untersuchungen bestätigen in der Hauptsache die alten Befunde, daß sowohl die H-wie dieOH-Ionen bereits in sehr geringer Konzentration einen großen Einfluß auf die Gärtätigkeit ausüben. Dieser ist je nach der Konzentration und Eigenart der Säure hemmender oder anregender Art. Dabei kommt es nicht allein auf die Konzentration der H-Ionen an, sondern auch denAnionen kommt eine spezifische Wirkung zu, die z.B. bei der Oxalsäure, Salizylsäure und Phosphorsäure besonders auffällig ist. — Bei den Alkalien überwiegt der hemmende Einfluß auf die Gär- tätigkeit. Von dem Einfluß der H- und OH-Ionen auf die Gärtätigkeit ist derauf dieHefee nt Wick- lung, d. h. das Wachtum der Zellen, scharf zu trennen : Es kann bei starker Hemmung der Gär- tätigkeit nur ein geringer Einfluß auf das Wachs- tum vorhanden sein und umgekehrt. — Alkalien N. F. Xin. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 68 5 wirken, wie der Verfasser nachweisen konnte, aus- schließlich schädlich auf die Hefeentwicklung. Den besprochenen Einfluß der H- und OH- lonen auf die Gärungsenzyme führt der Verfasser auf eine chemische Umsetzung zurück, wobei die Enzyme als Ionen fungieren. Dr. Herm. Meng-el. Die Ansiedlung von Europäern in den Tropen. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 147. Bd., I. bis 4. Teil. München und Leipzig, 1912— 1914. Duncker und Humblot. Im Jahre 1910 beschloß der Verein für Sozial- politik die Vornahme einer Erhebung über die Ansiedlung von Europäern in den Tropen, wobei besonders auf die Frage einzugehen war, ob sich die weiße Rasse in den Tropen dauernd zu erhalten vermag. Bisher wurden vier Hefte der Schriften des Vereines ausgegeben, die diesen Gegenstand behandeln. Das i. Heft enthält den Bericht der im Jahre 1908 unter Führung des ehemaligen Unterstaatssekretärs Dr. v. Linde- quist nach Ostafrika entsandten Kommission ; Heft 2 unterrichtet über die Zustände in Mittel- amerika, auf den kleinen Antillen, sowie in Nieder- ländisch- West- und Ostindien ; Heft 3 enthält Auf- sätze über Natal, Rhodesien und Britisch-Ostafrika; Heft 4 behandelt Britisch-Kaffraria und seine deutschen Siedelungen. Die von verschiedenen Autoren geschriebenen Abschnitte stützen sich auf mehr oder minder reiches Tatsachenmaterial. Beim Lesen der Berichte gewinnt man den Ge- samteindruck, daß die europäischen Ansiedler überall in den Tropen mit den Widerwärtigkeiten des Klimas schwer zu kämpfen haben. Im wirt- schaftlichen Konkurrenzkampf sind sie als Unter- nehmer den Farbigen freilich überlegen und vermögen nennenswerte Erfolge zu erzielen, während andererseits so gut wie nirgends in den Tropen ein Bedürfnis nach einer weißen Arbeiterbevölkerung vorhanden ist ; im Gegenteil, eine solche könnte den Wettbewerb mit den Eingeborenen nicht bestehen. — In den britischen Kolonien in Afrika haben sich die Weißen als Rasse erhalten, die Kreuzung mit Farbigen ist dort nicht von Belang. In den mittel- amerikanischen Ländern sowie in Ostindien findet jedoch legitime und freie Vermischung der Weißen und F'arbigen statt, und wo nicht ein beständiger Nachschub von Kolonisten aus der Heimat statt- findet, geht die weiße Rasse in der Eingeborenen- bevölkerung auf. H. Fehlinger. Wetter-Monatsübersiclit. Während des diesjährigen September wech- selte das Wetter in Deutschland mehrmals seinen Charakter. Anfangs war es überwiegend heiter, trocken und sehr mild; aber bald nach dem 10. stellte sich kühles, regnerisches, unfreundliches Herbstwetter ein, das mit einer mehrtätigen Un- terbrechung bis zum Ende des Monats anhielt. In seinen ersten Tagen wurden noch im größten Teile des Binnenlandes sehr häufig 2c," C. über- schritten, am 3 , 6. und 7. stieg das Thermo- meter in Remscheid, am 9. in Halle, Dresden und Dahme in der Mark bis auf 30" C Auch die in der vorstehenden Zeichnung wiedergegebenen mittleren Temperaturen lagen in dieser Zeit mei- stens über 15 und um den 10. September stellen- weise sogar über 20" C. Zwischen dem 10. und 13. aber fand überall eine starke Abkühlung statt, die nach kurz vorübergehender neuer Erwärmung ' " " /WiHlererWert fiir Deutschland. mm 1 ■ ' ' 24bi=27 5co(' [ ^,._ / 1 r t . ' , 1 11 iJ mm [ 1 — ™~i — •- '111 n ■ L illb^' J 1 ■■.■■■ ■-■■bI -_ bIH Jlanalssumme>n 5ep sich bis gegen Ende des Monats langsam fortsetzte. Der Himmel war seit dem 11. überwiegend be- wölkt. So oft er sich aber in den Nachmittags- stunden aufklärte, kühlte sich die Luft in der fol- 688 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 43 geiiden Nacht um so stärker ab. In der Nacht zum 25. sank das Thermometer in Ilmenau und Lindau, in der Nacht zum 26. in Erfurt bis auf den Gefrierpunkt, Ansbach brachte es auf einen Grad Kälte. Die mittleren Temperaturen des Monats kamen in Norddeutschland ihren normalen Werten meist sehr nahe, während sie im Süden beinahe einen Grad zu niedrig waren. Dagegen war die Zahl der Sonnenscheinstunden, infolge der geringen Bewölkung des Monatsanfanges durchschnittlich etwas höher als gewöhnlich; beispielsweise hatte Berlin im ganzen 166 Stunden mit Sonnenschein zu verzeichnen, 27 Stunden mehr als im Durch- schnitt der 22 früheren Septembermonate. Meßbare Niederschläge waren bis zum il. Sep- tember in Nordost- und Süddeulschland recht selten und blieben im Nordwesten sogar fast voll- ständig aus. Zu dem Mangel an Regen, durch den das Wachstum der Futterpflanzen und der Hackfrüchte sehr beeinträchtigt wurde, kamen seit dem 6. September den Erdboden noch weiter austrocknende östliche Winde hinzu. Erst nachdem am 12. in den meisten Gegenden ergiebige Regen- fälle eingesetzt hatten, wurde der Boden zur Weiter- führung der Herbstbestellung hinreichend gelockert. Zwischen dem 12. und 23. wiederholten sich die Regenfälle in größerer oder geringerer Stärke fast täglich. Sie waren mehrmals von stürmischen Westwinden und stellenweise von Gewittern be- gleitet. Besonders wurde am 18. und 19. das Ge- biet zwischen der unteren Elbe und Weser von einem schweren Nordweststurm und un- gewöhnlich heftigen Regengüssen betroffen, die vorübergehend zu einer Sturmflut führten. Bis zum Morgen des 19. wurden z. B. in Ham- burg 06, in Cuxhaven 44, in Bremervörde Jl und in Wilhelmshaven 33 mm Niederschlag gemessen. Nach wenigen ruhigeren und im allgemeinen trockenen Tagen traten am 28. September an der Nordküste abermals Weststürme ein und gingen wieder in den meisten Gegenden Regen- fälle hernieder, die zuletzt besonders östlich der Oder ergiebig waren. Die Niederschlagsumme des ganzen Monats belief sich für den Durch- schnitt aller berichtenden Stationen auf 86,5 mm, während die gleichen Stationen in den früheren Septembermonaten seit 1891 nur 62,5 mm Regen geliefert haben. * Die allgemeine Anordnung des Luftdruckes in Europa wies mehrmals so bedeutende Druck- unterschiede auf, wie sie im ersten Herbstmonat nicht sehr häufig vorzukommen pflegen. In seinen ersten Tagen zogen mäßig tiefe Barometerdepres- sionen von Nordskandinavien ins Innere Rußlands hinein, während ein ziemlich hohes Maximum von Westeuropa in etwas südlicherer Breite nach- folgte. Zwischen dem 12. und 15. September aber erschienen auf dem Nordmeer rasch hinter- einander mehrere außerordentlich tiefe Minima und drangen in Begleitung stürmischer Winde eilends südostwärts vor. Noch tiefer war ein neues Minimum, das am 18. September von Schottland nach der südlichen Nordsee und Ost- see eilte. Nachdem sodann wieder ein umfang- reiches Hochdruckgebiet von West- nach Mittel- europa vorgedrungen war, traten am 27. und 28. auf der skandinavischen Halbinsel wiederum sehr tiefe Minima auf, die in Deutschland abermals stürmisches, regnerisches Wetter herbeiführten. Dr. E. Leß. Anregungen und Antworten. Dr. P. W. in G. In A. Berg, Geographisches Wander- buch (Prof. Dr. Bistian Schmid's Naturwissenschaftliche Schüler- bibliotheli Bd. 23 — B. G. Tcubner, Leipzig 1914, Preis geb. 4 Ml;.) findet sich auf S. Iio — 116 eine ausführliche Anleitung zur Herstellung von Reliefs auf Grund der Maße der Meßtischblätter aus einer Grundlage von übereinandergeschich- telen Papp- bzw. Holztafeln und Ausfüllung der Zwischen- räume mit Modelliermasse. Eine Grundlage aus Holz bzw. Pappe ist nicht zu entbehren, da Plastilin ziemlich teuer ist. Es ist aber die beste Modelliermasse, da Töpferton leicht Risse bildet; er trocknet allerdings schneller als Plastilin. Dieses ist in sehr guter Qualität von Günther Wagner, Han- nover, unter dem Namen ,,Nakiplast", das Kilogramm zu 1,60 Mk. in verschiedenen Farben zu beziehen. Um das teure Plastilin immer wieder verwenden zu können, wird empfohlen, nach dem farbigen Holz-Plastilin- Modell ein Gipsmodell für dauernde Erhaltung zu formen, wozu P. Groß eine Anleitung gibt in der ausgezeichneten Zeitschrilt: ,,Die Arbeitsschule", Monatsschrift des deutschen Vereins für Knabenhandarbeit und Werkunterricht (Verlag Quelle & Meyer, Leipzig. — Bezugspreis jährlich 3 Mk.). Der sehr lesenswerte Aufsatz ist betitelt: „Werkarbeit und Werk- stattübungen im Dienste des erdkundlichen Unterrichts" (Jahr- gang Ig 14, Heft 6). Auch die Bemalung des Reliefs nach geologischen Gesichtspunkten ist bei Berg und Groß ein- gehend geschildert. Ferner ist zu erwähnen ein Aufsatz von Reisig, Modellieren im geographischen Unterricht (Die Arbeitsschule, Jahrg. 1912, Heft 7/8). Dr. G. Hornig. M. H. Die übersandten Käfer ließen sich leicht be- stimmen als Tribolium femigineum Fabr., aus der Familie der Tenebrionidae, wohin Tenebrio molitor = Mehlkäfer gehört. Sie leben an schimmeligen Hölzern, in verschiedenen Spezereicn und allem Brot. F. Hempelmann. Inhalt: v. Bilguer: Die afrikanische VVasserfrage. Frank: Die Bedeutung der Astrophotographie. — Einzelberichte: Bill: Über Crustaceen aus dem Voltziensandstein des Elsasses. v. Kriramel: Antike Samen aus dem Urient. Zenneck: Demonstration und Photographie von Strömungen im Innern einer Flüssigkeit. — Kleinere Mitteilungen: Hundt: Zwei lehrreiche Profile aus dem Frankenwald. Zwei Natururkunden. Wright: Neue petrographischc Mikro- skope. SeUheim: Eugenik. — Bücherbesprechungen: Diapositive zu H. Potonie's Entstehung der Steinkohle. Janson: Das Meer, seine Erforschung und sein Leben. Schaefer: Einführung in die theoretische Physik. Brohmer: Fauna von Deutschland. Knauer: Der Zoologische Garten. Weinberg: Die Kinder der Tuberkulösen. Zenetti: Die Entstehung der schwäbisch-bayrischen Hochebene. Ramsay: Moderne Chemie. Hoffmann: Alpenflora für Alpenwanderer und Pflanzenfreunde. Brunswig: Die Explosivstofi'e. Jezek: Aus dem Reiche der Edelsteine. Hägglund: Hefe und Gärung in ihrer Abhängigkeit von Wasserstoft- und llydroxylionen. Die Ansiedlung von Euro- päern in den Tropen. — Wetter-Monatsübersicht. — Anregfungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. IL, Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzen Reihe 29. Band. Sonntag, den i. November 1914. Nummer 44. Die Mammutflora von Borna. [Nachdiuck verboten.] Von Dr. E. Eins der schönsten und besterhaltenen M a m - mutskelette, die unsere naturhistorischen Samm- lungen zieren, ist das durch große, stark gebogene Stol3zäline besonders ausgezeichnete des Museums für Völkerkunde zu Leipzig. Es stammt aus dem Diluvialgebiet südlich von Leipzig und wurde im Dezember 1908 in einer Ziegeleigrube im VVyhra- tale bei Borna ausgehoben. Der von Professor F"elix' (Veröffentlichungen des Städtischen Mu- seums für V^ölkerkunde zu Leipzig, Heft 4, Leipzig 1912) ausführlicli bearbeitete Fund ist deswegen noch von ganz besonderem wissenschaftlichem Interesse, weil sich mit ihm in derselben Fundschicht — einem grauen, sandigen Tone — neben einem Stück einer Renntierstange zahlreiche P f 1 a n - zenreste gefunden haben; diese mußten uns einen Einblick gewähren in die Vegetation, welche das Mammut bei Lebzeiten umgab, und aus wel- cher letzteres seine Nahrung entnahm. Ferner mußte die Untersuchung dieser Pflanzenreste über die wichtige Frage des Waldwuchses während der glazialen Phasen des Eiszeitalters Licht verbreiten und schließlich überhaupt einen wertvollen Beitrag liefern zur Geschichte der Pflanzenwelt unserer Heimat. Es ist daher mit Irrenden zu begrüßen, daß diese wichtige pflanzenführende Fundschicht, die heute zum großen Teil abgebaut, im übrigen aber verschüttet und nicht ohne weiteres mehr zugänglich ist, durch einen der berufensten P'achleute eine eingehende und kritische Be- arbeitung erfahren hat. C. A. Weber in Bremen hat die Resultate seiner Untersuchun- gen kürzlich (im i. Hefte des XXIIL Bandes der Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins zu Bremen [Bremen 1914]) der (Öffentlichkeit über- geben. Da nur eine möglichst sichere Einordnung derartiger Funde in die Glazialchronologie die Gültigkeit der aus ihnen für die Geschichte der Pflanzenwelt gezogenen Schlüsse gewährleistet, so sei mir im Anschluß an die Weber'sche Arbeit an dieser Stelle ein kurzes Eingehen auf die Bornaer Mammutflora mit besonderer Berück- sichtigung des angedeuteten Punktes gestattet. Der Hauptcharakter ist der Flora der Mammutschicht durch das Überwiegen der Moose gegeben, die stellenweise in solchen Mengen auftreten, daß man die betreffenden Lagen fast als sandigen Moortorf bezeichnen könnte. Die Moose werden daher auch die Physiognomie des Vegetationsbildes in der Umgebung der Fund- stelle bestimmt haben. Vorwiegend aus //>/- nuDi vcniicosuni und H. iiitcrnicdinm zusammen- gesetzte Mooswiesen werden die Wasseransamm- lung umsäumt haben, in der ihre Reste zusammen Werth. mit dem Mammutkadaver eingebettet wurden. Wie die genannten Arten verlangt auch die Mehr- zahl der übrigen gefundenen Moose ähnliche Feuchtigkeitsverhältnisse und setzt ein sehr nasses, womöglich gelegentlich überschwemmtes Gelände voraus. Von den Blütenpflanzen , deren Reste die Fundschicht lieferte, kommen unter gleichen Be- dingungen vor: Erioplwnim Schciiclizcri, E. aii- otisfi/otitiiii, Carcx rostrata, C. lasiocarpa, Raiuin- culus JiypcrborcHS und CoDiariim paliistre, ferner auch wohl Rainiiiculus acer und Coroiiaria ßus ciicnli. Daneben finden sich aber auch Reste von Pflanzenarten, die trocknere Standortsverhältnisse erheischen. Von Moosen sind hier zu nennen: Disficliiiiii capillacciiiii, Dcsiiia/odcii latifoliits var. vutticiis, Tartiila riiralis, T. aciphylla , Ai)ibly- stcgiiim scrpcjis, Hypmim chrysopliyUitm, H. haiiiu- losiiiii, H. polygamiim, H. profensiim, von Blüten- pflanzen : Salix polaris, S. licrbacea, S. myrsinites, Silciie i)ißata, Potciitilla aiirea, Arabis saxafilis und ^-Inncria arciica. Es ergibt sich mit größter Wahrscheinlichkeit, daß die Umgebung der Mammutfundstelle aus Moos wiesen gebildet wurde „mit einem lücki- gen Bestände von Gräsern, Seggen und besonders von Wollgräsern . . ., die zeitweilig ziemlich naß und wahrscheinlich hier und da mit trockenen Bülten durchsetzt waren, auf denen Zwergweiden, vereinzelte Ericaceen und einige niedrige Blumen- stauden in dem sie sonst überziehenden Moosrasen wuchsen". Dazu kommt eine an Arten und Individuen geringe Zahl von Wasserpflanzen : Nifclla flcxilis, Flypiiiim ßnitaiis, BafracJiium spec. , allenfalls auch Ilypiiiim exaimtlaimn , IL piirpitrasccus var. rofac , Scorpidiiiin scorpioides , Raiiiiiiciiliis liyperboreiis. Häufiger fanden sich die Steinkerne zweier Pofarnogeton - Arten : P. piisilliis und P. filifonnis, namentlich diejenigen des ersteren. Was die wichtige Frage des Bau m wuc hses in jener eiszeitlichen Periode angeht, der die in der Mammutschicht abgelagerten Pflanzenreste entstammen, so können nach Weber auf solchen nur ein paar Pollenkörner von Pinus , sowie ein Stück abgerollte Rotföhrenborke hinweisen. Bei der guten Erhaltung und dem reichlichen Vor- kommen von Pollenkörnern anderer Pflanzen scheint es undenkbar, daß Föhrenpollen in größerer, auf einen reichlichen Bestand des Baumes in der Gegend der Fundstätte weisenden, Menge in der Ablagerung vorhanden gewesen ist. Wenn nicht das gefundene Rindenstück — was bei seinem ab- 690 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 44 gerollten Zustande nicht unmöglich ist — gar aus einer älteren, bereits denudierten Schicht stammen sollte, so lassen die Tatsachen doch nur den Schluß zu, daß die Kiefer zur Zeit der Ablage- rung der Mammutschicht nur ganz zerstreut in der Nähe der Fundstelle aufgetreten ist. Dasselbe gilt für die Beurteilung der wenigen Pollenkörner von Bctitla, die sich an mehreren Stellen des ge- bankten Teiles der Schicht fanden, wenn sie nicht überhaupt — was am wahrscheinlichsten deucht — auf strauchartige Birken wie Bct/ila nana zu beziehen sind. Auch die spärlich aufge- fundenen Pollenkörner von Weiden können kaum auf ausgedehntere höhere Weidengebüsche, wie sie noch im südlichen Westgrönland vorkommen, deuten und gehören mit größter Wahrscheinlich- keit den allein in Blattresten in der Fundschicht vertretenen Zwergweiden {Salix polaris, S. iiiyrsi- iiitcs, S. licrbacca) an. Wir gelangen mithin zu der Vorstellung, daß in bezug auf den I^aumwuchs die B o r n a e r Gegend damals ein ähnliches Bild geboten haben muß, wie heute etwa die Gebiete der arktischen Baumgrenze. Daß diese, zumal diejenigen Europas, auch sonst eine ähnliche Zusammensetzung ihrer Vegetation erkennen lassen, zeigt Weber des weiteren aus- führlich. Fig. I. Blau von Salix polaris Wahlbg. s'/i/l. (Original.) Fig. 2. Frucht von Pottntilla atirca L. 15/1. (Original.) Die Mehrzahl der Pflanzenarten der Fundschicht hat gegenwärtig eine sehr weite Verbreitung, die sich über die Arktis, das alpine Gebiet der ge- mäßigten Zone sowie das mitteleuropäische Tief- land erstreckt. Ihnen schließen sich einige Arten an, die klimatisch gemäßigte Gebiete bevorzugend nur unter günstigeren lokalklimatischen oder sonstigen Verhältnissen auch in der Arktis wie in den alpinen Lagen der gemäßigten Zone vor- kommen: Urtica dioica, Corona ria flos citciili, Silciic inßata, Carduus oder Cirsiiim. Eine klei- nere Zahl der gefundenen Pflanzenarten dagegen ist auf klimatisch enger umgrenzte Regionen be- schränkt. Unter den hierher gehörenden Blüten- pflanzen der Bornaer Fundschicht sind heute: arktisch alpin Salix polaris Arabis saxatilis Ranunciilus liyperborcus Potcntilla aiirca Armeria arctica arktisch -alpin EriopJioriim Scheuch zeri Salix hcrbacea Salix iiiyrsinitcs. Von diesen Pflanzen sind wohl am häufigsten in dem Fundmateriale die arktische Salix polaris — eine der bekanntesten Pflanzen aus glazialen Ablagerungen Pluropas — und die alpine Potcn- tilla aiirca, die mit Sicherheit bisher in glazialen Ablagerungen noch nicht angetroffen war. Beide können mithin als die charakteristischsten Blüten- pflanzen der Mammutschicht von Borna gelten und sind in V\g. i — 3, zusammen mit der eben- falls nicht seltenen Salix herbacca als Vertreter der heute arktisch-alpinen Gruppe, in ihren in der Fundschicht uns erhalten gebliebenen Teilen wiedergegeben. Die Hauptcharaktere der Vegetation aus der Fundschicht sind nach dem Gesagten: „Baum- losigkeit oder größte Baumarmut, ein Vorherrschen indifferenter Typen, das Vorkommen einer Anzahl von Arten, die an arktische oder alpine Verhält- nisse gebunden sind, und endlich das einiger, die nur unter günstigeren Umständen dort zu gedeihen vermögen. Vegetationen mit annähernd ähnlichen Charakteren begegnen uns gegenwärtig in dem arktischen Baumgrenzgebiete des nördlichen Nor- wegens und südlichen und südwestlichen Islands. In beiden Ländern treten in der im allgemeinen indiffe- renten Hauptmasse der Vege- tation mehr oder minder reichlich arktische und ark- tisch-alpine Typen und da- neben auch hier weniger, dort mehr einzelne Vertreter südlicherer gemäßigter Zo- nen auf." Daß die klima- tischen Verhältnisse dieser genannten Länder nun nicht ohne weiteres auf die Nach- barschaft Bornas in jener eis- zeitlichen Periode, der die pflanzenführende Ablage- rung entstammt, zu übertragen sind, ergibt sich aus der kontinaleren Lage der Fundstätte an sich und der notwendigerweise zur Eiszeit noch dazu kom- menden Verschärfung des kontinentalen Klima- charakters durch die Inlandeismasse. Das Klima war in Borna sehr wahrscheinlich ein ausge- sprochen kontinentales und wir werden dort zu der in Rede stehenden Zeit kältere Winter und wärmere Sommer gehabt haben , als heute an der arktischen Westküste Norwegens und auf Island. Unter dem Einflüsse sehr kalter Winter blieben vielleicht auch während eines großen Teiles des Sommers die Bodentemperaturen in geringer Tiefe unter dem physiologischen Minimum, das die tiefer reichenden Wurzeln von Bäumen zur unge- störten Ausübung ihrer Funktion nötig haben, während zugleich heftige und während der Vege- Fig. 3. Blatt von Salix herbacea L. y'/a/'- (Original.) N. F. Xm. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 691 tationszeit häufige Winde den Baumwuchs ver- kümmern ließen. Die bezeichneten beiden F'ak- toren beherrschen, wie K i h 1 m a n n auf der Halb- insel Kola nachgewiesen hat, an der dortigen arktischen Baumgrenze das gesamte Pflanzenleben. „Auf jeden Fall haben wir das Fernbleiben des Waldes in den Besonderheiten des mitteleuro- päischen glazialen Klimas zu suchen", das sich von dem der Arktis und der Hochalpen, wenigstens zum Teil, durch den kontinentalen Charakter (ähnlich der arktischen und subarktischen Steppe) unterscheidet. Unter solchem Klima lebte also bei Borna eine Pflanzenwelt, die sich vorwiegend aus Arten von weiter Verbreitung zusammensetzte, denen aber eine Anzahl von Formen beigemengt war, die heute zum Teil auf das arktische, zum Teil auf das alpine Gebiet beschränkt, teils aber diesen beiden gemeinsam sind. Dazu kommen einige Arten, die gegenwärtig das gemäßigte Klima be- vorzugen und nur unter günstigeren Verhältnissen in die Arktis vordringen. „Baumwuchs fehlte oder war allerhöchstens durch vereinzelte Birken und Föhren in der weiteren Umgebung der Fundstätte vertreten". Wie weit sich diese baumfreie Zone vor dem Inlandeisrande südwärts erstreckte, wie breit mit anderen Worten der „Tundragürtel" vor dem Landeise gewesen ist, läßt sich erst nach der folgenden Feststellung des geologischen Alters der Bornaer Fundschicht angeben. Die „altalluviale" Talterrasse der Wyhra, in deren Liegendem sich die tonige Mammutfund- schicht von Borna befindet und die sich auf der linken Talseite des Flusses von oberhalb Plateka über Borna bis gegeriüber Witznitz erstreckt, ist topographisch im allgemeinen schlecht ausge- prägt und fügt sich fast als sanfte Abdachung zwischen Diluvialplateau und Talaue ein. Von letzterer ist sie (vgl. Erläuterungen zur geologi- schen Spezialkarte Sachsens, Sektion Borna- Lob- stedt, S. 42) wenigstens lokal durch eine ausge- sprochene, etwa 2 m hohe, Böschung abgegrenzt, ihre Grenze gegen den Abfall des Diluvialplateaus dagegen scheint nirgends deutlich ausgeprägt zu sein. Man könnte daher zunächst Zweifel an der Reellität dieser Terrasse als eines selbständigen Gebildes hegen und sie einfach als sehr sanft ge- böschten Abfall des Diluvialplateaus auffassen. Ihre Selbständigkeit ergibt sich jedoch aus ihrem petrographischen Charakter. Die Terrasse besteht aus einem sandigen Lehme, der in bräunlichen, gelblichen und grauen Lagen wechselnd sowie durch kiesige Streifen im ganzen horizontal geschichtet erscheint und nur in der Nähe des Gehänges des Diluvialplateaus und wo kleine Talfurchen die Terrasse durchschneiden, gröberes, offenbar aus dem Höhendiluvium abge- schwemmtes Material enthält. So hebt sich die Terrasse selbst wie auch ihre Unterlage, die blau- grauen, sandigen (bis ca. 3 m Mächtigkeit er- reichenden) Tone der Mammutschicht, deut- lich als selbständiges Gebilde von den Schottern und dem Geschiebelehm des anstoßenden Diluvial- plateaus ab. (Wie schon eingangs erwähnt, ist die Fundstelle durch den Abbau des Tones zu Ziegeleizwecken stark zerstört; die Terrasse ist hier nur noch in wenigen Teilen erhalten und alles tiefer liegende verstürzt, verschüttet und ver- wachsen. Ich bin daher Herrn Ziegelmeister Pfeil zu ganz besonderem Dank verpflichtet, daß er bei meinem Besuche die große Mühe nicht scheute, unter Benutzung eines der alten Schürfe Prof. Weber 's, das Profil bis in die pflanzenführenden Mammuttone hinein wieder aufzugraben und mir so einen vollen Einblick in die Lagerungsverhält- nisse zu gewähren.) Es ist für unsere Frage gleichgültig, ob wir uns die „altalluviale" Terrasse im wesentlichen durch den Hauptfluß des Tales entstanden denken oder sie der Hauptsache nach auf die kleinen periodischen Rinnsale zurückführen wollen, die seitlich vom Plateau herabkommen und ihre Schuttmassen in das Haupttal vorschieben. Wesentlich ist, daß die Terrassenlehme und die sie unterlagernden Mammuttone erst zur Ab- lagerung gelangen konnten, nachdem in die älteren Schotter und den überlagernden Geschiebelehm die Talfurche der Wyhra eingeschnitten worden war. Es müssen daher die Terrassenlehme und die Mammutschichten in ihrem Liegenden wesent- lich jünger sein, als der Geschiebelehm, von dem die Altersbestimmung am vorteilhaftesten auszu- gehen hat. Dieser Geschiebelehm ist in weiter Ausdehnung, wie die Kartenblätter der sächsischen geologischen Landesaufnahme dartun, von einer zusammen- hängenden Decke von Löß oder Lößlehm überspannt und wird allgemein als Grundmoräne der vorletzten Eiszeit angesehen. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte vor, welche ihn einer (noch) älteren Eiszeit zuweisen ließen, un- bekümmert darum, welcher nordischen Vereisung wir die weiteste Ausbreitung nach Süden zu- schreiben wollen. Außerdem befinden wir uns an der Fundstätte von Borna ganz zweifellos weit südlich der Maximalgrenze der Ablagerungen der letzten, mit der W ü r m - Vereisung im Alpen- vorlande zu parallelisierenden, Eiszeit. Als Grenze dieser letzten nordischen Vereisung in dem Ge- biete nördlich von Leipzig gilt gemeinhin — vor allem auch nach dem Kartierungswerke der Kgl. Preußischen Geologischen Landesanstalt — im wesentlichen der Endmoränenzug, der von Burg bei Magdeburg über Beizig, Dahme, Sprem- berg usw. verlaufend den Höhenrücken des Fläming und des Niederlau sitzer Grenz- walles krönt. Hierbei soll es jedoch nicht aus- geschlossen sein, daß der letzteiszeitliche Glet- scher gelegentlich noch mit seinem Rande um weniges diese Linie überschritten hat ohne eine markante Moräne aufzuschütten. Unmittelbar süd- lich des genannten Endmoränezuges, dessen nähere Beschreibung zugleich mit einer Begründung seines Charakters als Ju ng-Endmoräne ich früher (Zeit- schrift für Gletscherkunde, Bd. II, 191 2, S. 250 — 277) 692 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 44 gegeben habe, treffen wir in den Braunkohlen- tagebauen der Se nfien berger Gegend auf die erste viele Meter tief verwitterte (irundmoräne (Geschiebemergel), wie sie für das ältere Glazial als bezeichnend und charakteristisch gilt. Nicht berührt wird aber hiervon ein End- moränenzug, der das Plateau von Gräfe n- h a i n i c h e n durchzieht und sich gegen Westen und Nordwesten über die Gegend von Köthen und Kalbe ins iVIagdeburgische fortzusetzen scheint und den ich (a.a.O.), in Übereinstimmung mit mehreren anderen Autoren, wegen bestimmter morphologischer Eigentümlichkeiten als „zer- schnittene Jungmoräne" ebenfalls noch der letzten Vereisung zurechnen zu müssen glaube. Sei dem aber wie ihm wolle, soviel steht für jeden im norddeutschen Tief lande sich auskennenden Glazial- forscher fest, daß der weiter südlich folgende Moränenzug, der gleich westlich und nördlich von Leipzig teils in wallförmiger Gestalt, teils als viel- kuppiges Hügelgelände erscheint, und der nach Osten weiter über die Gegend nördlich von Dresden bis räch Kamenz zu verfolgen ist, dem älteren Glazial zugerechnet werden muß. Eine Zuweisung dieses Endmoränenzuges zur letzten Eiszeit oder die Bezeichnung desselben als Grenzmarke des letzten Inlandeises bedarf einer ausführlichen Be- gründung und kann nicht durch einfache Behaup- tung geschehen, wie es R. R. Schmidt in seinem Werke „Die diluviale Vorzeit Deutschlands" mit Bezug auf die hocinvichtige paläolithische Station von Markkleeberg bei Leipzig versucht. Die.'^er zuletzt bezeichnete sog. Taucha'er Moränenzug nun grenzt im Norden das Geschiebe- lehm- und Lößplateaugebiet ab, welches sich süd- lich und südöstlich der sächsischen Hauptstadt ausdehnt und auch die Fundstätte der Bornaer Mammutflora umfaßt. Steht so die Zuweisung des Bornaer Geschiebe- lehms zur vorletzten — der alpinen Riß- Eiszeit zu parallelisierenden — Vereisung außer Frage, so wird dieses noch durch die nähere Altersbestimmung des in seinem Hangenden be- findlichen , sehr häufig von ihm aber durch ein deutliches Denudationsgebilde, eine sog. „St ein - sohle" getrennten, Lößes oder Lößlehmes noch bekräftigt. Dieser Löß fügt sich durch seine Be- schaffenheit und seine Verbreitung der allgemeinen Lößdecke des norddeutschen Randdiluviums, die allgemein als , jüngerer Löß' auf die Haupt- lößablagerung zurückgeführt wird, ein, und keiner- lei Anhaltspunkte gestatten seine Zuweisung etwa zu einem „älteren Löß". Dieser (jüngere) Löß nun ist, wie ich ver- schiedentlich auseinandergesetzt habe, und wie es auch der fast allgemein heute herrschenden An- sicht entspricht, seiner Enlstehungszeit nach in das Maximum der letzten (Würm-)Vereisung zu verlegen : ,,Das Fehlen des Löß in dem ausgedehn- ten Gebiete der zweifellos] ungglazialen. Ablagerungen und Oberflächenformen (größter Teil Norddeutsch- lands, Dänemark, Schweden, h'innland und nord- wosiliches Rußland) zwingt uns die Vorstellung auf, daß seine Ablagerung vor dem definitiven Rückzuge des letzten Inlandeises vom Maximal- stande seiner Ausdehnung vollendet gewesen war. Die allgemeine Lößbedeckung der (älteren) Mo- ränen am Saume des Glazialdiluviums läßt den Löß jünger erscheinen, als die vorletzte (weiter ausgedehnte) Vereisung. Sein vollständiges Fehlen aber in den Untergrundschichten der jüngsten Moränen trotz der zahllosen bekannten Interglazial- profile schließt seine Bildung in der letzten Inter- glazialzeit aus. Es bleibt damit für die Ablagerung des jüngeren Löß nur der Höhepunkt der letzten Eiszeit übrig. Hiermit im Einklang steht die im Löß auftretende Fauna von (eiszeitlichem) arktisch -kontinentalem Gepräge (Elcpl/as prum- gcniiis, Rhinoccros ticliorrliiiins, Ovibus iiioscliatus, Rangifcr farmidus, Eqmis caballiis usw.) sowie die Tatsache, daß die im Löß gefundenen mensch- lichen Artefakte denen der sicher (im lokalen Sinne) nacheiszeitlichen Magdalenienkultur bereits außerordentlich äiineln" (Werth, Die äußersten Jugendmoränen in Norddeutschland . . ., Zeitschr. f. Gletscherkunde, VI, 191 2, S. 276). Das würmeiszeitliclie Alter des Löß schließt aber ein, von Weber befürwortetes, riß-würm- interglaziales Alter der die Mammutschicht be- deckenden — fossilfreien — Terrassenlehme aus. Denn diese Terrasse müßte dann, ebenso wie das Diluvialplateau mit seiner Rißmoräne nebenan, eine Lößdecke tragen , die aber (abgesehen von gelegentlichen verschwemmten — und auch von Weber ausdrücklich als solche erkannten — Partien) durchaus fehlt. Es muß damit die Ter- rasse selbst unbedingt jünger oder frühestens gleich alt sein mit dem Maximalstaiide des jüngsten (VVürm-)Eises, dessen Rand ca. 65 bzw. 100 km weiter nördlich lag. Das unmittelbare Liegende der Terrassenlehme, die Mammuttone mit ihrer glazialen Flora und P'auna, werden damit schwer- lich in eine frühere Phase als die beginnende letzte Eiszeit verlegt werden können. Die Zeit ihrer Bildung ist getrennt von dem ungefähren Maximum — wir befinden uns in Borna nur noch 49 km von der Südgrenze der nordischen Ge- schiebe — der vorletzten (Riß-)Eiszeit, die durch den Geschiebelehm des Diluvialpleteaus repräsen- tiert wird, durch die zur Ablagerung der „jüngeren diluvialen Schotter" im Liegenden des Mammut- tones und zum vorherigen Einschneiden des Wyhra- tales notwendige Zeit. Hierfür würde das Aus- gehende der Riß-Vereisung und das Riß-Würm- Interglazial zur Verfügung stehen. Die „altalluviale" Terrasse des Wybratales bei Borna ist damit gleichaltrig den früher gleichfalls als „Altalluvium" bezeichneten Terrassen in den Urstromtälern Norddeutschlands, die zum Teil in unmittelbarer Beziehung stehen zu den Maximal- und den Rückzugsmoränen der letzten (Wurm-) Eiszeit. Legen wir großen Wert auf die vom Inlandeise ausgehende Stauwirkung auf die ihm von Süden entgegenfließenden Flüsse und bringen N. F. XIII. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 693 damit in Zusammenhang die Aufhöhung des Tal- Terrasse nicht durch organische Einschlüsse ein- bodcns der alten Wyhra, dessen Rest uns in der wandfrei erwiesen ist. Nun ist aber nach den heutigen Terrasse erhalten ist, so werden wir ge- obigen Ausführungen der n i ch t interglaziale neigt sein, die Bildung dieser Terrasse, d. h. die Charakter dieser Terrasse schon durch den Mangel Ablagerung der Terrassenlehme in das Maximum einer Lößdecke darauf erwiesen. Letzt-(riß-würm-) der letzten Eiszeit zu verlegen und die der unter- interglaziale Ablagerungen verlangen eine Be- lagernden fossilführenden Tone in das zugehörige deckung durch die jüngste (Würm-)Moräne bzw. Frühglazial. Führen wir die Ablagerung der deren fluvialglaziale Äquivalente oder, außerhalb Terrassenlehme aber auf irgendwelche lokalen des Bereiches der letzten Vereisung — ich erinnere (oder klimatischen?) Verhältnisse zurück, so kann nur an das als älteste bekannte paläolithische sie ebenso gut in einer späteren Phase der letzten Eiszeit ge- schehen sein. Jedenfalls kann aber, dem Charakter seiner or- ganischen Einschlüsse(Mammut, Ren) wegen der unterlagernde Ton seiner Entstehungszeit nach nicht diesseits des(VVürm-) Spätglazials fallen. Seine Bil- dung fällt in die letzte Eiszeit, eine genaue Festlegung auf eine bestimmte Phase derselben wird nicht leicht möglich sein; nur einige Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß ihre Ab- lagerung in das letzte Früh- glazial zu verlegen ist. Wir können uns die Vor- gänge während des Diluviums in der Gegend von Borna an der Hand des Profiles (Fig. 4) und des folgenden Schemas klar machen, wobei Station Norddeutschlands berühmt gewordene Profil ich die altdiluvialen Schotter, da sie in der Gegend von Weimar- Ehringsdorf- Taubach — , durch den ^^^?^4svi=]3 Fi Profil von der Platcauhöhe östl. Görnitz (a. d. Pleiße) im Südwesten gegen die Mammulfündstelle bei Borna (a. d. Wyhra) im Nordosten. Längenmaßstab 1:25000. Höhenstufen in Meterzahlen angegeben. 1 Tertiär (Oligozän) ; 2 altdiluviale Kiese; 3 Geschiebelchm ; 4 Lößlehm; 5 jüngerer diluvialer Schotter; 6 blaugrauer, sandiger Ton (Mammutschicht); 7 sandiger Lehm (Terrassenlehm) ; S Aulehm usw. südlich von Leipzig nicht nur nordisches bzw. nördliches Material führen, sondern vielfach auch Geschiebelehm -Bänke, Schmitzen und -Nester einschließen, als glaziale bzw. fluvialglaziale Bildung auffasse. (jüngeren) Löß! Der Löß vertritt in seinem stratigraphischen Werte die Würmmoränen außer- halb des Bereiches der letzten Vereisung. Die Feststellung des würmeiszeillichen Alters der Fundschicht der Mamniutflora von Borna läßt Vorletzte (Riß-)Eiszeit Letzte (Würm-)Eiszeit Vorletztes (Mindel-Riß-)Interglazial ' Talbildung in den oligozänen Ablagerungen. ( Aufschüttung der fluvioglazialen Hochterrasse (altdiluviale Schotter) I und Bedeckung derselben mit Geschiebelehm. [ Einschneiden des Wyhratales in die Ablagerungen Letztes (Riß Wurm - )I n t ergl azial [ der Riß Eiszeit und Aufschüttung der „jüngeren I Diluvialschotter". Flühglazial f Ablagerung der Mammuttone; ,, , , . , ( Auffüllung des Tales durch die Terrassenlehme Hochglazial ^ (Niederterrasse); ( Wiedereinschneiden des Flusses in die Terrassen- Spätglazial lehme und beginnende Ablagerung in der neuen ( Furche. Post gl azial zeit (Alluvium) ^ Definitive Bildung der heutigen Talaue, haupt- I sächlich durch Ablagerung des Aulehmes. Die Möglichkeit eines würm-eiszeitlichen uns ein Minimal maß gewinnen für die Breite Alters der Mammutschicht von Borna hat auch der baumfreien Zone am Rande des großen nord- Weber nicht ganz von der Hand gewiesen; er europäischen Inlandeises. Selbst wenn die aus hält sie so lange für nicht ganz ausgeschlossen, den Resten des Mammuttones rekonstruierte, oben wie die (bei rißeiszeitlichem Alter der Schicht näher skizzierte, Vegetation während des allge- naturgemäß) interglaziale Natur der „altalluvialen" meinen Maximalstandes dieser Vereisung (siehe 694 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 44 oben) sich bei Borna ausgebreitet hätte, hätte sie sich noch in einem Abstände von ca. lookm von der Eisfront befunden. Fällt aber die Ablagerung in das Früh- oder Spätglazinl, so wächst die Breite des baumfreien Gürtels beliebig, je nach der spe- ziellen Phase im Vorrücken oder Zurückweichen des Landeises. Es ist klar, daß selbst bei einem baumfreien „Tundra"Gürtel von nur loo km Breite eine Vegetation von durchaus gemäßigt -klimati- schem Charakter, wie sie unsere viel angefeindeten Interglazialprofile ergeben haben, nicht ohne ein ganz erhebliches Zurückweichen der Vergletsche- rung, von wirklich interglazialem Ausmaße, denk- bar ist. Damit fallen aber die auf die fioristischen Einschlüsse bezüglichen Bedenken , die man zu- gunsten einer Einheitlichkeit der Eiszeit gegen die Interglazialprofile erhoben hat. Die Erdöl- [Nachdruck verboten,] In keinem Teil des Deutschen Reiches hat der Bergbau in den letzten Jahren einen so großen Aufschwung genommen wie in Elsaß-Lothringen. Jeder der drei Bezirke des Landes ist durch das Auftreten eines oder mehrerer nutzbaren Mine- ralien in größeren Mengen ausgezeichnet. Unter diesen nehmen in Lothringen die Steinkohle und die Eisenerze die erste Stelle ein ; im Oberelsaß sind es die in jüngster Zeit aufgefundenen aus- gedehnten Kalisalzlager, welche einen bedeutenden Bergbau entstehen lassen. Wesentlich älter als der Bergbau auf Eisen, Kohle und Kalisalze ist die Gewinnung von Erdöl und Asphalt im Unterelsaß. Das Gebiet, in welchem abbauwürdige Vor- kommen von Erdöl und Asphalt bekannt gewor- den sind, liegt in der weiteren Umgebung von Sulz u. W. zwischen H a g e n a u und Weißen- burg, vorzugsweise bei Pechelbronn, der Annexe von Lampertsloch. Von geringerer Bedeutung sind Dürrenbach, Biblisheim, die Waldreviere Oberstritten und Glas- winkel, Uhlweiler, Ohlungen und Seh wab weil er. Der Asphalt wird ausschließ- lich bei Lobsann gewonnen. Schon der Name des Ortes Pechelbronn, in elsässischer Mundart Bechelbronn oder auch Bachelbronn, deutet auf ein hohes Alter der Be- kanntschaft mit dem Erdöl in dieser Gegend hin. Zum erstenmal wird es erwähnt durch Wimpfeling, der im Jahre 1498 von dem schon seit vielen Jahren Verwendung findenden Bitumen spricht. Die erste zusammenfassende Arbeit über das Erdölvorkommen im Elsaß ist das 1625 von Joh. Volk verfaßte Buch: „Hanawischen Erdbalsams, Petrolei oder weichen Agsteins Beschreibung" usw. In jener Zeit wurde das auf einer Wiese bei Pechelbronn austretende Erdöl meistens als Arznei besonders für „podagrische Schmerzen" verwandt.*) Wegen ') Zu was das Öl sonst noch Verwendung fand , geht aus folgenden Worten Joh. Volk's hervor: „Für den Erb- grind ist das Ol unter den Bauren zu Lampertsloch und in den umbliegendcn Dörffern ein gebräuchlich und gemein Mittel; bin auch der Meinung, daß es den Flöhen gar eine schlechte Nahrung oder Speise sein werde. — Für die Wand- leuß mag gewilälich nichts besseres gefunden werden, so man und Asphaltlagerstiitteu im UiiterelsalJ. Von Dr. W. Wagner, Strasburg. seiner Unreinheit und Dickflüssigkeit diente es aber für gewöhnlich als Wagenschmiere , doch sollen die Landleute der Umgegend es auch auf Lampen gebrannt haben. Der erste , welcher systematisch aus dem un- reinen Erdöl durch Destillation Brennöl gewann, war der griechische Arzt Eryn von Erynniß, der im Jahre 1735 nach Pechelbronn kam. Ihm folgte 1742 de la Sablonniere, der eine Art Fabrik zur Reinigung des Erdöls erriclitete und seit 1745 ging man dazu über, in Gruben das Erdöl bergmännisch auszubeuten. Der Bergbau auf Öl, der seit 1785 in größerem Umfang von der Familie L e B e 1 betrieben wurde, erstreckte sich bis zu einer Tiefe von 90 m. Man fand etwa 10 verschiedene, an Öl reiche Sand- lagen , und aus diesen wurde das Rohöl durch Auskochen gewonnen. Bei diesem Verfahren er- zielte man aus den Ölsanden etwa 4 % Rohöl. Aus den Sandlagen traten mehrfach Ölquellen aus (das sog. Jungfernöl), die mitunter längere Zeit von großer Ergiebigkeit waren. So wurde beim Abteufen des Heinrich-Schachtes im Jahre 1873 83 m unter Tage eine starke Ölquelle an- getroffen, die in 24 Stunden 15 cbm Öl lieferte. Seit 1884 ließen aber derartige Ölquellen stark nach und im Jahre 1888 wurde der Grubenbetrieb eingestellt. Schon seit 1873, besonders aber seit 1880, ging man dann dazu über, das Ol durch Bohr- löcher zu gewinnen. Zunächst benutze man Handbohrer, die aber bald durch den maschi- nellen Bohrbettieb ersetzt wurden, dem allein die großen Erfolge in der Petroleumproduktion zu verdanken sind. Im Jahre 1888 wurde das noch immer unter der P'amilie Le Bei stehende Unternehrnen in eine Aktiengesellschaft („Pechelbronner Ölberg- werke Aktiengesellschaft in Schiltigheim") umge- wandelt, der sich bis 1906 drei weitere selbstän- dige größere Firmen anschlössen. In diesem Jahre wurden durch den Direktor der deutschen Tiefbohr-Aktiengesellschaft in Nordhausen diese die Örter, da sie sitzen, nur mit dem rohen Öl gedestillierte besser darzu wäre) sonderlichen Betladen die Fugen bestreicht .... (wiewohl das aber an den N. F. Xni. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 695 4 Firmen zu einem Konzern unter dem Namen „Vereinigte Pechelbronner Ölbergwerke" zusammengeschlossen. Unter dieser Firma nahm nun die elsässische Erdölindustrie unter stetiger starker Steigerung der Produktion, worüber die am Schlüsse befindliche Produktionstabelle Auf- schluß gibt, einen großen Aufschwung. Das Erdöl ist eine Flüssigkeit, oft mit reich- lichem Gaseinschluß, die sich, wie wir später sehen werden, aus organischen Resten gebildet hat. Sie kann deshalb keine nur aus ihr be- stehende Einlagerung in den Schichtgesteinen bilden, sondern braucht einen Träger in Gestalt eines porösen Gesteines, wie z. B. Sand oder Sandstein. Das Öl durchtränkt das Gestein wie Wasser einen Schwamm, und niemals, selbst bei den ergiebigsten Lagerstätten, haben wir uns das Ölreservoir als eine mit Ol gefüllte große Höhle vorzustellen. Je nach der Gestalt des porösen zur Ölaufnahme geeigneten Gesteins richtet sich auch die Gestalt der Erdöllagerstätte. Im Elsaß sind bei Pechelbronn die Träger des Öls Sand und Sandsteine , die zwischen Mergel geschaltet sind und zwar in I'orm langgestreckter, oft ge- bogener und sich gabelnder Lager, welche bei verhältnismäßig geringer Breite sich sehr in die Länge erstrecken und deshalb als L,agerschläuche bezeichnet werden. Damit sich ein Öllager bilden kann, bedarf es aber außer eines porösen Gesteins als Träger, eines (_)1 undurchlässigen Gesteins als einhüllender Körper. Diesen stellen im Elsaß vorwiegend graugrüne, seltener rote und schokolade- braune Mergel dar. Betrachten wir nun kurz die geologische Geschichte des elsässischen Erdölgebietes. Während ursprünglich Vogesen und Schwarz- wald ein zusammenhängendes Gebirge bildeten, begann in der Tertiärperiode der Erde, insbeson- dere in der sogenannten Oligozänzeit, jener Vor- gang, welcher zur Bildung des Rheintales führte. Durch ungleichmäßigen Druck teils aus Süden, teils aus Osten auf dieses Vogesen-Schwarzwald- Gebirge entstanden zahlreiche Risse in demselben. Gleichzeitig fand eine allmähliche Senkung des Gebietes der Rheinebene statt, die an den Rän- dern von Abbiegungen und Zerreißungen begleitet war. In diese, in der Richtung des jetzigen Rheintals sich erstreckende Vertiefung, die gegen Osten und zunächst auch gegen Norden und Sü- den geschlossen war, drang vom Westen, vom Pariser Becken her, etwa durch die Pfalzburger Mulde, das Meer ein. Das Material, aus denen sich das Tertiär im Elsaß aufbaut, besteht aus verschieden gefärbten Mergeln, Tonen, z. T. bituminösen Mergelschiefern, Sauden und Kalksandsteinen, die mitunter ölhaltig sind, Konglomeraten und Kalksteinen. Dazu tre- ten als Ausscheidungen des Meerwassers Anhydrit, Gips, Steinsalz und Kalisalze. Wie bei der Mannigfaltigkeit in der Aus- bildungsweise des Materials, ferner bei dem häu- figen Wechsel, unter dem dieses auftritt, und end- lich auf Grund der Versteinerungen zu erwarten ist, war das Meer nicht immer der Herrscher des heutigen Rheintalgebietes zur Tertiärzeit gewesen. Es müssen damals hier große Schwankungen geherrscht haben. Bald bedeckte ein seichtes Meer Teile der jetzigen rheinischen Tiefebene, bald vertiefte das Meer sich, so daß das ganze Land zwischen den Vogesen und dem Schwarzwald vom Meere bedeckt war. Ja das Meer tritt sogar zeitweise über die Gegenden hinaus, die heute von den Kämmen der Gebirge eingenommen werden. Dann wieder fanden Hebungen statt, die zu manchen Zeiten soweit gingen, daß der größte Teil des Gebietes völlig trocken lag. Einer solchen He- bung verdanken wir die Entstehung der Steinsalz- und Kalisalzlager im Oberelsaß. Besonders die Bildung mächtiger Süßwasserablagerungen , die als das jüngste Tertiärglied im Oberelsaß festge- stellt wurden, kann nur durch eine starke Heraus- hebung des Rheintales und eine gleich darauf wieder eingetretene Senkung erklärt werden, wo- bei das Meer aber durch stehengebliebene Erhe- bungen davon zurückgehalten wurde, wieder Besitz von den früher eingenommenen Gebieten des Rhein- tales zu ergreifen. Durch die zahlreichen Bohrungen und das Ab- teufen von Schächten auf Kalisalze gelang es B.Förster und W.Wagner, die mindestens 1700 m mächtigen Tertiärschichten im Oberelsaß einer geologischen Gliederung zu unterwerfen. Es lassen sich vier große Gruppen unterscheiden: Zu oberst bunte Süßwassermergel mit eingelagerten Sandsteinen, darunter graublaue und branschwarze Mergel und Sandsteine mariner Entstehung; unter diesen bunte und streifige, Gips, Anhydrit, Stein- salz und Kalisalze führende zumeist bituminöse Mergel, die ebenfalls zum größten Teil Bildungen des Meeres darstellen und zu unterst grüne und schwarze Mergel, die sich als ein Wechsel von Süß- und Meerwasserbildungen erwiesen haben. Durch einen versteinerungsreichen Schichten- komplex sind die bunten und streifigen Mergel in zwei Salz führende Unterabteilungen getrennt, wobei die obere wenige Meter über der versteine- rungsreichen Zone die Kalisalze enthält. Diese Gliederung läßt sich in neuerer Zeit auch mit derjenigen des Tertiärs im Unterelsaß vergleichen, die von dem Geh. Bergrat Dr. L. van Werveke aufgestellt worden ist, der sich um die geologische Erforschung der elsässischen Erdöllager große Verdienste erworben hat. Die Hauptträger des Öls sind im Unterelsaß die bunten und streifigen Mergel, die in ihrem oberen größeren Teil gewöhnlich als „Pechel- bronner Schichten" bezeichnet werden. Wäh- rend aber im Oberelsaß in ihnen Sandsteine feh- len und sie nur auf kürzere Zeit eine lokale Süß- wasserbildung darstellen, im übrigen aber dem Meer- und Brackwasser ihre Entstehung verdanken, ist ihre Bildung im Unterelsal.5 unter einem dauern- den Wechsel von Süß Brack- und Meerwasser vor sich gegangen. 696 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 44 Die gesamte IVlächtigkeit der Pechelbronner Schichten beträgt nach den neuesten Untersuch- ungen etwa 475 m. Sie lassen sich in eine höher fossilarme und eine tiefere fossilreiche Zone trennen, wobei diese letztere vollständig der ver- steinerungsreichen Zone im Oberelsaß entspricht. Unterlagert werden die Pechelbronner Schichten von einer bis 100 m mächtigen roten Mergellage, die als die rote Leit schiebt von großer Be- deutung für die Erdölbohrungen geworden ist. Sie gibt den Horizont an, unter dem kein Öl mehr zu erwarten ist. Die Pechelbronner Schichten stellen einen Wechsel von tonigen Mergeln, Sauden und Sand- steinen dar und sind in der Art, wie sich die Ge- steine verteilen, zur Aufnahme von Erdöl geeignete Bildungen. Es sind denn auch diese Sande und Sandsteine die eigentlichen Träger des Ols, und zwar geht aus den Versteinerungen, welche die abgebauten ( )lsandlinsen bei Pechelbronn enthalten, hervor, daß diese, wie die sie unmittelbar um- gebenden Mergel, Süßwasserbildungen sind. Ferner stellte sich heraus, daß die bituminösen Sandsteine stets Süßwasserschichten entsprechen , während die bituminösen Mergel mitunter auch mariner Abkunft sind. Im Oberelsaß, im Kalisalzgebiet, fehlen dagegen Sandsteinbildungen in den ent- sprechenden Schichten vollständig, die marinen z. T. salzführcnden Mergel herrschen vor und hier treten infolgedessen keine Öllager, sondern nur bituminöse Mergel auf, die Bedingungen für die Entstehung von Öllagern war eben nicht vorhan- den. Es finden sich im unterelsässischen Petrol- gebiet zwar starke Salzwasser, aber keine Salzlager und im Oberelsaß zwar bitumenreiche Mergel, aber keine ölhaltigen Sande, so daß im Elsaß Salzlager und Erdöllager sich auszuschließen scheinen. Wie nun die genauen Untersuchungen der Pechelbronner Schichten gezeigt haben, befinden sich die reichsten Öllager dort, wo Süßwasser- schichten mit fossilreichen Schichten wechsel- lagern. Die Dicke der schlauchartigen Erdölflöze bei Pechelbronn, welche ringsum von einer dun- kelen, bituminösen mit Braunkohle durchsetzten Mergelzone umschlossen sind, schwankt zwischen 0,3 und 2 m und steigt bisweilen bis 4, in ein- zelnen Fällen sogar bis 5 und 6 m. Die längsten Ölschläuche erstrecken sich 800 m weit und haben eine durchschnittliche Breite von 30 m. Sie entsprechen in ihrer Lage jedoch nicht der Streichrichtung der Schichten, sondern sind nur durch die Entstehungsverhältnisse bedingt, was das Aufsuchen der Ölschläuche sehr erschwert. Dazu kommt noch , daß besonders nach Ablage- rung des Oligozäns, in der nächst jüngeren Periode des Tertiärs im Miozän, das Rheintal stark von Störungen betroffen wurde. Diese beschränkten sich nicht nur auf die Abbruchränder, sondern sie haben in mindestens ebenso starkem Maße — wie ich dies besonders in letzter Zeit bei den Auf- schlußarbeiten im oberelsässischen Tertiär nach- weisen konnte — auch den Untergrund der heutigen Rheinebene betroffen. Das Einfallen der Schichten ist im allgemeinen bei Pechelbronn mit 2 " gegen den Rhein gerichtet, doch machen sich im einzelnen infolge der Störungen viele Ab- weichungen geltend. Durch Herrn Ingenieur Tzschach mann wur- den an der Hand zahlreicher Bohrlöcher 13 ver- schiedene Öllager über der roten Leitschicht bei Pechelbronn festgestellt, von denen die zwischen 58 und 191 m über derselben gelegenen Horizonte die reichste Ölführung aufwiesen. Die schwereren Öle finden sich häufiger in den tieferen Lagen, sie sind reich an Paraffin, so daß sie mit- unter ein Verstopfen der Bohrlöcher hervorrufen. Nach der Schwere lassen sich mehrere Gruppen unterscheiden, deren spezifisches Gewicht zwischen 0,859 """^ 0,915 schwankt. Doch waren die im Schachtbetrieb gewonnenen Öle noch schwerer als diese durch Springquellen oder Pumpen er- schlossenen. Das Öl ähnelt am meisten dem pennsylvani- schen und zeichnet sich durch einen hohen Asphaltgehalt aus, weshalb bei trockener Destil- lation ein bedeutender Koksrückstand bleibt. Während die Bohrungen vor 1880 den Zweck hatten festzustellen, wohin der unterirdische Abbau sich wenden sollte um neue Lager zu er- schließen, dienen die nach dieser Zeit unter- nommenen Bohrungen zur direkten Gewinnung des Petroleums selbst. Die im Jahre 1881 nördlich vom Schachte Pechelbronn niedergebrachten Bohrlöcher ergaben, bis auf ein ölfündiges, schwach salzhaltige Wasser und Gas, welch letzteres so stark ausströmte, daß Herr Le Bei es in seinem Laboratorium jahrelang zu Heiz- und Beleuchtungszwecken benutzen konnte. Im April 1882 wurde dann durch das Bohrloch Nr. 146 in 138 m Tiefe eine Springöl- quelle erschlossen, die ungefähr 6 Jahre lang un- ausgesetzt täglich 200 Faß Öl lieferte. Nicht immer tritt das erbohrte Erdöl als Spring- quelle auf, sehr oft muß es erst durch Pumpen zu Tage gefördert werden. Es beruht dieser Unterschied auf dem Gehalt an absoibiertcn Gasen, die zum größeren Teil aus Sumpfgas, zum kleineren aus ölbildenden Gasen und Olefinen be- stehen. Die Gase entweichen beim Anbohren und treiben das Öl in die Höhe; wo der Gas- druck zum Emporbringen des Öles fehlt, muß der Pumpenbetrieb einsetzen. Gerade die Spring- quellen sind es, welche das elsässische Erdöl vor- teilhaft von demjenigen von Oelheim in der Pro- vinz Hannover unterscheiden, da sie von Wasser fast freies Erdöl heraufbringen. Eines der ergiebigsten Bohrlöcher war das Bohrloch Nr. 186, das 1884 in 135 m Tiefe fün- dig wurde und mit 300 Faß pro Tag völlig aus- reichte, um den damaligen Gesamtbedarf der Pechelbronner Ölraffinerie zu decken. Ganz be- sonders günstig gestalteten sich Bohrungen im Jahre 1886, in welchem Jahre die bedeutendsten N. F. XIII. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 697 Springülquellcn angetroffen wurden, so daß sich die Gesamtproduktion an Rohöl von 2874 Tonnen im Jahre 1885 auf 7168 Tonnen erhöhte. Heute sind diese reichen Springquelleii als solche nicht mehr vorhanden, sie liefern jedoch als Pump- quellen immer noch große Ölmcngen. Was die Produktion und Lebensdauer einer Ölbohrung be- trifft, so herrschen die größten Differenzen. Man- che sind nach dem Anbohren des Öllagers sofort sehr ergiebig, erschöpfen sich aber rasch, andere liefern pro Tag nur geringe Mengen Öl, halten aber oft mehrere Jahre lang an und versiegen ganz allmählich. Die zahlreichen Rohrungen er- wiesen im nördlichen Teil des Pechelbronner Feldes, daß die in größerer Tiefe aufgefundenen Öllager auch Schläuche darstellen, die sich nahe- zu in der gleichen Richtung erstrecken wie die in früherer Zeit durch den Streckenbau erwie- senen Schläuche, daß dagegen nach Süden nach Dürrenbach, sich ausgedehnte cMsandlager ein- stellen. Natürlich waren, in Anbetracht des schlauchförmigen Auftretens des Öles, nur ein ver- hältnismäßig geringer Teil der Bohrungen fündig gev/orden, ja nur 3% derselben erschlossen Öl- quellen, die mindestens 30 Faß pro Tag lie- ferten. Wie schon erwähnt, wurde südsüdwestlich von Pechelbronn bei Dürrenbach und Morsbronn das Vorkommen von Öl nicht in Schläuchen, son- dern als Ölsandflöze nachgewiesen, von denen 4, die 5 m, 97 m, 258 m und 298 m über der roten Leitschicht gelegen, von abbauwerter Bedeu- tung sind. Ferner wurden südlich von Pechelbronn bei B i b 1 i s h e i m und in denWaldrevierenOber- stritten und Glaswinkel (Glaswinkel liegt etwa 1,5 km südlich von Walburg) viele Bohr- löcher abgeteuft, die SSW— NNO streichende gute Ollager bei Biblisheim in 3, bei Oberstritten und Glaswinkel in 6 verschiedenen Horizonten über der Leitschicht ergaben. Die Breite des Öl füh- renden Streifens erkannte man bei Oberstritten zu 400 m. Daß sich Ölvorkommen im Elsaß aber noch bedeutend weiter südlich finden, beweisen die über 10 km südsüdwestlich von Pechelbronn südlich der Moder niedergebrachten Bohrungen von Uhlweiler und Ohlungen. Bei Uhl- weiler liegt das reichste etwa 50 m über der roten Leitschicht, bei Ohlungen-Ost wurde bei 80 m der reichste von 6 Olhorizonten erwiesen, und bei Ohlungen-West war nur eine 45 m über den roten Mergeln gelegene Schicht pro- duktiv. Die Ergebnisse bei Uhlweiler und Ohlungen waren ziemlich günstig. Eine zeillang tritt das Öl frei aus den Bohrlöchern aus, und diese lie- fern auch noch später durch Pumpbetrieb größere Mengen. Merkvvürdigerwei. 271, Taf. VIII, Mg- ij- 2) H. Meyer, Die miltelsilurischen Graptolilhenschiefer bei Saalfeld. p. 8. Mitteil, des Vereins für Geologie in Saalfeld in Thüringen. 1910/1912. 3) R. Eisel, Über die Zonenfolge ostthüringischer und vogtländischer Graptolithenschiefer. 39./42. Jahresbericht der Gesellschaft von Freunden der Naturwissenschaften. Gera. Separat, p. 10. 4) L. Törnquist, Anteckningar cm de äldre paleo- zoiska leden i Ostthüringen och Voigtland. Geol. Foren, i. Stockholm Forh. Bd. IX, p. 491. 5) R. Hundt, Beitrag zur Graptolithenfauna des Mittel- und Obersilurs d. reußisclien Oberlandes und einiger angren- zender Gebiete. 51. ,'52. Jahresber. d. Gesellsch. v. Fr. d. Nalurw. in Gera. Sep. p. 9. 6) Br. Geinitz, Die Graptolithen des K. Mineralog. Museums in Dresden. Kassel 1S90, p. 23. 7) E. Zimmermann, Das Obersilur an der Heinrichs- thaler Mühle im Wettcratalc bei Gräfenwarth. 43. ,'44. Jahres- bericht d. Gesellsch. v. Fr. d. Naturw. in Gera, p. 48. 8) K. Löscher, Die geologische Landessammlung. Gera 1914, p. 6. 9) K. \Vallher, Geologie der Umgebung von Bad Stehen im Frankenwalde, p. 151. 10) L. Törnquist, Tvä Cyrtograptus-arter frän Thü- ringen. Geol. Foren. Förh. 1910, p. 1559 — 1564, von E. Zimmermann übersetzt im 43-/44. Jahresb. d. Ges. v. Fr. d. Naturw. in Gera. 11) R. Hundt, Zweiter Nachtrag zu meiner Graptolithen- fauna. 55./56. Jahresb. d. Gesellsch. v. Fr. d. Naturw. Sepa- ratum p. 4, Taf. VII. 12) R. Eisel, Über neuere Graptolithen des reußischen Oberlandes. 55-/56. Jahresber. d. Gesellsch. v. Fr. d. Naturw. in Gera. p. 171— 173, Taf. Vlll, IX, X. 13) R. Eisel, Über zonenweise Entwicklung der Rastri- ten und Demiratriten in den mittelsilurischen Graptolithen- schiefern Thüringens und Sachsens. 53./54. Jahresbericht der Gesellsch. v. Fr. d. Naturw. in Gera. Mit 3 Tafeln. R. Hundt. Botanik; Enzymregulation bei Schimmelpilzen. Die Untersuchungen über Enzymbildung bei Bakte- rien, Hefepilzen und Schimmelpilzen haben gezeigt, daß der Organismus vielfach imstande ist, die Enzym- ausscheidung je nach den Ernährungsbedingungen zu regulieren. Viele Enzyme (so faßt Harald Kylin die herrschenden Ansichten zusammen) werden unter mehreren verschiedenen oder sogar unter allen Ernährungsbedingungen gebildet, an- dere aber werden nur dann gebildet, wenn ein besonderer Stoff in der Kulturflüssigkeit anwesend ist, nämlich der, der vom Enzym gespalten wird. Es soll demnach unter gewissen Bedingungen eine Regulation in der Qualität der gebildeten Enzyme, oder, wie Kylin es nennt, eine quali- tativeEnzymregulation vorkommen können. Außerdem gibt es eine quantitative Enzym- regulation, die darin besteht, daß ein Enzym unter mehreren, sehr verschiedenen Bedingungen gebil- det wird, daß aber die Enzymmenge sich dann vergrößert, wenn die Kulturflüssigkeit denjenigen Stoff enthält, der vom Enzym gespalten werden soll. Die in der Literatur über qualitative Enzym- regulation vorhandenen Angaben findet Kylin ziemlich unsicher. Auch ist ihr Vorkommen neuerdings mehrfach bestritten worden. Nur eine Angabe erscheint zuverlässig, nämlich die von Knudson (191 3), daß das Enzym Tannase bei Aspergillus niger und Penicillium sp. nur dann gebildet wird, wenn die Kulturflüssigkeit Gerb- säure oder Gallussäure enthält. Kylin hat bei seinen Untersuchungen über die Bildung von Dia- stase, Invertase und Maltase bei Aspergillus niger und Penicillium glaucum immer eine quantitative, aber keine qualitative Enzymregulation nachweisen können. So wird bei den genannten Pilzen Dia- stase auch dann gebildet, wenn die Kulturflüssig- keit keine Stärke enthält; die Diastasemenge wird aber vergrößert , wenn der Kulturflüssigkeit eine geringe Menge Stärke zugesetzt wird. Auch wenn die Pilze auf Malzzucker, Chinasäure, Mannit, Glyzerin als einziger Kohlenstoffquelle kultiviert werden, bilden sie kleine Mengen von Diastase. Dextrin vergrößert in beiden Fällen die Diastase- bildung ebenso sehr wie Stärke. Wenn die Kultur- flüssigkeit neben Stärke Traubenzucker enthält, so vermindert sich die Produktion von Diastase. Auch Maltase und Invertase werden auf den oben genannten Nährstoffen als einziger Kohlenstoffquelle gebildet, wenn auch in viel geringerer Menge als auf Rohrzucker oder Maltose. (Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik 19 14, Bd. 53, S. 465 bis 499.) F. Moewes. Astronomie. Ein neuer photographischer At- las des Mondes wird soeben in Lieferungen im Anschluß an das Werk von Löwy undPuiseux von deren Mitarbeiter Le Morvan herausge- geben. Aus den sehr zahlreichen Platten, die diese an dem gebrochenen Äquatoreal der Pariser Stern- warte erhalten haben, und die zum Teil sehr stark vergrößert herausgegeben sind, um als Grund- lage für alle selenographischen Arbeiten zu dienen, hat Le Morvan 48 Stück herausgesucht, je 24 bei abnehmendem und zunehmendem Monde. Diese sind so verteilt, daß die 24 zusammen einen Mond- atlas von I Meter Durchmesser ergeben, es hat jedes Blatt 38:49 cm Größe. Die Blätter sind in Heliogravüre wundervoll ausgeführt, mit genauer Angabe des Alters des Mondes im Moment der Aufnahme, und der selenographischen Koor- dinaten der Ecken des Blattes, so daß man jede Gegend leicht im Fernrohr nachweisen kann. Die natürlich sehr kostspielige Herausgabe des Werkes ließ sich nur mit Hilfe einer Unterstützung der französischen Akademie der Wissenschaften durch- führen. Den Text zu dem Atlas hat Pulse ux geschrieben, der seit vielen Jahren auf diesem Ge- biete arbeitet. Es hat ja immer etwas mißliches, den Mond photographisch aufzunehmen, da das 704 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 44 Aussehen der einzelnen Formationen so sehr von sehen und gezeichnet hat. Nur die i8 jährige der augenblickUchen Beleuchtung abhängt, daß eine Frfahrung des Verfassers und das ungeheure ihm Gegen^d erst gut bekannt wird, wenn man sie im vorliegende Plattenmaterial konnten etwas so Her- Fernrohr während ihrer ganzen Sichtbarkeit ge- vorragendes schaffen. Riem. Bücherbesprechungeu. Emil Hegg, Dr. med., Das Ewige im Zeit- Photographie. liehen, eine naturwissenschaftliche Formu- arbeiten will, lierung. Verlag von A. Francke, Bern, 1914. loi Seiten. — Preis geb 2,40 Mk. Der Verf der vorliegenden Schrift, der sich zum Verkünder und Anwalt eigenartiger, nicht ohne Scharfsinn entworfener Gedanken des Natur- philosophen J. H. Ziegler macht, ist überzeugt, daß das reine Denken uns das Wesen der die Natur zusammensetzenden Uratome zu enthüllen und ein allgemeingültiges Schema zu bieten ver- mag, in dem alle Aggregatzustände vom Licht bis zum festen Körper sowie alle spezifisch körper- hchen Zustände ihrem inneren Zusammenhange nach geordnet erscheinen und der Fluß und der Gegenfluß des Geschehens sowie die Doppelseitig- keit jeder Entwicklung ihren Ausdruck finden. — Schon der Ausgangssatz der Schrift, daß zwei Dinge, die in Wechselwirkung stehen, einander nicht wesensfremd sein können, muß Bedenken erwecken. Wir erfahren nämlich nicht, ob der Verf. das Wesen der Dinge in deren Wechsel- wirkung oder ob er es in irgendeinem and eren Merkmale erblickt, müssen also die Aussage, daß alle Dinge im letzten Grunde Eines seien, ent- weder als eine inhaltsleere Identität oder als eine unbewiesene Behauptung, als ein Dogma ansehen. Wenn der Verf. weiterhin von grundsätzlich Unvorstellbarem sich sehr bestimmte Begriffe zu bilden weiß, so bestreiten wir die Berechtigung eines solchen Denkens. Sehr fraglich erscheint es uns endlich, ob der Physiker die in der vor- liegenden Schrift entwickelten eigenartigen An- schauungen von Aggregatzuständen und Farben billigen wird. Angersbach. Hahne, Friedrich, Leitfaden der Film- ph ot ograph ie. Anleitung zur Ausübung der Photographie mit Roll-, Pack- u. Flachfilms unter besonderer Berücksichtigung der I-'ehler und deren Abhilfe. Mit ca. 50 Abb. Ed. Liese- gang's Verlag (E. M. Eger) Leipzig. — Preis 2 Mk., geb. 2,50 Mk. Es werden wertvolle Ratschläge erteilt über alles was mit der Filmphotographie zusammen- hängt, besonders über Fehler und deren Abhilfe. Der Verf behandelt den Stoft' gerecht und zeigt auch die Schattenseiten und Grenzen der P'ilm- Jedem, der mit Films arbeitet oder sei die Anschaffung empfohlen. Blunck. Anregungen und Antworten. Herr Prof. Häfele in Bozen schreibt: „Bezugnehmend auf die Notiz: ,, Fremdkörper in Vogeleiern" in Nr. 36 der Natur- wissenschaftlichen Wochenschrift erlaube ich mir mitzuteilen, daß in den Sammlungen des hiesigen Gymnasiums sich ein Hühnerei befindet, dessen Bildungs- und Nahrungsdotter von einem Roßhaar ganz durchzogen ist. Vor etwa 8 Jahren wurden in dem unweit Bozen gelegenen ,,Eppancrhof"-Gärteu mehrere solche Eier in gekochtem Zustande vorgesetzt; äußer- lich war nämlich nichts Auffallendes zu sehen. Nach dem Öffnen der Schale wurden diese ,, Spezialitäten" selbstverständ- lich zurückgewiesen. Ein E'xeniplar wurde mir zugesendet, das ich in .Alkohol konservierte." Die Erklärung, die Herr Prof. Häfele gibt, scheint mir nicht sehr plausibel. Er meint nämlich, daß die Henne Roß- haare verschluckt habe und diese nach Durchbohrung der Darmwand in den Eierstock gelangten. Wahrscheinlicher wohl ist die Erklärung, die früher (Naturw. Wochenschr. N. F. XIll, Nr. 24, S. 384) bei der Beantwortung der Frage, wie etwa Pilze und Bakterien in Eier hineingelangen können, ge- geben wurde, daß nämlich bei der Anlage der verschiedenen Hüllen im Eileiter Fremdkörper in das Ei eingeschlossen wer- den. Es wäre dann nur noch aufzuklären, wie sie in den Eileiter gelangen können. Doch ist dies immerhin wohl von außer her möglich. Miche. In Nr. 34 der Naturwiss. Wochenschrift wird von Herrn v. Wasielewski das Buch von Hegi, aus dem Schweizer- landc, besprochen. Dabei wird auch die Blutbuche er- wähnt. In den von mir herausgegebenen Mitteilungen des Pom- merschen Provinzialkonütees für Naturdenkmal pflege Nr. 5 (1913) steht S. 12: Grabow a. Oder (Vorort nördl. von Stettin). In PoU's Garten steht eine schöne Blutbuche von eigentüm- lichem Wüchse. Der kurze 0,50 m hohe Schaft hat 3,20 ni Umfang; in der erwähnten Höhe geht der unterste Ast ab. Höhe der ganzen Baumes 21 m. Nebenäste haben noch 1,10 bis 1,50 m Umfang. Reich verzweigte Äste gehen nach allen Seiten ab, so daß der Baum den Eindruck einer großen Laube macht. Der Kronendurchmesser beträgt 20 m. — Der Garten ist ein altes Grundstück, in der Familie erblich. Jedenfalls ist der Stamm durch eine spätere Ausschüttung verkürzt. Pfropfungsstellen sind nicht zu erkennen. J. Winkelmann. Berichtigung. Infolge eines Druckfehlers ergibt sich in meinem Referat über Kafka, Gustav, Einführung in die Tierpsycho- logie (siehe Naturw. Wochenschr. Nr. 23 vom 7. Juni 1914) eine Sinnentstellung. Kafk.n tritt nicht für Einschaltung psy- chischer Faktoren ein, wie das auch aus den weiteren Erörte- rungen ersichtlich ist. Hinter „doch" ist das Wörtchen „nicht" ausgefallen. Besondere Umstände verzögerten die Berichtigung. Buttel-Reepen. Inhalt; Werth: Die Mammutflora von Borna. Wagner: Die Erdöl- und Asphaltlagerstätten im Unterelsaß. — Einzel- berichte: Knoevenagel: Neue Forschungen über Acetylcellulose. Bec ker und Ram sauer: Über radioaktive Meß- . metlioden und Einheiten. Hundt: Neue Cyrtograptenfunde im Mittel- und Obersilur Ostthüringens. Kylin: Enzym- regulation bei Schimmelpilzen. Le Morvan: Photographischer .'^tlas des Mondes. — Bücherbesprechungen: Hegg: Das Ewige im Zeitlichen. Hahne: Leitfaden der F'ilmphotographie. — Anregungen und Antworten. — Berichtigung. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße lia, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzen Reihe 29. Band, Sonntag, den 8. November 1914. Nummer 45. Verschiebimaen in der Tierwelt durch den Menschen. [Nachdruck verboten. Von Universitätsprofessor Konrad Guenther. Alles auf der Erde ist in steter Veränderung begriffen. Das ist ein Naturgesetz, das jedermann kennt. Am auffallendsten aber zeigt sich dieses Gesetz in der Organismenwelt. Da ist ein stetes Werden und Vergehen, ein Untersinken und Neu- auftauchen. In der letztvergangenen Erdepoche, dem Diluvium, lebten in Europa so manche Tiere, die wir heute an derselben Stelle vergebens suchen. Klimatische Veränderungen, Wechsel von Wasser und Land, Gebirgsbildung, das alles beeinflußt auch die Tierwelt. Immerhin hat es in der freien Natu» im allgemeinen Jahrtausende gebraucht, ehe eine durchgreifende Änderung in der Tierwelt sich vollzog. Dem Menschen blieb es vorbehalten, innerhalb weniger Jahrhunderte, ja sogar Jahrzehnte derartige Verschiebungen in der Tierwelt hervorzubringen, wie sie in der ganzen Erdgeschichte noch nicht da waren. Diese Umwandlungen hat der Mensch teils mit Absicht vollzogen, teils haben sie ohne seinen Willen stattgefunden. So hat Europa erst in der Neuzeit drei unangenehme Gäste aus dem Orient bekommen, die Küchenschabe, die Wanze und die große gelbe Wanderratte. Alle drei Tiere kannte das Mittelalter bei uns noch nicht. Eine Ratte gab es zwar auch vorher in Europa, das war aber eine kleinere, schwarze Form, die Hausratte, die weit weniger Schaden stiftete. Die Wanderratte überfiel erst im Anfang des 18. Jahrhunderts unser Land und zwar von zwei Seiten. Schiffe hatten das Tier an die Westküste unseres Erdteils gebracht und gleichzeitig kamen ungezählte Scharen von Osten her über Rußland herein. Und in kurzer Zeit hatte der starke, wilde Einwanderer die einheimische Hausratte fast überall verdrängt. In ganz Afrika ist heute der aus Amerika stammende Sandfloh verbreitet, dessen Weibchen sich in die Fußzehen des Menschen einbohrt und hier Geschwüre hervorruft. Der Durchstich durch die Landenge von Sues hat den Haifischen des Roten Meeres den Weg ins Mittelmeer eröffnet, und mehrfache Unglücksfälle sind seitdem von der italienischen und österreichischen Küste ge- meldet worden. Schon die Verbindung, die der Mensch mit seinen Schiffen zwischen überseeischen Ländern herstellt, geben manchem Tier Gelegenheit, auf solch einer beweglichen Brücke in eine neue Heimat zu kommen. Aber auch das Wegschlagen von Wäldern, der Stiaßenbau, die Umwandlung der Natur in Kulturland beeinflußt die Tierwelt und bringt manche Art zur Einwanderung. End- lich hat auch der Versand von Gegenständen, besonders von Pflanzen gewisse Tiere in ein an- deres Land gebracht, das ihrer Entwicklung nicht selten noch günstiger war, als das alte, so daß sie nun erst zu einer Plage wurden. Amerika „verdanken" wir auf solche Weise den Kartoffel- käfer, die Blutlaus und die Reblaus. Von den Tieren, die der Mensch freiwillig verschleppt hat, weil er sie lieb hatte oder sich von ihnen im neuen Lande Nutzen versprach, ist an erster Stelle sein ältestes Haustier zu nennen, der Hund. Über die ganze Erde ist heute der Hund verbreitet, er ist Kosmopolit geworden, wie sein Herr. Mancherorts hat er sich sogar von der Herrschaft des Menschen freigemacht. So in Australien , wo aus dem von den Eingeborenen wohl aus Südasien eingeführten Hunde der gelbe Dingo geworden ist, der nicht nur die beiden vorher einheimischen Raubtiere, den Beutelwolf und den „Teufel", letzterer ein schwarzes Beutel- tier von unbezähmbarer Wildheit, verdrängt hat, sondern neuerdings auch den Schafherden emp- findlichen Schaden tut. Schlimmer noch haben es in Südamerika verwilderte Hunde gemacht. Noch im Jahre 1850 griffen die hungrigen Tiere in LIruguay sogar Reiter an , so daß man auf jeden Hundeschwanz eine Prämie aussetzte. Hier- auf wurden 5000 Hunde getötet. Nicht nur der Hund, sondern alle unsere Haus- tiere verwildern , sich selbst überlassen , mit ein- ziger Ausnahme des Schafes. In Westasien sind mehrfach verwilderte Rinder, Pferde und Kamele gefunden worden. Dieses Land hat ja seit un- denklichen Zeiten furchtbar unter hereinbrechenden wilden Völkerscharen gelitten. Da wurde manch Dorf zerstört, die Menschen wurden getötet und nur ein paar Haustiere retteten sich und waren nun auf sich allein angewiesen. Auch verwilderte Ziegen und Schweine gibt es an vielen Orten. Von den ersteren sind die von der Robinsoninsel Juan Fernandez am bekanntesten. Im Jahre 1563 wurden sie auf dieser südamerikanischen Insel ausgesetzt, da sie aber den Piraten zur willkom- menen Verproviantierung dienten, wollte man sie wieder vernichten. Man setzte Hunde aus, doch wurden die klugen Ziegen nur scheuer und er- hielten sich, während die Hunde eingingen. Ein eigenartiges Schicksal hat das Pferd in Nordamerika gehabt. In vorhistorischer Zeit weidete es in ungezählten Scharen auf den großen Grasflächen des Erdteils. Dann scheint es voll- ständig ausgestorben zu sein, wodurch, ist ein Rätsel. Seine Nahrung hat sich nicht vermindert, neue Feinde hat es nicht bekommen, und so bleibt uns nichts übrig, als daß wir uns entweder vorstellen , daß irgendwelche atmosphärischen 706 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 45 Strömungen oder auch Wolken schädlicher In- sekten (gleich der Tsetsefliege in Afrika) den Herden den Tod brachten. Wie dem aber auch sei, als C ort es nach Mexiko kam, staunten die Indianer am meisten das niegesehene Pferd an. Bald gewöhnten sie sich aber an das neue Haus- tier, manche Stämme der Roten wurden zu ver- wegenen Reitern und bei steter Züchtung des Pferdes geschah es, daß wieder einige der Tiere verwilderten und sich so stark vermehrten, daß sie als „Mustangs" zum zweitenmal die Steppen Nordamerikas bevölkerten. Ein Tier, mit dessen Einführung man sehr üble Erfahrungen gemacht hat, ist das Kaninchen. Die Heimat dieses schädlichen Nagers ist Südwest- europa und schon zur Zeit des Kaisers Augustus wandten sich die Bewohner der Balearen mit der Bitte nach Rom, man möge ihnen zur Bekämpfung der Plage Soldaten senden. Heute gibt es Kanin- chen in ganz Europa, auf Madeira, Jamaika, in Kalifornien, auf den Falklandsinseln, den Kerguelen, in Australien und Neuseeland. Besonders in den beiden letzten Ländern ist das Kaninciien zu einer furchtbaren Landplage geworden. Überall wühlt es den Boden auf und verdirbt dadurch, sowie durch Wegfressen des jungen Grases die Weiden. Seinetwegen mußte man große Weideplätze auf- geben, und die Schafzucht ging auf ein Viertel ihres früheren Umfangs zurück. Das beste Weide- land wurde umzäunt. So lief zwischen Ncusüd- wales und Südaustralien ein 519 km langer Draht- zaun dahin, der 600000 Mark kostete. In Neu- südwales gab man in den 80 er Jahren über 15 Millionen Mark für Kaninchenvernichtungsmaß- regeln aus. Aber wirklich bewährt hat sich bis- her keine derselben. Eingeführte Füchse, Marder, Mungos (indische Ichneumons) gaben die Kaninchenjagd bald auf und wählten sich das bequemer zugängliche Haus- geflügel zur Beute. So hatte man in ihnen nur neue Schädlinge gewonnen. Auch in Westindien hatte man den Mungo zur Bekämpfung der Ratten- plage eingeführt. Mit diesen Nagern wurde das muntere Raubtier zwar fertig, aber als das ge- schehen war, mußte es, wie natürlich, sich andere Nahrung suchen, brach in die Hühnerställe ein und wurde nun seinerseits bekämpft. Viel zur Einbürgerung fremder Tiere haben die Jäger beigetragen. Das älteste ausländische Jagdwild in Europa ist der Fasan. Schon zur Römerzeit bewohnte er Süddeutschland , ja, nach der Sage sollen ihn die Argonauten über das Meer gebracht haben vom Flusse Phasis und der Stadt Colchis, Namen, die in der wissenschaftlichen Be- nennung des Fasans: Phasianus colchicus nach- klingen. In England ist das südeuropäische Rot- huhn , die virginische und kalifornische Wachtel eingeführt worden, in Deutschland das schottische Moorhuhn und der amerikanische Wildputer. Den amerikanischen Wapitihirsch und den Altaihirsch gibt es bereits in mehreren deutschen Jagdrevieren, Fürst Pleß hat in seinen Besitzungen den Wisent eingebürgert, im I larz und im Taunus gedeiht das südeuropäische Wildschaf, der Mufflon. Auch Känguruhs hat man in der Eifel ausgesetzt. Sie hielten sich gut, wurden aber allmählich von Wilderern abgeschossen. Auch Tierliebhabern ist die Einbürgerung einiger Arten gelungen. Insektenfreunde haben große ostasiatische Spinnerschmetterlinge bei uns heimisch werden lassen, Terrarien- und Aquarien- liebhaber eine Reihe von Eidechsen und Zwerg- fischen. Von fremdländischen Nutzfischen gibt es bei uns die Regenbogenforelle, den Bachsaibling, Schwarzbarsch und Forellenbarsch, während unsere Fische vielfach schon in fremden Erdteilen zu fin- den sind. So habe ich in den Bächen des Hoch- landes von Ceylon die muntere Forelle dahin- schießen sehen, die hier in der kühlen Luft dem Engländer Gelegenheit zu gesundem Angelsport gibt. Mehr Tiere als bei uns haben Liebhaber in anderen Erdteilen eingebürgert, so vor allem in Nordamerika. Der Grund ist verständlich. Die Auswanderer, die in jenes Land kommen, haben die Liebe zur alten Heimat nicht verloren und denken immer wieder an das Vaterland zurück. Alles, was sie an dieses erinnert, ist ihnen lieb, und so vor allem auch die Stimmen der Vögel, die sie von Kindheit auf in Wald und Feld gehört haben. Die Vögel der neuen Heimat sagen ihnen nichts, sie sind ihnen fremd, und so freuen sie sich, wenn sie wieder altgewohnten Gesang hören, dadurch wird ihnen die neue Umgebung gewisser- maßen um einen Schritt mehr zur Heimat. Frei- lich, besser wäre es, wenn die Ansiedler sich Mühe gäben, mit den amerikanischen Vögeln ver- traut zu werden, unter denen herrliche Sänger sind, wie die Spottdrossel. Auch paßt das Einheimische besser in die Landschaft hinein, das Fremde macht sich oft aufdringlich bemerkbar und verdrängt die Alteingesessenen. F'ür letzteres ist das beste Beispiel der Spatz, der mit solchem Erfolge in Amerika eingebürgert worden ist, daß er zu einer Plage wurde. Aus dem Osten des Erdteils ist er allmählich bis an den Stillen Ozean vorgedrungen, überall Schaden stiftend und die einheimische Vogelwelt verjagend. Auch in Australien macht sich der dorthin eben- falls gebrachte Spatz unangenehm bemerkbar. Von anderen Vögeln sind in Nordamerika bereits fest eingebürgert : Star, Amsel, Mönchs- grasmücke, Singdrossel, Lerche, Buchfink, Hänf- ling, Stieglitz, Grünling, Gimpel, Kernbeißer, Gold- ammer, Kreuzschnabel, Waldschnepfe, Rebhuhn, Fasan. Mißerfolg hat man eigentlich nur mit Nachtigallen gehabt. Die anderen Zugvögel haben ihre Wanderungen aufgenommen, soweit sie im Norden nisten , und gehen im Winter an den Stillen Ozean, ja bis nach Mittelamerika. Dieselben Arten, die oben genannt wurden, sind auch in Australien ausgesetzt worden. Es waren hier 16 im ganzen. Leider haben die Tiere häufig ihre Lebensgewohnheiten zum Nachteil des N. F. XIII. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 707 Menschen verändert. Der Star ist in Neuseeland zum Fruchtfresser geworden, der Grünling zum Getreideschädling und die Lerche soll gar Rüb- samen fressen. Der aus Indien eingebürgerte indische Star, in seiner Heimat ein sehr nützliches Tier, verfolgt in Australien junge Hühner und Tauben ! Kurz, eigentlich hat man bei den Ein- bürgerungsversuchen mehr Arger als Freude ge- habt. Und das ist verständlich. Denn jedes Tier ist an die Umgebung, in der es lebt, angepaßt und wie ein Rädchen in ein Uhrwerk eingefügt. Dar- um hat die Veränderung jeder Tierart ihre Folgen, die oft an ganz unvermuteter Stelle herauskommen. Und wird ein Tier in ein fremdes Land gebracht, so wird es aus allen seinen Beziehungen heraus- gerissen. Zu Hause befindet es sich im Gleich- gewicht der Natur, in der Fremde wird es das dortige Gleichgewicht stören. Von jedem Tier laufen gewissermaßen Fäden aus, die es mit anderen Tieren und Pflanzen ver- knüpfen. Versetzt man es, so reißt man diese Fäden ab, und das Tier muß entweder zugrunde gehen, oder es entwickelt sich plötzlich mit rasender Geschwindigkeit, da viele dieser Fäden auch hemmender Natur waren. Derartige Hem- mungen üben vor allem die Feinde des betreffen- den Wesens aus, und so sollte man, wenn man irgendwo eine Tierart einbürgert, zum mindesten auch seine Feinde mitnehmen. Denn auch die übernatürliche schnelle Entwicklung führt schließ- lich zum Ende, entweder dadurch, daß das Tier sich so unangenehm bemerkbar macht , daß es vernichtet werden muß oder dadurch, daß es an Übervölkerung zugrunde geht. Übertriebenem Wachstum folgt immer der Tod, das lehrt uns die Geschichte der Organismenwelt tausendfach. So sollte man Einbürgerungen nur da ver- suchen, wo in der einheimischen Tierwelt wirk- lich eine klaffende und sonst nicht zy schließende Lücke vorhanden ist. Und mit größter Vorsicht auf Grund sorgfältiger Untersuchungen sollte das neue Tier so ausgesucht werden, daß es wirklich vollkommen in diese Lücke hineinpaßt und die Fäden, die seit dem Tode des alten Tieres in der Luft hängen, sich zwanglos an das neue anknüpfen lassen. Statt des ausgerotteten europäischen Bibers könnte man den südamerikanischen Sumpf- biber (Myopotamus coypu) einführen, der als Grasfresser weniger schädlich wäre. Und dort, wo am Ufer eines Flusses oder Sees die Schilf- landschaft entfernt worden ist und damit den einheimischen Enten die Brutgelegenheit entzogen wurde, ginge es wohl an, die amerikanische Braut- ente (Aix sponsa) auszusetzen, die in leicht an den Bäumen anzubringenden Nistkästen brütet. Bisher sind aber derartige Gesichtspunkte kaum berücksichtigt worden. Und so erklärt es sich, daß der Mensch auch da, wo er die Natur be- reichern wollte, in seinem Unverstand und mit seinem täppischen Zugreifen der Verödung von Wald und Feld oft nur weiter Vorschub geleistet hat. Die Ursache der Pellagrakraiikheit. [Nachdruck verboten.] Von Univ.-Prof. Dr. phil. et med. Die Pellagra ist eine in gewissen Landstrichen Südeuropas, namentlich in Italien, auftretende Seuche, die alljährlich Tausende von Opfern fordert. Ihre Behandlung ist bis jetzt fast erfolglos geblieben. So erliegen ihr in Italien allein jährlich ungefähr 4000 Menschen. Früher war die Zahl der Krank- heitsfälle noch bedeutend größer. Sie betrug 1881 104,067 und trotzdem sie beständig abnimmt, waren es 1910 noch 33,869 Pellagrakranke. Es ist eine meist chronisch verlaufende Erkrankung, besonders des Nervensystems. Sie dauert 10 — 15 Jahre und endigt gewöhnlich mit dem Tod; nicht selten führt sie zum Wahnsinn. Ihre Ursache ist, wie bei der Krebskrankheit, mit Sicherheit bisher nicht bekannt. Man weiß ! nur, daß sie ihre Opfer fordert in jenen Bevölke- rungsschichten, für die der Mais das Hauptnahrungs- niittel bildet. Auf den darin liegenden Hinweis stützt sich auch die älteste Theorie von Lom- ■ broso und seiner Schule, wonach die Verwen- dung von verdorbenem Mais zu Nahrungszwecken den Anlaß zum Ausbruch der Pellagrakrankheit geben soll. Tierversuche indes hatten das Ergebnis, daß es ganz einerlei ist, ob guter oder schlechter Mais zur F"ütterung dient. L. Kathariner, Freiburg (Schweiz). Nach Guido Tizzoni wäre ein bestimmter auf verdorbenem Mais vorkommender Bazillus der Krankheitserreger. Tizzoni nennt ihn Strepto- bacillus pellagrae. Nach Prof S a m b o n dagegen wäre die Pella- gra veranlaßt durch einen tierischen Mikroorga- nismus, ein Protozoon. Überträger desselben wäre ein stechender Zweiflügler, eine Art der Kriebel- mücken, Simuliidae, die bei ihrem Stich den Krankheitskeim vom Kranken auf den Gesunden übertragen sollte, etwa wie .'\nopheles das Plas- modium malariae, den Erreger des Wechselfiebers. In ganz anderer Richtung bewegen sich die von C. Funk und zwei italienischen Forschern aufgestellten Theorien. Nach Funk wäre die Pellagra eine Avita- minose, bedingt durch das Fehlen eines für das Leben unentbehrlichen Stoffes in der Nahrung, des Vitamins, welches beim 'Schälen des Mais verloren ginge. Er vertritt diese Ansicht von der Natur der Pellagraseuche, deren Symptome die Folgen einer Unterernährung wären, mit aller Entschiedenheit in einem Aufsatz: Prophylaxe und Therapie der Pellagra im Lichte der Vitaminlehre (Münchener Med. Wochenschr. Nr. 13, 1914), indem er darauf 7o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 45 hinweist, daß dort, wo infolge gröberen Mahlens ein Teil der vitaminhaltigen Aleuronschicht mit ins Mehl käme, die Krankheit viel weniger ver- derblich auftrete; so seien schwere Fälle weit häufiger in den Vereinigten Staaten, wo der Mais energisch geschlifi'en wird, als in Italien und Ägyp- ten, wo er nur grob gemahlen würde. Mit seiner Auffassung insofern verwandt, als die Ursache ^n der chemischen Beschaffenheit der Maisnahrung gesehen wird, ist auch die neueste Theorie von A I essand rini und Scala (II Poli- clinico 1913)- Die Genannten stellten fest, daß an den Orilichkeiten , wo die Pellagra herrscht, der Boden tonhaltig ist. Durch das Regen- wasser nun würde der Ton hydrolysiert und spaltete sich in Tonerde und Kieselsäure. Diese seien dann in kolloidaler Form im Wasser ent- halten. Beide würden sich zwar gegenseitig nieder- schlagen, aber es bliebe ein Überschuß von kol- loidaler Kieselsäure. Diese aber sei für den Or- ganismus ein Gift, indem sie das Kochsalz zurück- halte und eine Anreicherung des menschlichen Organismus an NaCl bewirke. Beim Zusammen- treffen mit den eiweißhaltigen Verbindungen des Zellprotoplasmas spalte das Natriumchlorid .Salz- säure ab, und so entstände eine Mineralsäure- vergiftung. Es gäbe nun andererseits gewisse Salze im Wasser, welche die kolloidale Kieselsäure wieder binden und so geeignet wären, die giftige Wirkung des Wassers aufzuheben. Dies treffe z. B. für kalkhaltiges Wasser zu. Es empfehle sich daher, prophylaktisch dem Pellagra verursachenden Wasser kohlensauren Kalk in Form kleiner Steinchen beizufügen. Im Falle einer Infektion hätten Injektionen einer Lösung von citrate trisodique stets ausge- zeichnete Erfolge gehabt. Die Heilung sei sowohl beim Menschen als bei Tieren in vielen Fällen geglückt. Sehr interessant ist, daß in Phallen von Avita- minosen Funk gleichfalls Zitronensaft als wirk- sames Gegenmittel empfiehlt. So sehr die beiden letztgenannten Ansichten auseinander gehen — nach der einen wäre das Fehlen einer lebens- wichtigen Substanz, nach der andern ein positives Gift die Ursache der Pellagraseuche — , so ist doch wieder die Therapie bei beiden dieselbe. Dies spricht mit großer Wahrscheinlichkeit dafür, daß eine von beiden Theorien über die Ätiologie der Pellagra das Richtige trifft. Erwähnt seien noch Versuche von H. Rau- bischek und Lucksch. Sie fanden, daß aus- schließlich mit Mais gefütterte Tiere (Mäuse, Kaninchen , Meerschweinchen) erkrankten und schließlich verendeten, wenn sie dauernd dem hellen Tageslicht ausgesetzt wurden, in der Dunkel- heit dagegen bei dieser Fütterung gesund blieben. Ganz entsprechende Ergebnisse halten Fütterungs- versuche im Frühjahr und Sommer, bzw. im Herbst und Winter. Diese Wahrnehmungen sprechen für die Ver- giftungstheorie und zwar dafür, daß es sich um ein Gift handelt, das sich im Lichte bildet. ') ') Vgl. dazu den Aufsatz von Dr. Emil Lenk (Darm- stadt): „Tierische Farbstoffe" S. 547 rechts unten d. Bl. Einzelberichte. Zoologie. Über das Vorkommen des Rinder- bandwurms (Taenia saginata Göze) beim Säugling berichtet K. Grimm aus dem Kinderhospital in Köln (Münch. Med. Wochenschr. Nr. 32, 1914). Es handelt sich um einen 10^.2 Monate alten Knaben. Der Bandwurm schien dem Kinde kein Unbehagen zu verursachen, dasselbe hatte guten Appetit und schlief gut. Erst die abgehenden Bandwurmglieder veranlaßten zur Einleitung einer Kur. Es wurde dabei „Kukumarin" gegeben, ein im Handel erhältliches Extrakt des Kürbissamens. Die Gesamtlänge der Taenia betrug 3,25 m. Besonders interessant ist die Frage, wie es wohl möglich war, daß die Pinne in den Darm des Säuglings gelangte. Auf eindringliches Be- fragen gab die Mutter an, daß das Kind vor zwei Monaten rohes geschabtes Pleisch erhalten hatte. Auch in zwei anderen Fällen des Vorkommens von Taenaia saginata bei einem 8- bzw. 9 monat- lichen Kind war rohes fein gehacktes Fleisch gegeben worden. Bei einem 5 Monate alten Kind wurde sogar einmal der Schweinebandwurm (T. solium Rud.) gefunden. Die gewöhnlich im Kindesalter beobachtete Bandwurmart ist der Gurkenkernbandwurm (T. cucunierina Rud.), dessen P'inne in der Hundelaus lebt. Kathariner. Physiologie. Eine steigende Beachtung in der physiologischen Wissenschaft finden in den letzten Jahren die Drüsen mit innerer Sekretion, die endokrinen Drüsen. Es sind Organe von drüsenähnlichem Bau, aber ohne besondere Aus- führungsgänge. Ihr Produkt wird durch den Lymphstrom dem Blute zugeführt und mit diesem zu dem jeweiligen Bestimmungsorgan gebracht. Solche Drüsen sind z. B. die Schild- und die Zirbel- drüse, die Epi- und Hypophyse, u. a. Über ihre Bedeutung für das Leben geben Ausfaller- scheinungen Aufschluß, d. h. Erscheinungen, welche mit der Ausschaltung der Tätigkeit der betreffenden Drüse infolge ihrer Erkrankung oder ihres Fehlens verknüpft sind. Es liegt nahe, durch absichtliche Exstirpätion der endokrinen Drüse im Versuch ihre Bedeutung für das Lebewesen zu ermitteln. Leo Adler untersuchte, welche Folgen die N. F. XIII. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 709 Entfernung der Thymus und der Epiphyse bei der^Froschlarve hat (Metamorphosestudien an Batrachierlarven. A. Exstirpation endokriner Drüsen. B. Exstirpation der Thymus. C. Ex- stirpation der Epiphyse. Archiv für Entwicke- lungsmechanik. XXXX. Bd. 1914). Die Ent- fernung der Thymus geschah bei 22,5- — 23 mm langen Froschlarven mittels des Galvanokauters. Es ergab sich, daß für die Amphibien die Thymus kein lebenswichtiges Organ ist, wie das schon Hammargefunden hatte. Veränderungen im Stoffwechsel konnten nicht festgestellt werden. Gudernatsch hatte früher beobachtet, daß bei Fütterung von Temporarialarven mit Tiiymus das Körperwachstum begünstigt, und die Metamorphose verzögert wurde. Adler glaubte nun, daß umgekehrt durch die Entfernung der Thymus die Metamorphose be- schleunigt würde. Es zeigte sich indes zwischen den Versuchs- und den Kontrolltieren in der Ent- wicklung keinerlei Unterschied. Die Keimdrüsen aber bei drei Exemplaren übertrafen an Größe nicht nur jene der Kontrolltiere, sondern auch die der 17 übrigen operierten Larven. Eine genaue Untersuchung ergab, daß bei letzteren ein Teil der Thymusdrüse erhalten geblieben war und dieser hatte genügt, das Wachstum der Keimanlage in Schranken zu halten. Schon Noel Piaton, der mit Meerschweinchen operiert hatte, konnte wiederholt eine übernormale Entwicklung der Hoden feststellen, wenn die Thymektomie vor Erlangung der Geschlechtsreife stattgefunden hatte. Von anderen Forschern (Klose, Vogt) wurden entsprechendeBeobachtungen gemacht, wogegen Soli, Luden und Pari so t bei thymektomierten Hähnen, Kaninchen, Meer- schweinchen bzw. Hunden eine Verminderung der spezifischen Keimzellen feststellten. Soli ist ge- neigt, die von Piaton beobachtete Keimdrüsen- hyperplasie auf das zufällige Eintreten der Brunst- zeit zurückzuführen. Trotz mancherlei Bedenken scheint es aber doch, daß die Thymus das nor- male Wachstum der Keimdrüsenanlage reguliert. Von den anderen innersekretorischen Drüsen zeigten die Zirbeldrüse (Epiphyse) und die Hypo- physe keinerlei Veränderungen, wohl aber die Schilddrüse (Thyreoidea). Sie war vergrößert, einmal durch eine ödematöse Auflockerung ihres Gewebes, dann aber auch durch eine Vermehrung der absoluten Zahl der Follikel. Der kolloidale Inhalt der Drüsenschläuche war gegenüber den Kontrolltieren zwar absolut vermehrt, aber in der Raumeinheit vermindert; die Wandung der Folli- kel war an vielen Stellen geradezu schlaff. Auch qualitativ erschien das Sekret verschlechtert. Es'sah schaumig oder fädig aus und war nicht gleich- mäßig färbbar. Vielleicht beruht diese Ver- größerung der Schilddrüse auf dem Bestreben, die Funktion der exstirpierten Thymus mit zu über- nehmen. In einer zweiten Versuchsreihe wurde bei 21 mm langen Grasfroschlarven durch den Galvanokauter die Epiphyse zerstört. Auch dieser Eingriff wurde gut vertragen. Auffallend war die Tatsaclie, daß 4 der Tiere sich schneller entwickelten und eher mit der Metamorphose begannen als die übrigen, daß aber keines der Tiere die Verwandlung beendete. Bei 7 Larven trat ein eigentümliches (Jdem auf, das namentlich am Kiefer und an den Schenkeln zu einer Abhebung der Haut führte. Seine Er- klärung bereitet große Schwierigkeiten, zumal es nur bei 7 unter 9 Versuchstieren auftrat. Daß die Metamorphose nicht vollendet wurde, hängt wohl mit dem Ausfall der Epiphyse als einer endokrinen Drüse zusammen. Durch die Unter- suchung von Gu dernatsch und B a b ä k wenig- stens ist nachgewiesen worden, daß die Schild- drüse, also eine andere Drüse mit innerer Se- kretion, bei der Metamorphose eine wesentliche Rolle spielt. Kathariner. Eine hervorragend wichtige Rolle spielen im Körper des Organismus die IJpoide. Es sind dies in den Geweben und den Körperflüssig- keiten enthaltene, durch organische Lösungen (Äther, Benzol usw.) extrahierbare Substanzen, besonders Cholesterin und Lezithine. Der Gehalt an phosphorsauren Lipoiden und an Cholesterin ist normalerweise konstant, (constancelipocytique). Über die Schwankungen des Cholesteringehalts bei Krankheiten wurde früher (Nr. 5 1 d. Bl.) berichtet. In einer neuen Arbeit (Constance de la con- centration des organismes entiers en lipoides phosphores; concentration en lipoides au cours de la croissance. Application ä la biometrique. C. R. Ac. sc. Paris Nr. i, 6 juillet 1914) behandeln Andre Mayer und Georges Schaeffer die Frage nach dem Gehalt des Organismus an phosphorhaltigen Lipoiden bei den verschiedenen Tierarten und unter ver- schiedenen Lebensbedingungen, be- sonders während des Wachstums. Bei warmblütigen Tieren ist er größer, als bei kalt- blütigen und wechselwarmen Tieren. So z. B. bei der Maus 0,77 — 0,84, Ratte 0,54—0,60, Fleder- maus 0,84 — 0,91, Goldfisch 0,34 — 0,45, P'rosch 0,3 5 — 0,4 1 , Blutegel 0,23 — 0,27, Seestern 0,30—0,33 usw. Lipoidphosphor pro kg Körpergewicht. Zusammenfassend kann man sagen, daß der Gehalt an Lipoidphosphor namentlich bei den warmblütigen Tieren für die verschiedenen Indivi- duen derselben Art konstant ist. Ferner bildet der Gehalt bestimmter Organe an Lipoidphosphor einen Maßstab für den des ganzen Körpers. Seine Menge beträgt in den Nieren des Meerschweinchens 10 — 13, der Ratte II — 14 mg pro kg Körpergewicht. Während des Wachstums nimmt die Menge des Cholesterins kurz nach der Geburt rasch zu, um dann konstant zu bleiben; so betrug sie z. B. bei einer Ratte von 5 g im Verhältnis gerade so viel, wie bei einer solchen von 1 1 8 g. Kathariner. 7IO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xin. Nr. 45 Tierisches oder pflanzliches Eiweiß? Über die hervorragende Bedeutung des Eiweißes als eines unentbehrlichen Bestandteils unserer Nahrung besteht kein Zweifel. Die Meinungen sind jedoch geteilt bezüglich der zur normalen Ernährung nötigen Menge und der Form, in der es am zweckmäßigsten dem Körper einverleibt wird, mit anderen Worten, ob das pflanzliche dem tierischen Eiweiß und die vegetarianische Lebensweise der Gemischtkost gegenüber gleich- wertig bzw. ihr vorzuziehen sei. Anlaß zu letz- terer Frage gibt die Tatsache, daß die Ursache vieler Stoffwechselkrankheiten, vor allem der Gicht, in überreichlichem Heischgenuß zu suchen ist. Dazu kommt die viel größere Billigkeit des vege- tarianischen Regimes. Tierisches Eiweiß liegt vor allem im PTeisch in der verschiedensten Form der Zubereitung vor, Pflanzeneiweiß findet sich im Getreide als Kleber und in Hülsenfrüchten (Bohnen, Erbsen, Linsen) als Legumin. Die Kar- toffeln enthalten dagegen nur eine sehr geringe Menge. Was zunächst die Quantität des Eiweißes an- geht, welche zur Ernährung nötig ist, so gaU über 50 Jahre die von dem Münchener Physio- logen Voit aufgestellte Norm. Ein Erwachsener braucht danach täglich 120 g, bei Muskelarbeit bis 150 g Eiweiß in der Nahrung und mehr. Diese Zahlen werden neuerdings von manchen Physiologen zu hoch gefunden. In einem Aufsatz (Eiweißbedarf und Fleischnahrung. Münchener Med. Wochenschr. Nr. 16, 1914) führt Prof. Dr. Decker Versuche des amerikanischen Physio- logen Chittenden an. Bei zwölf Soldaten die neun Monate lang nur Vs der üblichen Ration genommen hatten, blieb nicht nur das Körper- gewicht gleich, sondern die Muskelkraft nahm sogar während dieser Zeit um das doppelte zu. Sieben Berufsathleten, die nach Voit ca. 150 g Eiweiß nötig gehabt hätten, erhielten nur 50 — 60 g. Ihre Muskelkraft stieg trotzdem um 3o'7o. Der dänische Arzt Hind'hede hält eine Ernährung für ausreichend, bei der nur Grütze, Brot, Butter, Kartoffeln, Gemüße, Zucker und Früchte, besonders Erdbeeren, genossen werden. Decker verwahrt sich ausdrücklich dagegen, er wolle die rein vege- tarianische Lebensweise befürworten. Geschmack und Gewohnheit sprächen für gemischte Kost. Das pflanzliche sei aber dem tierischen Eiweiß, wie es die Fleischkost enthalte, im Nährwert völlig gleich. Bei den Wettmärschen der letzten Jahre seien -/„ der Vegetarianer ans Ziel gekommen. bei Berlin" seien die Vegetarianer ge- von den Gemischtkostessern dagegen nur dem Dauermarsch „Rund um vier ersten Preise gleichfalls an fallen. Die japanischen Karrenzieher, welche sich hauptsächlich von Reis nährten, vermöchten einen erwachsenen Menschen Strecken von lookm und mehr im Trab zu ziehen. 50—60 g Eiweiß sind nach seiner Meinung ausreichend. Es ließe sich viel- fach einesparsamere Ernährung einführen; so könnten in der Gefängniskost noch 2" g Eiweiß gestrichen werden. Er schließt: 60 g Eiweiß sind für den körperlich arbeitenden Menschen genug, und da der Nährwert des pflanzlichen Eiweißes dem tie- rischen gleichkommt, kann '/., davon durch Pflanzen- kost gedeckt werden. Fleischkost einmal pro Tag sei auch sonst ausreichend, sogar gesünder, und ein ganz fleischfreier Tag pro Woche zu emp- fehlen. Im Gegensatz zu Decker betont Dr. Kiss- kalt vom hygienischen Institut Königsberg i. Pr. die große Bedeutung, welche die Fleischnahrung für die Deckung des Eiweißbedarfes hat. In: „Eiweißbedarf und Fleischnahrung" (Münchener Med. Wochenschr. Nr. 29, 1914) sagt er, wenn man immer die japanischen Karrenzieher als Bei- spiel dafür anführe, daß die Volksernährung an- derswo mit viel weniger Eiweiß auskommen könne, so würde dabei gar nicht berücksichtigt, daß das durchschnittliche Körpergewicht hier auch viel geringer sei, nur 50 kg statt 70 kg bei uns. In bezug auf die Volksernährung könnten Japan und Ostasien überhaupt nicht vorbildlich sein. Die Beriberi, eine Volkskrankheit, die mit der Einführung von enthülstem Reis als Volks- nahrungsmittel ausgebrochen sei, richte dort grö- ßere Verwüstungen an, als in Europa die Tuber- kulose. Ausserdem sei der Rückgang der letzteren in Deutschland, England usw. insofern er auf einer Besserung der sozialen Verhältnisse beruhe, in erster Linie einer besseren Ernährung zu ver- danken. „Die Versuche von Reach, Hornemann und Thomas zeigen, daß Tiere bei eiweißreicher Kost zur Tuberkulose weniger disponiert sind, wie auch zu gewissen Vergiftungen, und so müssen wir denn in Übereinstimmung mit anderen Tat- sachen die Besserung der Ernährungsverhältnisse und besonders des Fleischkonsums der großen Masse als Hygieniker aufs wärmste begrüßen." Wenn Prof. Decker die Versuche von Chittenden anführt, um zu beweisen, daß auch bei schwerer Muskelarbeit weniger Eiweiß in der Nahrung nötig sei, als Voit glaubte, so bemerkt Kisskalt dazu folgendes. Die Soldaten waren sog. Küchensoldaten und hatten außer etwas Turnen keine nennenswerte Muskelarbeit zu lei- sten, die Athleten aber waren keine Berufsathleten, sondern Studenten, die sich täglich einige Stunden dem Sport widmeten. Wenn nun auch momentan dabei, z. B. beim Stemmen schwerer Gewichte, eine sehr große Arbeit geleistet wird, so ist diese doch nur von kurzer Dauer. Wenn jemand seinen 70 kg schweren Körper eine ungefähr 10 m hohe Treppe hinaufträgt, leistet er dabei eine größere Arbeit. Ebenso ist die Arbeitsleistung eines kräf- tigen Karrengauls wesentlich größer als die eines Rennpferds. Wenn Decker weiter meint, daß pflanz- liches dem tierischen Eiweiß gleichwertig sei, so ist das durchaus nicht der Fall. Das Pflanzeneiweiß N. F. Xm. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 711 hat "wegen seiner Zusammensetzung aus anderen Aminosäuren einen geringeren Wert; lOO g Fleisch- oder Milcheiweiß können zwar 100 g Körpereiweiß ersetzen, 100 g Reiseiweiß dagegen nur 88 g, Kartoffeleiweiß 70 g, Erbseneiweiß nur 56 g, Weizeneiweiß nur 40 g und Maiseiweiß nur 30 g Körpereiweiß (Thomas). Man muß wohl unterscheiden zwischen der Quantität der Eiweißnahrung, welche gegessen, und der Eiweiß- quantität, welche resorbiert wird. Die Zahlen von Voit beziehen sich auf erstere, die von Chittenden auf letztere. Berücksichtigt man bei beiden Mengen die Quantität dessen, was durch Kot und Schweiß ausgescliieden wird, so erhält man ungefähr die gleiche Zahl etwa Si g. Die Kost, welche Chittenden empfiehlt, ist für die Arbeiterfrau viel zu teuer. Fische z. B. kosten zu viel Fett. Ferner hätte die Frau eines Arbeiters gar nicht die Zeit zur Zubereitung mancher Speisen. Einen radikalen Vorschlag macht Hindhede: Kartoffeln und Zentrifugenmilch. Was die Frage anbelangt, ob man bei einer solchen Kost gesund und kräftig bleiben könnte, so ist dieselbe unbedingt zu bejahen, wie schon in den 70 er Jahren an Holz- knechten nachgewiesen wurde. Aber für die Er- nährung körperlich weniger arbeitender Volks- klassen würde sich eine solche Kost nicht eig- nen. Rechenberg hat die Kost der Zittauer Weber untersucht und eine Aufnahme von 65 g Eiweiß = 27S3 Kalorien gefunden. Die Ernährung erwies sich jedoch als unzulänglich. Ohne daß die Leute Hunger litten, waren sie unterernährt. Außerdem birgt eine reizlose Kost die Gefahr des Alkoholmißbrauchs in sich, da der Organis- mus ein Reizmittel verlangt. „Reizlose, ein- förmige Kost bedeutet für die große Masse eine eminente Gefahr, denn bei dem berechtigten Wunsche nach Genußmitteln pflegt unweigerlich der Schnaps seine Ernte zu halten. (R u b n e r). Diese Worte zeigen im Gegensatz zu den „Re- formen" einen eminent praktischen Blick für die Fragen der Volksernährung; denn wie Retorte und menschlicher Organismus zwei grundver- schiedene Dinge sind, ebenso auch Laboratorium und Leben." (Decker.) Eine Eiweißüberfütterung der Kinder und übermäßiger Fleischgenuß ist sicher schädlich, wie dies erste Hygieniker längst ausgesprochen haben. Die Restaurationskost ist ja aus dem- selben Grunde auf die Dauer unerträglich. Für einen körperlich arbeitenden Mann, einen Tischler, Dienstmann usw. aber sind 118 g Eiweiß, davon '/g animalisches, also nicht ganz 40 g, wie sie in etwas mehr als '/^ Pfund gekochten Fleisches ent- halten sind, nicht zuviel, zumal wenn ein Teil des animalischen Eiweißes etwa in Form Milch oder Käse gegeben wird. K isskalt sagt, das Charakteristische in dem Kampfe gegen die Voit 'sehe Norm sei, daß sich von die wenigsten darüber klar sind, wie wenig Fleisch usw. sie eigentlich fordert. Die große Masse des Volkes erführe über- haupt nichts von der ganzen Reform auf dem Gebiete der Ernährung. Für die Bemittelten sei es nur gut, wenn sie etwas weniger Fleisch essen würden, und insofern könnten jene englischen Äußerungen ihr Gutes haben. Entschieden aber müßte dagegen protestiert werden, wenn man diese Ansichten auf jene Fälle übertragen wollte, in denen, wie in Gefängnissen, die Art der Er- nährung von dem einzelnen unabhängig sei. Das Sinken der Sterblichkeitsziffer in den Strafanstalten sei wohl in erster Linie auf eine Verbesserung der Ernährung zurückzuführen ; trotzdem wäre die Sterbeziffer an Tuberkulose in Gefängnissen und Zuchthäusern noch abnorm hoch und wäre noch höher, wenn nicht zahreiche Insassen in späteren Stadien entlassen würden und zu Hause stürben. Wer weiß, wie der Sträfling die kleinen Brocken der seltenen Fleischration aus dem üb- rigen Brei seines Essens herausfischen muß, wird nicht von einer überreichen Fleischnahrung reden Kathariner. Anthropologie. Über die Vermehrung und fortschreitende Bastardierung der Negerbevö)kerung der Vereinigten Staaten Amerikas enthält derl<ürz- lich erschienene Bericht über die amerikanische Volkszählung von 1910 beachtenswerte Angaben. Die als Sklaven vom tropischen x^frika nach der gemäßigten Zone Nordamerikas verpflanzten Neger haben den Wechsel des Klimas und der sonstigen Lebensbedingungen im allgemeinen gut ertragen, was vor allem ihre starke Vermehrung nach dem Aufhören der Sklaveneinfuhr beweist. Im Jahre 1 800 wurden i 002 000 Neger gezählt; 1870, bei der ersten Volkszählung nach der Sklavenbefreiung, betrug ihre Zahl bereits 5392000, 1880 betrug sie 6581000 (-1-22%), 1^890 6489000 (+i3,5"'o), 1900 8834000 (-1-18%) und 1910 9828000 (-)- ii,2°/o). Dabei sind in allen Jahren rein- rassige Neger und Negermischlinge zusammen- gezählt. Das Gedeihen der Neger im gemäßigten Nordamerika wird namentlich von amerikanischen Autoren darauf zurückgeführt, daß durch die Skla- verei alle Schwächlinge unter den Schwarzen aus- gemerzt wurden. So schreibt z. B. Tillinghast '), daß nur die kräftigsten Individuen all die Leiden und Entbehrungen überstehen konnten, welche die Sklavenjagden und Sklaventransporte mit sich brachten. Wer schwach oder krank war, ging ohne Rücksicht zugrunde. Es ist wahrscheinlich, daß sich die große Mehrheit der in Amerika an- gekommenen Neger bald erholte und fähig war, ihre kräftige Konstitution auf die Nachkommen zu übertragen. Doch blieben die Neger auch in Amerika starken selektorischen Einflüssen aus- gesetzt. Da die Sklaven Eigentum ihres Herrn ') Tillinghasl, The Negro in Mrtca. and America, S. 109. New York, 1902. 712 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 45 waren, über das er nach seinem Willen verfügen konnte, so stand es ihm frei, ihre sexuellen Be- ziehungen zu regeln und dadurch eine Verbesserung der Rasse zu erzielen. Das geschah sehr häufig, indem der Sklavenhalter die Vereinigung gewisser Personen, befahl oder begünstigte. Neger, die alle bevorzugten Eigenschaften besaßen, wurden nicht gehindert, wenn sie mit mehreren Frauen ver- kehren wollten. Die Fortpflanzung der Schwäch- linge verstieß gegen das materielle Interesse der Sklavenhalter, die sie deshalb auch gar nicht gerne sahen. Allerdings darf nicht vergessen werden, daß bei dieser künstlichen Zuchtwahl fast nur auf Muskelkraft Bedacht genommen wurde. Es ist ferner kaum zu bezweifeln, daß die aus Afrika eingeführten Negersklaven eine sehr große Fruchtbarkeit besaßen ; denn in Afrika, wo Kriege, Seuchen, Hungersnöte, Menschenopfer usw. zu wahlloser Vernichtung führen, kann sich nur eine außerordentlich fruchtbare Rasse erhalten. Doch hat die Fruchtbarkeit der amerikanischen Neger mit fortschreitender Zivilisation abgenommen, denn ihre prozentuale Vermehrung ist im ganzen lang- samer geworden, obzwar das Jahrzehnt 1890 bis 19CO eine Ausnahme von dieser Regel bildet. Auffallend ist, daß die Neger seit der Sklaven- befreiung in jedem Jahrzehnt verhältnismäßig weniger zunahmen als die von einheimischen (in Amerika geborenen) Eltern stammenden Weißen; es vermehrten sich nämlich die die einheim. Im Jahrzehnt Weißen die Neger 1870— 1880 um 25,5%, um 22,0 "Zu, 1880- 1890 „ 20,3 »/„, „ 13,5%, 1890-1900 „ 18,8 «/„, „ 18,0%, 1900-1910 „ 20,9%, „ 11,2"/',,. Besonders im letzten Jahrzehnt war der Unter- schied schon sehr groß. In den \'ereinigten Staaten gibt es bedauerlicherweise keine Geburtenstatistik. Auf einen Rückgang der Geburtenhäufigkeit kann man jedoch schheßen aus der Abnahme der Zahl der Kinder eines gewissen Alters, die auf eine bestimmte Zahl gebärfähiger Frauen treffen. Es stellt sich überdies heraus, daß der Rückgang der Kinderhäufigkeit bei den Negern verhältnismäßig größer war als bei den Weißen. Auf je 1000 weibliche Personen im Alter von mehr als 15 bis nicht ganz 45 Jahren trafen Kinder unter 5 Jahren: 1900 1910 Bei den einheimischen Weißen 608 585 Negern 592 519 Im Jahre 1900 machte der Unterschied der Häufigkeit bis zu fünfjähriger Kinder auf 1000 Frauen erst 25 zugunsten der Weißen aus, 1910 jedoch bereits 66. Das ist eine für die Weißen als Rasse erfreuliche Erscheinung, weil sie, wenn dieselbe Tendenz der Volksvermehrung anhält, dadurch immer mehr Übergewicht erlangen, selbst wenn die Einwanderung aus Europa auf ein Mindestmaß zurückgehen sollte. Woher es kommt, daß der Kinderreichtum bei den Negern geringer ist und rascher sinkt als bei den Weißen, ist noch nicht einwandfrei festgestellt. Es ist ja gewiß, daß bei den Negern Kinder verhältnismäßig häufiger vernachlässigt werden als bei den Weißen und daß deshalb mehr Negerkinder als weiße Kinder vor dem 5. Jahr sterben. Aber die all- gemeinen Gesundheitsverhältnisse beider Rassen erfahren nach und nach einen Ausgleich, so daß eher eine Verringerung als eine Vergrößerung des Unterschieds der Kinderhäufigkeit zu erwarten wäre. Ein bemerkenswerter Unterschied besteht schon in der Zahl der auf je looo 15 — 45 jährige Frauen treffenden weniger als einjährigen Kinder, die im Jahre 1910 bei den einheimischen Weißen 122, bei den Negern jedoch nur 104 be- trug. Der Kinderreichtum der Farbigen ist be- sonders in den Gebieten mit starker Rassen- m i s c h u n g gering, so vor allem in den Neu- englandstaaten und den nordöstlichen Zentralstaaten, obzwar hier die sanitären und wirtschaftlichen Verhältnisse der Neger erheblich besser sind als in den Südstaaten. Die Volkszählungen ergaben, daß sich die Zahl der Negermischlinge wie folgt stellte: Zahl der Misch- ^f" '^?' gesamten Jahr ,■ .., , ^ Negerbevolkerung ■' hnge überhaupt ^ . , ^ ■^ "^ waren vermischt 1850 405800 II,2"/o 1860 588400 13,2 "/o 1870 584000 12,0% 1890 I 132 100 15,2 "/u I9IO 2050700 20,9 "/y Bei der Zählung von 1870 wurden aus po- litischen Gründen unrichtige Aufzeichnungen ge- macht; deshalb erscheint auch die Zahl der Neger- mischlinge 1870 kleiner als sie bereits 1860 war. In den Jahren 1880 und 1900 wurden die Misch- linge nicht besonders gezählt. Der Prozentsatz der Mischlinge unter der Negerbevölkerung ist gebietsweise erheblich ver- schieden. In der Regel ist er dort am größten, wo die Neger nur schwach unter der Gesamt- bevölkerung vertreten sind, während sich die Neger in den Gebieten, wo sie in großen Massen wohnen, am reinsten erhalten haben. Von den einzelnen Staatengrujjpen weisen die südöstlichen Zentral- staaten verhältnismäßig am wenigsten (19 "q) und die Neuenglandstaaten verhältnismäßig die meisten (33,4 7o) Mischlinge auf. Im Jahre 1910 bildeten die Neger und Neger- mischlinge in zwei Staaten der Union die Mehr- heit der Bevölkerung, nämlich in Mississippi 56,2 °/q und in Südkarolina 55,2%. Von der Negerbevölkerung waren in Mississippi 16,9 "/„ und in Südkarolina 16, i "/q Mischlinge. Eine Zone, in der die Neger (einschließlich der Mischlinge) die Mehrheit der Bevölkerung bilden — der sogenannte schwarze Gürtel — erstreckt sich in wechselnder Breite ungefähr von Rich- mond in Virginien über den nordwestlichen Teil des Staates Karolina (wo sie eine Strecke weit N. V. XIII. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 713 unterbrochen wird) nach Südkarolina, Zentral- georgia und Zentralalabama in das Mississippital, das von etwa 35" 30' n. Br. bis zur Mündung des Mississippistromes überwiegend von Negern be- wohnt ist. Weiter westwärts bilden einige Graf- schaften im südwestlichen Teil des Staates Ar- kanas, im Nordwesten von Louisiana und im Süd- osten von Texas Ausläufer des schwarzen Gürtels. Es ist bemerkenswert, daß sich die Neger mehr und mehr innerhalb des schwarzen Gürtels zu- sammenziehen; sie wandern dahin nicht nur aus dem nördlich davon gelegenen Regionen, sondern auch aus dem Küstengebiet des Atlantischen Ozeans und des Golfs von Mexiko ab. H- Fehlinger. Chemie. Über Rinman's Grün und Kobalt- magnesiumrot. — Glüht man Kieselsäure, Alu- miniumoxyd, Zinkoxyd oder Magnesiumoxyd mit einigen Tropfen einer Kobaltnitratlösung, so ent- stehen, wie jedem Chemiker aus der Lötrohr- analyse bekannt ist, charakteristisch gefärbte Kom- plexe, mit Kieselsäure eine blaue Schmelze, das „Kobaltblau", mit Aluminiumoxyd das un- schmelzbare „Thenard's Blau", mit Zinkoxyd „Rinman's Grün" und mit Magnesiumoxyd das rote „Kobalt magn esiu m rot". Das Ko- baltblau ist eine silikatische Verbindung, für Thenard's Blau ist durch die Untersuchungen von Ebelmen (Journ. f. prakt. Chem. Bd. 43, S. 479 und 484) die Zusammensetzung Al.jOg -CoO nachgewiesen, d. h. es handelt sich bei ihm um eine Verbindung vom Typus der Spinelle. Über die Natur von „Rinman's Grün" und vom „Ko- baltmagnesiumrot" ist durch zwei vor kurzem erschienene Abhandlungen von J. Arvid Hed- vall (Zeitschr. f anorg. Chem. Bd. 86, S. 201 bis 224, und Bd. SS, S. 296 bis 300 ; 1914) Klar- heit geschaffen worden. Sowohl Rinman's Grün als auch das Ko- baltmagnesiumrot kann man, wie Hedvall zeigt, in ziemlich schönen Kristallen erhalten, wenn man die Komponenten Zinkoxyd oder Mag- nesiumoxyd mit Kobaltoxyd (oder beim Glühen in Kobaltoxyd übergehendes Kobaltoxalat oder -karbonat) längere Zeit, am besten unter Hinzu- fügung von Kaliumchlorid als Schmelzmittel, auf lioo bis 1400" C erhitzt. Beim Glühen der Kobaltoxyd-Zinkoxyd-Gemi- sche ■ entstehen gleichzeitig rote und grüne Kristalle Die roten Kristalle erweisen sich durch die chemische Analyse als reines kristallisiertes Kobaltoxyd CoO, während die grünen Kristalle, kristallisiertes Rin- man's Grün, je nach der Zusammensetzung des Ausgangsmaterials aus Zinkox)'d und Kobaltoxyd in wechselndem Verhältnis bestehen: "lo CoO I 39,s6| 26,76 "/„ ZnO 60.44' 73.24 17.71 82,29 Molekular- ( ZnO Verhältnis ) CoO 1,41; 2,52' 4,28 13,84' I2,67[ 8,44| 4,40 86,16 87,33! 91,56 95,60 5.73; 6.35i 10,00 20,00 von Mischkristallen zwischen den Komponenten Kobaltoxyd und Zinkoxyd aufzufassen. Es kri- stallisiert nach Hedvall hexagonal, also ebenso wie das Zinkoxyd, während Kobaltoxyd CoO re- gulär kristallisiert. Ob Rinman's Grün auch regulär kristallisieren kann, wenn Kobaltoxyd dem Zinkoxyd gegenüber in größerer Menge vorhanden ist, ist nicht festgestellt worden. Für das Kobalt magnesiumrot gilt grund- sätzlich das Gleiche wie für Rinman's Grün: Kobalt magnesium rot stellt eine Reihe von Mischkristallen zwischen dem, wie bereits erwähnt wurde, regulär kristallisierenden Kobaltoxyd und dem ebenfalls regulär kristallisierenden Magne- siumoxyd dar, nur kristallisiert es nicht wie Rinman's Grün hexagonal, sondern, wie ja auch zu erwarten ist, regulär wie seine beiden Komponenten. Mg. Die katalytische Wirksamkeit des Ruthe- niums bei Oxydationen ist der Gegenstand eines Patentes,^) das der Badischen Änilin- und Sodafabrik vor kurzem erteilt worden ist. Es hat sich gezeigt, daß sowohl das Rutheni- um selbst als auch seine Verbindungen (Halogen- verbindungen, O.xyde, Ruthenatc usw.) schon in äußerst geringer Menge ungewöhnlich starke Oxydationswirkungen herbeiführen können. Als sehr geeignetes Präparat zur Sauerstoffübertragung hat sich u. a. Rutheniumasbest erwiesen , der durch Aufbringen von Alkaliruthenat auf Asbest hergestellt wird. Dies Material ermöglicht z. B. die Oxydation von Methylalkohol zu Formaldehyd durch Luft schon bei 120". Von anderen für die organisch-chemische Industrie wichtigen An- wendungen ist die Oxydation von Phenanthren zu Phenanthrenchinon zu erwähnen, die durch angesäuerte Natriumchloratlösung schon nach Zusatz einer Spur von Rutheniumchlorid oder Kaliumruthenat erfolgt. Diese O.xydationswir- kungen sind weit kräftiger als die mit anderen Sauerstoffüberträgern zu erzielenden katalytischen Beschleunigungen. Bugge. Astronomie. Sterne mit auffallend großer Be- wegung in der Gesichtslinie hat eine Beobachtungs- reihe auf dem Mt. VVilson (Contrib Nr. 79) zu tage gefördert. Der i ' ,, Meter Spiegel hat bei 100 Sternen, die schwächer sind als 5,5 Größe, und deren Parallaxe bekannt ist, 20 nachgewiesen, deren Geschwindigkeit größer ist als 50 km in der Sekunde, von diesen entfernen sich 5 und nähern sich 15. Ein Stern der 7,4 ten Größe La- lande 1966, mit der geringen Parallaxe von 0,oS" hat die riesige Bewegung in der Gesichtslinie von 325 km in der Sekunde bei einer Bewegung am Himmel von 0,69" im Jahre. Dieser Stern hat die größte bisher bekannt gewordene Eigenbewe- gung überhaupt. Dann ist noch ein Stern mit Rinman's Grün ist demnach als eine Reihe ') D.R.P. No. 275518, Kl. 120. 7'4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 45 250 km gefunden worden. Auffallenderwfiise gehören diese beiden Sterne dem Spektraltypus F an. Riem. Als Vergleichsspektrum wendet man meistens das des Eisens an , weil es viele über das Spektrum verteilte Linien hat, deren Lage sehr gut bekannt ist , so daß man bei jedem Sternspektrum immer geeignete Linien des Eisens in der Nähe haben wird. Aber das Eisen ist nicht immer rein, so daß man oft Linien auf der Platte enthält, die erst selbst noch bestimmt wer- den müssen. Dem gegenüber macht Lunt in den Cape Obs. Annais Bd. 10, Teil 4 darauf auf- merksam, daß sich das Spektrum des Graphits oder eines beliebigen Bleistiftes als sehr brauch- bar erweise. Dies Material gibt Linien, welche alle in der Sonne vorkommen, sie sind sehr zahl- reich, über das ganze Spektrum verteilt, und sehr scharf. Die scharfen Metallinien gehören dem Eisen, Titan, Vanadium und Chrom an, dann sind die alkalischen Erden vertreten, Barium, Stron- tium und Calcium , sodann erscheinen die sel- tenen Erden, Gallium, Scandium, Yttrium, sowie Silizium, Magnesium und Mangan. Hier ist also die Unreinheit des Material ein Gewinn. Riem. Botanik. Der Einfluß der Luftfeuchtigkeit und des Lichtes auf die Transpiration der Pflanzen. Die Transpiration steht mehr als irgendeine andere physiologische l'unktion unter dem Einfluß äußerer Bedingungen. Indessen haben wir keine nähere Kenntnis von den direkten Beziehungen zwischen der Wasserdampfabgabe der Blätter und der Luft- feuchtigkeit sowie dem Grade der Belichtung, weil die Transpiration in hohem Maße von dem Ver- halten der Spaltöffnungen (ob offen oder ge- schlossen) abhängig ist und dieses auch wieder durch die äußeren Bedingungen bestimmt wird. Zu sicheren Schlüssen über jene Beziehungen kann man nur gelangen, wenn es gelingt, das Spiel der Spaltöffnungen aus dem Versuche aus- zuschalten. Dies hat F ran ci s Darwin dadurch erreicht, daß er auf der Unterseite von Blättern des Kirschlorbeers Kakaobutter oder Vaselin ver- rieb, so daß die Spaltöffnungen völlig verstopft wurden und dann zur Herstellung der Ver- bindung zwischen der äußeren Luft und den Interzellularräumen mit der Schere oder einem Rasiermesser 4 — 6 Einschnitte in das Blatt machte, die zwischen den großen Seitenadern von der Peripherie bis zur Mittelrippe verliefen. Das Verfahren gleicht demjenigen von Stahl, der zeigte, daß eingefettete Blätter, in die Löcher ge- stochen worden sind, in den die Wunden um- gebenden Geweben assimilieren und Stärke bilden, was ohne solche Wunden nicht geschieht. Durch eine Berechnung findet Darwin, daß in einem Kirschlorbeerblatt mit vier solchen Ein- schnitten die transpirierenden Offnungen, die die Interzellularräume mit der äußeren Luft verbinden, etwa denselben Flächenraum haben wie unter ge- wöhnlichen L'mständen die Spaltöffnungen. Zur Messung der Transpiration bediente er sich eines Potometers (Potetometers), und den Wechsel der Luftfeuchtigkeit erzielte er einfach durch Heben und Senken einer über die Pflanze gestülpten großen Glasglocke. Die graphische Darstellung der Versuchsergebnisse, bei der die relative P'euch- tigkeit als Abszissen, die Transpirationsgröße als Ordinaten eingetragen sind, ergibt im allgemeinen eine diagonale gerade Linie, woraus folgt, daß zwischen Transpiration und relativer Feuchtigkeit eine bestimmte Beziehung besteht. Dieser Schluß, der eine physikalische Notwendigkeit ist, scheint vorher nicht definitiv bewiesen oder diagrammatisch dargestellt worden zu sein. Dies gilt ebenso für die Veranschaulichung der zuerst von Sachs hervorgehobenen Tatsache, daß auch in dampf- gesättigter Luft Transpiration stattfindet, und die sich darin offenbart, daß die Diagonale des Dia- gramms nicht durch den Schnittpunkt der Koor- dinatenachsen geht. Zum Studium des Ein- flusses des Lichts wurde die Transpiration in einem dunklen Zimmer mit der an einem Nord- fenster des Laboratoriums verglichen ; die Pflanze wurde dabei abwechselnden Perioden der Belichtung und Verdunkelung von je einer Stunde unterworfen. In einigen Versuchen wurde die Transpirations- größe nicht mit dem Potometer, sondern durch den Gewichtsverlust eines Kirschlorbeerzweiges bestimmt. Auch kam in mehreren, von Frl. Pertz ausgeführten Versuchen, Efeu zur Verwertung, dessen Bllätter ebenso behandelt wurden, wie es für den Kirschlorbeer beschrieben worden ist. Unter normalen Umständen wird bei verdunkelten Blättern durch den eintretenden Verschluß der Spaltöffnungen die verdunstende Oberfläche sehr vermindert. Bei dem Darwinschen Verfahren bleibt sie aber konstant. Auch hier aber war fast immer die Transpiration im Lichte größer als die im Dunkeln. Das durchschnittliche Ver- hältnis beider betrug für den Kirschlorbeer 132: 100, beim Efeu 136:100. Im Frühsommer reagierte der Kirschlorbeer gegen die Lichtwirkung stärker als im Frühling, was zunächst unerklärt bleibt. Bezüglich der Haupttatsache, daß die Transpiration durch das Licht verstärkt, durch Dunkelheit ver- mindert wird, kann man entweder der Ansicht W iesner's beitreten, daß die Chloroplasten im Lichte durch die Absorption strahlender Energie erwärmt werden, oder man kann annehmen, daß das Licht eine erhöhte Durchlässigkeit der Plas- mahaut gegen Wasser herbeiführt (eine Ansicht, die in den Untersuchungen von Lepeschkin und Tröndle eine Stütze findet), oder man kann beide Theorien miteinander kombinieren. (Pro- ceedings of the Royal Society B., Vol. 87, 1914. pp. 269—299). F. Moewes. Der Einfluß der Bordeauxbrühe auf die Trans- spiration. Seit lange ist bekannt, daß die zur Bekämpfung parasitischer Pilze angewandte N. F. XIII. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 715 Bespritzung der Blätter des Weinstocks, der Kar- tofi'el usw. mit Bordeauxmischung (Kupfervitriol, Kalk, Wasser) auch einen unmittelbar fördernden Einfluß auf die Lebenstätigkeit und Langlebigkeit der Pflanze hat. Auch ist namentlich bei der Kartoffel eine beträchtliche Erhöhung des Ertrages an Knollen bei den gespritzten Pflanzen beobachtet worden. Über die Frage, welche Rolle eine Ände- rung der Transpirationsgröße hierbei spielt, gehen die Ansichten auseinander. Frank und Krüger (1894) haben angegeben, daß die Spritzflüssigkeit die Transpiration (der Kartoffel) erhöht. Da- gegen hat zuerst Rumm (1893) und nach ihm eine Anzahl anderer Forscher gefunden, daß die Bespritzung eine Herabsetzung der Transpi- ration herbeiführt; diese Erscheinung ist teils auf die Verstopfung der Spaltöffnungen, teils auf die Schattenwirkung des Kupfer-Kalk-Häutchens auf den Blättern zurückgeführt worden. Kürzlich ver- öffentlichte Versuche vonDuggar und Cooley von der Washington-Universität in St. Louis haben indessen die Angabe, daß die Transpiration durch die Bordeauxbrühe herabgesetzt wird, nicht be- stätigt. Diese Versuche wurden teils mit abge- schnittenen Rizinusblättern unter Benutzung eines Potetometers, teils mit Tomatenpflanzen in Töpfen, die in Paraffin getaucht, und deren Bodenflächen auch mit Paraffin überzogen waren, angestellt. In beiden Fällen wurden Ober- und Unterseite der Blätter sorgfältig mit Bordeauxbrühe bespritzt. Bei den eingetopften Pflanzen kam außerdem Be- stäubung oder Bespritzung der Blätter mit ver- schiedenen Substanzen (Kalk, Tonerde, Holzkohle usw.) zur Verwendung. Das Ergebnis der Poteto- meterversuche ließ nur den Schluß zu, daß die Transpiration durch die Bespritzung mit Bordeaux- brühe verstärkt wird. Auch die Versuche mit Topfpflanzen sprechen trotz einiger individueller Abweichungen für eine Förderung der Transpi- ration durch die Bordeauxmischung. Die anderen Stoffe hingegen übten keinen sichtbaren Einfluß auf die Transpiration aus. Es bliebe nunmehr festzustellen, welches die physikalische und che- mische Grundlage der vermehrten Wasserabgabe ist, und ferner, ob diese mit der Erhöhung der Lebenstätigkeit und der Verlängerung der Lebens- dauer bei den gespritzten Pflanzen verknüpft ist. Zurzeit kann keine dieser Fragen zuverlässig be- antwortet werden (Annais ofthe Missouri Botanical Garden 1914, Vol. 1, p. I — 2i,Taf.). F. Moewes. Kleinere Mitteilungen, Der Linsenstar des Auges (Cataracta) beruht bekanntlich darauf, daß die normalerweise völlig durchsichtige Linse sich trübt und den Licht- strahlen den Durchtritt mehr oder minder er- schwert. Als dessen Ursachen werden Ernährungs- störungen infolge einer lokalen Schädigung oder einer Allgemeinerkrankung angesehen; besonders häufig tritt er im höheren Alter auf. Nach Fritz Schanz (Über die Entstehung der Weitsichtigkeit und des Stars. Münch. med. Wochenschr. Nr. 34, 1914) wird der Star da- durch veranlaßt, daß die für uns un- sichtbaren Lichtstrahlen das Gewebe der Linse verändern. Letzteres besteht aus kolloidalen Eiweißstoffen. Durch das Licht werden die kleinsten Teile kolloidaler Substanzen zu größeren Aggregaten zusammengeballt. Leichtlösliche Stoffe werden in schwerer lösliche umgewandelt. Wie Dreyer und Hansen nachgewiesen haben, sind die Eiweißstoffe besonders für kurzwelliges Licht empfindlich, indem sie unter der Lichtwirkung koagulieren. Aus einer solchen Lichteinwirkung würde sich der „Blitzstar" erklären, eine Folge der intensivsten Lichtwirkung, wenn ein Blitz nahe dem Auge niederfährt. Während des ganzen Lebens wirkt nun Licht auf die Linse und wandelt die leichter löslichen Eiweißstoffe allmählich in schwerer lösliche um. Durch die Luftmoleküle wird das Licht „zersplittert", am stärksten die kurzwelligen Strahlen. Da die Diffussion des Lichtes umgekehrt proportional zur vierten Potenz seiner Wellenlänge wächst. werden auch die dem direkten Licht nicht ausge- setzten Teile der Linse, wie die hinter dem Iris- rand gelegenen, von den unsichtbaren Strahlen getroffen. IVIanche Eigentümlichkeiten des Stars finden in dieser Ätiologie ihre Erklärung. Der Star beginnt meistens in der unteren Linsenhälfte; diese aber wird vom direkten Sonnen- licht getroffen, die obere dagegen von Licht, welches vom Erdboden reflektiert wurde und viel ärmer an kurzwelligen Strahlen ist. Daß bei den Bewohnern des Hochgebirges der Altersstar nicht häufiger ist, als bei denen der Tiefebene, liegt warscheinlich daran, daß das intensive Licht sie nötigt, ihre Augen mehr vor dem Licht zu schützen. In den Tropen und Subtropen tritt die Erkrankung häufiger auf, weil das Licht dort an wirksamen Strahlen, reicher ist. Jenes, dem die Glasbläser ausgesetzt sind, wirkt weniger intensiv, als das der Schmelzöfen. Das verschiedene Verhalten junger und älterer Tiere gegenüber der experimentellen Erzeugung von Linsentrübungen erklärt sich gleichfalls daraus, daß bei ersteren die Linse aus leicht löslichen, bei letzteren aus schwer loslichen Eiweißstoffen besteht. Kathariner. Aluminiumlöt- und Schweißmethoden. Die Bestrebungen, das Aluminium auch in der Tech- nik an Stelle anderer Metalle zu verwenden, führ- ten zuerst zu keinem in jeder Beziehung zufrieden- stellenden Resultat, einmal wegen der geringen 7i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 45 Festigkeit des Aluminiums selbst und andererseits, weil außer dem Nieten kein Verfahren bekannt war, nach welchen man große Aluminiumgegen- stände aus mehreren Stücken herstellen konnte. Die gewöhnliche Lötung oder Schweißung führte nicht zum Ziele, weil das Aluminium beim Schmelzen eine die Verbindung störende Oxyd- schicht bildet. Es sind verschiedene Vorschläge von Technikern patentiert worden, die eine Lötung oder Schweißung ermöglichen sollten, alle haben sich jedoch nicht in der Praxis bewährt *). Erst der Ouarzschmelze W. C. Heraus in Hanau ist es 191 2 gelungen, ein Schweißverfahren zur Anwendung zu bringen, das sich in der Praxis bewährt hat. Ohne Anwendung eines Schweiß-, Löt- oder Reduziermittels wird bei dem He raus 'sehen Schweißverfahren das Aluminium nicht auf den Schmelzpunkt erhitzt, sondern nur auf Weichheit. Durch diese Schweißung wird eine derart innige Verbindung der einzelnen Teile herbeigeführt, daß die Schweißnaht jede weitere Bearbeitung mit dem Hammer verträgt. Trotzdem man mit dem Her aus' sehen Ver- fahren in jeder Weise zufriedenstellende Resultate erhalten hat, wurde dennoch nach einem die Oxyd- häute beim Schmelzen des Aluminiums vollständig lösenden Reduziermiltel weiter geforscht. Im Jahre ujof) machte M. Seh 00p die Entdeckung, daß Gemische von Alkalichloriden selbst bei 700" die Oxydschicht zu lösen vermögen. Derartige Flußmittel sind dem Erfinder durch Patente ge- schützt und werden von der A. G. für autogene Aluminiumschweißung in Zürich in den Handel gebracht. Das Heräus'sche Verfahren wird haupt- sächlich von den Patentinhabern selbst ausgeführt, während nach dem Schoop'schen Verfahren bereits 36 Lizensnehmer arbeiten. Otto Bürger. Über die Entfernung von Druck- und Schrift- zeichen aus bedrucktem Papier sprach Karl Kurtz- Hähnle, Reutlingen gelegentlich der Sommer- versammlung des Vereins der Zellstoff- und Papier- chemiker in Leipzig. (Angew. Chemie 27, 56). Die Druckerschwärze ist ein Gemisch von Ruß und Leinöl und kann nicht durch Bleichen aus dem Papier entfernt werden, man muß vielmehr den entstandenen Firnis erst auflösen und dann mechanisch entfernen. Die Lösung geschieht durch alkalische Laugen, doch darf dabei die Papierfaser nicht angegriffen und auch nicht gelb werden. Das Verfahren zerfällt in 4 Teile: i. in die che- mische Lösung, 2. die Entfernung des Rußes, 3. in das Zerfasern und 4. in das Auswaschen des Stoffes. Da die Lauge keine rein alkalische sein darf, weil sie sonst die Stoftaser angreifen und gelb färben würde, wendet man eine Lauge der Henkeischen Kleichsodafabrik an, in der das Alkali zwar gebunden, aber leicht dissoziierbar ist. Ein ') Angew. Chemie 27, 42. Zusatz von 3 "/„ Natriumsuperoxyd unterstützt die Lösung des Leinölfirnis und übt gleichzeitig eine Bleichwirkung aus. Das Papier gelangt zunächst in die Papiereinlauftrommel, dann in die Lauge- auspreßmaschine und in der Form eines Papier- pfropfens in den Papierzerfaserer, von dort in die Rührbütte und schließlich auf das Waschsieb. Die Kosten für eine Anlage, die täglich 10 Tonnen verarbeitet, gibt Verf. mit 40000 Mk. an, die Stoff- verluste mit 21 7o bei Zeitungsdruckpapier. Die Verarbeitung von altem Zeitungspapier, das 5 Mk. pro 100 kg kostet, stellt sich auf 2 V,-i — 2 ','.3 Mk. Dieses Verfahren leistet technisch zurzeit das beste und verdient daher volle Beachtung. Otto Bürger. Delphine in der Gefangenschaft. Höchst an- ziehende und einzige Schaustücke besitzt seit einiger Zeit das New Yoiker Aquarium. In einem 37 Fuß breiten und 7 Fuß tiefen Teich tummeln sich nämlich dort eine Anzahl Delphine und er- götzen die Zuschauer durch ihre munteren Sprünge ebenso wie sie den Reisenden auf hoher See über manche Stunde der Langeweile hinweghelfen. Die Tiere, die der Art Tursiops truncatus angehören, wurden, wie der Direktor des genannten Aquariums, Ch. Haskins Townsend erzählt (Zoologica, Scien- tific Contributions to the New York Zoological Society. Vol. I, Number 16, June 1914) in Hat- teras gefangen. Gewitzigt durch frühere Miß- erfolge, die darauf zurückgingen, daß die Tiere nicht in kühlem Wasser, sondern nur mit nasser Sack- leinwand bedeckt, transportiert wurden, wurden die mit Netzen gefangenen Tiere in große Behälter mit Wasser gebracht. Dies mußte aber etwa alle 5 bis 6 Stunden gewechselt werden, da es durch die warmblütigen Tiere merkbar erwärmt wurde und die Delphine sehr empfindlich gegen Tem- peratursteigerung sind. Stets in dem gleichmäßig kühlen Meerwasser lebend, müssen sie an der Luft oder in einer relativ kleinen nicht zirkulierenden Wassermenge geschädigt werden, da die unter normalen Lebensbedingungen dauernd durch das Wasser abgeleitete Körperwärme sich nunmehr staut. Da man nicht oft Gelegenheit hat, Del- phine so genau und mit Muße zu betrachten, wie in dem New Yorker Aquarium, so seien hier noch einige Schilderungen angefügt, die Townsend über die Lebensweise dieser kurzweiligen Meersäuge- tiere gibt : Sie schwimmen oft mit dem Bauch nach oben unter Wasser, liegen aber niemals auf dem Grunde oder sonnen sich an der Oberfläche wie die Seehunde. Ob sie jemals ruhen, ist schwer zu sagen ; wenn sie es tun, so geschieht es offen- bar, ohne daß sie in der Vorwärtsbewegung inne- halten. Immerhin sind sie nachts ruhiger und geben sich nicht ihren stürmischen Spielen hin. Zeitweilig schwammen zwei fortdauernd von links nach rechts, während drei den entgegengesetzten Weg nahmen, doch verließen sie schließlich diese Gewohnheit. Oft führen sie das reine Wett- schwimmen auf. Dann wieder spielen sie mit N. F. XIII. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 717 einander, indem sie mit neclcischer Wut aufein- ander zufaliren oder aus den Wasser springen. Dabei schnappen sie auch wohl nacheinander, ohne sich jedoch wirlasera, Erio- gonum, Oleome, Steironema, viele Kompositen- gattungen, während Saxifraga, Gentiana und Primeln nur spärlich vertreten sind). Die Aus- führung blieb freilich weit hinter den Originalen zurück, welche den kunstgeübten Händen der Frau Clements entstammen, und die Referent im „Pikes Peak Alpine Laboratory" im vergangenen Jahr einsehen konnte. Das Buch bildet eine wertvolle illustrative Er- gänzung zu den rein wissenschaftlichen Floren desselben Gebiets von C o u 1 1 e r, von Nelson und von Rydberg; es dient auch dem Pflanzen- geographen, indem es ihm einen Einblick in die Physiognomie der Hora jener Gebiete gewährt. Man kann wohl mit Recht auf die von den Autoren in Aussicht gestellte Vegetationsschilderung des Gebietes gespannt sein. C. Schröter-Zürich. Eine Anleitung zur Herstellung von Vergröße- rungen, mit den primitivsten bis technisch voll- kommensten Hilfsmitteln, wie sie einfacher und aus- führlicher nicht gedacht werden kann. Die be- schriebenen Arbeitsweisen sind von jedem Ama- teur durchführbar. In Anbetracht der jetzt herr- schenden Tendenz, kleine Aufnahmen anzufertigen und diese nachträglich zu vergrößern, erscheint das Buch besonders zeitgemäß. Zu dem reichen Inhalt der Erstauflage kamen weitgehende Ver- besserungen der einzelnen Kapitel und ein be- sonderer Abschnitt über Bromöldruck. Gustav Blunck. Hauberrisser, Dr. Georg, Herstellung photo- graphischer Vergrößerungen. 2. Aufl. Mit 50 Abb. u. 2 Tafeln. Ed. Liesegang's Ver- lag (M. Eger) Leipzig. Preis 2,50 Mk. geb. 3 Mk. Weinschenk, Ernst. Bodenmais-Passau. Petrographisc he Exkursionen im baye- rischen Wald. 2. erweiterte und umgear- beitete Auflage, gr. 8". 71 p., i Titelbild, 5 Tafeln und 47 Textfig. München, Verlag Natur und Kultur. 19 14. (Ohne Angabe der Jahres- zahl.) — Preis geb. 2,70 Mk. Das vorliegende Büchlein des bekannten Mün- chener Petrographen ist die 2. Auflage einer im Jahre 1899 für die Deutsche Geologische Gesell- schaft verfaßten Schrift aus den Sitz-Ber. der Münchener Akademie der Wissenschaften und umfaßt sieben verschiedene Aufsätze, die nicht nur auf Exkursionen in das betreffende Gebiet mit großem Nutzen Verwendung finden können, sondern auch von allgemeinem Interesse sind. Es genügt, zu diesem Zwecke die Überschriften an- zugeben. I. Der Pfahl am Weißenstein bei Regen. IL Die herzynische Gneisformation im Arbergebiet. III. Die Kieslagerstätte im Silberberg bei Boden- mais. IV. Die Pegmatite des Bayerischen Waldes. V. Die körnigen Kalke und das Eozoon. VI. Die Graphitlagerstätten bei Passau. VII. Die Eruptiv- gesteine des Bayerischen Waldes. Petrographen, Geologen, Mineralogen wie Bergleute werden bei Benutzung dieses Büchleins auf ihre Kosten kom- men. K. Andree. Anregungen und Antworten. Herrn O. B. in Lokstedt bei Hamburg. Exakte Unter- suchungen über die Selbstentzündung von ptlanzlichen Stoffen als z. B. Heu u. a. gibt es nicht. Dagegen hat man sich mehrfach mit einem Stadium befaßt, das der Selbstent zun düng erfahrungsgemäß vorausgeht und als eine Bedingung dafür an- zusehen ist, nämlich mit der Selbsterhitzung. Man hat (vgl. Mi ehe, Die Selbsterhitzung des Heues. Eine biologi- sche Studie. Jena 1907, G. Fischer, 3,50 Mk.) sowie von demselben Verfasser „Über die Selbsterhitzung des Heues". Arbeiten der Deutschen Landwirtschaftsgcsellschaft, Heft 196, 191 1) nachgewiesen, daß die Erhitzung fesigepackter feuchter Pflanzenstoffe kein rein chemisch-physikalischer, sondern ein physiologischer, also auf der Lebenstätigkeit von lebenden Wesen beruhender Vorgang ist. Theoretisch hat man zu unterscheiden zwischen der Erhitzung lebender und derjenigen toter Pflanzenstoffe. Im ersten Falle, wenn es sich also etwa um frisches oder nur leicht angewelktes Gras handelt, läßt sich die Entstehung der Wärme, die rasch nach dem Auf- häufen bemerklich wird, ungezwungen durch die Atemtatigkeit dieser betreffenden Pflanzen selber erklären; denn Tier wie Pflanze erzeugen bekanntlich Wärme bei ihrer Atmung, wenn sie auch infolge sekundärer Umstände bei den letzteren nicht 720 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 45 so ohne weiteres festzustellen ist als bei ersteren. Im zweiten Falle, also im Falle toten Heues, Tabaks, Stallmists usw. übernehmen die auf den feuchten Resten vegetierenden und erfahrungsgemäß mit ganz besonders starker Atemenergie aus- gestatteten Pilze und Bakterien die Rolle der Heizer, indem sie in ungeheueren, wenn auch nicht ohne weiteres wahrnehm- baren Massen die ihnen als gute Nahrung dienenden Pflanzen- reste durchwuchern. Sie können natürlich auch im ersten Falle akzessorisch mitwirken. Nun kommt aber eine Besonder- heit! Erfahrungsgemäß steigt die Selbsterhitzung von Gras, Heu, Mist usw. leicht auf 70 Grad und mehr. Wie sollen solche Teniperaturgradc durch physiologische Tätigkeit er- reicht werden, da doch im allgemeinen Pflanzen und auch Pilze und Bakterien höchstens 40 — 45 Grad vertragen? Da greift nun eine höchst merkwürdige (iruppe von Lebewesen ein, die gerade nur bei hohen Temperaturen leben, erst bei 35 — 40 Grad überhaupt anfangen zuwachsen und zu gedeihen und die sich z. B. in einer Flüssigkeit sehr wohl und behag- lich fühlen , in der Sie sich die Hand in wenigen .Sekunden elend verbrenen würden. Nun, diese als „Ihermophil" be- zeichnete Kleinwelt, zu der neben Bakterien auch Schimmel- pilze gehören, erwachen und vermehren sich, wenn entweder durch die .\temtätigkeil der lebenden Pflanzen oder bei totem Material die auf ihm vegetierenden gewöhnlichen Schimmel- pilze und Bakterien ihnen die Wachstumsbedingungen, d. h. die notwendige .^nfangstemperatur schaffen. Die Thermo- philen heizen also weiter bis zu ihrer eigenen Höchsttempe- ratur, die man etwa bei 70 Grad ansetzen kann. Wenn Sie mithin einmal die Hand in einen größeren Haufen frisch zu- sammengeschichteten und etwa 2 Tage lagernden Grases hin- einschieben, so gelangen Sie bald in eine Zone, wo Sie schleunigst den Rückzug antreten. Bedingungen für die Selbsterwärmung sind erstens ein gewisser Feuchtigkeitsgehalt des Materials und zweitens eine genügende Größe der Stapel. Je größer diese sind, um so rascher und sicherer wird eine hohe Temperatur im Inneren erreicht und um so länger hält sie sich hier. Das kann monatelang sein und schließlich sieht z. B. ein solches Heu im Inneren schwarz und wie verkohlt aus. In diesem Zustande ist die Masse nun außerordentlich selbstentzündlich, besonders wenn eine gewisse Luftzirkulation, d. h. ein gewisser Zutritt von Sauerstoff möglich ist. Damit haben wir die Grenze des experimentell gesicherten Tatbestandes unseres Problems erreicht. Wie jetzt die Selbst- entflammung zustande kommt, steht trotz mancher Einzcl- beobachtungen nicht sicher fest, doch ist es nicht schwer, darüber gewisse Hypothesen aufzustellen. Jedenfalls handelt es sich jetzt nicht mehr um ein physiologisches sondern um ein rein chemisch-physikalisches Problem. Das Material , das einer biologischen Selbsterwärmung und damit einer gegebenenfalles sich anschließenden Selbst- entzündung unterliegen kann, kann sehr verschieden sein; ich nenne z. B. Heu, Futterkräuter, Rübenblätter, gestapeltes Getreide, Stallmist, Tabak usw., immer vorausgesetzt, daß die Massen genügend groß und feucht sind. Praktischen Gebrauch macht man von solchen Selbsterwärmungsvorgängen z. B. beim sog. Braunheu, beim Tabak, der durch die sog. Fermen- tation überhaupt erst rauchbar wird (vgl. z. B. Mi ehe. Der Tabakbau in den Vorstenlanden auf Java. Tropenpflanzer, XV. Jahrg. 1911), beim Mistbeet und den Wärmepackungen der Gärtner usw. ; ja die merkwürdigen Talegallahühncr Australiens legen ihre Eier in große, von ihnen selbst ge- stapelte Haufen von Pflanzenstoffen und lassen sie hier durch die entstehende Fermentationswärme ausbrüten. Wenn auch, wie gesagt, eine sichere experimentelle Grund- lage für die wissenschaftliche Aufklärung des Vorganges der Selbstentzündung noch nicht geschaffen ist, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, daß solche Fälle wirklich vor- kommen. Sie spielen bei Brandprozessen eine große Rolle. Es ist nicht einmal selten, daß der Landwirt Vorräte irgend- welcher Art, die er unter Nichtachtung der oben geschilderten disponierenden Umstände gestapelt hat, durch Feuersbrunst verliert und oft genug Haus und Hof dazu. Zum Schluß sei noch erwähnt, daß auch manche andere Stoffe der Selbstentzündung unterliegen können, wie Kohlen, gefettete Putzwolle, Zelluloid u. a. m. Doch will ich auf diese Vorgänge hier nicht näher eingehen. Im allgemeinen werden hier rein chemische Vorgänge im Spiel sein. Miehe. Herrn Schmidt - Luckenwalde. Das freundlichst über- s.andte Fossil in einem diluvialen Geschiebe des Golmberges im Fläming ist der Abdruck eines Crinoiden (Seelilien)- Stieles, sowie eines isolierten Stielgliedes, und zwar von Pen- tacrinus. Nach dem isolierten Gliede zu urteilen könnte es sich etwa um Pentacrinus subangularis handeln. Doch ist eine Bestimmung bei dem vorliegenden Erhaltungszustande nicht mit genügender Sicherheit möghch, um daraus auf obe- ren Lias schließen zu können. Immerhin dürfte ein jurassi- sches .Mter gesichert sein. Ein auf der Rückseite des Steines befindlicher Abdruck eines Dentalium (Scaphopode) gibt hinsichtlich der Altersfrage keinen Anhaltspunkt. E. Hennig. Preisausschreiben. Die Rheinische Gesellschaft für wissenschaft- liche F'orschung schreibt folgende drei Preisaufgaben aus dem Gebiete der menschlichen Vorgeschichte aus: 1. Es sind die Materialien zusammenzustellen für die Er- örterung der Frage nach den Landverbindungen, die zur Tertiär- und Quartärzeit im Atlantischen Ozean und im Mittel- mcer für die Wanderungen der Primaten bestanden haben. Preis 800 Mk. 2. Es sind die Tatsachen zusammenzustellen und zu er- örtern, die auf einen zeitlichen oder ursächlichen Zusammen- hang zwischen der Umbildung der Tierwelt (und des Men- schen) und den klimatischen Änderungen wahrend der jüngsten Tertiärzeit und der Diluvialzeit hindeuten. Preis Soo Mk. 3. Welche anatomischen und physiologisclien Anhalts- punkte sind vorhanden zur Erklärung des aufrechten Ganges beim Menschen ? Preis 800 Mk. Die Arbeiten sind in deutscher Sprache abzufassen und in Maschinenschrift geschrieben bis zum I. Januar 1916 mit Motto versehen an den Vors i tz enden der Rheinischen Gesellschaft für wissenschaftliche Forschung in Bonn, Nuß-.'\llee2, einzusenden. Ein geschlossenes Kuvert, mit demselben Motto versehen wie die eingesandte Arbeit, muß den Namen des Verfassers enthalten. Inhalt: Guenther: Verschiebungen in der Tierwelt durch den Menschen. Kathariner: Die Ursache der Pellagra- krankheit. — Einzelberichte: Grimm: Über das V'orkommen des Rinderbandwurms (Taenia saginata Göze) beim Säugling, ."^dler: Welche Folgen hat die Entfernung der Thymus und der Epiphyse bei der Froschlarve? Mayer und Schaeffer: Lipoide. Decker, Kisskalt: Tierisches oder pflanzliches Eiweiß? Fehlinger: Vermehrung und fortschreitende Bastardierung der Negerbevölkerung der Vereinigten Staaten Amerikas. HedvaU: Über Rinman's Grün und Kobaltmagnesiumrot. Bugge: Die katalylische Wirksamkeit des Rutheniums bei Oxydationen. Riem: Bewegung in der Gesichtslinie. Lunt: Vergleichsspektrum. Darwin: Der Einfluß der Luftfeuchtigkeit und des Lichtes auf die Transpiration der Pflanzen. Duggar und Cooley: Der Einfluß der Bordeauxbrühe auf die Transpiration. — Kleinere Mitteilungen: Schanz: Linsenstar des Auges. Bürger: ."Xluminiumlöt- und Schweißmethoden. Kurtz-Hähnle: Über die Entfernung von Druck- und Schriftzeichen aus bedrucktem Papier. Townsend: Delphine in der Gefangenschaft. Fehlinger: Über Geisteskrankheiten und andere Entartungszeichen im Indischen Reich. — Bücherbesprechungen: Frech: .-allgemeine Geologie, van Megeren: .^ausgewählte Kapitel aus der Geologie. Mangold: Die Erregungs- leitung im Wirbeltierherzen. Clements: Rocky Mountain Flowers. An illustrated Guide for Plant Lovers and Plant Users. Hauberrisser: Herstellung photographischer Vergrößerungen. Weinschenk: Bodenmais-Passau. Petro- graphische Exkursionen im bayerischen Wald. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden au den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, MarienstraSe na, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band ; der ganzen Reihe 29. Band. Sonntag, den 15. November 1914. Nummer 46. Probleme der Gastheorie. Von S. [Nachdruck verboten.] Bald sind es sechzig Jahre her, daß unabhängig voneinander K rön ig und Clau sius die kinetische Theorie der Gase geschaffen haben. Mit außerge- wöhnlichem Geschick hat besonders C 1 a u s i u s die Vorstellungen über die Bewegungen der Moleküle eines Gases auf Grund der Anschauung, daß die Wärme eine Bewegung dieser kleinen Teilchen darstelle, rechnerisch bis in viele Einzelheiten verfolgt und in für damalige Begriffe kurzer Zeit konnten auch von anderen Forschern aus diesen Betrachtungen wichtige und überraschende Resultate gewonnen werden. Eins der schönsten ist ohne Zweifel Loschmidt's Berechnung der Anzahl der Moleküle in einem Kubikzentimeter (1865). Immer wieder wird den Laien ein Gefühl der Be- wunderung, den Physiker ein Gefühl des Stolzes und der Befriedigung überkommen, wenn er sich daran erinnert, daß es möglich war, die Zahl der Moleküle zu bestimmen, die Zahl von Körperchen, die einzeln gar nicht beobachtbar sind. In der Folgezeit haben — wie das ja häufig bei der Entwicklung einer Wissenschaft beobachtet werden kann — Perioden größeren und geringeren Fort- schrittes miteinander abgewechselt, speziell was die theoretische Weiterführung der Disziplin an- langt. Die spätere Entwicklung ist in erster Linie an die Namen Maxwell und Boltzmann geknüpft. Neben der kinetischen Theorie der Gase gibt es eine andere Darstellungsweise des Verhaltens der Gase, die sich entweder ebenfalls auf die An- nahme der Wärme als Bewegungsform stützt oder die, wie Pia nck in seinen Vorlesungen über Thermo- dynamik ausführt, ohne bestimmte Annahme über das Wesen der Wärme „direkt von einigen sehr allgemeinen Erfahrungstatsachen, hauptsächlich von den sog. beiden Hauptsätzender Wärmelehre, ausgeht". Sie hat allgemeineren Charakter und ge- stattet in vielen Fällen, die Betrachtung sofort auf das Verhalten flüssiger und fester Körper zu übertragen, sofern sie dieses nicht von vorn- herein mit einschließt ; sie beschäftigt sich zum Teil gerade mit den Obergängen von einem Ag- gregatzustand in den anderen. Der Begründer auch dieser Darstellungsweise ist im Grunde Cl a u s i u s , da das, was seinen Arbeiten vorhergeht, durch ihn nach neuen Gesichtspunkten zusammen- gefaßt wurde und erst dadurch eigentlich einen Bestandteil der modernen Thermodynamik bildet. Nun ist jedem, der auch nur eine ganz oberfläch- liche Kenntnis des Inhaltes der beiden Darstellungs- arten hat, bekannt, daß diese beiden Methoden sich durchaus nicht in ihren Resultaten überdecken oder gar sich ausschließen. Vielmehr ergänzen Valentiner. sie sich auf das schönste, so daß man keine von ihnen missen möchte. Das endgültige Ziel wird es freilich sein müssen, die erste Darstellungs- weise so weit zu fördern, daß sie die Resultate der reinen Thermodynamik mit umfaßt, fclinstweilen kann davon noch nicht die Rede sein, denn nur einige wenige Haupteigenschaften der Gase werden befriedigend auf beiderlei Weise beschrieben. Die Zurückführung einer ganzen Reihe von Er- fahrungen an Gasen auf die einfachen Annahmen, die der kinetischen Theorie zugrunde liegen, ist bisher befriedigend noch nicht gelungen, während ihrer Beschreibung mittels thermodynamischer Formeln kein Hindernis im Wege steht. Heute, wo alte Probleme der Gastheorie wieder neue Bearbeitungen gefunden haben, wo man mit oft bewährten Anschauungen über das Verhalten der Moleküle zu brechen sich gezwungen sieht, dürfte es von allgemeinem Interesse sein, einmal übersichtlich zusammenzustellen, für welche Eigen- schaften der Gase die beiden Darstellungsmethoden geeignet sind und was sie zur Klärung der Zu- stände des Gases leisten können. Wir werden bei dieser Betrachtung deutlich erkennen können, wo sich die Darstellungen berühren, und werden zeigen können, in welcher Richtung in letzter Zeit Er- weiterungen der Theorien versucht wurden, welches also die modernen Probleme der Gastheorie sind. I. Den Ausgangspunkt der thermodynamischen Darstellungsvyeise bildet eine bestimmte P'orm der Zustandsgieichung des betrachteten Systems, also im besonderen des Gases. Unter Zustandsgieichung verstehen wir eine Beziehung zwischen den Va- riabein, die den Zustand des Gases vollständig bestimmen, das sind : das Volumen, der Druck und die Temperatur des Gases, wenn wir uns auf die Masseneinheit beschränken. Für die Ent- wicklungen ist es zunächst nicht notwendig, diese Beziehung wirklich hinschreiben zu können. Die Entwicklungen lassen sich in großer Allgemeinheit durchführen; erst um die Schlußfolgerungen dieser Entwicklungen auf einen speziellen Fall anwenden zu können, müssen wir auch die Zustandsgieichung wirklich kennen, also den Zusammenhang zwischen den Variabein experimentell bestimmt haben. Die Zustandsgieichung mag lauten : •) '/■ (p, V, t) = o, p ist der Druck, unter dem das Gas steht, v das Volumen , t die Temperatur in einer beliebigen, aber natürlich immer herstellbaren Skale, da wir zunächst eine „absolute" Skale nicht kennen. Diese Zustandsgieichung, die uns z. B. berechnen läßt, um wieviel sich das Volumen ändert, w'enn 722 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 46 der Druck konstant bleibt und die Temperatur um einen (irad steigt, oder die uns den Koeffi- zienten der Kompressibilität bei konstanter Tem- peratur liefert u. a. m., genügt nun aber durch- aus noch nicht, um über die verschiedenen Eigen- scliaften, z. B. die spezifischen Wärmen, die innere Energie u. a. Aufschluß zu geben. Eine der für die Kenntnis des Verhaltens der Gase wichtigsten Größen ist gerade die innere Energie, wie aus den folgenden Zeilen leicht erkannt werden wird. Was den wahren Inhalt dieser inneren Energie ausmacht, das lehrt die Thermodynamik nicht; davon erhalten wir vielmehr nur durch die in den Bau des gasförmigen Systems tiefer eindrin- gende kinetische Gastheorie Kenntnis. Diese Theorie lelirt uns, daß infolge der Bewegung der Moleküle den Molekülen eine Energie innewohnt, die als innere Energie des Gases angesehen wer- den kann. Häufig werden noch weitere Energie- beträge hinzutreten können, herrührend von den Bewegungen der Atome im Molekül und von den Kräften, die zwischen den Molekülen wirksam sind. Wir wollen die innere Energie der Masseneinheit mit u bezeichnen und müssen annehmen, daß diese Energie u durch die Variabein p, v, t eben- falls völlig bestimmt werden kann. In welcher Weise u von p, v, t abhängt, wissen wir freilich nicht und das soll uns zunächst auch nicht küm- mern. Zweierlei können wir aber mit Bestimmt- heit in bezug auf die Energie u sagen, es ist der Inhalt des i. und des 2. Hauptsatzes der Thermo- dynamik, nämlich: I. du -\- pdv = q, d. h. die Änderung der inneren Energie während irgendeiner beliebigen Zustandsänderung des Sy- stems, vermehrt um die von dem System nach außen geleistete Arbeit ])dv (Druck mal der Änderung des Volumens sei das Maß dieser Ar- beit) ist gleich der Wärmemenge q , die dem System für den Übergang vom Anfangszustand in den Endzustand von außen zugeführt werden muß (mit anderen Worten, die fi^nergie im System bleibt konstant). tr du + pdv _ T(t) d. h. es läßt sich sicher eine Funktion T von der Temperatur t (der willkürlichen Skale) finden, die so beschaffen ist, daß die Größe auf der linken Seite von (II), die sich ja auf die Änderung des Systems von einem Anfangszustand in einen nahe- gelegenen Endzustand bezieht, nur von dem An- fangs- und Endzustand, nicht von dem sie verbin- denden Weg abhängt. (Nach Clausius be- zeichnet man die Größe als das Differential der Entropie s.) Diese beiden Gleichungen sagen uns wenig- stens etwas aus über die Differenz der inneren Energie des Systems in zwei verschiedenen Zu- ständen, ferner über das einstweilen noch will- kürlich gelassene Temperaturmaß. Verfolgen wir zuerst die zweite Gleichung weiter; sie kann direkt vollständiges Differential ^ ds zur Definition einer „absoluten" Temperatur dienen. Denn durch die für jede homogene Substanz gel- tende Gleichung (II) wird uns eine bestimmte Funktion der willkürlich zugrunde gelegten Tem- peratur empfohlen ; nehmen wir eben gerade diese Funktion als Maß der Temperatur (indem wir etwa noch festsetzen, daß zwischen der Temperatur des schmelzenden Eises und der normalen Siedetempe- ratur des Wassers 100 Grad liegen sollen) und führen an Stelle \on t diese Funktion T in die Zustands- gieichung und den Ausdruck u der Energie des Systems ein, so wird für jedes homogene System du -1- pdv . ,, .. ,. ^^.^. . , 7^ em vollständiges Differential. Mathematisch können wir die Definition der Tem- peratur T am besten durch die Beziehung wieder- geben : Denn statt Gleichung (II) können wir schreiben, indem wir u und v als unabhängige Variable ein- führen, also p und t als Funktionen von u und v betrachten: , du 4- pdv , /i^s\ , , /i>s\ , woraus sich die Definitionsgleichung (2) ergibt. Die Indizes geben an, welche Variable bei der Diffe- rentiation konstant gehalten werden soll. Was nun die erste Gleichung (I) betrifft, so gibt sie uns ein Mittel an die Hand, wie wir aus Beobachiungsdaten auf die Energie schließen können. Die Wärmemenge q, die wir dem System für eine Veränderung seines Zustandes auf einem ganz bestimmten Wege zuführen müssen, können wir in vielen Fällen leicht messen. Halten wir das Volumen des Systems konstant, so wird die Wärme zur Änderung der inneren Energie ver- wendet, die wir durch .\nderung der Temperatur und des Druckes konstatieren können. Die Ände- rung der inneren Energie bei Änderung der Tem- peratur um i" ist also gerade das, was wir die s p e z i f isc h e Wä rm e des Systems bei konstant gehaltenem Volumen nennen. Zustandsänderungen zwischen anderen Zustandspunkten erfordern andere Wärmemengen, die wir wieder messen können und die bezogen auf die Temperaturänderung von 1 " des Systems die Bedeutung spezifischer Wärmen besitzen. Sie geben uns alle zusammen die nähere Beschreibung der Größe u, die uns dadurch (ab- gesehen von einer additiven Konstante) bekannt wird. Die weitere mathematische Behandlung der beiden Gleichungen führt zu Beziehungen zwi- schen den spezifischen Wärmen der Substanz und den Zustandsgrößen p, v, t. Es sind allerdings keine ganz einfachen Gleichungen, es sind Differen- tialgleichungen, aus denen wir auch bei genauer Kenntnis der Zustandsgieichung (also der Ab- hängigkeit der p, V, t voneinander) die spezi- fischen Wärmen nicht in expliziter Form be- N. F. XIII. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 7^3 rechnen können. Es ist nur möglich, gewisse Eigentümlichkeiten der Abhängigkeit der spezi- fischen Wärme vom Druck und vom Volumen bei konstanter Temperatur durch diese Gleichungen anzugeben. Die Abhängigkeit der spezifischen Wärmen von der Temperatur bleibt unbe- stimmt. Zur Charakterisierung einer homogenen Substanz ist daher als notwendig erkannt einmal die Angabe der Zustandsgieichung und zweitens eine Angabe darüber, wie sich die spezifische Wärme mit der Temperatur verändert. Das gilt im besonderen von den Gasen, auch von dem sog. idealen (ias. Das „ideale Gas" wird in der Regel durch die Gaszustandsgleichung 4) p.v = ^'.T = R-T definiert, wenn T in der aus Gleichung (2) fol- genden Skale gerechnet wird und m das Mole- kulargewicht des Gases, R (bzw. R') die bekannte Gaskonstante bedeutet; stillschweigend setzt man oft dabei voraus, daß auch die spezifische Wärme des idealen Gases von der Temperatur unabhängig sei, was indessen nicht aus der Gleichung (4) folgt, und daher stets durch die Bedingung i^Cv\ ^■> (.t) - besonders hervorgehoben werden sollte. Wir sehen also, und ein tieferes Eingehen würde uns das noch evidenter zeigen, die Ther- modynamik gibt Aufschluß über eine Reihe von Erscheinungen, die an einem homogenen System beobachtet werden können, sobald durch Beobach- tungen die Zustandsgieichung und die Abhängig- keit der spezifischen Wärme von der 1 emperatur festgelegt werden konnte, vorausgesetzt, daß wir die Temperaturen mit einem Thermometer haben messen können, dessen Angaben mit der abso- luten Skale verglichen worden sind. Von großer Bedeutung ist es, daß auch die Arbeits- und Wärme- verhältnisse einer Substanz bei ihrem Übergang von einem Aggregatzustand in den anderen sich aus den Regeln der Thermodynamik bestimmen lassen. Als eine Einschränkung der Allgemeinheit der Resultate müssen wir allerdings — und zwar im Gegensatz zu den Leistungen der kinetischen Theorie der Gase — hervorheben, daß bei allen llberlcgungen in der Thermodynamik immer Systeme betrachtet werden , die Gleichgewichts- zustände durchlaufen; innerhalb desselben Systems dürfen also nicht plötzliche Änderungen an einer einzelnen Stelle des Systems z. B. Temperatur- dififerenzen oder Druckdifferenzen auftreten. Nur das System als ganzes kann die Temperatur ver- ändern. Bevor wir zu der Besprechung dessen übergehen, das darzustellen sich die kinetische Gastheorie besser eignet, möchte ich des Folgenden wegen noch ein wenig näher auf den von Clausius in die Thermodynamik eingeführten Begriff der H n - tropie, also auf die linke Seite der Gleichung (3) eingehen. Nach dem Gesagten müssen wir annehmen, daß jedem Zustand eines homogenen Systeins ein bestimnrter Entropiewert zukommt (abgesehen von einer additiven Konstante); denn es gibt ja jene Beziehung an, um wieviel die Entropie sich verändert, wenn das System von einem Zustand in den anderen übergeführt wird. Und zwar ist diese Angabe unabhängig vom Weg. Auch diese Gleichung hat ihre Gültigkeit nur beim Durchlaufen von Gleichgewichtszuständen. Es läßt sich nun aufGrundzahlreicherErfahrungen als äußerst wahrscheinlich bezeichnen, daß von selbst, d. h. ohne äußeres Zutun, ein System nur dann von einem Zustand i in einen Zustand 2 wirklich übergeht, wenn der Entropiewert im Zustand 2 größer ist als im Zustand 1, höchstens gleich ist. Wird aber ein System durch irgendwelche äußere Einwirkung z. B. durch Zuführung von Wärme aus einem Behälter von Zustand i in den Zustand 2 gebracht, so ist auch dies wieder nur möglich, wenn nun die Summe der Entropiewerte des betrachteten Systems und des die Änderung ein- leitenden Wärmebehälters bei dieser Gesamt- änderung von System und Behälter gleich bleibt oder wächst; nur in dem Fall könnte diese Gesamtänderung wirklich eintreten, wenn nicht wiederum von außenher (z. B. durch mein Ein- greifen) diese Änderung erzwungen würde. Wir können sogar noch etwas weiter gehen und be- haupten, daß äußerst selten (oder nie) wirklich Veränderungen stattfinden, bei denen nicht die Gesamtentropie wächst. Bei Veränderungen haben wir es nämlich in Wahrheit doch nur äu- ßerst selten (oder nie) mit Übergängen durch völlige Gleichgewichtszustände zu tun. Reibung und Wärmeleitung stehen dem entgegen. Soll z. B. ein Gas Arbeit leisten dadurch, daß es einen be- lasteten Kolben in einem Zylinder durch Ausdehnung infolge von Wärmezufuhr vor sich herschiebt, so muß in Wirklichkeit auch etwas Wärme zugeführt werden für die Überwindung der Reibung des Kolbens im Zylinder; es wird also Wärme aus dem Behälter von der Temperatur T, mit wel- chem das sich ausdehnende Gas in Verbindung steht, an die Zylinderwand abgegeben (denn die Rei- bungsarbeit wird auch in Wärme umgewandelt), die sich auf niedrigerer Temperatur befindet. Die Gesamtentropieänderung setzt sich zusammen 1. aus der Änderung der Entropie des arbeitleisten- den Gases du -\- pdv T~ ' 2. aus der Änderung der Entropie des Behälters infolge der Wärmeabgabe zur Aufrechterhaltung der .Arbeitsleistung des Gases, die dazu notwendige Wärmemenge sei q, also T' 3. aus der Änderung der Entropie des Behälters infolge der Wärmeabgabe zur ('berwindung der Reibung 724 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 46 _q' T 4. aus der Änderung der Entropie des Zyhnders infoige der Aufnahme von Reibungswärme + 4- rr' " entspricht. Der genaue Wert derselben für den Beginn des Jahres 191 5 ist 23" 27' 8".56 und für Anfang 1916 23 " 27' 6".I4. Würde die Erde ihren Umlauf um die Sonne in einer Kreisbahn vollenden, so wären Tag und Nacht in beiden Polargebieten gleich lang und müßten an den Polen je 6 Monate dauern. Da die Revolution jedoch in einer elliptischen Bahn erfolgt, so wird die Geschwindigkeit, mit welcher die Erde diesen Umlauf ausführt, nach den all- gemeinen Anziehungsgesetzen um so größer, je mehr sie sich der Sonne nähert. Die Erde läuft also in der Zeit vom September zum März, in welcher sie sich in größerer Nähe der Sonne be- findet, schneller als in den Monaten März bis September, in denen sie weiter von ihr entfernt ist. So erklärt es sich , daß der in den ersten Zeitraum fallende Winter der nördlichen Halb- kugel um mehrere Tage kürzer ist als der in der zweitgenannten Zeit herrschende Winter der südlichen Halbkugel. Da zudem das Winter- solstitium der nördlichen Halbkugel nicht genau mit der Sonnennähe, das Sonnensolstitium nicht genau mit der Sonnenferne zusammenfällt, so er- geben sich die folgenden Tages-, bzw. Nachtlängen in den Polargebieten. In n ö r d 1. B r. geht d. Sonnenmittelp. nicht unter, nichtauf 70° 64 Tage 61 Tage 75" 106 „ 97 „ So" 134 „ 127 „ 85" t6i „ 1S3 „ 90" 186 ,, 179 „ In s U d 1. B r. geht d. Sonnenmittelp. nicht auf, nichtunter Bei dieser Tabelle gilt die Überschrift für die Nordpolarzone, die Unterschrift für die Süd- polarzone. Wir sehen also, daß die Nacht am Nordpol um 7 Tage kürzer ist als der Tag, während es am Südpol umgekehrt ist. Eine nicht unwesent- liche Änderung erleiden aber diese Werte dadurch, daß die Größe der Sonnenscheibe eine Beleuch- tung schon vor dem Aufgang des Sonnenmittel- punktes und auch noch nach dessen Untergang bewirkt, so daß die wirklichen Tageslängen sämtlich zunehmen, während die Dauer der Nacht- zeiten verkürzt wird. Diese Änderung ist aber, ebenso wie der Einfluß der auf Seite ']})'] er- wähnten Strahlenbrechung von wechselnder Größe, weshalb die wirkliche Dauer des Tages im land- läufigen Sinne nur durch komplizierte Rechnungen ermittelt werden kann. Die von H. Mohn') für den Nordpol angestellten Berechnungen haben nun zu folgenden Ergebnissen geführt: Die absolute Dunkelheit endet am i. Februar, wenn der Scheitel des Dämmerungsbogens über den Horizont steigt. Am 17. März taucht der obere Rand der Sonne über den Horizont und bleibt bis zum 25. September über demselben. Am 9. November verschwindet die Dämmeriuig unter dem Horizont und die Dunkelheit dauert bis zum I. Februar. Die Beleuchtung durch die Sonne währt also 191 Tage, wogegen die ganze Sonnenscheibe nur 174 Tage unter dem Horizont bleibt. Dazu kommt noch eine Dämmerungs- dauer von 10 Tagen im Frühjahr und 1 1 Tagen im Herbst, so daß es am Nordpol an 212 Tagen hell und nur an 153 Tagen wirklich diuikel ist. Diese eigenartigen Bestrahlungsverhältnisse sind es, welche das Klima der Polarregionen und vor allem die Temperatur derselben bestimmen und dort so extreme Verhältnisse schaffen, wie wir sie sonst nirgends auf der Erde wiederfinden. Da die Intensität der Bestrahlung durch die Sonne direkt von deren Höhe über dem Horizont abhängt, indem sie dem Sinus dieser Höhe pro- portional ist, so läßt sich der Betrag der einge- strahlten Wärme für alle Punkte der Erde genau berechnen, und man pflegt als Einheit der Messung ein Tausendstel derjenigen Strahlenmenge anzu- nehmen, die eine Flächeneinheit des Äquators während eines Tages zur Zeit des Frühlingsanfangs, also bei Äquatorstellung der Sonne, enthält. Be- rechnet man nun unter Zugrundelegung der Sonnenhöhen in den einzelnen Jahreszeiten und unter Berücksichtigung des auf Seite 737 erörterten Wechsels zwischen Sonnenferne (Anfang Juli) oder Sonnennähe (Anfang Januar) die Strahlungsinten- ') Meteorologische Zeitschrift, Hann-Band, 1906, S. 18—22. N. F. XIII. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 739 sität, so ergibt sich die folgende jahreszeitliche Verteilung der relativen Strahlenmenge für die gleiche Flächeneinheit am Nordpol, Äquator imd Südpol. 21. März 22. Juni 23. September 22. Dezember Nordpol o 1202 o o Äquator 1000 881 9S8 942 Südpol 00 o 1284 Aus dieser Tabelle geht die, auf den ersten Blick verblüft'ende Tatsache hervor, daß keinem Punkt der Erde an irgendeinem Tage mehr Wärme zugestrahlt wird als dem Südpol am 22. Dezember. Daß dieser zur Zeit des südlichen Sommersolstitiums 82 Strahlungseinheiten mehr erhält als der Nordpol während des nördlichen Sommersolstitiums, ist darauf zurückzuführen, daß die Erde sich am letzteren Zeitpunkt fast in Sonnenferne, am ersteren dagegen nahezu in Sonnennähe befindet. Jedenfalls läßt die Tabelle deutlich erkennen, daß auf jeder Halb- kugel während des Sommersolstitiums dem Pol beträchtlich mehr Wärme von der Sonne zuge- straiilt wird wie irgendeinem anderen Punkt der Erdoberfläche. Der Nordpol erhält z. B. am 22. Juni 36 "/o mehr Wärme als der Äquator zur gleichen Zeit und 20 % mehr als dem Äquator in der günstigsten Zeit zuteil werden kann. Aber das Bild ändert sich, sowie wir anstatt der Einzelwerte die Jahressummen der Sonnen- strahlung berechnen. Hierbei empfiehlt es sich als Einheit die Wärmemenge zugrunde zu legen, welche im Jahresdurchschnitt der P'lächeneinheit am Äquator täglich von der Sonne zugestrahlt wird, den sog. Thermaltag. Aus der Definition geht schon hervor, daß der Äquator im Laufe des Jahres 365 ' , Thermaltage erhalten muß. Für die Polarzone ergibt sich dann ; in 65" geographischer Breite 187,9 Thermaltage 70" 80" 850 90» 173.0 163,2 1 50,6 I52;8 151,6 Jeder Pol erhält also im Jahre nur 41 ^/.^ "/^ der Wärmemenge, die dem Äquator zugestrahlt wird. Auch verschwindet jetzt der Unterschied zwischen Nord- und Süd - Polargebiet. Denn wenn auch die Bestrahlung im Südsommer wegen der Sonnennähe stärker ist als im Nordsommer, so ist der letztere dafür fast 8 Tage länger als der erstere, wodurch die geringere Intensität genau ausgeglichen wird. Die mittlere Bestrahlungs- intensität der ganzen Polarzone beträgt 166,0 Thermaltage, jene der gemäßigten Zone 276,4 und die der Tropenzone 356,2, während der Durchschnittswert für die ganze Erde 299 ist. Natürlich ist es schwer sich eine greifbare Vorstellung von diesen Wärmemengen zu machen, doch bekommt man immerhin einen Begriff von den Größen, wenn man die Dicke der Eisschicht berechnet, die im Laufe eines Jahres von den genannten Wärmemengen geschmolzen werden kann. Die 299 Thermaltage würden ausreichen uin eine Eisschicht von 53,8 m Dicke über der ganzen Erdoberfläche abzuschmelzen , die 365 '/, Thermaltage des Äquators könnten demnach einen Eispanzer von 66 m, die 151,6 der Pole einen solchen von 27 V2 ni Mächtigkeit auftauen. Nun wissen wir aber, daß selbst in abnorm kalten Wintern und unter L^mständen, die der Ent- stehung des Polareises besonders günstig sind, das Eis dort niemals eine Stärke von 27 ^2 m erreicht, die Dicke der neugebildeten Eisschollen meist sogar noch beträchtlich unter 10 m bleibt. Daß unter diesen Umständen nicht das ganze im Winter gebildete Eis im Sommer wieder auf- schmilzt und wir im Spätsommer überhaupt noch Eis in den Polarregionen vorfinden, ist darauf zurückzuführen, daß eben nicht die ganze zuge- strahlte Wärme, sondern nur ein kleiner Teil derselben für den Schmelzprozeß in Betracht kommt. Die vorstehenden Betrachtungen haben nämlich nur Gültigkeit für das sog. „solare Klima", d. h. unter der Voraussetzung, daß die Wärme den Punkt der Erdoberfläche, dem sie zugestrahlt wird, auch wirklich erreicht. Dies ist aber keines- wegs der Fall, denn unsere Erde ist bekanntlich von einer Lufthülle, der Atmosphäre, umgeben, welche die Sonnenstrahlen erst passieren müssen, bevor sie den Erdboden zu erwärmen vermögen. Selbst bei ganz heiterem Himmel aber wird in mittleren Breiten nicht weniger als die Hälfte der eingestrahlten Wärme an die Atmosphäre abge- geben, und bei trübem Wetter gelangt oft nur ein kleiner Bruchteil der Wärmestrahlung bis zum Grunde des Luftmeeres herab, während der weit- aus größte Teil unterwegs absorbiert wird. Bei abnehmender Sonnenhöhe wird zudem der Weg, den die Sonnenstrahlen durch die Atmosphäre zurücklegen müssen, bevor sie den Erdboden er- reichen, beträchtlich weiter, so daß z. B. beim Horizontstand der Sonne die zu durchmessende Luftschicht auf das 35 '/., fache der bei senkrechter Bestrahlung zu durchdringenden angewachsen ist. IVlit tiefer sinkender Sonne nimmt also die Wärme- strahlung in einem viel rascheren Verhältnis ab, als es ohne die Atmosphäre der Fall sein würde. Die Polargebiete befinden sich somit in einem beträchtlich ungünstigeren Verhältnis, als es nach den für das „solare Klima" berechneten Werten den Anschein hatte. Die Lage wird jedoch noch ungünstiger, da nicht nur die Dicke der Luft- schicht , sonderri auch die Trübung der Atmo- sphäre gerade die Polargebiete besonders stark benachteiligt. Schon bei normaler Durchlässig- keit, wenn man den Transmissionskoeffizienten, d. h. den bei senkrechtem Einfall der Strahlen und ganz heiterem Himmel durchgelassenen Anteil zu 0,7 ansetzt, sinkt die in der obigen Tabelle angegebene Wärmemenge für den Pol auf ein Drittel ihres Betrages herab, während sie für den Äquator noch nicht auf die Hälfte reduziert wird. 740 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 47 Bei geringerer Durchlässigkeit (Transmissions- koeffizient = 0,6) wird die Wärme am Äquator zwar auf etwas mehr als die Hälfte herabgedrückt, die Zahl der dem Pol zukommenden Thermaltage dagegen um */. vermindert, so daß sich der Wärme- unterschied zwischen Äquator und Pol nicht mehr verhält wie 7 : 3 sondern wie 6:1. Wir sehen also, daß durch die Einschaltung der Lufthülle zwischen Sonne und Erdoberfläche nicht nur eine allgemeine Abschwächung der Sonnenstrahlung stattfindet, sondern daß auch die Unterschiede zwischen den Tropen und den Polargebieten er- heblich verschärft werden. Aber auch so kommen wir noch nicht zu einer richtigen Vorstellung von den wirklich herrschenden Temperaturen, denn zahlreiche Trak- toren stören die Regelmäßigkeit der zonalen An- ordnung. Da die Strahlungsverhältnisse völlig, der absorbierende Einfluß der Atmosphäre in der Hauptsache, von der geographischen Breite ab- hängig ist, so müßte, wenn nur die Strahlung in Betracht käme, die Temperatur jeder Breiten- zone rings um die Erde annähernd die gleiche sein, und die Temperaturzonen würden sich in ring- förmiger Anordnung um die Pole gruppieren, wie es die Strahlungszonen tatsächlich tun. Störende Faktoren sind nun einmal die Un- gleichförmigkeiten der Erdoberfläche, die sich am entschiedensten in dem Wechsel zwischen Land und Meer, aber auch in den Höhenunterschieden des festen Landes und der verschiedenartigen Be- schaffenheit des Erdbodens bemerkbar machen, der bald aus nacktem E^els besteht, bald mit Vegetation bedeckt, oder gar mit mächtigen iMsmassen überpanzert ist. Ein weiterer stören- der Faktor von der größten Bedeutung aber ist die Beweglichkeit der Luft wie des IVIeerwassers, die dahin wirken, daß Temperaturgegensätze zwar ausgeglichen, aber auch geschaffen werden können. Das wechselnde Spiel c3er Winde und der groß- artige Kreislauf der Meeresströmungen durch- brechen die zonale Einteilung, so daß die ringförmige Anordnung erheblich gestört und stellenweise völlig verwischt wird. Es treten zu den nord - südlich vorhandenen Temperaturunter- schieden noch solche mit ost-westlicher Kompo- nente hinzu, die im solaren Klima nicht vorhanden waren. Tatsächlich weist das Klima der Polargebiete außerordentlich große Verschiedenheiten auf, und nirgendwo auf der Erde finden wir so erhebliche Temperaturdifferenzen innerhalb der gleichen Breitenzone, wie in der Nähe des Nordpolarkreises. So exakt auch unsere Kenntnis von dem solaren Klima der Polargebiete ist, so unzureichend ist das reale Klima derselben bekannt. Naturgemäß sind es namentlich die höchsten Breiten, die am wenigsten erforscht sind, und vor allem klafft eine gewaltige Lücke in der Südpolarregion , von der bisher nur aus vereinzelten Gebieten Temperatur- beobachtungen von längerer Dauer bekannt sind. Immerhin haben doch die neuesten Polar- expeditionen auch hier gewisse Grundlagen ge- schaffen , die zwar im einzelnen noch manche Modifikation erleiden werden, aber auch jetzt schon höchst interessante Resultate erkennen lassen. Mit Recht führen die Polarzonen auch den Namen der „kalten" Zonen, denn nichts ist charak- teristischer für das Polarklima, als die Kälte, die hier während des ganzen Jahres herrscht. Nament- lich die niedrige Temperatur des Sommers ver- leiht dem Polarklima sein Gepräge, denn wenn die Winterkälte auch recht bedeutend ist, so wird sie doch in gewissen Gebieten der nördlichen gemäßigten Zone noch übertroffen, während der kalte Sommer zu den typischsten Eigentümlich- keiten der Polargegenden gehört. Diese Tatsache erscheint auf den ersten Blick verwunderlich, weil ja, wie wir gesehen haben, gerade dem Pol im Hochsommer mehr Wärme zugestrahlt wird, als selbst dem Äquator. Nichts ist daher mehr ge- eignet den Einfluß der störenden Faktoren, die das solare Klima in das reale oder physische um- wandeln, besser zu illustrieren, als die Tempe- raturverhältnisse des Polarsommers. Von der ge- waltigen Wärmemenge, welche die Sonne dem Pol zustrahlt, wird nämlich der Rest, der nach dem Passieren der Atmosphäre noch die Erdober- fläche erreicht, hauptsächlich zum Auftauen des Eises verbraucht, das sich während der langen Winterszeit gebildet und angehäuft hat. Die Wärmemenge aber, die zum Schmelzen von Eis nötig ist, erreicht den achtzigfachen Betrag der- jenigen, welche eine Erwärmung von gleich viel Wasser um einen Celsiusgrad zustande bringt. Oder mit anderen Worten: Die gleiche Wärme- menge, die einen Liter Wasser von o'' auf 80" C zu erwärmen vermag, ist nur imstande einen Liter Eis von o" in Wasser von o'^ zu verwandeln. Es tritt also dabei nicht die geringste Temperaturerhöhung auf, sondern die Wärme reicht gerade hin, um eine Änderung aus dem festen in den flüssigen Aggregatzustand herbeizuführen. Man erkennt hier deutlich den Unterschied zwischen Wärme und Temperatur, der leider so häufig nicht be- achtet wird, und dessen Vernachlässigung vielfach zu falschen Anschauungen und Darstellungen führt. Der Sommer ist demnach kühl und kurz, so daß seine Wärme oft nicht hinreicht, um auf ebenem Boden die Schnee- und Eisbedeckung zu entfernen, da dieselbe nicht nur geschmolzen, son- dern auch durch Verdunstung entfernt werden muß, weil ein Versickern des Schmelzwassers in den Eisboden nicht erfolgen kann. Ist dagegen bei einer, wenn auch nur schwachen Neigung des Bodens die Möglichkeit zum Abfließen des Schmelzwassers gegeben, so kann der Erdboden leicht von Eis befreit werden, und dann erhält die Wärmestrahlung eine Angriffsfläche, die in kurzer Zeit kräftig erwärmt wird und nun gün- stige Bedingungen für das Gedeihen einer relativ reichen Vegetation bietet. Man hat beobachtet, daß schon im März in 7472" nördlicher Breite N. F. XIII. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 74" dunkle Steine von der Sonnenstrahlung über den Gefrierpunkt erwärmt wurden, während die Tem- peratur der Luft noch mehr als 30" C unter dem- selben lag, und die Bodentemperatur- kann sich selbst unter einer Schneedecke infolge der durch- gehenden Wärmestrahlung über den Gefrierpunkt erheben. Der Verbrauch großer Wärmemengen zum Schmelzen des Eises hat die Folge, daß die niedrigsten Temperaturen oft erst im Frühling auftreten, während die wärmste Zeit nur eine ge- ringe Verspätung gegen den höchsten Sonnen- stand erleidet, weil die Sonnenstrahlung mit sin- kender Sonnenhöhe, wie auf Seite 739 dargelegt wurde, unverhältnismäßig rasch abnimmt. In jeder Polarzone kann man, wie aus den bisherigen Ausführungen hervorgeht, drei Zeit- abschnitte unterscheiden, deren Länge sich konti- nuierlich mit der geographischen Breite ändert, einen, in dem die Sonne unter dem Horizont bleibt, einen zweiten, in dem sie täglich auf- und untergeht, und einen dritten, in dem sie über dem Horizont bleibt. In dem letztgenannten Zeitab- schnitt wird die tägliche Änderung der Sonnen- höhe um so geringer sein, je näher das betreffende Gebiet dem Pole liegt. Die tägliche Temperatur- schwankung, die ja im wesentlichen durch die Änderung der Sonnenhöhe bewirkt wird, muß dann in der Nähe der Pole fast verschwinden. Auch im Winter, wo der Tiefstand der Sonne unter dein Horizont in sehr hohen Breiten nur geringen Änderungen unterliegt, ist eine tägliche Temperaturschwankung von nennenswertem Be- trag nicht zu erwarten. Die große Gleichmäßig- keit der Lufttemperatur in den extremen Jahres- zeiten darf demnach als ein weiterer Haupt- charakterzug des hochpolaren Klimas gelten. Naturgemäß hat sich die Vegetation diesen eigenartigen Verhältnissen angepaßt, und es wäre höchst interessant im einzelnen die Beziehungen zwischen Temperatur und Pflanzenleben in hohen Breiten zu verfolgen. Diese Zusammenhänge sind jedoch von A. Grisebach in so klassischer Weise dargelegt worden '), daß es hier genügt auf dessen vorzügliche und klare Schilderung zu verweisen, die, trotzdem sie in Einzelheiten über- holt ist, doch ein auch heute noch zutreffendes, charakteristisches und lebensvolles Bild der ark- tischen Vegetation und ihrer physischen Bedingun- gen bietet. n. Das Nordpolargebiet. Versuchen wir nun uns einen orientierenden Überblick über die Temperaturverteilung in der Arktis zu verschaffen, soweit dies ohne karto- graphische Darstellungen möglich ist. Dabei kommt uns eine Tabelle zugute, die H. Mohn auf Grund aller im Nordpolargebiet angestellten Temperaturmessungen berechnet hat, so daß sie gewissermaßen den Extrakt dieser zahlreichen Einzelbeobachtungen darstellt. Mohn'j hat in zwölf Karten des Nordpolargebietes die monat- lichen Mitteltemperaturen der einzelnen Beobach- tungsstationen für jeden Monat gesondert einge- tragen und in jeder Karte die Orte mit gleicher Temperatur durch Linien, die sog. Isothermen, verbunden. Er erhielt damit für jeden Monat eine Isothermenkarte, welche die geographische Verteilung der Temperatur in übersichtlicher Weise darstellt. Derartige Karten bieten die Möglichkeit durch einfache Interpolation die wahrscheinliche Temperatur jedes beliebigen Punktes zu ermitteln, so daß es jetzt ein Leichtes war für bestimmte Parallelkreise in Intervallen von je 10 Längengraden 36 einzelne Temperaturwerte zu bestimmen, deren Mittel dann den monatlichen Durchschnittswert des betreffenden Parallelkreises liefert. Geogr. Breite 65» 70« 75° 80« 85« 90» Januar —23,0» -26,3» — 29,0" -32,2» -38,1" -41» Februar -21,5 -25,8 —28,9 -32,5 -38,0 —41 März — 16,1 —22,4 —26,6 —30,6 —33,0 —35 April —7,3 — '4,0 —18,8 — 22,7 -26,5 —28 Mai 1,6 —4,4 -8,5 — 10,0 — 11,9 — 13 Juni 9,2 3,3 0,1 — 1,1 — 1,7 — 2 Juli 12,4 7,3 3,4 2,0 0,3 — I August 10,3 6,2 1,9 0,4 -1,8 —3 September 4,7 0,3 —4-1 —7.7 -10,3 —13 Oktober —4,1 —9,3 — 14,0 —19,1 —22,2 —24 November -14,5 —18,1 -20,8 —23,9 — 29,2 —33 Dezember — 20,6 — 23,6 —25,5 —28,4 —34,2 -38 Jahr -5,8 —10,7 -.4,7 — 18,1 —21,2 — 22,7 Am Nordpol erhebt sich nach Ausweis dieser Tabelle die monatliche Mitteltemperatur selbst im Hochsommer nicht über den Gefrierpunkt, was natürlich nicht ausschließt, daß in Einzelfällen auch dort positive Temperaturen erzielt werden können. Die Tabelle zeigt ferner, daß der Winter weit in das Frühjahr hinein verlängert ist, dessen niedrige Mitteltemperaturen, zum Teil da- durch zustande kommen, daß die größte Kälte mitunter noch auf den März fällt. Im Mai aber steigt die Temperatur schnell und sie erreicht ihr Maximum überall im Juli. Wenngleich es vom .\ugust an infolge der rasch sinkenden Sonnen- strahlung schnell kühler wird, bleibt doch der Herbst bedeutend wärmer als im Frühjahr. Von den durch die Tabelle dargestellten mitt- leren Verhältnissen finden sich im einzelnen starke Abweichungen. So hat z. B. das Innere Grönlands wegen seiner Bedeckung mit einer mächtigen Eisschicht in allen Monaten eine nie- drigere Temperatur als der mittleren Verteilung ) A. Grisebach: Die Vegetation der Erde nach ihrer >) The Norwegian North Polar Expedition 1S93— 1896. klimatischen Anordnung. 2. Aufl. Leipzig, 1884. Band I, Scientific Resullats edited by Fridtjof Nansen. Vol. VI, Lon- Seite 15 — 67. (Jon 1905. H. Mohn; Metcorology, S. 575. 742 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 47 entspricht. Diese negative Temperatur-Anomalie erreicht im Oktober einen Wert von — 18". Die Norwegische See dagegen verdankt ihre dauernd positive Anomalie, die im Januar und Februar bis -1-2 5" ansteigt, der Wirkung des Golfstroms, der seine warmenWassermengen bis weit nachNorden hinauf sendet. Die großen Kontinente haben im Sommer positive (Juli +6" in Sibirien, Juni -\- 10" im westlichen Nordamerika), im Winter dagegen negative Anomalie (Dezember und Januar — 25 " in Sibirien, Januar — 10" im östlichen Nordamerika). Das Gebiet zwischen Beringstraße und Pol hat in allen Monaten negative Anomalie, jedoch meist weniger als — 5"- Es würde zu weit führen, die Temperatur- verhältnisse der verschiedenen Nordpolarländer im einzelnen zu erörtern. Dies kann um so eher unterbleiben als in dem ausgezeichneten Hand- buch von J. Hann ') zahlreiche ausführliche Tem- peratur-Tabellen mit den nötigen Literaturangaben wiedergegeben, bzw. neu berechnet worden sind. Es mag hier die Angabe genügen, daß im allge- meinen das Jahresmittel der Temperatur im süd- lichen Grönland, sowie auf dem Inseln Jan Mayen, Spitzbergen, Bären-Insel und Nowaja Semlja zwi- schen o" und — 10", dagegen im nördlichsten Grönland, F"ranz-Josef-Land, arktisch-amerikanischen Archipel, arktischen Asien und im zentralen Eismeer zwischen — 10" oder — 20*^' gelegen ist. Nur den niedrigsten Temperaturen, die in der Arktis bisher beobachtet wurden, seien einige Worte gewidmet. Der Sitz der größten bekann- ten Winterkälte unserer Erde ist nicht der Nord- pol, dessen niedrigste Monatstemperatur mit der von Mohn zu — 41" berechneten wohl ziemlich übereinstimmen dürfte. Der winterliche Kältepol befindet sich vielmehr in Sibirien, nur wenig nördlich vom Nordpolarkreis, in der Nähe des Städtchens Werchojansk, das in 67" 33' nördlicher Breite und 1 00 m Seehöhe an dem Flusse Jana gelegen ist. Hier tritt das kontinentale Klima (warme Sommer, kalte Winter) in seiner extremsten Form auf. Die Mitteltemperaturen der Wintermonate betragen im 20 jährigen Durchsclinitt : De- zember — 47,0", Januar — 50,5", Februar —44,1". Der wärmste Januar im Jahre 1903 hatte noch eine Durchschnitts-Temperatur von — 44,2", wäh- rend der kälteste Im Jahre 1892 eine solche von — 57,2" aufwies, die somit das niedrigste, je be- obachtete Monatsmittel darstellt. Damals wurde auch als absolutes Minimum — 67,8" gemessen, eine Kälte, die heute noch in beiden Folarzonen nicht übertroffen worden ist. Daß trotz solcher außerordentlichen Kältegrade das Jahresmittel von Werchojansk nur — 16,3" beträgt, ist den hohen Sommertemperaturen zuzuschreiben, die bis über 33" ansteigen können. Beträchtlich niedriger als im arktischen Sibirien ist die mittlere Jahrestemperatur im nördlichen Teile des arktisch-amerikanischen Archipels, im nördlichsten Grönland, sowie im nördlichsten Eismeer. Doch verdient hervorgehoben zu werden, daß bisher nur zwei Stellen bekannt sind, an denen das Jahresmittel unter — 20" sinkt. Die eine ist jene, in 81 "44' nördlicher Breite gelegene P't. Conger genannte Station am Eingang der tief in die Ostküste von Grant Land einschneidenden Lady Franklin Bai. Hier wurde im Jahre 1875 — 1876 ein Jahresmittel von — 20,2", im Jahre 1S81 — 1882 ein solches von — 20,4" beobachtet. Das einzige noch weiter nördlich gelegene Gebiet , aus dem wir eine längere Reihe zuver- lässiger Beobachtungen besitzen , ist das zentrale Nordpolarmeer, das von Fridtjof Nansen auf der „Fram" in den Jahren 1893 bis 1896 durchkreuzt wurde. Die Temperaturmessungen ergaben hier für das Jahr 1895 in einer mittleren nördlichen Breite von 84,6" ein Jahresmittel von — 20,5". Das Thermometer sank in diesen höchsten Breiten im Laufe jedes der drei Winter unter — 50" und erreichte seinen tiefsten Stand am 12. März 1894 mit — 52,0", wogegen als höchste Sommertempe- ratur am 20. Juni 1896 -|~4.o'' notiert werden konnte. Während die regelmäßige tägliche Tem- peraturschwankung im Winter fast Null war, er- reichte die unregelmäßige Temperaturvariation während 24 Stunden sehr hohe Beträge. Beson- ders auffallend war der plötzliche energische Temperaturanstieg von — 43,0" am 20. F"ebruar 1896 auf — 5,4" am nächsten Tage bei südlicher Windrichtung. III. Das Südpolargebiet. Haben die Temperaturbeobachtungen im Nord- polargebiet im wesentlichen das bestätigt, was man auf Grund theoretischer Erwägungen erwarten konnte, so brachten dieselben im Südpolargebiet ungeahnte Überraschungen, und stellten die meteo- rologische Wissenschaft vor Rätsel, die auch heute nicht völlig gelöst sind. Noch im Jahre 1897 glaubte J. Hann die folgenden Mitteltemperaturen der Parallelkreise im Südpolargebiet annehmen zu können:^) Für 70" südlicher Breite — 5,8", für 80" —9,1" und für den Südpol — 11,3", also um 4,9*, 9,0" und 11,4^ wärmer als in den ent- sprechenden arktischen Breiten. Aber schon die erste Überwinterung im Südpolargebiet 1898, bei welcher auf dem Schiff „Belgica" in etwa 70" südlicher Breite eine Jahrestemperatur von — 9,6" festgestellt wurde, machte dieser optimistischen Auffassung ein Ende, und die in den nächsten Jahren folgenden Südpolarexpeditionen verschie- dener Nationen lieferten soviel Material, daß W. Meinardus die folgende Tabelle über die Mittelteniperaturen der Parallelkreise aufstellen konnte, ") die freilich nicht so vollständig ist, wie ') J. liann, Handbuch der Klimatologic. 3. .Auflage. Bd. 3. Stuttgart 191 1, S. 5S8— 699. ') J. Hann, Handbuch der Klimatologie. 2. Auflage. I. Band. Stuttgart 1897. Seite 212. -) Deutsche Südpolarexpedition 1901 — 1903. Hcrausgcg. von F.. V. Drygalski. Bd. 111. Meteorologie von W. Mei- nardus, Bd. I, 1. Hälfte, Heft 2, Seite 331. Berlin 1911. N. F. XIII. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 743 die auf Seite 741 für das Nordpolargebiet wieder- gegebene. sprechenden extremen Werten, die bis dahin be- kannt waren, zusammenstellt: Geogr. Breite 60» 70" So« Januar Juli 2,8 —1,3 —4,3 -10,6 — 22,0 —28,7 90» — 6,0 -33,3 Jahr —3,5 —12,8 —20,6 —25,0 Ein Vergleich mit der Nordpolar-Tabelle zeigt sofort den wesentlichen Unterschied. In der Antarktis ist der Winter etwas wärmer als in der Arktis, dafür aber der Sommer beträchtlich kälter, so daß sich nicht , wie man bis dahin angenom- men hatte, eine höhere, sondern eine beträchtlich niedrigere Mitteltemperatur für das Jahr ergibt. Während wir nun aus dem Nordpolargebiet von zahlreichen Stationen zum Teil langjährige Beobaclitungen besitzen, sind es in der Antarktis nur vereinzelte Stellen am Rande des Südpolar- kontinents, von denen meteorologische Beobach- tungsreihen vorliegen. Aber nur in drei Gebieten umfassen diese einen längeren Zeitraum als ein Jahr, so daß wir dort von mittleren Werten sprechen können, während an allen anderen Stellen die Möglichkeit vorliegt, daß die Beobachtungen nicht die normalen Verhältnisse wiedergeben. Wie unerhört groß nämlich die Veränderlichkeit der Witterung von Jahr zu Jahr dort sein kann, erhellt am besten aus der fast unglaublichen Tatsache, daß auf der schwedischen Südpolarstation Snow Hill in 64''22' südlicher Breite die niedrigste Tem- peratur der ganzen, i % Jahre umfassenden Be- obachtungsperiode, — 41,4", am 6. August 1902 gemessen wurde, auf den 5. August des nächsten Jahres dagegen das absolute Maximum mit -f"9,3" fiel! Auf der gleichen Station stieg am 17. Juni 1903 in der Zeit von i Uhr morgens bis 10 Uhr abends die Temperatur von — 29,8" auf +4,1°. Die oben erwähnten drei Gebiete sind die am leichtesten zugänglichen der Südpolarregion, so daß ihnen schon aus diesem Grunde ein besonderes Interesse zukommt. Es seien daher ihre von J. Hann berechneten Mitteltemperaturen neben- stehend wiedergegeben. Diese Tabelle gestattet noch eine Extrapolation bis zum 80. Breitengrad, während den Berech- nungen der Temperatur des Südpols naturgemäß eine große Unsicherheit innewohnt. Neuerdings haben nun die Expeditionen von R. Amundsen und R. F. Scott den Nachweis geliefert, daß auf der großen Eistafel der Roß-Barriere, auf welcher Amundsen überwinterte, noch weit niedrigere Temperaturen auftreten als man vermutete. Es sind deshalb zum Vergleich in der letzten Spalte die an Amundsen's Winterquartier „Framheim" gemessenen Werte hinzugefügt, wobei diejenigen für Februar und März interpoliert werden mußten. An dieser südlichsten Beobachtungsstation ist das Thermometer überhaupt nicht mehr über den Gefrierpunkt gestiegen. Der Höchstwert war — 0,2" am 5. Dezember 191 1, dem eine Minimal- temperatur von — 58,5 am 13. August gegenüber- steht. Besonders deutlich werden die abnorm tiefen Temperaturen, wenn man sie mit den ent- Süd-Vilitoria-Land l-ramheim 77°45' Süd 78138' Süd Niedrigstes Monatsmittel —29,5 — 44.5 Höchstes ,, — i.i —6,2 Absolutes Maximum -f8,3 — 0,2 „ Minimum —50,3 -58,5 Jahresmittel -17,6 —25-2 Das Jahresmittel von Framheim, das noch 1266 km vom Südpol entfernt liegt, ist also bereits um 2,5'' tiefer als dasjenige des Nordpols. Auf- fällig ist in den hohen Breiten die große Gleich- mäßigkeit der Wintertemperatur, die namentlich in Süd -Viktorialand in den Mitteltemperaturen der Monate April bis September zum Ausdruck Ort Breite Länge Jalire Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember SUd- Vilitoria- Land 77°4=;' Süd i66''34' Ost 1 902/04 1 908/09 3 Jahre Westantarktis westlich j östlich von Grahamland ee^Sö' Süd 62''33' Süd 5°°5°' West —4,0 -8,3 -J5,5 —24,2 —24,1 — 24,6 — 26,5 — 26,8 —24.5 -19,8 -9,5 —3,2 72°! I' West 1898/99 1904/05 1909 3 Jahre Jahr Schwankung Mittl. Jahres- Maximum Mittl. Jahres- Minimum -17,6 23,6 5.9 -46,5 0,3 0,0 —3,0 -7,3 —7,3 — 11,1 —16,6 -7,8 —9,3 —5,9 -2,8 —0,9 1902/03 1903/04 2 Jahre -6,0 16,9 5>7 —33,7 — 0,2 — 1,0 —5,4 —9,4 —14,1 -15,1 — 16,0 — 14,1 — 12,0 -7,4 —3,4 — 1,4 Framheim 78''38' Süd 164030' West igt 1/12 I Jahr -8,3 15,8 8,5 —37,3 —8,8 (-11,9) (—22,1) —27,3 -35.6 —34,2 —36,1 —44.5 —37.0 —23,7 — 14,7 -6,2 — 25,2 38,3 — 0,2 -58,5 kommt. Der Winter hat hier keinen Kern, denn auch in Framheim sank vom Mai bis zum Sep- tember das Thermometer in jedem Monat unter — 50". An dem westlichen Ende des Roß Barriere- Eises erlebte eine Abteilung von Scott 's Expe- dition im Juli 1911 eine Kälte von — 60,5", die niedrigste Temperatur, die in der Antarktis je beobachtet worden ist. Aus dem ganzen weiter südlich gelegenen Gebiet haben wir nur vereinzelte Temperaturmessungen, die auf den Expeditionen von S hack leton, Amund- sen und Scott angestellt worden sind. Das zentrale antarktische Plateau hat in der Nähe des 86. Breitengrades eine Höhe von 2500 Metern, die 744 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. F. XIII. Nr. 47 südwärts bis über 3000 Meter zunimmt. Auf dieser öden Eiswüste sind von den drei For- schern in den Monaten Dezember und Januar, also im Hochsommer, Temperaturen zwischen — 18" und — 40" beobachtet worden. In der Mehrzahl der Fälle jedoch schwankte der Stand des Ther- mometers zwischen ■ — 20" und — 30". Wie die Wintertemperatur in diesem Gebiet sein mag, entzieht sich unserer Kenntnis. Bedenkt man aber, daß 1400 Kilometer vom Pol entfernt im Meeres- niveau bereits eine Kälte von — 60" konstatiert worden ist, so dürften am Pol selbst in mehr als 3000 m Höhe, Temperaturen von • — 80* und da- runter wohl nicht zu den Unmöglichkeiten gehören. Die reelle, nicht auf das Meeresniveau reduzierte Temperatur des Südpols könnte man daher im wärmsten Monat auf etwa — 25", im kältesten vielleicht auf — 65** schätzen. Sicher ist jedenfalls, daß jenes ferne Hochland der zentralen Antarktis das weitaus kälteste von allen größeren Gebieten unseres Erdballs ist, und seine Mitteltemperatur möglicherweise in der Nähe von — 50" liegt. Die Ursachen dieser enormen Kälte sind uns vorläufig noch ein Rätsel, desgleichen auch die unerhörten Schwankungen der Temperatur in dem Randgebiet des antarktischen Kontinents, von denen auf S. 743 ein Beispiel angeführt war. Die dort mitge- teilten Zahlen sprechen deutlicher als es Worte ver- mögen für die Notwendigkeit einer ständigen Be- obachtungsstation im Südpolargebiet. Bereits ist ein solches Projekt von schwedischer Seite aus- gearbeitet und seine Verwirklichung in die Wege geleitet worden. Hoffen wir, daß der Tag nicht mehr fern ist, an dem das antarktische Obser- vatorium seine Tätigkeit beginnen kann und da- mit den Grundstein legt zu einer systematischen Erforschung des interessantesten Gebietes, das auf unserem Planeten noch der Entschleierung harrt. Einzelberichte. Botanik. Zustand des Plasmas und Reizbar- keit. Der Aggregatzustand des Protoplasmas, der jetzt ziemlich allgemein als flüssig angenommen wird, kann, wie auf botanischer Seite Pfeffer dargelegt hat, einen Kohäsionswechsel erfahren und reversibel in den festen übergehen. Dies lehrte die Beobachtung, daß das ruhende Kürner- plasma von Plasmodien der Myxomyceten dem Stromstoß des fließenden Protoplasmas Wider- stand entgegensetzt, ohne selbst deformiert zu werden. Durch direkte Belastung freier Plas- modienstränge gelangte P fe ff er auch zu Zahlen- werten, erklärte jedoch, daß wegen des wechsel- seitigen Überganges eine genaue Bestimmung der Kohäsionsverhältnisse unmöglich sei. Zellhaut- umkleidete Protoplasten hat Pfeffer nicht unter- sucht. Alfred Heilbronn ist jüngst auf ganz anderm Wege zu Vorstellungen über Zustand und Zustandswechscl der lebenden Substanz be- häuteter Zellen gelangt. Ausgehend von dem Gedanken, daß feste Körper in einer P'lüssigkeit um so rascher sinken, je geringer, und um so langsamer, je größer deren Zähigkeit ist, be- obachtete er an Schnitten durch Stärkescheiden von Vicia faba und Koleopülen des Hafers die Bewegungsgeschwindigkeit umlagerungsfähiger Stärkekörner (Statolithen) unter dem Einfluß der Schwerkraft. Die Versuchsanstellung bestand im wesentlichen darin, daß die zu untersuchende Gewebspartie zunächst in ihrer natürlichen Lage am vertikal stehenden Objekttisch des horizontal umgeklappten Mikroskops befestigt und dann nach Drehung des Objekttisches um 180" die Zeitdauer bestimmt wurde, die ein Stärkekorn zu seinem Wege von der oberen Querwand einer Zelle bis zur unteren nötig hatte. Durch Messung der Fallhöhe ergab sich der andere Weg, der noch zur Berechnung der Fallgeschwindigkeit nötig war. Bei der Umlagerung der Statolithen gelingt es hier und da einigen Körnern, die Vakuolcnhaut zu durchbrechen, um dann quer durch die Vakuolenflüssigkeit hindurchzufallen. Auch die Fallgeschwindigkeit solcher Körper wurde bestimmt. Um die Viskosität des Plasmas und der Vakuolenflüssigkeit von Vicia faba zu bestimmen, wurde noch die P'allgeschwindigkeit isolierter Stärkekörner in Wasser gemessen. Es galt dann, wenn x die Viskosität des Plasmas (oder der Vakuolenflüssigkeit) ist die Proportion : X Fallgeschwindigkeit in Wasser I I""allgeschwindigkeit in Plasma (bzw. Va- kuolenflüssigkeit). So ergab sich für die Viskosität des Proto- plasmas der Stärkescheiden von Vicia faba ein etwa 24 mal höherer Betrag als für Wasser von 18 ", während die Viskosität der Vakuolenflüssig- keit 1,9 mal höher war als die des Wassers. Dieser letztere Wert läßt die Vermutung auf- kommen, daß auch im Zellsaft Kolloide vorhanden sind, welche die doch recht große Viskositäts- steigerung bedingen. Die kompliziertere Fest- stellung des Viskosität strömenden Plasmas ergab sehr verschiedene Werte; deutliche Beziehungen zur Strömungsgeschwindigkeit waren nicht nach- zuweisen. — Heilbronn prüfte nun weiter die P'allgeschwindigkeit der Stärkekörner in der Stärkescheide, wenn der Zustand des Plasmas durch äußere Agenzien: Wärme, Narkotika, Leuchtgas beeinflußt wurde. Es ergab sich aus dem Verhalten der Stärkekörner, daß Tempera- turen von 25 — 35 " bei kurzer Einwirkung wenig Einfluß auf den Viskositätszustand des Plasmas haben. Nach einstündigem Aufenthalt allerdings zeigt sich eine Verzögerung der Umlagerung der Statolithen, und entsprechend dieser Verzögerung tritt auch die geotropische Krümmung merklich N. F. XIII. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 745 später ein. Die Temperatur von 45 •' zeigt die viskositätssteigernde Wirldteile wird soweit als möglich berücksichtigt. Der kirchliche Standpunkt des Verf. kommt namentlich in den Bemerkungen über das Deszendensproblem und in dem Kapitel über den Diluvialmenschen nach seiner ps)-chischen Beschaftenheit zum Ausdruck. Der zweite Band, „Die Rassen und Völker der Menschheit", hat den Münchener Universitätspro- fessor Dr. Ferdinand Birkner zum Verfasser Er behandelt vor allem ziemlich eingehend die AnatomieundPhysiologie desmenschlichen Körpers, sodann führt er einen Vergleich durch zwischen den körperlichen Merkmalen des Menschen und der Tiere, besonders der Affen. Daran reihen sich Abschnitte über die ältesten Reste des Menschen, die Rassen und Völker Europas und die Bevöl- kerung der deutschen Kolonien. Der Schlußab- schnitt betrifft die Rassengliederung und Einheit des Menschengeschlechts. Da Prof. Birkner ebenfalls den kirchlichen Standpunkt vertritt, so lehnt er anscheinend auch die Abstammung des Menschen von niederen Lebewesen ab. Er schreibt N. F. Xm. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 751 S. 290: „Alles was über die körperliche Ab- stammung des Menschen von niederen Wesen behauiitet wird ist hypothetisch, kann nur auf Ähnlichkeiten gestützt werden, wobei aber wohl zu beachten ist, daß nicht jede Ähnlichkeit den Schluß auf gemeinsame Abstammung zuläßt. Manche Ähnlichkeit ist nur eine scheinbare und darum ganz verschiedenen Ursachen zuzuschreiben, oder mit ganz verschiedenen Begleitumständen verbunden." Prof Birkner erinnert dabei an die „Konvergenzen", die in der Natur häufig beobachtet werden. Er meint ferner, daß die scheinbaren Tierähnlichkeiten (sofern sie nicht Konvergenzerscheinungen sind) als Hemmungs- oder Exzeßbildungen während der individuellen Entwicklung aufzufassen sind. Auf den im Erscheinen begriffenen dritten Band, „Völker und Kulturen", der sich u. a. mit den Methoden und Zielen der Völkerpsychologie eingehend befaßt, werden wir noch zurückkommen, sobald er abgeschlossen vorliegt. Die .Ausstattung des Werkes, das in etwa 40 Lieferungen zum Preise von je i Mk. erscheint, ist eine recht gute. Die Illustrationen sind zweck- dienlich gewählt und schön ausgeführt. Außer den Textbildern und schwarzen Tafeln sind auch farbige Karten beigegeben. H. Fehlinger. Sladen, F. W. L., The Humble-Bee. Its Life-History and how to domesticate it, with descriptions of all the british species of Bom- bus and Psithyrus. Illustrated with photo- graphs and drawings by the author and five coloured plates photographed direct from na- ture. 283 S. Verlag Macmillan and Co., Limi- ted. St. Martin's Street, London W. C. 191 2. — Preis 10 s. net. Ein wertvoller Beitrag zur Biologie der Hum- meln. Sladen, bereits als Bienenzüchter von außergewöhnlich scharfer Beobachtung bekannt, gibt hier eine Beschreibung des Hummellebens unter Beigabe zahlreicher ausgezeichneter Abbil- dungen. Besonders hervorzuheben sind die nach farbigen Photographien hergestellten Tafeln der englischen Hummelarten, die alle bisherigen Ab- bildungen weit übertreffen. Wer Hummeln in künstlichen Wohnungen züchten will, findet in diesem Werk vortreffliche, erprobte Angaben. Sladen ist der erste gewesen, der das Rätsel des Pollensammelns bei den Bienen und Hummeln gelöst hat. Plinige wenige Ansichten, die den Autodidakten verraten , fallen nicht ins Gewicht. Buttel-Reepen. Berg, Leo, Das Problem der Klima ände- rung in geschichtlicher Zeit. Geo- graphische Abhandlungen, Bd. X, Heft 2. 70 Seiten. Leipzig, B. G. Teubner. 1914. — Preis 3,60 Mk. Der Verf behandelt in 10 Kapiteln die P'euch- tigkeitsvorräte der Atmosphäre, die Feuchtigkeit im Boden, die Prozesse des Verschwindens der .Seen, das mutmaßhche .Seichterwerden der P'lüsse Rußlands, die Böden in ihrer Beziehung zu den Klimaänderungen in Südrußland, die Änderungen der Vegetationsdecke während der geschichtlichen Zeit, Klimaänderungen in der postglazialcn Zeit, die Verdunstung in den Wüsten, die Sandwüsten und das Problem der Klimaänderung einiger Länder während der geschichtlichen Zeit. Die einzelnen Kapitel sind nicht mit gleicher Gründ- lichkeit bearbeitet und tragen mitunter nur einen aphoristischen Charakter. Auch sind die neuesten PJrgebnisse der Forschung nicht berücksichtigt, was darin seine Erklärung findet, daß es sich, wie aus dem Vorwort hervorgeht, um die deutsche Übersetzung einer Arbeit handelt, die in der russisclien Zeitschrift Semlewjedjenie bereits im Jahre 191 1 erschienen ist. Der Verf gelangt zu folgenden Schlußfol- gerungen : 1. Vergleicht man die gegenwärtige Epoche mit der Eiszeit, so wird man fast auf dem ganzen Festlande eine Verringerung der Binnengewässer und der atmosphärischen Niederschläge konsta- tieren können. 2. Eine ununterbrochene Austrocknung hat seit dem Ende der Eiszeit nicht stattgefunden : der gegenwärtigen Epoche ging eine solche mit noch trocknerem und wärmerem Klima voraus. 3. Während der historischen Zeit ist nirgends eine Klimaänderung zugunsten einer fortschrei- tenden Erhöhung der mittleren Jahrestemperatur der Luft oder einer Verminderung der atmo- sphärischen Niederschläge zu bemerken. Das Klima bleibt entweder beständig (abgesehen von Schwan- kungen, deren Periode höchstens einige Jahrzehnte beträgt, den sog. Brückner'schen Perioden), oder es läßt sich sogar eine gewisse Tendenz zu einem Feuchterwerden konstatieren. 4. Es kann daher weder von einem ununter- brochenen Austrocknen der Erde seit der Be- endigung der Eiszeit, noch von einem solchen im Laufe der geschichtlichen Zeit die Rede sein. Ein Literaturverzeichnis von 81 Nummern bildet eine willkommene Beigabe. O. Baschin. Verworn, Max, Die Mechanik des Geistes- lebens. Mit 19 Abbildungen im Text. Dritte Auflage. (Aus Natur und Geisteswelt. 200. Bänd- chen.) Druck und Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin 1914. — Preis in Leinw. geb. 1,25 Mk. Die Brauchbarkeit des kleinen Werkes, das in klarer und übersichtlicher Weise den Leser über den Stand unseres derzeitigen Wissens von den hauptsächlichsten physiologisch-psychologischen Problemen unterrichtet, geht bereits daraus hervor, daß eine dritte Auflage nötig wurde. Da diese, ab- gesehen von kleinen Erweiterungen, gegenüber den früheren keine Änderung aufweist, genüge es, an dieser Stelle auf die neue Aullage hinzuweisen. Ausgehend von dem populären Dualismus zwi- schen Leib und Seele erörtert Verworn zunächst 752 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 47 die verschiedenen möglichen Auffassungsweisen, die in eine kurz zusammengefaßte Darlegung seines eigenen, als Psychomonismus bekannten Standpunktes ausmünden. In den weiteren Ka- piteln werden die Vorgänge in den Elementen des Nervensystems, die Bewußtseinsvorgänge, Schlaf und Traum, schließlich das große Gebiet der Suggestion und Hypnose sachlich, knapp und allgemeinverständlich behandelt. .So kann das Büchlein nach wie vor zur einführenden Orien- tierung über diese Dinge bestens empfohlen werden. Wasielewski. Dr. Gottfried Brückner, Aus der Entdek- kungsgeschichte der lebendigen Sub- stanz; Adolf Kistner, Im Kampf um das Weltsystem; l'rof. Dr. Friedrich Kiengel, Die Entdeckung des Generations- wechsels in der Tierwelt; Max Geitel, Geschichte der Dampfmaschine bis James Watt; Dr. Alfred Noll, Die „Lebens- kraft" in den Schriften der Vitalisten und ihrer Gegner. — Voigtländer's Quelle n - bücher, Band 32, 39, 45, 49, 69. R. Voigt- länder's Verlag, Leipzig. — Preise kartonniert 60, 80, 100, 120 und 80 Pfennige. Daß Unternehmen, die bezwecken, die origi- nalen Arbeiten , auf denen ein wissenschaftlicher Bau ruht, einem möglichst weiten Kreise zugäng- lich zu machen , alle Anerkennung und Unter- stützung verdienen, bedarf keines Beweises. Gerade nach und in einer Zeit breitester Popularisierung, die neben vielem Anerkennenswertem doch auch viel Verwässertes, nicht selten gar Verfälschtes in ihrem großen Strome mit sich führt, gewinnt das Bestreben, die Quellen leichter und allgemeiner zugänglich zu machen, eine symptomatische Be- deutung. Von dem eignen Reiz, den alles Studium von Originaldokumenten mit sich bringt, soll hier nicht weiter geredet werden. Ein Vorteil jedoch ist so bedeutend, daß schon allein um seinetwillen jedes derartige Unternehmen Beachtung und För- derung verdient: die Stärkung des historischen Sinnes, die aus mancherlei Ursachen gerade in der Naturwissenschaft so äußerst erwünscht ist. Denn auch hier gilt, daß ein wirkliches tieferes Verständnis der gegenwärtigen Wissenschaft nur durch Würdigung der vergangenen Zustände und der zu dem heutigen Zustande führenden Ent- wicklung erlangt werden kann. Von den oben angezeigten Veröfifentlichungen sind drei biologischen Inhalts. Dr. Gottfried Brückner (Aus der Entdeckungsgeschichte der lebendigen Substanz) gibt ausgewählte Abschnitte aus der Entwicklung der Zellenlehre von R. Hooke (1667) bis zu E. Brücke (1862). Die Namen Corti, Treviranus, R. Brown, J. Schieiden, Th. Schwann, H. von Mohl (der die Bezeichnung Proto- plasma einführte), C. Nägeli und M. Schnitze be- zeichnen außer den Erstgenannten diesen Weg, der uns bis zu der eigentlich modernen Zell- forschung leitet. Prof. Dr. Friedrich Klengel berichtet über „Die Entdeckung des Generations- wechsels in der Tierwelt", die bekanntlich wesent- lich an den Namen des Dichters Adalbert v. Cha- misso geknüpft ist, dessen Originalabhandlung hier zum erstenmal in deutscher Sprache erscheint. Daran angeschlossen ist die teils polemische, teils weiter ausbauende Weiterentwicklung der Ent- deckung. Von besonders aktuellem Interesse ist das von Dr. Alfred Noll herausgegebene Heft „Die Lebenskraft in den Schriften der Vitalisten und ihrer Gegner". In unserer Zeit, in der der Gedanke des Vitalismus, wenngleich in teilweise geänderter Form und unter tiefergreifenden Vor- aussetzungen, eine sehr ernst zu nehmende Wieder- belebung erfahren hat, jedenfalls im Mittelpunkt grundlegender Betrachtungen und Diskussionen steht, ist jede Anregung, sich mit den Gedanken älterer Vitalisten und ihrer Gegner historisch zu beschäftigen, erwünscht. In dem einen der beiden anderen Hefte findet sich eine Geschichte der Dampfmaschine von den ersten hierhergehörigen Notizen aus dem Alter- tum bis zu James Watt, von Max Geitel. Schließlich läßt uns Prof. Adolf Kistner in ausgewählten , z. T. neu übersetzten Stücken an dem ewig denkwürdigen Kampfe teilnehmen, der, indem er die Erde aus dem Mittelpunkte des Weltalls riß und als bescheidenen Nebenstern in den Raum hinausschleuderte, vielleicht mehr als irgendeine andere naturwissenschaftliche Entdek- kung zu dem großen Umschwünge der Geister beigetragen hat, der die letzten Jahrhunderte gegenüber dem Mittelalter kennzeichnet, und uns wirklich in einer „andern" Welt als die Genera- tionen vor 1500 leben läßt. Unter den vielen Originaldokumenten dieses Heftes befinden sich auch Abschnitte aus Galileis berühmtem „Dialog", ferner das Urteil der römischen Kurie, Galilei's Abschwörungsformel, und Briefe. Sachliche Einleitungen und Abbildungen sind, soweit nötig, sämtlichen Heften beigegeben. Wasielewski. Inhalt; Baschin: Die Temperaturverhältnisse der Polargebiete. — Einzelberichte: Heilbronn: Zustand des Plasmas auf Reizbarkeit. Knoll: Das Ausgleiten der Insektenbeine an wachsbedeckten Pflanzenteilen. Coenian; Über merkwürdige Bewohner der Sporangien von Pilobolus. F. u. M. Boas: Regionale Variationsbreite der Kopfform der Bevölkerung Italiens. Rosenkränzer: Die Reaktionsgeschwindigkeit in heterogenen Systemen. Stromer: Saurierfunde in Deutsch-Südwestafrika. Terroine: Über den Gehalt des Körpers an Fettsäuren und Cholesterin. Droge: Einfluß der Milzexstirpation auf die chemische Konstitution des Tierkörpers. — Bücherbesprechungen: Der Mensch aller Zeiten. Sladen: The Humble-Bee. Berg: Das Problem der Klimaänderuog in geschichtlicher Zeit. Verworn: Die Mechanik des Geisteslebens. Brückner: Aus der Entdeckungsgeschichte der lebendigen Substanz; Kistner: Im Kampf um das Weltsystem; Klengel: Die Entdeckung des Generationswechsels in der Tierwelt; Geitel; Ge- schichte der Dampfmaschine bis James Watt; Noll: Die „Lebenskraft". Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, MarienstraSe IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lipperl & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Baiui ; der ganzen Reihe 29. Kand. Sonntag, den 29. November 1914. Nummer 4H. [Nachdruck verboten.] Auf den Höhen des Kilimandscharo. Teil I. Von Prof. Dr. Christoph Schröder, Berlin. Als ich am i. III. 06 zum ersten Male die Massaisteppe im Interesse zoo ■ biologischer Studien durchstreifte, als mich zum ersten Male inmitten der sonnendurchglühten Hjphaenen- Bestände nahe dem Panganisumpfe, welchen der Himo verläßt, das gewaltige Massiv des Kili- mandscharo mit dem mannigfarbenen Grün der Kulturfelder, des Urwaldgürteis, der Erica -Par- zellen und noch weiter hinauf der Hochwiesen wie des Euryops- und E ric i n e 1 1 e n - Gestrüpps, zugleich seine in die klare Höhenluft hochragenden Gipfel, der malerisch zerschluchtete , rotfarbene Mawensi und der erzgraue, mit einem Dome ewigen Eises gekrönte Kibo, grüßten: da nahm mich dieser märchengleiche Anblick unwider- stehlich gefangen, da mußte ich hinauf in seine lockenden und doch so unwirtlichen Höhen, ob- wohl ich jeder Ausrüstung für ein solches Unter- nehmen bar war. Ein paar wollene Decken, welche ich von einem Inder in Moschi erstand, 2 Schlafsäcke aus der Zeit der Besteigungen Hans Meyer's her, welche mir von der Militärstation freundlichst ge- liehen wurden, machten mir einen Aufstieg bis nahe an den Ratzelgletscher 5400 m (s. „Natur" Jahrg. III, H. 21/24) und einige wissenschaftliche Ausbeute möglich. Wer je den Zauber der Tropen kennen lernte, kann sich nie wieder der Sehnsucht dieser Er- innerung entziehen; noch mächtiger fesselt diese jeden zur Wiederkehr, der je die hehren, er- greifenden Einsamkeiten der Höhen des Kilima- ndscharo geschaut hat. Ich mußte sie wiedersehen, dieses Mal war eine Besteigung des Kibogipfels (6010 m) vorgesehen, im Februar 191 2. Die Bahnlinie Tanga-Moschi stand wenige Tage vor ihrer Eröffnung; von Buiko führte mich ein gelegentlicher Güterwagenverkehr noch rechtzeitig nach Moschi, um auch dort als Teil- nehmer an der Kaiser-Geburtstagsfeier zu er- kennen, welche Fortschritte dieses nunmehr durch die Bahn voll erschlossene Gebiet bereits ge- macht hatte, zugleich aber auch, wie ein wesens- fremder Schleier über die so lange unberührte Natur und ihre Bewohner hiermit gefallen war. Und auch der Bergriese zeigte ein anderes Ge- sicht denn i. J. 1906; weite Schneefelder deckten seine Gipfel bis an das Sattelplateau überall, wo damals die vielfarbene Tönung des nackten Ge- steins im Sonnenglanz geleuchtet hatte. Doch auch jetzt durchglühte die Steppe heiß- flimmernder Sonnenbrand, auch jetzt strahlten die Höhen im Sonnenschein. Der Schnee an sich konnte den Aufstieg, den ich diesmal über Marangu nahm, nicht gefährden. Diesmal über Marangu; nicht geraden Weges von Moschi durch den Urwaldgürtel hinauf wie i. J. 1906. Ich folgte darin einer Bitte des Herrn Dr. phil. E. Th. Frörst er (Moschi), die von ihm einige Zeit zuvor gleichermaßen zurückgelegte Route zur Biwakhöhle kartographisch aufzunehmen. Einen seiner Negerbegleiter gab er mir für die betr. Orientierung mit, den „Kirongozi". Auch das Maultier und dessen Aufwärter, den „boy ya frazi", stellte er mir; eine Freundlichkeit allerdings, die mir fast sehr teuer zu stehen gekommen wäre. Sein Interesse lag darin begründet, daß er als Besitzer des Gasthauses auf zunehmenden Reise- verkehr zählen möchte; und ich kann die Ver- bindung mit ihm empfehlen. Die Einzelheiten der erfolgten Wegaufnahme lassen sich teils nur ungefähr mit der im ganzen gewiß hervorragenden Hans Meyer 'sehen Karte (1900) in Einklang bringen ; ich werde sie daher hier nicht weiter berühren. Für die Mehrzahl der Tage hatte ich in einem jungen Afrikander, Herrn O. Raab, zu- fällig in Moschi einen Begleiter gefunden, den ich vielseitig schätzen gelernt habe und dem ich auch an dieser Stelle für seine Teilnahme an den Mühen und Entbehrungen bestens danken möchte. So brach ich auf. Aber doch, die Schneedecke hat sich als ein böses Vorzeichen erwiesen. Furchtbare Unwetter, welche der Expedition schwere Gefahren brachten, warteten ihrer. Die Schilderung des Inhaltes zunächst zweier Tage, denen ich als Teil II jene der beiden weiteren folgen lassen werde, dürfte über das naturwissen- schaftliche Interesse hinaus ein solches in Be- ziehung auf die Beurteilung der Negerpsyche be- sitzen. Ich gebe sie fast wortgetreu wieder, wie ich sie nach den Aufzeichnungen des Tagebuches noch im Banne der afrikanischen Natur und unter dem frischen Eindruck des Erlebten zu Amani (Biologische Versuchsstation nahe Tanga) aus- gearbeitet hatte. 3. II. 1912. Vom 4050m-Lager bis zur Biwak-Höhle (4690 m). Wie nun schon regelmäßig seit 8 Tagen, von Moschi an, weckte mich zwischen 4 und 5 Uhr früh empfindliches Frösteln, ungeachtet der wasser- dichten „Militärzeltbahn" und einer Wolldecke unter dem Schlafsack auf dem Ericinellen-Lager und den zwei Wolldecken darüber. An Aufstehen lassen Dunkelheit und Kälte nicht denken. Bevor nicht die Morgensonne Erwärmung spendet, würde 754 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 48 nur eine sehr ausgiebige Benutzung des Kiboko die stumpf brütenden, todesstarr regungslosen Leute aufzurütteln vermögen. Um es sofort hervorzuheben, wenn ich hier und später vom „Kiboko" spreche: ich habe nie eine Nilpferdpeitsche besessen 1 Der Ausdruck soll nur besagen, daß es nötig wurde, der Aufforderung handgelegentlichen Nachdruck zu geben. Unter gewöhnlicheren Umständen ist der Neger nach meiner Erfahrung durchweg mit dem Worte bei wohlwollender, wenn auch strenger Behandlung leicht lenkbar. Die kommende Stunde wachen Träumens gilt der Erinnerung, trägt in heimatliche Fernen, zaubert Bilder entschwundener Tage. Und wie ein Erschrecken durchfährt es das Sinnen, da die aufgegangene Sonne nun die östliche Zeltwand mit ihren goldleuchtenden Strahlen trifft. Das Schleuderthermometer zeigt — es ist bald 6^/2 Uhr — im Zelte -0,5", etwas später draußen fast -2 ". Die morgendliche Toilette, deren wenige Ausrüstungsgegensiände auf einer Trägerkiste neben dem Lager zur Hand liegen, wird nicht zeitraubend, die Bekleidung braucht nur durch Stiefel und Khaki- Jacke ergänzt zu werden. Reis in Maggi - „Früh- lingssuppe" — die Maggi'schen Präparate haben mir überhaupt vorzüglichste Dienste getan — und der Dosenrest ,, junge große Bohnen" vom Abend her mit etwas Butter, dazu der unvermeidliche Tee, zu dem das Wasser erst unter der Eisdecke hervorgegossen werden muß, bilden den schnell bereiteten, noch flüchtiger verzehrten iVIorgenimbiß. Es ist nahezu 7 Uhr. Die bereits merklich höher stehende Sonne hat längst den Nachtreif getilgt. Dennoch hocken die Leute gänzlich teil- nahmslos an den verglommenen Feuern, unkennt- lich verhüllt in ihren Decken, wenige nur unter den Zelten geborgen. Mein Suaheli-Vokabelschatz reicht nicht aus, es sind derbe deutsche Worte, welche schließlich im Verein mit nicht miß- zuverstehenden Drohungen des Bergstockes und dem anfeuernden Poltern des „msimamizi" (Träger- aufseher) einige Bewegung in die Gesellschaft bringen. Aber unendlich zögernd, bei aller Apathie ausgesprochen mißmutig geht es an das .Abbrechen des Zeltes, an das Zusammenpacken und Ver- schnüren der Lasten. Erst nach geraumer Zeit kann der Autbruch von statten gehen. Das Maultier scheint bessere Miene zu alledem zu machen. Es läßt gänzlich unentschieden, ob es auch während der Nacht unter dem alten Zelt- plane gefroren hat und ob es etwa der verab- folgte Mais und das bereits dürftige Gras des Platzes für solche Unbill entschädigt haben. Es folgt ziemlich willig den Wünschen seines Reiters und sucht den nächsten starken Anforderungen gerecht zu werden. Mehr als einmal hatte ich sie schon zuvor verwünscht, meine Zusage, gerade dieser Route hinter dem Kirongozi zu folgen, die mir die wenigst zu empfehlende überhaupt scheint. Und ich war schon damals nicht zweifelhaft, daß der beste Weg vom Bismarc k hü gel aus zunächst gerad- linig, fast genau nordwestlich, hart heran zum Südfuß des Mawensi über leicht hügeliges Ge- lände führt, ihn westlich am Ursprünge zweier Talschluchten umgeht und dann über das fast plane Sattelplateau geradeaus ostnordostwärts zur Biwakhöhle führt. Das ist unter nicht ungünstigen Verhältnissen eine einzige Tagesentfernung, großen- teils selbst im Galopp zurücklegbar, für die Träger 30 kg nicht überschreitende Lasten und Wadschagga als solche vorausgesetzt. Diese andere Route kann zwar auch in allem Wesentlichen mit dem Maultiere bezwungen werden ; die selbstverständlich zickzackwegige Traversierung der 9 Talschluchten jedoch ist auch im höheren, flacheren Teile immer mühe- voll und erfordert sehr oft die ganze Aufmerksam- keit des Reiters, die er gerne der Natur allein widmen sollte und möchte. Einzelne kurze Ab- fälle aber sind selbst für die Träger kaum, zu Maultier bestimmt nicht zu bewältigen. Schon am Abend zuvor hatte mir die Karte gezeigt, daß mich nur der nächste höhere Schlucht- rücken jene Stätte (etwa 3900 m) zu erkennen hindern könne, von wo ich vor fast genau 6 Jahren jenen Aufstieg direkt oberhalb Moschi bis nahe an den Ratzel-Gletscher unternommen hatte. Es wurde mir auch nicht schwer, die Gegend jenes Lagerplatzes alsbald an sehr charakteristischen Felskuppen wiederzufinden. Noch 2 sicher 80 — 100 m tiefe Talschluchten waren gequert, die Hänge mehr denn früher blockbesät und durch anstehende, oft gerundet blättrige Felsen ausgezeichnet, in der Tiefe ein schmal ausgewaschenes Erosionsbett mit reichlich kühlem, klarem Wasser im ersteren, das über schwellendes Moospolster dahin rieselte, um- standen von der ganzen heimatlich grüßenden I-^lora dieser Höhen, ein ausgeprägter, fesselnder Gegensatz zu den zahlreichen Senecien. Die eindrucksvolle Schönheit gerade dieses Bach- bettes empfand ich allerdings erst, nachdem ich beim Anblicke seines Wassers mit dem Kirongozi Aus- sprache gehalten hatte. Wasser findet sich näher der „Höhle" nicht, so wenig wie Brennholz. Man darf daher nicht versäumen, sich den Bedarf für mög- lichst die ganze Zeit des Höhenlagers, wenigstens aber für einen Tag mitzunehmen. Dies geschieht naturgemäß aus Rücksicht auf die Beschwerung der Leute so spät, d. h. so hoch wie möglich. Ich hatte also den Kirongozi wiederholt vorher angewiesen, mich rechtzeitig darauf hinzuweisen. In Erinnerung an die von ihm verschuldete Schwierigkeit, am Abend zuvor Wasser zu erhalten, fragte ich aber doch, als wir kaum das Lager ver- lassen hatten, nach, wie es weiterhin mit dem Wasser sein würde. „Hapana maji ingine," also kein wei- teres Wasser auf dem VVege! 4 Träger mußten daher die nächste Steilschlucht zurück, um die 12 Wassersäcke zu füllen; fast eine Stunde beschwer- lichen Weges und eine unliebsame, durch die weiteren Ereignisse fast verhängnisvoll gewordene Verzögerung, die aber, wie so manches andere Mißgeschick, das Gute zeitigte, daß ich die Lauferei N. F. Xni. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 755 hinter diesem „Führer" endgültig aufgab und da- durch, durch die Wahl eines bequemeren, kürzeren Weges zur Biwakhöhle, die Expedition vielleicht rettete. Diese Erfahrung glaubte ich ausführlicher wiedergeben zu sollen, um hervorzuheben, daß ein Neger immer unzuverlässig ist und daß als F'ührer nur ein Europäer dienen kann ! Die fer- neren Ereignisse bestätigten dieses Urteil gleich- falls. Nicht ohne Beschwerde querten wir jene zwei letzten Schluchten, deren Kuppen ausgedehnte Stellen anstehender, flach buckliger, blättrig ver- witterter Lava zeigten. Hie und da hochragende, flechten- und moosbedeckte Felsriesen. Der Kiron- gozi wollte die letzte Schlucht seiner Gewohnheit gemäß durchaus weit zu Tal nehmen, von dem Sattelplateau war nichts zu sehen. Ich war aber durch die Erkennung meines Lagerplatzes von 1906 verge- wissert, daß aller Voraussicht nach der kaum 1 50 m höhere Talursprung mehr oder minder eben zum Plateau überleiten werde. Der Tag war schon gegen i Uhr vorgeschritten und mit ihm zogen die Nebel dichter und höher zu Berg, verdeckten seit langem die Sonne und ballten sich bereits zu gewitterschweren JVIassen ; die Träger waren vor lauter Unlust bei geringster Leistung schon ermüdet, sie schienen es bereits, noch ehe sie am Morgen ihre Lasten zögernd auf- luden , noch stand das weit längere Stück Weges von unbekannter Schwierigkeit bevor: so wurden die Minuten dieses Anstieges, den die Begleit- mannschaft zunächst von unten aus verfolgen durfte, voll ausgeprägtester Spannung, die viel- leicht ein instinktives Empfinden drohender Ge- fahr erhöhte. Aber da lagen sie ja greifbar nahe, die 3 Hügel, welche das Sattelplateau südwestwärts säumen : der „Östliche Lavahügel" zunächst, nordwärts, der ,, Westliche Lavahügel" in stark westlicher Rich- tung, in lebhaft abweichender, hellerer Braun- tönung an ihm vorbei nordwärts wenig sicht- bar der entferntere „Rote Mittelhügel." Noch hatten nur leichtere Nebelstreifen sie erreicht, die Traversierung des Geländes zum Ostfuße des mittleren Hügels konnte nennenswerte Schwierig- keiten nicht mehr bieten ; so löste freudigste Zu- versicht die Sorge aus. Ostwärts zu Füßen des „Westlichen Lavahügels" tritt aus dem schwachen Grün eine scharf be- grenzte Rotfärbung des Bodens hervor; sie dient als Merkzeichen der einzuschlagenden Richtung und ist fast schnurgeraden Weges gleicher Höhe zu erreichen, vorbei an den Steilhängen des öst- lichen Blockkolosses, nahe dem sich spärliche Reste kühlen klaren Wassers finden. I5ei der Wasserknappheit des Morgens hatte ich Tee für den Weg nicht bekommen; so legte ich mich zum staunenden Ergötzen der Leute lang nieder zu trinken. Es machte keiner nach, obwohl die etwa 25 1 Wasser in den Säcken nicht gerade viel be- deuteten. Einige gleichartige, sanglose Vögel von Spatzen- größe flogen bodenniedrig zwischen dem letzten Euryops- Gestrüpp; ein paar Schrotschüsse brach- ten sie nicht zur Strecke, glücklicherweise, denn es wäre keine Möglichkeit geworden, sie zu präpa- rieren. Hier und da kriechen schwarzglänzende, rundlich feiste Käfer über den „Weg", die ihre Nahrung in den Losungen der Elen antilope finden. Und einen eigentümlichen Typusgenossen erhalten sie in einem stattlichen Falter, einem halberstarrten „Schwärmer", der bei aufsteigendem Morgenwinde diese unwirtlichen Höhen erreicht haben wird. Sonst nur vereinzelte andere minutiöse Insekten- formen. Denn auch die Vegetation wird zusehends dürftiger, nicht so schnell in Verminderung der bisherigen Artenzahl, als an Armut der Indi- viduen und ganz besonders dem kümmerlichen Wüchse nach. Das Gestein wird alleinherrschend, als sandiger oder gröberer Schotter, als eingestreute Blöcke und Felsgiganten das Auge hinaufführend zu den beiden Gipfelkolossen, gleichfarben scheinend und doch bei näherem Vergleiche mannigfach ver- schieden in Struktur und Färbung, die lautlose Ein- samkeit bald nur noch bewohnt von wenigen Stein- moosen und zahlreichen buntfarbenen Krusten- flechten, welche noch weit zu den Höhen hinauf manche F'elsindividuen fast vollständig bedecken. Nur da, wo Felsblöcke innerhalb des Schutter- sandes Schutz gegen die Kälte der nächtlichen Failwinde wie gegen die tödlich dörrende Ein- wirkung der Sonnenbestrahlung gewähren, reicht noch die Blütenvegetaiion in armseligen Helichrysen weiter hinauf. Und ist es einer solchen Pflanze einmal gelungen, auf freier Fläche anzuwurzeln, so sieht sie sich genötigt, ihr Stengelwerk dem Boden flach anzuschmiegen; neue Wurzeln ent- sprossen den Stengeln am Boden ringsum, das Wachstum schreitet strahlig fort, die zentralen älteren Teile sterben unter dem abwechselnden Einflüsse gegensätzlicher Temperaturen von etwa 30 " C im Wechsel von 24 Stunden ab, die Sproß- spitzen vermögen sich, begünstigt in ihrer Lebens- fähigkeit vielleicht auch durch Niederschläge, zu erhalten; es bilden sich jene für diese Höhen charakteristischen, ringförmigen, durch ungleiches Wachstum unregelmäßigen, durch Absterben oder F"ehlen einzelner Teile öfter offenen Pflanzenpolster, welche auch die Grasvegetation bildet, sofern sie nicht in Form vereinzelter armseliger Bulte ver- treten erscheint. Als wir jene Stelle am „Westlichen Lavahügel" erreichten, waren die Träger schon zuvor angelangt ; photographische Aufnahmen hatten uns zurück- gehalten. Schon brannten einige dürftige Feuer von dem letzten kümmerlichenEuryops-Gestrüpp, an denen sich die Leute zu wärmen suchten. Die Sonne war seit langen Stunden hinter schweren Wolken verschwunden, die Nebel wagten sich schon fetzenweise über das Plateau, das Schleuder- thermometer zeigte (um 2'') 8''C, und ein böiger Wind fegte über die Fläche. Wie in Vorahnung nahenden Unheils ritt ich weiter, mit dem strengen Auftrag an den Trägeraufseher, gleichfalls sofort 756 Naturwissenschaftliche Wochensclirift. N. F. Xm. Nr. 48 mit den Leuten aufzubrechen. Mich selbst trieb es unaufhaltsam, die Biwakhöhle {4690 m) am Fuße des Kibo zu erreichen, um eine erträgliche Unterkunft für die Expedition zu sichern. Der augenfällige „Rote Mittelhügel" bliebe um einiges zur Linken liegen; ich war sogleich auf das Plateau herabgeritten, eine langsam zum Sockel des Kibo ansteigende Ebene, deren eigenartig algengrünlich schimmernder Boden mir auf dauernde seegleiche VVasserstauung zur Regenzeit zurück- zuführen scheint. Schon grollen dumpfe Donner nahe zu Raupten aus den finster geballten Wolken- massen, denen sich die düster grauen Nebelschleier einen. Die .Stimme der Natur, der einzige Laut in dieser wüstenglcichen weiten Ode; sie weckt das leise Anschlagen bangender Saiten in der Seele, bangend vor dem, was elementare Naturgewalten über den Vermessenen vermögen, der die Ruhe des Erhabenen störte. Als ob diese Gedanken die Elemente gereizt hätten, ihre furchtbaren Kräfte zu offenbaren, ver- finsterte sich der Himmel zu Dämmerlicht, und bei anhaltendem Winde aus Nordwest entlud sich unter zuckenden Blitzen ur;d rollenden Donnern ein dichter und dichter fallender Graupelschauer, der binntn kurzem das All dieser Tropenhöhen in das eisstarre Wintergewand der nordischen Heimat gekleidet hatte. Was mochten die Träger, meist Wanyamwesi, bei diesem ihnen völlig fremden Natur- ereignis empfinden I Feuchtigkeit und Kälte gilt diesen Kindern des sonnendurchglühten Steppen- landes als das Schrecklichste aller Übel. Und rückwärts spähend sah ich kaum einen von ihnen. Die Sorge um sie ließ mich jetzt nur einen Wunsch kennen: die Biwakhöhle aufzufinden. Weiter vor in der eingeschlagenen Richtung traten langsam ein wenig schärfer einzelne zer- schluchtete Felsmauern aus dem bleichen Einerlei der Schneedecke als dunkle Farbrisse hervor, die, einander im Charakter ähnlich, auch der Vor- stellung glichen, die ich von der die Höhle ein- schließenden P'elsgruppe hatte. Und das unter dem Zwange der Notwendigkeit geschäftige Auge sah bald hie, bald da durch die Schleier des prasselnden Hagels hindurch in den geheimnisvollen Schatten von Felsrissen den Eingang zur Höhle. Ein eigentümlich pyramidenförmiger, vereinzelter Felsblock, den andere als Merkmal der Nähe schildern, lag schon hinter uns. Die ferneren Minuten des bei aller Ermattung rastlosen Mühens wuchsen zur Ewigkeit aus, unser aller Leben viel- leicht hing von dem Erfolge dieses Suchens ab ; und immer wieder wendete die Sorge um den Verbleib der Leute den Blick zurück. Da, — da liegt der Eingang der Höhle vor uns, sie ist erreicht. Ihr Anblick löst eine uner- trägliche Last banger Sorgen aus, und die eigene Erschöpfung macht sich fühlbar, die nahe Er- starrung des eigenen Körpers. Wankend, an den eisglatten Blöcken abgleitend, die sich zum etwa I Vo iTi über dem Boden liegenden Eingange häufen, gewinne ich den begehrten Schutz der Höhle. Ich sehe mich enttäuscht; in ihrem offenen vorderen, nicht mannshohen, mehr rechteckigen Teile von vielleicht 6 qm Fläche, den große Blöcke vom inneren in halber Höhe fast trennen, streicht der Wind kalt hinein, und die Graupeldecke deckt vorn auch ihren Boden; den hinteren mitte- höheren muschelförmigen Teil von etwa 5 m Durchmesser können die dürftigen Lichtstrahlen, welche die Dämmerung draußen durch einige Felsspalten sendet, nicht erhellen. Ich stolpere alsbald über Geröll und Blöcke; es ist drinnen um nichts wärmer. Fröstelnd in der kalten nassen Kleidung, abgespannt, hungrig — den Durst hatte ich schon während des Weges an den Graupel- anhäufungen löschen können, die sich in den Falten des Mantels und im Sattelzeug gefangen hatten — hocke ich mich auf einen Felsblock vorne nieder in Erwartung der Leute, die ich vor etwa 2 Stunden zurückgelassen hatte. Einzelne trafen sehr bald nachher ein; ich hatte ihnen den Kirongozi entgegengeschickt, sie fanden unsere Spuren auch leicht im Schnee. Wortlos, wankend, mit den Lasten überall anstoßend, mit* dem Maultier, das auch in die Höhle aufgenommen werden mußte, hart zusammentreffend, kamen sie todesmatt heran. Ich ließ die anderen Lasten irgend- wohin beiseite werfen; die Last Brennholz schien mehr wert als alle anderen zusammen. Feuer, Wärme 1 .^ber es bedurfte einer kräftigeren Sprache, bevor ich diese Ansicht auf die unter dem Ein- flüsse der heutigen Schrecknisse willenlosen Leute übertragen und in die Tat umsetzen lassen konnte. Von dem feuchten Holze qualmt schließlich doch ein schwaches Feuer zu unseren Füßen ; auch der Anblickdieserkläglichen Wärmequelle kann Wunder nicht wirken. Und fast ohne Bewußtseinseindruck schweift das Auge hinaus, fast übersieht es, daß der Graupelsturm einem feinen, leise deckenden Schneefalle gewichen ist, unter dessen weicher Hand die Natur zu schlummern beginnt. Und auch unsere sorgenden Gedanken ermüden im Schweigen ringsum. Als mit allen Zeichen des Entsetzens der Msimamizi am Eingang erscheint und in über- stürzten Worten berichtet, die noch fehlenden 5 Träger und der Boy seien im Eisesgrauen nieder- gesunken, etwa I Stunde entfernt. Das Maultier satteln, wieder hinaus in die verschneite Öde und zurück im Galopp zur Unglücksstättc, war das Werk weniger Sekunden, nachdem die am wenig- sten ermüdeten 6 Träger mit einigem wortbe- gleiteten Nachhelfen auf die Beine und unter der Leitung ihres Msimamizi wieder hinaus in Kälte und Graus getrieben waren. Und für die rest- lichen S Träger wie den Koch gab es ebenso- wenig fernere Zeit zum Ausruhen. Bald flackerte im inneren Teile der Höhle ein wärmendes Feuer empor, heißes Wasser brodelte im Kessel und stärkender Reis ging seiner Vollendung entgegen; in die Lasten wurde inzwischen einige Ordnung gebracht. Die Leute waren im Laufschritt, getrieben von dem zugesagten bakshishi, dem frischen N. F. XIII. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 757 Schmerz einer gewissen Körperstelle und dem anfeuernden Zureden des Msimamizi fortgeeilt. Der Schneefall hatte inzwischen fast aufgeliört. Nicht lange, und es kamen 2 Träger mit ihren Lasten wie trunken angeschwankt ; offenkundig fast besinnungslos wehrten sie sich förm- lich gegen die hilfsbereiten Hände, die ihnen die Last abnehmen und zur Höhle hinein helfen wollten. Sie hockten sich lautlos zum Feuer; heißen Tee gössen sie mechanisch nieder. Eine Stunde Weges von dieser Stätte entfernt: auf dem Rücken liegend, langgestreckt, die Hände verkrallt körpcrabseits, den Kopf auf die Brust gesenkt, ihren Körper unter den Decken verhüllt, regungslos gereiht, verschneit auf fahlem Leichen- tuche liegen die fehlenden Träger zwischen ihren Lasten. Dem Erfrieren nahe bei einer Temperatur von 4" 0)5" C, 5 Uhr naclimittags, eine Schnee decke von kaum i cm Höhe, die bereits überall unter dem Einflüsse des sich aufhellenden Spät- tages zu tauen anfängt 1 Auf Zureden äußern die Leute keinerlei Regung; sie werden so und wollen sterben; amri ya mungu, es ist des Herrn Wille. Ohne jede Spur einer gegen- sätzlichen Willensbetätigung, ohne die geringste seeliche Erregung legten sie sich zum Todesschlafe nieder, nur weil die ungewohnte Kälte, der An- blick des weißgefrorenen Regens bleiern, uner- träglich auf ihnen lastete. Ein furchtbares Bild des fatalistischen Mohammedanismus , diese menschliche Armseligkeit, um so niederschmettern- der wirkend innerhalb der unfaßbaren Weltenweite, die unsere Seele hier empfindet! So wurde dem Kiboko mit Notwendigkeit eine beherrschende Rolle-zuerteilt, um die Halberstarrten zum Leben zu erwecken. Alle 3 erhoben sich, eckig, ruckweise, taumelnd, als könnten sie ihren Bewegungen nicht gebieten, das Gesicht abweisend verzerrt; und nun endlich stehen sie, wankend. Halt suchend. Je einer der hinzugekommenen Träger greift stützend diesen Unglücklichen unter den Arm, zwei vermögen, so geführt, die Höhle in stumpfem Brüten trunken fallenden Schrittes zu gewinnen, der dritte entsinkt nach kurzem völlig apathisch der Hand des Führenden. 3 Leute nehmen ihn hoch, zwei vorn anfassend, einer die Beine sich über die Schultern legend, tragen sie den halb leichenstarren Körper zur rettenden Höhle. Noch fehlt einer, der Boy, welcher um einiges ferner liegt. Zurück zur Höhle, das ebenfalls völlig erschöpfte Maultier zu einem letzten Galopp ge- peitscht, um schleunigst weitere Leute heranzu- holen. Die Ärmsten, selbst todesmüde, vermag keine bakshishi- Verheißung zu locken; sie hocken, Lebewesen ungleich, am qualmenden Feuer. Er- barmungslos, aber Wunder schaffend, redet der Kiboko auf sie ein. Und sie gehen hinaus in den dämmernden Abend, zurück zu jenem letzten Unglücklichen, den die bleiche Schneedecke noch in Todesarmen gefesselt hält. Zwei, drei Leute; der Koch, ein Stammesgenosse des zu Suchenden, schließt sich ihnen auf Vorhalt dessen an. Da liegt der Boy verschneit, über kaltem Grunde auf der Seite, die Kniee zum Kopfe hochgezogen, die Form eines Menschen kaum erraten lassend, wie tot, unweit des Rucksackes, der nur noch Trümmer eines photographischen Apparates birgt. Auch hier bleibt nur jene deutliche Sprache übrig, die für manches Kindergemüt bisweilen die Stimme ersetzen muß; auch hier dieselbe Wunderwirkung 1 Der Scheintote rührt sich, erhebt sich, stückweise zwar und wie erstarrt in den Kniegelenken, die Augen kaum geöffnet, ohne jedes Begreifen des Zieles unseres Mühens. „Ninataka kufa", murmelt er schließlich: „ich mag sterben". Dieser Wunsch wird ihm allerdings nun nicht gewährt. Die Leute packen ihn und tragen ihn wie jenen anderen dem Schutze entgegen. Aber was ist das? Die Todessehnsucht scheint ihm bitter Ernst zu sein 1 Kaum ist er der Aufsicht der Leute, die ihn schleppen, allein überlassen, er- wachen ihm ungeahnte Lebenskräfte; er schlägt wie ein Verrückter, vielleicht auch im Fieberwahn, mit Händen und Füßen um sich, so daß ihn die Leute kaum zu halten vermögen. Arznei: Kiboko. Und auch er konnte dann in die Höhle gerettet werden. Dort half ihm wie seinen Leidensgefährten ein kräftender Kognak zur weiteren Wiedererlangung von Lebenszeichen. Die Genossen rieben ihn alsdann ein wenig, hielten und hockten ihn nahe dem Feuer. Langsam, sehr langsam wich unter dem Einflüsse äußerer und innerer Wärme die Starrheit aus Gesicht und Körper; die Bewegungen, welche zunächst mehr Muskelzuckungen glichen, nahmen einen ruhigeren geordneten Verlauf. Die beiden Schwerbedrohten wurden dann in Decken gehüllt, der eine schlief alsbald, der Träger aber phantasierte noch lange in die Nacht hinein, fort- gesetzt den Namen des Boy, auf ernstes Zurufen hin schließlich leise, wie liebevoll flüsternd. Es war Mitternacht, bevor auch er endlich im Schlafe Genesung fand. Längst schon war draußen die Nacht dem Tage gefolgt, nicht in Finsternis kommende Schrecken bereitend: ruhig, klar, von Mondenglanz erfüllt. Matter Silberschein lugte wie aus weiter Ferne vom Eingange zu uns hin , stahl sich in schwachen Strahlen durch die Felsspalten zur Lagerstätte, deren düsteren Raum spärliches Kerzen- licht mühsam erhellte, während das Feuer unter der rauchschweren Luft zu ersticken schien. Mein Begleiter und ich hatten , kaum daß die Leute gerettet und die Lasten unter Schutz waren, einen förmlichen Heißhunger entwickelt; zunächst war der Kognak das Ziel unseres eifrigsten Bemühens, zu gleicher Zeit stellte sich ein merkwürdiges Bedürfnis nach Fleisch ein, dem eine 2 Pfund-Dose Corned-Beef zum Opfer fiel. Nun erst konnten wir dem weiteren Zubereiten des Mahles seitens des Koches in Ruhe zusehen. Durch längeres Umschauen erhöhte sich die I'reude über diese Unterkunft keineswegs. Soweit nicht große Blöcke den Raum beanspruchten, war der 758 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 48 Boden uneben mit sandigem und gröberem Schutt bedeckt. Wir entschieden uns schließlich für den hintersten Teil des Raumes, zwar unbequem schräge zumFeuer hin gleitend, aberdoch auf größerer Fläche einigermaßen plan. Ein Stück Zelttuch über dem feuchten Boden, eine Wolldecke, der Schlafsack und eine weitere Wolldecke, und wir darin in voller Kleidung, in den Stiefeln, um nach Mög- lichkeit die Eigenwärme zu bewahren. Es gelang doch so wenig! Keine 2 Schritt entfernt, die weißfarbene Masse am Boden, es ist eine Graupel- anhäufung, die sich erhält und vergrößert, so lange wir hier hausen. Und eisig streicht der Zugwind durch die Spalten über uns hin; das Schleuderthermometer zeigte noch morgens 7 '/•> Uhr — 5 ° C. Dennoch durften wir diese Spalten nicht verwünschen, welche die einzige Möglichkeit des Rauchabzuges boten, der zu ihnen höher über uns hinwegzog. Nicht während des Liegens oder doch nur die vereinzelten Male dann, wenn der Rauch zu uns niederschlug, brachte uns der Aufenthalt in diesen Höhen Atemnot; das Herz empfand keinerlei Be- schwerden. Was nützt der beste Wille zum Schlafen, wenn man auf steinernem Lager friert. Mühsam hat der Körper den einengenden Decken seine Tempe- ratur mitgeteilt; jede kleinste Bewegung, die ihn mit neuen Teilen dieser Hülle in Berührung bringt, läßt ihn \or Kälte erzittern. Wiederum, liegt er still, wird ihm der Druck des einzelnen Steines schließlich zur unerträglichen Marter. So schleicht die Nacht- ruhe zwischen Frösteln und schmerzendem Druck unsagbar träge dahin. Aufzustehen aber verbietet die Rücksicht auf die Leute, welche, soweit er- kennbar, in ihre Decken vermummt, am Feuer hockend und liegend, zwischen den Felsblöcken verstreut, reg- und lautlos verharren. .So wird der anbrechende neue Tag zu einer Erlösung. 4. II. 1912. Ein voller Tag als Gast der B i w a k h ö h 1 e. Die Glieder wie zerschlagen, die Wolldecke umgeschlagen und doch arg frierend, möchte man wenigstens Gesicht und Händen eine Auffrischung zukommen lassen. Das letzte Wasser brodelt gerade für den Tee. Etwas mißmutig über den sorglosen Wasserverbrauch stolpere ich zum Aus- gang in den milden Schein der Morgensonne hinaus; auf dem feingrandigen Felde nahe vor der Höhle halte ich Umschau. Mein Blick bleibt er- staunt an einem schneestarrenden Höhenzuge leichter Steigung haften, der nordwestlich hinter den Felsgiganten, welche als zerklüftete Mauer die Höhle säumen, herabzieht. Mir war aus keiner Schilderung dieser Höhen das Vorhandensein eines solchen sekundären Grates bekannt. Ich trete zurück, um ihn zu übersehen. Was ist es? Der Kibo selbst, vom harmlosesten Aussehen der Welt, als ob ihn zu besteigen ein anstrengungsloser Morgenspaziergang wäre, zu dem er freundlichst einläd. Der Ratzel- Gletscher nahe der linksseitigen Bergkontur, greifbar nahe erscheinend , kenntlich bei be- waffnetem Auge selbst in Einzelheiten der Eis- struktur seiner Stirn, die mehr gradlinige Zone der Abstürze der Nordostgletscher nicht weit von der Höhenlinie des Berges, deren Gletscherband 2 Scharten bis an das Vulkangestein einschneiden: die schmälere Johannes-Scharte mit mehr senk- rechten Wänden und die breitmuldig ausge- hobene Hans Meyer- Scharte rechts, nordwärts daneben. Es ist höchst merkwürdig, daß Hans Meyer diese erstere Scharte i. J. 1S89 noch nicht bemerkt hatte; ihre Ausschmelzung innerhalb kaum lojahren bleibt unerklärlich und ließe sich wohl nur auf eine höhere Eigenwärme des Gesteins dort zurück- führen. Da ich igo6 diese Schatte nur stark seitlich mehr von Süden aus gesehen habe, kann ich selbst ein Urteil nicht geben, ob sich das Gletschereis weiter vermindert hat; die Aus- schmelzung erscheint jedenfalls recht groß. Kaum hat das Auge den Gipfel mehr als Ganzes aufgenommen, da stellt es auch schon ins Einzelne reichende Betrachtungen über Möglich- keit und Wege der Besteigung an. Es kann kein Zweifel sein, die zuvor benutzte, in starkem Bogen am Ratzel-Gletscher vorbei führende Aufstieglinie bietet bei mäßiger Steigung auf teils gewachsenem Felsen die einzige Möglichkeit, sicher den be- quemsten Weg, um von hier aus die Johannes- Scharte zu erreichen. Wie ein Band erscheint sie zur Höhe hinauf gezeichnet, das nahe unterhalb der Scharte nordwärts im Schneefelde endet. Völlig aussichtslos dagegen mutet es an, den Gipfel über das von der Scharte bis wenige hundert Meter oberhalb der Biwakhöhle abstürzende Schotterfeld selbst erreichen zu wollen. Wenn ich diesen Weg in der folgenden Nacht dennoch erfolgreich genommen habe, so hat es allein der gefrorene Boden gestattet, eine äußerst ange- nehme F"olge des sonst so mißgünstigen Wetters. Denn die Untätigkeit des späteren Tages ist nicht sowohl von einer Ermüdung nach all dem Bösen des Vortages oder von dem Wunsche be- stimmt gewesen, vor dem bereits für die zweite Nacht geplanten Aufstieg auszuruhen, als durch erneutes Schneetreiben und feinere Graupelfälle, die schon am zeitigen Vormittag wieder ein- setzten und uns bald in der Höhle gefangen hielten. Nun sich der Blick bescheidet zu einer Be- trachtung des nächsten Bodens, sieht er sich über- rascht von einer recht eigenartigen Struktur des- selben. Zarte, rundliche, durchweg etwa 5 cm hohe Eissäulchen, die unregelmäßig gedrängt nebeneinander mehr oder minder senkrecht zur Bodenfläche stehen, tragen eine zusammenhängende sehr dünne Eisdecke, die über und über bedeckt ist mit ganz feinkiesigem Schotter, von dem ein- zelne Teilchen auch den Säulchen ein- und an- gefroren sind. Diese zierliche Eisbildung ruht ihrerseits auf dem gleichfalls vereisten, eigent- N. F. XIII. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 759 Heben gröberen Bodenschotter, der sich bis auf etwa 4 cm an jener Stelle (etwa 8 '/., Uhr morgens) ge- froren zeigte. Unter der Wirkung der Sonnen- strahlen schmolz bald hier, bald dort ein kleines Stückchen der Decke aus, die Säulchen folgten nach, und bald war dann auch der Boden eisfrei. Das Herabrieseln des ausschmelzenden Kieses von der Decke (und den Säulchen), das Ein- brechen der Eisschollen wurde die Ursache eines leise knisternden Geräusches, das ringsum vom Boden her in die Einsamkeit flüsterte. Diese ganze Erscheinung erhielt ein weiteres höchst eigenartiges Merkmal dadurch, daß diese Ausschmelzung im ganzen parallel streifig ge- ordnet, in einem Abstände von vielleicht 10 cm geschah; eine Abhängigkeit der Richtung dieser Linien vom Gelände konnte ich mit Bestimmt- heit nicht erkennen. Die leicht welligen Linien- systeme, die sich ja deutlich auf einige Meter Länge verfolgen ließen, konnten nahe beieinander augen- fällige Richtungsunterschiede zeigen, ohne daß die Bodenform einen besonderen Anlaß zu geben schien. Das Vorkommen dieser Sandstreifen wird auch von früheren Besuchern erwähnt. Meine Beobachtung hat ergeben, daß diese Streifung dem Boden an jenen Stellen primär eigentümlich war, daß sie also nicht als Schmelzwirkung an- zusprechen ist. Es wird sich daher voraussicht- lich um eine Wirkung des Windes handeln. Die Vegetation erreicht nur noch in krypto- gamen Vertretern diese Möhen; außer ihnen nur einzelne dürftigste trockene Grasbulte, über die sich das inzwischen auch in den Morgensonnen- schein geführte Maultier trotz der erhaltenen Maisporiion gierig stürzt. Es scheint mit dem Neger das gemein zu haben, daß es sich unter allen Umständen bis an den Hals vollfüttern muß. Denn von Trägern fortgeworfene, altmodrige Kopfturnusse aus (Bananen- )Bläitern wurden auch gefressen, und nachdem es noch einige der Land- schaft nicht zur Zier gereichende leere Konserven- dosen und Sektflaschen als ungenießbar festge- stellt hatte, nahm es ein Kiesbad. Es fand einen aufmerksamen Zuschauer in einem Geier, der den •wappenähnlichen Aufsatz des Felsens oberhalb der Höhle krönte. Als ob Menschenhände die rohe Form des Wappens gehauen und Giganten- arme den ganzen Riesenblock getürmt hätten. Die Pflicht gebietet aber, in die Dunkelheit, die stickige Luft und Unsauberkeit der Höhle zurückzukehren. Um Wasser bedarf es zwar keiner besonderen Sorge, doch fehlt es an Brenn- holz. Die Leute brüten nach wie vor stumpf vor , sich hin, nicht einmal ihr eigentlicher und einziger Lebensinhalt, von der bibi, dem Weibe, abgesehen, nicht einmal die Verheißung eines ausgezeichneten Essens: Ziege und Reis, macht sie munter. Der Msimanizi nennt 6 Leute, die er mit zum Brenn- holzholen nehmen möchte; er zeigt auf die deckenverhülltcn unkenntlichen Gestalten, die jenen Namen entsprechen. Und nachdem erst einmal einer mit fühlbarem Zuspruche hochgebracht ist, folgen die anderen schneller. Nach etwa 5 Stunden sind die Leute mit einigem spärlichem, dürrem Brennholz zurück- gekehrt. Es mußte daher am nächsten Morgen wieder Brennholz herbeigeschleppt werden. Bei dieser Gelegenheit ist dann einer der Träger, vor Graus über Kälte und Schnee vielleicht, aus- gerissen, und zwar „glücklich", möchte ich sagen, denn es konnte später festgestellt werden, daß er wohlbehalten in die Kulturzone nieder gelaufen war. Überall fanden sich noch Schnee- und Graupel- verwehungen im Sonnenschatten in Felsfugen nächst der Höhe. Nachdem die Leute zuerst mit Befremden — soweit der Neger überhaupt Ge- mütsbewegungen zeigt und hat — mein Beginnen, den Schnee in den Mund zu tun, verfolgt hatten, mußten sie, ohne scheinbar irgendein Verständnis für den Zweck zu besitzen, in die vorhandenen Kochtöpfe Schnee löffeln und ans Feuer setzen. Erst da mag ihnen vielleicht die Einsicht wenigstens insoweit gekommen sein , um zu bemerken, daß diese Methode ihnen Arbeit und Weg erspart hatte. Noch bevor die Träger mit dem Brennholz zurückgekehrt waren, begann der Schnee leise und fein zu fallen; es wurde auch innerhalb der Höhle empfindlich kalt. Und viel Wärme konnte das bißchen Holz nicht bringen. Die Leute hockten nun wieder alle schweigsam nahe den beiden Feuern unter ihren Decken völlig verborgen, und es fand sich kaum einer bereit, die vorletzte Ziege zu schlachten und zu zerlegen. Schließlich war auch das im Windschutze eines Felsens vor der Höhle getan, der Reis verteilt und Tabak verabreicht. Aber selbst dieser Reichtum an Genüssen ver- mochte keinen Ausdruck der Freude auf die apathischen Gesichter der Leute zu bringen. Völlig stumpfsinnig sahen sie der Bereitung der Speise zu, soweit sie nicht unter ihren Decken nach wie vor verhüllt blieben. Und ebenso teil- nahmslos, schweigsam tilgten sie das Essen hinein. Kein Wort in all den vielen Stunden, aber auch kein Wort der Klage; nicht der Ausdruck fried- voller Zufriedenheit, allein lebensbarer Gleich- gültigkeit vor unklar empfundenem Schrecknis und Unheil. So verging auch der weitere Tag in trostloser Einförmigkeit, die gesättigten Leiber lagen form- los eingehüllt umher, Frost und Finsternis vereinten sich zur Nacht, kaum daß es bemerkt wurde. Und draußen deckten immer neue Flocken die erstarrte Erde zu, deren einzelne, durch die Fels- risse verirrt, die Schneepatzen in der Höhle bis fast an den Schlafsack wachsen ließen. In diese Unwirtlichkeit schien selbst der Schlaf ungern zu kommen. Aber auch an dieser Stätte weltabgeschlossener Einsamkeit nimmt die Zeit ihren Lauf; wenn auch unerhört träge. Es wurde Mitternacht und bald darauf waren die letzten Vorbereitungen für die Besteigung auf den Kibogipfel beendet. Der 760 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 48 Mond spendete aus klarem Himmel sein mildes schwangeren Rückweges nach der dritten Ober- Licht über den eisesstarren Boden. nachtung in der Biwakhöhle, deren Schrecken jene wenigen anderen Forscher vor mir bereits Im Teile II werde ich versuchen, die folgenden unerträglich nennen , die bei sonnigem Wetter Stunden unvergeßlicher Eindrücke zu schildern, nur i oder 2 Tage in ihr Zuflucht zu suchen ge- zugleich jene des nächsten Tages, des gefahren- nötigt waren. Funde fossiler Wirbeltiere in den deutschen Schutzgebieten in Afrika. [Nachdruck verboten. Von Dr. Ernst Stromer in München. Schon mehrfach habe ich mich über fossile Wirbeltiere Afrikas in dieser Zeitschrift verbreitet (1902, Nr. 13, 1910 Nr. 11, 191 1 Nr. 51), über solche aus unsern Schutzgebieten war aber leider kaum etwas zu bemerken, da man bis in die Neu- zeit so gut wie nichts davon gefunden hatte. In den letzten Jahren ist es jedoch erfreulicherweise anders geworden, sodaß es sich jetzt schon lohnt, hier einiges darüber zu veröffenthchen als Beweis, wie auch auf diesem Gebiete deutsche Kultur- arbeit erfolgreich zu wirken begann, bis der Krieg hemmend einsetzte. Über die bedeutendste Entdeckung und deren großzügige Ausbeutung, über die Dinosaurier- Funde in Deutsch-OstafrikaM hat erst kürz- lich ein Mitarbeiter, Dr. E. Hennig, hier das vorläufig Wissenswerte kurz mitgeteilt (1914, Nr. 27, S. 418 ff.). Außer den im Süden ausge- dehnten Dinosaurier-F"undorten sind aber neuer- dings auch solche von Säugetieren entdeckt worden.')^) Der Münchener Mediziner, Universi- täts-Professor Dr. Kattwinkel, fand nämlich auf einer Jagd- und zoologischen Sammelreise im Innern der Massai Hochländer in vulkanischen Tuffen Säugetier- und Krokodilreste. Davon sind allerdings bisher nur dürftige Knochenreste eines großen Flußpferdes von mir genauer beschrieben und die übrigen Knochen und Zähne von Herrn Prof. Max Schlosser in München vorläufig be- stimmt worden. Es ergab sich daraus ein quar- täres und wohl pliozänes Alter der verschiedenen Fundschichten. Auf meine Anregung hin und infolge meiner Vermittlung hat aber dann Herr Dr. H. Reck durch Herrn Geheimrat Branca in Berlin Ge- legenheit erhalten, einen der Fundorte für die Berliner und Münchener Sammlung auszubeuten. Wenn auch sein zu vorschnell verkündeter Fund eines fossilen Menschenskeletts den stärksten Zweifeln unterliegt (diese Zeitschrift 1914, Nr. 16, S. 254), so hat jener Geologe doch mit seinen mehrwöchentlichen Grabungen so guten Erfolg gehabt, daß man auf eine erste Aufklärung über die so gut wie ganz unbekannte jüngste Vorgeschichte der tropisch-afrikanischen Säugetierwelt rechnen kann und daß sich weitere Ausbeutung der Fund- schichten in großem Maßstabe lohnend erwiesen hat. Neben diesen reichen Funden ist leider nur noch ein mitteltertiärer Haifischzahn (Carcharodon) von Kitunda bei Lindi zu erwähnen, den E. Hennig als ersten Wirbeltierrest der marinen Tertiär- ablagerungen der Küste Deutsch-Ostafrikas ver- öffentlichte. ■') In der kleinen Musterkolonie Togo haben Regierungsbeamte schon vor mehreren Jahren in Kalksteinschichten bei Tokpli am Monuflusse und des Bezirkes Anecho isolierte Wirbeltierreste ge- funden , die mir zur Bearbeitung übergeben wurden. ^) Sie erwiesen sich als dem ältesten Tertiär angehörig und fast sämtlich als marin. Am häufigsten waren Haifischzähne und un- bestimmbare Panzerstücke stattlicher Schildkröten, aber auch Pflastergebißreste eines großen marinen Ganoidfisches (Pycnodus), Kauplatten von Rochen (Myliobatidae) und Wirbel einer stattlichen Schlange und eines Krokodiliers waren in dem Material ver- treten. Letzterer ist aus den paleozänen Phos- phaten von Gafsa in Tunis später in vollständigeren Resten beschrieben worden ") und erwies sich als altertümliche wohl meerbewohnende Form, nach meiner Ansicht als Angehöriger der langschnauzigen, sonst nur oberjurassischen und kretazischen Macrorhynchidae. Von einem der Rochen, einer bisher unbekannten Gattung, fanden sich gleichfalls neuerdings weitere Reste in paleozänen Schichten am Kongo-Unterlauf. ') Der Macrorhynchide und dieser jirimitive Myliobatide war demnach wenig- stens an den Küsten Afrikas weiter verbreitet, die anderen Rochen und die Haifische aber gehören anscheinend fast alle Arten an, die auch in den europäischen Meeren lebten. Man muß deshalb wohl einen unmittelbaren Zusammenhang dieser Meeresteile vermuten, was mit der Annahme einer alttertiären Landverbindung Westafrikas mit Nordbrasilien schwer vereinbar ist. Gebißreste von Rochen (Myliobatidae und Torpedinidae) sind auch aus alttertiären Tuffen von Balangi am Mungoflusse Kameruns durch Prof O. Jäkel beschrieben worden.**) Aus dem von Neukamerun ringsumschlossenen spanischen Gebiete an der Mündung des Benitoflusses sandte mir ferner kürzlich der Missionar Geo Schwab Tonschieferplatten mit zahlreichen, vielleicht eben- falls tertiären Fischresten. Außer wenigen dürftigen VVelsknochen sind darunter fast nur Skelette kleiner Knochenfische vorhanden.") Nach der Bestim- mung Prof Eastmans handelt es sich um den Clupeiden Diplomystus. '-) Diese Gattung ist wegen ihrer geographischen Verbreitung be- N. F. Xm. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 761 merkenswert. Jetzt lebt sie nämlich nur in Flüssen von Chile und Neusüdwales und man könnte daraus auf einen einstigen direkten Zu- sammenhang Südamerikas und Australiens schlie- ßen, für den ja auch die Beuteltiere sprechen. Im Alttertiär fand sich aber Diplomystus in Nordamerika und England und in der oberen Kreide in Bahia, Dalmatien und Syrien. Er war also offenbar früher viel weiter, vielleicht sogar allgemein verbreitet, denn jetzt ist erwiesen, daß er einst auch in Afrika vorkam. Aus Kamerun sind übrigens schon seit längerer Zeit auch dürftige, anscheinend unterkretazische Fischreste aus der nordwestlichen Nachbarschaft des Kamerunberges bekannt, ') beschrieben ist je- doch durch Prof. Jäkel nur ein wahrscheinlicher Chirocentride vom Mamfebach bei Ossidinge. '") Diese marine Familie verhält sich ähnlich wie Diplomystus. Gegenwärtig lebt nämlich nur ein Vertreter im marinen Seichtwasser von Ostafrika bis Japan, für die Kreidezeit jedoch ist die Familie formenreich in Westeuropa, Nordamerika und Bahia nachgewiesen. Höchst bemerkenswerte Reste sind endlich reste, die Geheimrat H. Schröder als solche von Falaeoniscidae beschrieb, also von Vorläufern der Knorpelganoiden, die im jüngeren Paläozoikum sehr weit verbreitet und häufig waren. '*) Im vorigen Jahre und heuer erhielt ich dann durch den leider im Frühjahr verunglückten Major Brentano-Bernarda von ihm selbst ge- sammelte Reptilreste, von welchen einer ebenfalls von Ganikobis stammt, die zahlreichen übrigen aber sämtlich von Kabus bei Keetmanshoop. '°) Nach meiner eben erst vollendeten vorläufigen Bestimmung handelt es sich ausschließlich um Mesosaurusreste(Fig. 2) und wohl nur um Angehörige von Arten, die aus dem Perm Britisch- Südafrikas schon bekannt sind. Die Gattung ist sonst in einer Art auch aus Südbrasilien beschrieben (Fig. i), wo ebenso wie in benachbarten Gebieten die ein- zige nahe verwandte Gattung Stereosternum ge- funden wurde. Fig. I. Rekonstruktion von Mesosaurus brasiliensis Mac Gregor aus Parana, nach Mac Gregor, stark verkleinert. Fig. 2. Abdruck von Brust- rippenenden und des Vorder- fußes von Mesosaurus aus Kabus, in natürl. Größe. von Dr. E. Hennig beschrieben worden.*^) Es handelt sich um einen wahrscheinlichen Sauro- pterygier-Zahn und um einen Lepidotus Rest, die von dem Regierungsgeologen O. Mann bei Ssarauiel zwischen Garua und Binder in Nordost- Adamaua gefunden wurden. Nach dem Ganoid- fisch zu schließen, der einer oberstjurassischen Lepidotusart am nächsten steht, könnte hier die Anwesenheit mittleren marinen Mesozoikums an- genommen werden. Eine damalige Meeresver- breitung bis weit in das Innere Westafrikas läßt sich aber schwer mit den bisher herrschenden Vorstellungen von der geologischen Geschichte des alten äthiopischen Festlandes vereinigen. Vielleicht ist eben die kameruner Lepidotusart im Gegensatz zu ihren Verwandten ein Süßwasser- bewohner gewesen, denn auch heute leben, be- sonders in den Tropen, häufig nahe verwandte Fischarien teils im Meere, teils im Süßwasser. Viel älter sind schließlich Wirbeltierreste aus Großnamaland in Deutsch-Südwestafrika, sie gehören nämlich der Permformation an. Schon vor mehreren Jahren fand der Geologe Dr. Lotz in Knollen bei Ganikobis zwischen Keetmanshoop und Gibeon dürftige Ganoidfisch- Die Mesosauridae bieten ganz erhebliches Interesse; es handelt sich nämlich um die ältesten bekannten wasserbewohnenden Reptilien. Sie schwammen wahrscheinlich ähnlich wie die Molche mit Hilfe eines langen Ruderschwanzes und der in breite Paddeln umgewandelten fünfzehigen Beine, von welchen die vorderen deutlich kürzer als die hinteren sind. Ihre Wirbel und Rippen sind ähnlich wie bei den Seekühen auffällig ver- dickt. Ihr langschnauziger Schädel, dessen Bau leider noch nicht genügend bekannt ist, erscheint jedoch mit zahlreichen, sehr langen, schlanken und spitzigen Zähnen wie mit einem Rechen be- wehrt. Man muß deshalb annehmen, daß die nur wenige Decimeter langen Tiere, welche offenbar gesellig lebten, nicht Pflanzenfresser wie die See- kühe waren, sondern wohl kleine tierische Wasserbewohner fraßen, die uns leider noch unbekannt sind, da mit jenen zusammen bisher nur äußerst wenige Fossilreste gefunden wurden. Die systematische Stellung der Mesosauridae ist noch ganz unklar; mit den bekannten wasser- bewohnenden Reptilien des Mesozoikums, den Ichthyosauria, Sauropterygia usw., scheinen sie in keiner näheren Beziehung zu stehen und von den 762 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xni. Nr. 48 gleichaherigen paläozoischen Reptilien weichen sie stark ab. Tiergeographisch sind sie insofern wichtig, als ihr alleiniges Vorkommen im post- glazialen Perm Südafrikas und Südbrasiliens eine Stütze für die Annahme einstigen festländi- schen Zusammenhanges beider Gebiete bietet. Es steht jedoch noch nicht einwandfrei fest, daß die Mesosauridae Süßwasserbewohner waren, denn in Südbrasilien sollen marine Muscheln mit ihnen zusammen vorkommen und in Deutsch-Südwest- afrika sind solche wenigstens in den ihre Fund- schicht unterlagernden Ablagerungen unmittelbar über dem permischen Geschiebelehm nachgewiesen. Es handelt sich nach allem, abgesehen von den ostafrikanischen Dinosaurier- und Säugetier- funden nur um geringfügige und höchst lücken- hafte Reste der einstigen Wirbeltierfaunen unserer afrikanischen Schutzgebiete. Trotzdem ist ihre Bedeutung nicht zu unterschätzen. Das alte Vor- urteil, als seien jene Länder fast fossilleer, ist durch sie zerstört und wir wissen nun auch , wo und in welchen Schichten wir zunächst weiter zu suchen haben. Vor allem aber besitzen all diese Funde nicht nur dadurch Wert, daß sie uns teilweise ganz unbekannte Formen kennen lassen, sondern ganz besonders groß ist ihre tiergeo- graphische Bedeutung, auf die ich deshalb hier mehrfach hinwies. Unsere bisherigen tiergeo- graphischen Vorstellungen bezüglich der geolo- gischen Vergangenheit leiden nämlich in erster Linie daran, daß aus der Südhemisphäre und aus den Gebieten der heutigen Tropen nur allzuwenig und aus sehr weiten Strecken sogar überhaupt nichts von Fossilien bekannt war. Je mehr diese gewaltigen Wissenslücken durch positive Befunde geschlossen werden und so eine sichere Grundlage für weitergehende Schlüsse geschaffen wird, desto besser gelangen wir von vagen Spekulationen zu klarer und gesicherter Erkenntnis und können hoffen , Gesetzmäßigkeiten auch in dem höchst schwierigen Wissenszweige der Tiergeographie früherer Zeiten festzustellen. Literatur. I. Deutsch-Ostafrika. i) E b. Fr aas. Ostafrikanische Dinosaurier. Palaeonto- graphica Bd. 55, p. 105 ff., Stuttgart 1908. 2) E. Stromer, Mitteilungen über Wirbeltierreste aus dem Mittelpliozän des Natrontales (Ägypten). 3. Artiodactyla : Bunodonlia: Flußpferd. Zeitschr. Deutsch, geol. Ges. Bd. 66, p. 27, 28. Berlin 1914. 3) H. Reck, Erste vorläufige Mitteilung über den Fund eines fossilen Menschenskeletts aus Zentralafrika. Sitz.-Ber. Ges. naturforsch. Freunde, 1914, Nr. 3, p. 81 ff. Berlin 1914. 4) Edw. Hennig, Über neuere Funde fossiler Fische aus Ai|uatorial- und Südafrika und ihie paläogeographische Bedeutung. Ebenda, 1913, p. 305 ff. Berlin 1913. II. Togo. 5) E. Stromer, Reptilien- und Fischreste aus dem ma- rinen Altlertiär von Südtogo, Zeitschr. Deutsch, geol. Ges. Bd. 62, Monatsber., p. 47Sff. Berlin 1910. 6) Arm. The venin, Le Dyrosaurus des phosphates de Tunisie. Annal. de Paleont. T. 6, p. 108. Paris 191 1. 7) M. Leriche, Les poissons paleoccnes de Landana (Congo). Annal. Mus. Congo Beige., Ser. 3, T. i, p. 84 ff. Bru.xelles I913. III. Kamerun. 8) P. Düsen, Om nordvästra Kamerun omrädets geo- logi. Geol. foren. i Stockholm förhandl. Bd. 16, H. I. Stockholm 1894. 9) O. Jaekel, Über einen Torpediniden und andere F'ischreste aus dem Tertiär von Kamerun. Esch, Beiträge zur Geologie von Kamerun p. 289 ff. Stuttgart 1904. 10) O. Jaekel, Fischreste aus den Mamfe -Schiefern. Abhandl. kgl. preuß. geol. Landesanstalt, N. F., H. 62, p. 392 ff. Berlin 1909. 11) E. Stromer, Funde fossiler Fische in dem tropischen Westafrika. Zentralbl. f. Mineral usw. p. 87, 88. Stuttgart 1912. 12) Ch. Eastman: Tertiary fish remains from Spanish Guinea in Westafrica. Annais Carnegie Mus. Vol. 8, p. 870 ff. Washington 1913. , 13) Edw. Hennig, Mesozoische Wirbellierfunde in Adamaua. O. Mann u. Hennig, Mesozoische Ablagerungen in Adamaua. Beitr. z. geol. Erforsch, d. Deutsch. Schulzgeb. H. 7, p. loff. Berlin 1913. IV. Deutsch-Südwestafrika. 14) H. Schröder, Marine Fossilien in Verbindung mit permischem Glazialkonglomerat in Deutsch -Südwestafrika. Jahrb. kgl. preuß. geol. Landesanstalt 1908, Bd. 29, p. 694 ff. Berlin 190S. 15) E. Stromer, Die ersten fossilen Reptilreste aus Deutsch-Südwestafrika und ihre geol. Bedeutung. Zentralbl. f. Mineral, usw. 1914, p. 530ff. Stuttgart 1914. Einzelberichte. Chemie. Neue hochmolekulare Kohlenwasser- stoffe beschreiben in den Ber. d. Deutsch. Chem. Ges. (47. 1679—90, 13. 6. 14) die Krakauer Forscher K. Dzie woii ski undZ. Leyko. Der schon früher bekannte Kohlenwasserstoff Ace- naphthylen verwandelt sich bei kurzem Erhitzen auf ca. 100" in einen polymeren Kohlenwasserstoff (CijHj),,, der erst bei 340—350" schmilzt. Dieses „Polyacenaphthylen", eine der kompliziertesten or- ganischen Verbindungen, ist allem Anschein nach der höchstinolokulare bisher erforschte Kohlen- wasserstoff. Auf kryoskopischem und ebullio- skopischem Wege konnte als Molekulargewicht der Wert 3300 festgestellt werden ; dies entspricht einer Formel (CijHg)^^ = Q^^Hi-,,. Wird Ace- naphtylen auf höhere Temperaturen erhitzt (280 — 300"), so bildet sich neben anderen Reak-' tionsprodukten ein in hellgelben Prismen oder Säulen kristallisierender Kohlenwasserstoff, für den die empirische Zusammensetzung CjgH.,s= (CjjH-)^ ermittelt wurde. Dieser Körper, der in Lösung eine starke blaue Fluoreszenz zeigt, zeichnet sich dadurch aus, daß er von allen zur Zeit be- kannten Kohlenwasserstoffen den höchsten Schmelz- punkt (fast 400") besitzt. Die Entdecker schlagen für diese Substanz den Namen „F'luorocyclen" vor. Bugge. Physik. Über radiumähnliche X- Strahlung bringt F.Dessauer, Frankfurt a. M. eine vorläufige Mit- teilung in der Physik. ZeitschriftXV(i9i4)Seite739. N. F. Xni. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 763 Während der Absorptionskoeffizient der y-Strahlen in der Regel um die Größe 0,1 herum liegt, ist der für gewölinliche Röntgen-Strahlen 8 bis 4 und der für harte 4 bis 2, so daß die R-Strahlen 20 bis 80 mal stärker absorbiert werden als die y- Strahlen. Auch in der Medizin haben sich diese Zahlen als zutreffend erwiesen : es absorbiert eine Schicht Körperfleisch von i cm Dicke 90 bis 30 "/o der Röntgen-Strahlen, aber nur 8 bis 470 der j'- Strahlen, so daß demnach die Tiefenwirkung der letzteren bei weitem beträchtlicher ist. Dem Verfasser ist es nun gelungen, mittels einer Rönt- genröhre Strahlen zu erzeugen, deren Absorptions- koeffizient unter 0,1 liegt, die im Fleisch nur zu 5 — 6% pro cm Dicke verschluckt werden, die mithin dieselbe Härte wie y-Strahlen haben. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Durchdringungs- fähigkeit der X-Strahlen von der Geschwindigkeit der die Antikathode treftenden Elektronen (= Ka- thodenstrahlen abhängig) ist. Die Geschwindig- keit der /;?-Strahlen geht bis zu ®/^q Lichtge- schwindigkeit, beträgt also im Mittel lOOOOO km pro Sekunde, wärend die der Kathodenstrahlen rund 30000 km pro Sekunde ist. Es kommt demnach darauf an, die Geschwindigkeit der letzteren auf das 6 bis 7 fache zu steigern. Für die Erreichung dieses Ziels kommt neben dem geeigneten Bau von Induktor und Entladungsrohr, neben der Verwendung' eines Antikatliodenmaterials von hohem Atomgewicht und der Temperaturerniedrigung der Antikathode namentlich die Tatsache in Betracht, daß in Stromkreisen mit Funkenstrecke, hoher Kapazität und Selbstinduktion Überspannungen auftreten können, deren Beträge sehr weit über die Span- nung der Grundschwingung hinausgehen können. Durch geeignete Variation von Kapazität und Selbstinduktion des Entladekreises sind wir mit voller Sicherheit in der Lage, neben weniger harten Strahlen in relativ großen Mengen Röntgenstrahlen von der gleichen Härtewie die ;' -Strahlen zu erzeugen. Da- bei ist, wie eine Messung ergab, diese harte Strahlung des Entladungsrohres 500 bis 1 000 mal so stark als die eines Präparats von 100 mg Mesothorium. Die Bedeutung dieser Tatsache für die Medizin liegt auf der Hand: Die vorzüglichen Wirkungen, die die /-Strahlen auf Krebszellen und andere Krankheitszellen aus- üben, sind begrenzt durch die geringen Mengen und den hohen Preise der radioaktiven Substanzen. Es ist zu erwarten, daß gerade die Krebs- heilung durch die Möglichkeit, große Mengen sehr durchdringender Strahlungen zu erhalten, einen Schritt weiter geführt wird. K. Schutt, Hamburg. Astronomie. Die oft behandelte FVage nach dem Vorhandensein eines oder mehrerer Planeten jenseits des Neptuns bearbeitet Lau unteflieuen fBull de la Soc. astron. de Aus gewissen Kometen- bahnen hat man angenommen, daß ein solcher etwa 48 mal so weit von der Sonne entfernt sein müsse, wie die Erde: Dem würde dann eine Umlaufszeit von etwa 330 Jahren entsprechen, woraus eine Wiederholung der Konjunktionen mit Neptun zu 320 Jahren folgt. Seit so lange kennen wir nun die Bewegung des Neptun noch nicht, so daß also etwaige Störungen hier nicht nach- zuweisen sind. Dagegen ist vom Uranus mehr als ein Umlauf bekannt, so daß hier eine Unter- suchung mehr Gewinn verspricht. Nun zeigen die Untersuchungen von Newcomb, Gaillot und Lau übereinstimmend, daß hier zwischen Beobachtung und Rechnung Unterschiede bestehen, die einen periodischen Gang aufweisen. Dieser ist aber unvereinbar mit der etwa 57 jährigen Pe- riode, die ein transneptunischer Planet autweisen müßte, so daß die Betrachtung der F'ehlerkurve dazu drängt, nicht einen, sondern zwei Planeten jenseits des Neptun anzunehmen. Auch dafür lassen die Kometenbahnen günstige Schlüsse ziehen, so daß S c h u 1 h o f schon früher in die Entfer- nung 75 noch einen Planeten versetzt hat. Nach Lau sind mindestens noch zwei Planeten vorhan- den, mit den Entfernungen 46,5 und 71,8, und den Massen im Verhältnis zur Sonne von i : 36000 und 1:7000, also etwa halb so groß wie Neptun der innere, und der äußere halb so groß wie Saturn. Riem. Zu den zahlreichen Hypothesen über den Ursprung des Zodiakallichtes fügt Fessenkoff eine neue. [Astronom. Nachr. Nr. 4752]. Er sucht zu zeigen, daß die Kometenmaterie, die den Kometen durch den Strahlungsdruck, durch die Schweitbildung, durch die Anziehungskraft der Planeten verloren geht, sich in einem Ring um die Sonne anordnen müsse, der uns als jene Er- scheinung sichtbar wird. Die verschieden große einfangende Kraft der Planeten, vor allem des Ju- piter läßt diesen kosmischen Staub sich in ver- schiedenen Abständen von der Sonne verschieden dicht ansammeln, und daraus folgt dann auch eine wechselnde Lichtstärke des Tierkreislichtes. Es gelingt dem Verfasser zu zeigen, daß die aus seinen Entwicklungen folgende Intensitätsvertei- lung auch der beobachteten auffallend gut ent- spricht. Riem. Völkerpsychologie. Baldwin Spencer, Professor der Biologie an der Universität Melbourne, der bereits durch die in Gemeinschaft mit F. J. G i 1 1 e n verfaßten Werke über die Eingeborenen Zentralaustraliens rühmlich bekannt geworden ist, veröffentlichte jüngst ein neues Buch über die Stämme des Nord-Territoriums von Australien,') das bemerkenswerte Einblicke in die Kultur und Lebensweise des rasch dahinschwindenden austra- lischen Zweiges des Menschengeschlechtes gewährt. Gesichtspunkten. France, 1914 Juniheft]. ') Native Tribes of the Northern Territory of Australia. Mit vielen schwarzen und farbigen Tafeln. London 19 14. Macraillan. — 21 Schill. 764 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 48 Im nördlichen Küstengebiet Australiens sind die Lebensbedingungen von den in Zentralaustralien herrschenden bedeutend verschieden , und zwar sind sie viel günstiger. Es ist jedoch unbestimmt, ob und wie weit hierdurch die soziale Organisa- tion und die Gebräuche beeinflußt wurden, die bei welchen Gebieten in wesentlichen Punkten ab- weichen. Bei den Stämmen der Kakadu, Umoriu, Geimbio, wie bei anderen, mangelt z. B. die schon oft beschriebene Einteilung in Heiratsklassen; sie ist durch eine lokale Organisation zur Regelung der ehelichen Verbindungen ersetzt. Totemismus besteht auch an der Nordküste, wie augenscheinlich überall in Australien. Aber neben den Stämmen, bei welchen die Zugehörigkeit zu einer Totemgruppe durch die Abstammung entschieden wird, gibt es Stämme, bei denen es ganz zufällig ist , welcher Totemgruppe jemand zugeteilt wird. Diese Stämme haben den Glauben an die Wiedergeburt der Verstorbenen, und die Leute meinen, daß der Geist, der sich der Wiedergeburt unterzieht, dem Vater des noch ungeborenen Kindes sagt, welchem Totem dieses zugehört. Das gilt von den Kakadu, Geimbio, Kulunglutschi und verwandten Stämmen. In Zentralaustralien hat die Arunta-Nation gleich- falls den Glauben an die Wiedergeburt, doch wird hier die Totemzugehörigkeit durch die Ortlichkeit bestimmt, an der die Empfängnis des Kindes erfolgt sein soll. Bei allen Stämmen Nordaustraliens , wie bei vielen .Stämmen in Zentralaustralien, Queensland und Westaustralien , besteht Unkenntnis des Zeugungsvorganges; man kennt den Zusammen- hang zwischen Geschlechtsverkehr und Fort- pflanzung nicht, sondern nimmt vielmehr an, daß die Empfängnis beim Passieren von Orten erfolgt, wo sich Geister von Verstorbenen aufhalten , die in die Frauen eindringen. Dieser Glaube ist so weit verbreitet, daß die Annahme wohl berechtigt ist, er sei ehedem in Australien allgemein ge- wesen. Bei den Kakadu in Nordaustralien z. B. wird gesagt, daß Imberombera, die Urmutter des Stammes, ursprünglich die Geisterkinder aussandte. Seitdem kehren die Geisler der Verstorbenen immer an gewisse Örtlichkeiten zurück, um dort der Wiedergeburt zu harren. Bei manchen Stämmen, wie bei den Dieri und Warramunga, wird geglaubt, daß das Geschlecht bei jeder Wiedergeburt wechselt, so daß der Vorfahrengeist einmal die Gestalt einer männlichen und das nächstemal die einer weib- lichen Person annimmt. Die Verhältnisse der Australier sind so beschaffen, daß die Unkenntnis des Zusammenhangs von Geschlechtsverkehr und Fortpflanzung gar nicht wunderzunehmen braucht. Prof. Spencer weist darauf hin, daß es vor allem unter den Australiern keine .Jungfrauen" gibt, denn sobald ein Mädchen ge^chlechtsreif ist, wird es dem ihm bestimmten Mann übergeben, mit dem der Geschlechtsverkehr während des ganzen Lebens gepflegt wird. In dieser Beziehung gibt es keinen Unterschied zwischen den eingeborenen Frauen, und doch sehen die Leute, daß manche Frauen Kinder bekommen und andere nicht und daß die, die Kinder haben, sie in ungleichen Zwischenräumen bekommen, die in keiner Be- ziehung zu den Zeiten des Geschlechtsverkehrs stehen; überdies wissen die Frauen erst, wenn sie die Kindsbewegungen spüren, daß sie schwanger sind, und das ist manchmal zu einer Zeit, zu der sie mit keinem Manne zu tun haben. Daher sucht man sich die Herkunft der Kinder auf eine andere Weise zu erklären, die mit dem ganzen primitiven Denken dieser wenig entwicklungs- fähigen Menschen übereinstimmt. In diesem Zu- sammenhang ist zu erwähnen, daß die australischen Mütter die Geburt von Mischlingskindern allgemein daiauf zurückführen, daß sie zu viel von des weißen Mannes Mehl aßen. Daher kommt es auch, daß alte Australier Halbblutkinder ihrer F"rauen ohne Frage als die ihrigen anerkennen und sie auch so behandeln. Die materielle Kultur der Australier ist äußerst arm. Ihre Steinwerkzeuge sind so wenig kunst- voll bearbeitet, daß man manche kaum als solche überhaupt erkennen würde. Die einzelnen Grup- pen haben iiire X^orzugslagerplätze, aber sie wer- den nicht ständig bewohnt und es wirrl kein Ver- such unternommen, Nahrungspflanzen zu kultivieren oder Nahrung für kommende Zeit aufzubewahren (ausgenommen für bestimmte Zeremonien). Die Leute leiden arg unter der Kälte, aber es kommt ihnen nicht in den Siim, sich mit den Fellen der Tiere zu bekleiden, die ihre tägliche Nahrung bilden. Die P'rauen halten ihre Rindenschürzen mit den Ellbogen am Leibe fest; sie haben noch nicht die Erfindung gemacht, diese Schürzen mit einem Band zu befestigen und damit ihre Arme frei zu bekommen. Der einzige Schutz gegen den langdauernden Regen besteht in Rinden- schirmen, die das nasse Element nur wenig ab- halten. Jeder der zahlreichen Stämme hat zwar sein bestimmtes Landgebiet, dessen Grenzen wohl be- kannt sind, aber von Privateigentum der Person haben die Australier kaum einen Begriff. Die Beute oder der Verdienst des einen wird als Gemeingut der ganzen Gruppe betrachtet. Die Leute wissen nicht, daß Krankheit oder Schmerz bestimmte Ursachen haben, außer wenn es sich um einen Unfall handelt, den sie sehen konnten; sonst führen sie alle körperlichen Leiden auf Zauberei zurück. Auch sonst wird alles, was man nicht begreift, mit Zauberei in Verbindung gebracht. Prof. Spencer erzählt z.B., daß Ein- geborene , die zum erstenmal eine Wagenspur sahen, sie als den Weg betrachteten, auf dem der böse Zauber sich bewegt. Um darüber hinweg und nicht mit dem Zauber in Berührung zu kommen, sprangen sie über die Wagenspur so hoch als sie konnten. So eng begrenzt der Tätigkeitsbereich der Australier auch ist, so zeigen die einzelnen Personen doch Unterschiede in der geistigen Befähigung, die nach Prof. Spencer's Ansicht ebenso groß N. F. Xm. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 765 sind wie die, welche bei den Weißen zu beobachten sind. Wer besonders befähigt ist, zieht jedoch daraus keinerlei Vorteil, abgesehen von dem guten Ruf, den er unter den Mitgliedern seiner Gemeinschaft erwirbt. Zum Schluß seien noch zwei Bräuche erwähnt, die an die prähistorische Bevölkerung Europas erinnern. Beim Stamm der Larakia wird die linke Hand der weiblichen Personen durch Entfernung des Endgliedes des Zeigefingers verstümmelt. Die Mütter beißen zum Teil ihren kleinen Kindern das Fingerglied ab, zum Teil wird es in späterem Alter abgebunden und damit zum Abfallen gebracht. Bekanntlich wurden Abdrucke in ähnlicher Weise verstümmelter Hände in den Grotten von Alta- mira gefunden. Ob jene paläolithischen Men- schen, gleich den Australierinnen, die Verstüm- melung aus Modetorheit betrieben, wird freilich kaum jemals herauszufinden sein. Die Toten werden teils in der Erde und teils auf Bäumen bestattet; bei den Mara und ihnen verwandten Stämmen aber werden die Toten auf- gezehrt und die Knochen darauf in Rindensärgen begraben. Die Pflicht, die verstorbenen Mitglieder einer Stammesabteilung zu essen, fällt den Angehöri- gen zweier bestimmter anderen Stammesabteilungen zu. Die Sache ist durch totemische Vorschriften geregelt. Dabei erinnert man sich, daß an neo- lithischen Grabfunden Europas Spuren von Kanni- balismus beobachtet wurden und es ist die Mög- lichkeit gegeben, daß es sich auch dabei nicht um Zeichen von gewöhnlichem Kannibalismus, sondern ebenfalls um Erinnerungen an einen Totenbrauch handelt. Hans Fehlinger. Bücherbesprechungen. Hönigswald, Prof. Dr. Richard, Die Skepsis in Philosophie und Wissenschaft. Göttingen, Vandenhoek & Ruprecht, 1914. (Wege zur Philosophie Nr 7.) — Preis 2,50 Mk. Man braucht nur wenige Seiten in dem Buche gelesen zu haben, um nicht nur den ersten Satz des Verf.: „Der Begriff des Zweifels ist einer der schwierigsten Gegenstände wissenschaftlich philo- sophischer Untersuchungen" von Herzen zu be- stätigen, sondern auch die Untersuchung selbst als „schwierig" geschrieben zu bezeichnen. Wie- weit dies etwa der Gegenstand durchaus erforder- lich gemacht hat, möchte Referent sich nicht zu entscheiden anmaßen. Wie die Sache aber liegt, läßt sich mit Bestimmtheit vermuten, daß wenig- stens aus dem naturwissenschaftlichen Kreise sehr wenige Leser den Mut und auch nur die Fähig- keit besitzen werden, die Schrift durchzuarbeiten. Dies soll kein Urteil über ihren Wert sein, sondern nur einen Tatbestand feststellen, der schon des- halb bedauerlich ist, weil das Problem des Zweifels in hohem Maße ein Problem der Naturwissenschaft selber ist, und deshalb eine verständlich gehaltene Belehrung darüber auch und gerade dem Natur- wissenschaftler willkommen sein müßte. Aber wer nicht die Fähigkeit ausgebildet hat, ver- wickelten Darlegungen abstrakten Charakters un- bedingt zu folgen, wird das Buch bald wieder hin- legen. Von diesem Gesichtspunkte aus dürfte aber die Abhandlung — vielleicht schon durch die Wahl des schwierigen Themas — in einer Samm- lung, die ausdrücklich Wege zur Philosophie be- titelt ist, ganz im allgemeinen Bedenken erregen. Für Leser, deren Bestreben dahin geht, an aus- gewählten Problemen der Philosophie die Eigen- art philosophischen Denkens erst einmal kennen zu lernen und so einen Weg zur Philosophie zu finden, ist die Tonart in vorliegender Veröffent- lichung ganz entschieden zu hoch gegriffen. Sie wendet sich vielmehr sn Leser, die, wie schon gesagt, speziell in der Verfolgung komplizierter und abstrakter, vorwiegend mit rein begrifflichen Konstruktionen arbeitender Gedankengänge eine nicht geringe Gewandtheit besitzen; Leser also, die sich jedenfalls schon vorher eingehend mit schwierigeren philosophischen Fragen befaßt haben. So muß denn auch ein näheres Eingehen auf den Inhalt des Buches den philosophischen Fach- blättern überlassen bleiben. Wasielewski. C. Lei§ und Dr. H. Schneiderhöhn, Apparate und Arbeitsmethoden zur mikrosko- pischen Untersuchung kristallisier- ter Körper. Mit 115 Abbildungen. (X.Teil vom „Handbuch der mikroskopischen Technik", unter Mitwirkung zahlreicher Fachmänner her- ausgegeben von der Redaktion des „Mikrokos- mos".) 94 S. gr. 8". Stuttgart 1914, Geschäfts- stelle des „Mikrokosmos" (Franckh'sche Verlags- handlung). — Preis geh. 2,25 Mk. , geb. 3 Mk. Die vorliegende Schrift liegt als I. Buchbeilage dem 8. Jahrgang des „Mikrokosmos" bei. Sie ist vor allem für den ernst arbeitenden Liebhaber- Mikroskopiker bestimmt, wird aber auch im Unter- richt der höheren Lehranstalten und Universitäten nicht ohne Nutzen Verwendung finden können. C. Leiß behandelt in den drei ersten Teilen Bau und Behandlung der mineralogischen Mikro- skope und deren Nebenapparate, die Herstellung von Gesteinspräparaten und Dünnschliffen, sowie die Apparate zur Bestimmung optischer Konstanten kristallisierter Körper. In einem vierten, die ganze zweite Hälfte des Buches umfassenden Teile berichtet H. Schneider- höhn über die ,, Bestimmung physikalischer Kon- stanten kristallisierter Körper mit Hilfe des Polari- sationsmikroskops." K. Andree. 7G6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 48 Stern, Lina, Dr. med., Priv.^Doz. der Physiologie an der Universität Genf, Über den Mecha- nismus der Oxydationsvorgänge im Tierorganismus. Mit 12 Abb. im Text. Jena 1914, G. Fischer. 2,20 Mk. Verf. berichtet darin über die Untersuchungen, die sie gemeinsam mit Prof. Battelli über den Mechanismus der Oxydationsvorgänge im Tier- organismus ausgeführt hat. Dieselben bildeten den Inhalt eines Vortrags, der auf Einladung der Berliner Physiologischen Gesellschaft am 19. De- zember 191 3 in Berlin gehalten wurde. Kathariner. Bates, Oric, The Eastern Libyans. XXII und 298 .S., mit Tafeln. London 1914, Mac- millan. Bates war früher Inspektor der archäologischen Aufnahme Nubicns. Er ist in Ägypten, der Cyre- naika, der libyschen Wüste usw. viel gereist und hat den gröüeren Teil des Materials selbst ge- sammelt, das die Grundlage des vorliegenden Werkes bildet. Der Autor schildert eingehend Bodengestalt, Klima und Fauna Libyens, die Sprache der Libyer, ihre Religion, ihre gesellschaftlichen und politischen Einrichtungen, Kleidung, Bewaff- nung, Kunst und Architektur, sowie ihre Geschichte, wie sie in den Überlieferungen ihrer Feinde er- zählt wird; denn von den alten Libyern wäre wenig bekannt ohne die ägyptischen Wand- malereien, von denen zahlreiche in dem Werke reproduziert sind. Über die Herkunft der alten Libyer vermag auch Bates nichts Bestimmtes zu sagen. Sicher scheint nur zu sein, daß sie von Norden her, vermutlich über die iberische Halbinsel, nach Afrika eindrangen. Als Nachkommen der Van- dalen können sie nicht gelten, da griechische Autoren die blonden Libyer schon vor der Zeit der Vandaleninvasion erwähnen. Im ganzen befaßt sich Bates nicht viel mit Hypothesen; er legt das Hauptgewicht auf die Wiedergabe der Tat- sachen, die er festzustellen vermochte. H. FehHnger. Ludowici, August, Das ge net ische Prin zip. Versuch einer Lebenslehre. Mit 2 farbigen Tafeln. München 191 3. F. Bruckmann A-G. Darstellungen, in denen der Versuch gemacht wird , größeste Komplexe, wie Leben, Welt, Menschheit, unter dem Gesichtspunkte und im Lichte eines einzelnen durchgehenden Prinzips zu betrachten, weisen im allgemeinen einen ins Auge fallenden Vorzug verknüpft mit einem ebenso leicht erkennbaren Nachteil auf Jener besteht darin, daß das gewählte Prinzip, ge- nügende Weite und Allgemeinheit vorausgesetzt, gleich einem kräftigen Reagens sozusagen auf alles angewendet werden kann, wodurch bei kon- sequentem Verfahren beinahe notwendig eine Reihe von Aufschlüssen (im eigentlichen Sinne des Wortes) erzielt werden muß. Es sind also interessante Anwendungen auf Einzelfälle und Beleuchtungen solcher von unerwarteten Seiten her zu erwarten. Der Nachteil andererseits liegt in der Einseitigkeit, die aus der durchgehenden Anwendung eines einzigen Prinzips notwendig entspringen muß, indem ein solches doch immer nur eine gedankliche Konstruktion, ein Schema darstellt, das die gesamte Fülle der Welt nie restlos aufnehmen kann. Man erhält vielmehr naturgemäß immer nur eine Ansicht, ein Bild, dessen Aussehen, wie das einer Landschaft, nicht nur von dieser selbst, sondern auch von dem willkürlich gewählten Standpunkte des Beschauers und zwar in wesentlicher Weise, bestimmt wird. Das „genetische Prinzip" Ludowici 's ist nun insofern glücklich gewählt, als es eine Grund- tatsache unseres inneren Erlebens darstellt und somit einer natürlichen, sehr allgemeinen Anwen- dung zwanglos fähig ist. Es ist das Prinzip des polaren, organischen Gegensatzes oder Wider- spruchs, organisch insofern, als erst aus dem Zu- sammenwirken von je zwei einander zugeordneten Widersprüchen, oder vielmehr aus ihrer faktisch sich vollziehenden Synthese das jeweilige Ganze entspringt. Ludowici legt dies Verhältnis zunächst an einer Analyse des lebendigen pflanzlichen oder tierischen Individuums dar, dessen Beschaffenheit ihm die Synthese zweier solcher widersprechenden Faktoien oder vielmehr Faktorengruppen ist. Die erste derselben, die ökologischen Faktoren, be- stimmen die Veränderlichkeit des Individuums im Sinne von Anpassung; sie sind äußerer Natur, Licht, Wärme, Wasser, Luft, Nahrung. Die zweite Gruppe, die genetischen Faktoren, bestimmen die in der Erblichkeit zutage tretende Konstanz des Individuums, sie sind innerer Natur, nämlich die unveränderlichen und unzerstörbaren, nur in ihren Kombinationen mannigfachst wechselnden Keim- anlagen. Beide Faktorengruppen verhalten sich wie außen und innen, bedingen einander sfegen- seitig und aus ihrer Synthese erst geht das leben- dige Individuum hervor. Ahnlich wie hier Typ und Varietät, stehen sich, um noch ein Beispiel zu geben, für das individuelle Leben Geburt und Tod als polare, organisch einander fordernde Gegen- sätze gegenüber. Dasselbe Prinzip sucht nun Ludowici in den folgenden Kapiteln, die Vernunft, die Welt, die Moral anzuwenden, wobei er sich nahe mit Kant berührt, dessen Kritik der reinen Vernunft ja ebenfalls die Verflechtung eines solchen orga- nischen Gegensatzes als den Inhalt der Welt auf- weist: Sinnlichkeit und Verstand. Hier dem Ver- fasser ins Einzelne zu folgen, kann nicht der Zweck einer kurzen Anzeige sein. Was sich da- bei an Erfreulichem wie Bedenklichem ergeben dürfte, haben wir bereits oben angedeutet. Um aber doch ein Bedenken zu nennen, so steigt z. B. bei der Lektüre des ersten Kapitels die große N. F. Xin. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 767 F"rage nach der Deszendenztheorie des öfteren in dem Leser auf, ohne daß sie eine Erledigung fände. Wir stehen, sobald unveränderliche Typen als zeitlich durchgehend proklamiert werden, so- fort wieder vor der Frage, ob bzw. welcherart nun eine Entwicklung der Arten auseinander denkbar sein soll, ohne daß zu selbständigen, immer erneuten Schöpfungsakten gegriffen werden muß. Das ganze Problem als „aus dem Bereiche der Erfahrung herausfallend" einfach auf sich be- ruhen zu lassen, geht nicht wohl an. Denn es sind doch gleichfalls Erfahrungen, aus denen wir schließen, was im Ernst heute kaum jemand be- zweifeln dürfte, das beispielsweise der Mensch erst in einer vergleichsweise sehr jungen Epoche der Erdentwicklung aufgetreten ist. Wohl- verstanden, es handelt sich nicht um die Ent- scheidung zwischen Lamark's,Darwin's,Weis- mann's, de Vries' oder Anderer Anschauungen über die Beschaft'enheit der bestimmenden F'ak- toren der Artentwicklung, sondern um die letztere selbst. Wenn wirklich in der modernen For- schung Strömungen im Wachsen begriffen sind, die den Typen der einzelnen Gattungen oder gar der .Arten wesentliche, nur um einen festgehaltenen Schwerpunkt innerhalb gewisser Grenzen oszil- lierende Konstanz zuerkennen, so tritt damit das ganze alte Rätsel, woher die Mannigfaltigkeit und der ersichtliche Wechsel der Lebensformen auf unserm Planeten stamme, ungelöst wieder auf den Plan. Jedenfalls kann gesagt werden, daß L u d o w i c i mit dem Prinzip der polaren, in ihrer Synthese die Gegenstände unserer Betrachtung und Forschung schaffenden Gegensätze und seiner konsequenten Durchführung durch die verschiedensten Gebiete einen glücklichen Griff getan hat; obwohl er einer Anschauung, die schließlich auf die allgemeine logische P'orderung zurückgeht, daß ein jedes Setzen ein Gegensetzen bedingt, offenbar zuviel zutraut und zumutet, wenn er schreibt, daß dies Prinzip die Berechtigung aller Systeme und aller „Ismen" nachweise und Jahrtausend alte Zwiste unter den Gelehrten zu schlichten imstande sei. Vielleicht kann man in einer solchen Übertreibung sein eigenes Prinzip ebenfalls wiederfinden und zur Anwendung bringen: es scheint ein organisch sich bedingender Gegensatz zu sein, daß, wer einen Schlüssel gefunden hat, der Überzeugung zuneigt, dieser Schlüssel müsse nun auch alle Türen der Welt aufschließen. Es erscheint übrigens von nicht geringer Be- deutung, worauf auch Ludowici mehr als ein- mal hinweist, daß einer der erlauchtesten Geister, die je über die Natur gedacht, nämlich Goethe, auf das Prinzip der Polarität ein sehr großes Ge- wicht legte und dies des öfteren nachdrücklich und unmißverständlich, in einer ganzen Fülle tief- sinniger Aussprüche sowohl als auch im Autbau seiner eignen Arbeiten, z. B. der Farbenlehre, dargetan hat. In einer Zeit, die sich in stetig wachsendem Maße in Goethes Art, die Natur zu behandeln und zu betrachten, zu vertiefen be- ginnt, darf wohl auf ein solches Symptom auf- merksam gemacht werden. Wasielewski. Wetter-Monatsülbersicht. Während des vergangenen Oktober war das Wetter in Deutschland größtenteils trübe, nebelig und spätherbstlich kühl. An verhältnismäßig wenigen Tagen, hauptsächlich zu Beginn und gegen Mitte des Monats, wurden in den Mittags- SilirtlorcTeiiipcrafurciicitiicjcr 0rfc iinöRlo&crlSl'l Berliner Wettefbitr«ati. stunden noch 1 5 " C. überschritten ; am 14. stieg das Thermometer z. B. zu Cleve, Hannover, Cassel bis auf 19, zu Fulda sogar bis 20 " C. Während der Nächte kühlte sich jedoch die Luft im allge- meinen auch nur wenig und allein, wenn sich der Himmel vorübergehend aufklärte, stärker ab. Nachtfröste blieben in der ersten Hälfte des Monats im wesentlichen auf einzelne Teile Süd- deutschlands und Schlesiens beschränkt, wo es z. B. in der Nacht zum 8. Kaiserslautern, zum 9. Beuihen, zum 13. Habelschwerdt auf 2 Grad Kälte brachten. Erst nachdem sich in der letzten Oktoberwoche in ganz Norddeutschland sehr scharfe, an der Küste stellenweise stürmische Ost- winde erhoben hatten, traten im östlichen Ostsee- gebiete zahlreichere Nachtfröste auf und blieben dort zuletzt auch die Tagestemperaturen in der Nähe des Gefrierpunktes. Im Monatsmittel lagen die Temperaturen an der Nordseeküste wenige Zehntelgrade, in den meisten anderen Gegenden i bis 1 '/a Grad unter ihren normalen Werten. Viel bedeutender war der Mangel an Sonnenschein, da, besonders in der zweiten Hälfte des Monats, der Himmel in einem großen Teile des Landes fast ununterbrochen mit Nebelgewölk bedeckt blieb. Beispielsweise hatte Berlin im ganzen nicht mehr als 40 Sonnenschein- 768 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 48 stunden, während hier im Durchschnitte der da die Niederschläge in anderen Landesteilen bei früheren Oktobermonate gerade 100 Stunden mit weitem geringer waren, die Regenmenge des Sonnenschein verzeichnet worden sind. ganzen Monats, die sich für den Durchschnitt Mit Ausnahme weniger Tage um Mitte des aller berichtenden Stationen auf 54,6 mm belief, Monats fanden im ganzen Oktober außerordentlich hinter ihrem Durchschnittswerte aus den früheren zahlreiche Niederschläge statt, deren Mengen jedoch Oktobermonaten seit 1891 noch um 4,2 mm in den einzelnen Gegenden sehr verschieden groß zurück, waren. In der ersten Zeit gingen die stärksten * * * mm 60 f 'ict^cr^cJ^Facjöl^ol^cn im OklclJcr 191^. " ' f^imcrcr-Wcrt für £ -ä r^s =3 ^s^^'g Dcutsdiland. " i-° Ul li I-III ^j-l^-l-f "i f<^onats5unimc™0Kt. ££££(häl iilMS^ sJlEuI^S m.B.IZ 11 10.09 O W R 1. bis IS.OKt. wiiil D Regengüsse nordöstlich der Oder hernieder, wo sie an verschiedenen Orten, beispielsweise am 6. zu Graudenz und Ostrowo, am 8. zu Oppeln von Hagelschauern begleitet waren. In Bromberg, Rügenwaldermünde, ebenso in Friedrichshafen kamen am 2. Oktober Gewitter vor, in Memel fiel in der Nacht zum 3. auch etwas Schnee. Seit dem 8. ließen die Niederschläge überall, außer an der östlichen Ostseeküste, an Stärke allmählich nach, wiederholten sich aber bis zum 13. noch täglich. Zwischen dem iS. und 19. Oktober traten im oberen Rheingebiete neue Regenfälle ein, die sich langsam nach Norden und Osten weiterverbrei- teten und bis gegen Ende des Monats fortsetzten. Besonders ergiebig waren sie vom 20. bis 22. in Nordwest- und Mitteldeutschland, wo am 21. früh z. B. in Kyritz 29 mm Niederschlag gemessen wurden. Noch größere Regenmengen gingen einige Tage später abermals in den Provinzen West- und Ostpreußen hernieder, die z. B. vom 26. bis 27. morgens in Konitz 31, in Berent 36, in Marienburg 46, vom 26. bis 28. morgens in Königsberg 51 mm ergaben. Gleichwohl blieb. Im Gegensatze zum vorangegangenen September vollzogen sich im diesjährigen Oktober die Ände- rungen in der allgemeinen Anordnung des Luft- druckes meist außerordentlich langsam. In seinen ersten Tagen zog eine tiefe und weit nach Süden ausgedehnte Barometerdepression mit lebhaften westlichen Winden durch Nordeuropa nach Nord- rußland hin, während in südlicheren Breiten ein Hochdruckgebiet in östlicher Richtung nachfolgte. Zwischen dem 8. ifnd 9. Oktober dehnte das Maximum seinen Bereich auch auf die skandina- vischen Länder aus, nahm daselbst an Umfang und Höhe allmählich zu und wanderte sehr langsam ostwärts weiter. Während der ganzen zweiten Hälfte des Monats hielt sich das hohe ßarometermaximum beständig in Nord- oder Nordosteuropa auf, während vom mittelländischen Meere, später vom atlantischen Ozean mehrere, anfangs flache, dann etwas tiefere Minima langsam gegen Mitteleuropa vordrangen. Hier herrschten daher seit Mitte Oktober sehr kühle östliche oder nordöstliche Winde vor, die besonders in der Nähe der Küsten oft sehr heftig waren. Dr. E. Leß. Anregungen und Antworten. Die Roßhaare in den Vogeleiern kommen weder nach Durchbohrung der Darmwand in den Eierstock, noch auf irgendeine andere Art in den Eileiter, sondern sind einfach ein schlechter Witz, den sich die Kinder auf dem Lande machen, indem sie mit einer Nadel die Eischale durch- bohren und das Pferdehaar vorsichtig einschieben. Ich bekenne mich selbst dieses Frevels schuldig, noch dazu als ich junger Arzt war, gelegentlich einer Diskussion über die Behauptung, die ein Herr bei einem fidelen Sooleierfrühstück aufstellte, daß man in Eier wenigstens nichts ungehöriges hineinbringen könne. Ich bewies ihm bei nächster Gelegen- heit das Gegenteil. Damit erledigt sich wohl die wissen- schafUiche Streitfrage. Dr. Weber. Literatur. Nalepa, Prof. Dr. Alfred, Schwaighofer, Direktor Dr. Anton, Tertsch , Prof. Dr. Hermann und Burgerstein, Heg. -Rat Dr. Leo: Methodik des Unterrichts in der Natur- geschichte. Wien '14, A. Pichler's Witwe & Sohn. — Preis geb. 6,20 Mk. Inhalt; Schröder: .\uf den Höhen des Kilimandscharo. S tro m e r : Funde fossiler Wirbeltiere in den deutschen Schutzgebieten in .Afrika. — Einzelberichte; Dziewonski und Leyko: Neue hochmolekulare Kohlenwasserstoffe. Dessauer: Radiumähnliche X-Strahlung. Lau: Planeten jenseits des Neptuns. Fessenkoff: Ursprung des Zodiakallichtes. Spencer: Die Stämme des Nord-Territoriums von Australien. — Bücherbesprechurgen : Hönigswald: Die Skepsis in Philosophie und Wissenschaft. Leiß und Schneiderhöhn: Apparate und .Arbeitsmethoden zur mikroskopischen Untersuchung kristallisierter Körper. Stern: Über den Mechanismus der Oxydationsvorgänge im Tierorganismus. Bates: The Eastern Libyans. Ludowici: Das genetische Prinzip. — Wetter-Monatsübersicht. — Anregungen und Antworten. — Literatur : Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schrifüciter Professor Dr. H. Mi ehe in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band ; der ganzen Reihe 29. Band. Sonntag, den 6. Dezember 1914. Nummer 49. Vom Prinzip der Relativität. Von S. Valentiner, Clausthal. Mit 3 Textfiguren. [Nachdruck verboten.] Incidis in Scyllam, cupiens vitare Charybdin. Wenn man einem Nichtfachmann gegenüber andersetzen wollte. Anstatt eines harmlosen behaupten würde, es sei möglich, die absolute Lächelns ist durch die Mitteilung dieser Folge- Geschwindigkeit eines Körpers — sagen wir der rungen sogar manche Schmähschrift ausgelöst Erde — im Räume anzugeben, so würde ganz ge- worden, in welcher die angesehensten Physiker, wiß in den meisten Fällen ein überlegenes Lächeln Männer wie Loren tz, Einstein, Minkowski, die Antwort sein; man glaubt es nicht, weil man Planck u. a. als nicht ernst zu nehmende Irr- gewohnt ist, die Bewegung eines Körpers nur relativ lehrer hingestellt und mit sehr unparlamentarischen zu der eines anderen anzugeben. Sollte es wirklich Ausdrucksweisen abgetan wurden. ') Die Folge- so ganz unmöglich sein ? Von vornherein ganz rungen sind in der Tat sehr absonderlich und um gewiß nicht, wenn auch die Philosophie von einer ihnen zu entgehen, möchte man schon lieber auf absoluten Bewegung nichts wissen will. Haben die Annahme des Relativitätsprinzips verzichten. wir doch manches Beispiel dafür, daß gewisse Indessen, wir sind gar nicht in der Lage, ohne Arten von Ortsveränderungen wirklich absolut weiteres uns für oder gegen das Relativitätsprinzip angegeben werden können, so z. B. die Rotations- zu erklären. Denn es gibt eine Reihe von Er- bewegung der Erde um ihre Achse, oder die scheinungen, die gerade die F"olgerungen ganz Änderung der Geschwindigkeit eines Eisenbahn- direkt zu bestätigen scheinen, und andere, die zuges. Wir sind bisher wenigstens gewohnt, in sehr schwer ohne die Annahme des Relativitäts- diesen Fällen den Nachweis der absoluten Orts- prinzipes erklärt werden könnten. Wir wollen Veränderung für erbracht zu halten. Wie leicht uns im folgenden ein wenig mit diesen Erschei- können wir doch die Rotationsbewegung der nungen beschäftigen. Erde durch den Fo ucau It 'sehen Pendelversuch Da müssen wir zuerst von einer wichtigen nachweisen, wie leicht uns durch die auftretenden Erkenntnis über die Größe der Lichtgeschwindig- Trägheitsdrucke von der Veränderung der Ge- keit reden. Alle Versuche scheinen mit Sicher- schvvindigkeit überzeugen. Daß wir nicht die heit zu ergeben, daß die Lichtgeschwindigkeit, Kenntnis der absoluten Geschwindigkeit zulassen wo und wie wir sie auch messen , immer den mögen, liegt offenbar daran, daß wir bisher keinen gleichen Wert besitzt. Nehmen wir einmal an, rein mechanischen Versuch oder keine rein me- wir könnten die Lichtgeschwindigkeit in der chanische Erscheinung kennen, der uns auf die Weise sehr genau messen, daß wir beobachten, Geschwindigkeit des Raumes, in welchem wir wie lange Zeit ein von uns gegebenes Lichtsignal unsere Messungen und Beobachtungen anstellen, gebraucht, um nach Spiegelung an einem in einen Schluß zu ziehen erlaubte. Wäre uns ein großer Entfernung 1 von uns aufgestellten Spiegel Experiment bekannt, dessen Verlauf von der Ge- wieder zu uns zurück zu gelangen. Aus Weg- schwindigkeit des Raumes abhängen würde (vor- strecke und Zeit können wir die Lichtgeschwin- ausgesetzt natürlich , daß wir nicht Gegenstände digkeit finden. Es ist dies gewiß die primitivste außerhalb des betreffenden Raumes mit zur Be- Messungsart und wir wollen uns denken, daß wir obachtung heranziehen müssen), so könnten wir zweifellos aus dem Verlauf die wirkliche Ge- ') So hat der Verfasser einer solchen Schrift — seinen schwindigkeit des Raumes feststellen. ^^"'^^ ^^^^ '';*''„'^'!" l" °''">'' ^"g"^f r °''^'f f "'"g""' ,-v ,? . . j y-, , . . .. . ,. , verlangt, als daß der Staat für diese Lehrer und deren An- Das Innzip der Relativität sagt nun eigentlich hSnger ein Narrenhaus bauen müßte, in das sie alle hinein- nichts anderes aus als das: Es soll überhaupt kein gesperrt werden sollten, bis sie ihre Theorie abgeschworen Experiment geben, sei es nun mechanischer oder hätten. — Vielversprechend ist auch der Titel „das Relativitäts- thermodynamischer, oder elektromagnetischer oder P"!"''?' '^l" i""g'"= Modenarrheit der Wissenschaft", den ein j KT . , , . ,. ^, anderer Verfasser semer inhaltlich geradeso minderwertigen anderer Natur, welches uns in die Lage versetzt, ^Is unverständlichen Arbeit gegeben Lt. - Solchen Leuten über die absolute Geschwindigkeit des Raumes, geht man am besten aus dem Wege, denn sie sind zuweilen in dem es vorgenommen wird, eine Aussage zu recht gefährlich, indem sie mit beleidigenden Redensarten machen nicht sparsam sind. Und die Aussicht, sie zum eingehenden, \ „ !• T> ■ ■ ^ ■ t I T- 1 wahren Studium der mißverstandenen Theorien anzuregen, Aus diesem 1 rmzip lassen sich nun aber Folge- i,t ^ehr gering. Sonst dürfte vielleicht schon der Rat genügen, rungen ziehen, die ebenfalls den gewohnten An- zunächst einige Jahre reine Mathematik, dazu einige Jahre schauungen widersprechen, so daß wiederum ein E.Nperimentalphysik und dazu noch eine Reihe von Jahren mitleidiges, ungläubiges Lächeln der Lohn wäre theoretische Physik eingehend zu treiben ; manchen wird schon nronn r« -, « ^,„ 17 1 I ■• ji- 1 IT ' uach kÜTzcrcr Zeit ein Licht aufgehen und andere erkennen wenn man die Folgerungen ohne gründliche Vor- ,i,„eieht bald, daß das Sleineklopfen für sie eine geeignetere bereitung und Beweisführung dem Laien ausein- Tätigkeit ist. 770 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 49 sie mit äußerster Genauigkeit ausführen könnten. Die Messung sei einmal vorgenommen, wenn der Lichtweg (.Ausgangspunkt — Spiegel — zurück zum Ausgangspunkt) mit der Ost- Westrichtung zusam- menlälh, ein zweites Mal, wenn er in der Nord- Südrichtung liegt. Bei Berechnung der vom Licht zurückgelegten Wegstrecke müssen wir die Erd- bewegung berücksichtigen, die in der Ost-West- richtung erfolgt; v sei die Geschwindigkeit unseres Standortes auf der Erdoberfläche, und des damit verbundenen Spiegeis. Im ersten Fall ist die Zeit, die das Licht ge- braucht, um von uns zum Spiegel zu gelangen, l/lc-j-v) und um vom Spiegel zu uns zurückzu- kommen, l/(c — v). Die Summe dieser Zeiten nennen wir Tj. Im 2. Fall ist die Summe der hm und her zurückgelegten Wege, wie eine leichte Rechnung zeigt yc'^ — v''' }c''' — v^ Die Differenz der beiden Zeiten ist somit 2\lv- i\ ■T, = - C \2C ..+ • (die Ge- Null ist, die Erde Das bedeutet, daß, wenn wir die Erdbewegung nicht berücksichtigen würden, in den beiden Fällen ein wenig voneinander verschiedene Licht- geschwindigkeiten, nämlich : 2l , 2l c, = ^ und C2 = ^- sich ergeben müßten. Nur wenn v schwindigkeit unseres Standpunktes) dürten wir Cj = Cj finden, wenn also in relativer Ruhe gegen das Medium, das für die Lichtfortpflanzung in Frage kommt, den leeren Raum, sich befindet. M i c h e 1 s o n und M o r 1 e y haben die Differenz mit größter Sorgfalt durch eine äußerst empfind- liche Methode zu bestimmen gesucht, durch eine Methode, die noch den 20. Teil jener Zeildifferenz halte erkennen lassen müssen. Das Resultat war überraschend: eine Differenz von dem berechneten Betrag konnte nicht gefunden werden; ja, nicht einmal eine Differenz, die über die Fehlergrenze der Messung hinausginge. Somit dürften wir eine relative Bewegung zwischen Erde und lichtfort- pflanzendem Medium nicht annehmen. Die Anschauung der relativen Ruhe der Erde und dieses Mediums läßt sich aber nicht mit einer anderen Erfahrung in Einklang bringrn, nämlich der bekannten Erscheinung der Aberration des Lichtes. Die berühmte Methode von Bradley, die Lichtgeschwindigkeit zu bestimmen (aus dem Jahre 1,27), beruht auf dieser Erscheinung. Die Achse des auf einen Stern eingestellten F"ernrohrs ist infolge der Erdbewegung gegen die Richtung auf den Stern um einen kleinen Winkel, den Winkel der Aberration, gedreht; seine Tangente ist gleich dem Verhältnis der Erdgeschwindigkeit zur Lichtgeschwindigkeit. Könnte man auch in diesem Fall von der relativen Bewegung der Erde gegen das lichtfortptlanzende Medium absehen, so wäre eine derartige Neigung des Fernrohrs nicht zu verstehen. Bevor wir aus diesen Versuchen Schlüsse ziehen, wollen wir noch überlegen, welche Folge- rung wir aus den ersten Messungen hätten ab- leiten können, wenn sich tat^-ächlich eine Differenz der Zeiten Tj und T., ergeben hätte. Wir hätten aus der Messung der Differenz die Geschwindig- keit v des Beobachtungspunktes berechnen können und das wäre, da das lichtforipflanzende Medium der leere Raum ist, die relative Geschwindigkeit des Standortes gegen den leeren Raum, oder das, was wir als absolute Geschwindigkeit bezeichnen müssen. Das bedeutete einen Verstoß gegen das Prinzip der Relativität. Das negative Ergebnis des IVI ichelson'schen Versuches war also zu erwarten, wenn wir das Prinzip der Relativität als allgemein gültig anerkennen wollen. Außerordentlich schwer ist es nun aber die beiden Erkenntnisse, dies Resultat des Michel- son'schen Versuchs und die Aberration in Ein- klang miteinander zu bringen. Man kann den Knoten, der hier entstanden ist, nicht dadurch lösen, daß man mit Erfahrungen aus der Mechanik daran geht. Die einfachen Vorstellungen, denen zufolge das lichtfortpflanzende Medium sich wie ein materielles oder materieähnliches Etwas verhielte, und einen besonderen Namen wie das Wort Äther verdiente, helfen aus diesem Dilemma auf keine Weise heraus. Was bleibt also übrig, wenn man über diese Schwierigkeit hinweg- kommen will und muß, als den Knoten durch- zuhauen, von der Vorstellungsmöglichkeit abzu- sehen und einfach das zu fordern, was aus den Experimenten folgt. Das ist: Eine absolute Be- wegung können wir nicht nachweisen, weil infolge irgendwelcher näher zu studierender Vorgänge die Lichtgeschwindigkeit in allen unseren Messungen nach allen möglichen Richtungen und an allen Orten einen von der Bewegung des Beobachtungs- ortes unabhängigen konstanten Wert c besitzt. Daran müssen wir also hinfort festhalten und nun näher zusehen, was aus dieser Forderung der kon- stanten Lichtgeschwindigkeit folgt. Zur Zeit t = o werde im Punkt A (Fig. i a) ein Lichtblitz ausgesandt, der sich nach allen Seiten hin mit gleicher Geschwindigkeit ausbreitet. Zur selben Zeit bewege sich von A ein Beobachter fort mit der Geschwindigkeit v in der Richtung der eingezeichneten x- Achse. Nach der Zeit: t Sekunden, gemessen mittels einer im Punkt A aufgestellten Normaluhr, befinde sich der Beob- achter an der Stelle B und das Licht mag gerade bis zu der Kugelschale mit dem Radius R = et gelangt sein, also in Fig. I a, die einen ebenen Schnitt des Raumes durch den Punkt A und die X-Achse darstellt, bis zu der Peripherie des Kreises, z. B. zum Punkt C. Der Beobachter hat nun trotz seiner Bewegung durchaus nicht das Gefühl, als wenn er sich aus dem Zentrum der die Aus- breitung des Lichtes darstellenden Kugelflächen N. F. Xm. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 771 herausbewegte, vielmehr läßt ihm die in allen Richtungen beobachtete Konstanz der Lichtge- schwindigkeit vermuten, daß er dauernd im Zentrum der Kugelwellen sich befindet. Die Vorgänge, die sich einem Zuschauer im Punkt A in dem Raum darbieten, der durch F'ig. i a dar- gestellt wird, scheinen dem Beobachter B in einem Räume vor sich zu gehen, der durch die Fig. i b dargestellt wird; sie ist ein Abbild der Fig. i a, aber dem Punkt B in Fig. 1 a entspricht das Zentrum des Kreises in P^ig. i b und dem Punkte des Kreises in Fig. i a die Punkte des Kreises in F'ig. I b. Für den bewegten Beobachter spielen sich alle Erscheinungen in dem Raum, wie er durch den Schnitt in Fig. i b dargestellt ist, ab, nämlich so daß das Licht sich für ihn nach allen Richtungen hin gleich schnell bewegt, also von ihm aus in gleicher Zeit die Punkte der Peri- pherie eines Kreises erreicht, in dessen Mittel- punkt B sich befindet. Dem Zuschauer A er- scheint die Sache ganz anders; er beobachtet in seiner Darstellung (Fig. i a), daß B sich aus dem Zentrum der Kugelwellen fortbewegt. Es ist natürlich von größter Wichtigkeit, festzustellen, welche Punkte des Raumes: Figur I b denen des Raumes : Figur I a ent- sprechen, es wird dann möglich sein , anzugeben, wie die Erschei- nungen, die der Zuschauer A in seinem Räume erlebt, sich dem Beobachter B dar- stellen. Wir brauchen zu dem Zweck nur die Formeln aufzu- suchen, die uns angeben, wie der eine Raum durch den anderen abgebildet, wie er in den anderen transformiert wird. Diese Formeln sind leicht zu erkennen. Wir wissen, daß die beiden Räume ineinander übergehen, wenn die Geschwindigkeit von B gegen A den Wert Null hat. Also müssen die Koordinaten senkrecht zu der Richtung der Bewegung bei der Transformation ihren Wert behalten. P'ür die Transformation der x-Koordinate, deren Richtung mit der Richtung der Bewegung zusammenfalle, in die x'-Koordinate wollen wir die Gleichung ansetzen : i) x' = a(x — vt) Die Zweckmäßigkeit derselben geht unmittel- bar aus der Zeichnung hervor, wenn wir in Be- tracht ziehen, daß doch nicht notwendigerweise der Maßstab, der bei den Abmessungen im Räume i gilt, auch noch für den Raum 2 be- Fig. I (a und b). nutzt werden kann. Man kann nicht wissen, ob er nicht von der Geschwindigkeit v abhängt. Was den Radius R' anlangt, der dem Radius R = et in Figur i a entspricht, so wissen wir, daß 2) y-^ + x^ = c^t^ und 3) y2 + x'2 = c^t''- sein muß. In (3) führen wir zur weiteren Be- rechnung der Größe « und der Beziehung, die zwischen t und t' bestehen muß, Gleichung (i) ein und ziehen (2) davon ab. Es ergibt sich daraus: 4) x-(a-— i) — 2«2vxt4-t-(ß-v- + c-) = c-t'- t' ist also eine lineare Funktion von x und t und kann geschrieben werden 1 5) t'=yt-\-ßK Da Gleichung (4) mit der Schreibweise (5) von t' für jedes x und t gelten muß, so müssen die Koeffizienten der Glieder gleicher Potenzen von X und t rechts und links vom Gleicheits- zeichen gleich sein. Aus dieser Forderung folgt: ^_ c ^ c —V " ~ Vc^— v^' ^ ~ yc^— V-''' ~ cyc^— v^" Die einfache Überlegung hat uns somit die Transformationsformeln geliefert : x' ^ a (x — vt ), y' = y, z' = z, 6) t' = a(t .,x ß c- /■ Vc^— V- Sie liefern uns die P"ormeln für eine im Raum la erkannte und durch die Variabein X, y, z, t dargestellte Erscheinung in den Variabein x', y', z', t', d. h. eine Darstellung der Erscheinung wie sie im Raum i b beobachtet werden wird. Diese wichtigen Transformationsformeln sagen aus, daß der Maßstab beim Übergang von dem einen System zu dem anderen in Richtung der relativen Bewegung eine Veränderung erfährt und daß auch die Zeitrechnung in beiden Systemen verschieden ist. Befinden wir uns in einem fahrenden Eisenbahnzug und könnten wir einen in der Fahrtrichtung gehaltenen in Zentimeter genau geteilten Maßstab vergleichen mit einem solchen der auf dem ruhenden Bahnkörper ausgestreckt liegt, so würden wir eine Differenz — freilich eine äußerst geringe Differenz — der Zentimeterieilungen wahrnehmen können. Infolge der Bewegung erscheint der bewegte Stab dem Zuschauer, der nicht mit bewegt wird (auf dem Bahnkörper steht) etwas kleiner zu sein als den Eichangaben entspricht. Aber auch der bewegte Beobachter hält seinen Maßstab für etwas länger als den, der auf dem Bahnkörper ruht. Denn für den bewegten Beobachter gilt ja der Maßstab, den er bei sich hat als der, der sich in relativer Ruhe zu ihm befindet, und der auf dem Bahn- körper liegende als der bewegte. Das sind zweifellos umwälzende Anschauungen, zu denen wir durch das Prinzip der Relativität und die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gezwungen werden. Eng damit zusammen hängt die nicht minder ungewöhnliche P'olgerung, daß auch die 772 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 49 Zeiten für den bewegten und den ruhenden Be- obachter verschieden sind; die Uhren mit denen sie ihre Beobachtungen anstellen, zeigen ver- schiedene Sekundenlängen, wenn die Uhren auch vorher beim Nebeneinanderliegen (ohne gegen- seitige Bewegung) genau gleiche Intervalle an- gaben. Es ist ganz selbstverständlich, daß man sich gegen diese Folgerungen so lange als mög- lich gesträubt hat, daß man es im Anfang als eine geradezu ungeheuerliche Zumutung emp- finden mußte, derlei Angaben glauben zu sollen. Bevor wir uns nach direkten Bestätigungen dieser eigentümlichen Folgerungen umsehen, wollen wir die Transformationsformeln noch ver- gleichen mit denjenigen, die uns die gewohnte analytische Mechanik für den Übergang von einem System zu einem anderen, in relativer Bewegung zu jenem befindlichen System liefert. Das zweite System mag gegen das erste sich mit der Ge- schwindigkeit V in Richtung der x-Achse be- wegen. Die Achsen der Koordinaten in den beiden Systemen legen wir parallel und erhalten unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß die Zeitiniervalle im bewegten und im ruhenden System gleiche Größe haben, für den Übergang die bekannten Formeln: x' ^ X — vt 7) y z' t' y ; Z t Daraus ergibt sich z. B. daß 2 Punkte (mit den Koordinaten x\, x'^, resp. Xj, Xg) im bewegten System wie im unbewegten die gleiche Ent- fernung zeigen ; denn wie auch die Geschwindig- keit V sein mag, immer ist also X., vt, X.,' = Xj - X, — x„ vt Aus den Formeln [6] dagegen folgt: c X./=«(Xi — Xj): i^. K— Xo) eine Veränderung der Entfernung. Wegen des sehr hohen Wertes von c (300000 km,sek ist freilich die Änderung sehr klein und wird in den seltensten Fällen der reinen Mechanik in An- betracht der verhältnismäßig immer nur sehr ge- ringen Geschwindigkeit v überhaupt bemerkbar sein. Die I'^ormeln 6 bilden also nur eine ganz geringe Modifikation der der analytischen Me- chanik zugrunde liegenden Formeln 7. Daher kann man auch weiterhin an den Formeln 7 fest- halten und somit auch an dem bisherigen Aufbau der analytischen Mechanik, sobald es sich nicht um sehr große relative Geschwindigkeiten handelt. Für den Fall aber ist es nötig, die genaueren Formeln den Entwicklungen der Mechanik zugrunde zu legen, also eine von der gewohnten Mechanik abweichende Darstellung durchzuführen. Da Längen- und Zeitmaße durch die Bewegung ge- ändert werden, so treten auch Änderungen anderer Eigenschaften der materiellen Körper ein ; der Ausdruck der kinetischen Energie, die Trägheit, die elastischen Eigenschaften werden infolge des Prinzips der Relativität modifiziert. Was speziell die Trägheit der Materie anlangt, so zeigt die Rechnung, daß sie von der Geschwindigkeit in verschiedener Weise abhängt, je nachdem sie im zentrifugalen Trägheitswiderstand oder im tangen- tialen Trägheitswiderstand auftritt. Man spricht daher von der sogenannten longitudinalen trägen Masse (wirksam bei Änderung der Geschwindig- keit des Körpers in Richtung der augenblick- lichen Geschwindigkeit) und von der transversalen trägen Masse (wirksam bei Änderung der Geschwin- digkeitsrichtung). Die Ableitung der Formeln, die uns die Ab- hängigkeit der Masse von der Geschwindigkeit angibt, hier mitzuteilen, würde zu weit führen. Wir wollen sie aber hinschreiben, zur Beruhigung derer, die befürchten könnten, diese als notwendig erkannten Unterschiede möchten die ganze bis- herige mechanische Darstellung der Naturvorgänge umstürzen. Die Unterschiede werden nur merk- bar, wenn v ganz beträchtliche Werte annimmt. Wenn m^ die Trägheit (Masse) bei sehr kleinen Geschwindigkeiten (v ^ o) bedeutet, so ist die longiiudinale Trägheit bei der Geschwindigkeit v 8) mi = mo-li J und die transversale Trägheit 9) mt = m„.|i Die Formeln, sowohl diese letzten wie auch die Transformationsformeln (6) sind zuerst von H. A. Lorentz angegeben worden, als solche, durch die die Maxwell'schen Gleichungen der Elektrodynamik für ruhende Systeme transformiert werden mü>sen, damit sie die Erscheinungen auch in bewegten Körpern (oder Räumen) richtig wiedergeben. Ihre Anwendung auf den Morley- M ichelson'schen und viele ähnliche Versuche lieferte ebenfalls richtige Darstellungen der Er- scheinungen — wir hatten ja umgekehrt gerade auf die Notwendigkeit der Formeln (ö) aus jenem Versuch geschlossen. Lorentz war bei der Ab- leitung von der Elektronentheorie ausgegangen und hatte zur Erklärung speziell des Morley- M ich elso n 'sehen Versuches die Hypothese auf- genommen, daß eine Kontraktion der Materie (auch der Elektronen) infolge der Bewegung auf- trete (Koniraktionshypothese von Lorentz). Da die von einem sich bewegenden Elektron aus- gehende Kraftwirkung eine gewisse Zeit zur .Aus- breitung gebraucht (sie erfolgt mit Lichtgeschwin- digkeit), so wird das elektrische Feld um das Elektron herum bei großer Geschwindigkeit des PLIektrons eine Deformation erfahren. Die Kraft- linien werden, wie die genaue Rechnung lehrt, nach dem Äquator des Elektrons zusammengedrängt, wenn die Bewegung senkrecht zur Ebene des Äquators erfolgt. Das Kraftlinienfeld hat ungefähr das Aussehen der nebenstehenden Figur 2, in der N. F. XIII. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 773 die Bewegungsrichtung mit der Pfeilriciitung zu- sammenfällt. Diese Deformation des P'eldes ver- anlaßt weiter eine Abhängigkeit des Trägheits- widerstandes, also der scheinbaren Masse, von der Geschwindigkeit und außerdem eine Ver- schiedenheit des Träg- heitswiderstandes gegen Geschwindigkeitsände- rungen in Richtung und senkrecht zur Richtung der Geschwindigkeit. Nimmt man nun an , daß die Elektronen starre Kugeln sind, die auch während der Bewegung keine Kon- traktion erfahren, so ergibt die Theorie für die longitudinale träge Masse (nach Abraham): '"• = ■"«[ ' + 5 c^j für die transversale "'==""(' + 3,5 c-^l Die Benutzung der Transformationsformeln für die Max well 'sehen Grundgleichungen mit der darin steckenden Hypothese der Kontraktion führte dagegen auf die Formeln (8) und (9), die wir zum besseren Vergleich mit (10) und (11) in erster Annäherung auch schreiben können: 8') mi ^ m, 9') = mo I + I v^l Schon Lorentz wies darauf hin, daß man infolge der Abhängigkeit (6) der Zeit von der Bewegung des Elektrons von einer „Ortszeit" des Elektrons sprechen müsse. In einer bedeutungs- vollen Arbeit hat dann Einstein (1905) gezeigt, daß den Lorentz 'sehen Transformationsforrneln die Forderung des allgemeinen Prinzipes der Re- lativität zugrunde liegt und daß man von diesem Prinzig ausgehend die Erscheinungen betrachten müsse. Man müsse fordern, daß die Beobachtun- gen in einem abgeschlossenen System stets sich in gleicher Weise dem Beobachter darbieten, un- abhängig davon, ob das System in gleichförmiger Bewegung sich befindet oder nicht. Minkowski hat die Transformation in äußerst elegante mathe- matische Form gebracht, indem er die Unter- schiede der Raumkoordinaten und der Zeit unter- drückte. „Die Anschauungen über Raum und Zeit, die ich Ihnen entwickeln möchte, sind auf experimentell • physikalischem Boden erwachsen. Darin liegt ihre Stärke. Ihre Tendenz ist eine radikale. Von Stund an sollen Raum für sich und Zeit für sich völlig zu Schatten herabsinken und nur noch eine Art Union der beiden soll Selbständigkeit bewahren." Mit diesen Worten leitete der große Mathematiker seinen Vortrag über Raum und Zeit auf der Naturforschcrver- sammlung in Köln ein. ^) Zui Veransciiaulichung des Inhaltes des Rela- tivitätsprinzipes in seiner modernen Fassung ist übrigens ein sehr sinnreich erdachter Apparat von E. C o h n konstruiert worden. Es wird an diesem Modell die Messung der Lichtgeschwindig- keit demonstriert von einem Körper aus, der auf der Erde ruhend gedacht wird und von einem, der sich gegen den ersten mit großer Geschwin- digkeit bewegt. Man erkennt an dem Modell deutlich, daß die P'orderung der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit die Annahme nach sich zieht, daß Zeit und Längenmaße von der relativen Geschwindigkeit abhängen müssen, und daß es auch nicht einmal mehr absolute Gleichzeitigkeit geben kann. Ereignisse, die der ruhende Beob- achter gleichzeitige nennt, erscheinen dem be- wegten durchaus nicht mehr gleichzeitig. Es sei dieses Modell allen zur Betrachtung empfohlen, es ist ausführlich in dem allgemeinverständlich abgefaßten Aufsatz von E. Cohn „Physikalisches über Raum und Zeit" (24 S. Leipzig, Teubner 191 1, 0,60 M.) -) beschrieben worden. (Eine ein- gehende Besprechung mit Abbildung findet sich auch in Zeitschr. f. d. phys. und ehem. Unterricht. 191 1, S. 361 und in Phys. Zeitschr. 12, S. 1227, 1911.) Infolge der Ungewohntheit der Vorstellungen, die die unbedingte Annahme des Relativitäts- prinzips mit sich bringt, wird man das lebhafteste Bedürfnis empfinden , direkte Beweise für die Richtigkeit der Folgerungen kennen zu lernen. Nun, es gibt in der Tat eine ganze Reihe von Erscheinungen, die zugunsten des Relativitäts- prinzips im allgemeinen und der Folgerungen im besonderen sprechen. Sie sind vor einiger Zeit sehr hübsch zusammengestellt worden von Laub in einem Aufsatz in dem Jahrbuch der Radio- aktivität und Elektronik (7, S. 405, 1910). Alle Versuche, die zur Prüfung der Theorie ausgeführt werden können, bestehen in äußerst sorgfältigen und schwierigen Messungen. Denn der Einfluß, den die Geschwindigkeit auf Länge und Zeit und alle mechanischen und anderen Erscheinungen ausübt, ist sehr gering und überhaupt nur merkbar, wenn die Geschwindigkeit etwa von der Größenordnung der Geschwindigkeit von Punkten der Erdober- fläche infolge der Erdbewegung oder von höherer Größenordnung ist. Denn die Maßstabänderung wird ja durch den Faktor Vc^ — v2 bedingt, und c ist gegen alle irdischen aus der Mechanik bekannten Geschwindigkeiten ganz un- geheuer groß. Bei den meisten Experimenten zur Prüfung wird daher die Erdgeschwindigkeit mit benutzt, z. B. Messungen in Richtung der Erd- ') Vgl. Phys. Zeitschr. 10, S. 104. 190g. *) Aus „Himmel und Erde" 23, S. 117, 1910. 774 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 49 bewegung mit solchen senkrecht dazu verglichen. Bei den anderen Untersuchungen, die in der Ab- sicht, die Relativitätstheorie zu prüfen, unter- nommen sind, macht man Gebrauch von den sehr schnellen Elektronen, die als Kathodenstrahlen wahrnehmbar sind. Die Bestimmung der Elek- tronenmasse bei verschiedenen Geschwindigkeiten der Elektronen und der Vergleich mit der von der Theorie geforderten Abhängigkeit von der Geschwindigkeit dürfte wohl noch immer als die Methode gelten, die für eine sichere Entscheidung am geeignetsten ist, wenn freilich auch bei ihr so manche Schwierigkeiten sich der geforderten Ge- nauigkeit in den Weg stellen. Wir wollen uns diese Methode und ihre Re- sultate etwas näher ansehen. In allen zu dem Zweck der Prüfung unternommenen Arbeiten wurde nur das Verhältnis der Elektronenladung e zur Elektronenmasse m gemessen. Da alle Er- fahrungen dafür sprechen, daß man die Elektronen- ladung als konstant ansehen darf, führt die Be- stimmung des Verhältnisses bei verschiedenen Geschwindigkeiten zu der Kenntnis der Abhängig- keit der Masse selbst von der Geschwindigkeit. Q Zur Messung von - macht man von der ^ m Möglichkeit Gebrauch, die Elektronen z. B. in den Kathodenstrahlen durch elektrostatische und ma- gnetische Felder aus ihrer ursprünglichen Bahn ab- zulenken. Es mögen z. B. von der Kathode K in der Figur 3 Elektronen mit der Geschwindig- keit V durch das Loch der Anode A hindurch- breclien. Dieselben werden sich geradlinig zwischen den beiden Metall- platten a, a hindurch bis an das Ende der Röhre bewegen und dort an der Stelle, wo sie die Glaswand tref- fen, einen Fluoreszenz- fleck verursachen. Wird zwischen den Platten durch Anlegen an die Enden einer elektrischen Batterie ein elektrostatisches Feld von der Stärke E erzeugt, so werden die Kaihodenstrahlen abgelenkt. Aus der Größe der Ablenkung, die sich aus der Verschiebung des Fleckes messen läßt (besser auf photographischem Wege), und der Stärke des Fig. 3- Feldes läßt sich die Größe m V- berechnen. Lassen wir statt dessen ein Magnetfeld von der Stärke H auf das Kathodenstrahlbündel einwirken, so daß die magnetischen Kraftlinien senkrecht zu dem Bündel verlaufen, so wird das Bündel in einen Kreisbogen abgelenkt, dessen Radius r durch die Gleichung m v -- , . ... , = r-e H bestmrmt wird und gemessen werden 2 *' kann. Die Kombination der beiden Messungen läßt V und — getrennt berechnen. Die Versuchsanordnung im einzelnen für diese Bestimmungen ist mannigfach variiert worden. Von besonderer Wichtigkeit ist eine Anordnung geworden, die von Bestelmeyer 1907 ange- geben wurde, die der gekreuzten Felder. Die Kathodenstrahlen passieren ein durch einen Kon- densator erzeugtes homogenes elektrisches Feld von der Stärke E. Diesem Feld ist ein magne- tisches von der Stärke H überlagert derart, daß die ablenkende Wirkung des elektrischen Feldes auf die Elektronen der Wirkung des magnetischen Feldes gerade entgegengesetzt war. Elektronen, E die sich mit der Geschwindigkeit v = - be- wegen, erfahren dann im Zwischenraum des Kon- densators keine .Ablenkung. Außerhalb des Kon- densators beschreiben diese Elektronen infolge des auch dort noch wirksamen magnetischen Feldes eine kreisförmige Bahn mit dem Radius mv mE . ,, V-. , ■ ,- , - r = >,= —,,,• Alle Elektronen mit Geschwin- e H eH" >E digkeiten v --jy beschreiben, wie die Theorie er- <. H gibt, Bahnen, die die Kreisbahn jener hervorge- hobenen Elektronen in einer Entfernung vom Kondensator schneiden, die gleich der Länge des Kondensators ist. In dieser Entfernung befand sich eine photographische Platte, welche durch die Kathodenstrahlen geschwärzt wurde. Außer E und H wurde die Ablenkung der Kathoden- sttahlen auf der photographischen Platte gemessen und daraus r berechnet; damit war alles Not- ,. _, . , , m wendige zur Ermittelung von v und gewonnen. Diese Methode wurde von Bestelmeyer selbst, dann auch von Buc herer und Wolz, zuletzt von O. Schäfer und G. Neu mann benutzt. Speziell die Messungen der letztgenannten Forscher ') haben mit recht großer Sicherheit dargetan, daß im Intervall von 0,4 bis 0,8 der Lichtgeschwindigkeit die Änderung der Masse des Elektrons der Lore ntz- Ein stein 'sehen Theorie folgt. Als Grenzwert des Verhältnisses für sehr kleine Geschwindigkeit finden sie m 1.765 10' in vortrefflicher Übereinstimmung mit dem Wert, den Bestelmeyer 1911 bei einer Untersuchung fand, die er eigens zu dem Zweck, den Grenzwert möglichst genau zu bestimmen, unternommen hatte. Zum Schluß müssen wir nun noch auf häufig als ganz unannehmbar hingestellte Konsequenzen aufmerksam machen. Die Lichtgeschwindigkeit kann niemals erreicht oder gar übertroffen werden und es darf niemals ein Mittel geben, die Licht- geschwindigkeit durch Vergleich mit einer anderen Geschwindigkeit direkt zu messen (oder was das- selbe ist , es soll nicht möglich sein , die Zeit, deren Intervalle durch die Größe der Lichtge- 1) Phys. ZS. 14. S. II 17. 1913. N. F. Xni. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 775 schwindigkeit definiert wird, noch durch irgendein von der Lichtgeschwindigkeit unabhängiges Mittel zu kontrollieren). Bedenklich sind diese Konse- quenzen natürlich erst dann, wenn irgendein Anzeichen vorliegt dafür, daß sie nicht richtig sein könnten. Da ist nun in der Tat nicht zu leugnen, daß die ihrem Wesen nach noch un- bekannte Gravitationskraft, die Anziehungskraft zwischen materiellen Teilchen , vielleicht eiimial dazu dienen könnte, die Unhaltbarkeit der Rela- tivitätstheorie zu erweisen. Bis vor wenigen Jahr- zehnten wenigstens nahm man noch unbekümmert eine unendlich große Ausbreitungsgeschwindigkeit an. Das darf man nicht mehr tun, denn wäre die Geschwindigkeit größer als die Lichtge- schwindigkeit, so könnte man sich einen Fall in Gedanken leicht konstruieren, für den die Trans- formationsgleichungen (6) völlig sinnlos würden. Und da die Gleichungen (6) allgemeine Gültigkeit beanspruchen, darf es nicht einmal ein Gedanken- experiment, welches auf rein physikalische Er- scheinungen sich gründet, geben, für das die Gleichungen nicht anwendbar wären. Aber noch mehr; da die durch die Lichtgeschwindigkeit definierte Zeit in keiner Weise kontrolliert werden kann, sondern immer wieder nur gemessen werden kann mit Hilfe von Vorrichtungen, die streng nach den Konsequenzen der Transformations- formeln (6) funktionieren, so muß auch die Gravi- tation auf die elektromagnetischen Erscheinungen zurückführbar sein. Das Relativitätsprinzip liefert uns also wichtige Aussagen über die Gravitations- kraft und die experimentelle Widerlegung jener Aussagen wäre zweifellos das Ende jener Theorie. Einstweilen braucht man sich darüber nicht zu beunruhigen und kann an der Theorie der Rela- tivität festhalten. Abgesehen von der Erscheinung der Gravitation gibt es bis jetzt nichts, was zu einem Zweifel an den genannten Konsequenzen berechtigte. Denn darüber zu spindisieren, was I eintreten würde, wenn wir die Möglichkeit hätten, auf rein mechanischem Wege eine Geschwin- 1 digkeit herzustellen , die gleich der Lichtge- schwindigkeit wäre, ist völlig zwecklos, solange man eben diese Möglichkeit nicht hat, an der auf Grund der Relativitätstheorie von vornherein zu zweifeln ist. Was die Theorie der Gravitation betrifft, so sind die Aussagen, die aus dem Prinzip der Rela- tivität gewonnen wurden, von verschiedenen Forschern weiter verfolgt worden. Gegenwärtig gibt es im wesentlichen drei durch die Grund- lagen (Hypothesen) \'oneinander verschiedene Richtungen. Abraham hat eine Theorie der Gravitation aufgestellt, durch die die hier skizzierte Relativtheorie nicht bestätigt wird, auch nicht bestätigt werden soll, da Abraham in seinen Untersuchungen die Konstanz der Lichtgeschwindig- keit nicht als berechtigte P'~orderung anerkennt. Nordström und Mie legen das Prinzip der Relativität mit der F'orderung der konstanten Lichtgeschwindigkeit zugrunde und Einstein geht in seiner Theorie, die er in einem Vortrag auf der Naturforscherversammlung in Wien mit- geteilt hat, noch über die von der Relativitäts- theorie geforderten Grundlagen hinaus. Einstein wirft die Frage auf, ob nicht auch die von uns oben als absolut meßbar angesehenen Beschleu- nigungen nur als relativ meßbar angesehen werden müssen. Wie er zeigt, kann man bei einer der- artigen Erweiterung zu dem sehr wichtigen Er- gebnis kommen, daß Trägheit ein relativer Begriff sei, insofern als die Trägheit der Masse durch Anhäufung von Massen in ihrer Umt;ebung ver- mehrt werde (das Umgekehrte, die Verminderung der Trägheit, folgt aus der Theorie von Nord- ström und ist zweifellos weniger befriedigend, da dann die Trägheit der Materie nicht durch die Anwesenheit der übrigen Materie erklärt werden kann). Der Bedeutung der Relativitätstheorie ent- sprechend sind seit den ersten Arbeiten von Einstein (1905) eine große Reihe von Unter- suchungen und zusammenfassenden und allgemein- verständlichen Darstellungen diesem Gegenstand gewidmet worden. Unter den umfangreicheren zusammenfassenden Darstellungen ist vor allem das wertvolle Buch von Laue („Wissenschaft" Bd. 38, 2. Aufl., 191 3, Vieweg & Sohn, Braun- schweig) zu nennen, das indessen der eingehenden Darlegung entsprechend natürlich einen nicht ge- ringen Grad mathematischer und physikalischer Kenntnisse voraussetzt. In letzter Zeit sind eine Reihe von kleineren Bändchen erschienen, die über das Relativitätsprinzip ausschließlich oder über die modernen Probleme der Physik allgemein handeln und die der Leserkreis dieser Zeitschrift, infolge ihrer elementarer gehaltenen Form, mühe- loser bewältigen wird. Es liegen mir gerade vier solche Hefte vor, über die einige Bemerkungen zur Orientierung angebracht sein dürften. i) H. Sieveking. Moderne Probleme der Physik. (Fr. Vieweg & Sohn, Braunschweig, 1914, VII u. 146 St-iten mit 21 Abbildungen im Text. Ungeb. 4,50 M., in Lwd. 5,50 M.) Das Bändchen enthält ein Kapitel über das Relativitätsprinzip und gibt darin eine gute Darstellung desselben. Das Bändchen kann auch seines anderen reichen Inhaltes wegen warm empfohlen werden; es ist klar geschrieben und behandelt die Elektronen- theorie, die Radioaktivität, die Röntgenstrahlen, neuere Elektrodynamik und Relativitätsprinzip, Fortschritte der Thermodynamik (moderne Strah- lungstheorie). Es ist aus einem Vortragszyklus vor Chemikern (Mannheimer Bezirksvorstand des Vereins Deutscher Chemiker) entstanden. 2) P. Bernays. Über die Bedenklichkeiten der neueren Relativitätstheorie (Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1913, 24 Seiten. 0,80 M.). In drei Abschnitten bespricht der Verf. i. die Gründe, welche für die Relativitätstheorie sprechen, 2. den Inhalt und die Konsequenzen des Rela- 7/6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 49 tivitätsprinzipes, 3. Stellungnahme zur Relativitäts- theorie. Er spricht sich gegen das Prinzip aus und möchte von neuem den Versuch empfehlen, die Elektrodynamik und Optik durch eine mit der alten Kinematik vereinbare Theorie zu erklären etwa in Anlehnung an eine berühmt gewordene Theorie von Ritz, die kurz skizziert wird. 3) A. Brill. Das Relativitätsprinzip. Eine Einführung in die Theorie. (Teubner, Leipzig u. Berlin 1914, 34 Seiten. 1,20 M.) 4) H. A. L o r e n t z. Das Relativitätsprinzip. Drei Vorlesungen gehalten in Teyler's Stiftung zu Haarlem. Bearbeitet von W. H. Keesom. (Teubner, Leipzig u. Berlin 1914, 52 Seiten. 1,40 M.) Beide Hefte sind überaus empfehlenswert und werden denen, die auch nur eine geringe mathe- matische Vorbildung haben, einen hohen Genuß bereiten. Sie beziehen sich beide vorwiegend auf die für die Mechanik wichtigfen Folgerungen des Relativitätsprinzips und speziell die zweite Schrift bespricht verhältnismäßig eingehend die Einst ein- schen Untersuchungen der Gravitation in einer weiten Kreisen verständlichen Form. Außer diesen 4 Schriften mathematisch-physi- kalischer Natur liegt mir noch eine in weitem Abstand zu jenen klaren Abhandlungen zu nennende 5. Schrift vor, die sich auf den Gegenstand be- zieht , indessen von einem anderen Standpunkt ausgehend, die Einstein 'sehe Relativitätstheorie bekämpft und an ihre Stelle eine andere zu setzen wünscht, ferner auch die Vereinigung von Raum und Zeit in einer ganz anderen Form als Min- kowski fordert. Es ist : 5) Melchior Palägyi. Die Relativitäts- theorie in der modernen Physik. (Reimer, Berlin 1914, 77 Seiten.) Ich möchte dies Heft nicht empfehlen, da es die Begriffe der auf die physi- kalischen Erkenntnisse gegründeten Relativitäts- theorie, wie wir sie geschildert haben, zu ver- wirren geeignet erscheint, außerdem auch nur einen Vorläufer eines größeren Werkes über ein weltmechanisches System darstellen soll. Die Bedeutung der diluvialen Menschenskelette für die Sprachwissenschaft. [Nachdruck verboten.] Schon Herder schrieb: „Der Schluß führt auf einen tierischen Ursprung der Sprache. Daß der Mensch sie ursprünglich mit den Tieren ge- mein habe bezeugen gewisse Reste." In seine Fußtapfen traten die Zoologen, so Jäger, der die Ansicht aufstellte, daß „die Menschensprache nur eine Fortentwicklung der Tiersprache" sei, welche Behauptung We Inland weiter be- gründete. Die wenigen Philologen, die sich Her- der und den Zoologen anschlössen (so ich im Kosmos 1886 I S. 98 u. f), wurden als Darwinisten von ihren Fachgenossen verketzert, da sie einige lediglich auf Grund der indogermanischen Sprachenfamilie aufgestellten Dogmen zu verletzen schienen. Wie die Chemie noch im vorigen Jahr- hundert sich mit der Auffindung der Elemente, deren Zahl immer mehr wuchs, begnügte, so glaubte auch die Sprachwissenschaft ihre Aufgabe voll und ganz gelöst zu haben, wenn sie für eine bestimmte Sprachenfamilie einige hundert von Wurzeln festgestellt und deren Veränderung laut- lich erklärt hatte. Die Frage nach dem Ursprung dieser Wurzeln lehnte sie ab. Und als die Sprach- philosophie unter Steinthal's und Lazarus' Führung das biogenetische Grundgesetz, nach dem die Menschheit sich ähnlich wie der einzelne Mensch entwickelt hat, auch auf die Sprache an- wandte, und die wissenschaftliche Verwertung der Kindersprache begann, entschlossen sich die Philologen nur zögernd, diese mit in das Bereich ihrer Sprachforschung zu ziehen. Vor der Auffindung des diluvialen Menschen, als man noch das Alter der Menschheit auf etwa lOOOO Jahre schätzte, hatte es eine gewisse Be- rechtigung, das Indogermanische, dessen Flexion Von Prof. Dr. C. Franke. etwa vor 5000 Jahren den Höhepunkt erreichte und das sich dann in Tochtersprachen spaltete, für eine sehr alte Sprache zu halten, die uns viel Einblick in die Sprachkindheit gewähren könnte. Nachdem aber der diluviale ^) Mensch wissen- schaftlich erwiesen ist, und somit für das Menschen- geschlecht mindestens ein Alter von 1 50000, wenn nicht von 1 500000 Jahren angenommen werden muß, ist dieser Ansicht jede Berechtigung entzogen und die indogermanische Sprache dem Jünglingsalter der Menschheit zuzuweisen, wozu auch ihr ganzer Typus paßt; denn sie ist die Sprache eines Hirtenvolkes, das schon die Zahl- wörter bis 100 und sehr viel Zeitwörter besaß sowie bereits auf der vorletzten Sprachstufe, der flektierenden, stand, also sprachlich sich schon weiterentwickelt hatte als die meisten jetzigen Völker, und unsere Kinder erreichen diese Sprach- stufe meist erst im 5. Jahre. Alle Anthropologen stimmen wohl darin überein, daß der menschliche Unterkiefer ein sehr wichtiges Sprachwerkzeug, gewissermaßen das Schwungrad der Sprechmaschinerie ist und daß durch ihn der Menschenschädel von dem des Affen sich etwa ebenso kennzeichnend unter- scheidet, wie durch die größere Gehirnkapsel. Zwar meint Elliot Smith, daß das Wachstum des Unterkiefers mit der Umgestaltung der ge- samten Gesichtsknochen Hand in Hand gegangen sei. Das schließt aber nicht aus, daß der infolge dieser Umgestaltung sich nach vorn schiebende ') Die noch nicht einwandfrei erwiesene Hypothese von der Entstehung des Affenmenschen im mittleren Tertiär lasse ich .^ußer acht: sie würde meine Ansichten nur stützen: N. F. Xm. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. m Unterkiefer aHmählich sprachliche F"unktion über- nahm, die dann seine Weiterentwickking beein- flußte. Tatsächüch bemerken wir an ihm beim alt- und mitteldiluviaien Menschen geringe, an dessen Gehirnkapsel dagegen schon sehr wesent- liche Veränderungen. So beträgt schon der Schädelraum des javanischen gibbonähnlichen Affenmenschen, der aber wohl kein Ahne, son- dern ein Oheim des Vernunftmenschen (homo sapiens) ist, 850 ccm, so daß dieser genau in der Mitte zwischen dem des jetzigrti höchsten Menschen- affen, des Gorilla, von 500 ccm und dem des jetzigen niedrigsten Menschen, des Austrainegers, von 1200 ccm steht, der des Sussexaffenmenschen da- gegen schon 1000, so daß er dem des Austrainegers näher steht als dessen Schädelraum dem des Durch- schnittseuropäers (1500). Die während der Acheu- leen und Mousterienkuhur etwa im 8. und 9. Zehntel des Diluviums lebende Neandertalrasse (Acheuleen- jäger der unteren Grotte von Le Mousiier, die Schädel von Spy, La Naulette, Malarnaud, Arcy, La Ferrassie, Krapina) hatte im Schädelraum (1230 durchschnittlich nach Reinhardt) die Australneger bereits erreicht, und zwar wohl auch in geistiger Beziehung, wie aus der Totenbestattung und den Grabesbeigaben zu schließen ist. Der Schädel von La Chapelle-aux-Saints soll nach Birkner sogar den Mittelwert des modernen Europäerschädels erlangt haben, den die im letzten Zehntel des Diluviums lebenden Rassen, die Aurignac- und nach ihr die Cromagnon-Rasse, im Durchschnitt haben (der Mensch von Mont- ferrand mit 1400 ccm, der von Chancelade sogar mit 17 10). In demselben Maße wie die Gehirnkapsel wuchs auch der Verständigungs- und Mitteilungs- drang des diluvialen Menschen über den des Affen hinaus; doch das älteste Hauptwerkzeug jenes war wohl wie beim Kinde die Hand, was die festgestellten kreuzweisen Beziehungen zwi- 1 sehen den beiden Händen und den beiden Sprach- zentren des Gehirns bekunden. So erklärt es sich, daß zunächst bis etwa ins 8. Zehntel des Dilu- viums die Entwicklung des Unterkiefers der der Gehirnkapsel nachhinkt. Denn bis in die Acheuleenkultur hinein, also etwa bis ins 8. Zehntel des Diluviums, fehlt den Menschen wie den Affen das Kinn vollständig, sondern der Unterkiefer, von dessen Ausbildung Robinson in erster Linie die Fähigkeit der artikulierten Laut spräche abhängig macht, fallt in einem spitzen Winkel nach innen. Da wo beim jetzigen Menschen die hervorragenden, bei den Taubstummen aber fehlenden Enden der Kieferknochen stecken, an die sich ein dem Sprach- vermögen dienender Muskel, der einzige, der stets beim Sprechen sich bewegt, setzt, hat der Affe nur eine Grube, der im 3. Zehntel des Diluviums lebende Heidelberger Affenmensch jedoch schon eine Kinnfurche und einen Kinnausschnitt, welche die Entwicklung zur menschlichen Kinnbildung bereits andeuten, sowie einen kleinen Stachel am Ansatz des Kinnzungenbeinmuskels, während am Ansatz des Kinnzungenmuskels ein eigentlicher innerer Kinnstachel fehlt. Beim Acheuleenjäger von Le Moustier ist der Abfall der Unterkiefer- spitze nach innen schon weniger jäh, der spitze Winkel also dem rechten angenähert, anscheinend sind Lippen und Zunge bereits etwas beweglicher gewesen, doch fehlen noch die Muskelzugbälkchen, so daß die dort ansetzenden Sprachmuskeln, be- sonders die Musculi genioglossi, noch einen sehr schwachen Zug ausübten. .Auch Gaumen und Nase sind noch sehr flach und breit. Erst zur Zeit der Mousterienkuhur, also etwa im 9. Zehntel des Diluviums (Schädel von Spy, La Naulette, Malar- naud, Arcy, La Ferrassie, Krapina, La Chapelle- aux-Saints) wird der Unterkiefer mehr und mehr moderner und fällt bei steiler gestellten Kronen- und Gelenkfortsälzen rechtwinklig ab, so daß er nun ein Kinn, aber noch keinen Kinnvorsprung besitzt. Auch der Gaumen ist etwas weniger flach. Menschen mit Kinnvorsprung treten uns erst im letzten Zehntel des Diluviums entgegen; doch bei der im 19. Zwanzigstel lebenden Aurignacrasse, welcher der bei Combe- Capelle in der Nähe Montferrands Begrabene angehört, ist er, wie noch bei den Australnegern, Buschmännern, Hotten- totten, ja vereinzelt auch bei Europäern nur erst schwach angedeutet; denn der Winkel des Kinnes nach den Alveolarhorizont beträgt 92 Grad, über- trifft also den des Kinnes der Neandertaler zur Zeit der Mousterienkuhur nur um 2 Grad. Die Fortsätze des Kiefers sind nun vollständig steil gestellt und auch die Zähne ganz zahm und zivi- lisiert, der Gaumen gewölbter, dessen Dach über 2 cm vom Niveau der Kaufläche aus gemessen vertieft ist, der Mund kleiner, die Nase weniger breit und höher aufgerichtet, dagegen der Zahn- bogen wie zuweilen bei Australnegern in einer sehr ausgeprägten Weise u-förmig gestaltet. Der Index des Gaumens beträgt 61,81. Das ältere Skelett, das einen deutlichen Kinn- vorsprung hat ähnlich wie der Durchschnitts- europäer, ist das von Galley-Hill. Rutot ver- legt es in das Strepyien ; dann wäre es sogar etwas älter als der Acheuleenjäger, wogegen aber nicht bloß der Kinnvorsprung, sondern sein ge- samter Aurignactypus spricht. ') Sehr deutlich ist der Kinnvorsprung bei dem Menschen von Chancelade, dessen Alter gleichfalls geologisch nicht genau zu bestimmen ist. Sein Schädelraum (vgl. o.), ferner sein Zahnbogen, dessen ') Doch muß die Mögliclikeit zugestanden werden, dafl schon in der Strepyienperiode nebeneinander die Neandertal- rasse in Süd- und Mittel-, die Aurignacrasse in Nordeuropa existierte. Diese hätte dann die an jener zu beobachtende Schädelentwicklung schon vor dem Strepyien durchgemacht, und während desselben hätten sich beide Rassen etwa so zu- einander verhalten wie jetzt die schwarze und weifle, so daß es schon damals den Gegensatz zwischen niederer und höherer Menschenrasse gegeben hätte. Vom Standpunkte der Ent- wicklungslehre aus bedeutet , höher' nicht bloß weiter, sondern auch schneller entwickelt. Kür meine Darlegung dürfte Rutot's Hypothese kaum von Belang sein. 778 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 49 hintere Enden miteinander konvergieren, und sein Gaumenindex mit 67,92 deuten auf ein jüngeres Alter als das der Aurignacrasse hin. Auch die Skelette und die eigenen Abbildungen der zur Zeit der IVlagdalenienkuitur , d. i. etwa im letzten Vierzigstel des Diluviums, lebenden Cromagnon- rasse haben einen sehr deutlichen Kinnvorsprung, ja nach B i r k n e r überhaupt alle für die Sprache wesentlichen Merkmale des ganz modernen Euro- päers: Noch kleinere Nase, kleineren Mund, feineres Gebiß und höher gewölbten Gaumen als der Aurignactypus. Nach alledem dürfte sich folgendes ergeben : Daß der Mensch zu einer so bedeutend reicheren und höheren Sprache als der Affe gelangte, lag an der Entwicklung seines Gehirnes, das jetzt das jenes 3 — 4 mal an relativer Größe überragt. Daß aber das wesentlichste Ausdrucksmittel für die Tätigkeit des Gehirns bei dem Menschen die Lautsprache wurde, war in erster Linie bedingt durch die Entwicklung des Unterkiefers. Insofern hat Robinson recht, daß die Fähigkeit der artikulierten Sprache hauptsächlich von der Er- werbung des dem Affen gänzlich fehlenden Kinnes abhängig ist, natürlich nebenbei auch von der der Lippen, der Zunge, des Gaumens und der Nase, weshalb im vorhergehenden auch der Um- gestalt dieser Gesichtsteile mit gedacht worden ist, in zweiter Linie aber von der Gestaltung des Kehlkopfes, der ja bei der Bildung aller stimm- haften Laute beteiligt ist, ja nach der neueren Ansicht bei der von a, e, i, o, u mehr als die Zunge, so daß man von einer Kehlkopfartikulation sprechen kann. Leider liegt aber m. W. für die Entwicklung des menschhchen Kehlkopfes während des Diluviums gar kein Beweismaterial vor, daß eine solche und zwar in der Richtung vom Affen zum Menschen hin stattgefunden hat, ist jedoch zweifellos. Daß die Lautsprachen der Affen von der menschlichen so sehr abweichen, liegt wohl nicht bloß am Gehirn und Unterkiefer, sondern auch am Kehlkopf. Doch scheint die Stimme der nacli Roman es musikalische Kadenzen her- vorbringenden Gibbonart der menschlichen bereits mindestens ebenso nahe zu stehen als der des nur wie ein Raubtier brüllenden Gorillas. Allein dieser, der übrigens uns in der Gebärdensprache sehr nahe steht, so durch das Händeklatschen, hat wohl erst infolge seiner einsiedlerischen Lebensweise die Sprechtöne, die nach Garner den in Herden lebenden Affen, wie Pavian, Makat, für Futter, Trinken, Liebe, Alarm eigen sind, wieder verloren. Aber auch bei unseren Kindern tritt das Lallen, die Vorstufe des Singens und Gefühlsausdruck, eher ein (oft schon im ersten Monat) als das Sprechen. In der Regel beginnt das Lallen mit undeutlichen Selbstlauten, dann folgt deutliches ä und a. Demnach dürfte auch beim diluvialen Menschen der Kehlkopf sich früher und schneller dem unsrigen ähnlich ge- staltet haben als der Unterkiefer die entsprechende Umformung erlitt. Smith meint, daß die allmähliche Ausbildung der Sprachmu?keln vielleicht schon bei den höchsten Tieren eingesetzt habe. Die Tatsache, daß Hunde und Katzen dazu gebracht werden können, einige menschliche Worte ziemlich deut- lich nachzusprechen , bestätigt diese Vermutung. Sollte bei den Sprechtöne besitzenden Affen, die diese gegenseitig entlehnen, jenes nicht auch zu erreichen sein? Unbedmgt notwendig zur Erwer- bung einer artikulierten Sprache war also das Kinn nicht, doch für'die mannigfaltige Artikulation der alluvialen Menschensprachen scheint es dies zu sein. Gleichwohl besaß der Anfang des Diluviums lebende Affenmensch wahrscheinlich noch gar keine artikulierte Sprache, sondern nur neben der vorherrschenden Handgebärde wie die meisten Affen Sprechtöne, die aber wenigstens seit dem 3. Zehntel des Diluviums zahlreicher und unseren jetzigen stimmhaften Lauten ähnlicher wurden, als deren Keime oder Vorstufen sie anzusehen sind. Erst im 8. Zehntel des Diluviums ent- wickelten sich daraus die Anfänge einer arti- kulierten Sprache, die aber noch sehr einfach und leicht war und wohl nur aus stimmhaften Lauten sowie stimmlosen Lippenlauten bestand ähnlich wie sie die Lallsilben mancher Kinder im 2. Monat zeigen: anne, ange (einfaches Gaumen-n), arrr, brrr, ba, bu, appa. Im 9. Zehntel des Diluviums kamen wohl bei dem Mousterienmenschen die mit der Zungenspitze an oder über den Zähnen gebildeten einfachen Laute hinzu , wie in den Lallsilben : dada, tahu. Doch schloß der niedere platte Gaumen jedenfalls die Artikulation des Zungenrückens mit ihm noch aus. Diese ist erst für den Aurignacmenschen des 19. Zwanzigstels des Diluviums wahrscheinlich. Aber bei ihm war infolge des u förmigen Zahnbogens für die Zunge ein viel engerer Raum als jetzt vorhanden, so daß diese immer noch sehr einfach artikulierte und höchstens nur einige Doppelmitlaute mit gleicher Artikulationsstelle bildete, wie: mb, nk, Id, pf, nd, nt, die bei den Kindern vom 3. bis 13. Monat sich beim Lallen einstellen und auch die Negersprachen aufweisen. Jedenfalls war aber bis zu dieser Zeit die menschliche Sprache von allen jetzigen Sprachen verschiedener als diese es voneinander sind. Ja hier liegt wohl die eigentliche Sprachgrenze zwischen Diluvium und Alluvium. Denn für das letzte Zwanzigstel ist kein Grund vorhanden , weshalb der Mensch damals anders als jetzt artikuliert hätte, ja es ist sogar wahr- scheinlich, daß die Sprachen der damaligen Euro- päer den der jetzigen näher gestanden haben als die der jetzigen schwarzen Rasse und teilweise auch der gelben. Freilich waren wohl selbst die Träger der Magdalenienkultur noch nicht imstande, die Mitlaute derartig zu häufen wie der Germane und Slave, aber den Romanen mögen sie es darin gleich getan haben. Das Ausgeführte möge folgende Übersicht veranschaulichen : N. F. Xm. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 779 I. Eine wachsende Anzahl von Sprech tönen, die sich von den der Affen immer mehr ent- fernen und der Artikulation nähern bis über die IVlitte des Diluviums. II. Diluviale, d. h. von der jetzigen abweichende Artikulation: 1. Sehr einfache und sehr beschränkte Arti- kulation seit dem 8. Zehntel des Diluviums, 2. Einfach beschränkte Artikulation seit dem 9. Zehntel des Diluviums, 3. Einfache und beschränkte komplizierte .Arti- kulation seit dem 19. Zwanzigstel des Diluviums. III. Alluviale, d. h. mit der jetzigen im wesent- lichen übereinstimmende .Artikulation seit dem letzten Zwanzigstel des Diluviums. Es ist wohl klar, daß aus dem Indogerma- nischen abgeleitete Sprachgesetze nur für die letzte Periode (III) Geltung haben können, doch sind die aus dem Altägyptischen, Chinesischen und den jetzigen Sprachen der schwarzen Rasse erschlossenen höher zu bewerten. Für die II. kommt in erster Linie die Kindersprache in Be- tracht, für die I. außer dieser die der höheren Säugetiere. ') ') C. Franke, Die mutmaßliche Sprache der Eiszeit- menschen, 2. Auf!., Halle a. S., Waisenh. 1913. Einzelberichte. Geographie. Beiträge zur Kenntnis der Eis- zeit im Kaukasus. Nachdem H. Abich im Jahre 185S die Existenz einer Eiszeit im Kaukasus zuerst in Abrede gestellt hatte, mußte er sich später doch auf Grund des erdrückenden Beweis- materials zu einer Änderung seiner Ansicht ent- schließen, und auch andere Forscher, von denen hier nur E. Favre (1869 und 1876), J. Musch- ketow (1881), N. Dinnik (1890), A. Krasnow (1891), W. Michailowski (1894), Fournier (1896) und M. v. Dechy (1905 — 1907) genannt seien, haben durch eigene Beobachtungen eine weitergehende diluviale Vergletscherung im Kau- kasus festgestellt. Selbst in den am besten er- forschten Teilen des Gebirges herrscht jedoch eine große Unsicherheit über den Verlauf der Grenzen der ehemaligen Gletscher. Diese Un- klarheit bewog A. V. Reinhard in den Jahren 1910 bis 1913 zunächst im zentralen Teil des Gebirges die Richtigkeit der Beobachtungen früherer Forscher nachzuprüfen, dann aber diesen Teil, in dem ein ziemlich kontinentales Klima herrscht, zu verlassen und seine Untersuchungen auf den, maritimen Einflüssen ausgesetzten Süd- abhang des westlichen Kaukasus auszudehnen. Das untersuchte Gebiet im zentralen Teil des nördlichen Kaukasus fällt seinen Grenzen nach mit Digorien und Ossetien fast zusammen. Es umfaßt zwei scharf geschiedene Teile, das Berg- land im Süden und die Ebene im Norden, auf welcher fast sämtliche Flüsse in den Terek fließen. Das Bergland zerfällt seinerseits in drei morpho- logisch und geologisch selbständige Abschnitte, die parallel der Streichrichtung WNW-ESE ver- laufen. In der Mitte liegt die stark vergletscherte Hauptkette, aus Gneisen und Graniten bestehend, die beiderseits von metamorphosierten Schiefern begleitet werden. Typisch ist die asymmetrische Entwicklung ihrer beiden Abdachungen, indem der nach Süden gekehrte Abhang in seinem oberen Abschnitte viel steiler als der Nordabhang und dabei nur in geringem IVIaße gegliedert ist. Weniger ausgesprochen ist diese Asymmetrie im Bau der südlich vom Hauptkamm liegenden ebenfalls Gletscher tragenden paläozoischen Schieferkette, während die nördlich liegende gletscherfreie jurassische Kalkkette die Form des Hauptkammes wiederholt. Entsprechend dem asymmetrischen Bau der Hauptkette liegen die großen Gletscher hier hauptsächlich auf der Nord- seite. Eine Ausmessung des mit Gletschern be- deckten Areals ergab für den Nordabhang 18 5,91 qkm, für den entsprechenden Teil des Südabhanges da- gegen nur 61,96 qkm. Die dem Gebirge vorgelagerte Wladikawkas- Ebene liegt in einer von allen Seiten durch Höhen scharf umgrenzten Mulde. Abich hielt sie für ein eiszeitliches Seebecken, während v. Rein- hard gegen diese Deutung das gänzliche Fehlen typischer Seeablagerungen geltend macht, sowie das steile Gefälle, das deutlich den fluviatilen Ursprung verrät. Die Wladikawkas-Ebene erscheint ihm nicht nur morphologisch, sondern auch gene- tisch als ein Gegenstück zu der schiefen Ebene von München. Im Einzugsgebiete des Ardön ergab eine Re- konstruktion des eiszeitlichen Gletschers, daß zur Zeit der größten Entwicklung der Eisdecke die Gletscher des Nordabhanges der paläozoischen Schieferkette sich mit den Gletschern des Haupt- kammes vereinigten und die zwischen beiden gelegenen Längstäler des Mamissön und des Nar- don gänzlich ausfüllten und nach Norden durch die Kassard zum Ardon abströmten, wo der Haupt- gletscher bei Bis in 900 Höhe sein Ende erreichte. Weitere eingehende Detailuntersuchungen in den Flußgebieten des Urüch, des Ardön und des Terek lieferten dem Verfasser das Material zu einer Bestimmung der eiszeitlichen Schneegrenze. In dem zweiten Untersuchungsgebiet, der Südseite des westlichen Kaukasus, war von vorn- herein ein anderer Charakter der Eiszeit zu er- warten, denn die unmittelbare Nachbarschaft des Schwarzen Meeres und die vorherrschenden feucht- warmen Westwinde schaffen hier ein ozeanisches Klima. Die Erforschung des Msymta-Tales und 7 So Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 49 des Quellengebietes des Uruschten ergaben Spuren einer einzigen Hiszeit mit deren Rückzugsstadien. Seine eigenen Beobachtungen ergänzte A. v. Rein- hard durch ein sorgfältiges und umfangreiches Studium der einschlägigen Literatur und gelangte so zu folgendem einheitlichen Bilde der eiszeit- lichen Vergletscherung des Kaukasus: Das Schwergewicht der eiszeitlichen Ver- eisung lag, gleich dem heutigen, im westlichen Teil des Gebirges, wobei die Intensität gegen Osten zu abnahm. Die Gletscher der Nordab- dachung reichten im westlichen und zentralen Kaukasus fast bis zum Fuß des Gebirges herab, im östlichen blieben sie hoch im Gebirge und waren dabei viel kürzer: die großen Gletscher des Westens erreichten über 30 — 50 km Länge und endeten 900 — iioo m hoch (Teberdä, Urüch, Ardön, Terek), die des Ostens, bei einer Länge von höchstens 15- — 25 km, endeten in über 1500 m Höhe (Schach - nabat). Die Gletscher waren im großen und ganzen proportional ihrer der darauffolgenden Stadien 700 bis 800 m, 500 m und 300 m. Nach dem stattgefundenen Rückzuge der Gletscher setzte eine gesteigerte fluviatile Erosion ein, deren Betrag im Mittel lOO bis 150 m, in einigen Seitentälern 200 m und darüber erreicht. Als diese Erosion schon stark fortgescliritten war, folgte das zweite Vergletscherungsstadium. Die Gletscher erreichten diesmal nicht dieselben Dimensionen und vereinigten sich nicht miteinander. Sie reichten meist nicht aus den Seitentälern in das Haupttal hinaus. Infolge der großen Vertiefung der Täler seit dem ersten Vergletscherungsstadium reichten sie aber fast ebenso tief herab wie früher, etwa bis iioo bis 1200 m. Viele wichtige Tatsachen sprechen gegen die Annahme von zwei selbständigen Vergletscherungen. Vergleichen wir die Größe der Depression der Schneegrenze zu verschiedenen Momenten der Eiszeit in beiden Gebieten, so erhalten wir folgendes Bild: Zentraler Kaukasus Westlicher Kaukasus Vergletscherungsstadien Höhenlage der eiszeitlichen Depression unter Höhenlage der eiszeitlichen 1 Depression unter Schneegrenze der heuligen Schneegrenze der heutigen I = HauptvergletscheruDg 2300 m am Rande 2500 — 2700 m im Innern 1 100 m 800 — IIOO m 1400 m 1300 m II = I. Rückzugsstadium 700 — 800 m 1900 — 2000 m 700 — 900 m III = 2. 500 m 500 — 600 m IV = 3- 300 m 300 — 400 m heutigen Entwicklung angewachsen. Auch damals war der westliche Kaukasus, trotz der bedeutend kleineren Höhe des Gebirges viel stärker ver- gletschert als der östliche. Somit erscheint die eiszeitliche Vergletscherung des Kaukasus als eine Steigerung der heutigen. Im westlichen Kaukasus lag die eiszeitliche Schneegrenze während der maximalen Eisaus- dehiiung 14OO m hoch, d. h. um 1300 m tiefer als heutzutage. Der Hauptvergletscherung folgten drei Rückzugsstadien mit der Depression der Schneegrenze von 700 bis 900 m, 500 bis 600 m und 300 bis 400 m. Alle drei Stadien gehören einer und derselben Eiszeit an. Die Gletscher des Südabhanges reichten hier mindestens bis 500 m herab, blieben jedoch dabei tief im Ge- birge. Im zentralen Kaukasus, nämlich in den Tälern des Urüch, Ardön und Terek, können wir meist zwei, an einigen Stellen drei verschiedene Stadien der Vergletscherung unterscheiden. Es scheint sogar, ebenso wie im Msymtatale noch ein viertes Stadium unterschieden werden zu können. Die Schneegrenze lag in diesem Teile des Kaukasus während des ersten Stadiums bei 2300 m am Rande des Gebirges und etwas höher im Innern des Gebirgslandes. Die Depression erreichte am Rande iloo bis 1200 m und etwas weniger im Inneren (Grenzwerte iioo m und 800 m), solche Im allgemeinen stieg die eiszeitliche Schnee- grenze in östlicher Richtung empor, wobei sie im westlichen Kaukasus rund 1200 bis 1300 m tiefer lag wie im östlichen. Das stimmt im großen und ganzen mit dem überein, was wir heute be- obachten. Auch während der Eiszeit herrschte derselbe Gegensatz im Charakter des Klimas des westlichen und östlichen Kaukasus, wie heute; auch damals befand sich das Gebirge unter dem vorherrschenden Einfluß der feuchten Westwinde. Mit der zunehmenden Kontinentalität des Klimas in östlicher Richtung stieg die eiszeitliche Schneegrenze des Kaukasus in derselben Richtung hinauf. Mit diesem Ergebnis steht in vollem Ein- klang die Beobachtung von F. Machatschek in Zentralasien, der dort für die Depression der eiszeitlichen Schneegrenze im westlichen Tienschan einen Betrag von nur 550 bis 600 m während der maximalen Vergletscherung und von 200 m während des Rückzugsstadiums erhalten hat. Dabei war erstens die eiszeitliche Schneegrenze im west- lichen Kaukasus stärker herabgedrückt als im öst- lichen, wobei die Differenz in der Größe der Depression im Westen und im Osten rund 300 m betrug; zweitens war sie am Gebirgsrande stärker herabgedrückt, als in dessen Innerem. Aus allen diesen Befunden folgert A. v. Reinhard, daß die eiszeitliche Vergletscherung des Kaukasus die Folge einer Temperaturerniedrigung war. N. F. Xm. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 781 Außer mehreren Abbildungen und Profilen ist der Arbeit als besonders dankenswerte Beilage eine Karte der eiszeitlichen Vergletscherung des zentralen Kaukasus beigefügt , auf welcher der Verfasser in strenger Kriük die von ihm nach eigenen Beobachtungen rekonstruierten eiszeitlichen Gletscher durch die Farbentönung unterschieden hat von denen, die er auf Grund der Karte und der Literatur annehmen zu können glaubte, ein Verfahren, das entschieden Nachahmung verdient. Ein Literaturverzeichnis von 122 Nummern, in dem auch die zahlreichen russischen Arbeiten über dieses Gebiet angeführt sind, beschließt die wert- volle Abhandlung. ^) O. Baschin. Chemie. Die Pigmente der Braunalgen hat Richard WiUstätter zusammen mit H a r o 1 d J. Page näher untersucht.-) Es gelang diesen Forschern nachzuweisen, daß in den Braunalgen das Chlorophyll als solclies enthalten ist, und nicht in Form eines braun gefärbten Derivates, wie es verschiedene Forscher bisher angenommen haben. Die grüne Farbe ist in den Braunalgen nur verdeckt, und zwar deshalb, weil neben dem Chlorophyll noch gelbe Pigmente in größerer Menge vorhanden sind; das molekulare Verhältnis der grünen Farbstoffe zu den gelben beträgt etwa 1:1. Gegen das Vorkommen eines braunen Farbstoffs in den Braunalgen spricht auch die Tatsache, daß sich ihr Spektrum von dem der gewöhnlichen grünen Blätter nicht wesentlich unterscheidet. Das Chlorophyll der Phäophyceen besteht, ab- weichend von dem der Landpflanzen und der grünen Algen, fast ganz aus der a- Komponente ") ; vom Chlo- rophyll b sind höchstens bis zu 5 "/„ anwesend. Von den in den Braunalgen außer dem Chlorophyll an- wesenden P'arbstoffen Carotin, Xanthophyll und Fucoxanthin überwiegt der letztgenannte. Es kann mit Hilfe eines Verteilungsverfahrens zwischen einem Gemisch von Äiher und Petroläther und einem 30 "/u Wasser enthaltenden Methylalkohol von den anderen abgetrennt werden. Fucoxanthin bildet, wenn es aus Methylalkohol auskristallisiert, bläu- lich glänzende, braunrote, prismatische Kristalle von der Zusammensetzung C^iiH^^Og, die beim Zerreiben ein ziegelrotes Pulver geben; sie ent- halten im Molekül drei Moleküle Methylalkohol, ') Beiträge zur Kenntnis der Eiszeit im Kaukasus. Von Anatol V. Reinhard. Geographische Abhandlungen, Neue Folge: Veröffentlichungen des Geographischen Instituts an der Universität Berlin, Heft 2. 114 Seiten. 3 Tafeln, i Karte. Leipzig, B. G. Teubner. 1914. 6 Mk. ^) Liebig's Annalen 404, 237 — 71. ') Vgl. diese Zeitschrift 1914, S. 278. die im Vakuum abgegeben werden. Dabei wird die Substanz sehr hygroskopisch. An der Luft vertauscht das aus Methylalkohol auskristallisierte F'ucoxanthin allmählich den Alkohol unter Bildung von Hydraten mit 2 oder 3 Molekülen Wasser. In Wasser- bzw. alkoholfreier Form wird das F'uco- xanthin durch tropfenweisen Zusatz von niedrig siedendem Petroläther zu der Lösung in absolutem Äther erhalten. Alle Lösungen des Fucoxanthins sind sehr empfindlich gegen den Sauerstoff der Luft; sie zersetzen sich ferner leicht unter dem Einfluß des Lichtes. Bugge. Zoologie. Über die Zahl der Eier einiger Süßwasserfische enthält ein Bericht von Dr. G. Surbeck über den im Kanton Bern (Schweiz) im Wmter 191 3/14 vorgenommenen Fang von Laichfischen einige Angaben. ') Demnach lieferten reife Laichfische im Durch- schnitt folgende Zahl Eier: Bachforelle, Trutta fario L., 337 Eier, Äsche, Thymallus vulgaris Nils., 2300 Eier, Felchen , Coregonus balleus helveticus Fatio 4200 Eier, Felchen, Coregonus balleus palae Fatio 1 1 000 E. Nach Bade'-J beträgt die Zahl der Eier bei der Bachforelle 500 — 2000, bei der Äsche 2000 bis 5000. Die Zahl der Eier war mit 337 bei der Bach- forelle auffallend klein. Hier mag die Größe bzw. das Alter der Rogner (Weibchen) eine ausschlag- gebende Rolle gespielt haben. Nämlich im Gebiet der Aare allein, wo die Laichfische größer, d. h. älter, waren, traf es durchschnittlich 736 Eier auf einen Rogner. Bei der Äsche war die Zahl eine normale. Der große Unterschied zwischen der Eizahl der Coregonen des Thunersees (C. balleus helve- ticus Fatio) und denjenigen des Bielersees (C. balleus palea Fatio) ist sehr auffallend. Die Arten sind einander nahe verwandt, ja nur Lokalvarie- täten. Die Zahlen von 4200 und 11 000 stehen zu weit auseinander. Es dürfte hier ein Fehler vorliegen , der durch weitere Prüfungen zu be- seitigen ist. In der Literatur fehlen im großen und ganzen genaue und bestimmte Angaben über die Zahl der Eier der Angehörigen der Gattung Coregonus, welche man auch in anderer Beziehung den Ichthyologen noch manche Aufgabe zur Lösung aufgibt. Alb. Heß. ') Schweizerische Fischereizeitung Nr. 9, September 1914. *) Bade: Die mitteleuropäischen Süßwasserfische. Bücherbesprechungen. Church, G. E., Aborigines of South Arne- Der bereits im Jahre 1910 verstorbene Ver- rica. Herausgegeben von C. R. Markham. fasser dieses Buches, der amerikanischer Oberst XXIV u. 314 S. m. I Karte u. i Bild. London, war, ist viel in Südamerika gereist und er hat in Chapman & Hall. Zeitschriften verschiedene Aufsätze zur Geographie 782 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 49 Südamerikas veröffentlicht. Seit längerer Zeit sclion arbeitete er an einer Ethnologie Südamerikas, doch blieb das Werk bei seinem Tode unvollendet. Der fertiggestellte Teil, der nun von C. R.Mark - h a m herausgegeben wurde, behandelt alle Stämme des Amazonenstromgebieies, jene des Gran Cliaco, sowie die Araukanier,Pampasindianer und Patagonier. — Church sagt, über die Anfänge der menschlichen Besiedelung Südamerikas läßt sich nicht Sicheres feststellen. Wahrscheinlich ist, daß die bewohn- baren Gebiete bereits in jener Periode des Pliozän relativ gut bevölkert waren, aus welcher die in Südost-Bolivien, Argentinien und Brasilien in großen Mengen gefundenen Überreste von Landsäugetieren stammen. Die Veränderungen der Landoberfläche und des Klimas Südamerikas hatten zweifellos ausgedehnte Wanderungen der Menschen zur Folge, von denen sich allerdings nur mehr recht spärliche Spuren finden. Man trifft z. B. in Peru und Bolivien künstliche Terrassen in Höhenlagen, die gegenwärtig für Kulturzwecke vollkommen wertlos sind. Ob die Terrassen durch eine Land- erhebung in jene Höhe kamen, oder ob in diesen Hochgebieten einstmals wesentlich andere klima- tische Zustände herrschten, ist ungewiß. Church neigt der letzteren Ansicht zu. Der einstmals vorhandene große Titicacasee, sowie andere Andenseen und die südamerikanischen Inlandseen sind durch den Eintritt eines mehr trockenen Klimas langsam verschwunden, womit die Anden- hochländer und die Landschaften am Stillen Ozean ihre Fruchtbarkeit verloren, so daß die dort wohnenden Indianer einen schweren Kampf ums Dasein zu bestehen hatten. Die, welche die Klima- änderung überlebten, zogen sich in die Täler und Schluchten zurück, welche der Austrocknung ent- gangen waren. Nach der Klimaänderung wurde auch das jetzige Amazonentiefland bevölkert, das bis dahin von der Inlandsee bedeckt war. Die Fischerei an den vielen Flüssen, die dieses Land durchziehen, lohnte sich nur in der kühlen Jahres- zeit, bei klarem Wetter; sonst waren die Indianer auf die pflanzlichen und tierischen Produkte des Urwaldes angewiesen, wo sie ein düsteres und von Feinden stets bedrängtes Leben führten. Die zahlreichen breiten Flüsse des Amazonengebietes machten und machen noch jetzt den Verkehr zwischen den einzelnen Stämmen schwer; Stämme, die an Kopfzahl zunahmen, mußten sich der Nahrungsgewinnung wegen teilen, so daß die Zersplitterung immer größer wurde. In den Tief- ländern des Amazonenstroms ist der Mensch durch die Widerwärtigkeit der umgebenden Natur nie über das Stadium der Wildheit hinausgekom- men; selbst die Europäer vermochten dieses Ge- biet, das sie nun schon jahrhundertelang kennen — wenn auch sehr oberflächlich — nicht für die Kultur zu gewinnen. An den Hängen der Anden machten die Indianer dagegen einen wesentlich größeren F'ortschritt, sie haben hier die Oberstufe der Barbarei erreicht. Das kühle Klima der Berges- höhen zwang die Menschen zur Anfertigung von Kleidung wie zur Anpflanzung und Aufspeicherung von Feldfrüchten, wodurch die geistige Tätigkeit und der soziale F'ortschritt mächtig angespornt wurden. In tropischen Ländern haben die Men- schen die Neigung nach den kühleren hochge- legenen Landesteilen zu wandern. Wenn sie sich dort einmal angepaßt haben, gehen sie freiwillig nicht mehr in die heiße Tiefebene zurück, in die nur die schwächeren Stämme zurückgedrängt werden können. Südamerika bietet dafür eine Reihe von Beispielen. Church nimmt auch an, daß die Bevölkerung der Amazonentiefebene nicht aus der Bergregion herabkam, sondern anders- woher. Viel ausführlicher sind die Gesc'hicke der südamerikanischen Indianer während der nach- kolumbischen Zeit und besonders in moderner Zeit beschrieben. Church hat da eine Menge interessanten Materials angehäuft, das gewiß für weitere P'orschungen recht nützlich sein wird. Über die somatische Anthropologie der südameri- kanischen Indianer enthält das Buch nichts. H. Fehlinger. Kochalsky, Dr. phil. Arthur, Das Leben und die Lehre Epikurs, Diogenes Laertios Buch X. Übersetzt und mit kritischen Be- merkungen versehen, Leipzig und Berlin, 1914. Druck und Verlag von B. G. Teubner. — Preis geheftet 1,80 Mk., geb. in Leinw. 2,40 Mk. Das nach Angabe des Verf. hier zum ersten- mal deutsch vorliegende zehnte Buch des Diogenes Laertios enthält einen Lebensabriß Epikurs und die von ihm selbst herrührende, in Form von Briefen abgefaßte Zusammenstellung der Grund- züge seiner philosophischen Lehren. Auf die philologische Seite der Arbeit kann hier nicht eingegangen werden, und auch von Epikurs Philo- sophie, deren haupsächliche und nachwirkende Bedeutung bekanntlich auf dem Gebiete der Ethik und nicht auf dem der Naturerkenntnis liegt, ist für den Naturwissenschaftler nur ein Teil von Interesse. Vor allem gehört dahin seine Atomistik, wenn- gleich nicht Epikur selber der Schöpfer dieser Vorstellung ist, sondern sie von Demokrit über- nommen hat. Dessenungeachtet wird man seine gedankenreichen, natürlich nicht im modernen Sinne streng naturwissenschaftlich gehaltenen, sondern mit allgemein philosophischen Einschlägen durch- webten Ausfuhrungen über den atomistischen Aufbau der Welt mit Vergnügen lesen. Hier findet sich so mancher frappante und in die Tiefe führende Gedanke; so, um ein Beispiel zu geben, die Art, wie aus der angenommenen Unveränder- lichkeit der Atome ihre Oualitätslosigkeit abge- leitet wird. Epikur argumentiert: „Sodann muß man sich zu der Überzeugung bekennen, daß die Atome keine Eigenschaft der Erscheinungen an- nehmen außer Gestalt, Schwere, Größe und was naturnotwendig mit der Gestalt verknüpft ist. (Also keine Farbe, Geruch und dergl.) Denn jede Qualität ändert sich, die Atome aber ändern sich N. F. XIII. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 783 nicht im mindesten; denn bei den Auflösungen der Verbindungen, die wir Dinge nennen, muß etwas Festes und Unauflösbares bestehen bleiben, das die Veränderungen nicht ins Nichtseiende er- folgen läßt, und ebensowenig aus Nichtseiendem, sondern nur infolge von Lageverschiebungen. Deshalb sind notwendig die Elemente, deren Lage sich geändert hat, unvergänglich und das Wesen des sich Ändernden ist ihnen fremd; ebenso not- wendig ist es aber auch, daß sie als kleine Kör- perchen und spezielle Formationen zugrunde liegen bleiben." Übrigens tut man gut sich gegenwärtig zu halten, was ein Blick in die „Kritischen Bemer- kungen" am Schlüsse lehrt, daß der Text an sehr vielen Stellen verstümmelt vorliegt und daß man infolgedessen an diesen nicht Epikur un- mittelbar, sondern das liest, was der Übersetzer resp. Herausgeber für die wahrscheinlichste Meinung des Philosophen hielt. Daß dabei gelegentlich verschiedene Autoren zu direkt entgegengesetzten Auffassungen kommen, kann man etwa der aus- führlichen Anmerkung 53 entnehmen. Dort pole- misiert Kochalsky gegen Useners Ansicht, Epikur habe an der und der Stelle (§ 62 der Übers.) sagen wollen, daß Atome und Atomen- komplexe gleich schnell sich bewegen, und hält gerade das Gegenteil für Epikurs wirkliche Meinung. Wer also auf Einzelheiten eingeht, wird nicht um- hin können, mit dieser, dem Naturforscher unge- wohnten Erschwerung zu rechnen. Auch die oben zitierte Stelle gibt zu einer solchen Überlegung Anlaß. Sehr eigenartig und mit der Rolle und Be- deutung, die Epikur der Naturwissenschaft überhaupt zuweist, eng zusammenhängend, sind seine Ausführungen über spezielle natür- liche Phänomene, etwa über die Himmelser- scheinungen, unter die er sowohl astronomische als meteorologische Vorkommnisse zusammenfaßt. Die Erscheinungen, sagt er etwa, sind im allge- meinen mehrdeutig, sie können auf eine Weise A zustande kommen, aber auch auf eine Weise B, vielleicht gar eine dritte oder vierte. Wenn man sich nun, ohne den Erscheinungen Gewalt anzu- tun, sämtliche in Betracht kommende Möglich- keiten klar gemacht hat, ist es gut, und weiter soll man nicht gehen, vor allem sich nicht einer dieser Möglichkeiten unbedingt in die Arme werfen und sie als „wirkliche" oder „richtige" Erklärung den andern gegenüberstellen. Denn es genügt, sich klar gemacht zu haben, daß die Dinge, so oder so, jedenfalls aber natürlich und gesetzmäßig zusammenhängen, um der abergläubischen Furcht und der Beunruhigung des Gemüts enthoben zu sein. Mehr ist nicht nötig und durch eine ein- seitige Entscheidung kommt man höchstens dazu, den Erscheinungen Gewalt anzutun. — Man sieht, daß diese eigenartige geistige Freiheit, obschon nicht in ihrer Begründung, aber wohl in ihren Er- gebnissen, eine nicht allzu ferne Verwandtschaft mit recht modernen Vorstellungen aufweist. Wenn wir jetzt von allen Seiten betonen hören, nicht auf die Richtigkeit einer Hypotiiese, sondern auf ihre Brauchbarkeit komme es an, erscheint der geistige Abstand zwischen uns und Epikurs obigen Ausführungen gar nicht so groß und jedenlalls überbrückbar. Wasielewski. Kryptogamenflora für Anfänger. Band IV, i. Die Algen. i. Abteil, von Prof. Dr. Gustav Lindau. Mit 489 Fig. im Text. Berlin 19 14, J. Springer. — Preis geb. 7,80 Mk. Bei der großen Weitschichtigkeit und Unzu- gänglichkeit der Algenliteratur ist es verdienstlich, wenn dem Anfänger und Liebhaber hier in der bekannten Sammlung „Kryptogamenflora für An- fänger" ein Buch an die Hand gegeben wird, das ihm zu einem gewissen Teil das schwerere Rüst- zeug ersetzen kann und ihm die Möglichkeit gibt, die Objekte seiner Sammeltätigkeit zu bestimmen. Wie der Verf. in der Vorrede selbst auseinander- setzt, ist es bei dem Stande der Algologie gegen- wärtig kaum möghch, mehr als eine zuverlässige Kompilation zu geben. In dem vorliegenden Bande ist nur ein Teil der Algen behandelt, und zwar die Cyanophyceen, Flagellaten, Dinuflagellaten und Bacillariales. Die übrigen Abteilungen sollen dem zweiten Teile vorbehalten bleiben. In einem allgemeinen Ab- schnitt werden kurz und knapp nach einer Charak- teristik der Algen ihre Fundstätten, das Sammeln, Untersuchen und Präparieren behandelt, worauf eine Schilderung der allerwichtigsten morphologi- schen und physiologischen Eigenschaften der Algengruppen folgt. Den Hauptteil des Bandes bilden dann die Bestimmungstabellen. Auf 16 in den Text verteilten Seiten sind 489 einfache, aber recht instruktive Federzeichnungen beigegeben, die die Hauptformen veranschaulichen. Das Buch kann mit Vorteil verwandt werden. Miehe. Anregungen und Antworten. Herrn O. B. in Lokstedt bei Hamburg. Gibt es eine Möglichkeit, das Wachstum der Zelle unmittelbar unter dem Mikroskop zu beobachten? „Die Zelle" gibt es natürlich nicht, sondern es kann sich immer nur um bestimmte Zellen handeln. Am einfachsten wäre es, niedere , nur aus einer einzigen Zelle bestehende Organismen unter dem Mikroskop längere Zeit zu betrachten und ihre Teilung zu verfolgen, was man z. B. bei einer Spirogyra ganz gut kann. Noch besser und lehrreicher würde das Siudium des Wachstums von Pilzzellen sein, wenn auch vielleicht für den Anfänger oder Laien, der nur einen etwas schematischen Begriff von ,,der Zelle" besitzt, die Pilzzellen nicht so geeignet sind, den Begriff der Zelle zu beleben, wie manche anderen Zellen, die nun allerdings nicht in ähnlicher Weise gut zu beobachten sind als gerade jene. Da eine derartige Beobachtung sehr lehrreich und unterhaltend zugleich ist, zudem dem mikroskopierenden Laien meist nicht so nah gebracht wird als viele andere Objekte, die ihm die große Zahl der Anleitungen empfiehlt, will ich Ihnen ganz kurz schildern, wie Sie es anstellen, das Wachstum von Pilz- zellen zu studieren. Sie müssen sich zunächst ein Material für Ihre Sporenaussaaten beschaffen, d. h. irgendeinen Schim- melpilz einfangen. Sie tränken zu dem Zweck eine Scheibe Brot mit einer 5 proz. Zuckerlösung, legen es auf einen Teller und nachdem Sie es eine Weile offen haben liegen lassen, oder aber gleich mit etwas Staub infiziert haben, bedecken 784 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 49 Sie es mit einer Käseglocke , die Sie auf der Innenseite mit fest anliegendem angefeuchtetem Fließpapier bekleiden. Nach einiger Zeit — um so rascher je wärmer es ist — werden Sie auf diesem Brote die charakteristischen Flecke der Schim- melpilzkolonien auftauchen sehen in Gestalt grün , gelb oder schwarz gefärbter staubiger Massen. Nunmehr stellen Sie sich ein flüssiges Nährsubstrat her, in welchem die Sporen auskeimen können. Sie benutzen dazu am einfachsten eine Abkochung von trockenen Zwetschen, die Sie filtrieren und abermals aufkochen. Da eine so hergestellte Lösung natür- lich auf die Dauer nicht steril zu halten ist, empfiehlt es sich, entweder jedesmal bei Bedarf einen neuen Absud Iierzustellen oder aber den Vorrat öfter wieder aufzukochen. Jetzt handelt es sich darum, eine Vorrichtung zusammenzustellen, die es Ihnen erlaubt, lebende Objekte längere Zeit unter dem Mikro- skop zu beobachten. Dazu dient die Methode des sog. ,, Hängen- den Tropfens". Sie schneiden aus einer recht dicken Pappe ein Stück heraus, das etwa die Breite Ihres Objektträgers hat und dessen Länge zweckmäßig diese Breite übertrifft. Sie stanzen dann in der Mitte ein kreisrundes Loch heraus, dessen Durchmesser etwas kleiner sein muß als die Seite Ihres Deck- gläschens. Nun haben Sie alles beisammen. Sie fassen jetzt mit einer Pinzette ein Deckgläschen , ziehen es einige Male durch eine Spiritusflamme, um es zu sterilisieren, bringen als- dann mit der Öse eines in einen Glasstab eingeschmolzenen Platindrahtes , wie ihn z. B. der Chemiker benutzt und der ebenfalls vorher in der Flamme ausgeglüht sein muß, um ihn zu sterilisieren, einen Tropfen Ihres Pflaumendekoktes auf das Deckgläschen. Er soll sich flach ausbreiten, aber keinen größeren Durchmesser haben als 4 mm. Sie nehmen nun einen Ihrer Papprahmen, die Sie vorher in einem Gefäß mit Wasser abgekocht haben, und legen ihn, feucht wie er ist, auf den Objektträger. Sie berühren dann mit dem ausgeglühten (aber wieder erkalteten) Platindraht einen der staubigen Flecke auf dem Brote und lieben so eine Menge der Sporen ab, die aber nur klein sein soll, und berühren nun den Tropfen. Die Sporen verteilen sich in ihm, aber es sollen nicht zu viele sein, da dadurch später die Übersiclitlichkeit leiden würde. Ohne Zeitverlust (wie Sie überhaupt vermeiden müssen, den Tropfen eintrocknen zu lassen), kippen Sie nun das wieder mit der Pinzette erfaßte Deckgläschen mit einer geschickten Wendung so auf den Papprahmen, daß der Tropfen frei in den durch das Loch gescliaffenen Raum hineinragt. Nachdem Sie die Ränder des Deckgläschens fest auf den Papprahmen gedrückt haben, damit ein vollkommener Abschluß erzielt wird , legen Sie das Präparat zunächst zweckmäßigerweise unter die feuchte Glocke auf eine Unterlage und geben auf den Teller etwas Wasser, damit die Luft genügend feucht bleibt. Sie sehen nun von Zeit zu Zeit unter dem Mikroskop nach, ob die Sporen beginnen auszukeimen. Wenn die ersten hellen Keimschläuche aus ihnen heraustreten, lassen Sie das Präparat unter der stärkeren Vergrößerung des Mikroskopes liegen und verfolgen dauernd das Wachstum und die Ver- zweigung. Sie müssen aber jetzt dafür sorgen, daß der Rah- men dauernd mit Wasser gesättigt bleibt, was Sie leicht da- durch bewirken , daß Sie den Rahmen anfeuchten. Arbeiten Sie umsichtig, so brauchen Sie selbst bei lange dauernder Beobachtung nicht zu befürchten, daß Ihnen der Tropfen eintrocknet. Sie können so stundenlang das Wachstum, die Verzweigung verfolgen, auch die Geschwindigkeit messen, in- dem Sie mit Hilfe eines Okularmikrometers den Zuwachs in bestimmter Zeit feststellen, den Wert aber durch den Ver- größerungswert Ihrer Linse dividieren müssen. In ganz derselben Weise können Sie auch z. B. die Keimung von Pollenkörnern und das Wachstum der Pollen- scbläuche verfolgen. Sie bringen Pollenkörner verschiedener Pflanzen (z. B. von Kürbis, Monokotylen, Irapatiensarten usw.) in eine 5 — 10 proz. Zuckerlösung und beobachten sofort. Bei manchen Pflanzen beginnt bereits nach 15 Minuten die Keimung, und das Wachstum schreitet so rasch fort, daß man das Weiterschieben direkt sehen kann. Sehr viel schwieriger ist es, das Wachstum von Zellen zu studieren, die man aus dem Gewebeverbande durch Schnitte usw. herausgelöst hat. Denn wie das schon aus dem obigen hervorgeht, ist das Problem der fortlaufenden Beobachtung einzelner Zellen oder wenigzelliger Gewebestücke gleichzeitig das ihrer Kultur außerhalb des Gewebeverbandes. Dies Pro- blem ist aber weder bei Tieren noch bei Pflanzen bisher ge- löst worden, wenn es auch namentlich bei tierischen Geweben geglückt ist, sie eine Weile zu kultivieren. Für den Laien kommt natürlich dies nicht in Betracht. Wollen Sie aber z. B. Zell- und Kernteilung direkt verfolgen, so präparieren Sie aus ungeöffneten Blüten von Tradescantia virginica die Staubgefäße heraus und bringen eins in einen hängenden Troplen Wassers oder einer etwa 2 proz. Zuckerlösung. Wenn Sie jetzt die bekannten Haare an der Basis der Staubfäden bei stärkerer Vergrößerung einstellen, so können Sie sowohl in den verschiedenen Zellen der Haare die einzelnen Phasen der Teilung aufsuchen, als auch in einer in vorbereitender Teilungstätigkeit begriffenen Zelle den gesamten Verlauf der Teilung verfolgen. Sie wählen am besten die Spitzenzellen, da sie sich erfahrungsgemäß am häufigsten im Zustande der Teilung befinden. Auch die Alge Spirogyra eignet sich gut zum Studium der Zell- und Kernteilung, doch haben viele Arten die lästige Eigenschaft, sich bei nachtschlafender Zeit zu teilen. Als Hilfsmittel für botanisch-mikroskopisches Ar- beilen sei z. B. ,,Das kleine Botanische Praktikum für An- fänger" von Strasburger (in der 7. Auflage von M. Koernicke bearbeitet, Jena 1913) genannt, wo Sie z. B. auf S. 219 die Teilungsstadien der Staubfadenhaarzellen abgebildet finden. Miehe. Literatur. Verworn, Ma.x, Ideoplastische Kunst. Ein Vortrag. Mit 71 Abb. im Text. Jena '14, G. Fischer. 1,50 Mk. Sinram, A., Die Welt der höheren Erkenntnis und der Überzeugung. (Weltanschauung der notwendigen Selbstent- stehung.) Hamburg '14, Kommissionsverlag von Conrad Behre. Bumüller, Dr. Johannes, Die Urzeit des Menschen. 3. vcrm. Aufl. Mit 142 Abb. Köln '14, I. P. Bachern. 5 Mk. Sammlung Göschen. Kleb ahn, Prof. Dr. H. , Die Algen, Moose und Farnpflanzen. Mit 35 Figurentafeln. Hansen, Prof. Dr. Adolf, Die Pflanze. Mit 33 Abbildgn. Migula, Prof. Dr. W., Pflanzenbiologie. II. Blüienbiologie. Mit 28 Fig. Jedes Bändchen geb. 90 Pf. Halb faß, Prof. Dr. W., Das Süßwasser der Erde. Mit einem Porträt, 14 Tafeln und 13 Abb. im Text. 24. Band der , .Bücher der Naturwissenschaften". Leipzig. Philipp Reclam jun. Geb. I Mk. Sammlung Vieweg. Tagesfragen aus den Gebieten der Naturwissenschaften und der Technik. Heft 9/10: Prof. Dr. O. Lumraer. Verflüssigung der Kohle und Herstellung der Sonnentemperatur. Mit 50 Abb. 5 Mk. Prof. Dr. Albert Oppel, Gewebekulturen und Gewebepflege im Explantat. Mit 32 Textabb. 3 Mk. Prof. Dr. W ilhelm Foerster , Kalenderwesen und Kalenderreform. 1,60 Mk. Braunschweig '14. Fr. Vieweg und Sohn. Ude, Prof. D. Joh. , Kann der Mensch vom Tier ab- stammen? Graz und Wien '14. „Styria". Planck, Max, Dynamische und statische Gesetzmäßigkeit. Rede, gehalten bei der Feier zum Gedächtnis des Stifters der Berliner Friedrich Wilhelmsuniversität am 3. August 1914. Leipzig '14. J. A. Barth. I. Mk. Inhalt; Valcntiner: Vom Prinzip der Relativität. Franke: Die Bedeutung der diluvialen Menschcnskelette für die Sprachwissenschaft. — Einzelberichte: Ab ich: Beiträge zur Kenntnis der Eiszeit im Kaukasus. Willstätter und Page: Pigmente der Braunalgen. Surbeck: Zahl der Eier einiger Süßwasserfische. — Bücherbesprechungen: Church: .•\borigines of South .America. Kochalsky: Das Leben und die Lehre Epikurs. Kryptogamenflora für Anfänger. — Anregungen und Antworten. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafle 1 1 a, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H , Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. band; der ganzen Reihe 29. Band. Sonntag, den 13. Dezember 1914. Nummer 50. Das Leuchten und der Farbensinn der Fische. [Nachdruck verboten.] Von Privatdozent Dr In den letzten Jahren ist ein Kapitel der Sinnespliysiologie der Tiere, nämlich der Farben- sinn bei Wirbellosen und Fischen besonders in den Vordergrund gedrängt worden. Das Thema ist von größter Bedeutung — man denke nur z. B. an das noch immer nicht aufgeklärte Ver- hältnis der Insektenwelt zu den Farben — und kein Wunder daher, wenn ihm vonseiten der Biologen das regste Interesse entgegengebracht wird. Daß dem so ist, beweisen die zahlreichen Publikationen der letzten vier Jahre, die jene Frage zum Gegenstande haben, es bezeugten dies die im September 1913 zu Wien versammelten deutschen Naturforscher und Arzte, indem sie sich zum Vortrage des Münchener Physiologen v. Heß ,,Uber Entwicklung von Lichtsinn und Farbensinn in der Tierreihe" in überaus stattlicher Zahl einfanden ; ein anderer, diesem verwandter Vortrag „Zur Frage nach dem F"arbensinn der Tiere", gehalten vom Dozenten v. Frisch, zog ebenfalls ein zahlreiches Auditorium an. v. Heß und v. Frisch stechen aus der Reihe derer, die der obigen PVage näher getreten sind, am meisten hervor, ihre Ansichten stehen bekannt- lich schroff einander gegenüber. Der erstere Autor bestreitet einen Farbensinn bei Wirbellosen und bei Fischen, der letztere tritt für einen solchen ein. Nachdem nunmehr zahlreiche andere F'orscher mit eigenen Beobachtungen auf diesem Gebiete vor die Öffentlichkeit getreten sind, sollte man meinen, daß eine Musterung der Befunde zugunsten der einen oder anderen der beiden obigen Ansichten entscheiden müßte. Eine Zusammenstellung der einschlägigen Lite- ratur verdanken wir Kafka (1914) in einem der letzten Hefte dieser Zeitschrift. Von allen den- jenigen Angaben, die gegen von Heß sprechen sollen, hat besonders eine meine Aufmerksamkeit erregt und sie verdient wohl auf ihre Stichhaltig- keit hier näher geprüft zu werden. Kafka schreibt nämlich S. 472 : „Für das Vorhandensein eines Farbensinnes sprechen auch die bei ge- wissen Teleostiern in regelmäßiger Zahl und An- ordnung über den Rumpf verteilten Leuchtorgane, die nach Brauer (4) verschiedenfarbiges Licht laterad und ventrad oder kaudad und dorsad ent- senden und daher nicht, wie die am Kopf, an den Tentakeln oder an der Rückenflosse angebrachten Leuchtorgane als Scheinwerfer zur Erhellung des Gesichtsfeldes funktionieren können, sondern ver- mutlich zum Anlocken der Artgenossen dienen und das Aufsuchen der Geschlechter vermitteln." Ich beschäftige mich seit einer Reihe von Jahren mit Untersuchungen leuchtender Tiere und hätte , E. Trojan (Prag). stets gerne aus diesem Spezialgebiete etwas zur Klärung der PVage des Farbensinnes bei Fischen beigetragen; ich sah aber ein, daß dies nicht recht tunlich sei. Wenn man schon Brauer gegen v. Heß zitieren will, so muß man eine gründ- lichere Betrachtung anstellen. Brauer (1904) hat zum erstenmal in seiner vorläufigen Mit- teilimg zum großen Valdivia-Werke der Ver- mutung Ausdruck gegeben, daß die Leuchtorgane mancher Tiefseefische verschiedenfarbiges Licht ausstrahlen dürften. In der ausführlichen Be- arbeitung des Tiefseefischmaterials der Valdivia lesen wir bei ihm (1908, S. 151) folgendes hierüber: ,,In der vorläufigen Mitteilung (1904) hatte ich die Vermutung ausgesprochen, daß auch die Qualität des Lichtes verschieden sei und zwar daß es verschiedenfarbig sei, daß also im Dunkel derselbe Effekt durch Drüsen erzielt werde wie im Sonnenlicht durch die verschiedenfarbigen Pigmente. Ich hatte diese Ansicht gestützt auf den verschiedenen Bau der Organe bei ein und demselben Tier und auf die häufiger beobachtete verschiedene Färbung des Reflektors. Er erglänzt selbst bei Spiritusexemplaren silbern, grün, rot, violett. Auch von Cephalopoden beschreibt C h u n ähnliche verschiedenfarbig erglänzende Reflektoren. Indessen ist mir bei weiterer Über- legung und besonders bei weiterem Studium der Augen der Tiefseefische ein Bedenken gekommen. Eine solche verschiedene Färbung des Lichtes oder solche buntfarbige Zeichnungen würden ein sehr feines Unterscheidungsvermögen der Fische für Farben voraussetzen. Nach unseren jetzigen Anschauungen kommen als farbenempfindliche Elemente nur die Zapfen in Betracht. Diese fehlen nun aber den im Dunkeln lebenden Leucht- fischen ganz. Dieser Einwand scheint mir ge- nügend, um die ausgesprochene Vermutung hin- fällig oder wenigstens sehr wenig wahrscheinlich zu machen. Freilich für unmöglich halte ich ein verschieden farbiges Licht der Leuchtorgane auch jetzt noch nicht. Denn es ist noch sehr die Frage, ob für das Fischauge alle die physiolo- gischen Anschauungen Gültigkeit haben, welche wir uns für das Auge [auf Grund des Studiums des menschlichen Auges und der Augen anderer Landwirbeltiere gebildet haben. Wie man im zweiten Abschnitt sehen wird, zeigt das Auge der Dunkelfische viele sonderbare neue Verhältnisse, die vorläufig uns rätselhaft erscheinen müssen, denen aber schwerlich jemand eine große Be- deutung wird absprechen können, und so wäre es auch nicht unmöglich, daß auch die für die Stäbchen und Zapfen gebildeten Anschauungen 786 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 50 auf das Auge der Leuchtfische nicht ohne weiteres übertragbar sind." Ich glaube, aus diesem Zitat gewinnt man kaum den Eindruck, wie aus der oben erwähnten Stelle in Kafka's Sammel- referat, als hätte Brauer mit apodiktischer Ge- wißheit verschiedenfarbiges Licht den Tiefsee- fischen zuerkannt. Brauer selbst hatte die Fahrt der Valdivia nicht mitgemacht und war bei seinen Arbeiten an wertvolle, von Chun an Bord gemachte Notizen angewiesen. Von allen diesen kann aber nur eine einzige für unseren Zweck in Betracht kommen, da sie sich auf das Licht eines lebenden Tiefseefisches bezieht. Sie lautet nach Brauer (1908, S. 130) zitiert; ,,Da der Usch in kaltem Wasser vergnügt weiter lebte, wurde rasch eine Skizze des Kopfes gemacht und dann tötete ich ihn in der Dunkelkammer in An- wesenheit von Dr. Schmidt mit Formol. Das dreieckige Organ leuchtete zuerst grünlich-blau, dann in sanftem blauen Licht, welches dem Blau im Sonnenspektrum bei Linie F entspricht. Hier- mit ist, ich glaube das erste Mal, positiv der Nach- weis erbracht, daß es sich um Leuchtorgane handelt 1 Ausdrücklich sei bemerkt, daß beide Organe leuchteten." Die anderen Angaben Chun 's, die sich auf F'arben von Leuchtorganen beziehen, gelten nicht mehr lebenden Leucht- fischen , sondern dem Glanz der Leuchtorgane, hervorgerufen durch die Beschaffenheit ihres Re- flektors ; so glänzte eines rot wie Rubin, andere besaßen Perlmutterglanz, noch andere schimmerten grün, blau oder violett. Von anderen Personen, die bisher Fische mit funktionierenden Leucht- organen gesehen haben , lege ich folgende von Brauer sorgfältigst zusammengetragenen Daten vor. Günther (1887, S. 32) beobachtete ein grünes oder blaßrotes Licht, Thomson & Murray (1885, P. II, S. 521) berichten von einem rosa, rötlichen und violetten; Benett (zit. n. Johann, 1899, S. 152) spricht von einem grünlich phos- phoreszierenden. Beer (Johann 1899, S. 159) von einem grünlichen Schein; Chun machte Brauer auch eine mündliche Mitteilung über grünliches Licht. Die Angaben Ma ngol d's (1907) lauten auf Nuancen von weiß, gelb, grüngelb, grün- lich, blau mit überwiegendem gelb und grüngelb; Van hoffen (1902, S. 70) war Zeuge von einem grünlichen, Grass i (zit. n. Chiarini 1900, S. 19) von einem bläulichen, Chun nach einer anderen Mitteilung an Brauer von einem perlmutter- glänzend bläulichen, grünlichblauen oder blauen, Green (1899) von weißem. Steche (1907) von grünlichweißem Leuchten. In der Tat erscheint die Farbenskala, wenn man diese Reihe von An- gaben überblickt, ziemlich komplett; aus dem Um- stände aber, daß bläulich und grünlich weitaus überwiegen, ersieht man schon, daß die Natur mit Farben in den Tiefen offenbar nicht allzu freigebig ist. In den Hunderten von Fällen, da ich Licht von lebenden Seetieren ausstrahlen sah, war es bis auf rot in allen oben bezeichneten Farben vorhanden; doch wie dürfen diese einge- schätzt werden ? Was mir gelb, grün, blau und violett erschien, war niemals der reine ausge- sprochene Farbton, sondern konnte nur als ein Stich ins Gelbe, Grüne, Blaue und Violette be- zeichnet werden. Und so kam ich, wie gewiß manch anderer bei gleichen Untersuchungen, in Verlegenheit, das wahrgenommene Licht seiner Farbe nach richtig zu spezifizieren. Damit will ich aber durchaus nicht den Eindruck erwecken, als ob ich verschiedenfarbiges Licht bei Tiefsee- fischen für ausgeschlossen hielte. Wiederholt habe ich in Wort und Schrift hervorgehoben, daß ich mich Brauer's trefflicher Auffassung ge- wisser Leuchtorgane als Ersatz von Farbenzeich- nungen bei Tiefseefischen ganz anschließe, ja ich glaube noch weiter gegangen zu sein, als ich in einer Monatsversammlung (Mai, 1913) des „Lotos" in Prag jene Einrichtung das Hochzeitskleid der Fische nannte und diese Ansicht plausibel zu machen versuchte. Ich stützte mich auf eigene Beobachtungen und Literaturangaben. Spinax niger, dessen Leuchten Beer (Johann, 1899, S. 159) mehreren Herren an der Zoologischen Station in Neapel demonstriert hat, wurde mir, als ich an derselben Stätte im März und April igo6 weilte, nach mühseligem Suchen durch den unver- geßlichen Lo Bianco in 3 schönen lebensfrischen Exemplaren, 2 alten und i jungen, verschafft. Ich habe die Tiere 4 Tage und auch bei Nacht im Aquarium beobachtet, alle bekannten Methoden, die für das Hervorrufen der Luminiszenz bei Tieren erprobt waren, angewendet, ohne das ge- ringste Leuchten wahrzunehmen. Green (1899) hat Porichthys notatus, einen Fisch, der mehr als 300 Leuchtorgane besitzt, lange Zeit im Aquarium gehalten, konnte jedoch niemals ein Leuchten be- merken. Wie soll man sich's erklären, wenn auch andere Fische wie Dactylostomias und Maurolicus, trotzdem mit zahlreichen Leuchtorganen ausge- stattet und lebensfrisch stunden-, auch tagelang in Aquarien gehalten, kein Licht von sich geben außer bei Anwendung stärkster Reize? Ich glaube, daß uns die Angaben Green 's am ehesten einen Wegweiser geben. Wenn Porichihys-Exemplare, die aus größeren Tiefen gefangen worden waren, zum Leuchten überhaupt nicht gebracht werden konnten, wohl aber solche zur Zeit als sie unter Felsen die junge Brut bewachten, kann man wohl annehmen, daß es die Paarungszeit ist, die den Leuchtorganen der Tiefseefische Leuchtkraft ver- leiht. Will es der Zufall, daß ein solcher Fisch gerade um diese Zeit in die Hände eines Forschers gelangt, genießt dieser bequem den herrlichen Anblick, derweil ein anderer zu anderen Zeiten bei derselben Spezies sich um das Leuchtphänomen entweder umsonst bemüht oder mit einem kümmer- lichen Lichtschimmer des unter schärfsten Reiz- mitteln verendenden Tieres entlohnt wird. Er- klärlich wäre die Erscheinung, wenn wir be- denken, daß im Tierreiche allgemein zur Zeit des entfesselten Geschlechtstriebes der Stoffwechsel gesteigert ist. Ein solcher kommt dann nament- N. F. Xni. Nr. so Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 787 lieh in der Körperbedeckung, so durch Aus- bildung bunter Farben zum Ausdrucke. Analog könnte, so denke ich mir, eine gesteigerte Lebens- enern-ie bei manchen Tiefseefischen, ein Licht in der Haut der Tiere entfachen, das Artgenossen herbeilockt. Gewiß ist aber auch dann jene Ver- mutung, die den prächtigen Schimmer des Hoch- zeitskleides in Farben ausmalt, erlaubt. Indessen liegt zurzeit noch sehr wenig Tatsachenmaterial vor, als daß man derlei Betrachtungen mehr als Hypothesencharakter zusprechen könnte. Und gerade darauf hinzuweisen, daß Brauer, der bisher gewiß das Meiste und Gediegendste über leuchtende Tiefseefische zu sagen wußte, hinsich- lich verschiedenfarbigen Lichtes der Leuchtorgane nur eine Vermutung ausgesprochen hat, schien mir derzeit wichtig, da es in einem Streite, wie er von Heß und Frisch geführt wird, nicht gleichgültig ist, ob die gegenteiligen Ansichten mit Vermutungen oder positiven Tatsachen be- kämpft oder gestützt werden. Literaturverzeichnis. 1904. Brauer, A., Über die Leuchtorganc der Knochen- fische. Verh. D. Zool. Ges., Leipzig. 190S. , Die Tiefseefische. 11. Anatomischer Teil. Wiss. Erg. D. Tiefsee-Exp. „Valdivia", Bd. XV, 2. Lief. 189g. Green, Ch. W. , The phosphorescent organs in the toadfish, Porichthys notatus Girard. Journ. of Morphol., V. 15. 1SS6. Günther, A., Handbuch der Ichthyologie. Wien. 1899. Johann, L. , Über eigentümliche epitheliale Gebilde (Leuchtorgane) bei Spinax niger. Z. wiss. Zool., Bd. Ö6. 19 14. Kafka, G., Neuere Untersuchungen über den Farben- sinn der Fische. Naturw. Wochenschr. Bd. 13, S. 465 bis 474. 1907. Mangold, E., Über das Leuchten der Tiefseefische. Arch. ges. Phys. Bd. 119. 1907. Steche, O. , Über leuchtende Oberflächenfische aus dem malayischen Archipel. Verh. D. Zool. Ges. 1885. Thomson und Murray, Report sc. res. Voyage ,,Challengcr". Narrative. 1902. Vanhoeffen, E. , Biologische Beobachtungen von der Deutschen Südpolar-E.\ped. Veröff. Inst. Meeres- kunde und des Geogr. Inst. Berlin. H. 1. Diluviale menschliclie Skelettreste aus deu thüriiiffiscli-sächsisclien Ländern. [Nachdruck verboten.; Von Hugo Mötefindt in Wernigerode. In den letzten Jahren hat die wissenschaftliche Prüfung eines der größten Deutschen aus Weimar, unseres Dichterfürsten Schiller, nicht nur die ge- lehrten Forscher beschäftigt, sondern weit über den engen Kreis, in dem anthropologische F"ragen sonst erörtert zu werden pflegen, hinaus Aufsehen erregt. Noch sind die Gelehrten unter einander nicht einig, welches der echte Schillerschädel ist ^) — da geht durch die Zeitungen die Nach- richt, daß in der näheren Umgebung desselben Weimar ein Schädelfund im Diluvium zu Tage gekommen ist, der als Forschungsobjekt an wissen- schaftlicher Bedeutung dem Schillerschädel zum mindesten gleichkommt, vielleicht sogar über- trifft. Wir benutzen die Gelegenheit der Auffindung dieses vorgeschichtlichen Menschenrestes, um ein- mal zusammenzustellen, was an diluvialen mensch- lichen Skelettresten in den thüringisch-sächsischen Ländern bisher zu Tage gekommen ist. Bereits seit den siebziger Jahren waren Spuren von der Anwesenheit des diluvialen Menschen in den thüringisch-sächsischen Ländern bekannt. In den letzten zehn Jahren sind außerordentlich viel neue Fundstellen aufgefunden worden, die nur aufs neue die Anwesenheit des diluvialen Menschen in den thüringisch-sächsischen Ländern bestätigten. Die diluvialen Fundstellen sind in dieser Land- ') Die wichtigsten einschlägigen neuesten Veröffentlichungen bilden das Werk von A. v. Froriep, der Schädel Friedrich V. Schiller's und des Dichters Begräbnisstätte (Leipzig 19 13) und die Abhandlungen von R. Neuhaus in der Zeitschrift für Ethnologie 1913, S. 973 und 1914, S. 114; die ältere Literatur findet man in diesen drei Veröffentlichungen ver- zeichnet. Schaft plötzlich so zahlreich geworden, wie man es früher wohl nie erwartet hatte, und Thüringen dürfte, wenn hier ein Spezialforscher, mit den für derartige Forschungen nötigen Geldmitteln aus- gestattet, sich dieses Forschungszweiges annehmen würde, an Zahl und Bedeutung der Fundstellen alle übrigen Landschaften Deutschlands weit über- treffen. Da einige dieser neuen F"undstellen noch nicht in weiteren Kreisen bekannt sein werden, wollen wir zunächst einmal zusammenstellen, was uns an diluvialen Fundstellen aus den thüringisch- sächsischen Ländern und den angrenzenden Ge- bieten überhaupt bekannt ist. Aus der Epoche des Chelleen liegen merk- würdigerweise aus der ganzen Landschaft keine Funde vor; sollten die Spuren von der Anwesen- heit der Menschen während dieser Zeit nur noch nicht gefunden sein oder ist der Mensch in dieser Zeit — vielleicht aus klimatischen Grün- den — noch nicht bis hierher vorgedrungen ge- wesen ? Die zweite Stufe des Altpaläolithikums, das Acheuleen, ist dagegen sehr reich vertreten; drei reiche Stationen sind bisher bekannt. I. Markkleeberg, Kreishauptmannschaft Leip- zig. Literatur: R. R. Schmidt, die diluviale Vorzeit Deutschlands. Stuttgart 1912 (wo auch die ältere Literatur sich verzeichnet findet). M — K. H. Jacob, Das Alter der altpaläolithischen Fundstelle Markkleeberg. Prähistorische Zeit- schrift V, 1913. S. 331 ff. ') Die ältere Literatur wird im folgenden, soweit sie in diesem grundlegenden Werke verzeichnet ist, nicht besonders angegeben, 788 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 50 2. Lindenthaler Hyänenhöhle bei Gera (Reuß). Literatur: R. R. Schmidt a. a. O. S. lOi. 3. Hundisburg, Kr. Neuhaldensleben. Literatur: R. R. Schmidt a. a. O. S. 99. Dieaufdas Acheuleen folgende Periode, das M o u - s t e r i e n , ist in fünf Stationen vertreten, unter ihnen die bedeutendste Station der Landschaft überhaupt, die unerschöpflichen unteren Schichten der Travertine des Ilmtales zwischen Taubach und Weimar. 4. Taubach-Weimar-Ehringsdorf (Sachsen- Weimar-Eisenach). Literatur: Götze, Höfer, Zschiesche, Die vor- und frühgeschichtlichen Altertümer Thüringens. (Würzburg 1909). S. XI. 263. 281. 287. — R. R. Schmidt a. a. O. S. 97. 219. 238. 260. — Außer der in diesem letzten Werke auf S. 97 zusammengestellten Literatur sind im Laufe der Zeit noch erschienen: E. Eich- horn, Die paläolithischen Funde von Taubach in den Museen zu Jena und Weimar (Jena 1909). — L. Pfeiffer, Das Zerlegen der Jagdtiere in der Steinzeit. Eine vergleichende Untersuchung der diluvialen Knochenlager aus der Lindenthaler Hyänenhöhle bei Gera, der Hyänenhöhle auf dem Roten Berge bei Saalfeld und aus Taubach-Ehrings- dorf. Korrespondenzblätter des allgemeinen ärzt- lichen Vereins von Thüringen. 1910. — R. R. Schmidt, Das Altpaläolithikum Deutschlands und seine Parallelen mit dem altpaläolithischen Kulturkreise Westeuropas. Mannus-Ergänzungs- band II, 191 1. S. 43. — R. R. Schmidt, Das Alter der paläolithischen Stationen des Ilmtales. Korrespondenzblatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie 191 2. S. 57. — E. Wüst, Die Chronologie des Paläolithikums der Gegend von Weimar. Ebendort S. 51. — E. Wüst, Die pleistozänen Ablagerungen des Travertingebietes der Gegend von Weimar und ihre Fossilienbe- stände in ihrer Bedeutung für die Beurteilung der Klimaschwankungen des Eiszeitalters. Zeit- schrift für Naturwissenschaften. Band 82. S. 161 — 252. — 4 a. Markkleeberg siehe oben Nr. i. 5. Schkeuditz, Kr. Merseburg. Literatur: F. M. Nabe, Vor- und frühgeschichtliche Alter- 'tumsfunde in Leipzig und Umgebung. Leipziger Kalender 191 3. 6. Hermannshöhle bei Rübeland, Kr. Blanken- burg. Literatur: R. R. Schm idt a. a. O. S. 102. Außerdem H. Mötefindt, Die altsteinzeitlichen Funde aus der Baumanns- und Hermannshöhle. Braunschweiger Magazin 191 3 S. 57. 7. Baumannshöhle bei Rübeland, Kr. Blanken- burg. Literatur : wie Nr. 6. Das auf das Mousterien folgende Aurig- n a c i e n ist sehr schwach, nur in zwei Stationen vertreten : 8. Thiede, Kr. Wolfenbüttel. Literatur: R. R. Schmidt a. a. O. S. 102. 9. Westeregeln, Kr. Halberstadt. Literatur: wie Nr. 8. Aus dem Solutreen liegen keinerlei Funde vor. Das Magdalenien endlich ist nur ein einziges Mal vertreten. 10. Pennikental bei Oberwöllnitz, Verwaltungs- bezirk Apolda (Sachs.- Weimar). Literatur: Götze, Höfer, Zschiesche a. a. O. S. XIII und 317. — R. R. Schmidt a. a. O. S. 104. Zu diesen 10 chronologisch festlegbaren Sta- tionen kommt noch eine Reihe anderer, die überhaupt noch nicht untersucht sind und die deshalb bisher nur einige wenige Fundstücke ge- liefert haben, die kaum Anhaltspunkte für eine chronologische Festlegung geben; von derartigen Fundstellen nenne ich hier folgende: 1 1 . Großer Fallstein bei Osterode a/H., Kr. Osterode. Literatur: R. R. Seh m id t a. a. O. S. 104. 12. Rabutz, Kr. Halle a/S. Literatur: R. R. Schmidt a. a. O. S. 104. — Zeitschr. f Ethno- logie 1907. S. 721. 13. Krölpa, Kr. Ziegenrück. Literatur: Götze, Höfer, Zschiesche a. a. O. S. 385. — Götze, Eine paläolithische Fundstelle bei Pößneck in Thür. Zeitschr. f. Ethnologie 1903, S. 490 ff. 14. Saalfeld, Kr. Ziegenrück. Literatur: Götze, Höfer, Zschiesche a. a. O. S. XIII und 382. — R. R. Schmidt a. a. O. S. 104. 15. Mühlhausen, Kr. Mühlhausen. Literatur: Götze, Höfer, Zschiesche a. a. O. S. XIII und 265. 16. Jena (Galgenberg und Böhmesche Ziegelei). Literatur: Götze, Höfer, Zschiesche a. a. O. S. XIII und 305. — R. R. Schmidt a.a.O. S. 104. 17. Wüste Scheuer bei Döbritz, Verwaltungs- bezirk Neustadt, Sachs. Meiningen. Literatur: Götze, Höfer, Zschiesche a. a. O. S. XIII und 390. — R. R. Schmidt a. a. O. S. 103. 18. Köstritz und Pahren bei Gera, Reuß. Literatur: R. R. Schmidt a. a. O. S. 104. Außerdem müssen schließlich noch die Fund- stellen angeführt werden, an denen vielleicht der diluviale Mensch gewohnt hat, wenn es auch bisher noch nicht gelungen ist, einen sicheren Nachweis dafür zu erbringen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhange zunächst die berühmte 19. Einhornhöhle bei Scharzfeld, Kr. Osterode. Literatur: Götze, Höfer, Zschiesche a. a. O. S. 192 u. 397. — R. R. Schmidt a. a. O. S. 226. 20. Bilzingsleben, Kr. Eckartsberga. Literatur: Götze, Höfer, Zschiesche a. a. O. S. XIV u. 98. 21. Clingen, \^erwaltungsbezirk Sondershausen (Schwarzburg-Sondershausen). Literatur: Götze, Höfer, Zschiesche a. a. O. S. XIV u. 179. 22. Greußen, Verwaltungsbezirk Sondershausen (Schwarzburg-Sondershausen). Literatur: Götze, Höfer, Zschiesche a. a. O. S. XIV u. 180. Einwandfreie Spuren des diluvialen Menschen sind uns also aus den thüringisch-sächsischen Ländern und ihrem Nachbargebiete in genügender Zahl erhalten. Leider ist nur der diluviale Mensch bis jetzt noch nicht persönlich in ganz erhaltener N. F. XIII. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 789 Gestalt erschienen, um sich den wissensdurstigen Epigonen zur Untersucluing zu stellen. In den oben angeführten 22 Stationen sind nämlicli ein- wandfreie Skelettreste des diluvialen Menschen bisher nur an einer Stelle zutage gekommen. In den Gipsbrüchen von Kost ritz und Fahren sind in den zwanziger Jahren von einem Dr. Schottin einige Menschenknochen gefunden, die seinerzeit viel Aufsehen erregten. Die Knochen sind zum Teil im britischen Museum, zum Teil in Berlin. Im Berliner geologischen Landesmuseum befinden sich folgende vier Stucke; zwei Oberschenkel, ein Oberarm, ein Rippenstück. Der eine Oberschenkel ist merkwürdig flach ge- drückt und erinnert in seiner Form an den ent- sprechenden Knochen des Neandertalmenschen. Diese Skelettreste sollen mit Flefantenknochen zusammengefunden sein. Um eine ungestörte Lagerstätte hat es sich jedoch allem Anschein nach hier nicht gehandelt. Beim Nachsuchen sind von Dr. Liebe, Gera an einigen Stellen der Köstritzer Gipsbrüche auch alluviale Knochen von rezenten Tieren und auch Menschenknochen gefunden worden, welche in die Gesteinsspalten von der Oberfläche hineingespült sein können. Ein Menschenschädel, der zusammen mit Renn- tierknochen aufgefunden sein soll, soll in der Berliner Universitätssammlung aufbewahrt werden ; näheres ist mir jedoch über ihn nicht bekannt. Der ganze Fund hat demnach als unsicher aus- zuscheiden.') Gleich vom Beginn der Ausbeutung der Tau- bacher Gruben an wurde auch hier eifrig von den gelehrten Besuchern Taubachs nach Menschenknochen gesucht und gefragt. Das Re- sultat war, daß ein menschlicher Schädel präsen- tiert wurde, welcher angeblich im diluvialen Sande gefunden worden war. Später stellte sich heraus, daß er „in der Nähe dieser Fundstelle" gefunden war-); vermutlich stammt er aus einer gerade über der paläolithischen Ansiedlung im Humus befindlichen neolithischen Station. Einem raffiniert angelegten Versuch, in Tau- bach drei rechte Oberarmknochen aus neolithi- scher Zeit in die Sandschichten des Tuffes ein- zuschmuggeln, wäre Pfeiffer, wie er in seiner oben angeführten Abhandlung schreibt^), im Jahre 1873 beinahe zum Opfer gefallen; glücklicher- weise vermochte er den Schwindel noch recht- zeitig zu entlarven. Es war das in der Zeit, als die Mammutzähne von Süßenborn korbweise nach Taubach kamen und dort willige Käufer fanden. ') Vgl. hierzu: L. Pfeiffer, Über die Sltelettreste des Menschen und die bearbeiteten Tierlinochen aus der Diluvial- zeit Thüringens. Korrespondenzblätter des allgem. ärztlichen Vereins von Thüringen. 1909. — Das dort angeführte Werk von Löscher, der diluviale Mensch (1907) war mir selbst durch Vermittlung der königl. Bibliothek in Berlin nicht zu- gänglich. '■') Vgl. Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthro- pologie usw. 1S72 S. 260 u. 270, 1S77 S. 27, 1S92 S. 371. ") Über die Skelettreste des Menschen usw. S. 5. Außer diesen nicht einwandfreien und zum Teil gefälschten Funden sind zwei mensch- liche Zähne in den Kalktuffen von Taubach gefunden. Dr. Weiß aus Hildburg- hausen fand im Jahre 1892') beim Sammeln von Conchylien in der Taubacher Kulturschicht einen Kinderzahn, der in der Qualität der Substanz mit den übrigen Fossilien übereinstimmte. Der Zahn befindet sich noch heute in dem Besitz dieses Arztes. Nach den Untersuchungen von \eh ring u. a.") handelt es sich um einen stark abgenutzten vorderen Milchbackenzahn aus der linken Unter- kieferhälfte eines menschlichen Kindes. Der Zahn muß aus verschiedenen Gründen kurz vor dem Wechsel ausgefallen sein und dürfte demnach einem Kinde von 8 — 9 Jahren angehört haben. An dem Zahne ist die Krone stark abgenutzt; diese Abnutzung ist weit stärker als sie es sonst bei Kinderzähnen der modernen Kulturvölker Europas zu sein pflegt, und man wird deshalb mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten dürfen, daß die starke Abnutzung der Milchbackenzähne durch die primitiven Nahrungsverhältnisse der Vorzeit zu erklären ist. Die Abnutzung geht schräg von vorn nach hinten, so daß der vordere linguale Randhöcker noch als Erhebung besteht. Die Abnutzung der Krone überhaupt ist durch die Ernährungsweise bedingt; die hier vorliegende schräge L'orm der Abnutzung erklärte A. N e h r i n g für pithekoid. Der zweite Zahn ist seiner Zeit von einem Steinbruchsarbeiter an Professor Kl op fleisch abgegeben worden; er ist von dem Besitzer einer der Gruben, der sonst als zuverlässiger und in- telligenter Mann bekannt ist, gefunden, und zwar in derjenigen Schicht, welche einerseits durch paläolithische Spuren menschlicher Existenz, änderet seits durch zahlreiche Fossilreste einer alt- diluvialen I'auna bemerkenswert erscheint. Die Herkunft dieses Zahnes aus der paläolithischen Kulturschicht kann demnach auch als sicher gelten. Seh Hz ist der Ansicht, daß die Zuge- hörigkeit zu der paläolithischen Fundschicht auch noch durch einen Vergleich mit den Zähnen von Krapina sichergestellt wird. Dieser zweite Zahn befindet sich heute im Germanischen Museum in Jena. Nach A. Nehring ist es der erste Molar aus der linken Unterkieferhälfte eines Erwachsenen mit langer und breiter Zahnkrone, mit fünfhock- riger , auch sonst stark gefalteter Kaufläche,- schwacher Kreuzfurche und besonderer Entwick- lung des vorderen labialen Höckers. Nehring findet diesen komplizierten Bau pithekoid.^) ') Nicht 1S78, wie L. Pfeiffer a.a.O. angibt. ^) Zuletzt hat A. Schliz in dem großzügig angelegten Werke von R. R. Schmidt, die diluviale Vorzeit Deutsch- lands, igi2 S. 238, darüber gehandelt; dort findet sich auch die ältere Literatur zusammengestellt. ^) Pfeiffer irrt sich, wenn er in seinem Aufsatz ,,Das Zerlegen der Jagdtiere usw." S. g schreibt, pithekoide Merk- male wären an diesem Zahn nach Nehring's Untersuchung nicht vorhanden. Vgl. A. Nehring, Über einen mensch- lichen Molar aus dem Diluvium von Taubach bei Weimar 790 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. SO Die beiden Zähne bilden unter den l'undcn von Taubach nicht nur höchst interessante, son- dern auch höchst bedeutsame Objekte. Beide Zähne gehören zu den ältesten Menschenresten, welche bisher aus Europa bekannt geworden sind. Sie beweisen nicht nur die Existenz des Menschen für die betreffende P'undschicht, sondern der erste Zahn läßt auch einige Kigentümlich- keiten des Milchgebisses des betreffenden In- dividuums erkennen, aus denen Vermutungen über die Lebensweise bzw. Nahrung der diluvialen Be- wohner Deutschlands sich ergeben. Im Sommer 1908') wurden inEhringsdorf ca. 15m tief im Tuffsteinfelsen Reste vom Seiten- wandbein des diluvialen Menschen aufgefunden; diese Reste sind aber so dürftig, daß eine nähere Beschreibung unmöglich ist. L. Pfeiffer hat für diese letzteren Stücke die Frage des Kannibalismus aufgeworfen.'-) Die Vorkommnisse an anderen gleichaltrigen Wohn- plätzen (z. B. Krapina in Kroatien, h^urfooz in Belgien) sprechen ja dafür, daß in bestimmten Fällen der Nebenmensch vom Jäger ebenso be- handelt worden ist, wie die Jagdtiere. Die bis- her vorliegenden Thüringer Fundstücke sagen jedoch in dieser Beziehung gar nichts aus. Das Zusammenvorkommen von zerschlagenen Tierknochen und ähnlich beschaffenen Knochenresten des Menschen besagt nichts, und einen Analogieschluß aus den mährischen und belgischen, einwandfrei festgestellten Ergebnissen halte ich nicht für berechtigt. Ich halte die Frage, ob der Diluvialjäger in Thüringen, ebenso wie der Diluvialjäger in I-Vankreich, Belgien und Mähren ein Kannibale war, aus Mangel an Funden überhaupt noch nicht diskutierbar. Die Hoffnung, in den ausgedehnten Brand- schichten von Ehringsdorf, inmitten des harten Tufffelsens weitere menschliche .Skelett- reste oder etwa gar ein gut erhaltenes Skelett zu finden, war sehr gering. Die Ciiara-Tuffsande, in welchen in Taubach die vielen Tierknochen sich gut konserviert haben, sind dort abgebaut und fehlen in Ehringsdorf fast gänzlich. Nun erfuhren wir plötzlich durch Zeitungsnachrichten, daß am 8. Mai 1914 ein Sprengschuß in dem Steinbruch der Herren Haubold und Kämpe die leisen Hoffnungen, die vielleicht der eine oder der andere noch gehabt hatte, in ungeahnter Weise doch noch erfüllt hat. Durch den Sprengschuß wurden die Teile eines Unterkiefers bloßgelegt I Von dem Funde gibt jetzt der Straßburger Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft '895. S. 573 ff. ') Nicht wie Schliz a. a. O. S. 239 angibt, igog. ') L. Pfeiffer, Das Zerlegen der Jagdtiere. Korre- spondenzblätter des allgemeinen ärztlichen Vereins von Thü- ringen. Weimar igio. S. g. Anatom, Prof. Schwalbe, in den ,, Korrespon- denzblättern des allgemeinen ärztlichen Vereins von Thüringen" eine vorläufige Beschreibung. Gefunden wurde der Unterkiefer in einer Tiefe von 11,90 m unterhalb der natürlichen Ober- fläche, innerhalb einer Schicht von pulvrigem Travertin, die 2,go m unterhalb der sogenannten ,, Pariser" Schicht der Steinbruchwand gelegen ist. 2,6 m unterhalb der h'undschicht ruhen die Kalk- werksteinbänke auf Kies. Zusammen mit dem Unterkiefer fand man zahlreiche tierische Knochen- reste, die als dem Hirsch, Pferd und Rhinozeros Merckii zugehörig erkannt wurden. Besonders ein Rhinozerosfuß war gut erhalten. Auch ein Hinterhauptsbein von diesem und Knochen von Höhlenbären kamen zum Vorschein, ferner leicht angekohlte Knochen, Holzkohlenreste und zahl- reiche .Artefakte aus P'euerstein, darunter eine schöne, auf beiden Längskanten retuschierte Spitze und mehrere Schaber mit bearbeiteter Kante. Der Sprengschuß hatte den Unterkiefer zum Teil verletzt; es sind aber beide Hälften im Zusammenhang geblieben, der sich durch die im umschließenden Tuff gefundenen Bruchstücke weiter ergänzen ließ. Alle Merkmale deuten darauf hin, daß es sich um den Rest einer aller- früliesten Menschenart handelt, des Homo primi- genius oder Neanderthalensis, innerhalb dessen V'ariationsgebiet unser Rest eine der tiefsten Stellen einnimmt. Dieser neueste Weimarer P'und, der wie die Hauptmasse der bisherigen Pfunde dem Mousterien angehören dürfte, — d. h. dem eiszeitlichen Zeitalter, das nach Boule im engeren Sinne als das des Neandertalmenschen zu bezeichnen ist — gestattet uns festzustellen , zu welcher Rasse die diluvialen Bewohner Thüringens gehörten. Wir können aus diesem neuen P'unde ersehen, daß die Neandertalrasse wenigstens in Taubach vertreten war. Ob die anderen diluvialen Rassen auch irgendwie in Thüringen vertreten waren, darüber können wir z. Z. noch kein Urteil ab- geben. Jedenfalls bedeutet die Auffindung dieses neuen Fundstückes eine wesentliche Bereicherung unserer Kenntnisse der anthropologischen und vorgeschichtlichen Verhältnisse Thüringens. Unsere gesamte Wissenschaft vom vorgeschichtlichen Menschen, vor allem aber die thüringische Vor- geschichtsforschung, ist zu diesem hochinteressanten und wissenschaftlich die größte Bedeutung be- sitzenden neuen Pfunde herzlichst zu beglück- wünschen; vergessen dürfen wir dabei vor allem nicht das emsig in die Höhe strebende Städtische Museum in Weimar, dem, wie wir hören, es ge- lungen sein soll, diesen kostbaren Schatz zu er- werben. Hoffentlich wird der Fund bald in einer seiner wissenschaftlichen Bedeutung entsprechen- den, würdigen Publikation ausführlich bekannt gegeben. N. F. XIII. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 791 Einzelberichte. Physik. Das Röntgenspektrum des Platins behandelt eine Arbeit von H. Seemann (Wiirz- burg) in der Physikalischen Zeitschrift XV (1914) Seite 794 — 797. Das S(iekirum ist nach dem schon mehrfach in dieser Zeitschrift beschriebenen und erwähnten X'erfahren M erhalten, das die streifend auf eine ebene Kristallplatte auffallenden und von ihr reflektierten Strahlen benutzt. Bei weitem die besten Erfolge erhielt man bei Be- nutzung einer Steinsalzpiattc. Neu an den Ver- suchen ist zweierlei : Zunächst wurde eine Röntgen- röhre-) (Antikathode aus Platin) mit Lithium- glasfenster verwendet. Die Atomgewichte der Komponenten des Lithiumglases sind: Lithium = 7, Bor =11, Beryllium = 9, die des gewöhn- lichen Glases: Kalzium = 40, Kalium = 39, Natrium = 23, Silizium = 28. Sauerstoft' ist beiden gemeinsam. Infolge der niedrigen Atom- gewichte gehen die Röntgenstrahlen unter sehr geringen Verlusten durch das Lithiumglas hin- durch. Zweitens war der Spalt sehr eng, so daß die Aufnahme sich durch außerordentliche Schärfe der Linien und beträchtliches Auflösungs- vermögen vor allen bisher gemachten auszeichnet. Der 0,1 bis 0,03 mm wehe Spalt stand dicht vor dem p-enster, 6 cm von ihm entfernt auf dem Spektrometertisch der Kristall. 10 cm von diesem war an einem mit dem Tisch festverbundenen Arm die photographische Platte angebracht. Aus dem Spalt trat ein i V, " breites divergentes Strahlenbündel heraus und entwarf einen ent- sprechend breiten Teil des Gitterspektrums auf der Platte. Jetzt wurde der Einfallswinkel etwas vergrößert und der benachbarte Teil des Spektrum (wieder i '/j " breit) auf einer zweiten Platte fest- gehalten usf. Auf diese Weise setzte sich das ganze Spektrum aus einer Reihe von Teilauf- nahmen zusammen, die kopiert, nebeneinander geklebt und dann von neuem vergrößert photo- graphiert wurden. Auf dieser so erhaltenen Auf- nahme sind zwischen 4,5" und 17" eine ganze Reihe von scharfen Linien von verschiedener Helligkeit enthalten, von denen die hellsten bei 10", 11,5 ** und 13,9" liegen. Die Versuche zeigen, daß die von verschiedenen Autoren gemessenen breiten kontinuierlichen Banden des P 1 a t i n r ö n t ge n s p e k t r u m s aus einer großen Anzahl Linien bestehen. K. Schutt, Hamburg. Zoologie. Einen neuen Beitrag über die Ge- schlechtsverteilung beladen Fischen liefert die von Dr. G. Surbeck über den Laichfischfang im Kanton Bern pro 1913 14 gegebene Statistik.-') Die Fische wurden gefangen, ohne daß dabei eine Auswahl nach den Geschlechtern hätte statt- finden können. ') N. W. 1914 Seite 437—440 u. 490. '} Von der Firma C. H. F. Müller, Hamburg. ') Schweizerische Fischerzeitung Nr. 9, September 1914. In der Aare, ohne ihre Zuflüsse, wurden 3440 Bachforellen (Trutta fario L.) gefangen. Da- von waren 3033 Stück, oder 88,17 »/g Männchen und nur 407, oder 11,83",,, VVeibchen. In den Zuflüssen der Aare allein war das Verhältnis 68,67 ",„ Männchen und 31,33";',, Weib- chen. Im ganzen Aaregebiet (Fluß und Zuflüsse) wurden gefangen 19,526 Männchen = 70,91 "/,, und 8,008 Weibchen = 29,0970- Der Verfasser glaubt, daß in der Aare dieses Mißverhältnis zum Teil auf den umstand zurück- zuführen sei, daß sich bei der künstlichen Fisch- zucht die Übung eingebürgert habe die kleinsten Milcher (Männchen) zur Gewinnung des Spermas auszulesen, weil angeblich letzteres dann für die Befruchtung besser sei, als dasjenige von alten Fischen und dieses Verfahren geradezu eine fisch- züchterische Regel geworden sei. Ob die Ur- sache der Erscheinung allein dort zu suchen ist, scheint zweifelhaft, denn mit dieser künstlichen Auslese durch die Züchter hat das Durchschnitts- gewicht der gefangenen Forellen nichts zu tun und doch nimmt der Verfasser an , daß in der Aare das gefangene Weibchen durchschnittlich rund 500 Gramm und das Männchen nur rund 200 g gewogen haben. Es würde demnach in der Aare geradezu an alten Männchen fehlen. Dagegen scheint es aber damit doch seine Richtigkeit zu haben , daß das Mißverhältnis zwischen dem Gewicht bzw. dem Alter der Männchen und Weibchen auch ein solches in der Verteilung der Geschlechter bei der Nachkommen- schaft begünstigt. Das Durchschnittsgewicht aller (Männchen und Weibchen) im Aaregebiet ge- fangenen Forellen betrug: Aare allein 240 g, Zuflüsse allein 132 g, ^ Gesamtes .^aregebiet 1 50 g. In den Zuflü'^sen, wo der Unterschied zwischen dem Gewicht der Männchen und Weibchen kein so großer war, war auch die Sexualitätsziffer (Zahl der Männchen auf 100 Weibchen) eine günstigere, als in der Aare selbst. Aeschen (Thymulus vulgaris Nils.) wurden 1686 Stück gefangen. Davon waren: Männchen : 1059 Stück, od. 62,8 1 "/o d. Gesamtfanges, Weibchen: 627 „ „ 37,19 „ „ Felchen (Coregonus dispersus alpinus Fatio und Coregonus balleus helveticus Fatio) wurden im Brienzersee 720 Stück gefangen. Es waren dies: Männchen: 5 54 Stück, oder 76,94 ",„ der Gesamtzahl, Weibchen: 166 „ ,, 23,06 „ ,, „ Im Thunersee wurden 10524 Stück ge- fangen. Hiervon waren: Männchen : 7295 Stück, od. 69,32 " ^ d. Gesamtfanges, Weibchen : 3229 „ „ 30,68 „ ,. Im Bielersee wurden ebenfalls P^elchen (Baichen) gefangen. Es handelt sich um den 792 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 50 Coregonus balleus palea Fatio. Die er- beuteten 1592 Stück verteihen sich auf: Männchen : 86 1 Stück, oder 54,oS " /„ der Gesamtzahl, Weibchen: 731 ,, ,, 45,92 ,, ,, ,, Dieses günstige Verliältnis entspricht annähernd dem schon früher für den Bielersee festgestellten. Von dem Fang der Blau fe lohen (Coregonus wartmanni Bloch) im Bodensee während der Laichzeit 1913 ('25. November — 21. Dezember 1913) zum Zwecke der Gewinnung von Brutmaterial berichtet an gleicher Stelle derselbe Verfasser. Nach seinen Angaben wurden gefangen: Baden: 23925 Stück und zwar Männchen 18780 St. = 78,49"/,,, Weibchen 5145 St. = 21,51%,. Bayern: 1190 Stück und zwar Männchen 854 St. = 71,80"/,,, Weibchen 33(1 St. = 28,20 "'„. Schweiz: 42 392 Stück und zwar Männchen 3 ^410 St. =^ 78,81 ",„, Weibchen S982 St. = 21,19 "^,. Württemberg: 2021 5 St. u. zwar Männchen i623oSt. = 80,29»/,,, Weibchen 3985 St. = 19,71"/,,. Total : 87 722 Stück und zwar Männchen 69274 St. = 78.97%. Weibchen 18448 St. =^ 21,03 "'„. Die Sexualziffer betrug demnach im Jahre 1913 375,4, während sie im Jahre 1911 weit ungünstiger war, indem sie 528,9 betrug. Nach diesen Feststellungen überwiegt im all- gemeinen bei den Süßwasserfischen die Zahl der Männchen diejenige der Weibchen ganz erheblich. Alb. Heß. Geologie. I'ber Militärgeologie hat der Hauptmann z. D. W. Kranz nicht lange vor dem Kriege eine Abhandlung veröffentlicht, deren Inhalt jetzt viele interessieren wird.') Kranz betont in seiner Arbeit, daß man in militärischen Kreisen der Geologie bisher nicht genügendes Interesse gezeigt habe. Er sucht ausfüiirlich zu beweisen, wie großer Nutzen dem Soldaten aus geologischen Kenntnissen erwachsen könnte. Daß Kranz nicht unrecht hat, ist uns durch den gegenwärtigen Krieg schon mehrmals klar geworden. Es seien nur zwei Beispiele heraus- gegriffen. Einmal erfuhren wir zu unserem Leid- wesen, wie unsere Soldaten es aufgeben mußten, einen Schützengraben anzulegen, weil sie un- vermutet in Kalkstein geraten waren. Ein andermal wurde es uns zum Glück, daß sich die russische Heeresleitung über das von Mooren durchsetzte, unwegsame Gelände der Masurischen Seen erst zu spät klar wurde. So konnten denn 92000 Gefangene gemacht werden. Kranz weist daraufhin, daß die furchtbare Wirkung der modernen Waffen mehr denn je zur Anpassung an das Gelände zivinge. Dies be- wirkt, daß der Boden einen immer bedeutender werdenden Einfluß auf den .Ausgang der Schlacht gewinnt. Wer den Boden am besten auszunutzen versteht, hat bedeutende Vorteile. So kann denn der Soldat der Lehre vom Erdboden, der Geologie nicht mehr gleichgültig gegenüberstehen. ') W. Kranz, Hauptmann z. L>. , M i 1 i t ä r g e ol o gi e, ,, Kriegstechnische Zeitschrift" 1913. Zunächst kommt die Feldbefestigung in Frage. Jemand, der die geologische Karte zu lesen versteht, wird leicht voraussagen können, in welchem Maßstabe und in welcher Art sich solche Befestigungen an einer bestimmten Stelle anbringen lassen. Wie wichtig dürfte es z. B. sein, im voraus zu wissen, ob man eine Stellung im harten Korallenkalk oder im weichen Grave- lottemergel einnehmen wird. Es wird rechtzeitig dafür gesorgt werden können, daß im schwierigeren Falle geeignetes Schanzzeug vorhanden ist wie schwere Kreuzhacken, mehr Spaten, Sandsäcke u. dgl. F'erner kann man von vornherein damit rechnen, daß die Herstellung der Deckung in dem einen Fall 5 — 10 mal so lange dauert als in dem anderen. — Weiter kann die Notwendigkeit eintreten, da wo verschiedene Stellungen mög- lich sind, die nicht nur taktisch sondern auch geologisch vorteilhaftere herauszusuchen. Die geologische Karte wird zeigen, wo die leichteste Bodenart vorhanden ist. Dort ist aber vielleicht gerade eine taktisch sehr ungünstige Stelle, und so ist es denn angebracht, taktisch bessere Ge- lände zu beaugenscheinigen, die zunächst geolo- gisch nicht so günstig scheinen. Finden sich doch gelegentlich selbst auf felsigem Untergrund Lehmdecken, in denen sich Annäherungsgräben leicht und schnell vortreiben lassen. Ist dies nicht der F"all, dann weiß man eben, daß unbedingt künstliche Deckungen mitgenommen werden müssen, wenn man nicht — z. B. vor einer befestig- ten Stellung — über Nacht aus dem harten Fels eine hinreichende Deckung herausarbeiten kann. Kranz betont immer wieder, daß es gar nicht so leicht sei, die militärgeologisch wichtigen Eigen- schaften eines Untergrundes in allen Fällen zu ermitteln und möglichst gut auszunutzen. Selbst der Geologe bedürfe dazu eingehender Vorberei- tungen. Allerdings, wenn man sich \ergegen- wärtigt , daß die Erläuterungen der geologischen Karten nicht so ohne weiteres von jedermann verstanden werden können, dann erscheint einem die Forderung von Kranz, in Zukimft besondere Militärgeologen ausbilden zu lassen , durchaus be- gründet. Eine ganz besonders große Rolle spielen die Erdarbeiten beim Festungskrieg. Wird doch eine Festung heutzutage durch mühevolles Heran- arbeiten mittels tiefer Schützengräben gewonnen. Je hartnäckiger also der Widerstand, desto größer der Einfluß der .Arbeiten unter der Erde. Geo- logische Kenntnisse aber sind imstande, diese .Arbeiten „unter der Erde" ganz bedeutend abzu- kürzen. Kranz sagt aus diesem Grunde, daß man eigentlich jedem Angriffsentwurf, den man einer F"estung widme, umfangreiches Material an geologischen Karten und Notizen beifügen müsse und zwar schon in Friedenszeiten. Auch dem Nutzen, den geologische Ermitt- lungen dem Festungsbau gewähren, widmet Kranz ein kleines Kapitel , auf das aber hier nicht näher eingegangen sei. Weiter spricht er N. F. XIII. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 793 über das z.ukünftige Geologenpersonal des Militärs sowie über dessen Ausbildung, Organisierung usw. Nichtsoldaten, so meint er, seien als Militärgeo- logen nur ein Notbehelf, solange es an geeigneten Kräften im Heere selbst fehle. Niemals werden sie genau wissen, worauf es dem Soldaten eigent- lich ankommt. Anders steht es allerdings im Kriege. Da können die erforderlichen Militärgeologenstellen von vielen Reserve- und Landwehroffizieren besetzt werden, die in ihrem Beruf Geologen und Berg- leute sind. Daher werden also in dem gegen- wärtigen Kriege die notwendigsten Militärgeologen sicherlich bei der Arbeit sein. R. Potonie (Lichterfelde). Experimentelle Physiologie. Die Abhängig- keit der Hautfarbe von der Färbung der Um- gebung, besonders des Untergrunds bei Fischen, ergibt sich aus Versuchen vonO. Haempel und B. Kolmer mit Pfrillen (Phoxinus laevis Ag.) und Koppen (Cottus gobio L.). (Ein Beitrag zur Helligkeits- und Farbenanpassung bei Fischen. Biologisches Centralblatt XXXIV. Bd. 1914.) Bei der Pfrille trat ebenso wie bei den Ver- suchen von V. Frisch nach Zerstörung beider Augen Dunkelfärbung des ganzen Körpers nach kurzer Zeit (45 Min.) ein. Einseitige Blendung dagegen hatte diese E"olge nicht. BeiderKopiie zeigte sich dieselbe Erscheinung, sie war nur auf- fallender. Die aus dem Dunkeln in diffuses Tages- licht gebrachten Fische waren zunächst fast kohl- schwarz; nach einer halben Minute, im Sonnen- licht noch rascher, kam infolge des Zusammen- ballens des Pigments die marmorierte Zeichnung deutlich zum Ausdruck. Wurden die Tiere wieder ins Dunkle gebracht, trat, nur etwas langsamer, wieder die Verdunklung ein. Beiderseitige Zer- störung des Bulbus hat eine mäßige Dunkler- färbung nach einer Stunde zur Folge; einseitige Blendung dagegen nur eine rasch vorübergehende. In beiden Fällen aber fand nach längerer oder kürzerer Zeit eine Aufhellung im Licht statt. Interessante Ergebnisse hatten Versuche, bei denen die Tiere sich in einfarbiger roter oder gelber L^mgebung befanden. Die Beleuchtung rührte von einer Projektionslampe her, deren Licht durch einen Spektralapparat zerlegt wurde und außerdem Farbfilter passiert hatte. Hering- sche PVbpapiere umkleideten die Wände der Wanne, so daß die ganze Umgebung des Tieres rein rot bzw. gelb war. Die bei den Versuchen verwendeten Pfrillen stammten aus der Donau, Isar und Wurm. Wäh- rend nun bei den beiden ersteren auf gelbem Untergrund nur eine Aufhellung und deutliche Gelbfärbung eintrat, stellte sich bei letzteren eine auffallende Rotfärbung an Mund-, Bauch- und Flossenregion ein. Vielleicht erklären sich daraus Widersprüche in den Befunden von v. Heß und v. Frisch. Die Rotfärbung hängt wahrschein- lich mit dem roten L'ntergrund der Gewässer im Würmgebiet zusammen. Bei den Koppen trat nur ein Unterschied insofern ein, als die Farbe infolge wechselnder Ausbreitung oder Konzentration des schwarzen Pigments dunkler oder heller erschien. Katharincr. Chemie. Über die Absorption des Stickstofifs durch Calcium bringt Richard Brandt in der Zeilschrift für angewandte Chemie (27. 54) eine vorläufige Mitteilung. Entgegen Literaturangaben fand Verf., daß metallisches Calcium nicht nur in fein zerteiltem Zustand, sondern auch in kompakter Form (3 — 5 g) quantitativ verhältnismäßig schnell in Nitrid über- zuführen ist, wenn man es bei 4C0 — 500" in einer Stickstoffatmosphäre erhitzt. Dabei dringt der Stickstoff auch durch eine dicke Nitridschicht bis ins Innere des Metalls hinein. Ein Calciumstück von 2,187 § absorbierte z. B. 406,7 ccm Stick- ^^°^ 760 mm = 23,1 Gew. "/y. Die Formel CaaN., verlangt 23,3 Gew.- "/„. Die gewonnenen Produkte enthielten 99,8 bzw. 98,9 ",„ Calciumnitrid. Die äußere Form des Metalls bleibt bei der Überführung in Nitrid vollkommen erhalten. Das Nitrid selbst läßt sich mit Meißel und Hammer spalten und zu einem kastanienbraunen Pulver zerreiben. Die Geschwindigkeit der Stickstoff- absorption ist unter 300° praktisch gleich Null, besitzt von 300—650" beträchtliche Werte, ist von 650 - 800" wieder Null und steigt dann ober- halb des Calciumschmelzpunktes (790 — 810") wie- der beträchtlich. Das Maximum liegt bei etwa 440". Otto Bürger. Ein neues organisches Radikal mit vier- wertigem Stickstoff beschreiben in den Be- richten d. Deutschen Chem. Ges. (47, 21 1 1) Hein- rich Wieland und Moritz Offenbacher. Dieser interessante Körper, das Diphenyl- stickstoffoxyd, wurde aus Diphenylhydroxylamin in ätherischer Lösung durch P^inwirkung von trockenem Silberoxyd in der Kälte erhalten: (CßH.OoNOH —> (C,,HJ.,NO. Es handelt sich also hier um ein Derivat des vierwertigen Stick- stoffs; tatsächlich erinnert die neue Substanz auch in ihren Eigenschaften sehr an ihr organisches Vorbild, das Stickstoffdioxyd, NO,,. Diphenyl- stickoxyd bildet glänzende tiefrote Nadeln, die bei 60 — 62" schmelzen und in Lösung ein charakte- ristisches Bandenspektrum ähnlich dem des Stick- stoffdioxyds geben. Seine Radikalnatur äußert sich in einer ausgesprochenen Reaktionsfähigkeit gegenüber allen möglichen Reagentien sowie in der Leichtigkeit, mit der es sich mit anderen Radikalen vereinigt. Seine labile Konstitution kommt darin zum Ausdruck, daß es sich beim Aufbewahren leicht zersetzt und nur einen Tag haltbar ist. Mit konzentrierten Säuren reagiert es äußerst heftig unter explosionsartigen Erschei- 794 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 50 nungen. Daß es innerhalb weiter Temperatur- grenzen seinen Radikalzustand aufrecht erhält, geht daraus hervor, daß man es bei — 60" aus Äther auskristallisieren lassen kann, und daß seine Lösungen auch bei starkem Abkühlen keine .Auf- hellung der Farbe zeigen, wie es beim Stickstoff- dioxyd der Fall ist. Bugge. Anthropologie. Zur Anthropologie Groß- britanniens. Die ersten Menschen, deren Spuren in Britannien festzustellen sind, kamen in der paläolithischen Zeit, über die damals noch be- standene Landbrücke, als Jäger im Gefolge des Renntieres und des Moschusochsen. Über die köriierlichen Eigenarten dieser paläolithischen Jäger weiß man nichts, denn sie haben nichts hinterlassen als roh bearbeitete Werkzeuge und Geräte aus Stein und Knochen. Auf den Knochen- utensilien hatten sie Tierdarstellungen angebracht, oft Jagdszenen , aus deren Ausführung man auf Verwandtschaft mit den grönländischen Eskimo geschlossen hat. Die nach der Eiszeit in der Neolithperiode aufgetretenen Bewoiiner Britanniens hatten feinpolierte Geräte und Waffen aus Stein. Sie waren Hirten, und mit ihnen kam wahrschein- lich nicht nur das Rind, sondern auch das Schaf, die Ziege, das Schwein und der Haushund. Über- reste des neolithischen Menschen sind besonders häufig in den versunkenen Wäldern längs der englischen Küsten sowie an den gehobenen Strandterrassen von Schottland und Nord-Irland. Doch auch sonst haben die neolithischen iMen- schen Spuren ihrer Anwesenheit im Lande hinter- lassen in Gestalt von Schnnzgräben, unterirdischen Wohnräumen , und langen , mehr oder weniger eiförmigen Grabhöhlen. Man weiß nun , daß Stonehenge ein neolithischer Bau war, der wahr- scheinlich dem Sternenkult diente. Die Kultur dieser Neolithiker, sowie die vorgefundenen Knochenreste weisen darauf hin, daß sie zu dem mittelländischen Zweig der Menschheit gehört haben, den man häufig auch den iberischen Zweig nennt. Diese brünetten Langköpfe wurden erst nach verhältnismäßig langer Zeit von blonden Lang- köpfen, die von Osten und Südosten her ein- drangen , nach den entlegenen , vom Kontinent abgekehrten Landesteilen gedrängt, hauptsächlich nach Irland, dem zentralen West-Schottland, Wales und Cornwall. In den Ebenen Englands und Süd- Schottlands finden sich überdies Reste einer alten breitkopfigen Rasse, welche die Verwendung von Bronze kannte und deren ganze Kultur auf einer entschieden höheren Stufe stand als die der vor- hin erwähnten „iberischen" Neolithiker. Diese Menschen kamen vermutlich aus dem von Breit- köpfen bewohnten Mitteleuropa über die heutigen Niederlande nach Britannien; doch waren sie ge- wiß nicht zahlreich, vielleicht bildeten sie nur eine herrschende Bevöikerungsschicht. In historischer Zeit kamen Angehörige ver- schiedener fremder Völkerschaften nach den briti- schen Inseln, manche nur als Kolonisten. Die Herrschaft der Römer in Britannien , die vom I. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bis zu Anfang des 5. Jahrhunderts u. Z. währte, übte auf die Bevölkerungszusammensetzung des Landes keinen dauernden Einfluß aus. Bald nach dem Abzug der Römer, noch im 5. Jahrhundert, begann das Eindringen germanischer Stämme, das von großer Bedeutung für das fernere Schicksal Britanniens war. Von den germanischen Einwanderern kam ein Teil (Normanen) aus dem südlichen Norwegen nach NordschoUland und den vorgelagerten Inseln. Aus Jütland kamen Einwanderer (Dänen und Angeln) nach Ost-England und Süd- Schottland, während vom linken Eibufer Sachsen nach Süd- ost-England zogen. In allen diesen Gebieten scheint aber die ansässig gewesene Bevölkerung nicht ganz verdrängt oder vernichtet worden zu sein, sondern es ist anzunehmen, daß sie sich zu einem großen Teil erhielt und mit den einge- drungenen Eroberern vermischte. Blondheit herrscht heute am meisten vor in dem Gebiet Ost Englands, das zwischen Themse und Tees ge- legen ist. Brünettheit ist hingegen in West- England am häufigsten, und zwar in den Graf- schaften Wiltshire, Gloucestershire, Somersetshire und Devon, wo die Unterwerfung der dunklen britischen (oder keltischen) Einwohnerschaft durch blonde Germanen wahrscheinlich mehr in fried- licher Form erfolgte als im Osten, wo der heftigste Zusammenstoß zwischen den alteingesessenen Brünetten und den blonden Eroberern stattfand. Inmitten des vorwiegend blonden Gebiets liegen jedoch zwei dunkle Inseln: eine im westlichen Bezirk von \'orkshire und die andere nordwest- lich von London (bei Hertford und in den Chil- tern-Hügeln). Im Gebiete der langköpfigen brünetten Bevölkerung hat sich zu einem guten Teile die keltische Sprache erhalten. In Irland ist sie aller- dings auf die westliclie Zentralregion zurückge- drängt worden und in Cornwall ist sie bereits ganz ausgestorben. Das Erse in Irland, das Manx auf der Insel Man und das Gälisch der schotti- schen Hochlande bilden eine keltische Dialekt- gruppe, die stark abweicht von dem Kymrischen in Wales, dem Bretonischen der Bretagne und dem alten C'ornischen in Cornwall, die als Brytho- nische Dialektgruppe zusammengefaßt werden. Die Dialekte, welche die blonden germanischen Einwanderer mit sich brachten, haben sich nicht weiter differenziert, wie es bei den keltischen Dialekten wohl der Fall war, sondern sie haben sich einander mehr und mehr genähert und die einheitliche englische Sprache gebildet. Die Na- men der Flüsse und die meisten anderen auf die Bodengestaltung bezüglichen Namen sind in ganz Britannien keltisch. Die Dorfnamen sind keltisch in ganz Irland, in Wales, in der an Wales gren- zenden Zone Englands, in den schottischen Hoch- landen und der Landschaft Buchan (nördlich von .Aberdeen). N. F. XIII. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 795 In der Gegenwart vollzielit sich eine Mischung des blonden Typus des ( Ostens mit dem brünetten Typus des Westens, da die industrielle Entwick- lung des Landes Menschen aus allen Gebieten durcheinanderbringt. Deshalb kann man erwarten, daß in kürzester Zeit auch die jetzt bestehenden geringen Unterschiede in der körperlichen Er- scheinung der Bevölkerung Britanniens verschwun- den sein werden. H- Fehlinger. Einseitige Schädigung von Rauchgase. Im Anschluß an das Referat von F. W. Neger über „Neuere Ergebnisse und Streitfragen der Rauchschadenforschung" möchte ich hier die Aufmerksamkeit auf einen eigenartigen Fall der Sciiädigung von Bäumen durch Rauch- gase und Dämpfe lenken, auf die einseitige Schädigung der Bäume. Kleinere Mitteilungen Bäumen durch stehen. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, wodurch dieser Schutz bedingt ist. L'm eine rein mechanische Schirmwirkung, an die man zu- nächst denken könnte, dürfte es sich vielleicht nicht einmal in erster Linie handeln. Vielmehr werden hier wohl auch die Benetzungsverhältnisse eine gewisse Rolle spielen; sei es, daß der Regen schon die schädigenden Gase (besonders SO.,) ge- löst enthält oder, was wahrscheinlicher ist, daß diese Gase an den stark benetzten Blättern ab- sorbiert werden und so ihre schädigende Wirkung entfalten können. Auch im vorliegenden Fall ist es gerade die Regenseite, die den Fabriken zuge- wandt ist. W. Wenz (Frankfurt a. M.). Die Landstraße, die längs des Maines von Schwanheim nach Niederrad — Frankfurt a. M. führt, wird in der Nähe des ersteren Ortes beider- seits von Obstbäumen eingefaßt. Gegenüber, auf dem anderen Ufer des Flusses befinden sich die chemischen Fabriken von Griesheim a. M. Die Obstbäume bieten nun ein ganz eigenartiges Bild. Während die den Fabriken zugewandte Seite fast völlig entblättert ist und nur die kahlen Aste zeigt, ist die andere noch dicht belaubt (vgl. Fig.). Jüngere und ältere Bäume zeigen genau dieselbe Erscheinung. Offenbar übt die eine Seite des Baumes, die am meisten zu leiden hat, eine Art Schirmwirkung gegen die andringenden Dämpfe zugunsten der anderen Seite aus; beobachtet man doch diese schirmende Wirkung in noch höherem Maße bei Bäumen, die dicht hinter Häusern oder Mauern Etwas von der Zelluloidindustrie. Das Geburts- jahr der Zelluloidindustrie ist das Jahr 1868. Ihr Umsatz, allein in Deutschland, betrug im Jahre 1906 80 Millionen Mark, eine Zahl, die es wohl rechtfertigt, dieser Körperklasse einige Zeilen zu widmen. Die Zelluloidkörper gehören in das Gebiet der Kunststoffe. Unter Zelluloidindustrie verstehen wir die Fabrikation von Massen, die als Hörn-, Elfenbein-, Bernstein-, Schildpattersatz u. dgl. mehr Verwendung finden. Da die ganze Körper- klasse von dem Zelluloid ihren Namen erhalten hat, wollen wir von diesem Stoffe ausgehen. ') Zelluloid ist chemisch eine innige Mischung von Nitrozellulose mit Kampfer. VVährend die Nitrozellulose allein sehr spröde ist, verliert sie in dem Gemisch ihren Charakter; das Zelluloid ist bei gewöhnlicher Temperatur hornartig fest, aber dennoch sehr elastisch, bei erhöhter Temperatur plastisch und formbar und nimmt dann bei ge- wöhnlicher Temperatur wieder die alte Härte an. Diesen Prozeß können wir mit dem Zelluloid be- liebig oft wiederholen. Zelluloid ist nicht das erste Produkt, welches durch Versuche erhalten wurde, um aus Nitro- zellulose eine Masse herzustellen, die in obiger Richtung verwendet werden konnte. Spill und Parkes versuchten schon das Kollodium durch Rizinusölzusätze zu einer geschmeidigeren Masse zu machen. Später verwendete man Zusätze, die sich im Laufe des Verfahrens nur zum Teil ver- flüchtigten, wie Amylalkohol. Bei der \'erwen- dung des Zelluloids stellten sich allmählich Un- annehmlichkeiten heraus, die dazu führten, sich nach Ersatzstoffen umzusehen; der Kampfer war ') Zeitschrift f. angew. Chemie 79, 26. 796 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 50 nämUch früher sehr teuer und außerdem war das Zelhiloid sehr feuergcfährhch. Wenn wir in dem Zelluloid einen oder beide Bestandteile ersetzen, so erhalten wir verschiedene Wege zur Darstellung neuer Produkte. Als Ersatz für Nitrozellulose kommen nur andere Zellulose- ester in hVage, besonders die Azetylzellulosen. Für diese Stoffe ist jedoch der Kampfer kein Lösungsmittel und man hat überhaupt keinen anderen Stoft' gefunden, der auf diese Ester so wirkt, wie Kampfer auf Nitrozellulose. Erst die durch Hydrolyse entstehenden hydrolysiertcn Ester geben nach M il es mit Kampfer plastische Massen. Wir bezeichnen auf diese Weise entstehende Körper, welche die Eigenschaften der Zellulose besitzen, als „zelluloidartige Körper". Auch den Kampfer hat man durch weich- machende Zusätze bzw. durch hochsiedende Lösungsmittel zu ersetzen gesucht. Diese Stoffe hatten aber nicht die Wirkung auf Nitrozellulose, wie sie Kampfer auf diesen Ester ausübt. Wir können solche weichmachenden Stoffe lediglich als .,Weichmachungsmittel" ansehen; man erhält jedoch so kein Zelluloid bzw. keine zelluloidartige Masse, weil ihr die Plastizität in der Wärme fehlt, es resultiert vielmehr eine „kollodiumartige Masse". Nur diejenigen Körper, welche Kampfer bei Nitro- zellulose oder bei einem anderen Zelluloseester gleichartig zu ersetzen vermögen, d. h. sie zu plastischen Massen überfüliren , dürfen wir als Kampferersatzmittel und die Produkte selbst als ,, zelluloidartige Massen" bezeichnen. Andererseits hat man aber auch Massen her- gestellt, die keinen Zelluloseester mehr enthalten, die aber dennoch Zelluloid mehr oder weniger ersetzen können. Hierher gehören Galalith — ein durch Formaldehyd gehärtetes Kasempräi^arat — und Bakelite — ein Kondensationsprodukt des Formaldehyds mit Phenolen; außerdem kommen hier noch die aus Gelatine hergestellten Massen, sowie diejenigen aus Zellulosehydrat (Monit, Vis- coid) in Frage. Da diese Körper keinen Zellulose- ester enthalten, müssen wir sie als ,,Ersatz- produkte des Zelluloids" oder als ,,zellu- loidähnl iche Massen" bezeichnen. Wir können somit das Gebiet der Zelluloid- körper folgendermaßen einteilen : zelluloidartig Zelluloid' ^ zelluloidähnlich (Zelluloidersatz) Kollodium — koUodiuniartig. Wir sind somit gezwungen, mehr als bisher eine Unterscheidung zwischen den Körpern, die wir seither als zelluloidartig bezeichnet haben, eintreten zu lassen. Wir müssen den größten Teil derselben als kollodiumartig ansehen. Otto Bürger. Hansen, Prof. Dr. Adolf, Repetitorium der Botanik für Mediziner, Pharmazeuten, Lehramtskanditalen und Studierende der Forst- und Landwirtschaft. Mit 8 Tafeln und 41 Textabbild. 0- umgearbeitete und erweiterte .Auflage. Gießen 1914, Alfr. Töpelmann. — Preis geb. 4 Mk. Es erübrigt sich fast, einem so allgemein be- nutzten Buche, wie es das nunmehr in der 9. Auf- lage vorliegende Hansen 'sehe Repetitorium ist, noch ein Wort der Empfehlung mit auf den VVeg zu geben. Wer eine zuverlässige Unterlage für seine botanischen Repetitionen haben will, wird in diesem Büchlein ein gutes Hilfsmittel kennen lernen. Auf 88 Seiten wird die allgemeine Botanik (.Anatomie, Morphologie, Phj'siologie) behandelt, auf 112 ein Überblick über das System gegeben. Der Verf hält sich aus didaktischen Gründen an das einfachere Ei chl er'sche, fügt aber eine Ta- belle der Familien nach dem Engler'schen System bei. Den Schluß macht eine Aufzählung der offizineilen Pflanzen. Miehe. Bücherbesprechungen. Das Gebiet Soddy, Frederick., DieChemie derRadio- e 1 e ni e n t e. Deutsch von Max I k 1 e, zweiter Teil : Die Radioelemente und das Periodische Gesetz. Leipzig, Verlag von Joh. Ambrosius Barth. 1914. — Preis 2 Mk., geb. 2,80 Mk. der Radioaktivität ist, wie kaum ein anderer Teil der naturwissenschaftlichen Forschung, in stetem Fluß begriffen. Anschau- ungen, die heute von Forschern in Form von mehr oder weniger kühnen Hypothesen geäußert werden, können morgen schon durch neues ex- perimentelles Beweismaterial sichergestellt sein. Der Forscher, der das Gebiet der radioaktiven Erscheinungen in einem Buch zusammenfassend darstellt, sieht sich daher schon oft nach kurzer Zeit genötigt, den Fortschritten unserer Erkennt- nis durch Ergänzungen, Erweiterungen und Um- deutungen Rechnung zu tragen. Man könnte es daher fast für wünschenswert halten, daß die schon sehr angeschwollene Radiumliteratur, soweit sie die Zu- sammenfassung unserer jeweiligen P>kenntnisse in Buchform anbetrifft, in etwas weniger kurzen Zwi- schenräumen bereichert würde. .Allerdings könnte diesem Einwand entgegen gehalten werden, daß bei der Wichtigkeit der F"ortschritte, die uns jedes Jahr auf dem Gebiet der Radioaktivität bringt, auch ein öfterer Überblick über das Erreichte Be- dürfnis ist. Eine derartige Zusammenfassung ist um so mehr willkommen, wenn sie, wie im vor- liegenden F"alle, tatsächlich ein Stadium darstellt, das durch einen gewissen Abschluß gekennzeichnet zu sein scheint. Das unübersehbare Gewirr neuer Radioelemente N. F. XIII. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 797 und ihrer Beziehungen zueinander ist allmählich übersichtlicher geworden. Durch die Forschungen von Fleck, Russell, Fajans, Soddy und anderen sind Regelmäßigkeiten erkannt worden, die sich auf die Verschiebung der Plätze der Radio- elemente im periodischen System bei der Aus- stoßung eines a- oder /^-Teilchens beziehen. Die Frage der Verzweigung radioaktiver Um- wandlungsreihen ist wenigstens in großen Um- rissen einer Klärung entgegen geführt worden. Durch die Einführung des Begriffs der Isotopen ist endlich eine Reduzierung der mehr als 30 radioaktiven Elemente auf etwa zehn Grundtypen ermöglicht worden. Und den Beweis dafür, daß die Forschung jetzt nicht mehr in dem Maße wie früher in einer terra incognita arbeitet, liefert die Tatsache, daß es nunmehr gelungen ist, die bekannten radioaktiven Elemente in dem altbe- währten periodischen System unterzubringen. Hier- bei hat zwar die Mendelej eff'sche Anordnung der Elemente eine etwas abgeänderte Form er- halten, aber diese neue Änderung hat sich als eine bedeutsame Fortentwicklung des primitiven ursprünglichen Schemas erwiesen, die ein weit größeres Tatsachengebiet umfaßt, neue Zusammen- hänge befriedigend erklärt und gleichzeitig der künftigen Forschung wichtige Leitlinien vorzeichnet. Wer sich für diese bedeutsamen Fragen inter- essiert, wird aus dem Buch von Soddy wertvolle Anregungen empfangen. Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß der Verfasser, der selbst als Pionier bei der Erschließung des neuen Gebiets mitgeholfen hat, auch in diesem Buch sich als Meister einer klaren, anziehenden Darstellungsweise bewährt. Dr. Günther Bugge-Leipzig. Ostwald, Wilhelm, Moderne Naturphilo- sophie. I. Die Ordnungswissenschaften. Leipzig 1914, Akademische Verlagsgesellschaft. Der vorliegende stattliche Band gibt sich als der erste Teil eines umfassenden, auf drei Teile berechneten Gesamtwerkes, das der berühmte Verf uns zwar nicht bestimmt verspricht, wohl aber als eigenen Wunsch und Hoffnung in Aussicht stellt. Wir können unsererseits nur der Hoffnung Aus- druck verleihen, daß es Ostwald vergönnt sein möge, das gesamte Werk in dem geplanten Um- fange zur Ausführung zu bringen. Denn es handelt sich um eine erweiterte, dem augenblick- lichen Stande der Sache und Ostwald's aus- gereiften Ideen darüber entsprechende Darstellung des gesamten, von dem Verf. bereits früher, in den „Vorlesungen über Naturphilosophie", behandelten Gebietes. Der zweite Teil würde die energetischen, der dritte die biologischen Wissenschaften zu behandeln haben. Es ist keine Frage, daß ein solches abgeschlossen vorliegendes Werk aus der Feder des Mannes, dessen Namen unzertrennlich mit der neueren naturphilosophischen Strömung verknüpft ist, ein Knoten- und Durchgangspunkt dieser ganzen Bewegung werden muß. Besonders ein Problem wird dabei in den Vordergrund der Betrachtung und Diskussion rücken, nämlich ob resp. wieweit die „Naturphilosophie" von der Naturwissenschaft einerseits, der Philosophie andererseit als ein selbständiger Komplex abzu- grenzen ist. Natürlich handelt es sich dabei um etwas anderes als die bloße Aufstellung eines gleichgültigen Schemas. Der vorliegende Band ist echt ostwaldisch und wird gleichermaßen Zustimmung und Be- kämpfung erfahren, erstere von naturwissenschaft- licher, letztere von eigentlich philosophischer Seite. Denn es ist einmal so, daß das, was der Verf hier bietet, doch eigentlich nur raffinierte, d. h. gereinigte, möglichst auf ihre Elemente ge- brachte Naturwissenschaft ist. Dabei wird ja philosophisches Gebiet, z. B. das der Logik, be- treten, und gewiß sind Ostwald's, ersichtlich und auch nach seiner eigenen Angabe stark von Mach beeinflußte Ausführungen in den betr. Kapiteln scharfsinnig und lesenswert. Aber, wie es wenigstens Referent scheint, hat die haupt- sächliche und entscheidende Probe einer modernen Naturphilosophie, die auf die Dauer lebenskräftig sein will, an anderer Stelle zu erfolgen. Es wird sich zuletzt immer um eine Auseinandersetzung mit dem Kritizismus, mit Kant 's theoretischer Philosophie handeln müssen, denn hier erst kommt zur wirklichen Entscheidung, was das Denken einer- seits, die Natur andererseits miteinander zu schaffen haben. Hiervon findet sich nun in dem Werke, soweit es vorliegt, gar nichts. In den wenigen Stellen, an denen beiläufig von Kant und Kanti- schen Anschauungen die Rede ist, liegen die Miß- verständnisse — um kein stärkeres Wort zu ge- brauchen — so offen zutage, daß man das Vorbei- gehen gerade Ostwald's an dieser Aufgabe nur begrüßen kann. Deshalb muß aber die Aufgabe selbst doch in Angriff genommen werden. Referent möchte bei dieser Gelegenheit auf das vortreff- liche Buch Edmund König's: „Kant und die Naturwissenschaft" (Braunschweig bei Vieweg und Sohn, 1907) nachdrücklich hingewiesen haben. Aus diesem inhaltreichen und nicht umfänglichen Werk kann jeder Naturforscher lernen, worauf es in dieser Materie ankommt. Sieht man von der gekennzeichneten Unterlassung ab, die ja aus Ostwald's Persönlichkeit, wie sie einmal ist und genommen werden muß, wohlver- ständlich ist, so kann man sich der klaren und scharfsinnigen, nur bisweilen etwas breit gegebenen Ausführungen des inhaltreichen Werkes desto un- befangener erfreuen und den Wert vieler derselben betonen. Findet der Philosoph nicht alles, was er suchte, so dürfte umgekehrt der reine Natur- wissenschaftler, der auch heute noch meist einem kritiklosen Empirismus ergeben ist, in den Kapiteln über Begriffsbilduiig, Gruppenbildung, der mög- lichen Beziehungen zwischen solchen Gruppen, ferner in den Zusammenstellungen und Be- sprechungen der Axiome, die der Algebra und der Geometrie zugrunde liegen, vieles finden, das er bisher nicht ahnte oder doch in seiner Be- 798 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 50 deutung, auch für spezielle wissenschaftliche Fragen und Untersuchungen, nicht gewürdigt hat. In diesem Sinne ist das Studium des Werkes vor allem den etwas älteren Semestern unsererStudieren- den, die in den Lehrbüchern ihrer Disziplinen bereits einigermaßen Bescheid wissen und also über ein gewisses Maß positiver Kenntnisse verfügen, dringend zu empfehlen. Ein beiOstwald immer wieder, und so auch in diesem Werke stark hervortretender Zug, der offenbar für seine gesamte geistige Struktur sehr maßgebend ist, ist seine Unduldsamkeit gegen alles, was sich einer rein verstandesgemäßen, nüchternen Aufteilung und Behandlung der Welt widersetzt. Hier scheiden sich oftenbar die Geister, und wenn Referent bekennen muß, in einer Welt, die Ostwald's Ideale ohne Überschuß verkör- perte, schlechtweg nicht leben zu mögen, so werden sich andererseits Menschen finden, die jene Ideale auch als die ihren anerkennen. Zu jener Unduldsamkeit gehört, um ein hervor- stechendes Beispiel zu geben, seine Mißachtung der Sprache. VVo das Wort Sprache nur erwähnt wird, kann man sicher sein, daß das unglückliche Wesen einen Fußtritt bekommt. Wenn Ostwald auch gelegentlich versichert, sein Zorn gelte nur gewissen Schwächen der Sprache, soweit sie wissenschaftlichen Zwecken diene, so scheint doch immer wieder zwischen den Zeilen zu lesen, daß Ostwald das ganze menschliche Dasein, ja das Universum selber im Grunde lediglich als Material für wissenschaftliche Untersuchungen und Klassifi- kationen betrachtet. Oder doch mindestens, daß diese alles andere an Wichtigkeit und Bedeutung derart überwiegen, daß man wohl daran täte, alles, was sich an und in der Welt überhaupt bestimmen und einrichten läßt, nach naturwissenschaftlichen Be- dürfnissen zu bestimmen und einzurichten. Solcher geistiger Veranlagung gegenüber müssen alle aus anderen menschlichen Bedürfnissen motivierten Argumente notwendigerweise wirkungslos bleiben. Wer sich nur in einem aufgeräumten Bureau wirklich wohl fühlt, der wird die trauliche Unordnung eines Wohnzimmers im Zustande seiner Benutzung stets widerwärtig empfinden, und dem, der nur den altfranzösischen Garten mit symmetrischen Hecken, kugelförmig geschnittenen Bäumen und dergleichen schätzt, wird ein Stück freigewachsene Natur ein Gräuel sein, dem gegenüber er nur die Hoffnung zu Hilfe rufen kann, alles dies wilde Wesen werde von einer späteren und vernünftiger gewordenen Menschheit ebenfalls hübsch ordentlich beschnitten und in saubere Reihen und Gruppen gestellt werden. Wir anderen aber wollen hoffen, daß die strenge Wissenschaft und die unerschöpf- liche Fülle des Lebens und der Welt noch anders miteinander auszukommen wissen werden, als in- dem die eine der anderen die Kehle abschneidet. Was die Sprache angeht, so liegt das Korrektiv Ostwald's Auffassung gegenüber darin, daß sie außer den naturwissenschaftlichen noch einer ziemlichen Anzahl anderer menschlicher Zwecke zu dienen hat, von denen einige von wenigstens gleicher Wichtigkeit sein dürften. Wenn nun Ostwald anführen würde, es handele sich nur darum, die Sprache nach streng logischen Grund- sätzen zu reformieren und dergestalt aus einem zucht- los aufgewachsenen Organismus einen sauberen Mechanismus zu machen, was nicht nur der Natur- wissenschaft, sondern allen anderen Disziplinen gleichmäßig zugute kommen müßte, so liegt auch hier wieder die Nichtberücksichtigung des Umstands zugrunde, daß es Werte jenseits aller Wissenschaft überhaupt gibt, Werte des täglichen Lebens, Werte der Kunst, die ebenfalls die Sprache brauchen. Eine konkrete Sprache, etwa die deutsche, kann aber doch nur eine sein. — Wie nun der Dichter, um Besonderes auszudrücken, in individueller Be- handlung und Fortbildung diesem allgemeinen Element den Stempel dichterischer, ja sogar per- sönlicher Besonderheit aufzudrücken versteht — durch Rhythmus, Reim, Wahl der Worte und so fort, so ist es auf der anderen Seite der Natur- wissenschaft unbenommen, durch Definitionen, For- meln und andere Hilfsmittel die Sprache ihren speziellen Zwecken gefügig zu machen, wie es ja auch im weitesten Umfange wirklich und mit Vorteil geschieht. Gerade die wundervolle Schmiegsamkeit und Bildsamkeit des in der Sprache verkörperten Materials, die soweit geht, daß ein jeder eigene Mensch seine eigene Sprache herausformen und reden kann — man denke an unsere großen Schriftsteller — sowie der L'm- stand, daß die Sprache dem Leben, der Kunst und der Wissenschaft gleichzeitig zu dienen hat, läßt jeden willkürlichen Eingriff in ihr Gefüge schon aus rein verstandesgemäßen Gesichtspunkten als untunlich erscheinen. Die Sprache ist ein allgemeines Gut und dürfte schon deshalb, selbst wenn es möglich wäre, nie speziellen Zwecken zuliebe umgestaltet werden. Etwas anderes ist es natürlich, wenn Ost- wald sich für Schaffung einer künstlichen, durch- aus logisch-regelmäßig konstruierten Sprache für Geschäfts-, Verkehrs- und wissenschaftliche Zwecke erklärt. Das wäre dann, was die natürlich er- wachsenenSprachen weder sein können noch sollen, ein rein praktisches Hilfsmittel, dem wir nicht mehr Respekt schuldig sind als etwa einem Pfropfen- zieher. Und damit kommen wir zum eigentlichen Kern der Angelegenheit. Ostwald ist mit Be- wußtsein und Nachdruck unhistorisch, ja anti- historisch, traditionslos, absichtlich pietätlos. Der Zusammenhang mit früheren Zeiten und Ge- schlechtern ist ihm nichts, oder vielmehr, ist ihm unnützes und schädliches Überbleibsel, nur wert, möglichst gründlich ausgerottet zu werden. So ist sein Urteil über die Sprache nur ein einzelnes Symptom einer allgemeinen radikalen Denkungs- weise. Wieder wird man zunächst sagen können, daß solche Denkungsweise an ihrem Orte und in ihrem gewiesenen Umfange durchaus berechtigt N. F. Xm. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 799 ist. Einen Ausspruch, wie: „Das Neue ist im allgemeinen das Bessere," wird man einem be- deutenden Naturforscher gewiß nachfühlen können; denn wo der Fortschritt, wie in der Chemie und mancher anderen Disziplin, wesentlich in der Ent- deckung, Sichtung und In-Beziehung-Setzung von immer neuem und umfassenderem Erfahrungs- material liegt, ist er zweifellos richtig. Nur daß aus Ost wald 's weiteren .Ausführungen die ofien- sichtlichc Neigung spricht, diesen Grundsatz von den Naturwissenschaften im engeren Sinne auf alle Wissenschaft, dann aber auch auf die Kunst und den ganzen Umkreis des menschlichen Lebens zu übertragen. Hier beginnt sofort wieder die schädliche und unberechtigte Verallgemeinerung, das Bestreben, die ganze Welt über den natur- wissenschaftlichen Leisten zu schlagen. Gewiß ist kritiklose Überschätzung des Alten, nur weil es alt ist, hemmend und schädlich ; ob aber prin- zipielle Minderbewertung, die sich auf die gleiche Begründung stützt, irgendwie vorzuziehen ist? Wenn jene' neben Wertvollem gelegentlich Gering- wertiges erhält oder anpreist, so ist das ein Zu- viel, das leicht korrigiert werden kann. Wenn aber diese mit dem Minderwertigen auch Wert- volles beseitigt, so ist der Schaden unvergleichlich größer. Außerdem gibt es aber eine große An- zahl gewichtiger menschlicher Interessen, bei denen Ostwald's, unbesehen von einem Spezial- gebiet aufs Ganze übertragene Anschauungsweise gar nicht anwendbar ist, Interessen und Probleme, bei deren Behandlung die im Laufe der Zeiten anwachsende empirische Erfahrung der Mensch- heit keine oder doch keine entscheidende Rolle spielt. Dazu gehören nicht nur die rein künst- lerischen Probleme, bei denen es ja gewissermaßen auf der Hand liegt, sondern auch nicht wenige Fragen der Wissenschaft, speziell der Philosophie, und vor allem des praktischen Lebens. Ostwald gehört — und mit Recht — zu den Männern, deren Worte gehört und beachtet werden, auch wo sie sich über Dinge verbreiten, die nicht dem ursprünglichen Fach des .Tutors angehören. Um so verwirrender aber kann es auf junge ungefestigte Köpfe wirken, wenn ein Solcher Mann zu Kompetenz- und Grenzüber- schreitungen neigt, was natürlich nicht persönlich, sondern sachlich zu verstehen ist. Jegliches Ding und Gebiet muß in seinem eignen Umkreise und aus seiner inneren Natur heraus verstanden, be- urteilt und gefördert werden. Und so kann die Kritik nicht schweigen, wenn ein Naturforscher Ansprüche, die in seiner Wissenschaft zu Recht bestehen, auf Gebiete zu übertragen versucht, wo sie gar nicht oder doch nicht in gleicher Art und Weise geltend gemacht werden können. Wasielewski. Anregungen und Antworten. Der Grüne Strahl. Des Rätsels Lösung. In der Notiz (Nr. 40) des Herrn Professor Dr. Riem wird nach Mitteilung einer Beobachtung des Grünen Strahls es für „sehr wünschens- wert" erklärt, daß ,,auch von anderen Seilen versucht würde, Material herbeizuschaffen , um die Bedingungen festzustellen, unter denen der ,, Grüne Strahl" auftritt." Man nehme es dem Schreiber dieser Zeilen nicht übel, wenn er aus zwei Gründen davon abraten möchte. Zunächst ist das Phänomen inzwischen bereits vollständig erklärt und dann sind solche Versuche recht gefährlich , solange der Beobachter die Fertigkeit nicht besitzt, mit sehr starken Licht- quellen richtig umzugehen. Herr Riem hat einen Feldstecher mit 5 mm Austrittspupille benutzt, der für diese Zwecke, weil ,, ungewöhnlich lichtstark", besonders ungeeignet ist. Man weiß, daß Galilei durch unzweckmäßige Sonnenbeobachtungen erblindete, und wer nach Sonnenfinsternissen Gelegenheit hatte, in den Augenkliniken Patienten mit Scotoma helieclipticura zu untersuchen, der wird sich über die Gefahr völlig klar sein. Wer nun überhaupt das Auge dazu bewaffnen will, der kann zur Beobachtung des Grünen Strahles höchstens ein dunkles Neutralglas benutzen. Vielleicht mißlingt aber dann gerade die Verfolgung der an sich sehr interessanten Erscheinung, weil diese nämlich rein subjektiv ist. Es handelt sich dabei, wie Dr. A. Kühl von der Münchener Sternwarte experimentell nachgewiesen hat (Näheres im Septemberheft des ,, Sirius" S. zog, Lpz., Mayer), um ein farbiges (blaugrünes) Nachbild des orange- farbenen letzten Sonnensegmentes. Nur wenn dieses eine ge- wisse Zitterbewegung ausführt , tritt die Komplementärfarbe deutlich hervor. Die unregelmäßige Verteilung verschieden erwärmter Luftschichten ist für die Hervorrufung der Zitter- bewegung der Sonne wichtig , hat aber mit der „anormalen Refraktion" nichts zu tun. Diese anscheinend besonders auf Arrhenius zurückgreifende Theorie des Grünen Strahles ist ganz unzutreffend, denn wenn man die betreffende atmosphä- rische Dispersion ausrechnet, ergibt sich, daß das grüne Segment viel zu schmal wird, um für das Auge erkennbar zu sein. Daß sich der ,, Grüne Strahl" in eine Augentäuschung auflöst, ist sehr erfreulich, denn mancher Forscher wird jetzt vor Blendungs-Netzhaut-Entzündung bewahrt werden. Dr. Kritzinger. Herrn MV. M. in E. Welches sind die besten , auch für Laien verständlichen Schriften über ,, Chemie der Küche und des Haushaltes" ? Da die praktische Eignung populär - wissenschaftlicher Schriften für bestimmte Personen nicht nur von dem wissen- schaftlichen Wert der fraglichen Schriften, sondern in hohem Maße auch von Eigenschaften der betrefienden Personen ab- hängt, müssen wir uns hier darauf beschränken, Ihnen im folgenden einige sachgemäß geschriebene Werke zu nennen und zu empfehlen, sie sich von ihrem Buchhändler zur An- sicht vorlegen zu lassen. 1. Otto Ule's Warum und Weil. Fragen und Ant- worten aus den wichtigsten Gebieten der gesamten Naturlehre. Chemischer Teil. Berlin, Klemann's Verlag. 2. Dr. G. Abel, Chemie in Küche und Haus. 2. Aufl. Leipzig, B. G. Teubner. Preis geh. i Mk., geb. 1,25 Mk. 3. Dr. H. Bauer, Die Chemie der menschlichen Nah- rungsmittel. Leipzig, Verlag von Theod. Thomas. Preis geh. 60 Pf., geb. 85 Pf. 4. Dr. H.Bauer, Chemie der menschlichen Genußmittel. Leipzig, Verlag von Theod. Thomas. Preis geh. 60 Pf., geb. 85 Pf. Verwiesen sei ferner auch auf die folgenden beiden Schriften : 5. Prof. Dr. Lassar-Cohn, Die Chemie im täglichen Leben. Leipzig, Verlag von Leopold Voß. Preis geb. 4 Mk. 6. L. Wunder, Physikalische Beobachtungen und Er- klärungen in Küche und Haus. Leipzig, Verlag von Theod. Thomas. Preis geh. 40 Pf, geb. 65 Pf. Mg. 7. Prof. Dr. P. Meilmann, Chemie des täglichen und wirtschaftlichen Lebens. Leipzig, Verlag der modernen kauf- männischen Bibliothek, G. m. b. H. Preis geb. 2,75 Mk. E., Königsberg. — Das Molekulargewicht von Eiweiß- stoffen. Zur Ermittlung des Molekulargewichts der Eiweiß- stoffe stehen verschiedene Wege offen. Aus den Ergebnissen 8oo Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. so der Analyse, welche die prozentuale Zusammensetzung liefert, läßt sich ein Bild von der Molekulargröl3e des Eiweifistoffs gewinnen, wenn man durch Synthese über die Art seiner Bildung aus einfachen Spaltungsstücken von bekannter Mole- kulargröiJe unterrichtet ist. So hat man z. B. ein aus iS Glie- dern bestehendes Oktadekapeptid aus 3 Molekülen 1-Leucin und 15 Molekülen Glykokoll hergestellt; für dieses Polypeptid läßt sich ein Molekulargewicht von 1213 berechnen. In vielen Fällen kann man aut indirekte Weise zum Ziel kommen. Beim Serumalbumin z. B. weiß man , daß es bei der Pepsin- verdauung in mindestens 2 schwefelhaltige Körper zerfällt ; da das Spaltungsprodukt, Cystin, 2 Atome Schwefel enthält, muß die aus der prozentualen Zusammensetzung zu erwartende Molekularformel mindestens vervierfacht werden. Aus den Erfahrungen bei der Jodierung muß sogar der Schluß ge- zogen werden, daß die Formel zu versechsfachen ist: CijoH-j,, NiioS|)Oi joi was einem Molekulargewicht von 10 166 entsprechen würde. In ähnlicher Weise wird von Hofmeister für das Eieralbumin der Wert 5378 berechnet. Beim Hämoglobin, einer wegen seiner Kristallisierfähigkeit leicht rein zu erhalten- den Substanz, ließ sich aus dem prozentualen Verhältnis des Eisens und Schwefels eine Mindestmolekulargröße von 16669 berechnen, entsprechend einer Formel CjssHijoaNi^^OjisFeSj. Auch aus dem Bindungsvermögen des Hämoglobins für Kohlen- oxyd (l Molekül Hämoglobin bindet I Molekül Kohlcno.xyd) ergeben sich für das Molekulargewicht dieses Eiweißkörpers ähnliche Werte wie aus den Prozentzahlen des Eisens. Da die Eiweißkörper beim Erhitzen in Lösung meist aus- fallen, ist von den direkten Bestimmungsmethoden diejenige, welche sich auf die Ermittlung der Siedepunktserhöhung grün- det, nicht anwendbar. Nach der Methode der Gefrierpunkts- erniedrigung ist von Pabanaj e w und Alexan d ro w für das Molekulargewicht des Eicralbumins der Wert 14270 gefunden worden. Eine dritte direkte Methode für die Bestimmung des Molekulargewichtes von Eiweißkörpern beruht auf der Ermitt- lung des osmotischen Drucks der kolloidalen Lösungen. Dies Verfahren ist z. B. von Starling versucht worden (Journal of Physiology 24, 257) und neuerdings von W. Biltz expe- rimentell ausgearbeitet worden (über die mit Glutin (Gelatine) auf Grund von Versuchen von Bugge und Mein er t erhal- tenen Resultate wird in einer demnächst in der Zeitschr. für physikalische Chemie erscheinenden Arbeit berichtet werden). — Literatur; O. Cohnheim, Chemie der Eiweißkörper, Braunschweig 1911 r Handwörterbuch der Naturwissenschaften Bd. 3, Gustav Fischer, Jena; ferner zahlreiche Einzelarbeiten von Hofmeister, Kurajeff, Zinnowsky, E. Fischer und anderen Forschern in der Zeitschrift für physiologische Chemie, in den Berichten der deutschen Chem. Gesellsch., in Pflüger's Archiv für Anatomie und Physiologie usw. Dr. G. B. Zufällige Harnfarbstoffe. Nach Genuß eines Gerichtes von ca. 200 g Reizker (Lactarius deliciosus) beobachtete ich sowohl bei mir als bei einer anderen Person, etwa 2 Stunden nach Genuß des Gerichtes sichtbar werdend und etwa 10 Stunden anhaltend eine orangefarbene, besser gesagt gelbbraun-rötliche Harnfärbung. Der orangerote Milchsaft des Reizkers — der Pilz wird im englischen redmilk, im französischen sanguin ge- nannt — beruht auf einer Emulsion mikroskopisch kleiner, unregelmäßig runder, gelbrot gefärbter Körperchen. Die Harn- färbung scheint durch ein Abbauprodukt des Farbstoffs dieser Körperchen bedingt zu sein. Einige Tropfen Liquor ferri sesquichlorati lassen die Farbe der Emulsion ziemlich un- verändert , färben aber den Reizkerharn dunkelbraunrot, so daß also der Farbstoff des Reizkerharns und der der Emul- sion nicht direkt identisch sein können. Bei einer dritten Person rief der Genuß einer gleichen Menge des Pilzes nur Dunkelfärbung des Harns hervor, ohne die erwähnte Reaktion zu geben. — Auch die bietbraune Harnfärbung nach Ge- brauch von Naphthalin und die Grünfärbung nach Santonin, das übrigens auch in den sog. Wurmplätzchen enthalten, habe ich an mir beobachtet. Aus der Literatur sind mir bekannt; Rotfärbung des Harns nach Genuß von mit Eosin gefärbten Leckereien, desgl. nach Genuß von Folia Scnnae und Radix Rhei. Nach Bärentraubenblättertee; Harn dunkelbraun bis olivengrün. Nach Antipyrin und Pyramiden gelbrot. Nach Methylenblau (gefärbtem Konfekt); Blauharnen. (Jrünharnen nach Genuß von Schokolade, der ein Teerfarbstoff zugesetzt war. Grün- und Blauharnen bei sog. Indigurie, die zwar bei kranken aber auch bei sonst gesunden Kindern beobachtet wurde. Bei Karbol- und Lysolvergifteten nimmt der Harn beim Stehen an der Luft eine dunkelgrüne Färbung an. Viel- leicht hat dieser oder jener Leser vorstehender Zeilen die Freundlichkeit mir sein etwaiges Wissen über die sog. zu- fälligen HarnfarbstofTe mitzuteilen. F'riederich KanngieUer (Braunfels ob der Lahn). Literatur. Die Rheinlande in naturwissenschaftlichen und geogra- phischen Einzeldarstellungen. Herausgegeben von Dr. C. Mordziol. Nr. 7; Jurassus und Vosegus, Eine ethno- graphische Wanderung im Oberrheintale. Von Dr. C. Mehlis. Mit 5 Abb. und 1 Karte. Nr. 8: Die diluviale Geologie der Bodenseegegend. Von Prof. Dr. W. Schmidle. Mit 42 Abb. und 7 Tafeln. 3,60 Mk. Nr. 9: Bau und Bild des Taunus. (Ein Beitrag zu seiner Landeskunde.) Von Dr. Friedrich Knieriem. Mit 16 Abb. 2 Mk. Nr. 10; Die Entstehung des Siebengebirges. Von Dr. J o h ann e s Uh lig. Mit 27 Abb. und I geologischen Übersichtskarte (1 : 25000). 2,50 Mk. Braunschweig und Berlin '14. George Westermann. Ira Remsens Anorganische Chemie, selbständig be- arbeitet von Prof. Dr. Karl Seubert. 5. Aufl. der autori- sierten deutschen Ausgabe. Mit 2 Tafeln und 22 Textabb. Tübingen '14. H. Lauppschc Buchhandlung. Geb. 10 Mk. Karny, Dr. Heinrich, Wiederholungstabellen der Mine- ralogie. Mit 30 Kristallnetzen. Wien '14. A. Pichlers Witwe. 2,20 Mk. Hofmann, Prof. 'Dr. F. B., Ludimar Hermann. Nach einer am 24. Juni 1914 in der Aula der Albertusuniversität zu Königsberg i. Pr. gehaltenen Gedächtnisrede. Jena '14. G. Fischer. I Mk. Chemie der Erde. Beiträge zur chemischen Mineralogie, Petrographie und Geologie. Herausgegeben von Prof. Dr. G. Linck. I. Band. I. Heft. Mit II Abb. im Text. Jaenichen, Dr.-Ing. Willy, Lichtmessungen mit Selen. Berlin -Nikolassee '14. Administration der ,, Zeitschrift für Feinmechanik". 3 Mk. Lenk, Dr. Emil, Die Unabhängigkeit von der Natur. Mit 8 Abbildungen. Deutsche Naturwissenschaftliche Gesell- schaft. Geschäftsstelle Th. Thomas Verlag. Leipzig. I Mk. Hegi, Prof. Dr. Gustav, Illustrierte Flora von Mittel- europa. Mit besonderer Berücksichtigung von Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zum Gebrauch in den Schulen und zum Selbstunterricht. VI. Band. Bearbeitet von Dr. med. et phil. A. von Hayek. b. Lieferung. München. J. F. Lehmann's Verlag. 1,50 Mk. Himmel und Erde. Volksausgabe. Lieferung 26. Berlin- München- Wien. Allgemeine Verlagsgesellschaft m. b. H. Lieferung 26. 60 Pfennig. (Vollständig in 40 Lieferungen.) \ Inhalt: Trojan: Das Leuchten und der Farbensinn der Fische. Mötefindt; Diluviale menschliche Skelettrestc aus den thüringisch-sächsischen Ländern. — Einzelberichte; Seemann; Das Röntgenspektrum des Platins. Surbeck: Ein neuer Beitrag über die Geschlechtsverteilung bei den Fischen. Kranz: Über Militärgeologie. Haempel und Kol- mer; Die Abhängigkeit der Hautfarbe von der Färbung der Umgebung, besonders des Untergrunds bei Fischen. Brandt: Über die Absorption des Stickstoffs durch Calcium. Wieland und Offenbacher: Ein neues organisches Radik UUCl UIC /\US>UipiiUU UCS OLlClvälOUä UUJ^ll »^1111.111111. ** l C 1 .1 U U UUU »^^ l 1 C 11 U tt l, 11 C 1 . l-.iU ll^ut.3 vji ^.iLii3s.iii. mit vierwertigem Stickstoff. Fehlinger: Zur .\nthropologie Großbritanniens. — Kleinere Mitteilungen; Einseilige Schädigung von Bäumen durch Rauchgase. Bürger: Etwas von der Zelluloidindustrie. — ■ganisches Radikal :n : W e n z : cinseiiige öcnaaigung von rsaumcn aurcn Kauengase. eurger: etwas von aer z,eiiuioiuinuusirie. — Bücher- besprechungen: Hansen: Repetitorium der Botanik für Mediziner, Pharmazeuten, Lehramtskandidaten und Studierende der Forst- und Landwirtschaft. Soddy: Die Chemie der Radioelemente. Ostwald: Moderne Naturphilosophie. — Anregungen und Antworten. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d, S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 13. Band; der ganzen Reihe 29. Band Sonntag, den 20. Dezember 1914. Nummer 51. Physikalisches von unseren Feuerwaffen. [Nachdruck verboten.] Durch die Entwicklung der Technik sondere der Metallurgie und der Explosivstoff- chemie, haben unsere Feuerwaffen, die Gewehre und Geschütze, einen hohen Grad der Voll- kommenheit erreicht. Durch das mächtiger werdende Feuer haben die blanken Waffen im heutigen Kampfe an Bedeutung Einbuße erlitten. Zwar ist damit der Wert der offensiven Energie mit dem Säbel, der Lanze, dem Bajonett in der Hand keineswegs verloren gegangen, wie uns die Schlachten der letzten Zeit vor Augen geführt haben, aber die Feuerkraft des Feindes muß stets erst durch eigenes Feuer geschwächt werden, ehe der Gegner mit Erfolg unter nicht allzu großen eigenen Verlusten überrannt werden kann. Die Feuergeschwindigkeit kann heule auf ein früher nicht für möglich gehaltenes Maß gesteigert werden, die Reichweite der Waffen hat gegen früher erheblich zugenommen. Die vermehrte Wirkungsfähigkeit auf große Entfernungen hat den Feuerwaffen im modernen Kriege eine hervor- ragende Rolle zugewiesen. Vor allem sind es die neuen Geschütze, die durch die überwältigenden moralischen und physischen Wirkungen ihrer Brisanzgranaten für die Kampfesentscheidung aus- schlaggebende I^edeutung haben. D i e Partei wird sogleich im Vorteil sein, die sich zuerst einge- schossen hat und durch gute Treffer nicht allein eine große Zahl der Feinde tötet und verwundet, sondern durch die bombengleiche Wirkung der Sprenggeschosse auch die Nervenkraft des Gegners bricht und ihn demoralisiert. Daraus geht hervor, wie ungeheuer wichtig ein rasches und sicheres Einschießen für den Ausgang des Kampfes ist. Durch die stetig wachsenden Entfernungen des Gefechtsbeginnes wird das Einschießen im mo- dernen Kriege sehr erschwert; im Seekriege bei- spielsweise wird der Feuerkampf bereits auf 15 km begonnen. Um auf weite Entfernungen Ziele erfolgreich beschießen zu können, ist genaue Kenntnis der Waffe, des Geschosses und des Pulvers, sowie sämtlicher physikalischer Vorgänge erforderlich, die sich während und nach dem Abschießen voll- ziehen. Wegen ihrer großen Wichtigkeit für die Landesverteidigung sind alle diese h" ragen auf das gründlichste studiert worden; in den jetzigen Tagen bietet die Beschäftigung mit dieser Materie auch für den Laien großes Interesse. Die treibende Kraft in den Feuerwaffen rührt vom explodierenden Pulver her, die Spreng- wirkung der Granaten wird durch detonierende Sprengstoffe verursacht. Das aUe Schwarz- pulver hat seine Rolle längst ausgespielt, es ist VoQ Dr. Krumbhaar. insbe- durch die modernen rauchlosen Pulversorten ver- drängt worden. Ihre Grundsubstanz ist die be- kannte Schießbaumwolle, die zu den verschiedensten Pulversorten geformt werden kann ; eine sehr wirksame Unterstützung in ihrer Pulverwirkung findet die Schießwolle durch beigemengtes Nitro- glyzerin, das auch unter dem Namen Sprengöl bekannt ist. Die zur Füllung von Granaten und Bomben verwendeten militärischen Sprengstoffe haben wir ebenso wie die rauchlosen Pulver der synthetischen Chemie zu verdanken. Auch als Sprengladung diente ursprünglich das Schwarz- pulver; in den achtziger Jahren des vorigen Jahr- hunderts jedoch lehrte die Chemie die I^ikrin- säure als sehr sprengkräftigen und für Granat- füllungen geeigneten Körper kennen, der dann seit ca. 10 Jahren durch das Trinitrotoluol ersetzt wurde. Das Trinitrotoluol erfüllte besser als alle übrigen Sprengkörper die Forderungen, welche man an Granatladungen stellen muß. Alle Explosivkörper, die Pulversorten wie die Sprengfüllungen, wirken dadurch, daß bei ihrer Explosion eine große Gasmenge plötzlich ent- wickelt wird und das gleichzeitig sehr viel Wärme frei wird. Der hocherhitzten , in den engen Ladungsraum eingezwängten , großen Gasmasse wohnt ein gewaltiges Ausdehnungsbestreben inne, sie übt auf die Umfassungswände einen starken Druck aus. Dieser Druck nun vermag die vom Waffentechniker verlangte Arbeit zu leisten. Die Art dieser Arbeitsleistung ist bei den als Treib- mittel dienenden Pulversorten und den eigent- lichen Sprengstoffen durchaus verschieden. Die Explosion des Pulvers im Gewehr oder Geschütz soll das Geschoß mit allmählich ge- steigerter Geschwindigkeit nach vorne schieben, es soll ihm eine nach und nach zunehmende lebendige Kraft der Fortbewegung verleihen, ohne daß dabei durch den Gasdruck die Festigkeit von Rohr und Geschoß gefährdet wird. Die Spreng- stoffe sind viel heftigerer Natur, sie zerstören und zertrümmern. Bei ihrer Detonation entsteht in kürzester Zeit der höchste Gasdruck, dem kein Einschlußmaterial Widerstand zu leisten vermag; die aus gezogenem Stahl bestehenden Granat- wände werden mit elementarer Gewalt zu ein- zelnen Sprengstücken zerrissen und fortge- schleudert. In zahlreichen physikalischen Experimenten hat man die Eigenarten der Treib- und Spreng- mittel erforscht; besonderes Augenmerk richtete man dabei auf die Faktoren, von denen die Wirkung der Explosion in erster Linie abhängig ist, auf das entstehende Gasquantum, die ent- 802 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 51 wickelte Wärmemenge, und die Geschwindigkeit der auftretenden chemischen Reaktionen. Durch den Druck der Pulvergase wird das Geschoß aus dem Rohr getrieben ; der Druck wird um so kräftiger sein , je größer der Raum ist, den die Pulvergase einzunehmen bestrebt sind. Das Volumen der Gase hat man experimentell bestimmt. Daß solche Versuche mit Pulver und Sprengstoffen auch für einen mutigen Experimen- tator nicht gerade Verlockendes an sich haben, wird sicherlich einleuchten. In einer widerstands- fähigen, sehr dickwandigen Versuchsbombe aus bestem Material wird ein kleines Quantum des Explosivkörpers zur Detonation gebracht, die entwickelten Gase werden aus der Bombe in ein Gasometer geleitet. Hier kann das Volumen direkt abgelesen werden, nur muß dabei berück- sichtigt werden, daß bei jeder Explosion auch Wasser entsteht, das sich in Dampfform an den Kraftwirkungen beteiligt; sein Volumen wird dementsprechend in Rechnung gestellt. Einige interessante Beispiele für das Pulvergasvolumen führe ich hier an; wie bei Angaben von Gas- mengen allgemein üblich, sind die Daten auf einen Luftdruck von 760 mm und eine Temperatur von o Grad bezogen. I kg Schwarzpulver entwickelt 290 1 Gas I „ Nitrozellulosepulver „ 950 „ ,, I „ Trinitrotoluol „ 970 „ „ Überraschend deutlich beweisen die Zahlen die Überlegenheit des modernen rauchlosen Nitro- zellulosepulver gegenüber dem alten Schwarz- pulver, das weniger als ein Drittel der von neuen Pulversorten entwickelten Gasmenge liefert. Der Druck der Pulvergase kann ebenso wie ihr Volumen in einer Versuchsbombe ge- messen werden. Der Bombenhohlraum wird dazu in demselben Verhältnis mit Pulver angefüllt wie der Laderaum in der Waffe. Die Einrichtung, die von dem bekannten Sprengstoffindustriellen Nobel angegeben i^t, besteht in folgendem. Der bei der Explosion auftretende Druck preßt auf einen in die Bombe völlig gasdicht führenden Stahlstempel, der seinerseits auf einen Kupferblock drückt und diesen zusammenstaucht. Das Kupfer ist ein verhältnismäßig weiches und plastisches Metall und wird durch den Druck in gleichmäßiger, bestimmter Weise gestaucht. Mit Hilfe einer Hebelpresse werden einzelne Kupferkörper vorher durch gemessenen Druck zusammengepreßt und auf diese Weise wird gefunden , welcher Druck einer bestimmten Stauchung entspricht. Aus der Verkleinerung des Versuchszylinders kann man dann die Größe des Pulvergasdruckes in der Waffe berechnen. Eine andere interessante Methode zur Be- stimmung des Gasdruckes ist die Bleiblockprobe nach Trautzl; sie liefert allerdings keine abso- luten Werte, sondern nur Vergleichszahlen für die verschiedenen Sprengstoffe. In einen Block aus weichem, raffiniertem Blei wird eine axiale Bohrung tief hineingetrieben und in dem unteren Teil eine kleine Menge des Sprengstoffes zusammen mit einer Zündkapsel untergebracht. Durch einen Stahlstempel oder festgestampften Sand wird die P'üllung gut abgedämmt. Bei der Detonation vermögen die Gase nicht zu entweichen und ver- ursachen durch ihre Spannkraft eine Höhlung im Inneren des Blockes. Die Größe dieser Auf- bauchung, die leicht zu messen ist, gibt ein Maß für die Druckwirkung des Sprengkörpers. 10 g Pikrinsäure beispielsweise ergeben eine Aufbauch- ung von 380 ccm. Die Druckkräfte der Pulvergase können auch an der Waffe selbst gemessen werden. Der Nobelschen Stauchvorrichtung entsprechend, führt man in den Pulverraum der Waffe einen schwach saugend eingeschliffenen Stahlstempel, der den Pulverdruck auf einen festgelagerten Kupferzylinder überträgt. Die Stauchung des Zylinders wird mit Kupferblöcken verglichen, welche durch bekannte, statische Drucke geeicht sind. Bei Geschützen verursacht das Anbringen solcher Stauchvorrich- tungen am Pulverraum Schwierigkeiten; nach dem Vorbilde Kru])ps legt man hier zur Feststellung des Druckes einen geeigneten Meßkörper aus Stahl, ein sog. Meßei, in die Kartusche, d. h. die Pulverladung hinter dem Geschoß ein. Der in den Feuerwaffen auftretende Gasdruck ist außerordentlich groß; bei Feldkanonen mit 7,5 cm Kaliber beträgt er z. B. 2000 Atmosphären, bei größeren Geschützen steigt er bis auf 3000 kg pro qcm. Das b; deutet also, daß auf jeden ein- zelnen Quadratzentimeter, einen gewiß nur winzigen Fleck, der inneren Oberfläche des Ladungsraumes ein Druck von 2 — 3000 kg ausgeübt wird. Es ist selbstverständlich, daß derartigen Kraft- äußerungen nur das allerbeste Metallmaterial Widerstand zu leisten vermag. Den höheren An- sprüchen folgend sind die Werkstoffe der Waffen dauernd verbessert worden, und wir haben heute in den vergüteten Stahllegierungen, insbesondere dem Nickel- und Chromstahl, Waffen- materialien, deren Festigkeit sogar so weit geht, daß sie nicht einmal dann bersten, wenn eine Granate vorzeitig im Rohr detoniert. Die Fort- schritte, die in der Erzeugung der Waffenstähle gemacht worden sind , erhellen am besten aus einem zahlenmäßigen Vergleich ihrer Festigkeits- eigenschaften. Es seien hier vom Gußeisen, vom gewöhnlichen und dem veredelten Stahl nur folgende Werte angeführt: die Festigkeit als die auf ein Quadratzentimeter Querschnitt bezogene Belastung, bei welcher ein Stab zerrissen wird; die Elastizitätsgrenze, die man als die Belastung ansieht, oberhalb welcher bleibende Längenände- rungen bei Zugbeanspruchung eintreten und schließlich die Bruchdehnung, unter welcher man die Verlängerung der Längeneinheit des Stabes vor dem Zerreißen versteht; sie liefert uns ein Maß für die Zähigkeit des Materials. Festigkeit Elastiztiätsgr. Bruchdehnung Gußeisen 2340 kg iiiokg 0,4 N. F. XIII. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 803 Festigkeit Eiastizitätsgr. Bruchdehnung gewöhn- licher Stahl 4200 kg 2440 kg 11,5 moderner Nickelstahl 7500 kg 4400 kg i8,o Man erkennt eine wesentliche Zunahme von Festigkeit, Elastizität und Zähigkeit, den drei mechanischen Eigenschaften, die für den Bau von Gewehrläufen und Geschützrohren von größter Bedeutung sind. Um die gewaltigen Druckkräfte der modernen Pulver auszuhalten, bedarf es nicht nur besonders widerstandsfähiger Werkstoffe, sondern auch einer sehr haltbaren Konstruktion der Feuer- waffen, vor allem der Geschützrohre. Die Waffen haben die Aufgabe, die chemische Energie des Pulvers in Bewegungsenergie umzusetzen, das im Pulver verborgene Arbeitsvermögen zur Fort- bewegung des Geschosses nutzbar zu machen. Ihr wesentlichster Teil ist daher immer ein ein- seitig geschlossenes Rohr mit einem Raum zur Aufnahme der Pulverladung und des Geschosses, und einer zylindrischen Bohrung, die zur Führung des Geschosses dient. Auf die alten Vorderlader folgten die Geschütze, die von hinten geladen wurden und mit geeigneten Verschlüssen versehen waren. Die ursprünglich gebrauchten massiven Vollrohre aus einem Stück entsprachen den An- forderungen an die Festigkeit sehr bald nicht mehr. Heute werden daher die Geschützrohre ausschließlich aus mehreren Konstruktionsteilen zusammengesetzt und zwar immer so, daß die äußeren Teile bereits im Ruhezustand einen Druck auf die inneren ausüben. Damit wird der Druck- beanspruchung beim Schuß sehr erheblich ent- gegengewirkt. In Deutschland führte die Be- folgung dieses Prinzipes zu den Mantel- und Mantelringrohren, in England zu den mit starken Drahtwindungen umwickelten Drahtrohren. Viel Kopfzerbrechen hat den Waffentechnikern die gasdichte Abschließung des Pulverraums ver- ursacht; trotz der gewaltigen Druckkräfte dürfen keine Pulvergase weder nach rückwärts aus dem Verschluß noch nach vorwärts zwischen Geschoß und Seelenwandung hindurch entweichen, wenn die Pulverkraft voll ausgenutzt werden soll. Bei Patronenmunition führt die Messinghülse selbst die rückwärtige Dichtung aus; bei größeren Kalibern sind im Verschluß Liderungsringe aus dem plastischen Kupfer angebracht, die den Ver- brennungsraum gasdicht nach hinten abschließen. Das Abdichten des Pulverraumes nach vorn wird durch das Geschoß selbst bewirkt; es preßt sich mit seinem Führungsteil, dem Stahlmantel bei Gewehrgeschossen, der Kupferführung bei Artillerie- munition, in die Züge des Laufes oder Rohres ein. Die Züge sind Rillen, die in Form eines steilen Schraubengewindes in die Seelenwandung eingeschnitten sind. Sie haben neben der Auf- gabe, durch das fest eingepreßte Geschoß den Pulverraum während des Schusses abzudichten. den wichtigeren Zweck, dem Geschosse eine Drehung um seine Längsachse zu erteilen. Während das Geschoß aus dem Lauf oder dem Rohre herausgeschleudert wird, tritt den physikalischen Gesetzen von Wirkung und Gegen- wirkung entsprechend, an der Waffe selbst eine starke Reaktion ein, sie erfährt einen heftigen Rückstoß. Diese Stoßwirkungen können bei Handfeuerwaffen wegen ihrer verhältnismäßig ge- ringen Größe leicht kompensiert werden. Bei Geschützen machen sich jedoch sehr beträcht- liche Kräfte geltend; bei Feldkanonen entspricht der Rückstoß einem Gewicht von ca. 90000 kg, bei Marinekanonen und anderen großen Kalibern wächst die Druckwirkung des Rückstoßes auf einige looooo kg. Diese Belastungen müssen von den Montierungsvorriciitungen, den Laffettcn der Geschütze aufgenommen werden. Es ist klar, daß starre Konstruktionen übermäßig massiv und stark sein müssen, um solchen Einwirkungen gewachsen zu sein. Durch elastische Anordnung der Rohre, die ihnen ein gewisses Zurückgleiten gestattet, wie man sie in den Rohrrücklaufgeschützen anwendet, gelingt es jedoch, die Beanspruchung der Laffetten auf ein praktisch zulässiges Maß zu verringern. Neben der Gasspannung selbst liefert der Verlauf des Gasdruckes während der Pulverexplosion und des Abschießens einen zu- verlässigen Maßstab zur Beurteilung der Be- anspruchung von Waffe und Geschoß. Eine direkte experimentelle Bestimmung des Druck- verlaufes in der Waffe bietet bisher unüberwind- liche Schwierigkeiten; man untersucht ihn daher mittelbar, indem man den Lauf des Geschosses innerhalb der Waffe genau registriert. Aus der Geschwindigkeit, mit welcher das Geschoß durch den Lauf oder das Rohr eilt, läßt sich auf die Druckkräfte und die Gasspannungen schließen, die erforderlich waren, um die Bewegung hervor- zubringen. Diese indirekten Methoden schließen allerdings einen entstellenden Fehler ein; aus der Bewegung des Geschosses ergibt sich streng ge- nommen nicht der Verlauf des Gasdruckes, sondern nur die Änderungen der beschleunigenden Kräfte, welche auf das Geschoß einwirken. Sie aber sind geringer als die Gasspannung, da ein Teil des Druckes für das Einpressen des Geschosses in die Züge verbraucht wird. Sehr einfach kann man die Geschoßbe- wegung iin Rohr verfolgen, indem man quer durch die Seele an verschiedenen Stellen elek- trische Leitungsdrähte hindurchführt, welche das Geschoß nach dem Abschießen der Reihe nach durchreißt. Die Drähte werden von einem elek- trischen Strome durchflössen, der beim Zerreißen unterbrochen wird. Jede Stromunterbrechung be- wirkt das Überspringen von Funken, welche sich auf einer mit gleichmäßiger, bekannter Geschwin- digkeit rotierenden Trommel markieren. Aus dem Abstände zweier benachbarter P'unkenmarken läßt sich dann die Zeit entnehmen, in welcher das Geschoß den Weg zwischen den beiden zuge- 804 Naturwissenschaftliche' Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 51 hörigen Drähten zurückgelegt hat. Der Wert der Geschwindigkeit, der nichts anderes als der in der Sekunde zurückgelegte Weg ist, läßt weitere Rück- schlüsse auf die Gasspannung zu. Außer durch den eben erwähnten elektrischen Zeitmesser kann der Druckverlauf in folgender Weise ermittelt werden. Aus einem Rohr werden wiederholt Schüsse mit stets derselben Ladung ab- gegeben; vor jedem Schuß wird das Rohr vorne durch Abschneiden um eine bestimmte Länge verkürzt und jedesmal die Mündungsgeschwindig- keit außerhalb der Waffe nach bekannten IVie- thoden gemessen. So erhält man die Geschwin- digkeitsänderungen innerhalb des unverkürzten Rohres. Die beim Militär gebräuchlichste Vorrichtung zur Ermittlung der Pulvergasspannungen ist der Rücklaufmesser. In ähnlicher Weise wie aus den Geschoßgeschwindigkeiten ergeben sich aus den Be- wegungen des Waffenrückstoßes die Spannungs- verhältnisse. Die Waffe wird auf dem Rücklauf- messer möglichst reibungsfrei in Schienen gelagert und kann beim Abschießen ungehindert zurück- gleiten. Diese rückläufige Bewegung wird mit Hilfe verschiedener Registrierungsmethoden genau nach Weglänge und Zeit aufgezeichnet. Mit der zurückgleitenden Waffe kann z. B. eine metallene Schreibplaite starr verbunden sein, auf die eine feststehende, vibrierende Stimmgabel ihre Schwin- gungen zeichnet. Je rascher die Bewegung, um so enger rücken die einzelnen Wellen dieser Schwingungslinie zusammen; aus ihrem Abstände läßt sich zahlenmäßig die Rücklaufsgeschwindig- keit berechnen. Einer anderen Anordnung gemäß wird die Bewegung durch eine Schreibvorrichtung auf eine sich drehende berußte Trommel aufge- tragen. Da die so erhaltenen Rücklaufwege oft recht klein sind und die Aufzeichnungen insbe- sondere nur ungenaue Angaben über die ersten Stadien der Bewegung enthalten, sind sie auf op- tischem Wege bedeutend vergrößert worden. Die bewegte Waffe dreht einen Spiegel, der von einer hellen Lichtquelle beleuchtet wird. Der reflektierte Strahl, der wie ein langer Zeiger wirkt, markiert die Spiegel- und Waffenstellung auf einer rotie- renden, mit lichtempfindlichem l'apier überzogenen Trommel. Die Untersuchungen haben klar gezeigt, wie sich der Druck der Pulvergase in der Waffe ent- wickelt und wie sich das Geschoß unter ihrem Einfluß bewegt. Sobald nach der Zündung des Pulvers der Gasdruck einen bestimmten Wert überschritten hat, preßt er das Geschoß in die Züge ein. Der idealste Verlauf wäre nunmehr der, daß die Gasspannung bis zum Austritt des Geschosses aus der Waffe dauernd konstant bliebe. Doch kann dieses Ziel nicht erreicht werden. Der Druck der Gase nimmt zunächst bis zu einem Maximalwert zu, und zwar solange, wie die durch die Verbrennung der Ladung zugeführten neuen Treibgase noch den Spannungsabfall in dem fort- während zunehmenden Verbrennungsraum auszu- gleichen vermögen. Ist dieser Punkt erreicht, sinkt der Druck wieder, bis er sich beim Austritt des Geschosses plötzlich gänzlich entspannt. Die Bewegung des Geschosses entspricht den treibenden Kräften : seine Geschwindigkeit steigt mit dem Fortgang der Explosion auf einen Höchstwert, um gegen die Mündung zu wieder etwas abzu- nehmen. Neben den Druckverhältnissen in der Feuer- waffe beanspruchen die auftretenden Wärme- verhältnisse besonderes Interesse. Die Energie oder das Arbeitsvermögen eines Pulvers ist be- dingt durch seinen Wärmegehalt, der sich in der Verbrennungswärme bei der Explosion kundtut. So wie die Kohle die treibende Kraft für die Be- wegung der Dampfmaschine liefert, so setzt das Pulver durch seine Verbrennung die mannigfachen Funktionen der Feuerwafien in Tätigkeit. Es treibt das Geschoß nach vorn, bewirkt die Ge- schoßrotation, überwindet die Reibungswiderstände, stößt die Pulvergase aus, ruft den Rückstoß her- vor usw. P^ür die eigentliche Aufgabe, die P~ort- bewegung des Geschosses bleibt hier, den Ver- hältnissen der Maschinen ähnlich, nur ein geringer Peil der ursprünglichen Energie übrig. Das Ver- hältnis der Geschoßenergie beim Verlassen der Mündung zu dem Arbeitsvermögen der Pulver- ladung, die sog. Pulverausnutzung, beträgt bei Ge- wehren und Geschützen nicht mehr als 10 — ZS^Io- Die Verbrennungswärme der Pulver- sorten und Sprengstoffe wird in der schon mehrfach erwähnten Versuchsbombe gemessen, indem man diese in einem Wasserkalorimeter unterbringt und mit einem sehr feinen Thermo- meter die nach der Explosion auftretende Tempe- raturerhöhung mißt. Aus der Temperatursteigerung wird unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren die Verbrennungswärme berechnet. Auch hier nimmt man für den Endzustand das Wasser in Dampfform an. Die Wärme wird nach Kalorien gezählt; als eine Kalorie wird die Wärmemenge angesehen, die erforderlich ist, um i kg Wasser um I " zu erwärmen. Als Beispiele seien die folgenden Werte angeführt : I kg Schwarzpulver entwickelt 750 Kalorien I „ Nitrozellulosepulver „ 940 „ I „ Nitroglyzerinpulver „ I330 „ I „ Trinitrotoluol „ 720 „ Unter den Zahlen fällt der hohe Wert des nitroglyzerinhaltigen Pulvers gegenüber dem reinen Nitrozellulosepulver auf Wenn man die Ver- brennungswärmen der Explosivstoffe mit derjenigen anderer organischer Körper vergleicht, erkennt man, daß sie keineswegs abnorm hoch ist. Trotz- dem werden infolge der sehr raschen Verbrennung recht beträchthche Temperaturen erreicht. Eine direkte Bestimmung der Explosionstemperatur durch das Experiment ist bisher nicht gelungen. Sie ist jedoch mit einiger Annäherung aus der Verbrennungswärme und der spezifischen Wärme der Verbrennungsgase errechnet worden und hat I N. F. XIII. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 805 sich für das Blättchenpulver, das sich in den Patronen für das Gewehr 9S befindet, zu 2100" herausgestellt. Durch derartig hohe Temperaturen wird das Ausdehnungsbestreben der Pulvergase sehr gesteigert und die dem Geschoß erteilte Geschwindigkeit bedeutend vergrößert. Die hohen Hitzegrade gefährden jedoch die dauernde Halt- barkeit der Waffe; durch die glühend heißen Pulvergase werden Seelenrohre, Verschlüsse usw. durch Abschmelzen, Verdampfen, Ausbrennen stark beschädigt. Solche .Ausbrennungen treten besonders bei leicht schmelzbaren Metallen, z. B. der Bronze, auf und ferner bei solchen Pulver- sorten, die wie die nitroglyzerinhaltigen Pulver sich durch hohe Verbrennungswärme auszeichnen. Die hohe Temperatur der Pulvergase hat ihre Ursache in der beträchtlichen Geschwindigkeit d er Verbrennungsvorgänge. Die V e r b r e n n u n gs- gesch windigkeit kann sehr einfach durch die bereits erläuterte Explosionsbombe mit Nobelscher Stauchvorrichtung gemessen werden, indem man eine Schreibvorriclitung mit langem Hebelarm daran anbringt. Der Verlauf der Zusammen- stauchung wird so in vergrößertem Maße auf einer rotierenden, berußten Trommel aufgezeichnet und der Zeitpunkt des Druckmaximums deutlich markiert. Als Verbrennungsdauer sieht man dann gewöhnlich die Zeit an , welche bis zum Auf- treten des maximalen Druckes vergeht. Auf die Bestimmung der Verbrennungsdauer des Pulvers in der Waffe ist diese Methode deshalb nicht an- wendbar, weil hier bei der dauernden Veränderung von Gasspannung und Verbrennungsraum völlig veränderte Verhältnisse obwalten. Die bisher zur direkten Feststellung der Verbrennungszeit des Pulvers vorgeschlagenen Untersuchungsweisen haben wenig zuverlässige Resultate geliefert. Dagegen bestehen eine Reihe sehr brauchbarer Methoden, um die Verbrennungsgeschwindigkeit der Explosivstoffe außerhalb der Waffe messend zu verfolgen. Sie sind für die Praxis von erhöhter Bedeutung, weil sie die sog. Brisanz zu beurteilen gestatten. Je rascher ein Explosivkörper ver- brennt, um so brisanter ist er. Die Messung durch den Funkenchronographen hat große Ähnlichkeit mit dem beschriebenen elektrischen Zeitmesser für die Geschoßgeschwindig- keit innerhalb der Waffe. In einer Sprengpatrone, die mit dem zu untersuchenden Stoff gefüllt ist, sind an zwei Stellen in bekannter Entfernung voneinander Drähte angebracht, durch welche ein elektrischer Strom fließt. Bei Detonation der Sprengladung werden die Ströme nachein- ander unterbrochen und der zeitliche Abstand in bekannter Weise auf einer rotierenden Trommel markiert. .Aus den erhaltenen Daten läßt sich leicht die Geschwindigkeit ableiten , mit welcher die Detonation von einem zum anderen Drahte fortschreitet. Eine sehr sinnreiche Methode zur Messung von hohen Verbrennungsgeschwindigkeiten besteht in der Verwendung der sog. Detonationszünd- schnur. Eine solche etwa 1,5 m lange Schnur ist mit Trinitrotoluol getränkt und an beiden Enden mit Sprengkapseln versehen; ihre Mitte liegt auf einer weichen Bleiplatte auf. Werden beide Enden gleichzeitig entzündet, so treffen sich die Detonationswellen genau in der Mitte und kennzeichnen ihren Treffpunkt durch einen Riß in der Bleiplatte. Gelangen die Enden aber in kurzem Abstände nacheinander zur Zündung, so rückt der Treffpunkt von der Mitte fort in der Richtung auf das später gezündete Ende der Schnur und zwar im Verhältnis des zeitlichen Abstandes der beidOTi Zündungen. Wenn also die beiden Schnurenden an zwei Stellen einer Patrone mit dem zu prüfenden Explosivkörper angebracht wird , läßt sich auf diese Weise die Detonationsgeschwindigkeit finden. Die Brisanz sehr kräftiger Sprengstoffe mißt man oft bei freier Lagerung auf einer Unterlage; man erhält so zwar keine Werte für die Ver- brennungsgeschwindigkeit selbst, aber recht gute Vergleichszahlen. So läßt man z. B. einen Spreng- körper frei auf einem Stahlzylinder liegend ex- plodieren und bestimmt die Stauchung, welche ein unter dem Stahlzylinder ruhender Kupferblock erfährt. Oder man ermittelt die Gewichtsmenge des Brisanzkörpers, die erforderlich ist, um bei freier Anlage eine VValzeisenplatte von bestimmter Dicke zu durchschlagen. Die an Explosivstoffen gemessenen Ver- brennungsgeschwindigkeiten sind ungeheuer groß; so pflanzt sich z. B. die Detonation in der Pikrin- säure mit der erstaunlichen Geschwindigkeit von 8000 m pro Sekunde fort. Lockere Schießwolle verbrennt in weniger als ^/loooo Sekunden. Schwarzpulver braucht zur Verbrennung in Staub- form 0,0015, gekörnt 0,0057 "rid in stark ge- preßter Form 0,0084 Sekunden. Aus den letzten Zahlen geht schon hervor, daß die Verbrennungs- geschwindigkeit stark von dem physikalischen Zustande, von der Dichte des Pulvers abhängig ist. Durch Zusammenpressen nimmt sie deutlich ab; so wird auch die Brisanz der Schießwolle durch Gelatinierung wesentlich vermindert, wobei sie ihre Faserstruktur verliert und in einen dich- teren Zustand übergeht. Die Verbrennungsge- schwindigkeit hängt ferner von dem Raum ab, der für die Explosion zur Verfügung steht, von dem sog. Ladungsraum. Bei geringem Laderaum und hoher Ladeschichte entwickelt sich großer Druck, der die Verbrennung beschleunigt. Bei modernen Pulversorten beträgt der Laderaum ca. das Doppelte des Pulvervolumens. Eine genaue Kenntnis der Verbrennungsge- schwindigkeit von Explosivkörpern ist deswegen für den Waffentechniker von Bedeutung, weil er daraus die Ausnutzung eines Pulvers zu beurteilen vermag. Das Pulver wird dem Ideal am nächsten kommen, dessen Verbrennung-geschwindigkeit so geregelt ist, daß es gerade in dem Moment völlig verbrannt ist, in welchem das Geschoß die Mündung verläßt. Leider ist dieser Idealzustand noch nicht 8o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 51 erreicht; an den Mündungen unserer Waffen läßt sich immer noch eine Feuererscheinung beobachten, die von unvollständiger Verbrennung des Pulvers herrührt; ein solches Mündungsfeuer kann die Vorteile der rauchlosen Pulver unter Umständen erheblich beeinträchtigen. Kurz sei hier auf einen eigenartigen physika- lischen Begriff hingewiesen, der bei der Beurteilung von Explosivkörpern eine Rolle spielt, auf die Empfindlichkeit gegen Stoß und Schlag, auf die sog. Sensibilität. Die verschiedenen Spreng- körper sind sehr verschieden sensibel; die einen explodieren durch Stoß ufld Schlag sehr leicht, die anderen gar nicht oder schwierig. Die Sensi- bilität wird geprüft, indem man auf eine abge- wogene Menge des Untersuchungsobjektes einen Fallhammer von bestimmtem Gewichte nieder- fallen läßt und die Fallhöhe bestimmt, welche erforderlich ist, um die Detonation hervorzurufen. So wurde folgendes gefunden : Durch ein Gewicht von 2 kg wurde Knallsilber bei einer Fallhöhe von i cm Pikrinsäure ,, „ „ „ 25 „ Trinitrotoluol ,, ,, „ „ 108 ,, zur Explosion gebracht. Man erkennt die großen Unterschiede, welche zwischen dem als Zündmittel verwendeten Knallquecksilber, der recht druck- empfindlichen Pikrinsäure und dem schuß- und rohrsicheren Trinitrotoluol bestehen. Während das Geschoß unter dem Druck der hocherhitzten Pulvergase den Lauf oder das Rohr verläßt, führt die VVaffe selbst verschiedene Be- wegungen aus: sie erfährt, wie schon erwähnt, einen Rückstoß in der Richtung der Seelenachse, die Mündung wird angehoben und zugleich wird Lauf oder Rohr durch die Erschütterung des Schusses in schwingende Bewegungen versetzt, die bei Geschützen so stark sein können, daß s*e mit bloßem Auge erkennbar sind. Alle VVaffen- bewegungen beim Schuß hat man auf photographischem Wege durch einzelne Moment- bilder oder durch kinematographische Serienauf- nahmen eingehend studiert. Um die Waffen im Moment des Schusses photographieren zu können, ist die Einrichtung derart getroffen, daß durch das Geschoß vor der Mündung ein Strom unterbrochen wird und daß durch diese Unterbrechung an einer Leidener Flasche ein starker Funke hervorgerufen wird. Der momentan auftretende, intensiv leuchtende Funke wirft das Bild der Waffe auf die photo- graphische Platte; die Zeit seines Aufleuchtens ist so kurz, daß auch die schnellste Bewegung stillstehend erscheint. Durch allmähliche Ent- fernung der Funkenauslösevorrichtung von der Mündung kann der Schußvorgang in jeder be- liebigen Phase festgehalten werden. So hat man sehr instruktive Bilder von dem Austreten der Pulvergase, von dem Ausschleudern unverbrannter Pulverkörner, von dem Funktionieren des Schlosses usw. erhalten. Besser als durch Einzelbilder werden die Schuß- bewegungen durch die Serienaufnahmen der Schußkinematographie demonstriert. Die ge- wöhnliche kinematographische Methode, deren Beleuchtungsprinzip auf einem rasch wechselnden Blenden und Offnen einer konstanten Lichtquelle beruht, ist zur Festhaltung der Schußvorgänge wegen der ungeheueren Geschwindigkeiten nicht anwendbar. Die Beleuchtung wird hier durch elektrische Funken bewirkt, die in raschester Auf- einanderfolge überspringen und die Momenibilder der Waffe auf einen schnell rotierenden Film ent- werfen. Mit Hilfe sinnreicher Vorrichtungen ist es gelungen, die Beleuchtungsfunken und damit die einzelnen Aufnahmen in derart rascher Folge zu erzeugen, daß der zeitliche Abstand der ein- zelnen Aufnahmen wenig mehr als Vi 00 000 Sekunde beträgt. So kann man selbst von den rapidesten Vorgängen, die in minimalen Bruchteilen einer Sekunde verlaufen, eine ganze Reihe von Teil- bildern erhalten. Die Serienaufnahmen werden auf einen an der Seite gelochten Film kopiert, und mit Hilfe eines kinematographischen Projek- tionsapparates auf einem Schirm zu einem zu- sammenhängenden Vorgange vereinigt. Die Ge- schwindigkeit des Filmbildes kann beliebig ver- langsamt werden und so werden noch Bewegungen bequem sichtbar, die sich sonst wegen ihrer un- geheueren Geschwindigkeit jeder Beobachtung ent- ziehen. Ganz ähnlich wie man durch das Mikro- skop instand gesetzt wird, kleinste Körperchen in allen Einzelheiten zu erkennen, oder wie durch das Fernrohr weit entfernte Gegenstände stark angenähert erscheinen, wird durch die kinemato- graphische Methode die Verfolgung sehr rascher Vorgänge mit dem Auge möglich. Ein Bild von eigenartigem Reiz bietet auf dem Projektionsschirm beispielsweise das Abschießen einer Selbstladewaffe: langsam rückt der Abzugshahn wieder vor, das Geschoß, das in Wahrheit mit vielen Hundert Metern Geschwindigkeit hervorjagt, tritt ruhig und harmlos aus dem Lauf heraus, die Pulvergase dringen wie Qualm aus einem Schornstein aus der Mündung hervor, der Verschluß geht zurück, die leere Patronenhülse wird ausgeworfen, eine neue Patrone eingeführt; alles was in Wirklichkeit sich mit äußerster Schnelligkeit vollzieht, geht in- folge der kinematographischen Verlangsamung mit größter Ruhe und Bequemlichkeit vor sich. Mit noch so eingehenden Angaben über die Bewegungsvorgänge in der Waffe ist dem Soldaten im Felde nur wenig gedient; um seine Ziele er- folgreich beschießen zu können , bedarf er vor allem genauer Kenntnis des Weges, den das Ge- schoß nach dem Abschießen einschlägt und der Wirkungen, die es am Ziel hervorbringt. Wenn das Geschoß die Waffe verlassen hat, und keinerlei Kräfte es uuf seinem Wege beein- flussen würden, so müßte es sich in gerader Linie fortpflanzen. In Wirklichkeit wird das Geschoß durch vielerlei Einwirkungen, unter denen die An- ziehung der Erde und der Widerstand der Luft N. F. Xm. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. .S07 die wichtigsten sind, aus seiner Bahn abgelenkt. Außer durch die Richtung der Seelenachse und die Eigengeschwindigkeit des Geschosses wird daher die Gestalt der Flugbahn im wesent- lichen durch Schwerkraft und Luftwiderstand be- dingt. Sieht man der Einfachheit wegen zunächst von der Wirkung des Luftwiderstandes ab, be- trachtet man also den Geschoßflug im luft- leeren Raum, so ergibt sich aus meciianischen Prinzipien für die Flugbahngestalt eine verhältnis- mäßig einfache Linie, die Parabel. Eine noch einfachere Form nimmt die Flugbahn an, wenn man nur nahezu horizontale Schüsse mit geringer Erhebung der Seelenachse gegen die Wagerechte in Betracht zieht, wie sie für das Gewehr die Regel sind. Die Bahn nimmt dann die Gestalt eines flaciien Kreisbogens an. Obgleich sich jede Geschoßbewegung im lufterfüllten Raum vollzieht, gestatten die für den leeren Raum auf mathe- mathischem Wege abgeleiteten Formeln doch wesentliche Rückschlüsse auf die wirkliche Flug- bahn und teilweise direkt praktische Verwertung. Es zeigte sich nämlich, daß der wirkliche Geschoß- flug sich in vielen P'älien, besonders bei schweren Geschossen und geringen Geschwindigkeiten, der Parabelgestalt sehr annähert. Aus der parabolischen Gestalt folgt ohne weiteres, daß die größte Schußweite bei einem .Abgangswinkel von 45 Grad erreicht wird, das heißt, wenn die Geschoßbahn mit einer in der Mitte zwischen der Horizontalen und der Senk- rechten liegenden Richtung ansteigt. Zugleich folgt, daß dieselbe Schußweite mit zwei ver- schiedenen Erhöhungswinkeln erreicht werden kann, die beide von dem Winkel der maximalen Schußweite gleich weit entfernt sind. So wnrd z. B. mit einem Winkel von 30 Grad dasselbe Ziel getroffen, wie mit einem solchen von 60 Grad. Die militärische Praxis macht sich diese Möglich- keiten in dem Steil- und Flachschuß zunutze. Infolge des verzögernden Luftwiderstandes ist die Flugbahn stets mehr oder weniger von der Gestalt der Parabel verschieden. Die Schußweite und Endgeschwindigkeit wird verkleinen, die Ge- samtflugzeit vergrößert und der Scheitel der Bahn mehr nach dem Auftreffpunkt hin verlegt. Der absteigende Flugbahnast ist stärker gekrümmt als der auf^teigende; er fällt steiler ab, und daher ist der Auffallwinkel, d. h. der Winkel, unter dem das Geschoß am Ziele auftrifift, größer als der Ab- gangswinkel. Für artilleristische Zwecke ist ein- gehende Kenntnis der wirklichen Flugbahngestalt, der sog. ballistischen Linie durchaus notwendig, um Ziele erfolgreich bekämpfen zu können. Insbesondere müssen die Zusammen- hänge zwischen den einzelnen Elementen der Bahn, den ballistischen Elementen gut bekannt sein; der Artillerist muß wissen, welche Be- ziehungen zwischen Anfangsgeschwindigkeit und Abgangswinkel einerseits, und der Schußweite, der Flugzeit, der Endgeschwindigkeit und dem Auffallwinkel andererseits bestehen. Durch mannig- faltige Schießversuche zusammen mit den theo- retischen Berechnungen der Mathematiker und Physiker hat man die Zusammenhänge dieser Elemente für die verschiedensten Verhältnisse tabellarisch aufgezeichnet und sie für den prak- tischen Gebrauch in den Schußtafeln niedergelegt. Der Ei nfl u ß des L u ft w ide rstand es auf die Gestaltung der Geschoßbahn macht sich um so deutlicher bemerkbar, je leichter das Geschoß- gewicht und je größer die Geschwindigkeit ist. Eine 120 kg schwere Mörsergranate, die mit ca. 200 m Anfangsgeschwindigkeit fortgeschleudert wird, erreicht etwas mehr als die Hälfte der be- rechneten Schußweite. Dagegen verliert das sehr rasch mit einer Geschwindigkeit von über 600 m fliegende Infanteriegeschoß des Gewehres 8Ö in- folge des Luftwiderstandes über 70 "/„ seiner Schußweite. Für kleine Geschosse großer Ge- schwindigkeit ist hohes spezifisches Gewicht von Vorteil. Das moderne Gewehrgeschoß mit Stahl- mantel und Bleikern hat eine Dichte von 10,5. Versuche, die man mit schwereren Metallen an- stellte, sind an praktischen Schwierigkeiten ge- scheitert. Neben der Geschwindigkeit und dem Gewicht des Geschosses kommt für die Größe des Luft- widerstandes das Gewicht der Luft während des Schießens in Frage. Das Luftgewicht wechselt stark mit dem Luftdruck, der Temperatur und dem Feuchtigkeitsgehalt. Hoher Barometerstand, kalte und feuchte Luft setzen dem Geschoß mehr Widerstand entgegen, als eine leichte, warme und trockene Atmosphäre. Durch die Geschoßbewegung wird die Luft zur Seite gedrängt, so wie das fahrende Schiff das Wasser durchschneidet. Ebenso wie der Widerstand, welchen das Schiff im Walser findet, von Querschnitt und äußerer Gestalt des Schiffs- körpers abhängig ist, ist der dem fliegenden Ge- schoß entgegentretende Luftwiderstand durch die Querschnittsfläche des Geschoßkörpers und durch seine Form bedingt. Bei den im Mittel- alter verwendeten Kugeln ist das Verhältnis zwischen Geschoßgewicht und dem zum Luft- widerstande senkrechten Querschnitte außer- ordentlich ungünstig. Viel vorteilhafter gestaltet sich das Verhältnis bei den modernen Lang- geschossen, mit walzenförmigem Führungsteil und nach vorne zulaufender Spitze. Zu weiterer Ver- ringerung des Luftwiderstandes durch Querschnitts- verkleinerungen hat man Geschosse vorgeschlagen, durch deren Kern eine zylindrische Bohrung hin- durchführt. Derartige Hohlgescho-se bewährten sich in der Praxis jedoch nicht. Die äußere Form der deutschen Infanteriegeschosse Modell 9S ist heute so ausgebildet, daß sie der Luftdurch- schneidung einen möglichst geringen Widerstand entgegensetzen. An einen zylindrischen Führungs- teii, der etwa die Hälfte der ganzen Geschoßlänge einnimmt, schließt sich eine lange, schlanke Spitze. Das französische Gewehrgeschoß hat ebenfalls eine schlanke Spitze, im Gegensatz zum deutschen Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 51 Spitzengeschoß jedoch einen nach dem Boden zu eiförmig verjüngten Führungsteil, in der Form an das Heck eines Schiffes erinnernd. Wie experi- mentell erwiesen, wird durch die heckförmige Ver- jüngung der Luftwiderstand herabgemindert. Die Gestaltung der Sprenggranaten und Schrapnells kann den Forderungen nach einem möglichst geringen Widerstand nur soweit ent- gegenkommen, als es die Rücksichten auf den inneren Ausbau und die Füllung zulassen. Man wendet hier schwach abgerundete Spitzenformen an und sucht die Spitze im Verhältnis zum Ge- schoßdurchmesser soweit als praktisch möglich zu verlängern. Die massiven Fanzergeschosse, die nicht durch Sprengladungen, sondern lediglich durch die lebendige Kraft ihres Aufpralles wirken sollen, werden mit scharfer, gehärteter Spitze ver- sehen. Um ein Eindringen in die Ziele zu er- leichtern und das Abbrechen der Spitze zu ver- hindern, umgibt man sie mit einer Kappe aus weichem StahlblecJi.j Über das eigentliche Wesen des Luftwider- standes gibt in sehr interessanter Weise die oben schon erwähnte Schußkinematographie Aufschluß. Es ist gelungen, das Geschoß trotz seiner un- geheueren Geschwindigkeit, auf die photographische Platte zu bannen. Auf den erhaltenen Bildern sind außer der dunklen Silhouette des Geschosses deut- lich alle die vor, neben und hinter dem Geschoß auftretenden Luftbewegungen zu erkennen. Es ist so erwiesen, daß das Geschoß der Luft selbst Beschleunigung erteilt, sie in Wellen fort- stößt und in ihr durch Reibung Wirbel erzeugt. Die Energie, welche das Geschoß infolge des Luftwiderstandes verliert, setzt sich in diese Wellen- und Wirbelbewegungen um. Charakteristische Luftbewegungen treten am fliegenden Geschoß erst bei Geschwindigkeiten auf, welche die Schallgeschwindigkeiten über- steigen. Die Erscheinungen sind denen sehr ähnlich, die ein fahrendes Schiff im Wasser her- vorruft. An der Geschoßspitze entsteht eine Welle verdichteter Luft, die sog. Kopfwelle, die unter bestimmtem, von der Geschwindigkeit ab- hängigem Winkel seitlich ausläuft. Bei den spitzen Infanteriegeschossen beginnt diese Bugwelle etwas hinter dem Geschoßkopf. Vom Geschol3boden geht eine zweite Verdichtungswelle, die Schwanz- welle aus. In dem Schußkanal erblickt man noch mehrere Meter hinter dem Geschoß zahlreiche Wölkchen, die von Luftwirbeln herrühren. Der Luftdruck, der am fliegenden Geschoß durch Verdichtung der Luft auftritt, ist nicht sonderlich hoch ; wie gründliche Messungen er- geben haben, beläuft er sich auf nur wenige Atmo- sphären. Wenn im Gefechte einzelne Leute durch den Luftdruck der Granaten getötet sein sollen, so ist das lediglich eine Wirkung der platzenden Granaten, deren Sprengfüllung bei der Detonation allerdings gewaltige Spannungen entwickeln. Der durch den Vorbeiflug selbst großer Geschosse hervorgerufene Luftdruck kann einen Mann höch- stens zu Boden werfen. Im menschlichen Ohre rufen die Verdichtungs- wellen eine Knall em pfind ung hervor. Wenig bekannt dürfte es sein, daß wir an den Feuer- waffen zwei verschiedene Arten des Knalles, den Geschoß- und den Waftenknall zu unterscheiden haben. Im Gefecht ist bei dem allgemeinen Schlachtenlärm davon zwar nichts zu merken, da- gegen wird man diese Angabe bestätigt finden, wenn man auf dem Schießstande in der Anzeiger- deckung am Ziele aufmerksam beobachtet. Zu- gleich mit dem Geschoß kommt ein kurzer, ssharfer Knall am Ziele an ; er rührt von der Kopfwelle des Geschosses her. Kurz darauf folgt ein zweiter, dumpferer Knall, der an der Waffe hervorgebracht wird, wenn die hochgespannten Pulvergase nach Austritt des Geschosses plötzlich auf die umgebende Luft stoßen. Er pflanzt sich nur mit Schallgeschwindigkeit fort und langt daher später als der Geschoßknall am Ziele an. Der Luftwiderstand aber wirkt nicht nur ver- zögernd auf die Geschoßgeschwindigkeit ein, er hat auch das Bestreben, die Geschosse aus ihrer Lage in der Richtung der Flugbahn zu drängen, sie zum Überschlagen zu bringen. Man kann sich davon sehr anschaulich überzeugen, wenn man ein Infanteriegeschoß lose drehbar auf eine Platte legt und jetzt in der Richtung der Längsachse einen Luftstrom dagegen bläst. Es beginnt so- gleich heftig zu schwanken und stellt sich schließ- lich quer zum Luftstrom. Das Überschlagen der Langgeschosse würde eine völlig unregelmäßige Flugbahn im Gefolge haben und damit die Treff- sicherheit illusorisch machen. Man sichert daher den Geschossen eine feste und dauernde Richtung in der Mugbahn, indem man ihnen eine scharfe Drehbewegung um ihre Längsachse er- teilt. Alle schnell rotierenden Körper setzen Kräften, die ihre Drehachse aus ihrer Richtung zu bringen suchen, beträchtlichen Widerstand ent- gegen ; der sich drehende Kreisel, ja unsere Erde selbst liefert ein Beispiel für diese Erscheinung. Die Rotation der Langgeschosse wird durch die schraubenförmige Steigung der Züge, dem Drall, im Lauf und Rohr hervorgebracht, in welche sich das Geschoß hineinschraubt. Die Geschwindigkeit beträgt bei neuen Gewehren 3 — 4000 Touren pro Sekunde. Da die Rotation durch den Luftwider- stand fast gar nicht, sondern nur durch die gering- fügige Luftreibung beeinflußt wird , erfährt ihre Geschwindigkeit während der Dauer des Geschoß- fluges keine nennenswerte Einbuße. Ein völlig ruhiger Flug wird durch die Ge- schoßrotatien noch nicht gewährleistet. Aus der Wechselwirkung zwischen der Geschoßdrehung um die Längsachse und dem Luft widerstände entsteht eine pendelnde Drehbewegung, indem die Geschoßachse eine Kegelform beschreibt. An tanzenden Kreiseln kann man ähnliche Pendelungen beobachten. Solche regelmäßigen Bewegungen sind nicht mit dem Flattern gewisser Artillerie- N. F. Xm. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 809 geschosse zu verwechseln, das man hier und da mit bloßem Auge wahrnehmen kann und dessen Ursache in unregelmäßigen Stößen der Pulvergase auf dem Geschoßboden zu suchen ist. Zahlreich sind die Methoden und interessant die Ergebnisse der experimentellen Untersuchun- gen, welche man über die einzelnen ballistischen Elemente der Geschoßbahn anstellte. Anfangs- geschwindigkeit, Abgangswinkel, Flugzeit und Schußweite wurden genau gemessen, ebenso Auf- fallwinkel und Endgeschwindigkeit bestimmt. Die üblichen Methoden der praktischen Physik ver- sagen der ungeheuren Geschwindigkeiten und der riesigen Kräfte wegen meistens, neue Unter- suchungsverfahren sind daher vielfach herange- zogen worden. Die Mündungs- oder Anfangsgeschwin- digkeit, d. h. die Geschwindigkeit, welche das Geschoß beim Austritt aus der Mündung besitzt, ist oft gemessen worden. Wegen ihres bestim- menden Einflusses auf die Rasanz der Flugbahn, die Schußweite und die Treffsicherheit hat sie wichtige Bedeutung für die Praxis des Schießens. Die älteste Bestimmungsmethode beruht auf der Verwendung des ballistischen Pendels ; in einen als Pendel lose aufgehängten, mit Sand gefüllten Kasten schießt man das Gewehrgeschoß aus ziem- lich naher Entfernung hinein und beobachtet den Ausschlag, welchen der hängende Kasten erfährt. Die Größe des Ausschlagwinkels steht dabei in direkter Beziehung zu der Energie des fliegenden Geschosses und gibt ein Mittel an die Hand, die Geschoßgeschwindigkeit zu berechnen. Der Ge- brauch des Sandkastens ist veraltet; als ballisti- sches Pendel benutzt man heute eine hängende Stahlplatte; an der gut gehärteten Oberfläche prallt das Geschoß ab und überträgt sein Arbeits- vermögen auf die Platte, aus deren Bewegungs- größe sich seine Geschwindigkeit auf Grund der Stoßgesetze ergibt. Diese Einrichtung ist ein sehr bequemes und genaues Meßinstrument; es hat vor allem den Vorteil, daß es die wirkliche Geschwindigkeit im Moment des Auftreffens er- gibt. Alle anderen Bessimmungsmethoden sind im eigentlichen Sinne nur Zeitmesser; sie ermög- lichen die Bestimmung der Zeitdauer, welche das Geschoß zum Durchfliegen einer längeren Strecke benötigt, und liefern daher stets nur mittlere Ge- schwindigkeitswerte. Geschwindigkeitsmessungen an Pistolenge- schossen führt man mit Hilfe einer schnell rotie- renden, hohlen Kartontrommel aus. Schießt man durch eine solche Vorrichtung hindurch, wenn sie in Ruhe ist, so liegen Ein- und .Ausschußloch auf einem Durchmesser; bei rotierender Trommel verschiebt sich das Ausschußloch jedoch um einen bestimmten Betrag. Aus Durchmesser und Rota- tionsgeschwindigkeit der Trommel, sowie der Ver- schiebung der Ausschußöffnung kann die Geschoß- geschwindigkeit abgeleitet werden. Sehr zuverlässige Werte liefern die Verfahren, die sich zur Registrierung elektrischer Erschei- nungen bedienen. Das Prinzip dieser Methoden ist stets das gleiche : kurz vor der Mündung der Feuerwaffe sind in bestimmtem Abstände zwei Stromkreise angebracht; durch das fliegende Ge- schoß werden diese Ströme unterbrochen und die Zeit zwischen den Unterbrechungen registriert. Bei Versuchen über die Anfangsgeschwindig- keit von Artilleriegeschossen stellt man vor dem Geschütz am Anfang und Ende der Meßstrecke meist in gegenseitiger Entfernung von 50 oder 100 Metern zwei gitterförmige Raiimen, die Durchschießungsgitter auf Die Drähte sind so dicht gespannt, daß beim Hindurchfliegen des Geschosses wenigstens ein Draht zerrissen werden muß, und damit Stromunterbrechung eintritt. Bei Untersuchungen an Gewehren spannt man kurz vor der Mündung einen dünnen versilberten Kupfeidraht, der beim Schuß zerrissen wird, und hängt 50 m weiter eine Stahlplatte auf, die an elektrischen Kontakten anliegt, durch das auf- prallende Geschoß jedoch abgehoben wird. Beide Methoden haben den Nachteil , daß die Energie des Geschosses durch die Zerreißungsarbeit ver- mindert wird und daher fehlerhafte Werte erhalten werden. Um diesen Übelstand zu beheben, hat man neuerdings Luftstoßanzeiger verwendet, bei denen die Stromunterbrechung durch den Stoß der das Geschoß begleitenden verdichteten Luft erfolgt. Die idealste Methode zur messenden Verfolgung des frei fliegenden Geschosses ist die Schußkinematographie, die bereits mit Erfolg für derartige Messungen herangezogen wurde. Die Aufzeichnung der zwischen zwei Strom- unterbrechungen verstreichenden Zeit kann in verschiedener Weise erfolgen. Für den Gebrauch auf den Schießplätzen dient gewöhnlich der Fall- chronograph. Infolge der ersten Stromunter- brechung läßt ein Elektromagnet ein Gewicht fallen, durch die zweite wird ein Messer betätigt, welches in das fallende Gewicht eine Kerbe schlägt. Die Kerbe rückt um so weiter von einem Nullpunkt fort, je mehr Zeit zwischen den Unterbrechungen vergeht. Aus dem Abstand kann die Flugzeit und damit die Geschwindigkeit leicht berechnet werden. Auch die Markierung durch elektrische Funken auf einer berußten rotie- renden Trommel ist für Geschwindigkeitsmessun- gen geeignet; infolge des Durchschießens wird der primäre Stromkreis eines Induktionsapparates unterbrochen und dadurch sekundär der über- springende Funken hervorgebracht. Die heutigen Methoden zur Bestimmung von Geschoßgeschwindigkeiten gestatten sehr feine Messungen ; bei 800 m Geschwindigkeit kann noch auf eine Genauigkeit von 20 cm pro Sekunde gerechnet werden. Es hat sich herausgestellt, daß die Geschosse durchaus nicht immer direkt an der Mündung die höchste Geschwindigkeit be- sitzen, daß sie vielmehr zunächst durch die nach- strömenden Pulvergase noch eine Beschleunigung erfahren und erst etwas vor der Mündung ihre größte Geschwindigkeit erlangen. Die gefundenen !lO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 51 Anfangsgeschwindigkeiten wechseln bei den ver- schiedenen Feuerwaffen, sind aber durchweg sehr hoch. Bei Gewehren beträgt sie bis zu 900 m, bei Feldkanonen etwa 500 m, bei der schweren Artillerie 600 — 700 m. Man erkennt, daß sich das Geschoß stets viel schneller als der Schall in der Luft fortpflanzt. Daher rührt auch die Be- obachtung der Feldsoldaten, daß sie sich beim Knallen der feindlichen Gewehre immer erst dann in Deckung werfen, wenn die Geschosse längst vorüber geflogen sind. Infolge der hohen Ge- schwindigkeit verfügen die Geschosse über ein sehr hohes Arbeitsvermögen, das mit ihrem Ge- wichte noch anwächst. Man drückt das Arbeits- vermögen oder die Mündungsenergie meist in Meterkilogrammen aus, indem man die Energie als Kinheit annimmt, welche i kg um I m zu heben vermag. Die Mündungsenergie der Gewehre beläuft sich auf 300 — 400 mkg, der Feldgeschütze auf 75000 — 100 000 mkg, der Kanonen der schwe- ren Artillerie je nach der Größe des Kalibers bis auf mehrere Millionen mkg. Welche gewaltigen lebendigen Kräfte den großen Geschossen inne- wohnen, geht aus folgendem Vergleich hervor. Die 620 kg schwere Granate einer Marinekanone von 35,5 cm Kaliber besitzt an der Mündung eine Energie, welche nahezu das Dreifache eines mit 90 km Geschwindigkeit fahrenden D-Zuges mit Lokomotive, vier Wagen und Tender beträgt. Der Winkel, unter welchem sich die Geschoß- bahn gegen die Horizontale erhebt , der A b - gangswinkel, kann durch Winkelmeßvorrich- tungen bestimmt werden. Er ist stets etwas größer als der sog. Erhebungswinkel, den die Seelenachse der eingerichteten Waffe mit der Wagerechten bildet, da die Mündung beim Schuß stets etwas gehoben wird. Mit zunehmender Ver- größerung des Abgangswinkels wächst die Schuß- weite zunächst bis zu einem Winkel von etwa 40 Grad und nimmt bei weiterer Erhöhung stufen- weise wieder ab. Die Schußweite ist durch Beob- achtung und genaues Abmessen der Treffpunkts- lage sehr präzise bestimmbar. Die größte Schuß- weite beträgt bei Gewehren 3,5 — 4,5 km, bei modernen Feldkanonen etwa 7 km und bei größeren Geschützen über 20 km; ja es sind bereits Küstengeschütze konstruiert, deren Reich- weite sich auf 35 km erstreckt. Im Felde wird übrigens die größte Schußweite nur selten voll ausgenutzt. Die Bestimmung der Gesamtflugzeit von Artilleriegeschossen begegnet keinen sonderlichen Schwierigkeiten; mit einem Handchronometer, der den für sportliche Zwecke verwendeten Stoppuhren gleicht, und einem Telephon, welches Beginn oder Ende des GeschoßflLiges anzeigt, kann die Flug- zeit gemessen werden. Bei Infanteriegeschossen schlägt man gewöhnlich ein anderes Verfahren ein; man stellt am Anfang und Ende der Geschoß- bahn die schon erwähnten, vom Strom durch- flossenen Durchschießungsgitter auf und trifft die elektrische Einrichtung so, daß bei der ersten Unterbrechung eine Meßuhr in Gang gesetzt wird und bei der zweiten wieder gestoppt wird. Die Zeit kann so bis auf '/looo Sekunde genau abge- lesen werden. Allerdings ist es bei großen Ent- fernungen nicht immer leicht, das zweite Gitter zu treffen. Die totale Flugzeit wird bei Flach- bahnschüsscn selten wenige Sekunden übersteigen; bei hohen Bogenschüssen, deren Ziel 10 — 20 km weit entfernt liegt, können zwischen Abschießen und Auftreffen Zeiten von einer halben bis zu einer ganzen Minute und darüber vergehen. Maßgebend für die Wirkungsfähigkeit der Ge- schosse ist A u ffall wi nkel und Endge- schwindigkeit. Die Geschwindigkeit am Ende der Bahn kann ähnlich wie die Mündungsgeschwin- digkeit ermittelt werden; den Auffallvvinkel von Infanteriegeschossen hat man gemessen , indem man am Ende der Bahn einige vertikale Papp- scheiben aufstellte und aus der Höhe der Geschoß- löcher und der Entfernung der Scheiben auf Grund ballistischer Gleichungen den Auffallwinkel be- rechnete. Für die messende Verfolgung der letzten Stadien des Artilleriegeschoßfluges steht heute eine interessante photogrammetrische Me- thode zur Verfügung. In der Spitzenhöhlung des Geschosses ist ein Magnesiumleuchtsatz unter- gebracht, der aus einer seitlichen Öffnung seine hellen Strahlen hervorsenden kann. Durch einen Zünder wird er kurz vor dem Ziele angebrannt. Hier sind in sinnreicher Anordnung verschiedene photographische Kameras so aufgestellt, daß sie den leuchtenden Punkt am fliegenden Geschoß mehrfach auf festen und bewegten Platten ab- bilden. Durch Ausführung des Schießens bei Nacht werden störende Lichteinflüsse vermieden und sehr deutliche Abbildungen erzeugt. Die er- haltenen Geschoßbilder ermöglichen es, die End- geschwindigkeit, den Auffallwinkel und außerdem die Rotationsgeschwindigkeit des Geschosses zu errechnen. Der Auffallwinkel ist stets größer als der Abgangswinkel ; bei Steilfeuer kann er sich dem rechten Winkel sehr weit annähern. Zur Bekämpfung von Zielen hinter Deckungen ist die Erreichung eines möglichst steilen Auffallwinkels für die Artillerie oft sehr wertvoll. Die am Ende der Bahn gemessenen Geschoßgeschwindigkeiten sind stets wesentlich geringer als die kurz nach der Mündung gefundenen, da der Luftwiderstand stark verzögernd einwirkt. Bei Feldkanonen z. B., deren Geschosse sich anfänglich mit 500 m in der Sekunde fortbewegen, sinkt die Geschwindigkeit schließlich in 6 km Schußweite auf etwa 200 m pro Sekunde. Die Geschoßbahn ist durchaus nicht immer so regelmäßig gestaltet, wie sich aus den balli- stischen Berechnungen ergeben müßte. Allerlei ablenkende Einflüsse machen sich in Wirk- lichkeit geltend und rufen allseitige oder nur in einer Richtung liegende Abweichungen von der normalen Flugbahn hervor. Unvermeidlich sind alle die kleinen Unterschiede zwischen den ein- zelnen Schüssen derselben Waffe; sie sind be- N. F. Xm. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 811 gründet in geringfügigen Differenzen in Herstellung, Menge und Eigenschaften der Munition, in Ziel- felilern, in den wechselnden Schwingungen des Laufes oder Rohres usw. Die durch solche Zu- fälligkeiten bedingten Abweichungen sind nur gering. Die einzelnen Geschoßbahnen bilden zu- sammen am Ziele ein garbenförmiges Bündel; die Einschläge gruppieren sich auf der Fläche einer Ellipse um den Treffermittelpunkt. Sehr deutliche Ablenkungen aus der normalen Bahn vermögen die sog. Tageseinfiüsse zu be- wirken. Änderungen des Luftgewichtes, veranlaßt durch Schwankungen des Barometerstandes, der Temperatur und des Feuchtigkeitsgehalts ver- größern oder verringern die Schußweite. In ähn- licher Weise wirken verschiedene Temperatur, wechselnder h'euchtigkeitsgehalt des Pulvers. Der Wind bringt oft starke einseitige Abweichungen hervor; sein Einfluß ist in der Schießpraxis schwierig zu berücksichtigen, da er stoßweise weht und das Geschoß zudem hohe Luftschichten mit Winden unbekannter Richtung und Stärke passiert. Seitenwind bewirkt seitliche Ablenkungen, Wind gegen die Schußrichtung bedingt Kurzschuß, Wind in der Schußrichtung Hochschuß. Beträchtliche einseitige Abweichungen sind auf die Geschoßrotation zurückzuführen; ein rechts sich drehendes Geschoß ist bestrebt, nach rechts abzuweichen, ein links rotierendes lenkt nach links ab. Am einfachsten macht man sich die Ursache für dieses Abweichungsbestreben mit der Vor- stellung klar, daß das Geschoß auf der verdichteten Luft wie auf einem Polster in der Richtung der Drehung fortrollt. Ein in den jetzigen Zeiten besonders inter- essantes Kapitel ist die Betrachtung der Geschoß- wirkungen vom physikalischen Standpunkte. Die Wirkungsfähigkeit ist von verschiedenen Umständen abhängig. Zunächst ist die Energie maßgebend, welche dem auftreffenden Geschosse innewohnt. Die Auftrefferenergie nimmt dem Gewichte pro- portional zu und wächst mit dem Quadrate der Geschoßgeschwindigkeit. Die Wirkungsfähigkeit wird also durch die Geschwindigkeit in viel höherem Maße gesteigert als durch das Gewicht. Von Wichtigkeit sind ferner die physikalischen Eigenschaften des Geschoßmetalles, seine Härte und Festigkeit. Wo die Widerstandsfähigkeit der modernen Werkstoffe noch nicht ausreicht wie z. B. bei den Panzergeschossen, umgibt man die glasharte Spitze mit einer Kappe aus weichem Stahl. Sie wirkt beim Eindringen des Geschosses in das materielle Ziel als Schmiermittel, umfaßt zu gleicher Zeit den hindurchdringenden Spitzen- teil fest und hindert ihn am Abbrechen. Wenn es auf Durchschlagsleistung ankommt, ist die äußere Gestalt des Geschosses von besonderer Bedeutung; es soll eine schlanke Spitze, die nicht abbricht und bei schrägem Auftreffen nicht ab- gleitet, und glatte Außenfläche besitzen. Die Wirkungen der modernen, rasch fliegenden Geschosse sind sehr eigenartiger Natur; die ein- tretenden merkwürdigen Vorgänge scheinen allen Regeln der Mechanik zuwiderzulaufen. So wird z. B. eine freihängende Glasplatte vom Infanterie- geschoß glatt durchschlagen, ohne daß sie außer der Durchlöcherung beschädigt wird oder sich auch nur bewegt. Ebenso stößt das Mantel- geschoß durch eine Stahlplatte hindurch, ohne daß diese trotz ihrer P21astizität auch nur federnd nachgibt. Ein Kupferdraht zerreißt beim Auf- treffen des Geschosses so momentan, daß eine Bewegung des Drahtes erst viel später sichtbar wird. Ein dünnes Brett kann mit einem kleinen Holzstab oder einer Kerze glatt durchschossen werden ; Stab und Kerze erleiden keinerlei Be- schädigungen. Die sonderbaren Erscheinungen haben ihre Ursache in der gewaltigen Stoßenergie der Geschosse infolge ihrer ungewöhnlichen Ge- schwindigkeit und in dem hohen Trägheitswider- stand der materiellen Körper, die sich solchen Geschwindigkeiten gegenüber geltend machen. Mit Hilfe der elektrischen Kinematographie hat man viele Durchschießungs- und Eindringungs- vorgänge verfolgt und hat festgestellt, daß das Geschoß im Moment des Auftreffens den ge- troffenen Körperstellen ganz gewaltige Beschleu- nigungen erteilt, so daß diese gewissermaßen selbst zu Projektilen werden. Nicht der getroffene Gegenstand allein, sondern auch das Geschoß erfährt beim Auftreffen allerlei Deformationen. Bei niedrigen Geschwindigkeiten leidet es wenig, bei hoher Auftreßerenergie da- gegen wird es meist völlig zertrümmert. Wird z. B. das Infanteriegeschoß aus naher Entfernung in Wasser abgefeuert, so zerstäubt es förmlich, wird es in Sand dicht vor der Mündung abge- schossen, so zersplittert es nahezu vollständig. Die Energie setzt sich dabei in Wärme um ; der Sand wird deutlich heiß. Hierin liegt auch der Grund für die merkwürdige Erscheinung, daß Ge- schosse mit hoher Geschwindigkeit weniger tief in Erde, Sand, Holz usw. eindringen als langsamer fliegende Projektile. Solange die Geschwindigkeit nicht wesentlich vermindert ist, üben die Infanteriegeschosse beim Eindringen in den menschlichen Körper, besonders in die mit Flüssigkeiten gefüllten Hohlorgane, die Weichteile, eine Art Sprengwirkung aus und rufen sehr gefährliche Gewebezerreißungen hervor. Eine noch höhere Verwundungsfähigkeit, zugleich auf weitere Entfernungen haben die berüchtigten Dum- Dumgeschosse. Sie sind entweder als Bleispitzen- geschosse, bei denen der Mantel an der Spitze entfernt ist, oder als Hohlspitzengeschosse ausge- bildet, in deren Spitze eine zylinderförmige Höhlung eingestanzt ist. Ihre Erfindung rührt von den Engländern her, die in Kolonialkämpfen die Beobachtung gemacht zu haben glaubten, daß die gewöhnlichen Vollmantclgeschosse dem An- sturm der Wilden gegenüber keine genügend auf- haltende Kraft besäßen. Für die Explosions- wirkung der mit hoher Geschwindigkeit in den menschlichen Körper eindringenden Geschosse ;i2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 51 sind vielerlei Erklärungen versucht worden; man suchte sie auf starke Stauchung der Geschosse, auf die Dampfentwicklung infolge der hohen Reibungstemperatur, auf das Ausdehnungsbestreben der mitgerissenen Luft und andere Ursachen zurück- zuführen. Kinematographische Aufnahmen haben jedoch klar erwiesen, daß sich die Geschoßge- schwindigkeit momentan auf die getroffenen Teile überträgt und daß diese selbst alsdann geschoß- artig nach allen Seiten auseinander streben. Statt der Tiefenwirkung langsam fliegender Geschosse, tritt so eine explosionsartige Seitenwirkung ein. Infolgedessen sind die modernen, kleinkalibrigen Infanteriegeschosse den früheren großkalibrigeren, aber langsam fliegenden Geschossen in bezug auf Verwundungsfähigkeit keineswegs unterlegen. Man hat auf theoretischem Wege die Auf- trefferenergie zu berechnen gesucht, die erforder- lich ist, um einen Mann oder ein Pferd außer Ge- fecht zu setzen. Da es auf den Sitz des Schusses vor allem ankommt, sind die erhaltenen Werte recht unbestimmt. Man nimmt heute im all- gemeinen an, daß 8 mkg genügen, um einen Mann kampfunfähig, und 20 mkg, um ein Pferd gefechts- unfähig zu machen. Die Durchschlagsleistung der modernen Ge- wehre gegenüber den als Deckung verwendeten Materialien ist recht beträchtlich. Als Beispiel seien hier einige Leistungen des Gewehres 98 an- geführt: Trocknes Tannenholz von 45 cm Dicke wird auf 400 m, 0,7 cm starke Platten aus Schweiß- eisen werden auf 300 m durchschlagen ; 50 cm dicke Sand- und Erdschichten werden auf 400 m durchdrungen, eine Ziegelmauer von ',2 Stein = 12,5 cm Stärke wird auf 50 m durchschossen. Die Wirkungen der Artilleriegeschosse sind ungleich heftiger als die der Gewehrgeschosse. Schrapnels und Granaten wirken vornehmlich durch ihre Sprengladung. Bei Treffern führen 80 % der Verletzungen durch Schrapnels bei Menschen und Pferden zur Kampfunfähigkeit; ebenso starke Wirkungen üben die Granaten aus; schon Sprengstücke von nur wenigen Gramm vermögen Gefechtsunfahigkeit hervorzurufen. Von den massiven Panzergranaten verlangt man ähn- lich wie von Infanteriegeschossen Durchschlags- leistungen; sie sollen vermöge der ihnen inne- wohnenden lebendigen Kraft Panzerplatten durch- schießen, Mauern zerbrechen, durch dicke Erd- schichten dringen. Die Durchschlagsfähigkeit der modernen Vollgranaten ist außerordentlich hoch; sie sind z. B. imstande, mehr als i m dicke Krupp'sche Panzer aus dem festesten Material zu durchdringen. Diese Leistungsfähigkeit beruht im wesentlichen auf ihrer ungeheuren Auftrefitenergie. Einen Begriff von den wirksam werdenden Kräften liefert folgendes anschauliches Beispiel : die Ge- schosse der 35,5 cm Marinekanone entwickeln beim Auftreffen dieselbe Energie, die sich ent- faltet, wenn zwei mit 90 km stündlicher Geschwin- digkeit gegeneinander fahrende D-Züge mit Loko- motive, Tender und 4 Wagen aufeinander prallen. Noch gewaltiger in der zerstörenden Wirkung sind die Geschosse der Steilfeuergesciiütze, der Mörser- granaten ; sie wirken gleichzeitig durch ihre leben- dige Kraft beim Auftreffen und die Explosion ihrer Sprengladung. Die Zerstörungen dieser Geschosse sind dementsprechend sehr schwerer Art. Dicke Decken und Wände, schwere Panzer- kuppeln werden durchschlagen, Mauern werden eingedrückt und umgeworfen, in Erdschüttungen werden tiefe Löcher und weite Trichter gerissen, Fundamente werden herausgehoben, das ganze Bauwerk in seinen Grundfesten erschüttert. Das ist auch das Tätigkeitsgebiet des jüngsten Kindes unserer schweren Artillerie, der 42 cm Mörser. Man hat sie im stillen konstruiert auf Grund der früheren Erfahrungen und der P^geb- nisse, welche die physikalischen Methoden und Berechnungen der Ballistiker geliefert haben. Zwar sind noch keine Einzelheiten bekannt ge- worden und wir können uns ihm noch nicht physikalisch und mathemalisch sondierend nähern. Aber dafür, daß die grundlegenden Rechnungen richtig gewesen sind, brauchen wir keine Belege von Zahlen und Formeln, das beweist uns die eigene, eindrucksvolle Sprache der Mörser viel besser, die dem Feinde so verhängnisvoll wird. Lunimer: Verflüssigung der Kohle iiiid Hevstelliiug der Sonneiiteniperatur, [Nachdruck verboten.] Referat von K. In der Sammlung Vieweg, die es sich zur Aufgabe stellt, Wissens- und E'orschungsgebiete, die im Stadium der Entwicklung stehen, in ihrem augenblicklichen Entwicklungsstand zu beleuchten, ist vor kurzem ein obigen Titel führendes Doppel- heft von Prof Dr. O. Lummer in Breslau erschienen. Er berichtet darin über neue von ihm angestellte Versuche über das Verhalten des Kohlelichtbogens. Als Veranlassung, diese Re- sultate seiner noch nicht abgeschlossenen ."arbeiten einem größeren Leserkreise in einer Broschüre vorzulegen, führt der Verfasser in der Einleitung Schutt, Hamburg. folgendes an: „Die etwas voreilige Berichterstattung von nichtfachmännischer Seite über zwei von mir (in der Schlesischen Gesellschaft für vater- ländische Kultur, naturwissenschaftliche Abteilung) gehaltene Vorträge und vor allem die in den Tageszeitungen daran geknüpften übertriebenen und zum Teil direkt phantastischen Kommentare waren geeignet, mich in den Augen der wissen- schaftlichen Welt in ein ganz schiefes Licht zu setzen. Außerdem wurde die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sehr gegen meinen Wunsch in reklamehafter Weise auf Untersuchungen ge- N. F. Xm. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 813 richtet, die sich noch im Versuchsstadiuin be- fanden. Ich fühle mich deshalb verpflichtet, so schnell wie möglich ausführlich über meine \^er- suche zu berichten , obwohl sie zum Teil auch heute noch nicht abgeschlossen sind. Auch bin ich gezwungen , für meinen Bericht die Form einer Broschüre zu wählen, um ihn den weitesten Kreisen zugänglich zu machen , die nun doch einmal mit dieser Angelegenheit befaßt worden sind." Die bekanntesten Versuche über das Ver- halten der Kohle bei hohen Temperaturen sind in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von Moissan mit dem elektrischen Ofen aus- geführt worden. Moissan kommt zu dem Re- sultat , daß die Kohle vom festen in den gas- förmigen Zustand übergeht, ohne den flüssigen Zustand anzunehmen. Er hielt es indessen für wahrscheinlich, daß bei Anwendung sehr starker Drucke ein Schmelzen eintritt. Andere Forscher, wie Despretz, Braun und La Rosa wollen geschmolzenen Kohlenstoff bei ihren Versuchen erhalten haben, doch weist Lummer nach, daß diese Behauptung außerordentlich unsicher ist. Lummer stellt sich zunächst die Aufgabe, die Temperaturverhältnisse -der positiven und negativen Kohle der Bogenlampe zu unter- suchen und zu bestimmen. Er benutzt dazu sein schon 1901 in den Verh. d. Deutsch. Physikal. Gesellschaft beschriebenes Interferenzphoto- meter. Dieses besteht im wesentlichen aus zwei rechtwinkligen Glasprismen, die so einander gegenübergestellt sind, daß zwischen den Hypo- tenusenflächen eine sehr dünne planparallele Luft- schicht bestehen bleibt. Beide Prismen zusammen bilden also einen Glaswürfel. Die Dicke der Luftschicht ist so gewählt, daß man, durch den Würfel auf eine diftus leuchtende Fläche blickend, nahe an der Grenze der totalen Reflexion deutlich eine Reihe von Inlerfcrenzstreifen erblickt , die parallel der Grenze der Totalreflexion verlaufen. Die Interferenzstreifen entstehen ähnlich wie beim Newton'schen Farbenglas dadurch, daß ein direkt hindurchgehender Strahl mit einem zweimal — nämlich an der Vorder- und der Rückseite der Luftschicht — reflektierten interferiert und je nach dem Gangunterschied verstärkte oder ge- schwächte Helligkeit ergibt. Ein weiteres Strahl- bündel , das unter einem etwas anderen Winkel einfällt, zeigt einen anderen Gangunterschied und gibt bei der Interferenz ein anderes Ergebnis, so daß auf diese Weise je nach der Neigung, unter dem die Strahlenbündel einfallen, helle und dunkle Linien entstehen. Dasselbe Resultat erzielt man, wenn man nicht das hindurchfallende Licht, sondern reflektiertes benutzt, indem man jetzt die Lichtquelle seitlich von dem Würfel aufstellt , so daß das Licht etwa unter 45 " auf die Hypotenusen- flächen auffällt und rechtwinklig zur Einfallsrichtung ins beobachtende Auge reflektiert wird. Doch sind die jetzt auftretenden Linien komplementär zu denen im durchgehenden Licht; wo es vorher hell war, ist es jetzt dunkel und umgekehrt. Um mit diesem Würfel zwei Lichtquellen miteinander zu vergleichen, beleuchtet man mit ihnen je eine Mattscheibe. Von hier fällt das Licht der einen auf eine Würfelfläche und geht durch die Luftschicht und den Würfel hindurch in ein Fern- rohr. Das Licht der Vergleichslichtquelle, einer Nernstlampe, fällt auf die zur ersten senkrechten Würfelfläche, dringt nach der Reflexion an der Luftschicht ebenfalls ins Fernrohr und erzeugt zu den ersten komplementäre Interferenzlinien. Werden beide Mattscheiben von ihren zu gehörigen Lichtquellen gleich hell be- schienen, so verschwinden dieStreifen im Fernrohr. Durch Veränderung des Ab- standes Nernstlampe — Mattscheibe läßt sich dies erreichen. Die Bogenlampe, deren Kraterhelligkeit gemessen wurde, konnte für kurze Zeit eine Belastung bis zu 150 Amp. aushalten; ihre posi- tive Kohle stand horizontal, die negative vertikal. Statt durch eine Mattscheibe wurde ihr Licht durch viermalige Reflexion an ebener Glasfläche geschwächt; das Licht fiel zunächst durch eine Linse, in deren Brennpunkt sich der Krater be- fand. Nachdem man die Streifen durch Ver- schieben der Vergleichslichtquelle zum Ver- schwinden gebracht hatte, wurde der die Lampe speisende Strom durch einen vorgeschalteten Widerstand allmählich bis zu 10 Amp. vermindert und bei jeder Stromstärke der Lichtbogen bis zum Abreißen verlängert. Die Streifen blieben dann dauernd verschwunden, wenn man die jeweils hellste Stelle der Krateroberfläche ins Auge faßte. Daraus geht hervor, daß die Helligkeit und damit die Temperatur des positiven Kraters von Belastung und Länge des Bogens in weiten Grenzen unabhängig ist (siehe unten). Diese konstante (Messungsfehler i % ^ 40 ") Temperatur ist die- jenige, bei der die Kohle aus dem festen in den gasförmigen übergeht. Weitere Messungen er- gaben, daß die Temperatur der negativen Kohle rund 600" niedriger ist. Lummer untersucht dann weiter die Strah- lung des Kohlefadens einer Glühlampe. Unter der Voraussetzung, daß die ganze dem Faden durch den Strom zugeführte Energie (Wärme) ausgestrahlt wird, gilt das Stefan-Boltzmann- sche Gesetz: o,24-i-e = a-F-T''(i); die linke Seite stellt die zugeführte Wärme dar, i in Ampere und e in Volt gemessen: F ist die Gesamtober- fläche des Kohlefadens und T seine absolute Tem- peratur. Für einen schwarzen Körper ist die Konstante ff = 1,38- lo^^'^ — ^-^ . Lummer cm- sec untersucht zunächst, ob die Kohle wie ein schwarzer Körper strahlt. Zu dem Zweck bringt er ein dickes Kohlerohr durch einen regu- lierbaren elektrischen Strom zum Glühen ; in dieses ist ein Le Chat elier'sches Thermoelement ein- geführt und gestattet, die Temperatur der Kohle zu messen. Vor das glühende Rohr wird die Kohle- 8i4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xin. Nr. 51 fadenlampe aufgestellt, so daß man durch ein Fernrohr sehend den Kohlefaden auf dem Rohr als Hintergrund sieht. Ist die Temperatur beider gleich, dann verschwindet der Kohlefaden auf dem glühenden Kohlerohr. Man reguliert nun den Strom im Rohr, bis dies erreicht ist; dann gibt das Thermoelement die Temperatur des Fadens an. Lummer beobachtet nun bei verschiedenen Belastungen (22 bis 34 \^olt und 0,35 bis 0,60 Amp.) die Temperatur des P"adens und berechnet sie gleichzeitig nach dem S t ef an -Bo 1 1 z m an n - sehen Gesetz. Die beobachtete Temperatur liegt stets höher als die errechnete und zwar im Mittel um 15%. Der Kohlefaden muß also, um so wie ein schwarzer Körper zu strahlen, heißer sein als dieser. Er strahlt mithin nicht wie ein schwarzer Körper, sondern wie ein grauer, d. i. ein Körper, der für alle Wellen- längen (verschiedene Belastung) im gleichen Ver- hältnis weniger strahlt als der schwarze Körper von gleicher Temperatur. Man darf mithin für die Kohle in dem Stefan-Boltzmann' sehen Gesetz nicht die Konstante er des schwarzen Körpers setzen, sondern eine andere, die sich aus den Lum- mer'sehen Versuchen zu 0,73-10 '- berechnet. Zur Beantwortung der Frage, ob auch die Bogenlampen kohle wie ein grauer Körper strahlt, mißt Lummer mit dem Lummer-Brodhun-Spektralphotometer, wie sich mit steigender Temperatur die Strahlung einer bestimmten Farbe (VVellcnlänge) ändert; er stellt die sog. isochromatische Kurve fest. Trägt man die Logarithmen der so ermittelten Helligkeiten als Ordinalen und die reziproken Werte der zu- gehörigen Temperaturen als Abszissen auf, so er- hält man eine gerade Linie, die logarithmische Isochromate. Benutzt man als Vergleichslicht- quelle beim Photomelrieren einen Körper, der grau oder schwarz strahlt, so schneiden sich alle logarithmischen Isochromaten verschiedener Wellenlängen in einem Punkte; die Ab- szisse dieses Punktes ist der reziproke Wert der Temperatur der Vergleichs- lichtquelle, die sich also auf diese Weise bestimmen läßt. Strahlt die Ver- gleichslichtquelle dagegen selektiv (wie z. B. Platin), so ist ein solcher Schnittpunkt nicht vor- handen. Lummer stellt nun die logarithmischen Isochromaten für 5 Wellenlängen (zwischen 645 und 500 /((() einer Kohlefadenlampe, deren Temperatur nach Gleichung (i) berechnet wird, fest und benutzt als Vergleichslichtquelle den positiven Krater seiner Bogenlampe. Die er- haltenen 5 Geraden schneiden sich in einem Punkte: die Bogenlampenkohle strahlt also auch wie ein grauer Körper. Aus der Abszisse des Schnittpunktes berechnet sich die Temperatur des positiven Kraters zu 4200" abs. , so daß seine schwarzer Tempe- ratur, die (siehe oben) 15% niedriger ist, 3750" abs. ist. Zu den weiteren Versuchen, die das Ver- halten des Lichtbogens bei verschie- denen Drucken untersuchen, benutzte Lummer ein luftdichtes kupfernes Gefäß, das Überdrucke bis zu 30 Atm. aushielt. In sein Inneres wurde die automatisch regulierende Bogen- lampe gebracht, durch ein Glasfenster konnte sie beobachtet werden. Zunächst wurde bei ab- nehmendem Druck (Gaede- Pumpe) der positive Krater durch ein Fernrohr beobachtet. Da wurde die überraschende Entdeckung gemacht, daß bei etwa V2 Atm. der positive Krater flüssig wird. Weitere Versuche zeigten, daß es stets bei Drucken zwischen ^j.-, und 2 Atm. gelang, den positiven Krater zu verflüssigen, wenn man die Bogenlampe mit ungewöhnlich niedrigen Stromstärken speiste. So liegt bei Atmosphärendruck die zum Schmelzen notwendige Stromstärke unterhalb derjenigen, welche man laut Vorschrift verwendet, um bei gegebener Dicke der positiven Kohle eine möglichst große Oberfläche des Kraters im festen Zustand zum hellen und gleichmäßigen Leuchten zu bringen. Beim „kritischen" Druck von V2 Atm. ist bei An- wendung der „kritischen" (niedrigen) Stromstärke die ganze Kraterfläche leichtflüssig. Ihr Aussehen beschreibt Lummer wie folgt: „Der Eindruck der Kraterfläche ist so vollkommen der einer Flüssigkeit, daß in keinem Beobachter auch nur eine Andeutung der Frage aufsteigt, ob er es mit einer vorgetäuschten oder wirklichen Plüssigkeit zu tun hat. Solange der Krater fest ist, erscheint er wie eine diff'use beleuchtete Pläche, auf der sich die Risse und Sprünge als dunkle, fest- stehende Stellen markieren, vergleichbar dem Voll- mond mit seinen Kratern und Rissen. Im flüssigen Zustand macht der Krater dagegen den Eindruck, als ob er mit einem brodelnden und kochenden Teich bedeckt ist, und in ihm tummeln sich als helle Perlen erscheinende „Fische", schnell von Ort zu Ort eilend. Sobald man den Krater aus dem flüssigen in den festen Zustand zurückkehren läßt, nimmt die Kraterfläche wieder das starre und tote Aussehen an." Um weitere Einzelheiten zu erkennen, wurde ein etwa 30 fach vergrößertes Bild mittels eines guten Objektivs auf einen eben- geschliffenen Gipsschirm entworfen (in dem Buch sind eine große Reihe Momentaufnahmen des flüssigen Kraters enthalten). Man sieht eine große Zahl von hellen „Fischen", die meistens sechs- eckig sind und die sich mit großer Lebendigkeit bewegen. Sie sind nicht zu verwechseln mit den Blasen und Schmelzperlen, die an unreinen Kohlen häufig auftreten. Wesentlich dunkler sind die übrigen Teile des Kraters; auf seinem Grunde bemerkt man schwach hell umränderte, meist seckseckige Stellen, die „Waben", die ein zu- sammenhängendes, fest auf dem Boden des Teiches sitzendes Netzwerk bilden. Aus einer solchen Wabe kommt ein „Fisch" heraus, bewegt sich hastig nach einer anderen hin und verschwindet (schmilzt) in dieser. Es spricht manches dafür, daß die Fische Graphitkristalle sind. Das Er- N. F. Xin. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 815 starrungsprodukt der Schmelze erwies die che- mische Änal)-se als Graphit. Retortenkohle, Planiakohle, Holzkohle, reinster Ruß, glasklare Diamanten zeigen dieselben Erscheinungen wie Bogenlampenkohle. Eine Füllung des Kupfer- gefäßes mit Stickstoff, Kohlensäure oder Sauer- stoff ändert nichts an den Schmelzerscheinungen. Temperaturmessungen (siehe unten) ergaben, daß beim Normaldruck die Schmelztemperatur höher ist als die Temperatur des festen Kraters. Seine Temperatur ist demnach nur so lange konstant, als die Stromstärke nicht unter die kritische herabsinkt. Bei dieser steigt die Temperatur des Kraters und er schmilzt. Man findet also die überraschende Tatsache, daß hier eine kleinere Stromstärke eine größere Heiz- wirkung ausübt als eine übertrieben große. AmSchlusse seiner Arbeit untersucht Lummer, wie sich die Temperatur des positiven Kraters mit wachsendem Druck ändert. Mittels seines am Anfang dieses Referates be- schriebenen Interferenzphotometers ver- gleicht er die Helligkeit des auf das 30 fache ver- größerten Ivraterbildes mit einer Nernstlampe bei verschiedenen Drucken ; eine Schwächung des Bogenlichtes durch Reflexion war wegen der Starken Vergrößerung unnötig. Die Beobachtung der Interferenzstreifen geschah mit bloßem Auge. Die Helligkeit der unter Normaldruck brennenden Lampe mit festem Krater wurde gleich i ge- setzt. Verringert man den Druck unter eine Atmosphäre, so nimmt die Flächenhelligkeit regel- mäßig ab, solange der Krater fest ist. Geht in- dessen durch geeignete Verminderung der Strom- stärke der Krater in den flüssigen Zustand über, so steigt plötzlich die Flächenhelligkeit: Temperatur abs. 4200 " ■ flÜSsi: Druck h'lächenhclligkeit I Atm. I I 0,59 „ 0,08 /fest 4145 0,32 „ 8,75! — 0,60 „ 0,96 » 0,33 .. 0,83 / Die Temperatur ist durch Extrapolieren aus der für den Kohlefaden einer Glühlampe bis zu 3000" nachgewiesenen, zwischen h'lächenhelligkeit und Temperatur bestehenden Beziehung gefunden. In gleicher Weise wurde bei Drucken bis zu 24 Atm. die Flächenhelligkeit und die Tempe- ratur bestimmt. Die verschiedenen Versuchs- reihen zeigen erhebliche Abweichungen vonein- ander, so daß sie nur provisorischen Charakter tragen. Doch geht aus allen sicher hervor, daß die Temperatur des positiven festen Kraters mit steigendem Druck kon- tinuierlich steigt. Folgende Tabelle gibt im Auszug eine Versuchsreihe wieder: )ruck Helligkeit Abs. Temp. I I 4200 6 6 5190 10 9,5 5470 16 14.2 5740 22 18,0 5890 Bei 22 Atm. ist also die Helligkeit 1 8 mal so groß als bei Normaldruck. Eine Extrapolation dieser Temperaturkurve würde bei 250 Atm. eine Temperatur von rund 7000" abs. ergeben. Diese Temperatur würde die der Sonne, welche sich nach verschiedenen Methoden zu rund 5900" abs. ergibt, ganz erheblich übertreffen. Bei einem Druck von 22 Atm. ist der positive Krater ebenso heiß wie die Sonne. Ob sein Licht auch die gleiche Zusammensetzung eigt wie das Sonnenlicht, müssen weitere spektrale Untersuchungen zeigen. Bücherbesprechungen. Palladin, W. J., Pflanzenanatomie. Aus dem Russischen übersetzt von Dr. S. T s c h u 1 o k. Mit 174 Abbildungen. Leipzig und Berlin 1914. Verlag von B. G. Teubner. Unserer deutschen Nation sind ihre Fehler nicht unbekannt. Leider glauben wir noch immer, es schade uns nicht, wenn wir sie nicht ablegen. Eine dieser großen und hartnäckigen Schwächen ist die Bewunderung und Verhimmelung alles Ausländischen. Auf dieser Schwäche fußend, daß auch in unserer wissenschaftlichen Literatur ausländische Autoren gleich die .Aufmerksamkeit auf sich ziehen und ihre Bücher oft besser „gehen", als die deutscher Verfasser, beglücken uns einige mehr industriell als literarisch emp- findende Verleger, trotz heimischer Überproduktion, mit einer Fülle von Übersetzungen ausländischer Lehrbücher. Nun klingt es ja sehr schön, wenn man ausruft: „Die Wissenschaft ist international" und es ist ganz gleich, woher das Gute kommt! Aber mit dieser Internationalität steht es doch recht häufig so, daß die Ausländer ihre Wissen- schaft unseren gastlichen Hochschulen und unserer Literatur verdanken und uns unser Eigentum, sachlich und sprachlich nicht verbessert, wieder zuführen. So ist auch die Herausgabe dieser „Fflanzenanatomie" keine wissenschaftliche Leistung sondern nur ein Geschäftsunternehmen, dessen Hoffnung auf der eingangs angedeuteten bedauer- lichen Hinneigung zum fremden baut. Vor einigen Jahren erschien bei Julius Springer in Berlin die Übersetzung einer „Pflanzenphysiologie" des- selben russischen Verfassers, ein Buch, welches, wesentlich wegen seines kürzeren Umfanges, als Lehr- buch „ging". Das hat nun vermutlich den anderen Verlag angeregt, es mit diesem Buch des gleichen Autors ebenfalls zu versuchen. Welche Verbesserung bringt nun dies Buch unserer deutschen Literatur.^ Die 174 ausge- zeichneten Abbildungen sind bis auf ein paar, aus französischen Büchern stammende, alle den besten deutschen Lehr- und Handbüchern 8i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 51 entnommen und dazu ein troclelben Mutter von Wurf zu Wurf an Zahl bis auf zwei abnahmen, was dem Verhältnis beim Alpensalamander entspricht. Der Alpen- salamander, der zwei gut ausgebildete Junge auf dem Lande wirft, konnte wieder durch viel Feuchtigkeit und hohe Temperatur larvengebärend gemacht werden. Beide Arten gewöhnen sich mit der Zeit an die durch veränderte Lebens- weise aufgezwungene Art der Forlpflanzung, so daß späterhin die äußeren Einflüsse gar nicht mehr in derselben Intensität wirksam sein müssen wie anfänglich. Gänzliches Auflösen dieser Einflüsse hat die Rückkehr zur früheren Fortpflanzungs weise zur Folge. Mit Recht bemerkt Ludwig Plate, daß diese Versuche keineswegs die Vererbung erwor- bener Eigenschaften beweisen, sondern nur daß durch äußere Umstände latente Eigenschaften ge- weckt werden können. Kammerer hat den Molchen keine neuen Eigenschaften aufge- zwungen , sondern schon vorhandene, aber in der Regel verborgen bleibende Eigenschaften zur Aus- lösung gebracht , und es hat sich gezeigt, daß solche reaktivierte Anlagen die Tendenz haben, bei den Nachkommen wieder aktiv zu werden. Wenn der Feuersalamander sogar zum Absetzen von Eiern gebracht werden konnte, so handelt es sich zweifellos um eine atavistische Reaktion des Eileiters. ') Beim Menschen können ebenfalls durch Ände- rung der Lebensbedingungen Variationen ver- anlaßt werden. Wenn z. B. eine Bevölkerung in Hochlande versetzt wird, wo die Luft erheblich verdünnt ist und die Lungen entsprechend größere Luftmengen verarbeiten müssen als in der Ebene, so wird sich eine Neigung zur Ausweitung des Brustkorbes während des Wachstums ergeben und überdies wird die Auslese auf Häufung breit- brüstiger Menschen gerichtet sein. So erklärt es sich, daß in den erhabensten Hochländern der Erde, in Tibet, Mexiko und Hochperu, Menschen mit ungewöhnlich großem Brustumfang leben, die in ihren gewaltigen Lungen viel mehr Luft zu verarbeiten vermögen als wir, weil ihre Lungen- bläschen zahlreicher und geräumiger sind als die unsrigen. -) In allen diesen Fällen aber scheint es sich lediglich um Variation somatogener Eigenschaften zu handeln. Die Annahme der Beeinflussung des Keimplasmas ist in keinem Fall erbracht worden und sie ist auch nicht erforderlich um die ange- führten Erscheinungen erklären zu können. Aber wir sehen, daß unter augenscheinlich gleichartigen Lebensbedingungen die Organismen variieren, wenn gleich das Maß der Variation in der Regel sehr gering ist. Von allen Erklärungen ') Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, 5. Bd.' S. 120. ') Vgl. Kirch hoff, Darwinismus, angewandt auf Völker und Staaten, S. 40. dieser individuellen oder fluktuierenden Variation halte ich diejenige Weis mann 's') für die am besten ausgedachte. Weismann meint, daß die Determinanten (die aus den kleinsten Lebens- trägern zusammengesetzten Erbeinheiten des Keim- plasmas) Wachstumsvariationen unterworfen sind, und daß aus ihren Veränderungen entsprechende Änderungen des Organs hervorgehen, das sie be- stimmen. Daß die Determinanten unausgesetzt in sehr kleinen Ausschlägen nach Größe und Qualität hin und her schwanken, scheint Weis- mann eine unausbleibliche Folge ihrer wechseln- den Ernährung zu sein; denn wenn auch die Keimzelle als Ganzes meist genügend Nahrung erhält, so kann es doch an kleinen Schwankungen im Zufluß derselben nach den einzelnen Teilen des Keimplasmas nicht fehlen. Wenn nun bei- spielsweise der Determinante einer Sinneszelle einige Zeit hindurch reichlicher Nahrung zuströmt als vorher, so wird sie stärker und größer werden, sich rascher teilen und später wird die Sinnes- ■ Zelle, welche die betreflende Determinante zu be- ' stimmen hat, stärker ausfallen als bei dem Elter. Das ist eine vom Keim ausgehende erbliche indi- viduelle Variation. Ist diese Variation vorteilhaft, so wird ihre Fortpflanzung durch die Personal- selektion begünstigt, im gegenteiligen Falle wird sie beseitigt. Weismann schließt, daß sich also das Hin- und Herschwanken der Deter- minanten in eine dauernde nach auf- oder abwärts gerichtete Bewegung verwandeln kann, in welcher er den Schwerpunkt dieser Vorgänge innerhalb des Keimplasmas erblickt. Das Zustandekommen einer bestimmt ge- richteten Entwicklungsbewegung hängt aber da- von ab, daß bereits die geringsten Variationen selektorischen Wert besitzen, daß sie für die Existenz des Individuums nützlich oder schädlich sind. Zur Erhärtung der Annahme vom Selektions- wert geringster Variationen (oder Anfangsstufen) führt Weismann-) eine Reihe von Beispielen an, die zeigen, daß dabei ganz kleine Abweichungen für Erhaltung oder Untergang ihrer Träger ent- scheidend sein können. * * * Wenn man genau meßbare Eigenschaften wählt und sie an einer hinreichend großen Zahl von Indi- viduen bestimmt, so wird man finden, daß die Variationsbreite der einzelnen Eigenschaften er- heblichen Schwankungen unterworfen ist, daß aber eine große Variationsbreite häufiger vor- kommt als eine auffällig geringe, sowie daß alle Abstufungen zwischen den Extremen vertreten sind; das ist dann kontinuierliche Variation, wo- gegen man eine Variation als diskontinuierlich bezeichnet, wenn zweierlei Individuen vorkommen die durch keine Zwischen- oder Intermediärform verbunden sind. In Fällen von kontinuierlicher Variation wird sich ferner herausstellen, daß eine ') Die Sclelitionstheorie, S. 26. Jena igog. 2) Selektionstheorie, S. II — ig und 38 — 46. N. F. Xm. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 821 F"orm oder ein Maß häufiger ist als alle anderen und, in den einfachsten l'"ällen, daß die Individuen- zahl fortwährend kleiner wird, je mehr sich die Form von der am häufigsten auftretenden entfernt. Die häufigste Form wird als Modahvert bezeichnet. Wird die Häufigkeit der einzelnen Formen in Zahlen angegeben, so haben wir eine Reihe vor uns, die vom Anfang nach der Mitte zu langsam ansteigt und von der Mitte dem Ende zu ebenso nach und nach wieder abfällt. Zu Häufigkeits- verhältnissen dieser Art führt jedes nicht durch bestimmt geleitete Kraft gerichtete Geschehen ; wo der Zufall über den Ausgang entscheidet, kommt man zu einem solchen Ergebnis '). Die Variation entspricht aber nicht immer dem nach dem Zufall zu erwartenden Häufigkeits- verhältnis, sondern bei den meisten pflanzhchen und tierischen Organen ist die Häufigkeit be- stimmter h^ormen umer dem Modalwert eine an- dere als über dem Modalwert. Nehmen wir an, daß die Zahl der Kinder in menschlichen Familien zwischen O und 20 variiert, so wird sich ein rasches Ansteigen der Zahl der Familien mit einer Kinderzahl bis etwa 4 oder 5 und dann ein an- fänglich auch ziemlich rasches, später aber ganz allmähliches Abfallen ergeben. In gewissen Fällen kann sich die Variationshäufigkeit sogar so ein- seitig gestalten, daß der Modalwert an das eine Ende der Häufigkeitsreihe zu stehen kommt; das ist z. B. bei der Zahl der Kronblätter des knolligen Hahnenfußes der Fall, bei dem sich 'j das folgende Verhältnis ergibt : Zahl der Kronblätter bei Individuen 56789 312 17 4^2. Für die Unmöglichkeit, über eine gewisse Grenze nach oben oder unten zu variieren gibt es eine Reihe von Erklärungen. Noch häufiger kommt das Auftreten zwei- oder mehrgipfeliger Variationskurven vor, nämlich zweier oder mehrerer hoher Frequenzwerte, die durch Zwischenwerte von geringer Häufigkeit getrennt sind. Eine derartige Verteilung der Häufigkeit von Variationen ergibt sich besonders bei gleich- zeitiger Beobachtung von Angehörigen verschiedener Unterarten oder von Individuen verschiedenen Ge- schlechts. ') Lehmann, Exp. Abst.- u. Vererbungslehre S. iSff. Leipzig 1913. Nach Lehmann, a. a. O., S. 26. Einzelberichte. Geologie. Einen sehr interessanten Beitrag zur Frage der Lebensbedingungen der Dinosaurier ^) bietet Dr. Franz Baron Nopcsa in einem Auf- satze im Zentralblatt für Mineral., Geol. und Palä- ontol. (1914, Nr. 18, S. 564—574), der die ober- kretazischen Dinosaurier - Fundstätten Sieben- bürgens zum Gegenstande hat. Es ist recht be- merkenswert, wie die Paläontologie zurzeit einer- seits das Bestreben hat mit aller Macht die Hüllen des früheren Zustantles einer bloßen Leitfossihen- kunde im Gefolge der Geologie abzustreifen und ihr immer gewaltiger anschwellenderes Studien- material in rein zoologischem Sinne, und zwar nicht nur anatomisch, sondern nach Möglichkeit auch biologisch auszuwerten; und wie andererseits gerade dieses letztere Bestreben , das Tierleben aus seiner Umgebung heraus zu verstehen (in Vergangenheit nicht weniger als heutzutage) den Paläontologen zwingt beim eifrigsten Studium der Geologie zu bleiben: denn die Landschaft, das Klima, die Faunengemeinschaft, die am Tierkörper arbeiten oder ihn verständlich machen , können wir auch bei den Fossilien nicht aus dem bloßen Knochenmaterial am Schreibtische studieren, son- dern einzig draußen in der Natur an der Fund- stelle. Im Gestein, im Schichtenwechsel und im gesamten Fossiliengehalt sind die Spuren jener ') Vgl, Lull ,,Dinosaurian Distribution". Amer. Journ. of Science 1910, S. I — 39 und meinen Vortrag über ,, Lebens- verhältnisse der Dinosaurier" in Abhandl. d. naturw. Ges. Isis in Dresden 19 12, H. 2, S. 96 — 100. geographischen Faktoren mit dem gleichen Grade von Gewißheit wahrzunehmen, mit denen wir aus den fossilen Tierresten auf den ganzen Körperbau schließen können. Siebenbürgen hat nach Nopcsa's mehrfachen Berichten an hriupt>ächlich drei Stellen Reste von Dinosauriern geliefert, die sämtlich der jüngeren Kreidezeit (Danien) angehören, nämlich bei Szentpeterfalva, 13 km weiter bei Valiora und drittens bei Alvincz. Die beiden letzten Fundstätten hat Nopcsa selbst entdeckt und zuerst bekannt gegeben. Der Reichtum ist stellen- weise recht bedeutend. Allein Szentpeterfalva hat Reste von je etwa 15 Individuen der Ornithopoden Mochlodon, Telmatosaurus und des Sauropoden Titanosaurus geliefert und diese drei Gattungen stellen erst etwa 70 "/g der Gesamtausbeutc dar, unter der sich auch andere wichtige Vertreter der damaligen Fauna, so ein abweichender Dinosauriertyp .Struthio- saurus in 2 Exemplaren, insbesondere aber Schild- kröten (20 "0), Krokodile, I-lugsaurier- und Vogel- reste, Lacertilier, Süßwassermuscheln undSchnecken fanden. Im Gegensatze zu dem Befunde von Bernissart in Belgien, wo sämtliche 23 Ignanodon- skelette von alten Tieren herrührten und dadurch auf besoniiere Verhältnisse bei ihrem Tode hin- weisen, sind bei Szentpeterfalva alte und jugend- liche Individuen gleicherweise vertreten. Wir dürfen also annehmen , daß wir uns dort im eigentlichen Lebensbereiche und Aufenthaltsorte 822 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 52 der Tiere befinden. Die faunistischen und petro- graphischen Verhältnisse weisen nun unzweifelhaft auf ein Sumpfgebiet mit vornehmlich stagnierendem Wasser hin, auch kohlige Substanzen sind auf derartige Verhältnisse leicht zurückzuführen. Unter der Tierwelt sind gewisse amphibisch lebende Typen, wie der Sauropode, die Sumpfschildkröten und -vögel stärker vertreten, während der mit schwerem Panzer versehene -Struthiosaurus oder die Eidechsen nur gelegentlich die Stelle auf- suchten oder aber derartige Reste mehr landbe- wohnender Tiere von Krokodilen an Freßplätzen zusammengeschleppt wurden. Zuzeiten wurden durch kräftige Niedersciiläge größere Wasser- mengen zusammengeführt und von ihnen auch Gerolle mitgerissen, die sich streifenweise als Schölten eingelagert finden. In Valiora ist die Zusammensetzung der Tierwelt nicht erheblich verschieden, wohl aber weicht das Gestein in einigen charakteristischen Zügen ab. Aus der Ausbeute sind hier erwähnens- wert je drei bis vier Individuen von Telmatosaurus und Mochlodon, je zwei oder drei von Titano- saurus und von Krokodilen , einige Schildkröten- reste und nicht selten Süßwassersclinecken ; Hölzer sind ebenfalls hier in größerer Zahl vertreten, während man sie in Szentpeterfalva vermißt. Das Gewässer, in dem sich hier die Tonschichten abgelagert haben, mag hier ein wenig tiefer ge- wesen sein, andererseits sind die Konglomerate hier sehr stark vertreten und von grobem (bis faustgroßem) Korn, so daß hier mit fast dauernder kräftiger Zuführung fluviatilen Wassers gerechnet werden kann. Wo sich, wie in wenig älteren Schichten von Naga Baroth (Senon) oder Gosau (dgl.) reichere Kohlenbildung einstellt, also ge- ringere Tiefe des Wassers geherrscht haben muß bzw. reine Landablagerung vorliegt, treten jene Sumpfbewohner alsbald stark zurück und unter den Dinosauriern finden sich die rein landbe- wohnenden Struthiosaurier sowie der Theropode Megalosaurus häufiger ein. Sehr wichtig erscheint die dritte Lokalität Alvincz nebst dem 14 km entfernten Rech- berge bei Lamkerek in stratigraphischer Hinsicht. Die Dinosaurierknochen sind hier z. T. 1 Rechberg) abgerollt, dennoch zeigte sich das Markrohr eines Sacrums von Alvincz mit dem gleichen Gestein ausgefüllt, das die ganze Schicht bildete. Danach ist zwar ein gewisser Transport bei der Einbettung der Reste anzunehmen, aber eine spätere sekun- däre Verlagerung wird unwahrscheinlich. N o p c s a hatte dem Fundorte ursprünglich das gleiche jüngstkretazische Alter zugesprochen wie den beiden andern. Loczy konnte aber unter den Gerollen des Rechbergs solche feststellen , die Nummuliten und Alveoünen enthalten. Es sind zweifellos tertiäre Formen, um so gesicherter ist also das nachkretazische Alter der sie als Gerolle enthaltenden Konglomerate. Nopcsa zweifelt nun auch nicht an dem tertiären .Alter der Schicht, aber er zieht den Schluß, die Dinosaurier des Rech- bergs könnten danach nur sekundär cingeschwemmt sein und diejenigen von Alvincz, deren Erhaltung einer solchen Annahme Schwierigkeiten entgegen- stelle, müßten demnach in einer älteren Schicht liegen. Die zweite Möglichkeit wird aber nicht einmal diskutiert: daß nämlich, wenn die Schichten von Alvincz und dem Rechenberge einander ident seien, wie die Geologen annehmen, damit für die Dinosaurier an dieser Stelle ein ter- tiäres Alter bewiesen wäre. Ein völliges Novum wäre das keineswegs. Denn wenn auch für südamerikanische F"unde ') endgültige Sicherheit nach dieser RiclUung noch nicht besteht, so hat doch neuerdings Lee-) in Colorado über der höchsten Kreide mit Säugetieren von tertiärem .Alter zu- sammen zweifellose Dinosaurier nachweisen können. Es wäre in höchstem Maße bedeutsam, nun auch in Europa einem solchen Funde auf die Spur zu kommen und es muß verlangt werden , daß der stratigraphische Befund zum alleinigen Maßstab genommen, nicht aber zugunsten eines Vorurteils vergewaltigt werde. Im Gegensatz zu den paludisclien Ablagerungs- bedingungen von Szentpeterfalva und den mehr fluviatilen Verhältnissen von Valiora, haben wir es bei Alvincz anscheinend mit ,,torrentiellen Sedimenten" zu tun, d. h. mit einer Ablagerung in größerer Höhe bei entsprechend stärkerem Gefälle und stärkerer Zerstörung der Skelette. Um so wichtiger ist es zu hören, daß die wichtigsten Funde zu Mochlodon zu stellen sind und sogar voraussichtlich von ein und demselben Individuum herrühren. E. Hennig. Experimentelle Physiologie. Die Stato- cysten, ein bei allen Mollusken — mit einziger Ausnahme der Amphineuren — vorkommendes Sinnesorgan, sind meist allseitig geschlossene Bläschen, welche von einer Flüssigkeit erfüllt und mit Wimper- und Sinneszellen ausgekleidet sind. In der Flüssigkeit sind in verschiedener Zahl (i bis über 100) in Größe, Form und chemischer Beschaffenheit bei den einzelnen Mollusken ver- schiedene Steinchen suspendiert; die größeren heißen Statolithen (Oto-), viele kleine Statoconien (Oto-). Die Statocysten liegen gewöhnlich in der Nähe des Pedalganglions in der Muskulatur des Fußes, werden aber von den Hirnganglien innerviert. Wie bei allen tierischen Sinnesorganen, zumal bei solchen, die dem Menschen fehlen, und des- halb keine Analogieschlüsse zulassen, ist man hinsichtlich ihrer biologischen Bedeutung einzig auf den Versuch angewiesen. Früher wurden die Statocysten vielfach für Organe des Gehörsinns gehalten, und ihre Teile dementsprechend bezeichnet, Otocyste, Otolith usw. '1 Vgl. Wind hausen ,, Einige Ergebnisse zweier Reisen in den Territorien Rio Negro und Nenqucn". Neues Jahrb. f. Min. usw. Beil. Bd. X.WVIII, 1914, S. 302. '') Lee: ,,Reccnt discovery of dinosaurs in the Tertiary" (Amer. Journ. of Science 4 ser. Bd. 35, S. 531 — 534. 1913-) N. F. XIII. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 823 Fig I. Statocyste von Pterotrachea. (Nach Claus 1875.) 1 Sinnesnerv; 2 strukturlose Membran ; 3 u. 4 Wimperzellen ; 5 Sta- tolitli ; 6 Sinneszellen ; 7 Stütz- oder IsolationszcUen : S große Zentralsinneszelle. Der Wirklichkeit näher kam schon ihre Deutung als statische Organe. Baunacke (Studien zur Frage nach der Statocysteiifunktion. Biol. Zentralbl. 33. Band 1913) führt indes aus, daß solche nur notwendig sind „bei Formen, die sich vorüber- gehend oder dauernd in labilem tileichgewicht be- wegen, d. h. also bei Schwimmern, Fliegern und Läufern, soweit diese eben nicht durch ent- sprechende Verteilung spezifisch verschieden schwerer Massen ihres Körpers passiv orientiert sind". Sie dienten viel- mehr den im Wasser lebenden Tieren, welche keine Kiemen besitzen, wie z B. den Wasser- wanzen, dazu, sie den Weg nach oben, zum Wasser- spiegel finden zu lassen, hätten also eine negativ geotaktische Funktion. Außerdem ermöglichten sie es den Nacktschnecken der Gattungen Limax und Arion sich in die normale Kriechlage zurück- zudrehen, wenn sie auf den Rücken geraten sind; sie lösen dann einen Umdrehreflex aus (Fig. 3). Diese seine Auffassung hat nun Baunacke unter Verwendung eines großen Materials neuer- dings geprüft und bestätigt gefunden (Studien zur Frage nach der Statocysteiifunktion. IL Noch einmal die Geotaxis unserer Mollusken. Biol. Zentralblatt 34. Band. Nr. 6 1914). Fxperi- mentiert wurde mit einer großen Zahl von Indi- viduen von Helix pomatia (L.), Arion hortensis (Fer.), Limax agrestis (L.), Arion empiricorum (Fer.), Helix hortensis (Müll.) und Helix arbustorum (L.). B. kam es vor allem darauf an nachzuweisen, daß die Statocysten und nur sie die Träger des Orientierungsvermögens sind. Die anderen Sinnesreize konnten , als hier nicht in Betracht kommend, ausgeschlossen werden. Zunächst bildet das Licht keinen orientierenden Faktor, insofern der Lichteinfall für die Bewegungs- richtung gleichgültig ist. Auch Tastempfindungen, ausgelöst durch die Berührung der Fühler am Kopf mit der senk- recht aufsteigenden Wand des Aquariums, in dem die Tiere gehalten wurden, spielen keine Rolle. Der Kopf samt seinen Sinnesorganen konnte bis nahe an den Schlundring hin amputiert werden; ein Tier von Arion empiricorum lebte noch 8 Tage weiter, bis es schließlich von Limaeiden aufgefressen wurde. Zunächst zeigte es keine Beeinträchtigung seines Lokomotionsvermögens. Auf dem Schaukelbrett — ein um eine horizontale Achse drehbares Brettchen — reagierten derartige Tiere prompt auf die jedesmalige .Änderung ihrer Wegrichtung. Es wäre ferner an Tastempfindungen zu denken, welche ihren Sitz in der Kriechsohle haben. Je nachdem das Tier seine Rückenseite nach oben oder nach unten kehrt , aufwärts oder ab- wärts kriecht, verhalten sich ja Druck und Zug verschieden. Krsterer kann nicht in Betracht kommen, denn das Tier findet den Weg nach oben, auch wenn es mit dem Rücken nach unten hängt. Auch der Zug fällt weg. Zunächst ist häufig zu beobachten , daß die Schnecken den Vorderteil des Körpers im Wasser -frei erheben und tastende Bewegungen ausführen, wobei also jeder Sohlenkontakt fehlt. Die Zugempfindungen müssen aber um so größer sein, je größer die Last des Körpers ist. Proportional mit der Er- höhung resp. Verminderung des Körpergewichts wird die Adhäsion der Kriechsohle verschieden stark beansprucht. Das Gewicht des Körpers wirkt aber verschieden je nach dem spezifischen Gewicht des Mediums, in dem er sich befindet. Es wurden Versuche angestellt mit Erdöl, Faraffinum liquidum, Magnesiumsulfat, Dextrin und Zucker- lösungen. Die Tiere schlugen stets die Richtung nach oben hin ein , einerlei ob das Medium leichter oder schwerer als ihr Körper, der Zug also größer oder geringer war. Mit dem Tast- sinn der Sohle fällt zugleich auch der innere Tastsinn oder Muskelsinn weg (Fig. 2). Fig. 2. Wegschnecken (.^rion empiricorum Fer.), frisch gefangen und in ein Aquarium geworfen, kriechend an der dunkeln Seite des Gefäßes nach oben. (Nach Baunacke.) Ai-is allem folgt, daß weder hydrostatische Kräfte noch Druck- und Tastreize überhaupt zu der negativ - geotaktischen Tendenz der Tiere irgendwie in engerer Beziehung stehen. Andere für die Orientierung unter Wasser eventuell in Betracht kommende Sinne wurden durch zweckentsprechende Versuche ausgeschlossen. Zunächst der chemische Sinn. Das Wasser wird nach der Oberfläche hin an in ihm gelösten 824 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 52 Sauerstoff reicher. Wurden aber sowohl heile als auch unvollkommen geköpfte Individuen der Ackerschnecke (Limax agrestis L.) in ausge- kochtes luftfreies Wasser gebracht, über dem eine Stickstoffatmosphäre lagerte, also größerer Sauer- stoffgehalt des Wassers den Weg nach oben nicht zeigen konnte, krochen die Tiere dennoch nach oben. Auch bei Anwendung anderer, nicht atem- barer Gase, z. B. Wasserstoff, zeigten die Schnecken dasselbe Verhalten. Sonstige Reize für den che- mischen Sinn, Geruch und Geschmack, kamen aber nicht in Frage. Es kann also weder der Lichtsinn, noch der Tastsinn, noch ein chemischer Sinn sein , welcher den Tieren den Weg nach oben zeigt. Es blieben sonach nur zwei Möglichkeiten übrig. Einmal die Orientierung wäre antityp, ginge ohne Vermittlung von Nerven und Sinnes- organen vor sich oder zweitens sie wäre der Reflex auf Reize , die von den Statocysten auf- genommen wurden. Um diese Frage zu ent- scheiden, wurde bei einer Anzahl von Exemplaren der Kopf bis dicht zum Ganglienring amputiert. Ein so behandeltes Tier kroch aus dem Wasser- gefäß heraus und noch ein Stück über den Tisch hinweg; kurz, wenn die Statocj'sten am Körper gelassen worden waren, blieb das Orientierungs- vermögen erhalten; wurde dagegen durch den Schnitt der Kopf mit dem Schlundring und den Statocysten abgetrennt , so blieb zwar das Loko- motionsvermögen erhalten, wie die über die Sohle hinlaufenden lokomotorischeii Wellen zeigten, aber das Orientierungsvermögen tehlte und damit die negativ-geotaktischen Reaktionen. Fig. 3. Zwei Wegschnecken (.Arion empiricorum For.) in Selbstwcndung. (Nach Baunacke.) Auch der Umdrehreflex, die Wendung des auf den Rücken geworfenen Tieres, stellt den Reflex eines auf die Statocysten wirkenden Reizes dar (Fig. 3). Er findet statt unabhängig vom Licht bei völligem Abschluß desselben, in diffusem Licht und bei einseitigem Lichteinfall. Ebensowenig spielen äußere und innere Berührungsreize (Muskel- sinn) dabei eine Rolle. In spezifisch gleichschwerer Zuckerlösung usw. freischwebend drehen sich die Tiere rasch in ihre Normallage zurück. Wird aber das Tier in ein vorderes und hin- teres Stück zerschnitten, so dreht sich nur jenes in die normale Lage zurück, welchem die Stato- cysten verblieben sind; das andere dagegen ver- hält sich bezüglich der Lage gänzlich indifferent. Aus allen Versuchen ergibt sich , daß die Statocysten zur riclitigen Orientierung des Körpers dienen. Der Reiz auf die die bläschenförmigen Statocysten auskleidenden Sinneszellen wird durch auf die der Schwerkraft folgenden, in der leichteren Statolymphe sich bewegenden, spezifisch schwereren Statoconien ausgelöst. Der einwandfreiere Weg, die Statocysten zu exstirpieren , ist wegen ihrer verborgenen Lage tief im Innern des Körpers nicht gangbar. Der negativ-geotaktische Bewegungsreflex wird ausgelöst durch eintretende Atemnot und gehemmt durch Befriedigung der respiratorischen Bedürf- nisse. Daß die Atemnot der auslösende Faktor ist, geht daraus hervor, daß die Lungenschnecken nicht nur im Wasser, sondern auch in nicht atembaren Gasen (z. B. Wasserstoff) negativ- geotaktische Bewegungen ausführen. Dies trifft gleichmäßig zu für die Nackt- und für die Ge- häuseschnecken. Ein Zugreiz nach oben, wie er im Wasser infolge der Lufifüllung der Atemhöhle zustande kommt, kann gleichfalls nicht als aus- lösender Reiz herangezogen werden , da er sich gerade dann einstellt, wenn das Emporsteigen zur Oberfläche nicht nötig ist, während umgekehrt die Entleerung der .'Xtemhöhle das Sinken nach unten zur Folge hat. Passives Aufsteigen nach oben würde auch im Freien häufig nicht zum Ziele führen. In freien Gewässern ist ja der Wasserspiegel oft von einer Pflanzendecke über- zogen, und die Tiere müssen noch eine Zeitlang an der unteren Seite der Pflanzen entlang kriechen, bis sie zur Luft kommen. Die Statocyste ist das einzige Sinnesorgan, das sich gleichmäßig bei allen Lungenschnecken vorfindet. Es kommt indes auch bei ständig im Wasser lebenden, kiemenatmenden Mollusken vor. Interessant wäre es zu wissen , wie sich d i e Lungenschnecken verhalten, welche am Grunde tiefer Seen leben und Wasser in ihre Atemhöhle aufnehmen, um dasselbe mittels des reichen Ge- fäßnetzes in deren Wandung auf Sauerstoft' aus- zubeuten. Sie sind so nicht mehr genötigt zum Zwecke der Aufnahme von Atemluft zur Ober- fläche aufzusteigen. Die lebendiggebärende Sumpfschnecke (Palu- dina vivipara Drap.) besitzt zwei Kiemen, die ihr das .Aufsteigen ersparen; dennoch bewegt sie sich in sauerstoffarmem Wasser schwerfällig kriechend nach oben. Auch ermöglichen ihr die Statocysten von Zeit zu Zeit aus den an giftigen Gasen reichen Wasserschichten herauszukommen , welche über dem F'aulschlamm ihres Wohngewässers lagern. Besonders ausgesprochen zeigt Paludina den Umdrehreflex. Die Muscheln Pisidium und Sphae- rium vermögen gleichfalls negativ geotaktische Bewegungen auszuführen. Sie sind genötigt, ihren Wohnplatz zu verlegen, wenn sie nach starken Regengüssen z. B. verschlämmt oder wegge- schwemmt werden. Die Najaden sind dem Leben auf und in dem Grund angepaßt. Dementsprechend reagiert ihr Fuß positiv geotaktisch. Anodonta piscinalis Nilss. wurde in den verschiedensten Lagen an P'äden befestigt frei im Aquarium aufgehängt. Der Fuß zeigte stets die Tendenz, sich in die Richtung der N. F. XIII. Nr. 5; Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 825 Schwerl{raftwirkung einzustellen , hing also nach unten (I'ig. 4I Diese .'\rt der Orientierung kommt zur Geltung beim Eingraben und dann beim Auf- suchen tieferen Wassers. Man sieht häufig den Grund der von Najaden bewohnten Gewässer beim Sinken des Wasserstands von Furchen durchzogen, den Kriechspuren der Muscheln, welche sich nach tiefer gelegenen Stellen zurück- Fig. 4. Anüdonta piscinalis Nilss. , frei unter Wasser im Dunkeln an Fäden aufgehängt, richtet den hervor- gestreckten Fuß sofort dem Boden zu. (Nach Baunacke.) B. hing einen ca. i m langen, schlammgefüllten Kasten so unter Wasser auf, daß bei einer Kippung um ca. 30" das gehobene Ende den Wasserspiegel berührte, während das untere etwa 40 cm tief unter ihm lag. Die am oberen Ende auf den Schlamm gelegten, ja in ihn fest eingesteckten Muscheln wurden am nächsten Morgen in dem tiefer gelegenem Ende eingegraben gefunden. Bei den nur in der Jugend freibeweglichen, später festgewachsenen Tieren (Auster, Wurm- schnecke) oder parasitierenden Formen (Enteroxe- nus) gehen die Statocysten im Laufe der Meta- morphose verloren, während sie bei freilebenden Formen wohl entwickelt sind. Besonders aus- gebildet sind die Statocysten bei den freischwim- menden Mollusken, den Heteropoden, und vor allem bei den Cephalopoden. Daß sie bei ver- schiedenen niederen Formen (Amphineuren) fehlen, beweist nichts gegen ihren biologischen Wert, weil andere Sinne bei jenen die Orientierung des Körpers gewährleisten. In den Statocysten mancher Formen, z. B. der labil orientierten Heteropoden der Gattung Ptero- trachea sind die reizrezipierenden Elemente auf der dem Erdzentrum zugewandten Seite der Cystenwand zur Macula statica zusammengedrängt. Es deutet das auf eine Steigerung der Lage- empfindungen bei der geringsten Abweichung von der Normallage. Bei der zum freien Schwimmen befähigten Pilgermuschel entspricht die Entwick- lung der Statocysten ganz der Lage des Körpers. Sie sind nämlich asymmetrisch entwickelt, ent- sprechend der Gleichgewichtslage (Seitenlage) beim Schwimmen. Nach Untersuchungen Tschachotin's (i 908) an Pterotrachea sind die Statocysten nicht allein sensibel, sondern auch motorisch innerviert. Apathy (1885) beschrieb im P^pithel der Najaden- statocyste zwei verschiedene Zellformen , welche Cilien resp. feine Plasmafäden tragen. In den Lücken zwischen den Wandzellen liegen kleine Ganglienzellen. Auch in den Statocysten der Pulnionaten und Prosobranchier fand Schmidt (191J) drei Arten von Zellformen, die nach dem Innern der Statocysten hin mit Cilien besetzt sind, was darauf hinweist, daß der Mechanismus der Statoc_\'sten keineswegs einfacher Natur ist. Über ihre feinere Innervation und den Verlauf der reizleitenden Elemente im Körper ist dagegen noch nichts bekannt. B. schließt aus seinen biologischen und phy- siologischen Versuchen, daß die Statocysten der Schnecken und Muscheln keineswegs als rudi- mentäre Bildungen, etwa als ein Erbteil frei- schwimmender Vorfahren, anzusprechen oder gar als zwecklos zu bezeichnen sind. Die bisherige Bezeichnung derselben als Gleichgewichtsorgane muß fallen gelassen werden. Es sind vielmehr Richtungssinnesorgane, aus deren Einfluß auf den Tonus der Körpermuskulatur, das eine Mal eine negativ-geotaktische, das andere Mal eine positiv- geotaktische Bewegung oder endlich die Torsion des Körpers in Kriechlage resultiert. Kathariner. Physik. „Dynamische und statistische Gesetz- mäßigkeit" war der Titel der Rede, den der Rektor der Berliner Universität Max Planck am 3. August bei der alljährlichen Universitätsfeier nach altem Brauch gehalten hat. Dem inhaltreichen Vortrage ist das Folgende entnommen. „Eine jede Wissenschaft, so heißt es in den einleitenden Abschnitten des Vortrages, selbst die Mathematik nicht ausgenommen, ist bis zu einem gewissen Grade Erfahrungswissenschaft, mag sie nun die Natur oder die geistige Kultur zum Gegen- stande haben, und in jeder Wissenschaft gilt als vornehmste Losung die Aufgabe, in der L'ülle der vorliegenden Einzelerfahrungen und Einzeltatsachen nach Ordnung und Zusammenliang zu suchen, um dieselben durch Ergänzung der Lücken zu einem einheitlichen Bilde zusammenzuschließen. Aber auch die Art der Gesetzlichkeit ist, auf so ver- schiedenen Gebieten die in den einzelnen Wissen- schaften behandelten Materien auch liegen mögen, keineswegs so verschieden, als es beim Anblick der gewaltigen Gegensätze, wie sie z. B. ein historisches und ein physikahsches Problem bietet, zunächst erscheinen möchte. Zum mindesten wäre es ganz verkehrt, einen grundsätzlichen L'nter- schied etwa darin zu suchen, daß auf dem Ge- biete der Naturwissenschaft die Gesetzlichkeit allenthalben eine absolute, der Ablauf der Er- scheinungen ein notwendiger sei, der keinerlei Ausnahmen gestattet, während auf geistigem Ge- biete die Verfolgung des kausalen Zusammen- hanges streckenweise immer auch durch etwas Willkür und Zufall hindurchführe. Denn einer- 826 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xin. Nr. 52 seits ist für jegliches wissenschaftliche Denken, auch auf den höchsten Höhen des menschlichen Geistes, die Annahme einer im tiefsten Grunde ruhenden absoluten, über Willkür und Zufall er- habenen Gesetzlichkeit unentbehrliche Voraus- setzung, und auf der anderen Seite findet sich auch die exakteste der Naturwissenschaften, die Physik, sehr häufig veranlaßt, mit Vorgängen zu operieren, deren gesetzlicher Zusammenhang einst- weilen noch völlig im Dunkeln bleibt und die daher im wohlverstandenen Sinne des Wortes unbedenk- lich als zufällige bezeichnet werden können." So wissen wir z. B. bis jetzt noch nichts über die inneren Ursachen, welche ein radioaktives Atom zum explosiven Zerfall zwingen, während ein Nachbaratom nach Millionen von Jahren in voller Passivität verharrt. Trotzdem ist die Hypo- these vom Zerfall der Atome für die Physik von allergrößter Bedeutung, denn sie hat in eine fast unübersehbare Fülle von Kinzeltatsachen Ordnung und System gebracht und Veranlassung zu neuen Entdeckungen von größter Tragweite gegeben. Die Möglichkeit zum wissenschaftlichen P>- fassen von Vorgängen, deren Kausalitätsverhält- nisse uns verborgen sind, liegt in der, etwa seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts ausge- bildeten, für die Physik wichtiger und wichtiger werdenden statistischen Methode. „Statt den zurzeit noch völlig im Dunkeln liegenden dyna- mischen Gesetzen eines Einzelvorganges ohne eine Aussicht auf greifbaren Erfolg nachzuforschen, werden zunächst einmal nur die an einer großen Zahl von Einzelvorgängen einer bestimmten Art gemachten Beobachtungen zusammengestellt und aus ihnen Durchschnitts- oder Mittelwerte gebildet. P"ür diese Mittelwerte ergaben sich dann je nach den besonderen Umständen des Falles gewisse erfahrungsmäßige Regeln, und die so gewonnenen Regeln gestatten, allerdings niemals mit absoluter Sicherheit, aber doch mit einer Wahrscheinlich- keit, die sehr häufig der (lewißheit praktisch gleichkommt, den Ablauf auch zukünftiger Vor- gänge im voraus anzugeben, zwar nicht in allen Einzelheiten, wohl aber - und darauf kommt es bei den Anwendungen oft gerade am meisten an — in ihrem durchschnittlichen Verlauf" Diese statistische Gesetzmäßigkeit ist von ganz anderer Art als die soeben erwähnte kausale oder dynamische Gesetzmäßigkeit, wenn auch beide Gesetzmäßigkeiten häufig eine ausgesprochene formale Analogie aufweisen. So wird z. B. oft das Gesetz der kommunizierenden Röhren mit dem Gesetz vom Temperaturausgleich verschieden temperierter Körper verglichen, indem der Niveau- differenz im ersten die rcmperaturdifTerenz im zweiten F"alle als innerlich gleichartig gegenüber- gestellt wird, eine Auffassung, die in der P^nergetik bekanntlich zur grundsätzlichen Zerlegung aller Energieformen in zwei Faktoren, deti die Menge des Energieaustausches bestimmenden Kapazitätsfaktor und den als Grundursache alles Geschehens anzu- gehenden Intensitätsfaktor geführt hat.') Tatsäch- lich sind aber beide Vorgänge keineswegs so gleich- artig, wie man nach ihrer formalen Analogie vermuten möchte, ihre Ähnlichkeit ist vielmehr nur ganz oberflächlich. So ist der Xiveauausgleich in kommunizierenden Röhren eine notwendige Folge des Gesetzes von der PJrhaltung der Energie, wäh- rend etwa der Übergang von Wärme von einem kalten zu einem heißen Körper diesem Gesetze keineswegs widersprechen würde. Auch tritt der Niveauausgleich in komumnizierenden Röhren in der Weise ein, daß die Flüssigkeit von dem hö- heren Niveau zunächst unter das Gleichgewichts- niveau sinkt und sich ihm dann hin- und her- schwingend allmählich nähert; würde bei diesem Vorgange kein Verlust an Bewegungsenergie ins- besondere durch Reibung eintreten, so würde das Hin- und Herschwingen um die Gleichgewichts- lage andauern, ohne daß sie selbst je dauernd er- reicht würde. Beim Ausgleich von Temperatur- differenzen tritt ein derartiges Pendeln um das Temperaturgleichgewicht nicht ein, die Temperatur der beiden verschieden warmen Körper nähern sich vielmehr ganz allmählich, und zwar nimmt die Geschwindigkeit des Ausgleiches ab, je näher die beiden Temperaturen einander kommen. Zu den Vorgängen der ersten Art, also solchen Vorgängen, bei denen das Gleichgewicht durch Schwingungen um die Gleichgewichtslage erreicht oder — bei Abwesenheit jeglicher Bremswirkung — nicht erreicht wird, gehören die Gravitationser- scheinungen, die mechanischen und die elektrischen Schwingungen und die akustischen und elektro- magnetischen Wellen, und sie alle lassen sich einem einzigen Prinzip unterordnen, dem Prinzip der kleinsten Wirkung, in dem auch das Gesetz von der Erhaltung der Energie mitenthalten ist. Zu den Vorgängen der anderen Art gehören die Lei- tung von Wärme und Elektrizität, die Reibung, die Diffusion und sämtliche chemische Reaktionen. Auch für sie gilt ein sehr allgemeiner Satz, der von Clausius entdeckte zweite Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie, dessen Wesen und Wurzel aber erst von L. Boltzmann mit Hilfe atomistischer Betrachtungen erkannt worden ist. Nach der durch neuere Untersuchungen -) in so überraschender Weise bestätigten Atomtheorie „ist die Wärmeenergie eines Körpers nichts ande- res als die Gesamtheit der äußerst feinen schnellen unregelmäßigen Bewegungen seiner einzelnen Moleküle, die Hölie seiner Temperatur entspricht ') Der Ausgleich von Energien bestellt immer im Aus- gleich des Intensitiitsfaktors. Ein Ausgleich zwischen ver- schiedenen Wärmemengen findet nur statt, wenn eine Tempe- raturdifferenz vorhanden ist, und alle elektrischen Vorgänge setzen, unabhängig von der Menge der Elektrizität, das Vor- handensein einer Spannungsdifferenz voraus. Ganz verschie- dene Mengen von Wärme oder Elektrizität sind im Gleich- gewicht, wenn die Intensitätsfaktoren gleich Null sind, d. h. keine Temperatur- oder Potentialdifferenz besteht. Die Inten- sitätsfaktoren sind also — so behauptet die Energetik — die treibende Kraft für alle Vorgänge. ') Vgl. Werner Mecklenburg, „Die experimentellen Grundlagen der Atomtheorie". Naturw. Wochenschr. .N. F. Bd. VIII, S. 769 (1909) und Bd. IX, S. 35 u. S. 385 (1910). N. F. XIII. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 827 der mittleren lebendigen Kraft seiner Moleküle, und der Wärmeübergang von einem heißeren zu einem kälteren Körper beruht darauf, daß die lebendigen Kräfte der beiderseitigen Moleküle bei den durch die Berührung der Körper bedingten häufigen Zusammenstößen sich gegenseitig im Mittel ausgleichen. Das ist aber nicht so zu ver- stehen, als ob bei jedem einzelnen Zusammen- stoß zweier Moleküle dasjenige mit größerer lebendiger Kraft an Geschwindigkeit einbüßt, das- jenige mit geringerer lebendiger Kraft dagegen beschleunigt wird; denn wenn z. B. ein schnell bewegtes Molekül von der Seite her, quer gegen seine Bewegungsrichtung, von einem langsamer bewegten Molekül getroffen wird, muß seine Ge- schwindigkeit noch weiter wachsen, wälirend die des langsameren Moleküls sich noch weiter ver- mindert. Aber im großen und ganzen wird doch nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit, falls nicht ganz exzeptionelle V'erhältnisse vorliegen, eine gewisse Vermischung der lebendigen Kräfte eintreten, und dies entspricht einem Ausgleich der Temperaturen der beiden Körper", ein Vor- gang, wie er ähnlich bei der Brown'schen Be- wegung -') ja tatsächlich beobachtet werden kann. Die Wärmeleitung gehorcht also statistischen, d. h. Wahrscheinlichkeitsgesetzen und unterscheidet sich dadurch grundsätzlich von jenen Erscheinungen, die die Wissenschaft als notwendige Folgen anderer Erscheinungen anzusehen hat. Theorie und Praxis nötigen uns, ,,in allen Gesetzmäßigkeiten der Physik einen fundamentalen Unterschied zu machen zwischen Notwendigkeit und Wahrscheinlichkeit, und bei jeder beobachteten Gesetzmäßigkeit zu allererst zu fragen, ob sie dynamischer oder ob sie statistischer Art ist". Dieser Dualismus erscheint unbefriedigend, und es ist daher versucht worden, ihn durch die Annahme zu überbrücken, daß es in der Natur überhaupt keine dynamischen Gesetze gäbe, daß diese vielmehr in letzter Linie auch nur den Charakter von statistischen Gesetzen hätten. Zu dieser Annahme, durch die der Begrift' der abso- luten Notwendigkeit für die Physik überhaupt aufge- hoben würde, liegt kein Grund vor, bildet doch die absolute Gesetzmäßigkeit nicht nur für die dynamischen , sondern auch für die statistischen Gesetze die wesentliche Grundlage. „In der Physik ist die exakte Berechnuns von Wahrscheinlich- keiten nur dann möglich, wenn für die elejnentar- sten Wirkungen, also im allerfeinsten Mikrokosmos, lediglich dynamische Gesetze als gültig angenom- men werden dürfen. Entziehen sich diese auch einzeln der Beobachtung durch unsere groben Sinne, so liefert doch die Voraussetzung ihrer absoluten Unabänderlichkeit die unumgänglich notwendige feste Grundlage für den Aufbau der Statistik." Nach dem Gesagten stehen dynamische und statistische Gesetzmäßigkeiten nicht im gleichen Range. Ein dynamisches Gesetz befriedigt unser Kausalbedürfnis, ein statistisches Gesetz nicht, und die fortschreitende Wissenschaft wird daher stets danach streben , die statistischen Gesetze durch dynamische Gesetze zu ersetzen. Erscheint so der zweite Hauptsatz der mecha- nischen Wärmetheorie, der ja unter den statisti- schen Gesetzen der Physik wohl an erster Stelle steht, nur als Wahrscheinlichkeitssatz, so ist er doch einer exakten, allgemeingültigen Fassung fähig. „Eine solche läßt sich etwa folgender- maßen aussprechen: Alle physikalischen und chemischen Zustandsänderungen verlaufen im Mittel so, daß sie die Wahrscheinlichkeit des Zu- stands vergrößern. Nun ist unter allen Zuständen, die ein System von Körpern annehmen kann, der wahrscheinlichste Zustand dadurch ausgezeichnet, daß alle Körper die nämliche Temperatur be- sitzen; aus diesem und keinem anderen Grunde erfolgt die Wärmeleitung im Mittel stets im Sinne eines Ausgleichs der Temperaturen, also in der Richtung von höherer zu tieferer Tempe- ratur. Über einen einzelnen Vorgang vermag aber der zweite Hauptsatz stets nur dann etwas mit Bestimmtheit auszusagen, wenn man von vornherein sicher ist, daß der Verlauf des spe- ziellen Vorgangs nicht merklich abweicht von dem mittleren Verlauf einer großen Anzahl von Vorgängen, die alle von dem nämlichen Anfangs- zustand ihren Ausgang nehmen." Hingegen hat — das muß betont werden — der zweite Haupt- satz mit der Energie direkt überhaupt nichts zu tun , wie z. B. die bisweilen überhaupt ohne Energieumwandlungen sich abspielenden Diffusions- vorgänge nur deshalb vor sich gehen, weil die gleichmäßige Mischung zweier verschiedener .Sub- stanzen wahrscheinlicher als eine ungleichmäßige ist. Mg. Kleinere Mitteilungen. Technische Neuerungen der feinkeramischen lieber Bedeutung, da sie diejenigen Industrien, Industrie. Was die Rohmaterialien anbetrifft, so haben zwei Naturprodukte mehr und mehr Ein- gang gefunden. Es sind dies der Geyserit und der Ouarzspat, zwei wertvolle Materialien, welche vor einigen Jahren in Deutschland aufgefunden worden sind. Diese Steine kommen in mächtigen Lagern vor, die heute systematisch ausgebeutet werden, und sind von gewaltiger volkswirtschaft- welche auf ausländische Geyserite und Ouarzite, wie sie in Island, Neuseeland und im Jellow Stone Park vorkommen, angewiesen sind, bzw. diejenigen, welche Feldspate und Feuersteine aus Norwegen und Dänemark verarbeiten, vom Ausland unabhängig machen können 'j. ') Zeitschr. für angewandte Chemie 27. 64/65. 828 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Xm. Nr. 52 Der Taunusgeyserit von Usingen besteht aus 99,25"/,, Kiesel.-äure, welche aber im Gegensatz zu Kristallquarz und Quarzsand ganz eigenartige schätzenswerte Eigenschaften besitzt. Diesen Be- sonderheiten hat der Geyserit seinen Eingang in manche Industrie zu verdanken : in den chemisclien Fabriken wird er an Stelle reiner Kieselsäure, in Glasfabriken zur Herstellung von Kristallglas und optischen Gläsern verwendet, außerdem schätzt man ihn in der Quarzglasindustrie als ausgezeichnetes Material. Große Verwendung findet er auch in der Emailleindustrie für Glasuren und in der kera- mischen Industrie für Ma>se und Glasur, besonders zur Herstellung von feinen dünnen Porzellanen. Besonders günstige Erfolge wurden bei den Ver- suchen erzielt, den Geyserit für bleifreie Glasuren von Steingut zu benutzen. Der sog. Quarzspat vom Zobten (Quarzspat Ströbel in Ströbel am Zobten) ist ein in der Kaolinisierung begriffenes Urgestein, welches dem Zobtcnberg Biutiigranit aufgelagert ist und in einer Fläche von 300000 qm zutage tritt und daher leicht abgebaut werden kann. Er besteht nach einer Analyse von Dr. Si nger- Bunzlau aus 66,96''/n Feldspat, 25,28% Quarz und 7,76"/,, Ton- substanz; er kann daher mit gutem Erfolg in der keramischen Industrie zu gesinterten Platten, technischen Porzellanen und Isolatoren benutzt werden. Für die Steinguiindusirie wirkt, sobald mit oxydierendem Feuer gearbeitet wird, der schwache Eisengehalt störend. Die Mächtigkeit des Quarzspatlagers gestaltet, den Bedarf von viel- leicht ganz Mittel- und (Ostdeutschland auf Jahre hinaus zu decken. Die meist gleichmäßige Zu- sammensetzung und die leichte und schnelle Auf- arbeitung auf trocknen! Wege bietet den anderen harten Steinen gegenüber große Vorteile, und es wird sich daher für manchen Fabrikanten sicher- lich lohnen , mit dem neuen Material Versuche zu machen, um dieses für die deutsche Volks- wirtschaft so bedeutende Naturprodukt zu einer immer größeren Verwendung zu führen. Neben diesen beiden natürlichen Mineralien scheint sich in der keramischen Industrie mehr und mehr ein künstliches Produkt, das Kieselfluor- natrium, als Flußmittel für Glasuren einzuführen und anstelle von Blei verwenden zu lassen, umso- mehr als der Preis, zu dem es angeboten wird, gleich dem der Mennige ist. Die Aufbereitung der Rohmaterialien geschieht immer mehr trocken, nachdem es den Maschinen- fabriken durch Verbesserungen der maschinellen Einrichtungen zum Zerkleinern und Mahlen der trocknen Rohmaterialien, sowie der vollkommenen Sichtung des Feinmehles durch Windseparatoren gelungen ist, die großen Ansprüche der kerami- schen Werke an F'einheit, Gleiclimäßigkeit und inniger Mischung der Masse zu befriedigen. Solche, wenig Arbeitskräfte verlangenden Anlagen werden in vorzüglicher Güte von Gebr. Pfeiffer, Kaisers- lautern, Jakobiwerk Meißen und Gebr. Seck, Dresden geliefert. Die P^nteisenung der Tone wird neuerdings mit hydroschwefliger Säure bewirkt, wovon schon geringe Mengen in der Kälte genügen, im Gegen- satz zu den früheren Methoden, wo größere Mengen von Salzsäure und schwefliger Säure unter Er- wärmen angewandt werden mußten. Bietet dieses Verfahren auch einerseits große Vorteile, so wer- den dennoch hierbei manche Schwierigkeiten erst noch zu überwinden sein. Es wird nämlich für solche Betriebe nur schwer zu verwenden sein, welche größere Anforderungen an ihre Erzeug- nisse stellen, wie reine P'arbe, tadellose Glasur, da die in der Masse verbleibenden Salzreste beim Glasieren und Brennen störend wirken und auch kein reines Weiß erhalten wird. Das Sc h werin 'sehe P^lektroosmoseverfahren wird jetzt auch praktisch zur Reinigung der Kaoline angewandt, denn in Karlsbad hat sich eine Kaolin Elektroosmose-A.G. gebildet, welche in Chodau bei Karlsbad über 100000 Klafter Kaolingründe außerhalb des Quellenschutzgehietes erworben hat, um hier das genannte Verfahren nunmehr im Großbetriebe auszuüben. Hierbei kommt der Rohkaolin zunächst in einen Quirl, in dem er zerteilt wird. Die groben Bestandteile, Sand , Schwefelkiesstücke usw. werden hierbei durch ein unter dem Quirl angeordnetes Schüttel- sieb au.sgeschieden, während der feine Schlamm in Absatzbehälter fließt, von wo er in Verteilungs- behälter gepumpt wird , von denen er in ganz bestimmter Dicke und bestimmter Geschwindig- keit ununterbrochen in die Osmosemaschinen fließt. In diesen wandert das reine Kaolin nach der walzenförmigen Anode, von der er abgenom- men werden kann; hierbei sind Miterpressen ent- behrlich, weil der Wassergehalt des so abgeschie- denen Kaolins ca. 20 "/(, beträgt. Der Strom be- fördert nur den Ton als Kolloid nach der Anode, Glimmer und Schwefelkies werden also ausge- schieden, wodurch eine weitgehende Reinigung erzielt und ein Material von besonders gleich- mäßiger Qualität und rein weißer Brennfarbe er- halten wird. Bezüglich des Arbeitsverfahrens kann man wohl sagen, daß ein sehr großer Teil der P'orm- gebung keramischer Waren Automaten- bzw. Maschinenarbeit ist. Von neueren Bestrebungen seien hier die Versuche zur mechanischen Her- stellung von Tassen und Tellern erwähnt, welche die Maschinenbauanstalt von Schröder in Schwep- nitz i. S. unternommen hat. Von älteren Ein- richtungen haben sich vor allem das Gießverfahren, die maschinelle Stanzerei, die Plattenpresserei und die Glasurmaschine immer mehr und mehr ein- geführt. Das Gießen , das früher nur auf eine beschränkte Gattung und Form von Tonwaren angewandt wurde, ist fast durch die ganze Industrie und auf eine große Zahl von verschiedensten Formen ausgedehnt worden; erwähnt sei hier nur das Gießen der sehr dünnen Porzellane, sowie das sehr großer Stücke, z. B. zweiteiliger Wasch- becken usw. Das Formen der sog. trocknen N. F. XIII. Nr. 5: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 829 Masse durch Stanzen, welches ursprünglich nur zur Herstellung der allereinfachsten Gegenstände angewandt werden konnte, ist heute zu einer großen Vollkommenheit gebracht worden. Die meisten elektrotechnischen Artikel, wie Schalter, Isolatoren usw. für Schwachstrom, in ihrer oft außerordentlich verwickelten Ausführung, werden heute in einer einzigen Maschine fertig geformt. Auch die maschinelle Plattenpresserei ist außerordentlich ausgebaut worden ; die Leistungen sind wesentlich erhöht, und die Arten der Pressen so ausgebildet, daß außer den gewöhnlichen Fuß- boden- und Wandplatten die verschiedensten Formen hergestellt werden können, wie dünne, kleine Plättchen, Einlagen, Gesims- und Sockel- leisten. An Stelle der alten Pressen , die eine große Anzahl von Arbeitskräften erforderten, sind neue halb- und ganzautomatisch wirkende Ma- schinen gebaut worden (Laeis & Co , Trier), bei denen alle Vorgänge der Pressung, wie Füllen der Form, Vorpressen der Platten durch Nieder- druck, Entlüften, F"ertigpressen durch Hochdruck, Ausstoßen aus der Form und Abschieben der Platten vollständig selbständig ohne Zutun der die Presse bedienenden Arbeiter geschieht. Die Maschine muß nur rechtzeitig mit genügendem Material beschickt werden, außerdem müssen die fertig gepreßten Platten abgenommen werden, wozu höchstens 4 jugendliche Arbeitskräfte (Mäd- chen) erforderlich sind. Die Stundenleistung einer solchen Maschine beträgt 1200 Stück. Bei der Glasierung durch Berieselung von oben hat man noch keine guten Erfolge erzielt, während die Glasurmaschine vom Jakobiwerk- Meißen mehr verwendet wird. Dadurch, daß die Platten von oben gegen eine mit Glasurbrei ge-' tränkte rotierende Walze gedrückt werden, erzielt man offenbar ein weit gleichmäßigeres und fehler- freieres Aufbringen des Glasurbreies. Auf dem Gebiete der Brennerei findet man im allgemeinen das Bestreben, die Gasfeuerung in den Vordergrund ?u stellen. Diese Art des Erhitzens ist jedoch nicht für alle Zweige der keramischen Industrie von gleichem Nutzen, wenn man bedenkt, daß der Einsatz eines großen Stein- gutofens, dessen Wert ca. 8000 Mk. beträgt, mit einem Braunkohlenaufwand von 150 — 200 Mk. fertig gebrannt werden kann, während bei Ein- führung der Gasfeuerung öfter Brandfehler ent- stehen, und dadurch mehr Ausschuß erhalten wird. Günstiger gestaltet sich die Einführung der Tunnelöfen, die von Faugeron zuerst nur für den Brand von Steingut vorgesehen, von Faist aber auch für den Porzellanbrand eingerichtet worden sind. Die keramische Tunnelofenbau- gesellschaft Saarau baut sie nun auch für die Schamotte- und Mosaikplattenindustrie, sowie für die Fabriken von elektrotechnischen Gebrauchs- artikeln. In der Porzellanindustrie sind die An- sprüche derart gesteigert, daß man mit Erfolg Kobaltunterglasur im Tunnelofen zu brennen ver- steht. 19 solcher Öfen befinden sich augenblick- lich in den verschiedenen Zweigen der Industrie im Gebrauch. Eine neue, wesentlich andere Gestalt hat der Tunnelofen von Dreßler- London. Hierbei werden die Feuergase durch besonders eingebaute Heiz- rohre mittels eines Ventilators durch den Ofen gesaugt. Die Bauart des Ofens, besonders die Lagerung der Heizrohre, gewährleistet eine große Haltbarkeit. Der neue Ofen wird jetzt auch in Deutschland benutzt, wo er sich in einer Ofen- kachelfabrik gut bewährt hat. Die Dekoration der Tonwaren ist natürlich dem jeweiligen Geschmack und der Mode unter- worfen. Die Dekoration mittels Abziehbildern ist schon lange, besonders zur Herstellung billiger Waren, im Gebrauch, wobei jedoch jetzt die alten einfachen Bilder durch immer färben- und form- reichere ersetzt werden. Außer diesem älteren Verfahren ist aber auch eine wirkliche Neuerung in der Verzierung von Steingut oder ähnlichen Massen mittels der Unterglasurmalerei in höchst vollendeter P'orm gelungen. Die Firma Wahliß in Wien bringt mittels dieser Technik verzierte Ton- waren unter dem Namen Serapisfayence in den Handel. Diese neuzeitlichen keramischen Luxus- gegenstände passen so gut für die Räume in neu- zeitlichem Stil, wie z. B. die alten italienischen F"ayencen in die Räume der Renaissancezeit. Über die chemische Zusammensetzung von Scherben und Glasur ist ebensowenig bekannt wie über die Art der verwandten Farbkörper. Die Scherben scheinen aus ziemlich dicht gebrannter Steingutmasse von hoher Schmelzbarkeit zu bestehen. Bei den F"ar- ben fällt vor allem deren Glanz und Reichhaltig- keit auf. Alle Schattierungen bis zum dunkelsten Lila, Grün und Braun, besonders aber ein wunder- volles Rot und ein kernig wirkendes Schwarz zeichnen die neue Fayence in hervorragender Weise aus; eine auf der Glasur angebrachte zier- liche und gefällige Metallgold- bzw. Platinverzierung trägt wesentlich zur Erhöhung der Farbenwirkungen bei. Neu geschaffene Formen endlich bringen diesen neuen künstlerichen Stil noch zu besonderer Wirkung. Zum Schluß sei noch einer hygienischen kera- mischen Neuerung gedacht. Dr. Eckstein in Teplitz halte die Idee, zur Verbesserung der Luft der mit Zentralheizung erwärmten Räume, die eisernen Radiatoren der Niederdruckdampfheizung mit ihren vielen Mängeln durch keramische Radiatoren zu ersetzen, auf deren glatter Oberfläche eine Staubab- lagerung weniger möglich ist, und die die ange- nehme Wärmeabgabe der Kachelöfen besitzen mußten. Im Anfang hatte er jedoch wenig Er- folg mit seiner Idee, die er sich durch ein D. R. P. 202 846 schützen ließ. Eine der größten Schwierig- keiten, die überwunden werden mußte, war außer der Schaffung eines dichten, den Dampfdruck aus- haltenden Materiales, den Ausdehnungskoeftizienten der Masse demjenigen des Eisenmaterials, womit dieselbe montiert werden mußte, richtig anzupassen. 830 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 52 wobei auch die verschiedene Geschwindigkeit der Ausdehnung der beiden Materiahen berücksichtigt werden mußte. Nun ist es der Firma V 11 1 e r o y u. Boch, die sich das alleinige Ausführungs- recht des Patentes sicherte, gelungen, einen in jeder Beziehung den Anforderungen entsprechenden keramischen Radiator herzustellen. Die Festig- keit des Materials beträgt ca. 0,45 für ein qmm, sein spezifisches Gewicht 2,15. Die Wärmeabgabe ist etwa die gleiche der eisernen Heizkörper, aber das Erwärmen und Erkalten erfolgt ruhig wie beim Kachelofen und nicht stoßweise, wie bei den Eisenradiatoren. Die Staubablagerung auf den glatten Flächen ist minimal und kann leicht und bequem entfernt werden, während dies bei den rauhen eisernen Radiatoren nicht der P'all ist, und das Verbrennen des Staubes nicht ver- mieden werden kann. Otto Bürger. Bücherbesprechimgen. Goeldi, E. A. Die Tierwelt der Schweiz. I. Band, Wirbeltiere. XVI, 654 Seiten 8" mit 2 Karten und 5 farbigen Tafeln. Verlag von A. Francke, Bern 1914. — Preis brosch. 12,80, geb. 14,40 Mk. Das vorliegende Werk ist aus Vorlesungen hervorgegangen, die der Verf nach Rückkehr von seinem langjährigen und fruchtbaren Aufenthalt im tropischen Brasilien seit 1907 an der Berner Hochschule über die Fauna der Schweiz regel- mäßig gehalten hat. Im Gegensatz zu sonstigen faunistischen Darstellungen hält es sich fern von trockener Aufzählung und Beschreibung der ein- zelnen Arten, stellt dagegen das genetische und geographische Moment zusammen mit dem bio- logischen in den Vordergrund. Dank der Arbeit zahlreicher, weit über die Schweiz hinaus bekannt gewordener Forscher erschien der Boden für die Absicht des Verf, die heutige Tierwelt der Schweiz in ihrem Werden, in ihrem Zusammenhang mit Boden, Klima und Pflanzenwelt, in der Beein- flussung durch Nachbargebiete und geologische Vorgänge darzustellen, wohl vorbereitet, so daß der Verwirklichung des Gedankens mit voller Aus- sicht auf Erfolg von dem Verf näher getreten werden konnte, der frühzeitig den Blick für die Natur der Heimat geschärft bekommen und dann durch vieljährige Studien in den Tropen an einem anderes beschaffenen Material den für seine Ab- sicht notwendigen „erweiterten Horizont" ge- wonnen hat. In etwa siebenjähriger Arbeit ist aus den erwähnten Vorlesungen das Buch ent- standen, das, wenngleich in erster Linie für die Schweiz und die Schweizer bestimmt, zweifellos auch in den Nachbargebieten und über diese hinaus die Beachtung und Wertschätzung finden wird, die es verdient. Es zerfällt in zwei verschieden umfangreiche Hauptabschnitte. Der erste behandelt die Tier- welt der Schweiz in der Vergangenheit, hierbei auch den Menschen berücksichtigend, der zweite die heute dort vorkommenden Wirbeltiere in ab- steigender Folge der Klassen (66 Säuger-, 360 Vogel-, 14 Reptilien-, 18 bzw. 19 Amphibien- und 50 Fisch- arten). Sehr instruktiv und durchaus originell sind die den einzelnen Klassen beigegebenen farbigen Tafeln , da sie es schon einem flüchtigen Blick erlauben, den Bestand an Arten jeder Klasse in der Schweiz der Zahl wie auch den Ordnungen nach mit dem des Erdballes zu vergleichen, gleich- zeitig auch — und zwar ebenfalls statistisch die Ver- breitung der schweizerischen Arten über die bio- geographischen Regionen und ihr Vorkommen in Nachbargebieten zu erkennen. Die hierfür ange- wandte Darstellungsart ist so einfach und so über- zeugend, daß sie gewiß allgemeinere Anwendung finden wird. Von den beiden Karten bringt die eine die wichtigsten schweizerischen Fundstellen der Diluvial- und Pfahlbau-Fauna und die Ausdehnung der Vergletscherung zur letzten Eiszeit nördlich der Alpen, die andere die Zugstraßen der Vögel in der Schweiz (nach St u der) und die Verbreitung der Coregoniden in den Schweizer Seen. Von Abbildungen einzelner Tierarten wurde abgesehen; der Verf. setzt die Kenntnis zoologischer Grund- begriffe sowie der augenfälligeren Arten voraus, charakterisiert aber die seltneren bzw. kleineren und versteckt lebenden soweit, daß sich jeder leicht zurechtfinden wird. Ein faunistisches Besiimmungsbuch soll sein Werk nicht sein. In einem Schlußkapitel stellt die „eidgenössische Oberinspektion für Forstwesen, Jagd und Fischerei" Jagd und Wildstand , Fischerei und Fischzucht im Gebiet übersichtlich dar. M. Braun, Königsberg Pr. Brehm's Tierleben, all gemein e Kunde des Tierreichs. Vierte vollständig neu bearbeitete Auflage. Herausgegeben von Prof Dr. C. zur Strassen. Säugetiere. II. Bd., neu- bearbeitet von LudwigHeck und M a x H i 1 z - heimer. XVIII, 654 Seiten, gr. 8", mit 84 Ab- bildungen nach Photographien auf 20 Doppel- tafeln, 30 Textabbildungen, 15 farbigen und 4 schwarzen Tafeln. Leipzig, Wien, Biblio- graphisches Institut, 1914. Die großen \'orzüge, welche bei Besprechung des ersten Bandes der Säugetiere in der H eck- schen Neubearbeitung hervorgehoben und gerühmt werden konnten (Nat. Wochenschr. 191 2), weist in vollem Maße auch der vorliegende zweite Band auf Gegenüber sieben Ordnungen im ersten Band umfaßt er freilich nur zwei, die Nagetiere (bearbeitet von L. Heck) und die Robben (be- arbeitet von M. Hilzheimer); aber die Nager sind, wie jedermann wohl weiß, die artenreichste Ordnung aller Säuger, die an der Zusammen- setzung der Säugetierfauna der Erde mit erheblich N. F. Xra. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 83 1 mehr als einem Drittel der Arten teilnehmen, denen gegenüber die Artenzahl der Robben ganz zurücktritt. Dies drückt sich natürlich auch in der Seitenzahl au.s, die den beiden Ordnungen in dem vorliegenden Bande zufallen (576 bei Nagern, 65 bei Robben). Bei der großen Mannigfaltigkeit, in der die Nagetiere heute entwickelt sind und uns ent- gegentreten, bei dem vielfachen Schwanken der äußeren Merkmale und dem Mangel hervor- stechender Unterschiede im inneren Bau ist es nicht leicht, ein System zu geben; doch hat Heck die Schwierigkeiten mit großem Geschick über- wunden und eine Anordnung getroffen, die dem Nicht-Fachmann, an den sich Br ehm' s Tierleben in erster Linie wendet, das Zurechtfinden wesentlich erleichtern wird. Selbstverständlich ist, daß in dieser arten- reichsten aller Säugetierordnungen für die Dar- stellung eine Auswahl getroffen werden und Arten, auch Gattungen unberücksichtigt bleiben mußten, denen ein aligemeines Interesse nicht zukommt. Aber selbst in dieser notwendigen und durchaus zu billigenden Beschränkung ist das Dargebotene doch so reichhaltig und so trefflich durchgearbeitet, daß ihm etwas auch nur annähernd Gleiches weder in der deutschen noch in der fremdländischen Literatur nicht an die Seite gesetzt werden kann. Handelt es sich doch um rund 400 Formen, die hier geschildert und großenteils auch bildlich dar- gestellt sind, während in der vorausgehenden Auf- lage trotz der 232 Seiten, die auf die Nager fallen, nur 90 Arten behandelt sind. Das illustrative „Beiwerk", wie man zu sagen pffegt, das aber sehr wesentlich und unentbehrlich ist, hat ebenfalls eine bedeutende Vermehrung er- fahren, weniger in den Textabbildungen und den schönen farbigen Tafeln, als durch die Photo- graphien vom lebenden Tier, die vorzüglich ge- lungen und wiedergegeben sind. Von den im ganzen 20 Doppeltafeln mit 94 Photographien ent- fallen 18 mit 88 Bildern auf die Nager; viele von ihnen werden hier zum erstenmale einem weiteren Leserkreise vorgeführt. Somit ist die dankenswerte Absicht Heck 's, den in den früheren Auflagen stiefmütterlich be- handelten niederen Säugetierordnungen mehr zu ihren Recht zu verhelfen, auch in diesem Bande, der selbst dem Zoologen vom Fach wertvolle Dienste leisten wird, glänzend durchgeführt. Der Bearbeitung der Robben durch Hilz- heimer ist ebenfalls volles Lob zu spenden. Der Verf. hat sich so sehr in den Geist des neuen Buches hineingefunden, daß man kaum die andere Feder merkt, die diesen Abschnitt geschrieben hat. M. Braun, Königsberg Pr. Die Orchideen, ihre Beschreibung, Kultur und Züchtung. Handbuch für Orchideenliebhaber, Kultivateure und Botaniker, herausgegeben von Dr. Rudolf.Schlechter, Assistent am Kgl. Botanischen Museum in Dahlem bei Berlin unter Mitwirkung von Ükononiierat O. B e y r o d t - Marienfelde, Oberhofgärtner H. J an ke - Berlin, Professor Dr. G. Lindau- Berlin und Obergärtner A. Malmquist- Herrenhausen in Hannover. Mit 12 in Vierfarbendruck nach farbigen Naturauf- nahmen hergestellten Tafeln und über 200 Text- abbildungen. Berlin 1914, Paul Parey. Voll- ständig in 10 Lieferungen ä 2,50 M. Die Orchideen, wenigstens die tropischen, machen eine eigenartige, für den Botaniker weniger als für den Händler und Gärtner erfreuliche Wan- derung durch. Aus den Urwäldern der Tropen siedeln sie allmählich in die Glashäuser der ge- mäßigten Zone über. Diese merkwürdige pflanzen- geographische Erscheinung geht seit langer Zeit in einem ganz bedeutendem Ausmaß vor sich, so daß der Pflanzenfreund, wenn er von den oft riesigen Transporten von Orchideen hört, wohl von einiger Unruhe ergriffen wird und den Zeit- punkt für gekommen hält, wo man auch hier von Staatswegen in naturschützendem Smne einschreiten sollte. Wie weit dies schon jetzt notwendig ist, wollen wir hier nicht erörtern. Freuen wir uns einstweilen der wunderbaren Pracht der Farben und der eigenartigen Formen, die dank jener Er- scheinung die öffentlichen und privaten Gewächs- häuser, die Blumenhandlungen jedem in Muße zu genießen erlauben. Eine zusainmenfassende Bearbeitung der Fa- milie der Orchideen, die die Beschreibung der Formen, ihre Kultur und ihre Züchtung umgreift, war zweifellos sowohl ein Bedürfnis der Praktiker auf diesem wichtigen Handelsgebiete als auch der zahlreichen Liebhaber und nicht zum wenigsten der Botaniker. Als Herausgeber eines solchen Werkes konnte kein geeigneterer als Dr. Schlechter gefunden werden, der mit praktischen Erfahrungen eine ausgedehnte, auf weiten erfolgreichen Reisen erworbene Kenntnis der Orchideenfamilie verbindet. Dem ganzen auf 10 Lieferungen a 6 Bogen be- rechneten Werke liegt folgender Plan zugrunde. Im ersten Kapitel wird die allgemeine Morpho- logie der Orchideen, im zweiten ihre geographische Verbreitung, im dritten die Systematik und im vierten das Klima der hauptsächlichsten Heimat- länder der Orchideen behandelt. Während diese Kapitel vom Herausgeber, Dr. Schlechter selbst, verfaßt sind, hat er für die folgenden namhafte andere Spezialisten herangezogen. Im fünften Kapitel schildert A. Malmquist die Kultur der Orchideen, im sechsten O. Beyrodt die Orchi- deen als Schnittblumen, im siebenten H. Janke die Befruchtung und die Anzucht aus Samen und derselbe, im achten die empfehlenswertesten Hy- briden. Im neunten bespricht dann G. Lindau die tierischen und pflanzlichen Schädlinge und ihre Bekämpfung und den Schluß macht ein wiederum von O. Beyrodt geschriebenes Kapitel über die für die Orchideenzucht besonders ge- eigneten Kulturräume, Häuser, Kästen. Bisher liegen die ersten vier Lieferungen vor, die einen Eindruck von dem Unternehmen zu ge- 832 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XIII. Nr. 52 winnen gestatten. Dieser Eindruck ist günstig, so daß wir dieses Werk den Kreisen, welche für die Orchideen Interesse haben, empfehlen können. Miehe. Wetter-Moiiatsül)ersielit. Innerhalb des vergangenen November wechselte das Wetter in Deutschland mehrmals seinen Charakter. Anfangs war es allgemein trübe oder nebelig und dabei im größten Teile des Landes ziemlich mild. Besonders im Rheingebiet und in Mitteldeutschland wurden noch verschiedentlich 15" C. S?linTcrcIeiiijjerafiiren eitiicjer (9rfe im ]Roi»emBcrl31^. 1. November. 6. ülAmrV^tlWr'l,«,,,^ überschritten, am i. stieg das Thermometer in Dresden bis auf 17, am 2. in Aachen bis 18" C. Nur im östlichen Ostsee- gebiete herrschte in den ersten Nächten sowie am 6. und 7. vielfach Frost, wobei es Königsberg i. Pr. und Memel auf 5 bis 6" C. Kälte brachten. Nachdem um den lo. November die mittleren Tempera- turen an vielen Orten lo" C. erreicht oder sogar ein wenig überschritten hatten, trat überall eine merkliche Abkühlung ein, die sich bis etwa zum 22. langsam fortsetzte. Die Nacht- fröste wurden in dieser Zeit immer zahlreicher und zuletzt blieb das Thermometer an verschiedenen Stellen des Binnen- landes sogar in den Mittagsstunden unter dem Gefrierpunkt. Am kältesten war es in Thüringen und Schlesien, woselbst bei groi3enteils klarem Himmel und ziemlich scharfen östlichen Winden das Thermometer am 22. in Ilmenau, Greiz und Pless auf — 12, in Friedland und Habelschwerdt auf — 16, in Schreiberhau sogar auf — 17 " C. herabging. Erst gegen Ende des Monats stellten sich in Nordwestdeulschland wieder mildere Südwestwinde ein und führten neue Erwärmung herbei, die sich allmählich weiter nach Osten fortpflanzte. Die mittleren Monatstemperaturen stimmten in Nordost- deutschland mit ihren normalen Werten fast genau überein, ■während sie im Nordwesten und Süden meist um einige Zehntelgrade zu hoch waren. Die Dauer der Sonnenstrahlung war aber im allgemeinen zu gering; beispielsweise hatte Berlin im letzten November nur 35 Stunden mit Sonnenschein zu verzeichnen, während hier in den früheren Novembermonaten durchschnittlich 52 Sonnenscheinstunden vorgekommen sind. Obwohl in den ersten Tagen des Monats der Himmel fast ununterbrochen mit Nebelgewölk bedeckt war, blieben meßbare Niedcrscliläge doch in den meisten Landesteilen bis zum 7. völlig aus. Bei heftigen südwestlichen Winden, die zwischen dem 10. und 11. besonders an der Küste großen- teils zu Stürmen anwuchsen, gingen aber dann lange an- haltende, zum Teil sehr ergiebige Regengüsse hernieder, die stellenweise von Gewittern und Hagel- oder Graupel- schauern begleitet waren; vom II. zum 12. lielen z. B. in Mittlerer Wert für Dculsclil.inci. ^onatssuinnieimNü läftli 12. 11. 10. 0' 11 18.bislO.No»emb3r. Hamburg 31, in Cuxhaven 28, in Neumunster und Memel je 23, vom 13. zum 14. in Keitum auf Sylt 33 mm Regen. Seit dem 16. kamen in verschiedenen Gegenden Schnee- fälle vor, die namentlich nordöstlich der Oder den Boden vorübergehend mit einer leichten Schneedecke überzogen. Gleichzeitig nahmen jedoch die Niederschläge in Nordwest- deutschland, bald darauf auch im Osten und Süden wieder ab. Zwar fanden später ziemlich häutige neue Regenfälle statt, indessen klärte sich dazwischen der Himmel auch nicht selten auf und die Regenmengen waren dann bis zum Ende des Monats im allgemeinen gering. Auch in der Monatssumme, die sich für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen auf 46,5 mm belief, blieben sie hinler ihrem mittleren Wert aus den früheren Novembermonaten um 3,7 mm zurück. Die allgemeine Anordnung des Luftdruckes in Europa war im diesjährigen November verhältnismäßig einfach ge- staltet. Bis zum 7. wurde der Nordosten von einem hohen barometrischen Maximum eingenommen, während vom Ozean mäßig tiefe Depressionen nach den britischen Inseln und zum Teil nach Frankreich gelangten. Durch ein auf dem Nordmeer erschienenes tieferes Minimum wurde sodann das Hochdruckgebiet nach Südosten zurückgedrängt, gleichzeitig trat ein neues Maximum in Südwesteuropa auf, während andere tiefe Minima dem ersten auf dem Nordmeer und von da nach Skandinavien und Nordrußland nachfolgten. Bald nach Mitte des Monats rückte das südwestliche Hochdruckgebiet nordostwärts nach der skandinavischen Halb- insel vor, von wo es ganz allmählich durch weitere, zunächst nur flache und erst gegen Ende des Monats wiederum recht tiefe atlantische Depressionen ins Innere Rußlands verschoben wurde. Diese verschiedenen Änderungen in der allgemeinen Druckverteilung hatten einen mehrmaligen Wechsel zwischen kalten nordöstlichen und milden südwestlichen Winden zur Folge, der sich bei allen Witterungsverhältnissen Deutschlands wie von ganz Mitteleuropa geltend machte. Dr. E. Leß. Inhalt; Hennig: Die Grenzen des Individuums und das Problem des .-Xbsterbens. Fehlinger: Über Variation. — Einzel- berichte; Nopcsa; Lebensbedingungen der Dinosaurier. Baunacke: Die Statocy-ten. Planck: Dynamische und statistische Gesetzmäßigkeit. — Kleinere Mitteilungen : Bürger: Technische Neuerungen der feinkeramischen Industrie. — Bücherbesprechurgen: Goeldi: Die Tierwelt der Schweiz. Brehm's Tierleben, allgemeine Kunde des Tierreichs. Schlechter: Die Orchideen. — Wetter-Monatsübersicht. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße na, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. MBL/WHOI UBRARY UH löNE